Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Beschluss, 12. Apr. 2018 - 11 S 428/18

bei uns veröffentlicht am12.04.2018

Tenor

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 10. Januar 2018 - 5 K 3884/16 - wird abgelehnt.

Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 10.000,- EUR festgesetzt.

Gründe

 
Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist zulässig, insbesondere nach § 124a Abs. 4 Sätze 1 und 4 VwGO rechtzeitig gestellt und begründet worden. Er ist jedoch unbegründet. Die Berufung ist nicht - wie ausschließlich geltend gemacht - nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung zuzulassen.
Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) liegen vor, wenn unter Berücksichtigung der vom Antragsteller dargelegten Gesichtspunkte (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) die Richtigkeit des angefochtenen Urteils weiterer Prüfung bedarf, ein Erfolg der angestrebten Berufung nach den Erkenntnismöglichkeiten des Zulassungsverfahrens mithin möglich ist (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 10.03.2004 - 7 AV 4.03 -, DVBl. 2004, 838, vom 15.12.2003 - 7 AV 2.03 -, NVwZ 2004, 744, vom 12.11.2002 - 7 AV 4.02 -, juris, vom 11.11.2002 - 7 AV 3.02 -, DVBl. 2003, 401, und vom 14.06.2002 - 7 AV 1.02 -, DVBl. 2002, 1556). Mit anderen Worten: Sie sind immer schon dann begründet, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird (vgl. BVerfG, Beschluss vom 03.03.2004 - 1 BvR 461/03 -, NJW 2004, 2510, Kammerbeschluss vom 20.12.2010 - 1 BvR 2011/10 -, NVwZ 2011, 546). Dabei ist davon auszugehen, dass das Zulassungsverfahren das Berufungsverfahren nicht vorwegnehmen soll (BVerfG, Kammerbeschluss vom 21.12.2009 - 1 BvR 812/09 -, NJW 2010, 1062), es sei denn, es lässt sich schon im Zulassungsverfahren zuverlässig sagen, das Verwaltungsgericht habe die Rechtssache im Ergebnis richtig entschieden und die angestrebte Berufung werde deshalb keinen Erfolg haben (vgl. BVerwG, Beschluss vom 10.03.2004, a.a.O.), sofern nicht seinerseits andere Gründe wiederum auf einen anderen Zulassungsgrund hinführen würden (vgl. hierzu Bader u.a., VwGO, 6. Aufl., § 124 Rn. 22). Dabei sind auch nach Erlass der angegriffenen Entscheidung und bis zum Ablauf der gesetzlichen Begründungsfrist (vgl. § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) neu eingetretene Tatsachen sowie erhebliche Änderungen des maßgeblichen Rechts zu berücksichtigen (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 14.06.2002 und vom 15.12.2003, jew. a.a.O.; Bader u.a., a.a.O., § 124 Rn. 26 ff.). Zur Darlegung ernstlicher Zweifel ist eine substantiierte Auseinandersetzung mit der angegriffenen Entscheidung erforderlich. Der Streitstoff muss dabei unter konkreter Auseinandersetzung mit dem angefochtenen Urteil gesichtet, rechtlich durchdrungen und aufbereitet werden; erforderlich ist eine fallbezogene Begründung, die dem Berufungsgericht eine Beurteilung der Zulassungsfrage ohne weitere eigene aufwendige Ermittlungen ermöglicht. Das Maß der zu leistenden Substantiierung kann dabei von der jeweiligen Begründungsdichte und dem Begründungsaufwand der Entscheidung abhängig sein.
Gemessen hieran zeigt die Antragsbegründung, die im Kern die Auslegung und Anwendung des § 6 FreizügG/EU durch das Verwaltungsgericht rügt, keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angegriffenen Urteils auf:
1. Ohne Erfolg macht der Kläger geltend, das Verwaltungsgericht habe zu Unrecht angenommen, dass die abgeurteilten Straftaten einen ausreichend hohen Schweregrad für eine Maßnahme nach § 6 Abs. 1-3 und 5 FreizügG/EU aufwiesen. Entgegen der Auffassung des Klägers hat das Verwaltungsgericht dies nämlich keineswegs allein auf den Umstand gestützt, dass der Kläger zu einer Freiheitsstrafe von 5 Jahren verurteilt wurde.
Vielmehr war sich das Gericht der spezifischen Maßstäbe bewusst, wie sie sich insbesondere aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH, Urteile vom 23.11.2010 - C-145/09 - und vom 22.05.2012 - C-348/09 -, beide juris) ergeben (UA S. 8 f.). Es hat nicht nur festgehalten, dass nach § 6 Abs. 2 FreizügG/EU, der Art. 27 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG (Unionsbürgerrichtlinie) umsetzt, die Tatsache einer strafrechtlichen Verurteilung für sich allein nicht genügt, um die in § 6 Abs. 1 FreizügG/EU genannten Entscheidungen oder Maßnahmen zu begründen (UA S. 7 f.), sondern auch die spezifischen Voraussetzungen des § 6 Abs. 5 FreizügG/EU bedacht, die aus dem Tatbestandsmerkmal „zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit“ folgen. Dazu gehört namentlich, dass Maßnahmen nach dieser Vorschrift auf außergewöhnliche Umstände begrenzt sind und die Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit einen besonders hohen Schweregrad aufweisen muss (vgl. EuGH, Urteil vom 23.11.2010 - C-145/09 -, Rn. 40 f., a.a.O.) sowie dass dann, wenn Straftaten wie die in Art. 83 Abs. 1 Unterabs. 2 AEUV angeführten als besonders schwere Beeinträchtigung eines grundlegenden gesellschaftlichen Interesses angesehen werden, die geeignet ist, die Ruhe und die physische Sicherheit der Bevölkerung unmittelbar zu bedrohen, und die damit unter den Begriff der zwingenden Gründe der öffentlichen Sicherheit fallen kann, die Art und Weise der Begehung solcher Straftaten besonders schwerwiegende Merkmale aufweisen muss. Dies hat das Gericht auf der Grundlage einer individuellen Prüfung des konkreten Falles zu klären (EuGH, 22.05.2012 - C-348/09 -, Rn. 33, a.a.O.).
In Anwendung dieser Maßstäbe hat das Verwaltungsgericht - anders als der Kläger meint - eine individuelle Prüfung des konkreten Einzelfalls durchgeführt. Es ist von der Anwendbarkeit des § 6 Abs. 5 FreizügG/EU zugunsten des Klägers ausgegangen (vgl. zur Anwendbarkeit des verstärkten Ausweisungsschutzes bei Vollzug von Freiheitsstrafen den Beschluss des Senats vom 27.04.2016 - 11 S 2081/15 -, juris) und hat das Vorliegen zwingender Gründe der öffentlichen Sicherheit - im Anschluss an die Würdigung des Strafgerichts - unter spezifischer Berücksichtigung für und gegen den Kläger sprechender Gesichtspunkte, seines Verhaltens im Strafprozess sowie der Umstände und Folgen seiner Straftaten bejaht (UA S. 9 f.; vgl. zur Notwendigkeit der Berücksichtigung der Hintergründe der Straftaten und der Tatbegehung in diesem Zusammenhang auch BVerwG, Urteil vom 28.06.2011 - 1 C 18.10 -, BVerwGE 140, 72-77). Im Einklang mit den Anforderungen der unionsrechtlichen Rechtsprechung (vgl. EuGH, 22.05.2012 - C-348/09 -, Rn. 25 ff., a.a.O.) ist es angesichts der konkreten Umstände der vom Kläger begangenen Straftaten zu dem Ergebnis gelangt, dass diese dem Bereich besonders schwerer Kriminalität zuzurechnen sind. Es hat - entgegen der Darstellung des Klägers - sehr wohl auch berücksichtigt, dass der Kläger ein jahrzehntelang straffreies Leben vorweisen kann (UA S. 10), seit Anfang der 1980er Jahre in Deutschland wohnt und hier zwei leibliche Kinder sowie eine Verlobte nebst „Stieftochter“ hat (UA S. 14). Unter Bezugnahme auf den angefochtenen Bescheid gemäß § 117 Abs. 5 VwGO (UA S. 14) hat es überdies die umfangreichen Integrationsleistungen und persönlichen Verhältnisse des Klägers in den Blick genommen, die der Beklagte detailliert aufgeführt (Bescheid S. 8 f.) und zum Anlass genommen hat, von der vollen Integration des Klägers und einem hohen Verwurzelungsgrad in der Bundesrepublik Deutschland auszugehen. Auch den Umstand, dass der Kläger und seine langjährige Lebensgefährtin zuletzt konkrete Heiratsabsichten hegten, hat das Verwaltungsgericht berücksichtigt (UA S. 12). Soweit der Kläger schließlich meint, das Verwaltungsgericht habe außer Acht gelassen, dass er in seinem Heimatland „überhaupt nicht integriert“ sei, kann dahinstehen, ob seine Behauptung überhaupt zutrifft, nachdem er die italienische Sprache beherrscht, Geschwister in Italien hat und ursprünglich wohl auch plante, sich nach der Haftentlassung nach Italien zu begeben (vgl. Bericht der JVA ... vom 03.03.2014). Denn das Verwaltungsgericht hat sich mit dem Gesichtspunkt der Integration in den Heimatstaat entgegen dem klägerischen Vortrag jedenfalls individuell und einzelfallbezogen auseinandergesetzt sowie diesen in die Abwägung eingestellt (UA S. 14).
2. Die Rüge, das Verwaltungsgericht habe „in keinster Weise“ geprüft, ob von dem Kläger tatsächlich immer noch eine „gegenwärtige Gefahr“ für Unionsbürger ausgehe, bleibt ebenfalls ohne Erfolg.
Zunächst ist festzuhalten, dass das Verwaltungsgericht auch insoweit von zutreffenden Maßstäben ausgegangen ist. Es hat gesehen, dass nach Art. 27 Abs. 2 Unterabs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG (Unionsbürgerrichtlinie) vorausgesetzt wird, dass das persönliche Verhalten des Betroffenen eine tatsächliche und gegenwärtige Gefahr darstellt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft
oder des Aufnahmemitgliedstaats berührt - wobei diese Feststellung im Allgemeinen bedeutet, dass eine Neigung des Betroffenen bestehen muss, das Verhalten in Zukunft beizubehalten, - und dass die Beeinträchtigung des grundlegenden gesellschaftlichen Interesses - hier des Schutzes von Mädchen und Frauen vor sexuellen Übergriffen - ferner geeignet sein muss, die Ruhe und die physische Sicherheit der Bevölkerung unmittelbar zu bedrohen (UA S. 9; zu diesen Erfordernissen EuGH, 22.05.2012 - C-348/09 -, Rn. 33 f., a.a.O.).
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Im Rahmen seiner Prognoseentscheidung zur Wiederholungsgefahr ist das Verwaltungsgericht weiter zutreffend davon ausgegangen, dass ein mit zunehmendem Ausmaß des möglichen Schadens abgesenkter Grad der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts erforderlich ist, dass mithin an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts umso geringere Anforderungen zu stellen sind, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 04.10.2012 - 1 C 13.11 -, BVerwGE 144, 230, Rn. 18). Es ist sodann unter einzelfallbezogener Würdigung der besonderen Schwere der drohenden Straftaten einerseits sowie insbesondere des Haft- und Therapieverlaufs andererseits (UA S. 11 f.) der Prognoseentscheidung des Beklagten gefolgt.
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Dabei hat sich das Verwaltungsgericht keineswegs - wie der Kläger meint - ausschließlich auf eine Stellungnahme vom 21.07.2015 gestützt, die der behandelnde Psychotherapeut ... nach dem Abbruch der Therapie in der Behandlungsabteilung für Sexualstraftäter der JVA ... verfasst hatte. Es hat auch nicht - entgegen der Darstellung des Klägers - den seither verstrichenen Zeitraum von mehr als zweieinhalb Jahren und die zwischenzeitlich eingetretene Entwicklung außer Acht gelassen. Der Therapieverlauf, die Umstände des Therapieabbruchs und das damalige Resümee des behandelnden Therapeuten, der Kläger verlasse sich allein auf seine medikamentöse Behandlung und zeige kein Interesse an der Entwicklung psychotherapeutischer Strategien zur Rückfallprävention, dienten dem Gericht vielmehr nur als Ausgangspunkt seiner Prognose. Es hat sodann festgestellt, es seien keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Kläger nachhaltig an sich gearbeitet habe. Er verlasse sich „auch heute noch“ (UA S. 12) ausschließlich auf die Behandlung mit Androcur. Seine Sexualproblematik habe er nicht aufgearbeitet, wie sich aus einem Bericht der JVA vom 11.04.2016 ergebe. Soweit er sich „zuletzt“ um einen Therapieplatz in ... ... ... bemüht habe, handele es sich „derzeit“ um eine bloße Absichtserklärung, die in Anbetracht der „schon früher gezeigten“ opportunistischen Haltung des Klägers zu Therapieangeboten keine abweichende Prognose begründe. Dies gelte ebenso für die „zuletzt konkreter gewordenen“ Heiratsabsichten des Klägers, nachdem er sich auch von seinen bereits begangenen Sexualstraftaten nicht durch das gleichzeitige Bestehen einer festen Beziehung habe abhalten lassen.
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Nach alledem hat das Verwaltungsgericht für seine Prognose sehr wohl die seitherige Entwicklung und den - zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung - aktuellen Status quo in den Blick genommen. Im Übrigen schließt sich auch der Senat dieser Prognose nach den eindeutigen Entscheidungen der Strafvollstreckungskammer an, die die vorzeitige Aussetzung der Strafvollstreckung zur Bewährung - mehrfach - namentlich unter Hinweis auf die mangelnde psychotherapeutische Aufarbeitung der Straftaten abgelehnt und die Prognose dabei aus strafvollstreckungsrechtlicher Sicht stets neu überprüft hat (Beschlüsse vom 12.05.2016, 08.08.2016, 03.11.2016, 03.03.2017). Wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, sind keine Anhaltspunkte ersichtlich - und im Übrigen auch mit der Begründung des Zulassungsantrags nicht vorgetragen -, die eine abweichende Bewertung aus ausländerrechtlicher Perspektive rechtfertigen könnten. Dies gilt zumal, da der Kläger aufgrund des spezifischen Vollzugsverlaufs keine vollzugsöffnenden Maßnahmen erhalten hat und deshalb mit Erreichen der Endstrafe nicht nur ohne abgeschlossene Therapie, sondern auch nahezu ohne jede tiefer gehende Vorbereitung und Erprobung von Verhaltensstrategien in Freiheit entlassen werden wird.
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Demgegenüber ist der Hinweis des Klägers, das Fehlen einer Gefahr ergebe sich auch daraus, dass das Strafgericht (ursprünglich) keine Sicherungsverwahrung angeordnet habe, nicht von Belang. Denn zum einen knüpft die Anordnung der Sicherungsverwahrung - zumal bei Ersttätern - gegenüber der hier zu stellenden Prognose an abweichende rechtliche Voraussetzungen an. Zum anderen kommt es für die Prognose - wie der Kläger letztlich selbst argumentiert - auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung an; es liegt insoweit auf der Hand, dass das erkennende Strafgericht den Vollzugsverlauf noch nicht berücksichtigen konnte.
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3. Nach vorstehenden Ausführungen verhilft auch die Rüge des Klägers, das Verwaltungsgericht habe zur „Prognose des straffreien Verhaltens in der Zukunft“ ein Sachverständigengutachten einholen müssen, dem Antrag nicht zum Erfolg. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils ergeben sich daraus - wie zuvor dargelegt - schon deshalb nicht, weil keine tatsächlichen Gesichtspunkte vorgetragen wurden, die zu einer abweichenden Prognose Anlass geben könnten.
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Die Rüge führt aber darüber hinaus auch nicht auf einen Verfahrensfehler im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO. Zwar kann der Entscheidung des Verwaltungsgerichts ein unrichtiger oder unvollständiger Sachverhalt zugrunde liegen, wenn der verwaltungsprozessuale Untersuchungsgrundsatz verletzt worden ist. Nach § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO obliegt den Tatsachengerichten die Pflicht, jede mögliche Aufklärung des entscheidungserheblichen Sachverhalts bis zur Grenze der Zumutbarkeit zu versuchen, sofern dies für die Entscheidung des Rechtsstreits erforderlich ist (BVerwG, Beschlüsse vom 30.06.2010 - 2 B 72.09 -, und vom 20.12.2012 - 4 B 20.12 -, beide juris; zum Erfordernis der zureichenden Sachverhaltsaufklärung auch BVerfG, Kammerbeschluss vom 26.10.2011 - 2 BvR 1539/09 -, juris). Dabei entscheidet das Tatsachengericht über die Art der heranzuziehenden Beweismittel und den Umfang der Beweisaufnahme im Rahmen seiner Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts von Amts wegen nach Ermessen.
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Die Rüge der Verletzung des verwaltungsprozessualen Untersuchungsgrundsatzes setzt zum einen die substantiierte Darlegung voraus, hinsichtlich welcher tatsächlichen Umstände Aufklärungsbedarf bestanden hat, welche für geeignet und erforderlich gehaltenen Aufklärungsmaßnahmen hierfür in Betracht gekommen wären und welche tatsächlichen Feststellungen bei Durchführung der unterbliebenen Sachverhaltsaufklärung voraussichtlich getroffen worden wären. Zum anderen muss dargelegt werden, dass entweder bereits im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht, insbesondere in der mündlichen Verhandlung, auf die Vornahme der Sachverhaltsaufklärung, deren Unterbleiben nunmehr gerügt wird, hingewirkt worden war, oder dass sich dem Verwaltungsgericht die bezeichneten Ermittlungen auch ohne ein solches Hinwirken von sich aus hätten aufdrängen müssen (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 22.02.1988 - 7 B 28.88 -, NVwZ 1988, 1020, vom 31.01.1996 - 9 B 417.95 -, NVwZ 1996, 1102, und vom 01.03.2001 - 6 B 6.01 -, NVwZ 2001, 923). Werden ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils aus einem Verfahrensfehler des Verwaltungsgerichts in Gestalt der Verletzung der Aufklärungspflicht gerügt, wird der Zulassungsgrund daher nur dann ausreichend dargelegt, wenn dem Darlegungserfordernis der Verfahrensrüge genügt wird. Entspricht das Vorbringen diesen Anforderungen, so kommt eine Zulassung nur in Betracht, wenn auch eine entsprechende Verfahrensrüge zu einer Zulassung führen würde (VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 17.02.2009 - 10 S 3156/08 -, juris).
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Dass das Verwaltungsgericht seine Aufklärungspflicht verletzt haben könnte, ist nach diesen Maßstäben schon nicht ausreichend dargelegt; jedenfalls liegt in der Sache kein Fehler vor, der zur Zulassung der Berufung führt. Denn der - schon in erster Instanz anwaltlich vertretene - Kläger hat nicht dargelegt, dass er bereits im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht, insbesondere in der mündlichen Verhandlung, auf die Vornahme der Sachverhaltsaufklärung hingewirkt hätte, deren Unterbleiben er nunmehr rügt. Dass sich dem Verwaltungsgericht die Einholung eines Sachverständigengutachtens ohne ein solches Hinwirken von sich aus nicht aufdrängen musste, ergibt sich aus den obigen Ausführungen (unter 2.).
18 
Hinzu kommt, dass der Kläger keine tatsächlichen Umstände vorträgt, über die durch Einholung eines Gutachtens hätte Beweis erhoben werden können, sondern mit seinem Zulassungsvorbringen lediglich das Unterbleiben der Einholung eines Gutachtens zur „Prognose“ als solches rügt. Bei wortwörtlichem Verständnis wäre ein solcher Antrag - wäre er als Beweisantrag gestellt worden - nicht auf den Beweis einer Tatsache, sondern auf eine dem Gericht vorbehaltene und der Beweiserhebung nicht zugängliche rechtliche Würdigung gerichtet und deshalb unzulässig. Die Frage, ob eine Wiederholungsgefahr vorliegt, kann und muss das Gericht nämlich aufgrund der Würdigung aller Umstände des Einzelfalls selbst beurteilen. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts haben Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte bei spezialpräventiven Ausweisungsentscheidungen und deren gerichtlicher Überprüfung eine eigenständige Prognose zur Wiederholungsgefahr zu treffen (Urteile vom 28.01.1997 - BVerwG 1 C 17.94 -, Buchholz 402.240 § 48 AuslG 1990 Nr. 10 S. 41, vom 16.11.2000 - BVerwG 9 C 6.00 -, BVerwGE 112, 185 <193> m.w.N., und zuletzt vom 13.12.2012 - BVerwG 1 C 20.11 -, Rn. 23). Bei der ausländerrechtlichen Gefahrenprognose bewegt sich das Gericht regelmäßig in Lebens- und Erkenntnisbereichen, die dem Richter allgemein zugänglich sind. Die Hinzuziehung eines Sachverständigen bedarf es nur ausnahmsweise, wenn die Prognose aufgrund besonderer Umstände - etwa bei der Beurteilung psychischer Erkrankungen - nicht ohne spezielle, dem Gericht nicht zur Verfügung stehende fachliche Kenntnisse erstellt werden kann (BVerwG, Urteil vom 04.10.2012 - 1 C 13.11 -, InfAuslR 2013, 63).
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Legt man das Zulassungsvorbringen demgegenüber dahingehend aus, dass sich die Beweiserhebung auf einen der rechtlichen Würdigung zugrundeliegenden Tatsachenkern hätte beziehen sollen, so fehlt es mangels Bezeichnung konkreter, unter Beweis gestellter Tatsachen jedenfalls an der gebotenen Substantiierung. Dass ein Fall vorliegt, in dem das Verwaltungsgericht nach dem vorstehenden Maßstab ein kriminalprognostisches Gutachten hätte beauftragen müssen, wird insoweit nicht ausreichend dargelegt. Dies gilt zumal unter Berücksichtigung des Umstands, dass dem Verwaltungsgericht im Ausgangspunkt bereits die Stellungnahme eines psychotherapeutischen Gutachters vorlag, gegenüber der sich die tatsächlichen Umstände - wie ausgeführt - auch im Hinblick auf das spezifische Krankheitsbild des Klägers bis zuletzt nicht signifikant verändert haben.
20 
4. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils ergeben sich entgegen der Auffassung des Klägers auch nicht aus seiner Rüge, das Verwaltungsgericht habe festgestellt, die Voraussetzungen des § 6 Abs. 5 FreizügG/EU lägen „offensichtlich“ vor. Denn hierbei handelt es sich ersichtlich um das Ergebnis seiner eigenen Subsumtion („nach dem eben Gesagten“, UA S. 12).
21 
Ebenso wenig stichhaltig ist die Beanstandung, das Verwaltungsgericht habe „zwingend weniger strikte Maßnahmen“ als die Verlustfeststellung prüfen müssen. Der Kläger trägt schon nicht vor, welche dies - bei Vorliegen zwingender Gründe der öffentlichen Sicherheit - hätten sein können, denn für die von ihm insoweit vorgeschlagene Therapieauflage oder sonstige (vom Kläger nicht näher bezeichnete) Auflagen für den weiteren Aufenthalt fehlt es ersichtlich an einer ausländerrechtlichen Rechtsgrundlage. Mit dem bekundeten Bemühen des Klägers um eine ambulante Therapie hat sich das Verwaltungsgericht zudem auseinandergesetzt (UA S. 12) und ist zu dem - auch nach Auffassung des Senats - zutreffenden Ergebnis gelangt, dass der Beginn einer ambulanten Therapie nicht geeignet ist, die gestellte Prognose zugunsten des Klägers zu beeinflussen (vgl. ebenso die Strafvollstreckungskammer in ihrem Beschluss vom 03.03.2017, in der Gefangenenpersonalakte).
22 
Für die Rüge schließlich, das Verwaltungsgericht hätte sich auch mit den Auswirkungen einer Verlustfeststellung „für Italien“ und die dortigen Unionsbürger befassen müssen, lässt der Kläger einen rechtlichen Anknüpfungspunkt vermissen, der im Übrigen auch nicht ersichtlich ist.
23 
5. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl. § 124a Abs. 5 Satz 3 VwGO).
24 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
25 
Die Streitwertfestsetzung findet ihre Grundlage in § 63 Abs. 2, § 47 sowie § 52 Abs. 1 GKG. Der Senat hat bereits entschieden, dass der Streitwert im Falle einer Verlustfeststellung von Unionsbürgern in den Fällen des § 6 Abs. 1 bzw. Abs. 4 FreizügG/EU (vgl. auch Art. 28 Abs. 1 und Abs. 2 der Richtlinie 2004/38/EG - Unionsbürgerrichtlinie) auf 10.000 EUR festzusetzen ist (Beschluss vom 09.09.2016 - 11 S 1414/16 -). Zwar weicht die Rechtsstellung von Unionsbürgern, die den höchsten Ausweisungsschutz im Sinne von § 6 Abs. 5 FreizügG/EU (vgl. auch Art. 28 Abs. 3 Unionsbürgerrichtlinie) genießen, hiervon ab. In ihren - insbesondere wirtschaftlichen - Auswirkungen unterscheidet sich die Verlustfeststellung ihnen gegenüber indes nicht in einer Weise, dass dies eine weitere Anhebung des Streitwertes rechtfertigen könnte.
26 
Der Beschluss ist unanfechtbar.

