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| 1. Eine Leistungsklage, einem Arbeitszeitkonto Stunden „gutzuschreiben“, ist hinreichend bestimmt im Sinne von § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO, wenn der Arbeitgeber für den Arbeitnehmer ein Zeitkonto führt, auf dem zu erfassende Arbeitszeiten nicht aufgenommen wurden und noch gutgeschrieben werden können (vgl. BAG Urteil vom 22. Februar 2012 - 4 AZR 527/10) und die vom Kläger geforderte Leistungshandlung sich zumindest seinem Sachvortrag entnehmen lässt. Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Der Kläger möchte, dass die Beklagte eine entsprechende Gutschrift auf dem für ihn geführten Arbeitszeitkonto vornimmt. |
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| 2. Auch die Klage, dem Urlaubskonto eine bestimmte Anzahl von Urlaubstagen gutzuschreiben, ist zulässig (ständige Rechtsprechung, z.B. BAG Urteil vom 15. Oktober 2013 - 9 AZR 374/12). Der Arbeitnehmer hat einen Anspruch darauf, dass sein Urlaubskonto richtig geführt wird. Der Anspruch richtet sich darauf, dem Urlaubskonto einen Tag gutzuschreiben und damit letztendlich einen Tag Urlaub nachzugewähren. |
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| Die Klage ist begründet. Der Kläger hat einen Anspruch auf Gutschrift von Urlaub und Freizeitguthaben für den Zeitraum 25. bis 30. September 2016. Der Anspruch folgt aus § 1 Abs. 1 in Verbindung mit § 3 Abs. 1 BzG BW. |
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| 1. Zwar hat die Beklagte dem Kläger im hier streitgegenständlichen Fall durch die Freistellung unter Fortzahlung der Vergütung für den streitgegenständlichen Zeitraum nicht dessen Freistellungsanspruch aus dem Bildungszeitgesetz erfüllt, sie hat dem Kläger aber zugesichert - insoweit ist von einer Vereinbarung zugunsten Dritter durch die Abrede zwischen der zuständigen Betriebsbetreuerin der IG Metall, Geschäftsstelle S., Frau N., im Telefonat vom 29. August 2016 mit dem Geschäftsführer der Beklagten Herrn K. auszugehen - dass die ihm gegenüber erfolgte Urlaubs-/Freizeitgewährung unter dem Vorbehalt der Gutschrift stand, falls nach anschließender gerichtlicher Klärung eine Freistellung des Klägers erforderlich gewesen wäre. Eine solche Vereinbarung ist rechtlich möglich. Zwar hat die Beklagte dem Kläger formal bezahlte Freistellung und bezahlten Erholungsurlaub gewährt, allerdings liegt auch die hier gewählte Vereinbarung entsprechend der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (Urteil vom 9. Februar 1993 - 9 AZR 648/90) im wohlverstandenen Interesse der Arbeitsvertragsparteien. Sie ist rechtlich möglich und erhält den Arbeitsvertragsparteien die Möglichkeit, den Streit über die Qualität einer Bildungsveranstaltung nachträglich zu führen. Zum einen verhindert sie, dass der Arbeitgeber gezwungen ist, eine Freistellung zunächst abzulehnen. Zum andern verhindert sie, dass der Arbeitnehmer gezwungen ist, im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes sein Ziel zu erreichen. |
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| 2. Die formellen Voraussetzungen des Anspruchs auf Freistellung im Sinne des BzG BW liegen vor. |
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| a) Das Verfahren zur Inanspruchnahme der Bildungszeit gemäß § 7 BzG BW wurde eingehalten. Insbesondere liegt ein wirksamer und rechtzeitiger Antrag des Klägers vor. Es ist unbeachtlich, dass der Kläger bereits für Sonntag den 25.09.2016, der unstreitig für den Kläger kein Arbeitstag ist, Bildungsfreizeit beantragt hat. Aus § 3 Abs. 1 BzG BW folgt, dass Bildungszeit für 5 Arbeitstage zu gewähren ist. Schon damit ist für einen verständigen Empfänger eines entsprechenden Antrags nachvollziehbar, dass keine Freistellung für den ohnehin arbeitsfreien Sonntag beansprucht werden sollte. Vielmehr ist offensichtlich, dass der Kläger in seinem Teilzeitantrag lediglich die Angaben aus den seinem Antrag beiliegenden Unterlagen über die Bildungsveranstaltung übernommen hatte. Eine so strenge Auslegung von § 7 