Insolvenzrecht: Zur Unwirksamkeit insolvenzzweckwidriger Vereinbarungen

bei uns veröffentlicht am08.08.2014

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Rechtsanwalt Dirk Streifler - Partner

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Zusammenfassung des Autors
Nur Rechtshandlungen die dem Insolvenzzweck der gleichmäßigen Befriedigung der Gläubiger klar und eindeutig zuwiderlaufen sind unwirksam.
Der BGH hat in seinem Urteil vom 20.03.2014 (Az.: IX ZR 80/13) folgendes entschieden:

Zahlt der Insolvenzverwalter aus dem Erlös des Verkaufs eines zur Masse gehörenden Grundstücks einen Betrag an einen nachrangigen Grundpfandgläubiger, dessen Recht in der Zwangsvollstreckung offensichtlich wertlos wäre, um dessen Bedingung für die Löschungsbewilligung zu erfüllen, ist weder eine entsprechende Vereinbarung noch die Zahlung selbst insolvenzzweckwidrig, wenn der Betrag ausschließlich zu Lasten eines damit einverstandenen vorrangigen Grundpfandgläubigers geht.

Die Revision gegen das Urteil des 4. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 13. März 2013 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.


Tatbestand:

Der Kläger verlangt von der Beklagten Rückzahlung von 31.196,43 €, die er zur Ablösung einer Restkaufpreishypothek an diese gezahlt hat. Er ist Verwalter im Insolvenzverfahren über das Vermögen des S.. Dieser hatte am 10. Oktober 2007 von der Beklagten zum Kaufpreis von 1.275.000 € ein Grundstück mit Hotelbetrieb erworben. Die Immobilie war mit einer erstrangigen brieflosen Grundschuld der Volksbank über 1.295.000 € und einer zweitrangigen Restkaufpreishypothek über 300.000 € zugunsten der Beklagten belastet. Die Eigentumsumschreibung war nach Zahlung von 975.000 € erfolgt. Auf den danach noch offenen Kaufpreis von 300.000 € hatte der Insolvenzschuldner weitere 17.000 € erbracht.

Der Kläger verkaufte das Grundstück mit notariellem Vertrag vom 1. Juni 2011 freihändig zu einem Preis von 603.000 €. Der Kaufpreis reichte nicht aus, um die mit der erstrangigen Grundschuld besicherte Forderung zu befriedigen, die am 16. Juli 2010 mit 1.342.917,53 € valutierte.

In § 3 Nummer 3 des Kaufvertrages hatte sich der Kläger verpflichtet, die absonderungsberechtigten Gläubiger und sonstigen Grundschuldgläubiger abzulösen. Nachdem sich die Beklagte dem Kläger gegenüber geweigert hatte, die Löschungsbewilligung für ihr Grundpfandrecht zu erteilen, einigte sie sich mit der Volksbank über die Ausgestaltung der Treuhandaufträge für die Löschungsbewilligungen dergestalt, dass ein Kaufpreisanteil von 31.196,43 € an sie fließen konnte, den die Volksbank entsprechend weniger erhielt. Der Kläger, an den der Kaufpreis vertragsgemäß insgesamt zu entrichten war, zahlte diesen Betrag an die Beklagte unter dem Vorbehalt der Rückforderung.

Das Landgericht hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht die Klage abgewiesen und die Revision zugelassen. Mit dieser verfolgt der Kläger sein Klagebegehren in vollem Umfang weiter.


Entscheidungsgründe:

Die Revision hat keinen Erfolg.

Das Berufungsgericht hat gemeint, dem Kläger stehe kein Anspruch auf Rückzahlung zu, insbesondere nicht aus ungerechtfertigter Bereicherung gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1 Fall 1 BGB. Die Beklagte habe das Geld nicht ohne Rechtsgrund erlangt. Rechtsgrund sei der zwischen dem Schuldner und der Beklagten geschlossene Kaufvertrag, aus dem noch ein Kaufpreisanspruch von 283.000 € offen sei. Hierauf habe der Kläger bezahlt.

Die Verfügung des Klägers über die Auszahlung des Geldes sei nicht nichtig. Insbesondere sei sie nicht insolvenzzweckwidrig. Dies sei nur anzunehmen, wenn die Verfügung dem Insolvenzzweck der gleichmäßigen Gläubigerbefriedigung offenbar zuwider laufe. Die Insolvenzgläubiger sollten nur erhalten, was ihnen nach der Quote zustehe. Darüber hinausgehende Zahlungen seien, wie im vorliegenden Fall, nur gerechtfertigt, wenn sie z.B. auf einem Anspruch auf abgesonderte Befriedigung beruhten.

