Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Urteil, 31. Jan. 2018 - 9 B 17.50039

bei uns veröffentlicht am31.01.2018

Tenor

I. Unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts München vom 4. Oktober 2016 wird der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 18. August 2015 aufgehoben.

II. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger ist sierra-leonischer Staatsangehöriger. Er wurde am 17. Mai 2015 im Bundesgebiet aufgegriffen und stellte am 23. Juli 2015 beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) einen Asylantrag.

Zum Reiseweg gab er an, dass er von Sierra Leone aus über die Türkei, Griechenland, Mazedonien, Serbien, Ungarn und Österreich in die Bundesrepublik Deutschland gelangt sei. Bei der Überprüfung ergab sich ein Eurodac-Treffer für Ungarn; die Übernahmeanfrage an Ungarn vom 1. Juli 2015 blieb unbeantwortet.

Mit Bescheid des Bundesamts vom 18. August 2015 wurde der Antrag des Klägers als unzulässig abgelehnt (1.) und die Abschiebung nach Ungarn angeordnet (2.). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf null Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (3.). Zur Begründung wurde ausgeführt, dass der Asylantrag gemäß § 27a AsylVfG a.F. unzulässig sei, da Ungarn nach Art. 3 Abs. 2 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (ABl. L 180 v. 29.6.2013, S. 31 ff. – Dublin-III-VO) für die Behandlung des Asylantrags zuständig sei. Systemische Mängel des Asylverfahrens- und der Aufnahmebedingungen lägen in Ungarn nicht vor. Der Asylantrag werde daher in der Bundesrepublik Deutschland nicht materiell geprüft.

Am 27. August 2015 erhob der Kläger Klage gegen diesen Bescheid. Zur Begründung wurde vorgetragen, dem Kläger drohten in den ungarischen Aufnahmeeinrichtungen Zustände, die im Hinblick auf Art. 4 EU-Grundrechte Charta nicht hinnehmbar seien. Dem Antrag des Klägers auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage wurde mit Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 3. Dezember 2015 (Az. M 9 S 15.50733) stattgegeben.

Mit Gerichtsbescheid vom 10. August 2016 wies das Verwaltungsgericht die Klage ab. Auf die hiergegen beantragte mündliche Verhandlung wies das Verwaltungsgericht die Klage mit Urteil vom 4. Oktober 2016 ab. Zur Begründung wurde ausgeführt, nach den unionsrechtlichen Rechtsvorschriften sei Ungarn für die Duchführung des Asylverfahrens zuständig. Derzeit sei nicht ernsthaft zu befürchten, dass in Ungarn das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen systemische Mängel aufwiesen. Auf den Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung vom 21. November 2016 hat der Senat mit Beschluss vom 29. September 2017 (Az. 9 ZB 16.50074) die Berufung wegen Abweichung vom Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 23. März 2017 (Az. 13a B 17.50003) zugelassen.

Der Kläger trägt zur Begründung seiner Berufung vor, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen in Ungarn systembezogene Schwachstellen aufwiesen, die eine Rücküberstellung ausschließen würden. Deswegen werde seitens der Bundesrepublik Deutschland seit April 2017 auch tatsächlich nicht mehr nach Ungarn rücküberstellt.

Er beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 4. Oktober 2016, Az. M 9 K 15.50732 sowie den Bescheid des Bundesamts vom 18. August 2015 aufzuheben.

Der Beklagte stellt keinen Antrag. Er hält die Berufung aber für unbegründet, da sich jedenfalls für Dublin-Rückkehrer nicht ohne weiteres im ungarischen Asylsystem und den dortigen Aufnahmebedingungen regelhaft derartige systemische Schwachstellen zeigten, die zur Verfahrenszuständigkeit Deutschlands führen würden.

Zum weiteren Sach- und Streitstand wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der vorgelegten Behördenakte verwiesen.

Gründe

Die Berufung, über die mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden werden kann (§ 101 Abs. 1 VwGO), ist zulässig und begründet (§ 125 Abs. 1 Satz 1, § 128 Satz 1 VwGO), weil die Klage zulässig und begründet ist.

I.

Die Klage ist zulässig. Insbesondere ist die Anfechtungsklage die statthafte Klageart gegen die Ablehnung des Asylantrags als unzulässig und die Anordnung der Abschiebung im angegriffenen Bescheid, wenn es um das Begehren auf Aufhebung der Entscheidung über die Unzuständigkeit Deutschlands für die Prüfung eines Asylantrags nach den unionsrechtlichen Regelungen der Dublin-III-VO geht (vgl. BVerwG, U.v. 27.10.2015 – 1 C 32.14 – juris Rn. 13 zur Dublin-II-VO; BayVGH, U.v. 23.3.2017 – 13a B 17.50003 – juris Rn. 17).

II.

Die Klage ist auch begründet. Nach der im Zeitpunkt der Entscheidung maßgeblichen Sach- und Rechtslage (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 AsylG) ist der Bescheid des Bundesamts rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Zwar folgt aus Art. 7, Art. 13 Abs. 1 Dublin-III-VO zunächst grundsätzlich die Zuständigkeit Ungarns für die Durchführung des Asylverfahrens (1.). Die Überstellung des Klägers nach Ungarn erweist sich aber nach Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin-III-VO als unmöglich, weil wesentliche Gründe für die Annahme bestehen, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in Ungarn systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 EU-Grundrechtecharta mit sich bringen (2.). Dementsprechend ist die Beklagte ihrerseits gemäß Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 3 Dublin-III-VO zuständiger Mitgliedstaat geworden.

1. Nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b AsylG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat auf Grund von anderen Rechtsvorschriften der Europäischen Union als der Dublin-III-Verordnung oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Dies ist hier jedoch nicht der Fall, weil – unabhängig von etwaigen Aufenthalten des Klägers in Griechenland und Österreich – die Jahresfrist des Art. 13 Abs. 1 Satz 2 Dublin-III-VO abgelaufen ist und auch die Fristen für etwaige Gesuche zur Aufnahme oder Wiederaufnahme (Art. 21 Abs. 1 Unterabs. 3, Art. 23 Abs. 3 Dublin-III-VO) an andere Mitgliedstaaten mit Ausnahme vom Ungarn abgelaufen sind.

Nach der Reihenfolge der Kriterien zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats (Art. 7 Dublin-III-VO) wäre der beim Bundesamt gestellte Asylantrag unzulässig (§ 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a AsylG), weil der Kläger nach dem Eurodac-Treffer in Ungarn aus einem Drittstaat kommend die Grenze dieses Mitgliedstaats überschritten hat und die von der Beklagten an Ungarn gestellte Übernahmeanfrage unbeantwortet blieb (Art. 22 Abs. 7 Dublin-III-VO). Zwischen den Beteiligten besteht auch kein Streit über die prinzipielle Zuständigkeit Ungarns.

2. Das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber sowie von Dublin-Rückkehrern in Ungarn leidet jedoch an systemischen Schwachstellen, so dass im Fall der Überstellung/Abschiebung des Klägers nach Ungarn eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung ernsthaft zu befürchten ist.

Mit Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin-III-VO wurde die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zur Verordnung (EG) Nr. 343/2003 vom 18. Februar 2003 (Dublin-II-VO) kodifiziert, nach der ein Asylbewerber der Zuständigkeit eines Mitgliedstaates, der seine Übernahmebereitschaft angezeigt hat, nur entgegentreten konnte, wenn er systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat geltend macht, die ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass er tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i.S.d. Art. 4 EU-Grundrechtecharta ausgesetzt zu werden (vgl. SächsOVG, U.v. 6.6.2017 – 4 A 584/16.A – juris Rn. 22 m.w.N.). Systemische Schwachstellen sind solche, die entweder bereits im Asyl- und Aufnahmeregime selbst angelegt sind und von denen alle Asylbewerber oder bestimmte Gruppen von Asylbewerbern deshalb nicht zufällig und im Einzelfall, sondern vorhersehbar und regelhaft betroffen sind, oder aber tatsächliche Umstände, die dazu führen, dass ein theoretisch sachgerecht konzipiertes und nicht zu beanstandendes Asyl- und Aufnahmesystem – aus welchen Gründen auch immer – faktisch ganz oder in weiten Teilen seine ihm zugedachte Funktion nicht mehr erfüllen kann und weitgehend unwirksam wird (vgl. BVerwG, B.v. 19.3.2014 – 10 B 6.14 – juris Rn. 9; SächsOVG, U.v. 6.6.2017 – 4 A 584/16.A – juris Rn. 24 m.w.N.). Zur Bestimmung der wesentlichen Kriterien für das Vorliegen einer unmenschlichen oder entwüridgenden Behandlung wird auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu dem mit Art. 4 EU-Grundrechtecharta übereinstimmenden Art. 3 EMRK zurückgegriffen (vgl. EuGH, U.v. 16.2.2017 – C-578/16 – juris Rn. 68; VGH BW, 13.10.2016 – A 11 S 1596/16 – juris Rn. 30; OVG Saarl, U.v. 9.3.2017 – 2 A 365/16 – juris Rn. 21). Nach diesen dargestellten Grundsätzen und der vorhandenen Erkenntnislage ist es geboten, eine Überstellung nach Ungarn zu unterlassen, weil dort derzeit von systemischen Schwachstellen in diesem Sinn auszugehen ist.

Der 13a. Senat des Verwaltungsgerichtshofs hat hierzu in seinem Urteil vom 23. März 2017 (Az. 13a B 17.50003 – juris Rn. 24 ff.) ausgeführt, dass er auf Grundlage des vorliegenden Erkenntnismaterials zur Situation von Asylbewerbern sowie von Dublin-Rückkehrern zu der Überzeugung gelangt ist, dass bei diesen eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Fall einer Überstellung/Abschiebung nach Ungarn ernsthaft zu befürchten ist und dies wie folgt begründet:

„a) Das ergibt sich aus der dortigen (gesetzlichen) Entwicklung in den letzten Jahren. Nach der am 1. Juli 2013 in Kraft getretenen Änderung des Asylgesetzes, die die Möglichkeit einer Inhaftierung von Asylbewerbern vorsah, kam es ab Sommer 2015 zu weiteren Gesetzesänderungen betreffend unter anderem die Einführung eines beschleunigten Verfahrens, den Rechtsschutz und die Inhaftierung sowie die Aufnahme von Serbien in eine nationale Liste sicherer Drittstaaten mit der Folge der Unzulässigkeit von Asylanträgen bei Einreise über Serbien (UNHCR, Hungary: As a Country of Asylum, Mai 2016 – UNHCR Mai 2016; Hungarian Helsinki Committee, Information Note v. 7.8.2015: Changes to Hungarian asylum law jeopardise access to protection in Hungary – HHC 7.8.2015; AIDA – Asylum Information Database, Country-Report: Hungary v. November 2015 – aida November 2015; Third Party Intervention by the Council of Europe Commissioner for Human Rights, Applications No. 44825/15 und 44944/15 v. 17.12.2015 – CHR). Im September 2015 wurde mit der Errichtung von Grenzzäunen zu Serbien und Kroatien ein Grenzverfahren in dort eingerichteten Transitzonen etabliert (UNHCR Mai 2016; aida November 2015; CHR). Im Fall von Unzulässigkeit und im beschleunigten Verfahren ist vom Amt für Einwanderung und Staatsbürgerschaft (OIN) innerhalb von 15 Tagen zu entscheiden, im regulären Verfahren innerhalb von zwei Monaten (aida November 2015, S. 12; CHR). Die Rechtsmittelfrist gegen Unzulässigkeitsentscheidungen des OIN bzw. gegen Entscheidungen im beschleunigten Verfahren beträgt drei Tage, im Standardverfahren acht Tage (UNHCR Mai 2016, S. 10; HHC 7.8.2015; aida November 2015, S. 21 ff.). Unter Beibehaltung der im Juli 2013 eingeführten Asylhaft im Allgemeinen wurde die zulässige Haftdauer für Grenzankömmlinge ohne Papiere auf 24 statt bisher 12 Stunden heraufgesetzt und die Haftanordnung im Dublin-Verfahren erleichtert. Im Allgemeinen kann Asylhaft erstmalig maximal für 72 Stunden sowie aufgrund eines Verlängerungsantrags um maximal 60 Tage aus im Einzelnen genannten Gründen angeordnet werden, insbesondere bei unklarer Identität und Gefahr des Untertauchens. Zuvor ist zu prüfen, ob ein milderes Mittel zur Anwendung kommen kann (Auswärtiges Amt, Auskunft an das VG Regensburg v. 27.1.2016: Rücküberstellungen nach Ungarn im Rahmen des Dublin-Verfahrens – AA 27.1.2016). Die maximale Dauer der Asylhaft beträgt 6 Monate, bei Folgeanträgen 12 Monate und bei Familien mit Kindern 1 Monat (AA 27.1.2016; aida November 2015, S. 63). Die bisher verpflichtende Platzgröße für die Asylhaft wurde in eine Empfehlung umgewandelt, die so weit wie möglich einzuhalten ist. Ferner kann OIN Asylantragsteller ohne Dokumente verpflichten, ihr Heimatland zu kontaktieren (HHC 7.8.2015; CHR).

Dublin-Rückkehrer, über deren Erstantrag bei Rückkehr noch nicht entschieden wurde, werden als Erstantragsteller behandelt (AA 27.1.2016). Grundsätzlich hat die Asylbehörde in Fällen, in denen Asylantragsteller während eines laufenden Asylverfahrens in einen Mitgliedstaat weiterreisen, in jedem Verfahrensstadium die Möglichkeit, entweder auf Basis der zur Verfügung stehenden Informationen eine Sachentscheidung zu treffen oder aber das Asylverfahren einzustellen. Regelmäßig wird das Asylverfahren ohne Entscheidung in der Sache eingestellt (AA 27.1.2016; aida November 2015, S. 21 ff.). Die Wiederaufnahme des Verfahrens kann bis zu neun Monate nach Einstellung des Verfahrens beantragt werden (UNHCR Mai 2016, S. 20; AA 27.1.2016). Danach wird die Einstellung endgültig und der Asylbewerber wird wie ein Folgeantragsteller behandelt, wobei Änderungen dergestalt in Planung seien, dass der Asylantrag auch in diesem Fall vollumfänglich geprüft werde (AA 27.1.2016).

b) Angesichts dieser Ausgangslage, die nach dem vorliegenden Erkenntnismaterial ab dem Jahr 2013 bis zum jetzigen Zeitpunkt durch eine fortschreitende (gesetzliche) Intensivierung und Verschärfung gekennzeichnet ist, besteht für die Kläger insbesondere die Gefahr, in Ungarn ohne ausreichende gesetzmäßige Anordnung und ohne effektive Rechtsschutzmöglichkeiten inhaftiert zu werden.

Die Anordnung der Asylhaft ist schon nach den gesetzlichen Vorgaben in großem Umfang zulässig. Danach kann Asylhaft angeordnet werden 1. bei unklarer Identität oder Staatsangehörigkeit, 2. bei Ausländern, die sich im Ausweisungsverfahren befinden und einen Asylantrag stellen, obwohl sie diesen zweifelsfrei bereits zuvor hätten stellen können oder um eine drohende Aufenthaltsbeendigung zu verzögern oder abzuwenden, 3. wenn der Sachverhalt des Asylbegehrens aufgeklärt werden muss und eine Aufklärung nicht ohne Haft möglich ist, speziell wenn die Gefahr des Untertauchens besteht, 4. wenn der Asylbewerber eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, 5. wenn der Asylantrag im Flughafenbereich gestellt wurde oder 6. zur Sicherstellung der Durchführung des Dublin-Verfahrens, wenn die ernsthafte Gefahr des Untertauchens besteht (AA 27.1.2016). Diese Formulierung der Haftgründe ist sehr weit gefasst und lässt damit Raum für eine weitreichende Inhaftierung von Asylbewerbern (siehe auch UNHCR, Stellungnahme an das VG Düsseldorf v. 30.9.2014: Situation der Flüchtlinge und Asylsuchenden in Ungarn, insbesondere Dublin-Rückkehrer und Inhaftierungen – UNHCR 30.9.2014; Pro Asyl, Stellungnahme an das VG Düsseldorf vom 31.10.2014: Haftsituation von Asylbewerbern in Ungarn – Pro Asyl 31.10.2014; aida November 2015, S. 59 ff.).

Auch die tatsächliche Praxis der Inhaftierung in Ungarn wird schon länger in vielen Punkten erheblich kritisiert. So solle das OIN vor einer Haftanordnung zwar prüfen, ob Alternativen zur Haft bestünden, aber nach Auskunft des Hungarian Helsinki Committee und Pro Asyl (Brief Information Note for the Seminar on the Right to Asylum in Europe, Barcelona, 9.-10.6.2016: The Reception Infrastructure for Asylum-Seekers in Hungary – HHC Juni 2016; Pro Asyl 31.10.2014) werde hiervon nur in Ausnahmefällen Gebrauch gemacht; Verlängerungen würden automatisch für den Höchstzeitraum beantragt und die Haftanordnungen seien nicht individualisiert (UNHCR 30.9.2014; Pro Asyl 31.10.2014). Kritisch angemerkt wird dabei ferner, dass es in „Asylhaft“-Einrichtungen des OIN praktisch kein ausgebildetes Personal gebe; Sozialarbeiter erhielten nur Zugang unter Begleitung einer bewaffneten Wache. Auch wenn sich die Inhaftierten zwischen 6.00 und 23.00 Uhr innerhalb der Hafteinrichtungen frei bewegen könnten (Pro Asyl 31.10.2014) und es in der polizeilichen „Einwanderungshaft“ für Folgeantragsteller ausgebildetes Bewachungspersonal gebe (UNHCR 30.9.2014), wird festgestellt, dass Asylbewerber bei etwaigen Behördengängen und Gerichtsterminen wie im Strafverfahren gefesselt und mit Handschellen vorgeführt würden (aida November 2015, S. 65; CHR). Weiter wird kritisiert, dass die Inhaftierungsquote ab dem Jahr 2013 kontinuierlich angestiegen sei. Während in einer Auskunft des Auswärtigen Amts vom 3. Juli 2015 an das Verwaltungsgericht Hannover (AA 3.7.2015) noch angegeben wurde, dass im Zeitraum vom 1. Januar bis 31. Mai 2015 2,1% aller Asylantragsteller und 6 bis 10% der Dublin-Rückkehrer in Asylhaft genommen worden seien, komme es in der Praxis nach Auskunft von aida (November 2015, S. 62) und CHR sehr häufig zu Inhaftierungen und entgegen der gesetzlichen Regelung seit September 2014 auch bei Familien mit Kindern, die unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten von Gesetzes wegen als schwerwiegendstes Mittel bis zu 30 Tage inhaftiert werden könnten. UNHCR kann jedoch nicht bestätigen, dass die Haft nur unter dieser Voraussetzung stattfindet (UNHCR 30.9.2014). Pro Asyl gibt vielmehr an, dass OIN ab September 2014 Familien verstärkt inhaftiert habe (Pro Asyl 31.10.2014). Anlässlich seines Besuchs vom 24. bis 27. November 2015 wurde dem CHR von OIN mitgeteilt, dass sich derzeit 525 Asylantragsteller in offenen Aufnahmeeinrichtungen befänden und 412, mithin ca. 44%, inhaftiert seien. Anfang November 2015 soll die Inhaftierungsquote CHR zufolge sogar 52% gegenüber 11% im Jahr 2014 betragen haben (siehe auch HHC v. Juni 2016). Zudem scheint sich nach Auffassung der genannten Organisationen der ungenügende Gebrauch von Haftalternativen fortzusetzen. Auch das Problem der willkürlichen Inhaftierung sei weiterhin akut. Nach Auskunft von HHC waren am 30. Mai 2016 insgesamt 702 Asylbewerber in Haft, 1.583 in offenen Aufnahmeeinrichtungen. Zuletzt meldete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich (Kurzinformation Ungarn v. 14.12.2016: Zentrum Bicske geschlossen – BFA 14.12.2016), dass im Dezember 2016 nach offiziellen Zahlen 192 Migranten in offener und 301 in geschlossener Unterbringung aufhältig waren. Zur Haftdauer berichtet Pro Asyl in Zusammenarbeit mit dem HHC, das wiederum eine Anfrage an OIN richtete, dass die durchschnittliche Haftdauer im Zeitraum vom 1.7.2013 bis 31. August 2014 dem OIN zufolge zwar „nur“ 32 Tage betragen habe, nach den eigenen Einschätzungen und einer Untersuchung des HHC allerdings deutlich länger sei. Die Diskrepanz beruhe auf vermutlich darauf, dass OIN nicht nur die Zeit von Inhaftierungen einrechne, sondern auch diejenigen Fälle ohne jegliche Inhaftierung.

Schließlich wies HHC im Juni 2016 nochmals ausdrücklich darauf hin, dass Ungarn einer der wenigen Staaten in Europa sei, in dem Asylerstantragsteller in der Regel für mehrere Monate inhaftiert würden (HHC Juni 2016). Dublin-Rückkehrer würden in der Praxis regelmäßig inhaftiert (so auch UNHCR 30.9.2014; Pro Asyl 31.10.2014; CHR). Diese Haft werde als „Asylhaft“, nicht als „Abschiebehaft“ oder „Einwanderungshaft“ verhängt (UNHCR 30.9.2014). Auch das Auswärtige Amt (AA 3.7.2015) gibt an, dass die Wahrscheinlichkeit, in Haft genommen zu werden, im ersten Halbjahr 2015 für Dublin-Rückkehrer gegenüber Neuankömmlingen erhöht gewesen sei.

Zudem lässt sich den Erkenntnisquellen nicht entnehmen, dass ein effektiver Rechtsschutz existieren würde. Insbesondere bestehen für das OIN und auch die Gerichte sehr restriktive Fristenregelungen zur Entscheidung. Diese sind nicht ausreichend, um die Durchführung eines rechtsstaatlichen Verfahrens zu gewährleisten. Bei Fristen im Tagebereich wie dargestellt können die unverzichtbaren Anforderungen an ein solches Verfahren einschließlich Dolmetscher, Anhörung, (individualisierter) Herkunftslandinformationen etc. nicht eingehalten werden (siehe hierzu HHC 7.8.2015; aida November 2015; CHR). Gleiches gilt für die Rechtsmittelfristen (siehe auch aida November 2015; CHR). Weiter gibt es zwar de iure Zugang zu Rechtsberatung, in der Praxis ist diese aber den Auskünften zufolge mangels entsprechender staatlicher Finanzierung nicht verfügbar (UNHCR 30.9.2014). Soweit überhaupt staatliche Anwälte bestellt seien, agierten diese passiv (Pro Asyl 31.10.2014; aida November 2015). Tatsächlich gebe es damit nur Zugang zu den (Vertrags-)Anwälten des HHC, so dass nur eine Minderheit anwaltliche Vertretung erhalte (Pro Asyl 31.10.2014). Außerdem ist gegen die Verhängung von „Asylhaft“ kein gesetzlicher Rechtsbehelf vorgesehen, sondern nur eine sogenannte „Einspruchsmöglichkeit“. Nach den Informationen von UNHCR werde aber auch hiervon aus Unkenntnis kein Gebrauch gemacht (UNHCR 30.9.2014). Gegen die „Einwanderungshaft“ gebe es ebenfalls keinen Rechtsbehelf, nur eine automatische Überprüfung (UNHCR 30.9.2014). Die gerichtliche Haftüberprüfung erfolge in einem „automatisierten“ Prozess alle 60 Tage durch dieselben (Straf-)Richter, die die Erstprüfung durchgeführt hätten (UNHCR 30.9.2014; Pro Asyl 31.10.2014; aida November 2015, S. 67 ff.). In der täglichen Praxis würden Entscheidungen für 5 bis 15 Häftlinge innerhalb von 30 Minuten gefällt, ohne dass eine individuelle Prüfung erfolgen könne (UNHCR 30.9.2014; Pro Asyl 31.10.2014). Schon im Jahr 2012 habe der Oberste Gerichtshof (Kuria) eine Untersuchung in Auftrag gegeben, die 8.000 Entscheidungen analysiert habe, von denen nur in drei Fällen keine Haftverlängerung erfolgt sei (UNHCR 30.9.2014). Die Asylarbeitsgruppe am Obersten Gerichtshof bestätigte im Oktober 2014, dass die gerichtliche Überprüfung der Asylhaft wirkungslos sei (aida November 2015, S. 67 ff.). Die Entscheidungen seien schematisch, das Verfahren nicht individualisiert und es erfolge keine Überprüfung, ob die Haft das einzige Mittel sei. Seit der Beanstandung durch die Kuria habe sich aber in der Praxis nichts geändert (aida November 2015, S. 67 ff.). Angesichts dieser gravierenden Missstände kann der Rechtsschutz damit insgesamt gesehen nicht mehr als wirksam bezeichnet werden.

Die Bewertung dieser Erkenntnisse ist insofern mit Schwierigkeiten verbunden, als jeweils nur punktuelle Angaben gemacht, wie etwa zu bestimmten Zeiträumen oder zu den betroffenen Gruppen, und keine statistisch aufbereiteten Daten für die Jahre 2014, 2015 und 2016 genannt werden zur (Gesamt-)Anzahl der Asylanträge in Ungarn, zur Anzahl der Dublin-Rückkehrer und zu den Verhältnissen in der Transitzone sowie dem jeweiligen Anteil an Inhaftierungen. Das kann wohl kaum darin begründet sein, dass keine offiziellen statistischen Informationen vorlägen, etwa ob Dublin-Rückkehrer regelmäßig oder ausnahmsweise inhaftiert werden, wie das Auswärtige Amt angibt (AA 27.1.2016). Denn das widerspräche zum einen dessen eigener Aussage in der Auskunft an das Verwaltungsgericht Hannover (AA 3.7.2015), wonach im Zeitraum vom 1. Januar bis 31. Mai 2015 6 bis 10% der Dublin-Rückkehrer in Asylhaft genommen worden seien. Zum anderen wurde dem CHR im November 2015 von OIN mitgeteilt, dass es zu diesem Zeitpunkt eine allgemeine Inhaftierungsquote von ca. 44% gegeben habe und von den in diesem Jahr durchgeführten 1.338 Dublin-Überstellungen 332 Rückkehrer in Asylhaft genommen worden seien, also ca. 25%. Auch wenn hiermit keine übergreifende Aussage getroffen wird, die Angaben zur Inhaftierungsquote sehr differieren und nicht zu erkennen ist, inwieweit sich die statistischen Ausgangsdaten decken, lässt sich in der Zusammenschau mit den weiteren Angaben, insbesondere des Hungarian Helsinki Committee (Hungary: Key Asylum Figures as of 1 September 2016 – HHC 1.9.2016: am 29.8.2016 waren 233 von 707 Asylbewerbern in Haft) und des österreichischen Bundesamts für Asylwesen (BFA 14.12.2016: im Dezember 2016 waren 192 Migranten in offener und 301 in geschlossener Unterbringung aufhältig), dennoch ein Gesamtbild entnehmen. Die vorliegenden Erkenntnisse zeigen deutlich, dass die Inhaftierung von Asylbewerbern in Ungarn weit verbreitet ist. Es tritt klar zu Tage, dass die gesetzlichen Vorgaben eine weitreichende Anordnung von Haft ermöglichen und sie auch in der praktischen Handhabung in beachtlichem Umfang stattfindet. Da zudem die Anordnung der Haft schematisch und ohne Einzelfallprüfung erfolgt und eine gerichtliche Überprüfung faktisch nicht stattfindet, muss davon ausgegangen werden, dass Dublin-Rückkehrer wie die Kläger im Fall ihrer Überstellung nach Ungarn einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinn von Art. 3 EMRK ausgesetzt wären. Diese Einschätzung wird auch bestätigt durch deren unbestrittenen Angaben, dass sie in Ungarn bereits inhaftiert gewesen seien.

c) Ein weiterer Grund für die Annahme, dass das Asylverfahren in Ungarn systemische Schwachstellen aufweist, die zu einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung führen, ist die ernsthafte Gefahr eines Verstoßes gegen das Refoulement-Verbot des Art. 33 Abs. 1 GFK. Im Fall einer Rückführung nach Ungarn würde die Abschiebung nach Serbien drohen. Neben den bereits erwähnten Gesetzesänderungen wurde im Juli 2015 eine nationale Liste von sicheren Drittstaaten, zu denen aus ungarischer Sicht auch Serbien gehört, aufgestellt (UNHCR Mai 2016, S. 15 ff.; HHC 7.8.2015; aida November 2015, S. 43 ff.; CHR). Das widerspricht dem europarechtlichen Konzept des sicheren Drittstaats, der Position von UNHCR und steht auch im Widerspruch zum Leitfaden des ungarischen Obersten Gerichtshofs. Mit der Gesetzesänderung wird das OIN ermächtigt, ohne inhaltliche Überprüfung des Asylbegehrens alle Anträge von Asylbewerbern abzulehnen, die durch einen solchen sicheren Drittstaat gekommen sind. Die Betroffenen werden dabei zwar informiert, dass ein Dublin-Verfahren eingeleitet wird, aber nicht mehr über die weiteren Verfahrensschritte. Sie bekommen die Unzulässigkeitsentscheidung zwar mündlich in einer ihnen verständlichen Sprache mitgeteilt, nicht aber eine schriftliche Übersetzung (aida November 2015, S. 23). Erschwerend kommt hinzu, dass es gegen die Entscheidung des OIN faktisch kaum Rechtsschutz gibt. Zwar kann gegen die Entscheidung des OIN unter bestimmten Voraussetzungen und mit inhaltlichen Vorgaben ein Rechtsmittel eingelegt werden, jedoch beträgt die Frist hierfür, wie bereits dargelegt, nur drei Tage bzw. nach einer weiteren Gesetzesänderung im September 2015 sieben Tage (UNHCR Mai 2016, S. 18; aida November 2015, S. 25-27). In dieser kurzen Zeitspanne kann weder ein Rechtsbeistand erlangt noch ein substantiierter Rechtsbehelf erhoben werden, zumal die lückenhafte Information der Asylantragsteller und Verständigungsschwierigkeiten noch berücksichtigt werden müssen. Die gerichtliche Überprüfung einer Unzulässigkeitsentscheidung muss innerhalb von acht Tagen nach dem Antrag auf Überprüfung erfolgen; ein Anhörungsrecht des Asylsuchenden besteht nicht (UNHCR Mai 2016, S. 18; aida November 2015, S. 25-27). Selbst wenn eine gerichtliche Entscheidung erlangt werden kann, wird diese vom OIN entweder gar nicht, verspätet oder sehr zögerlich umgesetzt (UNHCR Mai 2016, S. 18)

Im Ergebnis würde damit eine quasi automatische Zurückweisung ohne inhaltliche Überprüfung der Schutzbedürftigkeit stattfinden mit der Folge einer unverzüglichen Abschiebung nach Serbien, wo derzeit kein Schutz verfügbar ist und zudem die Gefahr einer Kettenabschiebung unter Verstoß gegen das Refoulement-Verbot besteht (siehe aida November 2015, S. 45; HHC 7.8.2015). Die Regelung findet auch auf Dublin-Rückkehrer Anwendung, die vor Inkrafttreten der gesetzlichen Regelung am 1. August 2015 über Serbien als – aus ungarischer Sicht – sicherem Drittstaat eingereist sind (aida November 2015, S. 24). Damit wären auch die Kläger der Gefahr einer Rückführung nach Serbien ausgesetzt, ohne dass sie vorher angehört würden oder dass ein wirksamer Rechtsschutz gegen die Entscheidung des OIN zur Verfügung stünde (aida November 2015, S. 24 ff.).

Die dargestellte Gesetzesänderung entzieht dem Einwand der Beklagten, gegenwärtig bestehe keine reale und durch Tatsachen belegte Gefahr, dass Schutzsuchende bei einer Rücküberstellung nach Ungarn einem indirekten Verstoß gegen das Refoulement-Verbot ausgesetzt sein könnten, den Boden. Unstreitig lässt die Gesetzeslage in Ungarn jedenfalls die Abschiebung nach Serbien ohne jegliche inhaltliche Prüfung des Asylbegehrens zu. Inwieweit Serbien tatsächlich die Übernahme von Drittstaatsangehörigen aus Ungarn ablehnt, bleibt dabei insoweit ohne Bedeutung, als das OIN vom Gesetzgeber zur sofortigen Abschiebung ermächtigt wurde. Zwar mag diese im Einzelfall mangels Nachweis, dass die Betroffenen tatsächlich über Serbien eingereist sind, oder weil zwischen dem Grenzübertritt von Serbien nach Ungarn und dem Antrag auf Rückübernahme mehr als ein Jahr verstrichen ist (AA 27.1.2016) tatsächlich nicht durchgeführt werden können. Das vermag aber an der gesetzlichen Zulässigkeit einer Abschiebung nichts zu ändern. Zudem finden den Erkenntnisquellen zufolge durchaus Rückübernahmen statt, auch wenn Serbien nur unter bestimmten Voraussetzungen zustimmt. So wurden im Zeitraum von Januar bis Mai 2016 in der Praxis pro Woche durchschnittlich zwei Personen rückübernommen (UNHCR Mai 2016). Allein die Tatsache, dass es sich hierbei nicht um eine exorbitante Größenordnung handeln mag, rechtfertigt die Verneinung einer realen Gefahr nicht (in diesem Sinn auch zu § 34a AsylG: OVG SH, B.v. 21.11.2016 – 2 LA 111/16 – juris). Das übersieht die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Berlin (U.v. 13.12.2016 – 3 K 509.15 A – juris), in der nur darauf abgestellt wird, dass Serbien die Übernahmeersuchen Ungarns formal ablehne. Angesichts der tatsächlich stattfindenden Abschiebungen und der dargestellten gesetzlichen Zulässigkeit bestehen vielmehr erhebliche Anhaltspunkte dafür, dass ohne inhaltliche Prüfung von Asylanträgen eine Abschiebung nach Serbien erfolgen könnte. Wenn die Beklagte demgegenüber unter Berufung auf das Verwaltungsgericht Berlin der Auffassung ist, dass vorliegend ausnahmsweise kein Risiko bestehen sollte, unter Verstoß gegen das Refoulement-Verbot von Ungarn nach Serbien abgeschoben zu werden, wäre es ihre Aufgabe, die Gründe hierfür näher darzulegen. Das ist nicht geschehen“

Der erkennende Senat schließt sich unter Einbeziehung der aktualisierten Erkenntnislage dieser Auffassung an. Am 28. März 2017 trat in Ungarn ein Gesetz in Kraft, das die Grenzgesetzgebung im Fall von Krisensituationen („Notstand“) änderte und mit dem Änderungen für die Aufnahme- und Asylverfahren eingeführt wurden, um den Zugang zum ungarischen Hoheitsgebiet zu verhindern und irregulär einreisende Personen zurückzuweisen, den Zugang zu Asylverfahren durch die Transitzonen einzuschränken, alle Asylsuchenden während des Verfahrens zu inhaftieren und die Unterstützung und Dokumentation für Asylsuchende zu beschränken (Stellungnahme UNHCR v. 28.6.2017 an das VG Ansbach; Pro Asyl v. 8.3.2017). Nach Angaben des UNHCR betrifft dies auch Asylsuchende, die unter der Dublin-Verordnung nach Ungarn überstellt werden. Ungarn weigerte sich danach zudem Asylsuchende auf Grundlage der Dublin-Verordnung zurückzunehmen und setzte die Zusammenarbeit mit anderen EU-Staaten diesbezüglich aus. Die Inhaftierung von Asylsuchenden in Ungarn erfolgte weiterhin ohne die notwendigen Schutzvorkehrungen, die sicherstellen, dass eine Inhaftierung rechtmäßig, notwendig und verhältnismäßig ist (Amnesty Report 2017 Ungarn, Berichtszeitraum 1.1.2016 bis 31.12.2016). Nach den Feststellungen der Bundesregierung sind Überstellungen nach Ungarn nur noch eingeschränkt möglich und werden nur dann durchgeführt, wenn die ungarischen Behörden im Einzelfall schriftlich zusichern, dass Dublin-Rückkehrer gemäß der Aufnahmerichtlinie 2013/33/EU untergebracht und ihre Asylverfahren nach Maßgabe der Asylverfahrensrichtlinie 2013/32/EU durchgeführt werden (BT-Drs. 18/13428 Nr. 9). Seit der Mitteilung der EU-Kommission am 17. Mai 2017 über weitere Maßnahmen gegenüber Ungarn gab es zudem keine Überstellungen nach Ungarn (BT-Drs. 18/13428 Nr. 10). Der Senat kommt daher zu der Überzeugung, dass nach wie vor Asylbewerber und Dublin-Rückkehrer – wie der Kläger – eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Fall der Überstellung/Abschiebung nach Ungarn ernsthaft zu befürchten haben (ebenso: NdsOVG, B.v. 20.12.2016 – 8 LB 184/15 – juris Rn. 28; VGH BW, U.v. 13.10.2016 – A 11 S 1596/16 – juris Rn. 22; OVG Saarl, U.v. 9.3.2017 – 2 A 365/16 – juris Rn. 22; BayVGH, U.v. 23.3.2017 – 13a B 17.50003 – juris Rn. 22; SächsOVG, U.v. 6.6.2017 – 4 A 584/16.A – juris Rn. 27; HessVGH, B.v. 24.8.2017 – 4 A 2986/16.A – juris Rn. 44).

Es kann offen bleiben, ob im Hinblick auf die vom Beklagten an die ungarischen Behörden gerichtete Anfrage vom 2. November 2017, ob der Kläger im Falle einer Rückführung gemäß der Aufnahmerichtlinie untergebracht wird und sein Asylverfahren nach Maßgabe der Asylverfahrensrichtlinie 2013/32/EU durchgeführt wird, etwas anderes zu gelten hat. Denn unabhängig davon, ob im Hinblick auf die o.g. Schwachstellen des ungarischen Asylverfahrens überhaupt davon ausgegangen werden kann, dass eine derartige Garantieerklärung geeignet ist, an den systemischen Mängeln etwas zu ändern oder diese zu beseitigen und ob im Hinblick auf die Überstellungspraxis in Bezug auf Ungarn überhaupt eine zeitnahe Rücküberstellung im Bereich des Möglichen liegt und sich die Beklagte durch die Aufstellung weiterer Voraussetzungen für eine Überstellung selbst gebunden hat (vgl. OVG NW, B.v. 8.12.2017 – 11 A 1966/15.A – juris Rn. 10 ff.), liegt eine derartige Erklärung der ungarischen Behörden zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 AsylG) jedenfalls nicht vor.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 132 Abs. 2 VwG).

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Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 154


(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 113


(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag au

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 167


(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs. (2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungskl

Aufenthaltsgesetz - AufenthG 2004 | § 11 Einreise- und Aufenthaltsverbot


(1) Gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ist ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Infolge des Einreise- und Aufenthaltsverbots darf der Ausländer weder erneut in das Bundesgebiet einreisen n

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 83b Gerichtskosten, Gegenstandswert


Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden in Streitigkeiten nach diesem Gesetz nicht erhoben.

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 101


(1) Das Gericht entscheidet, soweit nichts anderes bestimmt ist, auf Grund mündlicher Verhandlung. Die mündliche Verhandlung soll so früh wie möglich stattfinden. (2) Mit Einverständnis der Beteiligten kann das Gericht ohne mündliche Verhandlung

Asylgesetz - AsylVfG 1992 | § 34a Abschiebungsanordnung


(1) Soll der Ausländer in einen sicheren Drittstaat (§ 26a) oder in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 29 Absatz 1 Nummer 1) abgeschoben werden, ordnet das Bundesamt die Abschiebung in diesen Staat an, sobald feststeht

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 125


(1) Für das Berufungsverfahren gelten die Vorschriften des Teils II entsprechend, soweit sich aus diesem Abschnitt nichts anderes ergibt. § 84 findet keine Anwendung. (2) Ist die Berufung unzulässig, so ist sie zu verwerfen. Die Entscheidung kann

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Das Oberverwaltungsgericht prüft den Streitfall innerhalb des Berufungsantrags im gleichen Umfang wie das Verwaltungsgericht. Es berücksichtigt auch neu vorgebrachte Tatsachen und Beweismittel.

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Verwaltungsgericht München Urteil, 04. Okt. 2016 - M 9 K 15.50732

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Tenor I. Die Klage wird abgewiesen. II. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens. III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung

Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Urteil, 23. März 2017 - 13a B 17.50003

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Tenor I. Unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 25. Oktober 2016 wird der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 23. November 2015 aufgehoben. II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfa

Schleswig Holsteinisches Oberverwaltungsgericht Beschluss, 21. Nov. 2016 - 2 LA 111/16

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Tenor Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts - 5. Kammer, Einzelrichter - vom 31. Oktober 2016 wird abgelehnt. Der Kläger trägt die Kosten des Antragsverfah

Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Urteil, 13. Okt. 2016 - A 11 S 1596/16

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Tenor Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 13. Februar 2016 - A 1 K 2059/14 - wird zurückgewiesen.Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungs- und Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens.Die Revision wird nich
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Verwaltungsgericht Sigmaringen Beschluss, 19. Juni 2018 - A 5 K 1489/18

bei uns veröffentlicht am 19.06.2018

Tenor Die aufschiebende Wirkung der Klage A 5 K 1487/18 gegen den Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 02.03.2018 wird angeordnet.Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens. Gründe   I.

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(1) Gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ist ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Infolge des Einreise- und Aufenthaltsverbots darf der Ausländer weder erneut in das Bundesgebiet einreisen noch sich darin aufhalten noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach diesem Gesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden.

(2) Im Falle der Ausweisung ist das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung zu erlassen. Ansonsten soll das Einreise- und Aufenthaltsverbot mit der Abschiebungsandrohung oder Abschiebungsanordnung nach § 58a unter der aufschiebenden Bedingung der Ab- oder Zurückschiebung und spätestens mit der Ab- oder Zurückschiebung erlassen werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist bei seinem Erlass von Amts wegen zu befristen. Die Frist beginnt mit der Ausreise. Die Befristung kann zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung mit einer Bedingung versehen werden, insbesondere einer nachweislichen Straf- oder Drogenfreiheit. Tritt die Bedingung bis zum Ablauf der Frist nicht ein, gilt eine von Amts wegen zusammen mit der Befristung nach Satz 5 angeordnete längere Befristung.

(3) Über die Länge der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots wird nach Ermessen entschieden. Sie darf außer in den Fällen der Absätze 5 bis 5b fünf Jahre nicht überschreiten.

(4) Das Einreise- und Aufenthaltsverbot kann zur Wahrung schutzwürdiger Belange des Ausländers oder, soweit es der Zweck des Einreise- und Aufenthaltsverbots nicht mehr erfordert, aufgehoben oder die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots verkürzt werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot soll aufgehoben werden, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 vorliegen. Bei der Entscheidung über die Verkürzung der Frist oder die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots, das zusammen mit einer Ausweisung erlassen wurde, ist zu berücksichtigen, ob der Ausländer seiner Ausreisepflicht innerhalb der ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist war nicht erheblich. Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung verlängert werden. Absatz 3 gilt entsprechend.

(5) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll zehn Jahre nicht überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Absatz 4 gilt in diesen Fällen entsprechend.

(5a) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll 20 Jahre betragen, wenn der Ausländer wegen eines Verbrechens gegen den Frieden, eines Kriegsverbrechens oder eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit oder zur Abwehr einer Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr ausgewiesen wurde. Absatz 4 Satz 4 und 5 gilt in diesen Fällen entsprechend. Eine Verkürzung der Frist oder Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots ist grundsätzlich ausgeschlossen. Die oberste Landesbehörde kann im Einzelfall Ausnahmen hiervon zulassen.

(5b) Wird der Ausländer auf Grund einer Abschiebungsanordnung nach § 58a aus dem Bundesgebiet abgeschoben, soll ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. In den Fällen des Absatzes 5a oder wenn der Ausländer wegen eines in § 54 Absatz 1 Nummer 1 genannten Ausweisungsinteresses ausgewiesen worden ist, kann im Einzelfall ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. Absatz 5a Satz 3 und 4 gilt entsprechend.

(5c) Die Behörde, die die Ausweisung, die Abschiebungsandrohung oder die Abschiebungsanordnung nach § 58a erlässt, ist auch für den Erlass und die erstmalige Befristung des damit zusammenhängenden Einreise- und Aufenthaltsverbots zuständig.

(6) Gegen einen Ausländer, der seiner Ausreisepflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, kann ein Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet werden, es sei denn, der Ausländer ist unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist ist nicht erheblich. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Ein Einreise- und Aufenthaltsverbot wird nicht angeordnet, wenn Gründe für eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nach § 60a vorliegen, die der Ausländer nicht verschuldet hat.

(7) Gegen einen Ausländer,

1.
dessen Asylantrag nach § 29a Absatz 1 des Asylgesetzes als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, dem kein subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, das Vorliegen der Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 5 oder 7 nicht festgestellt wurde und der keinen Aufenthaltstitel besitzt oder
2.
dessen Antrag nach § 71 oder § 71a des Asylgesetzes wiederholt nicht zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens geführt hat,
kann das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge ein Einreise- und Aufenthaltsverbot anordnen. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot wird mit Bestandskraft der Entscheidung über den Asylantrag wirksam. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Über die Aufhebung, Verlängerung oder Verkürzung entscheidet die zuständige Ausländerbehörde.

(8) Vor Ablauf des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann dem Ausländer ausnahmsweise erlaubt werden, das Bundesgebiet kurzfristig zu betreten, wenn zwingende Gründe seine Anwesenheit erfordern oder die Versagung der Erlaubnis eine unbillige Härte bedeuten würde. Im Falle der Absätze 5a und 5b ist für die Entscheidung die oberste Landesbehörde zuständig.

(9) Reist ein Ausländer entgegen einem Einreise- und Aufenthaltsverbot in das Bundesgebiet ein, wird der Ablauf einer festgesetzten Frist für die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet gehemmt. Die Frist kann in diesem Fall verlängert werden, längstens jedoch um die Dauer der ursprünglichen Befristung. Der Ausländer ist auf diese Möglichkeit bei der erstmaligen Befristung hinzuweisen. Für eine nach Satz 2 verlängerte Frist gelten die Absätze 3 und 4 Satz 1 entsprechend.

Tenor

I. Unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 25. Oktober 2016 wird der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 23. November 2015 aufgehoben.

II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen zu tragen.

III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die im Jahr 1971 geborene Klägerin und ihre beiden 2006 und 2008 geborenen Kinder sind kurdische Yeziden aus Sheikhan im Irak. Sie reisten am 5. August 2015 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellten am 14. September 2015 beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) Asylantrag.

Bei der Befragung zur Vorbereitung der Anhörung am 14. September 2015 gab die Mutter, die Klägerin zu 1, an, sie habe ihr Heimatland am 1. Juli 2015 verlassen. In der Heimat lebten noch ihr Ehemann und 2 weitere Kinder sowie drei Brüder und zwei Schwestern. Im persönlichen Gespräch zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats am 16. Oktober 2015 gab die Klägerin zu 1 an, sie sei ca. einen Monat unterwegs gewesen und dabei über ihr unbekannte Länder gefahren. In Ungarn seien ihr Fingerabdrücke abgenommen worden.

Nachdem sich ein Eurodac-Treffer für Ungarn ergeben hatte, bat das Bundesamt am 21. Oktober 2015 Ungarn um Übernahme des Asylverfahrens. Der ungarische Staat bestätigte den Empfang der Anfrage am 22. Oktober 2015.

Mit Bescheid des Bundesamts vom 23. November 2015 wurden die Anträge als unzulässig abgelehnt (1.) und die Abschiebung nach Ungarn angeordnet (2.). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 12 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (3.). Zur Begründung ist ausgeführt, der Asylantrag sei gemäß § 27a AsylG a.F. unzulässig, da Ungarn nach der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (ABl. L 180 v. 29.6.2013, S. 31 - Dublin III-VO), zur Prüfung der Asylanträge zuständig sei. Außergewöhnliche humanitäre Gründe, die zu einem Selbsteintrittsrecht führen könnten, seien nicht ersichtlich. Der Vortrag der Kläger, dass sie in Ungarn zwei Tage ohne Essen im Gefängnis gewesen seien und die Klägerin zu 1 deshalb aktuell psychisch sehr belastet sei, rechtfertige keine andere Beurteilung. Gründe zur Annahme von systemischen Mängeln im ungarischen Asylverfahren lägen nicht vor. Die in Deutschland lebenden Geschwister bzw. Verwandten der Klägerin zu 1 seien keine „Familienangehörige“ im Sinn der Dublin III-VO. Die Asylanträge würden daher in der Bundesrepublik Deutschland nicht materiell geprüft.

Am 1. Dezember 2015 erhoben die Kläger hiergegen beim Verwaltungsgericht Ansbach Klage und stellten zugleich Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung. Sie führten aus, es sei von systemischen Mängeln des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen in Ungarn auszugehen. Das ergebe sich aus zahlreichen verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen. Zudem werde zu Unrecht angenommen, dass die Kläger der Regelung des § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG (a.F.) unterfielen.

Mit Beschluss des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 4. Januar 2016 wurde die aufschiebende Wirkung der Klage angeordnet und mit Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 7. März 2017 deren Fortdauer (13a AS 17.50010).

In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht am 18. Oktober 2016 erklärten die Kläger, in Ungarn seien zwangsweise Fingerabdrücke abgenommen worden und es sei ihnen keine gute Behandlung widerfahren. Die Kinder hätten trotz starken Fiebers keine Behandlung bekommen; sie seien zusammen mit vielen anderen Personen inhaftiert gewesen.

Mit Urteil vom 25. Oktober 2016 wurde die Klage abgewiesen. Zur Begründung wurde ausgeführt, nach den unionsrechtlichen Rechtsvorschriften sei Ungarn für die Durchführung der Asylverfahren zuständig. Aufgrund der Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage durch Beschluss vom 4. Januar 2016 sei die Wiederaufnahmefrist noch nicht abgelaufen. Derzeit sei auch nicht ernsthaft zu befürchten, dass in Ungarn das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen systemische Mängel aufwiesen. Das gelte auch nach der Verschärfung der gesetzlichen Regelungen in Ungarn zum 15. August 2015. Dafür spreche, dass der UNHCR keine generelle Empfehlung ausgesprochen habe, Asylbewerber nicht nach Ungarn zu überstellen. Auch die nach der Rechtslage mögliche Anwendung von Asylhaft bei Rückkehrern im Dublin-Verfahren führe nicht zur Annahme systemischer Mängel. Das hätten auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (U.v. 3.7.2014 - 71932/12) und der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (B.v. 12.6.2015 - 13a ZB 15.50097 - juris; B.v. 27.4.2015 - 14 ZB 13.30076 - juris) festgestellt. Zwar seien Dublin-Rückkehrer häufiger von Asylhaft betroffen als Ersteinreisende, jedoch würden Asylkläger aus sogenannten anerkennungsträchtigen Herkunftsländern regelmäßig weder in Asylhaft noch in Abschiebehaft genommen, im Zeitraum vom 1. Januar bis 30. Juni 2015 nur 0,7% aller Asylantragsteller. Familien mit minderjährigen Kindern müssten in separaten Gebäuden getrennt von alleinstehenden Männern untergebracht werden. Asylhaft werde nur in begründeten Einzelfällen angewendet. Dass die Haftbedingungen an sich menschenunwürdig wären und es dort systematisch zu Menschenrechtsverletzungen kommen würde, sei nicht ersichtlich. Es gebe regelmäßig eine medizinische Betreuung, teilweise arbeiteten dort Sozialpädagogen und es bestehe die Möglichkeit der freien Bewegung. Den aktuellen Berichten könne weiter nicht entnommen werden, dass den Klägern eine Überstellung von Ungarn nach Serbien drohe. Auch die Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens gegenüber Ungarn durch die europäische Kommission führe nicht per se zur Annahme von systemischen Mängeln im Asylsystem. Die vorübergehenden Kapazitätsprobleme dürften sich mittlerweile nach den von der ungarischen Regierung ergriffenen Maßnahmen wieder entschärft haben.

Auf Antrag der Kläger hat der Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 25. Januar 2017 die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Frage zugelassen, ob das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen in Ungarn systemische Mängel aufweisen (13a ZB 16.50076).

Zur Begründung ihrer Berufung tragen die Kläger vor, im ungarischen Asylsystem herrschten größere Funktionsstörungen, so dass die ernst zu nehmende Gefahr bestehe, dass sie bei einer Überstellung in einer Weise behandelt würden, die mit ihren Grundrechten nicht vereinbar sei. Insbesondere bestehe mit der Aufnahme von Serbien in die Liste der sicheren Drittstaaten die Gefahr, dass Schutzsuchende nach einer Überstellung nach Ungarn ohne inhaltliche Prüfung ihrer Fluchtgründe in Staaten abgeschoben würden, für die zweifelhaft sei, dass die dortigen Asylverfahren den europäischen Mindestanforderungen entsprächen und Abschiebungen unter Verstoß gegen das Refoulement-Verbot ausgeschlossen seien. Zudem sei zu befürchten, dass das ungarische Asylrecht seit dem 1. August 2015 hinter den europäischen Verfahrensgarantien zurückbleibe. Diese Einschätzung werde bestätigt durch die Berichte von Bordermonitoring, Pro Asyl, Amnesty International, European Council on Refugees and Exiles (ecre) und des Hungarian Helsinki Committee.

Die Kläger beantragen,

den Bescheid des Bundesamts vom 23. November 2015 unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 25. Oktober 2016 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt

Berufungszurückweisung.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichts- und vorgelegten Behördenakten und die Niederschrift über die mündliche Verhandlung am 23. März 2017 verwiesen.

Gründe

Die Berufung ist zulässig und begründet (§ 125 Abs. 1 Satz 1, § 128 Satz 1 VwGO).

I.

Die Klage ist zulässig, insbesondere ist die Anfechtungsklage die allein statthafte Klageart gegen den Bescheid des Bundesamts vom 23. November 2015, wenn es um das Begehren auf Aufhebung einer Entscheidung über die Unzuständigkeit Deutschlands für die Prüfung eines Asylantrags nach den unionsrechtlichen Regelungen der Dublin III-VO geht (BVerwG, U.v. 27.10.2015 - 1 C 32.14 - BVerwGE 153, 162 = NVwZ 2016, 154 zu Art. 2 Buchst. e Dublin II-VO).

II.

Die Klage ist auch begründet. Nach der im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung maßgeblichen Sach- und Rechtslage (§ 77 Abs. 1 AsylG) ist der Bescheid des Bundesamts vom 23. November 2015 rechtswidrig und verletzt die Kläger dadurch in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 VwGO).

1. Gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1a) AsylG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat nach Maßgabe der Dublin III-VO für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist.

Die Reihenfolge der Kriterien zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats richtet sich nach Kapitel III der Verordnung (vgl. Art. 7 Abs. 1 Dublin III-VO). Nach Art. 7 Abs. 2 Dublin III-VO wird bei der Bestimmung des nach diesen Kriterien zuständigen Mitgliedstaats von der Situation ausgegangen, die zu dem Zeitpunkt gegeben ist, zu dem der Asylbewerber seinen Antrag zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat gestellt hat.

Gemessen hieran wäre der beim Bundesamt gestellte Asylantrag gemäß § 29 AsylG unzulässig, weil die Kläger nach den Eurodac-Treffern in Ungarn aus einem Drittstaat kommend die Grenze dieses Mitgliedstaats überschritten haben, der damit nach Art. 13 Abs. 1 Dublin III-VO für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig wäre. Zwischen den Beteiligten besteht auch kein Streit über die prinzipielle Zuständigkeit Ungarns. Die Kläger befürchten allerdings, dass ihnen im Fall ihrer Abschiebung eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung i.S.v. Art. 3 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Europäische Menschenrechtskonvention - EMRK) drohen würde. Davon ist in Ungarn auch auszugehen.

