Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 5. September 2017 wird abgelehnt.

II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.867,90 € festgesetzt.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts wird abgelehnt, da keiner der geltend gemachten Zulassungsgründe vorliegt.

1. Aus dem Vorbringen des Klägers in seinem Zulassungsantrag ergeben sich keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestehen nur, wenn einzelne tragende Rechtssätze oder erhebliche Tatsachenfeststellungen des Verwaltungsgerichts durch schlüssige Gegenargumente in Frage gestellt werden. Schlüssige Gegenargumente liegen vor, wenn der Antragsteller substantiiert rechtliche oder tatsächliche Umstände aufzeigt, aus denen sich die gesicherte Möglichkeit ergibt, dass die erstinstanzliche Entscheidung unrichtig ist (vgl. BVerfG, B.v. 3.3.2004 – 1 BvR 461/03 – BVerfGE 110, 77/83; B.v. 20.12.2010 – 1 BvR 2011/10 – NVwZ 2011, 546). Dabei kommt es grundsätzlich nicht auf einzelne Elemente der Urteilsbegründung an, sondern auf das Ergebnis der Entscheidung, also auf die Richtigkeit des Urteils nach dem Sachausspruch in der Urteilsformel (vgl. BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4/03 – DVBl 2004, 838; BayVGH, B.v. 24.2.2006 – 1 ZB 05.614 – juris Rn. 11; B.v. 19.3.2013 – 20 ZB 12.1881 – juris Rn. 2).

Der Kläger lässt im Zulassungsverfahren zunächst vortragen, dass die erste Änderungssatzung zur Wasserabgabesatzung wegen rechtswidriger Einbeziehung des Ortsteils W. rechtswidrig sei. Dem stehe die Rechtskraft des Urteils des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs im Normenkontrollverfahren (Urteil vom 10.7.2013, Az.: 4 N 12.2790) nicht entgegen, denn es lägen neue Erkenntnisse zu den geologischen Gegebenheiten über die alte Kasernenleitung vor, welche der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in seiner Entscheidung nicht berücksichtigt habe und diese somit die tragenden Entscheidungsgründe des Urteils des Bayerischen Verwaltungsgerichtshof infrage stellen könnten. Dieser Vortrag kann ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts nicht begründen. Zwischen den Beteiligten steht aufgrund dieser Normenkontrollentscheidung fest, dass die maßgebliche Änderungssatzung gültig ist. Diese Bindung gilt nicht nur für ein erneutes Normenkontrollverfahren, sondern für alle Verfahren zwischen den Beteiligten, bei denen es auf die Gültigkeit der Satzung ankommt; die Bindungswirkung erstreckt sich nicht nur auf Nichtigkeitsgründe, die bereits in dem ersten Normenkontrollverfahren geltend gemacht worden sind, sondern auch auf Einwände, die in den späteren Verfahren erstmalig vorgetragen werden (vgl. BVerwG, B. v. 16.7.1990 - 4 NB 20.90 - Buchholz 310 § 121 VwGO Nr. 60 S. 10<11>). Die Bindungswirkung entfiele nur dann, wenn nach Erlass der rechtskräftigen Normenkontrollentscheidung eine entscheidungserhebliche Änderung der Sach- oder Rechtslage eingetreten wäre (BVerwG, B. v. 3. 11.1993 - BVerwG 4 NB 33.93 - Buchholz 310 § 121 VwGO Nr. 66 S. 25<26> m.w.N.). Daran fehlt es jedoch. Der Kläger beruft sich nämlich nach wie vor auf eine Sachlage, die vor der Entscheidung des Normenkontrollgerichts angesiedelt ist. Er ist lediglich der Meinung, dass aufgrund neuer Erkenntnisse die Einschätzung des Normenkontrollgerichts, die Wasserabgabesatzung der Beklagten sei rechtswirksam, zu revidieren sei. Damit handelt es sich nicht um eine gegenüber der abweisenden Normenkontrollentscheidung geänderte Sach- und Rechtslage, welche die Wasserabgabesatzung im Nachhinein nichtig werden lässt. Im Übrigen hat der Kläger im Zulassungsverfahren nicht dargelegt, warum die fachbehördliche Gefahrenprognose durch die nahe gelegene stillgelegte Hausmülldeponie insgesamt nicht mehr bestehen sollte, sodass er auch das Darlegungserfordernis des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO hier nicht erfüllt hat.

Der Kläger rügt weiter, dass entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts im vorliegenden Fall durch die erteilte Befreiung vom Anschluss- und Benutzungszwang die Beitragspflicht sehr wohl berührt worden sei. Das Verwaltungsgericht hat in seiner Entscheidung jedoch zu Recht auf die ständige Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (vgl. nur U.v. 31.5.2000 – 23 B 99.3480 – juris Rn. 22) verwiesen, nach der die Befreiung vom Anschluss- und Benutzungszwang die Beitragspflicht unberührt lässt. Mit dieser Rechtsprechung setzt sich der Zulassungsantrag des Klägers nicht substantiiert auseinander. Die vom Kläger angeführten Zumutbarkeitsgesichtspunkte können bei der Befreiung vom Anschluss- und Benutzungszwang berücksichtigt werden. An dem grundsätzlichen Entstehen der Beitragspflicht ändern diese jedoch nichts. Sie können allenfalls im Wege der Entscheidung über eine Stundung, Ratenzahlung oder dem Erlass (Art. 13 Abs. 1 Nr. 5 Buchst. a KAG i.V.m. §§ 222, 227 AO) der Beitragsforderung Berücksichtigung finden, soweit deren gesetzliche Voraussetzungen tatsächlich erfüllt sind.

Weiter meint der Kläger, die Entscheidung des Verwaltungsgerichts begegne ernstlichen Zweifeln, weil es nicht zutreffend sei, dass die Umgriffsfläche ordnungsgemäß ermittelt worden sei. Er beschränkt sich hier allerdings auf ein bloßes Bestreiten der Ausführungen des Verwaltungsgerichts in Form einer Berufungsbegründung und genügt damit den Darlegungsanforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO nicht.

2. Ein Berufungszulassungsgrund gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO liegt ebenfalls nicht vor.

Besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten im Sinn dieser Bestimmung weist eine Rechtssache auf, wenn die Beantwortung der für die Entscheidung erheblichen Fragen in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht voraussichtlich das durchschnittliche Maß nicht unerheblich überschreitende Schwierigkeiten bereitet, wenn sich diese also wegen ihrer Komplexität und abstrakten Fehleranfälligkeit aus der Mehrzahl der verwaltungsgerichtlichen Verfahren heraushebt (vgl. BayVGH, B.v. 3.11.2011 – 8 ZB 10.2931 – BayVBl 2012, 147/149 = juris Rn. 28; B.v. 10.4.2017 – 15 ZB 16.673 – juris Rn. 42 jeweils m.w.N.). Das ist hier nicht der Fall. Der Kläger meint zunächst, dass sich durch die Fülle der Vorentscheidungen rechtliche Schwierigkeiten ergäben, zeige sich schon darin, dass das Verwaltungsgericht eine Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs falsch interpretiert habe. Damit wiederholt der Kläger lediglich seinen Vortrag zu den ernstlichen Zweifeln der Rechtssache (vgl. 1.). So kann er eine besondere rechtliche Schwierigkeit der Sache nicht darlegen. Soweit er noch meint, dass sich eine besondere Schwierigkeit daraus ergebe, dass im Hinblick auf die Wasserversorgung sehr alte Tatbestände, eine alte Kasernenversorgungsleitung, alte Deponien sowie komplizierte wasserrechtliche und hydrogeologische Aspekte entscheidungserheblich seien, so ist aus diesem Vortrag bereits nicht nachzuvollziehen, welche Tatsachenfragen mit besonderer Schwierigkeit zu beantworten sein und die Durchführung eines Berufungsverfahrens rechtfertigen sollten. Soweit er sich hier wiederum gegen die Wirksamkeit der Wasserabgabesatzung der Beklagten wendet, muss auch hier auf die entgegenstehende Rechtskraft der Normenkontrollentscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs verwiesen werden.

3. Die Berufung ist auch nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).

Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache zu, wenn eine konkrete Rechts- oder Tatsachenfrage für die Entscheidung des Rechtsstreits erheblich, bislang höchstrichterlich oder obergerichtlich nicht geklärt und über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus bedeutsam ist; die Frage muss ferner im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts einer berufungsgerichtlichen Klärung zugänglich sein und dieser Klärung auch bedürfen (vgl. BVerfG, B.v. 9.6.2016 – 1 BvR 2453/12 – NVwZ 2016, 1243 = juris Rn. 20; BVerwG, B.v. 4.8.2017 – 6 B 34.17 – juris Rn. 3; BayVGH, B.v. 10.4.2017 – 15 ZB 16.673 – juris Rn. 33 jeweils m.w.N.). Die grundsätzliche Bedeutung ist zu verneinen, wenn eine Rechtsfrage sich ohne weiteres aus der Anwendung anerkannter Auslegungsmethoden beantworten lässt (vgl. BVerfG, B.v. 29.7.2010 – 1 BvR 1634/04 – NVwZ 2010, 1482 = juris Rn. 62). So liegt der Fall hier. Die grundsätzliche Frage, ob eine Befreiung vom Anschluss- und Benutzungszwang die Herstellungsbeitragspflicht berührt, ist, wie bereits ausgeführt, vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof dahingehend beantwortet, dass die Befreiung die Beitragspflicht grundsätzlich nicht berührt. Soweit der Kläger mit seinem Vortrag gemeint hat, dass aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalls hier auch ein zeitlich begrenztes Absehen von der Erhebung des Beitrages gerechtfertigt sei, so handelt es sich hierbei um eine Frage des Einzelfalls und nicht um eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung.

4. Der vom Kläger gerügte Verfahrensmangel (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) liegt nicht vor. Er macht geltend, dass das Verwaltungsgericht im Rahmen des Ermittlungsgrundsatzes nach § 86 VwGO die Behauptungen des Klägers im Hinblick auf die geologischen Gegebenheiten und über die alte Kasernenleitung hätte überprüfen müssen. Dies trifft jedoch nicht zu. Wie bereits ausgeführt, musste das Verwaltungsgericht die Bindungswirkung der Normenkontrollentscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs beachten und von der Wirksamkeit der Änderungssatzung zu der Satzung für die öffentliche Wasserversorgung der Beklagten vom 8. Oktober 2012 wegen der Einbeziehung des Ortsteils W. ausgehen. Damit konnte diesbezüglich keine weitere Ermittlungspflicht des Verwaltungsgerichts ausgelöst werden. Ein Verfahrensfehler liegt nicht vor.

5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts für das Berufungszulassungsverfahren folgt aus § 52 Abs. 3 Satz 1 GKG.

Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig, § 124 a Abs. 5 Satz 4 VwGO.

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Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Beschluss, 11. Jan. 2018 - 20 ZB 17.2074 zitiert 9 §§.

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 154


(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

Gerichtskostengesetz - GKG 2004 | § 52 Verfahren vor Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit


(1) In Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen.

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 124


(1) Gegen Endurteile einschließlich der Teilurteile nach § 110 und gegen Zwischenurteile nach den §§ 109 und 111 steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie von dem Verwaltungsgericht oder dem Oberverwaltungsgericht zugelassen wird. (2) Die B

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 124a


(1) Das Verwaltungsgericht lässt die Berufung in dem Urteil zu, wenn die Gründe des § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 vorliegen. Das Oberverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden. Zu einer Nichtzulassung der Berufung ist das Verwaltungsgericht nic

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 86


(1) Das Gericht erforscht den Sachverhalt von Amts wegen; die Beteiligten sind dabei heranzuziehen. Es ist an das Vorbringen und an die Beweisanträge der Beteiligten nicht gebunden. (2) Ein in der mündlichen Verhandlung gestellter Beweisantrag ka

Abgabenordnung - AO 1977 | § 227 Erlass


Die Finanzbehörden können Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis ganz oder zum Teil erlassen, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falls unbillig wäre; unter den gleichen Voraussetzungen können bereits entrichtete Beträge erstattet oder an

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 121


Rechtskräftige Urteile binden, soweit über den Streitgegenstand entschieden worden ist,1.die Beteiligten und ihre Rechtsnachfolger und2.im Fall des § 65 Abs. 3 die Personen, die einen Antrag auf Beiladung nicht oder nicht fristgemäß gestellt haben.

Abgabenordnung - AO 1977 | § 222 Stundung


Die Finanzbehörden können Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis ganz oder teilweise stunden, wenn die Einziehung bei Fälligkeit eine erhebliche Härte für den Schuldner bedeuten würde und der Anspruch durch die Stundung nicht gefährdet erscheint. D

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(1) Gegen Endurteile einschließlich der Teilurteile nach § 110 und gegen Zwischenurteile nach den §§ 109 und 111 steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie von dem Verwaltungsgericht oder dem Oberverwaltungsgericht zugelassen wird.

(2) Die Berufung ist nur zuzulassen,

1.
wenn ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,
2.
wenn die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,
3.
wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
4.
wenn das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
5.
wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

Tenor

1. Der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 28. Juni 2010 - 12 N 33.10 - verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 19 Absatz 4 des Grundgesetzes.

Der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 28. Juni 2010 - 12 N 33.10 - wird aufgehoben. Die Sache wird an das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg zurückverwiesen.

2. ...

Gründe

I.

1

Der Beschwerdeführer wendet sich mit seiner Verfassungsbeschwerde gegen einen Beschluss des Oberverwaltungsgerichts, mit dem sein Antrag auf Zulassung der Berufung gegen ein verwaltungsgerichtliches Urteil zurückgewiesen wurde. Im erstinstanzlichen Verfahren hatte er eine Reduzierung der von ihm für das Jahr 2001 geforderten Abgaben für ein ärztliches Versorgungswerk angestrebt.

2

1. § 20 Abs. 1 Satz 1 der Satzung der Berliner Ärzteversorgung in der Fassung vom 1. April 2000 verpflichtet jedes Mitglied zur Leistung von Versorgungsabgaben, sofern Einkünfte aus ärztlicher Berufsausübung erzielt werden. Als allgemeine Versorgungsabgabe ist eine "Normalabgabe" zu zahlen, die gemäß § 23 Abs. 1 Satz 1 der Satzung dem höchsten Pflichtbeitrag zur Angestelltenversicherung im gleichen Jahr entspricht. Als Mindestabgabe ist der 0,2-fache Betrag der Normalabgabe zu zahlen. In ständiger Verwaltungspraxis mussten im streitgegenständlichen Zeitraum Mitglieder, deren Einkommen 2.000 DM pro Monat unterschritt, nur einen reduzierten Versorgungsbeitrag in Höhe des hälftigen Beitragssatzes der Rentenversicherung der Angestellten erbringen (im Folgenden: Härtefallregelung).

3

Im Jahr 2001 belief sich der höchste Pflichtbeitrag zur Rentenversicherung der Angestellten auf 1.661,70 DM (849,61 €).

4

2. Der Beschwerdeführer ist Arzt und war aufgrund seiner Mitgliedschaft in der Ärztekammer, der Beklagten des Ausgangsverfahrens (im Folgenden: Beklagte) auch Mitglied der von ihr eingerichteten Ärzteversorgung.

5

Auf Grundlage eines Honorarvertrags war der Beschwerdeführer ab Juli 2000 als Bereitschaftsarzt für eine Privatklinik tätig. Da er zunächst weniger als 2.000 DM pro Monat verdiente, beantragte er bei der Beklagten eine Beitragsreduzierung auf Basis der Härtefallregelung, die diese mit Bescheid von Februar 2001 ab Januar 2000 gewährte. Für den Zeitraum ab Januar 2001 setzte die Beklagte gegenüber dem Beschwerdeführer unter Zugrundelegung der Härtefallregelung einen monatlichen Beitrag von 81,20 DM fest. Die Tätigkeit des Beschwerdeführers als Bereitschaftsarzt endete mit Ablauf des Monats Oktober 2001. Das letzte Honorar wurde im November 2001 ausgezahlt. Für den Rest des Jahres 2001 erzielte der Beschwerdeführer keine Einnahmen aus ärztlicher Tätigkeit mehr.

6

a) Nachdem der Beschwerdeführer den Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2001 vorgelegt hatte, aus dem sich Einkünfte aus selbständiger Arbeit in Höhe von 20.291 DM (10.374,62 €) ergaben, setzte die Beklagte im Mai 2003 für das Jahr 2001 bezüglich der Monate Januar bis Oktober 2001, ausgehend vom 0,2-fachen der Normalabgabe, einen monatlichen Beitrag von jeweils 169,92 € fest. Unter Berücksichtigung bereits gezahlter Beiträge und vorhandener Guthaben forderte sie vom Beschwerdeführer zugleich eine Nachzahlung in Höhe von 1.206,79 €. Der gegen die Höhe der Abgabe gerichtete Widerspruch des Beschwerdeführers blieb erfolglos.

7

b) Mit seiner daraufhin erhobenen Klage verlangte der Beschwerdeführer eine Reduzierung des Nachzahlungsbetrags auf 485,52 €, weil er der Härtefallregelung unterfalle. Sein monatliches Einkommen unterschreite die Grenze von 2.000 DM, weil das erst im November 2001 ausgezahlte Honorar nicht mehr als Einkommen berücksichtigt werden dürfe.

8

Das Verwaltungsgericht wies die Klage ab. Die Beklagte habe die Versorgungsabgaben für 2001 in der zutreffenden Höhe festgesetzt. Die Härtefallregelung könnte nicht zugunsten des Beschwerdeführers angewendet werden, weil sein monatliches Einkommen mehr als 2.000 DM pro Monat betragen habe. Abzustellen sei auf das Einkommen, das sich aus dem Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2001 ergebe. Weder habe der Beschwerdeführer belegen können, dass in den im Steuerbescheid ausgewiesenen Einkünften auch Einkommen aus dem Jahr 2000 enthalten sei, noch komme es für das von Januar bis Oktober 2001 erarbeitete Einkommen auf den Zeitpunkt des Zuflusses an. Da nur für die Dauer der ärztlichen Tätigkeit Abgaben zu leisten seien, habe die Beklagte den 2001 verdienten Betrag auch richtigerweise lediglich auf 10 statt auf 12 Monate verteilt.