Die Beklagte habe einen Anspruch auf abgesonderte Befriedigung gehabt. Der hypothekarisch gesicherte Restkaufpreisanspruch sei in Höhe des gezahlten Betrages werthaltig gewesen. Die Werthaltigkeit ergebe sich aus der Vereinbarung zwischen der Volksbank und der Beklagten. Die Volksbank habe auf die Auszahlung des in Rede stehenden Betrages verzichtet und so der nachrangigen hypothekarisch gesicherten Forderung zur Werthaltigkeit verholfen.

Die Vereinbarung zwischen Volksbank und Beklagter sei auch im Verhältnis zum Kläger wirksam, weil sie keine Regelung zu Lasten der Masse enthalte, sondern neutral sei. Der Kaufpreisanteil wäre der Masse ohnehin nicht zugeflossen. Hätte die Volksbank nicht zugunsten der Beklagten verzichtet, habe der Kaufpreis an die Volksbank ausbezahlt werden müssen. Hinsichtlich der dadurch offen gebliebenen Forderung der Volksbank liege in Höhe des an die Beklagte ausgezahlten Betrages lediglich ein Gläubigeraustausch vor.

Diese Ausführungen halten rechtlicher Prüfung stand.

Dem Kläger steht gegen die Beklagte kein Bereicherungsanspruch wegen einer Leistung ohne rechtlichen Grund gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1 Fall 1 BGB zu.

Die Beklagte hat infolge einer Verfügungshandlung des Klägers den Betrag von 31.196,43 € erhalten und kann darüber verfügen. Dies stellt eine Leistung im Sinne des § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB dar, auch wenn die Verfügungshandlung des Klägers selbst nichtig sein sollte.

Der Leistung fehlt jedoch nicht der rechtliche Grund.

Nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind Rechtshandlungen des Insolvenzverwalters unwirksam, welche dem Insolvenzzweck der gleichmäßigen Befriedigung der Gläubiger klar und eindeutig, also offensichtlich zuwiderlaufen. Wirksam sind dagegen Verfügungen des Insolvenzverwalters, die nur unzweckmäßig oder sogar unrichtig sind.

Auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen kann hier eine Insolvenzzweckwidrigkeit nicht angenommen werden. Die Zahlung an die Beklagte erfolgte nach den Feststellungen des Berufungsgerichts auf den Kaufvertrag, aus dem noch eine Restkaufpreisforderung von 283.000 € offen stand, die im Insolvenzverfahren lediglich eine Insolvenzforderung darstellte. Insolvenzforderungen können im Insolvenzverfahren nur in Höhe der Quote erfüllt werden. Weitergehende Zahlungen auf Insolvenzforderungen aus der Masse sind offensichtlich insolvenzzweckwidrig, sofern sie nicht anderweitig gerechtfertigt sind, etwa aus einem Anspruch auf abgesonderte Befriedigung.

Der Beklagten stand zwar ein Absonderungsrecht zur Seite. Dieses war jedoch aus sich heraus unstreitig nicht werthaltig. Der vom Kläger erzielte Kaufpreis von 603.000 € reichte nach den Feststellungen des Berufungsgerichts bereits bei weitem nicht aus, die mit mehr als 1 Mio. € valutierende, mit der erstrangigen Grundschuld gesicherte Forderung zu befriedigen.

Die von der Beklagten gegenüber dem Kläger erklärte Weigerung, die Löschung der Kaufpreissicherungshypothek zu bewilligen, diente ausschließlich der Durchsetzung der schuldrechtlichen Kaufpreisforderung ohne die Beschränkungen der Insolvenzordnung.

Mit der sodann gefundenen Lösung war jedoch für die Masse kein Nachteil verbunden, weil der zu zahlende Betrag wirtschaftlich ausschließlich zu Lasten der erstrangigen Grundschuldgläubigerin ging und die Masse hierdurch nicht beeinträchtigt wurde, auch wenn die Zahlungsabwicklung gemäß § 3 Nr. 3 des Kaufvertrages über den Kläger erfolgte.

