Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 305/13
vom
20. August 2013
in der Strafsache
gegen
wegen Betruges u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 20. August 2013 beschlossen
:
Der Antrag des Angeklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen
Stand wegen der Versäumung der Frist zur Begründung der Revision
gegen das Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom
10. November 1995 und seine Revision gegen dieses Urteil werden
auf seine Kosten als unzulässig verworfen.

Gründe:

1
Der Angeklagte ist am 10. November 1995 wegen Betruges in 58 Fällen sowie Unterschlagung in zwei Fällen zu einer Jugendstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt worden. Hiergegen haben der Angeklagte und die Verteidigerin jeweils mit Schreiben vom 13. November 1995, einen Tag später bei Gericht eingegangen, Revision eingelegt. Mit Schreiben vom 21. November 1995 hat der Angeklagte die Revision zurückgenommen. Die Verteidigerin hat wenige Tage darauf Rücknahme erklärt.
2
Mit Schreiben vom 13. April 2013 hat der Angeklagte erneut Revision gegen das Urteil eingelegt und Wiedereinsetzung beantragt. Zur Begründung trägt er vor, das Urteil beruhe auf einer unzulässigen Absprache. Hierzu zitiert er eine Fundstelle einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. „Man“ habe ihm im Hinblick auf eine versprochene Bewährung ein pauschales Ge- ständnis abgenommen. Der „formlose Deal“ sei „geplatzt“, er habe deswegen Revision eingelegt. Daraufhin sei er damit „bedroht“ worden, bis zur Entschei- dung des Bundesgerichtshofs in Untersuchungshaft bleiben zu müssen, anstatt in den Strafvollzug zu gelangen. Wegen dieser „Drohung“ habe er die Revision zurückgenommen; die Rücknahme sei unwirksam. Die Verteidigerin habe sich damals schon geweigert, die Revision zu begründen.
3
Mit Schreiben vom 12. Juli 2013 hat er weiter ausgeführt, seine Verteidigerin habe ihm immer wieder versichert, wenn er ein pauschales Geständnis ablege, erhalte er eine Bewährungsstrafe. Nach Einlegung der Revision sei er gezielt darüber getäuscht worden, „dass eine Revision erfolgreich ist“. Der Vor- sitzende der Strafkammer und seine Verteidigerin hätten auf ihn eingeredet, es gäbe keinen Ansatz für eine Revisionsbegründung. Die Verteidigerin habe erklärt , das Rechtsmittel nicht begründen zu wollen. Sie habe zudem das Rechtsmittel ohne Vollmacht zurückgenommen. Jahrzehnte später habe er er- fahren, dass sie dafür bekannt sei, Pflichtverteidigungen zu „sammeln“ und nicht zu verteidigen. Mangels qualifizierter Rechtsmittelbelehrung laufe ohnehin keine Frist. Er beantrage daher Wiedereinsetzung hinsichtlich der Revisionsbegründungsfrist.
4
1. Die Revision des Angeklagten ist unzulässig.
5
a) Der Angeklagte hat sein Rechtsmittel wirksam zurückgenommen.
6
Die Zurücknahme der Revision durch den Angeklagten, die sich stets auf das Rechtsmittel des Verteidigers erstreckt - so dass es auf die Frage der ausdrücklichen Ermächtigung zur Rücknahme gemäß § 302 Abs. 2 StPO nicht mehr ankommt (BGH, Beschlüsse vom 11. März 2008 - 3 StR 562/07 und vom 3. November 2011 - 2 StR 353/11) - ist unwiderruflich und unanfechtbar (BGH, Beschluss vom 16. März 2010 - 4 StR 572/09).
7
Schwerwiegende Willensmängel, für die die Rechtsprechung Ausnahmen von diesem Grundsatz in besonderen Fällen (vgl. BGH, Urteil vom 21. April 1999 - 5 StR 714/98, BGHSt 45, 51, 53; Beschluss vom 20. April 2004 - 5 StR 11/04, NJW 2004, 1885) anerkennt, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Der Tatsachenvortrag des Angeklagten belegt keine Täuschung oder sonst eine Einwirkung des Gerichts mit unlauteren Mitteln auf seine Rücknahmeentscheidung. Der Hinweis des Vorsitzenden auf die bis zur Rechtskraft fortdauernde Untersuchungshaft stellt keine objektiv unrichtige Erklärung dar (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 10. Januar 2001 - 2 StR 500/00, BGHR StPO § 302 Abs. 1 Satz 1 Rechtsmittelverzicht 22). Da dieser Hinweis zudem schon keine Verknüpfung zwischen einer Haftentlassung und der Rücknahme herstellte , kommt es auf die Frage einer eklatant sachwidrigen Abhängigkeit nicht mehr an (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 20. April 2004 - 5 StR 11/04, NJW 2004,

1885).


8
Soweit der Angeklagte in seiner zweiten Eingabe zudem darauf abhebt, er sei über die Erfolgsaussichten seines Rechtsmittels getäuscht worden, behauptet er schon selbst keine Beeinflussung seiner Rücknahmeentscheidung hierdurch. Abweichend vom Schreiben vom 13. April 2013, in dem er die Rücknahme noch als alleinige Folge der Drohung mit der Fortdauer der Untersuchungshaft statt des Strafvollzugs darstellt, behauptet er nunmehr lediglich, seine Entscheidung sei auch durch die Erklärung der Verteidigerin beeinflusst gewesen, sie stehe für eine Revision nicht zur Verfügung.
9
Zwar behauptet der Angeklagte, dem Urteil habe eine unzulässige Absprache zugrunde gelegen. Jedoch liegt schon auf der Grundlage seines Vor- trags ebenfalls keine Beeinflussung der Rechtsmittelrücknahme hierdurch vor. Vielmehr erklärt er, dass er auf das „Platzen des formlosen Deals“ hin über- haupt Revision eingelegt habe. Schon aus diesem Grund geht auch sein Hinweis auf das Fehlen einer qualifizierten Rechtsmittelbelehrung fehl (vgl. zum Erfordernis BGH, Beschluss vom 3. März 2005 - GSSt 1/04, BGHSt 50, 40, 61; zu den Folgen BGH aaO S. 62 und Beschluss vom 1. Juli 2005 - 5 StR 583/03, BGHR StPO § 302 Abs. 1 Satz 1 Rechtsmittelverzicht 27). Ungeachtet dessen ist darauf hinzuweisen, dass der Vortrag des Angeklagten eine unzulässige Absprache nicht trägt. So behauptet er schon nicht, dass ihm das Gericht zu irgendeinem Zeitpunkt eine Strafe bei einem bestimmten Aussageverhalten in Aussicht gestellt habe. Dass seine Verteidigerin in ihm die Erwartung geweckt haben soll, er bekomme eine Bewährungsstrafe, stellt keine Absprache dar. Soweit man seinen Ausführungen noch die Behauptung entnehmen möchte, bei der Haftbefehlsverkündung sei ihm von der Staatsanwältin zugesichert worden , bei einem Geständnis würde er entlassen, so bleibt offen, ob das Tatgericht hierüber Kenntnis hatte. Dies versteht sich nicht von selbst, da dieser Termin noch vor dem als Haftgericht zuständigen Amtsgericht Pforzheim stattfand. Im Übrigen lässt sich den für den Senat im Freibeweis zugänglichen Ak- ten entnehmen, dass der Angeklagte keineswegs ein bloßes „Pauschalgeständnis“ abgelegt hat. Seine geständigen Angaben bei der polizeilichen Ver- nehmung umfassen 32 Seiten. Auch später hat der Angeklagte immer wieder durch umfangreiche schriftliche Eingaben zum Tatvorwurf Stellung genommen. Hierbei hat er sich auch im Rahmen von Haftprüfungsanträgen bzw. - beschwerden zu den Haftverhältnissen erklärt; von der Zusicherung einer Entlassung ist in keinem der zahlreichen Schreiben die Rede.
10
Ein Motivirrtum über die Aussichten des Rechtsmittels ändert an der Unwiderruflichkeit der Rechtsmittelrücknahme nichts (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Juli 2004 - 2 StR 199/04, NStZ-RR 2004, 341).
11
b) Das rechtswirksam zurückgenommene Rechtsmittel kann nicht erneuert werden (BGH, Beschlüsse vom 3. Mai 1957 - 5 StR 52/57, BGHSt 10, 245, 247; vom 10. September 2009 - 4 StR 120/09, NStZ-RR 2010, 55).
12
2. Auch eine Wiedereinsetzung kommt nach der rechtswirksamen Rücknahme nicht in Betracht (BGH, Beschluss vom 26. Januar 2000 - 3 StR 588/99, NStZ-RR 2000, 305 mwN). Eine Frist kann nur derjenige versäumen, der sie einhalten wollte, aber nicht eingehalten hat. Wer von einem befristeten Rechtsbehelf bewusst keinen Gebrauch macht, war nicht im Sinne des § 44 Satz 1 StPO verhindert (BGH, Beschluss vom 10. August 2000 - 4 StR 304/00, NStZ 2001, 160; Meyer-Goßner, StPO, 56. Aufl., § 44 Rn. 5).
Raum Graf Cirener
Radtke Mosbacher

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War jemand ohne Verschulden verhindert, eine Frist einzuhalten, so ist ihm auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Die Versäumung einer Rechtsmittelfrist ist als unverschuldet anzusehen, wenn die Belehrung nach den § 35a Satz 1

Strafprozeßordnung - StPO | § 302 Zurücknahme und Verzicht


(1) Die Zurücknahme eines Rechtsmittels sowie der Verzicht auf die Einlegung eines Rechtsmittels können auch vor Ablauf der Frist zu seiner Einlegung wirksam erfolgen. Ist dem Urteil eine Verständigung (§ 257c) vorausgegangen, ist ein Verzicht ausges

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(1) Die Zurücknahme eines Rechtsmittels sowie der Verzicht auf die Einlegung eines Rechtsmittels können auch vor Ablauf der Frist zu seiner Einlegung wirksam erfolgen. Ist dem Urteil eine Verständigung (§ 257c) vorausgegangen, ist ein Verzicht ausgeschlossen. Ein von der Staatsanwaltschaft zugunsten des Beschuldigten eingelegtes Rechtsmittel kann ohne dessen Zustimmung nicht zurückgenommen werden.