Abs. 1 des Bildungszeitgesetzes BW, wie sie die Beklagte befürwortet, entspricht nicht dem Sinn und Zweck des Gesetzes. Es ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber eine für die Anspruchsteller möglichst geringe Hürde schaffen wollte, um eine rege Inanspruchnahme von Bildungszeit zu ermöglichen. Dies folgt auch aus der Formulierung von § 7 Abs. 1 BzG BW, der als einzige formale Anforderung aufstellt, der Anspruch sei schriftlich geltend zu machen. Sinn und Zweck des Gesetzes ist nach dessen Begründung die Weiterbildungsbereitschaft von Beschäftigten in Baden-Württemberg zu erhöhen und zu fördern (Landtag Baden-Württemberg, Drucksache 15/6403, Seite 10). Das Gesetz soll ein „wirksames Mittel zur einer Erhöhung der Weiterbildungsbeteiligung“ darstellen. Eine zeitliche Konkretisierung erübrigt sich regelmäßig, wie auch im hier vorliegenden Fall, bereits dadurch, dass die Geltendmachung des Anspruchs unter Bezugnahme auf eine Veranstaltung erfolgen wird, deren zeitlicher Rahmen durch eine nach § 9 BzG BW anerkannte Einrichtung bereits vorgegeben ist. |
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| In der mündlichen Verhandlung und durch die Umstellung der Anträge im Rahmen des Klageverfahrens hat der Kläger zudem klargestellt, dass er erst ab 25.09.2016 eine bezahlte Freistellung begehrt hatte. |
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| b) Der Kläger ist Arbeitnehmer und damit Beschäftigter im Sinne des BzG BW (§ 2 Abs. 1 Nr. 1). Das Arbeitsverhältnis der Parteien besteht seit 12. Juli 2006, die Wartezeit des § 4 BzG BW von 12 Monaten war damit bei Antragstellung erfüllt. Die Dauer des streitgegenständlichen Seminars beträgt 5 Arbeitstage, sie ist daher von § 3 Abs. 1 BzG BW gedeckt. |
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| c) Die Beklagte war auch verpflichtet, den Kläger zum Zwecke der Teilnahme an dem Seminar „Arbeitnehmer(innen) in Betrieb, Wirtschaft und Gesellschaft“ von der Erbringung seiner Arbeitsleistung unter Fortzahlung des vertragsgemäßen Arbeitsentgelts freizustellen. Es handelt sich hierbei um eine Bildungsmaßnahme im Sinne des § 6 BzG BW. |
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| aa) Die Veranstaltung wurde nicht von der Zugehörigkeit zu einer Gewerkschaft abhängig gemacht (§ 6 Abs. 2 Nr. 1 BzG BW). Jeder Anspruchsberechtigte gemäß § 2 BzG BW hat Zugang zu der Bildungsmaßnahme. |
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| bb) Beim Veranstalter des Seminars handelt es sich um eine anerkannte Bildungseinrichtung im Sinne von § 9 BzG BW (§ 6 Abs. 1 Nr. 3 BzG BW). Die bloße Anerkennung einer Bildungseinrichtung durch Verwaltungsakt (§ 10 Abs. 3 und 4 BzG BW) entfaltet insoweit jedoch weder Tatbestandswirkung noch begründet sie eine Vermutung dafür, dass Veranstaltung dieser Bildungseinrichtung für Jedermann zugänglich sind. Die Zugänglichkeit für Jedermann gehört zu den Tatbestandsmerkmalen des Anspruchs auf Bildungszeit. Ihre Voraussetzungen sind von demjenigen, der den Anspruch geltend macht, darzulegen und im Bestreitensfall zu beweisen (BAG vom 16. August 1990 - 8 AZR 654/88). |
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| cc) Die Veranstaltung wendet sich nicht nur an Gewerkschaftsmitglieder, sofern dies der Fall wäre, wäre sie nicht für Jedermann zugänglich. Nicht ausreichend für die Begründung einer Jedermannzugänglichkeit ist der Hinweis im Bildungsprogramm des Trägers, dass die Veranstaltung auch anderen Personen als Gewerkschaftsmitgliedern offen steht. Es muss zudem eine Verlautbarung des Hinweises erfolgt sein, dass auch nicht gewerkschaftlich organisierte Arbeitnehmer hiervon Kenntnis nehmen können (BAG vom 9. November 1993 - 9 AZR 9/92). Auch diese Voraussetzungen sind vorliegend jedoch erfüllt. Das Seminar wendet sich an „interessierte Arbeitnehmer(innen)“ und nicht nur an Gewerkschaftsmitglieder. |