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Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 154


(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

Gerichtskostengesetz - GKG 2004 | § 52 Verfahren vor Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit


(1) In Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen.

Gerichtskostengesetz - GKG 2004 | § 47 Rechtsmittelverfahren


(1) Im Rechtsmittelverfahren bestimmt sich der Streitwert nach den Anträgen des Rechtsmittelführers. Endet das Verfahren, ohne dass solche Anträge eingereicht werden, oder werden, wenn eine Frist für die Rechtsmittelbegründung vorgeschrieben ist, inn

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 124


(1) Gegen Endurteile einschließlich der Teilurteile nach § 110 und gegen Zwischenurteile nach den §§ 109 und 111 steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie von dem Verwaltungsgericht oder dem Oberverwaltungsgericht zugelassen wird. (2) Die B

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 124a


(1) Das Verwaltungsgericht lässt die Berufung in dem Urteil zu, wenn die Gründe des § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 vorliegen. Das Oberverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden. Zu einer Nichtzulassung der Berufung ist das Verwaltungsgericht nic

Gerichtskostengesetz - GKG 2004 | § 63 Wertfestsetzung für die Gerichtsgebühren


(1) Sind Gebühren, die sich nach dem Streitwert richten, mit der Einreichung der Klage-, Antrags-, Einspruchs- oder Rechtsmittelschrift oder mit der Abgabe der entsprechenden Erklärung zu Protokoll fällig, setzt das Gericht sogleich den Wert ohne Anh

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 86


(1) Das Gericht erforscht den Sachverhalt von Amts wegen; die Beteiligten sind dabei heranzuziehen. Es ist an das Vorbringen und an die Beweisanträge der Beteiligten nicht gebunden. (2) Ein in der mündlichen Verhandlung gestellter Beweisantrag ka

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 117


(1) Das Urteil ergeht "Im Namen des Volkes". Es ist schriftlich abzufassen und von den Richtern, die bei der Entscheidung mitgewirkt haben, zu unterzeichnen. Ist ein Richter verhindert, seine Unterschrift beizufügen, so wird dies mit dem Hinderungsgr

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Tenor Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 31. Mai 2016 - 9 K 3187/15 - wird abgelehnt.Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.Der Streitwert für das Zulassungsverfahre

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Tenor I. Das Verfahren wird ausgesetzt.II. Es wird gemäß Art. 267 AEUV eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union zu folgenden Fragen eingeholt:1. Ist es von vornherein ausgeschlossen, dass die Verhängung und der anschließende Vo

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Tenor Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 10.November 2008 – 12 K 5012/07 – wird abgelehnt. Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

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(1) Das Verwaltungsgericht lässt die Berufung in dem Urteil zu, wenn die Gründe des § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 vorliegen. Das Oberverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden. Zu einer Nichtzulassung der Berufung ist das Verwaltungsgericht nicht befugt.

(2) Die Berufung ist, wenn sie von dem Verwaltungsgericht zugelassen worden ist, innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils bei dem Verwaltungsgericht einzulegen. Die Berufung muss das angefochtene Urteil bezeichnen.

(3) Die Berufung ist in den Fällen des Absatzes 2 innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht zugleich mit der Einlegung der Berufung erfolgt, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden des Senats verlängert werden. Die Begründung muss einen bestimmten Antrag enthalten sowie die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe). Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung unzulässig.

(4) Wird die Berufung nicht in dem Urteil des Verwaltungsgerichts zugelassen, so ist die Zulassung innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils zu beantragen. Der Antrag ist bei dem Verwaltungsgericht zu stellen. Er muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Die Stellung des Antrags hemmt die Rechtskraft des Urteils.

(5) Über den Antrag entscheidet das Oberverwaltungsgericht durch Beschluss. Die Berufung ist zuzulassen, wenn einer der Gründe des § 124 Abs. 2 dargelegt ist und vorliegt. Der Beschluss soll kurz begründet werden. Mit der Ablehnung des Antrags wird das Urteil rechtskräftig. Lässt das Oberverwaltungsgericht die Berufung zu, wird das Antragsverfahren als Berufungsverfahren fortgesetzt; der Einlegung einer Berufung bedarf es nicht.

(6) Die Berufung ist in den Fällen des Absatzes 5 innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Berufung zu begründen. Die Begründung ist bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Absatz 3 Satz 3 bis 5 gilt entsprechend.

(1) Gegen Endurteile einschließlich der Teilurteile nach § 110 und gegen Zwischenurteile nach den §§ 109 und 111 steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie von dem Verwaltungsgericht oder dem Oberverwaltungsgericht zugelassen wird.

(2) Die Berufung ist nur zuzulassen,

1.
wenn ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,
2.
wenn die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,
3.
wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
4.
wenn das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
5.
wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(1) Das Verwaltungsgericht lässt die Berufung in dem Urteil zu, wenn die Gründe des § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 vorliegen. Das Oberverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden. Zu einer Nichtzulassung der Berufung ist das Verwaltungsgericht nicht befugt.

(2) Die Berufung ist, wenn sie von dem Verwaltungsgericht zugelassen worden ist, innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils bei dem Verwaltungsgericht einzulegen. Die Berufung muss das angefochtene Urteil bezeichnen.

(3) Die Berufung ist in den Fällen des Absatzes 2 innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht zugleich mit der Einlegung der Berufung erfolgt, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden des Senats verlängert werden. Die Begründung muss einen bestimmten Antrag enthalten sowie die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe). Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung unzulässig.