(2) Der Verteidiger bedarf zur Zurücknahme einer ausdrücklichen Ermächtigung.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 562/07
vom
11. März 2008
in der Strafsache
gegen
wegen gewerbsmäßigen Bandenbetrugs u. a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 11. März 2008 gemäß
§ 349 Abs. 1 StPO beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Kiel vom 9. August 2007 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

1
Die Revision des Angeklagten ist unzulässig (§ 349 Abs. 1 StPO). Der Beschwerdeführer hat am 18. Oktober 2007 anlässlich seiner Vorführung nach § 115 a Abs. 3 Satz 1 StPO die durch seinen Verteidiger form- und fristgerecht eingelegte Revision zurückgenommen (§ 302 Abs. 1 Satz 1 StPO). Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers ist die Zurücknahme des Rechtsmittels wirksam.
2
Hierzu hat der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift zutreffend ausgeführt: "… Die vom Beschwerdeführer behauptete (sachwidrige) Verknüpfung zwischen Revisionsrücknahme und Haftverschonung ist nicht bewiesen. Ausweislich der dienstlichen Stellungnahme des Vorsitzenden der Strafkammer, Dr. K. , vom 22. Januar 2008 hat dieser die Erklärung des Beschwerdeführers , vor die Alternative einer Rücknahme der Revision oder seiner Inhaftierung gestellt worden zu sein, als stark verzerrend beziehungsweise als unzutreffend bezeichnet und im Einzelnen dargelegt, die Strafkammer habe im Termin vom 18. Oktober 2007 den Angeklagten nur darauf hingewiesen, dass die Straf- kammer ihn 'angesichts seiner nach Aktenlage getroffenen Fluchtvorbereitungen nicht auf freie Füße zu setzen gedenke' …".
3
Hinreichende Anhaltspunkte für eine zur Unwirksamkeit seiner Rücknahmeerklärung führende unzulässige Willensbeeinflussung des Beschwerdeführers (vgl. Ruß in KK 5. Aufl. § 302 Rdn. 13 m. w. N.) ergeben sich auch nicht aus der Erklärung des im Vorführungstermin anwesenden Instanzverteidigers, Rechtsanwalt P. , die dieser nach Übermittlung der dienstlichen Stellungnahme des Strafkammervorsitzenden und der Antragsschrift des Generalbundesanwalts mit Schriftsatz vom 22. Februar 2008 zum Verlauf dieses Termins abgegeben hat. Sonstige Unwirksamkeitsgründe sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
4
Die - danach wirksame - Zurücknahme der Revision durch den Angeklagten , die sich stets auch auf das Rechtsmittel des Verteidigers erstreckt, ist unwiderruflich und unanfechtbar (vgl. Meyer-Goßner, StPO 50. Aufl. § 302 Rdn.

9).


Becker Miebach Pfister Hubert Schäfer

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 353/11
vom
3. November 2011
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Mordes u. a.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 3. November 2011

beschlossen:
Es wird festgestellt, dass die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Limburg an der Lahn vom 16. März 2011 wirksam zurückgenommen ist. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin dadurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe:

1
1. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und Hausfriedensbruch zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt und seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Gegen dieses Urteil hat der Verteidiger des Angeklagten fristgerecht Revision eingelegt und diese am 3. Juni 2011 begründet. Mit seinem am 25. Juli 2011 bei der Staatsanwaltschaft Limburg und am 8. August 2011 beim Revisionsgericht eingegangenen eigenhändigen Schreiben vom 25. Juli 2011 hat der Angeklagte erklärt: "Nach reiflicher Überlegung stelle ich immer mehr fest, dass ich die Revision zurück ziehen möchte und so schnell wie möglich die Therapie § 64 antreten möchte. Möchten Sie bitte die nötigen Schritte in die Wege leiten." Das Schreiben enthielt die Angabe des Aktenzeichens des Schwurgerichtsverfahrens. Als Betreff war angegeben "Revision zurück ziehen".
2
Der Verteidiger vertritt in seinem Schriftsatz vom 17. August 2011 die Auffassung, eine rechtswirksame Rücknahme der Revision sei nicht erfolgt. Der Wortlaut der Erklärung sei nicht eindeutig. Der Angeklagte habe nur zum Ausdruck bringen wollen, dass die Revision bereits lange andauern würde und er zeitnah in Therapie möchte.
3
2. Die Revision ist wirksam zurückgenommen (§ 302 Abs. 1 Satz 1 StPO). Dass das Rechtsmittel von seinem Verteidiger eingelegt worden war, ist für die Wirksamkeit der Rücknahme durch den Angeklagten ohne Belang, da der erklärte Wille des Angeklagten stets vorgeht (vgl. BGHR StPO, § 302 Abs. 1 Satz 1 Rechtsmittelverzicht 7 mwN; vgl. auch Meyer-Goßner StPO 54. Aufl. § 302 Rn. 4 mwN). Die Rücknahmeerklärung des Angeklagten wahrt die für die Zurücknahme des Rechtsmittels erforderliche Form (vgl. Meyer-Goßner aaO Rn. 7) und ist eindeutig und zweifelsfrei.
4
Der Angeklagte war sich der Bedeutung und Tragweite seiner Erklärung bewusst; es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass er bei Abgabe seiner Erklärung verhandlungsunfähig war. Die vom Landgericht in Übereinstimmung mit dem Sachverständigen festgestellte eingeschränkte strafrechtliche Verantwortlichkeit beruhte auf einer auf die Tatzeit beschränkte, nicht ausschließbaren erheblichen Alkohol- und Betäubungsmittelintoxikation des Angeklagten (UA S. 35 f.). Der Senat hat daher keinen Zweifel an der Wirksamkeit der Revisionsrücknahme. Diese ist unwiderruflich und unanfechtbar (st. Rspr.; vgl. nur BGHR StPO, § 302 Abs. 1 Rücknahme 2, 5; BGHSt 10, 245, 247).
5
Da der Verteidiger des Angeklagten die Wirksamkeit der Revisionsrücknahme in Zweifel zieht, stellt der Senat die eingetretene Rechtsfolge förmlich fest. Nach wirksamer Rücknahme der Revision hat der Angeklagte die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin dadurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen (§ 473 Abs. 1 Satz 1 und 2 StPO).

Fischer Appl Schmitt Krehl Ott

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 572/09
vom
16. März 2010
in der Strafsache
gegen
wegen Anstiftung zur unerlaubten Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht
geringer Menge u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 16. März 2010 beschlossen:
Es wird festgestellt, dass die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Essen vom 30. Juli 2009 wirksam zurückgenommen worden ist.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in fünf Fällen, davon in vier Fällen in nicht geringer Menge, davon in zwei Fällen tateinheitlich mit Anstiftung zur unerlaubten Einfuhr von Betäubungsmitteln, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt und den Angeklagten im Übrigen freigesprochen sowie ferner den Verfall von Wertersatz in Höhe von 12.000 Euro angeordnet. Gegen dieses Urteil hat der bisherige Pflichtverteidiger des Angeklagten Revision eingelegt und diese mit der Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts begründet. Nach Kenntnisnahme vom Antrag des Generalbundesanwalts hat er die Revision mit Schriftsatz vom 1. Dezember 2009 "namens und im Auftrag" des Angeklagten zurückgenommen. Der Angeklagte hat nunmehr persönlich mit Schreiben vom 16. Februar 2010 erklärt, die Revision solle durchgeführt werden. Die Rücknahme sei nur deshalb erfolgt, weil er durch seinen Pflichtverteidiger hinsichtlich des Zeitpunkts einer Abschiebung in sein Heimatland Türkei nicht ordnungsgemäß beraten worden sei.
2
Die Revision des Angeklagten ist durch dessen Pflichtverteidiger wirksam zurückgenommen worden (§ 302 Abs. 1 Satz 1 StPO). Die gemäß § 302 Abs. 2 StPO erforderliche ausdrückliche Ermächtigung durch den Angeklagten, die keiner besonderen Form bedarf (vgl. BGHR StPO § 302 Abs. 2 Rücknahme 6), lag vor, wie sich aus dem Schriftsatz des Pflichtverteidigers vom 1. Dezember 2009 ergibt.
3
Die Revisionsrücknahme ist ebenso wie der Rechtsmittelverzicht generell unwiderruflich und unanfechtbar (st. Rspr.; vgl. nur BGHSt 46, 257, 258; BGHR StPO § 302 Abs. 1 Rücknahme 6). Nur in eng begrenztem Umfang erkennt die Rechtsprechung Ausnahmen an (vgl. dazu BGHSt 45, 51, 53 m.w.N.). Ein solcher Ausnahmefall ist hier schon deshalb nicht gegeben, weil die unrichtige Auskunft, durch die der Angeklagte zu seiner Erklärung veranlasst worden sein soll, nicht durch das Gericht (vgl. hierzu BGHSt 46, 257 f.), sondern durch den Pflichtverteidiger erteilt wurde (KK-Paul StPO 6. Aufl. § 302 Rdn. 13 m.w.N.). Auch wenn beim Angeklagten durch diese Auskunft unzutreffende Vorstellungen im Hinblick auf den Zeitpunkt seiner Abschiebung in sein Heimatland hervorgerufen worden sein sollten, hätte dies auf die Rechtswirksamkeit der Revisionsrücknahme keinen Einfluss. Ein bloßer Irrtum über die Auswirkungen eines Urteils oder sonstige enttäuschte Erwartungen sind insoweit unbeachtlich (Senatsbeschluss vom 13. Mai 2003 - 4 StR 135/03 m.w.N.).
Tepperwien Solin-Stojanović Ernemann
Franke Mutzbauer
Nachschlagewerk: ja
BGHSt : nein
Veröffentlichung : ja
Satz 1
Unwirksamkeit eines sofort nach Urteilsverkündung erklärten
Rechtsmittelverzichts des Angeklagten, auf den der Staatsanwalt mit
der Ankündigung eines unsachgemäßen Haftantrages für den
Weigerungsfall gedrängt hatte.
BGH, Beschluß vom 20. April 2004 – 5 StR 11/04
LG Berlin

