Urteils-Kommentar zu Bundesarbeitsgericht Urteil, 30. März 2023 - 8 AZR 120/22 von Dirk Streifler

published on 22/08/2024 14:43
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Bundesarbeitsgericht Urteil, 30. März 2023 - 8 AZR 120/22

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Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 30. März 2023 (Az. 8 AZR 120/22) sorgt für Klarheit in einer grundlegenden Frage der Haftung von Geschäftsführern in Bezug auf die Zahlung des gesetzlichen Mindestlohns. Im Mittelpunkt stand die Frage, ob Geschäftsführer einer GmbH persönlich für den Schaden haften, der Arbeitnehmern durch die Nichtzahlung des Mindestlohns entsteht. Das Gericht hat entschieden, dass dies nicht der Fall ist und die Geschäftsführer nicht für diese Verstöße persönlich haftbar gemacht werden können. Dieses Urteil hat weitreichende Implikationen für die Rechtslage der Geschäftsführerverantwortlichkeit und den Schutz von Arbeitnehmerrechten.

Hintergrund des Falls

Der Kläger, ein Arbeitnehmer, hatte seinen Arbeitgeber, eine GmbH, wegen der nicht erfolgten Zahlung des gesetzlichen Mindestlohns verklagt. Er forderte Schadensersatz nicht nur von der GmbH, sondern auch persönlich von den Geschäftsführern der Gesellschaft. Seine Klage stützte er auf § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 21 Abs. 1 Nr. 9 und § 20 MiLoG sowie § 9 Abs. 1 Nr. 1 OWiG. Der Kläger argumentierte, dass die Geschäftsführer der GmbH für die ordnungsgemäße Zahlung des Mindestlohns verantwortlich seien und daher persönlich haften müssten, wenn diese Pflicht verletzt wird.

 

Entscheidung des Gerichts

Das BAG hat die Klage des Arbeitnehmers gegen die Geschäftsführer abgewiesen. In seiner Begründung stellte das Gericht fest, dass die Geschäftsführer nicht persönlich für die Zahlung des Mindestlohns haftbar gemacht werden können, da der Bußgeldtatbestand des § 21 Abs. 1 Nr. 9 MiLoG in Verbindung mit § 20 MiLoG kein Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB zugunsten der Arbeitnehmer darstellt. Das Gericht betonte, dass die Haftung von Geschäftsführern einer GmbH grundsätzlich auf das Verhältnis zur Gesellschaft beschränkt ist, wie es in § 43 Abs. 2 GmbHG geregelt ist. Die persönliche Haftung gegenüber Dritten, wie beispielsweise den Arbeitnehmern, ist nur in Ausnahmefällen und bei besonderen Haftungsgründen gegeben, die im vorliegenden Fall jedoch nicht vorlagen.

Das BAG stellte zudem klar, dass die Regelungen des MiLoG in Verbindung mit dem Ordnungswidrigkeitengesetz (OWiG) zwar eine bußgeldrechtliche Verantwortlichkeit der Geschäftsführer für die Nichteinhaltung des Mindestlohns begründen können, dies jedoch nicht gleichbedeutend mit einer zivilrechtlichen Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB ist. Die Bußgeldvorschriften sind darauf ausgerichtet, den Arbeitgeber zur Einhaltung seiner gesetzlichen Pflichten zu bewegen, dienen aber nicht dem Schutz individueller Vermögensinteressen der Arbeitnehmer.

 

Rechtliche Einordnung

Dieses Urteil des BAG verdeutlicht die Grenzen der Geschäftsführerhaftung im deutschen Arbeitsrecht und in Bezug auf das Mindestlohngesetz. Die Entscheidung stellt klar, dass die Verpflichtung zur Zahlung des Mindestlohns und die bußgeldrechtlichen Konsequenzen bei Verstößen grundsätzlich auf das Verhältnis zwischen der GmbH als Arbeitgeberin und den Arbeitnehmern abzielen. Eine Durchgriffshaftung auf die Geschäftsführer wird damit ausdrücklich verneint, was die zentrale Bedeutung des gesellschaftsrechtlichen Haftungssystems nach § 13 Abs. 2 GmbHG unterstreicht.