(4) Wird die Berufung nicht in dem Urteil des Verwaltungsgerichts zugelassen, so ist die Zulassung innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils zu beantragen. Der Antrag ist bei dem Verwaltungsgericht zu stellen. Er muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Die Stellung des Antrags hemmt die Rechtskraft des Urteils.

(5) Über den Antrag entscheidet das Oberverwaltungsgericht durch Beschluss. Die Berufung ist zuzulassen, wenn einer der Gründe des § 124 Abs. 2 dargelegt ist und vorliegt. Der Beschluss soll kurz begründet werden. Mit der Ablehnung des Antrags wird das Urteil rechtskräftig. Lässt das Oberverwaltungsgericht die Berufung zu, wird das Antragsverfahren als Berufungsverfahren fortgesetzt; der Einlegung einer Berufung bedarf es nicht.

(6) Die Berufung ist in den Fällen des Absatzes 5 innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Berufung zu begründen. Die Begründung ist bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Absatz 3 Satz 3 bis 5 gilt entsprechend.

Tenor

I. Das Verfahren wird ausgesetzt.

II. Es wird gemäß Art. 267 AEUV eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union zu folgenden Fragen eingeholt:

1. Ist es von vornherein ausgeschlossen, dass die Verhängung und der anschließende Vollzug einer Freiheitsstrafe dazu führen, dass die Integrationsverbindungen eines im Alter von drei Jahren in den Aufnahmemitgliedstaat eingereisten Unionsbürgers als abgerissen zu betrachten sind mit der Folge, dass kein ununterbrochener Aufenthalt von zehn Jahren im Sinne des Art. 28 Abs. 3 lit. a) der Richtlinie 2004/38 vorliegt und daher kein Ausweisungsschutz nach Art. 28 Abs. 3 lit. a) der Richtlinie 2004/38 zu gewähren ist, wenn der Unionsbürger nach der Einreise im Alter von drei Jahren sein gesamtes bisheriges Leben in diesem Aufnahmemitgliedstaat verbracht hat, keine Bindungen zum Mitgliedstaat seiner Staatsangehörigkeit mehr hat und die Straftat, die zur Verhängung und zum Vollzug einer Freiheitsstrafe führt, erst nach einem 20jährigem Aufenthalt begangen worden ist?

2. Falls Frage 1 verneint wird: Ist bei der Frage, ob der Vollzug einer Freiheitsstrafe zum Abreißen der Integrationsverbindungen führt, diejenige Freiheitsstrafe außer Betracht zu lassen, die für die Straftat verhängt worden ist, die den Anlass für die Ausweisung bildet?

3. Falls Fragen 1 und 2 verneint werden: Nach welchen Kriterien ist zu bestimmen, ob der betroffene Unionsbürger in einem solchen Fall dennoch in den Genuss des Ausweisungsschutzes nach Art. 28 Abs. 3 lit. a) der Richtlinie 2004/38 kommt?

4. Falls Fragen 1 und 2 verneint werden: Gibt es zwingende unionsrechtliche Vorgaben für die Bestimmung des „genauen Zeitpunkts, zu dem sich die Frage der Ausweisung stellt“ und zu dem eine umfassende Beurteilung der Situation des betroffenen Unionsbürgers vorzunehmen ist, um zu prüfen, inwieweit die Diskontinuität des Aufenthalts in den letzten zehn Jahren vor der Ausweisung des Betroffenen diesen daran hindert, in den Genuss des verstärkten Ausweisungsschutzes zu kommen?