9

c) Gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts beantragte der Beschwerdeführer die Zulassung der Berufung. Er berief sich hierbei ausdrücklich auf die Zulassungsgründe des § 124 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Das Verwaltungsgericht sei nicht befugt gewesen, das ihm erst im November zugeflossene Einkommen zu berücksichtigten, weil es auf den Zufluss des Entgelts während der Dauer der Beschäftigung ankomme. Weiter sei zu erwähnen, dass die Beklagte ihre Forderung auch bei Anwendung des Entstehungsprinzips nicht begründen könne; denn in diesem Fall müssten von seinen einkommensteuerrechtlich für das Jahr 2001 ermittelten Einkünften aus selbständiger Arbeit seine während der zweiten Dezemberhälfte 2000 erwirtschafteten Honorare in Höhe von 985,50 DM abgezogen werden, wodurch nur noch Jahreseinkünfte von 19.305 DM verblieben. Dies führe ebenfalls zur Anwendung der Härtefallregelung. Der Beschwerdeführer bezog sich dabei auf bereits im erstinstanzlichen Verfahren vorgelegte Unterlagen. Seinem Schriftsatz war darüber hinaus als Anlage ein von Januar 2010 datierendes Schreiben der Rechtsnachfolgerin der Klinik, für die er tätig gewesen war, beigefügt, aus dem sich ergab, dass der Beschwerdeführer im Monat Dezember 2000 am 2., 9., 25., 28. und 31. Dezember Dienste absolviert hatte.

10

d) Das Oberverwaltungsgericht wies den Zulassungsantrag zurück. Die Berufung sei nicht nach § 124 Abs. 2 Nr. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung zuzulassen, weil ein Divergenzfall nicht gegeben sei. Auch ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils in Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestünden nicht. Die Auslegung des Verwaltungsgerichts sei sowohl mit Wortlaut als auch mit Sinn und Zweck der Satzung vereinbar. Die Ausführungen des Beschwerdeführers, die sein Einkommen im Jahr 2001 beträfen, seien in Bezug auf den Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO nicht entscheidungserheblich. Nichts anderes ergebe sich, wenn man zu seinen Gunsten unterstelle, dass er insoweit ernsthafte Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung habe geltend machen wollen; denn in diesem Fall sei durch die bloße Vorlage eines Honorarvertrags nicht nachgewiesen, dass im Januar 2001 Honorare für eine im Dezember 2000 ausgeübte ärztliche Tätigkeit gezahlt worden seien.

11

3. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung von Art. 2 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3, Art. 3 Abs. 1 und Art. 19 Abs. 4 GG.

12

a) Die Nichtzulassung der Berufung verstoße gegen Art. 19 Abs. 4 GG, hilfsweise gegen Art. 2 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG als allgemeines Prozessgrundrecht auf ein faires Gerichtsverfahren. Der Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO sei erfüllt, es bestünden ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils. Falsch sei schon, dass das Gericht auf das Entstehungsprinzip abgestellt habe, denn maßgebend sei das Zuflussprinzip. Das ihm erst im November 2001 zugegangene Honorar dürfe daher nicht mitberücksichtigt werden. Selbst bei Anwendung des Entstehungsprinzips müsse aber zu seinen Gunsten die Härtefallregelung eingreifen; auch dann liege sein durchschnittliches Monatseinkommen während des maßgeblichen Zeitraums unter der Grenze von 2.000 DM. Es müsse nämlich das Honorar, das in der zweiten Dezemberhälfte des Jahres 2000 von ihm erwirtschaftet worden sei, aus dem Einkommen, das sich aus dem Steuerbescheid 2001 ergebe, herausgerechnet werden.

13

b) Auch die Ablehnung der weiteren Zulassungsgründe verstoße gegen Art. 19 Abs. 4 GG. Im Übrigen verletze die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Art. 3 Abs. 1 GG als Gleichbehandlungsgebot und Willkürverbot.

14

4. Der Senatsverwaltung für Justiz des Landes Berlin und der Ärztekammer Berlin wurde Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Die Akten des Ausgangsverfahrens waren beigezogen.

II.

15

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt, weil dies zur Durchsetzung des Grundrechts des Beschwerdeführers aus Art. 19 Abs. 4 GG angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Auch die weiteren Voraussetzungen des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG für eine stattgebende Kammerentscheidung liegen vor. Die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen sind durch das Bundesverfassungsgericht bereits geklärt (vgl. BVerfGE 78, 88 <98 f.>; 96, 27 <39>; 104, 220 <231 f.>). Die Verfassungsbeschwerde ist zudem offensichtlich begründet.

16

1. Der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts vom 28. Juni 2010 verletzt das Grundrecht des Beschwerdeführers aus Art. 19 Abs. 4 GG.

17

a) Art. 19 Abs. 4 GG enthält ein Grundrecht auf effektiven und möglichst lückenlosen richterlichen Rechtsschutz gegen Akte der öffentlichen Gewalt (vgl. BVerfGE 8, 274 <326>; 67, 43 <58>; 96, 27 <39>; stRspr). Die Vorschrift erfordert zwar keinen Instanzenzug (vgl. BVerfGE 49, 329 <343>; 83, 24 <31>; 87, 48 <61>; 92, 365 <410>; 96, 27 <39>; stRspr); eröffnet das Prozessrecht aber eine weitere Instanz, so gewährleistet Art. 19 Abs. 4 GG in diesem Rahmen die Effektivität des Rechtsschutzes im Sinne eines Anspruchs auf eine wirksame gerichtliche Kontrolle (vgl. BVerfGE 40, 272 <274 f.>; 54, 94 <96 f.>; 65, 76 <90>; 96, 27 <39>; stRspr). Das Rechtsmittelgericht darf ein von der jeweiligen Prozessordnung eröffnetes Rechtsmittel daher nicht ineffektiv machen und für den Beschwerdeführer "leerlaufen" lassen (vgl. BVerfGE 78, 88 <98 f.>; 96, 27 <39>; 104, 220 <231 f.>). Sehen die prozessrechtlichen Vorschriften - wie §§ 124, 124a VwGO - die Möglichkeit vor, die Zulassung eines Rechtsmittels zu erstreiten, so verbietet Art. 19 Abs. 4 GG eine Auslegung und Anwendung dieser Rechtsnormen, die die Beschreitung des eröffneten Rechtswegs in einer unzumutbaren, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigenden Weise erschwert (vgl. BVerfGE 78, 88 <98 f.>; 96, 27 <39>; 104, 220 <231 f.>). Vor diesem Hintergrund dürfen an die Darlegung eines Zulassungsgrundes keine überspannten Anforderungen gestellt werden. Insbesondere ist der in § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO enthaltene Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils immer schon dann erfüllt, wenn der Kläger im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt hat (vgl. BVerfGE 110, 77 <83>; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 23. Juni 2000 - 1 BvR 830/00 -, juris, Rn. 15).

18

b) Diese Maßstäbe hat das Oberverwaltungsgericht verkannt und den Zugang des Beschwerdeführers zur Berufungsinstanz dadurch in unzumutbarer Weise verkürzt.

19

aa) Verfassungsrechtlich nicht haltbar ist schon der rechtliche Ausgangspunkt des Oberverwaltungsgerichts, eine Zulassung der Berufung nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO komme nicht in Betracht, weil der Beschwerdeführer nicht "nachgewiesen" habe, dass im Januar 2001 gezahltes Honorar auch Einkommen für eine im Dezember 2000 ausgeübte ärztliche Tätigkeit enthalte. Des Nachweises einer solchen Behauptung durch den Antragsteller bedarf es im Berufungszulassungsverfahren gerade nicht. Schlüssige Gegenargumente liegen vielmehr bereits dann vor, wenn der Antragsteller substantiiert rechtliche oder tatsächliche Umstände aufzeigt, aus denen sich die gesicherte Möglichkeit ergibt, dass die erstinstanzliche Entscheidung unrichtig ist. Ob tatsächliche Umstände, die ein Antragsteller schlüssig behauptet, auch wirklich gegeben sind, muss bei Unklarheiten nach Zulassung der Berufung während des sich anschließenden Berufungsverfahrens im Rahmen der Amtsermittlung geklärt werden. Es ist nicht zulässig, diese Prüfung ins Zulassungsverfahren vorzuverlagern und damit die eigentlich erforderliche Beweisaufnahme zu umgehen (vgl. auch BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 21. Dezember 2009 - 1 BvR 812/09 -, juris, Rn. 22).

20

bb) Der fehlerhafte rechtliche Ansatz des Oberverwaltungsgerichts führt auch zu einem verfassungsrechtlich nicht hinnehmbaren Ergebnis. Das Gericht hätte die Berufung nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zulassen müssen, weil der Beschwerdeführer im Berufungszulassungsverfahren eine das verwaltungsgerichtliche Urteil tragende Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt hat.

21

(1) Das Verwaltungsgericht geht, unter Zugrundelegung der ständigen Verwaltungspraxis der Beklagten, davon aus, dass ein Kammermitglied Anspruch auf einen (reduzierten) Beitrag in Höhe des hälftigen Beitragssatzes zur Rentenversicherung der Angestellten hat, sofern es einen Monatsverdienst von weniger als 2.000 DM erzielt. Für den Beschwerdeführer verneint das Gericht dann einen solchen, die 2.000 DM-Grenze unterschreitenden Verdienst pro Monat, weil die von ihm im Jahr 2001 erzielten Einnahmen von 20.291 DM auf 10 Monate, nämlich den Zeitraum von Januar bis einschließlich Oktober 2001, zu verteilen seien. Denn die Einnahmen könnten nur auf die Monate verteilt werden, in denen sie erarbeitet worden seien; auf den Zeitpunkt des Zuflusses komme es nicht an. Für die Höhe der Einnahmen stützt sich das Verwaltungsgericht auf die aus dem Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2001 ergebende Einkommenshöhe, unterstellt also, dass die sich aus dem Einkommensteuerbescheid ergebenden Einnahmen vom Beschwerdeführer in dem Zeitraum von Januar bis Oktober 2001 erarbeitet worden sind und stützt seine Entscheidung auf diese Annahme.

22

(2) Demgegenüber hat der Beschwerdeführer zur Begründung seines Antrags auf Zulassung der Berufung eingewandt, in den Einnahmen, die in dem Einkommensteuerbescheid 2001 ausgewiesen seien, seien auch Verdienste aus dem Jahr 2000 enthalten, und zwar Honorare in Höhe von 985,50 DM, die er durch seine ärztliche Tätigkeit in der zweiten Dezemberhälfte 2000 erwirtschaftet habe. Zum Beleg seiner Behauptung hat er das Schreiben von Januar 2010, wonach er im Dezember 2000 an fünf Tagen Dienste wahrgenommen hat, vorgelegt. Darüber hinaus hat er vorgetragen, aufgrund des klinikinternen Abrechnungsmodus sei das Honorar während seiner Tätigkeit immer jeweils von Monatsmitte zu Monatsmitte berechnet und anschließend ausgezahlt worden. Da hiernach für die Monate Januar bis Oktober 2001 nur noch ein Einkommen von 19.305 DM verbleibe - also weniger als 2.000 DM monatlich - sei die Härtefallklausel schon aus diesem Grunde auf ihn anzuwenden.

23

(3) Damit hat der Beschwerdeführer die Prämisse des Verwaltungsgerichts, in dem aus dem Steuerbescheid ergebenden Einkommen seien keine Einnahmen aus dem Jahre 2000 enthalten, mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt. Denn auf Grundlage der Behauptungen des Beschwerdeführers, die er zudem mit dem Schreiben von Januar 2010 belegt hat, erscheint es nicht lediglich als möglich, sondern sogar als nahe liegend, dass entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts im Steuerbescheid des Jahres 2001 als Einkommen auch Honorar berücksichtigt war, das der Beschwerdeführer im Dezember 2000 erarbeitet hatte. Dafür spricht nicht nur das Vorbringen des Beschwerdeführers, wonach sein Honorar in einem Abrechnungsmodus von Monatsmitte bis Monatsmitte berechnet und ausbezahlt wurde. Auch aus verwaltungspraktischen Gründen erscheint es wenig wahrscheinlich, dass insbesondere für eine ab dem 25. Dezember 2000, also während der Weihnachtsfeiertage und danach, geleistete Arbeit die Vergütung noch im selben Monat überwiesen werden konnte. Anhaltspunkte für eine Zahlung des Honorars im Voraus oder für Abschlagszahlungen gibt es nicht.

24

(4) Die Tatsachenfeststellungen, die der Beschwerdeführer mit seinem Vorbringen in Frage stellt, sind auch rechtlich erheblich. Denn das Verwaltungsgericht hätte, wären die Behauptungen des Beschwerdeführers zutreffend, seiner Klage jedenfalls teilweise stattgeben müssen. In diesem Fall hätte sich nämlich für 2001 ein in diesem Jahr "erarbeitetes" Honorar von lediglich 19.305,50 DM ergeben, weil 985,50 DM als Honorar für Dienste im Dezember 2000 von dem im Steuerbescheid 2001 ausgewiesenen Einkommen von 20.291 DM abzuziehen gewesen wären. Für die zehnmonatige ärztliche Tätigkeit des Beschwerdeführers im Jahr 2001 hätte sein monatlicher Verdienst folglich nur noch 1.930,55 DM betragen und damit die 2.000 DM-Grenze unterschritten. Nach der vom Verwaltungsgericht seiner Entscheidung zugrunde gelegten Rechtsauffassung - die vom Oberverwaltungsgericht in dem angegriffenen Beschluss auch nicht in Zweifel gezogen wird - wäre bei diesem geringen Einkommen die Härtefallregelung anzuwenden gewesen. Da sich die monatlichen Abgaben dementsprechend nur nach dem hälftigen Beitragssatz der Rentenversicherung für Angestellte, also der Hälfte von damals 19,1 %, errechnen würden, hätten sich diese nicht wie von der Beklagten festgesetzt auf - umgerechnet - 169,92 € belaufen, sondern lediglich auf 94,27 €. Auch die geltend gemachte Nachforderung würde sich entsprechend verringern.

25

cc) Dem Beschwerdeführer kann auch nicht entgegengehalten werden, er habe den Zulassungsgrund im Berufungszulassungsverfahren nicht hinreichend dargelegt. Insbesondere ist es unschädlich, dass er in dem Zulassungsschriftsatz die von ihm vorgebrachten Argumente keinem beziehungsweise jedenfalls nicht dem zutreffenden Berufungszulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zugeordnet hat. Denn für eine den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO genügende Darlegung eines oder mehrerer Berufungszulassungsgründe ist es nicht notwendig, dass der Antragsteller ausdrücklich einen der in § 124 Abs. 2 VwGO normierten Zulassungsgründe oder die dort angeführten tatbestandlichen Voraussetzungen benennt. Ebenso ist es kein Hindernis, wenn der Antragsteller sein Vorbringen unter dem falschen Berufungszulassungsgrund erörtert oder verschiedene Gesichtspunkte, die bei unterschiedlichen Zulassungsgründen im Sinne von § 124 Abs. 2 VwGO relevant sein können, miteinander vermengt. Art. 19 Abs. 4 GG verpflichtet das den Zulassungsantrag prüfende Gericht nämlich dazu, den Vortrag des jeweiligen Antragstellers angemessen zu würdigen und durch sachgerechte Auslegung selbstständig zu ermitteln, welche Zulassungsgründe der Sache nach geltend gemacht werden und welche Einwände welchen Zulassungsgründen zuzuordnen sind (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 24. August 2010 - 1 BvR 2309/09 -, juris, Rn. 13; vgl. insoweit auch BVerfGK 5, 369 <375 f.>). Erst dann, wenn aus einer nicht auf einzelne Zulassungsgründe zugeschnittenen Begründung auch durch Auslegung nicht eindeutig ermittelt werden kann, auf welchen Zulassungsgrund der Antrag gestützt wird, stellt die Verwerfung des Antrags als unzulässig keine unzumutbare Erschwerung des Zugangs zur Berufungsinstanz dar (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 24. August 2010, a.a.O., Rn. 13). Dass sich das Vorbringen des Beschwerdeführers ohne Schwierigkeiten dem Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuordnen lässt, folgt hier schon daraus, dass es vom Oberverwaltungsgericht unter diesem Gesichtspunkt geprüft wurde. Eine solche Zuordnung lag im Übrigen auch auf der Hand, weil die Ausführungen des Beschwerdeführers nur zu diesem Zulassungsgrund passen.

26

c) Die weiteren Argumente, die der Beschwerdeführer gegen die Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils vorgebracht hat, sind allerdings nicht geeignet, einen Verstoß gegen Art. 19 Abs. 4 GG zu begründen. Dass das Oberverwaltungsgericht im Hinblick auf diese Einwände das Vorliegen des Zulassungsgrundes des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO verneint hat, lässt keine Grundrechtsverletzung erkennen. Der Beschwerdeführer hat schon nicht nachvollziehbar dargelegt, warum die Annahme des Verwaltungsgerichts, der Zufluss des Einkommens erst nach dem Ablauf des Zeitraums der Tätigkeit sei unschädlich - maßgeblich sei vielmehr der Zeitpunkt des Erarbeitens -, fehlerhaft sein sollte. Der Ansatz des Gerichts, allein an den Tätigkeitszeitraum anzuknüpfen und den Zuflusszeitpunkt als unerheblich anzusehen, begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.

27

Es gibt auch keine Anhaltspunkte dafür, dass die Annahme des Oberverwaltungsgerichts, der Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO (Divergenz) sei nicht gegeben, gegen Art. 19 Abs. 4 GG verstoßen könnte. Die Gründe, mit denen das Gericht das Vorliegen des Zulassungsgrundes ablehnt, sind gut nachvollziehbar. Dass sie den Anforderungen des Art. 19 Abs. 4 GG nicht genügen könnten, ist nicht zu erkennen.

28

Eine Berufung auf den Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO (grundsätzliche Bedeutung) scheitert schließlich unter dem Gesichtspunkt der Subsidiarität schon daran, dass sich der Beschwerdeführer auf diesen Grund im Berufungszulassungsverfahren weder ausdrücklich noch der Sache nach berufen hat.

29

2. Die angegriffene Entscheidung beruht auf dem festgestellten Verstoß gegen Art. 19 Abs. 4 GG. Ob der Beschluss auch gegen Art. 3 Abs. 1 GG beziehungsweise Art. 2 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG verstößt, kann daher offenbleiben.

30

3. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.

Rechtskräftige Urteile binden, soweit über den Streitgegenstand entschieden worden ist,

1.
die Beteiligten und ihre Rechtsnachfolger und
2.
im Fall des § 65 Abs. 3 die Personen, die einen Antrag auf Beiladung nicht oder nicht fristgemäß gestellt haben.

(1) Das Verwaltungsgericht lässt die Berufung in dem Urteil zu, wenn die Gründe des § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 vorliegen. Das Oberverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden. Zu einer Nichtzulassung der Berufung ist das Verwaltungsgericht nicht befugt.

(2) Die Berufung ist, wenn sie von dem Verwaltungsgericht zugelassen worden ist, innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils bei dem Verwaltungsgericht einzulegen. Die Berufung muss das angefochtene Urteil bezeichnen.

(3) Die Berufung ist in den Fällen des Absatzes 2 innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht zugleich mit der Einlegung der Berufung erfolgt, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden des Senats verlängert werden. Die Begründung muss einen bestimmten Antrag enthalten sowie die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe). Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung unzulässig.

(4) Wird die Berufung nicht in dem Urteil des Verwaltungsgerichts zugelassen, so ist die Zulassung innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils zu beantragen. Der Antrag ist bei dem Verwaltungsgericht zu stellen. Er muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Die Stellung des Antrags hemmt die Rechtskraft des Urteils.

