Insolvenzrecht: Zum Unterfallen eines Anspruchs wegen Vorenthalten von Arbeitnehmeranteilen

24.04.2014

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Rechtsanwalt Dirk Streifler - Partner

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Zusammenfassung des Autors
Unter eine in England erteile Restschuldbefreiung bzw. unter den Ausnahmetatbestand sec. 281 (3) IA 1986 und zur Ermittlungspflicht des Tatrichters i.S.d. § 293 ZPO.
Der 2. Zivilsenat des BGH hat mit dem Urteil vom 14.01.2014 (Az.: 192/13) folgendes entschieden:

Bei der Ermittlung des ausländischen Rechts durch den Tatrichter darf jenes sich nicht in der Heranziehung der ausländischen Rechtsquellen beschränken, sondern muss die konkrete Ausgestaltung des Rechts in der ausländischen Rechtspraxis berücksichtigen, wozu auch insbesondere die ausländische Rechtsprechung gehört.


Sachverhalt:

Der Beklagte war im Zeitraum von Juni bis August Geschäftsführer einer GmbH und führte in diesem Zeitraum keine Arbeitnehmeranteile in Höhe von 789,98 € an die klagende Sozialversicherung ab. Mit der Klage verfolgt die Klägerin Zahlung des ausstehenden Arbeitnehmeranteils in Höhe von 798,98 €, als auch die Feststellung, dass die geltend gemachte Forderung ihren Ursprung in einer unerlaubten Handlung habe.

Am 22. Februar 2010 wurde jedoch über das Beklagtenvermögen in England das Insolvenzverfahren eröffnet, in dessen Rahmen die Klägerin ihre Forderung als „claim in tort“ anmeldete. Der Beklagte erhielt am 22. Februar 2011 eine Restschuldbefreiung, wobei die Klägerin der Auffassung ist, dass ihr geltend gemachter Schadensersatzanspruch aus § 823 II BGB, §§ 266 I, 14 I Nr.1 StGB gem. sec. 281 (3) des englischen Insolvency Act 1986 (sec. 281 (3) IA 1986, abrufbar unter: http://www.legislation.gov.uk/ukpga/1986/45/section/281) nicht unter die ausgesprochene Restschuldbefreiung fällt.

In sec. 281 (3) IA 1986 heißt es:

„Discharge does not release the bankrupt from any bankruptcy debt which he incurred in respect of, or forbearance in respect of which was secured by means of, any fraud or fraudulent breach of trust to which he was a party.“

Die Klage wurde zunächst aufgrund Unzulässigkeit vom Amtsgericht abgewiesen, wohingegen das Berufungsgericht die Berufung nicht wegen mangelnder Zulässigkeit abwies, sondern sie als unbegründet ansah. Mit der durch das Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin die Klageanträge weiter.

Zum Zwecke der Auskunft hinsichtlich des englischen Rechts wurde das Foreign & Commonwealth Office, handelnd durch das Department für Business Innovation & Skills in London durch das Berufungsgericht zu Hilfe gerufen.


Gründe:

Der BGH entschied über die Revision zu Gunsten der Klägerin und verweist die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Urteils zurück an das Berufungsgericht.

Nach Ansicht des Berufungsgerichts sei die Klage zwar zulässig, jedoch falle der von der Klägerin geltend gemachte Schadensersatzanspruch aus § 823 II BGB, §§ 266 a I, 14 I Nr.1 StGB wegen Vorenthaltung von Arbeitnehmeranteilen zur Sozialversicherung nicht unter den nach Art.4 II 2 lit.k EuInsVO anzuwendenden sec. 281 (3) IA 1986, da solche Forderungen nicht per se unter sec. 281 (3) IA 1986 fielen, sondern vielmehr ferner eine untreueähnliche Handlung beziehungsweise betrügerische Absicht vorliegen müsste. Nach Ansicht des Berufungsgerichts sei jenes in der vorliegenden Konstellation nicht gegeben, sodass der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch unter die am 22. Februar 2011 erteilte Restschuldbefreiung falle. Infolgedessen sei auch die Feststellungsklage in Ermangelung eines Rechtsschutzbedürfnisses aufgrund der Restschuldbefreiung unzulässig.

