Bundesgerichtshof Beschluss, 10. Mai 2016 - 1 ARs 21/15

ECLI:ECLI:DE:BGH:2016:100516B1ARS21.15.0
bei uns veröffentlicht am10.05.2016

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 ARs 21/15
vom
10. Mai 2016
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
hier: Anfragebeschluss des 3. Strafsenats vom 15. Oktober 2015 – 3 StR 63/15
ECLI:DE:BGH:2016:100516B1ARS21.15.0

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 10. Mai 2016 beschlossen:
Der Umstand, dass die erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit des Täters auf von diesem zu verantwortender Trunkenheit beruht, rechtfertigt für sich allein die Versagung einer Strafrahmenverschiebung gemäß §§ 21, 49 Abs. 1 StGB nicht.

Gründe:


1
1. Der 3. Strafsenat hat über die Revision eines Angeklagten zu entscheiden , der wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt worden ist. Das Landgericht hat eine Strafrahmenverschiebung nach § 213 bzw. §§ 21, 49 Abs. 1 StGB mit der Begründung versagt, der Angeklagte habe die bei ihm festgestellte erheblich verminderte Schuldfähigkeit durch verschuldete Trunkenheit selbstverantwortlich herbeigeführt. Es ist sachverständig beraten davon ausgegangen, dass der Angeklagte aufgrund einer mittelgradigen Berauschung bei erhalten gebliebener Unrechtseinsicht nicht ausschließbar in seiner Steuerungsfähigkeit erheblich vermindert war. Eine Alkoholkrankheit oder Alkoholüberempfindlichkeit, die ein Verschulden hinsichtlich der Trunkenheit ausgeschlossen hätte, hat das Landgericht verneint. Feststellungen zu einer vorhersehbar alkoholbedingten Erhöhung des Risikos der Begehung von Straftaten aufgrund persönlicher oder situativer Verhältnisse des Einzelfalls hat das Landgericht nicht getroffen.
2
Der 3. Strafsenat beabsichtigt, die Revision des Angeklagten zu verwerfen und zu entscheiden: „Der Tatrichter übt sein Ermessen bei der Entscheidung über die Strafrahmenverschiebung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB grundsätzlich nicht rechtsfehlerhaft aus, wenn er im Rahmen einer Gesamtwürdigung der schuldmindernden Umstände die Versagung der Strafmilderung allein auf den Umstand stützt, dass die erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit des Täters auf von die- sem verschuldeter Trunkenheit beruht.“
3
Er fragt gemäß § 132 Abs. 3 Satz 1 GVG bei den anderen Senaten an, ob deren Rechtsprechung dem entgegensteht und ob – sollte dies der Fall sein – daran festgehalten wird.
4
2. Der beabsichtigten Entscheidung des 3. Strafsenats steht Rechtsprechung des 1. Strafsenats entgegen.
5
Der Senat stimmt dem anfragenden Senat darin zu, dass es in der Regel gegen eine Verschiebung des Strafrahmens gemäß §§ 21, 49 Abs. 1 StGB spricht, wenn die erheblich verminderte Schuldfähigkeit auf zu verantwortender Trunkenheit beruht. Dies setzt allerdings voraus, dass sich dabei aufgrund der persönlichen oder situativen Verhältnisse des Einzelfalls das Risiko der Begehung von Straftaten vorhersehbar signifikant erhöht hat (Senat, Urteil vom 19. Oktober 2004 – 1 StR 254/04, BGHR StGB § 21 Strafrahmenverschiebung 37 unter Verweisung auf BGH, Beschluss vom 17. August 2004 – 5 StR 93/04, BGHSt 49, 239; vgl. auch BGH, Beschluss vom 5. August 2003 – 1 StR 302/03). Denn Umstände, die die Schuld erhöhen, können dann zur Versagung einer Strafrahmenverschiebung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB führen, wenn sie die infolge der Herabsetzung der Schuldfähigkeit verminderte Tatschuld aufwiegen (vgl. Senat, Beschluss vom 23. April 2013 – 1 StR 105/13). Über die fakultative Strafrahmenverschiebung entscheidet der Tatrichter aufgrund einer Gesamtabwägung aller schuldrelevanten Gesichtspunkte. Einer revisionsrechtlichen Überprüfung ist die Entscheidung über die fakultative Strafrahmenverschiebung nur eingeschränkt zugänglich; insoweit steht dem Tatrichter ein weiter Ermessensspielraum zu (vgl. Senat, Urteil vom 19. Oktober 2004 – 1 StR 254/04, BGHR StGB § 21 Strafrahmenverschiebung 37).
6
Somit rechtfertigt nach der Rechtsprechung des Senats der Umstand der selbst verschuldeten Trunkenheit des Täters eine Versagung der Strafrahmenverschiebung gemäß §§ 21, 49 Abs. 1 StGB nicht, wenn sich nicht zugleich aufgrund der persönlichen oder situativen Verhältnisse des Einzelfalls das Risiko der Begehung von Straftaten vorhersehbar signifikant infolge zu verantwortender Trunkenheit erhöht hat. Hierfür genügt etwa das Wissen des Täters, dass er unter Alkoholeinfluss zu strafbaren Verhaltensweisen neigt, aber trotzdem Alkohol trinkt (vgl. Senat, Beschlüsse vom 23. April 2013 – 1 StR 105/13 und vom 25. März 2014 – 1 StR 65/14, NStZ-RR 2014, 238; vgl. auch Senat, Urteile vom 16. September 2004 – 1 StR 233/04, BGHR StGB § 21 Strafrahmenverschiebung 36, vom 29. April 1997 – 1 StR 511/95, BGHSt 43, 66, 78 und vom 6. Mai 1993 – 1 StR 136/93, BGHR StGB § 21 Vorverschulden 4; Beschluss vom 2. März 1993 – 1 StR 26/93, StV 1993, 421; Urteile vom 6. Oktober 1992 – 1 StR 574/92 und vom 15. Dezember 1987 – 1 StR 498/87, BGHSt 35, 143). Einschlägiger Vorverurteilungen bedarf es jedoch nicht (Senat, Urteil vom 19. Oktober 2004 – 1 StR 254/04, BGHR StGB § 21 Strafrahmenverschiebung 37).
7
3. An dieser Rechtsprechung, die an den Beschluss des 5. Strafsenats vom 17. August 2004 – 5 StR 93/04, BGHSt 49, 239 anknüpft, hält der Senat fest. Den Ausführungen des 5. Strafsenats in der genannten Entscheidung schließt sich der Senat an.
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Fischer Bär

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Strafgesetzbuch - StGB | § 21 Verminderte Schuldfähigkeit


Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Strafgesetzbuch - StGB | § 49 Besondere gesetzliche Milderungsgründe


(1) Ist eine Milderung nach dieser Vorschrift vorgeschrieben oder zugelassen, so gilt für die Milderung folgendes: 1. An die Stelle von lebenslanger Freiheitsstrafe tritt Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren.2. Bei zeitiger Freiheitsstrafe darf hö

Gerichtsverfassungsgesetz - GVG | § 132


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Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

(1) Ist eine Milderung nach dieser Vorschrift vorgeschrieben oder zugelassen, so gilt für die Milderung folgendes:

1.
An die Stelle von lebenslanger Freiheitsstrafe tritt Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren.
2.
Bei zeitiger Freiheitsstrafe darf höchstens auf drei Viertel des angedrohten Höchstmaßes erkannt werden. Bei Geldstrafe gilt dasselbe für die Höchstzahl der Tagessätze.
3.
Das erhöhte Mindestmaß einer Freiheitsstrafe ermäßigt sichim Falle eines Mindestmaßes von zehn oder fünf Jahren auf zwei Jahre,im Falle eines Mindestmaßes von drei oder zwei Jahren auf sechs Monate,im Falle eines Mindestmaßes von einem Jahr auf drei Monate,im übrigen auf das gesetzliche Mindestmaß.

(2) Darf das Gericht nach einem Gesetz, das auf diese Vorschrift verweist, die Strafe nach seinem Ermessen mildern, so kann es bis zum gesetzlichen Mindestmaß der angedrohten Strafe herabgehen oder statt auf Freiheitsstrafe auf Geldstrafe erkennen.

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

(1) Ist eine Milderung nach dieser Vorschrift vorgeschrieben oder zugelassen, so gilt für die Milderung folgendes:

1.
An die Stelle von lebenslanger Freiheitsstrafe tritt Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren.
2.
Bei zeitiger Freiheitsstrafe darf höchstens auf drei Viertel des angedrohten Höchstmaßes erkannt werden. Bei Geldstrafe gilt dasselbe für die Höchstzahl der Tagessätze.
3.
Das erhöhte Mindestmaß einer Freiheitsstrafe ermäßigt sichim Falle eines Mindestmaßes von zehn oder fünf Jahren auf zwei Jahre,im Falle eines Mindestmaßes von drei oder zwei Jahren auf sechs Monate,im Falle eines Mindestmaßes von einem Jahr auf drei Monate,im übrigen auf das gesetzliche Mindestmaß.

(2) Darf das Gericht nach einem Gesetz, das auf diese Vorschrift verweist, die Strafe nach seinem Ermessen mildern, so kann es bis zum gesetzlichen Mindestmaß der angedrohten Strafe herabgehen oder statt auf Freiheitsstrafe auf Geldstrafe erkennen.

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

(1) Ist eine Milderung nach dieser Vorschrift vorgeschrieben oder zugelassen, so gilt für die Milderung folgendes:

1.
An die Stelle von lebenslanger Freiheitsstrafe tritt Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren.
2.
Bei zeitiger Freiheitsstrafe darf höchstens auf drei Viertel des angedrohten Höchstmaßes erkannt werden. Bei Geldstrafe gilt dasselbe für die Höchstzahl der Tagessätze.
3.
Das erhöhte Mindestmaß einer Freiheitsstrafe ermäßigt sichim Falle eines Mindestmaßes von zehn oder fünf Jahren auf zwei Jahre,im Falle eines Mindestmaßes von drei oder zwei Jahren auf sechs Monate,im Falle eines Mindestmaßes von einem Jahr auf drei Monate,im übrigen auf das gesetzliche Mindestmaß.

(2) Darf das Gericht nach einem Gesetz, das auf diese Vorschrift verweist, die Strafe nach seinem Ermessen mildern, so kann es bis zum gesetzlichen Mindestmaß der angedrohten Strafe herabgehen oder statt auf Freiheitsstrafe auf Geldstrafe erkennen.

(1) Beim Bundesgerichtshof werden ein Großer Senat für Zivilsachen und ein Großer Senat für Strafsachen gebildet. Die Großen Senate bilden die Vereinigten Großen Senate.

(2) Will ein Senat in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines anderen Senats abweichen, so entscheiden der Große Senat für Zivilsachen, wenn ein Zivilsenat von einem anderen Zivilsenat oder von dem Großen Zivilsenat, der Große Senat für Strafsachen, wenn ein Strafsenat von einem anderen Strafsenat oder von dem Großen Senat für Strafsachen, die Vereinigten Großen Senate, wenn ein Zivilsenat von einem Strafsenat oder von dem Großen Senat für Strafsachen oder ein Strafsenat von einem Zivilsenat oder von dem Großen Senat für Zivilsachen oder ein Senat von den Vereinigten Großen Senaten abweichen will.