Gründe

 
I.
Der Kläger ist griechischer Staatsangehöriger. Er verfügt in Deutschland über ein Daueraufenthaltsrecht (§ 4a FreizügG/EU i.V.m. Art. 16 ff. Richtlinie 2004/38/EG). Er klagt gegen die mit Bescheid des Regierungspräsidiums Karlsruhe vom 25. November 2014 auf der Grundlage des § 6 FreizügG/EU verfügte Feststellung des Verlusts seines Rechts auf Einreise und Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland (sog. Verlustfeststellung). Diese Maßnahme stellt die Ausweisung im Sinne des Art. 28 der Richtlinie 2004/38 vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten (ABl EU Nr. L 158 vom 30. April 2004 S. 77, Berichtigung ABl EU vom 29. Juni 2004 Nr. L 229 S. 35), dar.
Der Kläger ist im Oktober 1989 in Griechenland geboren. Nach der Trennung seiner Eltern reiste er im Jahre 1993 im Alter von drei Jahren gemeinsam mit seiner Mutter nach Deutschland. Hier lebten bereits seit 1989 seine Großeltern mütterlicherseits als Arbeitnehmer. Sie sind mittlerweile Rentner. Die Mutter des Klägers arbeitet seit 1993 im Bundesgebiet. Sie bezog zu keinem Zeitpunkt für sich oder den Kläger Sozialhilfe. Sie besitzt neben der griechischen inzwischen auch die deutsche Staatsangehörigkeit. Die Tante des Kläger legte in Deutschland das Abitur ab. Nach Studium und Arbeitsaufenthalt in Griechenland zwischen den Jahren 1997 bis 2010 kehrte sie nach Deutschland zurück und ist hier erwerbstätig.
Der Kläger wurde von seinem Vater im Alter von acht Jahren gegen den Willen seiner Mutter absprachewidrig für zwei Monate nach Griechenland geholt und konnte erst nach Einschaltung der zuständigen staatlichen Stellen wieder nach Deutschland kommen. Abgesehen von dieser Zeit und kurzfristigen Urlaubsreisen innerhalb Deutschlands und in das Ausland während der Schulferien hält sich der Kläger seit dem Jahre 1993 bis heute ununterbrochen in xxx und Umgebung auf. Dies gilt auch für seine Mutter und die weiteren Familienangehörigen.
Der Kläger besuchte den Kindergarten und die Schule. Er erreichte 2006 den Hauptschulabschluss, der in der Bundesrepublik Deutschland eine wesentliche Grundlage jeder weiteren schulischen oder beruflichen Ausbildung ist. Er beherrscht dementsprechend die deutsche Sprache. Seine Fähigkeiten in Griechisch beschränken sich darauf, sich in gebrochener Sprache mündlich zu verständigen. Trotz Förder- und Berufsbildungsmaßnahmen gelang es ihm in der Folgezeit nicht, eine Ausbildung zu absolvieren. Grund sind Verhaltensauffälligkeiten. Beim Kläger liegt eine dissoziale Persönlichkeitsstörung vor. Außerdem leidet er seit seiner Kindheit an einem Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitäts-Syndrom (ADHS). Er nimmt nach wie vor das Medikament „Ritalin“ (Arzneistoff: Methylphenidat). Während seiner Schulzeit erhielt er therapeutische Maßnahmen wie Ergotherapie, Verhaltenstherapie und Gespräche bei einem Psychologen. Auch nach seiner Schulzeit wurde er immer wieder therapeutisch behandelt, unter anderem im April 2011 mehrere Wochen in einer psychiatrischen Tagesklinik.
Der Kläger spielte Keyboard in einer Schulband, war ab dem Jahre 2000 bei den Pfadfindern und bis zum 17. Lebensjahr bei der Freiwilligen Feuerwehr (Jugendfeuerwehr). Ferner spielte er Fußball in einem Sportverein. Mitglieder des Vereins waren vorwiegend türkischstämmige Migranten. Während seiner Schulzeit war der Kläger aufgrund der Berufstätigkeit seiner Mutter nach Ende des Unterrichts nachmittags und während der Ferien in einer Betreuungseinrichtung. Als Kind und Jugendlicher unternahm er gemeinsam mit anderen jungen Menschen dieser Gruppe unter pädagogischer Leitung auch Ausflüge und Fahrten. Aktivitäten, an denen der Kläger teilnahm, waren etwa Zelten, Wildwassersurfen, Snowboardfahren in Bayern oder Kanufahren am Lago Maggiore.
Der Kläger lebte bis Juni 2012 gemeinsam mit seiner Mutter und seinem Stiefvater in häuslicher Gemeinschaft. Der Stiefvater des Klägers ist in Deutschland geboren und hat die griechische und die deutsche Staatsangehörigkeit. Die beiden Stiefbrüder des Klägers studieren in Deutschland. Der Kläger bezog im Juni/Juli 2012 ein kleines Appartement. Mahlzeiten nahm er jedoch auch danach teilweise bei seiner Mutter, seiner Tante oder den Großeltern ein. Seine Mutter sorgte bei Bedarf auch für seinen Lebensunterhalt, indem sie etwa die Miete oder Lebensmittel für ihn bezahlte. Der Kläger arbeitete zuletzt im November und Dezember 2012 bei einem Online-Versandhändler. Danach war er arbeitslos.
Ende August 2012 nahm der Kläger ein Handy, das im nicht gehörte, in seinen Besitz. Als die Eigentümerin des Handys die Rückgabe des Mobiltelefons von ihm verlangte, bedrohte er sie. Einige Tage später forderte er von ihr die Zahlung von 300 Euro, sonst würde er die Nacktbilder von ihr, die sich auf dem Handy befanden, im Internet veröffentlichen. Zur Zahlung des Geldes kam es nicht. Wegen dieser Straftaten und des Besitzes eines Schlagrings erließ das Amtsgericht Pforzheim am 7. November 2012 einen Strafbefehl und verhängte eine Geldstrafe in Höhe von 90 Tagessätzen wegen Unterschlagung, Nötigung, versuchter Erpressung und vorsätzlichen unerlaubten Besitzes einer verbotenen Waffe. Der Kläger akzeptierte diesen Strafbefehl und hatte deswegen einschließlich der Verfahrenskosten einen Betrag in Höhe von etwa 3.000 Euro zu zahlen.
Da der Kläger finanzielle Probleme hatte und insbesondere das Geld nicht besaß, um die Geldstrafe zu bezahlen, beschloss er, sich durch den Überfall einer Spielhalle Geld zu verschaffen. Am 10. April 2013 betrat er am späten Abend in Motorradkleidung eine Spielhalle. Er hatte das dunkle Visier des Motorradhelms heruntergeklappt. Er führte eine voll funktionsfähige und mit Gummischrot geladene Pistole mit sich. Die Waffe hatte er sich illegal durch einen Bekannten beschafft. Zu diesem Zeitpunkt waren keine anderen Gäste mehr anwesend, sondern nur noch eine weibliche Angestellte. Dies wusste der Kläger. Er bedrohte die junge Frau, in dem er ihr die Waffe im Abstand von etwa 10 bis 20 cm an den Kopf hielt. Er veranlasste sie auf diese Weise, ihm insgesamt 4.200 Euro zu übergeben. Die Angestellte war durch die Tat geschockt, konnte aber nach drei Tagen jedenfalls wieder tagsüber arbeiten. Die Verhaftung des Klägers erfolgte bereits zwei Tage nach der Tat. Er hatte in der Spielhalle eine mitgebrachte Pizzaschachtel zurückgelassen. Die darauf befindlichen Fingerabrücke führten zu seiner Identifizierung.
Das Landgericht Karlsruhe verurteilte den Kläger am 9. Dezember 2013 wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung in Tateinheit mit vorsätzlichem unerlaubtem Führen einer Schusswaffe und vorsätzlichem unerlaubtem Besitz von Munition zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und acht Monaten. Das Landgericht hatte einen Facharzt für Psychiatrie als Gutachter hinzugezogen und aufgrund dessen Begutachtung festgestellt, dass der Kläger bei der Tat voll schuldfähig gewesen war. Die Rechtskraft des Strafurteils trat am 1. Mai 2014 ein, nachdem der Bundesgerichtshof die vom Kläger gegen das Urteil des Landgerichts eingelegte Revision als unbegründet verworfen hatte.
10 
Der Kläger befindet sich seit 12. April 2013 bis heute ununterbrochen in Haft, zunächst in Untersuchungshaft und seit 1. Mai 2014 in Strafhaft. Die Untersuchungshaft war von 15. Mai 2013 bis 12. August 2013 unterbrochen, weil der Kläger in dieser Zeit die mit Strafbefehl vom November 2012 verhängte Geldstrafe im Wege der Ersatzfreiheitsstrafe verbüßte.
11 
Die Justizvollzugsanstalt erstellte unter Einbeziehung von fachärztlichen und psychologischen Äußerungen mehrere Berichte über den Kläger, unter anderem am 31. August 2015 und 17. März 2016. In den Berichten heißt es insbesondere: Der Kläger sei nach wie vor unreif. Die bei ihm seit seiner Kindheit bestehenden Verhaltensauffälligkeiten setzten sich während des bisherigen Strafvollzugsverlaufs ohne Besserungen fort. Er habe sich bislang mit seiner Straftat nicht hinreichend auseinandergesetzt. Er zeichne sich auch gegenwärtig unter anderem durch Rechthaberei, Uneinsichtigkeit, geringe Akzeptanz der Regeln und Grenzen, langsames Arbeitstempo und provokantes Verhalten aus. Er suche bei Problemen keine Ursache bei sich, sondern immer nur bei anderen. Mehrere diagnostische und therapeutische Maßnahmen seien in der Vergangenheit an der fehlenden Mitwirkung des Klägers gescheitert. Ohne eine umfassende sozialtherapeutische Behandlung bestehe nach fachärztlicher Prognose die Gefahr, dass er nach Entlassung aus der Haft neue erhebliche Straftaten begehe.
12 
Der Kläger wird in der Haftanstalt von seiner Mutter, seinen Großeltern, seinem Stiefvater und seiner Tante so oft, wie dies nach den geltenden Regeln möglich ist, besucht. Zusätzlich unterhält er mit diesen regelmäßige briefliche und telefonische Kontakte.
13 
Nach vorheriger Anhörung des Klägers stellte die zuständige Ausländerbehörde, das Regierungspräsidium Karlsruhe, mit Bescheid vom 25. November 2014 den Verlust des Rechts des Klägers auf Einreise und Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland fest. Es befristete die Dauer des Einreise- und Aufenthaltsverbots auf sieben Jahre nach Verlassen des Bundesgebietes. Der Kläger wurde aufgefordert, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von einem Monat nach Rechtskraft der Verlustfeststellung zu verlassen. Für den Fall der Nichtausreise wurde ihm die Abschiebung nach Griechenland angedroht. Die Behörde begründete im Einzelnen, weshalb die Voraussetzungen für eine Verlustfeststellung nach § 6 Abs. 5 FreizügG/EU i.V.m. Art. 28 Abs. 3 lit. a) der Richtlinie 2004/38/EG vorliegen und weshalb sie unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls die auch verhältnismäßige Beendigung des Aufenthalts des Klägers im Bundesgebiet im Wege einer Ermessensentscheidung verfügt hat.
14 
Auf die Klage des Klägers hob das Verwaltungsgericht Karlsruhe mit Urteil vom 10. September 2015 die Verlustfeststellung auf und ließ wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache die Berufung zu. Das beklagte Land Baden-Württemberg verteidigt in seiner fristgerecht eingelegten und auch im Übrigen zulässigen Berufung die Rechtmäßigkeit der Verlustfeststellung.
15 
Der Kläger macht im gerichtlichen Verfahren geltend, dass die von ihm begangene Straftat aufgrund ihrer konkreten Merkmale nicht der öffentlichen Sicherheit im Sinne des § 6 Abs. 5 FreizügG/EU i.V.m. Art. 28 Abs. 3 lit. a) der Richtlinie 2004/38/EG unterfalle. Auf die materielle Schutznorm des Art. 28 Abs. 3 lit. a) der Richtlinie 2004/38/EG könne er sich berufen. Er halte sich seitdem er drei Jahre alt sei ununterbrochen in Deutschland auf. Er sei hier von Kindheit an vollständig sozialisiert worden und integriert. Mit Griechenland verbinde ihn nur seine Staatsangehörigkeit. Er könne weder Griechisch schreiben noch lesen und seine mündlichen Fähigkeiten seien schlecht. Mit seinem Vater telefoniere er zwei Mal im Jahr. Ansonsten habe er keine Kontakte nach Griechenland. Im Fall eines schon als kleines Kind eingereisten Unionsbürgers, der erstmals als (junger) Erwachsener - wie er im Alter von 23 Jahren - eine Straftat begehe, dürfe eine Haftstrafe von vornherein nicht dazu führen, dass ihm nunmehr der Schutz der Zehn-Jahres-Frist nach Art. 28 Abs. 3 lit. a) der Richtlinie 2004/38/EG abgesprochen werden könnte. Außerdem habe er jetzt begonnen an seinem Verhalten zu arbeiten. Er nehme seit kurzem die Möglichkeiten zu einer Berufsausbildung in der Justizvollzugsanstalt wahr. Die theoretische Prüfung für den Gabelstaplerführerschein habe er schon bestanden. Er habe auch ab Ende April 2016 erneut einen Platz zur Diagnostik in der Sozialtherapeutischen Abteilung einer hierauf spezialisierten Justizvollzugsanstalt bekommen.
II.
16 
Der Senat setzt den Rechtsstreit aus, um eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union (im Folgenden: EuGH) zu den im Tenor formulierten Fragen einzuholen. Die Fragen betreffen die Auslegung von Unionsrecht, insbesondere Art. 28 Abs. 3 lit. a) der Richtlinie 2004/38/EG.
17 
1. Für die gerichtliche Überprüfung der Feststellung des Verlusts des Rechts auf Einreise und Aufenthalts eines Unionsbürger aus Gründen der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung ist nach nationalem Recht grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung des Tatsachengerichts maßgebend. Die Entscheidungserheblichkeit dieses Zeitpunktes folgt aus dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 3. August 2005 (1 C 30.02 - [ECLI:DE:BVerwG:2004:030804U1C30.02.0] - BVerwGE 121, 297 ff.), das sich auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 29. April 2004 (C-482/01 und C-493/01 - [ECLI:EU:C:2004:262] -) stützt. Mit der Verlagerung des maßgeblichen Zeitpunkts weg von dem der letzten Behördenentscheidung hin zu derjenigen der zeitlich späteren Gerichtsentscheidung ist insbesondere sichergestellt, dass für die Prognose einer vom Unionsbürger ausgehenden Gefahr und für die an den Grund- und Menschenrechten zu orientierenden Abwägung im Rahmen der Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Maßnahme eine aktuelle Tatsachengrundlage berücksichtigt wird. Damit wird etwa einer nachträglichen Verminderung der Gefährdung durch den Unionsbürger zu Gunsten seiner Freizügigkeit Rechnung getragen (EuGH, Urteil vom 29. April 2004, a.a.O., Rn. 77 ff.).
18 
Die Verlustfeststellung aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder der öffentlichen Sicherheit richtet sich nach dem Gesetz über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (Freizügigkeitsgesetz/EU - FreizügG/EU) vom 30. Juli 2004 (BGBl. I S. 1950), zuletzt geändert durch Gesetz vom 20. Oktober 2015 (BGBl. I S. 1722). Die hier einschlägigen Regelungen sind seit 28. August 2007 in Kraft (BGBl. I S. 1970). Auf spätere Änderungen des nationalen Rechts kommt es hier nicht an.
19 
Folgende nationale Regelungen bilden den rechtlichen Rahmen dieses Rechtsstreits:
20 
§ 6 Verlust des Rechts auf Einreise und Aufenthalt
(1) Der Verlust des Rechts nach § 2 Abs. 1 kann unbeschadet des § 2 Absatz 7 und des § 5 Absatz 4 nur aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit (Artikel 45 Absatz 3, Artikel 52 Absatz 1 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union) festgestellt und die Bescheinigung über das Daueraufenthaltsrecht oder die Aufenthaltskarte oder Daueraufenthaltskarte eingezogen werden. Aus den in Satz 1 genannten Gründen kann auch die Einreise verweigert werden. Die Feststellung aus Gründen der öffentlichen Gesundheit kann nur erfolgen, wenn es sich um Krankheiten mit epidemischem Potenzial im Sinne der einschlägigen Rechtsinstrumente der Weltgesundheitsorganisation und sonstige übertragbare, durch Infektionserreger oder Parasiten verursachte Krankheiten handelt, sofern gegen diese Krankheiten Maßnahmen im Bundesgebiet getroffen werden, und wenn die Krankheit innerhalb der ersten drei Monate nach Einreise auftritt.
(2) Die Tatsache einer strafrechtlichen Verurteilung genügt für sich allein nicht, um die in Absatz 1 genannten Entscheidungen oder Maßnahmen zu begründen. Es dürfen nur im Bundeszentralregister noch nicht getilgte strafrechtliche Verurteilungen und diese nur insoweit berücksichtigt werden, als die ihnen zu Grunde liegenden Umstände ein persönliches Verhalten erkennen lassen, das eine gegenwärtige Gefährdung der öffentlichen Ordnung darstellt. Es muss eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliegen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt.
(3) Bei der Entscheidung nach Absatz 1 sind insbesondere die Dauer des Aufenthalts des Betroffenen in Deutschland, sein Alter, sein Gesundheitszustand, seine familiäre und wirtschaftliche Lage, seine soziale und kulturelle Integration in Deutschland und das Ausmaß seiner Bindungen zum Herkunftsstaat zu berücksichtigen.
(4) Eine Feststellung nach Absatz 1 darf nach Erwerb des Daueraufenthaltsrechts nur aus schwerwiegenden Gründen getroffen werden.
(5) Eine Feststellung nach Absatz 1 darf bei Unionsbürgern und ihren Familienangehörigen, die ihren Aufenthalt in den letzten zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, und bei Minderjährigen nur aus zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit getroffen werden. Für Minderjährige gilt dies nicht, wenn der Verlust des Aufenthaltsrechts zum Wohl des Kindes notwendig ist. Zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit können nur dann vorliegen, wenn der Betroffene wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens fünf Jahren verurteilt oder bei der letzten rechtskräftigen Verurteilung Sicherungsverwahrung angeordnet wurde, wenn die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland betroffen ist oder wenn vom Betroffenen eine terroristische Gefahr ausgeht.
(6) bis (8) …..
21 
Die Regelungen in § 6 FreizügG/EU dienen unter anderem der Umsetzung von Art. 28 der Richtlinie 2004/38/EG (vgl. die Begründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union, Bundestagsdrucksache 16/5065 vom 13. April 2007, S. 211). Dieser lautet wie folgt:
22 
Art. 28 Schutz vor Ausweisung
(1) Bevor der Aufnahmemitgliedstaat eine Ausweisung aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit verfügt, berücksichtigt er insbesondere die Dauer des Aufenthalts des Betroffenen im Hoheitsgebiet, sein Alter, seinen Gesundheitszustand, seine familiäre und wirtschaftliche Lage, seine soziale und kulturelle Integration im Aufnahmemitgliedstaat und das Ausmaß seiner Bindungen zum Herkunftsstaat.
(2) Der Aufnahmemitgliedstaat darf gegen Unionsbürger oder ihre Familienangehörigen, ungeachtet ihrer Staatsangehörigkeit, die das Recht auf Daueraufenthalt in seinem Hoheitsgebiet genießen, eine Ausweisung nur aus schwerwiegenden Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit verfügen.
(3) Gegen Unionsbürger darf eine Ausweisung nicht verfügt werden, es sei denn, die Entscheidung beruht auf zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit, die von den Mitgliedstaaten festgelegt wurden, wenn sie
a) ihren Aufenthalt in den letzten zehn Jahren im Aufnahmemitgliedstaat gehabt haben oder
b) …..
23 
2. Die Vorlagefragen sind entscheidungserheblich und bedürfen einer Klärung durch den Gerichtshof. Nach den Feststellungen des Senats liegen die für eine Verlustfeststellung § 6 Abs. 5 FreizügG/EU i.V.m. Art. 28 Abs. 3 lit. a) der Richtlinie 2004/38 nach zehnjährigem Aufenthalt erforderlichen zwingenden Gründe der öffentlichen Sicherheit nicht vor.
24 
Gemäß § 6 Abs. 5 FreizügG/EU ist die rechtskräftige Verurteilung wegen einer vorsätzlichen Straftat zu einer Freiheitsstrafe von mindestens fünf Jahren eine Fallgruppe, bei der eine Verlustfeststellung aus zwingenden Gründen der öffentlichen Sicherheit in Betracht kommt. Die vorliegende Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe zu fünf Jahren und acht Monaten ist damit über der Mindesthöhe der strafrechtlichen Verurteilung, ab der nach dem nationalen Recht die Prüfung einer Verlustfeststellung insoweit überhaupt erst in Frage kommt.
25 
Diese Fallgruppe stellt nur auf die tatsächlich verhängte Freiheitsstrafe wegen einer Vorsatztat ab. Sie nimmt keine Verknüpfung mit einem bestimmten Delikt oder einer bestimmten Gruppe von Straftaten vor. Um den unionsrechtlichen Anforderungen der Bestimmung und Auslegung der öffentlichen Sicherheit zu genügen und gleichzeitig auch eine hinreichende Abgrenzung zur öffentlichen Ordnung sicher zu stellen, bedarf es im nationalen Recht stets noch einer Einzelfallwürdigung, ob aus der Straftat selbst zu schließen ist, dass der Betroffene in Zukunft eine Gefahr für die innere oder äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland darstellt (VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 9. April 2009 - 13 S 342/09 -, juris Rn. 21 ; OVG Saarland, Urteil vom 30. April 2015 - 2 A 265/14 -, UA S. 23 ff.; Hoppe, in: HTK AuslR, § 6 Abs. 5 FreizügG/EU 03/2016 Nr. 3.2. und 3.3.; Cziersky-Reis, in: Hofmann, AuslR, 2. Aufl., 2016, § 6 FreizügG/EU Rn. 42 ff.; Dienelt, in: Bergmann/Dienelt, AuslR, 11. Aufl., 2016, § 6 FreizügG/EU Rn. 63). Dies ist im Fall des Klägers zu verneinen.
26 
Der EuGH hat entschieden, dass die Beeinträchtigung des Funktionierens der Einrichtungen des Staates und seiner wichtigen öffentlichen Dienste sowie das Überleben der Bevölkerung ebenso wie die Gefahr einer erheblichen Störung der auswärtigen Beziehungen oder des friedlichen Zusammenlebens der Völker oder eine Beeinträchtigung der militärischen Interessen die öffentliche Sicherheit berühren können (Urteil vom 23. November 2010 - C-145/09 [ECLI:EU:C:2010:708] - Rn. 45 m.w.N.; im Folgenden: Tsakouridis). Die Tat des Klägers hat offensichtlich keinen Bezug hierzu.
27 
Zwar können nach Rechtsprechung des Gerichtshofs in den Rechtssachen Tsakouridis (im Einzelnen Rn. 46 ff.) und P.I. (näher Urteil vom 22. Mai 2012 - C-348/09 [ECLI:EU:C:2012:300] - Rn. 21 ff.; im Folgenden: P.I.) auch Straftaten im Bereich besonders schwerer Kriminalität (wie etwa die in Art. 83 Abs. 1 UAbs. 2 AEUV genannten Delikte Terrorismus, Menschenhandel, sexuelle Ausbeutung von Frauen und Kindern, illegaler Drogenhandel, illegaler Waffenhandel, Geldwäsche, Korruption, Fälschung von Zahlungsmitteln, Computerkriminalität und organisierte Kriminalität) eine Bedrohung für die Sicherheit des Mitgliedstaats sein. Zudem dürfte es nicht ausgeschlossen sein, jenseits potentiell grenzüberschreitender oder in irgendeiner Form organisierter Straftaten auch Delikte, die den von elementaren menschenrechtlichen Wertvorstellungen geprägten Kernbestand des strafrechtlichen Rechtsgüterschutzes betreffen (so OVG Saarland, Urteil vom 30. April 2015 - 2 A 265/14 -, UA S. 25 bzgl. Mord), im Einzelfall als besonders schwerwiegende Beeinträchtigung eines grundlegenden gesellschaftlichen Interesses anzusehen, die geeignet ist, die Ruhe und die physische Sicherheit der Bevölkerung unmittelbar zu bedrohen, und damit unter den Begriff der zwingenden Gründe der öffentlichen Sicherheit im Sinne des Art. 28 Abs. 3 lit. a) der Richtlinie 2004/38 fallen können, sofern die Art und Weise der Begehung solcher Straftaten besonders schwerwiegende Merkmale aufweist.
28 
Keine dieser Voraussetzungen ist im Fall des Klägers erfüllt. Es handelte sich vielmehr um eine singuläre Tat, die ihren Ursprung in einer diffusen Lebenslage einer Einzelperson hat. Sie war nicht Teil einer komplexen Kriminalität und auch nicht in einen Organisationszusammenhang krimineller Machenschaften und Milieus eingebettet. Sie führte zu einem Vermögensschaden von etwa 4.200 Euro, wobei diese Beute aber zum größten Teil schon kurze Zeit später wieder aufgefunden werden konnte. Die Tat war in ihren Wirkungen begrenzt. Ein Gefährdungspotential für die Allgemeinheit bestand zu keinem Zeitpunkt. Ort und Zeit des Überfalls waren im Voraus so bestimmt, dass keine weiteren unbeteiligten Personen außer der Angestellten der Spielhalle am Tatort anwesend waren. Diese war auch nicht unmittelbar physisch zu Schaden gekommen.
29 