Ein wichtiger Aspekt der Entscheidung ist die Differenzierung zwischen der bußgeldrechtlichen Verantwortung und der zivilrechtlichen Haftung. Während die Geschäftsführer im Falle eines Verstoßes gegen das MiLoG als Organe der Gesellschaft bußgeldrechtlich zur Verantwortung gezogen werden können, führt dies nicht automatisch zu einer zivilrechtlichen Haftung gegenüber den Arbeitnehmern. Der Schutz, den das Mindestlohngesetz gewährt, richtet sich in erster Linie gegen den Arbeitgeber – die GmbH selbst – und nicht gegen ihre Vertreter.

 

Fazit

Das Urteil des BAG vom 30. März 2023 (Az. 8 AZR 120/22) stellt eine wichtige Klärung der Rechtslage dar und betont die Notwendigkeit, die Haftung von Geschäftsführern und die Verantwortlichkeiten von Arbeitgebern klar zu trennen. Für die Praxis bedeutet dies, dass Arbeitnehmer ihre Ansprüche auf den Mindestlohn zwar direkt gegenüber der GmbH geltend machen können, eine persönliche Haftung der Geschäftsführer jedoch nicht ohne Weiteres möglich ist. Dies stärkt das Prinzip der Haftungsbeschränkung im GmbH-Recht und gibt Geschäftsführern eine gewisse Rechtssicherheit in ihrer Rolle als Organ der Gesellschaft. Gleichzeitig wird jedoch auch deutlich, dass die Bußgeldvorschriften des MiLoG weiterhin ein wirksames Mittel sind, um die Einhaltung des Mindestlohns durchzusetzen.

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Geschäftsführer einer GmbH haften gegenüber den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern der GmbH nicht deshalb auf Schadensersatz nach § 823 Abs. 2 BGB, weil sie im Einzelfall nach § 21 Abs. 1 Nr. 9 MiLoG iVm. § 9 Abs. 1 Nr.
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Annotations

(1) Wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt, ist dem anderen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet.

(2) Die gleiche Verpflichtung trifft denjenigen, welcher gegen ein den Schutz eines anderen bezweckendes Gesetz verstößt. Ist nach dem Inhalt des Gesetzes ein Verstoß gegen dieses auch ohne Verschulden möglich, so tritt die Ersatzpflicht nur im Falle des Verschuldens ein.

Bundesarbeitsgericht

Urteil vom 30. März 2023

Az.: 8 AZR 120/22

 

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Thüringer Landesarbeitsgerichts vom 9. Februar 2022 - 4 Sa 223/19 - wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen.

 

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagten dem Kläger zum Schadensersatz wegen unterbliebener Vergütungszahlung für den Monat Juni 2017 in Höhe des gesetzlichen Mindestlohns verpflichtet sind. Der Kläger nimmt die Beklagten als Geschäftsführer seiner vormaligen Arbeitgeberin gesamtschuldnerisch in Anspruch.

Der Kläger war auf der Grundlage des Arbeitsvertrags vom 7. März 1996 seit dem 18. März 1996 bei der G GmbH (im Folgenden Schuldnerin) tätig, zuletzt im Rahmen einer 40-Stunden-Woche mit einem monatlichen Bruttolohn iHv. 1.780,00 Euro.

Wegen teilweiser monatelang verspätet gezahlter Arbeitsvergütung machte der Kläger im Jahr 2017 ein Zurückbehaltungsrecht an seiner Arbeitsleistung geltend. Im Monat Juni 2017 erbrachte er für die Schuldnerin keine Arbeitsleistung. In diesem Monat hätte er ohne die Ausübung des Zurückbehaltungsrechts an 22 Arbeitstagen jeweils acht Stunden gearbeitet, mithin eine Arbeitsleistung von insgesamt 176 Stunden erbracht. Die Schuldnerin leistete an den Kläger für den Monat Juni 2017 keine Vergütung.

Am 1. November 2017 wurde über das Vermögen der Schuldnerin das Insolvenzverfahren eröffnet. Die Beklagten waren im Juni 2017 (und bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens) Geschäftsführer der Schuldnerin. Für den Zeitraum von Juli bis September 2017 bezog der Kläger von der Bundesagentur für Arbeit Insolvenzgeld.