(3) Eine Vorlage an den Großen Senat oder die Vereinigten Großen Senate ist nur zulässig, wenn der Senat, von dessen Entscheidung abgewichen werden soll, auf Anfrage des erkennenden Senats erklärt hat, daß er an seiner Rechtsauffassung festhält. Kann der Senat, von dessen Entscheidung abgewichen werden soll, wegen einer Änderung des Geschäftsverteilungsplanes mit der Rechtsfrage nicht mehr befaßt werden, tritt der Senat an seine Stelle, der nach dem Geschäftsverteilungsplan für den Fall, in dem abweichend entschieden wurde, zuständig wäre. Über die Anfrage und die Antwort entscheidet der jeweilige Senat durch Beschluß in der für Urteile erforderlichen Besetzung; § 97 Abs. 2 Satz 1 des Steuerberatungsgesetzes und § 74 Abs. 2 Satz 1 der Wirtschaftsprüferordnung bleiben unberührt.

(4) Der erkennende Senat kann eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung dem Großen Senat zur Entscheidung vorlegen, wenn das nach seiner Auffassung zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist.

(5) Der Große Senat für Zivilsachen besteht aus dem Präsidenten und je einem Mitglied der Zivilsenate, der Große Senate für Strafsachen aus dem Präsidenten und je zwei Mitgliedern der Strafsenate. Legt ein anderer Senat vor oder soll von dessen Entscheidung abgewichen werden, ist auch ein Mitglied dieses Senats im Großen Senat vertreten. Die Vereinigten Großen Senate bestehen aus dem Präsidenten und den Mitgliedern der Großen Senate.

(6) Die Mitglieder und die Vertreter werden durch das Präsidium für ein Geschäftsjahr bestellt. Dies gilt auch für das Mitglied eines anderen Senats nach Absatz 5 Satz 2 und für seinen Vertreter. Den Vorsitz in den Großen Senaten und den Vereinigten Großen Senaten führt der Präsident, bei Verhinderung das dienstälteste Mitglied. Bei Stimmengleichheit gibt die Stimme des Vorsitzenden den Ausschlag.

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

(1) Ist eine Milderung nach dieser Vorschrift vorgeschrieben oder zugelassen, so gilt für die Milderung folgendes:

1.
An die Stelle von lebenslanger Freiheitsstrafe tritt Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren.
2.
Bei zeitiger Freiheitsstrafe darf höchstens auf drei Viertel des angedrohten Höchstmaßes erkannt werden. Bei Geldstrafe gilt dasselbe für die Höchstzahl der Tagessätze.
3.
Das erhöhte Mindestmaß einer Freiheitsstrafe ermäßigt sichim Falle eines Mindestmaßes von zehn oder fünf Jahren auf zwei Jahre,im Falle eines Mindestmaßes von drei oder zwei Jahren auf sechs Monate,im Falle eines Mindestmaßes von einem Jahr auf drei Monate,im übrigen auf das gesetzliche Mindestmaß.

(2) Darf das Gericht nach einem Gesetz, das auf diese Vorschrift verweist, die Strafe nach seinem Ermessen mildern, so kann es bis zum gesetzlichen Mindestmaß der angedrohten Strafe herabgehen oder statt auf Freiheitsstrafe auf Geldstrafe erkennen.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 254/04
vom
19. Oktober 2004
in der Strafsache
gegen
wegen schwerer Körperverletzung
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 19. Oktober
2004, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Kolz,
Hebenstreit,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Elf,
der Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Graf,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt und Rechtsanwältin
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 1. Dezember 2003 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die Revision des Angeklagten gegen das oben benannte Urteil wird verworfen. Der Angeklagte trägt die Kosten seines Rechtsmittels und die hierdurch dem Nebenkläger entstandenen notwendigen Auslagen.

Von Rechts wegen

Gründe:


I.

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer Körperverletzung gemäß § 226 Abs. 1 Nr. 3 StGB zu der Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. An einem Schuldspruch wegen versuchten Totschlags sah sich die Straf-
kammer wegen Rücktritts des Angeklagten gehindert. Die Darlegungen hierzu beanstandet die Staatsanwaltschaft unter Erhebung der Sachrüge mit Erfolg. Der Angeklagte rügt ebenfalls die Verletzung materiellen Rechts. Die Strafkammer habe insbesondere zu Unrecht davon abgesehen, bei dem zur Tatzeit alkoholbedingt nicht ausschließbar erheblich vermindert schuldfähigen Angeklagten den Strafrahmen gemäß §§ 21, 49 Abs. 1 StGB herabzusetzen. Der Revision des Angeklagten bleibt der Erfolg versagt.

II.


Die Strafkammer hat festgestellt:
Am Abend des 23. Dezember 2002 begab sich der damals 39jährige Angeklagte nach dem Besuch einer Pilsbar in Nürnberg nach R. in die ihm vertraute Gaststätte "F. " und "nervte" dort die Gäste mit seinen Sprüchen. Mit dem späteren Geschädigten, dem Zeugen W. , den er lange kannte und neben den er sich schließlich gesetzt hatte, unterhielt er sich über alte Zeiten. Dabei - es war inzwischen 23.30 Uhr geworden - bezeichnete der Angeklagte den Zeugen W. wegen eines ca. zwanzig Jahre zurückliegenden Vorfalls in der Jugendgruppe, der beide angehörten, als Verräter, ohne daß der Zeuge W. dies jedoch sonderlich ernst nahm. Da der Angeklagte der Aufforderung, damit aufzuhören, nicht nachkam, und stattdessen weiter insistierte, drehte sich W. mit den Worten "laß mich doch in Ruhe" und mit einer abwehrenden Handbewegung, die das Gesicht des Angeklagten streifte, einfach weg. Über dieses Desinteresse geriet der Angeklagte in Wut. Er nahm W. , zunächst noch sitzend, mit dem linken Arm in den "Schwitzkasten", aus dem dieser sich vergeblich herauszuwinden versuchte. Als der Angeklagte im
Verlauf der Rangelei mit dem Geschädigten im Arm aufstand, fiel - auch - das Weizenbierglas des Angeklagten um und zerbrach. Schließlich zog der Angeklagte den nach wie vor im "Schwitzkastengriff" gehaltenen, wegen Ausrutschens kurzzeitig weggesackten Geschädigten mit dem linken Arm unter dem Kinn erneut hoch - dessen Hals war deshalb gestreckt -, ergriff mit der rechten Hand den scharfkantigen Fuß des zerbrochenen Weizenbierglases und stieß ihm den Glasstumpf von unten mit Wucht vorne in die freie Halsregion. Der Angeklagte fügte dem Zeugen W. eine tiefe, 15 cm lange und stark blutende Stich-Schnittverletzung zu. Dies hätte, obwohl kein großes Halsgefäß verletzt wurde, ohne schnellen Wundverschluß zu einem tödlichen Blutverlust führen können. "Ohne daß er von dem Geschädigten durch Abwehrbewegungen oder durch die anderen Anwesenden oder sonst durch einen Umstand am weiteren Zustechen gehindert worden wäre, stach der Angeklagte nicht mehr auf den Geschädigten ein, sondern ließ den Glasstumpf fallen. Er hielt den Geschädigten jedoch weiterhin im 'Schwitzkasten', wobei der verletzte Halsbereich verdeckt war. Dem Angeklagten war bei der Ausführung des Stiches mit dem Glasstumpf klar, daß er mit dem von ihm geführten Stich in den Hals den Geschädigten auch tödlich verletzen konnte. Diese Folge nahm er billigend in Kauf. Der Angeklagte, der zwar wußte, daß er den Geschädigten am Hals verletzt hatte, ging jedoch zu diesem Zeitpunkt, als er die Wunde noch nicht sah, nicht davon aus, daß die Verletzung des Geschädigten lebensgefährlich oder gar tödlich war." Von der Wirtin am linken Arm gezogen, ließ der Angeklagte den Geschädigten dann los. Andere Gäste ergriffen erste Hilfsmaßnahmen. Die Wirtin rief den Notarzt. Der Geschädigte wurde ins Krankenhaus verbracht und sofort operiert. Wegen Verletzung der entsprechenden Muskelpartien hat er nach wie vor Schluck- und Sprechbeschwerden. Die Narbe am Hals wird den Geschädigten dauerhaft entstellen.

Im Verlauf des Abends hatte der Angeklagte vier Pils, fünf Gläser Weizenbier und drei Schnäpse getrunken. Seine Blutalkoholkonzentration betrug zur Tatzeit maximal 2,25 Promille. Der vereinsamte, arbeitslose Angeklagte ist trinkgewohnt. Er, so stellt die Strafkammer seinen Angaben folgend fest, hat vor der Tat ein bis zweimal wöchentlich - jedoch immer nach der Arbeit - Alkohol in größeren Mengen zu sich genommen. Im Zeitraum von 1998 bis 2002 befand er sich insgesamt sechs Mal zur Ausnüchterung in Polizeigewahrsam. Nach dem Tatgeschehen hat der Angeklagte seinen Alkoholkonsum eingeschränkt , was ihm, so ließ er sich ein, nicht schwer gefallen sei, da er keinen Alkohol brauche. Die sachverständig beratene Strafkammer konnte alkoholbedingte erheblich verminderte Schuldfähigkeit des Angeklagten zum Tatzeitpunkt nicht ausschließen. Eine Alkoholabhängigkeit, einen Hang, alkoholische Getränke im Übermaß zu sich zu nehmen, verneint sie. Vorbestraft ist der Angeklagte nicht.

III.