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 20. April 2004
in der Strafsache
gegen
wegen Steuerhinterziehung
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 20. April 2004

beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten R wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 19. Mai 2003, soweit es diesen An- geklagten betrifft, nach § 349 Abs. 4 StPO mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e Das Landgericht hat den Angeklagten R wegen 14 Fällen der Steuerhinterziehung, zehnmal qualifiziert nach § 370a AO, unter Einbeziehung einer anderweitig rechtskräftig verhängten Geldstrafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Zwei Mitangeklagte , gegen die das Urteil rechtskräftig ist, wurden wegen des gleichen Schuldspruchs zu Gesamtfreiheitsstrafen von fünf Jahren bzw. ebenfalls drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die Verurteilung betrifft die im Zusammenwirken mehrerer Firmen arbeitsteilig mit mindestens fünf gesondert Verfolgten betriebene Hinterziehung von insgesamt 3,4 uern im Zusammenhang mit dem Erwerb und Weiterverkauf von Gold. Die Revision des Angeklagten R hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg.
1. Das Rechtsmittel ist zulässig. Der vom Angeklagten R im Anschluß an die Urteilsverkündung erklärte Rechtsmittelverzicht erweist sich als unwirksam. Aufgrund der Art und Weise seines Zustandekommens liegt ein Ausnahmefall vor, in dem die – grundsätzlich unwiderrufliche und unanfechtbare – Verzichtserklärung als unwirksam anzusehen ist (vgl. BGHSt 45, 51, 53).

a) Der Rechtsmittelverzicht erfolgte als Reaktion des Angeklagten R auf die Androhung des Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft, die Aufhebung der unmittelbar zuvor mit Urteilsverkündung beschlossenen Außervollzugsetzung des Haftbefehls gegen den Angeklagten R für den Fall seiner Verweigerung eines sofortigen Rechtsmittelverzichts zu beantragen. Mit dem Generalbundesanwalt hält der Senat den Sachvortrag der Revision in diesem Zusammenhang für erwiesen. Die Staatsanwaltschaft ist ihm in ihrer Gegenerklärung nicht entgegengetreten; dem Vortrag entgegenstehende dienstliche Erklärungen sind nach Eingang der Revisionsschriften nicht erfolgt.
Dem Vorgang war folgendes vorangegangen: Alsbald nach Anklageerhebung wurden Verständigungsgespräche zwischen den Verfahrensbeteiligten initiiert; gegen R wurde das Hauptverfahren ohne Gewährung einer Erklärungsfrist – worauf erst später verzichtet wurde – eröffnet; es erfolgte dann eine ganz ungewöhnlich zügige, bereits zehn Tage nach Anklageerhebung vollzogene Aburteilung von drei Angeklagten nach gut zweistündiger Hauptverhandlung in einem umfangreichen Steuerstrafverfahren.
Vor diesem Hintergrund stützen insbesondere zwei weitere ungewöhnliche Verfahrensvorgänge das Revisionsvorbringen: Zum einen ist es die im Zusammenhang mit dem Schlußvortrag abgegebene, vom Gericht unwidersprochen hingenommene und protokollierte Erklärung des Staatsanwalts , bei allen drei Angeklagten stehe – nach Strafanträgen über erhebliche Gesamtfreiheitsstrafen, die der anschließenden Verurteilung entsprachen – „im Falle der Rechtskraft des Urteils“ einer Haftverschonung nichts entgegen. Zum anderen ist es der Umstand, daß die Hauptverhandlung nach Verkündung des Urteils und der Haftverschonungsbeschlüsse sowie den Rechts- mittelverzichtserklärungen der beiden Mitangeklagten zu einer Beratung des Angeklagten R mit seinem Verteidiger vor Abgabe der in Streit stehenden Rechtsmittelverzichtserklärung eigens unterbrochen wurde.

b) Nach den der Urteilsfindung vorangegangenen Verständigungsgesprächen deutet die Ankündigung des Staatsanwalts, er werde die Aufhebung der mit Urteilsverkündung beschlossenen Außervollzugsetzung des Haftbefehls für den Fall mangelnder Bereitschaft des Angeklagten R zum Rechtsmittelverzicht beantragen, ebenso wie bereits die Erklärung des Staatsanwalts zur Haftverschonung im Schlußvortrag klar darauf hin, daß jedenfalls aus Sicht der Staatsanwaltschaft eine Verständigung im Strafverfahren in unstatthafter Weise (BGHSt 43, 195, 204 f.; 45, 227, 230 f.) mit der Zusage eines Rechtsmittelverzichts verknüpft werden sollte. Entscheidend für die Annahme einer unzulässigen Willensbeeinflussung zum Nachteil des Angeklagten ist hier indes, daß sich die Sicht der Staatsanwaltschaft auf eine Abhängigkeit zwischen Haftverschonung und Rechtsmittelverzicht als eklatant sachwidrig erweist. Dadurch hebt sich der vorliegende Sachverhalt von dem in BGHSt 17, 14 entschiedenen Fall eines letztlich als wirksam erachteten Rechtsmittelverzichts nach einem ebenfalls bedenklichen, aber nicht in gleicher Weise unvertretbaren staatsanwaltlichen Haftantrag noch ab.
Die nach § 268b StPO mit Urteilsverkündung zu treffende Haftentscheidung darf grundsätzlich nicht von der Rechtskraft eines Urteils abhängen , soweit dabei – wie hier – über die Fortdauer der Untersuchungshaft wegen Fluchtgefahr bzw. über eine Außervollzugsetzung der aus diesem Grunde angeordneten Untersuchungshaft zu entscheiden ist. Regelmäßig besteht – auch hier ist nichts Abweichendes ersichtlich – kein tragfähiger Grund, einem Angeklagten, der die Überprüfung einer gegen ihn ergangenen landgerichtlichen Verurteilung zu einer zu vollstreckenden Freiheitsstrafe mit dem Rechtsmittel der Revision erstrebt, eine Außervollzugsetzung der wegen Fluchtgefahr angeordneten Untersuchungshaft etwa zu versagen, die ihm ohne ein solches zulässiges Rechtsmittel gewährt werden könnte.

c) Der Generalbundesanwalt meint, eben wegen dieser klaren Rechtslage könne der Verteidiger seinem Mandanten bei der dem Rechtsmittelverzicht vorangegangenen Beratung nur die Aussichtslosigkeit des von dem Staatsanwalt angekündigten Antrags deutlich gemacht haben; danach scheide eine relevante negative Einflußnahme auf den anschließend abgegebenen Rechtsmittelverzicht aus. Dieser Auffassung vermag der Senat nicht zu folgen. Es bleibt dabei nämlich, wie die Verteidigung zutreffend einwendet , folgendes außer acht: Das Gericht hat es schon anläßlich der ohne weiteren Einwand entgegengenommenen protokollierten Erklärung des Staatsanwalts zur Haftfrage in seinem Schlußantrag und dann insbesondere bei der sachwidrigen Ankündigung des Antrags auf Aufhebung des Haftverschonungsbeschlusses verabsäumt, dieser unsachgemäßen Haltung zur Haftfrage deutlich entgegenzutreten. Angemessen wäre allein gewesen, die Verhandlung alsbald zu schließen und dem Angeklagten anheim zu geben, sich die Frage der Einlegung eines Rechtsmittels in der hierfür vorgesehenen Wochenfrist zu überlegen. Stattdessen war das Gericht – letztlich in ebenfalls unzulässiger Verknüpfung mit der vorangegangenen Verfahrensabsprache – durch Gewährung einer nach dem Verfahrensstand sachlich nicht gerechtfertigten Pause bestrebt, den Angeklagten an Ort und Stelle zu einer Erklärung über einen alsbaldigen Rechtsmittelverzicht zu veranlassen (vgl. dazu BGHSt 19, 101, 102 ff.).
Damit hat sich das Gericht den vom Staatsanwalt mit seiner Antragsankündigung ausgehenden Druck aus der maßgeblichen Sicht des in diese Situation gebrachten Angeklagten so weitgehend zueigen gemacht, daß infolge der Art und Weise dieses gesamten Vorgehens der Rechtsmittelverzicht des erkennbar auf den Gedanken sofortiger Haftentlassung fixierten Angeklagten wegen hierdurch hervorgerufener schwerwiegender Willensmängel als unwirksam zu werten ist. In der gegebenen Situation hätte das Gericht keine sofortige Rechtsmittelverzichtserklärung entgegennehmen dürfen. Die fristgerecht eingelegte Revision ist mithin zulässig.

d) Aufgrund dieses Befundes, der den vorliegenden Fall als Ausnahmefall eines unwirksamen Rechtsmittelverzichts aufgrund massiver Wil- lensmängel des Erklärenden nach der Art und Weise seines Zustandekommens nach bislang anerkannten Auslegungskriterien kennzeichnet, kommt es nicht darauf an, ob die Unwirksamkeit des Rechtsmittelverzichts auch daraus abzuleiten wäre, daß das Gericht im Zusammenhang mit einer Absprache unzulässigerweise auf den Verzicht hingewirkt hat (vgl. BGH – Anfrage des 3. Strafsenats – NJW 2003, 3426). Es kann auch offenbleiben, ob ein Fall der Verständigung vorliegt, in dem die Frage des Untersuchungshaftvollzugs zu einem maßgeblichen, dabei aber nicht „konnexen“, sachwidrigen Absprachegegenstand gemacht worden ist (vgl. BGH, Urt. vom 19. Februar 2004 – 4 StR 371/03, zur Veröffentlichung in BGHSt bestimmt), und welche rechtlichen Folgerungen gegebenenfalls hieraus, auch für die Wirksamkeit des anschließend erklärten Rechtsmittelverzichts, zu ziehen wären.
2. In der Sache hat die Revision mit der auf Verletzung des § 261 StPO gestützten Verfahrensrüge Erfolg, die der im Zusammenhang mit der „mißglückten Verständigung“ erhobenen Rüge zu entnehmen ist.