Das gemeinsame europäische Asylsystem stützt sich ebenso wie das deutsche Konzept der „normativen Vergewisserung“ hinsichtlich der Sicherheit von Drittstaaten (siehe hierzu EuGH, U.v. 21.12.2011 - C-411/10 u.a. - NVwZ 2012, 417 Rn. 75 ff.; BVerfG, U.v. 14.5.1996 - 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 - BVerfGE 94, 49) auf die uneingeschränkte und umfassende Anwendung des am 28. Juli 1951 in Genf unterzeichneten Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Flüchtlingskonvention - GFK) und die Versicherung, dass niemand dorthin zurückgeschickt wird, wo er Verfolgung ausgesetzt ist. Dem liegt die Annahme zugrunde, dass alle daran beteiligten Staaten die Grundrechte beachten und dass die Mitgliedstaaten einander insoweit Vertrauen entgegenbringen dürfen. Es wird vermutet, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GR-Charta) sowie mit der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention steht. Wenn ein Mitgliedstaat der Aufnahme des betreffenden Asylbewerbers zugestimmt (oder nicht geantwortet) hat, kann der Asylbewerber der Bestimmung dieses Mitgliedstaats deshalb gemäß Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO nur mit dem Einwand entgegentreten, es gebe wesentliche Gründe für die Annahme, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung i.S.v. Art. 4 GR-Charta mit sich bringen (siehe zur Dublin II-VO EGMR, U.v. 21.1.2011 - M.S.S./Belgien und Griechenland, Nr. 30696/09 - NVwZ 2011, 413; EuGH, U.v. 21.12.2011 - N.S., C-411/10 und C-493/10 - NVwZ 2012, 417; U.v. 10.12.2013 - Abdullahi, C-394/12 - NVwZ 2014, 208). Das ist vorliegend der Fall. Nach den dargestellten Grundsätzen ist es geboten, eine Überstellung nach Ungarn zu unterlassen, weil dort derzeit von systemischen Schwachstellen in diesem Sinn auszugehen ist.

2. Der Senat ist auf der Grundlage des ihm vorliegenden Erkenntnismaterials zur Situation von Asylbewerbern sowie von Dublin-Rückkehrern zu der Überzeugung gelangt, dass bei diesen und damit auch den Klägern eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Fall der Überstellung/Abschiebung nach Ungarn ernsthaft zu befürchten ist.

a) Das ergibt sich aus der dortigen (gesetzlichen) Entwicklung in den letzten Jahren. Nach der am 1. Juli 2013 in Kraft getretenen Änderung des Asylgesetzes, die die Möglichkeit einer Inhaftierung von Asylbewerbern vorsah, kam es ab Sommer 2015 zu weiteren Gesetzesänderungen betreffend unter anderem die Einführung eines beschleunigten Verfahrens, den Rechtsschutz und die Inhaftierung sowie die Aufnahme von Serbien in eine nationale Liste sicherer Drittstaaten mit der Folge der Unzulässigkeit von Asylanträgen bei Einreise über Serbien (UNHCR, Hungary: As a Country of Asylum, Mai 2016 - UNHCR Mai 2016; Hungarian Helsinki Committee, Information Note v. 7.8.2015: Changes to Hungarian asylum law jeopardise access to protection in Hungary - HHC 7.8.2015; AIDA - Asylum Information Database, Country-Report: Hungary v. November 2015 - aida November 2015; Third Party Intervention by the Council of Europe Commissioner for Human Rights, Applications No. 44825/15 und 44944/15 v. 17.12.2015 - CHR). Im September 2015 wurde mit der Errichtung von Grenzzäunen zu Serbien und Kroatien ein Grenzverfahren in dort eingerichteten Transitzonen etabliert (UNHCR Mai 2016; aida November 2015; CHR). Im Fall von Unzulässigkeit und im beschleunigten Verfahren ist vom Amt für Einwanderung und Staatsbürgerschaft (OIN) innerhalb von 15 Tagen zu entscheiden, im regulären Verfahren innerhalb von zwei Monaten (aida November 2015, S. 12; CHR). Die Rechtsmittelfrist gegen Unzulässigkeitsentscheidungen des OIN bzw. gegen Entscheidungen im beschleunigten Verfahren beträgt drei Tage, im Standardverfahren acht Tage (UNHCR Mai 2016, S. 10; HHC 7.8.2015; aida November 2015, S. 21 ff.). Unter Beibehaltung der im Juli 2013 eingeführten Asylhaft im Allgemeinen wurde die zulässige Haftdauer für Grenzankömmlinge ohne Papiere auf 24 statt bisher 12 Stunden heraufgesetzt und die Haftanordnung im Dublin-Verfahren erleichtert. Im Allgemeinen kann Asylhaft erstmalig maximal für 72 Stunden sowie aufgrund eines Verlängerungsantrags um maximal 60 Tage aus im Einzelnen genannten Gründen angeordnet werden, insbesondere bei unklarer Identität und Gefahr des Untertauchens. Zuvor ist zu prüfen, ob ein milderes Mittel zur Anwendung kommen kann (Auswärtiges Amt, Auskunft an das VG Regensburg v. 27.1.2016: Rücküberstellungen nach Ungarn im Rahmen des Dublin-Verfahrens - AA 27.1.2016). Die maximale Dauer der Asylhaft beträgt 6 Monate, bei Folgeanträgen 12 Monate und bei Familien mit Kindern 1 Monat (AA 27.1.2016; aida November 2015, S. 63). Die bisher verpflichtende Platzgröße für die Asylhaft wurde in eine Empfehlung umgewandelt, die so weit wie möglich einzuhalten ist. Ferner kann OIN Asylantragsteller ohne Dokumente verpflichten, ihr Heimatland zu kontaktieren (HHC 7.8.2015; CHR).

Dublin-Rückkehrer, über deren Erstantrag bei Rückkehr noch nicht entschieden wurde, werden als Erstantragsteller behandelt (AA 27.1.2016). Grundsätzlich hat die Asylbehörde in Fällen, in denen Asylantragsteller während eines laufenden Asylverfahrens in einen Mitgliedstaat weiterreisen, in jedem Verfahrensstadium die Möglichkeit, entweder auf Basis der zur Verfügung stehenden Informationen eine Sachentscheidung zu treffen oder aber das Asylverfahren einzustellen. Regelmäßig wird das Asylverfahren ohne Entscheidung in der Sache eingestellt (AA 27.1.2016; aida November 2015, S. 21 ff.). Die Wiederaufnahme des Verfahrens kann bis zu neun Monate nach Einstellung des Verfahrens beantragt werden (UNHCR Mai 2016, S. 20; AA 27.1.2016). Danach wird die Einstellung endgültig und der Asylbewerber wird wie ein Folgeantragsteller behandelt, wobei Änderungen dergestalt in Planung seien, dass der Asylantrag auch in diesem Fall vollumfänglich geprüft werde (AA 27.1.2016).

b) Angesichts dieser Ausgangslage, die nach dem vorliegenden Erkenntnismaterial ab dem Jahr 2013 bis zum jetzigen Zeitpunkt durch eine fortschreitende (gesetzliche) Intensivierung und Verschärfung gekennzeichnet ist, besteht für die Kläger insbesondere die Gefahr, in Ungarn ohne ausreichende gesetzmäßige Anordnung und ohne effektive Rechtsschutzmöglichkeiten inhaftiert zu werden.

Die Anordnung der Asylhaft ist schon nach den gesetzlichen Vorgaben in großem Umfang zulässig. Danach kann Asylhaft angeordnet werden 1. bei unklarer Identität oder Staatsangehörigkeit, 2. bei Ausländern, die sich im Ausweisungsverfahren befinden und einen Asylantrag stellen, obwohl sie diesen zweifelsfrei bereits zuvor hätten stellen können oder um eine drohende Aufenthaltsbeendigung zu verzögern oder abzuwenden, 3. wenn der Sachverhalt des Asylbegehrens aufgeklärt werden muss und eine Aufklärung nicht ohne Haft möglich ist, speziell wenn die Gefahr des Untertauchens besteht, 4. wenn der Asylbewerber eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, 5. wenn der Asylantrag im Flughafenbereich gestellt wurde oder 6. zur Sicherstellung der Durchführung des Dublin-Verfahrens, wenn die ernsthafte Gefahr des Untertauchens besteht (AA 27.1.2016). Diese Formulierung der Haftgründe ist sehr weit gefasst und lässt damit Raum für eine weitreichende Inhaftierung von Asylbewerbern (siehe auch UNHCR, Stellungnahme an das VG Düsseldorf v. 30.9.2014: Situation der Flüchtlinge und Asylsuchenden in Ungarn, insbesondere Dublin-Rückkehrer und Inhaftierungen - UNHCR 30.9.2014; Pro Asyl, Stellungnahme an das VG Düsseldorf vom 31.10.2014: Haftsituation von Asylbewerbern in Ungarn - Pro Asyl 31.10.2014; aida November 2015, S. 59 ff.).

Auch die tatsächliche Praxis der Inhaftierung in Ungarn wird schon länger in vielen Punkten erheblich kritisiert. So solle das OIN vor einer Haftanordnung zwar prüfen, ob Alternativen zur Haft bestünden, aber nach Auskunft des Hungarian Helsinki Committee und Pro Asyl (Brief Information Note for the Seminar on the Right to Asylum in Europe, Barcelona, 9.-10.6.2016: The Reception Infrastructure for Asylum-Seekers in Hungary - HHC Juni 2016; Pro Asyl 31.10.2014) werde hiervon nur in Ausnahmefällen Gebrauch gemacht; Verlängerungen würden automatisch für den Höchstzeitraum beantragt und die Haftanordnungen seien nicht individualisiert (UNHCR 30.9.2014; Pro Asyl 31.10.2014). Kritisch angemerkt wird dabei ferner, dass es in „Asylhaft“-Einrichtungen des OIN praktisch kein ausgebildetes Personal gebe; Sozialarbeiter erhielten nur Zugang unter Begleitung einer bewaffneten Wache. Auch wenn sich die Inhaftierten zwischen 6.00 und 23.00 Uhr innerhalb der Hafteinrichtungen frei bewegen könnten (Pro Asyl 31.10.2014) und es in der polizeilichen „Einwanderungshaft“ für Folgeantragsteller ausgebildetes Bewachungspersonal gebe (UNHCR 30.9.2014), wird festgestellt, dass Asylbewerber bei etwaigen Behördengängen und Gerichtsterminen wie im Strafverfahren gefesselt und mit Handschellen vorgeführt würden (aida November 2015, S. 65; CHR). Weiter wird kritisiert, dass die Inhaftierungsquote ab dem Jahr 2013 kontinuierlich angestiegen sei. Während in einer Auskunft des Auswärtigen Amts vom 3. Juli 2015 an das Verwaltungsgericht Hannover (AA 3.7.2015) noch angegeben wurde, dass im Zeitraum vom 1. Januar bis 31. Mai 2015 2,1% aller Asylantragsteller und 6 bis 10% der Dublin-Rückkehrer in Asylhaft genommen worden seien, komme es in der Praxis nach Auskunft von aida (November 2015, S. 62) und CHR sehr häufig zu Inhaftierungen und entgegen der gesetzlichen Regelung seit September 2014 auch bei Familien mit Kindern, die unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten von Gesetzes wegen als schwerwiegendstes Mittel bis zu 30 Tage inhaftiert werden könnten. UNHCR kann jedoch nicht bestätigen, dass die Haft nur unter dieser Voraussetzung stattfindet (UNHCR 30.9.2014). Pro Asyl gibt vielmehr an, dass OIN ab September 2014 Familien verstärkt inhaftiert habe (Pro Asyl 31.10.2014). Anlässlich seines Besuchs vom 24. bis 27. November 2015 wurde dem CHR von OIN mitgeteilt, dass sich derzeit 525 Asylantragsteller in offenen Aufnahmeeinrichtungen befänden und 412, mithin ca. 44%, inhaftiert seien. Anfang November 2015 soll die Inhaftierungsquote CHR zufolge sogar 52% gegenüber 11% im Jahr 2014 betragen haben (siehe auch HHC v. Juni 2016). Zudem scheint sich nach Auffassung der genannten Organisationen der ungenügende Gebrauch von Haftalternativen fortzusetzen. Auch das Problem der willkürlichen Inhaftierung sei weiterhin akut. Nach Auskunft von HHC waren am 30. Mai 2016 insgesamt 702 Asylbewerber in Haft, 1.583 in offenen Aufnahmeeinrichtungen. Zuletzt meldete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich (Kurzinformation Ungarn v. 14.12.2016: Zentrum Bicske geschlossen - BFA 14.12.2016), dass im Dezember 2016 nach offiziellen Zahlen 192 Migranten in offener und 301 in geschlossener Unterbringung aufhältig waren. Zur Haftdauer berichtet Pro Asyl in Zusammenarbeit mit dem HHC, das wiederum eine Anfrage an OIN richtete, dass die durchschnittliche Haftdauer im Zeitraum vom 1.7.2013 bis 31. August 2014 dem OIN zufolge zwar „nur“ 32 Tage betragen habe, nach den eigenen Einschätzungen und einer Untersuchung des HHC allerdings deutlich länger sei. Die Diskrepanz beruhe auf vermutlich darauf, dass OIN nicht nur die Zeit von Inhaftierungen einrechne, sondern auch diejenigen Fälle ohne jegliche Inhaftierung.

Schließlich wies HHC im Juni 2016 nochmals ausdrücklich darauf hin, dass Ungarn einer der wenigen Staaten in Europa sei, in dem Asylerstantragsteller in der Regel für mehrere Monate inhaftiert würden (HHC Juni 2016). Dublin-Rückkehrer würden in der Praxis regelmäßig inhaftiert (so auch UNHCR 30.9.2014; Pro Asyl 31.10.2014; CHR). Diese Haft werde als „Asylhaft“, nicht als „Abschiebehaft“ oder „Einwanderungshaft“ verhängt (UNHCR 30.9.2014). Auch das Auswärtige Amt (AA 3.7.2015) gibt an, dass die Wahrscheinlichkeit, in Haft genommen zu werden, im ersten Halbjahr 2015 für Dublin-Rückkehrer gegenüber Neuankömmlingen erhöht gewesen sei.

Zudem lässt sich den Erkenntnisquellen nicht entnehmen, dass ein effektiver Rechtsschutz existieren würde. Insbesondere bestehen für das OIN und auch die Gerichte sehr restriktive Fristenregelungen zur Entscheidung. Diese sind nicht ausreichend, um die Durchführung eines rechtsstaatlichen Verfahrens zu gewährleisten. Bei Fristen im Tagebereich wie dargestellt können die unverzichtbaren Anforderungen an ein solches Verfahren einschließlich Dolmetscher, Anhörung, (individualisierter) Herkunftslandinformationen etc. nicht eingehalten werden (siehe hierzu HHC 7.8.2015; aida November 2015; CHR). Gleiches gilt für die Rechtmittelfristen (siehe auch aida November 2015; CHR). Weiter gibt es zwar de iure Zugang zu Rechtsberatung, in der Praxis ist diese aber den Auskünften zufolge mangels entsprechender staatlicher Finanzierung nicht verfügbar (UNHCR 30.9.2014). Soweit überhaupt staatliche Anwälte bestellt seien, agierten diese passiv (Pro Asyl 31.10.2014; aida November 2015). Tatsächlich gebe es damit nur Zugang zu den (Vertrags-)Anwälten des HHC, so dass nur eine Minderheit anwaltliche Vertretung erhalte (Pro Asyl 31.10.2014). Außerdem ist gegen die Verhängung von „Asylhaft“ kein gesetzlicher Rechtsbehelf vorgesehen, sondern nur eine sogenannte „Einspruchsmöglichkeit“. Nach den Informationen von UNHCR werde aber auch hiervon aus Unkenntnis kein Gebrauch gemacht (UNHCR 30.9.2014). Gegen die „Einwanderungshaft“ gebe es ebenfalls keinen Rechtsbehelf, nur eine automatische Überprüfung (UNHCR 30.9.2014). Die gerichtliche Haftüberprüfung erfolge in einem „automatisierten“ Prozess alle 60 Tage durch dieselben (Straf-)Richter, die die Erstprüfung durchgeführt hätten (UNHCR 30.9.2014; Pro Asyl 31.10.2014; aida November 2015, S. 67 ff.). In der täglichen Praxis würden Entscheidungen für 5 bis 15 Häftlinge innerhalb von 30 Minuten gefällt, ohne dass eine individuelle Prüfung erfolgen könne (UNHCR 30.9.2014; Pro Asyl 31.10.2014). Schon im Jahr 2012 habe der Oberste Gerichtshof (Kuria) eine Untersuchung in Auftrag gegeben, die 8.000 Entscheidungen analysiert habe, von denen nur in drei Fällen keine Haftverlängerung erfolgt sei (UNHCR 30.9.2014). Die Asylarbeitsgruppe am Obersten Gerichtshof bestätigte im Oktober 2014, dass die gerichtliche Überprüfung der Asylhaft wirkungslos sei (aida November 2015, S. 67 ff.). Die Entscheidungen seien schematisch, das Verfahren nicht individualisiert und es erfolge keine Überprüfung, ob die Haft das einzige Mittel sei. Seit der Beanstandung durch die Kuria habe sich aber in der Praxis nichts geändert (aida November 2015, S. 67 ff.). Angesichts dieser gravierenden Missstände kann der Rechtsschutz damit insgesamt gesehen nicht mehr als wirksam bezeichnet werden.

Die Bewertung dieser Erkenntnisse ist insofern mit Schwierigkeiten verbunden, als jeweils nur punktuelle Angaben gemacht, wie etwa zu bestimmten Zeiträumen oder zu den betroffenen Gruppen, und keine statistisch aufbereiteten Daten für die Jahre 2014, 2015 und 2016 genannt werden zur (Gesamt-)Anzahl der Asylanträge in Ungarn, zur Anzahl der Dublin-Rückkehrer und zu den Verhältnissen in der Transitzone sowie dem jeweiligen Anteil an Inhaftierungen. Das kann wohl kaum darin begründet sein, dass keine offiziellen statistischen Informationen vorlägen, etwa ob Dublin-Rückkehrer regelmäßig oder ausnahmsweise inhaftiert werden, wie das Auswärtige Amt angibt (AA 27.1.2016). Denn das widerspräche zum einen dessen eigener Aussage in der Auskunft an das Verwaltungsgericht Hannover (AA 3.7.2015), wonach im Zeitraum vom 1. Januar bis 31. Mai 2015 6 bis 10% der Dublin-Rückkehrer in Asylhaft genommen worden seien. Zum anderen wurde dem CHR im November 2015 von OIN mitgeteilt, dass es zu diesem Zeitpunkt eine allgemeine Inhaftierungsquote von ca. 44% gegeben habe und von den in diesem Jahr durchgeführten 1.338 Dublin-Überstellungen 332 Rückkehrer in Asylhaft genommen worden seien, also ca. 25%. Auch wenn hiermit keine übergreifende Aussage getroffen wird, die Angaben zur Inhaftierungsquote sehr differieren und nicht zu erkennen ist, inwieweit sich die statistischen Ausgangsdaten decken, lässt sich in der Zusammenschau mit den weiteren Angaben, insbesondere des Hungarian Helsinki Committee (Hungary: Key Asylum Figures as of 1 September 2016 - HHC 1.9.2016: am 29.8.2016 waren 233 von 707 Asylbewerbern in Haft) und des österreichischen Bundesamts für Asylwesen (BFA 14.12.2016: im Dezember 2016 waren 192 Migranten in offener und 301 in geschlossener Unterbringung aufhältig), dennoch ein Gesamtbild entnehmen. Die vorliegenden Erkenntnisse zeigen deutlich, dass die Inhaftierung von Asylbewerbern in Ungarn weit verbreitet ist. Es tritt klar zu Tage, dass die gesetzlichen Vorgaben eine weitreichende Anordnung von Haft ermöglichen und sie auch in der praktischen Handhabung in beachtlichem Umfang stattfindet. Da zudem die Anordnung der Haft schematisch und ohne Einzelfallprüfung erfolgt und eine gerichtliche Überprüfung faktisch nicht stattfindet, muss davon ausgegangen werden, dass Dublin-Rückkehrer wie die Kläger im Fall ihrer Überstellung nach Ungarn einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinn von Art. 3 EMRK ausgesetzt wären. Diese Einschätzung wird auch bestätigt durch deren unbestrittenen Angaben, dass sie in Ungarn bereits inhaftiert gewesen seien.

c) Ein weiterer Grund für die Annahme, dass das Asylverfahren in Ungarn systemische Schwachstellen aufweist, die zu einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung führen, ist die ernsthafte Gefahr eines Verstoßes gegen das Refoulement-Verbot des Art. 33 Abs. 1 GFK. Im Fall einer Rückführung nach Ungarn würde die Abschiebung nach Serbien drohen. Neben den bereits erwähnten Gesetzesänderungen wurde im Juli 2015 eine nationale Liste von sicheren Drittstaaten, zu denen aus ungarischer Sicht auch Serbien gehört, aufgestellt (UNHCR Mai 2016, S. 15 ff.; HHC 7.8.2015; aida November 2015, S. 43 ff.; CHR). Das widerspricht dem europarechtlichen Konzept des sicheren Drittstaats, der Position von UNHCR und steht auch im Widerspruch zum Leitfaden des ungarischen Obersten Gerichtshofs. Mit der Gesetzesänderung wird das OIN ermächtigt, ohne inhaltliche Überprüfung des Asylbegehrens alle Anträge von Asylbewerbern abzulehnen, die durch einen solchen sicheren Drittstaat gekommen sind. Die Betroffenen werden dabei zwar informiert, dass ein Dublin-Verfahren eingeleitet wird, aber nicht mehr über die weiteren Verfahrensschritte. Sie bekommen die Unzulässigkeitsentscheidung zwar mündlich in einer ihnen verständlichen Sprache mitgeteilt, nicht aber eine schriftliche Übersetzung (aida November 2015, S. 23). Erschwerend kommt hinzu, dass es gegen die Entscheidung des OIN faktisch kaum Rechtsschutz gibt. Zwar kann gegen die Entscheidung des OIN unter bestimmten Voraussetzungen und mit inhaltlichen Vorgaben ein Rechtsmittel eingelegt werden, jedoch beträgt die Frist hierfür, wie bereits dargelegt, nur drei Tage bzw. nach einer weiteren Gesetzesänderung im September 2015 sieben Tage (UNHCR Mai 2016, S. 18; aida November 2015, S. 25-27). In dieser kurzen Zeitspanne kann weder ein Rechtsbeistand erlangt noch ein substantiierter Rechtsbehelf erhoben werden, zumal die lückenhafte Information der Asylantragsteller und Verständigungsschwierigkeiten noch berücksichtigt werden müssen. Die gerichtliche Überprüfung einer Unzulässigkeitsentscheidung muss innerhalb von acht Tagen nach dem Antrag auf Überprüfung erfolgen; ein Anhörungsrecht des Asylsuchenden besteht nicht (UNHCR Mai 2016, S. 18; aida November 2015, S. 25-27). Selbst wenn eine gerichtliche Entscheidung erlangt werden kann, wird diese vom OIN entweder gar nicht, verspätet oder sehr zögerlich umgesetzt (UNHCR Mai 2016, S. 18)

Im Ergebnis würde damit eine quasi automatische Zurückweisung ohne inhaltliche Überprüfung der Schutzbedürftigkeit stattfinden mit der Folge einer unverzüglichen Abschiebung nach Serbien, wo derzeit kein Schutz verfügbar ist und zudem die Gefahr einer Kettenabschiebung unter Verstoß gegen das Refoulement-Verbot besteht (siehe aida November 2015, S. 45; HHC 7.8.2015). Die Regelung findet auch auf Dublin-Rückkehrer Anwendung, die vor Inkrafttreten der gesetzlichen Regelung am 1. August 2015 über Serbien als - aus ungarischer Sicht - sicherem Drittstaat eingereist sind (aida November 2015, S. 24). Damit wären auch die Kläger der Gefahr einer Rückführung nach Serbien ausgesetzt, ohne dass sie vorher angehört würden oder dass ein wirksamer Rechtsschutz gegen die Entscheidung des OIN zur Verfügung stünde (aida November 2015, S. 24 ff.).

Die dargestellte Gesetzesänderung entzieht dem Einwand der Beklagten, gegenwärtig bestehe keine reale und durch Tatsachen belegte Gefahr, dass Schutzsuchende bei einer Rücküberstellung nach Ungarn einem indirekten Verstoß gegen das Refoulement-Verbot ausgesetzt sein könnten, den Boden. Unstreitig lässt die Gesetzeslage in Ungarn jedenfalls die Abschiebung nach Serbien ohne jegliche inhaltliche Prüfung des Asylbegehrens zu. Inwieweit Serbien tatsächlich die Übernahme von Drittstaatsangehörigen aus Ungarn ablehnt, bleibt dabei insoweit ohne Bedeutung, als das OIN vom Gesetzgeber zur sofortigen Abschiebung ermächtigt wurde. Zwar mag diese im Einzelfall mangels Nachweis, dass die Betroffenen tatsächlich über Serbien eingereist sind, oder weil zwischen dem Grenzübertritt von Serbien nach Ungarn und dem Antrag auf Rückübernahme mehr als ein Jahr verstrichen ist (AA 27.1.2016) tatsächlich nicht durchgeführt werden können. Das vermag aber an der gesetzlichen Zulässigkeit einer Abschiebung nichts zu ändern. Zudem finden den Erkenntnisquellen zufolge durchaus Rückübernahmen statt, auch wenn Serbien nur unter bestimmten Voraussetzungen zustimmt. So wurden im Zeitraum von Januar bis Mai 2016 in der Praxis pro Woche durchschnittlich zwei Personen rückübernommen (UNHCR Mai 2016). Allein die Tatsache, dass es sich hierbei nicht um eine exorbitante Größenordnung handeln mag, rechtfertigt die Verneinung einer realen Gefahr nicht (in diesem Sinn auch zu § 34a AsylG: OVG SH, B.v. 21.11.2016 - 2 LA 111/16 - juris). Das übersieht die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Berlin (U.v. 13.12.2016 - 3 K 509.15 A - juris), in der nur darauf abgestellt wird, dass Serbien die Übernahmeersuchen Ungarns formal ablehne. Angesichts der tatsächlich stattfindenden Abschiebungen und der dargestellten gesetzlichen Zulässigkeit bestehen vielmehr erhebliche Anhaltspunkte dafür, dass ohne inhaltliche Prüfung von Asylanträgen eine Abschiebung nach Serbien erfolgen könnte. Wenn die Beklagte demgegenüber unter Berufung auf das Verwaltungsgericht Berlin der Auffassung ist, dass vorliegend ausnahmsweise kein Risiko bestehen sollte, unter Verstoß gegen das Refoulement-Verbot von Ungarn nach Serbien abgeschoben zu werden, wäre es ihre Aufgabe, die Gründe hierfür näher darzulegen. Das ist nicht geschehen.

d) Die Einschätzung zum Vorliegen von systemischen Schwachstellen entspricht auch der Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg (U.v. 13.10.2016 - A 11 S 1596/16 - DVBl 2016, 1615) und des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts (B.v. 20.12.2016 - 8 LB 184/15 - juris, Bezug nehmend auf U.v. 15.11.2016 - 8 LB 92/15 - juris). Die gegenteilige Ansicht des Verwaltungsgerichts Berlin (U.v. 13.12.2016 - 3 K 509.15 A - juris), auf die sich die Beklagte beruft, erklärt nicht, weshalb sich aus den genannten Daten keine belastbaren Erkenntnisse ergeben sollten, welche die hier und von den beiden weiteren Obergerichten vorgenommene Bewertung stützen könnten. Unter anderem wegen der dortigen Inhaftierungspraxis hat im Übrigen mittlerweile auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (U.v. 17.3.2017 - 47287/15 - abrufbar unter https: …dejure.org/2017, 6131) Ungarn zur Zahlung von Schadenersatz verurteilt, weil die Rechtsgrundlagen für die Inhaftierung unbestimmt seien und sie aufgrund einer formalen Entscheidung ohne individuelle Prüfung erfolge. Im Hinblick auf die Einstufung von Serbien als sicheren Drittstaat geht der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ebenfalls von einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung im Sinn von Art. 3 EMRK aus. Diese ergebe sich bereits daraus, dass die Betroffenen mangelhaft informiert würden, deshalb keinen effektiven Zugang zu den relevanten Verfahren hätten und ihre Rechte nicht substantiiert geltend machen könnten. Gerügt wird weiter die fehlende Prüfung der individuellen Risiken, was dazu führe, dass in einer automatisierten Weise (Ketten-)Abschiebungen stattfinden würden. Die ungarische Regierung vermöge keine überzeugende Erklärung zu geben, weshalb Serbien entgegen den allgemeinen europarechtlichen Einschätzungen und den Berichten der internationalen Institutionen als sicherer Drittstaat eingestuft werde. Insgesamt vermag der Gerichtshof deshalb nicht zu erkennen, dass effektive Garantien vorhanden seien, die die Betroffenen davor schützen würden, mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit einer unmenschlichen Behandlung ausgesetzt zu sein.

3. Angesichts dieser systemischen Schwachstellen - wie dargelegt - kommt es auch auf den Einwand der Beklagten nicht mehr an, die Auffassung des Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg (U.v. 13.10.2016 a.a.O. Rn. 45 ff.) zur Abschiebungsanordnung nach § 34a Abs. 1 AsylG könne nicht geteilt werden. Danach sei Voraussetzung einer Abschiebungsanordnung nach § 34a Abs. 1 AsylG, dass die Abschiebung in den zuständigen Mitgliedstaat erfolgen könne und dies auch alsbald der Fall sein werde. Bestünden aufgrund einer in Relation zu den Übernahmezustimmungen niedrigen Quote an vollzogenen Überstellungen hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass dieses nicht der Fall sein könnte, führe dies zur Rechtswidrigkeit der Abschiebungsanordnung. Diese Frage kann hier dahingestellt bleiben, weil sich die Rechtswidrigkeit der Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 AsylG (bzw. § 27a AsylG a.F.) schon aus dem Vorliegen systemischer Schwachstellen in Ungarn ergibt mit der Folge, dass auch die hierauf gestützte Abschiebungsanordnung rechtswidrig ist. Im Übrigen hat der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg seine Einschätzung in erster Linie ebenfalls auf das Vorliegen von systemischen Schwachstellen gestützt und lediglich ergänzend ausgeführt, dass die angegriffenen Verfügungen auch aus diesem weiteren Grund aufzuheben seien. Die Zuständigkeit sei auch deshalb auf die Bundesrepublik Deutschland übergegangen, weil eine Überstellung bis zum Ablauf der Überstellungsfrist nicht mehr durchgeführt werde. Gleiches gilt für die Entscheidung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts (B.v. 20.12.2016 a.a.O. Rn. 60 ff.). Dessen ungeachtet gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass Abschiebungen nach Ungarn nicht erfolgen könnten. So gibt HHC 1.9.2016 an, dass von Januar bis Juli 2016 377 Dublin-Rückführungen nach Ungarn stattgefunden hätten, davon 203 aus Deutschland (siehe hierzu auch OVG SH, B.v. 21.11.2016 - 2 LA 111/16 - juris).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.

Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 VwGO sind nicht gegeben, da der Frage, ob in Ungarn systemische Schwachstellen bestehen, nur in tatsächlicher Hinsicht eine grundsätzlich Bedeutung zukommt.

Tenor

I.

Die Klage wird abgewiesen.

II.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

III.

Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Der Kläger ist sierra-leonischer Staatsangehöriger.

Er wurde am 17. Mai 2015 im Bundesgebiet aufgegriffen, in das er von Österreich kommend eingereist war. Hinsichtlich des Reisewegs gab er an, er sei von Sierra Leone in die Türkei geflogen. Von dort sei er nach einem Jahr mit dem Schiff weiter nach Griechenland und dann zu Fuß weiter nach Mazedonien, Serbien und Ungarn gelangt. Von dort sei er gegen Bezahlung mit dem Auto nach Deutschland gebracht worden.

Am 23. Juli 2015 stellte er einen Asylantrag.

Nachdem eine EURODAC-Abfrage ergab, dass der Kläger bereits in Ungarn registriert worden war, sandte die Beklagte am 1. Juli 2015 eine Übernahmeanfrage an Ungarn. Auf diese erfolgte keine Antwort binnen zweier Wochen.

Mit Bescheid vom ... August 2015 wurde der Antrag des Klägers als unzulässig ab-gelehnt (Nr. 1 des Bescheids) und die Abschiebung nach Ungarn angeordnet (Nr. 2 des Bescheids). In Nr. 3 des Bescheids wurde das Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz auf null Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet. Auf die Begründung des Bescheids wird Bezug genommen.

Der Kläger erhob am 27. August 2015 Klage (M 9 K 15.50732) gegen den genannten Bescheid. Er beantragt,

den Bescheid des Bundesamtes vom ... August 2015 aufzuheben.

Zur Begründung wurde vorgetragen, das Asylverfahren in Ungarn leide an systemischen Mängeln. Dem Kläger drohten in den ungarischen Aufnahmeeinrichtungen Zustände, die im Hinblick auf Art. 4 EU-Grundrechtecharta nicht hinnehmbar seien. In Ungarn würden Asylbewerber exzessiv inhaftiert. Die Plätze in offenen Einrichtungen reichten bei Weitem nicht aus. Die erneute Verschärfung des ungarischen Asylrechts zum 1. August 2015 führe dazu, dass rücküberstellte Asylbewerber keinen Zugang zum Asylverfahren mehr hätten. Mittlerweile könne jeder Asylantrag abgelehnt werden, wenn der Antragsteller die Unterkunft länger als 48 Stunden verlassen habe. Dies sei beim Kläger der Fall.

Einem Antrag des Klägers auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage wurde mit Beschluss vom 3. Dezember 2015 stattgegeben (M 9 S 15.50733).

Mit Gerichtsbescheid vom 10. August 2016 wies das erkennende Gericht die Klage ab. Hiergegen hat der Klägerbevollmächtigte mit Schriftsatz vom 25. August 2016 Antrag auf mündliche Verhandlung gestellt.

In der mündlichen Verhandlung trug der Bevollmächtigte des Klägers ergänzend vor, dass Ungarn ausweislich eines Schreibens des Dublin-Verbindungsbüros in Budapest derzeit offenbar Rücküberstellungen im Rahmen des Dublin-Verfahrens ablehne. Es wurde beantragt hierzu Beweis zu erheben. Der diesbezügliche Beweisantrag wurde durch Beschluss des Gerichts in der mündlichen Verhandlung abgelehnt. Auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 4. Oktober 2016 wird hierzu Bezug genommen. Nach Schluss der mündlichen Verhandlung hat der Klägerbevollmächtigte mit Telefax vom 4. Oktober 2016 zwei Kopien von Schreiben der „Dublin Coordination Unit“ in Ungarn vom 14. Juni 2016 und vom 16. August 2016 vorgelegt. In diesen wird jeweils die Rücküberstellung im einem Dublinverfahren abgelehnt.

Zum weiteren Vorbringen und zu den übrigen Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte im vorliegenden Verfahren, dem Verfahren gem. § 80 Abs. 5 VwGO (M 9 S 15.50733) und die beigezogene Behördenakte verwiesen.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Der Bescheid der Beklagten vom ... August 2015 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 VwGO).

Das Bundesamt hat den Asylantrag des Klägers zu Recht gem. § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG in der Fassung der Änderung durch Art. 6 des Integrationsgesetzes vom 31. Juli 2016 (BGBl. I S. 1939; im Folgenden: AsylG; bisher § 27a AsylG) als unzulässig abgelehnt.

Nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 AsylG ist ein Asylantrag als unzulässig abzulehnen, wenn ein anderer Staat aufgrund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Gemäß § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG ordnet das Bundesamt in einem solchen Fall die Abschiebung in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann.

Für die Prüfung des am 23. Juli 2015 in Deutschland gestellten Asylantrags ist gemäß Art. 13 Abs. 1 i.V.m 18 Abs. 1 b) VO (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und Rates vom 26. Juni 2013 - Dublin-III-VO - Ungarn zuständig. Aus dem EURODAC-Treffer der Kategorie 1 ergibt sich, dass der Kläger bereits in Ungern einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat. Da Ungarn auf das Übernahmeersuchen vom 1. Juli 2015 nicht fristgerecht geantwortet hat, ist davon auszugehen, dass dem Aufnahmegesuch stattgegeben wird, Art. 25 Abs. 2 Dublin-III-VO.

Die Beklagte ist nicht verpflichtet, trotz der Zuständigkeit Ungarns den Asylantrag des Klägers selbst inhaltlich zu prüfen.

Von Verfassungs wegen kommt eine Prüfungspflicht der Beklagten nur in Betracht, soweit ein von vornherein außerhalb der Reichweite des Konzepts der normativen Vergewisserung liegender Sachverhalt gegeben ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, U. v. 14.5.1996 - 2 BvR 1938/93) ist dies - be-zogen auf die Verhältnisse im Abschiebezielstaat - etwa dann der Fall, wenn sich die, für die Qualifizierung des Drittstaates als sicher, maßgeblichen Verhältnisse schlagartig geändert haben und die gebotene Reaktion der Bundesregierung darauf noch aussteht oder wenn der Aufnahmestaat selbst gegen den Schutzsuchenden zu Maßnahmen politischer Verfolgung oder unmenschlicher Behandlung zu greifen droht und dadurch zum Verfolgerstaat wird. An die Darlegung eines solchen Sonderfalles sind allerdings hohe Anforderungen zu stellen.

Nach Art. 3 Abs. 2 Satz 2 Dublin-III-VO und der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (U. v. 21. Dezember 2011 C-411/10 und C-493/10) ist Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (EU-Grundrechtcharta) dahin auszulegen, dass es den Mitgliedsstaaten einschließlich der nationalen Gerichte obliegt, einen Asylbewerber nicht an den „zuständigen Mitgliedsstaat“ im Sinne der Dublin-VO zu überstellen, wenn ihnen nicht unbekannt sein kann, dass die systemischen Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedsstaat ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass der Asylbewerber tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne dieser Bestimmung ausgesetzt zu werden.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts muss sich der Tatrichter zur Widerlegung der auf dem Prinzip gegenseitigen Vertrauens unter den Mitglieds-staaten gründenden Vermutung, die Behandlung der Asylbewerber stehe in jedem Mitgliedsstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Grundrechte-Charta sowie mit der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK, die Überzeugungsgewissheit (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) verschaffen, dass der Asylbewerber wegen systemischer Mängel des Asylverfahrens mit beachtlicher, das heißt überwiegender Wahr-scheinlichkeit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt wird. Die Widerlegung dieser Vermutung aufgrund systemischer Mängel setzt deshalb voraus, dass das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen im zuständigen Mitgliedsstaat aufgrund größerer Funktionsstörungen regelhaft so defizitär sind, dass anzunehmen ist, dass dort auch dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Fall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (BVerwG, B. v. 6.6.2014 - 10 B 35/14 - juris).

Maßgeblich für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage in dem zuständigen Mit-gliedsstaat sind die regelmäßigen Berichte von internationalen Nichtregierungsorganisationen, Berichte der Kommission zur Bewertung des Dublin-Systems und Berichte des UNHCR zur Lage von Flüchtlingen und Migranten vor Ort. Den Berichten des UNHCR zur Lage von Flüchtlingen und Migranten vor Ort kommt bei der Beurteilung der Funktionsfähigkeit des Asylsystems in dem nach der Dublin-III-VO zuständigen Mitgliedsstaat besondere Relevanz zu.

Nach diesen Grundsätzen ist auf Grundlage des dem Gericht vorliegenden, aktuellen Erkenntnismaterials zur Situation von Asylbewerbern in Ungarn (vgl. Bericht des Hungarian Helsinki Commiittee zu den Änderungen des ungarischen Asylrechts vom 7. August 2015, abrufbar unter http://helsinki.hu/wp-content/uploads/HHC-HU-asylum-law-amendment-2015-August-info-note.pdf; Bericht des Hungarian Helsinki Committee zu Asylhaft und zu den Dublin-Verfahren in Ungarn, Stand Mai 2014; Stellungnahme des UNHCR vom 9.5.2014 an das VG Düsseldorf im Verfahren 13 L 172/14.A jeweils abrufbar unter https://milo.bamf.de; Ungarn Länderbericht des AIDA (Asylum Information Database), Stand: 30.4.2014, abrufbar unter http://www.asylumineurope.org; Bericht von bordermonitoring.eu; Stand: Oktober 2013, abrufbar unter http://bordermonitoring.eu; Amnesty International Juli 2015: „Europe´s Borderlands - Violations against refugees and migrants in Macedonia, Serbia and Hungary“, abrufbar unter http://www.amnestyusa.org/research/europes-borderlands-violations-against-migrants-and-refugees-in-macedonia-serbia-and-hungary; Amnesty International zur Lage der Flüchtlinge in Ungarn Oktober 2015: „Fenced out-Hungary´s violations of the rights of refugees and migrants“, abrufbar unter http://www.amnesty.org/en/documents/eur27/2614/2015/en/; UNHCR: „Europe´s refugee emergency response update #10, 6. - 12. November 2015, abrufbar un-terhttp://www.refworld/org/cgi-bin/texis/vtx/rwmain?page=search&skip=0&query=&coi

=HUN; Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 27. Januar 2016 gegenüber dem VG Augsburg) jedenfalls für die Person des Klägers derzeit nicht ernsthaft zu befürchten, dass in Ungarn das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für den Asylbewerber systemische Mängel aufweisen, die einen Verstoß gegen die Genfer Flüchtlingskonvention oder eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Sinne von Art. 4 EU-GRCh bzw. Art. 3 EMRK begründen könnten.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), dessen Rechtsprechung grundsätzlich über den jeweils entschiedenen Einzelfall hinaus eine Orientierungs- und Leitfunktion zukommt (vgl. BVerwG, U. v. 28.2.2013 - 2 C 3.12 - juris), hat mit Urteil vom 3. Juli 2014 im Ergebnis festgestellt, dass systemische Mängel hinsichtlich der Inhaftierungspraxis Ungarns nicht vorliegen und ein tatsächliches Risiko einer schwerwiegenden Beeinträchtigung im Sinne des Art. 3 EMRK bei einer Rückkehr nach Ungarn nicht bestehe (vgl. EGMR, U. v. 3.7.2014 - 71932/12). Auch der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat in zwei Entscheidungen ausgeführt, allein die Tatsache, dass das ungarische Asylrecht Inhaftierungsgründe für Asylbewerber enthalte und Ungarn auf dieser Grundlage Dublin-Rückkehrer inhaftiere, sei für sich genommen noch kein begründeter Anhaltspunkt für das Vorliegen systemischer Mängel des Asylsystems (so auch: VG Dresden, B. v. 9.9.2015 - 2 L 719/15.A). Er stützt sich weiterhin maßgeblich darauf, dass der UNHCR sich bisher nicht generell gegen Rücküberstellungen nach Ungarn ausgesprochen habe (BayVGH, B. v. 12.6.2015 - 13a ZB 15.50097 - juris; BayVGH, B. v. 27.4.2015 - 14 ZB 13.30076 - juris).

Solche Mängel folgen auch nicht aus dem Rechtsgutachten über ungarisches Asylrecht des Instituts für Ostrecht in München, Prof. Dr. Herbert Küpper, vom 2. Oktober 2015 gegenüber dem VG Düsseldorf (GB v. 2.12.2015, 22 K 3263/15.2, juris). Aus diesem Gutachten ergib sich im Wesentlichen, dass Ungarn Serbien als sicheren Drittstaat ansieht. Nachweise über mögliche Missstände im serbischen Asylsystem, die allein systemische Mängel durch die ungarische Drittstaatenregelung begründen könnten, lassen sich diesem Gutachten gerade nicht entnehmen.

Hingegen lässt sich aus einer Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 27. Januar 2016 an das VG Augsburg schließen, dass für den Kläger im Falle einer Rückkehr nach Ungarn nicht die konkrete Gefahr einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung besteht. Weder hinsichtlich behaupteter Unterbringungsprobleme noch in Bezug auf die vom Bevollmächtigten des Klägers angesprochene Asylhaft lassen sich Gesichtspunkte entnehmen, welche eine Verletzung von Art. 4 EUGRCh befürchten lassen. Das Auswärtige Amt führt in der Auskunft vom 27. Januar 2016 auszugsweise aus:

„Zu Frage c:

Es liegen keine offiziellen statistischen Informationen vor, ob Dublin-Rückkehrer regelmäßig oder ausnahmsweise inhaftiert werden. Es gelten für die Anordnung der Asylhaft die gleichen gesetzlichen Grundlagen wie für Nicht-Dublin-Fälle.

Zur durchschnittlichen Verweildauer von Dublin-Rückkehrern in Asylhafteinrichtungen liegen ebenfalls keine offiziellen statistischen Informationen vor. Die gesetzliche Höchstdauer beträgt 6 Monate, im Fall von Familien mit minderjährigen Kindern 1 Monat.

Die Asylverfahren von Personen, die sich in Asylhaft befinden, werden vor-rangig bearbeitet. Anzumerken ist, dass nach einer internen, nicht offiziellen Auswertung eines Verantwortlichen der Einrichtung Bekescsaba die durchschnittliche Haftdauer im Auswertungszeitraum 1.1.-10.12.2015 bei 24 Tagen lag.

Haftdauerverringernd wirkt sich neben dem Beschleunigungsgebot zum einen aus, dass die Asylbehörde nicht automatisch die maximal zulässige Haftverlängerung beantragt, zum anderen, dass das zuständige Gericht, welches über die Verlängerung der Haftanordnung entscheidet, kürzere Haftzeiten als beantragt gewährt. Anhand des Prüfungsaufwandes vom Einzelfall wird u. a. festgelegt, wie lange der Asylbewerber noch in Haft zu halten ist.

So sind zum einen Fälle bekannt, in denen die Haft sofort beendet wurde, als auch Fälle, in denen die Haft für eine Woche vom Gericht verlängert wurde.

Die Asylbehörde ist als Betreiber der Einrichtungen mit Sachbearbeitern vor Ort in den Einrichtungen vertreten. Die Sachbearbeiter führen Anhörungen durch und treffen Entscheidungen.

Die Praxis, Antragsteller aus bestimmten Herkunftsstaaten nicht in Asylhaft zu nehmen, wurde unter anderem deswegen aufgegeben, da vermehrt Staatsangehörigkeitstäuschungen festgestellt wurden.

Von Gesetzes wegen werden unbegleitete Minderjährige und Personen, die sich legal in Ungarn aufgehalten haben (z. B. nachweislich durch ein Visum oder eine Aufenthaltserlaubnis) und einen Asylantrag stellen, nicht in Asylhaft genommen. Bei Zweifeln an der Minderjährigkeit wird eine ärztliche Untersuchung durchgeführt.

Asylhaft kann nach den gesetzlichen Regelungen angeordnet werden

1. bei unklarer Identität oder Staatsangehörigkeit zur Klärung dieser,

2. bei Ausländern, die sich im Ausweisungsverfahren befinden und einen Asylantrag stellen, obwohl sie diesen zweifelsfrei bereits zuvor hätten stellen können oder um eine drohende Aufenthaltsbeendigung zu verzögern oder abzuwenden,

3. wenn der Sachverhalt des Asylbegehrens aufgeklärt werden muss und eine Aufklärung nicht ohne Haft möglich ist, speziell wenn die Gefahr des Untertauchens besteht,

4. wenn der Asylbewerber eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt,

5. wenn der Asylantrag im Flughafenbereich gestellt wurde oder

6. zur Sicherstellung der Durchführung des Dublin-Verfahrens, wenn die ernsthafte Gefahr des Untertauchens besteht.

Die Entscheidung über die Asylhaft wird dem Ausländer mündlich in seiner Muttersprache oder einer ihm verständlichen Sprache mitgeteilt und ihm die Anordnungsverfügung in ungarischer Sprache ausgehändigt. Asylhaft kann erstmalig maximal für 72 Stunden angeordnet werden.

Asylhaft darf nicht nur deshalb angeordnet werden, weil ein Asylantrag gestellt wurde. Im Rahmen jeder Haftanordnung ist von der Asylbehörde zu prüfen, ob ein milderes Mittel zur Anwendung kommen kann. Wenn der Anordnungsgrund auch durch ein milderes Mittel erreicht werden kann, ist Haft nicht anzuordnen.

Die Asylbehörde kann die Hinterlegung einer Kaution als milderes Mittel anordnen. Sofern der Asylbewerber seine Anwesenheitspflicht erfüllt, ist die Kaution nach Abschluss des Asylverfahrens an ihn zurückzuzahlen.

Soll die Asylhaft für länger als 72 Stunden andauern, muss die Asylbehörde binnen 24 Stunden nach der Erstanordnungsverfügung einen Verlängerungsantrag um maximal 60 Tage beim örtlichen Gericht stellen. Es findet somit eine automatische Überprüfung der Maßnahme spätestens 72 Stunden nach Verhängung der Maßnahme durch das örtlich zuständige Gericht statt. Der Verlängerungsantrag ist zu begründen.

Bei dem Haftprüfungstermin muss der Betroffene anwaltlich vertreten sein und kann Einwendungen gegen die Rechtmäßigkeit der Maßnahme einle-gen. Auch nach gegebenfalls Bestätigung der Maßnahme durch das Gericht kann der Betroffene jederzeit Einwendungen erheben, über die das Gericht binnen 8 Tagen zu entscheiden hat, wobei eine wiederholte Beschwerde aus denselben Gründen nicht statthaft ist. Sollte der Betroffene aus sprachlichen oder anderen Gründen gehindert sein, selbst einen Anwalt zu beauftragen, wird von Amts wegen vom zuständigen Gericht ein Anwalt beigeordnet.

Die Verfahrenskosten trägt der ungarische Staat.

Die Haft ist ohne Verzögerung spätestens zu beenden, wenn

1. die Höchstdauer erreicht ist,

2. der Haftgrund nicht mehr existiert,

3. feststeht, dass der Asylbewerber minderjährig ist,

4. ein Krankenhausaufenthalt aus medizinischen Gründen erforderlich ist,

5. die Voraussetzungen zur Durchführung des Dublin-Verfahrens gegeben sind

oder

6. das Dublin-Verfahren nicht durchgeführt werden kann.

Die Punkte 5 und 6 betreffen nicht Dublin-Rückkehrer, sondern von Ungarn zu überstellende Personen in andere Mitgliedsstaaten.

Es gibt in Ungarn drei Asylhafteinrichtungen:

In allen ist eine 24/7 medizinische Versorgung gewährleistet. Psychologische Behandlung wird auf Nachfrage von einer Nichtregierungsorganisation durchgeführt, ist aber auch bei festgestelltem Bedarf in der nächstgelegenen Klinik verfügbar.

Beschwerden gegen die Haftbedingungen können bis zum Leiter des Asyldirektorates eingereicht werden. Kontrolliert wird die Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen zu den Bedingungen der Unterbringung von Asylsuchenden in Asylhafteinrichtungen durch das Büro der ungarischen Staatsanwaltschaft, das regelmäßig Kontrollbesuche durchführt.

Der UNHCR hat jederzeit und ohne dass es irgendwelcher administrativer Voraussetzungen bedarf, ungehinderten Zugang zu den Unterbringungseinrichtungen. Angehörige von NGOen, mit denen die Asylbehörde Kooperationsvereinbarungen geschlossen hat (Ungarisches Helsinki Komitee, Cordelia Foundation, Menedék Associassion) haben ebenfalls Zugang zu den Einrichtungen, wobei es hierzu jedoch einer schriftlichen Erlaubnis bedarf. In der täglichen Praxis stellt dieses Verfahren aber lediglich eine Formalität dar und kein wirkliches Genehmigungsverfahren.

Die Einrichtungen verfügen in der Regel über Zimmer für die Insassen, einen Sozialraum, Verwaltungs- und Arztgebäude, eine Turn- oder Sporthalle sowie einen Innenhof. Der Sozialraum bietet Zugang zu Internet und Telefon.

In den Asylhafteinrichtungen arbeiten auch Sozialpädagogen zwecks Betreuung der Asylbewerber. Die Unterbringung erfolgt in Mehrbetträumen, wobei alleinstehende Frauen und Familien von minderjährigen Kindern, die nach den gesetzlichen Regelungen auch in Asylhaft genommen werden können, in separaten Gebäuden oder Flügeln getrennt von alleinstehenden Männern untergebracht werden müssen.“

Der Umstand, dass in Ungarn seit dem 1. August 2015 ein geändertes Asylverfahrensgesetz in Kraft getreten ist, das die Rechte von Asylsuchenden erneut ein-schränkt, ist nicht dazu geeignet, einen systemischen Mangel zu begründen. Die materielle-rechtliche Verschärfung des Asylrechts, wonach Asylanträge abgelehnt werden dürfen, wenn Asylsuchende über sichere Transitstaaten eingereist sind, ist eine einschränkende Bestimmung, die ebenso wenig wie die entsprechende Bestimmung des § 26a AsylG einen systemischen Mangel darstellt. Auch die Regelung, wonach die Asylverfahren verkürzt werden und Asylanträge dann abgelehnt werden, wenn sich ein Asylbewerber unentschuldigt länger als 48 Stunden aus der ihm zugewiesenen Unterkunft entfernt, kann nicht als systemischer Mangel betrachtet werden. Die Verkürzung der Asylverfahren durch Einführung eines Schnellverfahrens und die rasche Abschiebung ist der Versuch erkennbar, Einreise, Registrierung, Aufenthalt und Anerkennung von Flüchtlingen zu regulieren, um einem ungehinderten Zustrom auch von Flüchtlingen, die nicht in Ungarn Asyl beantragen, sondern weiterreisen wollen, Herr zu werden. Es ist kein systemischer Mangel, wenn nur Asylanträge bearbeitet werden, wenn der Betreffende sich noch an dem ihm zur Verfügung gestellten und zugewiesenen Aufenthaltsort aufhält. Aus dem Rechtsgutachten über das ungarische Asylrecht des Instituts für Ostrecht in München für das Verwaltungsgericht Düsseldorf vom 2. Oktober 2015, in dem das ungarische Asylrecht übersetzt und erläutert wird, folgt, ebenso wie aus der Stellungnahme des Auswärtigen Amts vom 27. Januar 2016 an das Verwaltungsgericht Augsburg, dass die ungarische Rechtslage umfangreiche Regelungen über eine Asyl- bzw. Flüchtlingsanerkennung, Rückschickungsverbote und Ausweisungen enthält und gegen die Entscheidung der Flüchtlingsbehörde sowie gegen die Ausweisung Rechtsmittel möglich sind. Danach findet das beschleunigte Verfahren statt, wenn u. a. ein Wiederholungsantrag gestellt wird, ohne dass neue Umstände oder Tatsachen vorliegen (§ 51 Abs. 2 Buchst. d) oder wenn ein sicherer Drittstaat existiert (§ 51 Abs. 2 Buchst. e). Dabei darf die Feststellung der Unzulässigkeit des Antrags wegen eines sicheren Drittstaats nur erfolgen, wenn der Antragsteller in diesem sicheren Drittstaat die Möglichkeit gehabt hätte, Schutz zu beanspruchen oder durch das Gebiet dieses Drittstaats durchgereist ist und dabei die Möglichkeit gehabt hätte, Schutz zu beanspruchen (§ 51 Abs. 4 Buchst. a und b). Eine Beweislastumkehr sieht Abs. 5 bei Vorliegen der Voraussetzungen des Abs. 4 vor. Sonstige Fälle eines beschleunigten Verfahrens regelt Abs. 7 u. a. für den Fall eines wiederholten Antrags, der nicht unzulässig ist, bei illegaler Einreise oder Aufenthalt ohne das Stellen eines Asylantrags in vernünftiger Frist, und u. a. bei der Weigerung, Fingerabdrücke abzugeben. Nach § 51 Abs. 11 hat der Antragsteller eine Frist von drei Tagen um zu erklären, warum in seinem individuellen Fall das angegebene Land kein sicheres Herkunfts- oder Drittland ist (abgedruckt und übersetzt S. 16 bis 18 des Gutachtens). Der verfahrensrechtliche Ablauf bei Unzulässigkeit oder im Schnellverfahren lässt nach der Rechtslage keinen systemischen Mangel erkennen, insbesondere ist nicht erkennbar, dass diese schnelle Durchführung den Zugang zum Asyl faktisch unmöglich machen könnte oder internationale menschen- und flüchtlingsrechtliche Standards dadurch verletzt werden könnten.

Die seit 1. August 2015 geltende Regelung, dass zu den sicheren Drittstaaten Serbien als EU-Aufnahmekandidat gehört, führt ebenfalls nicht zu einem systemischen Mangel in Ungarn. Nach dem Lagebericht des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge zum Mitgliedsstaat Ungarn vom 13. Januar 2016 des Mitarbeiters des BAMF beim ungarischen Amt für Einwanderung und Staatsbürgerschaft ist tatsächlich eher die Situation so, dass Serbien momentan die Übernahme von Drittstaatsangehörigen aus Ungarn ablehnt. Anhaltspunkte dafür, dass Serbien seinerseits Drittstaatsangehörige weiter zurückschiebt und so eine Rückschiebungskette entsteht, sind weder ernsthaft behauptet noch belegt.

Im Fall des Klägers ist eine Zurückschiebung nach Serbien ausweislich der Stellungnahme des Auswärtigen Amtes an das VG Augsburg vom 27.01.2016 ohnehin ausgeschlossen, da seit dem Grenzübertritt des Klägers von Serbien nach Ungarn mehr als ein Jahr vergangen ist und eine Rückübernahme durch Serbien nach Ablauf dieses Zeitraums nicht mehr erfolgt.