1. Zur Revision der Staatsanwaltschaft:
Der Senat verkennt nicht, daß sich die Strafkammer von dem Bemühen leiten ließ, der Tat und dem Täter bei der Bewertung des Geschehens und insbesondere im Rechtsfolgenausspruch gerecht zu werden. Die Darlegungen der Strafkammer zum strafbefreienden Rücktritt des Angeklagten vom Tötungsversuch tragen gleichwohl nicht.
Zutreffend hat die Strafkammer für die Abgrenzung des unbeendeten vom beendeten Versuch und damit für die Voraussetzungen strafbefreienden Rücktritts gemäß § 24 Abs. 1 1. Alt. StGB - denn zur Rettung des Geschädigten beizutragen , hatte der Angeklagte nichts beigetragen (§ 24 Abs. 1 2. Alt. StGB) und sich darum auch nicht bemüht (§ 24 Abs. 2 StGB) - darauf abgestellt, ob der Angeklagte nach der letzten von ihm vorgenommenen Ausführungshandlung den Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolgs für möglich hielt - sogenannter Rücktrittshorizont - (seit BGHSt 31, 170; vgl. Tröndle/Fischer StGB 52. Aufl. § 24 Rdn. 15). Das Landgericht hat dies verneint. Die Strafkammer hat dabei nicht verkannt, daß bei dem mit bedingtem Tötungsvorsatz handelnden Täter Umstände festgestellt werden müssen, welche die Wertung des Gerichts rechtfertigen , der Täter habe bei Beendigung der Tathandlung einen tödlichen Erfolg nicht (mehr) für möglich gehalten (BGH - Senat - NStZ 1999, 299). Die Feststellungen hierzu sind jedoch nicht frei von Widersprüchen.
Die fehlende Vorstellung des Angeklagten von möglicherweise lebensgefährlichen Verletzungen nach der Beifügung des Stichs hat die Strafkammer allein daraus gefolgert, daß der Angeklagte zu diesem Zeitpunkt die Wunde noch nicht gesehen hatte. Der allein hieraus gezogene Schluß steht aber im Widerspruch zu den Feststellungen der Strafkammer zum übrigen Tatgeschehen. Danach bedurfte es nicht erst eines Blicks auf die Wunde, um beim Angeklagten das Bewußtsein für die möglicherweise tödlichen Folgen seines dem Geschädigten beigefügten Stichs zu wecken beziehungsweise aufrechtzuerhalten.
Wenn der Angeklagte - wie die Strafammer festgestellt hat - den Glasstumpf , gefährlich wie ein Messer, mit Wucht von vorne gegen den von ihm
gestreckten Hals des Geschädigten in dem Bewußtsein, diesen mit dem Zustechen tödlich verletzen zu können, also mit bedingtem Tötungsvorsatz führte, leuchtet es nicht ein, ist es - jedenfalls ohne weitere Darlegungen - nicht ohne weiteres nachvollziehbar, warum der Angeklagte, nachdem er wie beabsichtigt zielgenau getroffen hatte, mit einer tödlichen Folge seines Stichs nun plötzlich nicht mehr gerechnet haben soll. Nach dem Stich mag der Angeklagte über sich selbst erschrocken sein, möglicherweise hielt er deshalb inne. Er mag gewünscht und gehofft haben, daß sein Verhalten doch keine ernsthaften Verletzungen zeitigte. Ein möglicher negativer Ausgang stand ihm gerade dann aber klar vor Augen.
Der Blick auf die Wunde und den am Boden liegenden Geschädigten verschaffte ihm Gewißheit über die tatsächliche Gefahr. Für die Frage des strafbefreienden Rücktritts vom Tötungsversuch hat dies im vorliegenden Fall allerdings keine Relevanz mehr. Zu diesem Zeitpunkt war die für die Entscheidung der Frage, ob aus Sicht des Angeklagten ein beendeter oder ein unbeendeter Versuch vorlag, maßgebende Zeitspanne bereits abgelaufen, denn der Angeklagte hatte keine Angriffsmöglichkeit mehr (vgl. BGHSt 31, 170 [176]; 36, 224 [225]). Der Geschädigte war durch die Umstehenden geschützt. Den Glasstumpf hatte der Angeklagte gleich nach dem ersten Stich fallen lassen. Auf die Frage der - umgekehrten - "Korrektur des Rücktrittshorizonts" (vgl. BGH NStZ 1998, 614) kann es deshalb hier nach den bisherigen Feststellungen der Strafkammer nicht mehr ankommen.
Da neue widerspruchsfreie Feststellungen, die einer Verurteilung wegen versuchten Totschlags entgegenstehen, nicht ausgeschlossen sind, kann der
Senat den Schuldspruch nicht selbst ändern. Die Sache bedarf daher insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung.
2. Zur Revision des Angeklagten:

a) Es mag dahinstehen, ob die Feststellungen des Landgerichts die Annahme erheblich verminderter Schuldfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit tragen. Denn dies belastet ihn nicht.
Es ist frei von Rechtfehlern, daß die Strafkammer trotz verminderter Schuldfähigkeit davon abgesehen hat, den Strafrahmen gemäß §§ 21, 49 Abs. 1 StGB zu verschieben. Dies steht in Einklang mit Tendenzen der neueren Rechtsprechung zur Bewertung zu verantwortender Trunkenheit in diesem Zusammenhang (vgl. BGH NStZ 2003, 480; BGHR § 21 Strafrahmenverschiebung 32; BGH, Beschluß vom 17. August 2004 - 5 StR 93/04 -).
Der Tatrichter entscheidet über die fakultative Strafrahmenverschiebung aufgrund einer Gesamtabwägung aller schuldrelevanten Gesichtspunkte. Beruht die erheblich verminderte Schuldfähigkeit auf zu verantwortender Trunkenheit , spricht dies allerdings auch ohne einschlägige Vorverurteilungen in der Regel gegen eine Verschiebung des Strafrahmens. Einer umfassenden Darstellung aller in die Abwägung einzubeziehenden Umstände in den schriftlichen Urteilsgründen bedarf es nur in Ausnahmefällen. Es genügt die Mitteilung der ausschlaggebenden Aspekte. Revisionsrechtlicher Überprüfung ist die Entscheidung über die fakultative Strafrahmenverschiebung nur eingeschränkt zugänglich; insoweit steht dem Tatrichter ein weiter Ermessensspielraum zu. Diesen respektiert der Senat.
Die knappe, auf die Mitteilung der wesentlichen Umstände beschränkte Begründung der Strafkammer zur Ablehnung der fakultativen Strafrahmenver-
schiebung gemäß §§ 21, 49 Abs. 1 StGB genügt hier zur revisionsrechtlichen Bewertung, daß ein Ermessensfehlgebrauch auszuschließen ist.

b) Auch im übrigen ergab die sachlichrechtliche Überprüfung des Urteils keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten.
Nack Kolz Hebenstreit Elf Graf

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 302/03
vom
5. August 2003
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Totschlags u. a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 5. August 2003 beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts München II vom 3. April 2003 wird als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO).
Ergänzend bemerkt der Senat: Der Angeklagte hat nach vorangegangenem Alkoholkonsum versucht , seine Ehefrau zu erwürgen. Er war schon früher in angetrunkenem Zustand wiederholt gegen sie tätlich geworden und hatte sie mit dem Tod bedroht. Unbeschadet der Frage nach der generellen Eignung selbst verschuldeter Trunkenheit zur Begründung einer Strafrahmenverschiebung gemäß §§ 21, 49 StGB (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 27. März 2003 - 3 StR 435/02) hätte daher hier selbst auf der Grundlage der Ausführungen der Revision zu Trinkmengen und Trinkzeiten eine solche Strafrahmenverschiebung sehr fern gelegen (vgl. BGHSt 43, 66, 77 f. m.w.N.).
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen. Nack Wahl Boetticher Kolz Elf

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

(1) Ist eine Milderung nach dieser Vorschrift vorgeschrieben oder zugelassen, so gilt für die Milderung folgendes:

1.
An die Stelle von lebenslanger Freiheitsstrafe tritt Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren.
2.
Bei zeitiger Freiheitsstrafe darf höchstens auf drei Viertel des angedrohten Höchstmaßes erkannt werden. Bei Geldstrafe gilt dasselbe für die Höchstzahl der Tagessätze.
3.
Das erhöhte Mindestmaß einer Freiheitsstrafe ermäßigt sichim Falle eines Mindestmaßes von zehn oder fünf Jahren auf zwei Jahre,im Falle eines Mindestmaßes von drei oder zwei Jahren auf sechs Monate,im Falle eines Mindestmaßes von einem Jahr auf drei Monate,im übrigen auf das gesetzliche Mindestmaß.

(2) Darf das Gericht nach einem Gesetz, das auf diese Vorschrift verweist, die Strafe nach seinem Ermessen mildern, so kann es bis zum gesetzlichen Mindestmaß der angedrohten Strafe herabgehen oder statt auf Freiheitsstrafe auf Geldstrafe erkennen.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 105/13
vom
23. April 2013
in der Strafsache
gegen
wegen schweren räuberischen Diebstahls u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 23. April 2013 beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 4. Dezember 2012 gemäß § 349 Abs. 4 StPO aufgehoben:
a) im Schuldspruch wegen der Tat zu II. 3. der Urteilsgründe,
b) im Ausspruch über die Einzelstrafen mit den zugehörigen Feststellungen wegen der Taten II. 2. und 4. der Urteilsgründe ,
c) im Gesamtstrafenausspruch. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen besonders schweren räuberischen Diebstahls, wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Beleidigung, wegen Körperverletzung in Tateinheit mit versuchter gefährlicher Körperverletzung, mit Beleidigung und mit Sachbeschädigung sowie wegen Beleidigung in sieben tateinheitlichen Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und neun Monaten verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklag- te mit seiner auf die Verletzung materiellen Rechts gestützten Rüge. Sein Rechtsmittel hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg und ist im Übrigen aus den vom Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift dargelegten Gründen gemäß § 349 Abs. 2 StPO unbegründet.
2
1. Die Verurteilung wegen der Tat zu II. 3. der Urteilsgründe kann keinen Bestand haben.
3
Nach den Feststellungen gab der Angeklagte unter dem Einfluss von Alkohol und Drogen gegen Ausländer gerichtete beleidigende Äußerungen ab. Anschließend schlug er auf den Geschädigten A. ein und versuchte , diesen mit einem Messer in den Hals zu stechen, was ihm wegen einer Ausweichbewegung des Geschädigten nicht gelang. Als der Geschädigte sich entfernte, trat der Angeklagte gegen dessen Fahrrad, wodurch dieses Beschädigungen davontrug. Als der Geschädigte sich wieder näherte, versetzte ihm der Angeklagte einen weiteren Schlag in das Gesicht.
4
Ausgehend hiervon kann die Verurteilung wegen Beleidigung keinen Bestand haben. Es erschließt sich nicht, in welcher Handlung das Landgericht die den Tatbestand erfüllende Handlung des Angeklagten sieht. Soweit die beleidigenden Äußerungen gegen Ausländer erfasst sein sollten, fehlte es an dem gemäß § 194 Abs. 1 Satz 1 StGB erforderlichen Strafantrag eines Verletzten und mithin an einer Verfahrensvoraussetzung. Sollte hingegen der Geschädigte A. als Verletzter der Beleidigung anzusehen sein, wäre auch hierdurch der Tatbestand eines Beleidigungsdelikts nicht hinreichend belegt. Zwar hat dieser Geschädigte rechtzeitig Strafantrag wegen Beleidigung gestellt, jedoch lässt sich den Feststellungen keine ehrverletzende Äußerung zu seinen Lasten entnehmen. Der Senat kann auch nicht ausreichend sicher erkennen, dass das Landgericht in den körperverletzenden Handlungen zugleich eine konkludente Beleidigung gesehen hat, da es einen ehrverletzenden Charakter des Angriffs (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 5. März 2009 - 4 StR 594/08, NStZ-RR 2009, 172) nicht festgestellt hat.
5
Der aufgezeigte Mangel zwingt zur Aufhebung der für sich genommen rechtlich nicht zu beanstandenden tateinheitlichen Verurteilung wegen vorsätzlicher Körperverletzung, versuchter gefährlicher Körperverletzung und Sachbeschädigung. Dem Senat erscheint aber möglich, dass noch entsprechende Feststellungen getroffen werden können, die den Schuldspruch auch wegen Beleidigung zu Lasten des Geschädigten A. tragen. Der Aufhebung der bisherigen rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen bedurfte es nicht.
6
2. Die Strafaussprüche wegen der Taten zu II. 2. und 4. der Urteilsgründe können ebenfalls keinen Bestand haben.
7
Das Landgericht hat in diesen Fällen nicht auszuschließen vermocht, dass der Angeklagte aufgrund „fast immer vorhandener deutlicher Alkoholisierung“ in seiner Steuerungsfähigkeit erheblich beeinträchtigt gewesen sei. An- ders als bei der Tat zu II. 1., bei der das Vorliegen des vertypten Milderungsgrundes nach § 21 StGB mit bestimmendem Gewicht zur Annahme eines minder schweren Falls nach § 250 Abs. 3 StGB geführt hat, hat es für die Taten zu II. 2. und 3. nicht ersichtlich erwogen, ob dies zur Annahme eines minder schweren Falles nach § 224 Abs. 1 Alt. 2 StGB führen könnte. Eine Strafrahmenverschiebung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB hat es für diese beiden Taten genauso abgelehnt wie für die Tat zu II. 4., da angesichts der zahlreichen Gewaltdelikte des Angeklagten dieser um seine Bereitschaft, sehr schnell gewalttätig zu werden, gewusst habe.
8
Diese Strafrahmenbestimmung hält revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand.
9
Zwar können Umstände, die die Schuld erhöhen, zur Versagung der Strafrahmenverschiebung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB führen, wenn sie die infolge der Herabsetzung der Steuerungsfähigkeit verminderte Tatschuld aufwiegen. Dies kann - wovon die Strafkammer zutreffend ausgeht - bei einer alkoholbedingten Verminderung der Schuldfähigkeit der Fall sein, wenn der Täter wusste, dass er unter Alkoholeinfluss zu strafbaren Verhaltensweisen neigt, aber trotzdem Alkohol trinkt. Die Strafkammer hat aber nicht erkennbar bedacht , dass das nur gilt, wenn die verminderte Schuldfähigkeit auf einer selbst zu verantwortenden, verschuldeten Trunkenheit beruht, die dem Täter uneingeschränkt vorwerfbar ist. Ein die Steuerungsfähigkeit erheblich beeinträchtigender Alkoholrausch ist aber dann nicht verschuldet, wenn der Täter alkoholkrank oder alkoholüberempfindlich ist. Eine Alkoholerkrankung, bei der schon die Alkoholaufnahme nicht als ein die Schuld erhöhender Umstand zu werten ist, liegt regelmäßig vor, wenn der Täter den Alkohol aufgrund eines unwiderstehlichen oder ihn weitgehend beherrschenden Hanges trinkt, der seine Fähigkeit, der Versuchung zum übermäßigen Alkoholkonsum zu widerstehen, einschränkt (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 2. August 2012 - 3 StR 216/12).
10
Die Ausführungen des Landgerichts lassen es als nahe liegend erscheinen , dass der Angeklagte im dargestellten Sinne alkoholkrank war. Denn die Strafkammer stellt dem Sachverständigen folgend fest, dass beim Angeklagten eine schwere Abhängigkeit von Alkohol und Opiaten vorliegt, welche im Laufe der Jahre zu schweren Persönlichkeitsveränderungen geführt hat. Seit seinem 15. Lebensjahr konsumiert der heute 46 Jahre alte Angeklagte Alkohol in erheblichen Mengen, später auch härtere Drogen. Mehrere Entziehungstherapien blieben erfolglos. Der Angeklagte ist auf Dauer arbeitsunfähig. Straftaten unter Alkohol sind seit 1983 immer wieder dokumentiert. Vor diesem Hintergrund hätte sich die Strafkammer mit der Frage einer krankhaften Alkoholsucht näher auseinandersetzen müssen (vgl. BGH aaO; Urteil vom 12. Juni 2008 - 3 StR 84/08, NStZ 2009, 258; Beschluss vom 3. Februar 2011 - 4 StR 673/10).
11
Der Schuldspruch wird von dem Rechtsfehler nicht berührt. Der Senat kann vielmehr ausschließen, dass der Angeklagte bei der Tatbegehung schuldunfähig war.
12
3. Die Aufhebung des Schuldspruchs für die Tat zu II. 3. und der Einzelstrafen für die Taten zu II. 2. und 4. zieht die Aufhebung der Gesamtstrafe nach sich.
Wahl Rothfuß Graf Cirener Zeng