(5) Über den Antrag entscheidet das Oberverwaltungsgericht durch Beschluss. Die Berufung ist zuzulassen, wenn einer der Gründe des § 124 Abs. 2 dargelegt ist und vorliegt. Der Beschluss soll kurz begründet werden. Mit der Ablehnung des Antrags wird das Urteil rechtskräftig. Lässt das Oberverwaltungsgericht die Berufung zu, wird das Antragsverfahren als Berufungsverfahren fortgesetzt; der Einlegung einer Berufung bedarf es nicht.

(6) Die Berufung ist in den Fällen des Absatzes 5 innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Berufung zu begründen. Die Begründung ist bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Absatz 3 Satz 3 bis 5 gilt entsprechend.

Die Finanzbehörden können Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis ganz oder teilweise stunden, wenn die Einziehung bei Fälligkeit eine erhebliche Härte für den Schuldner bedeuten würde und der Anspruch durch die Stundung nicht gefährdet erscheint. Die Stundung soll in der Regel nur auf Antrag und gegen Sicherheitsleistung gewährt werden. Steueransprüche gegen den Steuerschuldner können nicht gestundet werden, soweit ein Dritter (Entrichtungspflichtiger) die Steuer für Rechnung des Steuerschuldners zu entrichten, insbesondere einzubehalten und abzuführen hat. Die Stundung des Haftungsanspruchs gegen den Entrichtungspflichtigen ist ausgeschlossen, soweit er Steuerabzugsbeträge einbehalten oder Beträge, die eine Steuer enthalten, eingenommen hat.

Die Finanzbehörden können Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis ganz oder zum Teil erlassen, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falls unbillig wäre; unter den gleichen Voraussetzungen können bereits entrichtete Beträge erstattet oder angerechnet werden.

(1) Das Verwaltungsgericht lässt die Berufung in dem Urteil zu, wenn die Gründe des § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 vorliegen. Das Oberverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden. Zu einer Nichtzulassung der Berufung ist das Verwaltungsgericht nicht befugt.

(2) Die Berufung ist, wenn sie von dem Verwaltungsgericht zugelassen worden ist, innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils bei dem Verwaltungsgericht einzulegen. Die Berufung muss das angefochtene Urteil bezeichnen.

(3) Die Berufung ist in den Fällen des Absatzes 2 innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht zugleich mit der Einlegung der Berufung erfolgt, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden des Senats verlängert werden. Die Begründung muss einen bestimmten Antrag enthalten sowie die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe). Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung unzulässig.

(4) Wird die Berufung nicht in dem Urteil des Verwaltungsgerichts zugelassen, so ist die Zulassung innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils zu beantragen. Der Antrag ist bei dem Verwaltungsgericht zu stellen. Er muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Die Stellung des Antrags hemmt die Rechtskraft des Urteils.

(5) Über den Antrag entscheidet das Oberverwaltungsgericht durch Beschluss. Die Berufung ist zuzulassen, wenn einer der Gründe des § 124 Abs. 2 dargelegt ist und vorliegt. Der Beschluss soll kurz begründet werden. Mit der Ablehnung des Antrags wird das Urteil rechtskräftig. Lässt das Oberverwaltungsgericht die Berufung zu, wird das Antragsverfahren als Berufungsverfahren fortgesetzt; der Einlegung einer Berufung bedarf es nicht.

(6) Die Berufung ist in den Fällen des Absatzes 5 innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Berufung zu begründen. Die Begründung ist bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Absatz 3 Satz 3 bis 5 gilt entsprechend.

(1) Gegen Endurteile einschließlich der Teilurteile nach § 110 und gegen Zwischenurteile nach den §§ 109 und 111 steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie von dem Verwaltungsgericht oder dem Oberverwaltungsgericht zugelassen wird.

(2) Die Berufung ist nur zuzulassen,

1.
wenn ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,
2.
wenn die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,
3.
wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
4.
wenn das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
5.
wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

Tenor

1. Der Beschluss des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 20. September 2012 - 2 LA 234/11 - verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 19 Absatz 4 Satz 1 des Grundgesetzes. Der Beschluss wird aufgehoben. Die Sache wird an das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.

2. Das Land Niedersachsen hat die notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers zu erstatten.

3. Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit für das Verfassungsbeschwerdeverfahren wird auf 10.000 € (in Worten: zehntausend Euro) festgesetzt.

Gründe

I.

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft ein verwaltungsgerichtliches Verfahren aus dem Bereich des Schulrechts.

2

1. a) Der Beschwerdeführer besuchte ein öffentliches technisches Fachgymnasium. Da er an einer Lese- und Rechtschreibstörung (Legasthenie) leidet, beantragte er zum Nachteilsausgleich eine Schreibzeitverlängerung für die Anfertigung von Klausuren sowie die Nichtbewertung der Rechtschreibung (sog. Notenschutz). Die Schule lehnte dies ab.

3

b) Im einstweiligen Rechtsschutzverfahren verpflichtete das Oberverwaltungsgericht die Schule, dem Beschwerdeführer bis zur Entscheidung in der Hauptsache bei der Anfertigung schriftlicher Leistungsüberprüfungen außer in naturwissenschaftlich-mathematischen Fächern eine Schreibzeitverlängerung von 10 % der jeweiligen Bearbeitungszeit zu gewähren. Soweit der Eilantrag darüber hinaus auf vorläufige Gewährung eines Zeitzuschlages von 25 % und Notenschutz bezüglich der Rechtschreibleistung in allen Fächern sowie auf die ebenfalls bereits vorgerichtlich geltend gemachte Verpflichtung der Schule gerichtet war, ihn in Mathematik anwendungsbezogen auf das erste Prüfungsfach Elektronik zu unterrichten, blieb er ohne Erfolg. Eine vom Beschwerdeführer in dieser Sache erhobene Verfassungsbeschwerde wurde nicht zur Entscheidung angenommen (1 BvR 2129/08).

4

c) In der Hauptsache fasste das Verwaltungsgericht zunächst einen Beweisbeschluss zur Frage der medizinischen Notwendigkeit eines weitergehenden Nachteilsausgleichs. Dieser wurde jedoch nicht mehr ausgeführt, nachdem der Beschwerdeführer die Allgemeine Hochschulreife erworben hatte. Der Beschwerdeführer stellte seine Klage daraufhin um. Neben Feststellungsanträgen begehrte er, seine unter anderem auf Klausurabwertungen wegen Schreibfehlern (sog. "GRZ-Abzug") beruhenden Kursnoten im Fach Deutsch in der Jahrgangsstufe 12 anzuheben.

5

Das Verwaltungsgericht wies die Klage mit der Begründung ab, die in der Jahrgangsstufe 12 erteilten Einzelnoten seien bestandskräftig geworden und daher nicht mehr anfechtbar. Der Zulässigkeit der Feststellungsanträge stehe teilweise der Subsidiaritätsgrundsatz und teilweise das Fehlen eines Feststellungsinteresses entgegen.

6

d) Den Antrag des Beschwerdeführers auf Zulassung der Berufung lehnte das Oberverwaltungsgericht mit dem hier angegriffenen Beschluss ab.

7

aa) Es könne offenbleiben, ob das Verwaltungsgericht die halbjährlichen Kursabschlussnoten als eigenständig anfechtbare Regelungen habe ansehen dürfen. Die Versäumung der Widerspruchsfrist sei insoweit jedenfalls unschädlich, da die Widerspruchsbehörde eine Sachentscheidung getroffen habe. Von der Bestandskraft der Einzelnoten könne daher nicht ausgegangen werden.

8

An der Richtigkeit der Ablehnung des Verpflichtungsantrags bestünden im Ergebnis gleichwohl keine ernstlichen Zweifel, da nicht ersichtlich sei, dass die den Kursnoten zugrunde liegenden Bewertungen fehlerhaft gewesen sein könnten. Es sei in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung geklärt, dass unter einer Legasthenie leidenden Schülern zum Nachteilsausgleich nur Schreibzeitverlängerungen gewährt werden könnten oder die Nutzung technischer Hilfsmittel gestattet werden könne. Die Gewährung von Notenschutz (durch Nichtbewertung der Rechtschreibung) sei demgegenüber in der Regel nicht zulässig, da sie zu einer Benachteiligung von Schülern führen könne, denen aus sonstigen Gründen Rechtschreibfehler in größerem Umfang unterliefen. Darüber hinaus komme ein Ausgleich durch Notenschutz deswegen nicht in Betracht, weil sich die vom Beschwerdeführer beanstandeten Noten gerade auf das Fach Deutsch bezögen und in diesem unter anderem Rechtschreibung und Zeichensetzung zu den allgemein vorausgesetzten Kompetenzen gehörten. Ein Anspruch auf Notenschutz folge selbst bei einem den Behinderungsbegriff erfüllenden Ausmaß der Legasthenie auch nicht aus Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG, da sich hieraus ein originärer subjektiver Leistungsanspruch nicht ableiten lasse. Unmittelbar aus Art. 24 des Übereinkommens über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-Behindertenrechtskonvention, BGBl 2008 II S. 1419) ergäben sich ebenfalls keine entsprechenden Rechte. Schließlich sehe die geltende Erlasslage in gewissem Umfang eine differenzierte Bewertung vor und eröffne einen pädagogischen Bewertungsspielraum, der eine einzelfallgerechte Berücksichtigung des Erscheinungsbildes der Legasthenie ermögliche. Es sei nicht ersichtlich, dass bei der Bewertung der den beanstandeten Kursnoten zugrunde liegenden Deutschklausuren hiervon in willkürlicher Weise abgewichen worden sei.

9

bb) Auch das Feststellungsinteresse habe das Verwaltungsgericht im Ergebnis zu Recht verneint. Ein Rehabilitationsinteresse könne nicht bejaht werden, da von den Einzelnoten und der Durchschnittsnote des Abiturzeugnisses keine den Beschwerdeführer in seiner Persönlichkeit diskriminierende Wirkung ausgehe. Die Bewertung im Fach Deutsch in der Jahrgangsstufe 12 könne für sich gesehen nicht als diskriminierend angesehen werden, zumal sich die begehrte Anhebung nicht auf die Durchschnittsnote auswirken würde. Hinsichtlich anderer Einzelnoten habe der Beschwerdeführer nicht näher dargelegt, welche Punktzahl er für angemessen halte. Soweit er sein Feststellungsbegehren auf eine beabsichtigte Amtshaftungsklage stütze, habe das Verwaltungsgericht zu Recht darauf abgestellt, dass eine solche mangels Verschuldens offensichtlich aussichtslos sei.

10

2. Mit der Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung seiner Rechte aus Art. 19 Abs. 4 GG, aus Art. 3 Abs. 1 und 3 GG in Verbindung mit der UN-Behindertenrechtskonvention sowie aus Art. 12 GG und führt dies näher aus. Insbesondere rügt er, das Ausgangsgericht habe zu keinem Zeitpunkt in einem ordentlichen Hauptsacheverfahren durch Beweisaufnahme geprüft, welche Maßnahmen notwendig gewesen seien, um die behinderungsbedingten Nachteile auszugleichen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sei es aber uneingeschränkt gerichtlich überprüfbar, ob ein in Prüfungen gewährter Nachteilsausgleich die Störung vollständig ausgeglichen habe, was gegebenenfalls mit Hilfe von Sachverständigen zu ermitteln sei (Hinweis auf BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 21. Dezember 1992 - 1 BvR 1295/90 -, NJW 1993, S. 917 <918>). Das Oberverwaltungsgericht habe zudem verkannt, dass er durch die Anlegung desselben Leistungsbemessungsmaßstabs wie bei seinen nicht behinderten Mitschülern in einem Bereich, in dem er aufgrund seiner Funktionsstörung nicht gleichermaßen leistungsfähig sein könne, benachteiligt worden sei. Aus fachärztlicher Sicht habe er in allen Fächern zusätzlich 25 % der üblichen Bearbeitungszeit benötigt, um die gleichen Chancen bei der Bearbeitung der anstehenden Aufgaben zu haben. Ein reiner Nachteilsausgleich führe, auch wenn er den Verzicht auf die Benotung der Rechtschreibung beinhalte, keineswegs zu einer Beeinträchtigung der Chancengleichheit nichtbehinderter Mitschüler. Dadurch, dass es das Oberverwaltungsgericht versäumt habe, seine willkürliche Entscheidung aus dem Eilverfahren im Berufungszulassungsverfahren zu korrigieren, nehme es ihm die Möglichkeit der Rehabilitation und verschärfe damit die bereits erfolgte Diskriminierung. Damit werde zudem eine Amtshaftungsklage bewusst ausgeschlossen und würden legasthene Schüler in Niedersachsen im Ergebnis rechtlos gestellt.

11

3. Die Verfassungsbeschwerde ist dem Niedersächsischen Justizministerium und der Beklagten des Ausgangsverfahrens, der vormaligen Schule des Beschwerdeführers, zugestellt worden. Diese haben von einer Stellungnahme abgesehen. Die Akten des Ausgangsverfahrens lagen der Kammer vor.

II.

12

1. Die Kammer nimmt die zulässige Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt, weil dies zur Durchsetzung des Grundrechts des Beschwerdeführers aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG; vgl. BVerfGE 90, 22 <25>). Auch die weiteren Voraussetzungen des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG liegen vor. Das Bundesverfassungsgericht hat die hier maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen bereits entschieden. Die Verfassungsbeschwerde ist danach offensichtlich begründet.

13

2. Die Auslegung und Anwendung der Vorschriften über die Zulassung der Berufung durch das Oberverwaltungsgericht wird der verfassungsrechtlichen Verbürgung effektiven Rechtsschutzes nicht gerecht.

14

a) Das Gebot effektiven Rechtsschutzes gemäß Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG gewährleistet zwar keinen Anspruch auf die Errichtung eines bestimmten Instanzenzuges (vgl. BVerfGE 104, 220 <231>; 125, 104 <136 f.>; stRspr). Hat der Gesetzgeber jedoch mehrere Instanzen geschaffen, darf der Zugang zu ihnen nicht in unzumutbarer und durch Sachgründe nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert werden (vgl. BVerfGE 104, 220 <232>; 125, 104 <137>; stRspr). Das Gleiche gilt, wenn das Prozessrecht - wie hier die §§ 124, 124a VwGO - den Verfahrensbeteiligten die Möglichkeit gibt, die Zulassung eines Rechtsmittels zu erstreiten (vgl. BVerfGE 125, 104 <137>). Aus diesem Grund dürfen die Anforderungen an die Darlegung der Zulassungsgründe nicht derart erschwert werden, dass sie auch von einem durchschnittlichen, nicht auf das gerade einschlägige Rechtsgebiet spezialisierten Rechtsanwalt mit zumutbarem Aufwand nicht mehr erfüllt werden können und die Möglichkeit, die Zulassung eines Rechtsmittels zu erstreiten, für den Rechtsmittelführer leerläuft. Dies gilt nicht nur hinsichtlich der Anforderungen an die Darlegung der Zulassungsgründe gemäß § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO, sondern in entsprechender Weise für die Auslegung und Anwendung der Zulassungsgründe des § 124 Abs. 2 VwGO selbst (vgl. BVerfGE 125, 104 <137>). Mit dem Gebot effektiven Rechtsschutzes unvereinbar ist eine Auslegung und Anwendung des § 124 Abs. 2 VwGO danach dann, wenn sie sachlich nicht zu rechtfertigen ist, sich damit als objektiv willkürlich erweist und den Zugang zur nächsten Instanz unzumutbar erschwert (vgl. BVerfGE 125, 104 <137>; 134, 106 <117 f. Rn. 34>).

15

b) Das Oberverwaltungsgericht hat durch seine Handhabung des Zulassungsgrundes der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO den Zugang zur Berufungsinstanz in sachlich nicht zu rechtfertigender Weise verengt und dadurch das Gebot effektiven Rechtsschutzes verletzt.

16

aa) Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit eines verwaltungsgerichtlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) sind immer schon dann begründet, wenn der Rechtsmittelführer einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage stellt (vgl. BVerfGE 125, 104 <140>). Dies hat der Beschwerdeführer getan. Er hat aufgezeigt, dass das Verwaltungsgericht seinen Verpflichtungsantrag rechtsfehlerhaft als unzulässig behandelt hat und die angenommene Unzulässigkeit der Feststellungsanträge betreffend den Notenschutz und den Umfang des ihm zustehenden Nachteilsausgleichs aus Subsidiaritätsgründen zumindest ernstlichen - vom Oberverwaltungsgericht selbst näher aufgezeigten - Zweifeln begegnet. Das Oberverwaltungsgericht hat mit einer verfassungsrechtlich nicht hinnehmbaren Begründung gleichwohl die Berufung nicht zugelassen.

17

bb) Es begegnet zwar keinen grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Bedenken, wenn das Berufungsgericht bei der Überprüfung des angefochtenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) auf andere rechtliche oder tatsächliche Gesichtspunkte abstellt als das Verwaltungsgericht in den Entscheidungsgründen seines Urteils und wenn es - soweit rechtliches Gehör gewährt ist - die Zulassung der Berufung deshalb ablehnt, weil sich das Urteil aus anderen Gründen im Ergebnis als richtig erweist. Es widerspricht jedoch sowohl dem Sinn und Zweck des dem Berufungsverfahren vorgeschalteten Zulassungsverfahrens als auch der Systematik der in § 124 Abs. 2 VwGO geregelten Zulassungsgründe und kann den Zugang zur Berufung in sachlich nicht mehr zu rechtfertigender Weise einschränken, wenn das Berufungsgericht auf andere Gründe entscheidungstragend abstellt als das Verwaltungsgericht, die nicht ohne Weiteres auf der Hand liegen und deren Heranziehung deshalb über den mit Blick auf den eingeschränkten Zweck des Zulassungsverfahrens von ihm vernünftigerweise zu leistenden Prüfungsumfang hinausgeht (vgl. BVerfGE 134, 106 <119 f. Rn. 40>; siehe auch BVerwG, Beschluss vom 10. März 2004 - BVerwG 7 AV 4.03 -, NVwZ-RR 2004, S. 542 <543>).

18

Dass dem Beschwerdeführer vor Erlass der angegriffenen Entscheidung im Hinblick auf die neue Begründung des Oberverwaltungsgerichts im Berufungszulassungsverfahren rechtliches Gehör gewährt worden wäre, lässt sich den beigezogenen Akten des Ausgangsverfahrens nicht entnehmen. Darüber hinaus lagen die Voraussetzungen für einen Austausch der Begründung hiernach auch nicht vor.

19

(1) Hinsichtlich der auf den Notenschutz bezogenen Klageanträge ergibt sich dies schon daraus, dass das Oberverwaltungsgericht die angenommene inhaltliche Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils auf Gründe stützt, denen ihrerseits grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zukommt. Denn die Heranziehung von Erwägungen mit Grundsatzbedeutung zur Ablehnung des Zulassungsgrundes der ernstlichen Zweifel verkürzt den vom Gesetzgeber für Fragen von grundsätzlicher Bedeutung vorgesehenen Rechtsschutz im Berufungsverfahren in sachlich nicht zu rechtfertigender Weise (vgl. BVerfGK 10, 208 <213 f. m.w.N.>).