Rechtsfehlerfrei stellte das Berufungsgericht fest, dass der Beklagte zum Zeitpunkt des Endes der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz prozessführungsbefugt war, da das englische Insolvenzverfahren bereits beendet war, sodass die Klage zulässig ist. Ferner ging das Berufungsgericht zutreffender Weise davon aus, dass der Klägerin nach ihrem Vortrag ein Schadensersatzanspruch gegen den Beklagten aus § 823 II BGB, §§ 266a I, 14 I Nr.1 StGB zusteht, welcher jedoch nicht durchsetzbar ist, sofern er unter die in England erteilte Restschuldbefreiung fällt. Die Beurteilung ob jenes der Fall ist, hat das Berufungsgericht rechtsfehlerfrei aufgrund Art.4 II 2 lit.k EuInsVO anhand des englischen Rechts vorgenommen.

Im Rahmen der Ermittlung des englischen Rechts wurde durch das Berufungsgericht jedoch § 293 ZPO verletzt, da es nach § 293 ZPO zur Pflicht des Gerichts im Rahmen der Ermittlung ausländischen Rechts gehöre, geeignete Erkenntnisquellen losgelöst vom Beweisantritt der Parteien zu Rate zu ziehen und zum Zwecke einer solchen Benutzung das hierfür Erforderliche anzuordnen. Dieser Obliegenheit hat das Berufungsgericht jedoch nicht ausreichend Folge geleistet, was in der Revision gerügt wird.

Nach § 545 I ZPO ist ausländisches Recht zwar nicht revisibel, jedoch ging es in vorliegender Konstellation nicht primär darum ob sec. 281 (3) IA 1986 durch das Berufungsgericht richtig ausgelegt wurde, sondern um den Mangel ausreichend vorliegender Informationen des Berufungsgerichts um das englische Recht überhaupt richtig auslegen und anwenden zu können.

Den Tatrichter trifft dabei nach § 293 ZPO von Amts wegen die Pflicht das ausländische Recht zu ermitteln, wobei er nach pflichtgemäßem Ermessen entscheiden kann, auf welche Art und Weise er sich die jeweiligen Kenntnisse verschafft. Die Ermittlung des ausländischen Rechts darf sich jedoch nicht auf die Heranziehung der Rechtsquellen beschränken, sondern hat auch die konkrete Rechtsanwendung in der Praxis zu beachten, wozu insbesondere die ausländische Rechtsprechung gehört. Es gilt das ausländische Recht als Ganzes zu ermitteln wie es in Lehre und Rechtsprechung Ausgestaltung findet, wobei die dem Tatrichter zugänglichen Erkenntnisquellen ausgeschöpft werden müssen. Insoweit ist durch das Revisionsgericht die rechtsfehlerfreie Ermessensausübung des Tatrichters insbesondere im Hinblick auf die Ausschöpfung der sich bietenden Erkenntnisquellen in dem vorliegenden Fall zu prüfen.

Die von dem Berufungsgericht eingeholte Auskunft des Foreign & Commonwealth Office vom 9. August 2012 beantwortet die Frage, ob Forderungen aus vorsätzlicher Vorenthaltung von Sozialversicherungsbeiträgen unter sec. 281 (3) IA 1986 fallen nicht erschöpfend, wobei ferner nicht auszuschließen war, dass eine umfangreichere Auskunft anderweitig eingeholt werden konnte, sodass das Berufungsgericht sich nicht hätte mit der Auskunft zufrieden geben dürfen.

Die vom Gericht erhaltene Auskunft des Foreign & Commonwealth Office lautet wie folgt:

„If the debtor has committed fraud in relation to social insurance contributions then this may fall under section 281 (3) IA 1986. A fraudulently intention not to pay social insurance may fall within section 281 (3) but this would depend on the circumstances The fraudulent element would need to (be) proved.“

Die eingeholte deutsche Übersetzung lautet:

„Hat der Konkursschuldner Sozialversicherungsbeiträge unterschlagen, so kann das unter sec. 281 (3) IA fallen. In betrügerischer Absicht nicht gezahlte Sozialversicherung kann unter sec. 281 (3) IA fallen, das hängt jedoch von den Umständen ab. Die betrügerische Absicht muss nachgewiesen werden.“

Dieser Auskunft zu Folge hinge der Anwendungsbereich von sec.281 (3) IA 1986 davon ab, ob der Schuldner der Sozialversicherungsbeiträge durch die Nichtabführung einen „fraud“ beging beziehungsweise eine dahingehende „fraudulently Intention“ hatte. Jedoch sind auch diese Begriffe auslegungsbedürftig, sodass die Auskunft schon in diesem Punkt unzureichend war. Ferner erfährt der Begriff des „fraudulent breach of trust“ keinerlei Erörterung, obwohl jenes für die vorliegende Konstellation von Relevanz sein könnte. Überdies wäre eine Klärung von Nöten gewesen, welche genannten Umstände eine Anwendbarkeit von sec. 281 (3) IA 1986 nach sich ziehen, sodass die Auskunft unzureichend ist.