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 254/04
vom
19. Oktober 2004
in der Strafsache
gegen
wegen schwerer Körperverletzung
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 19. Oktober
2004, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Kolz,
Hebenstreit,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Elf,
der Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Graf,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt und Rechtsanwältin
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 1. Dezember 2003 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die Revision des Angeklagten gegen das oben benannte Urteil wird verworfen. Der Angeklagte trägt die Kosten seines Rechtsmittels und die hierdurch dem Nebenkläger entstandenen notwendigen Auslagen.

Von Rechts wegen

Gründe:


I.

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer Körperverletzung gemäß § 226 Abs. 1 Nr. 3 StGB zu der Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. An einem Schuldspruch wegen versuchten Totschlags sah sich die Straf-
kammer wegen Rücktritts des Angeklagten gehindert. Die Darlegungen hierzu beanstandet die Staatsanwaltschaft unter Erhebung der Sachrüge mit Erfolg. Der Angeklagte rügt ebenfalls die Verletzung materiellen Rechts. Die Strafkammer habe insbesondere zu Unrecht davon abgesehen, bei dem zur Tatzeit alkoholbedingt nicht ausschließbar erheblich vermindert schuldfähigen Angeklagten den Strafrahmen gemäß §§ 21, 49 Abs. 1 StGB herabzusetzen. Der Revision des Angeklagten bleibt der Erfolg versagt.

II.


Die Strafkammer hat festgestellt:
Am Abend des 23. Dezember 2002 begab sich der damals 39jährige Angeklagte nach dem Besuch einer Pilsbar in Nürnberg nach R. in die ihm vertraute Gaststätte "F. " und "nervte" dort die Gäste mit seinen Sprüchen. Mit dem späteren Geschädigten, dem Zeugen W. , den er lange kannte und neben den er sich schließlich gesetzt hatte, unterhielt er sich über alte Zeiten. Dabei - es war inzwischen 23.30 Uhr geworden - bezeichnete der Angeklagte den Zeugen W. wegen eines ca. zwanzig Jahre zurückliegenden Vorfalls in der Jugendgruppe, der beide angehörten, als Verräter, ohne daß der Zeuge W. dies jedoch sonderlich ernst nahm. Da der Angeklagte der Aufforderung, damit aufzuhören, nicht nachkam, und stattdessen weiter insistierte, drehte sich W. mit den Worten "laß mich doch in Ruhe" und mit einer abwehrenden Handbewegung, die das Gesicht des Angeklagten streifte, einfach weg. Über dieses Desinteresse geriet der Angeklagte in Wut. Er nahm W. , zunächst noch sitzend, mit dem linken Arm in den "Schwitzkasten", aus dem dieser sich vergeblich herauszuwinden versuchte. Als der Angeklagte im
Verlauf der Rangelei mit dem Geschädigten im Arm aufstand, fiel - auch - das Weizenbierglas des Angeklagten um und zerbrach. Schließlich zog der Angeklagte den nach wie vor im "Schwitzkastengriff" gehaltenen, wegen Ausrutschens kurzzeitig weggesackten Geschädigten mit dem linken Arm unter dem Kinn erneut hoch - dessen Hals war deshalb gestreckt -, ergriff mit der rechten Hand den scharfkantigen Fuß des zerbrochenen Weizenbierglases und stieß ihm den Glasstumpf von unten mit Wucht vorne in die freie Halsregion. Der Angeklagte fügte dem Zeugen W. eine tiefe, 15 cm lange und stark blutende Stich-Schnittverletzung zu. Dies hätte, obwohl kein großes Halsgefäß verletzt wurde, ohne schnellen Wundverschluß zu einem tödlichen Blutverlust führen können. "Ohne daß er von dem Geschädigten durch Abwehrbewegungen oder durch die anderen Anwesenden oder sonst durch einen Umstand am weiteren Zustechen gehindert worden wäre, stach der Angeklagte nicht mehr auf den Geschädigten ein, sondern ließ den Glasstumpf fallen. Er hielt den Geschädigten jedoch weiterhin im 'Schwitzkasten', wobei der verletzte Halsbereich verdeckt war. Dem Angeklagten war bei der Ausführung des Stiches mit dem Glasstumpf klar, daß er mit dem von ihm geführten Stich in den Hals den Geschädigten auch tödlich verletzen konnte. Diese Folge nahm er billigend in Kauf. Der Angeklagte, der zwar wußte, daß er den Geschädigten am Hals verletzt hatte, ging jedoch zu diesem Zeitpunkt, als er die Wunde noch nicht sah, nicht davon aus, daß die Verletzung des Geschädigten lebensgefährlich oder gar tödlich war." Von der Wirtin am linken Arm gezogen, ließ der Angeklagte den Geschädigten dann los. Andere Gäste ergriffen erste Hilfsmaßnahmen. Die Wirtin rief den Notarzt. Der Geschädigte wurde ins Krankenhaus verbracht und sofort operiert. Wegen Verletzung der entsprechenden Muskelpartien hat er nach wie vor Schluck- und Sprechbeschwerden. Die Narbe am Hals wird den Geschädigten dauerhaft entstellen.

Im Verlauf des Abends hatte der Angeklagte vier Pils, fünf Gläser Weizenbier und drei Schnäpse getrunken. Seine Blutalkoholkonzentration betrug zur Tatzeit maximal 2,25 Promille. Der vereinsamte, arbeitslose Angeklagte ist trinkgewohnt. Er, so stellt die Strafkammer seinen Angaben folgend fest, hat vor der Tat ein bis zweimal wöchentlich - jedoch immer nach der Arbeit - Alkohol in größeren Mengen zu sich genommen. Im Zeitraum von 1998 bis 2002 befand er sich insgesamt sechs Mal zur Ausnüchterung in Polizeigewahrsam. Nach dem Tatgeschehen hat der Angeklagte seinen Alkoholkonsum eingeschränkt , was ihm, so ließ er sich ein, nicht schwer gefallen sei, da er keinen Alkohol brauche. Die sachverständig beratene Strafkammer konnte alkoholbedingte erheblich verminderte Schuldfähigkeit des Angeklagten zum Tatzeitpunkt nicht ausschließen. Eine Alkoholabhängigkeit, einen Hang, alkoholische Getränke im Übermaß zu sich zu nehmen, verneint sie. Vorbestraft ist der Angeklagte nicht.

III.