Ein Vorteil für die Gesamtheit der Insolvenzgläubiger war mit der durch die Löschung der Hypothek der Beklagten möglich gewordenen Durchführung des freihändigen Verkaufs des Betriebsgrundstücks insoweit nicht verbunden, als ein durch den freihändigen Verkauf erzielter höherer Erlös wegen der wertausschöpfenden Belastung durch die erstrangige Sicherheit nicht zu einem Massezuwachs führte.

Sowohl in dem hier vorliegenden Rechtsstreit wie in jenem vom Senat am 20. März 2008 entschiedenen Fall lehnte der Inhaber des nachrangigen Grundpfandrechts, das im Falle der Zwangsvollstreckung in das Grundstück wertlos gewesen wäre, die Bewilligung der Löschung zunächst ab und bewilligte sodann die Löschung nur gegen Zahlung eines bestimmten Betrages. In jenem am 20. März 2008 entschiedenen Fall war der Ablösebetrag auf der Grundlage einer entsprechenden Vereinbarung zwischen Insolvenzverwalter und Grundpfandgläubiger aus der Masse bezahlt worden. Diese schuldrechtliche Vereinbarung war wegen offensichtlicher Insolvenzzweckwidrigkeit nichtig.

Eine Vereinbarung zwischen Kläger und Beklagter hat das Berufungsgericht vorliegend nicht ausdrücklich festgestellt. Der Kläger hat hier aber ebenfalls gezahlt, um die von der Beklagten zur Löschung des Grundpfandrechts gestellte Bedingung zu erfüllen. Diese war entsprechend dem Vorschlag des Klägers so formuliert worden, dass von der Löschungsbewilligung Gebrauch gemacht werden konnte, wenn "der Insolvenzverwalter bestätigt, dass aus dem Kaufpreis ein Anteil in Höhe von 31.196,43 €" an die Beklagte geleistet wird. Spätestens mit der Zahlung hat der Kläger diese Bedingung der Beklagten erfüllt und ihr Angebot auf Abschluss einer entsprechenden Vereinbarung angenommen.

Diese ist jedoch ebenso wie die Zahlungsverfügung nicht wegen offensichtlicher Insolvenzzweckwidrigkeit nichtig. Durch die Vereinbarung und die Zahlung wird, wie das Berufungsgericht zutreffend festgestellt hat, die gleichmäßige Befriedigung der Insolvenzgläubiger in keiner Weise beeinträchtigt. Die durchgeführte Handhabung wurde allein dadurch ermöglicht und bewirkt, dass die Volksbank ihrerseits auf einen entsprechenden Anteil am Erlös verzichtete.

Der Senat hat in der Entscheidung vom 20. März 2008 offen gelassen, ob eine Vereinbarung, in welcher der Insolvenzverwalter sich zu einer Zahlung als Gegenleistung für die Löschung eines nachrangigen und im Falle der Zwangsversteigerung voraussichtlich wertlosen Grundpfandrechts verpflichtet, schlechthin als insolvenzzweckwidrig zu qualifizieren und deshalb unwirksam ist, oder ob es auf das Verhältnis der Höhe der Zahlung und den durch die freihändige Veräußerung erzielten Massezuwachs ankommt. Die Frage kann auch hier offen bleiben. Der Kläger hat sich gegenüber der Beklagten zu keinem Zeitpunkt verpflichtet, eine Gegenleistung aus der Masse zu erbringen. Er hätte im Verhältnis zu der Beklagten ohne weiteres davon absehen können, den Ablösebetrag zu zahlen. Außerdem liegt auch tatsächlich - anders als im Fall vom 20. März 2008 wirtschaftlich keine Zahlung aus der Masse vor.

Die Besonderheit des Falles liegt, wie die Revision zutreffend sieht, in dem Umstand, dass die Insolvenzmasse durch die Zahlung der "Lästigkeitsprämie" weder einen Vorteil noch einen Nachteil hatte. Dass die Zahlung wirtschaftlich aus der Masse erfolgt, ist aber der wesentliche Gesichtspunkt für die Insolvenzzweckwidrigkeit einer entsprechenden Verpflichtung oder Verfügung des Insolvenzverwalters. Wird demgegenüber der Bestand der Masse nicht beeinträchtigt, kann die Zahlung auf die gleichmäßige Befriedigung der Gläubiger keinen Einfluss haben. Dass in der Folge der erstrangige Grundschuldgläubiger eine entsprechend höhere Insolvenzforderung hat, ist unerheblich, weil sich die Insolvenzforderung des nachrangigen Grundpfandgläubigers entsprechend reduziert, die Quote also unverändert bleibt. In einem solchen Fall hat die Masse zudem regelmäßig - wie auch hier in Höhe von 20.100 € - den Vorteil, dass bei freihändigem Verkauf aufgrund einer entsprechenden Vereinbarung ein Kostenbeitrag der Grundpfandgläubiger an die Masse fließt, der - nach Erledigung der Kosten des Insolvenzverfahrens - den Gläubigern zugute kommt.