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| Hiervon konnten auch gewerkschaftlich nichtorganisierte Arbeitnehmer Kenntnis nehmen. Das Bildungsprogramm der IG Metall ist für Jedermann im Internet unter www.igmetall.de/bildung zugänglich. Hierbei handelt es sich um ein mittlerweile anerkanntes und gebräuchliches Informationsmedium, welches eine allgemein zugängliche Kenntnisnahmemöglichkeit gewährleistet (BAG vom 21. Juli 2015 - 9 AZR 418/14). |
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| dd) Auch die Gesamtkosten für das Seminar stehen einer Jedermannzugänglichkeit nicht entgegen. Die Kosten für die hotelmäßige Unterbringung und Verpflegung in Höhe von 725,50 EUR und die Seminarkosten in Höhe von 750,00 EUR sind keine für Arbeitnehmer mit Durchschnittsverdienst unzumutbaren Kosten. Vom Grundsatz her hat jeder Arbeitnehmer die Kosten einer Bildungsveranstaltung selbst zu tragen. Die Bildungseinrichtungen sind nicht verpflichtet, die Kosten für die Lehrmaterialen, Referenten sowie für Unterbringung und Verpflegung der Teilnehmer selbst aufzubringen. Ob ein Arbeitnehmer ein Weiterbildungsangebot eines Veranstalters annimmt, unterliegt seiner freien Entscheidung. Jeder Arbeitnehmer hat die Möglichkeit, aus den vielfältigen, preislich höher oder niedriger geschalteten Angeboten auszuwählen. Es ist nicht Aufgabe der Gerichte für Arbeitssachen, diese Wahlfreiheit zu beschränken. Der Träger einer Weiterbildungsveranstaltung ist nicht verpflichtet, diese kostenfrei anzubieten (vgl. BAG vom 21. Juli 2015 - 9 AZR 418/14). Auch der Umstand, dass die IG Metall für ihre Mitglieder die Seminargebühr sowie die Kosten für Unterkunft und Verpflegung übernimmt, ändert an der Jedermannzugänglichkeit nichts. Ob im Einzelfall ein besonders hoher Beitrag interessierte, nicht gewerkschaftlich organisierte Arbeitnehmer von einer Teilnahme abschrecken kann und deshalb die Zugänglichkeit für Jedermann zu verneinen ist, kann dahinstehen. Der vorliegende Streitfall bietet zur Erörterung dieser Frage keinen Anlass (vgl. BAG 9. Juni 1998 - 9 AZR 466/97). Entsprechendes gilt auch die von der Beklagten vermutete Kostenkalkulation des Veranstaltungsträgers. |
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| d) Bei dem Seminar „Arbeitnehmer(innen) in Betrieb, Wirtschaft und Gesellschaft“ handelt es sich schließlich auch um eine politische Weiterbildung im Sinne des § 1 Abs. 4 BzG BW. |
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| aa) Politische Weiterbildung im Sinne des BzG BW dient nach § 1 Abs. 4 BzG BW der Information über politische Zusammenhänge und der Mitwirkungsmöglichkeit im politischen Leben. Bei dem Tatbestandsmerkmal „politische Weiterbildung“ handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff. Bei der Anwendung unbestimmter Rechtsbegriffe kommt den Tatsacheninstanzen nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ein Beurteilungsspielraum zu. |
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| Die Gesetzesbegründung (Landtag von Baden-Württemberg, Drucksache 15/6403) führt zur Zielsetzung und zur Regelfolgenabschätzung sowie Nachhaltigkeitsprüfung des BzG BW aus, dass neben der wirtschaftlichen Dimension es in einem funktionierenden demokratischen Gemeinwesen auch um die gesellschaftliche Teilhabe und damit um die politische Bildung gehen muss. Die politische Weiterbildung dient der Information über gesellschaftliche Zusammenhänge und einer Verbesserung der Teilhabe und Mitwirkung am gesellschaftlichen, sozialen und politischen Leben. Hieraus wird deutlich, dass der Gesetzgeber von einem weiten Politikverständnis ausgegangen ist. Wesentlich war für den Gesetzgeber die Teilhabe an der Gesellschaft. Mit Politik ist daher die aktive Teilnahme an der Gestaltung und menschlicher Gemeinwesen gemeint. Hierunter fallen nicht nur staatspolitische Themen (Staatsaufbau, demokratische Institutionen, Verfassung) sondern auch sozial-, arbeitsmarkt- und gesellschaftspolitische Themen. Gegen diese Auslegung spricht auch nicht die von der Beklagten herangezogene Einzelbegründung zu § 1 BzG BW. Danach ist unter politischer Weiterbildung die Befähigung zur Teilhabe und Mitwirkung am politischen Leben