Mit seiner Klage nimmt der Kläger die Beklagten auf Schadensersatz wegen von der Schuldnerin für den Monat Juni 2017 nicht geleisteter Vergütung in Höhe des gesetzlichen Mindestlohns in Anspruch. Er hat die Auffassung vertreten, die Schuldnerin hätte ihm für 176 auf den Monat Juni entfallende Arbeitsstunden eine Vergütung mindestens in Höhe des gesetzlichen Mindestlohns von 8,84 Euro brutto je Stunde zahlen müssen. Hierfür hafteten die Beklagten aus § 823 Abs. 2 BGB persönlich. Nach § 21 Abs. 1 Nr. 9 iVm. § 20 MiLoG sei die fahrlässige oder vorsätzliche Nichtzahlung des gesetzlichen Mindestlohns bußgeldbewehrt. Die Beklagten seien als gesetzliche Vertreter der Schuldnerin nach § 9 OWiG taugliche Täter der Ordnungswidrigkeit, sie hätten den Bußgeldtatbestand auch zumindest fahrlässig verwirklicht. Danach habe er einen "direkten Zahlungsanspruch" gegen die Beklagten.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn 1.555,84 Euro brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 2. Juli 2017 zu zahlen.

Die Beklagten haben beantragt, die Klage abzuweisen. Sie haben den Standpunkt eingenommen, die seitens der Schuldnerin unterlassene Zahlung der Vergütung für den Monat Juni 2017 sei ihnen nicht vorwerfbar. Jedenfalls stellten die im Mindestlohngesetz verankerten Bußgeldtatbestände keine Schutzgesetze zulasten der Geschäftsführer einer GmbH im Verhältnis zu den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern der Gesellschaft dar.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Schadensersatzbegehren weiter. Die Beklagten beantragen die Zurückweisung der Revision.

 

Gründe

Die Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers im Ergebnis zu Recht zurückgewiesen. Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Kläger hat gegen die Beklagten keinen Anspruch auf Schadensersatz iHv. 1.555,84 Euro brutto nebst beantragter Zinsen.

I. Der Senat muss nicht entscheiden, ob der Kläger für den Monat Juni 2017, in dem er unstreitig keine Arbeitsleistung für die Schuldnerin erbrachte, aufgrund der Ausübung eines Zurückbehaltungsrechts an seiner Arbeitsleistung einen Anspruch gegen die Schuldnerin auf Vergütung wegen Annahmeverzugs nach § 615 Satz 1 iVm. § 611a Abs. 2, § 273 Abs. 1 BGB erlangt hat, insbesondere, ob sein Klagevorbringen hinsichtlich der Berechtigung der Geltendmachung eines Zurückbehaltungsrechts hinreichend schlüssig ist.

II. Die Beklagten haften nämlich als Geschäftsführer der Schuldnerin dem Kläger nicht persönlich für die unterbliebene Zahlung des Mindestlohns.

1. Nach der gesetzlichen Wertung ist die Haftung von Geschäftsführern einer GmbH grundsätzlich auf das Verhältnis zur Gesellschaft begrenzt (§ 43 Abs. 2 GmbHG). Außenstehenden Dritten haften Geschäftsführer grundsätzlich nicht persönlich. Vielmehr ist die Außenhaftung für Verbindlichkeiten der Gesellschaft nach § 13 Abs. 2 GmbHG auf das Gesellschaftsvermögen beschränkt. Zwar umfasst die Pflicht zur ordnungsgemäßen Geschäftsführung, die nach § 43 Abs. 1 GmbHG den Geschäftsführern einer GmbH aufgrund ihrer Organstellung obliegt, auch die Verpflichtung, dafür zu sorgen, dass sich die Gesellschaft rechtmäßig verhält und ihren gesetzlichen Verpflichtungen nachkommt (sog. Legalitätspflicht). Diese Pflicht besteht aber grundsätzlich nur der Gesellschaft gegenüber und nicht auch im Verhältnis zu außenstehenden Dritten. § 43 Abs. 1 GmbHG regelt allein die Pflichten des Geschäftsführers aus seinem durch die Bestellung begründeten Rechtsverhältnis zur Gesellschaft. Diese Pflichten dienen nicht dem Zweck, Gläubiger der Gesellschaft vor den Folgen einer sorgfaltswidrigen Geschäftsführung zu schützen. Aus der Regelung in § 43 Abs. 2 GmbHG wird deutlich, dass eine Verletzung der Pflicht zur ordnungsgemäßen Geschäftsführung nur Schadensersatzansprüche der Gesellschaft, nicht hingegen der Gläubiger der Gesellschaft entstehen lässt (st. Rspr., vgl. BAG 23. Februar 2016 - 9 AZR 293/15 - Rn. 19, BAGE 154, 162; BGH 10. Juli 2012 - VI ZR 341/10 - Rn. 22 f. mwN, BGHZ 194, 26).