1. Zur Revision der Staatsanwaltschaft:
Der Senat verkennt nicht, daß sich die Strafkammer von dem Bemühen leiten ließ, der Tat und dem Täter bei der Bewertung des Geschehens und insbesondere im Rechtsfolgenausspruch gerecht zu werden. Die Darlegungen der Strafkammer zum strafbefreienden Rücktritt des Angeklagten vom Tötungsversuch tragen gleichwohl nicht.
Zutreffend hat die Strafkammer für die Abgrenzung des unbeendeten vom beendeten Versuch und damit für die Voraussetzungen strafbefreienden Rücktritts gemäß § 24 Abs. 1 1. Alt. StGB - denn zur Rettung des Geschädigten beizutragen , hatte der Angeklagte nichts beigetragen (§ 24 Abs. 1 2. Alt. StGB) und sich darum auch nicht bemüht (§ 24 Abs. 2 StGB) - darauf abgestellt, ob der Angeklagte nach der letzten von ihm vorgenommenen Ausführungshandlung den Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolgs für möglich hielt - sogenannter Rücktrittshorizont - (seit BGHSt 31, 170; vgl. Tröndle/Fischer StGB 52. Aufl. § 24 Rdn. 15). Das Landgericht hat dies verneint. Die Strafkammer hat dabei nicht verkannt, daß bei dem mit bedingtem Tötungsvorsatz handelnden Täter Umstände festgestellt werden müssen, welche die Wertung des Gerichts rechtfertigen , der Täter habe bei Beendigung der Tathandlung einen tödlichen Erfolg nicht (mehr) für möglich gehalten (BGH - Senat - NStZ 1999, 299). Die Feststellungen hierzu sind jedoch nicht frei von Widersprüchen.
Die fehlende Vorstellung des Angeklagten von möglicherweise lebensgefährlichen Verletzungen nach der Beifügung des Stichs hat die Strafkammer allein daraus gefolgert, daß der Angeklagte zu diesem Zeitpunkt die Wunde noch nicht gesehen hatte. Der allein hieraus gezogene Schluß steht aber im Widerspruch zu den Feststellungen der Strafkammer zum übrigen Tatgeschehen. Danach bedurfte es nicht erst eines Blicks auf die Wunde, um beim Angeklagten das Bewußtsein für die möglicherweise tödlichen Folgen seines dem Geschädigten beigefügten Stichs zu wecken beziehungsweise aufrechtzuerhalten.
Wenn der Angeklagte - wie die Strafammer festgestellt hat - den Glasstumpf , gefährlich wie ein Messer, mit Wucht von vorne gegen den von ihm
gestreckten Hals des Geschädigten in dem Bewußtsein, diesen mit dem Zustechen tödlich verletzen zu können, also mit bedingtem Tötungsvorsatz führte, leuchtet es nicht ein, ist es - jedenfalls ohne weitere Darlegungen - nicht ohne weiteres nachvollziehbar, warum der Angeklagte, nachdem er wie beabsichtigt zielgenau getroffen hatte, mit einer tödlichen Folge seines Stichs nun plötzlich nicht mehr gerechnet haben soll. Nach dem Stich mag der Angeklagte über sich selbst erschrocken sein, möglicherweise hielt er deshalb inne. Er mag gewünscht und gehofft haben, daß sein Verhalten doch keine ernsthaften Verletzungen zeitigte. Ein möglicher negativer Ausgang stand ihm gerade dann aber klar vor Augen.
Der Blick auf die Wunde und den am Boden liegenden Geschädigten verschaffte ihm Gewißheit über die tatsächliche Gefahr. Für die Frage des strafbefreienden Rücktritts vom Tötungsversuch hat dies im vorliegenden Fall allerdings keine Relevanz mehr. Zu diesem Zeitpunkt war die für die Entscheidung der Frage, ob aus Sicht des Angeklagten ein beendeter oder ein unbeendeter Versuch vorlag, maßgebende Zeitspanne bereits abgelaufen, denn der Angeklagte hatte keine Angriffsmöglichkeit mehr (vgl. BGHSt 31, 170 [176]; 36, 224 [225]). Der Geschädigte war durch die Umstehenden geschützt. Den Glasstumpf hatte der Angeklagte gleich nach dem ersten Stich fallen lassen. Auf die Frage der - umgekehrten - "Korrektur des Rücktrittshorizonts" (vgl. BGH NStZ 1998, 614) kann es deshalb hier nach den bisherigen Feststellungen der Strafkammer nicht mehr ankommen.
Da neue widerspruchsfreie Feststellungen, die einer Verurteilung wegen versuchten Totschlags entgegenstehen, nicht ausgeschlossen sind, kann der
Senat den Schuldspruch nicht selbst ändern. Die Sache bedarf daher insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung.
2. Zur Revision des Angeklagten:

a) Es mag dahinstehen, ob die Feststellungen des Landgerichts die Annahme erheblich verminderter Schuldfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit tragen. Denn dies belastet ihn nicht.
Es ist frei von Rechtfehlern, daß die Strafkammer trotz verminderter Schuldfähigkeit davon abgesehen hat, den Strafrahmen gemäß §§ 21, 49 Abs. 1 StGB zu verschieben. Dies steht in Einklang mit Tendenzen der neueren Rechtsprechung zur Bewertung zu verantwortender Trunkenheit in diesem Zusammenhang (vgl. BGH NStZ 2003, 480; BGHR § 21 Strafrahmenverschiebung 32; BGH, Beschluß vom 17. August 2004 - 5 StR 93/04 -).
Der Tatrichter entscheidet über die fakultative Strafrahmenverschiebung aufgrund einer Gesamtabwägung aller schuldrelevanten Gesichtspunkte. Beruht die erheblich verminderte Schuldfähigkeit auf zu verantwortender Trunkenheit , spricht dies allerdings auch ohne einschlägige Vorverurteilungen in der Regel gegen eine Verschiebung des Strafrahmens. Einer umfassenden Darstellung aller in die Abwägung einzubeziehenden Umstände in den schriftlichen Urteilsgründen bedarf es nur in Ausnahmefällen. Es genügt die Mitteilung der ausschlaggebenden Aspekte. Revisionsrechtlicher Überprüfung ist die Entscheidung über die fakultative Strafrahmenverschiebung nur eingeschränkt zugänglich; insoweit steht dem Tatrichter ein weiter Ermessensspielraum zu. Diesen respektiert der Senat.
Die knappe, auf die Mitteilung der wesentlichen Umstände beschränkte Begründung der Strafkammer zur Ablehnung der fakultativen Strafrahmenver-
schiebung gemäß §§ 21, 49 Abs. 1 StGB genügt hier zur revisionsrechtlichen Bewertung, daß ein Ermessensfehlgebrauch auszuschließen ist.

b) Auch im übrigen ergab die sachlichrechtliche Überprüfung des Urteils keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten.
Nack Kolz Hebenstreit Elf Graf

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

(1) Ist eine Milderung nach dieser Vorschrift vorgeschrieben oder zugelassen, so gilt für die Milderung folgendes:

1.
An die Stelle von lebenslanger Freiheitsstrafe tritt Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren.
2.
Bei zeitiger Freiheitsstrafe darf höchstens auf drei Viertel des angedrohten Höchstmaßes erkannt werden. Bei Geldstrafe gilt dasselbe für die Höchstzahl der Tagessätze.
3.
Das erhöhte Mindestmaß einer Freiheitsstrafe ermäßigt sichim Falle eines Mindestmaßes von zehn oder fünf Jahren auf zwei Jahre,im Falle eines Mindestmaßes von drei oder zwei Jahren auf sechs Monate,im Falle eines Mindestmaßes von einem Jahr auf drei Monate,im übrigen auf das gesetzliche Mindestmaß.

(2) Darf das Gericht nach einem Gesetz, das auf diese Vorschrift verweist, die Strafe nach seinem Ermessen mildern, so kann es bis zum gesetzlichen Mindestmaß der angedrohten Strafe herabgehen oder statt auf Freiheitsstrafe auf Geldstrafe erkennen.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 105/13
vom
23. April 2013
in der Strafsache
gegen
wegen schweren räuberischen Diebstahls u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 23. April 2013 beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 4. Dezember 2012 gemäß § 349 Abs. 4 StPO aufgehoben:
a) im Schuldspruch wegen der Tat zu II. 3. der Urteilsgründe,
b) im Ausspruch über die Einzelstrafen mit den zugehörigen Feststellungen wegen der Taten II. 2. und 4. der Urteilsgründe ,
c) im Gesamtstrafenausspruch. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen besonders schweren räuberischen Diebstahls, wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Beleidigung, wegen Körperverletzung in Tateinheit mit versuchter gefährlicher Körperverletzung, mit Beleidigung und mit Sachbeschädigung sowie wegen Beleidigung in sieben tateinheitlichen Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und neun Monaten verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklag- te mit seiner auf die Verletzung materiellen Rechts gestützten Rüge. Sein Rechtsmittel hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg und ist im Übrigen aus den vom Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift dargelegten Gründen gemäß § 349 Abs. 2 StPO unbegründet.
2
1. Die Verurteilung wegen der Tat zu II. 3. der Urteilsgründe kann keinen Bestand haben.
3
Nach den Feststellungen gab der Angeklagte unter dem Einfluss von Alkohol und Drogen gegen Ausländer gerichtete beleidigende Äußerungen ab. Anschließend schlug er auf den Geschädigten A. ein und versuchte , diesen mit einem Messer in den Hals zu stechen, was ihm wegen einer Ausweichbewegung des Geschädigten nicht gelang. Als der Geschädigte sich entfernte, trat der Angeklagte gegen dessen Fahrrad, wodurch dieses Beschädigungen davontrug. Als der Geschädigte sich wieder näherte, versetzte ihm der Angeklagte einen weiteren Schlag in das Gesicht.
4
Ausgehend hiervon kann die Verurteilung wegen Beleidigung keinen Bestand haben. Es erschließt sich nicht, in welcher Handlung das Landgericht die den Tatbestand erfüllende Handlung des Angeklagten sieht. Soweit die beleidigenden Äußerungen gegen Ausländer erfasst sein sollten, fehlte es an dem gemäß § 194 Abs. 1 Satz 1 StGB erforderlichen Strafantrag eines Verletzten und mithin an einer Verfahrensvoraussetzung. Sollte hingegen der Geschädigte A. als Verletzter der Beleidigung anzusehen sein, wäre auch hierdurch der Tatbestand eines Beleidigungsdelikts nicht hinreichend belegt. Zwar hat dieser Geschädigte rechtzeitig Strafantrag wegen Beleidigung gestellt, jedoch lässt sich den Feststellungen keine ehrverletzende Äußerung zu seinen Lasten entnehmen. Der Senat kann auch nicht ausreichend sicher erkennen, dass das Landgericht in den körperverletzenden Handlungen zugleich eine konkludente Beleidigung gesehen hat, da es einen ehrverletzenden Charakter des Angriffs (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 5. März 2009 - 4 StR 594/08, NStZ-RR 2009, 172) nicht festgestellt hat.
5
Der aufgezeigte Mangel zwingt zur Aufhebung der für sich genommen rechtlich nicht zu beanstandenden tateinheitlichen Verurteilung wegen vorsätzlicher Körperverletzung, versuchter gefährlicher Körperverletzung und Sachbeschädigung. Dem Senat erscheint aber möglich, dass noch entsprechende Feststellungen getroffen werden können, die den Schuldspruch auch wegen Beleidigung zu Lasten des Geschädigten A. tragen. Der Aufhebung der bisherigen rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen bedurfte es nicht.
6
2. Die Strafaussprüche wegen der Taten zu II. 2. und 4. der Urteilsgründe können ebenfalls keinen Bestand haben.
7
Das Landgericht hat in diesen Fällen nicht auszuschließen vermocht, dass der Angeklagte aufgrund „fast immer vorhandener deutlicher Alkoholisierung“ in seiner Steuerungsfähigkeit erheblich beeinträchtigt gewesen sei. An- ders als bei der Tat zu II. 1., bei der das Vorliegen des vertypten Milderungsgrundes nach § 21 StGB mit bestimmendem Gewicht zur Annahme eines minder schweren Falls nach § 250 Abs. 3 StGB geführt hat, hat es für die Taten zu II. 2. und 3. nicht ersichtlich erwogen, ob dies zur Annahme eines minder schweren Falles nach § 224 Abs. 1 Alt. 2 StGB führen könnte. Eine Strafrahmenverschiebung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB hat es für diese beiden Taten genauso abgelehnt wie für die Tat zu II. 4., da angesichts der zahlreichen Gewaltdelikte des Angeklagten dieser um seine Bereitschaft, sehr schnell gewalttätig zu werden, gewusst habe.
8
Diese Strafrahmenbestimmung hält revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand.
9
Zwar können Umstände, die die Schuld erhöhen, zur Versagung der Strafrahmenverschiebung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB führen, wenn sie die infolge der Herabsetzung der Steuerungsfähigkeit verminderte Tatschuld aufwiegen. Dies kann - wovon die Strafkammer zutreffend ausgeht - bei einer alkoholbedingten Verminderung der Schuldfähigkeit der Fall sein, wenn der Täter wusste, dass er unter Alkoholeinfluss zu strafbaren Verhaltensweisen neigt, aber trotzdem Alkohol trinkt. Die Strafkammer hat aber nicht erkennbar bedacht , dass das nur gilt, wenn die verminderte Schuldfähigkeit auf einer selbst zu verantwortenden, verschuldeten Trunkenheit beruht, die dem Täter uneingeschränkt vorwerfbar ist. Ein die Steuerungsfähigkeit erheblich beeinträchtigender Alkoholrausch ist aber dann nicht verschuldet, wenn der Täter alkoholkrank oder alkoholüberempfindlich ist. Eine Alkoholerkrankung, bei der schon die Alkoholaufnahme nicht als ein die Schuld erhöhender Umstand zu werten ist, liegt regelmäßig vor, wenn der Täter den Alkohol aufgrund eines unwiderstehlichen oder ihn weitgehend beherrschenden Hanges trinkt, der seine Fähigkeit, der Versuchung zum übermäßigen Alkoholkonsum zu widerstehen, einschränkt (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 2. August 2012 - 3 StR 216/12).
10
Die Ausführungen des Landgerichts lassen es als nahe liegend erscheinen , dass der Angeklagte im dargestellten Sinne alkoholkrank war. Denn die Strafkammer stellt dem Sachverständigen folgend fest, dass beim Angeklagten eine schwere Abhängigkeit von Alkohol und Opiaten vorliegt, welche im Laufe der Jahre zu schweren Persönlichkeitsveränderungen geführt hat. Seit seinem 15. Lebensjahr konsumiert der heute 46 Jahre alte Angeklagte Alkohol in erheblichen Mengen, später auch härtere Drogen. Mehrere Entziehungstherapien blieben erfolglos. Der Angeklagte ist auf Dauer arbeitsunfähig. Straftaten unter Alkohol sind seit 1983 immer wieder dokumentiert. Vor diesem Hintergrund hätte sich die Strafkammer mit der Frage einer krankhaften Alkoholsucht näher auseinandersetzen müssen (vgl. BGH aaO; Urteil vom 12. Juni 2008 - 3 StR 84/08, NStZ 2009, 258; Beschluss vom 3. Februar 2011 - 4 StR 673/10).
11
Der Schuldspruch wird von dem Rechtsfehler nicht berührt. Der Senat kann vielmehr ausschließen, dass der Angeklagte bei der Tatbegehung schuldunfähig war.
12
3. Die Aufhebung des Schuldspruchs für die Tat zu II. 3. und der Einzelstrafen für die Taten zu II. 2. und 4. zieht die Aufhebung der Gesamtstrafe nach sich.
Wahl Rothfuß Graf Cirener Zeng