zu sehen. Damit ist auch die Teilnahme an Tagungen, Lehrgänge und Veranstaltungen zu verstehen, die staatsbürgerlichen Zwecken dienen oder an denen ein öffentliches Interesse besteht. Der Politikbegriff wird hier nicht näher definiert. Durch die Einbeziehung von Veranstaltungen in den Anwendungsbereich des BzG BW, die staatsbürgerlichen Zwecken dienen und den Verweis auf das „öffentliche Interesse“, spricht aber auch dies für einen weitern Politikbegriff. Hätte der Gesetzgeber dagegen einen engen Politikbegriff verwenden wollen, so hätte er dies - entweder im Gesetzestext oder in der Gesetzesbegründung- eindeutig zum Ausdruck bringen müssen und gebracht. Der weite Politikbegriff wird durch den Negativkatalog des § 6 Abs. 2 BzG BW im Sinne des Gesetzgebers begrenzt. |
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| cc) Unter Zugrundelegung eines weiten Politikbegriffs befasst sich das Seminar entsprechend der Seminarbeschreibung und dem Themenplan mit arbeitsmarkt-, sozial- und gesellschaftspolitischen Themen. Es dient der Verbesserung und Förderung des Verständnisses der Arbeitnehmer für die gesellschaftlichen, sozialen und politischen Zusammenhänge auf dem Gebiet der Arbeitsmarkt-, Wirtschafts- und Sozialpolitik. Dem steht auch nicht entgegen, dass die Veranstaltung zugleich als Schulungsveranstaltung für Betriebsräte nach § 37 Abs. 7 BetrVG ausgeschrieben war. Zwar wurden Fragen der Betriebsverfassung, teilweise auch vertieft, behandelt, es handelt es sich jedoch nicht um eine Spezialschulung für Betriebsräte. Das zu erwerbende Wissen bezog sich insgesamt auf allgemeine politische Inhalte. Unschädlich ist auch, dass zumindest an einem Tag der Veranstaltung eine starke Fokussierung auf die Aufgaben des Betriebsrats erfolgte, da sich diese Vertiefung in den Gesamtaufbau der Tagung einfügt und den Themenschwerpunkt nicht einseitig verschiebt (vgl. BAG vom 21. Juli 2015 - 9 AZR 418/14). |
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| Soweit die Beklagte aufwirft, der Kläger habe die ihm obliegenden Darlegungs- und Beweislast dafür, dass es das Seminar dem vorgelegten Themenplan entsprochen habe nicht erfüllt, ist dieser Einwand unerheblich. Insbesondere kann das Gericht hierin kein erhebliches Bestreiten erkennen, sondern lediglich ein solches ins Blaue. Schließlich ist das Gericht auch der Auffassung, dass - was die gesetzliche Konzeption fordert - der Arbeitnehmer zunächst darauf vertrauen darf, der Veranstalter werde den Themenplan einhalten, der ihm vorliegt. Es würde dem Gesetzeszweck nämlich zuwiderlaufen, wenn es dem Arbeitgeber grundsätzlich möglich wäre, Weiterbildungen zunächst mit dem Argument zu verweigern, es sei nicht gewährleistet, dass der Themenplan auch eingehalten werde. |
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| e) Da schließlich die im Klageverfahren erhobenen Einwendungen der Beklagten nicht verfangen, kann die Frage ob solche Einwendungen präkludiert sind, wenn sie in der Ablehnungsbegründung nicht aufgeführt werden, dahinstehen. Nach der Formulierung von § 7 Abs. 4 BzG BW „im Falle einer Ablehnung bedarf es der schriftlichen Darlegung der Gründe“ die nach Ansicht des erkennenden Gerichts im Gesamtkontext des § 7 des BzG BW zu sehen sein dürfte, kann das Begründungserfordernis - um auch eine Überfrachtung insbesondere kleinerer Arbeitgeber zu vermeiden - sich lediglich auf die in § 7 erwähnten „betrieblichen Belange“ beschränken (vgl. auch die Einzelbegründung zu § 7, Landtag von Baden-Württemberg, Drucksache 15/6403). |
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| 2) Der Streitwert war nach § 61 Abs. 1 ArbGG im Urteil festzusetzen. Die Höhe richtet sich nach § 3 ZPO (arbeitstäglicher Verdienst: 4.050,00 EUR : 22 = 184,09 EUR x 5 Arbeitstage). |
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| 3) Soweit die Berufung nicht gesetzlich zugelassen ist, war sie nicht gesondert zuzulassen. Dies war im Urteilstenor aufzunehmen (§ 64 Abs. 3, 3a ArbGG). |
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