2. Ein Geschäftsführer einer GmbH haftet deshalb nur dann persönlich für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft, wenn ein besonderer Haftungsgrund gegeben ist (st. Rspr., zB BAG 23. Februar 2016 - 9 AZR 293/15 - Rn. 14, BAGE 154, 162; 23. Februar 2010 - 9 AZR 44/09 - Rn. 22, BAGE 133, 213; 24. November 2005 - 8 AZR 1/05 - Rn. 20).

3. Ein besonderer Haftungsgrund liegt indes nicht vor. Die Beklagten sind dem Kläger nicht nach den - hier als Anspruchsgrundlage allein in Betracht kommenden - Bestimmungen in § 823 Abs. 2 BGB iVm. § 21 Abs. 1 Nr. 9, § 20 MiLoG iVm. § 9 Abs. 1 Nr. 1 OWiG zum Schadensersatz verpflichtet. Der Bußgeldtatbestand des § 21 Abs. 1 Nr. 9 iVm. § 20 MiLoG stellt - ungeachtet der sich aus § 21 Abs. 1 Nr. 9 MiLoG iVm. § 9 Abs. 1 Nr. 1 OWiG im Einzelfall ergebenden bußgeldrechtlichen Verantwortung der Geschäftsführer einer GmbH für Verstöße gegen die Verpflichtung zur Zahlung des Mindestlohns - kein Schutzgesetz zugunsten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der Gesellschaft, hier des Klägers, in ihrem Verhältnis zu den Geschäftsführern der Gesellschaft, hier den Beklagten, iSv. § 823 Abs. 2 BGB dar.

a) Die Beklagten in ihrer Eigenschaft als Geschäftsführer der Schuldnerin sind allerdings taugliche Täter einer Ordnungswidrigkeit nach § 21 Abs. 1 Nr. 9 MiLoG, auch wenn sich die Verpflichtung zur Zahlung des gesetzlichen Mindestlohns aus § 20 MiLoG nicht an sie richtet.

aa) Nach § 21 Abs. 1 Nr. 9 MiLoG handelt ordnungswidrig, wer vorsätzlich oder fahrlässig entgegen § 20 MiLoG das dort genannte Arbeitsentgelt nicht oder nicht rechtzeitig zahlt. Nach § 20 MiLoG sind Arbeitgeber mit Sitz im In- oder Ausland verpflichtet, ihren im Inland beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ein Arbeitsentgelt mindestens in Höhe des Mindestlohns nach § 1 Abs. 2 MiLoG spätestens zu dem in § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 MiLoG genannten Zeitpunkt zu zahlen. Danach konnte der Bußgeldtatbestand nur durch die Schuldnerin als Arbeitgeberin, nicht aber durch die Beklagten verwirklicht werden.

bb) Handelt jedoch jemand - wie hier die Beklagten als Geschäftsführer der Schuldnerin - als vertretungsberechtigtes Organ einer juristischen Person oder als Mitglied eines solchen Organs, so ist nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 OWiG ein Gesetz, nach dem besondere persönliche Eigenschaften, Verhältnisse oder Umstände (besondere persönliche Merkmale) die Möglichkeit der Ahndung begründen, auch auf den Vertreter anzuwenden, wenn diese Merkmale nicht bei ihm, aber bei dem Vertretenen vorliegen. Da es sich bei der Arbeitgeberstellung iSd. § 20 MiLoG um ein besonderes persönliches Merkmal iSv. § 9 Abs. 1 OWiG handelt (vgl. Riechert/Nimmerjahn MiLoG 2. Aufl. § 21 Rn. 30; HK-MiLoG/Ramming 2. Aufl. § 21 Rn. 30; HK-ArbR/Fechner 5. Aufl. MiLoG § 21 Rn. 4), wird im Anwendungsbereich von § 21 Abs. 1 Nr. 9 iVm. § 20 MiLoG die Bußgeldbewehrung der unterlassenen oder verspäteten Zahlung des gesetzlichen Mindestlohns auf die handelnden Geschäftsführer einer GmbH erstreckt.