20

Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtsfrage immer dann, wenn es maßgebend auf eine konkrete, über den Einzelfall hinausgehende Rechtsfrage ankommt, deren Klärung im Interesse der Einheit oder der Fortbildung des Rechts geboten erscheint. Der Begriff der grundsätzlichen Bedeutung im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO entspricht danach weitgehend dem der grundsätzlichen Bedeutung in der revisionszulassungsrechtlichen Bestimmung des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (vgl. BVerfGK 10, 208 <214>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 10. September 2009 - 1 BvR 814/09 -, NJW 2009, S. 3642 <3643>; Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 22. August 2011 - 1 BvR 1764/09 -, NVwZ-RR 2011, S. 963 <964>).

21

Nach diesen Maßstäben kam der vom Oberverwaltungsgericht verneinten Frage, ob der Beschwerdeführer im Hinblick auf seine Legasthenie so genannten Notenschutz in Form der Nichtbewertung der Rechtschreibung verlangen konnte, grundsätzliche Bedeutung zu. Denn ihre Beantwortung hat Bedeutung weit über den Einzelfall des Beschwerdeführers hinaus und betrifft den Umfang des verfassungsrechtlich sowohl unter dem Gesichtspunkt der Chancengleichheit im Prüfungsrecht (BVerfGE 52, 380 <388>) als auch des Benachteiligungsverbots gemäß Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG (BVerfGE 96, 288<301 ff.>) bestehenden Anspruchs auf behinderungsbezogenen Nachteilsausgleich (zu der namentlich aus den verfassungsrechtlichen Bezügen abgeleiteten Grundsatzbedeutung der Rechtmäßigkeit der Bemerkung der Nichtberücksichtigung von Rechtschreibleistungen im Abiturzeugnis vgl. BayVGH, Urteile vom 28. Mai 2014 - 7 B 14.22 u.a. -, juris, Rn. 27). Die umstrittene Frage des Umfangs des Nachteilsausgleichs, der an Legasthenie leidenden Schülern zusteht, war zum maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts noch nicht höchstrichterlich geklärt. Erst im Jahr 2015 hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass aus dem Gebot der Chancengleichheit nur Ansprüche auf Änderung der Prüfungsbedingungen (Nachteilsausgleich), nicht aber solche auf Änderung des Maßstabs der Leistungsbewertung (Notenschutz) abgeleitet werden könnten (BVerwGE 152, 330). Hiergegen sind beim Bundesverfassungsgericht mittlerweile Verfassungsbeschwerden anhängig (Az. 1 BvR 2577/15, 1 BvR 2578/15 und 1 BvR 2579/15), über die noch nicht entschieden ist.

22

Das Oberverwaltungsgericht konnte die Nichtzulassung der Berufung wegen inhaltlicher Richtigkeit daher hierauf nicht stützen. Dies gilt auch unter Berücksichtigung der flankierenden Erwägungen, im Fach Deutsch gehörten Rechtschreibung und Zeichensetzung gerade zu den allgemein vorausgesetzten Kompetenzen und der Schutz des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG beschränke sich auf seine Funktion als Abwehrrecht. Gleiches gilt für den Hinweis auf den nach den einschlägigen schulrechtlichen Ausführungsbestimmungen bestehenden pädagogischen Spielraum. Ob die erfolgten Abwertungen unter Berücksichtigung des Spielraums der Behinderung des Beschwerdeführers hinreichend Rechnung trugen, wäre gegebenenfalls erst in einem Berufungsverfahren zu klären gewesen.

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(2) Auch mit Blick auf das (verneinte) Feststellungsinteresse verkürzt das Oberverwaltungsgericht die verfassungsrechtlich garantierten Zugangsmöglichkeiten zum Berufungsverfahren. Soweit es ausführt, es fehle an dem (vom Verwaltungsgericht insoweit nicht geprüften) Feststellungsinteresse, weil die Ausweisung der Deutschnoten in der Jahrgangsstufe 12 mit Blick auf deren Auswirkungen auf das Abiturergebnis keinen diskriminierenden Charakter hätten und der Beschwerdeführer hinsichtlich der anderen Einzelnoten schon nicht näher dargelegt habe, welche Punktzahl er für erforderlich halte, lagen diese Erwägungen nicht ohne Weiteres auf der Hand und überschritten den statthaften Prüfungsumfang im Berufungszulassungsverfahren. Inhaltlich liegen sie auch eher fern, weil der Beschwerdeführer dargelegt hat, dass die Feststellung, welche Noten er mit der von ihm für notwendig gehaltenen längeren Schreibzeitverlängerung in allen Fächern erreicht hätte, im Nachhinein nicht möglich ist. Gerade deswegen blieb ihm aber nur die Möglichkeit eines Feststellungsantrags, um eine in den erreichten Noten gegebenenfalls fortwirkende Benachteiligung durch einen entsprechenden Feststellungsausspruch zu beseitigen. In der fachgerichtlichen Rechtsprechung ist im Übrigen geklärt, dass sich das notwendige Feststellungsinteresse in einer solchen Situation bereits aus der Geltendmachung einer fortdauernden faktischen Grundrechtsbeeinträchtigung ergeben kann (vgl. hierzu BVerwG, Beschluss vom 27. Mai 2014 - BVerwG 1 WB 59.13 -, juris, Rn. 20; Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, 21. Aufl. 2015, § 113 Rn. 146 m.w.N.), die hier insbesondere im Hinblick auf Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG gerügt wird.

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3. Auf die Beantwortung der weiteren vom Beschwerdeführer aufgeworfenen verfassungsrechtlichen Fragen kommt es nicht an, da der angegriffene Beschluss die Berufungszulassung behandelt und keine Entscheidung zur Sache enthält.

III.

25

1. Der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts beruht auf dem Verfassungsverstoß. Er ist daher gemäß § 93c Abs. 2 in Verbindung mit § 95 Abs. 2 BVerfGG aufzuheben und die Sache ist an das Oberverwaltungsgericht zurückzuverweisen.

26

2. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG. Die Festsetzung des Gegenstandswerts folgt aus § 37 Abs. 2 Satz 2 RVG in Verbindung mit § 14 Abs. 1 RVG und den Grundsätzen für die Festsetzung des Gegenstandswerts im verfassungsgerichtlichen Verfahren (vgl. BVerfGE 79, 365 <366 ff.>; BVerfGK 20, 336 <337 ff.>).

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.

II. Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.

III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 10.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Der Kläger begehrt die Erteilung einer Baugenehmigung für eine Kleinwindkraftanlage.

Unter dem Datum des 28. Februar 2010 stellte er einen Antrag auf Erteilung einer Baugenehmigung für das Vorhaben „Errichtung einer Kleinwindanlage“ auf dem im bauplanungsrechtlichen Außenbereich (§ 35 BauGB) gelegenen Grundstück FlNr. … der Gemarkung L … (Baugrundstück). Nach den mit dem Bauantrag vorgelegten weiteren Unterlagen betraf der Bauantrag das Fabrikat „W …“. Die Beigeladene versagte das gemeindliche Einvernehmen.

Im Rahmen einer Baukontrolle am 25. März 2014 stellte das Landratsamt S … fest, dass der Kläger auf dem Baugrundstück - genau an dem Standort der geplanten Windkraftanlage - mit der ungenehmigten Errichtung eines Fundaments (Betonplatte mit einer darauf befestigten Metall-Trägerplatte) sowie eines Elektroverteilerkastens begonnen hatte. Hierauf verfügte das Landratsamt mit Bescheid vom 26. März 2014 unter Anordnung des Sofortvollzugs die Verpflichtung des Klägers, die Bauarbeiten sofort einzustellen. Dieser Bescheid war Gegenstand eines erstinstanzlichen Klageverfahrens vor dem Verwaltungsgericht Regensburg (Az. RO 7 K 14.873). Auf den diesbezüglich im Berufungszulassungsverfahren ergangenen heutigen (ablehnenden) Beschluss des Senats im Verfahren 15 ZB 16.672 wird Bezug genommen.

Im Rahmen einer weiteren Baukontrolle vom 7. April 2014 stellte das Landratsamt fest, dass entgegen der verfügten Baueinstellung ein Mast mit einer Höhe von ca. 18 m errichtet wurde, und zwar - wie sich später herausstellte - nunmehr für eine andere Windkraftanlage, nämlich für eine solche des Fabrikats „A …“.

Mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 17. April 2014, gegen den der Kläger Klage beim Verwaltungsgericht Regensburg erhob, lehnte das Landratsamt den Bauantrag des Klägers vom 28. Februar 2010 ab. Laut der Begründung des Bescheids widerspreche das gem. § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB privilegierte Vorhaben den Darstellungen des im Flächennutzungsplan integrierten Landschaftsplans. Darüber hinaus stünden der Verwirklichung Belange des Naturschutzes, der Landschaftspflege und des Denkmalschutzes entgegen. Das Landschaftsbild werde beeinträchtigt. Schließlich würden bei Umsetzung schädliche Umwelteinwirkungen hervorgerufen.

Mit Schreiben des Verwaltungsgerichts vom 27. November 2015 wurde dem Kläger unter Rekurs auf § 87b Abs. 1 Satz 1 VwGO eine Frist bis zum 23. Dezember 2015 gesetzt, um weitere Tatsachen, durch deren Berücksichtigung oder Nichtberücksichtigung im Verwaltungsverfahren er sich beschwert fühle, anzugeben. In dem Schreiben wurde darauf hingewiesen, dass das Gericht Erklärungen, die erst nach Ablauf der gesetzten Frist vorgebracht werden, unter den Voraussetzungen des § 87b Abs. 3 VwGO zurückweisen und ohne weitere Ermittlungen entscheiden könne.

Am 13. Januar 2016 - am Vortag der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht - reichte der Kläger sowohl beim Landratsamt als auch bei der Beigeladenen einen auf den 25. Mai 2015 datierten und als „Tektur“ bezeichneten Bauantrag für das Bauvorhaben „Errichtung einer Klein-Windkraftanlage“ auf dem Baugrundstück ein und zwar laut beigefügter Baubeschreibung sowie weiteren Unterlagen für das Fabrikat „A …“.

Mit Urteil vom 14. Januar 2016 wies das Verwaltungsgericht Regensburg die Klage des Klägers mit den in der mündlichen Verhandlung gestellten Anträgen, unter Aufhebung des Bescheids vom 17.4.2014 den Beklagten zu verpflichten, „die beantragte Genehmigung unter Berücksichtigung der eingereichten Tekturantragsunterlagen zu erteilen, hilfsweise unter Berücksichtigung der Tekturunterlagen neu zu verbescheiden und hilfsweise festzustellen, dass die ursprünglich beantragte Anlage genehmigungsfähig war“, ab.

Mit seinem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt der Kläger sein Rechtsschutzbegehren weiter.

II.

Der Zulassungsantrag hat keinen Erfolg. Die vom Kläger geltend gemachten Zulassungsgründe liegen entweder nicht vor oder wurden nicht ausreichend am Maßstab von § 124a Abs. 4 Satz 4 und Abs. 5 Satz 2 VwGO dargelegt.

1. Die Berufung ist nicht gem. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts vom 14. Januar 2016 sind nicht gegeben. Das insoweit maßgebliche, in offener Frist bei Gericht eingegangene Vorbringen der Klägerin in der Zulassungsbegründung (§ 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO) rechtfertigt keine andere Beurteilung.

a) Mit seinem Einwand, das Verwaltungsgericht habe den in der mündlichen Verhandlung gestellten Hauptantrag sowie den ersten Hilfsantrag falsch ausgelegt und zu Unrecht nicht auf das Ziel des Erhalts einer Genehmigung für die Errichtung einer Anlage nach Maßgabe des Bauantrags vom 28. Februar 2010 bezogen, kann der Kläger ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts nicht begründen.

Nach Ansicht des Klägers führe das Urteil fehlerhaft aus, dass streitgegenständlich nach der Antragstellung in der mündlichen Verhandlung allein die Erteilung einer Baugenehmigung für die Errichtung einer Kleinwindkraftanlage des Typs „A …“ sei und dass die Erteilung einer Baugenehmigung für eine Kleinwindkraftanlage des Typs „W …“ nicht mehr - auch nicht hilfsweise - weiterverfolgt werde. In der mündlichen Verhandlung sei die Verpflichtung des Beklagten beantragt worden, die „beantragte Genehmigung“ zu erteilen. Aus dieser Antragstellung gehe schon vom Wortlaut her hervor, dass sie sich auch auf die Genehmigung bezogen habe, die der Kläger bereits ursprünglich verfolgt habe. Der Verpflichtungsantrag habe nicht nur das Ziel verfolgt, eine Genehmigung für eine neue bzw. andere bauliche Anlage zu erhalten, sondern habe auch die alte Anlage betroffen. Der in den Tekturunterlagen beschriebene neue Anlagentyp habe nur als Ergänzung des ursprünglich beantragten Antrags angesehen werden sollen. Das gelte auch für den ersten Hilfsantrag. Der zweite Hilfsantrag zeige ebenfalls, dass eine Genehmigung der ursprünglichen Anlage weiterverfolgt werde und nur alternativ die Tekturanlagen einer Genehmigung zugeführt werden sollten. Die Beantragung einer Genehmigung für eine andere bauliche Anlage oder für eine Tektur sei bei dem vorliegenden bloßen „Markenwechsel“ gar nicht erforderlich gewesen. Das Gericht sei insofern fehlerhaft davon ausgegangen, dass bedeutende Änderungen gegenständlich gewesen seien. Die Auswirkungen, die aufgrund der Unterschiede der beiden zu vergleichenden Anlagen zu erwarten seien, seien derart gering, dass diese nicht nennenswert ins Gewicht fielen. Der einzige Unterschied betreffe eine geringfügig variierende Masthöhe, die nicht einmal zwingend eine andere Anlagenhöhe zur Folge habe. Auch hinsichtlich der Lärmbetroffenheit gebe es keine relevanten Unterschiede, weil die Immissionswerte beider Anlagentypen weit unterhalb der einschlägigen Richtwerte lägen. Eine andere baurechtliche Beurteilung sei daher entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts nicht erforderlich gewesen. Der bereits ursprünglich gestellte Antrag sei als ausreichend zu betrachten.

Es ist - wie der Kläger im Zulassungsverfahren versucht darzulegen - nicht nachvollziehbar, dass die in der mündlichen Verhandlung gestellten Verpflichtungsanträge (Hauptantrag und erster Hilfsantrag) auch die Verpflichtung des Beklagten zur Erteilung einer Genehmigung nach Maßgabe des Bauantrags vom 28. Februar 2010 bzw. zur dessen Neubescheidung umfassen sollten. Die diesbezügliche Auslegung des Verwaltungsgerichts lässt keine Fehler erkennen.

Der Wortlaut der protokolierten Anträge steht einem inhaltlichen Verständnis (vgl. § 88 VwGO), wie es das Verwaltungsgericht zu Grunde gelegt hat, dass nämlich vom Verpflichtungs- bzw. Neubescheidungsbegehren nur noch die Anlage des Typs „A …“ umfasst sei, nicht entgegen.

Die Ansicht des Klägers, die Anlage des Typs „A …“ sei in der Sache bereits vom Gegenstand des Antrags vom 28. Februar 2010 umfasst, sodass es des als „Tektur“ bezeichneten Bauantrags vom 25. Mai 2015 gar nicht bedurft hätte, ist rechtlich nicht haltbar. Der Gegenstand eines Bauantrags wird maßgeblich durch die Bauvorlagen definiert. Schon nach den Bauzeichnungen unterscheiden sich beide Anlagenfabrikate deutlich. Eine Kleinwindkraftanlage des Typs „A …“, wie sie der Kläger tatsächlich teilweise errichtet hat, stellt gegenüber der ursprünglich beantragten Kleinwindkraftanlage des Typs „W- …“ ein „aliud“ dar. Der am Vortrag der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht beim Landratsamt sowie bei der Beigeladenen eingereichte Bauantrag vom 25. Mai 2015 ist damit keine bloße Tektur, sondern stellt in der Sache einen ganz neuen Bauantrag dar, weil die Identität des ursprünglich beantragten Vorhabens nicht im Wesentlichen gewahrt bleibt (zur Abgrenzung zwischen Tektur- und Aliudantrag bzw. Tektur- und Aliudgenehmigung vgl. BayVGH, B.v. 2.8.2007 - 1 CS 07.801 - BayVBl. 2007, 758 ff. = juris Rn. 33; B.v. 26.3.2008 - 15 ZB 07.3194 - juris Rn. 9; U.v. 11.11.2014 - 15 B 12.2672 - juris Rn. 27; B.v. 29.8.2016 - 15 ZB 15.2442 - juris Rn. 10; OVG Berlin-Brandenburg, U.v. 14.11.2012 - 2 B 3.11 - juris Rn. 57; B.v. 24.6.2014 - OVG 10 S. 29.13 - juris Rn. 6; OVG Lüneburg, B.v. 16.6.2014 - 1 ME 70/14 - NVwZ-RR 2014, 802 = juris Rn. 11; OVG NW, B.v. 13.12.2012 - 2 B 1250/12 - NVwZ-RR 2013, 500 = juris Rn. 15; Schwarzer/König, 4. Aufl. 2012, Art. 64 Rn. 18 ff.; vgl. auch Struzina/Lindner, ZfBR 2015, 750 ff.; Kerkmann/Sattler, BauR 2005, 47/50 ff. m.w.N.). Es handelte sich nicht nur - wie der Kläger versucht darzustellen - um einen bloßen „Markenwechsel“. Vielmehr unterscheiden sich die beiden Windkraftanlagen nach den Unterlagen der jeweiligen Bauanträge erheblich in den Maßen und hinsichtlich der technischen Ausstattung (divergierende Leistungskraft der Anlagen). Während das vom ursprünglichen Bauantrag vom 28. Februar 2010 umfasste Fabrikat „W- …“ einen Rotordurchmesser von 8 m, eine Nabenhöhe von 16 m (folglich Gesamthöhe 20 m) sowie eine Nennleistung von 10.000 W (= 10 kW) aufweist, verfügt das Fabrikat „A …“ laut den Unterlagen zum Bauantrag vom 25. Mai 2015 über eine Masthöhe 18 m, einen Rotordurchmesser von 5,30 m, eine Nabenhöhe (laut Planzeichnung) von ca. 19 m, eine Gesamthöhe 21,826 m sowie eine Nennleistung 7,5 kW (Maximalleistung 12,5 kW). Beide Anlagen unterscheiden sich mithin schon auf den ersten Blick in ihrem Erscheinungsbild (vgl. BayVGH, U.v. 11.11.2014 a.a.O.). Darüber hinaus stellt sich aufgrund der abweichenden technischen Ausstattung (anderer Rotor) und einer abweichenden Nabenhöhe die Frage der Lärmbelastung im Vergleich zum ursprünglichen Antrag neu. Divergierende Maße und das divergierende Erscheinungsbild der Anlagen können auch Auswirkungen auf die Beurteilung der Betroffenheit des Landschaftsbilds und der Belange des Denkmalschutzes haben, die veränderte Rotorengröße kann ggf. eine andere Relevanz hinsichtlich der Belange des Naturschutzes (Artenschutz) haben. Für beide Anlagen mögen sich mithin ähnliche Zulässigkeitsfragen am Maßstab von § 35 BauGB stellen, diese sind aber aufgrund der aufgezeigten Unterschiede eben jeweils individuell für jede Anlage gesondert zu beurteilen. Zudem waren für den Antrag vom 25. Mai 2015 vollständig neue Bauzeichnungen erforderlich; ein bloßer Einzelplan unter Darstellung der Änderungen im Vergleich zur Ausgangsgenehmigung - wie bei Tekturen typisch - hätte insofern nicht genügt (vgl. Schwarzer/König, BayBO, 4. Aufl. 2012, Art. 64, Rn. 19).