a) Bei der vorliegenden Verfahrensgestaltung läßt sich aus dem Umstand , daß der Verteidiger an dem nunmehr beanstandeten strafprozeßrechtlich zweifelhaften Vorgehen von Gericht und Staatsanwaltschaft weitgehend mitgewirkt hat, eine Beschränkung der Rügebefugnis nicht herleiten.
Da die Sachrüge, soweit absehbar, in keinem Anklagepunkt zur Durchentscheidung auf Freispruch führen würde, bedarf es keiner Entscheidung , inwieweit das Urteil sachlichrechtlicher Prüfung standhielte. Soweit dies nicht der Fall wäre, müßte zwar die Erstreckung einer Urteilsaufhebung auf die Nichtrevidenten nach § 357 StPO in Betracht gezogen werden. Daraus folgt indes kein Vorrang der sachlichrechtlichen Überprüfung gegenüber der Verfahrensrüge (vgl. Kuckein in KK 5. Aufl. § 357 Rdn. 5).

b) Die Beweiswürdigung des Landgerichts ist im Urteil allein darauf gestützt, die Angeklagten hätten „in der Hauptverhandlung die ihnen mit der Anklageschrift zur Last gelegten Taten“ in dem zuvor festgestellten Umfang „eingeräumt“ (UA S. 12). Daß dies bezogen auf den Angeklagten R von dessen Einlassung in der Hauptverhandlung nicht getragen wird, ist offensichtlich. Dieser Angeklagte hat nämlich in der Hauptverhandlung zur Sache lediglich erklärt, daß er „den Vorwürfen der Anklage nicht entgegentrete und das in Aussicht gestellte Strafmaß akzeptiere“; daneben äußerte er sich zu seinen persönlichen Verhältnissen (S. 4 des Hauptverhandlungsprotokolls). Es ist der Sitzungsniederschrift nicht zu entnehmen, daß der Angeklagte R darüber hinaus Fragen zur Sache beantwortet hätte. Weitere Äußerungen sind nicht protokolliert, abgesehen von einer Erklärung im letzten Wort. Es gibt keinerlei Anhaltspunkte dafür, daß ausgerechnet jenes letzte Wort des Angeklagten R erstmalig ein inhaltsbezogenes Geständnis enthalten haben könnte.
Ein irgendwie geartetes – auch nur „schlankes“ – Geständnis, das einen als glaubhaft bewertbaren inhaltlichen Gehalt hätte, auf den einen Schuldspruch tragende Feststellungen gestützt werden könnten (vgl. BGHSt 43, 195, 204), läßt sich diesem Einlassungsverhalten nicht entnehmen. Ein bloßer Verurteilungskonsens reicht auch nach einer Verständigung als Basis für eine Verurteilung mit tragfähigem Schuldspruch selbstverständlich nicht aus.

c) Die Verurteilung des Angeklagten R kann auch nicht deshalb auf dem Inbegriff der Hauptverhandlung beruhen, weil sich das Gericht etwa allein auf die geständigen Einlassungen der zur Sache aussagenden beiden Mitangeklagten stützen durfte. Ganz abgesehen von der – dem entgegenstehenden – knappen Begründung der Beweiswürdigung im Urteil würde es insoweit an jeglicher kritischer Hinterfragung der geständigen Angaben der Mitangeklagten fehlen, wie sie namentlich nach im Rahmen einer Verständigung abgegebenen Geständnissen unerläßlich wäre (BGHSt 48, 161). Im übrigen wäre hier eine ähnlich kritische Beweiswürdigung für den Fall erforderlich gewesen, daß der Angeklagte in der Hauptverhandlung eine nicht weiter hinterfragte geständige Erklärung zur Sache abgegeben hätte.
3. Zur Sache beschränkt sich der Senat auf folgende Hinweise an das neue Tatgericht: Zu den eigentlichen eigenen Tathandlungen des Angeklagten R , insbesondere im Zusammenhang mit der Fertigung von Scheinrechnungen nach tatsächlich umsatzsteuerfreien Goldeinkäufen, fehlt es an jeglichen näheren konkreten Feststellungen. Die Gesamtdauer seiner monatlichen Entlohnungen wird nicht hinreichend deutlich. Daß die Revision allein schon aus der Divergenz zwischen deren geringer Höhe und den festgestellten üppigen Erlösen des Mitangeklagten H (UA S. 12) Bedenken gegen die Zumessung gleich hoher Einzelstrafen herleitet, erscheint nachvollziehbar. Zu § 370a AO verweist der Senat auf die bestehenden Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der Vorschrift (vgl. Harms in Festschrift für Günter Kohlmann, 2003, S. 413; Park wistra 2003, 328 m.w.N.).
Harms Häger Basdorf Gerhardt Raum
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
Veröffentlichung: ja
1. Der Rechtsmittelverzicht eines Angeklagten ist unwirksam, wenn er
lediglich aufgrund einer - auch irrtümlich - objektiv unrichtigen Erklärung oder
Auskunft des Gerichts (hier: zu beamtenrechtlichen Nebenfolgen des Urteils)
zustandegekommen ist.
2. Die Beschränkung der Revision auf den Strafausspruch ist unwirksam
, wenn eine erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit nicht rechtsfehlerfrei
begründet wurde und Schuldunfähigkeit nicht auszuschließen ist.
BGH, Beschluß vom 10. Januar 2001 - 2 StR 500/00 - LG Darmstadt -

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 500/00
vom
10. Januar 2001
in der Strafsache
gegen
wegen versuchter Erpressung
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 10. Januar 2001 gemäß § 349
Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Darmstadt vom 11. August 2000 mit den Feststellungen - mit Ausnahme der Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen - aufgehoben. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

I.

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchter Erpressung zu der Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Strafe und Maßregel wurden zur Bewährung ausgesetzt. Mit seiner auf den Strafausspruch beschränkten Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Er erstrebt eine Freiheitsstrafe von weniger als einem Jahr mit Bewährung. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge Erfolg und führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils in dem aus der Beschlußformel ersichtlichen Umfang.

II.