Sofern der Kläger über den besonderen Ausweisungsschutz wegen eines mindestens zehnjährigen Aufenthalts verfügt, müsste die Verlustfeststellung aufgehoben werden. Hätte der Kläger nicht mehr den höchsten Ausweisungsschutz für einen Unionsbürger, könnte die Verlustfeststellung nach dem vorliegenden Sachverhalt allerdings wegen schwerwiegender Gründe der öffentlichen Ordnung auf der Grundlage des § 6 Abs. 1 und 4 FreizügG/EU i.V.m. Art. 28 Abs. 2 Richtlinie 2004/38 aufrechterhalten werden.
30 
3. Zur ersten Vorlagefrage
Nach der Konzeption des Ausweisungsschutzes des Art. 28 der Richtlinie 2004/38 besteht ein dreistufiges System aufeinander aufbauender Schutzstufen, die Ausfluss der fortschreitenden Integration des Unionsbürgers sind. Wortlaut, Zweck und Entstehungsgeschichte (vgl. auch den ursprünglichen Kommissionsentwurf KOM/2001/0257 endg. - COD 2001/0111, ABl Nr. 270 E vom 25.09.2001, S. 0150 -0160) dieser Regelung und die Erwägungsgründe 23 und 24 verdeutlichen, dass eine Ausweisung ab Eintritt der dritten Stufe des Ausweisungsschutzes nach Art. 28 Abs. 3 lit. a) nur noch in ganz engen Grenzen erfolgen darf (siehe hierzu ausführlich Guild/Peers/Tomkin, The EU Citizenship Directive, A Commentary, 2014, S. 267 ff., 276 ff.).
31 
Nach der Rechtsprechung des EuGH ist die mit der Richtlinie 2004/38 geschaffene Regelung zum Schutz vor Ausweisungsmaßnahmen auf das Maß der Integration der betroffenen Person im Aufnahmemitgliedstaat gestützt, so dass dieser Schutz umso stärker ist, je besser der Unionsbürger in den Aufnahmemitgliedstaat integriert ist (Tsakouridis, Rn. 24 f.; Urteil vom 16. Januar 2014 - C-400/12 [ECLI:EU:C:2014:9] - Rn. 30 f.; im Folgenden: M.G.).
32 
Im Verfahren P.I. hat der Generalanwalt ausgeführt, Art. 28 Abs. 3 der Richtlinie 2004/38 enthalte eine nach zehnjährigem Aufenthalt vermutete Integration, die im konkreten Fall aufgrund der während dieses Zeitraums begangenen schwerwiegenden Straftat zu verneinen sei (Schlussanträge des Generalanwalts Bot [ECLI:EU:C:2012:123] vom 6. März 2012, Rn. 55 ff.). Der EuGH hat in seinem Urteil vom 22. Mai 2012 diese Argumentation nicht aufgegriffen (vgl. auch Guild/Peers/ Tomkin, a.a.O, S. 268). Er hat vielmehr angenommen, auch Straftaten im Bereich besonders schwerer Kriminalität - wie die in Artikel 83 Abs. 1 UAbs. 2 AEUV genannten - könnten zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit begründen.
33 
Im Verfahren M.G. hat der EuGH nunmehr festgestellt, dass Zeiträume der Verbüßung einer Freiheitsstrafe grundsätzlich die Kontinuität des für die Gewährung des verstärkten Schutzes erforderlichen Aufenthalts im Sinne von Art. 28 Abs. 3 lit. a) der Richtlinie 2004/38 unterbrechen (M.G., Rn. 30 ff. - auch unter Anknüpfung an Überlegungen aus dem Urteil vom 16. Januar 2014 - C-378/12 [E-CLI:EU:C:2014:13] - Rn. 25 f.; vgl. zu den Konsequenzen dieser Rechtsprechung Hoppe, HTK AuslR, § 6 Abs. 5 FreizügG/EU 03/2016 Nr. 2.1).
34 
Im Fall M.G. war die von der Ausweisung Betroffene erst als Erwachsene in den Aufnahmemitgliedstaat eingereist. Auch im Fall Tsakouridis hatte der Betreffende als Erwachsener nach wie vor Bindungen an den Herkunftsstaat (Aufenthalt und Erwerbstätigkeit dort).
35 
Der vorliegende Fall und insbesondere die persönliche Entwicklung und Situation des Klägers (siehe oben unter I.) unterscheiden sich jedoch grundlegend von den Sachverhalten, die den vorgenannten Entscheidungen zugrunde liegen. Der Kläger lebt seit seiner Einreise in frühester Kindheit bis heute im Aufnahmemitgliedstaat. Seine kurzzeitigen Urlaubsreisen lassen seinen Lebensmittelpunkt im Bundesgebiet unberührt. Seine komplette Sozialisation ist ausschließlich in Deutschland erfolgt. Hier hat er sich vollständig in das gesellschaftliche Leben integriert. Ferner hat er keinerlei tragfähige Anknüpfungspunkte mehr an seinen Herkunftsstaat. Die Straftat ist zudem nicht Ausdruck einer zunehmend die Rechtsordnung missachtenden und sich von der deutschen Gesellschaft und ihren grundlegenden Werten entfernenden Haltung. Letzteres wäre zum Beispiel der Fall, wenn sich der Kläger unter Abwendung von der Gesellschaft und typischerweise auch der Familie radikalisiert hätte. Der nach etwa 20jährigem Aufenthalt begangene Überfall im April 2013 und die dem als Anlass vorausgehende Verurteilung unter anderem wegen der Aneignung eines Handys einige Monate zuvor sind auch im Zusammenhang mit der dissozialen Persönlichkeit und der Unreife des Klägers zu sehen. So hält die Dokumentation der Justizvollzugsanstalt zu den psychologischen Daten des Klägers am 5. August 2014 (Band III der Gefangenenpersonalakten) unter anderem fest: „Im Gesamtbild wirkt er völlig unreif, keinesfalls einem 25jährigen entsprechend, sondern eher einem 17-jährigen….Er ist mit großer Wahrscheinlichkeit kein Schlägertyp, sondern vielmehr ein Angeber und eher ein Angsthase und träumt vielleicht davon ein „großer Starker“ zu sein.“
36 
Nach Auffassung des Senats ist der personelle Anwendungsbereich des besonderen Ausweisungsschutzes nach Art. 28 Abs. 3 lit. a) der Richtlinie 2004/38 in einem Fall wie dem des Klägers, der im Aufnahmemitgliedstaat fest „verwurzelt“ ist, von vornherein keiner restriktiven Bestimmung zugänglich. Dass starke Bindungen an den Aufnahmemitgliedstaat durch Strafhaft nicht reduziert werden, findet sich auch in der Rechtsprechung des Europäisches Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR, Beschluss vom 19. März 2013 - Nr. 45971/08 - Rn. 26, FamRZ 2014, 367). Im Übrigen ist durch den EuGH - wenn auch in anderem Kontext - entschieden, dass aufgrund fortgeschrittener Integration in den Aufnahmemitgliedstaat bereits erworbene (Aufenthalts-)rechte durch den Vollzug einer Freiheitsstrafe nicht verloren gehen (EuGH, Urteil vom 16. Februar 2006 - C-502/04 [ECLI:EU:C:2006:112] - Rn. 18 ff., insb. Rn. 26 zu Art. 7 Abs. 2 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates; vgl. ferner Urteil vom 7. Juli 2005 - C-373/03 [ECLI:EU:C:2005:434] -Rn. 28 zu Art. 7 Abs. 1 zweiter Gedankenstrich des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates).
37 
Davon ausgehend ist der Senat der Überzeugung, dass im Fall einer festen Verwurzelung im Aufnahmemitgliedstaat bei gleichzeitig fehlendem tatsächlichen Bezug zum Heimatstaat die Verbüßung von Strafhaft die Integrationsverbindung nicht abreißen lassen kann. Die gegenteilige Auffassung führte dazu, dass es Unionsbürger geben könnte, denen die Integrationsverbindungen zum Aufnahmemitgliedstaat aus rechtlichen Gründen abgesprochen werden, während sie zu ihrem Heimatmitgliedstaat tatsächlich keine Integrationsverbindungen aufgebaut haben.
38 
4. Zur zweiten Vorlagefrage
Der Senat ist der Ansicht, dass diese Frage zu bejahen wäre. Der hohe Ausweisungsschutz auf der letzten Stufe des Art. 28 der Richtlinie 2004/38 würde seine intendierte Wirksamkeit verlieren, wenn bei einem zehnjährigen rechtmäßigen Aufenthalt die Verhängung und der Vollzug einer nach diesem Zeitraum begangenen Straftat, die Anlass für die Ausweisung ist, gleichzeitig als Beleg für die Unterbrechung der Kontinuität des Aufenthalts durch ein Abreißen der Integrationsverbindungen anzusehen wäre. Dies gilt insbesondere dann, wenn - wie in Deutschland - nach dem nationalen Recht des Mitgliedstaats die Verlustfeststellung nur aufgrund einer verwaltungsrechtlichen Entscheidung der Ausländerbehörde ergehen kann, die ihrerseits die rechtskräftige Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe voraussetzt und die Strafhöhe mit fünf Jahren Freiheitsstrafe nach nationalem Recht bedingt, dass sich der Betreffende in Strafhaft befindet. Nach dem deutschen Recht kann die Vollstreckung nur bei Freiheitsstrafen bis zu zwei Jahren zur Bewährung ausgesetzt werden (§ 56 Abs. 2 des Strafgesetzbuchs). Der Unionsbürger befindet sich also zu dem Zeitpunkt, zu dem die Verlustfeststellung verfügt wird, grundsätzlich in Strafhaft.
39 
Bei einer derartigen Ausgestaltung des nationalen Rechts, die unionsrechtlich zulässig ist, käme der Betroffene nie in den Genuss des erhöhten Ausweisungsschutzes, obwohl Ausweisungsschutz ja gerade für eine Person konzipiert ist, die sich nicht rechtstreu verhält und - von der Bestimmung des Art. 28 Abs. 3 lit. a) der Richtlinie 2004/38 als typisch vorausgesetzt - in ganz besonderem Maße straffällig geworden ist (vgl. hierzu auch Guild/Peers/Tomkin, a.a.O., S. 278; Azoulai, The (Mis)Construction of the European Individual, EUI Working Papers LAW 2014/14, insb. S. 15 ff.).
40 
Die Möglichkeit, den erhöhten Ausweisungsschutz nur dann zu bejahen, wenn im Einzelfall eine Integrationsprüfung im Verwaltungsverfahren für seinen Fortbestand streitet, erachtet der Senat nicht für zielführend. Dies trägt dem Schutzgedanken des Art. 28 Abs. 3 lit. a) der Richtlinie 2004/38 nicht in dem gebotenen Maße Rechnung.
41 
Zu einem wohnt einer solchen Prüfung zwangsläufig eine Rechtsunsicherheit inne, weil Integration etwas Tatsächliches ist, das nicht rechtlich einheitlich determiniert ist (vgl. insbesondere Azoulai, a.a.O., S. 4 ff.). Zum anderen sind die Bindungen des Betroffenen, die unter anderem seine soziale und kulturelle Integration im Aufnahmemitgliedstaat einschließen, nach Art. 28 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 unabhängig von der erreichten Stufe des Ausweisungsschutzes vor jeder Verfügung einer Ausweisung zu prüfen. Eine doppelte Integrationsprüfung im Rahmen einer einzigen Ausweisungsentscheidung entspricht nicht der Intention der Richtlinie.
42 
Im Übrigen würde die Notwendigkeit der Prüfung des Fortbestands der Integration im Rahmen des Art. 28 Abs. 3 lit. a) der Richtlinie 2004/38 dazu führen, dass Unionsbürger, deren Ausweisung aufgrund einer - der schon andauernden Strafvollstreckung nachfolgenden -Verwaltungsentscheidung verfügt wird, ohne sachlichen Grund gegenüber Unionsbürgern benachteiligt werden, die in einem Mitgliedstaat leben, der die Ausweisung im Wege der Strafe oder Nebenstrafe erlässt (vgl. Art. 33 der Richtlinie 2004/38 sowie auch unten zur vierten Vorlagefrage). Im Zeitpunkt der Verhängung der (Neben-) Strafe der Ausweisung dürfte es regelmäßig an einem Vollzug einer Freiheitsstrafe fehlen, so dass der Ausweisungsschutz schon im Ansatz keiner entsprechenden Relativierung zugänglich ist. Da die Richtlinie 2004/38 aber beide Verfahrensmöglichkeiten für eine Ausweisung gleichermaßen zulässt, steht Unionsrecht insoweit der Geltung unterschiedlicher materieller Schutzstandards entgegen.
43 
Schließlich kann es Gründe für eine Ausweisung geben, die von einer Freiheitsstrafe und deren Vollzug unabhängig sind und solches nicht voraussetzen, etwa wenn der Betreffende gegen gewichtige außenpolitische Interessen des Mitgliedstaats agiert. Eine Relativierung der Zehnjahresfrist je nach Art des Ausweisungsanlasses ist im Schutzkonzept des Art. 28 Abs. 3 lit. a) der Richtlinie 2004/38 aber nicht angelegt.
44 
5. Zur dritten Vorlagefrage
Aus dem Urteil Tsakouridis (Rn. 32 bis 34) ergibt sich, dass das ausschlaggebende Kriterium für die Gewährung des verstärkten Schutzes nach Art. 28 Abs. 3 lit. a) Richtlinie 2004/38, nämlich ob sich ein Unionsbürger in den letzten zehn Jahren vor der Ausweisung im Aufnahmemitgliedstaat aufgehalten hat, zu verneinen ist, wenn die zuvor mit diesem geknüpften Integrationsverbindungen abgerissen sind. Dies setzt dem Urteil zufolge eine umfassende Beurteilung unter Einbeziehung aller in jedem Einzelfall relevanten Umstände voraus, insbesondere die Dauer jeder einzelnen Abwesenheit des Betroffenen vom Aufnahmemitgliedstaat, die Gesamtdauer und die Häufigkeit der Abwesenheiten sowie die Gründe, die ihn dazu veranlasst haben, diesen Mitgliedstaat zu verlassen. Zu prüfen ist nämlich, ob die fraglichen Abwesenheiten bedeuten, dass sich der Mittelpunkt der persönlichen, familiären oder beruflichen Interessen des Betroffenen in einen anderen Mitgliedstaat verlagert hat. Auch nennt der EuGH als einen zu berücksichtigenden Umstand noch „die im Gefängnis verbrachte Zeit“ (a.a.O., Rn. 34).
45 
Der Gerichtshof bezieht sich im Urteil M.G. (Rn. 36) für die gebotene umfassende Beurteilung, ob die Integrationsverbindungen mit dem Aufnahmemitgliedstaat abgerissen sind, auf die vorstehenden Ausführungen unter Randnummer 34 des Urteils Tsakouridis. Die dort genannten Umstände sind jedoch auf einen Fall bezogen, indem der Betreffende mehrfach den Aufnahmemitgliedstaat tatsächlich verlassen hatte und in dem Land seiner Staatsangehörigkeit auch selbstständig berufstätig gewesen war, weshalb sich dann auch die vom Gerichtshof erörterte Frage einer Verlagerung des Lebensmittelpunktes in einen anderen Mitgliedstaat stellte. Sie passen nach Auffassung des vorlegenden Gerichts nicht, auch nicht entsprechend, für die Prüfung, ob trotz Verbüßung einer Freiheitsstrafe der Betreffende noch in den Genuss des besonderen Ausweisungsschutzes nach Art. 28 Abs. 3 lit. a) Richtlinie 2004/38 kommen kann.
46 
Während das Upper Tribunal (Immigration and Asylum Chamber) des Vereinten Königreiches bei der Prüfung, ob auch in Ansehung der Haft die Integrationsverbindungen dennoch in einer Weise bestehen, dass der Betroffene in den Genuss des verstärkten Ausweisungsschutzes nach Art. 28 Abs. 3 lit. a) der Richtlinie kommt, eine Abwägungsentscheidung unter Berücksichtigung aller für und gegen den Betreffenden sprechenden Gesichtspunkte aus seinem bisherigen Leben vornimmt und sich dabei wohl methodisch an Art. 8 EMRK bzw. 28 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 anlehnt (vgl. MG(prison-Article 28(3) (a) of Citizens Directive) Portugal [2014] UKUT 00392 (IAC); Entscheidung vom 18. September 2015 - Appeal Number DA/00115/2015), ist der Senat der Auffassung, dass es - sofern man eine Unterbrechung durch Haft überhaupt für relevant erachtet - der Feststellung von Kriterien bedarf, die auf die Strafhaft bezogen sind, um feststellen zu können, ob ausnahmsweise keine Unterbrechung der Integrationsverbindungen eintritt. Denn nach den Ausführungen des EuGH im Urteil M.G. ist nicht die Straftat als solche der Grund für die Diskontinuität, sondern die Strafhaft.
47 
Strafhaft umfasst nicht die Untersuchungshaft per se und auch nicht die Ersatzfreiheitsstrafe, die verhängt wird, weil eine Geldstrafe nicht bezahlt wird. Nach dem ab 1. Januar 1977 geltenden Strafvollzugsgesetz des Bundes - StVollzG - (BGBl I S. 581) und dem Justizvollzugsgesetzbuch für Baden-Württemberg - JVollzGB - vom 10. November 2009 (GBl. S. 545) bedeutet Strafhaft in Deutschland nicht, dass der Betreffende „weggesperrt“ wird und außerhalb der Gesellschaft steht. Ungeachtet dessen, dass Strafhaft aus Gründen des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit und der Generalprävention erfolgt, sind wesentliche Grundsätze des nationalen Strafvollzugs aber auch, dass das Leben im Vollzug den allgemeinen Lebensverhältnissen soweit als möglich angeglichen wird und im Vollzug der Freiheitsstrafe der Gefangene fähig werden soll, künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen (vgl. §§ 1, 2 JVollzGB Buch 3; ebenso §§ 2, 3 StVollzG).
48 
Diese Prinzipien und die konkrete Gestaltung des Strafvollzugs sind durch verfassungsrechtliche Wertentscheidungen und die Grundrechte, insbesondere die Achtung der Menschenwürde und die Wahrung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, determiniert (vgl. etwa BVerfG, Beschluss vom 18. März 2015 - 2 BvR 1111/13 -, juris Rn. 30 ff.).
49 
Das Strafvollzugsrecht geht auch davon aus, dass der Gefangene an der Gestaltung seiner Behandlung und an der Erreichung des Vollzugsziels mitwirkt (§ 3 JVollzGB Buch 3; § 4 StVollzG). Für den Ablauf des Vollzugs wird ein Vollzugsplan erstellt, der mit dem Gefangenen zu erörtern ist, und der in regelmäßigen Abständen zu überprüfen ist (§ 5 JVollzGB Buch 3; § 7 StVollzG). Arbeit, arbeitstherapeutische Beschäftigung, Ausbildung und Weiterbildung einschließlich der Möglichkeit, anerkannte Schulabschlüsse zu erreichen, dienen insbesondere dem Ziel, Fähigkeiten für eine Erwerbstätigkeit nach der Entlassung zu vermitteln, zu erhalten oder zu fördern (im Einzelnen §§ 42 ff. JVollzGB Buch 3; §§ 37 ff. StVollzG). Der deutsche Strafvollzug kennt ferner die Möglichkeit einer Unterbringung im offenen Vollzug, Lockerungen im Strafvollzug wie insbesondere die Berufstätigkeit außerhalb der Strafanstalt mit oder ohne Aufsicht, Ausgang oder Urlaub aus der Haft; sozialtherapeutische Einrichtungen sind auf Gefangene ausgerichtet, die zur Resozialisierung besonderer therapeutischer Mittel und sozialer Hilfen bedürfen (vgl. §§ 7 ff. JVollzGB Buch 3; §§ 10 ff. StVollzG). Besuch, Telekommunikation und Schriftwechsel dienen der Pflege der sozialen Beziehungen des Gefangenen (§§ 19 ff. JVollzGB Buch 3; §§ 23 ff. StVollzG).
50 
Ausgehend hiervon kommen nach Auffassung des Senats neben der Dauer der Strafhaft vor allem folgende Kriterien in Betracht: Art des Vollzugs, Auseinandersetzung mit und Aufarbeitung der Straftat, allgemeines Verhalten im Vollzug, Annahme und Durchführung von therapeutischen Angeboten, die seitens der Justizvollzugsanstalt befürwortet werden, Arbeitseinsatz, Teilnahme an Maßnahmen der schulischen Bildung und der beruflichen Aus- und Weiterbildung, Mitwirkung beim Vollzugsplan und der Erreichung der Ziele nach dem Vollzugsplan sowie Aufrechterhaltung von persönlichen und familiären Bindungen im Aufnahmemitgliedstaat.
51 
6. Zur vierten Vorlagefrage
Der EuGH erachtet im Urteil M.G. (Rn. 35) für die Frage, inwieweit die Diskontinuität des Aufenthalts in den letzten zehn Jahren vor der Ausweisung des Betroffenen diesen daran hindert, in den Genuss des verstärkten Schutzes zu kommen, eine umfassende Beurteilung der Situation des Betroffenen jeweils zu dem „genauen Zeitpunkt, zu dem sich die Frage der Ausweisung stellt“ für maßgeblich.
52 
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ergeben sich weder aus dem nationalen Recht noch aus Unionsrecht Vorgaben für den Zeitpunkt, zu dem die Behörde die Verlustfeststellung nach § 6 FreizügG/EU ausspricht (BVerwG, Beschluss vom 11. September 2015 - 1 B 39/15 [ECLI:DE:BVerwG:2015:110915B1B39.15.0] - Rn. 21, InfAuslR 2016, 1). Das BVerwG weist unter Bezugnahme auf M.G. (Rn. 35) und Tsakouridis (Rn. 32) darauf hin, dass dem EuGH zufolge eine umfassende Beurteilung der Situation des Betroffenen jeweils zu dem genauen Zeitpunkt vorzunehmen sei, zu dem sich die Frage der Ausweisung stelle und dass sich aus dieser Rechtsprechung (Tsakouridis Rn. 12 f.; ähnlich P.I. Rn. 10 f.) zudem ergebe, dass der EuGH keine Einwände gegen eine Verlustfeststellung nach Verbüßung von weniger als zwei Jahren einer auf insgesamt sechs Jahre und sechs Monate festgesetzten Haftstrafe erhoben habe. Legt man dies zugrunde, so kann dies zu folgenden Konsequenzen führen:
53 
Erlässt die Ausländerbehörde sehr zeitnah die Verlustfeststellung, ist die Dauer der Strafhaft möglicherweise noch relativ kurz. Wartet sie hingegen zunächst die Entwicklung des Unionsbürgers im Strafvollzug ab, z. B. weil er dort eine Therapie aufgenommen hat, kann dies einerseits zu seinen Gunsten wirken, weil ggfs. eine Verminderung der von ihm ausgehenden Gefahr eintritt. Ein vorläufiges Abwarten der Ausländerbehörde kann sich aber auch zum Nachteil des Unionsbürgers auswirken, weil dann die Dauer der in Strafhaft verbrachten Zeit, die der EuGH als ein Kriterium im Rahmen der Prüfung des Abreißens der mit dem Aufnahmemitgliedstaat geknüpften Integrationsverbindungen ansieht, zunimmt.
54 
Denkbar wäre ferner in Anknüpfung an die Entscheidung Orfanopoulos und Oliveri (Rn. 77 ff.), sogar stets als maßgebenden Zeitpunkt auch für die Frage, ob sich ein Unionsbürger auf den Ausweisungsschutz nach Art. 28 Abs. 3 lit. a) der Richtlinie 2004/38 berufen kann, denjenigen der mündlichen Verhandlung bzw. Entscheidung des Tatsachengerichts anzusehen (so OVG Saarland, Urteil vom 30. April 2015 - 2 A 265/14 -, UA S. 21 ff.).
55 
Da der Betroffene die Dauer eines gerichtlichen Verfahrens nicht in der Hand hat, kann ein längerer Zeitraum zwischen dem Erlass der Ausweisungsverfügung und der Beurteilung dieser Verfügung durch das zuständige Gericht zur Folge haben, dass mit zunehmender Dauer der Haft die Diskontinuität des Aufenthalts zunimmt und dies - gemeinsam mit weiteren Faktoren wie etwa dem Verhalten in der Haft - dazu führen kann, dass das Gericht zu einer (nunmehr vorliegenden) Desintegration gelangt.
56 
In Mitgliedstaaten, in denen die Ausweisung als Strafe oder als Nebenstrafe zu einer Freiheitsstrafe erfolgen kann, müssen nach Art. 33 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 die Voraussetzungen der Artikel 27, 28 und 29 eingehalten werden, womit sich die Frage des entscheidungserheblichen Zeitpunkts für das Vorliegen des besonderen Ausweisungsschutzes nach Art. 28 Abs. 3 lit. a) der Richtlinie 2004/38 ebenfalls stellt. So kennt beispielsweise das französische Recht neben der Ausweisung durch Verwaltungsentscheidung auch für Unionsbürger die sog. l’interdiction judiciare du territoire français (ITF), allgemein als Nebenstrafe, eventuell auch als Hauptstrafe, die durch den Strafrichter verhängt wird (vgl. Article 131-30 ff. code pénal sowie Gisti, Les cahiers juridiques, Les droits des citoyens et des citoyennes, Octobre 2014, p. 36 ff., 40; Gisti, Les cahiers juridiques, La double peine judiciaire, L’interdiction du territoire français, 2008, p. 8 ff.).
57 
Auch mit Blick auf die unterschiedlichen Entscheidungssysteme bedarf es der Klärung, welches der für die Sach- und Rechtslage maßgebende Zeitpunkt ist, um festzustellen, ob dem Betroffenen der erhöhte Ausweisungsschutz nach Art. 28 Abs. 3 lit. a) der Richtlinie 2004/38 zusteht. Nach Auffassung des Senats handelt es sich bei der Frage der Bestimmung des maßgeblichen Zeitpunkts, zu dem sich die Frage der Ausweisung stellt, nicht nur um eine Ausgestaltung des innerstaatlichen Gerichtsverfahrensrechts, die allein an den Grundsätzen der Effektivität und Äquivalenz zu messen wäre (EuGH, Urteil vom 14. Dezember 1995 - C-430/93 und C-431/93 [ECLI: EU:C:1995:441] - mit weiteren Nachweisen). Vielmehr wird mit der Bestimmung dieses maßgeblichen Zeitpunkts das materielle Schutzniveau, das dem Unionsbürger zugutekommen soll, festgelegt. Dieses Schutzniveau darf nach der Überzeugung des Senats nicht von der Ausgestaltung des Prozessrechts des jeweiligen Mitgliedstaats abhängen (siehe auch oben Rn. 42 zu Frage 2). Ungeachtet der aufgezeigten Schwäche (siehe oben Rn. 55) erachtet der Senat für die Prüfung, ob die Integrationsverbindungen trotz der Verbüßung von Strafhaft nicht unterbrochen sind, den Zeitpunkt der tatrichterlichen Entscheidung als am ehesten geeignet, um eine unionsweit gleichmäßige Handhabung des Art. 28 der Richtlinie 2004/38 sicherzustellen.
58 
III.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar.
Der Senat ersucht den Gerichtshof nach Artikel 95 Absatz 2 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs der Europäischen Union den Namen des Klägers des Ausgangsverfahrens sowie dessen Aufenthaltsort vor der Inhaftierung zu anonymisieren.