Auch der EuGH geht in seiner Entscheidung vom 17. März 2016 (C-695/15) davon aus, dass eine Rückführung nach Serbien durch ungarische Behörden unbedenklich möglich ist und offenbar nicht gegen den in Art. 33 Abs. 1 Genfer Flüchtlingskonvention enthaltenen Grundsatz der Nichtzurückweisung (sog. Refoulement-Verbot) verstößt.

Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsanordnung bestehen auch nicht, soweit der Klägerbevollmächtigte in der mündlichen Verhandlung am 4. Oktober 2016 erstmals vorgetragen hat, es bestünden Anhaltspunkte, dass Ungarn Rücküberstellungen im Rahmen des Dublin-Verfahrens ablehne.

Nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG ordnet das Bundesamt, wenn der Ausländer in einen sicheren Drittstaat (§ 26a) oder in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 27a) abgeschoben werden soll, die Abschiebung in diesen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Die Durchführbarkeit der Abschiebung ergibt sich bereits aus der aus Art. 18 Abs. 1 Dublin-III-VO resultierenden Übernahmeverpflichtung Ungarns, nachdem die Zustimmung Ungarns zur Wiederaufnahme gem. Art. 25 Abs. 2 Dublin-III-VO fingiert wird. Die Behauptung, Ungarn weigere sich in einem Fall, Rückübernahmen durchzuführen ist nicht geeignet darzulegen, dass eine Rückführung des Klägers tatsächlich dauerhaft unmöglich sei. Aus der mit Telefax des Klägerbevollmächtigten vom 4. Oktober 2016 im Nachgang zur mündlichen Verhandlung vorgelegten Antwort der „Dublin Coordination Unit“ vom 16. August 2016 zu einem Rückübernahmeersuchen kann nicht geschlossen werden, dass im Fall des Klägers, in dem eine fingierte Zustimmung zur Rückübernahme bereits vorliegt, die tatsächliche Rückführung ausgeschlossen sei. Eine generelle Nichtanwendung der Dublin-Regularien kann aus der Entscheidung in einem Einzelfall nicht geschlossen werden. Zudem liegt dem Gericht eine Stellungnahme des BAMF vom 19. August 2016 vor (Verfahren M 9 K 16.50065) wonach das Bundesamt weiterhin auf eine Überstellung nach Ungarn bestehe und diese Überstellungen nach Ungarn nach einer entsprechenden Remonstration problemlos verlaufen würden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. ZPO.

(1) Das Gericht entscheidet, soweit nichts anderes bestimmt ist, auf Grund mündlicher Verhandlung. Die mündliche Verhandlung soll so früh wie möglich stattfinden.

(2) Mit Einverständnis der Beteiligten kann das Gericht ohne mündliche Verhandlung entscheiden.

(3) Entscheidungen des Gerichts, die nicht Urteile sind, können ohne mündliche Verhandlung ergehen, soweit nichts anderes bestimmt ist.

(1) Für das Berufungsverfahren gelten die Vorschriften des Teils II entsprechend, soweit sich aus diesem Abschnitt nichts anderes ergibt. § 84 findet keine Anwendung.

(2) Ist die Berufung unzulässig, so ist sie zu verwerfen. Die Entscheidung kann durch Beschluß ergehen. Die Beteiligten sind vorher zu hören. Gegen den Beschluß steht den Beteiligten das Rechtsmittel zu, das zulässig wäre, wenn das Gericht durch Urteil entschieden hätte. Die Beteiligten sind über dieses Rechtsmittel zu belehren.

Das Oberverwaltungsgericht prüft den Streitfall innerhalb des Berufungsantrags im gleichen Umfang wie das Verwaltungsgericht. Es berücksichtigt auch neu vorgebrachte Tatsachen und Beweismittel.

Tenor

I. Unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 25. Oktober 2016 wird der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 23. November 2015 aufgehoben.

II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen zu tragen.

III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die im Jahr 1971 geborene Klägerin und ihre beiden 2006 und 2008 geborenen Kinder sind kurdische Yeziden aus Sheikhan im Irak. Sie reisten am 5. August 2015 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellten am 14. September 2015 beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) Asylantrag.

Bei der Befragung zur Vorbereitung der Anhörung am 14. September 2015 gab die Mutter, die Klägerin zu 1, an, sie habe ihr Heimatland am 1. Juli 2015 verlassen. In der Heimat lebten noch ihr Ehemann und 2 weitere Kinder sowie drei Brüder und zwei Schwestern. Im persönlichen Gespräch zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats am 16. Oktober 2015 gab die Klägerin zu 1 an, sie sei ca. einen Monat unterwegs gewesen und dabei über ihr unbekannte Länder gefahren. In Ungarn seien ihr Fingerabdrücke abgenommen worden.

Nachdem sich ein Eurodac-Treffer für Ungarn ergeben hatte, bat das Bundesamt am 21. Oktober 2015 Ungarn um Übernahme des Asylverfahrens. Der ungarische Staat bestätigte den Empfang der Anfrage am 22. Oktober 2015.

Mit Bescheid des Bundesamts vom 23. November 2015 wurden die Anträge als unzulässig abgelehnt (1.) und die Abschiebung nach Ungarn angeordnet (2.). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 12 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (3.). Zur Begründung ist ausgeführt, der Asylantrag sei gemäß § 27a AsylG a.F. unzulässig, da Ungarn nach der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (ABl. L 180 v. 29.6.2013, S. 31 - Dublin III-VO), zur Prüfung der Asylanträge zuständig sei. Außergewöhnliche humanitäre Gründe, die zu einem Selbsteintrittsrecht führen könnten, seien nicht ersichtlich. Der Vortrag der Kläger, dass sie in Ungarn zwei Tage ohne Essen im Gefängnis gewesen seien und die Klägerin zu 1 deshalb aktuell psychisch sehr belastet sei, rechtfertige keine andere Beurteilung. Gründe zur Annahme von systemischen Mängeln im ungarischen Asylverfahren lägen nicht vor. Die in Deutschland lebenden Geschwister bzw. Verwandten der Klägerin zu 1 seien keine „Familienangehörige“ im Sinn der Dublin III-VO. Die Asylanträge würden daher in der Bundesrepublik Deutschland nicht materiell geprüft.

Am 1. Dezember 2015 erhoben die Kläger hiergegen beim Verwaltungsgericht Ansbach Klage und stellten zugleich Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung. Sie führten aus, es sei von systemischen Mängeln des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen in Ungarn auszugehen. Das ergebe sich aus zahlreichen verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen. Zudem werde zu Unrecht angenommen, dass die Kläger der Regelung des § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG (a.F.) unterfielen.

Mit Beschluss des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 4. Januar 2016 wurde die aufschiebende Wirkung der Klage angeordnet und mit Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 7. März 2017 deren Fortdauer (13a AS 17.50010).

In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht am 18. Oktober 2016 erklärten die Kläger, in Ungarn seien zwangsweise Fingerabdrücke abgenommen worden und es sei ihnen keine gute Behandlung widerfahren. Die Kinder hätten trotz starken Fiebers keine Behandlung bekommen; sie seien zusammen mit vielen anderen Personen inhaftiert gewesen.

Mit Urteil vom 25. Oktober 2016 wurde die Klage abgewiesen. Zur Begründung wurde ausgeführt, nach den unionsrechtlichen Rechtsvorschriften sei Ungarn für die Durchführung der Asylverfahren zuständig. Aufgrund der Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage durch Beschluss vom 4. Januar 2016 sei die Wiederaufnahmefrist noch nicht abgelaufen. Derzeit sei auch nicht ernsthaft zu befürchten, dass in Ungarn das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen systemische Mängel aufwiesen. Das gelte auch nach der Verschärfung der gesetzlichen Regelungen in Ungarn zum 15. August 2015. Dafür spreche, dass der UNHCR keine generelle Empfehlung ausgesprochen habe, Asylbewerber nicht nach Ungarn zu überstellen. Auch die nach der Rechtslage mögliche Anwendung von Asylhaft bei Rückkehrern im Dublin-Verfahren führe nicht zur Annahme systemischer Mängel. Das hätten auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (U.v. 3.7.2014 - 71932/12) und der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (B.v. 12.6.2015 - 13a ZB 15.50097 - juris; B.v. 27.4.2015 - 14 ZB 13.30076 - juris) festgestellt. Zwar seien Dublin-Rückkehrer häufiger von Asylhaft betroffen als Ersteinreisende, jedoch würden Asylkläger aus sogenannten anerkennungsträchtigen Herkunftsländern regelmäßig weder in Asylhaft noch in Abschiebehaft genommen, im Zeitraum vom 1. Januar bis 30. Juni 2015 nur 0,7% aller Asylantragsteller. Familien mit minderjährigen Kindern müssten in separaten Gebäuden getrennt von alleinstehenden Männern untergebracht werden. Asylhaft werde nur in begründeten Einzelfällen angewendet. Dass die Haftbedingungen an sich menschenunwürdig wären und es dort systematisch zu Menschenrechtsverletzungen kommen würde, sei nicht ersichtlich. Es gebe regelmäßig eine medizinische Betreuung, teilweise arbeiteten dort Sozialpädagogen und es bestehe die Möglichkeit der freien Bewegung. Den aktuellen Berichten könne weiter nicht entnommen werden, dass den Klägern eine Überstellung von Ungarn nach Serbien drohe. Auch die Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens gegenüber Ungarn durch die europäische Kommission führe nicht per se zur Annahme von systemischen Mängeln im Asylsystem. Die vorübergehenden Kapazitätsprobleme dürften sich mittlerweile nach den von der ungarischen Regierung ergriffenen Maßnahmen wieder entschärft haben.

Auf Antrag der Kläger hat der Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 25. Januar 2017 die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Frage zugelassen, ob das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen in Ungarn systemische Mängel aufweisen (13a ZB 16.50076).

Zur Begründung ihrer Berufung tragen die Kläger vor, im ungarischen Asylsystem herrschten größere Funktionsstörungen, so dass die ernst zu nehmende Gefahr bestehe, dass sie bei einer Überstellung in einer Weise behandelt würden, die mit ihren Grundrechten nicht vereinbar sei. Insbesondere bestehe mit der Aufnahme von Serbien in die Liste der sicheren Drittstaaten die Gefahr, dass Schutzsuchende nach einer Überstellung nach Ungarn ohne inhaltliche Prüfung ihrer Fluchtgründe in Staaten abgeschoben würden, für die zweifelhaft sei, dass die dortigen Asylverfahren den europäischen Mindestanforderungen entsprächen und Abschiebungen unter Verstoß gegen das Refoulement-Verbot ausgeschlossen seien. Zudem sei zu befürchten, dass das ungarische Asylrecht seit dem 1. August 2015 hinter den europäischen Verfahrensgarantien zurückbleibe. Diese Einschätzung werde bestätigt durch die Berichte von Bordermonitoring, Pro Asyl, Amnesty International, European Council on Refugees and Exiles (ecre) und des Hungarian Helsinki Committee.

Die Kläger beantragen,

den Bescheid des Bundesamts vom 23. November 2015 unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 25. Oktober 2016 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt

Berufungszurückweisung.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichts- und vorgelegten Behördenakten und die Niederschrift über die mündliche Verhandlung am 23. März 2017 verwiesen.

Gründe

Die Berufung ist zulässig und begründet (§ 125 Abs. 1 Satz 1, § 128 Satz 1 VwGO).

I.

Die Klage ist zulässig, insbesondere ist die Anfechtungsklage die allein statthafte Klageart gegen den Bescheid des Bundesamts vom 23. November 2015, wenn es um das Begehren auf Aufhebung einer Entscheidung über die Unzuständigkeit Deutschlands für die Prüfung eines Asylantrags nach den unionsrechtlichen Regelungen der Dublin III-VO geht (BVerwG, U.v. 27.10.2015 - 1 C 32.14 - BVerwGE 153, 162 = NVwZ 2016, 154 zu Art. 2 Buchst. e Dublin II-VO).

II.

Die Klage ist auch begründet. Nach der im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung maßgeblichen Sach- und Rechtslage (§ 77 Abs. 1 AsylG) ist der Bescheid des Bundesamts vom 23. November 2015 rechtswidrig und verletzt die Kläger dadurch in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 VwGO).

1. Gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1a) AsylG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat nach Maßgabe der Dublin III-VO für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist.

Die Reihenfolge der Kriterien zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats richtet sich nach Kapitel III der Verordnung (vgl. Art. 7 Abs. 1 Dublin III-VO). Nach Art. 7 Abs. 2 Dublin III-VO wird bei der Bestimmung des nach diesen Kriterien zuständigen Mitgliedstaats von der Situation ausgegangen, die zu dem Zeitpunkt gegeben ist, zu dem der Asylbewerber seinen Antrag zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat gestellt hat.

Gemessen hieran wäre der beim Bundesamt gestellte Asylantrag gemäß § 29 AsylG unzulässig, weil die Kläger nach den Eurodac-Treffern in Ungarn aus einem Drittstaat kommend die Grenze dieses Mitgliedstaats überschritten haben, der damit nach Art. 13 Abs. 1 Dublin III-VO für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig wäre. Zwischen den Beteiligten besteht auch kein Streit über die prinzipielle Zuständigkeit Ungarns. Die Kläger befürchten allerdings, dass ihnen im Fall ihrer Abschiebung eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung i.S.v. Art. 3 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Europäische Menschenrechtskonvention - EMRK) drohen würde. Davon ist in Ungarn auch auszugehen.

Das gemeinsame europäische Asylsystem stützt sich ebenso wie das deutsche Konzept der „normativen Vergewisserung“ hinsichtlich der Sicherheit von Drittstaaten (siehe hierzu EuGH, U.v. 21.12.2011 - C-411/10 u.a. - NVwZ 2012, 417 Rn. 75 ff.; BVerfG, U.v. 14.5.1996 - 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 - BVerfGE 94, 49) auf die uneingeschränkte und umfassende Anwendung des am 28. Juli 1951 in Genf unterzeichneten Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Flüchtlingskonvention - GFK) und die Versicherung, dass niemand dorthin zurückgeschickt wird, wo er Verfolgung ausgesetzt ist. Dem liegt die Annahme zugrunde, dass alle daran beteiligten Staaten die Grundrechte beachten und dass die Mitgliedstaaten einander insoweit Vertrauen entgegenbringen dürfen. Es wird vermutet, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GR-Charta) sowie mit der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention steht. Wenn ein Mitgliedstaat der Aufnahme des betreffenden Asylbewerbers zugestimmt (oder nicht geantwortet) hat, kann der Asylbewerber der Bestimmung dieses Mitgliedstaats deshalb gemäß Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO nur mit dem Einwand entgegentreten, es gebe wesentliche Gründe für die Annahme, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung i.S.v. Art. 4 GR-Charta mit sich bringen (siehe zur Dublin II-VO EGMR, U.v. 21.1.2011 - M.S.S./Belgien und Griechenland, Nr. 30696/09 - NVwZ 2011, 413; EuGH, U.v. 21.12.2011 - N.S., C-411/10 und C-493/10 - NVwZ 2012, 417; U.v. 10.12.2013 - Abdullahi, C-394/12 - NVwZ 2014, 208). Das ist vorliegend der Fall. Nach den dargestellten Grundsätzen ist es geboten, eine Überstellung nach Ungarn zu unterlassen, weil dort derzeit von systemischen Schwachstellen in diesem Sinn auszugehen ist.

2. Der Senat ist auf der Grundlage des ihm vorliegenden Erkenntnismaterials zur Situation von Asylbewerbern sowie von Dublin-Rückkehrern zu der Überzeugung gelangt, dass bei diesen und damit auch den Klägern eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Fall der Überstellung/Abschiebung nach Ungarn ernsthaft zu befürchten ist.

a) Das ergibt sich aus der dortigen (gesetzlichen) Entwicklung in den letzten Jahren. Nach der am 1. Juli 2013 in Kraft getretenen Änderung des Asylgesetzes, die die Möglichkeit einer Inhaftierung von Asylbewerbern vorsah, kam es ab Sommer 2015 zu weiteren Gesetzesänderungen betreffend unter anderem die Einführung eines beschleunigten Verfahrens, den Rechtsschutz und die Inhaftierung sowie die Aufnahme von Serbien in eine nationale Liste sicherer Drittstaaten mit der Folge der Unzulässigkeit von Asylanträgen bei Einreise über Serbien (UNHCR, Hungary: As a Country of Asylum, Mai 2016 - UNHCR Mai 2016; Hungarian Helsinki Committee, Information Note v. 7.8.2015: Changes to Hungarian asylum law jeopardise access to protection in Hungary - HHC 7.8.2015; AIDA - Asylum Information Database, Country-Report: Hungary v. November 2015 - aida November 2015; Third Party Intervention by the Council of Europe Commissioner for Human Rights, Applications No. 44825/15 und 44944/15 v. 17.12.2015 - CHR). Im September 2015 wurde mit der Errichtung von Grenzzäunen zu Serbien und Kroatien ein Grenzverfahren in dort eingerichteten Transitzonen etabliert (UNHCR Mai 2016; aida November 2015; CHR). Im Fall von Unzulässigkeit und im beschleunigten Verfahren ist vom Amt für Einwanderung und Staatsbürgerschaft (OIN) innerhalb von 15 Tagen zu entscheiden, im regulären Verfahren innerhalb von zwei Monaten (aida November 2015, S. 12; CHR). Die Rechtsmittelfrist gegen Unzulässigkeitsentscheidungen des OIN bzw. gegen Entscheidungen im beschleunigten Verfahren beträgt drei Tage, im Standardverfahren acht Tage (UNHCR Mai 2016, S. 10; HHC 7.8.2015; aida November 2015, S. 21 ff.). Unter Beibehaltung der im Juli 2013 eingeführten Asylhaft im Allgemeinen wurde die zulässige Haftdauer für Grenzankömmlinge ohne Papiere auf 24 statt bisher 12 Stunden heraufgesetzt und die Haftanordnung im Dublin-Verfahren erleichtert. Im Allgemeinen kann Asylhaft erstmalig maximal für 72 Stunden sowie aufgrund eines Verlängerungsantrags um maximal 60 Tage aus im Einzelnen genannten Gründen angeordnet werden, insbesondere bei unklarer Identität und Gefahr des Untertauchens. Zuvor ist zu prüfen, ob ein milderes Mittel zur Anwendung kommen kann (Auswärtiges Amt, Auskunft an das VG Regensburg v. 27.1.2016: Rücküberstellungen nach Ungarn im Rahmen des Dublin-Verfahrens - AA 27.1.2016). Die maximale Dauer der Asylhaft beträgt 6 Monate, bei Folgeanträgen 12 Monate und bei Familien mit Kindern 1 Monat (AA 27.1.2016; aida November 2015, S. 63). Die bisher verpflichtende Platzgröße für die Asylhaft wurde in eine Empfehlung umgewandelt, die so weit wie möglich einzuhalten ist. Ferner kann OIN Asylantragsteller ohne Dokumente verpflichten, ihr Heimatland zu kontaktieren (HHC 7.8.2015; CHR).

Dublin-Rückkehrer, über deren Erstantrag bei Rückkehr noch nicht entschieden wurde, werden als Erstantragsteller behandelt (AA 27.1.2016). Grundsätzlich hat die Asylbehörde in Fällen, in denen Asylantragsteller während eines laufenden Asylverfahrens in einen Mitgliedstaat weiterreisen, in jedem Verfahrensstadium die Möglichkeit, entweder auf Basis der zur Verfügung stehenden Informationen eine Sachentscheidung zu treffen oder aber das Asylverfahren einzustellen. Regelmäßig wird das Asylverfahren ohne Entscheidung in der Sache eingestellt (AA 27.1.2016; aida November 2015, S. 21 ff.). Die Wiederaufnahme des Verfahrens kann bis zu neun Monate nach Einstellung des Verfahrens beantragt werden (UNHCR Mai 2016, S. 20; AA 27.1.2016). Danach wird die Einstellung endgültig und der Asylbewerber wird wie ein Folgeantragsteller behandelt, wobei Änderungen dergestalt in Planung seien, dass der Asylantrag auch in diesem Fall vollumfänglich geprüft werde (AA 27.1.2016).

b) Angesichts dieser Ausgangslage, die nach dem vorliegenden Erkenntnismaterial ab dem Jahr 2013 bis zum jetzigen Zeitpunkt durch eine fortschreitende (gesetzliche) Intensivierung und Verschärfung gekennzeichnet ist, besteht für die Kläger insbesondere die Gefahr, in Ungarn ohne ausreichende gesetzmäßige Anordnung und ohne effektive Rechtsschutzmöglichkeiten inhaftiert zu werden.

Die Anordnung der Asylhaft ist schon nach den gesetzlichen Vorgaben in großem Umfang zulässig. Danach kann Asylhaft angeordnet werden 1. bei unklarer Identität oder Staatsangehörigkeit, 2. bei Ausländern, die sich im Ausweisungsverfahren befinden und einen Asylantrag stellen, obwohl sie diesen zweifelsfrei bereits zuvor hätten stellen können oder um eine drohende Aufenthaltsbeendigung zu verzögern oder abzuwenden, 3. wenn der Sachverhalt des Asylbegehrens aufgeklärt werden muss und eine Aufklärung nicht ohne Haft möglich ist, speziell wenn die Gefahr des Untertauchens besteht, 4. wenn der Asylbewerber eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, 5. wenn der Asylantrag im Flughafenbereich gestellt wurde oder 6. zur Sicherstellung der Durchführung des Dublin-Verfahrens, wenn die ernsthafte Gefahr des Untertauchens besteht (AA 27.1.2016). Diese Formulierung der Haftgründe ist sehr weit gefasst und lässt damit Raum für eine weitreichende Inhaftierung von Asylbewerbern (siehe auch UNHCR, Stellungnahme an das VG Düsseldorf v. 30.9.2014: Situation der Flüchtlinge und Asylsuchenden in Ungarn, insbesondere Dublin-Rückkehrer und Inhaftierungen - UNHCR 30.9.2014; Pro Asyl, Stellungnahme an das VG Düsseldorf vom 31.10.2014: Haftsituation von Asylbewerbern in Ungarn - Pro Asyl 31.10.2014; aida November 2015, S. 59 ff.).

Auch die tatsächliche Praxis der Inhaftierung in Ungarn wird schon länger in vielen Punkten erheblich kritisiert. So solle das OIN vor einer Haftanordnung zwar prüfen, ob Alternativen zur Haft bestünden, aber nach Auskunft des Hungarian Helsinki Committee und Pro Asyl (Brief Information Note for the Seminar on the Right to Asylum in Europe, Barcelona, 9.-10.6.2016: The Reception Infrastructure for Asylum-Seekers in Hungary - HHC Juni 2016; Pro Asyl 31.10.2014) werde hiervon nur in Ausnahmefällen Gebrauch gemacht; Verlängerungen würden automatisch für den Höchstzeitraum beantragt und die Haftanordnungen seien nicht individualisiert (UNHCR 30.9.2014; Pro Asyl 31.10.2014). Kritisch angemerkt wird dabei ferner, dass es in „Asylhaft“-Einrichtungen des OIN praktisch kein ausgebildetes Personal gebe; Sozialarbeiter erhielten nur Zugang unter Begleitung einer bewaffneten Wache. Auch wenn sich die Inhaftierten zwischen 6.00 und 23.00 Uhr innerhalb der Hafteinrichtungen frei bewegen könnten (Pro Asyl 31.10.2014) und es in der polizeilichen „Einwanderungshaft“ für Folgeantragsteller ausgebildetes Bewachungspersonal gebe (UNHCR 30.9.2014), wird festgestellt, dass Asylbewerber bei etwaigen Behördengängen und Gerichtsterminen wie im Strafverfahren gefesselt und mit Handschellen vorgeführt würden (aida November 2015, S. 65; CHR). Weiter wird kritisiert, dass die Inhaftierungsquote ab dem Jahr 2013 kontinuierlich angestiegen sei. Während in einer Auskunft des Auswärtigen Amts vom 3. Juli 2015 an das Verwaltungsgericht Hannover (AA 3.7.2015) noch angegeben wurde, dass im Zeitraum vom 1. Januar bis 31. Mai 2015 2,1% aller Asylantragsteller und 6 bis 10% der Dublin-Rückkehrer in Asylhaft genommen worden seien, komme es in der Praxis nach Auskunft von aida (November 2015, S. 62) und CHR sehr häufig zu Inhaftierungen und entgegen der gesetzlichen Regelung seit September 2014 auch bei Familien mit Kindern, die unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten von Gesetzes wegen als schwerwiegendstes Mittel bis zu 30 Tage inhaftiert werden könnten. UNHCR kann jedoch nicht bestätigen, dass die Haft nur unter dieser Voraussetzung stattfindet (UNHCR 30.9.2014). Pro Asyl gibt vielmehr an, dass OIN ab September 2014 Familien verstärkt inhaftiert habe (Pro Asyl 31.10.2014). Anlässlich seines Besuchs vom 24. bis 27. November 2015 wurde dem CHR von OIN mitgeteilt, dass sich derzeit 525 Asylantragsteller in offenen Aufnahmeeinrichtungen befänden und 412, mithin ca. 44%, inhaftiert seien. Anfang November 2015 soll die Inhaftierungsquote CHR zufolge sogar 52% gegenüber 11% im Jahr 2014 betragen haben (siehe auch HHC v. Juni 2016). Zudem scheint sich nach Auffassung der genannten Organisationen der ungenügende Gebrauch von Haftalternativen fortzusetzen. Auch das Problem der willkürlichen Inhaftierung sei weiterhin akut. Nach Auskunft von HHC waren am 30. Mai 2016 insgesamt 702 Asylbewerber in Haft, 1.583 in offenen Aufnahmeeinrichtungen. Zuletzt meldete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich (Kurzinformation Ungarn v. 14.12.2016: Zentrum Bicske geschlossen - BFA 14.12.2016), dass im Dezember 2016 nach offiziellen Zahlen 192 Migranten in offener und 301 in geschlossener Unterbringung aufhältig waren. Zur Haftdauer berichtet Pro Asyl in Zusammenarbeit mit dem HHC, das wiederum eine Anfrage an OIN richtete, dass die durchschnittliche Haftdauer im Zeitraum vom 1.7.2013 bis 31. August 2014 dem OIN zufolge zwar „nur“ 32 Tage betragen habe, nach den eigenen Einschätzungen und einer Untersuchung des HHC allerdings deutlich länger sei. Die Diskrepanz beruhe auf vermutlich darauf, dass OIN nicht nur die Zeit von Inhaftierungen einrechne, sondern auch diejenigen Fälle ohne jegliche Inhaftierung.

Schließlich wies HHC im Juni 2016 nochmals ausdrücklich darauf hin, dass Ungarn einer der wenigen Staaten in Europa sei, in dem Asylerstantragsteller in der Regel für mehrere Monate inhaftiert würden (HHC Juni 2016). Dublin-Rückkehrer würden in der Praxis regelmäßig inhaftiert (so auch UNHCR 30.9.2014; Pro Asyl 31.10.2014; CHR). Diese Haft werde als „Asylhaft“, nicht als „Abschiebehaft“ oder „Einwanderungshaft“ verhängt (UNHCR 30.9.2014). Auch das Auswärtige Amt (AA 3.7.2015) gibt an, dass die Wahrscheinlichkeit, in Haft genommen zu werden, im ersten Halbjahr 2015 für Dublin-Rückkehrer gegenüber Neuankömmlingen erhöht gewesen sei.

Zudem lässt sich den Erkenntnisquellen nicht entnehmen, dass ein effektiver Rechtsschutz existieren würde. Insbesondere bestehen für das OIN und auch die Gerichte sehr restriktive Fristenregelungen zur Entscheidung. Diese sind nicht ausreichend, um die Durchführung eines rechtsstaatlichen Verfahrens zu gewährleisten. Bei Fristen im Tagebereich wie dargestellt können die unverzichtbaren Anforderungen an ein solches Verfahren einschließlich Dolmetscher, Anhörung, (individualisierter) Herkunftslandinformationen etc. nicht eingehalten werden (siehe hierzu HHC 7.8.2015; aida November 2015; CHR). Gleiches gilt für die Rechtmittelfristen (siehe auch aida November 2015; CHR). Weiter gibt es zwar de iure Zugang zu Rechtsberatung, in der Praxis ist diese aber den Auskünften zufolge mangels entsprechender staatlicher Finanzierung nicht verfügbar (UNHCR 30.9.2014). Soweit überhaupt staatliche Anwälte bestellt seien, agierten diese passiv (Pro Asyl 31.10.2014; aida November 2015). Tatsächlich gebe es damit nur Zugang zu den (Vertrags-)Anwälten des HHC, so dass nur eine Minderheit anwaltliche Vertretung erhalte (Pro Asyl 31.10.2014). Außerdem ist gegen die Verhängung von „Asylhaft“ kein gesetzlicher Rechtsbehelf vorgesehen, sondern nur eine sogenannte „Einspruchsmöglichkeit“. Nach den Informationen von UNHCR werde aber auch hiervon aus Unkenntnis kein Gebrauch gemacht (UNHCR 30.9.2014). Gegen die „Einwanderungshaft“ gebe es ebenfalls keinen Rechtsbehelf, nur eine automatische Überprüfung (UNHCR 30.9.2014). Die gerichtliche Haftüberprüfung erfolge in einem „automatisierten“ Prozess alle 60 Tage durch dieselben (Straf-)Richter, die die Erstprüfung durchgeführt hätten (UNHCR 30.9.2014; Pro Asyl 31.10.2014; aida November 2015, S. 67 ff.). In der täglichen Praxis würden Entscheidungen für 5 bis 15 Häftlinge innerhalb von 30 Minuten gefällt, ohne dass eine individuelle Prüfung erfolgen könne (UNHCR 30.9.2014; Pro Asyl 31.10.2014). Schon im Jahr 2012 habe der Oberste Gerichtshof (Kuria) eine Untersuchung in Auftrag gegeben, die 8.000 Entscheidungen analysiert habe, von denen nur in drei Fällen keine Haftverlängerung erfolgt sei (UNHCR 30.9.2014). Die Asylarbeitsgruppe am Obersten Gerichtshof bestätigte im Oktober 2014, dass die gerichtliche Überprüfung der Asylhaft wirkungslos sei (aida November 2015, S. 67 ff.). Die Entscheidungen seien schematisch, das Verfahren nicht individualisiert und es erfolge keine Überprüfung, ob die Haft das einzige Mittel sei. Seit der Beanstandung durch die Kuria habe sich aber in der Praxis nichts geändert (aida November 2015, S. 67 ff.). Angesichts dieser gravierenden Missstände kann der Rechtsschutz damit insgesamt gesehen nicht mehr als wirksam bezeichnet werden.

Die Bewertung dieser Erkenntnisse ist insofern mit Schwierigkeiten verbunden, als jeweils nur punktuelle Angaben gemacht, wie etwa zu bestimmten Zeiträumen oder zu den betroffenen Gruppen, und keine statistisch aufbereiteten Daten für die Jahre 2014, 2015 und 2016 genannt werden zur (Gesamt-)Anzahl der Asylanträge in Ungarn, zur Anzahl der Dublin-Rückkehrer und zu den Verhältnissen in der Transitzone sowie dem jeweiligen Anteil an Inhaftierungen. Das kann wohl kaum darin begründet sein, dass keine offiziellen statistischen Informationen vorlägen, etwa ob Dublin-Rückkehrer regelmäßig oder ausnahmsweise inhaftiert werden, wie das Auswärtige Amt angibt (AA 27.1.2016). Denn das widerspräche zum einen dessen eigener Aussage in der Auskunft an das Verwaltungsgericht Hannover (AA 3.7.2015), wonach im Zeitraum vom 1. Januar bis 31. Mai 2015 6 bis 10% der Dublin-Rückkehrer in Asylhaft genommen worden seien. Zum anderen wurde dem CHR im November 2015 von OIN mitgeteilt, dass es zu diesem Zeitpunkt eine allgemeine Inhaftierungsquote von ca. 44% gegeben habe und von den in diesem Jahr durchgeführten 1.338 Dublin-Überstellungen 332 Rückkehrer in Asylhaft genommen worden seien, also ca. 25%. Auch wenn hiermit keine übergreifende Aussage getroffen wird, die Angaben zur Inhaftierungsquote sehr differieren und nicht zu erkennen ist, inwieweit sich die statistischen Ausgangsdaten decken, lässt sich in der Zusammenschau mit den weiteren Angaben, insbesondere des Hungarian Helsinki Committee (Hungary: Key Asylum Figures as of 1 September 2016 - HHC 1.9.2016: am 29.8.2016 waren 233 von 707 Asylbewerbern in Haft) und des österreichischen Bundesamts für Asylwesen (BFA 14.12.2016: im Dezember 2016 waren 192 Migranten in offener und 301 in geschlossener Unterbringung aufhältig), dennoch ein Gesamtbild entnehmen. Die vorliegenden Erkenntnisse zeigen deutlich, dass die Inhaftierung von Asylbewerbern in Ungarn weit verbreitet ist. Es tritt klar zu Tage, dass die gesetzlichen Vorgaben eine weitreichende Anordnung von Haft ermöglichen und sie auch in der praktischen Handhabung in beachtlichem Umfang stattfindet. Da zudem die Anordnung der Haft schematisch und ohne Einzelfallprüfung erfolgt und eine gerichtliche Überprüfung faktisch nicht stattfindet, muss davon ausgegangen werden, dass Dublin-Rückkehrer wie die Kläger im Fall ihrer Überstellung nach Ungarn einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinn von Art. 3 EMRK ausgesetzt wären. Diese Einschätzung wird auch bestätigt durch deren unbestrittenen Angaben, dass sie in Ungarn bereits inhaftiert gewesen seien.

c) Ein weiterer Grund für die Annahme, dass das Asylverfahren in Ungarn systemische Schwachstellen aufweist, die zu einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung führen, ist die ernsthafte Gefahr eines Verstoßes gegen das Refoulement-Verbot des Art. 33 Abs. 1 GFK. Im Fall einer Rückführung nach Ungarn würde die Abschiebung nach Serbien drohen. Neben den bereits erwähnten Gesetzesänderungen wurde im Juli 2015 eine nationale Liste von sicheren Drittstaaten, zu denen aus ungarischer Sicht auch Serbien gehört, aufgestellt (UNHCR Mai 2016, S. 15 ff.; HHC 7.8.2015; aida November 2015, S. 43 ff.; CHR). Das widerspricht dem europarechtlichen Konzept des sicheren Drittstaats, der Position von UNHCR und steht auch im Widerspruch zum Leitfaden des ungarischen Obersten Gerichtshofs. Mit der Gesetzesänderung wird das OIN ermächtigt, ohne inhaltliche Überprüfung des Asylbegehrens alle Anträge von Asylbewerbern abzulehnen, die durch einen solchen sicheren Drittstaat gekommen sind. Die Betroffenen werden dabei zwar informiert, dass ein Dublin-Verfahren eingeleitet wird, aber nicht mehr über die weiteren Verfahrensschritte. Sie bekommen die Unzulässigkeitsentscheidung zwar mündlich in einer ihnen verständlichen Sprache mitgeteilt, nicht aber eine schriftliche Übersetzung (aida November 2015, S. 23). Erschwerend kommt hinzu, dass es gegen die Entscheidung des OIN faktisch kaum Rechtsschutz gibt. Zwar kann gegen die Entscheidung des OIN unter bestimmten Voraussetzungen und mit inhaltlichen Vorgaben ein Rechtsmittel eingelegt werden, jedoch beträgt die Frist hierfür, wie bereits dargelegt, nur drei Tage bzw. nach einer weiteren Gesetzesänderung im September 2015 sieben Tage (UNHCR Mai 2016, S. 18; aida November 2015, S. 25-27). In dieser kurzen Zeitspanne kann weder ein Rechtsbeistand erlangt noch ein substantiierter Rechtsbehelf erhoben werden, zumal die lückenhafte Information der Asylantragsteller und Verständigungsschwierigkeiten noch berücksichtigt werden müssen. Die gerichtliche Überprüfung einer Unzulässigkeitsentscheidung muss innerhalb von acht Tagen nach dem Antrag auf Überprüfung erfolgen; ein Anhörungsrecht des Asylsuchenden besteht nicht (UNHCR Mai 2016, S. 18; aida November 2015, S. 25-27). Selbst wenn eine gerichtliche Entscheidung erlangt werden kann, wird diese vom OIN entweder gar nicht, verspätet oder sehr zögerlich umgesetzt (UNHCR Mai 2016, S. 18)

Im Ergebnis würde damit eine quasi automatische Zurückweisung ohne inhaltliche Überprüfung der Schutzbedürftigkeit stattfinden mit der Folge einer unverzüglichen Abschiebung nach Serbien, wo derzeit kein Schutz verfügbar ist und zudem die Gefahr einer Kettenabschiebung unter Verstoß gegen das Refoulement-Verbot besteht (siehe aida November 2015, S. 45; HHC 7.8.2015). Die Regelung findet auch auf Dublin-Rückkehrer Anwendung, die vor Inkrafttreten der gesetzlichen Regelung am 1. August 2015 über Serbien als - aus ungarischer Sicht - sicherem Drittstaat eingereist sind (aida November 2015, S. 24). Damit wären auch die Kläger der Gefahr einer Rückführung nach Serbien ausgesetzt, ohne dass sie vorher angehört würden oder dass ein wirksamer Rechtsschutz gegen die Entscheidung des OIN zur Verfügung stünde (aida November 2015, S. 24 ff.).

Die dargestellte Gesetzesänderung entzieht dem Einwand der Beklagten, gegenwärtig bestehe keine reale und durch Tatsachen belegte Gefahr, dass Schutzsuchende bei einer Rücküberstellung nach Ungarn einem indirekten Verstoß gegen das Refoulement-Verbot ausgesetzt sein könnten, den Boden. Unstreitig lässt die Gesetzeslage in Ungarn jedenfalls die Abschiebung nach Serbien ohne jegliche inhaltliche Prüfung des Asylbegehrens zu. Inwieweit Serbien tatsächlich die Übernahme von Drittstaatsangehörigen aus Ungarn ablehnt, bleibt dabei insoweit ohne Bedeutung, als das OIN vom Gesetzgeber zur sofortigen Abschiebung ermächtigt wurde. Zwar mag diese im Einzelfall mangels Nachweis, dass die Betroffenen tatsächlich über Serbien eingereist sind, oder weil zwischen dem Grenzübertritt von Serbien nach Ungarn und dem Antrag auf Rückübernahme mehr als ein Jahr verstrichen ist (AA 27.1.2016) tatsächlich nicht durchgeführt werden können. Das vermag aber an der gesetzlichen Zulässigkeit einer Abschiebung nichts zu ändern. Zudem finden den Erkenntnisquellen zufolge durchaus Rückübernahmen statt, auch wenn Serbien nur unter bestimmten Voraussetzungen zustimmt. So wurden im Zeitraum von Januar bis Mai 2016 in der Praxis pro Woche durchschnittlich zwei Personen rückübernommen (UNHCR Mai 2016). Allein die Tatsache, dass es sich hierbei nicht um eine exorbitante Größenordnung handeln mag, rechtfertigt die Verneinung einer realen Gefahr nicht (in diesem Sinn auch zu § 34a AsylG: OVG SH, B.v. 21.11.2016 - 2 LA 111/16 - juris). Das übersieht die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Berlin (U.v. 13.12.2016 - 3 K 509.15 A - juris), in der nur darauf abgestellt wird, dass Serbien die Übernahmeersuchen Ungarns formal ablehne. Angesichts der tatsächlich stattfindenden Abschiebungen und der dargestellten gesetzlichen Zulässigkeit bestehen vielmehr erhebliche Anhaltspunkte dafür, dass ohne inhaltliche Prüfung von Asylanträgen eine Abschiebung nach Serbien erfolgen könnte. Wenn die Beklagte demgegenüber unter Berufung auf das Verwaltungsgericht Berlin der Auffassung ist, dass vorliegend ausnahmsweise kein Risiko bestehen sollte, unter Verstoß gegen das Refoulement-Verbot von Ungarn nach Serbien abgeschoben zu werden, wäre es ihre Aufgabe, die Gründe hierfür näher darzulegen. Das ist nicht geschehen.

d) Die Einschätzung zum Vorliegen von systemischen Schwachstellen entspricht auch der Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg (U.v. 13.10.2016 - A 11 S 1596/16 - DVBl 2016, 1615) und des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts (B.v. 20.12.2016 - 8 LB 184/15 - juris, Bezug nehmend auf U.v. 15.11.2016 - 8 LB 92/15 - juris). Die gegenteilige Ansicht des Verwaltungsgerichts Berlin (U.v. 13.12.2016 - 3 K 509.15 A - juris), auf die sich die Beklagte beruft, erklärt nicht, weshalb sich aus den genannten Daten keine belastbaren Erkenntnisse ergeben sollten, welche die hier und von den beiden weiteren Obergerichten vorgenommene Bewertung stützen könnten. Unter anderem wegen der dortigen Inhaftierungspraxis hat im Übrigen mittlerweile auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (U.v. 17.3.2017 - 47287/15 - abrufbar unter https: …dejure.org/2017, 6131) Ungarn zur Zahlung von Schadenersatz verurteilt, weil die Rechtsgrundlagen für die Inhaftierung unbestimmt seien und sie aufgrund einer formalen Entscheidung ohne individuelle Prüfung erfolge. Im Hinblick auf die Einstufung von Serbien als sicheren Drittstaat geht der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ebenfalls von einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung im Sinn von Art. 3 EMRK aus. Diese ergebe sich bereits daraus, dass die Betroffenen mangelhaft informiert würden, deshalb keinen effektiven Zugang zu den relevanten Verfahren hätten und ihre Rechte nicht substantiiert geltend machen könnten. Gerügt wird weiter die fehlende Prüfung der individuellen Risiken, was dazu führe, dass in einer automatisierten Weise (Ketten-)Abschiebungen stattfinden würden. Die ungarische Regierung vermöge keine überzeugende Erklärung zu geben, weshalb Serbien entgegen den allgemeinen europarechtlichen Einschätzungen und den Berichten der internationalen Institutionen als sicherer Drittstaat eingestuft werde. Insgesamt vermag der Gerichtshof deshalb nicht zu erkennen, dass effektive Garantien vorhanden seien, die die Betroffenen davor schützen würden, mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit einer unmenschlichen Behandlung ausgesetzt zu sein.

3. Angesichts dieser systemischen Schwachstellen - wie dargelegt - kommt es auch auf den Einwand der Beklagten nicht mehr an, die Auffassung des Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg (U.v. 13.10.2016 a.a.O. Rn. 45 ff.) zur Abschiebungsanordnung nach § 34a Abs. 1 AsylG könne nicht geteilt werden. Danach sei Voraussetzung einer Abschiebungsanordnung nach § 34a Abs. 1 AsylG, dass die Abschiebung in den zuständigen Mitgliedstaat erfolgen könne und dies auch alsbald der Fall sein werde. Bestünden aufgrund einer in Relation zu den Übernahmezustimmungen niedrigen Quote an vollzogenen Überstellungen hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass dieses nicht der Fall sein könnte, führe dies zur Rechtswidrigkeit der Abschiebungsanordnung. Diese Frage kann hier dahingestellt bleiben, weil sich die Rechtswidrigkeit der Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 AsylG (bzw. § 27a AsylG a.F.) schon aus dem Vorliegen systemischer Schwachstellen in Ungarn ergibt mit der Folge, dass auch die hierauf gestützte Abschiebungsanordnung rechtswidrig ist. Im Übrigen hat der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg seine Einschätzung in erster Linie ebenfalls auf das Vorliegen von systemischen Schwachstellen gestützt und lediglich ergänzend ausgeführt, dass die angegriffenen Verfügungen auch aus diesem weiteren Grund aufzuheben seien. Die Zuständigkeit sei auch deshalb auf die Bundesrepublik Deutschland übergegangen, weil eine Überstellung bis zum Ablauf der Überstellungsfrist nicht mehr durchgeführt werde. Gleiches gilt für die Entscheidung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts (B.v. 20.12.2016 a.a.O. Rn. 60 ff.). Dessen ungeachtet gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass Abschiebungen nach Ungarn nicht erfolgen könnten. So gibt HHC 1.9.2016 an, dass von Januar bis Juli 2016 377 Dublin-Rückführungen nach Ungarn stattgefunden hätten, davon 203 aus Deutschland (siehe hierzu auch OVG SH, B.v. 21.11.2016 - 2 LA 111/16 - juris).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.

Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 VwGO sind nicht gegeben, da der Frage, ob in Ungarn systemische Schwachstellen bestehen, nur in tatsächlicher Hinsicht eine grundsätzlich Bedeutung zukommt.

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 13. Februar 2016 - A 1 K 2059/14 - wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungs- und Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

 
Der Kläger ist nach seinen Angaben ein am 04.09.1981 in Ohafia Abia/Nigeria geborener nigerianischer Staatsangehöriger. Er beantragte am 03.06.2014 seine Anerkennung als Asylberechtigter und gab an, im Dezember 2009 nach Griechenland eingereist zu sein und sich über drei Jahre in Athen aufgehalten zu haben. Im August 2013 sei er zu Fuß über Mazedonien und Serbien nach Ungarn gegangen, wo er sich ca. 6 Monate aufgehalten habe. Sodann sei er über Österreich in Schweiz gereist und sei ca. 3 Monate in Bern geblieben. Schließlich sei er am 11.05.2014 ins Bundesgebiet eingereist.
Auf ein am 18.07.2014 an Ungarn gerichtetes Übernahmeersuchen haben die ungarischen Behörden unter dem 23.07.2014 ihre Zuständigkeit akzeptiert und teilten dabei mit, der Kläger habe am 31.07.2013 einen Asylantrag gestellt, der am 07.10.2013 abgelehnt worden sei. Eine Klage hiergegen habe das Gericht am 03.02.2014 endgültig abgewiesen.
Mit Bescheid vom 01.09.2014 stellte das Bundesamt fest, dass der Asylantrag unzulässig sei (Nr. 1), und ordnete die Abschiebung des Klägers nach Ungarn an (Nr. 2). Der Bescheid wurde dem Kläger am 04.09.2014 zugestellt.
Der Kläger erhob am 10.09.2014 Klage zum Verwaltungsgericht Freiburg und stellte einen Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz, dem das Gericht mit Beschluss vom 13.10.2014 stattgab (A 1 K 2060/14).
Der Kläger berief sich zur Begründung der auf Aufhebung des Bescheids vom 01.09.2014 gerichteten Klage auf systemische Mängel des Asylverfahrens in Ungarn.
Die Beklagte trat der Klage entgegen.
Durch Urteil vom 13.01.2016 hob das Verwaltungsgericht den Bescheid vom 01.09.2016 auf und führte zur Begründung aus: Zwar sei Ungarn der nach der hier maßgeblichen Bestimmung des Art. 18 Abs. 1b Dublin III-VO zuständige Staat. Es habe dem Übernahmeersuchen der deutschen Behörden ausdrücklich zugestimmt. Der Kläger habe jedoch wegen der aktuell bestehenden Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen in Ungarn einen Anspruch darauf, dass die Beklagte gemäß Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO in die Zuständigkeit eintrete, sofern sie nicht rechtmäßig noch einen anderen Mitgliedstaat als Ungarn nach den Dublin-Regeln als zuständigen Staat für das Asylbegehren des Klägers bestimme.
Auf Antrag der Beklagten vom 01.02.2016 ließ der Senat mit Beschluss vom 01.03.2016 die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung zu.
Mit Schriftsatz vom 11.03.2016 stellte die Beklagte einen Berufungsantrag und nahm zur Begründung auf die Ausführungen im Zulassungsverfahren, „soweit diese für die Position der Beklagten sprechen“, Bezug.
10 
Durch Beschluss vom 04.05.2016 verwarf der Senat die Berufung als unzulässig, weil nicht ausreichend begründet. Mit Beschluss vom 04.08.2016 hob das Bundesverwaltungsgericht diesen Beschluss auf und verwies die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurück.
11 
Zur Begründung der Berufung verweist die Beklagte insbesondere darauf, dass - entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts - im September 2015 keineswegs alle vorhandenen Haftplätze belegt gewesen seien. Auch seien im Jahre nur 2015 nur 0,7 v.H. der Asylantragsteller nach Einzelprüfung inhaftiert gewesen. Die Hafteinrichtungen böten insbesondere die erforderliche medizinische Betreuung.
12 
Die Beklagte beantragt,
13 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 13. Februar 2016 - A 1 K 2059/14 - zu ändern und die Klage abzuweisen.
14 
Der Kläger beantragt,
15 
die Berufung zurückzuweisen.
16 
Er macht sich das angegriffene Urteil zu Eigen.
17 
Der Kläger wurde in der mündlichen Verhandlung angehört. Wegen des Ergebnisses wird auf die Niederschrift verwiesen.
18 
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze verwiesen. Dem Senaten liegen die Verwaltungsakten der Beklagten und die Akten des Verwaltungsgerichts Freiburg vor.