1. Das Rechtsmittel ist zulässig. Der in der Hauptverhandlung erklärte Rechtsmittelverzicht des Angeklagten ist unwirksam. Die Strafkammer ging in der Hauptverhandlung - ebenso wie die übrigen Verfahrensbeteiligten - versehentlich davon aus, der Status des Angeklagten als Kommunalbeamter werde nach § 24 Abs. 1 Nr. 1 BRRG nicht tangiert, wenn er wegen versuchter Erpressung zu einer Freiheitsstrafe von nicht mehr als einem Jahr verurteilt werde. Diese Auffassung äußerte der Vorsitzende auch in der mündlichen Urteilsbegründung. Lediglich aufgrund dieser Umstände erklärte der Angeklagte im Anschluß an die Urteilsverkündung nach Rücksprache mit seinem Verteidiger, er verzichte auf Rechtsmittel und nehme das Urteil an. Der Verzicht wurde protokolliert, verlesen und genehmigt. Auch der Staatsanwalt verzichtete auf Rechtsmittel. Dieser Verfahrensgang ergibt sich aus den übereinstimmenden dienstlichen und anwaltlichen Erklärungen der richterlichen Mitglieder der Strafkammer und des Verteidigers sowie dem Hauptverhandlungsprotokoll. In Wirklichkeit entsprach die Rechtsauffassung der Strafkammer jedoch nicht § 24 Abs. 1 Nr. 1 BRRG. Nach dieser Vorschrift endet das Beamtenverhältnis mit Rechtskraft der Verurteilung eines Beamten wegen einer vorsätzlichen Tat zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr. Ein Rechtsmittelverzicht ist als Prozeßerklärung grundsätzlich unwiderruflich und unanfechtbar (st. Rspr., vgl. u.a. BGHSt 45, 51, 53). Die Rechtsprechung erkennt allerdings in eng begrenztem Umfang Ausnahmen an. In Betracht kommen insbesondere die Fälle schwerwiegender Willensmängel. Auch vom Gericht zu verantwortende Umstände der Art und Weise des Zustandekommens können einen Rechtsmittelverzicht unwirksam machen (BGHSt 45, 51, 53, 55). Deshalb kann ein Rechtsmittelverzicht ausnahmsweise unwirksam
sein, wenn er lediglich aufgrund einer - sei es auch irrtümlich - objektiv unrichtigen Erklärung oder Auskunft des Gerichts zustandegekommen ist (vgl. Kleinknecht /Meyer-Goßner, StPO 44. Aufl. § 302 Rdn. 10, 22; Gollwitzer in Löwe/ Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 302 Rdn. 52; Ruß in KK 4. Aufl. § 302 Rdn. 13; OLG Koblenz NStZ-RR 1996, 306 jeweils m.w.N.). Diese Voraussetzungen sind hier gegeben. Die Strafkammer hat durch ihre objektiv unzutreffenden Erklärungen zu den beamtenrechtlichen Nebenfolgen des Urteils dem Angeklagten die Vorstellung vermittelt, sein Status als Beamter werde durch das Urteil nicht berührt. Nur deshalb hat der Angeklagte auf Rechtsmittel verzichtet. Daran , daß der Angeklagte auf die wiederholt geäußerte Beurteilung des Landgerichts vertraut hat, trifft ihn kein Verschulden. Wegen der dargelegten Umstände seines Zustandekommens war der Rechtsmittelverzicht des Angeklagten hier von Anfang an unwirksam. Auf eine Anfechtung wegen Irrtums kommt es daher nicht an. 2. Die Beschränkung der Revision auf den Strafausspruch ist unwirksam. Der Schuldspruch und die Strafzumessung sind hier so miteinander verknüpft , daß eine getrennte Überprüfung der Strafzumessung nicht möglich wäre , ohne den nicht angefochtenen Schuldspruch mit zu berühren (vgl. BGH NJW 1996, 2663, 2664 m.w.N.). Wird der Strafausspruch angefochten, ist auch die Frage einer erheblichen Verminderung der Schuldfähigkeit Gegenstand der revisionsrechtlichen Prüfung. Diese ergibt hier, daß das Urteil keine rechtsfehlerfreie Begründung für die Annahme einer erheblichen Verminderung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit enthält. Auf der Grundlage des angefochtenen Urteils läßt sich auch nicht völlig ausschließen, daß der Angeklagte zur Tatzeit steuerungsunfähig war.
Das Landgericht teilt zwar die Entwicklung der psychischen Erkrankung des Angeklagten mit dem wiederholten Wechsel von manischen und depressiven Phasen näher mit. Die Beurteilung dieser Erkrankung durch das sachverständig beratene Landgericht ist jedoch unklar und widersprüchlich. Im Anschluß an den Sachverständigen meint das Landgericht, der Angeklagte sei zur Tatzeit an einer "aktuellen seelischen Störung" erkrankt gewesen, durch die seine Fähigkeit zur Willensbildung, seine Steuerungskontrolle und seine gesamte Reflexionsfähigkeit erheblich gestört gewesen seien. Die Steuerungsfähigkeit sei insbesondere auch deshalb erheblich vermindert gewesen, weil die manische Symptomatik durch die fortgeführte Einnahme von Antidepressiva verstärkt worden sei. Welche psychische Erkrankung der Sachverständige konkret festgestellt hat, wird aber nicht näher mitgeteilt. Nach den vom Landgericht beschriebenen Krankheitssymptomen kommen hier eine manische Episode zur Tatzeit, aber auch eine bipolare affektive Störung in Betracht , die früher nach Kurt Schneider als "Zyklothymie" bezeichnet wurde (vgl. hierzu Nedopil, Forensische Psychiatrie S. 113 ff.). Einer dahingehenden Beurteilung widerspricht aber, daß das Landgericht Schuldunfähigkeit ausschließt , weil der Angeklagte "nicht an einer Manie im Sinne einer Psychose" gelitten habe. Gerade bei den in Betracht kommenden affektiven Störungen handelt es sich aber um Psychosen. Sollte es zutreffen, daß der Angeklagte bei der Tat nicht an einer Psychose litt, fehlte schon die Grundlage für die Annahme einer erheblichen Verminderung seiner Steuerungsfähigkeit. Hinzu kommt: Bei mittelgradigen Depressionen oder Manien kann die Willensbildung aufgehoben sein, wenn Motivation und Verhalten auf die affektive Störung zurückzuführen sind. Bei schweren manischen (oder depressiven) Episoden liegt daher eine Aufhebung der Steuerungsfähigkeit jedenfalls nicht fern (vgl. hierzu Nedopil aaO S. 117). Das Landgericht hätte daher die diagnostische Einord-
nung der Erkrankung und die Gewichtung ihrer Auswirkungen auf die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten näher darlegen müssen. Nach der bisherigen Erörterung dieser Fragen ist nicht auszuschließen, daß die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit nicht nur erheblich vermindert, sondern aufgehoben war. Da hierdurch nicht nur der Straf-, sondern auch der Schuldspruch betroffen ist und die Frage der Schuldfähigkeit nur einheitlich beurteilt werden kann, ist eine Beschränkung der Revision auf den Strafausspruch unzulässig. Ebensowenig kann unter diesen Umständen die Maßregelanordnung von der Anfechtung ausgenommen werden. 3. Die Sachrüge führt zur Aufhebung des Schuld- und Rechtsfolgenausspruchs. Der Schuldspruch hält der sachlich-rechtlichen Prüfung nicht stand, weil das Landgericht - wie bereits dargelegt - Schuldunfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit nicht rechtsfehlerfrei ausgeschlossen hat. Daneben ist auch die Strafzumessung rechtsfehlerhaft. Das Landgericht war der in den Urteilsgründen mitgeteilten Ansicht, daß die Beendigung des Beamtenverhältnisses als Nebenfolge der strafrechtlichen Verurteilung unangemessen wäre und der Tat und der Persönlichkeit des Angeklagten nicht gerecht würde. Die Strafkammer ging jedoch - wie bereits ausgeführt - unter Verkennung von § 24 BRRG irrtümlich davon aus, daß bei einer Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr diese Folge nicht eintreten werde. Daher wurde bei der Bemessung der Strafe auch die beamtenrechtliche Nebenfolge nicht zu Gunsten des Angeklagten berücksichtigt. Die Maßregelanordnung hat ebenfalls keinen Bestand, weil die Schuldfähigkeit des Angeklagten bisher nicht rechtsfehlerfrei geprüft wurde.
Die Feststellungen zum äußeren Tathergang können jedoch bestehen bleiben, weil sie von den dargelegten Rechtsfehlern nicht berührt werden. Jähnke Detter Bode Otten Elf

(1) Die Zurücknahme eines Rechtsmittels sowie der Verzicht auf die Einlegung eines Rechtsmittels können auch vor Ablauf der Frist zu seiner Einlegung wirksam erfolgen. Ist dem Urteil eine Verständigung (§ 257c) vorausgegangen, ist ein Verzicht ausgeschlossen. Ein von der Staatsanwaltschaft zugunsten des Beschuldigten eingelegtes Rechtsmittel kann ohne dessen Zustimmung nicht zurückgenommen werden.

(2) Der Verteidiger bedarf zur Zurücknahme einer ausdrücklichen Ermächtigung.

Nachschlagewerk: ja
BGHSt : nein
Veröffentlichung : ja
Satz 1
Unwirksamkeit eines sofort nach Urteilsverkündung erklärten
Rechtsmittelverzichts des Angeklagten, auf den der Staatsanwalt mit
der Ankündigung eines unsachgemäßen Haftantrages für den
Weigerungsfall gedrängt hatte.
BGH, Beschluß vom 20. April 2004 – 5 StR 11/04
LG Berlin

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 20. April 2004
in der Strafsache
gegen
wegen Steuerhinterziehung
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 20. April 2004

beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten R wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 19. Mai 2003, soweit es diesen An- geklagten betrifft, nach § 349 Abs. 4 StPO mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e Das Landgericht hat den Angeklagten R wegen 14 Fällen der Steuerhinterziehung, zehnmal qualifiziert nach § 370a AO, unter Einbeziehung einer anderweitig rechtskräftig verhängten Geldstrafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Zwei Mitangeklagte , gegen die das Urteil rechtskräftig ist, wurden wegen des gleichen Schuldspruchs zu Gesamtfreiheitsstrafen von fünf Jahren bzw. ebenfalls drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die Verurteilung betrifft die im Zusammenwirken mehrerer Firmen arbeitsteilig mit mindestens fünf gesondert Verfolgten betriebene Hinterziehung von insgesamt 3,4 uern im Zusammenhang mit dem Erwerb und Weiterverkauf von Gold. Die Revision des Angeklagten R hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg.
1. Das Rechtsmittel ist zulässig. Der vom Angeklagten R im Anschluß an die Urteilsverkündung erklärte Rechtsmittelverzicht erweist sich als unwirksam. Aufgrund der Art und Weise seines Zustandekommens liegt ein Ausnahmefall vor, in dem die – grundsätzlich unwiderrufliche und unanfechtbare – Verzichtserklärung als unwirksam anzusehen ist (vgl. BGHSt 45, 51, 53).

a) Der Rechtsmittelverzicht erfolgte als Reaktion des Angeklagten R auf die Androhung des Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft, die Aufhebung der unmittelbar zuvor mit Urteilsverkündung beschlossenen Außervollzugsetzung des Haftbefehls gegen den Angeklagten R für den Fall seiner Verweigerung eines sofortigen Rechtsmittelverzichts zu beantragen. Mit dem Generalbundesanwalt hält der Senat den Sachvortrag der Revision in diesem Zusammenhang für erwiesen. Die Staatsanwaltschaft ist ihm in ihrer Gegenerklärung nicht entgegengetreten; dem Vortrag entgegenstehende dienstliche Erklärungen sind nach Eingang der Revisionsschriften nicht erfolgt.
Dem Vorgang war folgendes vorangegangen: Alsbald nach Anklageerhebung wurden Verständigungsgespräche zwischen den Verfahrensbeteiligten initiiert; gegen R wurde das Hauptverfahren ohne Gewährung einer Erklärungsfrist – worauf erst später verzichtet wurde – eröffnet; es erfolgte dann eine ganz ungewöhnlich zügige, bereits zehn Tage nach Anklageerhebung vollzogene Aburteilung von drei Angeklagten nach gut zweistündiger Hauptverhandlung in einem umfangreichen Steuerstrafverfahren.
Vor diesem Hintergrund stützen insbesondere zwei weitere ungewöhnliche Verfahrensvorgänge das Revisionsvorbringen: Zum einen ist es die im Zusammenhang mit dem Schlußvortrag abgegebene, vom Gericht unwidersprochen hingenommene und protokollierte Erklärung des Staatsanwalts , bei allen drei Angeklagten stehe – nach Strafanträgen über erhebliche Gesamtfreiheitsstrafen, die der anschließenden Verurteilung entsprachen – „im Falle der Rechtskraft des Urteils“ einer Haftverschonung nichts entgegen. Zum anderen ist es der Umstand, daß die Hauptverhandlung nach Verkündung des Urteils und der Haftverschonungsbeschlüsse sowie den Rechts- mittelverzichtserklärungen der beiden Mitangeklagten zu einer Beratung des Angeklagten R mit seinem Verteidiger vor Abgabe der in Streit stehenden Rechtsmittelverzichtserklärung eigens unterbrochen wurde.