b) Es kann offenbleiben, ob Voraussetzung für die Verwirklichung des objektiven Tatbestands des § 21 Abs. 1 Nr. 9 MiLoG die Zahlungsfähigkeit des Arbeitgebers, hier der Schuldnerin, im Zeitpunkt der Fälligkeit des Mindestlohnanspruchs ist und - sofern dies bejaht würde, wofür viel spricht (vgl. BGH 25. September 2006 - II ZR 108/05 - Rn. 8; HK-MiLoG/Ramming 2. Aufl. § 21 Rn. 18, 37; Kudlich in Thüsing MiLoG und AEntG 2. Aufl. § 21 MiLoG Rn. 15 unter Verweis auf § 23 AEntG Rn. 28; HK-ArbR/Fechner 5. Aufl. § 21 MiLoG Rn. 3) - ob die Schuldnerin zum maßgeblichen Zeitpunkt zahlungsfähig war. Ebenso kann dahinstehen, ob der Bußgeldtatbestand des § 21 Abs. 1 Nr. 9 MiLoG auch die Nichtzahlung der Vergütung in Höhe des Mindestlohns für Zeiten ohne Arbeitsleistung erfasst (zum Meinungsstand vgl.: HK-MiLoG/Schubert 2. Aufl. § 20 Rn. 11 ff.; Vogelsang/Wensing NZA 2016, 141, 142 ff.). Die Beklagten sind dem Kläger bereits deshalb nicht nach § 823 Abs. 2 BGB iVm. § 21 Abs. 1 Nr. 9, § 20 MiLoG iVm. § 9 Abs. 1 Nr. 1 OWiG zum Schadensersatz verpflichtet, weil § 21 Abs. 1 Nr. 9 MiLoG iVm. § 9 Abs. 1 Nr. 1 OWiG kein Schutzgesetz zugunsten der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen der Schuldnerin im Verhältnis zu den Beklagten ist.

aa) Als Schutzgesetze iSd. § 823 Abs. 2 BGB kommen solche gesetzlichen Gebote oder Verbote in Betracht, durch die das geschützte Interesse, die Art seiner Verletzung und der Kreis der geschützten Personen hinreichend klargestellt und bestimmt sind. Eine Rechtsnorm kann nur dann ein Schutzgesetz sein, wenn sie zumindest auch dazu dienen soll, den Einzelnen oder einzelne Personenkreise vor einer Verletzung eines bestimmten Rechtsguts oder eines bestimmten Rechtsinteresses zu schützen. Dafür kommt es nicht auf die Wirkung, sondern auf Inhalt, Zweck und Entstehungsgeschichte des Gesetzes an, also darauf, ob der Gesetzgeber bei Erlass des Gesetzes gerade einen Rechtsschutz, wie er wegen der behaupteten Verletzung in Anspruch genommen wird, zugunsten von Einzelpersonen oder bestimmten Personenkreisen gewollt oder doch mitgewollt hat. Insoweit reicht es aus, dass die Gewährung von Individualschutz wenigstens eines der vom Gesetzgeber mit der Norm verfolgten Anliegen ist, selbst wenn auf die Allgemeinheit gerichtete Schutzzwecke ganz im Vordergrund stehen (vgl. BAG 21. November 2006 - 9 AZR 206/06 - Rn. 40; 18. August 2005 - 8 AZR 542/04 - zu II 2 c aa der Gründe; 6. November 2002 - 5 AZR 487/01 - zu II 4 a der Gründe; 25. April 2001 - 5 AZR 368/99 - zu B II 1 b aa der Gründe mwN, BAGE 97, 350; ebenso BGH 14. Juni 2022 - VI ZR 110/21 - Rn. 9; 23. Juli 2019 - VI ZR 307/18 - Rn. 12; 13. März 2018 - VI ZR 143/17 - Rn. 27 mwN, BGHZ 218, 96).

