Bundesgerichtshof Beschluss, 26. Nov. 2015 - 1 StR 135/15
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Gründe:
- 1
- Der Senat hat ein als Revision ausgelegtes, am 13. Januar 2015 erhobenes Rechtsmittel des Verurteilten gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 27. Juni 2012 mit Beschluss vom 30. April 2015 gemäß § 349 Abs. 1 StPO ebenso als unzulässig verworfen wie einen zugleich gestellten Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Revision. Nach Eingang mehrerer Schreiben des Verurteilten vom 13., 18. und 23. Juni 2015 hat die Rechtspflegerin des Bundesgerichtshofs diesen unter dem Datum vom 30. Juni 2015 darauf hingewiesen, dass das Strafverfahren durch den Verwerfungsbeschluss des Senats rechtskräftig abgeschlossen und eine Beschwerde gegen diesen Beschluss nicht zulässig ist.
- 2
- Ein weiteres Schreiben des Verurteilten vom 31. Juli 2015 hat der Senat als Gegenvorstellung ausgelegt (§ 300 StPO), diesen Rechtsbehelf aber mit Beschluss vom 2. September 2015 zurückgewiesen. Der Verurteilte hat mit Datum vom 12. Oktober 2015 ein Schreiben eingereicht, das mit „Erneute Gegen- vorstellung zum Beschluss vom 02.09.2015“ überschrieben ist. Die Rechtspfle- gerin des Bundesgerichtshofs hat den Verurteilten durch Schreiben vom 3. November 2015 erneut darüber unterrichtet, dass das Verfahren rechtskräftig abgeschlossen ist und auch die Gegenvorstellung dem Senat keine Veranlassung gegeben hat, seine Entscheidung vom 30. April 2015 zu ändern.
- 3
- Nachfolgend haben zwei weitere Schreiben des Verurteilten den Bundesgerichtshof erreicht. In dem unter dem Datum vom 3. November 2015 verfassten Schreiben nimmt der Verurteilte Bezug auf mehrere seiner früheren Eingaben aus dem Juni 2015 und führt hinsichtlich des Beschlusses des Senats vom 2. September 2015 aus, er habe bereits gerügt, dass den von ihm gemachten Angaben nicht weiter nachgegangen worden sei. „Diese Textauszüge können sicher als Anträge nach § 356a StPO und auf Wiedereinsetzung ausge- legt werden“.
I.
- 4
- Unter keinem möglichen, der Auslegung gemäß § 300 StPO zugänglichen Aspekt liegt in dem Antrag vom 12. Oktober 2015 ein zulässiger Rechtsbehelf. Er war daher kostenpflichtig (BGH, Beschluss vom 8. Juli 2013 – 1 StR 557/12) zurückzuweisen.
- 5
- 1. Soweit der Verurteilte eine Anhörungsrüge nach § 356a StPO gegen den Beschluss des Senats vom 30. April 2015 erheben wollte, wäre diese unzulässig. Der Antrag wahrt weder die Frist aus § 356a Satz 2 StPO noch genügt er § 356a Satz 3 StPO. Sollte der Antrag gemäß § 356a StPO auf die Entscheidung des Senats vom 2. September 2015 über die Gegenvorstellung bezogen sein, wäre er unzulässig, weil das Gesetz die Anhörungsrüge lediglich auf die Entscheidung über die Revision bezieht. Es kommt wegen der Unzulässigkeit beider möglicher Anhörungsrügen daher nicht mehr darauf an, dass der Vorwurf der Gehörsverletzung auch in der Sache unzutreffend ist.
- 6
- 2. a) Sollte mit dem Schreiben vom 12. Oktober 2015 eine erneute Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Revision gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 27. Juni 2012 begehrt werden, wäre der Antrag ebenfalls unzulässig. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs können die Voraussetzungen des § 44 Satz 1 StPO nicht vorliegen, wenn der die Wiedereinsetzung begehrende Rechtsmittelführer von einem befristeten Rechtsbehelf bewusst keinen Gebrauch macht (vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 31. Juli 2012 – 4 StR 238/12, NStZ 2012, 652 und vom 20. August 2013 – 1 StR 305/13, NStZ-RR 2013, 381, 382 mwN); das ist sowohl bei einem bloßen Verstreichenlassen der Rechtsmittelfrist (BGH, Beschluss vom 31. Juli 2012 – 4 StR 238/12, NStZ 2012, 652) als auch bei einer Rücknahme des Rechtsmittels (BGH, Beschluss vom 20. August 2013 – 1 StR 305/13, NStZ-RR 2013, 381 f.) und bei wirksamem Rechtsmittelverzicht (etwa BGH, Beschluss vom 20. Juni 1997 – 2 StR 275/97, NStZ 1997, 611, 612 mwN) der Fall.