b) Nach den der Urteilsfindung vorangegangenen Verständigungsgesprächen deutet die Ankündigung des Staatsanwalts, er werde die Aufhebung der mit Urteilsverkündung beschlossenen Außervollzugsetzung des Haftbefehls für den Fall mangelnder Bereitschaft des Angeklagten R zum Rechtsmittelverzicht beantragen, ebenso wie bereits die Erklärung des Staatsanwalts zur Haftverschonung im Schlußvortrag klar darauf hin, daß jedenfalls aus Sicht der Staatsanwaltschaft eine Verständigung im Strafverfahren in unstatthafter Weise (BGHSt 43, 195, 204 f.; 45, 227, 230 f.) mit der Zusage eines Rechtsmittelverzichts verknüpft werden sollte. Entscheidend für die Annahme einer unzulässigen Willensbeeinflussung zum Nachteil des Angeklagten ist hier indes, daß sich die Sicht der Staatsanwaltschaft auf eine Abhängigkeit zwischen Haftverschonung und Rechtsmittelverzicht als eklatant sachwidrig erweist. Dadurch hebt sich der vorliegende Sachverhalt von dem in BGHSt 17, 14 entschiedenen Fall eines letztlich als wirksam erachteten Rechtsmittelverzichts nach einem ebenfalls bedenklichen, aber nicht in gleicher Weise unvertretbaren staatsanwaltlichen Haftantrag noch ab.
Die nach § 268b StPO mit Urteilsverkündung zu treffende Haftentscheidung darf grundsätzlich nicht von der Rechtskraft eines Urteils abhängen , soweit dabei – wie hier – über die Fortdauer der Untersuchungshaft wegen Fluchtgefahr bzw. über eine Außervollzugsetzung der aus diesem Grunde angeordneten Untersuchungshaft zu entscheiden ist. Regelmäßig besteht – auch hier ist nichts Abweichendes ersichtlich – kein tragfähiger Grund, einem Angeklagten, der die Überprüfung einer gegen ihn ergangenen landgerichtlichen Verurteilung zu einer zu vollstreckenden Freiheitsstrafe mit dem Rechtsmittel der Revision erstrebt, eine Außervollzugsetzung der wegen Fluchtgefahr angeordneten Untersuchungshaft etwa zu versagen, die ihm ohne ein solches zulässiges Rechtsmittel gewährt werden könnte.

c) Der Generalbundesanwalt meint, eben wegen dieser klaren Rechtslage könne der Verteidiger seinem Mandanten bei der dem Rechtsmittelverzicht vorangegangenen Beratung nur die Aussichtslosigkeit des von dem Staatsanwalt angekündigten Antrags deutlich gemacht haben; danach scheide eine relevante negative Einflußnahme auf den anschließend abgegebenen Rechtsmittelverzicht aus. Dieser Auffassung vermag der Senat nicht zu folgen. Es bleibt dabei nämlich, wie die Verteidigung zutreffend einwendet , folgendes außer acht: Das Gericht hat es schon anläßlich der ohne weiteren Einwand entgegengenommenen protokollierten Erklärung des Staatsanwalts zur Haftfrage in seinem Schlußantrag und dann insbesondere bei der sachwidrigen Ankündigung des Antrags auf Aufhebung des Haftverschonungsbeschlusses verabsäumt, dieser unsachgemäßen Haltung zur Haftfrage deutlich entgegenzutreten. Angemessen wäre allein gewesen, die Verhandlung alsbald zu schließen und dem Angeklagten anheim zu geben, sich die Frage der Einlegung eines Rechtsmittels in der hierfür vorgesehenen Wochenfrist zu überlegen. Stattdessen war das Gericht – letztlich in ebenfalls unzulässiger Verknüpfung mit der vorangegangenen Verfahrensabsprache – durch Gewährung einer nach dem Verfahrensstand sachlich nicht gerechtfertigten Pause bestrebt, den Angeklagten an Ort und Stelle zu einer Erklärung über einen alsbaldigen Rechtsmittelverzicht zu veranlassen (vgl. dazu BGHSt 19, 101, 102 ff.).
Damit hat sich das Gericht den vom Staatsanwalt mit seiner Antragsankündigung ausgehenden Druck aus der maßgeblichen Sicht des in diese Situation gebrachten Angeklagten so weitgehend zueigen gemacht, daß infolge der Art und Weise dieses gesamten Vorgehens der Rechtsmittelverzicht des erkennbar auf den Gedanken sofortiger Haftentlassung fixierten Angeklagten wegen hierdurch hervorgerufener schwerwiegender Willensmängel als unwirksam zu werten ist. In der gegebenen Situation hätte das Gericht keine sofortige Rechtsmittelverzichtserklärung entgegennehmen dürfen. Die fristgerecht eingelegte Revision ist mithin zulässig.

d) Aufgrund dieses Befundes, der den vorliegenden Fall als Ausnahmefall eines unwirksamen Rechtsmittelverzichts aufgrund massiver Wil- lensmängel des Erklärenden nach der Art und Weise seines Zustandekommens nach bislang anerkannten Auslegungskriterien kennzeichnet, kommt es nicht darauf an, ob die Unwirksamkeit des Rechtsmittelverzichts auch daraus abzuleiten wäre, daß das Gericht im Zusammenhang mit einer Absprache unzulässigerweise auf den Verzicht hingewirkt hat (vgl. BGH – Anfrage des 3. Strafsenats – NJW 2003, 3426). Es kann auch offenbleiben, ob ein Fall der Verständigung vorliegt, in dem die Frage des Untersuchungshaftvollzugs zu einem maßgeblichen, dabei aber nicht „konnexen“, sachwidrigen Absprachegegenstand gemacht worden ist (vgl. BGH, Urt. vom 19. Februar 2004 – 4 StR 371/03, zur Veröffentlichung in BGHSt bestimmt), und welche rechtlichen Folgerungen gegebenenfalls hieraus, auch für die Wirksamkeit des anschließend erklärten Rechtsmittelverzichts, zu ziehen wären.
2. In der Sache hat die Revision mit der auf Verletzung des § 261 StPO gestützten Verfahrensrüge Erfolg, die der im Zusammenhang mit der „mißglückten Verständigung“ erhobenen Rüge zu entnehmen ist.

a) Bei der vorliegenden Verfahrensgestaltung läßt sich aus dem Umstand , daß der Verteidiger an dem nunmehr beanstandeten strafprozeßrechtlich zweifelhaften Vorgehen von Gericht und Staatsanwaltschaft weitgehend mitgewirkt hat, eine Beschränkung der Rügebefugnis nicht herleiten.
Da die Sachrüge, soweit absehbar, in keinem Anklagepunkt zur Durchentscheidung auf Freispruch führen würde, bedarf es keiner Entscheidung , inwieweit das Urteil sachlichrechtlicher Prüfung standhielte. Soweit dies nicht der Fall wäre, müßte zwar die Erstreckung einer Urteilsaufhebung auf die Nichtrevidenten nach § 357 StPO in Betracht gezogen werden. Daraus folgt indes kein Vorrang der sachlichrechtlichen Überprüfung gegenüber der Verfahrensrüge (vgl. Kuckein in KK 5. Aufl. § 357 Rdn. 5).

b) Die Beweiswürdigung des Landgerichts ist im Urteil allein darauf gestützt, die Angeklagten hätten „in der Hauptverhandlung die ihnen mit der Anklageschrift zur Last gelegten Taten“ in dem zuvor festgestellten Umfang „eingeräumt“ (UA S. 12). Daß dies bezogen auf den Angeklagten R von dessen Einlassung in der Hauptverhandlung nicht getragen wird, ist offensichtlich. Dieser Angeklagte hat nämlich in der Hauptverhandlung zur Sache lediglich erklärt, daß er „den Vorwürfen der Anklage nicht entgegentrete und das in Aussicht gestellte Strafmaß akzeptiere“; daneben äußerte er sich zu seinen persönlichen Verhältnissen (S. 4 des Hauptverhandlungsprotokolls). Es ist der Sitzungsniederschrift nicht zu entnehmen, daß der Angeklagte R darüber hinaus Fragen zur Sache beantwortet hätte. Weitere Äußerungen sind nicht protokolliert, abgesehen von einer Erklärung im letzten Wort. Es gibt keinerlei Anhaltspunkte dafür, daß ausgerechnet jenes letzte Wort des Angeklagten R erstmalig ein inhaltsbezogenes Geständnis enthalten haben könnte.
Ein irgendwie geartetes – auch nur „schlankes“ – Geständnis, das einen als glaubhaft bewertbaren inhaltlichen Gehalt hätte, auf den einen Schuldspruch tragende Feststellungen gestützt werden könnten (vgl. BGHSt 43, 195, 204), läßt sich diesem Einlassungsverhalten nicht entnehmen. Ein bloßer Verurteilungskonsens reicht auch nach einer Verständigung als Basis für eine Verurteilung mit tragfähigem Schuldspruch selbstverständlich nicht aus.

c) Die Verurteilung des Angeklagten R kann auch nicht deshalb auf dem Inbegriff der Hauptverhandlung beruhen, weil sich das Gericht etwa allein auf die geständigen Einlassungen der zur Sache aussagenden beiden Mitangeklagten stützen durfte. Ganz abgesehen von der – dem entgegenstehenden – knappen Begründung der Beweiswürdigung im Urteil würde es insoweit an jeglicher kritischer Hinterfragung der geständigen Angaben der Mitangeklagten fehlen, wie sie namentlich nach im Rahmen einer Verständigung abgegebenen Geständnissen unerläßlich wäre (BGHSt 48, 161). Im übrigen wäre hier eine ähnlich kritische Beweiswürdigung für den Fall erforderlich gewesen, daß der Angeklagte in der Hauptverhandlung eine nicht weiter hinterfragte geständige Erklärung zur Sache abgegeben hätte.
3. Zur Sache beschränkt sich der Senat auf folgende Hinweise an das neue Tatgericht: Zu den eigentlichen eigenen Tathandlungen des Angeklagten R , insbesondere im Zusammenhang mit der Fertigung von Scheinrechnungen nach tatsächlich umsatzsteuerfreien Goldeinkäufen, fehlt es an jeglichen näheren konkreten Feststellungen. Die Gesamtdauer seiner monatlichen Entlohnungen wird nicht hinreichend deutlich. Daß die Revision allein schon aus der Divergenz zwischen deren geringer Höhe und den festgestellten üppigen Erlösen des Mitangeklagten H (UA S. 12) Bedenken gegen die Zumessung gleich hoher Einzelstrafen herleitet, erscheint nachvollziehbar. Zu § 370a AO verweist der Senat auf die bestehenden Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der Vorschrift (vgl. Harms in Festschrift für Günter Kohlmann, 2003, S. 413; Park wistra 2003, 328 m.w.N.).
Harms Häger Basdorf Gerhardt Raum
5 StR 583/03

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 1. Juli 2005
in der Strafsache
gegen
wegen Steuerhinterziehung u. a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 1. Juli 2005

beschlossen:
Der Antrag des Angeklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Revision gegen das Urteil des Landgerichts NürnbergFürth vom 13. Juni 2003 und die Revision des Angeklagten gegen das genannte Urteil werden verworfen.
Der Angeklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.
G r ü n d e Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Betruges in 58 Fällen, Steuerhinterziehung in 24 Fällen und „vorsätzlicher Pflichtverletzung bei Zahlungsunfähigkeit“ sowie „vorsätzlichen Verstoßes gegen die Antragspflicht bei Zahlungsunfähigkeit“ zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Der Antrag des Angeklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Revisionseinlegungsfrist und seine Revision bleiben ohne Erfolg.