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 S t R 6 5 / 1 4
vom
25. März 2014
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Totschlags u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 25. März 2014 gemäß § 349
Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 10. Oktober 2013
a) im Fall 1 der Urteilsgründe im Strafausspruch und
b) im Gesamtstrafenausspruch aufgehoben. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und Körperverletzung (Tat 2) sowie wegen einer weiteren gefährlichen Körperverletzung (Tat 1) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt und eine Adhäsionsentscheidung getroffen. Sein Rechtsmittel führt mit der Sachrüge zur Aufhebung der für die Tat 1 festgesetzten Einzelstrafe und der gebildeten Gesamtstrafe; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

I.

2
Das Landgericht hat festgestellt, dass sich der Angeklagte im Fall 1 der Urteilsgründe zunächst mit Bekannten auf dem Altstadtfest in H. aufhielt, später aber allein in den E. garten ging und sich dort hinsetzte , da er befürchtete, aufgrund seiner Alkoholisierung bei einem weiteren Aufenthalt auf dem Altstadtfest Unruhe zu stiften. Von ihm unabhängig gelangte auch der Zeuge O. , mit dem der Angeklagte vorher zusammen war, dorthin. O. geriet im E. garten in eine eher zufällige Auseinandersetzung mit dem späteren Geschädigten A. . Als diese durch das Einschreiten anderer Personen bereits beendet war, näherte sich der Angeklagte, der das Geschehen wohl beobachtet hatte, und schlug den Geschädigten völlig überraschend mit der Faust zu Boden. Danach trat er mindestens einmal gegen den Kopf des am Boden liegenden Geschädigten, wobei der Tritt generell geeignet war, das Leben des Geschädigten zu gefährden. Bei seinem Vorgehen war nach den getroffenen Feststellungen wegen der Alkoholisierung des Angeklagten zwar seine Einsichtsfähigkeit im Sinne von § 21 StGB weder erheblich vermindert oder aufgehoben, jedoch seine Fähigkeit, nach dieser Einsicht zu handeln, erheblich vermindert.
3
Das Landgericht hat wegen dieser Tat den Regelstrafrahmen des § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB zugrunde gelegt und einen minder schweren Fall aufgrund der Umstände des Tatbildes abgelehnt. Eine Milderung gemäß § 21 StGB hat es erkennbar nicht geprüft.

II.


4
1. Ob bei Annahme des § 21 StGB eine Milderung vorzunehmen oder zu versagen ist, hat der Tatrichter unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden. Dabei ist bei verminderter Schuldfähigkeit grundsätzlich davon auszugehen, dass der Schuldgehalt der Tat verringert ist, so dass eine Strafrahmenmilderung vorzunehmen ist, wenn nicht andere, schulderhöhende Gesichtspunkte dem entgegenstehen (BGH, Urteil vom 15. Februar 2006 – 2 StR 419/05, BGHR StGB § 21 Strafrahmenverschiebung 40; Urteil vom 26. Mai 2004 – 2 StR 386/03, NStZ 2004, 619; st. Rspr.).
5
2. Aus den Urteilsgründen ergibt sich vorliegend nicht, warum die Strafkammer bezüglich der Tat 1 den Strafrahmen des § 224 Abs. 1 StGB nicht gemäß §§ 21, 49 Abs. 1 StGB gemildert oder unter Berücksichtigung des § 21 StGB keinen minder schweren Fall des § 224 Abs. 1 StGB angenommen hat.
6
Zwar führt die erheblich verminderte Schuldfähigkeit eines Täters nach § 21 StGB nicht zwingend, sondern nur fakultativ zu einer Strafrahmenmilderung. So kann nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine Strafrahmenverschiebung u.U. dann abgelehnt werden, wenn der Täter schon früher unter Alkoholeinfluss straffällig geworden ist und deshalb wusste, dass er in einem solchen Zustand zu Straftaten neigt (BGH, Urteil vom 15. Februar 2006 – 2 StR 419/05, BGHR StGB § 21 Strafrahmenverschiebung 40; Urteil vom 30. Oktober 1986 – 4 StR 501/86; Beschluss vom 9. Dezember 1986 – 4 StR 658/86, BGHR StGB § 21 Strafrahmenverschiebung 6). Von der Strafmilderung kann weiterhin auch dann abgesehen werden, wenn die nach § 21 StGB geringere Schuld durch anderweite schulderhöhende Momente ausgeglichen wird (BGH, Beschluss vom 18. Juni 1985 – 4 StR 232/85). Allein der Umstand, dass der Angeklagte das Altstadtfest verließ und in den E. garten ging, da er befürchtete, aufgrund seiner Alkoholisierung bei einem weiteren Aufenthalt auf dem Altstadtfest Unruhe zu stiften, muss nicht zwingend zur Versagung der Milderungsmöglichkeit führen, weil der Angeklagte sich gerade an einen vermeintlich ruhigeren Platz zurückzog, um Auseinandersetzungen zu vermeiden.
7
3. Da somit nicht erkennbar ist, warum hier - anders als im Fall 2 der Urteilsgründe - eine Berücksichtigung des § 21 StGB unterblieben ist, waren der diesbezügliche Strafausspruch sowie die damit gebildete Gesamtfreiheitsstrafe aufzuheben. Raum Graf Cirener RiBGH Prof. Dr. Radtke befindet sich im Urlaub und ist deshalb an der Unterschriftsleistung gehindert. Raum Mosbacher

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 233/04
vom
16. September 2004
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 16. September
2004, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl
als Vorsitzender
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Boetticher,
Schluckebier,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Elf,
der Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Graf,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
in Begleitung von Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Regensburg vom 22. Januar 2004 mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten dieses Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die Revision des Angeklagten wird verworfen. 4. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels sowie die hierdurch im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen der Nebenklägerin zu tragen.

Von Rechts wegen

Gründe:


Das Landgericht hat den Angeklagten wegen tateinheitl ich begangener zweifacher gefährlicher Körperverletzung mit tateinheitlich begangener zweifacher versuchter gefährlicher Körperverletzung mit Widerstand gegen Vollstrekkungsbeamte und unerlaubtem Besitz von Schußwaffen zu einer Freiheitsstrafe
von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die Staatsanwaltschaft erstrebt mit ihrer auf die Sachrüge gestützten Revision eine Verurteilung des Angeklagten auch wegen versuchten Totschlags. Das Rechtsmittel hat Erfolg. Dagegen ist die Revision des Angeklagten unbegründet.

I.


Die Revision der Staatsanwaltschaft
1. Die Begründung, mit welcher das Landgericht einen bedingten Tötungsvorsatz ausgeschlossen hat, begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
Nach den Feststellungen gab der Angeklagte, der sich durch seine Nachbarin und drei weitere Frauen in seiner Nachtruhe gestört fühlte und diese vertreiben wollte, vom Fenster seines im Erdgeschoß gelegenen Schlafzimmers mit einem halbautomatischen Selbstladegewehr Kaliber 22 aus der Hüfte heraus in schneller Folge sechs Schüsse auf die rund 27 Meter entfernten Frauen ab. Eine der Frauen wurde durch einen Geschoßsplitter von einem Abpraller am rechten Oberschenkel verletzt; eine Frau erlitt einen Durchschuß am rechten Fuß. Die beiden anderen Frauen wurden nicht getroffen. Die durch einen Ingenieur für Waffentechnik sachverständig beratene Strafkammer hat sich davon überzeugt, daß die Flugbahnen von insgesamt fünf Geschossen - einschließlich eines Pfostenschusses - in Richtung der Personengruppe verliefen. Die Geschoßwirkung reichte aus, um auf eine Entfernung von 25 Metern zwei hintereinander eingespannte Holzbretter von jeweils 20 mm zu durchschlagen. Aufgrund eines Treffers an einem Betonpfosten in Höhe von rund
1,10 Meter sowie des Spurenbildes der übrigen Einschüsse hat die Strafkammer ausgeschlossen, daß der Angeklagte in den Boden schießen wollte, um die Frauen zu vertreiben. Aufgrund der festgestellten Umstände habe es der Angeklagte nicht in der Hand gehabt, wo und wie er getroffen habe.
Wenn das Landgericht bei dieser Sachlage von bedingtem Körperverletzungsvorsatz ausgegangen ist, weil der Angeklagte trotz der festgestellten Alkoholisierung (BAK maximal 2,18 o/oo) erkannt hatte, daß ein Feuern mit dem Kleinkalibergewehr auf die Frauen die körperliche Unversehrtheit dieser Personen verletzen konnte und dies billigend in Kauf nahm, ist nicht ersichtlich, warum er trotz Kenntnis von der Gefährlichkeit seines Handelns die Gefahr des Todes der Frauen nicht erkannt haben könnte. Wer - wie der im Umgang mit Schußwaffen und deren Wirkungen vertraute Angeklagte - sich dessen bewußt war, daß bei der gegebenen Vorgehensweise das Trefferbild unklar sein würde und deshalb die abgefeuerten Projektile ohne weiteres die im Einwirkungsbereich der Schüsse befindlichen Personen treffen konnten, weiß auch um deren mögliche tödliche Wirkung.
Die Auffassung des Landgerichts, dem Angeklagten sei nur bedingter Körperverletzungsvorsatz nachzuweisen, läßt besorgen, daß es sich zwar von dem für den bedingten Tötungsvorsatz notwendigen Wissenselement überzeugt hat, aber zu hohe Anforderungen an das Vorliegen des Willenselements gestellt hat. Denn nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs wird in der Regel das Vertrauen auf ein Ausbleiben des tödlichen Erfolges dann zu verneinen sein, wenn der vorgestellte Ablauf eines Geschehens einem tödlichen Ausgang so nahe ist, daß nur noch ein glücklicher Zufall diesen verhindern kann (vgl. nur BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 38).