Entscheidungsgründe

 
19 
Der Senat konnte verhandeln und entscheiden, obwohl die ordnungsgemäß geladene Beklagte in der mündlichen Verhandlung nicht vertreten war (vgl. § 102 Abs. 2 VwGO).
20 
Die Berufung der Beklagten ist zulässig. Insbesondere wurde sie fristgerecht unter Stellung eines Antrags ordnungsgemäß begründet. Insoweit ist der Senat an die Rechtsauffassung des Bundesverwaltungsgerichts gebunden (vgl. § 144 Abs. 6 VwGO).
21 
Die Berufung bleibt jedoch in der Sache ohne Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat den angegriffenen Bescheid im Ergebnis zu Recht aufgehoben. Dieser ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in eigenen Rechten.
22 
Die Voraussetzungen des durch das Integrationsgesetz vom 31.07.2016 (BGBl I 1939) am 06.08.2016 in Kraft getretenen und auf den vorliegenden Rechtsstreit anzuwendenden § 29 Abs. 1 Nr. 1 lit. a) AsylG (vgl. BVerwG, Urteil vom 09.08.2016 - 1 C 6.16 -, juris) liegen nicht vor mit der Folge, dass auch die Abschiebungsanordnung nach § 34a AsylG zu Unrecht erlassen wurde und der Bescheid insgesamt aufzuheben ist (vgl. zur Statthaftigkeit der Anfechtungsklage zuletzt BVerwG, Urteil vom 27.04.2016 - 1 C 24.15 -, juris). Zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (vgl. § 77 Abs. 1 AsylG) war Ungarn nicht der für die Durchführung des Verfahrens zuständige Mitgliedstaat. Denn eine Überstellung des Klägers nach Ungarn ist gem. § 3 Abs. 2 Dublin III-VO wegen dort bestehender systemischer Schwachstellen, die für ihn die konkrete Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 GRCh mit sich bringen, nicht zulässig (vgl. I.). Ungeachtet dessen ist die Zuständigkeit jedenfalls übergangen, weil eine Überstellung bis zum Ablauf der Überstellungsfrist nicht mehr durchgeführt werden wird (II.).
I.
23 
1. Die Zuständigkeit ergibt sich vorliegend aus Art. 3 Abs. 2 UA 2 und 3 i.V.m. Art. 17 Abs. 1 VO (EU) 604/2013 vom 26.06.2013 (im Folgenden Dublin III-VO). Diese Verordnung ist im Hinblick auf deren Art. 49 Abs. 2, zwar nicht anzuwenden für die Beurteilung, ob Ungarn bei der Einreise des Klägers dort zuständiger Mitgliedstaat war; sie ist im vorliegenden Fall allerdings hinsichtlich des Überstellungsverfahrens anzuwenden.
24 
Zwar war der Kläger über Griechenland in das Gebiet der Mitgliedstaaten eingereist, der Senat geht hier aber als gerichtsbekannt davon aus, dass Griechenland jedenfalls damals seinerseits systemische Schwachstellen aufgewiesen hatte (vgl. EGMR, Entscheidung vom 21.01.2011 -Nr. 30696/09, M.S.S./Belgien -, NVwZ 2011, 413); das wurde von den Beteiligten auch zu keinem Zeitpunkt infrage gestellt. Der Senat kann daher offen lassen, ob die Zuständigkeit Griechenlands nach Art. 13 Abs. 1 Dublin III-VO nicht ohnehin infolge der Ausreise aus dem Gebiet der Mitgliedstaaten (nach Mazedonien und Serbien) entfallen war, nachdem der Kläger dort keinen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hatte (vgl. weiterführend Funke-Kaiser, in: GK-AsylG, § 27a Rn. 209). Ob eine Zuständigkeit anderer Mitglied- oder Vertragsstaaten bestand, kann offen bleiben, da sämtliche Fristen für die Stellung eines Übernahmeersuchens mittlerweile abgelaufen sind, zumal die Beklagte seit der Antragstellung über den Reiseweg im Wesentlichen informiert war.
25 
2. Dass bereits in der Vergangenheit, aber namentlich auch zum heutigen Zeitpunkt, die Voraussetzungen des Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO vorliegen, ergibt sich aus Folgendem:
26 
a) Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (Urteil vom 21.12.2011 - C-411/10 u.a., N.S. u.a. -, NVwZ 2012, 417; vgl. dazu auch Urteil vom 10.12.2013 - C-394/12, Abdullahi -, NVwZ 2014, 208; vgl. auch EGMR, Urteil vom 21.01.2011 - Nr. 30696/09, M.S.S./Belgien -, NVwZ 2011, 413) kann ein Mitgliedstaat dazu verpflichtet sein, von der Rückführung in den an sich zuständigen Mitgliedstaat abzusehen und von seinem Selbsteintrittsrecht Gebrauch zu machen.
27 
Dabei kann einerseits jeder Mitgliedstaat grundsätzlich davon ausgehen, dass alle an dem Gemeinsamen Europäischen Asylsystem beteiligten Staaten die Grundrechte einschließlich der Rechte, die ihre Grundlage in der Genfer Flüchtlingskonvention und dem Protokoll von 1967 sowie in der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten finden, beachten und dass die Mitgliedstaaten einander insoweit Vertrauen entgegenbringen dürfen (vgl. Buchholtz, NVwZ 2016, 1353 <1357>, m.w.N.). Auf dieser Grundlage besteht zunächst eine widerlegbare Vermutung dafür, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat den Anforderungen der Grundrechtecharta, der Genfer Flüchtlingskonvention und der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten genügt. Andererseits ist es möglich, dass in diesem System - etwa auch in der Rechtsanwendungspraxis (Buchholtz, a.a.O.) - in einem bestimmten Mitgliedstaat erhebliche Funktionsstörungen zutage treten und dieses zur absehbaren Folge hat, dass eine ernstzunehmende Gefahr besteht, dass Asylbewerber bei einer Überstellung in diesen Mitgliedstaat in einer Weise behandelt werden, die mit ihren Menschenrechten unvereinbar ist.
28 
Ein „blindes Vertrauen“ in die Gleichwertigkeit der regulatorischen Maßnahmen der Mitgliedstaaten widerspräche dem Anspruch auf einen wirksamen Grundrechtsschutz. Die Mitgliedstaaten sind verpflichtet, die aktuelle Situation in den anderen Mitgliedstaaten einzuschätzen und müssen das Risiko systemischer Schwachstellen dort bewerten und ggf. dem wirksamen Schutz zentraler Grundrechte Vorrang geben (vgl. Canor, ZaöRV 2013, 249 <271>; Buchholtz, a.a.O.).
29 
Allerdings stellt nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union nicht schon ein vereinzelter Verstoß gegen eine Bestimmung der Dublin II-VO bzw. der Dublin III-VO und auch nicht einmal jede Verletzung eines Grundrechts im Einzelfall durch den zuständigen Mitgliedstaat das Zuständigkeitssystem grundsätzlich infrage. Nach der Sichtweise des Gerichtshofs stünde andernfalls nicht weniger als der Daseinsgrund der Union und die Verwirklichung des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, konkret des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems, auf dem Spiel (EuGH, Urteil vom 21.12.2011 - C-411/10 u.a., N.S. u.a. -, NVwZ 2012, 417). Das Dublin-Zuständigkeitssystem ist deshalb nur dann (teilweise) zu suspendieren, wenn einem Mitgliedstaat aufgrund der ihm vorliegenden Informationen nicht unbekannt sein kann, dass systemische Mängel oder Schwachstellen (vgl. zum Begriff jetzt Art. 3 Abs. 2 UA. 2 Dublin III-VO) des Asylverfahrens und (bzw. genauer: oder) der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass der Antragsteller dort Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 GRCh ausgesetzt zu sein (vgl. EuGH, Urteile vom 21.12.2011, a.a.O., und vom 14.11.2013 - C-4/11, Puid -, NVwZ 2014, 129).
30 
Systemische Schwachstellen sind solche, die entweder bereits im Asyl- und Aufnahmeregime selbst angelegt sind und von denen alle Asylbewerber oder bestimmte Gruppen von Asylbewerbern deshalb nicht zufällig und im Einzelfall, sondern vorhersehbar und regelhaft betroffen sind, oder aber tatsächliche Umstände, die dazu führen, dass ein theoretisch sachgerecht konzipiertes und nicht zu beanstandendes Asyl- und Aufnahmesystem - aus welchen Gründen auch immer - faktisch ganz oder in weiten Teilen seine ihm zugedachte Funktion nicht mehr erfüllen kann und weitgehend unwirksam wird (vgl. auch BVerwG, Beschlüsse vom 19.03.2014 - 10 B 6.14 -, NVwZ 2014, 1093, und vom 06.06.2014 - 10 B 35.14 -, NVwZ 2014, 1677).
31 
Dabei ist der Begriff der systemischen Schwachstelle nicht in einer engen Weise derart zu verstehen, dass er geeignet sein muss, sich auf eine unüberschaubare Vielzahl von Antragstellern auszuwirken. Vielmehr kann ein systemischer Mangel auch dann vorliegen, wenn er von vornherein lediglich eine geringe Zahl von - etwa durch ein gemeinsames Merkmal verbundenen - Asylbewerbern betreffen kann, sofern er sich nur vorhersehbar und regelhaft realisieren wird und nicht gewissermaßen dem Zufall oder einer Verkettung unglücklicher Umstände bzw. Fehlleistungen von in das Verfahren involvierten Akteuren geschuldet ist (vgl. Lübbe, ZAR 2014, 97 ff.; Canor, a.a.O., 277; Franzius, ZaöRV 2015, 383 <407> und schon Senatsurteil vom 10.11.2014 - A 11 S 1778/14 -, InfAuslR 2015, 77), bzw. - nach einem etwas engeren Verständnis, das vorliegend jedoch zu keiner abweichenden Bewertung führt - dann, wenn solche Umstände die Rechtsstaatlichkeit bedrohen, da sie zur Folge haben, dass eine signifikante Anzahl sozialer Akteure in wichtigen Feldern aufhört, auf öffentliche Einrichtungen zur Bestätigung ihres (berechtigten) normativen Erwartens zu setzen und ein Rechtssystem damit aufhört, seiner Kernfunktion - der Unterstützung normativer Erwartungen - zu genügen (v. Bogdandy/Ioannidis, ZaöRV 2014, 283 <300>).
32 
Wesentliche Kriterien für die zu entscheidende Frage, ob eine unmenschliche oder erniedrigende (bzw. "entwürdigende") Behandlung vorliegt, finden sich in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 3 EMRK (vgl. Urteile vom 21.01.2011 - Nr. 30696/09, M.S.S./Belgien -, NVwZ 2011, 413, vom 04.11.2014 - Nr. 29217/12, Tharakel/Schweiz -, juris, und Entscheidung vom 05.02.2015 - Nr. 51428/10, A.M.E./Niederlande -, juris), der mit Art. 4 GRCh übereinstimmt (vgl. zu den Anforderungen ausführlich Senatsurteil vom 10.11.2014 - A 11 S 1778/14 -, InfAuslR 2015, 77, m.w.N.). Die Annahme einer drohenden Verletzung des Grundrechts aus Art. 4 GRCh muss durch wesentliche Gründe (Art. 3 Abs. 2 UA. 2 Dublin III-VO; vgl. auch EuGH, Urteil vom 21.12.2011 - C-411/10 u.a., N.S. u.a. -, NVwZ 2012, 417: "ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe") gestützt werden. Das bedeutet, dass die festgestellten Tatsachen hinreichend verlässlich und aussagekräftig sein müssen; nur unter dieser Voraussetzung ist es nach der maßgeblichen Sicht des Gerichtshofs der Europäischen Union gerechtfertigt, von einer Widerlegung des „gegenseitigen Vertrauens“ der Mitgliedstaaten untereinander auszugehen. In diesem Zusammenhang müssen die festgestellten Tatsachen und Missstände verallgemeinerungsfähig sein, um die Schlussfolgerung zu rechtfertigen, dass es nicht nur vereinzelt, sondern immer wieder und regelhaft zu Grundrechtsverletzungen nach Art. 4 GRCh kommt. Das bei einer wertenden und qualifizierten Betrachtungsweise zugrunde zu legende Beweismaß ist das der beachtlichen Wahrscheinlichkeit im herkömmlichen Verständnis der höchstrichterlichen Rechtsprechung, das sich nicht von dem in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte entwickelten Beweismaß des „real risk“ unterscheidet (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23.12 -, NVwZ 2013, 936; Beschluss vom 19.03.2014 - 10 B 6.14 -, juris).
33 
Hinzukommen muss, dass der konkrete Schutzsuchende auch individuell betroffen wäre. Es genügt nicht, dass lediglich abstrakt bestimmte strukturelle Schwachstellen festgestellt werden, wenn sich diese nicht auf den konkreten Antragsteller auswirken können. Dabei ist zu berücksichtigen, dass - eine systemische Schwachstelle unterstellt - einer drohenden Verletzung von Art. 4 GRCh im konkreten Einzelfall gegebenenfalls vorrangig dadurch "vorgebeugt" werden kann, dass die Bundesrepublik Deutschland die Überstellung im Zusammenwirken mit dem anderen Mitgliedstaat so organisiert, dass eine solche nicht eintreten kann (vgl. EGMR, Urteil vom 04.11.2014 -Nr. 29217/12, Tharakel/Schweiz -, juris; BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 17.09.2014 - 2 BvR 939/14 und 2 BvR 1795/14 -, juris und vom 17.04.2015 - 2 BvR 602/15 -, juris).
34 
b) Nach den vom Senat verwerteten Erkenntnismitteln (vgl. v.a. Commissioner for Human Rights of the Council of Europe, Report by Nils Muiznieks vom 16.12.2014 Rn 148 ff. - im Folgenden CHR I; UNHCR, Anmerkungen und Empfehlungen des UNHCR zum Entwurf zur Änderung migrations- und asylbezogener sowie weiterer in diesem Zusammenhang stehender Vorschriften zwecks Rechtsharmonisierung vom 07.01.2015, S. 14 ff - im Folgenden UNHCR I) ist seit Jahren die Praxis der Verhängung von Abschiebungshaft bzw. einer Art von Sicherungshaft gegenüber Asylbewerbern durch schwerwiegende verfahrensrechtliche und inhaltliche Mängel gekennzeichnet und ist seit langer Zeit national wie auch v.a. international heftiger Kritik ausgesetzt (vgl. ausführlich CHR I, Rn. 151 insbesondere auch mit Hinweisen auf die Rechtsprechung des EGMR zur Inhaftierungspraxis aus den Jahren 2011 und 2012; vgl. auch schon die deutliche, wenn auch diplomatisch eher zurückhaltend formulierte Kritik bei UN General Assembly - Human Rights Council - Report of the Working Group on Arbitrary Detention Mission to Hungary v. 03.07.2014, Rdn. 102 ff.). Diese Praxis ist insbesondere dadurch gekennzeichnet, dass etwa seit dem Jahre 2010 die ganz überwiegende Zahl der Antragsteller inhaftiert wurde und die gerichtlichen Entscheidungen, auf denen die Inhaftierungen beruhten, vollständig intransparent waren und ohne jeden nachvollziehbaren Bezug zu dem individuellen Einzelfall standen. Hinzu kam, dass nach der früheren Rechtslage die Haftgründe in hohem Maße vage und unbestimmt formuliert waren und damit in besonderer Weise eine rechtstaatlich unvertretbare gerichtliche Praxis begünstigten. Zwar wird für die Zeit bis zum Jahre 2014 zunächst von gewissen Verbesserungen gesprochen (vgl. CHR I, Rn. 153), was wohl zur Folge hatte, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in seiner Entscheidung vom 03.07.2014 (Nr. 71932/12) nicht mehr zu erkennen vermochte, dass das Inhaftierungssystem in Ungarn noch durch so schwerwiegende Mängel gekennzeichnet gewesen sei, dass die erfolgte Inhaftierung des Betroffenen eine Verletzung von Art. 3 EMRK ausgemacht hätte. Neuere, dem Gerichtshof damals noch nicht vorliegende Erkenntnisse seit dem Jahre 2014 zur Situation in Ungarn, wie der Bericht des Menschrechtskommissars vom 16.12.2014, der seinerseits auf einer Reihe aktueller Erkenntnismittel und auch eigener Anschauung beruhte, sowie die grundlegende Einschätzung von UNHCR vom 07.01.2015 (UNHCR I) gebieten jedoch auch in Ansehung gewisser Verbesserungen gleichwohl auch für das Jahr 2014 und bis heute eine abweichende Einschätzung. Hinzu kommt, dass selbst der Oberste Gerichtshof Ungarns (Kuriá) in seinem Bericht (Report on the Court’s Refugee Law-related Jurisprudence vom 20.10.2014; zitiert nach UNHCR I, S. 13 f.) die gravierenden Mängel der ungarischen Rechtsprechungspraxis bestätigt und praktische Hinweise zu deren unverzüglichen und notwendigen Behebung gegeben hatte (vgl. zu alledem auch Lehnert, NVwZ 2016, 896, 899). Eine aktuelle Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 05.07.2016 (Nr. 9912/15) belegt aber eindrucksvoll, dass sich an der Inhaftierungspraxis auch im Jahre 2014 nichts Grundlegendes geändert hatte. Der der Entscheidung zugrunde liegende Sachverhalt entspricht geradezu exemplarisch den Fakten, wie sie der Senat aus den verwerteten Erkenntnismitteln entnommen hat.
35 
Besonders besorgt war der Menschrechtskommissar über die unverändert festzustellende Willkür bei der Anordnung von Haft, namentlich vermisste er jede Individualisierung der Anordnung und deren Verhältnismäßigkeit, was die Dauer betrifft. Verschärft wurde dieser Zustand dadurch, dass es - gewissermaßen als Korrektiv - keinerlei effektive richterliche Kontrolle gab, was auch vom Obersten Gerichtshof festgestellt und kritisiert worden war.
36 
Die aktuell seit 01.08.2015 geltenden gesetzliche Bestimmungen über die Voraussetzungen für die Anordnung von „Asylhaft“, die nach ungarischem Recht seit 2013 von der Abschiebungshaft „Immigration Detention“ unterschieden wird (vgl. aida, „Country Report: Hungary“ vom November 2015, S. 64 - im Folgenden aida II), stehen allerdings nunmehr im Wesentlichen formal in Übereinstimmung mit den Vorgaben der Aufnahmerichtlinie (RL 2013/33/EU v. 26.06.2013, ABl. L 180 vom 29.06.2013, S. 96) in deren Art. 8 (vgl. auch aida II, S. 60). Als höchst problematisch wird hingegen unverändert auch heute noch die praktische Handhabung der Bestimmungen geschildert. Als Haftgründe werden am häufigsten „Fluchtgefahr“ und „ungeklärte Identität“ genannt (aida II, S. 60; amnesty international, Stranded Hope, Hungary’s sustained attack on the rights of refugees and migrants, 2016, S. 24 ff. im Folgenden ai, Stranded Hope). Mittlerweile kommt als weiterer oft herangezogener Grund die „Gefahr für die öffentliche Sicherheit“ hinzu (vgl. aida II, S. 61). Dem liegt zugrunde, dass Ungarn nunmehr alle Antragsteller, die nicht offiziell über eine Grenzstation einzureisen versuchen bzw. versucht haben, der illegalen Einreise beschuldigt und diese deshalb grundsätzlich auch strafrechtlich verfolgt werden können, was aber in dieser Pauschalität offensichtlich mit den Vorgaben in Art. 31 GFK unvereinbar ist, zumindest dann, wenn kein weiteres Begleitdelikt begangen wird, wie etwa die Beschädigung der Grenzanlagen (vgl. zu alledem UNHCR; Hungary as a country of asylum, vom Mai 2016, Rn. 59 - im Folgenden UNHCR II; Human Rights Watch “Hungary: Locked Up for Seeking Asylum“ vom 01.12.2015, S. 2 und 4 mit dem weiteren Hinweis, dass deshalb insbesondere abgelehnte Antragstellers häufig in „Immigration Detention“, d.h. praktisch in Strafanstalten inhaftiert sind, - im Folgenden HRW; so auch aida II, S. 61 f. und 64). Ungeachtet dessen wird wiederum einhellig - auch für das Jahr 2015 - nach wie vor beanstandet, dass Haftgründe immer noch nicht individualisiert und einzelfallbezogen geprüft und beurteilt werden, wobei wiederum noch hinzu kommt, dass unverändert die Begründungen der Entscheidungen in höchstem Maße defizitär sind und für die Betroffenen nicht erkennen lassen, weshalb sie in Haft genommen werden (vgl. aida II, S. 61 und 68; Commissioner for Human Rights of the Council of Europe, vom 17.12.2015, Rn. 16 ff. und 22 - im Folgenden CHR II). Dass eine spezifische Verhältnismäßigkeitsprüfung durchgeführt wurde, lässt sich in der Regel den Entscheidungen immer noch nicht entnehmen (aida II, S. 68). Entgegen den Vorgaben des Unionsrechts wird bei gerichtlichen Haftanordnungen immer wieder nicht sorgfältig erwogen, ob es hierzu Alternativen gibt (aida II, S. 61; UNHCR I S. 22). Obwohl es, worauf bereits hingewiesen wurde, in der Vergangenheit eine ausdrückliche Beanstandung durch den Obersten Gerichtshof gegeben hatte, sind - mit einer gewissen Ausnahme beim Gericht in Debrecen - auch weiterhin kaum sichtbaren Änderungen eingetreten.
37 
Die wesentlichen Verfahrensabläufe stellten sich und stellen sich nach wie vor wie folgt dar: Am Beginn der Haft steht eine maximal 72 Stunden geltende behördliche Haftanordnung, gegen die es mit Rücksicht auf völlig defizitäre Informationen, erhebliche sprachlich bedingte Kommunikationsprobleme und völlig unzureichenden Zugang zu fachkundiger Hilfestellung nur einen theoretischen, aber praktisch kaum wirksamen Rechtsschutz gibt (vgl. aida II, S. 69 und zum Ablauf des Verfahrens Rn. 67 f.) mit der Folge, dass die Betroffenen jeder denkbaren Willkür ausgeliefert sein können. Hieran schließt sich auf Antrag der Asylbehörde (OIN) eine förmliche gerichtliche Verlängerungsentscheidung an, die zunächst maximal 60 Tage gelten kann (bis insgesamt maximal 6 Monate). Die Verlängerungen erfolgen aus Gründen der „Verfahrensbequemlichkeit“ in aller Regel (wenn auch nicht ausnahmslos) pauschal und ohne Bezug zum Einzelfall um die jeweils zulässige Höchstdauer, ohne dass es insoweit nach der Einschätzung der Stellungnahmen ein effektives Rechtsmittel oder eine effektive Abhilfemöglichkeit für die Betroffenen gibt (aida II, S. 67 ff. insbes. Rn. 69 f. und schon UNHCR I, S. 13 und 17); ob überhaupt ein Rechtsbehelf gegen die richterliche Haftanordnung eröffnet ist, ist nicht völlig klar (verneinend und im Einzelnen begründet aida II, S. 67 f. Rechtsschutz nur in Bezug auf die behördlich Anordnung bis zu 72 Stunden; bejahend AA v. 21.06.2016 an VG Potsdam). Die Gerichte stützen sich nach wie vor häufig allein auf die Angaben der Asylbehörde, ohne die Angaben der Betroffenen angemessen zu würdigen (aida II, S. 68; ecre/aida, „Crossing Boundaries“ vom 01.10.2015, S. 27 f.). Bereits in der Vergangenheit konnte festgestellt werden, dass die Gerichte die vorgeschriebene Anhörung jedenfalls teilweise als „Massenanhörung“ durchführten, sodass - wenn überhaupt - nur ein Minimum an Zeit für jeden Betroffenen blieb (vgl. aida II, S. 68). Zwar besteht an sich freier Zugang zu einer anwaltlichen Vertretung, die Beiordnung von Anwälten erwies sich aber als weitgehend unzureichend, da diese völlig passiv blieben und die Interessen ihrer Mandanten nicht ernsthaft vertraten (aida II, S. 70). Die vom Auswärtigen Amt (Auskunft vom 27.01.2016) behauptete genaue Einzelfallprüfung konnte schwerlich stattgefunden haben, wenn regelmäßig in der Haft unbegleitete Minderjährige angetroffen bzw. festgestellt worden waren. Es wird nämlich übereinstimmend berichtet, dass keine umfassende und vor allem einigermaßen zuverlässige Alterskontrolle und -feststellung stattfand bzw. gewährleistet war mit der Folge, dass immer wieder unbegleitete minderjährige Antragsteller in Haft kamen und später durch Mitarbeiter humanitärer Organisationen dort angetroffenen wurden (aida II, S. 62; UNHCR I, S. 18; CHR II, Rn. 27). Nichts anderes galt für sog. vulnerable Personen (vgl. auch HRW, S. 6 ff.), was insoweit folgenschwerer ist, weil keinerlei psychosoziale Betreuung in den Haftanstalten stattfindet (aida II, S. 65; HRW, S. 8). Eine psychologische Behandlung kommt allenfalls in einer Klinik in Betracht (vgl. AA v. 27.01.2016, S. 7). Grundsätzlich können nunmehr - wohl anders als noch im Jahre 2014 - auch Familien mit minderjährigen Kindern bis zu 60 Tagen wieder inhaftiert werden, was auch tatsächlich und nicht nur in Ausnahmefällen geschieht (vgl. aida II, S. 62; UNHCR I, S. 21 f.), aber schwerlich mit Art. 37 Kinderkonvention und Art. 11 Abs. 2 Aufnahmerichtlinie (RL 2013/33/EU v. 26.06.2013) vereinbar sein wird.
38 
Die Haftanstalten waren und sind entgegen früherer Befürchtungen (vgl. Hungarian Helsinki Committee, Building als Legal Fence, vom 07.08.2015, S. 5) nicht überfüllt, allerdings jedenfalls teilweise nach wie vor in einem sehr schlechten Zustand, so v.a. die Haftanstalt in Nyirbátor (vgl. aida II, S. 65; HRW, S. 2 f. und 9), in der im Winter 2014/15 die Häftlinge bei Temperaturen von 5°C in der Haftanstalt ohne ausreichende Kleidung längere Zeit leben mussten, sie ist außerdem trotz mehrfacher Abhilfeversuche nach wie vor völlig verwanzt. Andere bauliche Mängel waren vorhanden, waren aber wohl nicht so gravierend. Schwangere, begleitete und unbegleitete Kinder und Menschen mit Behinderungen werden immer wieder auch für lange Zeit mit alleinstehenden Männern zusammen untergebracht (HRW, S. 2). Typisch ist weiterhin ein hohes Maß an alltäglicher Brutalität, die von dem Personal in den Haftanstalten ausgeht (vgl. ecre/aida, a.a.O.,S. 27; vgl. auch ausführlich ai, Stranded Hope, S. 25 ff., insbesondere auch zu Selbstmordversuchen und Selbstverletzungen). Die Betroffenen werden wie Kriminelle behandelt und nur mit Handschellen und untereinander angeleint ausgeführt (aida II, S. 65; CHR II, Rn. 21, dessen Ausführungen darauf schließen lassen, dass es sich nicht um einen Ausreißer gehandelt haben kann; vgl. auch AA vom 21.06.2016). Die ärztliche Basisversorgung für nicht vorbelastete Insassen ist theoretisch wohl gewährleistet (aida II, S. 65; AA v. 27.01.2016). Deren Effektivität leidet aber mit Rücksicht auf fehlende Dolmetscher erheblich unter den Kommunikationsschwierigkeiten, die oftmals eine sachgerechte Behandlung unmöglich machen (vgl. CHR II, Rn. 20).
39 
Jedenfalls waren im Frühjahr 2014 noch etwa 25 v.H. aller Antragsteller und 42 v.H. aller männlichen ledigen Antragsteller in Haft (vgl. CHR I, Rn. 155 f.; aida, „Country Report: Hungary“ vom April 2014, S. 48 - im Folgenden aida I). Für das gesamte Jahr 2013 wird - nicht aufgeschlüsselt nach der Gesamtzahl einerseits und der Zahl alleinstehender Männer andererseits - die Quote mit knapp 25 v.H. angegeben (vgl. UN General Assembly - Human Rights Council - Report oft the Working Group on Arbitrary Detention Mission to Hungary v. 03.07.2014).
40 
Allerdings legten neuere Erkenntnismittel zunächst die Schlussfolgerung nahe, dass die Inhaftierungsquote möglicherweise in der Folge nicht mehr das gleiche hohe Ausmaß hatte wie dieses noch in den Jahren 2013 und 2014 der Fall war. Zwar nennt aida (II, S. 60) eine Zahl von 52 v.H. Inhaftierten bezogen auf den 02.11.2015, ohne dieses genauer zu erläutern; in diesem Zusammenhang wird aber sodann noch die Gesamtzahl der zwischen 01.01. bis 30.09.2015 inhaftierten Antragsteller mit 1.860 angegeben, was aber in Anbetracht der vom Auswärtigen Amt dem Senat auf die Anfrage des Senats am 27.06.2016 mitgeteilten Zahl von rund 179.000 Antragstellern im Jahre 2015 eine Quote von 52 v.H. nicht ohne weiteres plausibel erscheinen lässt (vgl. aber auch völlig widersprüchlich AA v. 03.07.2015: 01.01.2015 bis 31.05.2015 1.078 inhaftierte Personen einerseits, AA vom 28.09.2015: 01.01.2015 bis 30.06.2015 492 Personen andererseits). Gegenüber dem Senat hat das Auswärtige Amt am 27.06.2016 die Gesamtzahl der Inhaftierungen im 1. Halbjahr 2015 mit 1.258, im 2. Halbjahr mit 1.145 und in der Zeit zwischen dem 01.01.2016 bis 22.06.2016 mit 1.648 Personen angegeben, was in Einklang mit der von aida genannten Gesamtzahl von 1.860 Personen stehen könnte. Geht man von der hohen Zahl der Antragstellungen im Jahre 2015 aus, so könnte hieraus auf eine deutlich geringere Inhaftierungsquote als im Jahre 2014 zu schließen sein, auch wenn dem Senat nicht bekannt ist, wie viele Antragsteller tatsächlich überhaupt noch im Land geblieben waren. Sollte, wie zu vermuten ist, der ganz überwiegende Teil der Antragsteller das Land im Jahre 2015 aber bereits wieder verlassen haben, so würde dieses unmittelbar die Inhaftierungsquote nicht unerheblich erhöhen. Dafür, dass die meisten Antragsteller wieder das Land verlassen hatten, sprach der Umstand, dass regelmäßig der Anteil der sog. Einstellungsentscheidungen der ungarischen Asylbehörde signifikant hoch war (vgl. Eurostat, „Asylum and first time asylum applicants, Last update 06.07.2016“ für Ungarn 177.135 Antragsteller im Jahre 2015 einerseits; „Asylum applications withdrawn, Last update 08.07.2016“ für Ungarn im Jahre 2015 103.015 Einstellungsentscheidungen andererseits; vgl. auch „Final decisions on applications Last update 22.06.2016“ für Ungarn im Jahre 2015 nur 480 endgültige Sachenentscheidungen).
41 
Auch zum heutigen Zeitpunkt ist nach wie vor von einer hohen Inhaftierungsquote auszugehen. Amnesty international teilt unter Berufung auf das Hungary Helsinki Committee mit, dass zum 01.08.2016 noch etwa 1200 registrierte Flüchtlinge in Ungarn geblieben seien, von denen etwa 700 inhaftiert gewesen seien (ai, Stranded Hope, S. 24 ff.).
42 
Diese Quoten begründeten nach Überzeugung des Senats in Anbetracht der erheblichen und einschneidenden Folgen einer Inhaftierung für die Betroffenen die erforderliche beachtliche Wahrscheinlichkeit im Sinne eines „real risk“. Ausgehend von diesen Zahlen muss der Kläger dann, wenn er nach Ungarn zurückkehren würde, um dort ein (weiteres) Verfahren auf Gewährung internationalen Schutzes durchzuführen, als alleinstehender Mann mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen in Haft zu kommen. Das nach den verwerteten Erkenntnismitteln hoch defizitäre Haftanordnungs- bzw. Haftprüfungsverfahren, das die Betroffenen einer willkürlichen Behandlung aussetzt, und in dem sie in der Regel nicht einmal im Ansatz in ihrer Subjektqualität wahrgenommen werden, verstößt nicht nur gegen die menschenrechtlichen Garantien der Art. 5 und Art. 13 EMRK (vgl. zu dem Aspekt der mangelnden Eröffnung der maßgeblichen Gründe einer Inhaftierung und einer hieraus folgenden Verletzung von Art. 3 EMRK EGMR, Urteil vom 01.09.2015 - Nr. 16483/12, Khlaifia u.a./Italien -, juris; vom. 05.07.2016 - Nr. 9912/15), sondern auch - jedenfalls in Zusammenschau mit den konkreten Haftbedingungen bei desolater Unterbringungssituation und den Handlungsweisen des Personals mit systematischer Schlechtbehandlung - gegen Art. 3 EMRK und damit gegen Art. 4 GRCh. Es ist nach alledem davon auszugehen, dass angesichts der schweren Mängel des Haftanordnungsverfahrens der Kläger keine effektive und faire Chance haben wird, seine Belange in das Verfahren einzubringen und damit gehört zu werden, weshalb es dem Kläger nicht zugemutet werden konnte, in Ungarn ein (weiteres) Verfahren auf internationalen Schutz durchzuführen, mit der Folge, dass mit der Asylantragstellung im Bundesgebiet die Zuständigkeit der Bundesrepublik begründet wurde.
43 
Das ungarische Asylsystem weist ungeachtet dessen auch in anderer Hinsicht weitere schwere systemische Mängel auf, worauf es aber nicht mehr entscheidend ankommt. So behandelt Ungarn u.a. Serbien als sicheren Drittstaat (vgl. aida II, S. 43 f.; vgl. auch eccre/aida, Crossing Boundaries, October 2015, 34 ff. auch zur rückwirkenden Anwendung der Drittstaatenregelung), womit die massenhaften Einreiseverweigerungen und Zurückschiebungen an der serbisch-ungarischen Grenze zu erklären sind (vgl. u.a. aida II, S. 30 ff.; Hungarian Helsinki Committee, No Country for Refugees, 28.09.2015; ai, Stranded Hope, S. 14 f.). Serbien seinerseits sieht u.a. Griechenland, Mazedonien und die Türkei als sichere Drittstaaten an (aida, Country Report: Serbia März 2016, 23 f.). Dass Griechenland kein sicherer Drittstaat sein kann, wurde bereits erwähnt. Für die Türkei gilt nichts anderes. Denn zum einen wendet die Türkei die Genfer Flüchtlingskonvention nur auf europäische Flüchtlinge an. Rein faktisch beachtet sie aber insbesondere auch gegenüber syrischen Flüchtlingen das Refoulement-Verbot nicht. Es gibt zahlreiche glaubhafte Berichte, dass es immer wieder zu Push-Backs in größerem Umfang an der syrisch-türkischen Grenze kommt (vgl. zu alledem ai, Turkey - Illegal Mass Returns of Syrian Refugees, 01.04.2016; pro asyl, Turkey: Syrians Pushed Back at the Border, 23.11.2015), was schon in Anbetracht der fehlenden völkervertraglichen Bindungen der Türkei dazu führen muss, dass die Türkei nicht als sicherer Drittstaat angesehen werden kann. Hinzu kommt, dass das serbische Asylverfahren massiver Kritik ausgesetzt und jedenfalls faktisch nicht geeignet ist, effektiven Flüchtlingsschutz zu gewährleisten; aida spricht davon, dass die gravierenden Mängel v.a. in der mangelnden Implementierung des Flüchtlingswesens in die Gesetzgebung und in der weitgehenden Unkenntnis flüchtlingsrechtlicher Fragestellungen bei den Akteuren im System bestehen (vgl. aida, Country Report: Serbia, S. 12; vgl. auch UNHCR, Serbia as a country of asylum, August 2012). Aus alledem folgt, dass Ungarn ein System der flüchtlingsrechtlichen Verantwortungslosigkeit betreibt und sehenden Auges Kettenabschiebungen ermöglicht. In diesem Sinn hat auch am 20.04.2016 das Oberste Verwaltungsgericht Finnlands entschieden (vgl. KHO: 2016: 53), dass Ungarn zu Unrecht Serbien als einen sicheren Drittstaat behandelt und deshalb sein Asylsystem systemische Schwachstellen aufweist. Schließlich weist der Senat darauf hin, dass es nachvollziehbare und glaubhafte aktuelle Schilderungen über die Behandlung von gestrandeten Flüchtlingen an der ungarischen Grenze gibt, die deutlich machen, dass Ungarn nicht nur ständig das Refoulement-Verbot verletzt, sondern dabei auch exzessive Gewalt anwendet. Minimale menschenrechtliche Standards werden auch dadurch verletzt, dass im Rahmen des Grenzregimes wiederholte erfolgreiche Versuche gegeben hat, ungarische NGOs daran zu hindern, durch eigene Hilfsmaßnahmen und Hilfsprojekte die äußerst schlechten Lebensbedingungen der an der Grenze ausharrenden Menschen zu lindern (amnesty international, So schlecht wie möglich, August 2016). Diese bei den handelnden staatlichen Organen offensichtlich vorherrschende ablehnende bis gar feindliche Grundeinstellung gegenüber Flüchtlingen, die in vielfach geschilderten Gewaltexzessen und in der inhumanen Verhinderung von Hilfseinsetzen von ungarischen NGOs exemplarisch zum Ausdruck kommt, lässt nach Überzeugung des Senats auch Rückschlüsse auf die oben geschilderte Schlechtbehandlung in der Asylhaft zu. Die Plausibilität und Glaubhaftigkeit der diesbezüglichen Berichte wird dadurch untermauert. Diese Feststellungen haben daher indirekt auch Relevanz für die Einschätzung der (künftigen) Situation des Klägers.
44 
Abschließend weist der Senat noch darauf hin, dass am 10.12.2015 die Europäische Kommission gegen Ungarn ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet hat (vgl. Presserklärung der Europäischen Kommission vom 10.12.2015). Dieses hat im Wesentlichen die Effektivität des Rechtsschutzes zum Gegenstand. Erstens befürchtet die Kommission im Hinblick auf die Asylverfahren, dass es im Rahmen von Rechtsbehelfen nicht möglich sei, auf neue Fakten und Umstände zu verweisen, und dass Ungarn Entscheidungen im Falle der Einlegung von Rechtsbehelfen nicht automatisch aussetze, sondern dass Antragsteller bereits vor Verstreichen der Frist für die Einlegung eines Rechtsbehelfs oder vor der Prüfung des Rechtsbehelfs effektiv gezwungen würden, ungarisches Hoheitsgebiet zu verlassen. In der Neufassung der Asylverfahrensrichtlinie seien gemeinsame Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes und klare Vorschriften für die Beantragung von Asyl festgelegt. Sie gelte für alle Anträge auf internationalen Schutz, die im Hoheitsgebiet - auch an den Grenzen, in den Hoheitsgewässern oder in den Transitzonen - der Mitgliedstaaten gestellt werden. Sodann befürchtet die Kommission im Hinblick auf das Recht auf Dolmetscherleistungen und Übersetzungen, dass das ungarische Gesetz über beschleunigte Strafverfahren wegen irregulären Grenzübertritts gegen die Vorschriften der Richtlinie über das Recht auf Dolmetscherleistungen und Übersetzungen in Strafverfahren verstoße, die sicherstelle, dass jede verdächtige oder angeklagte Person, die die Verfahrenssprache nicht verstehe, eine schriftliche Übersetzung aller wichtigen Dokumente, auch eines etwaigen Urteils, erhalte. Schließlich bestünden im Hinblick auf das Grundrecht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und ein unparteiisches Gericht nach Artikel 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union Bedenken hinsichtlich der Tatsache, dass gemäß den neuen ungarischen Vorschriften zur gerichtlichen Überprüfung von Entscheidungen über die Ablehnung eines Asylantrags eine persönliche Anhörung der Antragsteller fakultativ sei. Zudem könne der Umstand, dass gerichtliche Entscheidungen von Gerichtssekretären auf vorgerichtlicher Ebene getroffen werden, einen Verstoß gegen die Asylverfahrensrichtlinie und Artikel 47 der Grundrechtecharta begründen. Gerade der erste Punkt wird aus der Sicht des Senats eindringlich durch verschiedene Erkenntnismittel, die ihm vorliegen, untermauert (vgl. etwa amnesty international, Trampling on the rights of refugees and asylumseekers, May 2016; UNHCR II, Rdn. 38 ff.; amnesty international, So schlecht wie möglich, August 2016).
II.
45 
Die angegriffenen Verfügungen waren nach dem maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung des Senats (vgl. § 77 Abs. 1 AsylG) auch aus einem weiteren Grund aufzuheben.
46 
1. Die in Ziffer 2 verfügte Abschiebungsanordnung setzt nach § 34a Abs. 1 AsylG voraus, dass die Abschiebung in den zuständigen Mitgliedstaat erfolgen kannund dies auch alsbald der Fall sein wird. Bestehen hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass dieses nicht der Fall sein könnte, ist die Beklagte ggf. darlegungspflichtig, dass diese Voraussetzungen gleichwohl (noch) vorliegen (vgl. BVerwG, Urteil vom 27.04.2016 - 1 C 24.15 -, juris). Zum einen ergab sich schon aus dem von der Beklagten selbst dem Senat bereits im Verfahren A 11 S 976/16 vorgelegten Quartalsbericht IV 2015 zum Mitgliedstaat Ungarn vom 27.01.2016, dass im gesamten Jahr 2015 von 33.220 Zustimmungsfällen tatsächlich nur 1.402 nach Ungarn überstellt worden waren, was einer Quote von 4,2 v.H. entsprach; im 4. Quartal war die Quote sogar auf 3,3 v.H. gesunken. Die mittlerweile vorliegende Dublin-Statistik für das 1. Halbjahr und das von der Beklagten im vorliegenden Verfahren vorgelegte statistische Material zeichnen ein vergleichbares Bild; die Überstellungsquote betrug im gesamten 1. Halbjahr 2016 lediglich 7,14 v.H. (vgl. BAMF: Dublin-Statistik 1. Jahreshälfte 2016), was unübersehbar zu einem enormen Rückstau von Überstellungen geführt haben muss. Erst um die Jahresmitte 2016 hat sich die Quote deutlich verbessert, was ersichtlich auf die gesunkene Zahl von Zustimmungen Ungarns zurückzuführen ist. Die Zahlen der erfolgten Überstellungen liegen aber immer noch deutlich unter der Zahl der Zustimmungen. An der sehr niedrigen Überstellungsquote und dem infolge dessen entstandenen extremen Rückstau hat sich somit nichts Grundlegendes geändert, er wächst sogar weiter ständig an. Allerdings finden durchaus regelmäßig Überstellungen statt, obwohl offizielle ungarische Verlautbarungen etwas anderes nahe legen. Soweit die Beklagte darauf abhebt, dass bei der Beurteilung und der Bewertung der Überstellungsquote berücksichtigt werden müssen, dass „viele“ Abschiebungen aus mancherlei Gründen nicht durchgeführt werden könnten, etwa weil sich die Betroffenen verweigern oder entziehen würden, so ist dieses zweifellos richtig. In der mündlichen Verhandlung wurde dieser Aspekt, insbesondere die naheliegende Frage, was unter „viele“ zu verstehen ist erörtert, von der Beklagten aber nicht beantwortet oder erläutert, da sie ohne vorherige Mitteilung der Verhandlung fern geblieben ist. Auch hatte die Beklagte auf die Anfrage des Senats, kein bestimmtes Handlungsmuster darlegen können, nach dem die Überstellungen durchgeführt und v.a. der Rückstau abgearbeitet werden soll, wobei hier nochmals darauf hinzuweisen ist, dass dieser gegenwärtig noch weiter zunimmt. Allein deshalb ist Ziffer 2 der angegriffenen Verfügung aufzuheben. Der Senat sieht sich in seiner Einschätzung, dass der erhebliche Rückstau nicht in absehbarer Zeit abgebaut werden kann und wird, darin bestätigt, dass das für die Aufenthaltsbeendigung in ganz Baden-Württemberg zuständige Regierungspräsidium Karlsruhe auf die Anfrage des Senats am 12.10.2016 mitgeteilt hat, dass im gesamten Jahre 2016 bislang 12 Überstellungen nach Ungarn durchgeführt worden sind. Bereits aufgrund dessen ist die Abschiebungsanordnung aufzuheben.
47 
2. Die dargestellte Problematik hat jedoch auch weitergehende Folgen und berührt - ungeachtet der Ausführungen unter I - die Rechtmäßigkeit der Ziffer 1, in der der Asylantrag als unzulässig abgelehnt worden war.
48 
Steht zum Zeitpunkt der Entscheidung des Senats hinreichend sicher fest, dass innerhalb der nächsten sechs Monate eine Überstellung aus tatsächlichen Gründen nicht möglich sein wird oder durchgeführt werden kann, so gebietet der dem Dublin-System innewohnende Beschleunigungsgedanke (vgl. z.B. EuGH, Urteil vom 14.11.2013 - C-4/11 -, NVwZ 2014, 129, Rn. 33 ff.), dass bereits jetzt von einer Unmöglichkeit der Überstellung und damit dem künftigen Zuständigkeitsübergang auszugehen ist (vgl. Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO). Bei diesen Überlegungen muss - ausgehend von der Annahme, dass die Ziffer 1 sonst an keinen Rechtsfehlen leidet und der Senat als maßgeblichen Zeitpunkt den der mündlichen Verhandlung zugrunde zu legen hat (vgl. § 77 Abs. 1 AsylG) - die Prognose zum Ausgangspunkt nehmen, dass die Überstellungsfrist aktuell zu laufen beginnt, weil der Kläger sein Begehren nicht weiter verfolgen wird. Andernfalls wäre zu Lasten der Betroffenen und unter Vernachlässigung des Beschleunigungsgedankens ein zuverlässiger Ausgangs- und Fixpunkt der Prognose nicht festzulegen mit der Folge, dass die hier bestehende Überstellungsproblematik nicht in einer den berechtigten Interessen der Betroffenen gemäßen Art und Weise sachgerecht bewältigt werden könnte. Bei einer anderen Sichtweise könnte eine Prognoseentscheidung erst dann getroffen werden, wenn die Entscheidung des Senats zu einem jetzt noch ungewissen Zeitpunkt rechtskräftig geworden ist und damit die Überstellungsfrist des Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO (vgl. auch Art. 29 Abs. 1 UA 1) in Lauf gesetzt wurde. Der Senat würde dann auch - gesetzeswidrig - einen anderen (späteren) und gerade nicht den den Vorgaben des § 77 Abs. 1 AsylG entsprechenden Zeitpunkt seiner Entscheidung zugrunde legen. Weshalb in diesem Zusammenhang (wohl vor dem Hintergrund des Art. 29 Abs. 2 Satz 2 Dublin II-VO) generell von einem Prognosehorizont von 18 Monaten auszugehen sein sollte, wie die Beklagte im Verfahren A 11 S 976/16 vorgetragen hat, erschließt sich dem Senat nicht. Denn weder bestehen Anhaltspunkte dafür, dass alle zu Überstellenden flüchtig sind oder sein werden, noch dass solches beim Kläger der Fall sein wird.
49 
Angesichts des oben dargestellten enormen und weiter wachsenden Rückstaus von Überstellungen (allein aus dem Jahr 2015 und der 1. Jahreshälfte 2016) und bei einer nur verschwindend geringen Überstellungsquote ist -auch angesichts der aktuellen offiziellen Äußerungen der ungarischen Regierung vom 26.05.2016, möge diese auch in erster Linie innenpolitisch motiviert sein - für den Senat nicht ersichtlich und von der Beklagten auch nicht plausibel dargelegt, dass in absehbarer Zeit überhaupt noch Überstellungen in nennenswertem Umfang, die in einem angemessenen Verhältnis zur Gesamtzahl der zu überstellenden Personen stehen, durchgeführt werden können. Bei dieser Sachlage ist die Beklagte zur Vermeidung weiterer unzumutbarer dem Beschleunigungsprinzip und der Effektivität des Europäischen Asylsystems zuwider laufender Verzögerungen, verpflichtet, ohne Ermessensspielraum sofort von dem Selbsteintritt nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO Gebrauch zu machen, ohne den sich abzeichnenden Zuständigkeitsübergang nach Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO abwarten zu dürfen.
50 
Nach alledem wird die Beklagte im weiteren Verfahren zu entscheiden haben, ob der am 03.06.2014 gestellte Antrag ein Erstantrag oder Zweitantrag ist. Denn der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung angegeben, dass er seines Wissens nach keinen Asylantrag gestellt hat, jedenfalls aber, sollte er bei seiner Festnahme und dem anschließenden Verhör durch die ungarischen Behörden unbewusst einen Asylantrag gestellt haben, keinen Ablehnungsbescheid erhalten und noch weniger eine Klage angestrengt zu haben.
III.
51 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO; Gerichtskosten werden nicht erhoben (vgl. § 83b AsylG).
52 
Gründe nach § 132 Abs. 2 VwGO, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.