I.


Der – bis zur Urteilsverkündung inhaftierte – Angeklagte und sein Verteidiger Rechtsanwalt Bo erklärten im Anschluß an die Verkündung des Urteils am 13. Juni 2003 und nach erfolgter Rechtsmittelbelehrung jeder für sich, daß auf die Einlegung eines Rechtsmittels verzichtet werde. Erst danach entschied die Strafkammer über die Fortdauer der Untersuchungshaft, indem sie den Haftbefehl aufhob. Nunmehr verzichtete auch die Vertreterin der Staatsanwaltschaft auf Rechtsmittel.
Nach der Ladung zum Strafantritt legte der Angeklagte gegen das Urteil mit einem am 11. November 2003 beim Landgericht eingegangenen Schreiben Revision ein und beantragte gleichzeitig Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Revisionseinlegung. Den Wiedereinsetzungsantrag begründete er damit, daß er den Rechtmittelverzicht nur zum Schein abgegeben habe, um im Hinblick auf die von ihm als menschenunwürdig angesehenen Haftbedingungen aus der Untersuchungshaft entlassen werden zu können. Er habe sich juristischen Rat eingeholt und danach beabsichtigt, nach Urteilszustellung unverzüglich Wiedereinsetzung zu beantragen, „weil der Rechtsmittelverzicht mit dem Mittel der Folter und einem empfindlichen Übel erpreßt worden“ sei. Der nunmehr vom Angeklagten eingeschaltete Verteidiger Rechtsanwalt Box hat ergänzend ausgeführt, daß der Angeklagte aufgrund einer verfahrensbeendenden Absprache mit dem Tatgericht auf Rechtsmittel verzichtet habe und deshalb davon ausgegangen sei, kein Rechtsmittel einlegen zu können. Der Absprache, welche neben einer Strafobergrenze von drei Jahren Gesamtfreiheitsstrafe auch – insoweit nicht protokolliert – die Aufhebung des Haftbefehls und den Rechtsmittelverzicht beinhaltet habe, sei die (demonstrative) Ablehnung eines Antrags auf Aufhebung des Haftbefehls durch das Landgericht vorausgegangen.
Im Hinblick auf diesen Vortrag sah sich der Senat veranlaßt, die Sache bis zur Entscheidung des Großen Senats für Strafsachen des Bundesgerichtshofs zur Zulässigkeit eines Rechtsmittelverzichts im Rahmen einer Urteilsabsprache zurückzustellen.

II.


Der Wiedereinsetzungsantrag versagt.
1. Schon die ordnungsgemäße Glaubhaftmachung jeglichen Wiedereinsetzungsgrundes unterliegt erheblichen Zweifeln.
Der Vorsitzende der Strafkammer ist in einer Stellungnahme vom 30. Juli 2004 der Behauptung des Beschwerdeführers, Gegenstand der verfahrensbeendenden Absprache sei auch der Rechtsmittelverzicht gewesen, ausdrücklich entgegengetreten. Zudem spricht das ursprüngliche Vorbringen des Angeklagten, er habe im Hinblick auf die Haftsituation nur einen „Scheinverzicht“ abgegeben, den er zusammen mit dem Urteil auf jeden Fall habe anfechten wollen, gegen den Vortrag des Verteidigers, die Säumnis liege in dem Umstand begründet, daß der Angeklagte aufgrund der Absprache davon ausgegangen sei, kein Rechtsmittel mehr einlegen zu können. Darüber hinaus ist kein nachvollziehbarer Grund vorgebracht oder sonst klar ersichtlich , warum der – bei der Urteilsverkündung anwesende – Angeklagte erst nach Zustellung der schriftlichen Urteilsgründe gegen seine Verurteilung vorgehen wollte. Auch nach seinem eigenen Vortrag ist er nach der Urteilsverkündung über seine Rechtsmittelmöglichkeit – und somit auch über die Wochenfrist nach Verkündung des Urteils (§ 341 Abs. 1 StPO) – ordnungsgemäß belehrt worden. Die Zweifel an der Richtigkeit der behaupteten Tatsachen gehen zu Lasten des Antragstellers (vgl. BGHR StPO § 45 Abs. 2 Glaubhaftmachung 2 m.w.N.).
2. Der Wiedereinsetzungsantrag ist jedenfalls unbegründet.
Allerdings hat der Große Senat für Strafsachen des Bundesgerichtshofs durch Beschluß vom 3. März 2005 – GSSt 1/04 – (NJW 2005, 1440) entschieden, daß das Gericht – das im Rahmen einer Urteilsabsprache auf einen Rechtsmittelverzicht nicht hinwirken darf – nach jedem Urteil, dem eine Urteilsabsprache zugrunde liegt, den Rechtsmittelberechtigten neben der Rechtsmittelbelehrung nach § 35a Satz 1 StPO stets auch „qualifiziert“ darüber belehren muß, daß er ungeachtet der Absprache in seiner Entscheidung frei ist, Rechtsmittel einzulegen.
Indes hat das Fehlen der erforderlichen qualifiziert en Belehrung lediglich die Wirkung, daß der erklärte Rechtsmittelverzicht unwirksam ist, so daß
dem Angeklagten die – hier erheblich überschrittene – einwöchige Frist zur Einlegung der Revision (§ 341 Abs. 1 StPO) zur Verfügung gestanden hätte. Für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Revision war dies – wie die etwaige unzulässige Vereinbarung eines Rechtsmittelverzichts im Rahmen einer Urteilsabsprache oder ein ebenfalls unstatthaftes Hinwirken des Gerichts auf einen Rechtsmittelverzicht – ohne Bedeutung. Das Unterlassen der qualifizierten Belehrung zieht nicht die Vermutung des § 44 Satz 2 StPO nach sich (BGH aaO). Insoweit ist auch die vom Angeklagten als vermeintlicher Wiedereinsetzungsgrund geltend gemachte späte Kenntnisnahme von einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs ohne Relevanz; denn in der Unkenntnis des Angeklagten oder seines Verteidigers von bisheriger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (oder gar von dem Beschluß des Großen Senates für Strafsachen) liegt keine Verhinderung im Sinne des § 44 Satz 1 StPO (BGH aaO; BGH, Beschluß vom 19. April 2005 – 5 StR 586/04).
Die Verfahrensweise der Strafkammer im Zusammenhang m it der nach Urteilsverkündung getroffenen Haftentscheidung begegnet, da sie erst nach dem vom Angeklagten erklärten Rechtsmittelverzicht erging (vgl. § 268b StPO), zwar Bedenken (vgl. für einen ähnlichen Fall BGHR StPO § 302 Abs. 1 Satz 1 StPO Rechtsmittelverzicht 25). Indes ist weder glaubhaft gemacht noch sonst erkennbar, daß der Angeklagte hierdurch bis zur Ladung zum Strafantritt an einer tatsächlich gewünschten Revisionseinlegung gehindert gewesen wäre. Dem Vorbringen des Angeklagten ist nicht etwa zu entnehmen, er habe aus Furcht vor hieraus folgendem erneutem Untersuchungshaftvollzug eine Rechtsmitteleinlegung unterlassen, zumal da er vorgebracht hat, daß er das Urteil nach Zustellung der schriftlichen Urteilsgründe unbedingt habe anfechten wollen. Ferner ist in keiner Weise wahrscheinlich , daß der anwaltlich beratene Angeklagte wegen der – möglicherweise zu Recht – beanstandeten Verfahrensweise von einem gänzlich unwirksamen, daher nicht vollstreckbaren Urteil ausgegangen sein könnte.

III.


Danach ist die Revision unzulässig, weil verspätet eingel egt (§ 341 Abs. 1 StPO).
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(1) Die Zurücknahme eines Rechtsmittels sowie der Verzicht auf die Einlegung eines Rechtsmittels können auch vor Ablauf der Frist zu seiner Einlegung wirksam erfolgen. Ist dem Urteil eine Verständigung (§ 257c) vorausgegangen, ist ein Verzicht ausgeschlossen. Ein von der Staatsanwaltschaft zugunsten des Beschuldigten eingelegtes Rechtsmittel kann ohne dessen Zustimmung nicht zurückgenommen werden.