Ausgehend hiervon sowie unter Berücksichtigung der weiteren Umstände des Falles und insbesondere der Erklärungen des Klägers in der mündlichen Verhandlung (hierzu im Folgenden) können die Anträge auf Verpflichtung des Beklagten zur Erteilung der „beantragten Genehmigung unter Berücksichtigung der eingereichten Tekturantragsunterlagen“ (Hauptantrag) bzw. zur diesbezüglichen Neubescheidung (erster Hilfsantrag) nur dahin ausgelegt werden, dass es dem Kläger nur noch um eine Anlage „A …“ ging, wie sie Gegenstand des (erst am Vortag eingereichten) Genehmigungsantrags vom 25. Mai 2015 ist:

In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht erklärte der Kläger auf die Frage des Gerichts, warum der Bau einer anderen Anlage als beantragt begonnen worden sei, die Herstellerfirma der damals beantragten Anlage sei insolvent geworden und die (ursprünglich beantragte) Anlage sei im Handel nicht mehr verfügbar. Er könne diese Anlage gar nicht mehr bauen. Ähnlich hatte sich der Kläger bereits im Rahmen eines Augenscheintermins geäußert. Es dürfte bereits Vieles dafür sprechen, dass der Kläger, nachdem er eine andere Anlage erworben und in fortgeschrittenem Stand errichtet hatte, durch die Einreichung des so bezeichneten „Tekturantrags“ am Vortag der mündlichen Verhandlung seinen ursprünglichen Bauantrag ggf. sogar konkludent zurückgenommen hat (vgl. Schwarzer/König, BayBO, 4. Aufl. 2012, Art. 64, Rn. 20; BayVGH, U.v. 11.11.2014 - 15 B 12.2672 - juris Rn. 27). Jedenfalls ergibt sich aus den Ausführungen des Klägers in der mündlichen Verhandlung, dass er im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht eindeutig kein Interesse mehr hatte, die Kleinwindkraftanlage des Typs „W- …“, wie sie Gegenstand des ursprünglichen Bauantrags vom 28. Februar 2010 war, noch umzusetzen.

Dass das Protokoll über die mündliche Verhandlung insoweit unrichtig sei, wurde vom Kläger im Zulassungsverfahren nicht geltend gemacht. Auch und insbesondere im Schriftsatz vom 26. April 2016 findet sich keine plausible bzw. substanziierte Darlegung dazu, dass der Kläger entgegen seinen Aussagen in der mündlichen Verhandlung tatsächlich doch noch an der Errichtung einer Kleinwindkraftanlage des Typs „W- …“ interessiert (gewesen) sei. Die Ausführung begrenzen sich - wie oben gesehen - auf die maßgeblich am vermeintlichen Wortlaut der Antragstellung sowie an Fragen der (Ir-) Relevanz von Änderungen im Baugenehmigungsverfahren ausgerichtete Behauptung, der Verpflichtungsantrag (Hauptantrag) sowie der Neubescheidungsantrag (erster Hilfsantrag) hätten sowohl die mit Bauantrag vom 28. Februar 2010 erfasste Anlage des Typs „W- …“ als auch die Anlage des Fabrikats „A …“, die Gegenstand des neuen Bauantrags ist, mitumschlossen. Die Motivationslage in Bezug auf den Umsetzungswillen für den ursprünglich beantragten Anlagentyp wird vom Kläger nicht thematisiert. Unabhängig vom Erfordernis substanziierter Darlegung des Zulassungsgrundes (§ 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO) kann der Zulassungsbegründung auch mit Blick auf die Existenz des nach Schluss der mündlichen Verhandlung per Telefax am 15. Januar 2016 (ohne gerichtliche Zulassung und damit unter Verstoß gegen die prozessualen Regeln, vgl. Geiger in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 103 Rn. 18) nachgereichten Schriftsatz des Klägers vom 14. Januar 2016 (vgl. Bl. 153 f. der VG-Akte RO 7 K 14.873) kein solcher Vortrag entnommen werden. Denn der Bevollmächtigte des Klägers führt in diesem Schriftsatz lediglich aus, das Verwaltungsgericht unterliege einem Fehler, wenn es aus der Aussage des Klägers, dass er die ursprüngliche Anlage nicht mehr errichten wolle, schlösse, dass er das auch nicht mehr könne. Auch wenn das Herstellerunternehmen der ursprünglich geplanten Anlage insolvent sei, sei - so der Kläger in diesem Schriftsatz weiter - in Erfahrung gebracht worden, dass solche Anlagen bei einigen Händlern, teilweise auch als gebrauchte Anlagen, erwerbbar seien, wenngleich zu sehr hohen Preisen. Es wird in diesem Schriftsatz mithin nur auf eine fortbestehende Möglichkeit des Erwerbs des ursprünglich beantragten Anlagentyps trotz Insolvenz des Herstellers hingewiesen. Die Haltung des Klägers, die ursprünglich beantragte Anlage nicht mehr errichten zu wollen, wird nicht revidiert, sondern vielmehr bestätigt. Dass der Kläger im Zulassungsbegründungsschriftsatz nunmehr von dieser Aussage abrückt, ist nicht erkennbar.

Würde man bei dieser Sachlage dennoch davon ausgehen, der Kläger hätte mit seinen Klageanträgen eine Verpflichtung der Beklagten auf Erteilung einer Baugenehmigung für den Anlagentyp „W- …“ bzw. auf Neubescheidung hierüber weiterverfolgt, würde diesbezüglich dem Kläger das Rechtsschutzbedürfnis fehlen, weil er seine Rechtsstellung bei Erfolg der Klage nicht verbessern könnte (vgl. Rennert, in: Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, Vor §§ 40 - 53, Rn. 16). Denn ihm würde der Erfolg der Klage insoweit - also eine Verpflichtung zur Erteilung einer Baugenehmigung nach Maßgabe des ursprünglichen Bauantrags oder zu dessen Neubescheidung - nichts nutzen, wenn er die Verwirklichung einer Anlage des Anlagentyps „W- …“ aufgegeben hat. Auch vor diesem Hintergrund macht der Vortrag im Zulassungsverfahren, der Kläger hätte mit seinen in der mündlichen Verhandlung gestellten Anträgen weiterhin eine Genehmigung für eine Anlage „W- …“ verfolgt, keinen Sinn.

Stellen aber die Anlagentypen „W- …“ und „A …“ divergierende Antragsgegenstände dar, sodass der Anlagentyp „A …“ nicht vom ursprünglichen Bauantrag aus dem Jahr 2010 abgedeckt ist, und ist ferner den Erklärungen des Klägers - wie aufgezeigt - unzweideutig zu entnehmen, dass er - unabhängig von der Frage, ob eine Anlage des Typs „W- …“ trotz Insolvenz des Herstellers noch tatsächlich auf dem Markt erwerbbar ist oder nicht - an einer Anlage genau dieses Typs kein Interesse mehr hat (und ihm damit eine entsprechende Genehmigung mangels Umsetzungswillens nichts nutzen würde), dann verbleibt keine andere Möglichkeit, als den Klageantrag im Haupt- und im ersten Hilfsantrag mit dem Verwaltungsgericht dahin auszulegen, dass es dem Kläger nur noch um die Verpflichtung des Beklagten ging, eine Baugenehmigung nach Maßgabe des tags zuvor eingereichten, auf den 25. Mai 2015 datierten Bauantrags für die Errichtung einer Kleinwindkraftanlage des Typs „A …“ zu erteilen (Hauptantrag) bzw. diesen neu zu verbescheiden (erster Hilfsantrag). Hierfür spricht auch, dass der Kläger genau diese Anlage bereits zu einem Großteil am relevanten Standort tatsächlich errichtet hat.

b) Die Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils ist nicht aufgrund der Ausführungen in den Entscheidungsgründen zur Frage einer Klageänderung (§ 91 VwGO) ernstlich zweifelhaft. Der Kläger moniert, dass eine Klageänderung nur dann in Frage käme, wenn tatsächlich ein anderer Antrag gestellt worden wäre.

Der diesbezügliche Vortrag des Klägers ist schon deshalb irrelevant, weil das Verwaltungsgericht selbst das Vorliegen einer Klageänderung offen gelassen hat. Das Verwaltungsgericht hat den Verpflichtungssowie den (hilfsweise gestellten) Neubescheidungsantrag ausdrücklich unabhängig vom Vorliegen der Voraussetzungen einer zulässigen Klageänderung mit den von ihm (s.o.: richtigerweise) zu Grunde gelegten Inhalten als unzulässig angesehen. Aufgrund dessen kann die Frage, ob von einer Klageänderung auszugehen ist oder nicht, mangels Entscheidungserheblichkeit für die Zulassung der Berufung gem. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO keine Rolle spielen (vgl. BayVGH, B.v. 23.6.2015 - 1 ZB 13.92 - juris Rn. 3; B.v. 6.2.2017 - 15 ZB 16.398 - juris Rn. 14; B.v. 6.3.2017 - 15 ZB 16.562 - juris Rn. 15).

c) Soweit der Kläger gegen das erstinstanzliche Urteil einwendet, das Verwaltungsgericht sei zu Unrecht zu dem Schluss gekommen, dass es der Verpflichtungsklage am Rechtsschutzbedürfnis fehle, vermag er damit die Berufungszulassung ebenfalls nicht auf § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zu stützen.

Der diesbezügliche Hauptangriff des Klägers, die Annahme der Unzulässigkeit wegen fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses sei Folge einer fehlerhaften Antragsauslegung gewesen, geht inhaltlich fehl. Die vom Kläger als unzutreffend gerügte Auslegung der Klageanträge (Haupt- und erster Hilfsantrag) - als Basis der Argumentation des Verwaltungsgerichts zum fehlenden Rechtsschutzinteresse - erweist sich nach den obigen Ausführungen zu a) vielmehr als zutreffend.

Die Einwendungen, die der Kläger gegen die Ausführungen des Gerichts zu § 87b VwGO im Zusammenhang mit der Begründung des fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses erhebt, begründen ebenfalls keinen Zulassungsgrund wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils.

Das Verwaltungsgericht hat seine Ansicht, wonach der Verpflichtungsklage das Rechtsschutzbedürfnis fehle, in erster Linie darauf gestützt, dass der Beklagte noch nicht über den geänderten Bauantrag entschieden habe. Zur Zulässigkeit der Klage gehöre, dass das Verwaltungsverfahren durchgeführt worden sei, es sei denn, es lägen die Voraussetzungen einer Untätigkeitsklage nach § 75 VwGO vor. An einem solchen Verwaltungsverfahren fehle es vorliegend. Die ablehnende Entscheidung des Beklagten vom 17. April 2014 beziehe sich auf die Bauantragsunterlagen vom 28. Februar 2010, mit denen die Genehmigung für einen anderen Anlagentyp beantragt worden sei. Aufgabe der Verwaltungsgerichte sei es, behördliche Entscheidungen über Bauanträge auf ihre Rechtmäßigkeit zu überprüfen, nicht aber, solche Entscheidungen selbst zu treffen. Das Erfordernis, dass der Kläger sein Begehren vor Klageerhebung in einem Verwaltungsverfahren geltend mache, sei eine Sachurteilsvoraussetzung, die auch der Verwirklichung des in Art. 20 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 GG verankerten Gewaltenteilungsprinzips diene. Der Beklagte habe - unabhängig davon, ob es sich hinsichtlich des Anlagentyps „A …“ um einen Änderungsantrag oder um einen ganz neuen Bauantrag handele - einen Anspruch darauf, zunächst selbst (ggf. unter Beteiligung ihm zur Verfügung stehender Fachstellen bzw. Fachbehörden) über den zuletzt gestellten Bauantrag zu entscheiden. Zudem habe die Beigeladene einen Anspruch auf Beteiligung mit Blick auf § 36 BauGB. Art. 66 BayBO sehe ferner eine Nachbarbeteiligung vor. Nur ausnahmsweise - so das Gericht weiter - bedürfe es aus Gründen der Verfahrensökonomie dann keines neuen Verwaltungsverfahrens und einer vorangehenden Entscheidung der Behörde, wenn es um unbedeutende bzw. untergeordnete Antragsänderungen gehe und der Streitstoff im Wesentlichen derselbe bleibe. Auf Seite 7 des angegriffenen Urteils legt das Verwaltungsgericht umfassend dar, warum aus seiner Sicht ein solcher Ausnahmefall nicht vorliege.

Gegen diese Ausführungen werden vom Kläger im Zulassungsverfahren (abgesehen vom nicht durchschlagenden Vorwurf einer falschen Klageantragsauslegung, s.o.) keine substanziierten Einwendungen erhoben.

Lediglich als Zusatzargument („unabhängig davon“) führt das Verwaltungsgericht im Anschluss ergänzend aus, dass gegen einen Ausnahmefall aus Gründen der Verfahrensökonomie auch spreche, dass das Gericht bereits anlässlich des Ortstermins am 21. Mai 2015 die Stellung eines entsprechenden Antrags angeregt sowie mit Schreiben vom 27. November 2015 eine Frist gem. § 87b VwGO gesetzt habe, dass nunmehr eine gerichtliche Beurteilung hinsichtlich des am 13. Januar 2016 gestellten und erst am Folgetag in der mündlichen Verhandlung dem Gericht zur Kenntnis gebrachten Bauantrag ohne Einholung von Stellungnahmen der Fachbehörden sowie der Gemeinde nicht möglich sei und dass deshalb eine solche Beurteilung zu einer Verzögerung des Rechtsstreits führen würde. Ist aber das angefochtene Urteil auf mehrere selbständig tragende Begründungen gestützt (kumulativen Mehrfachbegründung), kann die Berufung nur zugelassen werden, wenn im Hinblick auf jede dieser Urteilsbegründungen ein Zulassungsgrund geltend gemacht ist und vorliegt (BayVGH, B.v. 11.4.2016 - 22 ZB 15.2484 - juris Rn. 8; B.v. 3.9.2015 - 9 ZB 12.2354 - juris Rn. 6; B.v. 21.1.2013 - 8 ZB 11.2030 - juris Rn. 15; B.v. 19.7.2011 - 8 ZB 11.319 - juris Rn. 15 m.w.N.; Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124a Rn. 61 m.w.N.). Allein der Angriff auf die Ausführungen des Verwaltungsgerichts zu § 87b VwGO nutzt dem Kläger am Maßstab von § 124 Abs. 2 Nr. 1, § 124 a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO daher nichts, wenn nicht auch die vorangegangenen, ebenso tragenden „Primär“-Erwägungen substanziiert angegriffen werden. Letzteres ist aber nicht geschehen.

Im Übrigen fehlt es an weiteren, dem Darlegungsgebot gem. § 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO genügenden substanziierten Einwendungen gegen die Richtigkeit der Annahme eines fehlenden Rechtsschutzinteresses (vgl. BayVGH, B.v. 26.9.2016 - 15 ZB 16.1365 - juris Rn. 8 m.w.N.). Der Senat teilt im Grundsatz die Annahme des Verwaltungsgerichts, dass im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung die Sachurteilsvoraussetzungen für den Verpflichtungsantrag (Hauptantrag) sowie den Neubescheidungsantrag (erster Hilfsantrag) nach richtiger Auslegung in Ausrichtung auf eine Kleinwindkraftanlage des Typs „A …“ nicht vorlagen. Die Begründung hierfür wäre aber wohl eher unmittelbar den Regelungen in § 75 Satz 1 und Satz 2 VwGO zu entnehmen: Aufgrund der Antragseinreichung am Tag vor der mündlichen Verhandlung war die prozessuale Situation im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht (14. Januar 2016) dadurch gekennzeichnet, dass ein entsprechender Bauantrag (= Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsakts) tatsächlich bereits existierte bzw. gestellt war, dass aber über diesen durch das zuständige Landratsamt (Art. 53 Abs. 1 Satz 2, Art. 59 ff. BayBO) noch nicht entschieden wurde bzw. werden konnte. Es liegt damit ein Fall der Untätigkeitsklage vor, die gem. § 75 Satz 1 VwGO erst zulässig ist, wenn über den Vornahmeantrag ohne zureichenden Grund in angemessener Frist nicht entschieden wurde. Im Regelfall gilt gem. § 75 Satz 2 VwGO eine Sperrfrist von drei Monaten. Besondere Umstände, wonach wegen Halbsatz 2 dieser Regelung eine kürzere Frist geboten wäre, sind nicht ersichtlich und auch im Zulassungsverfahren nicht geltend gemacht worden, zumal im Baugenehmigungsverfahren zunächst der Bauantrag von der Beigeladenen mit einer Stellungnahme an das Landratsamts weiterzuleiten ist und das Landratsamt vor der Entscheidung über den Bauantrag weitere Stellen einzubinden hat (Art. 65 BayBO). Weil die Beigeladene noch über die Erteilung des gemeindlichen Einvernehmens zu entscheiden hatte und zudem weitere Behörden und Fachstellen (insbesondere zu denkmalfachlichen, immissionsbezogenen und naturschutzfachlichen Fragen) einzubinden waren, lag es seinerzeit - worauf auch das Verwaltungsgericht auf Seite 8 des angegriffenen Urteils abgestellt hat - auf der Hand, dass eine angemessene Frist i.S. von § 75 Satz 1 VwGO als Zulässigkeitsvoraussetzung für eine Verpflichtungs- bzw. Neubescheidungsklage in Bezug „A …“ nach nur einem Tag noch nicht abgelaufen sein konnte (soweit diese Frist überhaupt schon zu laufen begann, was insbesondere von der Vollständigkeit der Antragsunterlagen abhängt, vgl. BayVGH, B.v. 3.6.2016 - 15 BV 15.2441 - juris; im Anschluss BVerwG, B.v. 10.1.2017 - 4 B 39/16 - juris). In der Zulassungsbegründung sind auch keine nach der mündlichen Verhandlung eingetretenen Umstände vorgetragen worden, die Veranlassung geben könnten, über ein nunmehr anderes Ergebnis nachzudenken (zur Streitfrage, ob und unter welchen Voraussetzungen nach der mündlichen Verhandlung neu entstandene Tatsachen im Zulassungsverfahren berücksichtigungsfähig sind, vgl. z.B. Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124 Rn. 21, 22). Soweit im Falle einer am Maßstab von § 75 Satz 1 und Satz 2 VwGO verfrühten bzw. vorzeitigen Untätigkeitsklage vertreten wird, dass das angerufene Gericht die noch unzulässige Untätigkeitsklage nicht wegen Unzulässigkeit abweisen dürfe, sondern entweder das Verfahren analog § 75 Satz 3 VwGO bis zum Ablauf der Frist aussetzen (vgl. BVerwG, U.v. 20.1.1966 - I C 24.63 - BVerwGE 23, 135 = juris Rn. 15 ff.; krit. hierzu Menger/Erichsen, VerwArch 1967, 70/79 ff.) oder schlicht bis dahin zuwarten müsse (vgl. Rennert in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 75), ist darauf vom Senat im vorliegenden Zulassungsverfahren nicht einzugehen, weil dies nicht nach Maßgabe von § 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO geltend gemacht wurde.