2. Soweit das Landgericht bei der Verneinung bedingten Tötungsvorsatzes darauf abstellt, daß der Angeklagte "deutlich minderbegabt ist", erhellt sich nicht, was damit konkret zum Ausdruck gebracht werden soll. Nach den Ausführungen des in der Hauptverhandlung gehörten psychiatrischen Sachverständigen wirkt der Angeklagte deutlich minderbegabt, wobei die Minderbegabung jedoch nicht ein Ausmaß erreiche, daß auf Grund dieser eine verminderte Steuerungsfähigkeit i. S. d. § 21 StGB anzunehmen sei. Eine vorhandene Minderbegabung spielt, was allgemein die Schuld betrifft, jedoch keine Rolle. Sie kann strafrechtlich nur dann von Bedeutung sein, wenn sie sich auf die konkrete Tat ausgewirkt hat. Hierfür gibt es bei dem im Umgang mit Waffen vertrauten Angeklagten, der auch die Tatwaffe in den vergangenen Jahren dazu benutzt hatte, Jagd auf Greifvögel zu machen, keinen Anhalt.
3. Zu den Einwendungen der Staatsanwaltschaft gegen den Strafausspruch , insbesondere zu dem Vorbringen, das Landgericht habe zu Unrecht von der Möglichkeit der Strafrahmenverschiebung nach § 21, 49 Abs. 1 StGB Gebrauch gemacht, bemerkt der Senat:

a) Rechtliche Bedenken bestehen bereits gegen die Annahme, der Angeklagte sei schon deshalb in seiner Steuerungsfähigkeit alkoholbedingt erheblich vermindert gewesen, weil bei ihm eine BAK von maximal 2,18 o/oo festgestellt und die einschreitenden Polizeibeamten den Eindruck hatten, der Angeklagte sei stark alkoholisiert. Diese Ausführungen lassen besorgen, daß die Strafkammer nicht die nach der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs geforderte umfassende Gesamtwürdigung zu der Frage vorgenommen hat, ob beim Angeklagten unter Berücksichtigung der Vorgeschichte der
Tat, seines Verhaltens vor, während und nach der Tat und seiner Alkoholgewöhnung zur Tatzeit eine durch Alkoholrausch bedingte krankhafte seelische Störung vorgelegen hat (BGHSt 43, 66, 69). Es fehlt nicht nur eine nähere Auseinandersetzung mit den Trinkgewohnheiten des Angeklagten, sondern den Urteilsgründen sind auch keine Ausführungen zur Vorgeschichte der Tat und zum Einfluß des Alkohols auf das Leistungsverhalten bei der Tatbegehung und das Nachtatverhalten zu entnehmen. Den bisherigen Feststellungen ist nur zu entnehmen, daß der Angeklagte pro Woche ca. einen Kasten Bier trinkt, und daß der Tat über längere Zeit nachbarschaftliche Streitigkeiten vorausgegangen sind. Andererseits verhielt sich der Angeklagte, der nach den Feststellungen zunächst geschlafen hatte, kurz nach der Tat noch situationsadäquat.

b) Das Urteil läßt auch nicht erkennen, daß sich die Strafkammer bewußt war, daß es sich bei der Frage, ob eine Verminderung der Steuerungsfähigkeit erheblich im Sinne des § 21 StGB ist, um eine Rechtsfrage handelt, die der Tatrichter - ohne Bindung an Äußerungen von Sachver ständigen - in eigener Verantwortung zu beantworten hat (BGHSt aaO S. 77).

c) Bei der weiteren Entscheidung, ob bei Vorliegen erheblich verminderter Schuld eine Strafrahmenverschiebung nach § 49 Abs. 1 StGB vorgenommen werden soll, hat die Strafkammer zwar erörtert, daß eine Schuldmilderung dann ausgeschlossen sein kann, wenn die erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit des Täters auf verschuldeter Trunkenheit beruht (vgl. dazu BGHSt aaO S. 77 f.). Sie hat aber eine verschuldete Trunkenheit mit der Begründung verneint, der Angeklagte sei nicht in der Lage gewesen, die mit der Alkoholisierung einhergehende Gefährdung der Allgemeinheit richtig einzuschätzen : "Die Minderbegabung des Angeklagten hinderte diesen daran, bei
Aufnahme des Alkohols die Gefahren zu erkennen, die mit der Aufnahme verbunden sind." Dieser Schluß der Kammer wird weder von den bisherigen Feststellungen getragen noch entspricht er der Lebenserfahrung. Nach den bisher mitgeteilten persönlichen Verhältnissen hat der fast 70 Jahre alte Angeklagte sein bisheriges Leben durchaus gemeistert. Er ist bisher nicht vorbestraft und hat ein rechtschaffendes Berufsleben als Pflasterer und als Busfahrer geführt. In seiner Freizeit beschäftigte er sich mit der Bienen- und Taubenzucht und gehörte lange Jahre dem Schützenverein an. Ohne nähere Darlegung über das Ausmaß und den Einfluß einer Minderbegabung auf die Lebensgestaltung des Angeklagten liegt es nach dem bisher mitgeteilten Lebenslauf eher nahe, daß der Angeklagte - wie jedermann - die Gefahren des Alkohols kennt.
4. Die nach Zurückweisung der Sache nunmehr zur Entscheidung berufene Strafkammer wird Gelegenheit haben, das Vorliegen der Voraussetzungen des § 21 StGB neu zu prüfen und die Gründe für die zu Gunsten des Angeklagten vorgenommene Strafrahmenverschiebung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB näher darzulegen. Im übrigen wird zu erwägen sein, ob nach den getroffenen Feststellungen nicht nur - wie vom Landgericht angenommen - die Qualifikation des § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB erfüllt ist, sondern auch die Voraussetzungen für die (versuchte) gefährliche Körperverletzung mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung i. S. d. § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB vorliegen.

II.


Die Revision des Angeklagten
Die Nachprüfung des Urteils auf die Rüge der Verletzun g materiellen
Rechts hat keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler ergeben. 1. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers tragen die fehlerfrei getroffenen Feststellungen den Schuldspruch.

a) Das Landgericht hat die Einlassung des Angeklagten, er habe nur in den Boden schießen wollen, um die Frauen zu vertreiben, für widerlegt erachtet. Die dem zugrundeliegenden Beweiserwägungen beruhen auf einer tragfähigen Tatsachengrundlage.
Nach den Feststellungen hatte der im Umgang mit Schußwaffen geübte Angeklagte von seinem Standort an dem - wie sich aus den gemäß § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO in Bezug genommenen Lichtbildern ergibt - im Erdgeschoß seines Anwesens befindlichen Schlafzimmerfenster freien Blick auf die rund 27 Meter entfernte Gartenbank, in deren Bereich sich die vier Tatopfer aufhielten. Das Landgericht hat weiter festgestellt, daß der Angeklagte auf Grund der örtlichen Gegebenheiten ohne weiteres in der Lage gewesen wäre, in sehr kurzer Entfernung vor seinem Schlafzimmerfenster in den Boden zu feuern, wenn es ihm nur darauf angekommen wäre, die Frauen zu vertreiben. Der Angeklagte gab gleichwohl aus der Hüfte in schneller Folge sechs Schüsse in Richtung der Frauengruppe ab. Die Einschußbeschädigungen fanden sich überwiegend im Bereich der Gartenbank und der benachbarten Haustüre. Die Geschädigte H. erlitt einen direkten Durchschuß am Fuß, die Geschädigte S. wurde durch einen Geschoßsplitter am Oberschenkel verletzt. Dies steIlt eine ausreichende Tatsachengrundlage für die Überzeugung der Strafkammer dar, daß der zwar alkoholisierte, sich jedoch gegenüber den wenig später eintreffenden Polizeibeamten situationsangemessen verhaltende Angeklagte bewußt auf die vier Frauen geschossen und billigend in Kauf genommen hat, diese zu
verletzen.

b) Daß das Landgericht insoweit nur (versuchte) gefährliche Körperverletzungen mittels einer Waffe (§ 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB), nicht dagegen auch mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung (§ 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB) angenommen hat, beschwert den Angeklagten nicht.

c) Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers hat das Landgericht zu Recht Widerstand in einem besonders schweren Fall nach § 113 Abs. 2 Nr. 1 StGB angenommen. Der Täter verwendet die Waffe schon dann, wenn er sie zur Drohung mit Gewalt einsetzt (BGHSt 27, 176, 180). Im übrigen hat das Landgericht der Erfüllung des Regelbeispiels im Hinblick auf den geringen Unwert der Tat für die "tateinheitlich auszusprechende Strafe" ausdrücklich kein Gewicht beigemessen.
2. Die Strafzumessung bewegt sich innerhalb des dem Tatrichter eingeräumten Beurteilungsspielraums und weist keinen Rechtsfehler auf.
Wahl Boetticher Schluckebier Richterin am BGH Elf ist wegen Urlaubs an der Unterschriftsleistung gehindert. Wahl Graf

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 254/04
vom
19. Oktober 2004
in der Strafsache
gegen
wegen schwerer Körperverletzung
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 19. Oktober
2004, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Kolz,
Hebenstreit,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Elf,
der Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Graf,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt und Rechtsanwältin
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 1. Dezember 2003 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die Revision des Angeklagten gegen das oben benannte Urteil wird verworfen. Der Angeklagte trägt die Kosten seines Rechtsmittels und die hierdurch dem Nebenkläger entstandenen notwendigen Auslagen.

Von Rechts wegen

Gründe:


I.

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer Körperverletzung gemäß § 226 Abs. 1 Nr. 3 StGB zu der Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. An einem Schuldspruch wegen versuchten Totschlags sah sich die Straf-
kammer wegen Rücktritts des Angeklagten gehindert. Die Darlegungen hierzu beanstandet die Staatsanwaltschaft unter Erhebung der Sachrüge mit Erfolg. Der Angeklagte rügt ebenfalls die Verletzung materiellen Rechts. Die Strafkammer habe insbesondere zu Unrecht davon abgesehen, bei dem zur Tatzeit alkoholbedingt nicht ausschließbar erheblich vermindert schuldfähigen Angeklagten den Strafrahmen gemäß §§ 21, 49 Abs. 1 StGB herabzusetzen. Der Revision des Angeklagten bleibt der Erfolg versagt.

II.