Die weiteren Angriffe der Revision greifen ebenfalls nicht durch.

Soweit das Berufungsgericht aus dem Schreiben der Volksbank vom 3. Februar 2011 auf eine Vereinbarung zwischen der Volksbank und der Beklagten geschlossen hat, hält sich dies im Rahmen tatrichterlicher Beweiswürdigung und liegt nahe. Die rechtliche Würdigung eines Sachverhalts ist nicht an eine Zeugenaussage gebunden. Dass die Volksbank selbst an die Beklagte zahlen wollte, nimmt das Berufungsgericht nicht an. Die Volksbank hat allein zugunsten der Beklagten auf die Auszahlung des streitigen Betrages verzichtet. Der Masse wollte sie diesen Betrag nicht zukommen lassen.

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Verkündet am:
20. März 2014
Kluckow
Justizangestellte
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der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Zahlt der Insolvenzverwalter aus dem Erlös des Verkaufs eines zur Masse gehörenden
Grundstücks einen Betrag an einen nachrangigen Grundpfandgläubiger, dessen
Recht in der Zwangsvollstreckung offensichtlich wertlos wäre, um dessen Bedingung
für die Löschungsbewilligung zu erfüllen, ist weder eine entsprechende Vereinbarung
noch die Zahlung selbst insolvenzzweckwidrig, wenn der Betrag ausschließlich zu
Lasten eines damit einverstandenen vorrangigen Grundpfandgläubigers geht (Abgrenzung
zu BGH, ZIP 2008, 884).
BGH, Urteil vom 20. März 2014 - IX ZR 80/13 - OLG Oldenburg
LG Osnabrück
Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 20. März 2014 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Kayser, den Richter
Vill, die Richterin Lohmann, den Richter Dr. Pape und die Richterin Möhring

für Recht erkannt:
Die Revision gegen das Urteil des 4. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 13. März 2013 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:


1
Der Kläger verlangt von der Beklagten Rückzahlung von 31.196,43 €, die er zur Ablösung einer Restkaufpreishypothek an diese gezahlt hat. Er ist Verwalter im Insolvenzverfahren über das Vermögen des S. (nachfolgend: Schuldner). Dieser hatte am 10. Oktober 2007 von der Beklagten zum Kaufpreis von 1.275.000 € ein Grundstück mit Hotelbetrieb erworben. Die Immobilie war mit einer erstrangigen brieflosen Grundschuld der Volksbank (künftig: Volksbank) über 1.295.000 € und einer zweitrangigen Restkaufpreishypothek über 300.000 € zugunsten der Beklagten belastet. Die Eigentumsumschreibung war nach Zahlung von 975.000 € erfolgt. Auf den danach noch offenen Kaufpreis von 300.000 € hatte der Insolvenzschuldner weitere 17.000 € erbracht.
2
Der Kläger verkaufte das Grundstück mit notariellem Vertrag vom 1. Juni 2011 freihändig zu einem Preis von 603.000 €. Der Kaufpreis reichte nicht aus, um die mit der erstrangigen Grundschuld besicherte Forderung zu befriedigen, die am 16. Juli 2010 mit 1.342.917,53 € valutierte.
3
In § 3 Nummer 3 des Kaufvertrages hatte sich der Kläger verpflichtet, die absonderungsberechtigten Gläubiger und sonstigen Grundschuldgläubiger abzulösen. Nachdem sich die Beklagte dem Kläger gegenüber geweigert hatte, die Löschungsbewilligung für ihr Grundpfandrecht zu erteilen, einigte sie sich mit der Volksbank über die Ausgestaltung der Treuhandaufträge für die Löschungsbewilligungen dergestalt, dass ein Kaufpreisanteil von 31.196,43 € an sie fließen konnte, den die Volksbank entsprechend weniger erhielt. Der Kläger, an den der Kaufpreis vertragsgemäß insgesamt zu entrichten war, zahlte diesen Betrag an die Beklagte unter dem Vorbehalt der Rückforderung.
4
Das Landgericht hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht die Klage abgewiesen und die Revision zugelassen. Mit dieser verfolgt der Kläger sein Klagebegehren in vollem Umfang weiter.