Voraussetzung für die Annahme eines Schutzgesetzes ist zudem, dass die Schaffung eines individuellen deliktischen Anspruchs sinnvoll und im Lichte des haftungsrechtlichen Gesamtsystems tragbar erscheint, um auszuschließen, dass die Entscheidung des Gesetzgebers gegen eine allgemeine Haftung für Vermögensschäden unterlaufen wird. Dabei muss in umfassender Würdigung des gesamten Regelungszusammenhangs, in den die Norm gestellt ist, geprüft werden, ob es in der Tendenz des Gesetzgebers liegen konnte, an die Verletzung des geschützten Interesses die deliktische Einstandspflicht des dagegen Verstoßenden mit allen damit zugunsten des Geschädigten gegebenen Haftungs- und Beweiserleichterungen zu knüpfen (vgl. BAG 18. August 2005 - 8 AZR 542/04 - zu II 2 c aa der Gründe; 6. November 2002 - 5 AZR 487/01 - zu II 4 a der Gründe; 25. April 2001 - 5 AZR 368/99 - zu B II 1 b aa der Gründe, BAGE 97, 350; BGH 14. Juni 2022 - VI ZR 110/21 - Rn. 10; 23. Juli 2019 - VI ZR 307/18 - Rn. 13; 22. Juni 2010 - VI ZR 212/09 - Rn. 26 mwN, BGHZ 186, 58).

bb) In Anwendung dieser Grundsätze stellen § 21 Abs. 1 Nr. 9, § 20 MiLoG iVm. § 9 Abs. 1 Nr. 1 OWiG kein Schutzgesetz der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen der Schuldnerin im Verhältnis zu den Beklagten dar.

(1) Zwar sind aus § 21 Abs. 1 Nr. 9 MiLoG das geschützte Interesse, die Art der Verletzung und der Kreis der geschützten Personen klar und deutlich ersichtlich. Denn es werden erkennbar die im Inland beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer davor geschützt, dass ihnen entgegen § 20 MiLoG das dort genannte Arbeitsentgelt, dh. ein Arbeitsentgelt mindestens in Höhe des Mindestlohns nach § 1 Abs. 2 MiLoG, nicht spätestens zu dem in § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 MiLoG bestimmten Zeitpunkt gezahlt wird.

(2) § 21 Abs. 1 Nr. 9 MiLoG bezweckt überdies zumindest auch den Schutz individueller Interessen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn.

(a) Mit dem Mindestlohngesetz verfolgt der Gesetzgeber sowohl Individual- als auch Gemeinwohlinteressen. Durch die Normierung eines angemessenen Verhältnisses von Arbeitsleistung und Arbeitsentgelt sollen die Existenzsicherung durch Arbeitseinkommen als Ausdruck der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 Satz 1 GG) für alle im Inland tätigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gewährleistet und damit zugleich die sozialen Sicherungssysteme entlastet werden (vgl. BT-Drs. 18/1558 S. 28; BAG 25. Mai 2022 - 6 AZR 497/21 - Rn. 43; 24. Juni 2021 - 5 AZR 505/20 - Rn. 24, BAGE 175, 192; 25. Mai 2016 - 5 AZR 135/16 - Rn. 29 f., BAGE 155, 202; ausführlich Riechert/Nimmerjahn MiLoG 2. Aufl. Einführung Rn. 67 ff., Rn. 73 ff.).

(b) Vor diesem Hintergrund soll die Bußgeldandrohung in § 21 Abs. 1 Nr. 9 iVm. § 20 MiLoG den Arbeitgeber dazu anhalten, seiner Verpflichtung zur rechtzeitigen Zahlung des gesetzlichen Mindestlohns tatsächlich nachzukommen. Nach der Begründung des Gesetzentwurfs hat der Gesetzgeber es ausdrücklich nicht für ausreichend erachtet, die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer allein auf die zivilrechtliche Durchsetzung ihrer Mindestlohnansprüche zu verweisen. Andernfalls würde, da insbesondere im Bereich der einfachen und gering bezahlten Tätigkeiten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ihre individualrechtlichen Ansprüche oftmals praktisch nicht durchsetzen, das Ziel des Gesetzes, Mindestarbeitsbedingungen für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer effektiv zu gewährleisten und durchzusetzen, nicht erreicht (vgl. BT-Drs. 18/1558 S. 2).