Aufgrund dessen ist die Sache zwecks weiterer erforderlicher Feststellungen an das Berufungsgericht unter Aufhebung des angefochtenen Urteils zurückzuweisen.

Hierbei hat das Berufungsgericht nach Auffassung des BGH im Rahmen der Erörterung und Anwendung des englischen Rechts zu beachten, dass die Vorenthaltung von Arbeitnehmeranteilen zur Sozialversicherung nach § 266 a I StGB kein untreueähnliches Verhalten des Vorenthaltenden voraussetzt, sondern allein dazu dient die finanzielle Sicherheit der Sozialversicherung zu gewährleisten. Als das besonders verwerfliche in der Vorenthaltung von Arbeitnehmeranteilen ist die Möglichkeit des Arbeitgebers zum Lohnabzug gegenüber dem Arbeitnehmer zu sehen, sodass der Arbeitgeber im Endeffekt wirtschaftlich nicht belastet wird.

Unter Umständen wird das Berufungsgericht die Frage zu beantworten haben, ob eine Restschuldbefreiung des Insolvenzschuldners von Ansprüchen wegen Vorenthaltens von Arbeitnehmeranteilen zur Sozialversicherung im Rahmen von sec. 281 (3) IA 1986 nach Art.26 EuInsVO wegen Verstoßes gegen den deutschen ordre public nicht wirksam ist. Der Grundsatz, dass die deutsche öffentliche Ordnung nur verletzt ist, soweit das Ergebnis der Anwendung ausländischen Rechts den Grundgedanken der deutschen Rechtsordnung und den in ihr enthaltenen Gerechtigkeitswertungen so stark zuwiderläuft, dass jenes mit den inländischen Vorstellungen als unvereinbar erscheint, gilt auch in Fällen einer erleichterten ausländischen Restschuldbefreiung, wobei Zurückhaltung geboten ist.


Ausblick:

Der weitere Verfahrensausgang ist für das internationale Insolvenzrecht von einem besonderen Interesse. Zum einen ist mit Spannung zu erwarten, ob das Gericht den Anspruch aus § 823 II BGB, §§ 266 a I, 14 I Nr.1 StGB unter den Tatbestand von sec. 281 (3) IA 1986 fallen lassen wird, obwohl jener kein untreueähnliches Verhalten voraussetzt, so wie die Aufzählungen in sec. 281 (3) IA 1986 es nahe legen.

Wird das Gericht jenes verneinen, so wird sich zum anderen vermutlich die Folgefrage anschließen, inwiefern es gegen die deutsche öffentliche Ordnung verstößt, eine Restschuldbefreiung auch hinsichtlich von Ansprüchen des Sozialversicherungsträgers wegen nicht entrichteter Arbeitnehmeranteile anzunehmen. Jenes ist insbesondere von Interesse, da die ordre public Korrektive des Ergebnisses der ausländischen Rechtsanwendung nach wie vor restriktive Anwendung findet, was durch eine den Verstoß bejahende Gerichtsentscheidung zumindest im internationalen Insolvenzrecht Aufweichung erfahren könnte.

Eine den ordre public Verstoß bestätigende Entscheidung hätte zur Folge, dass eine in England erteilte Restschuldbefreiung in ihrem Anerkennungsumfang Verkürzung erfahren würde. Es bestünde die Möglichkeit, dass die Rechtsprechung im Anschluss hierzu weitergehende Tendenzen zu einer (womöglich vorschnellen) Anerkennungsverkürzung einer in England erteilten Restschuldbefreiung durch Bestätigung eines ordre public Verstoßes in dieser Konstellation zeigen würde, sodass umso mehr Ausnahmen mittels der ordre public Korrektive gemacht werden würden die Gefahr bestünde, dass die Ausnahme zur Regel in der Spruchpraxis wird.

Jenes wäre kontraproduktiv in Bezug auf die auch im internationalen Insolvenzrecht immer fortschreitende Mobilität der Schuldner und die reibungslose Funktion des Binnenmarktes, zumal England als Insolvenzstandort mit weiteren ordre public Korrektiven fortwährend an Attraktivität verlieren würde, sodass es zu einer Mobilitätslähmung kommen könnte.

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