Entscheidungsgründe:


5
Die Revision hat keinen Erfolg.

I.


6
Das Berufungsgericht hat gemeint, dem Kläger stehe kein Anspruch auf Rückzahlung zu, insbesondere nicht aus ungerechtfertigter Bereicherung gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1 Fall 1 BGB (Leistungskondiktion). Die Beklagte habe das Geld nicht ohne Rechtsgrund erlangt. Rechtsgrund sei der zwischen dem Schuldner und der Beklagten geschlossene Kaufvertrag, aus dem noch ein Kaufpreisanspruch von 283.000 € offen sei. Hierauf habe der Kläger bezahlt.
7
Die Verfügung des Klägers über die Auszahlung des Geldes sei nicht nichtig. Insbesondere sei sie nicht insolvenzzweckwidrig. Dies sei nur anzunehmen , wenn die Verfügung dem Insolvenzzweck der gleichmäßigen Gläubigerbefriedigung offenbar zuwider laufe. Die Insolvenzgläubiger sollten nur erhalten , was ihnen nach der Quote zustehe. Darüber hinausgehende Zahlungen seien, wie im vorliegenden Fall, nur gerechtfertigt, wenn sie z.B. auf einem Anspruch auf abgesonderte Befriedigung beruhten.
8
Die Beklagte habe einen Anspruch auf abgesonderte Befriedigung gehabt. Der hypothekarisch gesicherte Restkaufpreisanspruch sei in Höhe des gezahlten Betrages werthaltig gewesen. Die Werthaltigkeit ergebe sich aus der Vereinbarung zwischen der Volksbank und der Beklagten. Die Volksbank habe auf die Auszahlung des in Rede stehenden Betrages verzichtet und so der nachrangigen hypothekarisch gesicherten Forderung zur Werthaltigkeit verholfen.
9
Die Vereinbarung zwischen Volksbank und Beklagter sei auch im Verhältnis zum Kläger wirksam, weil sie keine Regelung zu Lasten der Masse enthalte , sondern neutral sei. Der Kaufpreisanteil wäre der Masse ohnehin nicht zugeflossen. Hätte die Volksbank nicht zugunsten der Beklagten verzichtet, habe der Kaufpreis an die Volksbank ausbezahlt werden müssen. Hinsichtlich der dadurch offen gebliebenen Forderung der Volksbank liege in Höhe des an die Beklagte ausgezahlten Betrages lediglich ein Gläubigeraustausch vor.

II.


10
Diese Ausführungen halten rechtlicher Prüfung stand.
11
Dem Kläger steht gegen die Beklagte kein Bereicherungsanspruch wegen einer Leistung ohne rechtlichen Grund gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1 Fall 1 BGB zu.
12
1. Die Beklagte hat infolge einer Verfügungshandlung des Klägers den Betrag von 31.196,43 € erhalten und kann darüber verfügen. Dies stellt eine Leistung im Sinne des § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB dar, auch wenn die Verfügungshandlung des Klägers selbst nichtig sein sollte (vgl. BGH, Urteil vom 15. Mai 1990 - VI ZR 162/89, NJW-RR 1990, 1521, 1522; Palandt/Sprau, BGB, 73. Aufl., § 812 Rn. 15).
13
2. Der Leistung fehlt jedoch nicht der rechtliche Grund.