- 7
- Von der Wirksamkeit des am 27. Juni 2012 nach Urteilsverkündung von dem Verurteilten erklärten Rechtsmittelverzichts ist weiterhin auszugehen. Auch aus den dem Senatsbeschluss vom 30. April 2015 nachfolgenden Schreiben des Verurteilten ergibt sich kein ausreichender Anlass dafür, freibeweislich aufzuklären , ob eine Fälschung der Sitzungsniederschrift vorliegt, die allein deren Beweiskraft aus § 274 Satz 1 StPO in Wegfall bringen könnte (§ 274 Satz 2 StPO). Soweit der Verurteilte auf das Schreiben seines früheren Verteidigers vom 16. Juni 2015 abstellt, enthält dieses keine genügenden Anhaltspunkte dafür, um von der Bezeichnung einer konkret behaupteten Fälschung ausgehen zu können. Das Schreiben weist lediglich aus, dass es am 25. Juni 2012 zu einem Verständigungsgespräch zwischen den Verfahrensbeteiligten gekommen sei, bei dem das Gericht „informell“ u.a. für den Fall eines Geständnisses eine Freiheitsstrafe von sechs Jahren und elf Monaten in Aussicht gestellt habe. Dass es nachfolgend entgegen dem Inhalt der Sitzungsniederschrift und des Urteils zu einer informellen Verfahrensabsprache (zur analogen Anwendung von § 302 Abs. 1 Satz 2 StPO auf informelle Absprachen siehe BGH, Beschluss vom 24. September 2013 – 2 StR 267/13, BGHSt 59, 21, 26 f. Rn. 22 ff.) gekommen sei, behauptet der Verteidiger nicht. Gerade weil das Urteil, soweit es die frühere Mitangeklagte betrifft, auf einer durch Sitzungsniederschrift und Urteil ausgewiesenen formellen Absprache beruht, hätte es der Benennung konkreterer Anhaltspunkte bedurft, um Anlass zu geben, im Wege des Freibeweises der von dem Verurteilten implizit erhobenen Behauptung der Fälschung der Sitzungsniederschrift im Hinblick auf die dortige Beurkundung einer fehlenden Urteilsabsprache bezüglich des Verurteilten nachzugehen.
- 8
- Zusätzliche tatsächliche Anhaltspunkte, die nunmehr eine die Wirksamkeit des Rechtsmittelverzichts begründende Verhandlungsunfähigkeit des Verurteilten am 27. Juni 2012 belegen (siehe bereits den Beschluss des Senats vom 30. April 2015 in dieser Sache), enthalten die dem Verwerfungsbeschluss nachfolgenden Schreiben des Verurteilten ebenfalls nicht.
- 9
- b) Soweit das Schreiben vom 12. Oktober 2015 als Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist aus § 356a Satz 2 StPO zur Erhebung der Anhörungsrüge gegen den Verwerfungsbeschluss vom 30. April 2015 zu werten wäre (zu dieser Möglichkeit siehe nur BGH, Beschluss vom 13. August 2008 – 1 StR 162/08, wistra 2009, 33, 34 f.; Wohlers in SK-StPO, 4. Aufl., Band VII, § 356a Rn. 9 mwN), wäre er gleichfalls unzulässig. Denn aus ihm ergibt sich die Einhaltung der Anforderungen aus § 45 StPO nicht.
- 10
- Im Hinblick auf das wiederholte Vorbringen des Verurteilten, ein Rechtsbeistand stehe ihm nicht zur Verfügung, weist der Senat darauf hin, dass die Verteidigerbestellung auch für die Durchführung des Anhörungsverfahrens gemäß § 356a StPO fortdauerte (BGH, Beschluss vom 24. Oktober 2005 – 5 StR 269/05, BGHR StPO § 356a Verteidiger 1; Nagel in Radtke/Hohmann, StPO, § 356a Rn. 9).
II.
- 11
- Weitere gleichartige Eingaben des Verurteilten in dieser Sache wird der Senat nicht mehr bescheiden (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Juli 2013 – 1 StR 557/13 Rn. 8 mwN).
moreResultsText
moreResultsText
Annotations
(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
Ein Irrtum in der Bezeichnung des zulässigen Rechtsmittels ist unschädlich.
Hat das Gericht bei einer Revisionsentscheidung den Anspruch eines Beteiligten auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt, versetzt es insoweit auf Antrag das Verfahren durch Beschluss in die Lage zurück, die vor dem Erlass der Entscheidung bestand. Der Antrag ist binnen einer Woche nach Kenntnis von der Verletzung des rechtlichen Gehörs schriftlich oder zu Protokoll der Geschäftsstelle beim Revisionsgericht zu stellen und zu begründen. Der Zeitpunkt der Kenntniserlangung ist glaubhaft zu machen. Hierüber ist der Angeklagte bei der Bekanntmachung eines Urteils, das ergangen ist, obwohl weder er selbst noch ein Verteidiger mit nachgewiesener Vertretungsvollmacht anwesend war, zu belehren. § 47 gilt entsprechend.