(2) Der Verteidiger bedarf zur Zurücknahme einer ausdrücklichen Ermächtigung.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 120/09
vom
10. September 2009
in der Strafsache
gegen
wegen Betruges
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 10. September 2009
gemäß § 46 Abs. 1, § 349 Abs. 1 StPO beschlossen:
1. Es wird festgestellt, dass die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Essen vom 30. Oktober 2008 wirksam zurückgenommen ist. 2. Die Revision des Angeklagten gegen das vorbezeichnete Urteil und der Antrag des Angeklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Versäumung der Frist zur Begründung der Revision werden auf seine Kosten als unzulässig verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Betruges in fünf Fällen unter Einbeziehung der Geldstrafe aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts Lünen vom 28. Januar 2008 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt.
2
1. a) Rechtsanwalt T. als Pflichtverteidiger des Angeklagten hat zunächst mit Schriftsatz vom 31. Oktober 2008 rechtzeitig Revision eingelegt. Mit Schreiben vom 7. Januar 2009 hat er die Rücknahme der Revision erklärt. Daraufhin hat Rechtsanwältin Os. als (neue) Wahlverteidigerin mit einem am 12. Februar 2009 beim Landgericht eingegangen Schriftsatz vom 10. Februar 2009 (erneut) Revision eingelegt und beantragt, dem Verurteilten nach Versäumung der Frist zur Begründung der Revision Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Zur Begründung hat sie ausgeführt, die vom Pflichtverteidiger erklärte Revisionsrücknahme sei ohne ausdrückliche Ermächtigung durch den Angeklagten, vielmehr ohne jegliche Absprache mit diesem erfolgt. Erst durch sie, Rechtsanwältin Os. , habe der Angeklagte von der Rücknahme des Rechtsmittels erfahren. Dem hat Rechtsanwalt T. mit Schriftsatz vom 2. April 2009 widersprochen. Der Angeklagte habe ihn aus der Untersuchungshaft heraus telefonisch ausdrücklich mit der Rücknahme der Revision beauftragt und an diesem Auftrag auch nach Belehrung über die Konsequenzen einer solchen Erklärung festgehalten, weil er im Hinblick auf eine weitere, einbeziehungsfähige Verurteilung möglichst schnell Gewissheit über die Gesamtdauer der Haft habe erlangen wollen. Der Angeklagte hat sich in einem persönlichen Schreiben vom 25. Juni 2009 den Ausführungen seiner Wahlverteidigerin Rechtsanwältin Os. angeschlossen.
3
b) Der Senat ist dem Vortrag der Wahlverteidigerin des Angeklagten, Rechtsanwältin Os. , zur fehlenden ausdrücklichen Ermächtigung von Rechtsanwalt T. zur Revisionsrücknahme im Wege des Freibeweises nachgegangen. Rechtsanwalt T. hat dazu eine Stellungnahme seiner Kanzleimitarbeiterin vorgelegt, wonach er diese im zeitlichen Zusammenhang mit der Rücknahme der Revision zu dem Telefonat mit dem Angeklagten hinzu gebeten habe und die Mitarbeiterin – mit Wissen und Einverständnis des Angeklagten – deshalb selbst mit angehört habe, dass der Angeklagte ihn, Rechtsanwalt T. , ausdrücklich um Rücknahme des Rechtsmittels gebeten habe. Rechtsanwalt T. hat zudem erklärt, dieser Mitarbeiterin unmittelbar im Anschluss an das Telefongespräch den Auftrag zur Fertigung eines entsprechenden Schriftsatzes an das Gericht erteilt zu haben. Die Justizvollzugsanstalt, in der die Untersuchungshaft gegen den Angeklagten bis zum 2. März 2009 vollzogen wurde, hat auf Anfrage mitgeteilt, soweit Telefongespräche von Untersuchungsgefangenen aus der Anstalt heraus registriert würden, sei ein Telefonat des Angeklagten mit seinem Pflichtverteidiger im fraglichen Zeitraum nicht festgehalten. Es sei aber nicht ausgeschlossen, dass auch ungenehmigte bzw. nicht registrierte Gespräche geführt würden, etwa über Mobiltelefone oder über Anschlüsse in den Fachdiensten oder beim seelsorgerischen Dienst.
4
2. Danach sind die von der Wahlverteidigerin eingelegte (erneute) Revision sowie der Wiedereinsetzungsantrag unzulässig, weil der Pflichtverteidiger des Angeklagten, Rechtsanwalt T. , die Revision bereits wirksam zurückgenommen hatte.
5
a) Zwar kann ein Verteidiger die Rücknahme des Rechtsmittels nur mit besonderer Ermächtigung des Angeklagten erklären (§ 302 Abs. 2 StPO). Eine bestimmte Form für diese Ermächtigung ist indes nicht vorgeschrieben; sie kann schriftlich oder mündlich – auch fernmündlich – erteilt werden (BGHR StPO § 302 Abs. 1 Satz 1 Rechtsmittelverzicht 6; BGHR StPO § 302 Abs. 2 Rücknahme 6). Der Nachweis der Ermächtigung kann auch noch nach Abgabe der Erklärung geführt werden (BGHSt 36, 259, 260 f.). Im vorliegenden Fall ergibt sich aus den schriftlichen Erklärungen des Pflichtverteidigers des Angeklagten in Verbindung mit der Erklärung seiner Kanzleikraft, dass der Angeklagte ihn fernmündlich mit der Rücknahme der Revision beauftragt und damit hierzu ermächtigt hat. Zweifel an der Darstellung des Verfahrensgangs durch den Verteidiger bestehen nicht. Solche Zweifel ergeben sich auch nicht daraus, dass sich der Angeklagte nunmehr von der erfolgten Revisionsrücknahme überrascht zeigt und den telefonischen Auftrag an seinen Verteidiger zur Rücknahme der Revision in Abrede stellt. Nach der vom Senat freibeweislich eingeholten Stellungnahme der Justizvollzugsanstalt war dem Angeklagten eine telefonische Kontaktaufnahme mit seinem Verteidiger auch ohne Registrierung des Gesprächs in den Akten der Haftanstalt möglich. Ebenso hat der Senat nach der Erklärung von Rechtsanwalt T. keine Zweifel daran, dass der Angeklagte in dem Telefonat zur Begründung des Rücknahmeauftrags auf seinen Wunsch nach Gewissheit über die zu verbüßende Gesamtstrafe hinwies, also einen triftigen Grund hatte, das Urteil des Landgerichts rechtskräftig werden zu lassen.
6
Daher stellt der Senat die Wirksamkeit der Rechtsmittelrücknahme zur verbindlichen Klärung in der Beschlussformel fest (vgl. BGH NStZ 2001, 104; 2005, 113).
7
b) Die wirksame Rücknahmeerklärung führt zum Verlust des Rechtsmittels. Die mit Schriftsatz vom 10. Februar 2009 erneut eingelegte Revision ist daher unzulässig und gemäß § 349 Abs. 1 StPO zu verwerfen (BGH NStZ 1995, 356 m.w.N.). Damit ist auch eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist des § 345 Abs. 1 StPO ausgeschlossen (BGH NJW 1997, 2691); der dahingehende Antrag des Angeklagten ist daher ebenfalls zu verwerfen.
Maatz Athing Solin-Stojanović
Franke Mutzbauer

War jemand ohne Verschulden verhindert, eine Frist einzuhalten, so ist ihm auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Die Versäumung einer Rechtsmittelfrist ist als unverschuldet anzusehen, wenn die Belehrung nach den § 35a Satz 1 und 2, § 319 Abs. 2 Satz 3 oder nach § 346 Abs. 2 Satz 3 unterblieben ist.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 304/00
vom
10. August 2000
in der Strafsache
gegen
wegen schwerer räuberischer Erpressung
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 10. August 2000
gemäß §§ 44 ff., 349 Abs. 1 StPO beschlossen:
1. Der Antrag des Angeklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Versäumung der Frist zur Einlegung der Revision gegen das Urteil des Landgerichts Dessau vom 28. März 2000 wird verworfen. 2. Die Revision des Angeklagten gegen das vorbezeichnete Urteil wird als unzulässig verworfen. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:


Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer räuberischer Erpressung unter Einbeziehung anderweit verhängter Strafen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und elf Monaten sowie wegen eines weiteren Falles der schweren räuberischen Erpressung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und acht Monaten verurteilt.
Gegen dieses in seiner Anwesenheit am 28. März 2000 verkündete Urteil hat der Angeklagte mit einem am 25. April 2000 eingegangenen Schreiben vom 17. April 2000 Revision eingelegt; ferner hat er beantragt, ihm wegen Versäumung der Frist zur Einlegung der Revision Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Zur Begründung trägt er vor, sein Pflichtverteidiger
habe ihm bei einem Gespräch am Tag vor Ablauf der Frist erklärt, die Einlegung des Rechtsmittels sei "unsinnig". Weiter führt der Angeklagte aus: "Damals vertraute ich ihm und ließ mich von ihm überreden, nicht in Revision zu gehen". Nunmehr sei er jedoch der Meinung, daß Revisionsgründe vorlägen.
Die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann dem Angeklagten nicht bewilligt werden, weil er die Revisionseinlegungsfrist nicht versäumt hat; denn wer von einem befristeten Rechtsbehelf bewußt keinen Gebrauch macht, ist nicht im Sinne des § 44 Satz 1 StPO "verhindert, eine Frist einzuhalten" (vgl. BGH NStZ-RR 1998, 109; BGH, Beschluß vom 16. Oktober 1992 - 2 StR 487/92; Kleinknecht/Meyer-Goßner StPO 44. Aufl. § 44 Rdn. 5 m.w.N.). Das gilt auch dann, wenn ein Angeklagter nach Beratung durch seinen Verteidiger die Erfolgsaussichten eines Rechtsmittels - möglicherweise - falsch einschätzt (vgl. BGH, Beschluß vom 16. Mai 2000 - 4 StR 147/00; OLG Düsseldorf NJW 1982, 60, 61; Maul in KK 4. Aufl. § 44 Rdn. 17, 30).
Da die Revision verspätet eingelegt wurde (§ 341 Abs. 1 StPO), ist sie mit der Kostenfolge aus § 473 Abs. 1 StPO als unzulässig zu verwerfen (§ 349 Abs. 1 StPO).
Meyer-Goßner Kuckein Athing Ernemann