(1) Das Urteil ergeht "Im Namen des Volkes". Es ist schriftlich abzufassen und von den Richtern, die bei der Entscheidung mitgewirkt haben, zu unterzeichnen. Ist ein Richter verhindert, seine Unterschrift beizufügen, so wird dies mit dem Hinderungsgrund vom Vorsitzenden oder, wenn er verhindert ist, vom dienstältesten beisitzenden Richter unter dem Urteil vermerkt. Der Unterschrift der ehrenamtlichen Richter bedarf es nicht.

(2) Das Urteil enthält

1.
die Bezeichnung der Beteiligten, ihrer gesetzlichen Vertreter und der Bevollmächtigten nach Namen, Beruf, Wohnort und ihrer Stellung im Verfahren,
2.
die Bezeichnung des Gerichts und die Namen der Mitglieder, die bei der Entscheidung mitgewirkt haben,
3.
die Urteilsformel,
4.
den Tatbestand,
5.
die Entscheidungsgründe,
6.
die Rechtsmittelbelehrung.

(3) Im Tatbestand ist der Sach- und Streitstand unter Hervorhebung der gestellten Anträge seinem wesentlichen Inhalt nach gedrängt darzustellen. Wegen der Einzelheiten soll auf Schriftsätze, Protokolle und andere Unterlagen verwiesen werden, soweit sich aus ihnen der Sach- und Streitstand ausreichend ergibt.

(4) Ein Urteil, das bei der Verkündung noch nicht vollständig abgefaßt war, ist vor Ablauf von zwei Wochen, vom Tag der Verkündung an gerechnet, vollständig abgefaßt der Geschäftsstelle zu übermitteln. Kann dies ausnahmsweise nicht geschehen, so ist innerhalb dieser zwei Wochen das von den Richtern unterschriebene Urteil ohne Tatbestand, Entscheidungsgründe und Rechtsmittelbelehrung der Geschäftsstelle zu übermitteln; Tatbestand, Entscheidungsgründe und Rechtsmittelbelehrung sind alsbald nachträglich niederzulegen, von den Richtern besonders zu unterschreiben und der Geschäftsstelle zu übermitteln.

(5) Das Gericht kann von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe absehen, soweit es der Begründung des Verwaltungsakts oder des Widerspruchsbescheids folgt und dies in seiner Entscheidung feststellt.

(6) Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle hat auf dem Urteil den Tag der Zustellung und im Falle des § 116 Abs. 1 Satz 1 den Tag der Verkündung zu vermerken und diesen Vermerk zu unterschreiben. Werden die Akten elektronisch geführt, hat der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle den Vermerk in einem gesonderten Dokument festzuhalten. Das Dokument ist mit dem Urteil untrennbar zu verbinden.

(1) Gegen Endurteile einschließlich der Teilurteile nach § 110 und gegen Zwischenurteile nach den §§ 109 und 111 steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie von dem Verwaltungsgericht oder dem Oberverwaltungsgericht zugelassen wird.

(2) Die Berufung ist nur zuzulassen,

1.
wenn ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,
2.
wenn die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,
3.
wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
4.
wenn das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
5.
wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(1) Das Gericht erforscht den Sachverhalt von Amts wegen; die Beteiligten sind dabei heranzuziehen. Es ist an das Vorbringen und an die Beweisanträge der Beteiligten nicht gebunden.

(2) Ein in der mündlichen Verhandlung gestellter Beweisantrag kann nur durch einen Gerichtsbeschluß, der zu begründen ist, abgelehnt werden.

(3) Der Vorsitzende hat darauf hinzuwirken, daß Formfehler beseitigt, unklare Anträge erläutert, sachdienliche Anträge gestellt, ungenügende tatsächliche Angaben ergänzt, ferner alle für die Feststellung und Beurteilung des Sachverhalts wesentlichen Erklärungen abgegeben werden.

(4) Die Beteiligten sollen zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung Schriftsätze einreichen. Hierzu kann sie der Vorsitzende unter Fristsetzung auffordern. Die Schriftsätze sind den Beteiligten von Amts wegen zu übermitteln.

(5) Den Schriftsätzen sind die Urkunden oder elektronischen Dokumente, auf die Bezug genommen wird, in Abschrift ganz oder im Auszug beizufügen. Sind die Urkunden dem Gegner bereits bekannt oder sehr umfangreich, so genügt die genaue Bezeichnung mit dem Anerbieten, Einsicht bei Gericht zu gewähren.

Tenor

Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 10.November 2008 – 12 K 5012/07 – wird abgelehnt.

Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 21.692,33 EUR festgesetzt.