14
a) Nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs sind Rechtshandlungen des Insolvenzverwalters unwirksam, welche dem Insolvenzzweck der gleichmäßigen Befriedigung der Gläubiger (vgl. § 1 Satz 1 InsO) klar und eindeutig, also offensichtlich zuwiderlaufen (BGH, Urteil vom 25. April 2002 - IX ZR 313/99, BGHZ 150, 353, 360 f; Beschluss vom 20. März 2008 - IX ZR 68/06, ZIP 2008, 884 Rn. 4; jeweils mwN). Wirksam sind dagegen Verfügungen des Insolvenzverwalters, die nur unzweckmäßig oder sogar unrichtig sind (BGH, Urteil vom 25. April 2002, aaO mwN; Beschluss vom 20. März 2008, aaO mwN).
15
b) Auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen kann hier eine Insolvenzzweckwidrigkeit nicht angenommen werden. Die Zahlung an die Beklagte erfolgte nach den Feststellungen des Berufungsgerichts auf den Kaufvertrag, aus dem noch eine Restkaufpreisforderung von 283.000 € offen stand, die im Insolvenzverfahren lediglich eine Insolvenzforderung darstellte. Insolvenzforderungen können im Insolvenzverfahren nur in Höhe der Quote erfüllt werden. Weitergehende Zahlungen auf Insolvenzforderungen aus der Masse sind offensichtlich insolvenzzweckwidrig, sofern sie nicht anderweitig gerechtfertigt sind, etwa aus einem Anspruch auf abgesonderte Befriedigung.
16
aa) Der Beklagten stand zwar ein Absonderungsrecht zur Seite.Dieses war jedoch aus sich heraus unstreitig nicht werthaltig. Der vom Kläger erzielte Kaufpreis von 603.000 € reichte nach den Feststellungen des Berufungsgerichts bereits bei weitem nicht aus, die mit mehr als 1 Mio. € valutierende, mit der erstrangigen Grundschuld gesicherte Forderung zu befriedigen.
17
Die von der Beklagten gegenüber dem Kläger erklärte Weigerung, die Löschung der Kaufpreissicherungshypothek zu bewilligen, diente ausschließlich der (teilweisen) Durchsetzung der schuldrechtlichen Kaufpreisforderung ohne die Beschränkungen der Insolvenzordnung.
18
bb) Mit der sodann gefundenen Lösung war jedoch für die Masse kein Nachteil verbunden, weil der zu zahlende Betrag wirtschaftlich ausschließlich zu Lasten der erstrangigen Grundschuldgläubigerin ging und die Masse hierdurch nicht beeinträchtigt wurde, auch wenn die Zahlungsabwicklung gemäß § 3 Nr. 3 des Kaufvertrages über den Kläger erfolgte.
19
Ein Vorteil für die Gesamtheit der Insolvenzgläubiger war mit der durch die Löschung der Hypothek der Beklagten möglich gewordenen Durchführung des freihändigen Verkaufs des Betriebsgrundstücks insoweit nicht verbunden, als ein durch den freihändigen Verkauf erzielter höherer Erlös wegen der wertausschöpfenden Belastung durch die erstrangige Sicherheit nicht zu einem Massezuwachs führte (vgl. BGH, Beschluss vom 20. März 2008, aaO Rn. 6).
20
Sowohl in dem hier vorliegenden Rechtsstreit wie in jenem vom Senat am 20. März 2008 entschiedenen Fall lehnte der Inhaber des nachrangigen Grundpfandrechts, das im Falle der Zwangsvollstreckung in das Grundstück wertlos gewesen wäre, die Bewilligung der Löschung zunächst ab und bewilligte sodann die Löschung nur gegen Zahlung eines bestimmten Betrages. In jenem am 20. März 2008 entschiedenen Fall war der Ablösebetrag auf der Grundlage einer entsprechenden Vereinbarung zwischen Insolvenzverwalter und Grundpfandgläubiger aus der Masse bezahlt worden. Diese schuldrechtliche Vereinbarung war wegen offensichtlicher Insolvenzzweckwidrigkeit nichtig.
21
Eine Vereinbarung zwischen Kläger und Beklagter hat das Berufungsgericht vorliegend nicht ausdrücklich festgestellt. Der Kläger hat hier aber ebenfalls gezahlt, um die von der Beklagten zur Löschung des Grundpfandrechts gestellte Bedingung zu erfüllen. Diese war entsprechend dem Vorschlag des Klägers so (um-)formuliert worden, dass von der Löschungsbewilligung Gebrauch gemacht werden konnte, wenn "der Insolvenzverwalter bestätigt, dass aus dem Kaufpreis ein Anteil in Höhe von 31.196,43 €" an die Beklagte geleistet wird. Spätestens mit der Zahlung hat der Kläger diese Bedingung der Beklagten erfüllt und ihr Angebot auf Abschluss einer entsprechenden Vereinbarung angenommen.