(3) Es bedarf keiner Entscheidung, ob § 21 Abs. 1 Nr. 9 iVm. § 20 MiLoG überhaupt ein Schutzgesetz iSv. § 823 Abs. 2 BGB ist. Jedenfalls handelt es sich bei § 21 Abs. 1 Nr. 9, § 20 MiLoG iVm. § 9 Abs. 1 Nr. 1 OWiG - ungeachtet der durch § 9 Abs. 1 Nr. 1 OWiG bewirkten Erweiterung der bußgeldrechtlichen Verantwortung auf die Geschäftsführer einer GmbH - nicht um ein Schutzgesetz iSd. § 823 Abs. 2 BGB zugunsten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der GmbH in ihrem Verhältnis zu deren Geschäftsführern.

(a) Wie unter Rn. 12 ausgeführt, haftet eine GmbH als Arbeitgeberin aufgrund der gesetzlichen Haftungsbeschränkung des § 13 Abs. 2 GmbHG für durch Verstöße gegen gesetzliche Ver- und Gebote entstehende Schäden ausschließlich mit ihrem Gesellschaftsvermögen. Eine Haftung der Geschäftsführer sieht das Gesetz nicht vor. Dieses gesellschaftsrechtlich normierte Haftungssystem kann zwar durch den Gesetzgeber erweitert werden. Eine solche Erweiterung ist bezüglich der strafrechtlichen Verantwortlichkeit der Geschäftsführer einer GmbH für Verstöße gegen Straftatbestände durch § 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB und für die Begehung von Ordnungswidrigkeiten durch § 9 Abs. 1 Nr. 1 OWiG erfolgt. Auch kann in einer solchen Erweiterung durch eine bußgeldrechtliche Haftung zugleich die Begründung einer Ausnahme von der gesellschaftsrechtlichen Haftungssystematik des GmbHG durch den Gesetzgeber liegen (vgl. BAG 21. November 2006 - 9 AZR 206/06 - Rn. 41). Voraussetzung für eine solche Ausnahme ist allerdings, dass die eine Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB begründende Schutznorm hinreichend deutlich erkennen lässt, dass nach dem Willen des Gesetzgebers auch die Geschäftsführer der Gesellschaft - über die sonst vorhandenen zivilrechtlichen Haftungstatbestände hinausgehend - persönlich haften sollen.

(b) Diese Voraussetzung ist im Hinblick auf die in § 21 Abs. 1 Nr. 9, § 20 MiLoG iVm. § 9 Abs. 1 Nr. 1 OWiG getroffenen Bestimmungen nicht erfüllt.

Die Annahme, den Regelungen in § 21 Abs. 1 Nr. 9, § 20 MiLoG iVm. § 9 Abs. 1 OWiG komme der Charakter eines Schutzgesetzes iSd. § 823 Abs. 2 BGB zugunsten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer einer GmbH im Verhältnis zu den Geschäftsführern der GmbH zu, würde dazu führen, dass dieser Personenkreis von den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern der Gesellschaft selbst bei nur (leicht) fahrlässiger Verwirklichung des Bußgeldtatbestands nach § 823 Abs. 2 BGB auf Schadensersatz in Höhe des gesetzlichen Mindestlohns in Anspruch genommen werden könnte. Dies wiederum hätte zur Folge, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in einer Vielzahl von Fällen im Hinblick auf die Zahlung des Mindestlohns über die GmbH als ihren Vertragsarbeitgeber hinaus mit dem Geschäftsführer bzw. den Geschäftsführern einen weiteren bzw. weitere Schuldner hätten. Hierdurch würde das Haftungssystem des GmbHG, in dem es eine allgemeine Durchgriffshaftung auf die Geschäftsführer der Gesellschaft nicht gibt, für den Bereich der Vergütungspflicht des Arbeitgebers - jedenfalls in Höhe des Mindestlohns - vielfach konterkariert. Vor diesem Hintergrund und unter Berücksichtigung des Umstands, dass es sich bei der Vergütungspflicht um die Hauptleistungspflicht des Arbeitgebers handelt, bedarf es für die Annahme, die Bestimmungen in § 21 Abs. 1 Nr. 9, § 20 MiLoG iVm. § 9 Abs. 1 OWiG seien Schutzgesetz zugunsten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer einer GmbH im Verhältnis zu den Geschäftsführern der GmbH, konkreter Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber - letztlich abweichend von der Haftungssystematik des GmbHG - eine über die sonst vorhandenen zivilrechtlichen Haftungstatbestände hinausgehende Schadensersatzverpflichtung der für die GmbH handelnden Organe bzw. Vertreter schaffen wollte (vgl. BGH 13. April 1994 - II ZR 16/93 - zu II 2 b der Gründe, BGHZ 125, 366).