Die Strafkammer hat festgestellt:
Am Abend des 23. Dezember 2002 begab sich der damals 39jährige Angeklagte nach dem Besuch einer Pilsbar in Nürnberg nach R. in die ihm vertraute Gaststätte "F. " und "nervte" dort die Gäste mit seinen Sprüchen. Mit dem späteren Geschädigten, dem Zeugen W. , den er lange kannte und neben den er sich schließlich gesetzt hatte, unterhielt er sich über alte Zeiten. Dabei - es war inzwischen 23.30 Uhr geworden - bezeichnete der Angeklagte den Zeugen W. wegen eines ca. zwanzig Jahre zurückliegenden Vorfalls in der Jugendgruppe, der beide angehörten, als Verräter, ohne daß der Zeuge W. dies jedoch sonderlich ernst nahm. Da der Angeklagte der Aufforderung, damit aufzuhören, nicht nachkam, und stattdessen weiter insistierte, drehte sich W. mit den Worten "laß mich doch in Ruhe" und mit einer abwehrenden Handbewegung, die das Gesicht des Angeklagten streifte, einfach weg. Über dieses Desinteresse geriet der Angeklagte in Wut. Er nahm W. , zunächst noch sitzend, mit dem linken Arm in den "Schwitzkasten", aus dem dieser sich vergeblich herauszuwinden versuchte. Als der Angeklagte im
Verlauf der Rangelei mit dem Geschädigten im Arm aufstand, fiel - auch - das Weizenbierglas des Angeklagten um und zerbrach. Schließlich zog der Angeklagte den nach wie vor im "Schwitzkastengriff" gehaltenen, wegen Ausrutschens kurzzeitig weggesackten Geschädigten mit dem linken Arm unter dem Kinn erneut hoch - dessen Hals war deshalb gestreckt -, ergriff mit der rechten Hand den scharfkantigen Fuß des zerbrochenen Weizenbierglases und stieß ihm den Glasstumpf von unten mit Wucht vorne in die freie Halsregion. Der Angeklagte fügte dem Zeugen W. eine tiefe, 15 cm lange und stark blutende Stich-Schnittverletzung zu. Dies hätte, obwohl kein großes Halsgefäß verletzt wurde, ohne schnellen Wundverschluß zu einem tödlichen Blutverlust führen können. "Ohne daß er von dem Geschädigten durch Abwehrbewegungen oder durch die anderen Anwesenden oder sonst durch einen Umstand am weiteren Zustechen gehindert worden wäre, stach der Angeklagte nicht mehr auf den Geschädigten ein, sondern ließ den Glasstumpf fallen. Er hielt den Geschädigten jedoch weiterhin im 'Schwitzkasten', wobei der verletzte Halsbereich verdeckt war. Dem Angeklagten war bei der Ausführung des Stiches mit dem Glasstumpf klar, daß er mit dem von ihm geführten Stich in den Hals den Geschädigten auch tödlich verletzen konnte. Diese Folge nahm er billigend in Kauf. Der Angeklagte, der zwar wußte, daß er den Geschädigten am Hals verletzt hatte, ging jedoch zu diesem Zeitpunkt, als er die Wunde noch nicht sah, nicht davon aus, daß die Verletzung des Geschädigten lebensgefährlich oder gar tödlich war." Von der Wirtin am linken Arm gezogen, ließ der Angeklagte den Geschädigten dann los. Andere Gäste ergriffen erste Hilfsmaßnahmen. Die Wirtin rief den Notarzt. Der Geschädigte wurde ins Krankenhaus verbracht und sofort operiert. Wegen Verletzung der entsprechenden Muskelpartien hat er nach wie vor Schluck- und Sprechbeschwerden. Die Narbe am Hals wird den Geschädigten dauerhaft entstellen.

Im Verlauf des Abends hatte der Angeklagte vier Pils, fünf Gläser Weizenbier und drei Schnäpse getrunken. Seine Blutalkoholkonzentration betrug zur Tatzeit maximal 2,25 Promille. Der vereinsamte, arbeitslose Angeklagte ist trinkgewohnt. Er, so stellt die Strafkammer seinen Angaben folgend fest, hat vor der Tat ein bis zweimal wöchentlich - jedoch immer nach der Arbeit - Alkohol in größeren Mengen zu sich genommen. Im Zeitraum von 1998 bis 2002 befand er sich insgesamt sechs Mal zur Ausnüchterung in Polizeigewahrsam. Nach dem Tatgeschehen hat der Angeklagte seinen Alkoholkonsum eingeschränkt , was ihm, so ließ er sich ein, nicht schwer gefallen sei, da er keinen Alkohol brauche. Die sachverständig beratene Strafkammer konnte alkoholbedingte erheblich verminderte Schuldfähigkeit des Angeklagten zum Tatzeitpunkt nicht ausschließen. Eine Alkoholabhängigkeit, einen Hang, alkoholische Getränke im Übermaß zu sich zu nehmen, verneint sie. Vorbestraft ist der Angeklagte nicht.

III.


1. Zur Revision der Staatsanwaltschaft:
Der Senat verkennt nicht, daß sich die Strafkammer von dem Bemühen leiten ließ, der Tat und dem Täter bei der Bewertung des Geschehens und insbesondere im Rechtsfolgenausspruch gerecht zu werden. Die Darlegungen der Strafkammer zum strafbefreienden Rücktritt des Angeklagten vom Tötungsversuch tragen gleichwohl nicht.
Zutreffend hat die Strafkammer für die Abgrenzung des unbeendeten vom beendeten Versuch und damit für die Voraussetzungen strafbefreienden Rücktritts gemäß § 24 Abs. 1 1. Alt. StGB - denn zur Rettung des Geschädigten beizutragen , hatte der Angeklagte nichts beigetragen (§ 24 Abs. 1 2. Alt. StGB) und sich darum auch nicht bemüht (§ 24 Abs. 2 StGB) - darauf abgestellt, ob der Angeklagte nach der letzten von ihm vorgenommenen Ausführungshandlung den Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolgs für möglich hielt - sogenannter Rücktrittshorizont - (seit BGHSt 31, 170; vgl. Tröndle/Fischer StGB 52. Aufl. § 24 Rdn. 15). Das Landgericht hat dies verneint. Die Strafkammer hat dabei nicht verkannt, daß bei dem mit bedingtem Tötungsvorsatz handelnden Täter Umstände festgestellt werden müssen, welche die Wertung des Gerichts rechtfertigen , der Täter habe bei Beendigung der Tathandlung einen tödlichen Erfolg nicht (mehr) für möglich gehalten (BGH - Senat - NStZ 1999, 299). Die Feststellungen hierzu sind jedoch nicht frei von Widersprüchen.
Die fehlende Vorstellung des Angeklagten von möglicherweise lebensgefährlichen Verletzungen nach der Beifügung des Stichs hat die Strafkammer allein daraus gefolgert, daß der Angeklagte zu diesem Zeitpunkt die Wunde noch nicht gesehen hatte. Der allein hieraus gezogene Schluß steht aber im Widerspruch zu den Feststellungen der Strafkammer zum übrigen Tatgeschehen. Danach bedurfte es nicht erst eines Blicks auf die Wunde, um beim Angeklagten das Bewußtsein für die möglicherweise tödlichen Folgen seines dem Geschädigten beigefügten Stichs zu wecken beziehungsweise aufrechtzuerhalten.
Wenn der Angeklagte - wie die Strafammer festgestellt hat - den Glasstumpf , gefährlich wie ein Messer, mit Wucht von vorne gegen den von ihm
gestreckten Hals des Geschädigten in dem Bewußtsein, diesen mit dem Zustechen tödlich verletzen zu können, also mit bedingtem Tötungsvorsatz führte, leuchtet es nicht ein, ist es - jedenfalls ohne weitere Darlegungen - nicht ohne weiteres nachvollziehbar, warum der Angeklagte, nachdem er wie beabsichtigt zielgenau getroffen hatte, mit einer tödlichen Folge seines Stichs nun plötzlich nicht mehr gerechnet haben soll. Nach dem Stich mag der Angeklagte über sich selbst erschrocken sein, möglicherweise hielt er deshalb inne. Er mag gewünscht und gehofft haben, daß sein Verhalten doch keine ernsthaften Verletzungen zeitigte. Ein möglicher negativer Ausgang stand ihm gerade dann aber klar vor Augen.
Der Blick auf die Wunde und den am Boden liegenden Geschädigten verschaffte ihm Gewißheit über die tatsächliche Gefahr. Für die Frage des strafbefreienden Rücktritts vom Tötungsversuch hat dies im vorliegenden Fall allerdings keine Relevanz mehr. Zu diesem Zeitpunkt war die für die Entscheidung der Frage, ob aus Sicht des Angeklagten ein beendeter oder ein unbeendeter Versuch vorlag, maßgebende Zeitspanne bereits abgelaufen, denn der Angeklagte hatte keine Angriffsmöglichkeit mehr (vgl. BGHSt 31, 170 [176]; 36, 224 [225]). Der Geschädigte war durch die Umstehenden geschützt. Den Glasstumpf hatte der Angeklagte gleich nach dem ersten Stich fallen lassen. Auf die Frage der - umgekehrten - "Korrektur des Rücktrittshorizonts" (vgl. BGH NStZ 1998, 614) kann es deshalb hier nach den bisherigen Feststellungen der Strafkammer nicht mehr ankommen.
Da neue widerspruchsfreie Feststellungen, die einer Verurteilung wegen versuchten Totschlags entgegenstehen, nicht ausgeschlossen sind, kann der
Senat den Schuldspruch nicht selbst ändern. Die Sache bedarf daher insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung.
2. Zur Revision des Angeklagten:

a) Es mag dahinstehen, ob die Feststellungen des Landgerichts die Annahme erheblich verminderter Schuldfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit tragen. Denn dies belastet ihn nicht.
Es ist frei von Rechtfehlern, daß die Strafkammer trotz verminderter Schuldfähigkeit davon abgesehen hat, den Strafrahmen gemäß §§ 21, 49 Abs. 1 StGB zu verschieben. Dies steht in Einklang mit Tendenzen der neueren Rechtsprechung zur Bewertung zu verantwortender Trunkenheit in diesem Zusammenhang (vgl. BGH NStZ 2003, 480; BGHR § 21 Strafrahmenverschiebung 32; BGH, Beschluß vom 17. August 2004 - 5 StR 93/04 -).
Der Tatrichter entscheidet über die fakultative Strafrahmenverschiebung aufgrund einer Gesamtabwägung aller schuldrelevanten Gesichtspunkte. Beruht die erheblich verminderte Schuldfähigkeit auf zu verantwortender Trunkenheit , spricht dies allerdings auch ohne einschlägige Vorverurteilungen in der Regel gegen eine Verschiebung des Strafrahmens. Einer umfassenden Darstellung aller in die Abwägung einzubeziehenden Umstände in den schriftlichen Urteilsgründen bedarf es nur in Ausnahmefällen. Es genügt die Mitteilung der ausschlaggebenden Aspekte. Revisionsrechtlicher Überprüfung ist die Entscheidung über die fakultative Strafrahmenverschiebung nur eingeschränkt zugänglich; insoweit steht dem Tatrichter ein weiter Ermessensspielraum zu. Diesen respektiert der Senat.
Die knappe, auf die Mitteilung der wesentlichen Umstände beschränkte Begründung der Strafkammer zur Ablehnung der fakultativen Strafrahmenver-
schiebung gemäß §§ 21, 49 Abs. 1 StGB genügt hier zur revisionsrechtlichen Bewertung, daß ein Ermessensfehlgebrauch auszuschließen ist.

b) Auch im übrigen ergab die sachlichrechtliche Überprüfung des Urteils keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten.
Nack Kolz Hebenstreit Elf Graf

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.