Ein Irrtum in der Bezeichnung des zulässigen Rechtsmittels ist unschädlich.
Hat das Gericht bei einer Revisionsentscheidung den Anspruch eines Beteiligten auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt, versetzt es insoweit auf Antrag das Verfahren durch Beschluss in die Lage zurück, die vor dem Erlass der Entscheidung bestand. Der Antrag ist binnen einer Woche nach Kenntnis von der Verletzung des rechtlichen Gehörs schriftlich oder zu Protokoll der Geschäftsstelle beim Revisionsgericht zu stellen und zu begründen. Der Zeitpunkt der Kenntniserlangung ist glaubhaft zu machen. Hierüber ist der Angeklagte bei der Bekanntmachung eines Urteils, das ergangen ist, obwohl weder er selbst noch ein Verteidiger mit nachgewiesener Vertretungsvollmacht anwesend war, zu belehren. § 47 gilt entsprechend.
War jemand ohne Verschulden verhindert, eine Frist einzuhalten, so ist ihm auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Die Versäumung einer Rechtsmittelfrist ist als unverschuldet anzusehen, wenn die Belehrung nach den § 35a Satz 1 und 2, § 319 Abs. 2 Satz 3 oder nach § 346 Abs. 2 Satz 3 unterblieben ist.
Die Beobachtung der für die Hauptverhandlung vorgeschriebenen Förmlichkeiten kann nur durch das Protokoll bewiesen werden. Gegen den diese Förmlichkeiten betreffenden Inhalt des Protokolls ist nur der Nachweis der Fälschung zulässig.
(1) Die Zurücknahme eines Rechtsmittels sowie der Verzicht auf die Einlegung eines Rechtsmittels können auch vor Ablauf der Frist zu seiner Einlegung wirksam erfolgen. Ist dem Urteil eine Verständigung (§ 257c) vorausgegangen, ist ein Verzicht ausgeschlossen. Ein von der Staatsanwaltschaft zugunsten des Beschuldigten eingelegtes Rechtsmittel kann ohne dessen Zustimmung nicht zurückgenommen werden.
(2) Der Verteidiger bedarf zur Zurücknahme einer ausdrücklichen Ermächtigung.
Hat das Gericht bei einer Revisionsentscheidung den Anspruch eines Beteiligten auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt, versetzt es insoweit auf Antrag das Verfahren durch Beschluss in die Lage zurück, die vor dem Erlass der Entscheidung bestand. Der Antrag ist binnen einer Woche nach Kenntnis von der Verletzung des rechtlichen Gehörs schriftlich oder zu Protokoll der Geschäftsstelle beim Revisionsgericht zu stellen und zu begründen. Der Zeitpunkt der Kenntniserlangung ist glaubhaft zu machen. Hierüber ist der Angeklagte bei der Bekanntmachung eines Urteils, das ergangen ist, obwohl weder er selbst noch ein Verteidiger mit nachgewiesener Vertretungsvollmacht anwesend war, zu belehren. § 47 gilt entsprechend.
(1) Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist binnen einer Woche nach Wegfall des Hindernisses bei dem Gericht zu stellen, bei dem die Frist wahrzunehmen gewesen wäre. Zur Wahrung der Frist genügt es, wenn der Antrag rechtzeitig bei dem Gericht gestellt wird, das über den Antrag entscheidet.
(2) Die Tatsachen zur Begründung des Antrags sind bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft zu machen. Innerhalb der Antragsfrist ist die versäumte Handlung nachzuholen. Ist dies geschehen, so kann Wiedereinsetzung auch ohne Antrag gewährt werden.
Hat das Gericht bei einer Revisionsentscheidung den Anspruch eines Beteiligten auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt, versetzt es insoweit auf Antrag das Verfahren durch Beschluss in die Lage zurück, die vor dem Erlass der Entscheidung bestand. Der Antrag ist binnen einer Woche nach Kenntnis von der Verletzung des rechtlichen Gehörs schriftlich oder zu Protokoll der Geschäftsstelle beim Revisionsgericht zu stellen und zu begründen. Der Zeitpunkt der Kenntniserlangung ist glaubhaft zu machen. Hierüber ist der Angeklagte bei der Bekanntmachung eines Urteils, das ergangen ist, obwohl weder er selbst noch ein Verteidiger mit nachgewiesener Vertretungsvollmacht anwesend war, zu belehren. § 47 gilt entsprechend.