Gründe

 
19 
Der Senat konnte verhandeln und entscheiden, obwohl die ordnungsgemäß geladene Beklagte in der mündlichen Verhandlung nicht vertreten war (vgl. § 102 Abs. 2 VwGO).
20 
Die Berufung der Beklagten ist zulässig. Insbesondere wurde sie fristgerecht unter Stellung eines Antrags ordnungsgemäß begründet. Insoweit ist der Senat an die Rechtsauffassung des Bundesverwaltungsgerichts gebunden (vgl. § 144 Abs. 6 VwGO).
21 
Die Berufung bleibt jedoch in der Sache ohne Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat den angegriffenen Bescheid im Ergebnis zu Recht aufgehoben. Dieser ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in eigenen Rechten.
22 
Die Voraussetzungen des durch das Integrationsgesetz vom 31.07.2016 (BGBl I 1939) am 06.08.2016 in Kraft getretenen und auf den vorliegenden Rechtsstreit anzuwendenden § 29 Abs. 1 Nr. 1 lit. a) AsylG (vgl. BVerwG, Urteil vom 09.08.2016 - 1 C 6.16 -, juris) liegen nicht vor mit der Folge, dass auch die Abschiebungsanordnung nach § 34a AsylG zu Unrecht erlassen wurde und der Bescheid insgesamt aufzuheben ist (vgl. zur Statthaftigkeit der Anfechtungsklage zuletzt BVerwG, Urteil vom 27.04.2016 - 1 C 24.15 -, juris). Zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (vgl. § 77 Abs. 1 AsylG) war Ungarn nicht der für die Durchführung des Verfahrens zuständige Mitgliedstaat. Denn eine Überstellung des Klägers nach Ungarn ist gem. § 3 Abs. 2 Dublin III-VO wegen dort bestehender systemischer Schwachstellen, die für ihn die konkrete Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 GRCh mit sich bringen, nicht zulässig (vgl. I.). Ungeachtet dessen ist die Zuständigkeit jedenfalls übergangen, weil eine Überstellung bis zum Ablauf der Überstellungsfrist nicht mehr durchgeführt werden wird (II.).
I.
23 
1. Die Zuständigkeit ergibt sich vorliegend aus Art. 3 Abs. 2 UA 2 und 3 i.V.m. Art. 17 Abs. 1 VO (EU) 604/2013 vom 26.06.2013 (im Folgenden Dublin III-VO). Diese Verordnung ist im Hinblick auf deren Art. 49 Abs. 2, zwar nicht anzuwenden für die Beurteilung, ob Ungarn bei der Einreise des Klägers dort zuständiger Mitgliedstaat war; sie ist im vorliegenden Fall allerdings hinsichtlich des Überstellungsverfahrens anzuwenden.
24 
Zwar war der Kläger über Griechenland in das Gebiet der Mitgliedstaaten eingereist, der Senat geht hier aber als gerichtsbekannt davon aus, dass Griechenland jedenfalls damals seinerseits systemische Schwachstellen aufgewiesen hatte (vgl. EGMR, Entscheidung vom 21.01.2011 -Nr. 30696/09, M.S.S./Belgien -, NVwZ 2011, 413); das wurde von den Beteiligten auch zu keinem Zeitpunkt infrage gestellt. Der Senat kann daher offen lassen, ob die Zuständigkeit Griechenlands nach Art. 13 Abs. 1 Dublin III-VO nicht ohnehin infolge der Ausreise aus dem Gebiet der Mitgliedstaaten (nach Mazedonien und Serbien) entfallen war, nachdem der Kläger dort keinen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hatte (vgl. weiterführend Funke-Kaiser, in: GK-AsylG, § 27a Rn. 209). Ob eine Zuständigkeit anderer Mitglied- oder Vertragsstaaten bestand, kann offen bleiben, da sämtliche Fristen für die Stellung eines Übernahmeersuchens mittlerweile abgelaufen sind, zumal die Beklagte seit der Antragstellung über den Reiseweg im Wesentlichen informiert war.
25 
2. Dass bereits in der Vergangenheit, aber namentlich auch zum heutigen Zeitpunkt, die Voraussetzungen des Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO vorliegen, ergibt sich aus Folgendem:
26 
a) Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (Urteil vom 21.12.2011 - C-411/10 u.a., N.S. u.a. -, NVwZ 2012, 417; vgl. dazu auch Urteil vom 10.12.2013 - C-394/12, Abdullahi -, NVwZ 2014, 208; vgl. auch EGMR, Urteil vom 21.01.2011 - Nr. 30696/09, M.S.S./Belgien -, NVwZ 2011, 413) kann ein Mitgliedstaat dazu verpflichtet sein, von der Rückführung in den an sich zuständigen Mitgliedstaat abzusehen und von seinem Selbsteintrittsrecht Gebrauch zu machen.
27 
Dabei kann einerseits jeder Mitgliedstaat grundsätzlich davon ausgehen, dass alle an dem Gemeinsamen Europäischen Asylsystem beteiligten Staaten die Grundrechte einschließlich der Rechte, die ihre Grundlage in der Genfer Flüchtlingskonvention und dem Protokoll von 1967 sowie in der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten finden, beachten und dass die Mitgliedstaaten einander insoweit Vertrauen entgegenbringen dürfen (vgl. Buchholtz, NVwZ 2016, 1353 <1357>, m.w.N.). Auf dieser Grundlage besteht zunächst eine widerlegbare Vermutung dafür, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat den Anforderungen der Grundrechtecharta, der Genfer Flüchtlingskonvention und der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten genügt. Andererseits ist es möglich, dass in diesem System - etwa auch in der Rechtsanwendungspraxis (Buchholtz, a.a.O.) - in einem bestimmten Mitgliedstaat erhebliche Funktionsstörungen zutage treten und dieses zur absehbaren Folge hat, dass eine ernstzunehmende Gefahr besteht, dass Asylbewerber bei einer Überstellung in diesen Mitgliedstaat in einer Weise behandelt werden, die mit ihren Menschenrechten unvereinbar ist.
28 
Ein „blindes Vertrauen“ in die Gleichwertigkeit der regulatorischen Maßnahmen der Mitgliedstaaten widerspräche dem Anspruch auf einen wirksamen Grundrechtsschutz. Die Mitgliedstaaten sind verpflichtet, die aktuelle Situation in den anderen Mitgliedstaaten einzuschätzen und müssen das Risiko systemischer Schwachstellen dort bewerten und ggf. dem wirksamen Schutz zentraler Grundrechte Vorrang geben (vgl. Canor, ZaöRV 2013, 249 <271>; Buchholtz, a.a.O.).
29 
Allerdings stellt nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union nicht schon ein vereinzelter Verstoß gegen eine Bestimmung der Dublin II-VO bzw. der Dublin III-VO und auch nicht einmal jede Verletzung eines Grundrechts im Einzelfall durch den zuständigen Mitgliedstaat das Zuständigkeitssystem grundsätzlich infrage. Nach der Sichtweise des Gerichtshofs stünde andernfalls nicht weniger als der Daseinsgrund der Union und die Verwirklichung des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, konkret des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems, auf dem Spiel (EuGH, Urteil vom 21.12.2011 - C-411/10 u.a., N.S. u.a. -, NVwZ 2012, 417). Das Dublin-Zuständigkeitssystem ist deshalb nur dann (teilweise) zu suspendieren, wenn einem Mitgliedstaat aufgrund der ihm vorliegenden Informationen nicht unbekannt sein kann, dass systemische Mängel oder Schwachstellen (vgl. zum Begriff jetzt Art. 3 Abs. 2 UA. 2 Dublin III-VO) des Asylverfahrens und (bzw. genauer: oder) der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass der Antragsteller dort Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 GRCh ausgesetzt zu sein (vgl. EuGH, Urteile vom 21.12.2011, a.a.O., und vom 14.11.2013 - C-4/11, Puid -, NVwZ 2014, 129).
30 
Systemische Schwachstellen sind solche, die entweder bereits im Asyl- und Aufnahmeregime selbst angelegt sind und von denen alle Asylbewerber oder bestimmte Gruppen von Asylbewerbern deshalb nicht zufällig und im Einzelfall, sondern vorhersehbar und regelhaft betroffen sind, oder aber tatsächliche Umstände, die dazu führen, dass ein theoretisch sachgerecht konzipiertes und nicht zu beanstandendes Asyl- und Aufnahmesystem - aus welchen Gründen auch immer - faktisch ganz oder in weiten Teilen seine ihm zugedachte Funktion nicht mehr erfüllen kann und weitgehend unwirksam wird (vgl. auch BVerwG, Beschlüsse vom 19.03.2014 - 10 B 6.14 -, NVwZ 2014, 1093, und vom 06.06.2014 - 10 B 35.14 -, NVwZ 2014, 1677).
31 
Dabei ist der Begriff der systemischen Schwachstelle nicht in einer engen Weise derart zu verstehen, dass er geeignet sein muss, sich auf eine unüberschaubare Vielzahl von Antragstellern auszuwirken. Vielmehr kann ein systemischer Mangel auch dann vorliegen, wenn er von vornherein lediglich eine geringe Zahl von - etwa durch ein gemeinsames Merkmal verbundenen - Asylbewerbern betreffen kann, sofern er sich nur vorhersehbar und regelhaft realisieren wird und nicht gewissermaßen dem Zufall oder einer Verkettung unglücklicher Umstände bzw. Fehlleistungen von in das Verfahren involvierten Akteuren geschuldet ist (vgl. Lübbe, ZAR 2014, 97 ff.; Canor, a.a.O., 277; Franzius, ZaöRV 2015, 383 <407> und schon Senatsurteil vom 10.11.2014 - A 11 S 1778/14 -, InfAuslR 2015, 77), bzw. - nach einem etwas engeren Verständnis, das vorliegend jedoch zu keiner abweichenden Bewertung führt - dann, wenn solche Umstände die Rechtsstaatlichkeit bedrohen, da sie zur Folge haben, dass eine signifikante Anzahl sozialer Akteure in wichtigen Feldern aufhört, auf öffentliche Einrichtungen zur Bestätigung ihres (berechtigten) normativen Erwartens zu setzen und ein Rechtssystem damit aufhört, seiner Kernfunktion - der Unterstützung normativer Erwartungen - zu genügen (v. Bogdandy/Ioannidis, ZaöRV 2014, 283 <300>).
32 
Wesentliche Kriterien für die zu entscheidende Frage, ob eine unmenschliche oder erniedrigende (bzw. "entwürdigende") Behandlung vorliegt, finden sich in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 3 EMRK (vgl. Urteile vom 21.01.2011 - Nr. 30696/09, M.S.S./Belgien -, NVwZ 2011, 413, vom 04.11.2014 - Nr. 29217/12, Tharakel/Schweiz -, juris, und Entscheidung vom 05.02.2015 - Nr. 51428/10, A.M.E./Niederlande -, juris), der mit Art. 4 GRCh übereinstimmt (vgl. zu den Anforderungen ausführlich Senatsurteil vom 10.11.2014 - A 11 S 1778/14 -, InfAuslR 2015, 77, m.w.N.). Die Annahme einer drohenden Verletzung des Grundrechts aus Art. 4 GRCh muss durch wesentliche Gründe (Art. 3 Abs. 2 UA. 2 Dublin III-VO; vgl. auch EuGH, Urteil vom 21.12.2011 - C-411/10 u.a., N.S. u.a. -, NVwZ 2012, 417: "ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe") gestützt werden. Das bedeutet, dass die festgestellten Tatsachen hinreichend verlässlich und aussagekräftig sein müssen; nur unter dieser Voraussetzung ist es nach der maßgeblichen Sicht des Gerichtshofs der Europäischen Union gerechtfertigt, von einer Widerlegung des „gegenseitigen Vertrauens“ der Mitgliedstaaten untereinander auszugehen. In diesem Zusammenhang müssen die festgestellten Tatsachen und Missstände verallgemeinerungsfähig sein, um die Schlussfolgerung zu rechtfertigen, dass es nicht nur vereinzelt, sondern immer wieder und regelhaft zu Grundrechtsverletzungen nach Art. 4 GRCh kommt. Das bei einer wertenden und qualifizierten Betrachtungsweise zugrunde zu legende Beweismaß ist das der beachtlichen Wahrscheinlichkeit im herkömmlichen Verständnis der höchstrichterlichen Rechtsprechung, das sich nicht von dem in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte entwickelten Beweismaß des „real risk“ unterscheidet (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23.12 -, NVwZ 2013, 936; Beschluss vom 19.03.2014 - 10 B 6.14 -, juris).
33 
Hinzukommen muss, dass der konkrete Schutzsuchende auch individuell betroffen wäre. Es genügt nicht, dass lediglich abstrakt bestimmte strukturelle Schwachstellen festgestellt werden, wenn sich diese nicht auf den konkreten Antragsteller auswirken können. Dabei ist zu berücksichtigen, dass - eine systemische Schwachstelle unterstellt - einer drohenden Verletzung von Art. 4 GRCh im konkreten Einzelfall gegebenenfalls vorrangig dadurch "vorgebeugt" werden kann, dass die Bundesrepublik Deutschland die Überstellung im Zusammenwirken mit dem anderen Mitgliedstaat so organisiert, dass eine solche nicht eintreten kann (vgl. EGMR, Urteil vom 04.11.2014 -Nr. 29217/12, Tharakel/Schweiz -, juris; BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 17.09.2014 - 2 BvR 939/14 und 2 BvR 1795/14 -, juris und vom 17.04.2015 - 2 BvR 602/15 -, juris).
34 
b) Nach den vom Senat verwerteten Erkenntnismitteln (vgl. v.a. Commissioner for Human Rights of the Council of Europe, Report by Nils Muiznieks vom 16.12.2014 Rn 148 ff. - im Folgenden CHR I; UNHCR, Anmerkungen und Empfehlungen des UNHCR zum Entwurf zur Änderung migrations- und asylbezogener sowie weiterer in diesem Zusammenhang stehender Vorschriften zwecks Rechtsharmonisierung vom 07.01.2015, S. 14 ff - im Folgenden UNHCR I) ist seit Jahren die Praxis der Verhängung von Abschiebungshaft bzw. einer Art von Sicherungshaft gegenüber Asylbewerbern durch schwerwiegende verfahrensrechtliche und inhaltliche Mängel gekennzeichnet und ist seit langer Zeit national wie auch v.a. international heftiger Kritik ausgesetzt (vgl. ausführlich CHR I, Rn. 151 insbesondere auch mit Hinweisen auf die Rechtsprechung des EGMR zur Inhaftierungspraxis aus den Jahren 2011 und 2012; vgl. auch schon die deutliche, wenn auch diplomatisch eher zurückhaltend formulierte Kritik bei UN General Assembly - Human Rights Council - Report of the Working Group on Arbitrary Detention Mission to Hungary v. 03.07.2014, Rdn. 102 ff.). Diese Praxis ist insbesondere dadurch gekennzeichnet, dass etwa seit dem Jahre 2010 die ganz überwiegende Zahl der Antragsteller inhaftiert wurde und die gerichtlichen Entscheidungen, auf denen die Inhaftierungen beruhten, vollständig intransparent waren und ohne jeden nachvollziehbaren Bezug zu dem individuellen Einzelfall standen. Hinzu kam, dass nach der früheren Rechtslage die Haftgründe in hohem Maße vage und unbestimmt formuliert waren und damit in besonderer Weise eine rechtstaatlich unvertretbare gerichtliche Praxis begünstigten. Zwar wird für die Zeit bis zum Jahre 2014 zunächst von gewissen Verbesserungen gesprochen (vgl. CHR I, Rn. 153), was wohl zur Folge hatte, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in seiner Entscheidung vom 03.07.2014 (Nr. 71932/12) nicht mehr zu erkennen vermochte, dass das Inhaftierungssystem in Ungarn noch durch so schwerwiegende Mängel gekennzeichnet gewesen sei, dass die erfolgte Inhaftierung des Betroffenen eine Verletzung von Art. 3 EMRK ausgemacht hätte. Neuere, dem Gerichtshof damals noch nicht vorliegende Erkenntnisse seit dem Jahre 2014 zur Situation in Ungarn, wie der Bericht des Menschrechtskommissars vom 16.12.2014, der seinerseits auf einer Reihe aktueller Erkenntnismittel und auch eigener Anschauung beruhte, sowie die grundlegende Einschätzung von UNHCR vom 07.01.2015 (UNHCR I) gebieten jedoch auch in Ansehung gewisser Verbesserungen gleichwohl auch für das Jahr 2014 und bis heute eine abweichende Einschätzung. Hinzu kommt, dass selbst der Oberste Gerichtshof Ungarns (Kuriá) in seinem Bericht (Report on the Court’s Refugee Law-related Jurisprudence vom 20.10.2014; zitiert nach UNHCR I, S. 13 f.) die gravierenden Mängel der ungarischen Rechtsprechungspraxis bestätigt und praktische Hinweise zu deren unverzüglichen und notwendigen Behebung gegeben hatte (vgl. zu alledem auch Lehnert, NVwZ 2016, 896, 899). Eine aktuelle Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 05.07.2016 (Nr. 9912/15) belegt aber eindrucksvoll, dass sich an der Inhaftierungspraxis auch im Jahre 2014 nichts Grundlegendes geändert hatte. Der der Entscheidung zugrunde liegende Sachverhalt entspricht geradezu exemplarisch den Fakten, wie sie der Senat aus den verwerteten Erkenntnismitteln entnommen hat.
35 
Besonders besorgt war der Menschrechtskommissar über die unverändert festzustellende Willkür bei der Anordnung von Haft, namentlich vermisste er jede Individualisierung der Anordnung und deren Verhältnismäßigkeit, was die Dauer betrifft. Verschärft wurde dieser Zustand dadurch, dass es - gewissermaßen als Korrektiv - keinerlei effektive richterliche Kontrolle gab, was auch vom Obersten Gerichtshof festgestellt und kritisiert worden war.
36 
Die aktuell seit 01.08.2015 geltenden gesetzliche Bestimmungen über die Voraussetzungen für die Anordnung von „Asylhaft“, die nach ungarischem Recht seit 2013 von der Abschiebungshaft „Immigration Detention“ unterschieden wird (vgl. aida, „Country Report: Hungary“ vom November 2015, S. 64 - im Folgenden aida II), stehen allerdings nunmehr im Wesentlichen formal in Übereinstimmung mit den Vorgaben der Aufnahmerichtlinie (RL 2013/33/EU v. 26.06.2013, ABl. L 180 vom 29.06.2013, S. 96) in deren Art. 8 (vgl. auch aida II, S. 60). Als höchst problematisch wird hingegen unverändert auch heute noch die praktische Handhabung der Bestimmungen geschildert. Als Haftgründe werden am häufigsten „Fluchtgefahr“ und „ungeklärte Identität“ genannt (aida II, S. 60; amnesty international, Stranded Hope, Hungary’s sustained attack on the rights of refugees and migrants, 2016, S. 24 ff. im Folgenden ai, Stranded Hope). Mittlerweile kommt als weiterer oft herangezogener Grund die „Gefahr für die öffentliche Sicherheit“ hinzu (vgl. aida II, S. 61). Dem liegt zugrunde, dass Ungarn nunmehr alle Antragsteller, die nicht offiziell über eine Grenzstation einzureisen versuchen bzw. versucht haben, der illegalen Einreise beschuldigt und diese deshalb grundsätzlich auch strafrechtlich verfolgt werden können, was aber in dieser Pauschalität offensichtlich mit den Vorgaben in Art. 31 GFK unvereinbar ist, zumindest dann, wenn kein weiteres Begleitdelikt begangen wird, wie etwa die Beschädigung der Grenzanlagen (vgl. zu alledem UNHCR; Hungary as a country of asylum, vom Mai 2016, Rn. 59 - im Folgenden UNHCR II; Human Rights Watch “Hungary: Locked Up for Seeking Asylum“ vom 01.12.2015, S. 2 und 4 mit dem weiteren Hinweis, dass deshalb insbesondere abgelehnte Antragstellers häufig in „Immigration Detention“, d.h. praktisch in Strafanstalten inhaftiert sind, - im Folgenden HRW; so auch aida II, S. 61 f. und 64). Ungeachtet dessen wird wiederum einhellig - auch für das Jahr 2015 - nach wie vor beanstandet, dass Haftgründe immer noch nicht individualisiert und einzelfallbezogen geprüft und beurteilt werden, wobei wiederum noch hinzu kommt, dass unverändert die Begründungen der Entscheidungen in höchstem Maße defizitär sind und für die Betroffenen nicht erkennen lassen, weshalb sie in Haft genommen werden (vgl. aida II, S. 61 und 68; Commissioner for Human Rights of the Council of Europe, vom 17.12.2015, Rn. 16 ff. und 22 - im Folgenden CHR II). Dass eine spezifische Verhältnismäßigkeitsprüfung durchgeführt wurde, lässt sich in der Regel den Entscheidungen immer noch nicht entnehmen (aida II, S. 68). Entgegen den Vorgaben des Unionsrechts wird bei gerichtlichen Haftanordnungen immer wieder nicht sorgfältig erwogen, ob es hierzu Alternativen gibt (aida II, S. 61; UNHCR I S. 22). Obwohl es, worauf bereits hingewiesen wurde, in der Vergangenheit eine ausdrückliche Beanstandung durch den Obersten Gerichtshof gegeben hatte, sind - mit einer gewissen Ausnahme beim Gericht in Debrecen - auch weiterhin kaum sichtbaren Änderungen eingetreten.
37 
Die wesentlichen Verfahrensabläufe stellten sich und stellen sich nach wie vor wie folgt dar: Am Beginn der Haft steht eine maximal 72 Stunden geltende behördliche Haftanordnung, gegen die es mit Rücksicht auf völlig defizitäre Informationen, erhebliche sprachlich bedingte Kommunikationsprobleme und völlig unzureichenden Zugang zu fachkundiger Hilfestellung nur einen theoretischen, aber praktisch kaum wirksamen Rechtsschutz gibt (vgl. aida II, S. 69 und zum Ablauf des Verfahrens Rn. 67 f.) mit der Folge, dass die Betroffenen jeder denkbaren Willkür ausgeliefert sein können. Hieran schließt sich auf Antrag der Asylbehörde (OIN) eine förmliche gerichtliche Verlängerungsentscheidung an, die zunächst maximal 60 Tage gelten kann (bis insgesamt maximal 6 Monate). Die Verlängerungen erfolgen aus Gründen der „Verfahrensbequemlichkeit“ in aller Regel (wenn auch nicht ausnahmslos) pauschal und ohne Bezug zum Einzelfall um die jeweils zulässige Höchstdauer, ohne dass es insoweit nach der Einschätzung der Stellungnahmen ein effektives Rechtsmittel oder eine effektive Abhilfemöglichkeit für die Betroffenen gibt (aida II, S. 67 ff. insbes. Rn. 69 f. und schon UNHCR I, S. 13 und 17); ob überhaupt ein Rechtsbehelf gegen die richterliche Haftanordnung eröffnet ist, ist nicht völlig klar (verneinend und im Einzelnen begründet aida II, S. 67 f. Rechtsschutz nur in Bezug auf die behördlich Anordnung bis zu 72 Stunden; bejahend AA v. 21.06.2016 an VG Potsdam). Die Gerichte stützen sich nach wie vor häufig allein auf die Angaben der Asylbehörde, ohne die Angaben der Betroffenen angemessen zu würdigen (aida II, S. 68; ecre/aida, „Crossing Boundaries“ vom 01.10.2015, S. 27 f.). Bereits in der Vergangenheit konnte festgestellt werden, dass die Gerichte die vorgeschriebene Anhörung jedenfalls teilweise als „Massenanhörung“ durchführten, sodass - wenn überhaupt - nur ein Minimum an Zeit für jeden Betroffenen blieb (vgl. aida II, S. 68). Zwar besteht an sich freier Zugang zu einer anwaltlichen Vertretung, die Beiordnung von Anwälten erwies sich aber als weitgehend unzureichend, da diese völlig passiv blieben und die Interessen ihrer Mandanten nicht ernsthaft vertraten (aida II, S. 70). Die vom Auswärtigen Amt (Auskunft vom 27.01.2016) behauptete genaue Einzelfallprüfung konnte schwerlich stattgefunden haben, wenn regelmäßig in der Haft unbegleitete Minderjährige angetroffen bzw. festgestellt worden waren. Es wird nämlich übereinstimmend berichtet, dass keine umfassende und vor allem einigermaßen zuverlässige Alterskontrolle und -feststellung stattfand bzw. gewährleistet war mit der Folge, dass immer wieder unbegleitete minderjährige Antragsteller in Haft kamen und später durch Mitarbeiter humanitärer Organisationen dort angetroffenen wurden (aida II, S. 62; UNHCR I, S. 18; CHR II, Rn. 27). Nichts anderes galt für sog. vulnerable Personen (vgl. auch HRW, S. 6 ff.), was insoweit folgenschwerer ist, weil keinerlei psychosoziale Betreuung in den Haftanstalten stattfindet (aida II, S. 65; HRW, S. 8). Eine psychologische Behandlung kommt allenfalls in einer Klinik in Betracht (vgl. AA v. 27.01.2016, S. 7). Grundsätzlich können nunmehr - wohl anders als noch im Jahre 2014 - auch Familien mit minderjährigen Kindern bis zu 60 Tagen wieder inhaftiert werden, was auch tatsächlich und nicht nur in Ausnahmefällen geschieht (vgl. aida II, S. 62; UNHCR I, S. 21 f.), aber schwerlich mit Art. 37 Kinderkonvention und Art. 11 Abs. 2 Aufnahmerichtlinie (RL 2013/33/EU v. 26.06.2013) vereinbar sein wird.
38 
Die Haftanstalten waren und sind entgegen früherer Befürchtungen (vgl. Hungarian Helsinki Committee, Building als Legal Fence, vom 07.08.2015, S. 5) nicht überfüllt, allerdings jedenfalls teilweise nach wie vor in einem sehr schlechten Zustand, so v.a. die Haftanstalt in Nyirbátor (vgl. aida II, S. 65; HRW, S. 2 f. und 9), in der im Winter 2014/15 die Häftlinge bei Temperaturen von 5°C in der Haftanstalt ohne ausreichende Kleidung längere Zeit leben mussten, sie ist außerdem trotz mehrfacher Abhilfeversuche nach wie vor völlig verwanzt. Andere bauliche Mängel waren vorhanden, waren aber wohl nicht so gravierend. Schwangere, begleitete und unbegleitete Kinder und Menschen mit Behinderungen werden immer wieder auch für lange Zeit mit alleinstehenden Männern zusammen untergebracht (HRW, S. 2). Typisch ist weiterhin ein hohes Maß an alltäglicher Brutalität, die von dem Personal in den Haftanstalten ausgeht (vgl. ecre/aida, a.a.O.,S. 27; vgl. auch ausführlich ai, Stranded Hope, S. 25 ff., insbesondere auch zu Selbstmordversuchen und Selbstverletzungen). Die Betroffenen werden wie Kriminelle behandelt und nur mit Handschellen und untereinander angeleint ausgeführt (aida II, S. 65; CHR II, Rn. 21, dessen Ausführungen darauf schließen lassen, dass es sich nicht um einen Ausreißer gehandelt haben kann; vgl. auch AA vom 21.06.2016). Die ärztliche Basisversorgung für nicht vorbelastete Insassen ist theoretisch wohl gewährleistet (aida II, S. 65; AA v. 27.01.2016). Deren Effektivität leidet aber mit Rücksicht auf fehlende Dolmetscher erheblich unter den Kommunikationsschwierigkeiten, die oftmals eine sachgerechte Behandlung unmöglich machen (vgl. CHR II, Rn. 20).
39 
Jedenfalls waren im Frühjahr 2014 noch etwa 25 v.H. aller Antragsteller und 42 v.H. aller männlichen ledigen Antragsteller in Haft (vgl. CHR I, Rn. 155 f.; aida, „Country Report: Hungary“ vom April 2014, S. 48 - im Folgenden aida I). Für das gesamte Jahr 2013 wird - nicht aufgeschlüsselt nach der Gesamtzahl einerseits und der Zahl alleinstehender Männer andererseits - die Quote mit knapp 25 v.H. angegeben (vgl. UN General Assembly - Human Rights Council - Report oft the Working Group on Arbitrary Detention Mission to Hungary v. 03.07.2014).
40 
Allerdings legten neuere Erkenntnismittel zunächst die Schlussfolgerung nahe, dass die Inhaftierungsquote möglicherweise in der Folge nicht mehr das gleiche hohe Ausmaß hatte wie dieses noch in den Jahren 2013 und 2014 der Fall war. Zwar nennt aida (II, S. 60) eine Zahl von 52 v.H. Inhaftierten bezogen auf den 02.11.2015, ohne dieses genauer zu erläutern; in diesem Zusammenhang wird aber sodann noch die Gesamtzahl der zwischen 01.01. bis 30.09.2015 inhaftierten Antragsteller mit 1.860 angegeben, was aber in Anbetracht der vom Auswärtigen Amt dem Senat auf die Anfrage des Senats am 27.06.2016 mitgeteilten Zahl von rund 179.000 Antragstellern im Jahre 2015 eine Quote von 52 v.H. nicht ohne weiteres plausibel erscheinen lässt (vgl. aber auch völlig widersprüchlich AA v. 03.07.2015: 01.01.2015 bis 31.05.2015 1.078 inhaftierte Personen einerseits, AA vom 28.09.2015: 01.01.2015 bis 30.06.2015 492 Personen andererseits). Gegenüber dem Senat hat das Auswärtige Amt am 27.06.2016 die Gesamtzahl der Inhaftierungen im 1. Halbjahr 2015 mit 1.258, im 2. Halbjahr mit 1.145 und in der Zeit zwischen dem 01.01.2016 bis 22.06.2016 mit 1.648 Personen angegeben, was in Einklang mit der von aida genannten Gesamtzahl von 1.860 Personen stehen könnte. Geht man von der hohen Zahl der Antragstellungen im Jahre 2015 aus, so könnte hieraus auf eine deutlich geringere Inhaftierungsquote als im Jahre 2014 zu schließen sein, auch wenn dem Senat nicht bekannt ist, wie viele Antragsteller tatsächlich überhaupt noch im Land geblieben waren. Sollte, wie zu vermuten ist, der ganz überwiegende Teil der Antragsteller das Land im Jahre 2015 aber bereits wieder verlassen haben, so würde dieses unmittelbar die Inhaftierungsquote nicht unerheblich erhöhen. Dafür, dass die meisten Antragsteller wieder das Land verlassen hatten, sprach der Umstand, dass regelmäßig der Anteil der sog. Einstellungsentscheidungen der ungarischen Asylbehörde signifikant hoch war (vgl. Eurostat, „Asylum and first time asylum applicants, Last update 06.07.2016“ für Ungarn 177.135 Antragsteller im Jahre 2015 einerseits; „Asylum applications withdrawn, Last update 08.07.2016“ für Ungarn im Jahre 2015 103.015 Einstellungsentscheidungen andererseits; vgl. auch „Final decisions on applications Last update 22.06.2016“ für Ungarn im Jahre 2015 nur 480 endgültige Sachenentscheidungen).
41 
Auch zum heutigen Zeitpunkt ist nach wie vor von einer hohen Inhaftierungsquote auszugehen. Amnesty international teilt unter Berufung auf das Hungary Helsinki Committee mit, dass zum 01.08.2016 noch etwa 1200 registrierte Flüchtlinge in Ungarn geblieben seien, von denen etwa 700 inhaftiert gewesen seien (ai, Stranded Hope, S. 24 ff.).
42 
Diese Quoten begründeten nach Überzeugung des Senats in Anbetracht der erheblichen und einschneidenden Folgen einer Inhaftierung für die Betroffenen die erforderliche beachtliche Wahrscheinlichkeit im Sinne eines „real risk“. Ausgehend von diesen Zahlen muss der Kläger dann, wenn er nach Ungarn zurückkehren würde, um dort ein (weiteres) Verfahren auf Gewährung internationalen Schutzes durchzuführen, als alleinstehender Mann mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen in Haft zu kommen. Das nach den verwerteten Erkenntnismitteln hoch defizitäre Haftanordnungs- bzw. Haftprüfungsverfahren, das die Betroffenen einer willkürlichen Behandlung aussetzt, und in dem sie in der Regel nicht einmal im Ansatz in ihrer Subjektqualität wahrgenommen werden, verstößt nicht nur gegen die menschenrechtlichen Garantien der Art. 5 und Art. 13 EMRK (vgl. zu dem Aspekt der mangelnden Eröffnung der maßgeblichen Gründe einer Inhaftierung und einer hieraus folgenden Verletzung von Art. 3 EMRK EGMR, Urteil vom 01.09.2015 - Nr. 16483/12, Khlaifia u.a./Italien -, juris; vom. 05.07.2016 - Nr. 9912/15), sondern auch - jedenfalls in Zusammenschau mit den konkreten Haftbedingungen bei desolater Unterbringungssituation und den Handlungsweisen des Personals mit systematischer Schlechtbehandlung - gegen Art. 3 EMRK und damit gegen Art. 4 GRCh. Es ist nach alledem davon auszugehen, dass angesichts der schweren Mängel des Haftanordnungsverfahrens der Kläger keine effektive und faire Chance haben wird, seine Belange in das Verfahren einzubringen und damit gehört zu werden, weshalb es dem Kläger nicht zugemutet werden konnte, in Ungarn ein (weiteres) Verfahren auf internationalen Schutz durchzuführen, mit der Folge, dass mit der Asylantragstellung im Bundesgebiet die Zuständigkeit der Bundesrepublik begründet wurde.
43 
Das ungarische Asylsystem weist ungeachtet dessen auch in anderer Hinsicht weitere schwere systemische Mängel auf, worauf es aber nicht mehr entscheidend ankommt. So behandelt Ungarn u.a. Serbien als sicheren Drittstaat (vgl. aida II, S. 43 f.; vgl. auch eccre/aida, Crossing Boundaries, October 2015, 34 ff. auch zur rückwirkenden Anwendung der Drittstaatenregelung), womit die massenhaften Einreiseverweigerungen und Zurückschiebungen an der serbisch-ungarischen Grenze zu erklären sind (vgl. u.a. aida II, S. 30 ff.; Hungarian Helsinki Committee, No Country for Refugees, 28.09.2015; ai, Stranded Hope, S. 14 f.). Serbien seinerseits sieht u.a. Griechenland, Mazedonien und die Türkei als sichere Drittstaaten an (aida, Country Report: Serbia März 2016, 23 f.). Dass Griechenland kein sicherer Drittstaat sein kann, wurde bereits erwähnt. Für die Türkei gilt nichts anderes. Denn zum einen wendet die Türkei die Genfer Flüchtlingskonvention nur auf europäische Flüchtlinge an. Rein faktisch beachtet sie aber insbesondere auch gegenüber syrischen Flüchtlingen das Refoulement-Verbot nicht. Es gibt zahlreiche glaubhafte Berichte, dass es immer wieder zu Push-Backs in größerem Umfang an der syrisch-türkischen Grenze kommt (vgl. zu alledem ai, Turkey - Illegal Mass Returns of Syrian Refugees, 01.04.2016; pro asyl, Turkey: Syrians Pushed Back at the Border, 23.11.2015), was schon in Anbetracht der fehlenden völkervertraglichen Bindungen der Türkei dazu führen muss, dass die Türkei nicht als sicherer Drittstaat angesehen werden kann. Hinzu kommt, dass das serbische Asylverfahren massiver Kritik ausgesetzt und jedenfalls faktisch nicht geeignet ist, effektiven Flüchtlingsschutz zu gewährleisten; aida spricht davon, dass die gravierenden Mängel v.a. in der mangelnden Implementierung des Flüchtlingswesens in die Gesetzgebung und in der weitgehenden Unkenntnis flüchtlingsrechtlicher Fragestellungen bei den Akteuren im System bestehen (vgl. aida, Country Report: Serbia, S. 12; vgl. auch UNHCR, Serbia as a country of asylum, August 2012). Aus alledem folgt, dass Ungarn ein System der flüchtlingsrechtlichen Verantwortungslosigkeit betreibt und sehenden Auges Kettenabschiebungen ermöglicht. In diesem Sinn hat auch am 20.04.2016 das Oberste Verwaltungsgericht Finnlands entschieden (vgl. KHO: 2016: 53), dass Ungarn zu Unrecht Serbien als einen sicheren Drittstaat behandelt und deshalb sein Asylsystem systemische Schwachstellen aufweist. Schließlich weist der Senat darauf hin, dass es nachvollziehbare und glaubhafte aktuelle Schilderungen über die Behandlung von gestrandeten Flüchtlingen an der ungarischen Grenze gibt, die deutlich machen, dass Ungarn nicht nur ständig das Refoulement-Verbot verletzt, sondern dabei auch exzessive Gewalt anwendet. Minimale menschenrechtliche Standards werden auch dadurch verletzt, dass im Rahmen des Grenzregimes wiederholte erfolgreiche Versuche gegeben hat, ungarische NGOs daran zu hindern, durch eigene Hilfsmaßnahmen und Hilfsprojekte die äußerst schlechten Lebensbedingungen der an der Grenze ausharrenden Menschen zu lindern (amnesty international, So schlecht wie möglich, August 2016). Diese bei den handelnden staatlichen Organen offensichtlich vorherrschende ablehnende bis gar feindliche Grundeinstellung gegenüber Flüchtlingen, die in vielfach geschilderten Gewaltexzessen und in der inhumanen Verhinderung von Hilfseinsetzen von ungarischen NGOs exemplarisch zum Ausdruck kommt, lässt nach Überzeugung des Senats auch Rückschlüsse auf die oben geschilderte Schlechtbehandlung in der Asylhaft zu. Die Plausibilität und Glaubhaftigkeit der diesbezüglichen Berichte wird dadurch untermauert. Diese Feststellungen haben daher indirekt auch Relevanz für die Einschätzung der (künftigen) Situation des Klägers.
44 
Abschließend weist der Senat noch darauf hin, dass am 10.12.2015 die Europäische Kommission gegen Ungarn ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet hat (vgl. Presserklärung der Europäischen Kommission vom 10.12.2015). Dieses hat im Wesentlichen die Effektivität des Rechtsschutzes zum Gegenstand. Erstens befürchtet die Kommission im Hinblick auf die Asylverfahren, dass es im Rahmen von Rechtsbehelfen nicht möglich sei, auf neue Fakten und Umstände zu verweisen, und dass Ungarn Entscheidungen im Falle der Einlegung von Rechtsbehelfen nicht automatisch aussetze, sondern dass Antragsteller bereits vor Verstreichen der Frist für die Einlegung eines Rechtsbehelfs oder vor der Prüfung des Rechtsbehelfs effektiv gezwungen würden, ungarisches Hoheitsgebiet zu verlassen. In der Neufassung der Asylverfahrensrichtlinie seien gemeinsame Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes und klare Vorschriften für die Beantragung von Asyl festgelegt. Sie gelte für alle Anträge auf internationalen Schutz, die im Hoheitsgebiet - auch an den Grenzen, in den Hoheitsgewässern oder in den Transitzonen - der Mitgliedstaaten gestellt werden. Sodann befürchtet die Kommission im Hinblick auf das Recht auf Dolmetscherleistungen und Übersetzungen, dass das ungarische Gesetz über beschleunigte Strafverfahren wegen irregulären Grenzübertritts gegen die Vorschriften der Richtlinie über das Recht auf Dolmetscherleistungen und Übersetzungen in Strafverfahren verstoße, die sicherstelle, dass jede verdächtige oder angeklagte Person, die die Verfahrenssprache nicht verstehe, eine schriftliche Übersetzung aller wichtigen Dokumente, auch eines etwaigen Urteils, erhalte. Schließlich bestünden im Hinblick auf das Grundrecht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und ein unparteiisches Gericht nach Artikel 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union Bedenken hinsichtlich der Tatsache, dass gemäß den neuen ungarischen Vorschriften zur gerichtlichen Überprüfung von Entscheidungen über die Ablehnung eines Asylantrags eine persönliche Anhörung der Antragsteller fakultativ sei. Zudem könne der Umstand, dass gerichtliche Entscheidungen von Gerichtssekretären auf vorgerichtlicher Ebene getroffen werden, einen Verstoß gegen die Asylverfahrensrichtlinie und Artikel 47 der Grundrechtecharta begründen. Gerade der erste Punkt wird aus der Sicht des Senats eindringlich durch verschiedene Erkenntnismittel, die ihm vorliegen, untermauert (vgl. etwa amnesty international, Trampling on the rights of refugees and asylumseekers, May 2016; UNHCR II, Rdn. 38 ff.; amnesty international, So schlecht wie möglich, August 2016).
II.
45 
Die angegriffenen Verfügungen waren nach dem maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung des Senats (vgl. § 77 Abs. 1 AsylG) auch aus einem weiteren Grund aufzuheben.
46 
1. Die in Ziffer 2 verfügte Abschiebungsanordnung setzt nach § 34a Abs. 1 AsylG voraus, dass die Abschiebung in den zuständigen Mitgliedstaat erfolgen kannund dies auch alsbald der Fall sein wird. Bestehen hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass dieses nicht der Fall sein könnte, ist die Beklagte ggf. darlegungspflichtig, dass diese Voraussetzungen gleichwohl (noch) vorliegen (vgl. BVerwG, Urteil vom 27.04.2016 - 1 C 24.15 -, juris). Zum einen ergab sich schon aus dem von der Beklagten selbst dem Senat bereits im Verfahren A 11 S 976/16 vorgelegten Quartalsbericht IV 2015 zum Mitgliedstaat Ungarn vom 27.01.2016, dass im gesamten Jahr 2015 von 33.220 Zustimmungsfällen tatsächlich nur 1.402 nach Ungarn überstellt worden waren, was einer Quote von 4,2 v.H. entsprach; im 4. Quartal war die Quote sogar auf 3,3 v.H. gesunken. Die mittlerweile vorliegende Dublin-Statistik für das 1. Halbjahr und das von der Beklagten im vorliegenden Verfahren vorgelegte statistische Material zeichnen ein vergleichbares Bild; die Überstellungsquote betrug im gesamten 1. Halbjahr 2016 lediglich 7,14 v.H. (vgl. BAMF: Dublin-Statistik 1. Jahreshälfte 2016), was unübersehbar zu einem enormen Rückstau von Überstellungen geführt haben muss. Erst um die Jahresmitte 2016 hat sich die Quote deutlich verbessert, was ersichtlich auf die gesunkene Zahl von Zustimmungen Ungarns zurückzuführen ist. Die Zahlen der erfolgten Überstellungen liegen aber immer noch deutlich unter der Zahl der Zustimmungen. An der sehr niedrigen Überstellungsquote und dem infolge dessen entstandenen extremen Rückstau hat sich somit nichts Grundlegendes geändert, er wächst sogar weiter ständig an. Allerdings finden durchaus regelmäßig Überstellungen statt, obwohl offizielle ungarische Verlautbarungen etwas anderes nahe legen. Soweit die Beklagte darauf abhebt, dass bei der Beurteilung und der Bewertung der Überstellungsquote berücksichtigt werden müssen, dass „viele“ Abschiebungen aus mancherlei Gründen nicht durchgeführt werden könnten, etwa weil sich die Betroffenen verweigern oder entziehen würden, so ist dieses zweifellos richtig. In der mündlichen Verhandlung wurde dieser Aspekt, insbesondere die naheliegende Frage, was unter „viele“ zu verstehen ist erörtert, von der Beklagten aber nicht beantwortet oder erläutert, da sie ohne vorherige Mitteilung der Verhandlung fern geblieben ist. Auch hatte die Beklagte auf die Anfrage des Senats, kein bestimmtes Handlungsmuster darlegen können, nach dem die Überstellungen durchgeführt und v.a. der Rückstau abgearbeitet werden soll, wobei hier nochmals darauf hinzuweisen ist, dass dieser gegenwärtig noch weiter zunimmt. Allein deshalb ist Ziffer 2 der angegriffenen Verfügung aufzuheben. Der Senat sieht sich in seiner Einschätzung, dass der erhebliche Rückstau nicht in absehbarer Zeit abgebaut werden kann und wird, darin bestätigt, dass das für die Aufenthaltsbeendigung in ganz Baden-Württemberg zuständige Regierungspräsidium Karlsruhe auf die Anfrage des Senats am 12.10.2016 mitgeteilt hat, dass im gesamten Jahre 2016 bislang 12 Überstellungen nach Ungarn durchgeführt worden sind. Bereits aufgrund dessen ist die Abschiebungsanordnung aufzuheben.
47 
2. Die dargestellte Problematik hat jedoch auch weitergehende Folgen und berührt - ungeachtet der Ausführungen unter I - die Rechtmäßigkeit der Ziffer 1, in der der Asylantrag als unzulässig abgelehnt worden war.
48 
Steht zum Zeitpunkt der Entscheidung des Senats hinreichend sicher fest, dass innerhalb der nächsten sechs Monate eine Überstellung aus tatsächlichen Gründen nicht möglich sein wird oder durchgeführt werden kann, so gebietet der dem Dublin-System innewohnende Beschleunigungsgedanke (vgl. z.B. EuGH, Urteil vom 14.11.2013 - C-4/11 -, NVwZ 2014, 129, Rn. 33 ff.), dass bereits jetzt von einer Unmöglichkeit der Überstellung und damit dem künftigen Zuständigkeitsübergang auszugehen ist (vgl. Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO). Bei diesen Überlegungen muss - ausgehend von der Annahme, dass die Ziffer 1 sonst an keinen Rechtsfehlen leidet und der Senat als maßgeblichen Zeitpunkt den der mündlichen Verhandlung zugrunde zu legen hat (vgl. § 77 Abs. 1 AsylG) - die Prognose zum Ausgangspunkt nehmen, dass die Überstellungsfrist aktuell zu laufen beginnt, weil der Kläger sein Begehren nicht weiter verfolgen wird. Andernfalls wäre zu Lasten der Betroffenen und unter Vernachlässigung des Beschleunigungsgedankens ein zuverlässiger Ausgangs- und Fixpunkt der Prognose nicht festzulegen mit der Folge, dass die hier bestehende Überstellungsproblematik nicht in einer den berechtigten Interessen der Betroffenen gemäßen Art und Weise sachgerecht bewältigt werden könnte. Bei einer anderen Sichtweise könnte eine Prognoseentscheidung erst dann getroffen werden, wenn die Entscheidung des Senats zu einem jetzt noch ungewissen Zeitpunkt rechtskräftig geworden ist und damit die Überstellungsfrist des Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO (vgl. auch Art. 29 Abs. 1 UA 1) in Lauf gesetzt wurde. Der Senat würde dann auch - gesetzeswidrig - einen anderen (späteren) und gerade nicht den den Vorgaben des § 77 Abs. 1 AsylG entsprechenden Zeitpunkt seiner Entscheidung zugrunde legen. Weshalb in diesem Zusammenhang (wohl vor dem Hintergrund des Art. 29 Abs. 2 Satz 2 Dublin II-VO) generell von einem Prognosehorizont von 18 Monaten auszugehen sein sollte, wie die Beklagte im Verfahren A 11 S 976/16 vorgetragen hat, erschließt sich dem Senat nicht. Denn weder bestehen Anhaltspunkte dafür, dass alle zu Überstellenden flüchtig sind oder sein werden, noch dass solches beim Kläger der Fall sein wird.
49 
Angesichts des oben dargestellten enormen und weiter wachsenden Rückstaus von Überstellungen (allein aus dem Jahr 2015 und der 1. Jahreshälfte 2016) und bei einer nur verschwindend geringen Überstellungsquote ist -auch angesichts der aktuellen offiziellen Äußerungen der ungarischen Regierung vom 26.05.2016, möge diese auch in erster Linie innenpolitisch motiviert sein - für den Senat nicht ersichtlich und von der Beklagten auch nicht plausibel dargelegt, dass in absehbarer Zeit überhaupt noch Überstellungen in nennenswertem Umfang, die in einem angemessenen Verhältnis zur Gesamtzahl der zu überstellenden Personen stehen, durchgeführt werden können. Bei dieser Sachlage ist die Beklagte zur Vermeidung weiterer unzumutbarer dem Beschleunigungsprinzip und der Effektivität des Europäischen Asylsystems zuwider laufender Verzögerungen, verpflichtet, ohne Ermessensspielraum sofort von dem Selbsteintritt nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO Gebrauch zu machen, ohne den sich abzeichnenden Zuständigkeitsübergang nach Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO abwarten zu dürfen.
50 
Nach alledem wird die Beklagte im weiteren Verfahren zu entscheiden haben, ob der am 03.06.2014 gestellte Antrag ein Erstantrag oder Zweitantrag ist. Denn der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung angegeben, dass er seines Wissens nach keinen Asylantrag gestellt hat, jedenfalls aber, sollte er bei seiner Festnahme und dem anschließenden Verhör durch die ungarischen Behörden unbewusst einen Asylantrag gestellt haben, keinen Ablehnungsbescheid erhalten und noch weniger eine Klage angestrengt zu haben.
III.
51 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO; Gerichtskosten werden nicht erhoben (vgl. § 83b AsylG).
52 
Gründe nach § 132 Abs. 2 VwGO, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.

Tenor

I. Unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 25. Oktober 2016 wird der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 23. November 2015 aufgehoben.

II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen zu tragen.

III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die im Jahr 1971 geborene Klägerin und ihre beiden 2006 und 2008 geborenen Kinder sind kurdische Yeziden aus Sheikhan im Irak. Sie reisten am 5. August 2015 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellten am 14. September 2015 beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) Asylantrag.

Bei der Befragung zur Vorbereitung der Anhörung am 14. September 2015 gab die Mutter, die Klägerin zu 1, an, sie habe ihr Heimatland am 1. Juli 2015 verlassen. In der Heimat lebten noch ihr Ehemann und 2 weitere Kinder sowie drei Brüder und zwei Schwestern. Im persönlichen Gespräch zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats am 16. Oktober 2015 gab die Klägerin zu 1 an, sie sei ca. einen Monat unterwegs gewesen und dabei über ihr unbekannte Länder gefahren. In Ungarn seien ihr Fingerabdrücke abgenommen worden.

Nachdem sich ein Eurodac-Treffer für Ungarn ergeben hatte, bat das Bundesamt am 21. Oktober 2015 Ungarn um Übernahme des Asylverfahrens. Der ungarische Staat bestätigte den Empfang der Anfrage am 22. Oktober 2015.

Mit Bescheid des Bundesamts vom 23. November 2015 wurden die Anträge als unzulässig abgelehnt (1.) und die Abschiebung nach Ungarn angeordnet (2.). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 12 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (3.). Zur Begründung ist ausgeführt, der Asylantrag sei gemäß § 27a AsylG a.F. unzulässig, da Ungarn nach der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (ABl. L 180 v. 29.6.2013, S. 31 - Dublin III-VO), zur Prüfung der Asylanträge zuständig sei. Außergewöhnliche humanitäre Gründe, die zu einem Selbsteintrittsrecht führen könnten, seien nicht ersichtlich. Der Vortrag der Kläger, dass sie in Ungarn zwei Tage ohne Essen im Gefängnis gewesen seien und die Klägerin zu 1 deshalb aktuell psychisch sehr belastet sei, rechtfertige keine andere Beurteilung. Gründe zur Annahme von systemischen Mängeln im ungarischen Asylverfahren lägen nicht vor. Die in Deutschland lebenden Geschwister bzw. Verwandten der Klägerin zu 1 seien keine „Familienangehörige“ im Sinn der Dublin III-VO. Die Asylanträge würden daher in der Bundesrepublik Deutschland nicht materiell geprüft.

Am 1. Dezember 2015 erhoben die Kläger hiergegen beim Verwaltungsgericht Ansbach Klage und stellten zugleich Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung. Sie führten aus, es sei von systemischen Mängeln des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen in Ungarn auszugehen. Das ergebe sich aus zahlreichen verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen. Zudem werde zu Unrecht angenommen, dass die Kläger der Regelung des § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG (a.F.) unterfielen.

Mit Beschluss des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 4. Januar 2016 wurde die aufschiebende Wirkung der Klage angeordnet und mit Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 7. März 2017 deren Fortdauer (13a AS 17.50010).

In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht am 18. Oktober 2016 erklärten die Kläger, in Ungarn seien zwangsweise Fingerabdrücke abgenommen worden und es sei ihnen keine gute Behandlung widerfahren. Die Kinder hätten trotz starken Fiebers keine Behandlung bekommen; sie seien zusammen mit vielen anderen Personen inhaftiert gewesen.

Mit Urteil vom 25. Oktober 2016 wurde die Klage abgewiesen. Zur Begründung wurde ausgeführt, nach den unionsrechtlichen Rechtsvorschriften sei Ungarn für die Durchführung der Asylverfahren zuständig. Aufgrund der Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage durch Beschluss vom 4. Januar 2016 sei die Wiederaufnahmefrist noch nicht abgelaufen. Derzeit sei auch nicht ernsthaft zu befürchten, dass in Ungarn das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen systemische Mängel aufwiesen. Das gelte auch nach der Verschärfung der gesetzlichen Regelungen in Ungarn zum 15. August 2015. Dafür spreche, dass der UNHCR keine generelle Empfehlung ausgesprochen habe, Asylbewerber nicht nach Ungarn zu überstellen. Auch die nach der Rechtslage mögliche Anwendung von Asylhaft bei Rückkehrern im Dublin-Verfahren führe nicht zur Annahme systemischer Mängel. Das hätten auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (U.v. 3.7.2014 - 71932/12) und der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (B.v. 12.6.2015 - 13a ZB 15.50097 - juris; B.v. 27.4.2015 - 14 ZB 13.30076 - juris) festgestellt. Zwar seien Dublin-Rückkehrer häufiger von Asylhaft betroffen als Ersteinreisende, jedoch würden Asylkläger aus sogenannten anerkennungsträchtigen Herkunftsländern regelmäßig weder in Asylhaft noch in Abschiebehaft genommen, im Zeitraum vom 1. Januar bis 30. Juni 2015 nur 0,7% aller Asylantragsteller. Familien mit minderjährigen Kindern müssten in separaten Gebäuden getrennt von alleinstehenden Männern untergebracht werden. Asylhaft werde nur in begründeten Einzelfällen angewendet. Dass die Haftbedingungen an sich menschenunwürdig wären und es dort systematisch zu Menschenrechtsverletzungen kommen würde, sei nicht ersichtlich. Es gebe regelmäßig eine medizinische Betreuung, teilweise arbeiteten dort Sozialpädagogen und es bestehe die Möglichkeit der freien Bewegung. Den aktuellen Berichten könne weiter nicht entnommen werden, dass den Klägern eine Überstellung von Ungarn nach Serbien drohe. Auch die Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens gegenüber Ungarn durch die europäische Kommission führe nicht per se zur Annahme von systemischen Mängeln im Asylsystem. Die vorübergehenden Kapazitätsprobleme dürften sich mittlerweile nach den von der ungarischen Regierung ergriffenen Maßnahmen wieder entschärft haben.

Auf Antrag der Kläger hat der Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 25. Januar 2017 die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Frage zugelassen, ob das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen in Ungarn systemische Mängel aufweisen (13a ZB 16.50076).

Zur Begründung ihrer Berufung tragen die Kläger vor, im ungarischen Asylsystem herrschten größere Funktionsstörungen, so dass die ernst zu nehmende Gefahr bestehe, dass sie bei einer Überstellung in einer Weise behandelt würden, die mit ihren Grundrechten nicht vereinbar sei. Insbesondere bestehe mit der Aufnahme von Serbien in die Liste der sicheren Drittstaaten die Gefahr, dass Schutzsuchende nach einer Überstellung nach Ungarn ohne inhaltliche Prüfung ihrer Fluchtgründe in Staaten abgeschoben würden, für die zweifelhaft sei, dass die dortigen Asylverfahren den europäischen Mindestanforderungen entsprächen und Abschiebungen unter Verstoß gegen das Refoulement-Verbot ausgeschlossen seien. Zudem sei zu befürchten, dass das ungarische Asylrecht seit dem 1. August 2015 hinter den europäischen Verfahrensgarantien zurückbleibe. Diese Einschätzung werde bestätigt durch die Berichte von Bordermonitoring, Pro Asyl, Amnesty International, European Council on Refugees and Exiles (ecre) und des Hungarian Helsinki Committee.

Die Kläger beantragen,

den Bescheid des Bundesamts vom 23. November 2015 unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 25. Oktober 2016 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt

Berufungszurückweisung.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichts- und vorgelegten Behördenakten und die Niederschrift über die mündliche Verhandlung am 23. März 2017 verwiesen.

Gründe

Die Berufung ist zulässig und begründet (§ 125 Abs. 1 Satz 1, § 128 Satz 1 VwGO).

I.

Die Klage ist zulässig, insbesondere ist die Anfechtungsklage die allein statthafte Klageart gegen den Bescheid des Bundesamts vom 23. November 2015, wenn es um das Begehren auf Aufhebung einer Entscheidung über die Unzuständigkeit Deutschlands für die Prüfung eines Asylantrags nach den unionsrechtlichen Regelungen der Dublin III-VO geht (BVerwG, U.v. 27.10.2015 - 1 C 32.14 - BVerwGE 153, 162 = NVwZ 2016, 154 zu Art. 2 Buchst. e Dublin II-VO).

II.

Die Klage ist auch begründet. Nach der im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung maßgeblichen Sach- und Rechtslage (§ 77 Abs. 1 AsylG) ist der Bescheid des Bundesamts vom 23. November 2015 rechtswidrig und verletzt die Kläger dadurch in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 VwGO).

1. Gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1a) AsylG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat nach Maßgabe der Dublin III-VO für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist.

Die Reihenfolge der Kriterien zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats richtet sich nach Kapitel III der Verordnung (vgl. Art. 7 Abs. 1 Dublin III-VO). Nach Art. 7 Abs. 2 Dublin III-VO wird bei der Bestimmung des nach diesen Kriterien zuständigen Mitgliedstaats von der Situation ausgegangen, die zu dem Zeitpunkt gegeben ist, zu dem der Asylbewerber seinen Antrag zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat gestellt hat.

Gemessen hieran wäre der beim Bundesamt gestellte Asylantrag gemäß § 29 AsylG unzulässig, weil die Kläger nach den Eurodac-Treffern in Ungarn aus einem Drittstaat kommend die Grenze dieses Mitgliedstaats überschritten haben, der damit nach Art. 13 Abs. 1 Dublin III-VO für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig wäre. Zwischen den Beteiligten besteht auch kein Streit über die prinzipielle Zuständigkeit Ungarns. Die Kläger befürchten allerdings, dass ihnen im Fall ihrer Abschiebung eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung i.S.v. Art. 3 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Europäische Menschenrechtskonvention - EMRK) drohen würde. Davon ist in Ungarn auch auszugehen.

Das gemeinsame europäische Asylsystem stützt sich ebenso wie das deutsche Konzept der „normativen Vergewisserung“ hinsichtlich der Sicherheit von Drittstaaten (siehe hierzu EuGH, U.v. 21.12.2011 - C-411/10 u.a. - NVwZ 2012, 417 Rn. 75 ff.; BVerfG, U.v. 14.5.1996 - 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 - BVerfGE 94, 49) auf die uneingeschränkte und umfassende Anwendung des am 28. Juli 1951 in Genf unterzeichneten Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Flüchtlingskonvention - GFK) und die Versicherung, dass niemand dorthin zurückgeschickt wird, wo er Verfolgung ausgesetzt ist. Dem liegt die Annahme zugrunde, dass alle daran beteiligten Staaten die Grundrechte beachten und dass die Mitgliedstaaten einander insoweit Vertrauen entgegenbringen dürfen. Es wird vermutet, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GR-Charta) sowie mit der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention steht. Wenn ein Mitgliedstaat der Aufnahme des betreffenden Asylbewerbers zugestimmt (oder nicht geantwortet) hat, kann der Asylbewerber der Bestimmung dieses Mitgliedstaats deshalb gemäß Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO nur mit dem Einwand entgegentreten, es gebe wesentliche Gründe für die Annahme, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung i.S.v. Art. 4 GR-Charta mit sich bringen (siehe zur Dublin II-VO EGMR, U.v. 21.1.2011 - M.S.S./Belgien und Griechenland, Nr. 30696/09 - NVwZ 2011, 413; EuGH, U.v. 21.12.2011 - N.S., C-411/10 und C-493/10 - NVwZ 2012, 417; U.v. 10.12.2013 - Abdullahi, C-394/12 - NVwZ 2014, 208). Das ist vorliegend der Fall. Nach den dargestellten Grundsätzen ist es geboten, eine Überstellung nach Ungarn zu unterlassen, weil dort derzeit von systemischen Schwachstellen in diesem Sinn auszugehen ist.

2. Der Senat ist auf der Grundlage des ihm vorliegenden Erkenntnismaterials zur Situation von Asylbewerbern sowie von Dublin-Rückkehrern zu der Überzeugung gelangt, dass bei diesen und damit auch den Klägern eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Fall der Überstellung/Abschiebung nach Ungarn ernsthaft zu befürchten ist.

a) Das ergibt sich aus der dortigen (gesetzlichen) Entwicklung in den letzten Jahren. Nach der am 1. Juli 2013 in Kraft getretenen Änderung des Asylgesetzes, die die Möglichkeit einer Inhaftierung von Asylbewerbern vorsah, kam es ab Sommer 2015 zu weiteren Gesetzesänderungen betreffend unter anderem die Einführung eines beschleunigten Verfahrens, den Rechtsschutz und die Inhaftierung sowie die Aufnahme von Serbien in eine nationale Liste sicherer Drittstaaten mit der Folge der Unzulässigkeit von Asylanträgen bei Einreise über Serbien (UNHCR, Hungary: As a Country of Asylum, Mai 2016 - UNHCR Mai 2016; Hungarian Helsinki Committee, Information Note v. 7.8.2015: Changes to Hungarian asylum law jeopardise access to protection in Hungary - HHC 7.8.2015; AIDA - Asylum Information Database, Country-Report: Hungary v. November 2015 - aida November 2015; Third Party Intervention by the Council of Europe Commissioner for Human Rights, Applications No. 44825/15 und 44944/15 v. 17.12.2015 - CHR). Im September 2015 wurde mit der Errichtung von Grenzzäunen zu Serbien und Kroatien ein Grenzverfahren in dort eingerichteten Transitzonen etabliert (UNHCR Mai 2016; aida November 2015; CHR). Im Fall von Unzulässigkeit und im beschleunigten Verfahren ist vom Amt für Einwanderung und Staatsbürgerschaft (OIN) innerhalb von 15 Tagen zu entscheiden, im regulären Verfahren innerhalb von zwei Monaten (aida November 2015, S. 12; CHR). Die Rechtsmittelfrist gegen Unzulässigkeitsentscheidungen des OIN bzw. gegen Entscheidungen im beschleunigten Verfahren beträgt drei Tage, im Standardverfahren acht Tage (UNHCR Mai 2016, S. 10; HHC 7.8.2015; aida November 2015, S. 21 ff.). Unter Beibehaltung der im Juli 2013 eingeführten Asylhaft im Allgemeinen wurde die zulässige Haftdauer für Grenzankömmlinge ohne Papiere auf 24 statt bisher 12 Stunden heraufgesetzt und die Haftanordnung im Dublin-Verfahren erleichtert. Im Allgemeinen kann Asylhaft erstmalig maximal für 72 Stunden sowie aufgrund eines Verlängerungsantrags um maximal 60 Tage aus im Einzelnen genannten Gründen angeordnet werden, insbesondere bei unklarer Identität und Gefahr des Untertauchens. Zuvor ist zu prüfen, ob ein milderes Mittel zur Anwendung kommen kann (Auswärtiges Amt, Auskunft an das VG Regensburg v. 27.1.2016: Rücküberstellungen nach Ungarn im Rahmen des Dublin-Verfahrens - AA 27.1.2016). Die maximale Dauer der Asylhaft beträgt 6 Monate, bei Folgeanträgen 12 Monate und bei Familien mit Kindern 1 Monat (AA 27.1.2016; aida November 2015, S. 63). Die bisher verpflichtende Platzgröße für die Asylhaft wurde in eine Empfehlung umgewandelt, die so weit wie möglich einzuhalten ist. Ferner kann OIN Asylantragsteller ohne Dokumente verpflichten, ihr Heimatland zu kontaktieren (HHC 7.8.2015; CHR).

Dublin-Rückkehrer, über deren Erstantrag bei Rückkehr noch nicht entschieden wurde, werden als Erstantragsteller behandelt (AA 27.1.2016). Grundsätzlich hat die Asylbehörde in Fällen, in denen Asylantragsteller während eines laufenden Asylverfahrens in einen Mitgliedstaat weiterreisen, in jedem Verfahrensstadium die Möglichkeit, entweder auf Basis der zur Verfügung stehenden Informationen eine Sachentscheidung zu treffen oder aber das Asylverfahren einzustellen. Regelmäßig wird das Asylverfahren ohne Entscheidung in der Sache eingestellt (AA 27.1.2016; aida November 2015, S. 21 ff.). Die Wiederaufnahme des Verfahrens kann bis zu neun Monate nach Einstellung des Verfahrens beantragt werden (UNHCR Mai 2016, S. 20; AA 27.1.2016). Danach wird die Einstellung endgültig und der Asylbewerber wird wie ein Folgeantragsteller behandelt, wobei Änderungen dergestalt in Planung seien, dass der Asylantrag auch in diesem Fall vollumfänglich geprüft werde (AA 27.1.2016).

b) Angesichts dieser Ausgangslage, die nach dem vorliegenden Erkenntnismaterial ab dem Jahr 2013 bis zum jetzigen Zeitpunkt durch eine fortschreitende (gesetzliche) Intensivierung und Verschärfung gekennzeichnet ist, besteht für die Kläger insbesondere die Gefahr, in Ungarn ohne ausreichende gesetzmäßige Anordnung und ohne effektive Rechtsschutzmöglichkeiten inhaftiert zu werden.

Die Anordnung der Asylhaft ist schon nach den gesetzlichen Vorgaben in großem Umfang zulässig. Danach kann Asylhaft angeordnet werden 1. bei unklarer Identität oder Staatsangehörigkeit, 2. bei Ausländern, die sich im Ausweisungsverfahren befinden und einen Asylantrag stellen, obwohl sie diesen zweifelsfrei bereits zuvor hätten stellen können oder um eine drohende Aufenthaltsbeendigung zu verzögern oder abzuwenden, 3. wenn der Sachverhalt des Asylbegehrens aufgeklärt werden muss und eine Aufklärung nicht ohne Haft möglich ist, speziell wenn die Gefahr des Untertauchens besteht, 4. wenn der Asylbewerber eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, 5. wenn der Asylantrag im Flughafenbereich gestellt wurde oder 6. zur Sicherstellung der Durchführung des Dublin-Verfahrens, wenn die ernsthafte Gefahr des Untertauchens besteht (AA 27.1.2016). Diese Formulierung der Haftgründe ist sehr weit gefasst und lässt damit Raum für eine weitreichende Inhaftierung von Asylbewerbern (siehe auch UNHCR, Stellungnahme an das VG Düsseldorf v. 30.9.2014: Situation der Flüchtlinge und Asylsuchenden in Ungarn, insbesondere Dublin-Rückkehrer und Inhaftierungen - UNHCR 30.9.2014; Pro Asyl, Stellungnahme an das VG Düsseldorf vom 31.10.2014: Haftsituation von Asylbewerbern in Ungarn - Pro Asyl 31.10.2014; aida November 2015, S. 59 ff.).

Auch die tatsächliche Praxis der Inhaftierung in Ungarn wird schon länger in vielen Punkten erheblich kritisiert. So solle das OIN vor einer Haftanordnung zwar prüfen, ob Alternativen zur Haft bestünden, aber nach Auskunft des Hungarian Helsinki Committee und Pro Asyl (Brief Information Note for the Seminar on the Right to Asylum in Europe, Barcelona, 9.-10.6.2016: The Reception Infrastructure for Asylum-Seekers in Hungary - HHC Juni 2016; Pro Asyl 31.10.2014) werde hiervon nur in Ausnahmefällen Gebrauch gemacht; Verlängerungen würden automatisch für den Höchstzeitraum beantragt und die Haftanordnungen seien nicht individualisiert (UNHCR 30.9.2014; Pro Asyl 31.10.2014). Kritisch angemerkt wird dabei ferner, dass es in „Asylhaft“-Einrichtungen des OIN praktisch kein ausgebildetes Personal gebe; Sozialarbeiter erhielten nur Zugang unter Begleitung einer bewaffneten Wache. Auch wenn sich die Inhaftierten zwischen 6.00 und 23.00 Uhr innerhalb der Hafteinrichtungen frei bewegen könnten (Pro Asyl 31.10.2014) und es in der polizeilichen „Einwanderungshaft“ für Folgeantragsteller ausgebildetes Bewachungspersonal gebe (UNHCR 30.9.2014), wird festgestellt, dass Asylbewerber bei etwaigen Behördengängen und Gerichtsterminen wie im Strafverfahren gefesselt und mit Handschellen vorgeführt würden (aida November 2015, S. 65; CHR). Weiter wird kritisiert, dass die Inhaftierungsquote ab dem Jahr 2013 kontinuierlich angestiegen sei. Während in einer Auskunft des Auswärtigen Amts vom 3. Juli 2015 an das Verwaltungsgericht Hannover (AA 3.7.2015) noch angegeben wurde, dass im Zeitraum vom 1. Januar bis 31. Mai 2015 2,1% aller Asylantragsteller und 6 bis 10% der Dublin-Rückkehrer in Asylhaft genommen worden seien, komme es in der Praxis nach Auskunft von aida (November 2015, S. 62) und CHR sehr häufig zu Inhaftierungen und entgegen der gesetzlichen Regelung seit September 2014 auch bei Familien mit Kindern, die unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten von Gesetzes wegen als schwerwiegendstes Mittel bis zu 30 Tage inhaftiert werden könnten. UNHCR kann jedoch nicht bestätigen, dass die Haft nur unter dieser Voraussetzung stattfindet (UNHCR 30.9.2014). Pro Asyl gibt vielmehr an, dass OIN ab September 2014 Familien verstärkt inhaftiert habe (Pro Asyl 31.10.2014). Anlässlich seines Besuchs vom 24. bis 27. November 2015 wurde dem CHR von OIN mitgeteilt, dass sich derzeit 525 Asylantragsteller in offenen Aufnahmeeinrichtungen befänden und 412, mithin ca. 44%, inhaftiert seien. Anfang November 2015 soll die Inhaftierungsquote CHR zufolge sogar 52% gegenüber 11% im Jahr 2014 betragen haben (siehe auch HHC v. Juni 2016). Zudem scheint sich nach Auffassung der genannten Organisationen der ungenügende Gebrauch von Haftalternativen fortzusetzen. Auch das Problem der willkürlichen Inhaftierung sei weiterhin akut. Nach Auskunft von HHC waren am 30. Mai 2016 insgesamt 702 Asylbewerber in Haft, 1.583 in offenen Aufnahmeeinrichtungen. Zuletzt meldete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich (Kurzinformation Ungarn v. 14.12.2016: Zentrum Bicske geschlossen - BFA 14.12.2016), dass im Dezember 2016 nach offiziellen Zahlen 192 Migranten in offener und 301 in geschlossener Unterbringung aufhältig waren. Zur Haftdauer berichtet Pro Asyl in Zusammenarbeit mit dem HHC, das wiederum eine Anfrage an OIN richtete, dass die durchschnittliche Haftdauer im Zeitraum vom 1.7.2013 bis 31. August 2014 dem OIN zufolge zwar „nur“ 32 Tage betragen habe, nach den eigenen Einschätzungen und einer Untersuchung des HHC allerdings deutlich länger sei. Die Diskrepanz beruhe auf vermutlich darauf, dass OIN nicht nur die Zeit von Inhaftierungen einrechne, sondern auch diejenigen Fälle ohne jegliche Inhaftierung.

Schließlich wies HHC im Juni 2016 nochmals ausdrücklich darauf hin, dass Ungarn einer der wenigen Staaten in Europa sei, in dem Asylerstantragsteller in der Regel für mehrere Monate inhaftiert würden (HHC Juni 2016). Dublin-Rückkehrer würden in der Praxis regelmäßig inhaftiert (so auch UNHCR 30.9.2014; Pro Asyl 31.10.2014; CHR). Diese Haft werde als „Asylhaft“, nicht als „Abschiebehaft“ oder „Einwanderungshaft“ verhängt (UNHCR 30.9.2014). Auch das Auswärtige Amt (AA 3.7.2015) gibt an, dass die Wahrscheinlichkeit, in Haft genommen zu werden, im ersten Halbjahr 2015 für Dublin-Rückkehrer gegenüber Neuankömmlingen erhöht gewesen sei.