d) Soweit der Kläger meint, dass jedenfalls der Anfechtungsteil des Klageantrags (d.h. soweit sich der Antrag auf die Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom 17. April 2014 bezog) im Rahmen der Begründetheit abzuarbeiten gewesen wäre und dass das Verwaltungsgericht wegen diesbezüglichen Unterlassens einem relevanten, zur Berufungszulassung führenden Fehler unterlegen sei, kann er damit ernsthafte Zweifel an der Richtigkeit des Urteils nicht begründen. Begrenzt sich ein Kläger in der Situation einer Verpflichtungsklage darauf, nur die Aufhebung des ablehnenden Verwaltungsakts zu beantragen, fehlt einer solchen sog. isolierten Anfechtungsklage grundsätzlich - abgesehen von besonderen Ausnahmefällen - das allgemeine Rechtsschutzinteresse (Schmidt in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 113 Rn. 34). Es entspricht zwar allgemeiner Übung der Verwaltungsgerichte, bei einem stattgebenden Verpflichtungsurteil zur Klarstellung neben der Verpflichtung der Behörde, den beantragten Verwaltungsakt zu erlassen, auch die entsprechende ablehnende Verwaltungsentscheidung aufzuheben. Dies macht die Verpflichtungsklage in Gestalt der Versagungsgegenklage aber nicht zu einer Verbindung von Anfechtungs- und Verpflichtungsklage; vielmehr ist insoweit von einem „unselbständigen Anfechtungsannex“ der Verpflichtungsklage auszugehen (Schmidt a.a.O. Rn. 33). Bei einer Verpflichtungsklage ist die ablehnende behördliche Entscheidung im engeren Sinne grundsätzlich nicht selbständiger Gegenstand des Verfahrens (zum Ganzen auch NdsOVG, U.v. 24.11.2015 - 5 LB 59/15 - juris Rn. 62). Aus diesem Grund kann auch die Unzulässigkeit einer Verpflichtungsklage (Hauptantrag) bzw. einer Neubescheidungsklage (erster Hilfsantrag) nicht zur Folge haben, dass das Gericht jedenfalls über den Anfechtungsteil in der Sache entscheiden müsste. Dass hier eine Ausnahme von diesem Grundsatz vorliegen könnte, ist weder vom Kläger im Zulassungsverfahren geltend gemacht worden noch ist dies sonst ersichtlich. Dass der Kläger hier überhaupt die Aufhebung des Bescheids vom 17. April 2014 als „unselbständigen Anfechtungsannex“ stellte, ist nur damit erklärbar, dass er offensichtlich dem - s.o.: auch in der Zulassungsbegründung zum Ausdruck kommenden - Irrtum unterlag, dass sich diese Ablehnung auch auf den tatsächlich nur noch verfolgten Anlagentypus „A …“ bezieht.

e) Auch mit seinem Angriff gegen die Annahme des Verwaltungsgerichts, der Feststellungsantrag (zweiter Hilfsantrag) sei unzulässig, kann der Kläger keine ernstlichen Zweifel an der Urteilsrichtigkeit begründen. Es spielt keine Rolle, ob dieser Feststellungsantrag als allgemeine Feststellungsklage gem. § 43 Abs. 1 VwGO oder als Fortsetzungsfeststellungsklage analog § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO anzusehen ist. Ebenso kann dahingestellt bleiben, ob im Falle der Annahme einer allgemeinen Feststellungsklage der Zulässigkeit die Subsidiarität gem. § 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO entgegensteht. Jedenfalls hat der Kläger auch mit seinem Zulassungsantrag kein Feststellungsinteresse geltend gemacht und insofern keine substanziierten Einwendungen gegen die Ausführungen des Verwaltungsgerichts erhoben, dass ein solches Interesse weder dargelegt worden noch sonst ersichtlich sei.

2. Die Berufung ist auch nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen, § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO. Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache zu, wenn eine Rechts- oder Tatsachenfrage für die Entscheidung des Rechtsstreits erheblich, bislang höchstrichterlich oder obergerichtlich nicht geklärt und über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus bedeutsam ist; die Frage muss ferner im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts einer berufungsgerichtlichen Klärung zugänglich sein und dieser Klärung auch bedürfen (vgl. BVerwG, B.v. 16.11.2010 - 6 B 58.10 - juris Rn. 3; B.v. 17.12.2010 - 8 B 38.10 - juris Rn. 8; BayVGH, B.v. 12.8.2016 - 15 ZB 15.696 - juris Rn. 19).

Die vom Kläger aufgeworfene und als grundsätzlich bezeichnete Frage, „unter welchen Bedingungen zwei Anlagen von unterschiedlichen Herstellern im Bereich der sog. Kleinwindkraft derart vergleichbar sind, dass ein neues Genehmigungsverfahren nicht erforderlich wird“, weist keine über die einzelfallbezogene Rechtsanwendung hinausgehende Bedeutung auf, deren Klärung der Durchführung eines Berufungsverfahrens bedürfte. Die diesbezüglichen fallübergreifenden Rechtsfragen sind vielmehr geklärt, vgl. die oben zu 1. a) zitierte Rechtsprechung u.a. zur „Tektur“ und zum „aliud“. Die einzelfallbezogene Anwendung von bereits grundsätzlich Geklärtem ist nicht i.S. von § 124 Abs. 2 Nr. 3 klärungsbedürftig (Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124 Rn. 38).

Der vom Kläger ferner geltend gemachte Klärungsbedarf zu der Frage, „ob bzw. welche rechtlichen Anforderungen an Kleinwindkraftanlagen generell im Gegensatz zu herkömmlichen Windkraftanklagen gestellt werden“, lässt - unabhängig von der Frage der Entscheidungserheblichkeit bzw. Klärungsfähigkeit (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124 Rn. 37) - ebenfalls keine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache i.S. von § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO erkennen. Insofern erfüllt der Kläger bereits nicht die Anforderungen an die Darlegung des Zulassungsgrundes gem. § 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO. Dem Vortrag des Klägers fehlt eine inhaltliche Durchdringung und substanziierte Erläuterung unter Auseinandersetzung mit den Erwägungen des Verwaltungsgerichts, warum die Frage klärungsbedürftig ist (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 124a Rn. 72). Die Frage ist im Übrigen schon viel zu weit gefasst und würde sich deshalb in dieser Allgemeinheit in einem Berufungsverfahren so nicht in entscheidungserheblicher Weise stellen (vgl. auch BVerwG, B.v. 21.9.2016 - 6 B 14.16 - juris Rn. 11, 14, 15). Welche allgemeinen rechtlichen Anforderungen an Kleinwindkraftanlagen bestehen und welche Unterschiede insofern im Vergleich zu „herkömmlichen“ Windkraftanlagen (ggf. sind insofern immissionsschutzrechtlich genehmigungsbedürftige Anlagen gemeint) gelten, lässt sich nicht ohne Weiteres abstrakt beantworten. Hier kommt es vielmehr auf den jeweiligen Einzelfall an, so dass die vom Kläger gestellte Frage insbesondere unter diesem Blickwinkel einer generellen Klärung nicht zugänglich ist.

3. Ohne Erfolg macht der Kläger einen Verfahrensmangel geltend (vgl. § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO). Es ist nicht ersichtlich, dass er nach Maßgabe seines Zulassungsvorbringens durch die mit Beschluss des Verwaltungsgerichts in der mündlichen Verhandlung erfolgte Ablehnung seines Vertagungsantrags in seinem „Recht auf ausreichendes rechtliches Gehör“ verletzt sein könnte.

Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs (§ 108 Abs. 2 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG) verschafft den Verfahrensbeteiligten ein Recht darauf, sich zu allen entscheidungserheblichen Tatsachen zweckentsprechend und erschöpfend zu erklären und Anträge zu stellen, und verpflichtet das Gericht, das entscheidungserhebliche Vorbringen und die Anträge der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und zu erwägen. Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist verletzt, wenn die angefochtene Entscheidung auf Tatsachen oder Beweisergebnisse gestützt wird, zu denen sich die Beteiligten nicht äußern konnten, oder wenn das erkennende Gericht das entscheidungserhebliche tatsächliche oder rechtliche Vorbringen der Beteiligten nicht zur Kenntnis genommen und nicht erwogen hat. Eine Gehörsverletzung liegt regelmäßig auch dann vor, wenn ein Vertagungsantrag abgelehnt wurde, nachdem in der mündlichen Verhandlung erstmals ein entscheidungserheblicher Gesichtspunkt zur Sprache gekommen ist, zu dem eine Äußerung in der mündlichen Verhandlung nicht zumutbar ist. Für die ordnungsgemäße Darlegung einer Verletzung des rechtlichen Gehörs ist erforderlich, dass der Betroffene die Tatsachen, auf die das Gericht seine Entscheidung gestützt hat und zu denen er sich nicht äußern konnte, benennt und zugleich aufzeigt, an welchen tatsächlichen oder rechtlichen Ausführungen er aufgrund der Verletzung rechtlichen Gehörs gehindert war bzw. was er bei ausreichender Gewährung rechtlichen Gehörs noch vorgetragen hätte und weshalb dies unter Zugrundelegung der Rechtsansicht des Verwaltungsgerichts entscheidungserheblich gewesen wäre (zum Ganzen exemplarisch NdsOVG, B.v. 27.4.2016 - 12 LA 22/15 - UPR 2016, 314 = juris Rn. 10 m.w.N.).

Nach diesen Maßstäben ist ein hinreichend substanziiert gerügter Verfahrensmangel nicht festzustellen. Der Kläger erläutert, die Vertagung sei aufgrund des tags zuvor eingereichten „Tekturantrags“ beantragt worden. Sein erläuternder Vortrag, dies habe den Zweck gehabt, „eine weitere klageweise Auseinandersetzung zu vermeiden zu helfen“, lässt schon im Ansatz keinen Bezug zu einer möglichen Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör erkennen. Soweit er weiter vorbringt, in der mündlichen Verhandlung seien zahlreiche Einlassungen u.a. von Seiten des „Technischen Umweltschutzes“ erfolgt, die die Genehmigungsfähigkeit des Vorhabens betroffen hätten, fehlt es an einer substanziierten Auseinandersetzung mit den Ablehnungsgründen des Verwaltungsgerichts. Laut Niederschrift der mündlichen Verhandlung hatte die Begründung des Ablehnungsbeschlusses folgenden Inhalt:

„(…) Erhebliche Gründe für eine Vertagung liegen nicht vor. Im Hinblick auf den Feststellungsantrag zum ursprünglichen Vorhaben ist die Sache entscheidungsreif. Die Abstandsflächenproblematik ist nicht Gegenstand der Ablehnung der Baugenehmigung. Die Frage der Zulässigkeit der ursprünglich erhobenen Klage ist eine Prozessvoraussetzung, die ein Prozessbeteiligter immer zu bedenken hat. Im Hinblick auf die erhobene Verpflichtungsklage für das zuletzt beantragte Vorhaben liegen erhebliche Gründe ebenfalls nicht vor. Der Kläger hat die Antragsunterlagen, die vom 29.12.2015 stammen, erst gestern, spätnachmittag, beim Beklagten und der Beigeladenen eingereicht. Angesichts der Tatsache, dass der Kläger wusste, dass die alte Anlage nicht mehr errichtet werden kann, und das Gericht im Ortstermin im Mai 2015 angeregt hat, mit dem Beklagten zu prüfen, ob ein ‚Tekturantrag’ gestellt wird, sowie der Fristsetzung nach § 87 b VwGO bestand für den Kläger keine Veranlassung, den ‚Tekturantrag’ erst jetzt einzureichen und in das Verfahren einzubringen.“

Mit diesen Argumenten setzt sich die Zulassungsbegründung zur Untermauerung der behaupteten Gehörsverletzung nicht auseinander. Der Kläger zeigt ferner nicht substanziiert auf, an welchen tatsächlichen oder rechtlichen Ausführungen er aufgrund der behaupteten Verletzung rechtlichen Gehörs gehindert war bzw. was er bei ausreichender Gewährung rechtlichen Gehörs noch vorgetragen hätte und weshalb dies unter Zugrundelegung der Rechtsansicht des Verwaltungsgerichts entscheidungserheblich gewesen wäre. Insofern ist vor allem zu berücksichtigen, dass das Verwaltungsgericht sowohl den Hauptantrag als auch die beiden Hilfsanträge im angegriffenen Urteil vom 14. Januar 2016 schon als unzulässig ansah. Insofern ist von vornherein nicht ersichtlich, inwiefern ein weiterer Tatsachenvortrag zu Frage der Genehmigungsfähigkeit der Anlage(n) hätte entscheidungserheblich sein können. Damit scheidet jedenfalls aus, dass die angegriffene Entscheidung auf einem diesbezüglich gerügten Verfahrensmangel (seine Existenz unterstellt) beruhen kann.

Ob eine Verpflichtung des Verwaltungsgericht zur Vertagung bestanden haben könnte, weil eine gem. § 75 Satz 1 und Satz 2 VwGO verfrühte Untätigkeitsklage ggf. nicht ohne Weiteres als unzulässig hätte abgewiesen werden dürfen (sondern - s.o. - stattdessen ggf. eine Aussetzung bzw. ein Zuwarten bis zur „Klagereife“ geboten gewesen wäre), ist nicht Gegenstand des Vortrags des Klägers im Zulassungsverfahren. Dieses Rechtsproblem war daher vom Senat wegen § 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO bei der Entscheidung über die Berufungszulassung nicht zu berücksichtigen.

4. Ein Berufungszulassungsgrund gem. § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO ist nicht ersichtlich. Besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten im Sinne dieser Vorschrift weist eine Rechtssache dann auf, wenn die Beantwortung der für die Entscheidung erheblichen Fragen in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht voraussichtlich das durchschnittliche Maß nicht unerheblich überschreitende Schwierigkeiten bereitet, wenn sie sich also wegen der Komplexität und abstrakten Fehleranfälligkeit aus der Mehrzahl der verwaltungsgerichtlichen Verfahren heraushebt. (vgl. BayVGH, B.v. 20.4.2016 - 15 ZB 14.2686 u.a. - juris Rn. 63 m.w.N.; Rudisile in Schoch/Schneider/ Bier, VwGO, Stand: Juni 2016, § 124 Rn. 28 m.w.N.). Diese Voraussetzungen sind nach dem Zulassungsvortrag des Klägers vorliegend nicht erfüllt bzw. nicht substanziiert dargelegt, wie sich aus den voranstehenden Ausführungen zu 1. bis 3. ergibt.

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Es entspricht der Billigkeit, dass die Beigeladene ihre außergerichtlichen Kosten selbst trägt (vgl. § 162 Abs. 3 VwGO). Denn ein Beigeladener setzt sich im Berufungszulassungsverfahren unabhängig von einer Antragstellung grundsätzlich keinem eigenen Kostenrisiko aus (vgl. BayVGH, B.v. 6.3.2017 - 15 ZB 16.562 - juris Rn. 18 m.w.N.). Ein Grund, der es gebieten würde, die außergerichtlichen Kosten aus Billigkeitsgründen ausnahmsweise als erstattungsfähig anzusehen, ist nicht ersichtlich. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47, § 52 Abs. 1 GKG. Sie folgt in der Höhe der Festsetzung des Verwaltungsgerichts, gegen die keine Einwände erhoben wurden.

6. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

Tenor

Das Urteil des Verwaltungsgerichts Lüneburg vom 23. Januar 2004 - 3 A 120/02 - und der Beschluss des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 14. Juni 2004 - 11 LA 79/04 - verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 19 Absatz 4 des Grundgesetzes.

Die Entscheidungen werden aufgehoben. Die Sache wird zur Entscheidung an das Verwaltungsgericht Lüneburg zurückverwiesen.

...

Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit im Verfassungsbeschwerdeverfahren wird auf 8.000 Euro festgesetzt.

Gründe

1

Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen verwaltungsgerichtliche Entscheidungen, in denen dem Rechtsschutzbegehren des Beschwerdeführers gegen die Auferlegung von Gebühren für eine polizeiliche Ingewahrsamnahme im Anschluss an eine Versammlung mit der Begründung der Erfolg versagt wird, die inzidente Prüfung der Rechtmäßigkeit der dem Heranziehungsbescheid zugrunde liegenden polizeilichen Ingewahrsamnahme sei den Verwaltungsgerichten verwehrt.

I.

2

1. Dem Ausgangsverfahren liegen folgende Vorschriften des einfachen Rechts zugrunde:

3

a) Aus dem Niedersächsischen Gefahrenabwehrgesetz in der Fassung vom 20. Februar 1998 (GVBl vom 4. März 1998, S. 101 <107> - NGefAG a.F.):

4

§ 17 NGefAG a.F.

5

(Platzverweisung)

6

(1) Die Verwaltungsbehörden und die Polizei können zur Abwehr einer Gefahr jede Person vorübergehend von einem Ort verweisen oder ihr vorübergehend das Betreten eines Ortes verbieten. ...

7

§ 18 NdsGefAG a.F.

8

(Gewahrsam)

9

(1) Die Verwaltungsbehörden und die Polizei können eine Person in Gewahrsam nehmen, wenn dies

...

10

2. unerlässlich ist, um die unmittelbar bevorstehende Begehung oder Fortsetzung

...

11

b) einer Ordnungswidrigkeit von erheblicher Gefahr für die Allgemeinheit

12

zu verhindern, oder

13

3. unerlässlich ist, um eine Platzverweisung nach § 17 durchzusetzen.

14

15

§ 19 NGefAG a.F.