Gründe

 
Der Antrag, mit dem die Zulassungsgründe der ernstlichen Zweifel (§ 124 Abs. 2 VwGO) und der besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) in Anspruch genommen werden, hat keinen Erfolg.
1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) liegen vor, wenn unter Berücksichtigung der vom Antragsteller dargelegten Gesichtspunkte (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) die Richtigkeit des angefochtenen Urteils weiterer Prüfung bedarf, ein Erfolg der angestrebten Berufung nach den Erkenntnismöglichkeiten des Zulassungsverfahrens mithin möglich ist (vgl. BVerwG, B. v. 10.03.2004 - 7 AV 4.03 - DVBl 2004, 838 f., v. 15.12.2003 - 7 AV 2.03 - NVwZ 2004, 744 f., B. v. 12.11.2002 - 7 AV 4.02 - juris, B. v. 11.11.2002 - 7 AV 3.02 - DVBl 2003, 401 f.; B. v. 14.06.2002 - 7 AV 1.02 - DVBl 2002, 1556 f.); sie sind immer schon dann begründet, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird (vgl. BVerfG, B. v. 03.03.2004 - 1 BvR 461/03 – juris; B. v. 23.06.2000 - 1 BvR 830/00 - DVBl 2000, 1458 ff.), es sei denn, es lässt sich schon im Zulassungsverfahren zuverlässig sagen, das Verwaltungsgericht habe die Rechtssache im Ergebnis richtig entschieden und die angestrebte Berufung werde deshalb voraussichtlich keinen Erfolg haben (vgl. BVerwG, B. v. 10.03.2004 a.a.O.), sofern nicht seinerseits die anderen Gründe wiederum auf einen anderen Zulassungsgrund hinführen würden. Zur Darlegung ernstlicher Zweifel (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) ist eine substantiierte Auseinandersetzung mit der angegriffenen Entscheidung erforderlich.
Gemessen hieran begegnet das Urteil keinen ernstlichen Zweifeln.
Das angegriffene Urteil geht zunächst im Anschluss an das von Verwaltungsgericht eingeholte Gutachten Prof. Dr. S. davon aus, dass die von der Klägerin geltend gemachten Kosten für Behandlung entstanden sind, die auf wissenschaftlich nicht allgemein anerkannten Methoden beruhen und daher keine notwendigen Aufwendungen darstellen. Diese Einschätzung wird mit dem Zulassungsantrag nicht erfolgreich infrage gestellt. Das Gutachten geht davon aus, dass sich zwar teilweise eine „prinzipielle Wirksamkeit“ im Labor gezeigt habe und auch eine begrenzte klinische Erfahrung an Patientinnen belegt sei (vgl. S. 14 des Gutachtens). In Ermangelung bislang nicht durchgeführter großer randomisierter und kontrollierter „Phase III-Studien“ könne von einer allgemein anerkannten wissenschaftlichen Methode nicht gesprochen werden, was nur dann der Fall sei, wenn ein spürbar positives Einwirken auf den Krankheitsverlauf wissenschaftlich gesichert sei. Noch viel weniger sei dies dann anzunehmen, wenn noch nicht einmal größere „Phase II-Studien“ durchgeführt worden seien (vgl. S. 12 und 13). Dass, wie die Klägerin in der Begründung des Zulassungsantrags meint, „eine wissenschaftliche Anerkennung jedenfalls in der Zukunft durchaus möglich und von dem Gutachten nicht ausgeschlossen“ werde, macht diese nicht schon heute zu einer anerkannten wissenschaftlichen Methode.
Was die allgemeine wissenschaftliche Anerkennung und die Wirksamkeit der vom Gutachter vorgeschlagenen Behandlungsmethoden betrifft, werden diese im Anschluss an das Gutachten vom Verwaltungsgericht bejaht, ohne dass insoweit ernstliche Zweifel aufgezeigt werden bzw. vorliegen. Die Klägerin beanstandet in diesem Zusammenhang zunächst unter Bezugnahme auf ihre Ausführungen in dem im verwaltungsgerichtlichen Verfahren eingereichten Schriftsatz vom 11.03.2008, das Gutachten und ihm folgend das angegriffene Urteil hätten übersehen, dass angesichts der bei ihr festgestellten „survivin-positiven“ Zellen eine Chemotherapie bzw. Strahlentherapie keinen Sinn gemacht hätte. Es kann in diesem Zusammenhang schon nicht davon ausgegangen werden, dass der Gutachter dieses Vorbringen nicht zur Kenntnis genommen und wissenschaftlich gewürdigt hat. Denn dieser Sachverhalt war Gegenstand des Schreibens von Dr. K. vom 17.02.2005 an die Klägerin. Im Gutachten wird aber ausdrücklich hierauf Bezug genommen (vgl. S. 5) und es erfolgt eine Auseinandersetzung mit den hierin enthaltenen Therapievorschlägen von Dr. K.. Ungeachtet dessen und unabhängig hiervon sind auch aus einem weiteren Grund insoweit keine ernstlichen Zweifel begründet. Dies ergibt sich aus folgendem: Der Senat geht zwar zugunsten der Klägerin davon aus, dass im Rahmen des geltend gemachten Zulassungsrundes der ernstlichen Zweifel auch Verfahrensfehler im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO, insbesondere eine Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht in zulässiger Weise gerügt werden können. In jedem Fall können dann aber Unterlassungen im verwaltungsgerichtlichen Verfahren, die dem Erfolg einer Aufklärungsrüge entgegenstehen würden, nicht unbeachtet bleiben. Denn eine Verletzung der Aufklärungspflicht kann nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nur dann mit Erfolg gerügt werden, wenn ein anwaltlich vertretener Beteiligter entweder bereits im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht in der mündlichen Verhandlung durch die Stellung eines Beweisantrags auf die Vornahme der Sachverhaltsaufklärung, deren Unterbleiben nunmehr gerügt wird, hingewirkt hatte oder sich dem Verwaltungsgericht die bezeichneten Ermittlungen auch ohne ein solches Hinwirken von sich aus hätten aufdrängen müssen (vgl. BVerwG, B.v. 22.02.1988 - 7 B 28.88 - NVwZ 1988, 1020; v. 01.03.2001 - 6 B 6.01 - NVwZ 2001, 923; v. 25.01.2005 - 9 B 38.04 - NVwZ 2005, 447). Die Aufklärungsrüge stellt kein Mittel dar, um Versäumnisse eines Verfahrensbeteiligten in der Tatsacheninstanz, vor allem das Unterlassen der Stellung von Beweisanträgen und weitere die Sachverhaltsermittlung anstoßende Anträge, zu kompensieren. Mit dem Verweis auf eine Antragstellung in der mündlichen Verhandlung wird den Beteiligten in zumutbarer Weise angesonnen, ihr bisheriges Vorbringen kritisch zu sichten und nach dem aktuellen Stand der schriftsätzlichen Auseinandersetzung sowie dem Zwischenergebnis der mündlichen Verhandlung eine aktuelle Entscheidung zu treffen, ob eine weitere Sachverhaltsaufklärung überhaupt noch erforderlich ist. Zwar wurde hier im Schriftsatz vom 11.03.2008 pauschal die Einholung eines Sachverständigengutachtens beantragt, was dann später vom Gericht auch veranlasst wurde. Ein weiterer Antrag wurde im Anschluss an die Einholung des Gutachtens nach der über die mündliche Verhandlung gefertigten Niederschrift nicht gestellt. In diesem Zusammenhang genügt ein lediglich schriftsätzlich angekündigter Antrag den genannten Anforderungen nicht (vgl. BVerwG, B.v. 06.03.1995 – 6 B 81.94 – Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 265; B.v. 10.10.2002 – 9 BN 2.01 – NVwZ-RR 2002, 140). Gleichermaßen wurde zu keinem Zeitpunkt ein Antrag gestellt, den Gutachter zur Erläuterung seines Gutachtens in die mündliche Verhandlung zu laden (vgl. § 98 VwGO i.V.m. § 411 Abs. 3 ZPO; vgl. zu den Substantiierungsanforderungen BVerwG, B.v. 21.09.1994 – 1 B 131.93 – Buchholz 310 § 98 VwGO Nr. 46; v. 19.03.1996 - 11 B 9.96 - NJW 1996, 2318; v. 16.07.2008 – 2 B 55.07 – Buchholz 310 § 98 VwGO Nr. 95).
Das Gleiche gilt für die Bewertung des Umstandes, dass die Klägerin an einem Tumor erkrankt war, der zu einer Subgruppe von etwa 1 bis 2 % aller Mammakarzinome zählt. Wenn die Schlussfolgerung des Gutachters (vgl. S. 8), wonach es sich bei dieser „sehr wahrscheinlich“ (und nicht nur „wahrscheinlich“, wie im Schriftsatz vom 07.10.2008 eingewandt wurde) um eine Untergruppe des duktal-invasiven Mammakarzinoms handele, infrage gestellt wird, insbesondere auch bezweifelt wird, dass hier eine wissenschaftlich allgemein anerkannte Behandlungsmethode bestehe, so war gleichfalls ein Antrag auf Erläuterung des Gutachtens nicht gestellt worden. Eine entsprechende weitere Aufklärung musste sich insoweit dem Gericht nicht aufdrängen, weil der Gutachter des Gerichtes im Gegensatz zu dem früher in einem anderen Verfahren eingeholten Gutachten Prof. Dr. B. sich offenbar zu einer eindeutigen Aussage in der Lage sah.
Wenn beanstandet wird, der Gutachter habe auf Seite 14 seines Gutachtens, keine gesicherte Eignung zu einer definitiven Ausheilung habe bestätigen könne, so übersieht die Klägerin, dass der Gutachter sich an dieser Stelle zu den Therapievorschlägen von Dr. K. äußert und nicht zu denen des Gutachters.
Der Umstand, dass der Gutachter etwa davon spricht, dass infolge einer Chemotherapie ein günstiger Einfluss „erwartet“ werden könne (vgl. S. 8/9), lässt keinen Schluss darauf zu, dass der Gutachter selbst davon ausgeht, dass insoweit keine wissenschaftlich anerkannte Behandlungsmethode vorliegen könnte. Denn insoweit kann der Gutachter aufgrund des bisherigen wissenschaftlichen Erfahrungswissens lediglich eine Prognose abgeben, die im Ergebnis auch einen Misserfolg beinhalten kann. Denn eine absolute Gewissheit kann hier nicht bestehen und selbstverständlich auch nicht gefordert werden.
Ist die Annahme des Verwaltungsgerichts, es bestehe eine wissenschaftlich allgemein anerkannte Behandlungsmethode, mit erfolgreichen Rügen nicht infrage gestellt, so kommt es auf die Frage, ob nach Maßgabe der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. B.v. 06.12.2005 – 1 BvR 347/98) ausnahmsweise eine Beihilfefähigkeit auch wissenschaftlich nicht allgemein anerkannter Behandlungsmethoden bejaht werden muss, nicht mehr an.
10 
2. Die Annahme besonderer tatsächlicher oder rechtlicher Schwierigkeiten im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO setzt voraus, dass der Rechtssache nicht nur allgemeine oder durchschnittliche Schwierigkeiten zukommt. Dieser Zulassungsgrund liegt nur dann vor, wenn sich der konkret zu entscheidende Fall in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht von dem Spektrum der in verwaltungsgerichtlichen Verfahren zu entscheidenden Streitfällen deutlich abhebt und sich gerade die diesbezüglichen Fragen im Berufungsverfahren stellen werden (vgl. VGH Baden-Württemberg, B.v. 21.09.2005 – 9 S 437/05 – NVwZ-RR 2006, 255; v. 22.04.1997 – 14 S 913/97 – NVwZ 1997, 1230; vgl. auch BVerfG, Kammerb. v. 23.06.2000 – 1 BvR 830/00 – NVwZ 2000, 1163). Den Darlegungserfordernissen ist hierbei nur genügt, wenn in fallbezogener Auseinandersetzung mit dem Urteil des Verwaltungsgerichts dargetan wird, inwieweit sich die benannten Schwierigkeiten in Vergleich mit Verfahren durchschnittlicher Schwierigkeit als "besondere" darstellen und für die Entscheidung des Rechtsstreits erheblich sein werden (vgl. VGH Baden-Württemberg, B.v. 10.06.1997 – 7 S 662/97 – NVwZ-RR 1998, 31). Dabei kann im Einzelfall dem Darlegungserfordernis genügt sein, wenn auf eine (tatsächlich auch vorliegende) besonders aufwändige und eingehende Begründung in der angegriffenen Entscheidung verwiesen wird (vgl. BVerfG, Kammerb. v. 23.06.2000 – 1 BvR 830/00 – NVwZ 2000, 1163). In Anbetracht des eher geringen Gewichts der oben unter 1) behandelten Einwände, die keine grundlegenden Fragestellungen als noch unbeantwortet erscheinen lassen, sind solche besonderen Schwierigkeiten nicht gegeben.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
12 
Die Streitwertfestsetzung findet ihre Grundlage in § 63 Abs. 2, § 47 sowie § 52 Abs. 3 GKG.
13 
Der Beschluss ist unanfechtbar.

(1) Das Verwaltungsgericht lässt die Berufung in dem Urteil zu, wenn die Gründe des § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 vorliegen. Das Oberverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden. Zu einer Nichtzulassung der Berufung ist das Verwaltungsgericht nicht befugt.

(2) Die Berufung ist, wenn sie von dem Verwaltungsgericht zugelassen worden ist, innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils bei dem Verwaltungsgericht einzulegen. Die Berufung muss das angefochtene Urteil bezeichnen.

(3) Die Berufung ist in den Fällen des Absatzes 2 innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht zugleich mit der Einlegung der Berufung erfolgt, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden des Senats verlängert werden. Die Begründung muss einen bestimmten Antrag enthalten sowie die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe). Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung unzulässig.

(4) Wird die Berufung nicht in dem Urteil des Verwaltungsgerichts zugelassen, so ist die Zulassung innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils zu beantragen. Der Antrag ist bei dem Verwaltungsgericht zu stellen. Er muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Die Stellung des Antrags hemmt die Rechtskraft des Urteils.

(5) Über den Antrag entscheidet das Oberverwaltungsgericht durch Beschluss. Die Berufung ist zuzulassen, wenn einer der Gründe des § 124 Abs. 2 dargelegt ist und vorliegt. Der Beschluss soll kurz begründet werden. Mit der Ablehnung des Antrags wird das Urteil rechtskräftig. Lässt das Oberverwaltungsgericht die Berufung zu, wird das Antragsverfahren als Berufungsverfahren fortgesetzt; der Einlegung einer Berufung bedarf es nicht.

(6) Die Berufung ist in den Fällen des Absatzes 5 innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Berufung zu begründen. Die Begründung ist bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Absatz 3 Satz 3 bis 5 gilt entsprechend.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Sind Gebühren, die sich nach dem Streitwert richten, mit der Einreichung der Klage-, Antrags-, Einspruchs- oder Rechtsmittelschrift oder mit der Abgabe der entsprechenden Erklärung zu Protokoll fällig, setzt das Gericht sogleich den Wert ohne Anhörung der Parteien durch Beschluss vorläufig fest, wenn Gegenstand des Verfahrens nicht eine bestimmte Geldsumme in Euro ist oder gesetzlich kein fester Wert bestimmt ist. Einwendungen gegen die Höhe des festgesetzten Werts können nur im Verfahren über die Beschwerde gegen den Beschluss, durch den die Tätigkeit des Gerichts aufgrund dieses Gesetzes von der vorherigen Zahlung von Kosten abhängig gemacht wird, geltend gemacht werden. Die Sätze 1 und 2 gelten nicht in Verfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit.

(2) Soweit eine Entscheidung nach § 62 Satz 1 nicht ergeht oder nicht bindet, setzt das Prozessgericht den Wert für die zu erhebenden Gebühren durch Beschluss fest, sobald eine Entscheidung über den gesamten Streitgegenstand ergeht oder sich das Verfahren anderweitig erledigt. In Verfahren vor den Gerichten für Arbeitssachen oder der Finanzgerichtsbarkeit gilt dies nur dann, wenn ein Beteiligter oder die Staatskasse die Festsetzung beantragt oder das Gericht sie für angemessen hält.