Zudem lässt sich den Erkenntnisquellen nicht entnehmen, dass ein effektiver Rechtsschutz existieren würde. Insbesondere bestehen für das OIN und auch die Gerichte sehr restriktive Fristenregelungen zur Entscheidung. Diese sind nicht ausreichend, um die Durchführung eines rechtsstaatlichen Verfahrens zu gewährleisten. Bei Fristen im Tagebereich wie dargestellt können die unverzichtbaren Anforderungen an ein solches Verfahren einschließlich Dolmetscher, Anhörung, (individualisierter) Herkunftslandinformationen etc. nicht eingehalten werden (siehe hierzu HHC 7.8.2015; aida November 2015; CHR). Gleiches gilt für die Rechtmittelfristen (siehe auch aida November 2015; CHR). Weiter gibt es zwar de iure Zugang zu Rechtsberatung, in der Praxis ist diese aber den Auskünften zufolge mangels entsprechender staatlicher Finanzierung nicht verfügbar (UNHCR 30.9.2014). Soweit überhaupt staatliche Anwälte bestellt seien, agierten diese passiv (Pro Asyl 31.10.2014; aida November 2015). Tatsächlich gebe es damit nur Zugang zu den (Vertrags-)Anwälten des HHC, so dass nur eine Minderheit anwaltliche Vertretung erhalte (Pro Asyl 31.10.2014). Außerdem ist gegen die Verhängung von „Asylhaft“ kein gesetzlicher Rechtsbehelf vorgesehen, sondern nur eine sogenannte „Einspruchsmöglichkeit“. Nach den Informationen von UNHCR werde aber auch hiervon aus Unkenntnis kein Gebrauch gemacht (UNHCR 30.9.2014). Gegen die „Einwanderungshaft“ gebe es ebenfalls keinen Rechtsbehelf, nur eine automatische Überprüfung (UNHCR 30.9.2014). Die gerichtliche Haftüberprüfung erfolge in einem „automatisierten“ Prozess alle 60 Tage durch dieselben (Straf-)Richter, die die Erstprüfung durchgeführt hätten (UNHCR 30.9.2014; Pro Asyl 31.10.2014; aida November 2015, S. 67 ff.). In der täglichen Praxis würden Entscheidungen für 5 bis 15 Häftlinge innerhalb von 30 Minuten gefällt, ohne dass eine individuelle Prüfung erfolgen könne (UNHCR 30.9.2014; Pro Asyl 31.10.2014). Schon im Jahr 2012 habe der Oberste Gerichtshof (Kuria) eine Untersuchung in Auftrag gegeben, die 8.000 Entscheidungen analysiert habe, von denen nur in drei Fällen keine Haftverlängerung erfolgt sei (UNHCR 30.9.2014). Die Asylarbeitsgruppe am Obersten Gerichtshof bestätigte im Oktober 2014, dass die gerichtliche Überprüfung der Asylhaft wirkungslos sei (aida November 2015, S. 67 ff.). Die Entscheidungen seien schematisch, das Verfahren nicht individualisiert und es erfolge keine Überprüfung, ob die Haft das einzige Mittel sei. Seit der Beanstandung durch die Kuria habe sich aber in der Praxis nichts geändert (aida November 2015, S. 67 ff.). Angesichts dieser gravierenden Missstände kann der Rechtsschutz damit insgesamt gesehen nicht mehr als wirksam bezeichnet werden.

Die Bewertung dieser Erkenntnisse ist insofern mit Schwierigkeiten verbunden, als jeweils nur punktuelle Angaben gemacht, wie etwa zu bestimmten Zeiträumen oder zu den betroffenen Gruppen, und keine statistisch aufbereiteten Daten für die Jahre 2014, 2015 und 2016 genannt werden zur (Gesamt-)Anzahl der Asylanträge in Ungarn, zur Anzahl der Dublin-Rückkehrer und zu den Verhältnissen in der Transitzone sowie dem jeweiligen Anteil an Inhaftierungen. Das kann wohl kaum darin begründet sein, dass keine offiziellen statistischen Informationen vorlägen, etwa ob Dublin-Rückkehrer regelmäßig oder ausnahmsweise inhaftiert werden, wie das Auswärtige Amt angibt (AA 27.1.2016). Denn das widerspräche zum einen dessen eigener Aussage in der Auskunft an das Verwaltungsgericht Hannover (AA 3.7.2015), wonach im Zeitraum vom 1. Januar bis 31. Mai 2015 6 bis 10% der Dublin-Rückkehrer in Asylhaft genommen worden seien. Zum anderen wurde dem CHR im November 2015 von OIN mitgeteilt, dass es zu diesem Zeitpunkt eine allgemeine Inhaftierungsquote von ca. 44% gegeben habe und von den in diesem Jahr durchgeführten 1.338 Dublin-Überstellungen 332 Rückkehrer in Asylhaft genommen worden seien, also ca. 25%. Auch wenn hiermit keine übergreifende Aussage getroffen wird, die Angaben zur Inhaftierungsquote sehr differieren und nicht zu erkennen ist, inwieweit sich die statistischen Ausgangsdaten decken, lässt sich in der Zusammenschau mit den weiteren Angaben, insbesondere des Hungarian Helsinki Committee (Hungary: Key Asylum Figures as of 1 September 2016 - HHC 1.9.2016: am 29.8.2016 waren 233 von 707 Asylbewerbern in Haft) und des österreichischen Bundesamts für Asylwesen (BFA 14.12.2016: im Dezember 2016 waren 192 Migranten in offener und 301 in geschlossener Unterbringung aufhältig), dennoch ein Gesamtbild entnehmen. Die vorliegenden Erkenntnisse zeigen deutlich, dass die Inhaftierung von Asylbewerbern in Ungarn weit verbreitet ist. Es tritt klar zu Tage, dass die gesetzlichen Vorgaben eine weitreichende Anordnung von Haft ermöglichen und sie auch in der praktischen Handhabung in beachtlichem Umfang stattfindet. Da zudem die Anordnung der Haft schematisch und ohne Einzelfallprüfung erfolgt und eine gerichtliche Überprüfung faktisch nicht stattfindet, muss davon ausgegangen werden, dass Dublin-Rückkehrer wie die Kläger im Fall ihrer Überstellung nach Ungarn einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinn von Art. 3 EMRK ausgesetzt wären. Diese Einschätzung wird auch bestätigt durch deren unbestrittenen Angaben, dass sie in Ungarn bereits inhaftiert gewesen seien.

c) Ein weiterer Grund für die Annahme, dass das Asylverfahren in Ungarn systemische Schwachstellen aufweist, die zu einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung führen, ist die ernsthafte Gefahr eines Verstoßes gegen das Refoulement-Verbot des Art. 33 Abs. 1 GFK. Im Fall einer Rückführung nach Ungarn würde die Abschiebung nach Serbien drohen. Neben den bereits erwähnten Gesetzesänderungen wurde im Juli 2015 eine nationale Liste von sicheren Drittstaaten, zu denen aus ungarischer Sicht auch Serbien gehört, aufgestellt (UNHCR Mai 2016, S. 15 ff.; HHC 7.8.2015; aida November 2015, S. 43 ff.; CHR). Das widerspricht dem europarechtlichen Konzept des sicheren Drittstaats, der Position von UNHCR und steht auch im Widerspruch zum Leitfaden des ungarischen Obersten Gerichtshofs. Mit der Gesetzesänderung wird das OIN ermächtigt, ohne inhaltliche Überprüfung des Asylbegehrens alle Anträge von Asylbewerbern abzulehnen, die durch einen solchen sicheren Drittstaat gekommen sind. Die Betroffenen werden dabei zwar informiert, dass ein Dublin-Verfahren eingeleitet wird, aber nicht mehr über die weiteren Verfahrensschritte. Sie bekommen die Unzulässigkeitsentscheidung zwar mündlich in einer ihnen verständlichen Sprache mitgeteilt, nicht aber eine schriftliche Übersetzung (aida November 2015, S. 23). Erschwerend kommt hinzu, dass es gegen die Entscheidung des OIN faktisch kaum Rechtsschutz gibt. Zwar kann gegen die Entscheidung des OIN unter bestimmten Voraussetzungen und mit inhaltlichen Vorgaben ein Rechtsmittel eingelegt werden, jedoch beträgt die Frist hierfür, wie bereits dargelegt, nur drei Tage bzw. nach einer weiteren Gesetzesänderung im September 2015 sieben Tage (UNHCR Mai 2016, S. 18; aida November 2015, S. 25-27). In dieser kurzen Zeitspanne kann weder ein Rechtsbeistand erlangt noch ein substantiierter Rechtsbehelf erhoben werden, zumal die lückenhafte Information der Asylantragsteller und Verständigungsschwierigkeiten noch berücksichtigt werden müssen. Die gerichtliche Überprüfung einer Unzulässigkeitsentscheidung muss innerhalb von acht Tagen nach dem Antrag auf Überprüfung erfolgen; ein Anhörungsrecht des Asylsuchenden besteht nicht (UNHCR Mai 2016, S. 18; aida November 2015, S. 25-27). Selbst wenn eine gerichtliche Entscheidung erlangt werden kann, wird diese vom OIN entweder gar nicht, verspätet oder sehr zögerlich umgesetzt (UNHCR Mai 2016, S. 18)

Im Ergebnis würde damit eine quasi automatische Zurückweisung ohne inhaltliche Überprüfung der Schutzbedürftigkeit stattfinden mit der Folge einer unverzüglichen Abschiebung nach Serbien, wo derzeit kein Schutz verfügbar ist und zudem die Gefahr einer Kettenabschiebung unter Verstoß gegen das Refoulement-Verbot besteht (siehe aida November 2015, S. 45; HHC 7.8.2015). Die Regelung findet auch auf Dublin-Rückkehrer Anwendung, die vor Inkrafttreten der gesetzlichen Regelung am 1. August 2015 über Serbien als - aus ungarischer Sicht - sicherem Drittstaat eingereist sind (aida November 2015, S. 24). Damit wären auch die Kläger der Gefahr einer Rückführung nach Serbien ausgesetzt, ohne dass sie vorher angehört würden oder dass ein wirksamer Rechtsschutz gegen die Entscheidung des OIN zur Verfügung stünde (aida November 2015, S. 24 ff.).

Die dargestellte Gesetzesänderung entzieht dem Einwand der Beklagten, gegenwärtig bestehe keine reale und durch Tatsachen belegte Gefahr, dass Schutzsuchende bei einer Rücküberstellung nach Ungarn einem indirekten Verstoß gegen das Refoulement-Verbot ausgesetzt sein könnten, den Boden. Unstreitig lässt die Gesetzeslage in Ungarn jedenfalls die Abschiebung nach Serbien ohne jegliche inhaltliche Prüfung des Asylbegehrens zu. Inwieweit Serbien tatsächlich die Übernahme von Drittstaatsangehörigen aus Ungarn ablehnt, bleibt dabei insoweit ohne Bedeutung, als das OIN vom Gesetzgeber zur sofortigen Abschiebung ermächtigt wurde. Zwar mag diese im Einzelfall mangels Nachweis, dass die Betroffenen tatsächlich über Serbien eingereist sind, oder weil zwischen dem Grenzübertritt von Serbien nach Ungarn und dem Antrag auf Rückübernahme mehr als ein Jahr verstrichen ist (AA 27.1.2016) tatsächlich nicht durchgeführt werden können. Das vermag aber an der gesetzlichen Zulässigkeit einer Abschiebung nichts zu ändern. Zudem finden den Erkenntnisquellen zufolge durchaus Rückübernahmen statt, auch wenn Serbien nur unter bestimmten Voraussetzungen zustimmt. So wurden im Zeitraum von Januar bis Mai 2016 in der Praxis pro Woche durchschnittlich zwei Personen rückübernommen (UNHCR Mai 2016). Allein die Tatsache, dass es sich hierbei nicht um eine exorbitante Größenordnung handeln mag, rechtfertigt die Verneinung einer realen Gefahr nicht (in diesem Sinn auch zu § 34a AsylG: OVG SH, B.v. 21.11.2016 - 2 LA 111/16 - juris). Das übersieht die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Berlin (U.v. 13.12.2016 - 3 K 509.15 A - juris), in der nur darauf abgestellt wird, dass Serbien die Übernahmeersuchen Ungarns formal ablehne. Angesichts der tatsächlich stattfindenden Abschiebungen und der dargestellten gesetzlichen Zulässigkeit bestehen vielmehr erhebliche Anhaltspunkte dafür, dass ohne inhaltliche Prüfung von Asylanträgen eine Abschiebung nach Serbien erfolgen könnte. Wenn die Beklagte demgegenüber unter Berufung auf das Verwaltungsgericht Berlin der Auffassung ist, dass vorliegend ausnahmsweise kein Risiko bestehen sollte, unter Verstoß gegen das Refoulement-Verbot von Ungarn nach Serbien abgeschoben zu werden, wäre es ihre Aufgabe, die Gründe hierfür näher darzulegen. Das ist nicht geschehen.

d) Die Einschätzung zum Vorliegen von systemischen Schwachstellen entspricht auch der Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg (U.v. 13.10.2016 - A 11 S 1596/16 - DVBl 2016, 1615) und des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts (B.v. 20.12.2016 - 8 LB 184/15 - juris, Bezug nehmend auf U.v. 15.11.2016 - 8 LB 92/15 - juris). Die gegenteilige Ansicht des Verwaltungsgerichts Berlin (U.v. 13.12.2016 - 3 K 509.15 A - juris), auf die sich die Beklagte beruft, erklärt nicht, weshalb sich aus den genannten Daten keine belastbaren Erkenntnisse ergeben sollten, welche die hier und von den beiden weiteren Obergerichten vorgenommene Bewertung stützen könnten. Unter anderem wegen der dortigen Inhaftierungspraxis hat im Übrigen mittlerweile auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (U.v. 17.3.2017 - 47287/15 - abrufbar unter https: …dejure.org/2017, 6131) Ungarn zur Zahlung von Schadenersatz verurteilt, weil die Rechtsgrundlagen für die Inhaftierung unbestimmt seien und sie aufgrund einer formalen Entscheidung ohne individuelle Prüfung erfolge. Im Hinblick auf die Einstufung von Serbien als sicheren Drittstaat geht der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ebenfalls von einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung im Sinn von Art. 3 EMRK aus. Diese ergebe sich bereits daraus, dass die Betroffenen mangelhaft informiert würden, deshalb keinen effektiven Zugang zu den relevanten Verfahren hätten und ihre Rechte nicht substantiiert geltend machen könnten. Gerügt wird weiter die fehlende Prüfung der individuellen Risiken, was dazu führe, dass in einer automatisierten Weise (Ketten-)Abschiebungen stattfinden würden. Die ungarische Regierung vermöge keine überzeugende Erklärung zu geben, weshalb Serbien entgegen den allgemeinen europarechtlichen Einschätzungen und den Berichten der internationalen Institutionen als sicherer Drittstaat eingestuft werde. Insgesamt vermag der Gerichtshof deshalb nicht zu erkennen, dass effektive Garantien vorhanden seien, die die Betroffenen davor schützen würden, mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit einer unmenschlichen Behandlung ausgesetzt zu sein.

3. Angesichts dieser systemischen Schwachstellen - wie dargelegt - kommt es auch auf den Einwand der Beklagten nicht mehr an, die Auffassung des Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg (U.v. 13.10.2016 a.a.O. Rn. 45 ff.) zur Abschiebungsanordnung nach § 34a Abs. 1 AsylG könne nicht geteilt werden. Danach sei Voraussetzung einer Abschiebungsanordnung nach § 34a Abs. 1 AsylG, dass die Abschiebung in den zuständigen Mitgliedstaat erfolgen könne und dies auch alsbald der Fall sein werde. Bestünden aufgrund einer in Relation zu den Übernahmezustimmungen niedrigen Quote an vollzogenen Überstellungen hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass dieses nicht der Fall sein könnte, führe dies zur Rechtswidrigkeit der Abschiebungsanordnung. Diese Frage kann hier dahingestellt bleiben, weil sich die Rechtswidrigkeit der Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 AsylG (bzw. § 27a AsylG a.F.) schon aus dem Vorliegen systemischer Schwachstellen in Ungarn ergibt mit der Folge, dass auch die hierauf gestützte Abschiebungsanordnung rechtswidrig ist. Im Übrigen hat der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg seine Einschätzung in erster Linie ebenfalls auf das Vorliegen von systemischen Schwachstellen gestützt und lediglich ergänzend ausgeführt, dass die angegriffenen Verfügungen auch aus diesem weiteren Grund aufzuheben seien. Die Zuständigkeit sei auch deshalb auf die Bundesrepublik Deutschland übergegangen, weil eine Überstellung bis zum Ablauf der Überstellungsfrist nicht mehr durchgeführt werde. Gleiches gilt für die Entscheidung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts (B.v. 20.12.2016 a.a.O. Rn. 60 ff.). Dessen ungeachtet gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass Abschiebungen nach Ungarn nicht erfolgen könnten. So gibt HHC 1.9.2016 an, dass von Januar bis Juli 2016 377 Dublin-Rückführungen nach Ungarn stattgefunden hätten, davon 203 aus Deutschland (siehe hierzu auch OVG SH, B.v. 21.11.2016 - 2 LA 111/16 - juris).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.

Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 VwGO sind nicht gegeben, da der Frage, ob in Ungarn systemische Schwachstellen bestehen, nur in tatsächlicher Hinsicht eine grundsätzlich Bedeutung zukommt.

(1) Soll der Ausländer in einen sicheren Drittstaat (§ 26a) oder in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 29 Absatz 1 Nummer 1) abgeschoben werden, ordnet das Bundesamt die Abschiebung in diesen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Dies gilt auch, wenn der Ausländer den Asylantrag in einem anderen auf Grund von Rechtsvorschriften der Europäischen Union oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat gestellt oder vor der Entscheidung des Bundesamtes zurückgenommen hat. Einer vorherigen Androhung und Fristsetzung bedarf es nicht. Kann eine Abschiebungsanordnung nach Satz 1 oder 2 nicht ergehen, droht das Bundesamt die Abschiebung in den jeweiligen Staat an.

(2) Anträge nach § 80 Absatz 5 der Verwaltungsgerichtsordnung gegen die Abschiebungsanordnung sind innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe zu stellen. Die Abschiebung ist bei rechtzeitiger Antragstellung vor der gerichtlichen Entscheidung nicht zulässig. Anträge auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gegen die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots durch das Bundesamt nach § 11 Absatz 2 des Aufenthaltsgesetzes sind innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe zu stellen. Die Vollziehbarkeit der Abschiebungsanordnung bleibt hiervon unberührt.

Tenor

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts - 5. Kammer, Einzelrichter - vom 31. Oktober 2016 wird abgelehnt.

Der Kläger trägt die Kosten des Antragsverfahrens.

Gründe

1

Der allein auf grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG gestützte Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg.

2

Der Kläger hält für grundsätzlich klärungsbedürftig,

3

ob nach der aktuellen politischen Entwicklung in Ungarn, insbesondere den offiziellen Verlautbarungen der ungarischen Regierung und unter Berücksichtigung erstinstanzlicher und obergerichtlicher Erkenntnisse gemäß § 34a Abs. 1 AsylG feststeht, dass die Abschiebung durchgeführt werden kann.

4

Zur Begründung verweist er auf Entscheidungen erstinstanzlicher Gerichte und die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 5. Juli 2016 - A 11 S 974/16 -, der Erkenntnisse aufführe, nach denen eine Abschiebung nach Ungarn nicht durchgeführt werden könne und sich dazu auf einen offiziellen Internetauftritt der ungarischen Regierung vom 26. Mai 2016 stütze, dass Ungarn keine Flüchtlinge aus Deutschland mehr übernehmen werde. Soweit das Verwaltungsgericht in seinem Gerichtsbescheid 226 Überstellungen nenne, sei nicht klar, ob diese vor oder nach dem Internetauftritt der ungarischen Regierung erfolgt seien. Zudem gebe die vom Verwaltungsgericht herangezogene Erkenntnisquelle nicht wieder, wie viele zu Überstellende auf die genannte Zahl der tatsächlich Überstellten kämen, insgesamt dürften dies unter 1 % in 2016 sein. Sei danach die Überstellung nicht zeitnah durchführbar, so habe nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. April 2016 – 1 C 24.15 – die Beklagte darzulegen, dass eine Überstellung noch zeitnah möglich sei. Zudem habe er dargelegt, dass der Beklagten in einem vor dem Verwaltungsgericht Stade entschiedenen Verfahren am 7. Juli 2016 von Ungarn mitgeteilt worden sei, dass Dublin-Überstellungen nicht mehr akzeptiert würden.

5

Die vom Kläger gestellte Frage ist schon nicht entscheidungserheblich. Das von ihm zitierte Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 5. Juli 2016 - A 11 S 974/16 – (juris Rn. 42 ff) und dessen nachfolgendes Urteil vom 13. Oktober 2016 - A 11 S 1596/16 – (juris Rn. 46) gehen von der Prämisse aus, dass § 34a Abs. 1 AsylG voraussetze, dass die Abschiebung in den zuständigen Mitgliedstaat erfolgen könne und dies auch alsbald der Fall sein werde. Bestünden hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass dieses nicht der Fall sein könnte, sei das Bundesamt ggf. darlegungspflichtig, dass diese Voraussetzungen gleichwohl (noch) vorlägen. Dazu stützt sich der Verwaltungsgerichtshof auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 27. April 2016 - 1 C 24.15 - (juris). Für die nachfolgenden Ausführungen des Verwaltungsgerichtshofs zu den Überstellungs-/Rückführungsquoten bei Rückführungen in Ungarn finden sich jedoch weder im Gesetz noch in der von ihm zitierten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts Anhaltspunkte.

6

Nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG genügt es, dass feststeht, dass die Abschiebung in den Dublin-Staat durchgeführt werden kann. Dass dies alsbald der Fall sein muss oder irgendwelche Wahrscheinlichkeitsgrade finden sich in der Norm nicht. Das vom Verwaltungsgerichtshof in Bezug genommene Urteil des Bundesverwaltungsgerichts (a.a.O.) verhält sich nicht zu dieser Vorschrift, sondern zu § 27a AsylG aF. Es hat entschieden, dass in den Fällen, in denen ein Mitgliedstaat nach den einschlägigen Dublin-Bestimmungen für die Durchführung eines Asylverfahrens zuständig ist, sich der Schutzsuchende im gerichtlichen Verfahren gegen die Ablehnung seines Asylantrags als unzulässig nach § 27a AsylG jedenfalls dann auf die Zuständigkeit dieses Mitgliedstaats berufen kann, wenn die (Wieder-)Aufnahmebereitschaft eines anderen (unzuständigen) Mitgliedstaats nicht positiv feststeht (BVerwG, Urteil vom 27. April 2016 – 1 C 24.15 –, LS und Rn. 20, juris). In dem von Bundesverwaltungsgericht entschiedenen Fall hatte die Vorinstanz festgestellt, dass Ungarn nicht mehr zur (Wieder-)Aufnahme bereit ist (Rn. 21). Hierzu stellt das Bundesverwaltungsgericht dar (aaO Rn. 22), dass das Oberverwaltungsgericht die Beteiligten auf den Ablauf der Überstellungsfrist und den damit verbundenen Zuständigkeitsübergang hingewiesen hatte, so dass bei dieser Sachlage das Bundesamt, dem aufgrund seiner Mitwirkung bei der Durchführung von Dublin-Überstellungen bekannt ist, wie die einzelnen Mitgliedstaaten auf den mit dem Ablauf der Überstellungsfrist verbundenen Zuständigkeitswechsel reagieren, im Rahmen seiner prozessualen Mitwirkungspflichten substantiiert auf etwaige Besonderheiten speziell bei der Durchführung von Überstellungen nach Ungarn hätte hinweisen können und müssen.

7

Mit anderen Worten, nur in Fällen, in denen wegen Ablaufs der Überstellungsfrist der angefragte Dublin-Staat nicht mehr zuständig ist, muss feststehen, dass er gleichwohl noch aufnahmebereit ist. Hierfür ist - wegen des Fristablaufs – die Beklagte darlegungspflichtig. Nicht mehr und nicht weniger hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden und genau eine solche Konstellation ist vorliegend nicht zu entscheiden, da die reguläre Überstellungsfrist des Art. 29 Abs. 2 der Dublin-III-VO noch nicht abgelaufen ist.

8

Zutreffend heißt es deshalb in dem Gerichtsbescheid, dass allein der Umstand, dass der Umfang der in der Vergangenheit tatsächlich überfolgten Überstellungen - 404, davon 226 aus Deutschland - bescheiden anmute, nicht die Annahme rechtfertige, dass im Sinne des § 34a Abs. 1 AsylG feststehe, dass die Überstellung nach Ungarn nicht mehr durchgeführt werden könne. Hiergegen ist nach der dargestellten Rechtslage nichts zu erinnern. Der Verweis des Klägers auf offizielle Verlautbarungen der ungarischen Regierung vom Mai und vom Juli 2016, insbesondere in Internetauftritten, dass Rückführungen nicht mehr durchgeführt würden, ist nicht ergiebig. Eine Mitteilung von Ungarn, dass Dublin-Überstellungen nicht mehr akzeptiert würden, liegt hier nicht vor. Vielmehr gibt es im Verfahren des Klägers eine e-mail aus Ungarn vom 7. Juli 2016 mit folgendem Wortlaut: „Dear Collegues, We kindly inform you that we received your mail. Best regards, Hungarian Dublin Unit“. Die vom Verwaltungsgericht zitierte Quelle (helsinki.hu) schlüsselt die Abschiebungen nach Monaten auf. Danach waren es von Januar bis August insgesamt 404 Rückführungen, davon 226 aus Deutschland (http://​www.helsinki.hu/wp-content/uploads/HHC-Hungary-asylum-figures-1-October-2016.​pdf​). Schaut man sich dieselbe Quelle vom 1. Juli 2016 an, waren es in den ersten fünf Monaten 300, davon 144 aus Deutschland (http://www.helsinki.hu/wp-content/uploads/HHC-Hungary-asylum-figures-1-July-2016.pdf). Allein daraus ergibt sich, dass trotz anderslautender offizieller Verlautbarungen der ungarischen Regierung tatsächlich weiter Rückführungen stattfinden.

9

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 Abs. 1 RVG; Gründe für eine Abweichung (§ 30 Abs. 2 RVG) sind nicht vorgetragen oder sonst erkennbar.

10

Der Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts ist rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG).

11

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).


Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 13. Februar 2016 - A 1 K 2059/14 - wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungs- und Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

 
Der Kläger ist nach seinen Angaben ein am 04.09.1981 in Ohafia Abia/Nigeria geborener nigerianischer Staatsangehöriger. Er beantragte am 03.06.2014 seine Anerkennung als Asylberechtigter und gab an, im Dezember 2009 nach Griechenland eingereist zu sein und sich über drei Jahre in Athen aufgehalten zu haben. Im August 2013 sei er zu Fuß über Mazedonien und Serbien nach Ungarn gegangen, wo er sich ca. 6 Monate aufgehalten habe. Sodann sei er über Österreich in Schweiz gereist und sei ca. 3 Monate in Bern geblieben. Schließlich sei er am 11.05.2014 ins Bundesgebiet eingereist.
Auf ein am 18.07.2014 an Ungarn gerichtetes Übernahmeersuchen haben die ungarischen Behörden unter dem 23.07.2014 ihre Zuständigkeit akzeptiert und teilten dabei mit, der Kläger habe am 31.07.2013 einen Asylantrag gestellt, der am 07.10.2013 abgelehnt worden sei. Eine Klage hiergegen habe das Gericht am 03.02.2014 endgültig abgewiesen.
Mit Bescheid vom 01.09.2014 stellte das Bundesamt fest, dass der Asylantrag unzulässig sei (Nr. 1), und ordnete die Abschiebung des Klägers nach Ungarn an (Nr. 2). Der Bescheid wurde dem Kläger am 04.09.2014 zugestellt.
Der Kläger erhob am 10.09.2014 Klage zum Verwaltungsgericht Freiburg und stellte einen Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz, dem das Gericht mit Beschluss vom 13.10.2014 stattgab (A 1 K 2060/14).
Der Kläger berief sich zur Begründung der auf Aufhebung des Bescheids vom 01.09.2014 gerichteten Klage auf systemische Mängel des Asylverfahrens in Ungarn.
Die Beklagte trat der Klage entgegen.
Durch Urteil vom 13.01.2016 hob das Verwaltungsgericht den Bescheid vom 01.09.2016 auf und führte zur Begründung aus: Zwar sei Ungarn der nach der hier maßgeblichen Bestimmung des Art. 18 Abs. 1b Dublin III-VO zuständige Staat. Es habe dem Übernahmeersuchen der deutschen Behörden ausdrücklich zugestimmt. Der Kläger habe jedoch wegen der aktuell bestehenden Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen in Ungarn einen Anspruch darauf, dass die Beklagte gemäß Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO in die Zuständigkeit eintrete, sofern sie nicht rechtmäßig noch einen anderen Mitgliedstaat als Ungarn nach den Dublin-Regeln als zuständigen Staat für das Asylbegehren des Klägers bestimme.
Auf Antrag der Beklagten vom 01.02.2016 ließ der Senat mit Beschluss vom 01.03.2016 die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung zu.
Mit Schriftsatz vom 11.03.2016 stellte die Beklagte einen Berufungsantrag und nahm zur Begründung auf die Ausführungen im Zulassungsverfahren, „soweit diese für die Position der Beklagten sprechen“, Bezug.
10 
Durch Beschluss vom 04.05.2016 verwarf der Senat die Berufung als unzulässig, weil nicht ausreichend begründet. Mit Beschluss vom 04.08.2016 hob das Bundesverwaltungsgericht diesen Beschluss auf und verwies die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurück.
11 
Zur Begründung der Berufung verweist die Beklagte insbesondere darauf, dass - entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts - im September 2015 keineswegs alle vorhandenen Haftplätze belegt gewesen seien. Auch seien im Jahre nur 2015 nur 0,7 v.H. der Asylantragsteller nach Einzelprüfung inhaftiert gewesen. Die Hafteinrichtungen böten insbesondere die erforderliche medizinische Betreuung.
12 
Die Beklagte beantragt,
13 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 13. Februar 2016 - A 1 K 2059/14 - zu ändern und die Klage abzuweisen.
14 
Der Kläger beantragt,
15 
die Berufung zurückzuweisen.
16 
Er macht sich das angegriffene Urteil zu Eigen.
17 
Der Kläger wurde in der mündlichen Verhandlung angehört. Wegen des Ergebnisses wird auf die Niederschrift verwiesen.
18 
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze verwiesen. Dem Senaten liegen die Verwaltungsakten der Beklagten und die Akten des Verwaltungsgerichts Freiburg vor.

Entscheidungsgründe

 
19 
Der Senat konnte verhandeln und entscheiden, obwohl die ordnungsgemäß geladene Beklagte in der mündlichen Verhandlung nicht vertreten war (vgl. § 102 Abs. 2 VwGO).
20 
Die Berufung der Beklagten ist zulässig. Insbesondere wurde sie fristgerecht unter Stellung eines Antrags ordnungsgemäß begründet. Insoweit ist der Senat an die Rechtsauffassung des Bundesverwaltungsgerichts gebunden (vgl. § 144 Abs. 6 VwGO).
21 
Die Berufung bleibt jedoch in der Sache ohne Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat den angegriffenen Bescheid im Ergebnis zu Recht aufgehoben. Dieser ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in eigenen Rechten.
22 
Die Voraussetzungen des durch das Integrationsgesetz vom 31.07.2016 (BGBl I 1939) am 06.08.2016 in Kraft getretenen und auf den vorliegenden Rechtsstreit anzuwendenden § 29 Abs. 1 Nr. 1 lit. a) AsylG (vgl. BVerwG, Urteil vom 09.08.2016 - 1 C 6.16 -, juris) liegen nicht vor mit der Folge, dass auch die Abschiebungsanordnung nach § 34a AsylG zu Unrecht erlassen wurde und der Bescheid insgesamt aufzuheben ist (vgl. zur Statthaftigkeit der Anfechtungsklage zuletzt BVerwG, Urteil vom 27.04.2016 - 1 C 24.15 -, juris). Zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (vgl. § 77 Abs. 1 AsylG) war Ungarn nicht der für die Durchführung des Verfahrens zuständige Mitgliedstaat. Denn eine Überstellung des Klägers nach Ungarn ist gem. § 3 Abs. 2 Dublin III-VO wegen dort bestehender systemischer Schwachstellen, die für ihn die konkrete Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 GRCh mit sich bringen, nicht zulässig (vgl. I.). Ungeachtet dessen ist die Zuständigkeit jedenfalls übergangen, weil eine Überstellung bis zum Ablauf der Überstellungsfrist nicht mehr durchgeführt werden wird (II.).
I.
23 
1. Die Zuständigkeit ergibt sich vorliegend aus Art. 3 Abs. 2 UA 2 und 3 i.V.m. Art. 17 Abs. 1 VO (EU) 604/2013 vom 26.06.2013 (im Folgenden Dublin III-VO). Diese Verordnung ist im Hinblick auf deren Art. 49 Abs. 2, zwar nicht anzuwenden für die Beurteilung, ob Ungarn bei der Einreise des Klägers dort zuständiger Mitgliedstaat war; sie ist im vorliegenden Fall allerdings hinsichtlich des Überstellungsverfahrens anzuwenden.
24 
Zwar war der Kläger über Griechenland in das Gebiet der Mitgliedstaaten eingereist, der Senat geht hier aber als gerichtsbekannt davon aus, dass Griechenland jedenfalls damals seinerseits systemische Schwachstellen aufgewiesen hatte (vgl. EGMR, Entscheidung vom 21.01.2011 -Nr. 30696/09, M.S.S./Belgien -, NVwZ 2011, 413); das wurde von den Beteiligten auch zu keinem Zeitpunkt infrage gestellt. Der Senat kann daher offen lassen, ob die Zuständigkeit Griechenlands nach Art. 13 Abs. 1 Dublin III-VO nicht ohnehin infolge der Ausreise aus dem Gebiet der Mitgliedstaaten (nach Mazedonien und Serbien) entfallen war, nachdem der Kläger dort keinen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hatte (vgl. weiterführend Funke-Kaiser, in: GK-AsylG, § 27a Rn. 209). Ob eine Zuständigkeit anderer Mitglied- oder Vertragsstaaten bestand, kann offen bleiben, da sämtliche Fristen für die Stellung eines Übernahmeersuchens mittlerweile abgelaufen sind, zumal die Beklagte seit der Antragstellung über den Reiseweg im Wesentlichen informiert war.
25 
2. Dass bereits in der Vergangenheit, aber namentlich auch zum heutigen Zeitpunkt, die Voraussetzungen des Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO vorliegen, ergibt sich aus Folgendem:
26 
a) Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (Urteil vom 21.12.2011 - C-411/10 u.a., N.S. u.a. -, NVwZ 2012, 417; vgl. dazu auch Urteil vom 10.12.2013 - C-394/12, Abdullahi -, NVwZ 2014, 208; vgl. auch EGMR, Urteil vom 21.01.2011 - Nr. 30696/09, M.S.S./Belgien -, NVwZ 2011, 413) kann ein Mitgliedstaat dazu verpflichtet sein, von der Rückführung in den an sich zuständigen Mitgliedstaat abzusehen und von seinem Selbsteintrittsrecht Gebrauch zu machen.
27 
Dabei kann einerseits jeder Mitgliedstaat grundsätzlich davon ausgehen, dass alle an dem Gemeinsamen Europäischen Asylsystem beteiligten Staaten die Grundrechte einschließlich der Rechte, die ihre Grundlage in der Genfer Flüchtlingskonvention und dem Protokoll von 1967 sowie in der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten finden, beachten und dass die Mitgliedstaaten einander insoweit Vertrauen entgegenbringen dürfen (vgl. Buchholtz, NVwZ 2016, 1353 <1357>, m.w.N.). Auf dieser Grundlage besteht zunächst eine widerlegbare Vermutung dafür, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat den Anforderungen der Grundrechtecharta, der Genfer Flüchtlingskonvention und der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten genügt. Andererseits ist es möglich, dass in diesem System - etwa auch in der Rechtsanwendungspraxis (Buchholtz, a.a.O.) - in einem bestimmten Mitgliedstaat erhebliche Funktionsstörungen zutage treten und dieses zur absehbaren Folge hat, dass eine ernstzunehmende Gefahr besteht, dass Asylbewerber bei einer Überstellung in diesen Mitgliedstaat in einer Weise behandelt werden, die mit ihren Menschenrechten unvereinbar ist.
28 
Ein „blindes Vertrauen“ in die Gleichwertigkeit der regulatorischen Maßnahmen der Mitgliedstaaten widerspräche dem Anspruch auf einen wirksamen Grundrechtsschutz. Die Mitgliedstaaten sind verpflichtet, die aktuelle Situation in den anderen Mitgliedstaaten einzuschätzen und müssen das Risiko systemischer Schwachstellen dort bewerten und ggf. dem wirksamen Schutz zentraler Grundrechte Vorrang geben (vgl. Canor, ZaöRV 2013, 249 <271>; Buchholtz, a.a.O.).
29 
Allerdings stellt nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union nicht schon ein vereinzelter Verstoß gegen eine Bestimmung der Dublin II-VO bzw. der Dublin III-VO und auch nicht einmal jede Verletzung eines Grundrechts im Einzelfall durch den zuständigen Mitgliedstaat das Zuständigkeitssystem grundsätzlich infrage. Nach der Sichtweise des Gerichtshofs stünde andernfalls nicht weniger als der Daseinsgrund der Union und die Verwirklichung des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, konkret des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems, auf dem Spiel (EuGH, Urteil vom 21.12.2011 - C-411/10 u.a., N.S. u.a. -, NVwZ 2012, 417). Das Dublin-Zuständigkeitssystem ist deshalb nur dann (teilweise) zu suspendieren, wenn einem Mitgliedstaat aufgrund der ihm vorliegenden Informationen nicht unbekannt sein kann, dass systemische Mängel oder Schwachstellen (vgl. zum Begriff jetzt Art. 3 Abs. 2 UA. 2 Dublin III-VO) des Asylverfahrens und (bzw. genauer: oder) der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass der Antragsteller dort Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 GRCh ausgesetzt zu sein (vgl. EuGH, Urteile vom 21.12.2011, a.a.O., und vom 14.11.2013 - C-4/11, Puid -, NVwZ 2014, 129).
30 
Systemische Schwachstellen sind solche, die entweder bereits im Asyl- und Aufnahmeregime selbst angelegt sind und von denen alle Asylbewerber oder bestimmte Gruppen von Asylbewerbern deshalb nicht zufällig und im Einzelfall, sondern vorhersehbar und regelhaft betroffen sind, oder aber tatsächliche Umstände, die dazu führen, dass ein theoretisch sachgerecht konzipiertes und nicht zu beanstandendes Asyl- und Aufnahmesystem - aus welchen Gründen auch immer - faktisch ganz oder in weiten Teilen seine ihm zugedachte Funktion nicht mehr erfüllen kann und weitgehend unwirksam wird (vgl. auch BVerwG, Beschlüsse vom 19.03.2014 - 10 B 6.14 -, NVwZ 2014, 1093, und vom 06.06.2014 - 10 B 35.14 -, NVwZ 2014, 1677).
31 
Dabei ist der Begriff der systemischen Schwachstelle nicht in einer engen Weise derart zu verstehen, dass er geeignet sein muss, sich auf eine unüberschaubare Vielzahl von Antragstellern auszuwirken. Vielmehr kann ein systemischer Mangel auch dann vorliegen, wenn er von vornherein lediglich eine geringe Zahl von - etwa durch ein gemeinsames Merkmal verbundenen - Asylbewerbern betreffen kann, sofern er sich nur vorhersehbar und regelhaft realisieren wird und nicht gewissermaßen dem Zufall oder einer Verkettung unglücklicher Umstände bzw. Fehlleistungen von in das Verfahren involvierten Akteuren geschuldet ist (vgl. Lübbe, ZAR 2014, 97 ff.; Canor, a.a.O., 277; Franzius, ZaöRV 2015, 383 <407> und schon Senatsurteil vom 10.11.2014 - A 11 S 1778/14 -, InfAuslR 2015, 77), bzw. - nach einem etwas engeren Verständnis, das vorliegend jedoch zu keiner abweichenden Bewertung führt - dann, wenn solche Umstände die Rechtsstaatlichkeit bedrohen, da sie zur Folge haben, dass eine signifikante Anzahl sozialer Akteure in wichtigen Feldern aufhört, auf öffentliche Einrichtungen zur Bestätigung ihres (berechtigten) normativen Erwartens zu setzen und ein Rechtssystem damit aufhört, seiner Kernfunktion - der Unterstützung normativer Erwartungen - zu genügen (v. Bogdandy/Ioannidis, ZaöRV 2014, 283 <300>).
32 
Wesentliche Kriterien für die zu entscheidende Frage, ob eine unmenschliche oder erniedrigende (bzw. "entwürdigende") Behandlung vorliegt, finden sich in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 3 EMRK (vgl. Urteile vom 21.01.2011 - Nr. 30696/09, M.S.S./Belgien -, NVwZ 2011, 413, vom 04.11.2014 - Nr. 29217/12, Tharakel/Schweiz -, juris, und Entscheidung vom 05.02.2015 - Nr. 51428/10, A.M.E./Niederlande -, juris), der mit Art. 4 GRCh übereinstimmt (vgl. zu den Anforderungen ausführlich Senatsurteil vom 10.11.2014 - A 11 S 1778/14 -, InfAuslR 2015, 77, m.w.N.). Die Annahme einer drohenden Verletzung des Grundrechts aus Art. 4 GRCh muss durch wesentliche Gründe (Art. 3 Abs. 2 UA. 2 Dublin III-VO; vgl. auch EuGH, Urteil vom 21.12.2011 - C-411/10 u.a., N.S. u.a. -, NVwZ 2012, 417: "ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe") gestützt werden. Das bedeutet, dass die festgestellten Tatsachen hinreichend verlässlich und aussagekräftig sein müssen; nur unter dieser Voraussetzung ist es nach der maßgeblichen Sicht des Gerichtshofs der Europäischen Union gerechtfertigt, von einer Widerlegung des „gegenseitigen Vertrauens“ der Mitgliedstaaten untereinander auszugehen. In diesem Zusammenhang müssen die festgestellten Tatsachen und Missstände verallgemeinerungsfähig sein, um die Schlussfolgerung zu rechtfertigen, dass es nicht nur vereinzelt, sondern immer wieder und regelhaft zu Grundrechtsverletzungen nach Art. 4 GRCh kommt. Das bei einer wertenden und qualifizierten Betrachtungsweise zugrunde zu legende Beweismaß ist das der beachtlichen Wahrscheinlichkeit im herkömmlichen Verständnis der höchstrichterlichen Rechtsprechung, das sich nicht von dem in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte entwickelten Beweismaß des „real risk“ unterscheidet (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23.12 -, NVwZ 2013, 936; Beschluss vom 19.03.2014 - 10 B 6.14 -, juris).
33 
Hinzukommen muss, dass der konkrete Schutzsuchende auch individuell betroffen wäre. Es genügt nicht, dass lediglich abstrakt bestimmte strukturelle Schwachstellen festgestellt werden, wenn sich diese nicht auf den konkreten Antragsteller auswirken können. Dabei ist zu berücksichtigen, dass - eine systemische Schwachstelle unterstellt - einer drohenden Verletzung von Art. 4 GRCh im konkreten Einzelfall gegebenenfalls vorrangig dadurch "vorgebeugt" werden kann, dass die Bundesrepublik Deutschland die Überstellung im Zusammenwirken mit dem anderen Mitgliedstaat so organisiert, dass eine solche nicht eintreten kann (vgl. EGMR, Urteil vom 04.11.2014 -Nr. 29217/12, Tharakel/Schweiz -, juris; BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 17.09.2014 - 2 BvR 939/14 und 2 BvR 1795/14 -, juris und vom 17.04.2015 - 2 BvR 602/15 -, juris).
34 
b) Nach den vom Senat verwerteten Erkenntnismitteln (vgl. v.a. Commissioner for Human Rights of the Council of Europe, Report by Nils Muiznieks vom 16.12.2014 Rn 148 ff. - im Folgenden CHR I; UNHCR, Anmerkungen und Empfehlungen des UNHCR zum Entwurf zur Änderung migrations- und asylbezogener sowie weiterer in diesem Zusammenhang stehender Vorschriften zwecks Rechtsharmonisierung vom 07.01.2015, S. 14 ff - im Folgenden UNHCR I) ist seit Jahren die Praxis der Verhängung von Abschiebungshaft bzw. einer Art von Sicherungshaft gegenüber Asylbewerbern durch schwerwiegende verfahrensrechtliche und inhaltliche Mängel gekennzeichnet und ist seit langer Zeit national wie auch v.a. international heftiger Kritik ausgesetzt (vgl. ausführlich CHR I, Rn. 151 insbesondere auch mit Hinweisen auf die Rechtsprechung des EGMR zur Inhaftierungspraxis aus den Jahren 2011 und 2012; vgl. auch schon die deutliche, wenn auch diplomatisch eher zurückhaltend formulierte Kritik bei UN General Assembly - Human Rights Council - Report of the Working Group on Arbitrary Detention Mission to Hungary v. 03.07.2014, Rdn. 102 ff.). Diese Praxis ist insbesondere dadurch gekennzeichnet, dass etwa seit dem Jahre 2010 die ganz überwiegende Zahl der Antragsteller inhaftiert wurde und die gerichtlichen Entscheidungen, auf denen die Inhaftierungen beruhten, vollständig intransparent waren und ohne jeden nachvollziehbaren Bezug zu dem individuellen Einzelfall standen. Hinzu kam, dass nach der früheren Rechtslage die Haftgründe in hohem Maße vage und unbestimmt formuliert waren und damit in besonderer Weise eine rechtstaatlich unvertretbare gerichtliche Praxis begünstigten. Zwar wird für die Zeit bis zum Jahre 2014 zunächst von gewissen Verbesserungen gesprochen (vgl. CHR I, Rn. 153), was wohl zur Folge hatte, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in seiner Entscheidung vom 03.07.2014 (Nr. 71932/12) nicht mehr zu erkennen vermochte, dass das Inhaftierungssystem in Ungarn noch durch so schwerwiegende Mängel gekennzeichnet gewesen sei, dass die erfolgte Inhaftierung des Betroffenen eine Verletzung von Art. 3 EMRK ausgemacht hätte. Neuere, dem Gerichtshof damals noch nicht vorliegende Erkenntnisse seit dem Jahre 2014 zur Situation in Ungarn, wie der Bericht des Menschrechtskommissars vom 16.12.2014, der seinerseits auf einer Reihe aktueller Erkenntnismittel und auch eigener Anschauung beruhte, sowie die grundlegende Einschätzung von UNHCR vom 07.01.2015 (UNHCR I) gebieten jedoch auch in Ansehung gewisser Verbesserungen gleichwohl auch für das Jahr 2014 und bis heute eine abweichende Einschätzung. Hinzu kommt, dass selbst der Oberste Gerichtshof Ungarns (Kuriá) in seinem Bericht (Report on the Court’s Refugee Law-related Jurisprudence vom 20.10.2014; zitiert nach UNHCR I, S. 13 f.) die gravierenden Mängel der ungarischen Rechtsprechungspraxis bestätigt und praktische Hinweise zu deren unverzüglichen und notwendigen Behebung gegeben hatte (vgl. zu alledem auch Lehnert, NVwZ 2016, 896, 899). Eine aktuelle Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 05.07.2016 (Nr. 9912/15) belegt aber eindrucksvoll, dass sich an der Inhaftierungspraxis auch im Jahre 2014 nichts Grundlegendes geändert hatte. Der der Entscheidung zugrunde liegende Sachverhalt entspricht geradezu exemplarisch den Fakten, wie sie der Senat aus den verwerteten Erkenntnismitteln entnommen hat.
35 
Besonders besorgt war der Menschrechtskommissar über die unverändert festzustellende Willkür bei der Anordnung von Haft, namentlich vermisste er jede Individualisierung der Anordnung und deren Verhältnismäßigkeit, was die Dauer betrifft. Verschärft wurde dieser Zustand dadurch, dass es - gewissermaßen als Korrektiv - keinerlei effektive richterliche Kontrolle gab, was auch vom Obersten Gerichtshof festgestellt und kritisiert worden war.
36 
Die aktuell seit 01.08.2015 geltenden gesetzliche Bestimmungen über die Voraussetzungen für die Anordnung von „Asylhaft“, die nach ungarischem Recht seit 2013 von der Abschiebungshaft „Immigration Detention“ unterschieden wird (vgl. aida, „Country Report: Hungary“ vom November 2015, S. 64 - im Folgenden aida II), stehen allerdings nunmehr im Wesentlichen formal in Übereinstimmung mit den Vorgaben der Aufnahmerichtlinie (RL 2013/33/EU v. 26.06.2013, ABl. L 180 vom 29.06.2013, S. 96) in deren Art. 8 (vgl. auch aida II, S. 60). Als höchst problematisch wird hingegen unverändert auch heute noch die praktische Handhabung der Bestimmungen geschildert. Als Haftgründe werden am häufigsten „Fluchtgefahr“ und „ungeklärte Identität“ genannt (aida II, S. 60; amnesty international, Stranded Hope, Hungary’s sustained attack on the rights of refugees and migrants, 2016, S. 24 ff. im Folgenden ai, Stranded Hope). Mittlerweile kommt als weiterer oft herangezogener Grund die „Gefahr für die öffentliche Sicherheit“ hinzu (vgl. aida II, S. 61). Dem liegt zugrunde, dass Ungarn nunmehr alle Antragsteller, die nicht offiziell über eine Grenzstation einzureisen versuchen bzw. versucht haben, der illegalen Einreise beschuldigt und diese deshalb grundsätzlich auch strafrechtlich verfolgt werden können, was aber in dieser Pauschalität offensichtlich mit den Vorgaben in Art. 31 GFK unvereinbar ist, zumindest dann, wenn kein weiteres Begleitdelikt begangen wird, wie etwa die Beschädigung der Grenzanlagen (vgl. zu alledem UNHCR; Hungary as a country of asylum, vom Mai 2016, Rn. 59 - im Folgenden UNHCR II; Human Rights Watch “Hungary: Locked Up for Seeking Asylum“ vom 01.12.2015, S. 2 und 4 mit dem weiteren Hinweis, dass deshalb insbesondere abgelehnte Antragstellers häufig in „Immigration Detention“, d.h. praktisch in Strafanstalten inhaftiert sind, - im Folgenden HRW; so auch aida II, S. 61 f. und 64). Ungeachtet dessen wird wiederum einhellig - auch für das Jahr 2015 - nach wie vor beanstandet, dass Haftgründe immer noch nicht individualisiert und einzelfallbezogen geprüft und beurteilt werden, wobei wiederum noch hinzu kommt, dass unverändert die Begründungen der Entscheidungen in höchstem Maße defizitär sind und für die Betroffenen nicht erkennen lassen, weshalb sie in Haft genommen werden (vgl. aida II, S. 61 und 68; Commissioner for Human Rights of the Council of Europe, vom 17.12.2015, Rn. 16 ff. und 22 - im Folgenden CHR II). Dass eine spezifische Verhältnismäßigkeitsprüfung durchgeführt wurde, lässt sich in der Regel den Entscheidungen immer noch nicht entnehmen (aida II, S. 68). Entgegen den Vorgaben des Unionsrechts wird bei gerichtlichen Haftanordnungen immer wieder nicht sorgfältig erwogen, ob es hierzu Alternativen gibt (aida II, S. 61; UNHCR I S. 22). Obwohl es, worauf bereits hingewiesen wurde, in der Vergangenheit eine ausdrückliche Beanstandung durch den Obersten Gerichtshof gegeben hatte, sind - mit einer gewissen Ausnahme beim Gericht in Debrecen - auch weiterhin kaum sichtbaren Änderungen eingetreten.
37 
Die wesentlichen Verfahrensabläufe stellten sich und stellen sich nach wie vor wie folgt dar: Am Beginn der Haft steht eine maximal 72 Stunden geltende behördliche Haftanordnung, gegen die es mit Rücksicht auf völlig defizitäre Informationen, erhebliche sprachlich bedingte Kommunikationsprobleme und völlig unzureichenden Zugang zu fachkundiger Hilfestellung nur einen theoretischen, aber praktisch kaum wirksamen Rechtsschutz gibt (vgl. aida II, S. 69 und zum Ablauf des Verfahrens Rn. 67 f.) mit der Folge, dass die Betroffenen jeder denkbaren Willkür ausgeliefert sein können. Hieran schließt sich auf Antrag der Asylbehörde (OIN) eine förmliche gerichtliche Verlängerungsentscheidung an, die zunächst maximal 60 Tage gelten kann (bis insgesamt maximal 6 Monate). Die Verlängerungen erfolgen aus Gründen der „Verfahrensbequemlichkeit“ in aller Regel (wenn auch nicht ausnahmslos) pauschal und ohne Bezug zum Einzelfall um die jeweils zulässige Höchstdauer, ohne dass es insoweit nach der Einschätzung der Stellungnahmen ein effektives Rechtsmittel oder eine effektive Abhilfemöglichkeit für die Betroffenen gibt (aida II, S. 67 ff. insbes. Rn. 69 f. und schon UNHCR I, S. 13 und 17); ob überhaupt ein Rechtsbehelf gegen die richterliche Haftanordnung eröffnet ist, ist nicht völlig klar (verneinend und im Einzelnen begründet aida II, S. 67 f. Rechtsschutz nur in Bezug auf die behördlich Anordnung bis zu 72 Stunden; bejahend AA v. 21.06.2016 an VG Potsdam). Die Gerichte stützen sich nach wie vor häufig allein auf die Angaben der Asylbehörde, ohne die Angaben der Betroffenen angemessen zu würdigen (aida II, S. 68; ecre/aida, „Crossing Boundaries“ vom 01.10.2015, S. 27 f.). Bereits in der Vergangenheit konnte festgestellt werden, dass die Gerichte die vorgeschriebene Anhörung jedenfalls teilweise als „Massenanhörung“ durchführten, sodass - wenn überhaupt - nur ein Minimum an Zeit für jeden Betroffenen blieb (vgl. aida II, S. 68). Zwar besteht an sich freier Zugang zu einer anwaltlichen Vertretung, die Beiordnung von Anwälten erwies sich aber als weitgehend unzureichend, da diese völlig passiv blieben und die Interessen ihrer Mandanten nicht ernsthaft vertraten (aida II, S. 70). Die vom Auswärtigen Amt (Auskunft vom 27.01.2016) behauptete genaue Einzelfallprüfung konnte schwerlich stattgefunden haben, wenn regelmäßig in der Haft unbegleitete Minderjährige angetroffen bzw. festgestellt worden waren. Es wird nämlich übereinstimmend berichtet, dass keine umfassende und vor allem einigermaßen zuverlässige Alterskontrolle und -feststellung stattfand bzw. gewährleistet war mit der Folge, dass immer wieder unbegleitete minderjährige Antragsteller in Haft kamen und später durch Mitarbeiter humanitärer Organisationen dort angetroffenen wurden (aida II, S. 62; UNHCR I, S. 18; CHR II, Rn. 27). Nichts anderes galt für sog. vulnerable Personen (vgl. auch HRW, S. 6 ff.), was insoweit folgenschwerer ist, weil keinerlei psychosoziale Betreuung in den Haftanstalten stattfindet (aida II, S. 65; HRW, S. 8). Eine psychologische Behandlung kommt allenfalls in einer Klinik in Betracht (vgl. AA v. 27.01.2016, S. 7). Grundsätzlich können nunmehr - wohl anders als noch im Jahre 2014 - auch Familien mit minderjährigen Kindern bis zu 60 Tagen wieder inhaftiert werden, was auch tatsächlich und nicht nur in Ausnahmefällen geschieht (vgl. aida II, S. 62; UNHCR I, S. 21 f.), aber schwerlich mit Art. 37 Kinderkonvention und Art. 11 Abs. 2 Aufnahmerichtlinie (RL 2013/33/EU v. 26.06.2013) vereinbar sein wird.
38 
Die Haftanstalten waren und sind entgegen früherer Befürchtungen (vgl. Hungarian Helsinki Committee, Building als Legal Fence, vom 07.08.2015, S. 5) nicht überfüllt, allerdings jedenfalls teilweise nach wie vor in einem sehr schlechten Zustand, so v.a. die Haftanstalt in Nyirbátor (vgl. aida II, S. 65; HRW, S. 2 f. und 9), in der im Winter 2014/15 die Häftlinge bei Temperaturen von 5°C in der Haftanstalt ohne ausreichende Kleidung längere Zeit leben mussten, sie ist außerdem trotz mehrfacher Abhilfeversuche nach wie vor völlig verwanzt. Andere bauliche Mängel waren vorhanden, waren aber wohl nicht so gravierend. Schwangere, begleitete und unbegleitete Kinder und Menschen mit Behinderungen werden immer wieder auch für lange Zeit mit alleinstehenden Männern zusammen untergebracht (HRW, S. 2). Typisch ist weiterhin ein hohes Maß an alltäglicher Brutalität, die von dem Personal in den Haftanstalten ausgeht (vgl. ecre/aida, a.a.O.,S. 27; vgl. auch ausführlich ai, Stranded Hope, S. 25 ff., insbesondere auch zu Selbstmordversuchen und Selbstverletzungen). Die Betroffenen werden wie Kriminelle behandelt und nur mit Handschellen und untereinander angeleint ausgeführt (aida II, S. 65; CHR II, Rn. 21, dessen Ausführungen darauf schließen lassen, dass es sich nicht um einen Ausreißer gehandelt haben kann; vgl. auch AA vom 21.06.2016). Die ärztliche Basisversorgung für nicht vorbelastete Insassen ist theoretisch wohl gewährleistet (aida II, S. 65; AA v. 27.01.2016). Deren Effektivität leidet aber mit Rücksicht auf fehlende Dolmetscher erheblich unter den Kommunikationsschwierigkeiten, die oftmals eine sachgerechte Behandlung unmöglich machen (vgl. CHR II, Rn. 20).
39 
Jedenfalls waren im Frühjahr 2014 noch etwa 25 v.H. aller Antragsteller und 42 v.H. aller männlichen ledigen Antragsteller in Haft (vgl. CHR I, Rn. 155 f.; aida, „Country Report: Hungary“ vom April 2014, S. 48 - im Folgenden aida I). Für das gesamte Jahr 2013 wird - nicht aufgeschlüsselt nach der Gesamtzahl einerseits und der Zahl alleinstehender Männer andererseits - die Quote mit knapp 25 v.H. angegeben (vgl. UN General Assembly - Human Rights Council - Report oft the Working Group on Arbitrary Detention Mission to Hungary v. 03.07.2014).
40 
Allerdings legten neuere Erkenntnismittel zunächst die Schlussfolgerung nahe, dass die Inhaftierungsquote möglicherweise in der Folge nicht mehr das gleiche hohe Ausmaß hatte wie dieses noch in den Jahren 2013 und 2014 der Fall war. Zwar nennt aida (II, S. 60) eine Zahl von 52 v.H. Inhaftierten bezogen auf den 02.11.2015, ohne dieses genauer zu erläutern; in diesem Zusammenhang wird aber sodann noch die Gesamtzahl der zwischen 01.01. bis 30.09.2015 inhaftierten Antragsteller mit 1.860 angegeben, was aber in Anbetracht der vom Auswärtigen Amt dem Senat auf die Anfrage des Senats am 27.06.2016 mitgeteilten Zahl von rund 179.000 Antragstellern im Jahre 2015 eine Quote von 52 v.H. nicht ohne weiteres plausibel erscheinen lässt (vgl. aber auch völlig widersprüchlich AA v. 03.07.2015: 01.01.2015 bis 31.05.2015 1.078 inhaftierte Personen einerseits, AA vom 28.09.2015: 01.01.2015 bis 30.06.2015 492 Personen andererseits). Gegenüber dem Senat hat das Auswärtige Amt am 27.06.2016 die Gesamtzahl der Inhaftierungen im 1. Halbjahr 2015 mit 1.258, im 2. Halbjahr mit 1.145 und in der Zeit zwischen dem 01.01.2016 bis 22.06.2016 mit 1.648 Personen angegeben, was in Einklang mit der von aida genannten Gesamtzahl von 1.860 Personen stehen könnte. Geht man von der hohen Zahl der Antragstellungen im Jahre 2015 aus, so könnte hieraus auf eine deutlich geringere Inhaftierungsquote als im Jahre 2014 zu schließen sein, auch wenn dem Senat nicht bekannt ist, wie viele Antragsteller tatsächlich überhaupt noch im Land geblieben waren. Sollte, wie zu vermuten ist, der ganz überwiegende Teil der Antragsteller das Land im Jahre 2015 aber bereits wieder verlassen haben, so würde dieses unmittelbar die Inhaftierungsquote nicht unerheblich erhöhen. Dafür, dass die meisten Antragsteller wieder das Land verlassen hatten, sprach der Umstand, dass regelmäßig der Anteil der sog. Einstellungsentscheidungen der ungarischen Asylbehörde signifikant hoch war (vgl. Eurostat, „Asylum and first time asylum applicants, Last update 06.07.2016“ für Ungarn 177.135 Antragsteller im Jahre 2015 einerseits; „Asylum applications withdrawn, Last update 08.07.2016“ für Ungarn im Jahre 2015 103.015 Einstellungsentscheidungen andererseits; vgl. auch „Final decisions on applications Last update 22.06.2016“ für Ungarn im Jahre 2015 nur 480 endgültige Sachenentscheidungen).
41 
Auch zum heutigen Zeitpunkt ist nach wie vor von einer hohen Inhaftierungsquote auszugehen. Amnesty international teilt unter Berufung auf das Hungary Helsinki Committee mit, dass zum 01.08.2016 noch etwa 1200 registrierte Flüchtlinge in Ungarn geblieben seien, von denen etwa 700 inhaftiert gewesen seien (ai, Stranded Hope, S. 24 ff.).
42 
Diese Quoten begründeten nach Überzeugung des Senats in Anbetracht der erheblichen und einschneidenden Folgen einer Inhaftierung für die Betroffenen die erforderliche beachtliche Wahrscheinlichkeit im Sinne eines „real risk“. Ausgehend von diesen Zahlen muss der Kläger dann, wenn er nach Ungarn zurückkehren würde, um dort ein (weiteres) Verfahren auf Gewährung internationalen Schutzes durchzuführen, als alleinstehender Mann mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen in Haft zu kommen. Das nach den verwerteten Erkenntnismitteln hoch defizitäre Haftanordnungs- bzw. Haftprüfungsverfahren, das die Betroffenen einer willkürlichen Behandlung aussetzt, und in dem sie in der Regel nicht einmal im Ansatz in ihrer Subjektqualität wahrgenommen werden, verstößt nicht nur gegen die menschenrechtlichen Garantien der Art. 5 und Art. 13 EMRK (vgl. zu dem Aspekt der mangelnden Eröffnung der maßgeblichen Gründe einer Inhaftierung und einer hieraus folgenden Verletzung von Art. 3 EMRK EGMR, Urteil vom 01.09.2015 - Nr. 16483/12, Khlaifia u.a./Italien -, juris; vom. 05.07.2016 - Nr. 9912/15), sondern auch - jedenfalls in Zusammenschau mit den konkreten Haftbedingungen bei desolater Unterbringungssituation und den Handlungsweisen des Personals mit systematischer Schlechtbehandlung - gegen Art. 3 EMRK und damit gegen Art. 4 GRCh. Es ist nach alledem davon auszugehen, dass angesichts der schweren Mängel des Haftanordnungsverfahrens der Kläger keine effektive und faire Chance haben wird, seine Belange in das Verfahren einzubringen und damit gehört zu werden, weshalb es dem Kläger nicht zugemutet werden konnte, in Ungarn ein (weiteres) Verfahren auf internationalen Schutz durchzuführen, mit der Folge, dass mit der Asylantragstellung im Bundesgebiet die Zuständigkeit der Bundesrepublik begründet wurde.
43 
Das ungarische Asylsystem weist ungeachtet dessen auch in anderer Hinsicht weitere schwere systemische Mängel auf, worauf es aber nicht mehr entscheidend ankommt. So behandelt Ungarn u.a. Serbien als sicheren Drittstaat (vgl. aida II, S. 43 f.; vgl. auch eccre/aida, Crossing Boundaries, October 2015, 34 ff. auch zur rückwirkenden Anwendung der Drittstaatenregelung), womit die massenhaften Einreiseverweigerungen und Zurückschiebungen an der serbisch-ungarischen Grenze zu erklären sind (vgl. u.a. aida II, S. 30 ff.; Hungarian Helsinki Committee, No Country for Refugees, 28.09.2015; ai, Stranded Hope, S. 14 f.). Serbien seinerseits sieht u.a. Griechenland, Mazedonien und die Türkei als sichere Drittstaaten an (aida, Country Report: Serbia März 2016, 23 f.). Dass Griechenland kein sicherer Drittstaat sein kann, wurde bereits erwähnt. Für die Türkei gilt nichts anderes. Denn zum einen wendet die Türkei die Genfer Flüchtlingskonvention nur auf europäische Flüchtlinge an. Rein faktisch beachtet sie aber insbesondere auch gegenüber syrischen Flüchtlingen das Refoulement-Verbot nicht. Es gibt zahlreiche glaubhafte Berichte, dass es immer wieder zu Push-Backs in größerem Umfang an der syrisch-türkischen Grenze kommt (vgl. zu alledem ai, Turkey - Illegal Mass Returns of Syrian Refugees, 01.04.2016; pro asyl, Turkey: Syrians Pushed Back at the Border, 23.11.2015), was schon in Anbetracht der fehlenden völkervertraglichen Bindungen der Türkei dazu führen muss, dass die Türkei nicht als sicherer Drittstaat angesehen werden kann. Hinzu kommt, dass das serbische Asylverfahren massiver Kritik ausgesetzt und jedenfalls faktisch nicht geeignet ist, effektiven Flüchtlingsschutz zu gewährleisten; aida spricht davon, dass die gravierenden Mängel v.a. in der mangelnden Implementierung des Flüchtlingswesens in die Gesetzgebung und in der weitgehenden Unkenntnis flüchtlingsrechtlicher Fragestellungen bei den Akteuren im System bestehen (vgl. aida, Country Report: Serbia, S. 12; vgl. auch UNHCR, Serbia as a country of asylum, August 2012). Aus alledem folgt, dass Ungarn ein System der flüchtlingsrechtlichen Verantwortungslosigkeit betreibt und sehenden Auges Kettenabschiebungen ermöglicht. In diesem Sinn hat auch am 20.04.2016 das Oberste Verwaltungsgericht Finnlands entschieden (vgl. KHO: 2016: 53), dass Ungarn zu Unrecht Serbien als einen sicheren Drittstaat behandelt und deshalb sein Asylsystem systemische Schwachstellen aufweist. Schließlich weist der Senat darauf hin, dass es nachvollziehbare und glaubhafte aktuelle Schilderungen über die Behandlung von gestrandeten Flüchtlingen an der ungarischen Grenze gibt, die deutlich machen, dass Ungarn nicht nur ständig das Refoulement-Verbot verletzt, sondern dabei auch exzessive Gewalt anwendet. Minimale menschenrechtliche Standards werden auch dadurch verletzt, dass im Rahmen des Grenzregimes wiederholte erfolgreiche Versuche gegeben hat, ungarische NGOs daran zu hindern, durch eigene Hilfsmaßnahmen und Hilfsprojekte die äußerst schlechten Lebensbedingungen der an der Grenze ausharrenden Menschen zu lindern (amnesty international, So schlecht wie möglich, August 2016). Diese bei den handelnden staatlichen Organen offensichtlich vorherrschende ablehnende bis gar feindliche Grundeinstellung gegenüber Flüchtlingen, die in vielfach geschilderten Gewaltexzessen und in der inhumanen Verhinderung von Hilfseinsetzen von ungarischen NGOs exemplarisch zum Ausdruck kommt, lässt nach Überzeugung des Senats auch Rückschlüsse auf die oben geschilderte Schlechtbehandlung in der Asylhaft zu. Die Plausibilität und Glaubhaftigkeit der diesbezüglichen Berichte wird dadurch untermauert. Diese Feststellungen haben daher indirekt auch Relevanz für die Einschätzung der (künftigen) Situation des Klägers.
44 
Abschließend weist der Senat noch darauf hin, dass am 10.12.2015 die Europäische Kommission gegen Ungarn ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet hat (vgl. Presserklärung der Europäischen Kommission vom 10.12.2015). Dieses hat im Wesentlichen die Effektivität des Rechtsschutzes zum Gegenstand. Erstens befürchtet die Kommission im Hinblick auf die Asylverfahren, dass es im Rahmen von Rechtsbehelfen nicht möglich sei, auf neue Fakten und Umstände zu verweisen, und dass Ungarn Entscheidungen im Falle der Einlegung von Rechtsbehelfen nicht automatisch aussetze, sondern dass Antragsteller bereits vor Verstreichen der Frist für die Einlegung eines Rechtsbehelfs oder vor der Prüfung des Rechtsbehelfs effektiv gezwungen würden, ungarisches Hoheitsgebiet zu verlassen. In der Neufassung der Asylverfahrensrichtlinie seien gemeinsame Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes und klare Vorschriften für die Beantragung von Asyl festgelegt. Sie gelte für alle Anträge auf internationalen Schutz, die im Hoheitsgebiet - auch an den Grenzen, in den Hoheitsgewässern oder in den Transitzonen - der Mitgliedstaaten gestellt werden. Sodann befürchtet die Kommission im Hinblick auf das Recht auf Dolmetscherleistungen und Übersetzungen, dass das ungarische Gesetz über beschleunigte Strafverfahren wegen irregulären Grenzübertritts gegen die Vorschriften der Richtlinie über das Recht auf Dolmetscherleistungen und Übersetzungen in Strafverfahren verstoße, die sicherstelle, dass jede verdächtige oder angeklagte Person, die die Verfahrenssprache nicht verstehe, eine schriftliche Übersetzung aller wichtigen Dokumente, auch eines etwaigen Urteils, erhalte. Schließlich bestünden im Hinblick auf das Grundrecht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und ein unparteiisches Gericht nach Artikel 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union Bedenken hinsichtlich der Tatsache, dass gemäß den neuen ungarischen Vorschriften zur gerichtlichen Überprüfung von Entscheidungen über die Ablehnung eines Asylantrags eine persönliche Anhörung der Antragsteller fakultativ sei. Zudem könne der Umstand, dass gerichtliche Entscheidungen von Gerichtssekretären auf vorgerichtlicher Ebene getroffen werden, einen Verstoß gegen die Asylverfahrensrichtlinie und Artikel 47 der Grundrechtecharta begründen. Gerade der erste Punkt wird aus der Sicht des Senats eindringlich durch verschiedene Erkenntnismittel, die ihm vorliegen, untermauert (vgl. etwa amnesty international, Trampling on the rights of refugees and asylumseekers, May 2016; UNHCR II, Rdn. 38 ff.; amnesty international, So schlecht wie möglich, August 2016).
II.
45 
Die angegriffenen Verfügungen waren nach dem maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung des Senats (vgl. § 77 Abs. 1 AsylG) auch aus einem weiteren Grund aufzuheben.
46 
1. Die in Ziffer 2 verfügte Abschiebungsanordnung setzt nach § 34a Abs. 1 AsylG voraus, dass die Abschiebung in den zuständigen Mitgliedstaat erfolgen kannund dies auch alsbald der Fall sein wird. Bestehen hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass dieses nicht der Fall sein könnte, ist die Beklagte ggf. darlegungspflichtig, dass diese Voraussetzungen gleichwohl (noch) vorliegen (vgl. BVerwG, Urteil vom 27.04.2016 - 1 C 24.15 -, juris). Zum einen ergab sich schon aus dem von der Beklagten selbst dem Senat bereits im Verfahren A 11 S 976/16 vorgelegten Quartalsbericht IV 2015 zum Mitgliedstaat Ungarn vom 27.01.2016, dass im gesamten Jahr 2015 von 33.220 Zustimmungsfällen tatsächlich nur 1.402 nach Ungarn überstellt worden waren, was einer Quote von 4,2 v.H. entsprach; im 4. Quartal war die Quote sogar auf 3,3 v.H. gesunken. Die mittlerweile vorliegende Dublin-Statistik für das 1. Halbjahr und das von der Beklagten im vorliegenden Verfahren vorgelegte statistische Material zeichnen ein vergleichbares Bild; die Überstellungsquote betrug im gesamten 1. Halbjahr 2016 lediglich 7,14 v.H. (vgl. BAMF: Dublin-Statistik 1. Jahreshälfte 2016), was unübersehbar zu einem enormen Rückstau von Überstellungen geführt haben muss. Erst um die Jahresmitte 2016 hat sich die Quote deutlich verbessert, was ersichtlich auf die gesunkene Zahl von Zustimmungen Ungarns zurückzuführen ist. Die Zahlen der erfolgten Überstellungen liegen aber immer noch deutlich unter der Zahl der Zustimmungen. An der sehr niedrigen Überstellungsquote und dem infolge dessen entstandenen extremen Rückstau hat sich somit nichts Grundlegendes geändert, er wächst sogar weiter ständig an. Allerdings finden durchaus regelmäßig Überstellungen statt, obwohl offizielle ungarische Verlautbarungen etwas anderes nahe legen. Soweit die Beklagte darauf abhebt, dass bei der Beurteilung und der Bewertung der Überstellungsquote berücksichtigt werden müssen, dass „viele“ Abschiebungen aus mancherlei Gründen nicht durchgeführt werden könnten, etwa weil sich die Betroffenen verweigern oder entziehen würden, so ist dieses zweifellos richtig. In der mündlichen Verhandlung wurde dieser Aspekt, insbesondere die naheliegende Frage, was unter „viele“ zu verstehen ist erörtert, von der Beklagten aber nicht beantwortet oder erläutert, da sie ohne vorherige Mitteilung der Verhandlung fern geblieben ist. Auch hatte die Beklagte auf die Anfrage des Senats, kein bestimmtes Handlungsmuster darlegen können, nach dem die Überstellungen durchgeführt und v.a. der Rückstau abgearbeitet werden soll, wobei hier nochmals darauf hinzuweisen ist, dass dieser gegenwärtig noch weiter zunimmt. Allein deshalb ist Ziffer 2 der angegriffenen Verfügung aufzuheben. Der Senat sieht sich in seiner Einschätzung, dass der erhebliche Rückstau nicht in absehbarer Zeit abgebaut werden kann und wird, darin bestätigt, dass das für die Aufenthaltsbeendigung in ganz Baden-Württemberg zuständige Regierungspräsidium Karlsruhe auf die Anfrage des Senats am 12.10.2016 mitgeteilt hat, dass im gesamten Jahre 2016 bislang 12 Überstellungen nach Ungarn durchgeführt worden sind. Bereits aufgrund dessen ist die Abschiebungsanordnung aufzuheben.
47 
2. Die dargestellte Problematik hat jedoch auch weitergehende Folgen und berührt - ungeachtet der Ausführungen unter I - die Rechtmäßigkeit der Ziffer 1, in der der Asylantrag als unzulässig abgelehnt worden war.
48 
Steht zum Zeitpunkt der Entscheidung des Senats hinreichend sicher fest, dass innerhalb der nächsten sechs Monate eine Überstellung aus tatsächlichen Gründen nicht möglich sein wird oder durchgeführt werden kann, so gebietet der dem Dublin-System innewohnende Beschleunigungsgedanke (vgl. z.B. EuGH, Urteil vom 14.11.2013 - C-4/11 -, NVwZ 2014, 129, Rn. 33 ff.), dass bereits jetzt von einer Unmöglichkeit der Überstellung und damit dem künftigen Zuständigkeitsübergang auszugehen ist (vgl. Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO). Bei diesen Überlegungen muss - ausgehend von der Annahme, dass die Ziffer 1 sonst an keinen Rechtsfehlen leidet und der Senat als maßgeblichen Zeitpunkt den der mündlichen Verhandlung zugrunde zu legen hat (vgl. § 77 Abs. 1 AsylG) - die Prognose zum Ausgangspunkt nehmen, dass die Überstellungsfrist aktuell zu laufen beginnt, weil der Kläger sein Begehren nicht weiter verfolgen wird. Andernfalls wäre zu Lasten der Betroffenen und unter Vernachlässigung des Beschleunigungsgedankens ein zuverlässiger Ausgangs- und Fixpunkt der Prognose nicht festzulegen mit der Folge, dass die hier bestehende Überstellungsproblematik nicht in einer den berechtigten Interessen der Betroffenen gemäßen Art und Weise sachgerecht bewältigt werden könnte. Bei einer anderen Sichtweise könnte eine Prognoseentscheidung erst dann getroffen werden, wenn die Entscheidung des Senats zu einem jetzt noch ungewissen Zeitpunkt rechtskräftig geworden ist und damit die Überstellungsfrist des Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO (vgl. auch Art. 29 Abs. 1 UA 1) in Lauf gesetzt wurde. Der Senat würde dann auch - gesetzeswidrig - einen anderen (späteren) und gerade nicht den den Vorgaben des § 77 Abs. 1 AsylG entsprechenden Zeitpunkt seiner Entscheidung zugrunde legen. Weshalb in diesem Zusammenhang (wohl vor dem Hintergrund des Art. 29 Abs. 2 Satz 2 Dublin II-VO) generell von einem Prognosehorizont von 18 Monaten auszugehen sein sollte, wie die Beklagte im Verfahren A 11 S 976/16 vorgetragen hat, erschließt sich dem Senat nicht. Denn weder bestehen Anhaltspunkte dafür, dass alle zu Überstellenden flüchtig sind oder sein werden, noch dass solches beim Kläger der Fall sein wird.
49 
Angesichts des oben dargestellten enormen und weiter wachsenden Rückstaus von Überstellungen (allein aus dem Jahr 2015 und der 1. Jahreshälfte 2016) und bei einer nur verschwindend geringen Überstellungsquote ist -auch angesichts der aktuellen offiziellen Äußerungen der ungarischen Regierung vom 26.05.2016, möge diese auch in erster Linie innenpolitisch motiviert sein - für den Senat nicht ersichtlich und von der Beklagten auch nicht plausibel dargelegt, dass in absehbarer Zeit überhaupt noch Überstellungen in nennenswertem Umfang, die in einem angemessenen Verhältnis zur Gesamtzahl der zu überstellenden Personen stehen, durchgeführt werden können. Bei dieser Sachlage ist die Beklagte zur Vermeidung weiterer unzumutbarer dem Beschleunigungsprinzip und der Effektivität des Europäischen Asylsystems zuwider laufender Verzögerungen, verpflichtet, ohne Ermessensspielraum sofort von dem Selbsteintritt nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO Gebrauch zu machen, ohne den sich abzeichnenden Zuständigkeitsübergang nach Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO abwarten zu dürfen.
50 
Nach alledem wird die Beklagte im weiteren Verfahren zu entscheiden haben, ob der am 03.06.2014 gestellte Antrag ein Erstantrag oder Zweitantrag ist. Denn der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung angegeben, dass er seines Wissens nach keinen Asylantrag gestellt hat, jedenfalls aber, sollte er bei seiner Festnahme und dem anschließenden Verhör durch die ungarischen Behörden unbewusst einen Asylantrag gestellt haben, keinen Ablehnungsbescheid erhalten und noch weniger eine Klage angestrengt zu haben.
III.
51 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO; Gerichtskosten werden nicht erhoben (vgl. § 83b AsylG).
52 
Gründe nach § 132 Abs. 2 VwGO, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.