16

(Richterliche Entscheidung)

17

(1) Wird eine Person auf Grund des § 13 Abs. 2 Satz 2, des § 16 Abs. 3 oder des § 18 festgehalten, so haben die Verwaltungsbehörden oder die Polizei unverzüglich eine richterliche Entscheidung über die Zulässigkeit und Fortdauer der Freiheitsbeschränkung herbeizuführen. Der Herbeiführung der richterlichen Entscheidung bedarf es nicht, wenn anzunehmen ist, dass die Entscheidung erst nach Wegfall des Grundes der Maßnahme ergehen wird.

18

(2) Ist die Freiheitsbeschränkung vor Erlass einer gerichtlichen Entscheidung beendet, so kann die festgehaltene Person ... innerhalb eines Monats nach Beendigung der Freiheitsbeschränkung die Feststellung beantragen, dass die Freiheitsbeschränkung rechtswidrig gewesen ist, wenn diese länger als acht Stunden angedauert hat oder für die Feststellung ein sonstiges berechtigtes Interesse besteht. Der Antrag kann bei dem nach Absatz 3 Satz 2 zuständigen Amtsgericht schriftlich oder durch Erklärung zu Protokoll der Geschäftstelle dieses Gerichts gestellt werden. Die Entscheidung des Amtsgerichts ist mit sofortiger Beschwerde anfechtbar. Gegen die Entscheidung des Landgerichts ist die weitere sofortige Beschwerde nur statthaft, wenn das Landgericht sie wegen der grundsätzlichen Bedeutung der zur Entscheidung stehenden Frage zulässt.

19

(3) Für die Entscheidung nach Absatz 1 ist das Amtsgericht zuständig, in dessen Bezirk die Person festgehalten wird. Für die Entscheidung nach Absatz 2 ist das Amtsgericht zuständig, in dessen Bezirk die Person in Gewahrsam genommen wurde. …

20

b) Aus dem Niedersächsischen Verwaltungskostengesetz (GVBl vom 7. Mai 1962, S. 43 ff., geändert durch Art. 5 des Haushaltsbegleitgesetzes 1997 vom 13. Dezember 1996, GVBl vom 20. Dezember 1996, S. 494, in Verbindung mit Art. 11 Abs. 2 des Gesetzes zur Verbesserung der kommunalen Handlungsfähigkeit, GVBl vom 28. Mai 1996, S. 242 <244> - NVwKostG):

21

§ 3

22

(1) Die einzelnen Amtshandlungen, für die Gebühren erhoben werden sollen, und die Höhe der Gebühren sind in Gebührenordnungen zu bestimmen.

23

24

§ 11

25

(1) Kosten, die dadurch entstanden sind, dass die Behörde die Sache unrichtig behandelt hat, sind zu erlassen.

26

27

§ 14

28

(1) Für die Benutzung öffentlicher Einrichtungen und Gegenstände, die sich im Eigentum oder in der Verwaltung des Landes befinden, können Benutzungsgebühren erhoben werden.

29

30

(2) Im übrigen finden die Vorschriften dieses Gesetzes über Kosten entsprechende Anwendung.

31

c) § 1 der Verordnung über die Gebühren und Auslagen für Amtshandlungen und Leistungen vom 5. Juni 1997 (GVBl vom 12. Juni 1997, S. 171 - Allgemeine Gebührenordnung) bestimmt:

32

§ 1

33

(1) Für Amtshandlungen der Landesverwaltung ... sind Gebühren und Pauschbeträge für Auslagen nach dieser Verordnung und dem nachstehenden Kostentarif (Anlage) zu erheben. …

34

Nrn. 67.1 und 67.2 der Anlage zu der Allgemeinen Gebührenordnung lauten (GVBl vom 12. Juni 1997, S. 172 <220>):

35

- Unterbringung im Polizeigewahrsam je angefangener Tag (24 Stunden) 38 DM

36

- Beförderung von in Gewahrsam genommenen oder hilflosen Personen mit Polizeifahrzeugen 70 DM

37

2. Am 3./4. März 2001 fand im Landkreis Lüchow-Dannenberg an einem Bahnübergang in Pisselberg die Versammlung unter dem Motto "Nacht im Gleisbett" gegen den Transport von Atommüll in das Brennelemente-Zwischenlager Gorleben (Castor-Transport) statt. Die Versammlung wurde am Abend des 3. März 2001 wegen der Gefahr eines Verstoßes gegen das Betretungsverbot der Gleise gemäß §§ 62, 63 der Eisenbahn-, Bau- und Betriebsordnung aufgelöst, als sich ein Teil der Demonstranten den Gleisen näherte. In der Folge versuchten mehrere Gruppen von Demonstranten einige hundert Meter von dem Bahnübergang entfernt, die Gleise zu besetzen. Sie wurden mit einem Platzverweis belegt, in Gewahrsam genommen und für eine Identitätsfeststellung zur Polizeiinspektion in Lüchow gebracht. Im Verlauf dieser Geschehnisse wurde auch der Beschwerdeführer nach dem polizeilichen Kurzbericht um 21:40 Uhr in Gewahrsam genommen, gegen 23:55 Uhr mit einem Dienstfahrzeug nach Lüchow transportiert und um 2:34 Uhr des Folgetages wieder entlassen. Eine richterliche Entscheidung über die Zulässigkeit der polizeilichen Maßnahmen wurde nicht herbeigeführt.

38

3. Mit Heranziehungsbescheid vom 4. September 2001 wurden dem Beschwerdeführer gegenüber gemäß §§ 3 Abs. 1, 14 NVwKostG in Verbindung mit § 1 Abs. 1 AllGO in Verbindung mit Nrn. 67.1. und 67.2. der Anlage zu der Allgemeinen Gebührenordnung Kosten für die Unterbringung in Gewahrsam und die Beförderung in Höhe von insgesamt 108 DM festgesetzt.

39

4. Mit angegriffenem Urteil vom 23. Januar 2004 wies das Verwaltungsgericht die Klage des Beschwerdeführers auf Aufhebung des Heranziehungsbescheides ab. Das Verwaltungsgericht sei nicht zuständig, die Rechtmäßigkeit der Ingewahrsamnahme inzident als Vorfrage im Rahmen der Prüfung des Heranziehungsbescheides zu prüfen. Der Gesetzgeber habe sich wegen der Sach- und Ortsnähe der Amtsgerichte für eine abdrängende Sonderzuweisung nach § 40 Abs. 1 Satz 2 VwGO an die ordentlichen Gerichte entschieden. Mache der Beschwerdeführer von diesen verfahrensrechtlichen Möglichkeiten keinen Gebrauch, liege das in seinem Risikobereich, mit der Folge, dass er wegen der umfassenden Rechtsschutzkonzentration auf die ordentliche Gerichtsbarkeit nicht nachträglich in einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren die Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Ingewahrsamnahme erreichen könne. Ob, wie der Beschwerdeführer vorgetragen habe, dem Richtervorbehalt nicht genüge getan worden sei, ihm gegenüber kein Platzverweis ergangen sei, der seine Ingewahrsamnahme gemäß § 18 Abs. 1 Nr. 3 NGefAG a.F. gerechtfertigt hätte, und seine Ingewahrsamnahme auch nicht unerlässlich im Sinne von § 18 Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe b NGefAG a.F. gewesen sei, dürfe das Verwaltungsgericht nicht prüfen. Zwar könne eine gegen Art. 8 GG verstoßende Maßnahme keine Kostenansprüche begründen. Dies hätten auch die Verwaltungsgerichte bei Überprüfung des Heranziehungsbescheides zu beachten. Allerdings sei das Verwaltungsgericht in dem von dem Veranstalter der Versammlung "Nacht im Gleisbett" angestrengten Verfahren gegen die Auflösung der Versammlung am 3. März 2001 und die anschließende Räumung der Gleise durch die Polizei zu dem Ergebnis gelangt, dass die Auflösung der Versammlung und die Räumung der Gleise rechtmäßig gewesen seien.

40

5. Mit angegriffenem Beschluss vom 14. Juni 2004 lehnte das Oberverwaltungsgericht den Antrag auf Zulassung der Berufung unter Bezugnahme auf eine vorangehende Entscheidung im Prozesskostenhilfeverfahren ab. Für die Beantwortung der Rechtsfrage, ob das Verwaltungsgericht eine behauptete Rechtswidrigkeit der Ingewahrsamnahme als Vorfrage im Rahmen der Kontrolle des Heranziehungsbescheides inzident prüfen müsse, bedürfe es keines Berufungsverfahrens, weil sie durch Auslegung der einschlägigen Vorschriften hinreichend beantwortet werden könne beziehungsweise nicht entscheidungserheblich sei. Es entspreche einer sinnvollen Ordnung der Rechtswege, dass verschiedene Gerichte nicht aufgrund desselben Sachverhalts über dieselbe Rechtsfrage befänden. Für die Verwaltungsgerichte werde innerhalb der Schrittfolge Grundrechtsschutz, Ingewahrsamnahme und Heranziehungsbescheid der Prüfungsrahmen nur hinsichtlich des mittleren Schrittes aufgehoben, nicht jedoch hinsichtlich der beiden anderen Schritte. Entsprechend habe das Verwaltungsgericht mit einbezogen, dass die Räumung der Gleise rechtmäßig gewesen und die Blockade der Gleise nicht durch das Grundrecht der Versammlungsfreiheit gedeckt sei.

41

6. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer unter anderem eine Verletzung seines Grundrechts auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 GG.

42

7. Die Rechtsnachfolgerin der Gegnerin des Ausgangsverfahrens, die Polizeidirektion Lüneburg, hat zu der Verfassungsbeschwerde Stellung genommen. Dagegen hat das Niedersächsische Justizministerium von einer Stellungnahme abgesehen. Die Akte des Ausgangsverfahrens hat dem Bundesverfassungsgericht vorgelegen.

II.

43

Die Verfassungsbeschwerde wird gemäß § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG zur Entscheidung angenommen, weil dies zur Durchsetzung der Grundrechte des Beschwerdeführers angezeigt ist.

44

1. Das Bundesverfassungsgericht hat die maßgeblichen Fragen zur Reichweite der Gewährleistung des Grundrechts auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 GG bereits entschieden und dabei auch die zu berücksichtigenden Grundsätze entwickelt (vgl. BVerfGE 51, 176 <185>; 96, 27 <39>; 101, 106 <122 f.>; 104, 220 <232>; speziell zu § 124 Abs. 2 VwGO: BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 23. Juni 2000 - 1 BvR 830/00 -, NVwZ 2000, S. 1163 <1164>; Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 8. März 2001 - 1 BvR 1653/99 -, NVwZ 2001, S. 552 <553>; BVerfGK 10, 208 <213>; Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 21. Januar 2009 - 1 BvR 2524/06 -, NVwZ 2009, S. 515 <516>; Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 10. September 2009 - 1 BvR 814/09 -, NJW 2009, S. 3642 <3643>).

45

2. Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist im Sinne des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG offensichtlich begründet. Die angegriffenen Entscheidungen verletzen den Beschwerdeführer in seinem Anspruch auf effektiven Rechtsschutz gegenüber der öffentlichen Gewalt aus Art. 19 Abs. 4 GG.

46

a) Das Verfahrensgrundrecht des Art. 19 Abs. 4 GG garantiert demjenigen den Rechtsweg, der geltend macht, durch die öffentliche Gewalt in eigenen Rechten verletzt zu sein. Art. 19 Abs. 4 GG gewährleistet auf diese Weise nicht einen bestimmten Rechtsweg. Vielmehr wird dem einzelnen Bürger durch dieses Grundrecht lediglich garantiert, dass ihn beeinträchtigende hoheitliche Maßnahmen in irgendeinem gerichtlichen Verfahren überprüft werden können. In diesem Sinne enthält Art. 19 Abs. 4 GG ein Grundrecht auf effektiven und möglichst lückenlosen richterlichen Rechtsschutz gegen Verletzungen der Individualsphäre durch Eingriffe der öffentlichen Gewalt (vgl. BVerfGE 51, 176 <185>; 67, 43 <58>; 96, 27 <39>; 101, 106 <122 f.>). Dieser Rechtsschutz darf sich dabei nicht in der bloßen Möglichkeit der Anrufung eines Gerichts erschöpfen, sondern muss zu einer wirksamen Kontrolle in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht durch ein mit zureichender Entscheidungsmacht ausgestattetes Gericht führen (vgl. BVerfGE 60, 253 <297>; 67, 43 <58>; 101, 106 <123>).

47

Der Rechtsweg, den Art. 19 Abs. 4 GG dem Einzelnen gewährleistet, bedarf allerdings der gesetzlichen Ausgestaltung. Rechtsschutz ist eine staatliche Leistung, deren Voraussetzungen erst geschaffen, deren Art näher bestimmt und deren Umfang im Einzelnen festgelegt werden müssen. Art. 19 Abs. 4 GG gibt dem Gesetzgeber dabei nur die Zielrichtung und die Grundzüge der Regelung vor, lässt ihm im Übrigen aber einen beträchtlichen Gestaltungsspielraum. Doch darf er die Notwendigkeit einer umfassenden Nachprüfung des Verwaltungshandelns in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht und eine dem Rechtsschutzbegehren angemessene Entscheidungsart und Entscheidungswirkung nicht verfehlen (vgl. BVerfGE 101, 106 <123 f.>).

48

Dabei fordert Art. 19 Abs. 4 GG zwar keinen Instanzenzug (vgl. BVerfGE 78, 88 <99>; 87, 48 <61>). Eröffnet das Prozessrecht aber eine weitere Instanz, so gewährleistet Art. 19 Abs. 4 GG dem Bürger in diesem Rahmen die Effektivität des Rechtsschutzes im Sinne eines Anspruchs auf eine wirksame gerichtliche Kontrolle. Das Rechtsmittelgericht darf ein von der jeweiligen Rechtsordnung eröffnetes Rechtsmittel daher nicht ineffektiv machen und für den Beschwerdeführer "leerlaufen" lassen (vgl. BVerfGE 78, 88 <98 f.>; 96, 27 <39>; 104, 220 <232>). Mit dem Gebot effektiven Rechtsschutzes unvereinbar ist eine den Zugang zu einem Rechtsmittel erschwerende Auslegung und Anwendung der einschlägigen Verfahrensvorschriften, wenn sie sachlich nicht zu rechtfertigen ist, sich damit als objektiv willkürlich erweist und dadurch den Zugang zur nächsten Instanz unzumutbar erschwert (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 4. November 2008 - 1 BvR 2587/06 -, NJW 2009, S. 572 <573>). Das Gleiche gilt, wenn das Prozessrecht - wie hier in den §§ 124, 124a VwGO - den Verfahrensbeteiligten die Möglichkeit gibt, die Zulassung eines Rechtsmittels zu erstreiten. Dieses Gebot wiederum beansprucht Geltung nicht nur hinsichtlich der Anforderungen an die Darlegung der Zulassungsgründe gemäß § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO, sondern in entsprechender Weise ebenso für die Auslegung und Anwendung der Zulassungsgründe selbst (vgl. BVerfGK 10, 208 <213>; Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 10. September 2009 - 1 BvR 814/09 -, NJW 2009, S. 3642).

49

b) Diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen wird die angegriffene Entscheidung des Verwaltungsgerichts nicht gerecht. Die von dem Verwaltungsgericht gefundene Auslegung der maßgeblichen landesrechtlichen Vorschriften ist mit dem Gebot effektiven Rechtsschutzes aus Art. 19 Abs. 4 GG nicht vereinbar. Indem sich das Verwaltungsgericht weigerte, im Rahmen der Kontrolle des Heranziehungsbescheides inzident die Rechtmäßigkeit der polizeilichen Ingewahrsamnahme zu überprüfen, hat es seine Pflicht zu einer in rechtlicher Hinsicht umfassenden Nachprüfung des Verwaltungshandelns verletzt.

50

aa) Der Landesgesetzgeber hat sich mit § 19 Abs. 3 NGefAbwG a.F. dafür entschieden, den Amtsgerichten im Wege der abdrängenden Sonderzuweisung nach § 40 Abs. 1 Satz 2 VwGO den Rechtsschutz unmittelbar gegen die Ingewahrsamnahme anzuvertrauen, dagegen die nachgelagerte Prüfung der Rechtmäßigkeit des auf der Ingewahrsamnahme beruhenden Heranziehungsbescheides und, auf das Versammlungsrecht bezogen, die vorgelagerte Prüfung der Rechtmäßigkeit der Auflösung der Versammlung bei den Verwaltungsgerichten zu belassen. Diese gesetzgeberische Entscheidung führt bei einer Kette von Hoheitsakten im Ergebnis zu einer Rechtswegspaltung. Eine solche Rechtswegspaltung hat indes nicht automatisch zur Folge, dass es einem angerufenen Gericht verwehrt ist, Vorfragen zu prüfen, die, wären sie Hauptfrage, in den Zuständigkeitsbereich eines anderen Gerichts fielen.

51

Gemäß § 17 Abs. 2 Satz 1 GVG, der über § 83 Satz 1 VwGO auf die Verwaltungsgerichtsbarkeit Anwendung findet, gilt der Grundsatz, dass das Gericht des zulässigen Rechtsweges den Rechtsstreit unter allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten entscheidet. Dies bedeutet nach allgemeinem Verständnis, dass das Gericht des zulässigen Rechtsweges auch rechtswegfremde, entscheidungserhebliche Vorfragen prüft und über sie entscheidet (vgl. zur Intention des Gesetzgebers: Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Neuregelung des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens vom 27. April 1990, BTDrucks 11/7030, S. 37; aus der Literatur: Kissel/Mayer, GVG, 5. Aufl. 2008, § 13 Rn. 17; Wittschier, in: Musielak, ZPO und Nebengesetze, 7. Aufl. 2009, § 17 GVG Rn. 1; Reimer, in: Posser/Wolff, Beck`scher Online-Kommentar VwGO, § 40, Rn. 228; Zimmermann, in: Münchener Kommentar, ZPO und Nebengesetze, 3. Aufl. 2008, § 17 GVG Rn. 2).

52

Bei der Frage der Rechtmäßigkeit der polizeilichen Ingewahrsamnahme handelt es sich um eine solche entscheidungserhebliche Vorfrage im Sinne von § 17 Abs. 2 Satz 1 GVG. Sie betrifft die Auslegung und Anwendung des in § 18 NGefAG a.F. geregelten Gewahrsams. Unmittelbarer Prüfungsgegenstand in dem verwaltungsgerichtlichen Ausgangsverfahren ist der gemäß §§ 3 Abs. 1, 14 NVwKostG in Verbindung mit § 1 Abs. 1 AllGO in Verbindung mit Nrn. 67.1 und Nr. 67.2 der Anlage erlassene Heranziehungsbescheid. Im Rahmen der Prüfung der Rechtmäßigkeit des staatlichen Zahlungsanspruchs in Form des Heranziehungsbescheides ist nach § 11 Abs. 1 NVwKostG auch die Rechtmäßigkeit der zugrunde liegenden Amtshandlung zu untersuchen, da die Vorschrift einen Kostenerlass bei "unrichtiger Sachbehandlung" vorsieht. Dieser Kostenerlass gilt auch für rechtswidrige Realakte (vgl. speziell für das niedersächsische Landesrecht: Loeser, NVwKostG, Lfg. 1999, § 1, S. 17, und § 11, S. 2 ff.).