Für einen solchen Willen des Gesetzgebers ist indes nichts ersichtlich. Dieser hat die Verpflichtung des Arbeitgebers zur Zahlung des gesetzlichen Mindestlohns durch einen unmittelbaren - nach § 3 MiLoG unabdingbaren - Leistungsanspruch der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gegen den Arbeitgeber nach § 1 Abs. 1 iVm. § 20 MiLoG abgesichert. Zudem soll - wie unter Rn. 25 ausgeführt - ausweislich der Gesetzesbegründung mit der Bußgeldandrohung in § 21 Abs. 1 Nr. 9 MiLoG verhindert werden, dass die rechtzeitige Zahlung des Mindestlohns, die sowohl der Existenzsicherung der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen als auch der Entlastung der sozialen Sicherungssysteme dient, daran scheitert, dass die Beschäftigten diesen Leistungsanspruch nicht selbst gegen den Arbeitgeber durchsetzen. Demgegenüber lassen sich den Gesetzesmaterialien keine Anhaltspunkte dafür entnehmen, dass der Gesetzgeber zur effektiven Durchsetzung des Mindestlohnanspruchs (auch) eine - über die sonst vorhandenen zivilrechtlichen Haftungstatbestände hinausgehende - zivilrechtliche Haftung der für den Arbeitgeber handelnden Organe bzw. Vertreter auch nur erwogen hätte.

(4) Eine andere Bewertung ist - entgegen der Rechtsansicht des Klägers - auch nicht deshalb geboten, weil es sich bei § 266a Abs. 2 und Abs. 3 StGB anerkanntermaßen um Schutzgesetze zugunsten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer (vgl. BAG 18. August 2005 - 8 AZR 542/04 - zu II 2 c aa der Gründe) handelt, wobei diese Bestimmungen ihrerseits iVm. § 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB eine Haftung der Geschäftsführer einer GmbH nach § 823 Abs. 2 BGB gegenüber den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern der GmbH begründen können (zur Haftung gegenüber dem Sozialversicherungsträger nach § 266a Abs. 1 StGB: vgl. zB BGH 11. Juni 2013 - II ZR 389/12 - Rn. 13; 2. Dezember 2010 - IX ZR 247/09 - Rn. 19, BGHZ 187, 337; 15. Oktober 1996 - VI ZR 319/95 - zu II der Gründe, BGHZ 133, 370). § 266a Abs. 2 und Abs. 3 StGB sind deshalb als Schutzgesetze iSv. § 823 Abs. 2 BGB anerkannt, weil sie dem Schutzinteresse der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer an der treuhänderischen Verwaltung von Teilen ihres Arbeitseinkommens dienen (vgl. BAG 18. August 2005 - 8 AZR 542/04 - aaO). Demgegenüber fehlt es im Hinblick auf die Zahlung der Vergütung - auch in Höhe des Mindestlohns - an einer vergleichbaren treuhänderischen Bindung des Arbeitgebers. Insoweit ist vielmehr anerkannt, dass dem Arbeitgeber grundsätzlich keine allgemeine Vermögensbetreuungspflicht hinsichtlich der Lohnzahlungen und sonstiger Leistungen im Austauschverhältnis zukommt (vgl. BAG 21. November 2006 - 9 AZR 206/06 - Rn. 37).