Bundesgerichtshof Beschluss, 30. Apr. 2015 - 1 StR 135/15

bei uns veröffentlicht am30.04.2015

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 S t R 1 3 5 / 1 5
vom
30. April 2015
in der Strafsache
gegen
wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht
geringer Menge u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 30. April 2015 beschlossen:
1. Der Antrag des Angeklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Revision gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 27. Juni 2012 wird als unzulässig verworfen. 2. Die Revision des Angeklagten gegen das vorbezeichnete Urteil wird als unzulässig verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten mit dem in seiner Anwesenheit verkündetem Urteil vom 27. Juni 2012 u.a. wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und elf Monaten verurteilt.
2
Mit einem am 13. Januar 2015 bei den Justizbehörden in München ein- gegangenen Schreiben begehrt er „Rücksetzungdes Verfahrens in die Revisions -, Beschwerdefähigkeit bzw. auf Wiedereinsetzung des Verfahrens in die 1. Instanz mit Beiordnung eines neuen Pflichtverteidigers“.
3
Bei am Rechtsschutzziel des Angeklagten orientierter Auslegung (§ 300 StPO) erweist sich sein Begehren als Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Revision sowie als Einlegung der Revision gegen das vorbezeichnete Urteil. Wie sich aus den zutreffenden Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 25. März 2015 ergibt, ist der Wiedereinsetzungsantrag nicht zulässig erhoben sowie die Revision wegen des in der Hauptverhandlung am 27. Juni 2012 wirksam erklärten Rechtsmittelverzichts (§ 302 Abs. 1 StPO) unzulässig (§ 349 Abs. 1 StPO).
4
1. Die vom Generalbundesanwalt dargelegten Gründe für die Unzulässigkeit des Wiedereinsetzungsgesuchs werden durch das Schreiben des Angeklagten vom 29. April 2015 nicht ausgeräumt. Soweit er nunmehr vorträgt, von der möglichen – der Sache nach auf § 302 Abs. 1 Satz 2 StPO – gestützten „Unzulässigkeit des Rechtsmittelverzichts“ erst „Januar 2015“ erfahren zu ha- ben, beseitigt dies den Zulässigkeitsmangel aus § 45 Abs. 2 StPO nicht. Nach den gesetzlichen Vorgaben müssen die Zulässigkeitsvoraussetzungen des Wiedereinsetzungsgesuchs innerhalb der Wochenfrist des § 45 Abs. 1 Satz 1 StPO vollständig vorgetragen werden. Dazu gehört auch die Mitteilung über den Zeitpunkt des Wegfalls des Hindernisses (Senat, Beschluss vom 14. Januar 2015 – 1 StR 573/14 Rn. 7, NStZ-RR 2015, 145 f. mwN). Nach Fristablauf können bereits rechtzeitig vorgetragene Voraussetzungen der Zulässigkeit lediglich noch ergänzt oder verdeutlicht werden (Meyer-Goßner/ Schmitt, StPO, 58. Aufl., § 45 Rn. 5 mwN). Zu dem Zeitpunkt seiner Kenntniserlangung über den Grund der Wiedereinsetzung verhält sich der Angeklagte aber erstmals in dem genannten Schreiben vom 29. April 2015. Im Übrigen wird selbst darin kein genauer Termin genannt.
5
2. Die Revision ist wegen des wirksamen Rechtsmittelverzichts unzulässig.
6
Soweit sich der Angeklagte auf seine schlechte psychische und physische Verfassung am Tag der Urteilsverkündung beruft, werden keine Umstände vorgetragen, die seine prozessuale Handlungsfähigkeit in Frage stellen. Le- diglich bei Verhandlungsunfähigkeit käme aber der Verzichtserklärung keine rechtliche Wirksamkeit zu (Radtke in Radtke/Hohmann, StPO, § 302 Rn. 9 mwN).
7
Die Verzichtserklärung ist auch nicht gemäß § 302 Abs. 1 Satz 2 StPO unwirksam. Wie der Generalbundesanwalt zutreffend ausgeführt hat, beweist die Sitzungsniederschrift das Fehlen einer Verständigung im Sinne von § 257c StPO. Der Angeklagte benennt keine ausreichenden Anhaltspunkte, um eine Fälschung der Sitzungsniederschrift im Wege des Freibeweises näher zu prüfen. Raum Rothfuß Graf Cirener Radtke

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Ein Irrtum in der Bezeichnung des zulässigen Rechtsmittels ist unschädlich.

(1) Die Zurücknahme eines Rechtsmittels sowie der Verzicht auf die Einlegung eines Rechtsmittels können auch vor Ablauf der Frist zu seiner Einlegung wirksam erfolgen. Ist dem Urteil eine Verständigung (§ 257c) vorausgegangen, ist ein Verzicht ausgeschlossen. Ein von der Staatsanwaltschaft zugunsten des Beschuldigten eingelegtes Rechtsmittel kann ohne dessen Zustimmung nicht zurückgenommen werden.