53

Etwas anderes kann das Verwaltungsgericht verfassungsrechtlich tragfähig nicht allein darauf stützen, dass der niedersächsische Landesgesetzgeber mit § 19 Abs. 3 Satz 1 und 2 NGefAbwG a.F. in Verbindung mit § 19 Abs. 1 und 2 NGefAG a.F. neben dem präventiven, gegen die noch andauernde Freiheitsentziehung gerichteten Rechtsschutz auch den nachträglichen, auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Freiheitsbeschränkung abzielenden Rechtsschutz nach deren Beendigung den Amtsgerichten zugewiesen hat. § 19 Abs. 3 Satz 1 und 2 NGefAG a.F. ordnet seinem Wortlaut nach auch nicht andeutungsweise an, dass mit der Zuweisung der Überprüfung des freiheitsbeeinträchtigenden Hoheitsaktes an die Amtsgerichte im Falle eines weiteren daran anknüpfenden Hoheitsaktes, der vor den Verwaltungsgerichten angegriffen werden muss, letzteren ausnahmsweise die inzidente Prüfung des freiheitsbeeinträchtigenden Hoheitsaktes verwehrt sein soll. Aus der Gesetzesbegründung bei Einführung der Regelung ist ein solcher Ausschluss ebenfalls nicht herzuleiten (vgl. Gesetzentwurf der Landesregierung für ein Niedersächsisches Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung vom 16. Oktober 1979, LTDrucks 9/1090, S. 81). Dass der Gesetzgeber die Frage der Rechtmäßigkeit einer Ingewahrsamnahme auch dort, wo sie nur Vorfrage ist, immer einem vorgelagerten eigenen Rechtsschutzverfahren vor den ordentlichen Gerichten vorbehalten wollte und unter dem Gesichtspunkt des Gebots effektiven Rechtsschutzes zumutbar vorbehalten konnte, legt das Verwaltungsgericht auch sonst nicht in einer den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügenden Weise dar. Ohne hinreichenden Grund weicht es somit von dem Gebot, den Rechtsstreit unter allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten zu entscheiden, ab.

54

bb) Soweit das Verwaltungsgericht darauf verweist, dass einer Inzidentprüfung der Rechtmäßigkeit der polizeilichen Ingewahrsamnahme durch die Verwaltungsgerichte Erwägungen der Prozessökonomie entgegenstünden, genügen diese Ausführungen den verfassungsrechtlichen Anforderungen des Art. 19 Abs. 4 GG nicht. Das Verwaltungsgericht sieht dabei das Amtsgericht als das gegenüber den Verwaltungsgerichten insoweit sach- und ortsnähere Gericht an. Es hat dem Beschwerdeführer vorgehalten, dass es in dessen Risikobereich falle, wenn er von der Rechtsschutzmöglichkeit vor den Amtsgerichten nach § 19 Abs. 2 Satz 1 NGefAG a.F. keinen Gebrauch mache. Dieser Einwand greift indes nicht durch.

55

Von einer zurechenbaren Versäumung eigener Rechtsverteidigung kann nur dort gesprochen werden, wo der Regelungsgehalt und die Folgen eines Hoheitsaktes innerhalb der für die Einlegung des Rechtsbehelfs vorgesehenen Frist erkennbar sind (vgl. Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 19 Rn. 239 ). Das einschlägige Landesrecht schließt die Inzidentprüfung der polizeilichen Ingewahrsamnahme durch die Verwaltungsgerichte im Rahmen der Kontrolle nachgelagerter Hoheitsakte weder für den Einzelnen erkennbar aus noch ordnet es - wie in anderen Bereichen für gestuftes behördliches Handeln - auf der Grundlage eines formalisierten Verfahrens eine materielle Präklusion der gegen die Rechtmäßigkeit der Ingewahrsamnahme gerichteten Einwände an. Der Hoheitsakt der polizeilichen Ingewahrsamnahme entfaltet daher für den später erlassenen Heranziehungsbescheid keine wie auch immer geartete Vorwirkung (vgl. § 11 Abs. 1 NVwKostG). Dementsprechend muss sich der betroffene Bürger, wendet er sich gegen den später erlassenen Heranziehungsbescheid, nicht entgegenhalten lassen, dass er zuvor von der Rechtsschutzmöglichkeit gegen die polizeiliche Ingewahrsamnahme keinen Gebrauch gemacht hat.

56

Im Übrigen hat das Verwaltungsgericht auch nicht geprüft, ob dem Beschwerdeführer nach der damals geltenden gesetzlichen Ausgestaltung des Rechtswegs diese Rechtsschutzmöglichkeit tatsächlich offen stand. Die Vorschrift des § 19 Abs. 2 Satz 1 NGefAG a.F. eröffnete den Rechtsweg zu den Amtsgerichten nur für den Fall, dass die Freiheitsbeschränkung entweder länger als acht Stunden andauerte oder für die Feststellung ein "sonstiges berechtigtes Interesse" bestand. Innerhalb der Monatsfrist kam ein solcher Feststellungsantrag jedoch nicht in Betracht, weil der Beschwerdeführer die hierfür gesetzlich speziell ausgeformte Sachentscheidungsvoraussetzung des Rechtsschutzbedürfnisses nicht erfüllte (vgl. zu den Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit dieser speziellen Anforderungen: OLG Celle, Beschluss vom 13. Januar 2003 - 17 W 40/02 - unter Berufung auf: BVerfGE 104, 220 <235>; im Anschluss daran: Gesetzentwurf der Landesregierung für ein Niedersächsisches Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung vom 16. Oktober 1979, LTDrucks 9/1090, S. 81). Weder dauerte die polizeiliche Ingewahrsamnahme des Beschwerdeführers länger als acht Stunden, noch legt das Verwaltungsgericht näher dar, dass der Beschwerdeführer ein gesichertes "sonstiges berechtigtes Interesse" im Sinne der Vorschrift des § 19 Abs. 2 Satz 1 NGefAG a.F. an einer gerichtlichen Feststellung hätte geltend machen können. Der Hinweis des Verwaltungsgerichts auf eine seiner Ansicht nach vorrangige Entscheidung der Amtsgerichte geht damit ins Leere.

57

cc) Die weiteren Erwägungen des Verwaltungsgerichts erweisen sich verfassungsrechtlich ebenfalls als nicht tragfähig. Da Rechtsschutz nach § 19 Abs. 2 Satz 1 NGefAG a.F nicht in Betracht kam, greift dementsprechend der vom Verwaltungsgericht geltend gemachte Einwand bezüglich der - gegenüber den Verwaltungsgerichten herausgehobenen - Sach- und Ortsnähe der Amtsgerichte nicht durch. Auch der von dem Verwaltungsgericht in der Sache vertretene Standpunkt, dem Grundrechtsschutz werde dadurch Genüge getan, dass zwar nicht die Rechtmäßigkeit der Ingewahrsamnahme, wohl aber die Rechtmäßigkeit der Auflösung der Versammlung, die der Ingewahrsamnahme vorausging, geprüft werde, trägt nicht. Die Prüfung, ob die Auflösung der Versammlung gemäß dem Versammlungsgesetz des Bundes rechtmäßig war, vermag den Verzicht auf die Prüfung, ob die Ingewahrsamnahme nach niedersächsischem Polizeirecht rechtmäßig war, nicht zu kompensieren. Beide Maßnahmen unterfallen jeweils unterschiedlichen Regelungsregimen, die sich gegenseitig ausschließen. Das Versammlungsgesetz geht in seinem Anwendungsbereich als Spezialgesetz dem allgemeinen Polizeirecht vor (vgl. BVerfGK 4, 154 <158>). Auch decken sich die Tatbestandsvoraussetzungen für die Auflösung nicht annähernd mit denjenigen für die Ingewahrsamnahme. Diese setzt in formeller Hinsicht voraus, dass entweder nach § 19 Abs. 1 Satz 1 NGefAG a.F unverzüglich eine richterliche Entscheidung über die Zulässigkeit und Fortdauer der Freiheitsentziehung herbeigeführt wird beziehungsweise dass nach § 19 Abs. 1 Satz 2 NGefAG a.F ausnahmsweise auf die Einhaltung des Richtervorbehalts verzichtet werden kann. In materieller Hinsicht ist für eine rechtmäßige Ingewahrsamnahme erforderlich, dass sie gemäß § 18 Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe b NGefAG a.F unerlässlich ist, um die unmittelbar bevorstehende Begehung oder Fortsetzung einer Ordnungswidrigkeit von erheblicher Gefahr für die Allgemeinheit zu verhindern, oder dass sie gemäß § 18 Abs. 1 Nr. 3 NGefAG a.F unerlässlich ist, um eine Platzverweisung nach § 17 NGefAG a.F durchzusetzen. Schließlich ist eine Verhältnismäßigkeitsprüfung, insbesondere im Hinblick auf die Dauer der Maßnahme, vorzunehmen (vgl. 4 Abs. 3 NGefAG a.F).

58

c) Auch die angegriffene Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts genügt den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht. Das Oberverwaltungsgericht hat den Zugang des Beschwerdeführers zum Berufungsrechtszug dadurch in unzumutbarer Weise erschwert, dass es die Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO in sachlich nicht zu rechtfertigender und damit willkürlicher Art und Weise abgelehnt hat.

59

Von grundsätzlicher Bedeutung gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO ist eine Rechtssache immer dann, wenn es maßgebend auf eine konkrete, über den Einzelfall hinausgehende Rechtsfrage ankommt, deren Klärung im Interesse der Einheit oder der Fortbildung des Rechts geboten erscheint.

60

Ausgehend hiervon hat das Oberverwaltungsgericht die grundsätzliche Bedeutung der Rechtsfrage zum Zeitpunkt der Entscheidung in sachlich nicht zu rechtfertigender Weise verneint. Insbesondere durfte es die Klärungsbedürftigkeit der Rechtsfrage nicht, worauf es seine Entscheidung maßgeblich stützt, unter Verweis auf den (eigenen) im Prozesskostenhilfeverfahren unter anderen Verfahrensbeteiligten ergangenen Beschluss vom 21. November 2003 - 11 PA 345/03 - (NVwZ 2004, S. 760 <760 f.>) verneinen. Aufgrund seines lediglich summarischen Charakters darf das Prozesskostenhilfeverfahren nicht dazu benutzt werden, über ungeklärte Rechtsfragen abschließend vorweg zu entscheiden. Ein Fachgericht, das § 114 Satz 1 ZPO dahin auslegt, dass auch schwierige, noch nicht geklärte Rechtsfragen im Prozesskostenhilfe-Verfahren "durchentschieden" werden können, verkennt die Bedeutung der in Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG verbürgten Rechtsschutzgleichheit (vgl. BVerfGE 81, 347 <358 f.>).

61

Die von dem Oberverwaltungsgericht in dem Prozesskostenhilfebeschluss als Referenz herangezogene Rechtsprechung belegt auch nicht, dass die Rechtsfrage anderweitig einer gerichtlichen Klärung zugeführt worden wäre. Der zitierte Beschluss aus der Zivilgerichtsbarkeit (vgl. OLG Schl.-H., Beschluss vom 25. April 2001 - 2 W 29/01 -, NVwZ Beilage Nr. I 3 2002, S. 47) stellt lediglich in Bezug auf die nicht eindeutig formulierte Vorschrift des § 13 Abs. 2 FrhEntzG a.F. klar, dass die Amtsgerichte die Prüfungskompetenz für den auf nachträgliche Feststellung der Rechtswidrigkeit der erledigten Freiheitsentziehung abzielenden Rechtsschutz besitzen. Zu der hier maßgeblichen, weitergehenden Rechtsfrage, ob den Verwaltungsgerichten im Rahmen der Kontrolle eines Heranziehungsbescheides die inzidente Prüfung der Rechtmäßigkeit der polizeilichen Ingewahrsamnahme verwehrt ist, äußert sich der Beschluss indes nicht. Gleiches gilt für das als Referenz aufgeführte Urteil des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. BVerwGE 62, 317 <321 ff.>), in welchem lediglich dem Rechtsschutz nach § 13 Abs. 2 a.F. FrhEntzG der Vorrang vor den (parallelen) Rechtsschutzmöglichkeiten nach der Verwaltungsgerichtsordnung eingeräumt wird. Zu der hier maßgeblichen, weitergehenden Rechtsfrage verhält sich das Urteil ebenfalls nicht.

62

Das Oberverwaltungsgericht konnte sich auch nicht darauf stützen, dass die Rechtsfrage sich ohne Weiteres aus Anwendung anerkannter Auslegungsmethoden ergab, da der von dem Verwaltungsgericht - unter Berücksichtigung des genannten Prozesskostenhilfebeschlusses seines Obergerichts - vertretene Rechtsstandpunkt, wie sich aus den vorstehenden Ausführungen ergibt, zu den gesetzlichen Vorgaben und auch sonst anerkannten Auslegungsmethoden in Widerspruch stand.

63

Nach alledem durfte das Oberverwaltungsgericht die Rechtsfrage mit dieser Argumentation nicht als geklärt ansehen und den Antrag des Beschwerdeführers auf Zulassung der Berufung ablehnen. Mit der angegriffenen Entscheidung hat das Oberverwaltungsgericht den vom Gesetzgeber für Fragen von grundsätzlicher Bedeutung vorgesehenen Rechtsschutz im Berufungsverfahren in sachlich nicht zu rechtfertigender und damit willkürlicher Weise verkürzt.

64

d) Die verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen beruhen auf den festgestellten Verfassungsverstößen. Es ist nicht auszuschließen, dass die Gerichte bei Beachtung der verfassungsrechtlichen Anforderungen zu einer anderen für den Beschwerdeführer günstigeren Entscheidung gelangen werden.

65

3. Auf die vom Beschwerdeführer behaupteten Verstöße gegen weitere Grundrechte kommt es demnach nicht mehr an.

66

4. Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers folgt aus § 34a Abs. 2 BVerfGG.

67

5. Die Festsetzung des Gegenstandswerts beruht auf § 37 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG.

68

Diese Entscheidung ist nach § 93d Abs. 1 Satz 2 BVerfGG unanfechtbar.

(1) Gegen Endurteile einschließlich der Teilurteile nach § 110 und gegen Zwischenurteile nach den §§ 109 und 111 steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie von dem Verwaltungsgericht oder dem Oberverwaltungsgericht zugelassen wird.

(2) Die Berufung ist nur zuzulassen,

1.
wenn ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,
2.
wenn die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,
3.
wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
4.
wenn das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
5.
wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(1) Das Gericht erforscht den Sachverhalt von Amts wegen; die Beteiligten sind dabei heranzuziehen. Es ist an das Vorbringen und an die Beweisanträge der Beteiligten nicht gebunden.

(2) Ein in der mündlichen Verhandlung gestellter Beweisantrag kann nur durch einen Gerichtsbeschluß, der zu begründen ist, abgelehnt werden.

(3) Der Vorsitzende hat darauf hinzuwirken, daß Formfehler beseitigt, unklare Anträge erläutert, sachdienliche Anträge gestellt, ungenügende tatsächliche Angaben ergänzt, ferner alle für die Feststellung und Beurteilung des Sachverhalts wesentlichen Erklärungen abgegeben werden.

(4) Die Beteiligten sollen zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung Schriftsätze einreichen. Hierzu kann sie der Vorsitzende unter Fristsetzung auffordern. Die Schriftsätze sind den Beteiligten von Amts wegen zu übermitteln.

(5) Den Schriftsätzen sind die Urkunden oder elektronischen Dokumente, auf die Bezug genommen wird, in Abschrift ganz oder im Auszug beizufügen. Sind die Urkunden dem Gegner bereits bekannt oder sehr umfangreich, so genügt die genaue Bezeichnung mit dem Anerbieten, Einsicht bei Gericht zu gewähren.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) In Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen.

(2) Bietet der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, ist ein Streitwert von 5 000 Euro anzunehmen.

(3) Betrifft der Antrag des Klägers eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf bezogenen Verwaltungsakt, ist deren Höhe maßgebend. Hat der Antrag des Klägers offensichtlich absehbare Auswirkungen auf künftige Geldleistungen oder auf noch zu erlassende, auf derartige Geldleistungen bezogene Verwaltungsakte, ist die Höhe des sich aus Satz 1 ergebenden Streitwerts um den Betrag der offensichtlich absehbaren zukünftigen Auswirkungen für den Kläger anzuheben, wobei die Summe das Dreifache des Werts nach Satz 1 nicht übersteigen darf. In Verfahren in Kindergeldangelegenheiten vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit ist § 42 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 3 entsprechend anzuwenden; an die Stelle des dreifachen Jahresbetrags tritt der einfache Jahresbetrag.

(4) In Verfahren

1.
vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit, mit Ausnahme der Verfahren nach § 155 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung und der Verfahren in Kindergeldangelegenheiten, darf der Streitwert nicht unter 1 500 Euro,
2.
vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit und bei Rechtsstreitigkeiten nach dem Krankenhausfinanzierungsgesetz nicht über 2 500 000 Euro,
3.
vor den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit über Ansprüche nach dem Vermögensgesetz nicht über 500 000 Euro und
4.
bei Rechtsstreitigkeiten nach § 36 Absatz 6 Satz 1 des Pflegeberufegesetzes nicht über 1 500 000 Euro
angenommen werden.

(5) Solange in Verfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit der Wert nicht festgesetzt ist und sich der nach den Absätzen 3 und 4 Nummer 1 maßgebende Wert auch nicht unmittelbar aus den gerichtlichen Verfahrensakten ergibt, sind die Gebühren vorläufig nach dem in Absatz 4 Nummer 1 bestimmten Mindestwert zu bemessen.

(6) In Verfahren, die die Begründung, die Umwandlung, das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Beendigung eines besoldeten öffentlich-rechtlichen Dienst- oder Amtsverhältnisses betreffen, ist Streitwert

1.
die Summe der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen, wenn Gegenstand des Verfahrens ein Dienst- oder Amtsverhältnis auf Lebenszeit ist,
2.
im Übrigen die Hälfte der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen.
Maßgebend für die Berechnung ist das laufende Kalenderjahr. Bezügebestandteile, die vom Familienstand oder von Unterhaltsverpflichtungen abhängig sind, bleiben außer Betracht. Betrifft das Verfahren die Verleihung eines anderen Amts oder den Zeitpunkt einer Versetzung in den Ruhestand, ist Streitwert die Hälfte des sich nach den Sätzen 1 bis 3 ergebenden Betrags.

(7) Ist mit einem in Verfahren nach Absatz 6 verfolgten Klagebegehren ein aus ihm hergeleiteter vermögensrechtlicher Anspruch verbunden, ist nur ein Klagebegehren, und zwar das wertmäßig höhere, maßgebend.

(8) Dem Kläger steht gleich, wer sonst das Verfahren des ersten Rechtszugs beantragt hat.