22
Diese ist jedoch ebenso wie die Zahlungsverfügung nicht wegen offensichtlicher Insolvenzzweckwidrigkeit nichtig. Durch die Vereinbarung und die Zahlung wird, wie das Berufungsgericht zutreffend festgestellt hat, die gleichmäßige Befriedigung der Insolvenzgläubiger in keiner Weise beeinträchtigt. Die durchgeführte Handhabung wurde allein dadurch ermöglicht und bewirkt, dass die Volksbank ihrerseits auf einen entsprechenden Anteil am Erlös verzichtete.
23
cc) Der Senat hat in der Entscheidung vom 20. März 2008 offen gelassen , ob eine Vereinbarung, in welcher der Insolvenzverwalter sich zu einer Zahlung als Gegenleistung für die Löschung eines nachrangigen und im Falle der Zwangsversteigerung voraussichtlich wertlosen Grundpfandrechts verpflichtet, schlechthin als insolvenzzweckwidrig zu qualifizieren und deshalb unwirksam ist, oder ob es auf das Verhältnis der Höhe der Zahlung und den durch die freihändige Veräußerung erzielten Massezuwachs ankommt. Die Frage kann auch hier offen bleiben. Der Kläger hat sich gegenüber der Beklagten zu keinem Zeitpunkt verpflichtet, eine Gegenleistung aus der Masse zu erbringen. Er hätte im Verhältnis zu der Beklagten ohne weiteres davon absehen können, den Ab- lösebetrag zu zahlen. Außerdem liegt auch tatsächlich - anders als im Fall vom 20. März 2008 (vgl. MünchKomm-InsO/Ganter, 3. Aufl., Vor §§ 49 bis 52 Rn. 99e; Tetzlaff, ZInsO 2012, 726, 727) wirtschaftlich keine Zahlung aus der Masse vor.
24
dd) Die Besonderheit des Falles liegt, wie die Revision zutreffend sieht, in dem Umstand, dass die Insolvenzmasse durch die Zahlung der "Lästigkeitsprämie" weder einen Vorteil noch einen Nachteil hatte. Dass die Zahlung wirtschaftlich aus der Masse erfolgt, ist aber der wesentliche Gesichtspunkt für die Insolvenzzweckwidrigkeit einer entsprechenden Verpflichtung oder Verfügung des Insolvenzverwalters. Wird demgegenüber der Bestand der Masse nicht beeinträchtigt , kann die Zahlung auf die gleichmäßige Befriedigung der Gläubiger keinen Einfluss haben. Dass in der Folge der erstrangige Grundschuldgläubiger eine entsprechend höhere Insolvenzforderung hat, ist unerheblich, weil sich die Insolvenzforderung des nachrangigen Grundpfandgläubigers entsprechend reduziert , die Quote also unverändert bleibt. In einem solchen Fall hat die Masse zudem regelmäßig - wie auch hier in Höhe von 20.100 € - den Vorteil, dass bei freihändigem Verkauf aufgrund einer entsprechenden Vereinbarung ein Kostenbeitrag der Grundpfandgläubiger an die Masse fließt, der - nach Erledigung der Kosten des Insolvenzverfahrens - den Gläubigern zugute kommt.
25
3. Die weiteren Angriffe der Revision greifen ebenfalls nicht durch.
26
Soweit das Berufungsgericht aus dem Schreiben der Volksbank vom 3. Februar 2011 auf eine Vereinbarung zwischen der Volksbank und der Beklagten geschlossen hat, hält sich dies im Rahmen tatrichterlicher Beweiswürdigung und liegt nahe. Die rechtliche Würdigung eines Sachverhalts ist nicht an eine Zeugenaussage gebunden. Dass die Volksbank selbst an die Beklagte zahlen wollte, nimmt das Berufungsgericht nicht an. Die Volksbank hat allein zugunsten der Beklagten auf die Auszahlung des streitigen Betrages verzichtet. Der Masse wollte sie diesen Betrag nicht zukommen lassen.
Kayser Vill Lohmann
Pape Möhring
Vorinstanzen:
LG Osnabrück, Entscheidung vom 23.12.2011 - 8 O 2425/11 -
OLG Oldenburg, Entscheidung vom 13.03.2013 - 4 U 14/12 -

(1) Wer durch die Leistung eines anderen oder in sonstiger Weise auf dessen Kosten etwas ohne rechtlichen Grund erlangt, ist ihm zur Herausgabe verpflichtet. Diese Verpflichtung besteht auch dann, wenn der rechtliche Grund später wegfällt oder der mit einer Leistung nach dem Inhalt des Rechtsgeschäfts bezweckte Erfolg nicht eintritt.

(2) Als Leistung gilt auch die durch Vertrag erfolgte Anerkennung des Bestehens oder des Nichtbestehens eines Schuldverhältnisses.