(2) Der Verteidiger bedarf zur Zurücknahme einer ausdrücklichen Ermächtigung.

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Die Zurücknahme eines Rechtsmittels sowie der Verzicht auf die Einlegung eines Rechtsmittels können auch vor Ablauf der Frist zu seiner Einlegung wirksam erfolgen. Ist dem Urteil eine Verständigung (§ 257c) vorausgegangen, ist ein Verzicht ausgeschlossen. Ein von der Staatsanwaltschaft zugunsten des Beschuldigten eingelegtes Rechtsmittel kann ohne dessen Zustimmung nicht zurückgenommen werden.

(2) Der Verteidiger bedarf zur Zurücknahme einer ausdrücklichen Ermächtigung.

(1) Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist binnen einer Woche nach Wegfall des Hindernisses bei dem Gericht zu stellen, bei dem die Frist wahrzunehmen gewesen wäre. Zur Wahrung der Frist genügt es, wenn der Antrag rechtzeitig bei dem Gericht gestellt wird, das über den Antrag entscheidet.

(2) Die Tatsachen zur Begründung des Antrags sind bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft zu machen. Innerhalb der Antragsfrist ist die versäumte Handlung nachzuholen. Ist dies geschehen, so kann Wiedereinsetzung auch ohne Antrag gewährt werden.

7
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist demjenigen zu gewähren, der ohne Verschulden verhindert war, eine Frist einzuhalten (§ 44 Satz 1 StPO). Der Antrag ist binnen einer Woche nach Wegfall des Hindernisses zu stellen (§ 45 Abs. 1 Satz 1 StPO); innerhalb der Wochenfrist muss der Antragsteller auch Angaben über den Zeitpunkt des Wegfalls des Hindernisses machen. Die hierzu erforderlichen Angaben sind ebenso wie ihre Glaubhaftmachung Zulässigkeitsvoraussetzungen (BGH, Beschlüsse vom 24. Juli 2012 - 1 StR 341/12; und vom 7. Juni 2013 - 1 StR 232/13; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 57. Aufl., 2014, § 45 Rn. 5 mwN). Bereits an dieser Zulässigkeitsvoraussetzung fehlt es.

(1) Die Zurücknahme eines Rechtsmittels sowie der Verzicht auf die Einlegung eines Rechtsmittels können auch vor Ablauf der Frist zu seiner Einlegung wirksam erfolgen. Ist dem Urteil eine Verständigung (§ 257c) vorausgegangen, ist ein Verzicht ausgeschlossen. Ein von der Staatsanwaltschaft zugunsten des Beschuldigten eingelegtes Rechtsmittel kann ohne dessen Zustimmung nicht zurückgenommen werden.

(2) Der Verteidiger bedarf zur Zurücknahme einer ausdrücklichen Ermächtigung.

(1) Das Gericht kann sich in geeigneten Fällen mit den Verfahrensbeteiligten nach Maßgabe der folgenden Absätze über den weiteren Fortgang und das Ergebnis des Verfahrens verständigen. § 244 Absatz 2 bleibt unberührt.

(2) Gegenstand dieser Verständigung dürfen nur die Rechtsfolgen sein, die Inhalt des Urteils und der dazugehörigen Beschlüsse sein können, sonstige verfahrensbezogene Maßnahmen im zugrundeliegenden Erkenntnisverfahren sowie das Prozessverhalten der Verfahrensbeteiligten. Bestandteil jeder Verständigung soll ein Geständnis sein. Der Schuldspruch sowie Maßregeln der Besserung und Sicherung dürfen nicht Gegenstand einer Verständigung sein.

(3) Das Gericht gibt bekannt, welchen Inhalt die Verständigung haben könnte. Es kann dabei unter freier Würdigung aller Umstände des Falles sowie der allgemeinen Strafzumessungserwägungen auch eine Ober- und Untergrenze der Strafe angeben. Die Verfahrensbeteiligten erhalten Gelegenheit zur Stellungnahme. Die Verständigung kommt zustande, wenn Angeklagter und Staatsanwaltschaft dem Vorschlag des Gerichtes zustimmen.

(4) Die Bindung des Gerichtes an eine Verständigung entfällt, wenn rechtlich oder tatsächlich bedeutsame Umstände übersehen worden sind oder sich neu ergeben haben und das Gericht deswegen zu der Überzeugung gelangt, dass der in Aussicht gestellte Strafrahmen nicht mehr tat- oder schuldangemessen ist. Gleiches gilt, wenn das weitere Prozessverhalten des Angeklagten nicht dem Verhalten entspricht, das der Prognose des Gerichtes zugrunde gelegt worden ist. Das Geständnis des Angeklagten darf in diesen Fällen nicht verwertet werden. Das Gericht hat eine Abweichung unverzüglich mitzuteilen.

(5) Der Angeklagte ist über die Voraussetzungen und Folgen einer Abweichung des Gerichtes von dem in Aussicht gestellten Ergebnis nach Absatz 4 zu belehren.