Gründe

 
19 
Der Senat konnte verhandeln und entscheiden, obwohl die ordnungsgemäß geladene Beklagte in der mündlichen Verhandlung nicht vertreten war (vgl. § 102 Abs. 2 VwGO).
20 
Die Berufung der Beklagten ist zulässig. Insbesondere wurde sie fristgerecht unter Stellung eines Antrags ordnungsgemäß begründet. Insoweit ist der Senat an die Rechtsauffassung des Bundesverwaltungsgerichts gebunden (vgl. § 144 Abs. 6 VwGO).
21 
Die Berufung bleibt jedoch in der Sache ohne Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat den angegriffenen Bescheid im Ergebnis zu Recht aufgehoben. Dieser ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in eigenen Rechten.
22 
Die Voraussetzungen des durch das Integrationsgesetz vom 31.07.2016 (BGBl I 1939) am 06.08.2016 in Kraft getretenen und auf den vorliegenden Rechtsstreit anzuwendenden § 29 Abs. 1 Nr. 1 lit. a) AsylG (vgl. BVerwG, Urteil vom 09.08.2016 - 1 C 6.16 -, juris) liegen nicht vor mit der Folge, dass auch die Abschiebungsanordnung nach § 34a AsylG zu Unrecht erlassen wurde und der Bescheid insgesamt aufzuheben ist (vgl. zur Statthaftigkeit der Anfechtungsklage zuletzt BVerwG, Urteil vom 27.04.2016 - 1 C 24.15 -, juris). Zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (vgl. § 77 Abs. 1 AsylG) war Ungarn nicht der für die Durchführung des Verfahrens zuständige Mitgliedstaat. Denn eine Überstellung des Klägers nach Ungarn ist gem. § 3 Abs. 2 Dublin III-VO wegen dort bestehender systemischer Schwachstellen, die für ihn die konkrete Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 GRCh mit sich bringen, nicht zulässig (vgl. I.). Ungeachtet dessen ist die Zuständigkeit jedenfalls übergangen, weil eine Überstellung bis zum Ablauf der Überstellungsfrist nicht mehr durchgeführt werden wird (II.).
I.
23 
1. Die Zuständigkeit ergibt sich vorliegend aus Art. 3 Abs. 2 UA 2 und 3 i.V.m. Art. 17 Abs. 1 VO (EU) 604/2013 vom 26.06.2013 (im Folgenden Dublin III-VO). Diese Verordnung ist im Hinblick auf deren Art. 49 Abs. 2, zwar nicht anzuwenden für die Beurteilung, ob Ungarn bei der Einreise des Klägers dort zuständiger Mitgliedstaat war; sie ist im vorliegenden Fall allerdings hinsichtlich des Überstellungsverfahrens anzuwenden.
24 
Zwar war der Kläger über Griechenland in das Gebiet der Mitgliedstaaten eingereist, der Senat geht hier aber als gerichtsbekannt davon aus, dass Griechenland jedenfalls damals seinerseits systemische Schwachstellen aufgewiesen hatte (vgl. EGMR, Entscheidung vom 21.01.2011 -Nr. 30696/09, M.S.S./Belgien -, NVwZ 2011, 413); das wurde von den Beteiligten auch zu keinem Zeitpunkt infrage gestellt. Der Senat kann daher offen lassen, ob die Zuständigkeit Griechenlands nach Art. 13 Abs. 1 Dublin III-VO nicht ohnehin infolge der Ausreise aus dem Gebiet der Mitgliedstaaten (nach Mazedonien und Serbien) entfallen war, nachdem der Kläger dort keinen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hatte (vgl. weiterführend Funke-Kaiser, in: GK-AsylG, § 27a Rn. 209). Ob eine Zuständigkeit anderer Mitglied- oder Vertragsstaaten bestand, kann offen bleiben, da sämtliche Fristen für die Stellung eines Übernahmeersuchens mittlerweile abgelaufen sind, zumal die Beklagte seit der Antragstellung über den Reiseweg im Wesentlichen informiert war.
25 
2. Dass bereits in der Vergangenheit, aber namentlich auch zum heutigen Zeitpunkt, die Voraussetzungen des Art. 3 Abs. 2 Dublin II-VO vorliegen, ergibt sich aus Folgendem:
26 
a) Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (Urteil vom 21.12.2011 - C-411/10 u.a., N.S. u.a. -, NVwZ 2012, 417; vgl. dazu auch Urteil vom 10.12.2013 - C-394/12, Abdullahi -, NVwZ 2014, 208; vgl. auch EGMR, Urteil vom 21.01.2011 - Nr. 30696/09, M.S.S./Belgien -, NVwZ 2011, 413) kann ein Mitgliedstaat dazu verpflichtet sein, von der Rückführung in den an sich zuständigen Mitgliedstaat abzusehen und von seinem Selbsteintrittsrecht Gebrauch zu machen.
27 
Dabei kann einerseits jeder Mitgliedstaat grundsätzlich davon ausgehen, dass alle an dem Gemeinsamen Europäischen Asylsystem beteiligten Staaten die Grundrechte einschließlich der Rechte, die ihre Grundlage in der Genfer Flüchtlingskonvention und dem Protokoll von 1967 sowie in der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten finden, beachten und dass die Mitgliedstaaten einander insoweit Vertrauen entgegenbringen dürfen (vgl. Buchholtz, NVwZ 2016, 1353 <1357>, m.w.N.). Auf dieser Grundlage besteht zunächst eine widerlegbare Vermutung dafür, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat den Anforderungen der Grundrechtecharta, der Genfer Flüchtlingskonvention und der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten genügt. Andererseits ist es möglich, dass in diesem System - etwa auch in der Rechtsanwendungspraxis (Buchholtz, a.a.O.) - in einem bestimmten Mitgliedstaat erhebliche Funktionsstörungen zutage treten und dieses zur absehbaren Folge hat, dass eine ernstzunehmende Gefahr besteht, dass Asylbewerber bei einer Überstellung in diesen Mitgliedstaat in einer Weise behandelt werden, die mit ihren Menschenrechten unvereinbar ist.
28 
Ein „blindes Vertrauen“ in die Gleichwertigkeit der regulatorischen Maßnahmen der Mitgliedstaaten widerspräche dem Anspruch auf einen wirksamen Grundrechtsschutz. Die Mitgliedstaaten sind verpflichtet, die aktuelle Situation in den anderen Mitgliedstaaten einzuschätzen und müssen das Risiko systemischer Schwachstellen dort bewerten und ggf. dem wirksamen Schutz zentraler Grundrechte Vorrang geben (vgl. Canor, ZaöRV 2013, 249 <271>; Buchholtz, a.a.O.).
29 
Allerdings stellt nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union nicht schon ein vereinzelter Verstoß gegen eine Bestimmung der Dublin II-VO bzw. der Dublin III-VO und auch nicht einmal jede Verletzung eines Grundrechts im Einzelfall durch den zuständigen Mitgliedstaat das Zuständigkeitssystem grundsätzlich infrage. Nach der Sichtweise des Gerichtshofs stünde andernfalls nicht weniger als der Daseinsgrund der Union und die Verwirklichung des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, konkret des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems, auf dem Spiel (EuGH, Urteil vom 21.12.2011 - C-411/10 u.a., N.S. u.a. -, NVwZ 2012, 417). Das Dublin-Zuständigkeitssystem ist deshalb nur dann (teilweise) zu suspendieren, wenn einem Mitgliedstaat aufgrund der ihm vorliegenden Informationen nicht unbekannt sein kann, dass systemische Mängel oder Schwachstellen (vgl. zum Begriff jetzt Art. 3 Abs. 2 UA. 2 Dublin III-VO) des Asylverfahrens und (bzw. genauer: oder) der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass der Antragsteller dort Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 GRCh ausgesetzt zu sein (vgl. EuGH, Urteile vom 21.12.2011, a.a.O., und vom 14.11.2013 - C-4/11, Puid -, NVwZ 2014, 129).
30 
Systemische Schwachstellen sind solche, die entweder bereits im Asyl- und Aufnahmeregime selbst angelegt sind und von denen alle Asylbewerber oder bestimmte Gruppen von Asylbewerbern deshalb nicht zufällig und im Einzelfall, sondern vorhersehbar und regelhaft betroffen sind, oder aber tatsächliche Umstände, die dazu führen, dass ein theoretisch sachgerecht konzipiertes und nicht zu beanstandendes Asyl- und Aufnahmesystem - aus welchen Gründen auch immer - faktisch ganz oder in weiten Teilen seine ihm zugedachte Funktion nicht mehr erfüllen kann und weitgehend unwirksam wird (vgl. auch BVerwG, Beschlüsse vom 19.03.2014 - 10 B 6.14 -, NVwZ 2014, 1093, und vom 06.06.2014 - 10 B 35.14 -, NVwZ 2014, 1677).
31 
Dabei ist der Begriff der systemischen Schwachstelle nicht in einer engen Weise derart zu verstehen, dass er geeignet sein muss, sich auf eine unüberschaubare Vielzahl von Antragstellern auszuwirken. Vielmehr kann ein systemischer Mangel auch dann vorliegen, wenn er von vornherein lediglich eine geringe Zahl von - etwa durch ein gemeinsames Merkmal verbundenen - Asylbewerbern betreffen kann, sofern er sich nur vorhersehbar und regelhaft realisieren wird und nicht gewissermaßen dem Zufall oder einer Verkettung unglücklicher Umstände bzw. Fehlleistungen von in das Verfahren involvierten Akteuren geschuldet ist (vgl. Lübbe, ZAR 2014, 97 ff.; Canor, a.a.O., 277; Franzius, ZaöRV 2015, 383 <407> und schon Senatsurteil vom 10.11.2014 - A 11 S 1778/14 -, InfAuslR 2015, 77), bzw. - nach einem etwas engeren Verständnis, das vorliegend jedoch zu keiner abweichenden Bewertung führt - dann, wenn solche Umstände die Rechtsstaatlichkeit bedrohen, da sie zur Folge haben, dass eine signifikante Anzahl sozialer Akteure in wichtigen Feldern aufhört, auf öffentliche Einrichtungen zur Bestätigung ihres (berechtigten) normativen Erwartens zu setzen und ein Rechtssystem damit aufhört, seiner Kernfunktion - der Unterstützung normativer Erwartungen - zu genügen (v. Bogdandy/Ioannidis, ZaöRV 2014, 283 <300>).
32 
Wesentliche Kriterien für die zu entscheidende Frage, ob eine unmenschliche oder erniedrigende (bzw. "entwürdigende") Behandlung vorliegt, finden sich in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 3 EMRK (vgl. Urteile vom 21.01.2011 - Nr. 30696/09, M.S.S./Belgien -, NVwZ 2011, 413, vom 04.11.2014 - Nr. 29217/12, Tharakel/Schweiz -, juris, und Entscheidung vom 05.02.2015 - Nr. 51428/10, A.M.E./Niederlande -, juris), der mit Art. 4 GRCh übereinstimmt (vgl. zu den Anforderungen ausführlich Senatsurteil vom 10.11.2014 - A 11 S 1778/14 -, InfAuslR 2015, 77, m.w.N.). Die Annahme einer drohenden Verletzung des Grundrechts aus Art. 4 GRCh muss durch wesentliche Gründe (Art. 3 Abs. 2 UA. 2 Dublin III-VO; vgl. auch EuGH, Urteil vom 21.12.2011 - C-411/10 u.a., N.S. u.a. -, NVwZ 2012, 417: "ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe") gestützt werden. Das bedeutet, dass die festgestellten Tatsachen hinreichend verlässlich und aussagekräftig sein müssen; nur unter dieser Voraussetzung ist es nach der maßgeblichen Sicht des Gerichtshofs der Europäischen Union gerechtfertigt, von einer Widerlegung des „gegenseitigen Vertrauens“ der Mitgliedstaaten untereinander auszugehen. In diesem Zusammenhang müssen die festgestellten Tatsachen und Missstände verallgemeinerungsfähig sein, um die Schlussfolgerung zu rechtfertigen, dass es nicht nur vereinzelt, sondern immer wieder und regelhaft zu Grundrechtsverletzungen nach Art. 4 GRCh kommt. Das bei einer wertenden und qualifizierten Betrachtungsweise zugrunde zu legende Beweismaß ist das der beachtlichen Wahrscheinlichkeit im herkömmlichen Verständnis der höchstrichterlichen Rechtsprechung, das sich nicht von dem in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte entwickelten Beweismaß des „real risk“ unterscheidet (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 - 10 C 23.12 -, NVwZ 2013, 936; Beschluss vom 19.03.2014 - 10 B 6.14 -, juris).
33 
Hinzukommen muss, dass der konkrete Schutzsuchende auch individuell betroffen wäre. Es genügt nicht, dass lediglich abstrakt bestimmte strukturelle Schwachstellen festgestellt werden, wenn sich diese nicht auf den konkreten Antragsteller auswirken können. Dabei ist zu berücksichtigen, dass - eine systemische Schwachstelle unterstellt - einer drohenden Verletzung von Art. 4 GRCh im konkreten Einzelfall gegebenenfalls vorrangig dadurch "vorgebeugt" werden kann, dass die Bundesrepublik Deutschland die Überstellung im Zusammenwirken mit dem anderen Mitgliedstaat so organisiert, dass eine solche nicht eintreten kann (vgl. EGMR, Urteil vom 04.11.2014 -Nr. 29217/12, Tharakel/Schweiz -, juris; BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 17.09.2014 - 2 BvR 939/14 und 2 BvR 1795/14 -, juris und vom 17.04.2015 - 2 BvR 602/15 -, juris).
34 
b) Nach den vom Senat verwerteten Erkenntnismitteln (vgl. v.a. Commissioner for Human Rights of the Council of Europe, Report by Nils Muiznieks vom 16.12.2014 Rn 148 ff. - im Folgenden CHR I; UNHCR, Anmerkungen und Empfehlungen des UNHCR zum Entwurf zur Änderung migrations- und asylbezogener sowie weiterer in diesem Zusammenhang stehender Vorschriften zwecks Rechtsharmonisierung vom 07.01.2015, S. 14 ff - im Folgenden UNHCR I) ist seit Jahren die Praxis der Verhängung von Abschiebungshaft bzw. einer Art von Sicherungshaft gegenüber Asylbewerbern durch schwerwiegende verfahrensrechtliche und inhaltliche Mängel gekennzeichnet und ist seit langer Zeit national wie auch v.a. international heftiger Kritik ausgesetzt (vgl. ausführlich CHR I, Rn. 151 insbesondere auch mit Hinweisen auf die Rechtsprechung des EGMR zur Inhaftierungspraxis aus den Jahren 2011 und 2012; vgl. auch schon die deutliche, wenn auch diplomatisch eher zurückhaltend formulierte Kritik bei UN General Assembly - Human Rights Council - Report of the Working Group on Arbitrary Detention Mission to Hungary v. 03.07.2014, Rdn. 102 ff.). Diese Praxis ist insbesondere dadurch gekennzeichnet, dass etwa seit dem Jahre 2010 die ganz überwiegende Zahl der Antragsteller inhaftiert wurde und die gerichtlichen Entscheidungen, auf denen die Inhaftierungen beruhten, vollständig intransparent waren und ohne jeden nachvollziehbaren Bezug zu dem individuellen Einzelfall standen. Hinzu kam, dass nach der früheren Rechtslage die Haftgründe in hohem Maße vage und unbestimmt formuliert waren und damit in besonderer Weise eine rechtstaatlich unvertretbare gerichtliche Praxis begünstigten. Zwar wird für die Zeit bis zum Jahre 2014 zunächst von gewissen Verbesserungen gesprochen (vgl. CHR I, Rn. 153), was wohl zur Folge hatte, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in seiner Entscheidung vom 03.07.2014 (Nr. 71932/12) nicht mehr zu erkennen vermochte, dass das Inhaftierungssystem in Ungarn noch durch so schwerwiegende Mängel gekennzeichnet gewesen sei, dass die erfolgte Inhaftierung des Betroffenen eine Verletzung von Art. 3 EMRK ausgemacht hätte. Neuere, dem Gerichtshof damals noch nicht vorliegende Erkenntnisse seit dem Jahre 2014 zur Situation in Ungarn, wie der Bericht des Menschrechtskommissars vom 16.12.2014, der seinerseits auf einer Reihe aktueller Erkenntnismittel und auch eigener Anschauung beruhte, sowie die grundlegende Einschätzung von UNHCR vom 07.01.2015 (UNHCR I) gebieten jedoch auch in Ansehung gewisser Verbesserungen gleichwohl auch für das Jahr 2014 und bis heute eine abweichende Einschätzung. Hinzu kommt, dass selbst der Oberste Gerichtshof Ungarns (Kuriá) in seinem Bericht (Report on the Court’s Refugee Law-related Jurisprudence vom 20.10.2014; zitiert nach UNHCR I, S. 13 f.) die gravierenden Mängel der ungarischen Rechtsprechungspraxis bestätigt und praktische Hinweise zu deren unverzüglichen und notwendigen Behebung gegeben hatte (vgl. zu alledem auch Lehnert, NVwZ 2016, 896, 899). Eine aktuelle Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 05.07.2016 (Nr. 9912/15) belegt aber eindrucksvoll, dass sich an der Inhaftierungspraxis auch im Jahre 2014 nichts Grundlegendes geändert hatte. Der der Entscheidung zugrunde liegende Sachverhalt entspricht geradezu exemplarisch den Fakten, wie sie der Senat aus den verwerteten Erkenntnismitteln entnommen hat.
35 
Besonders besorgt war der Menschrechtskommissar über die unverändert festzustellende Willkür bei der Anordnung von Haft, namentlich vermisste er jede Individualisierung der Anordnung und deren Verhältnismäßigkeit, was die Dauer betrifft. Verschärft wurde dieser Zustand dadurch, dass es - gewissermaßen als Korrektiv - keinerlei effektive richterliche Kontrolle gab, was auch vom Obersten Gerichtshof festgestellt und kritisiert worden war.
36 
Die aktuell seit 01.08.2015 geltenden gesetzliche Bestimmungen über die Voraussetzungen für die Anordnung von „Asylhaft“, die nach ungarischem Recht seit 2013 von der Abschiebungshaft „Immigration Detention“ unterschieden wird (vgl. aida, „Country Report: Hungary“ vom November 2015, S. 64 - im Folgenden aida II), stehen allerdings nunmehr im Wesentlichen formal in Übereinstimmung mit den Vorgaben der Aufnahmerichtlinie (RL 2013/33/EU v. 26.06.2013, ABl. L 180 vom 29.06.2013, S. 96) in deren Art. 8 (vgl. auch aida II, S. 60). Als höchst problematisch wird hingegen unverändert auch heute noch die praktische Handhabung der Bestimmungen geschildert. Als Haftgründe werden am häufigsten „Fluchtgefahr“ und „ungeklärte Identität“ genannt (aida II, S. 60; amnesty international, Stranded Hope, Hungary’s sustained attack on the rights of refugees and migrants, 2016, S. 24 ff. im Folgenden ai, Stranded Hope). Mittlerweile kommt als weiterer oft herangezogener Grund die „Gefahr für die öffentliche Sicherheit“ hinzu (vgl. aida II, S. 61). Dem liegt zugrunde, dass Ungarn nunmehr alle Antragsteller, die nicht offiziell über eine Grenzstation einzureisen versuchen bzw. versucht haben, der illegalen Einreise beschuldigt und diese deshalb grundsätzlich auch strafrechtlich verfolgt werden können, was aber in dieser Pauschalität offensichtlich mit den Vorgaben in Art. 31 GFK unvereinbar ist, zumindest dann, wenn kein weiteres Begleitdelikt begangen wird, wie etwa die Beschädigung der Grenzanlagen (vgl. zu alledem UNHCR; Hungary as a country of asylum, vom Mai 2016, Rn. 59 - im Folgenden UNHCR II; Human Rights Watch “Hungary: Locked Up for Seeking Asylum“ vom 01.12.2015, S. 2 und 4 mit dem weiteren Hinweis, dass deshalb insbesondere abgelehnte Antragstellers häufig in „Immigration Detention“, d.h. praktisch in Strafanstalten inhaftiert sind, - im Folgenden HRW; so auch aida II, S. 61 f. und 64). Ungeachtet dessen wird wiederum einhellig - auch für das Jahr 2015 - nach wie vor beanstandet, dass Haftgründe immer noch nicht individualisiert und einzelfallbezogen geprüft und beurteilt werden, wobei wiederum noch hinzu kommt, dass unverändert die Begründungen der Entscheidungen in höchstem Maße defizitär sind und für die Betroffenen nicht erkennen lassen, weshalb sie in Haft genommen werden (vgl. aida II, S. 61 und 68; Commissioner for Human Rights of the Council of Europe, vom 17.12.2015, Rn. 16 ff. und 22 - im Folgenden CHR II). Dass eine spezifische Verhältnismäßigkeitsprüfung durchgeführt wurde, lässt sich in der Regel den Entscheidungen immer noch nicht entnehmen (aida II, S. 68). Entgegen den Vorgaben des Unionsrechts wird bei gerichtlichen Haftanordnungen immer wieder nicht sorgfältig erwogen, ob es hierzu Alternativen gibt (aida II, S. 61; UNHCR I S. 22). Obwohl es, worauf bereits hingewiesen wurde, in der Vergangenheit eine ausdrückliche Beanstandung durch den Obersten Gerichtshof gegeben hatte, sind - mit einer gewissen Ausnahme beim Gericht in Debrecen - auch weiterhin kaum sichtbaren Änderungen eingetreten.
37 
Die wesentlichen Verfahrensabläufe stellten sich und stellen sich nach wie vor wie folgt dar: Am Beginn der Haft steht eine maximal 72 Stunden geltende behördliche Haftanordnung, gegen die es mit Rücksicht auf völlig defizitäre Informationen, erhebliche sprachlich bedingte Kommunikationsprobleme und völlig unzureichenden Zugang zu fachkundiger Hilfestellung nur einen theoretischen, aber praktisch kaum wirksamen Rechtsschutz gibt (vgl. aida II, S. 69 und zum Ablauf des Verfahrens Rn. 67 f.) mit der Folge, dass die Betroffenen jeder denkbaren Willkür ausgeliefert sein können. Hieran schließt sich auf Antrag der Asylbehörde (OIN) eine förmliche gerichtliche Verlängerungsentscheidung an, die zunächst maximal 60 Tage gelten kann (bis insgesamt maximal 6 Monate). Die Verlängerungen erfolgen aus Gründen der „Verfahrensbequemlichkeit“ in aller Regel (wenn auch nicht ausnahmslos) pauschal und ohne Bezug zum Einzelfall um die jeweils zulässige Höchstdauer, ohne dass es insoweit nach der Einschätzung der Stellungnahmen ein effektives Rechtsmittel oder eine effektive Abhilfemöglichkeit für die Betroffenen gibt (aida II, S. 67 ff. insbes. Rn. 69 f. und schon UNHCR I, S. 13 und 17); ob überhaupt ein Rechtsbehelf gegen die richterliche Haftanordnung eröffnet ist, ist nicht völlig klar (verneinend und im Einzelnen begründet aida II, S. 67 f. Rechtsschutz nur in Bezug auf die behördlich Anordnung bis zu 72 Stunden; bejahend AA v. 21.06.2016 an VG Potsdam). Die Gerichte stützen sich nach wie vor häufig allein auf die Angaben der Asylbehörde, ohne die Angaben der Betroffenen angemessen zu würdigen (aida II, S. 68; ecre/aida, „Crossing Boundaries“ vom 01.10.2015, S. 27 f.). Bereits in der Vergangenheit konnte festgestellt werden, dass die Gerichte die vorgeschriebene Anhörung jedenfalls teilweise als „Massenanhörung“ durchführten, sodass - wenn überhaupt - nur ein Minimum an Zeit für jeden Betroffenen blieb (vgl. aida II, S. 68). Zwar besteht an sich freier Zugang zu einer anwaltlichen Vertretung, die Beiordnung von Anwälten erwies sich aber als weitgehend unzureichend, da diese völlig passiv blieben und die Interessen ihrer Mandanten nicht ernsthaft vertraten (aida II, S. 70). Die vom Auswärtigen Amt (Auskunft vom 27.01.2016) behauptete genaue Einzelfallprüfung konnte schwerlich stattgefunden haben, wenn regelmäßig in der Haft unbegleitete Minderjährige angetroffen bzw. festgestellt worden waren. Es wird nämlich übereinstimmend berichtet, dass keine umfassende und vor allem einigermaßen zuverlässige Alterskontrolle und -feststellung stattfand bzw. gewährleistet war mit der Folge, dass immer wieder unbegleitete minderjährige Antragsteller in Haft kamen und später durch Mitarbeiter humanitärer Organisationen dort angetroffenen wurden (aida II, S. 62; UNHCR I, S. 18; CHR II, Rn. 27). Nichts anderes galt für sog. vulnerable Personen (vgl. auch HRW, S. 6 ff.), was insoweit folgenschwerer ist, weil keinerlei psychosoziale Betreuung in den Haftanstalten stattfindet (aida II, S. 65; HRW, S. 8). Eine psychologische Behandlung kommt allenfalls in einer Klinik in Betracht (vgl. AA v. 27.01.2016, S. 7). Grundsätzlich können nunmehr - wohl anders als noch im Jahre 2014 - auch Familien mit minderjährigen Kindern bis zu 60 Tagen wieder inhaftiert werden, was auch tatsächlich und nicht nur in Ausnahmefällen geschieht (vgl. aida II, S. 62; UNHCR I, S. 21 f.), aber schwerlich mit Art. 37 Kinderkonvention und Art. 11 Abs. 2 Aufnahmerichtlinie (RL 2013/33/EU v. 26.06.2013) vereinbar sein wird.
38 
Die Haftanstalten waren und sind entgegen früherer Befürchtungen (vgl. Hungarian Helsinki Committee, Building als Legal Fence, vom 07.08.2015, S. 5) nicht überfüllt, allerdings jedenfalls teilweise nach wie vor in einem sehr schlechten Zustand, so v.a. die Haftanstalt in Nyirbátor (vgl. aida II, S. 65; HRW, S. 2 f. und 9), in der im Winter 2014/15 die Häftlinge bei Temperaturen von 5°C in der Haftanstalt ohne ausreichende Kleidung längere Zeit leben mussten, sie ist außerdem trotz mehrfacher Abhilfeversuche nach wie vor völlig verwanzt. Andere bauliche Mängel waren vorhanden, waren aber wohl nicht so gravierend. Schwangere, begleitete und unbegleitete Kinder und Menschen mit Behinderungen werden immer wieder auch für lange Zeit mit alleinstehenden Männern zusammen untergebracht (HRW, S. 2). Typisch ist weiterhin ein hohes Maß an alltäglicher Brutalität, die von dem Personal in den Haftanstalten ausgeht (vgl. ecre/aida, a.a.O.,S. 27; vgl. auch ausführlich ai, Stranded Hope, S. 25 ff., insbesondere auch zu Selbstmordversuchen und Selbstverletzungen). Die Betroffenen werden wie Kriminelle behandelt und nur mit Handschellen und untereinander angeleint ausgeführt (aida II, S. 65; CHR II, Rn. 21, dessen Ausführungen darauf schließen lassen, dass es sich nicht um einen Ausreißer gehandelt haben kann; vgl. auch AA vom 21.06.2016). Die ärztliche Basisversorgung für nicht vorbelastete Insassen ist theoretisch wohl gewährleistet (aida II, S. 65; AA v. 27.01.2016). Deren Effektivität leidet aber mit Rücksicht auf fehlende Dolmetscher erheblich unter den Kommunikationsschwierigkeiten, die oftmals eine sachgerechte Behandlung unmöglich machen (vgl. CHR II, Rn. 20).
39 
Jedenfalls waren im Frühjahr 2014 noch etwa 25 v.H. aller Antragsteller und 42 v.H. aller männlichen ledigen Antragsteller in Haft (vgl. CHR I, Rn. 155 f.; aida, „Country Report: Hungary“ vom April 2014, S. 48 - im Folgenden aida I). Für das gesamte Jahr 2013 wird - nicht aufgeschlüsselt nach der Gesamtzahl einerseits und der Zahl alleinstehender Männer andererseits - die Quote mit knapp 25 v.H. angegeben (vgl. UN General Assembly - Human Rights Council - Report oft the Working Group on Arbitrary Detention Mission to Hungary v. 03.07.2014).
40 
Allerdings legten neuere Erkenntnismittel zunächst die Schlussfolgerung nahe, dass die Inhaftierungsquote möglicherweise in der Folge nicht mehr das gleiche hohe Ausmaß hatte wie dieses noch in den Jahren 2013 und 2014 der Fall war. Zwar nennt aida (II, S. 60) eine Zahl von 52 v.H. Inhaftierten bezogen auf den 02.11.2015, ohne dieses genauer zu erläutern; in diesem Zusammenhang wird aber sodann noch die Gesamtzahl der zwischen 01.01. bis 30.09.2015 inhaftierten Antragsteller mit 1.860 angegeben, was aber in Anbetracht der vom Auswärtigen Amt dem Senat auf die Anfrage des Senats am 27.06.2016 mitgeteilten Zahl von rund 179.000 Antragstellern im Jahre 2015 eine Quote von 52 v.H. nicht ohne weiteres plausibel erscheinen lässt (vgl. aber auch völlig widersprüchlich AA v. 03.07.2015: 01.01.2015 bis 31.05.2015 1.078 inhaftierte Personen einerseits, AA vom 28.09.2015: 01.01.2015 bis 30.06.2015 492 Personen andererseits). Gegenüber dem Senat hat das Auswärtige Amt am 27.06.2016 die Gesamtzahl der Inhaftierungen im 1. Halbjahr 2015 mit 1.258, im 2. Halbjahr mit 1.145 und in der Zeit zwischen dem 01.01.2016 bis 22.06.2016 mit 1.648 Personen angegeben, was in Einklang mit der von aida genannten Gesamtzahl von 1.860 Personen stehen könnte. Geht man von der hohen Zahl der Antragstellungen im Jahre 2015 aus, so könnte hieraus auf eine deutlich geringere Inhaftierungsquote als im Jahre 2014 zu schließen sein, auch wenn dem Senat nicht bekannt ist, wie viele Antragsteller tatsächlich überhaupt noch im Land geblieben waren. Sollte, wie zu vermuten ist, der ganz überwiegende Teil der Antragsteller das Land im Jahre 2015 aber bereits wieder verlassen haben, so würde dieses unmittelbar die Inhaftierungsquote nicht unerheblich erhöhen. Dafür, dass die meisten Antragsteller wieder das Land verlassen hatten, sprach der Umstand, dass regelmäßig der Anteil der sog. Einstellungsentscheidungen der ungarischen Asylbehörde signifikant hoch war (vgl. Eurostat, „Asylum and first time asylum applicants, Last update 06.07.2016“ für Ungarn 177.135 Antragsteller im Jahre 2015 einerseits; „Asylum applications withdrawn, Last update 08.07.2016“ für Ungarn im Jahre 2015 103.015 Einstellungsentscheidungen andererseits; vgl. auch „Final decisions on applications Last update 22.06.2016“ für Ungarn im Jahre 2015 nur 480 endgültige Sachenentscheidungen).
41 
Auch zum heutigen Zeitpunkt ist nach wie vor von einer hohen Inhaftierungsquote auszugehen. Amnesty international teilt unter Berufung auf das Hungary Helsinki Committee mit, dass zum 01.08.2016 noch etwa 1200 registrierte Flüchtlinge in Ungarn geblieben seien, von denen etwa 700 inhaftiert gewesen seien (ai, Stranded Hope, S. 24 ff.).
42 
Diese Quoten begründeten nach Überzeugung des Senats in Anbetracht der erheblichen und einschneidenden Folgen einer Inhaftierung für die Betroffenen die erforderliche beachtliche Wahrscheinlichkeit im Sinne eines „real risk“. Ausgehend von diesen Zahlen muss der Kläger dann, wenn er nach Ungarn zurückkehren würde, um dort ein (weiteres) Verfahren auf Gewährung internationalen Schutzes durchzuführen, als alleinstehender Mann mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit damit rechnen in Haft zu kommen. Das nach den verwerteten Erkenntnismitteln hoch defizitäre Haftanordnungs- bzw. Haftprüfungsverfahren, das die Betroffenen einer willkürlichen Behandlung aussetzt, und in dem sie in der Regel nicht einmal im Ansatz in ihrer Subjektqualität wahrgenommen werden, verstößt nicht nur gegen die menschenrechtlichen Garantien der Art. 5 und Art. 13 EMRK (vgl. zu dem Aspekt der mangelnden Eröffnung der maßgeblichen Gründe einer Inhaftierung und einer hieraus folgenden Verletzung von Art. 3 EMRK EGMR, Urteil vom 01.09.2015 - Nr. 16483/12, Khlaifia u.a./Italien -, juris; vom. 05.07.2016 - Nr. 9912/15), sondern auch - jedenfalls in Zusammenschau mit den konkreten Haftbedingungen bei desolater Unterbringungssituation und den Handlungsweisen des Personals mit systematischer Schlechtbehandlung - gegen Art. 3 EMRK und damit gegen Art. 4 GRCh. Es ist nach alledem davon auszugehen, dass angesichts der schweren Mängel des Haftanordnungsverfahrens der Kläger keine effektive und faire Chance haben wird, seine Belange in das Verfahren einzubringen und damit gehört zu werden, weshalb es dem Kläger nicht zugemutet werden konnte, in Ungarn ein (weiteres) Verfahren auf internationalen Schutz durchzuführen, mit der Folge, dass mit der Asylantragstellung im Bundesgebiet die Zuständigkeit der Bundesrepublik begründet wurde.
43 
Das ungarische Asylsystem weist ungeachtet dessen auch in anderer Hinsicht weitere schwere systemische Mängel auf, worauf es aber nicht mehr entscheidend ankommt. So behandelt Ungarn u.a. Serbien als sicheren Drittstaat (vgl. aida II, S. 43 f.; vgl. auch eccre/aida, Crossing Boundaries, October 2015, 34 ff. auch zur rückwirkenden Anwendung der Drittstaatenregelung), womit die massenhaften Einreiseverweigerungen und Zurückschiebungen an der serbisch-ungarischen Grenze zu erklären sind (vgl. u.a. aida II, S. 30 ff.; Hungarian Helsinki Committee, No Country for Refugees, 28.09.2015; ai, Stranded Hope, S. 14 f.). Serbien seinerseits sieht u.a. Griechenland, Mazedonien und die Türkei als sichere Drittstaaten an (aida, Country Report: Serbia März 2016, 23 f.). Dass Griechenland kein sicherer Drittstaat sein kann, wurde bereits erwähnt. Für die Türkei gilt nichts anderes. Denn zum einen wendet die Türkei die Genfer Flüchtlingskonvention nur auf europäische Flüchtlinge an. Rein faktisch beachtet sie aber insbesondere auch gegenüber syrischen Flüchtlingen das Refoulement-Verbot nicht. Es gibt zahlreiche glaubhafte Berichte, dass es immer wieder zu Push-Backs in größerem Umfang an der syrisch-türkischen Grenze kommt (vgl. zu alledem ai, Turkey - Illegal Mass Returns of Syrian Refugees, 01.04.2016; pro asyl, Turkey: Syrians Pushed Back at the Border, 23.11.2015), was schon in Anbetracht der fehlenden völkervertraglichen Bindungen der Türkei dazu führen muss, dass die Türkei nicht als sicherer Drittstaat angesehen werden kann. Hinzu kommt, dass das serbische Asylverfahren massiver Kritik ausgesetzt und jedenfalls faktisch nicht geeignet ist, effektiven Flüchtlingsschutz zu gewährleisten; aida spricht davon, dass die gravierenden Mängel v.a. in der mangelnden Implementierung des Flüchtlingswesens in die Gesetzgebung und in der weitgehenden Unkenntnis flüchtlingsrechtlicher Fragestellungen bei den Akteuren im System bestehen (vgl. aida, Country Report: Serbia, S. 12; vgl. auch UNHCR, Serbia as a country of asylum, August 2012). Aus alledem folgt, dass Ungarn ein System der flüchtlingsrechtlichen Verantwortungslosigkeit betreibt und sehenden Auges Kettenabschiebungen ermöglicht. In diesem Sinn hat auch am 20.04.2016 das Oberste Verwaltungsgericht Finnlands entschieden (vgl. KHO: 2016: 53), dass Ungarn zu Unrecht Serbien als einen sicheren Drittstaat behandelt und deshalb sein Asylsystem systemische Schwachstellen aufweist. Schließlich weist der Senat darauf hin, dass es nachvollziehbare und glaubhafte aktuelle Schilderungen über die Behandlung von gestrandeten Flüchtlingen an der ungarischen Grenze gibt, die deutlich machen, dass Ungarn nicht nur ständig das Refoulement-Verbot verletzt, sondern dabei auch exzessive Gewalt anwendet. Minimale menschenrechtliche Standards werden auch dadurch verletzt, dass im Rahmen des Grenzregimes wiederholte erfolgreiche Versuche gegeben hat, ungarische NGOs daran zu hindern, durch eigene Hilfsmaßnahmen und Hilfsprojekte die äußerst schlechten Lebensbedingungen der an der Grenze ausharrenden Menschen zu lindern (amnesty international, So schlecht wie möglich, August 2016). Diese bei den handelnden staatlichen Organen offensichtlich vorherrschende ablehnende bis gar feindliche Grundeinstellung gegenüber Flüchtlingen, die in vielfach geschilderten Gewaltexzessen und in der inhumanen Verhinderung von Hilfseinsetzen von ungarischen NGOs exemplarisch zum Ausdruck kommt, lässt nach Überzeugung des Senats auch Rückschlüsse auf die oben geschilderte Schlechtbehandlung in der Asylhaft zu. Die Plausibilität und Glaubhaftigkeit der diesbezüglichen Berichte wird dadurch untermauert. Diese Feststellungen haben daher indirekt auch Relevanz für die Einschätzung der (künftigen) Situation des Klägers.
44 
Abschließend weist der Senat noch darauf hin, dass am 10.12.2015 die Europäische Kommission gegen Ungarn ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet hat (vgl. Presserklärung der Europäischen Kommission vom 10.12.2015). Dieses hat im Wesentlichen die Effektivität des Rechtsschutzes zum Gegenstand. Erstens befürchtet die Kommission im Hinblick auf die Asylverfahren, dass es im Rahmen von Rechtsbehelfen nicht möglich sei, auf neue Fakten und Umstände zu verweisen, und dass Ungarn Entscheidungen im Falle der Einlegung von Rechtsbehelfen nicht automatisch aussetze, sondern dass Antragsteller bereits vor Verstreichen der Frist für die Einlegung eines Rechtsbehelfs oder vor der Prüfung des Rechtsbehelfs effektiv gezwungen würden, ungarisches Hoheitsgebiet zu verlassen. In der Neufassung der Asylverfahrensrichtlinie seien gemeinsame Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes und klare Vorschriften für die Beantragung von Asyl festgelegt. Sie gelte für alle Anträge auf internationalen Schutz, die im Hoheitsgebiet - auch an den Grenzen, in den Hoheitsgewässern oder in den Transitzonen - der Mitgliedstaaten gestellt werden. Sodann befürchtet die Kommission im Hinblick auf das Recht auf Dolmetscherleistungen und Übersetzungen, dass das ungarische Gesetz über beschleunigte Strafverfahren wegen irregulären Grenzübertritts gegen die Vorschriften der Richtlinie über das Recht auf Dolmetscherleistungen und Übersetzungen in Strafverfahren verstoße, die sicherstelle, dass jede verdächtige oder angeklagte Person, die die Verfahrenssprache nicht verstehe, eine schriftliche Übersetzung aller wichtigen Dokumente, auch eines etwaigen Urteils, erhalte. Schließlich bestünden im Hinblick auf das Grundrecht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und ein unparteiisches Gericht nach Artikel 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union Bedenken hinsichtlich der Tatsache, dass gemäß den neuen ungarischen Vorschriften zur gerichtlichen Überprüfung von Entscheidungen über die Ablehnung eines Asylantrags eine persönliche Anhörung der Antragsteller fakultativ sei. Zudem könne der Umstand, dass gerichtliche Entscheidungen von Gerichtssekretären auf vorgerichtlicher Ebene getroffen werden, einen Verstoß gegen die Asylverfahrensrichtlinie und Artikel 47 der Grundrechtecharta begründen. Gerade der erste Punkt wird aus der Sicht des Senats eindringlich durch verschiedene Erkenntnismittel, die ihm vorliegen, untermauert (vgl. etwa amnesty international, Trampling on the rights of refugees and asylumseekers, May 2016; UNHCR II, Rdn. 38 ff.; amnesty international, So schlecht wie möglich, August 2016).
II.
45 
Die angegriffenen Verfügungen waren nach dem maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung des Senats (vgl. § 77 Abs. 1 AsylG) auch aus einem weiteren Grund aufzuheben.
46 
1. Die in Ziffer 2 verfügte Abschiebungsanordnung setzt nach § 34a Abs. 1 AsylG voraus, dass die Abschiebung in den zuständigen Mitgliedstaat erfolgen kannund dies auch alsbald der Fall sein wird. Bestehen hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass dieses nicht der Fall sein könnte, ist die Beklagte ggf. darlegungspflichtig, dass diese Voraussetzungen gleichwohl (noch) vorliegen (vgl. BVerwG, Urteil vom 27.04.2016 - 1 C 24.15 -, juris). Zum einen ergab sich schon aus dem von der Beklagten selbst dem Senat bereits im Verfahren A 11 S 976/16 vorgelegten Quartalsbericht IV 2015 zum Mitgliedstaat Ungarn vom 27.01.2016, dass im gesamten Jahr 2015 von 33.220 Zustimmungsfällen tatsächlich nur 1.402 nach Ungarn überstellt worden waren, was einer Quote von 4,2 v.H. entsprach; im 4. Quartal war die Quote sogar auf 3,3 v.H. gesunken. Die mittlerweile vorliegende Dublin-Statistik für das 1. Halbjahr und das von der Beklagten im vorliegenden Verfahren vorgelegte statistische Material zeichnen ein vergleichbares Bild; die Überstellungsquote betrug im gesamten 1. Halbjahr 2016 lediglich 7,14 v.H. (vgl. BAMF: Dublin-Statistik 1. Jahreshälfte 2016), was unübersehbar zu einem enormen Rückstau von Überstellungen geführt haben muss. Erst um die Jahresmitte 2016 hat sich die Quote deutlich verbessert, was ersichtlich auf die gesunkene Zahl von Zustimmungen Ungarns zurückzuführen ist. Die Zahlen der erfolgten Überstellungen liegen aber immer noch deutlich unter der Zahl der Zustimmungen. An der sehr niedrigen Überstellungsquote und dem infolge dessen entstandenen extremen Rückstau hat sich somit nichts Grundlegendes geändert, er wächst sogar weiter ständig an. Allerdings finden durchaus regelmäßig Überstellungen statt, obwohl offizielle ungarische Verlautbarungen etwas anderes nahe legen. Soweit die Beklagte darauf abhebt, dass bei der Beurteilung und der Bewertung der Überstellungsquote berücksichtigt werden müssen, dass „viele“ Abschiebungen aus mancherlei Gründen nicht durchgeführt werden könnten, etwa weil sich die Betroffenen verweigern oder entziehen würden, so ist dieses zweifellos richtig. In der mündlichen Verhandlung wurde dieser Aspekt, insbesondere die naheliegende Frage, was unter „viele“ zu verstehen ist erörtert, von der Beklagten aber nicht beantwortet oder erläutert, da sie ohne vorherige Mitteilung der Verhandlung fern geblieben ist. Auch hatte die Beklagte auf die Anfrage des Senats, kein bestimmtes Handlungsmuster darlegen können, nach dem die Überstellungen durchgeführt und v.a. der Rückstau abgearbeitet werden soll, wobei hier nochmals darauf hinzuweisen ist, dass dieser gegenwärtig noch weiter zunimmt. Allein deshalb ist Ziffer 2 der angegriffenen Verfügung aufzuheben. Der Senat sieht sich in seiner Einschätzung, dass der erhebliche Rückstau nicht in absehbarer Zeit abgebaut werden kann und wird, darin bestätigt, dass das für die Aufenthaltsbeendigung in ganz Baden-Württemberg zuständige Regierungspräsidium Karlsruhe auf die Anfrage des Senats am 12.10.2016 mitgeteilt hat, dass im gesamten Jahre 2016 bislang 12 Überstellungen nach Ungarn durchgeführt worden sind. Bereits aufgrund dessen ist die Abschiebungsanordnung aufzuheben.
47 
2. Die dargestellte Problematik hat jedoch auch weitergehende Folgen und berührt - ungeachtet der Ausführungen unter I - die Rechtmäßigkeit der Ziffer 1, in der der Asylantrag als unzulässig abgelehnt worden war.
48 
Steht zum Zeitpunkt der Entscheidung des Senats hinreichend sicher fest, dass innerhalb der nächsten sechs Monate eine Überstellung aus tatsächlichen Gründen nicht möglich sein wird oder durchgeführt werden kann, so gebietet der dem Dublin-System innewohnende Beschleunigungsgedanke (vgl. z.B. EuGH, Urteil vom 14.11.2013 - C-4/11 -, NVwZ 2014, 129, Rn. 33 ff.), dass bereits jetzt von einer Unmöglichkeit der Überstellung und damit dem künftigen Zuständigkeitsübergang auszugehen ist (vgl. Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO). Bei diesen Überlegungen muss - ausgehend von der Annahme, dass die Ziffer 1 sonst an keinen Rechtsfehlen leidet und der Senat als maßgeblichen Zeitpunkt den der mündlichen Verhandlung zugrunde zu legen hat (vgl. § 77 Abs. 1 AsylG) - die Prognose zum Ausgangspunkt nehmen, dass die Überstellungsfrist aktuell zu laufen beginnt, weil der Kläger sein Begehren nicht weiter verfolgen wird. Andernfalls wäre zu Lasten der Betroffenen und unter Vernachlässigung des Beschleunigungsgedankens ein zuverlässiger Ausgangs- und Fixpunkt der Prognose nicht festzulegen mit der Folge, dass die hier bestehende Überstellungsproblematik nicht in einer den berechtigten Interessen der Betroffenen gemäßen Art und Weise sachgerecht bewältigt werden könnte. Bei einer anderen Sichtweise könnte eine Prognoseentscheidung erst dann getroffen werden, wenn die Entscheidung des Senats zu einem jetzt noch ungewissen Zeitpunkt rechtskräftig geworden ist und damit die Überstellungsfrist des Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO (vgl. auch Art. 29 Abs. 1 UA 1) in Lauf gesetzt wurde. Der Senat würde dann auch - gesetzeswidrig - einen anderen (späteren) und gerade nicht den den Vorgaben des § 77 Abs. 1 AsylG entsprechenden Zeitpunkt seiner Entscheidung zugrunde legen. Weshalb in diesem Zusammenhang (wohl vor dem Hintergrund des Art. 29 Abs. 2 Satz 2 Dublin II-VO) generell von einem Prognosehorizont von 18 Monaten auszugehen sein sollte, wie die Beklagte im Verfahren A 11 S 976/16 vorgetragen hat, erschließt sich dem Senat nicht. Denn weder bestehen Anhaltspunkte dafür, dass alle zu Überstellenden flüchtig sind oder sein werden, noch dass solches beim Kläger der Fall sein wird.
49 
Angesichts des oben dargestellten enormen und weiter wachsenden Rückstaus von Überstellungen (allein aus dem Jahr 2015 und der 1. Jahreshälfte 2016) und bei einer nur verschwindend geringen Überstellungsquote ist -auch angesichts der aktuellen offiziellen Äußerungen der ungarischen Regierung vom 26.05.2016, möge diese auch in erster Linie innenpolitisch motiviert sein - für den Senat nicht ersichtlich und von der Beklagten auch nicht plausibel dargelegt, dass in absehbarer Zeit überhaupt noch Überstellungen in nennenswertem Umfang, die in einem angemessenen Verhältnis zur Gesamtzahl der zu überstellenden Personen stehen, durchgeführt werden können. Bei dieser Sachlage ist die Beklagte zur Vermeidung weiterer unzumutbarer dem Beschleunigungsprinzip und der Effektivität des Europäischen Asylsystems zuwider laufender Verzögerungen, verpflichtet, ohne Ermessensspielraum sofort von dem Selbsteintritt nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO Gebrauch zu machen, ohne den sich abzeichnenden Zuständigkeitsübergang nach Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO abwarten zu dürfen.
50 
Nach alledem wird die Beklagte im weiteren Verfahren zu entscheiden haben, ob der am 03.06.2014 gestellte Antrag ein Erstantrag oder Zweitantrag ist. Denn der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung angegeben, dass er seines Wissens nach keinen Asylantrag gestellt hat, jedenfalls aber, sollte er bei seiner Festnahme und dem anschließenden Verhör durch die ungarischen Behörden unbewusst einen Asylantrag gestellt haben, keinen Ablehnungsbescheid erhalten und noch weniger eine Klage angestrengt zu haben.
III.
51 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO; Gerichtskosten werden nicht erhoben (vgl. § 83b AsylG).
52 
Gründe nach § 132 Abs. 2 VwGO, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor.