(3) Die Festsetzung kann von Amts wegen geändert werden

1.
von dem Gericht, das den Wert festgesetzt hat, und
2.
von dem Rechtsmittelgericht, wenn das Verfahren wegen der Hauptsache oder wegen der Entscheidung über den Streitwert, den Kostenansatz oder die Kostenfestsetzung in der Rechtsmittelinstanz schwebt.
Die Änderung ist nur innerhalb von sechs Monaten zulässig, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat.

(1) Im Rechtsmittelverfahren bestimmt sich der Streitwert nach den Anträgen des Rechtsmittelführers. Endet das Verfahren, ohne dass solche Anträge eingereicht werden, oder werden, wenn eine Frist für die Rechtsmittelbegründung vorgeschrieben ist, innerhalb dieser Frist Rechtsmittelanträge nicht eingereicht, ist die Beschwer maßgebend.

(2) Der Streitwert ist durch den Wert des Streitgegenstands des ersten Rechtszugs begrenzt. Das gilt nicht, soweit der Streitgegenstand erweitert wird.

(3) Im Verfahren über den Antrag auf Zulassung des Rechtsmittels und im Verfahren über die Beschwerde gegen die Nichtzulassung des Rechtsmittels ist Streitwert der für das Rechtsmittelverfahren maßgebende Wert.

(1) In Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen.

(2) Bietet der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, ist ein Streitwert von 5 000 Euro anzunehmen.

(3) Betrifft der Antrag des Klägers eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf bezogenen Verwaltungsakt, ist deren Höhe maßgebend. Hat der Antrag des Klägers offensichtlich absehbare Auswirkungen auf künftige Geldleistungen oder auf noch zu erlassende, auf derartige Geldleistungen bezogene Verwaltungsakte, ist die Höhe des sich aus Satz 1 ergebenden Streitwerts um den Betrag der offensichtlich absehbaren zukünftigen Auswirkungen für den Kläger anzuheben, wobei die Summe das Dreifache des Werts nach Satz 1 nicht übersteigen darf. In Verfahren in Kindergeldangelegenheiten vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit ist § 42 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 3 entsprechend anzuwenden; an die Stelle des dreifachen Jahresbetrags tritt der einfache Jahresbetrag.

(4) In Verfahren

1.
vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit, mit Ausnahme der Verfahren nach § 155 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung und der Verfahren in Kindergeldangelegenheiten, darf der Streitwert nicht unter 1 500 Euro,
2.
vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit und bei Rechtsstreitigkeiten nach dem Krankenhausfinanzierungsgesetz nicht über 2 500 000 Euro,
3.
vor den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit über Ansprüche nach dem Vermögensgesetz nicht über 500 000 Euro und
4.
bei Rechtsstreitigkeiten nach § 36 Absatz 6 Satz 1 des Pflegeberufegesetzes nicht über 1 500 000 Euro
angenommen werden.

(5) Solange in Verfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit der Wert nicht festgesetzt ist und sich der nach den Absätzen 3 und 4 Nummer 1 maßgebende Wert auch nicht unmittelbar aus den gerichtlichen Verfahrensakten ergibt, sind die Gebühren vorläufig nach dem in Absatz 4 Nummer 1 bestimmten Mindestwert zu bemessen.

(6) In Verfahren, die die Begründung, die Umwandlung, das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Beendigung eines besoldeten öffentlich-rechtlichen Dienst- oder Amtsverhältnisses betreffen, ist Streitwert

1.
die Summe der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen, wenn Gegenstand des Verfahrens ein Dienst- oder Amtsverhältnis auf Lebenszeit ist,
2.
im Übrigen die Hälfte der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen.
Maßgebend für die Berechnung ist das laufende Kalenderjahr. Bezügebestandteile, die vom Familienstand oder von Unterhaltsverpflichtungen abhängig sind, bleiben außer Betracht. Betrifft das Verfahren die Verleihung eines anderen Amts oder den Zeitpunkt einer Versetzung in den Ruhestand, ist Streitwert die Hälfte des sich nach den Sätzen 1 bis 3 ergebenden Betrags.

(7) Ist mit einem in Verfahren nach Absatz 6 verfolgten Klagebegehren ein aus ihm hergeleiteter vermögensrechtlicher Anspruch verbunden, ist nur ein Klagebegehren, und zwar das wertmäßig höhere, maßgebend.

(8) Dem Kläger steht gleich, wer sonst das Verfahren des ersten Rechtszugs beantragt hat.

Tenor

Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 31. Mai 2016 - 9 K 3187/15 - wird abgelehnt.

Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 10.000,- EUR festgesetzt.

Gründe

Der nach § 124a Abs. 4 Sätze 1 und 4 VwGO rechtzeitig gestellte und begründete, auf die Zulassungsgründe der ernstlichen Zweifel (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), der besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO), der grundsätzlichen Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) sowie des Verfahrensfehlers (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO) einer Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör gestützte Antrag bleibt ohne Erfolg.
1. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) liegen vor, wenn unter Berücksichtigung der vom Antragsteller dargelegten Gesichtspunkte (§ 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) die Richtigkeit des angefochtenen Urteils weiterer Prüfung bedarf, ein Erfolg der angestrebten Berufung nach den Erkenntnismöglichkeiten des Zulassungsverfahrens mithin möglich ist (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 10.03.2004 - 7 AV 4.03 -, DVBl. 2004, 838, vom 15.12.2003 - 7 AV 2.03 -, NVwZ 2004, 744, vom 12.11.2002 - 7 AV 4.02 -, juris, vom 11.11.2002 - 7 AV 3.02 -, DVBl. 2003, 401, und vom 14.06.2002 - 7 AV 1.02 -, DVBl. 2002, 1556). Mit anderen Worten: Sie sind immer schon dann begründet, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird (vgl. BVerfG, Beschluss vom 03.03.2004 - 1 BvR 461/03 -, NJW 2004, 2510, Kammerbeschluss vom 20.12.2010 - 1 BvR 2011/10 -, NVwZ 2011, 546). Dabei ist davon auszugehen, dass das Zulassungsverfahren das Berufungsverfahren nicht vorwegnehmen soll (BVerfG, Kammerbeschluss vom 21.12.2009 - 1 BvR 812/09 -, NJW 2010, 1062), es sei denn, es lässt sich schon im Zulassungsverfahren zuverlässig sagen, das Verwaltungsgericht habe die Rechtssache im Ergebnis richtig entschieden und die angestrebte Berufung werde deshalb keinen Erfolg haben (vgl. BVerwG, Beschluss vom 10.03.2004, a.a.O.), sofern nicht seinerseits andere Gründe wiederum auf einen anderen Zulassungsgrund hinführen würden (vgl. hierzu Bader u.a., VwGO, 6. Aufl., § 124 Rdn. 22). Dabei sind auch nach Erlass der angegriffenen Entscheidung und bis zum Ablauf der gesetzlichen Begründungsfrist (vgl. § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO) neu eingetretene Tatsachen sowie erhebliche Änderungen des maßgeblichen Rechts zu berücksichtigen (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 14.06.2002 und vom 15.12.2003, jew. a.a.O.; Bader u.a., a.a.O., § 124 Rn. 26 ff.). Zur Darlegung ernstlicher Zweifel ist eine substantiierte Auseinandersetzung mit der angegriffenen Entscheidung erforderlich. Der Streitstoff muss dabei unter konkreter Auseinandersetzung mit dem angefochtenen Urteil gesichtet, rechtlich durchdrungen und aufbereitet werden; erforderlich ist eine fallbezogene Begründung, die dem Berufungsgericht eine Beurteilung der Zulassungsfrage ohne weitere eigene aufwendige Ermittlungen ermöglicht. Das Maß der zu leistenden Substantiierung kann dabei von der jeweiligen Begründungsdichte und dem Begründungsaufwand der Entscheidung abhängig sein.
Gemessen hieran zeigt die Antragsbegründung nicht auf, dass das angegriffene Urteil ernstlich zweifelhaft sein könnte. Es fehlt hier jede nähere Auseinandersetzung mit der ausführlichen Begründung des angegriffenen Urteils und ihm zugrunde liegenden Bescheids. Der Kläger behauptet, bei der Anhörung durch die Strafvollstreckungskammer habe er die Tat nicht grundsätzlich geleugnet und seine Therapiebereitschaft erklärt. Ersteres trifft nach der Niederschrift vom 22.03.2016 schon nicht zu; die bloße Bereitschaft zur Durchführung einer Therapie sagt im Übrigen aber nichts darüber aus, dass diese auch angetreten, geschweige denn durchgeführt werden und vor allem auch erfolgreich verlaufen wird. Bis dahin ist die vom Kläger ausgehende, mit der angegriffenen Verfügung bekämpfte Gefahr daher in keiner Weise gemindert. Weitere Ausführungen als die im Schriftsatz vom 18.07.2016 wurden dem Senat bis zum Ablauf der gesetzlichen Begründungsfrist nicht mehr vorgelegt.
2. Die Annahme besonderer tatsächlicher oder rechtlicher Schwierigkeiten im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO setzt voraus, dass der Rechtssache nicht nur allgemeine oder durchschnittliche Schwierigkeiten zukommen. Dieser Zulassungsgrund liegt nur dann vor, wenn sich der konkret zu entscheidende Fall in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht von dem Spektrum der in verwaltungsgerichtlichen Verfahren zu entscheidenden Streitfällen deutlich abhebt und sich gerade die diesbezüglichen - nach wie vor offen oder unbeantwortet bzw. unzureichend beantwortet gebliebenen - Fragen im Berufungsverfahren stellen werden und im Zulassungsverfahren nicht abschließend geklärt bzw. beantwortet werden können, weshalb der Umstand, dass eine Frage noch nicht höchstrichterlich geklärt wurde, allein nicht ausreichen kann, wenn die Frage ohne weiteres dort beantwortet werden kann (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 21.09.2005 - 9 S 437/05 -, NVwZ-RR 2006, 255; vom 22.04.1997 - 14 S 913/97 -, NVwZ 1997, 1230; OVG NRW, Beschluss vom 19.08.2008 - 14 A 1372/07 -, juris; Bader u.a., a.a.O., § 124 Rdn. 32 mit zahlreichen weiteren Nachweisen; vgl. auch BVerfG, Kammerbeschluss vom 23.06.2000 - 1 BvR 830/00 -, NVwZ 2000, 1163).
Den Darlegungserfordernissen ist hierbei nur genügt, wenn in fallbezogener konkreter Auseinandersetzung mit dem Urteil des Verwaltungsgerichts dargetan wird, inwieweit sich die benannten Schwierigkeiten in Vergleich mit Verfahren durchschnittlicher Schwierigkeit als „besondere" darstellen und für die Entscheidung des Rechtsstreits erheblich sein werden (vgl. VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 10.06.1997 - 7 S 662/97 -, NVwZ-RR 1998, 31; OVG NRW, Beschluss vom 12.01.1999 - 6 A 671/07 -, juris; Bader u.a., a.a.O., § 124 Rdn. 33). Dabei kann im Einzelfall dem Darlegungserfordernis genügt sein, wenn auf eine (tatsächlich auch vorliegende) besonders aufwändige und eingehende Begründung in der angegriffenen Entscheidung verwiesen wird (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 23.06.2000 - 1 BvR 830/00 -, NVwZ 2000, 1163; vom 10.09.2000 - 1 BvR 814/09 -, NJW 2000, 3642); dabei müssen aber zumindest nachvollziehbar Einwände gegen die Richtigkeit der Entscheidung formuliert werden, ohne dass sich diese allerdings zu ernstlichen Zweifeln im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO verdichtet haben müssen (vgl. auch Bader u.a., a.a.O., § 124 Rn. 31).
Diesen Anforderungen genügt das Vorbringen ebenfalls offensichtlich nicht, insbesondere zeigt der Kläger nicht substantiiert Fragen auf, die bislang nicht abschließend beantwortet werden konnten und einer Klärung im Berufungsverfahren bedürften.
3. Eine grundsätzliche Frage wird schon nicht nachvollziehbar formuliert und lässt sich auch nicht sinngemäß aus den Ausführungen mit der hinreichenden Deutlichkeit entnehmen (vgl. zu den Anforderungen an die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung Seibert, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl. § 124a Rn. 211 ff.).
4. Was den geltend gemachten Gehörsverstoß betrifft, hat das Verwaltungsgericht im angegriffenen Urteil ausführlich begründet, weshalb es trotz Fehlens eines Empfangsbekenntnisses zu der sicheren Überzeugung gelangt ist, dass der Prozessbevollmächtigte die Ladung zum Termin am 31.05.2016 tatsächlich erhalten hat und damit ein Zustellungsmangel nach § 56 VwGO i.V.m. § 189 ZPO geheilt ist. Es hat ferner im Einzelnen ausgeführt, warum es sich nicht gehindert gesehen hat zu verhandeln und zu entscheiden, obwohl der Kläger und sein Prozessbevollmächtigter in der mündlichen Verhandlung nicht anwesend waren. Darauf geht die Begründung des Zulassungsantragsantrags mit keinem Wort ein.
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl. § 124a Abs. 5 Satz 3 VwGO).
10 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
11 
Die Streitwertfestsetzung findet ihre Grundlage in § 63 Abs. 2, § 47 sowie § 52 Abs. 1 GKG. Der Senat hat durch Beschlüsse vom 25.05.2016 (11 S 2480/15 -, juris), vom 01.07.2016 (11 S 46/16 -, juris) und vom 09.08.2016 (11 S 1296/16 -, juris) seine Praxis betreffend die Festsetzung von Streitwerten in ausländerrechtlichen Streitigkeiten grundsätzlich geändert und bestimmt den Streitwert im Falle von Ausweisungen des Besitzers einer Niederlassungserlaubnis bzw. von nach Art. 7 ARB 1/80 assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen mit 10.000,- EUR. Offengelassen hatte er bislang, wie der Streitwert im Falle einer Verlustfeststellung von Unionsbürgern zu bestimmen ist. Da sich diese Rechtstellung und insbesondere der Ausweisungsschutz des Unionsbürger im jeweiligen Mitgliedstaat in den Fällen des § 6 Abs. 1 bzw. Abs. 4 FreizügG/EU (vgl. auch Art. 28 Abs. 1 und Abs. 2 der Richtlinie 2004/38 - Unionsbürgerrichtlinie) nicht so signifikant von der des nach Art. 7 ARB 1/80 assoziationsberechtigten türkischen Staatsangehörigen unterscheidet, dass dieses eine weitere Anhebung des Streitwertes rechtfertigen könnte, setzt der Senat den Streitwert hier ebenfalls auf 10.000,- EUR fest. Ob dies auch bei den Unionsbürgern, die den höchsten Ausweisungsschutz im Sinne von § 6 Abs. 5 FreizüG/EU (vgl. auch 28 Abs. 3 Unionsbürgerrichtlinie) genießen, gelten kann, und ob insoweit die Festsetzung eines höheren Streitwerts gerechtfertigt wäre, bleibt offen. Da zum Zeitpunkt der Streitwertfestsetzung des Verwaltungsgerichts die neue Bemessungspraxis des Senats noch nicht allgemein bekannt war, belässt es der Senat bei der vom Verwaltungsgericht getroffenen Festsetzung.
12 
Der Beschluss ist unanfechtbar.