Tenor

I. Unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 25. Oktober 2016 wird der Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 23. November 2015 aufgehoben.

II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen zu tragen.

III. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die im Jahr 1971 geborene Klägerin und ihre beiden 2006 und 2008 geborenen Kinder sind kurdische Yeziden aus Sheikhan im Irak. Sie reisten am 5. August 2015 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellten am 14. September 2015 beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) Asylantrag.

Bei der Befragung zur Vorbereitung der Anhörung am 14. September 2015 gab die Mutter, die Klägerin zu 1, an, sie habe ihr Heimatland am 1. Juli 2015 verlassen. In der Heimat lebten noch ihr Ehemann und 2 weitere Kinder sowie drei Brüder und zwei Schwestern. Im persönlichen Gespräch zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats am 16. Oktober 2015 gab die Klägerin zu 1 an, sie sei ca. einen Monat unterwegs gewesen und dabei über ihr unbekannte Länder gefahren. In Ungarn seien ihr Fingerabdrücke abgenommen worden.

Nachdem sich ein Eurodac-Treffer für Ungarn ergeben hatte, bat das Bundesamt am 21. Oktober 2015 Ungarn um Übernahme des Asylverfahrens. Der ungarische Staat bestätigte den Empfang der Anfrage am 22. Oktober 2015.

Mit Bescheid des Bundesamts vom 23. November 2015 wurden die Anträge als unzulässig abgelehnt (1.) und die Abschiebung nach Ungarn angeordnet (2.). Das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 12 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (3.). Zur Begründung ist ausgeführt, der Asylantrag sei gemäß § 27a AsylG a.F. unzulässig, da Ungarn nach der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (ABl. L 180 v. 29.6.2013, S. 31 - Dublin III-VO), zur Prüfung der Asylanträge zuständig sei. Außergewöhnliche humanitäre Gründe, die zu einem Selbsteintrittsrecht führen könnten, seien nicht ersichtlich. Der Vortrag der Kläger, dass sie in Ungarn zwei Tage ohne Essen im Gefängnis gewesen seien und die Klägerin zu 1 deshalb aktuell psychisch sehr belastet sei, rechtfertige keine andere Beurteilung. Gründe zur Annahme von systemischen Mängeln im ungarischen Asylverfahren lägen nicht vor. Die in Deutschland lebenden Geschwister bzw. Verwandten der Klägerin zu 1 seien keine „Familienangehörige“ im Sinn der Dublin III-VO. Die Asylanträge würden daher in der Bundesrepublik Deutschland nicht materiell geprüft.

Am 1. Dezember 2015 erhoben die Kläger hiergegen beim Verwaltungsgericht Ansbach Klage und stellten zugleich Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung. Sie führten aus, es sei von systemischen Mängeln des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen in Ungarn auszugehen. Das ergebe sich aus zahlreichen verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen. Zudem werde zu Unrecht angenommen, dass die Kläger der Regelung des § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG (a.F.) unterfielen.

Mit Beschluss des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 4. Januar 2016 wurde die aufschiebende Wirkung der Klage angeordnet und mit Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 7. März 2017 deren Fortdauer (13a AS 17.50010).

In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht am 18. Oktober 2016 erklärten die Kläger, in Ungarn seien zwangsweise Fingerabdrücke abgenommen worden und es sei ihnen keine gute Behandlung widerfahren. Die Kinder hätten trotz starken Fiebers keine Behandlung bekommen; sie seien zusammen mit vielen anderen Personen inhaftiert gewesen.

Mit Urteil vom 25. Oktober 2016 wurde die Klage abgewiesen. Zur Begründung wurde ausgeführt, nach den unionsrechtlichen Rechtsvorschriften sei Ungarn für die Durchführung der Asylverfahren zuständig. Aufgrund der Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage durch Beschluss vom 4. Januar 2016 sei die Wiederaufnahmefrist noch nicht abgelaufen. Derzeit sei auch nicht ernsthaft zu befürchten, dass in Ungarn das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen systemische Mängel aufwiesen. Das gelte auch nach der Verschärfung der gesetzlichen Regelungen in Ungarn zum 15. August 2015. Dafür spreche, dass der UNHCR keine generelle Empfehlung ausgesprochen habe, Asylbewerber nicht nach Ungarn zu überstellen. Auch die nach der Rechtslage mögliche Anwendung von Asylhaft bei Rückkehrern im Dublin-Verfahren führe nicht zur Annahme systemischer Mängel. Das hätten auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (U.v. 3.7.2014 - 71932/12) und der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (B.v. 12.6.2015 - 13a ZB 15.50097 - juris; B.v. 27.4.2015 - 14 ZB 13.30076 - juris) festgestellt. Zwar seien Dublin-Rückkehrer häufiger von Asylhaft betroffen als Ersteinreisende, jedoch würden Asylkläger aus sogenannten anerkennungsträchtigen Herkunftsländern regelmäßig weder in Asylhaft noch in Abschiebehaft genommen, im Zeitraum vom 1. Januar bis 30. Juni 2015 nur 0,7% aller Asylantragsteller. Familien mit minderjährigen Kindern müssten in separaten Gebäuden getrennt von alleinstehenden Männern untergebracht werden. Asylhaft werde nur in begründeten Einzelfällen angewendet. Dass die Haftbedingungen an sich menschenunwürdig wären und es dort systematisch zu Menschenrechtsverletzungen kommen würde, sei nicht ersichtlich. Es gebe regelmäßig eine medizinische Betreuung, teilweise arbeiteten dort Sozialpädagogen und es bestehe die Möglichkeit der freien Bewegung. Den aktuellen Berichten könne weiter nicht entnommen werden, dass den Klägern eine Überstellung von Ungarn nach Serbien drohe. Auch die Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens gegenüber Ungarn durch die europäische Kommission führe nicht per se zur Annahme von systemischen Mängeln im Asylsystem. Die vorübergehenden Kapazitätsprobleme dürften sich mittlerweile nach den von der ungarischen Regierung ergriffenen Maßnahmen wieder entschärft haben.

Auf Antrag der Kläger hat der Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 25. Januar 2017 die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der Frage zugelassen, ob das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen in Ungarn systemische Mängel aufweisen (13a ZB 16.50076).

Zur Begründung ihrer Berufung tragen die Kläger vor, im ungarischen Asylsystem herrschten größere Funktionsstörungen, so dass die ernst zu nehmende Gefahr bestehe, dass sie bei einer Überstellung in einer Weise behandelt würden, die mit ihren Grundrechten nicht vereinbar sei. Insbesondere bestehe mit der Aufnahme von Serbien in die Liste der sicheren Drittstaaten die Gefahr, dass Schutzsuchende nach einer Überstellung nach Ungarn ohne inhaltliche Prüfung ihrer Fluchtgründe in Staaten abgeschoben würden, für die zweifelhaft sei, dass die dortigen Asylverfahren den europäischen Mindestanforderungen entsprächen und Abschiebungen unter Verstoß gegen das Refoulement-Verbot ausgeschlossen seien. Zudem sei zu befürchten, dass das ungarische Asylrecht seit dem 1. August 2015 hinter den europäischen Verfahrensgarantien zurückbleibe. Diese Einschätzung werde bestätigt durch die Berichte von Bordermonitoring, Pro Asyl, Amnesty International, European Council on Refugees and Exiles (ecre) und des Hungarian Helsinki Committee.

Die Kläger beantragen,

den Bescheid des Bundesamts vom 23. November 2015 unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 25. Oktober 2016 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt

Berufungszurückweisung.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichts- und vorgelegten Behördenakten und die Niederschrift über die mündliche Verhandlung am 23. März 2017 verwiesen.

Gründe

Die Berufung ist zulässig und begründet (§ 125 Abs. 1 Satz 1, § 128 Satz 1 VwGO).

I.

Die Klage ist zulässig, insbesondere ist die Anfechtungsklage die allein statthafte Klageart gegen den Bescheid des Bundesamts vom 23. November 2015, wenn es um das Begehren auf Aufhebung einer Entscheidung über die Unzuständigkeit Deutschlands für die Prüfung eines Asylantrags nach den unionsrechtlichen Regelungen der Dublin III-VO geht (BVerwG, U.v. 27.10.2015 - 1 C 32.14 - BVerwGE 153, 162 = NVwZ 2016, 154 zu Art. 2 Buchst. e Dublin II-VO).

II.

Die Klage ist auch begründet. Nach der im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung maßgeblichen Sach- und Rechtslage (§ 77 Abs. 1 AsylG) ist der Bescheid des Bundesamts vom 23. November 2015 rechtswidrig und verletzt die Kläger dadurch in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 VwGO).

1. Gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1a) AsylG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat nach Maßgabe der Dublin III-VO für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist.

Die Reihenfolge der Kriterien zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats richtet sich nach Kapitel III der Verordnung (vgl. Art. 7 Abs. 1 Dublin III-VO). Nach Art. 7 Abs. 2 Dublin III-VO wird bei der Bestimmung des nach diesen Kriterien zuständigen Mitgliedstaats von der Situation ausgegangen, die zu dem Zeitpunkt gegeben ist, zu dem der Asylbewerber seinen Antrag zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat gestellt hat.

Gemessen hieran wäre der beim Bundesamt gestellte Asylantrag gemäß § 29 AsylG unzulässig, weil die Kläger nach den Eurodac-Treffern in Ungarn aus einem Drittstaat kommend die Grenze dieses Mitgliedstaats überschritten haben, der damit nach Art. 13 Abs. 1 Dublin III-VO für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig wäre. Zwischen den Beteiligten besteht auch kein Streit über die prinzipielle Zuständigkeit Ungarns. Die Kläger befürchten allerdings, dass ihnen im Fall ihrer Abschiebung eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung i.S.v. Art. 3 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Europäische Menschenrechtskonvention - EMRK) drohen würde. Davon ist in Ungarn auch auszugehen.

Das gemeinsame europäische Asylsystem stützt sich ebenso wie das deutsche Konzept der „normativen Vergewisserung“ hinsichtlich der Sicherheit von Drittstaaten (siehe hierzu EuGH, U.v. 21.12.2011 - C-411/10 u.a. - NVwZ 2012, 417 Rn. 75 ff.; BVerfG, U.v. 14.5.1996 - 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 - BVerfGE 94, 49) auf die uneingeschränkte und umfassende Anwendung des am 28. Juli 1951 in Genf unterzeichneten Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Flüchtlingskonvention - GFK) und die Versicherung, dass niemand dorthin zurückgeschickt wird, wo er Verfolgung ausgesetzt ist. Dem liegt die Annahme zugrunde, dass alle daran beteiligten Staaten die Grundrechte beachten und dass die Mitgliedstaaten einander insoweit Vertrauen entgegenbringen dürfen. Es wird vermutet, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GR-Charta) sowie mit der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention steht. Wenn ein Mitgliedstaat der Aufnahme des betreffenden Asylbewerbers zugestimmt (oder nicht geantwortet) hat, kann der Asylbewerber der Bestimmung dieses Mitgliedstaats deshalb gemäß Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO nur mit dem Einwand entgegentreten, es gebe wesentliche Gründe für die Annahme, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung i.S.v. Art. 4 GR-Charta mit sich bringen (siehe zur Dublin II-VO EGMR, U.v. 21.1.2011 - M.S.S./Belgien und Griechenland, Nr. 30696/09 - NVwZ 2011, 413; EuGH, U.v. 21.12.2011 - N.S., C-411/10 und C-493/10 - NVwZ 2012, 417; U.v. 10.12.2013 - Abdullahi, C-394/12 - NVwZ 2014, 208). Das ist vorliegend der Fall. Nach den dargestellten Grundsätzen ist es geboten, eine Überstellung nach Ungarn zu unterlassen, weil dort derzeit von systemischen Schwachstellen in diesem Sinn auszugehen ist.

2. Der Senat ist auf der Grundlage des ihm vorliegenden Erkenntnismaterials zur Situation von Asylbewerbern sowie von Dublin-Rückkehrern zu der Überzeugung gelangt, dass bei diesen und damit auch den Klägern eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im Fall der Überstellung/Abschiebung nach Ungarn ernsthaft zu befürchten ist.

a) Das ergibt sich aus der dortigen (gesetzlichen) Entwicklung in den letzten Jahren. Nach der am 1. Juli 2013 in Kraft getretenen Änderung des Asylgesetzes, die die Möglichkeit einer Inhaftierung von Asylbewerbern vorsah, kam es ab Sommer 2015 zu weiteren Gesetzesänderungen betreffend unter anderem die Einführung eines beschleunigten Verfahrens, den Rechtsschutz und die Inhaftierung sowie die Aufnahme von Serbien in eine nationale Liste sicherer Drittstaaten mit der Folge der Unzulässigkeit von Asylanträgen bei Einreise über Serbien (UNHCR, Hungary: As a Country of Asylum, Mai 2016 - UNHCR Mai 2016; Hungarian Helsinki Committee, Information Note v. 7.8.2015: Changes to Hungarian asylum law jeopardise access to protection in Hungary - HHC 7.8.2015; AIDA - Asylum Information Database, Country-Report: Hungary v. November 2015 - aida November 2015; Third Party Intervention by the Council of Europe Commissioner for Human Rights, Applications No. 44825/15 und 44944/15 v. 17.12.2015 - CHR). Im September 2015 wurde mit der Errichtung von Grenzzäunen zu Serbien und Kroatien ein Grenzverfahren in dort eingerichteten Transitzonen etabliert (UNHCR Mai 2016; aida November 2015; CHR). Im Fall von Unzulässigkeit und im beschleunigten Verfahren ist vom Amt für Einwanderung und Staatsbürgerschaft (OIN) innerhalb von 15 Tagen zu entscheiden, im regulären Verfahren innerhalb von zwei Monaten (aida November 2015, S. 12; CHR). Die Rechtsmittelfrist gegen Unzulässigkeitsentscheidungen des OIN bzw. gegen Entscheidungen im beschleunigten Verfahren beträgt drei Tage, im Standardverfahren acht Tage (UNHCR Mai 2016, S. 10; HHC 7.8.2015; aida November 2015, S. 21 ff.). Unter Beibehaltung der im Juli 2013 eingeführten Asylhaft im Allgemeinen wurde die zulässige Haftdauer für Grenzankömmlinge ohne Papiere auf 24 statt bisher 12 Stunden heraufgesetzt und die Haftanordnung im Dublin-Verfahren erleichtert. Im Allgemeinen kann Asylhaft erstmalig maximal für 72 Stunden sowie aufgrund eines Verlängerungsantrags um maximal 60 Tage aus im Einzelnen genannten Gründen angeordnet werden, insbesondere bei unklarer Identität und Gefahr des Untertauchens. Zuvor ist zu prüfen, ob ein milderes Mittel zur Anwendung kommen kann (Auswärtiges Amt, Auskunft an das VG Regensburg v. 27.1.2016: Rücküberstellungen nach Ungarn im Rahmen des Dublin-Verfahrens - AA 27.1.2016). Die maximale Dauer der Asylhaft beträgt 6 Monate, bei Folgeanträgen 12 Monate und bei Familien mit Kindern 1 Monat (AA 27.1.2016; aida November 2015, S. 63). Die bisher verpflichtende Platzgröße für die Asylhaft wurde in eine Empfehlung umgewandelt, die so weit wie möglich einzuhalten ist. Ferner kann OIN Asylantragsteller ohne Dokumente verpflichten, ihr Heimatland zu kontaktieren (HHC 7.8.2015; CHR).

Dublin-Rückkehrer, über deren Erstantrag bei Rückkehr noch nicht entschieden wurde, werden als Erstantragsteller behandelt (AA 27.1.2016). Grundsätzlich hat die Asylbehörde in Fällen, in denen Asylantragsteller während eines laufenden Asylverfahrens in einen Mitgliedstaat weiterreisen, in jedem Verfahrensstadium die Möglichkeit, entweder auf Basis der zur Verfügung stehenden Informationen eine Sachentscheidung zu treffen oder aber das Asylverfahren einzustellen. Regelmäßig wird das Asylverfahren ohne Entscheidung in der Sache eingestellt (AA 27.1.2016; aida November 2015, S. 21 ff.). Die Wiederaufnahme des Verfahrens kann bis zu neun Monate nach Einstellung des Verfahrens beantragt werden (UNHCR Mai 2016, S. 20; AA 27.1.2016). Danach wird die Einstellung endgültig und der Asylbewerber wird wie ein Folgeantragsteller behandelt, wobei Änderungen dergestalt in Planung seien, dass der Asylantrag auch in diesem Fall vollumfänglich geprüft werde (AA 27.1.2016).

b) Angesichts dieser Ausgangslage, die nach dem vorliegenden Erkenntnismaterial ab dem Jahr 2013 bis zum jetzigen Zeitpunkt durch eine fortschreitende (gesetzliche) Intensivierung und Verschärfung gekennzeichnet ist, besteht für die Kläger insbesondere die Gefahr, in Ungarn ohne ausreichende gesetzmäßige Anordnung und ohne effektive Rechtsschutzmöglichkeiten inhaftiert zu werden.

Die Anordnung der Asylhaft ist schon nach den gesetzlichen Vorgaben in großem Umfang zulässig. Danach kann Asylhaft angeordnet werden 1. bei unklarer Identität oder Staatsangehörigkeit, 2. bei Ausländern, die sich im Ausweisungsverfahren befinden und einen Asylantrag stellen, obwohl sie diesen zweifelsfrei bereits zuvor hätten stellen können oder um eine drohende Aufenthaltsbeendigung zu verzögern oder abzuwenden, 3. wenn der Sachverhalt des Asylbegehrens aufgeklärt werden muss und eine Aufklärung nicht ohne Haft möglich ist, speziell wenn die Gefahr des Untertauchens besteht, 4. wenn der Asylbewerber eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt, 5. wenn der Asylantrag im Flughafenbereich gestellt wurde oder 6. zur Sicherstellung der Durchführung des Dublin-Verfahrens, wenn die ernsthafte Gefahr des Untertauchens besteht (AA 27.1.2016). Diese Formulierung der Haftgründe ist sehr weit gefasst und lässt damit Raum für eine weitreichende Inhaftierung von Asylbewerbern (siehe auch UNHCR, Stellungnahme an das VG Düsseldorf v. 30.9.2014: Situation der Flüchtlinge und Asylsuchenden in Ungarn, insbesondere Dublin-Rückkehrer und Inhaftierungen - UNHCR 30.9.2014; Pro Asyl, Stellungnahme an das VG Düsseldorf vom 31.10.2014: Haftsituation von Asylbewerbern in Ungarn - Pro Asyl 31.10.2014; aida November 2015, S. 59 ff.).

Auch die tatsächliche Praxis der Inhaftierung in Ungarn wird schon länger in vielen Punkten erheblich kritisiert. So solle das OIN vor einer Haftanordnung zwar prüfen, ob Alternativen zur Haft bestünden, aber nach Auskunft des Hungarian Helsinki Committee und Pro Asyl (Brief Information Note for the Seminar on the Right to Asylum in Europe, Barcelona, 9.-10.6.2016: The Reception Infrastructure for Asylum-Seekers in Hungary - HHC Juni 2016; Pro Asyl 31.10.2014) werde hiervon nur in Ausnahmefällen Gebrauch gemacht; Verlängerungen würden automatisch für den Höchstzeitraum beantragt und die Haftanordnungen seien nicht individualisiert (UNHCR 30.9.2014; Pro Asyl 31.10.2014). Kritisch angemerkt wird dabei ferner, dass es in „Asylhaft“-Einrichtungen des OIN praktisch kein ausgebildetes Personal gebe; Sozialarbeiter erhielten nur Zugang unter Begleitung einer bewaffneten Wache. Auch wenn sich die Inhaftierten zwischen 6.00 und 23.00 Uhr innerhalb der Hafteinrichtungen frei bewegen könnten (Pro Asyl 31.10.2014) und es in der polizeilichen „Einwanderungshaft“ für Folgeantragsteller ausgebildetes Bewachungspersonal gebe (UNHCR 30.9.2014), wird festgestellt, dass Asylbewerber bei etwaigen Behördengängen und Gerichtsterminen wie im Strafverfahren gefesselt und mit Handschellen vorgeführt würden (aida November 2015, S. 65; CHR). Weiter wird kritisiert, dass die Inhaftierungsquote ab dem Jahr 2013 kontinuierlich angestiegen sei. Während in einer Auskunft des Auswärtigen Amts vom 3. Juli 2015 an das Verwaltungsgericht Hannover (AA 3.7.2015) noch angegeben wurde, dass im Zeitraum vom 1. Januar bis 31. Mai 2015 2,1% aller Asylantragsteller und 6 bis 10% der Dublin-Rückkehrer in Asylhaft genommen worden seien, komme es in der Praxis nach Auskunft von aida (November 2015, S. 62) und CHR sehr häufig zu Inhaftierungen und entgegen der gesetzlichen Regelung seit September 2014 auch bei Familien mit Kindern, die unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten von Gesetzes wegen als schwerwiegendstes Mittel bis zu 30 Tage inhaftiert werden könnten. UNHCR kann jedoch nicht bestätigen, dass die Haft nur unter dieser Voraussetzung stattfindet (UNHCR 30.9.2014). Pro Asyl gibt vielmehr an, dass OIN ab September 2014 Familien verstärkt inhaftiert habe (Pro Asyl 31.10.2014). Anlässlich seines Besuchs vom 24. bis 27. November 2015 wurde dem CHR von OIN mitgeteilt, dass sich derzeit 525 Asylantragsteller in offenen Aufnahmeeinrichtungen befänden und 412, mithin ca. 44%, inhaftiert seien. Anfang November 2015 soll die Inhaftierungsquote CHR zufolge sogar 52% gegenüber 11% im Jahr 2014 betragen haben (siehe auch HHC v. Juni 2016). Zudem scheint sich nach Auffassung der genannten Organisationen der ungenügende Gebrauch von Haftalternativen fortzusetzen. Auch das Problem der willkürlichen Inhaftierung sei weiterhin akut. Nach Auskunft von HHC waren am 30. Mai 2016 insgesamt 702 Asylbewerber in Haft, 1.583 in offenen Aufnahmeeinrichtungen. Zuletzt meldete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich (Kurzinformation Ungarn v. 14.12.2016: Zentrum Bicske geschlossen - BFA 14.12.2016), dass im Dezember 2016 nach offiziellen Zahlen 192 Migranten in offener und 301 in geschlossener Unterbringung aufhältig waren. Zur Haftdauer berichtet Pro Asyl in Zusammenarbeit mit dem HHC, das wiederum eine Anfrage an OIN richtete, dass die durchschnittliche Haftdauer im Zeitraum vom 1.7.2013 bis 31. August 2014 dem OIN zufolge zwar „nur“ 32 Tage betragen habe, nach den eigenen Einschätzungen und einer Untersuchung des HHC allerdings deutlich länger sei. Die Diskrepanz beruhe auf vermutlich darauf, dass OIN nicht nur die Zeit von Inhaftierungen einrechne, sondern auch diejenigen Fälle ohne jegliche Inhaftierung.

Schließlich wies HHC im Juni 2016 nochmals ausdrücklich darauf hin, dass Ungarn einer der wenigen Staaten in Europa sei, in dem Asylerstantragsteller in der Regel für mehrere Monate inhaftiert würden (HHC Juni 2016). Dublin-Rückkehrer würden in der Praxis regelmäßig inhaftiert (so auch UNHCR 30.9.2014; Pro Asyl 31.10.2014; CHR). Diese Haft werde als „Asylhaft“, nicht als „Abschiebehaft“ oder „Einwanderungshaft“ verhängt (UNHCR 30.9.2014). Auch das Auswärtige Amt (AA 3.7.2015) gibt an, dass die Wahrscheinlichkeit, in Haft genommen zu werden, im ersten Halbjahr 2015 für Dublin-Rückkehrer gegenüber Neuankömmlingen erhöht gewesen sei.

Zudem lässt sich den Erkenntnisquellen nicht entnehmen, dass ein effektiver Rechtsschutz existieren würde. Insbesondere bestehen für das OIN und auch die Gerichte sehr restriktive Fristenregelungen zur Entscheidung. Diese sind nicht ausreichend, um die Durchführung eines rechtsstaatlichen Verfahrens zu gewährleisten. Bei Fristen im Tagebereich wie dargestellt können die unverzichtbaren Anforderungen an ein solches Verfahren einschließlich Dolmetscher, Anhörung, (individualisierter) Herkunftslandinformationen etc. nicht eingehalten werden (siehe hierzu HHC 7.8.2015; aida November 2015; CHR). Gleiches gilt für die Rechtmittelfristen (siehe auch aida November 2015; CHR). Weiter gibt es zwar de iure Zugang zu Rechtsberatung, in der Praxis ist diese aber den Auskünften zufolge mangels entsprechender staatlicher Finanzierung nicht verfügbar (UNHCR 30.9.2014). Soweit überhaupt staatliche Anwälte bestellt seien, agierten diese passiv (Pro Asyl 31.10.2014; aida November 2015). Tatsächlich gebe es damit nur Zugang zu den (Vertrags-)Anwälten des HHC, so dass nur eine Minderheit anwaltliche Vertretung erhalte (Pro Asyl 31.10.2014). Außerdem ist gegen die Verhängung von „Asylhaft“ kein gesetzlicher Rechtsbehelf vorgesehen, sondern nur eine sogenannte „Einspruchsmöglichkeit“. Nach den Informationen von UNHCR werde aber auch hiervon aus Unkenntnis kein Gebrauch gemacht (UNHCR 30.9.2014). Gegen die „Einwanderungshaft“ gebe es ebenfalls keinen Rechtsbehelf, nur eine automatische Überprüfung (UNHCR 30.9.2014). Die gerichtliche Haftüberprüfung erfolge in einem „automatisierten“ Prozess alle 60 Tage durch dieselben (Straf-)Richter, die die Erstprüfung durchgeführt hätten (UNHCR 30.9.2014; Pro Asyl 31.10.2014; aida November 2015, S. 67 ff.). In der täglichen Praxis würden Entscheidungen für 5 bis 15 Häftlinge innerhalb von 30 Minuten gefällt, ohne dass eine individuelle Prüfung erfolgen könne (UNHCR 30.9.2014; Pro Asyl 31.10.2014). Schon im Jahr 2012 habe der Oberste Gerichtshof (Kuria) eine Untersuchung in Auftrag gegeben, die 8.000 Entscheidungen analysiert habe, von denen nur in drei Fällen keine Haftverlängerung erfolgt sei (UNHCR 30.9.2014). Die Asylarbeitsgruppe am Obersten Gerichtshof bestätigte im Oktober 2014, dass die gerichtliche Überprüfung der Asylhaft wirkungslos sei (aida November 2015, S. 67 ff.). Die Entscheidungen seien schematisch, das Verfahren nicht individualisiert und es erfolge keine Überprüfung, ob die Haft das einzige Mittel sei. Seit der Beanstandung durch die Kuria habe sich aber in der Praxis nichts geändert (aida November 2015, S. 67 ff.). Angesichts dieser gravierenden Missstände kann der Rechtsschutz damit insgesamt gesehen nicht mehr als wirksam bezeichnet werden.

Die Bewertung dieser Erkenntnisse ist insofern mit Schwierigkeiten verbunden, als jeweils nur punktuelle Angaben gemacht, wie etwa zu bestimmten Zeiträumen oder zu den betroffenen Gruppen, und keine statistisch aufbereiteten Daten für die Jahre 2014, 2015 und 2016 genannt werden zur (Gesamt-)Anzahl der Asylanträge in Ungarn, zur Anzahl der Dublin-Rückkehrer und zu den Verhältnissen in der Transitzone sowie dem jeweiligen Anteil an Inhaftierungen. Das kann wohl kaum darin begründet sein, dass keine offiziellen statistischen Informationen vorlägen, etwa ob Dublin-Rückkehrer regelmäßig oder ausnahmsweise inhaftiert werden, wie das Auswärtige Amt angibt (AA 27.1.2016). Denn das widerspräche zum einen dessen eigener Aussage in der Auskunft an das Verwaltungsgericht Hannover (AA 3.7.2015), wonach im Zeitraum vom 1. Januar bis 31. Mai 2015 6 bis 10% der Dublin-Rückkehrer in Asylhaft genommen worden seien. Zum anderen wurde dem CHR im November 2015 von OIN mitgeteilt, dass es zu diesem Zeitpunkt eine allgemeine Inhaftierungsquote von ca. 44% gegeben habe und von den in diesem Jahr durchgeführten 1.338 Dublin-Überstellungen 332 Rückkehrer in Asylhaft genommen worden seien, also ca. 25%. Auch wenn hiermit keine übergreifende Aussage getroffen wird, die Angaben zur Inhaftierungsquote sehr differieren und nicht zu erkennen ist, inwieweit sich die statistischen Ausgangsdaten decken, lässt sich in der Zusammenschau mit den weiteren Angaben, insbesondere des Hungarian Helsinki Committee (Hungary: Key Asylum Figures as of 1 September 2016 - HHC 1.9.2016: am 29.8.2016 waren 233 von 707 Asylbewerbern in Haft) und des österreichischen Bundesamts für Asylwesen (BFA 14.12.2016: im Dezember 2016 waren 192 Migranten in offener und 301 in geschlossener Unterbringung aufhältig), dennoch ein Gesamtbild entnehmen. Die vorliegenden Erkenntnisse zeigen deutlich, dass die Inhaftierung von Asylbewerbern in Ungarn weit verbreitet ist. Es tritt klar zu Tage, dass die gesetzlichen Vorgaben eine weitreichende Anordnung von Haft ermöglichen und sie auch in der praktischen Handhabung in beachtlichem Umfang stattfindet. Da zudem die Anordnung der Haft schematisch und ohne Einzelfallprüfung erfolgt und eine gerichtliche Überprüfung faktisch nicht stattfindet, muss davon ausgegangen werden, dass Dublin-Rückkehrer wie die Kläger im Fall ihrer Überstellung nach Ungarn einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinn von Art. 3 EMRK ausgesetzt wären. Diese Einschätzung wird auch bestätigt durch deren unbestrittenen Angaben, dass sie in Ungarn bereits inhaftiert gewesen seien.

c) Ein weiterer Grund für die Annahme, dass das Asylverfahren in Ungarn systemische Schwachstellen aufweist, die zu einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung führen, ist die ernsthafte Gefahr eines Verstoßes gegen das Refoulement-Verbot des Art. 33 Abs. 1 GFK. Im Fall einer Rückführung nach Ungarn würde die Abschiebung nach Serbien drohen. Neben den bereits erwähnten Gesetzesänderungen wurde im Juli 2015 eine nationale Liste von sicheren Drittstaaten, zu denen aus ungarischer Sicht auch Serbien gehört, aufgestellt (UNHCR Mai 2016, S. 15 ff.; HHC 7.8.2015; aida November 2015, S. 43 ff.; CHR). Das widerspricht dem europarechtlichen Konzept des sicheren Drittstaats, der Position von UNHCR und steht auch im Widerspruch zum Leitfaden des ungarischen Obersten Gerichtshofs. Mit der Gesetzesänderung wird das OIN ermächtigt, ohne inhaltliche Überprüfung des Asylbegehrens alle Anträge von Asylbewerbern abzulehnen, die durch einen solchen sicheren Drittstaat gekommen sind. Die Betroffenen werden dabei zwar informiert, dass ein Dublin-Verfahren eingeleitet wird, aber nicht mehr über die weiteren Verfahrensschritte. Sie bekommen die Unzulässigkeitsentscheidung zwar mündlich in einer ihnen verständlichen Sprache mitgeteilt, nicht aber eine schriftliche Übersetzung (aida November 2015, S. 23). Erschwerend kommt hinzu, dass es gegen die Entscheidung des OIN faktisch kaum Rechtsschutz gibt. Zwar kann gegen die Entscheidung des OIN unter bestimmten Voraussetzungen und mit inhaltlichen Vorgaben ein Rechtsmittel eingelegt werden, jedoch beträgt die Frist hierfür, wie bereits dargelegt, nur drei Tage bzw. nach einer weiteren Gesetzesänderung im September 2015 sieben Tage (UNHCR Mai 2016, S. 18; aida November 2015, S. 25-27). In dieser kurzen Zeitspanne kann weder ein Rechtsbeistand erlangt noch ein substantiierter Rechtsbehelf erhoben werden, zumal die lückenhafte Information der Asylantragsteller und Verständigungsschwierigkeiten noch berücksichtigt werden müssen. Die gerichtliche Überprüfung einer Unzulässigkeitsentscheidung muss innerhalb von acht Tagen nach dem Antrag auf Überprüfung erfolgen; ein Anhörungsrecht des Asylsuchenden besteht nicht (UNHCR Mai 2016, S. 18; aida November 2015, S. 25-27). Selbst wenn eine gerichtliche Entscheidung erlangt werden kann, wird diese vom OIN entweder gar nicht, verspätet oder sehr zögerlich umgesetzt (UNHCR Mai 2016, S. 18)

Im Ergebnis würde damit eine quasi automatische Zurückweisung ohne inhaltliche Überprüfung der Schutzbedürftigkeit stattfinden mit der Folge einer unverzüglichen Abschiebung nach Serbien, wo derzeit kein Schutz verfügbar ist und zudem die Gefahr einer Kettenabschiebung unter Verstoß gegen das Refoulement-Verbot besteht (siehe aida November 2015, S. 45; HHC 7.8.2015). Die Regelung findet auch auf Dublin-Rückkehrer Anwendung, die vor Inkrafttreten der gesetzlichen Regelung am 1. August 2015 über Serbien als - aus ungarischer Sicht - sicherem Drittstaat eingereist sind (aida November 2015, S. 24). Damit wären auch die Kläger der Gefahr einer Rückführung nach Serbien ausgesetzt, ohne dass sie vorher angehört würden oder dass ein wirksamer Rechtsschutz gegen die Entscheidung des OIN zur Verfügung stünde (aida November 2015, S. 24 ff.).

Die dargestellte Gesetzesänderung entzieht dem Einwand der Beklagten, gegenwärtig bestehe keine reale und durch Tatsachen belegte Gefahr, dass Schutzsuchende bei einer Rücküberstellung nach Ungarn einem indirekten Verstoß gegen das Refoulement-Verbot ausgesetzt sein könnten, den Boden. Unstreitig lässt die Gesetzeslage in Ungarn jedenfalls die Abschiebung nach Serbien ohne jegliche inhaltliche Prüfung des Asylbegehrens zu. Inwieweit Serbien tatsächlich die Übernahme von Drittstaatsangehörigen aus Ungarn ablehnt, bleibt dabei insoweit ohne Bedeutung, als das OIN vom Gesetzgeber zur sofortigen Abschiebung ermächtigt wurde. Zwar mag diese im Einzelfall mangels Nachweis, dass die Betroffenen tatsächlich über Serbien eingereist sind, oder weil zwischen dem Grenzübertritt von Serbien nach Ungarn und dem Antrag auf Rückübernahme mehr als ein Jahr verstrichen ist (AA 27.1.2016) tatsächlich nicht durchgeführt werden können. Das vermag aber an der gesetzlichen Zulässigkeit einer Abschiebung nichts zu ändern. Zudem finden den Erkenntnisquellen zufolge durchaus Rückübernahmen statt, auch wenn Serbien nur unter bestimmten Voraussetzungen zustimmt. So wurden im Zeitraum von Januar bis Mai 2016 in der Praxis pro Woche durchschnittlich zwei Personen rückübernommen (UNHCR Mai 2016). Allein die Tatsache, dass es sich hierbei nicht um eine exorbitante Größenordnung handeln mag, rechtfertigt die Verneinung einer realen Gefahr nicht (in diesem Sinn auch zu § 34a AsylG: OVG SH, B.v. 21.11.2016 - 2 LA 111/16 - juris). Das übersieht die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Berlin (U.v. 13.12.2016 - 3 K 509.15 A - juris), in der nur darauf abgestellt wird, dass Serbien die Übernahmeersuchen Ungarns formal ablehne. Angesichts der tatsächlich stattfindenden Abschiebungen und der dargestellten gesetzlichen Zulässigkeit bestehen vielmehr erhebliche Anhaltspunkte dafür, dass ohne inhaltliche Prüfung von Asylanträgen eine Abschiebung nach Serbien erfolgen könnte. Wenn die Beklagte demgegenüber unter Berufung auf das Verwaltungsgericht Berlin der Auffassung ist, dass vorliegend ausnahmsweise kein Risiko bestehen sollte, unter Verstoß gegen das Refoulement-Verbot von Ungarn nach Serbien abgeschoben zu werden, wäre es ihre Aufgabe, die Gründe hierfür näher darzulegen. Das ist nicht geschehen.

d) Die Einschätzung zum Vorliegen von systemischen Schwachstellen entspricht auch der Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg (U.v. 13.10.2016 - A 11 S 1596/16 - DVBl 2016, 1615) und des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts (B.v. 20.12.2016 - 8 LB 184/15 - juris, Bezug nehmend auf U.v. 15.11.2016 - 8 LB 92/15 - juris). Die gegenteilige Ansicht des Verwaltungsgerichts Berlin (U.v. 13.12.2016 - 3 K 509.15 A - juris), auf die sich die Beklagte beruft, erklärt nicht, weshalb sich aus den genannten Daten keine belastbaren Erkenntnisse ergeben sollten, welche die hier und von den beiden weiteren Obergerichten vorgenommene Bewertung stützen könnten. Unter anderem wegen der dortigen Inhaftierungspraxis hat im Übrigen mittlerweile auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (U.v. 17.3.2017 - 47287/15 - abrufbar unter https: …dejure.org/2017, 6131) Ungarn zur Zahlung von Schadenersatz verurteilt, weil die Rechtsgrundlagen für die Inhaftierung unbestimmt seien und sie aufgrund einer formalen Entscheidung ohne individuelle Prüfung erfolge. Im Hinblick auf die Einstufung von Serbien als sicheren Drittstaat geht der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ebenfalls von einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung im Sinn von Art. 3 EMRK aus. Diese ergebe sich bereits daraus, dass die Betroffenen mangelhaft informiert würden, deshalb keinen effektiven Zugang zu den relevanten Verfahren hätten und ihre Rechte nicht substantiiert geltend machen könnten. Gerügt wird weiter die fehlende Prüfung der individuellen Risiken, was dazu führe, dass in einer automatisierten Weise (Ketten-)Abschiebungen stattfinden würden. Die ungarische Regierung vermöge keine überzeugende Erklärung zu geben, weshalb Serbien entgegen den allgemeinen europarechtlichen Einschätzungen und den Berichten der internationalen Institutionen als sicherer Drittstaat eingestuft werde. Insgesamt vermag der Gerichtshof deshalb nicht zu erkennen, dass effektive Garantien vorhanden seien, die die Betroffenen davor schützen würden, mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit einer unmenschlichen Behandlung ausgesetzt zu sein.

3. Angesichts dieser systemischen Schwachstellen - wie dargelegt - kommt es auch auf den Einwand der Beklagten nicht mehr an, die Auffassung des Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg (U.v. 13.10.2016 a.a.O. Rn. 45 ff.) zur Abschiebungsanordnung nach § 34a Abs. 1 AsylG könne nicht geteilt werden. Danach sei Voraussetzung einer Abschiebungsanordnung nach § 34a Abs. 1 AsylG, dass die Abschiebung in den zuständigen Mitgliedstaat erfolgen könne und dies auch alsbald der Fall sein werde. Bestünden aufgrund einer in Relation zu den Übernahmezustimmungen niedrigen Quote an vollzogenen Überstellungen hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass dieses nicht der Fall sein könnte, führe dies zur Rechtswidrigkeit der Abschiebungsanordnung. Diese Frage kann hier dahingestellt bleiben, weil sich die Rechtswidrigkeit der Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 AsylG (bzw. § 27a AsylG a.F.) schon aus dem Vorliegen systemischer Schwachstellen in Ungarn ergibt mit der Folge, dass auch die hierauf gestützte Abschiebungsanordnung rechtswidrig ist. Im Übrigen hat der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg seine Einschätzung in erster Linie ebenfalls auf das Vorliegen von systemischen Schwachstellen gestützt und lediglich ergänzend ausgeführt, dass die angegriffenen Verfügungen auch aus diesem weiteren Grund aufzuheben seien. Die Zuständigkeit sei auch deshalb auf die Bundesrepublik Deutschland übergegangen, weil eine Überstellung bis zum Ablauf der Überstellungsfrist nicht mehr durchgeführt werde. Gleiches gilt für die Entscheidung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts (B.v. 20.12.2016 a.a.O. Rn. 60 ff.). Dessen ungeachtet gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass Abschiebungen nach Ungarn nicht erfolgen könnten. So gibt HHC 1.9.2016 an, dass von Januar bis Juli 2016 377 Dublin-Rückführungen nach Ungarn stattgefunden hätten, davon 203 aus Deutschland (siehe hierzu auch OVG SH, B.v. 21.11.2016 - 2 LA 111/16 - juris).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.

Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 VwGO sind nicht gegeben, da der Frage, ob in Ungarn systemische Schwachstellen bestehen, nur in tatsächlicher Hinsicht eine grundsätzlich Bedeutung zukommt.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden in Streitigkeiten nach diesem Gesetz nicht erhoben.

(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.

(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.