Verwaltungsgericht Schwerin Beschluss, 16. Feb. 2016 - 2 B 4502/15 SN
Tenor
1. Der Antrag wird abgelehnt.
Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die nicht erstattungsfähig sind.
2. Der Streitwert wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.
Gründe
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Der Antrag der Antragsteller,
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die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs vom 29.10.2015 gegen die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 15.10.2015 für den „Neubau eines Betreuten Wohnquartiers mit insgesamt 26 WE, Neubau einer Tiefgarage, Umbau eines Restaurants“ auf dem Grundstück in A-Stadt…, P…straße 3, Gemarkung W…, Flur 1, Flurstücke 507 und 508, anzuordnen,
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hat keinen Erfolg.
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Gemäß §§ 80 Abs. 5 Satz 1, 80 a Abs. 3 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) kann das Gericht auf Antrag die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs eines Drittbetroffenen gegen einen nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO sofort vollziehbaren Verwaltungsakt anordnen, wenn das Interesse des Drittbetroffenen, von der Vollziehung vorläufig verschont zu werden, das Interesse des Begünstigten - hier der Beigeladenen - an der sofortigen Ausnutzung der Baugenehmigung überwiegt. Im Rahmen dieser Interessenabwägung sind zunächst die Erfolgsaussichten im Hauptsacheverfahren zu prüfen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass sich die Antragsteller als Drittbetroffene gegen eine erteilte Baugenehmigung nicht bereits dann zur Wehr setzen können, wenn diese objektiv rechtswidrig ist. Vielmehr muss sich die Rechtswidrigkeit gerade aus einem Verstoß gegen Vorschriften ergeben, die zumindest auch eine nachbarschützende Funktion gerade ihnen gegenüber haben, mit der Folge, dass die rechtswidrige Baugenehmigung sie auch in ihren Rechten verletzt (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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Nach Maßgabe dieser Grundsätze geht die Interessenabwägung hier zugunsten der Beigeladenen aus. Denn aufgrund der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren nur gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage ist davon auszugehen, dass das Rechtsschutzbegehren in der Hauptsache keinen Erfolg haben wird, weil die erteilte Baugenehmigung die Antragsteller jedenfalls nicht in ihren Rechten verletzen dürfte.
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1. Soweit die Antragsteller sich darauf berufen, dass die streitgegenständlichen Baugenehmigung nicht im vereinfachten Verfahren nach § 63 Landesbauordnung Mecklenburg-Vorpommern 2006 (LBauO M-V), die nach der Übergangsbestimmung des § 87 der am 31. Oktober 2015 in Kraft getretenen LBauO vom 15. Oktober 2015 GVOBl. S. 344) auf den vorliegenden Fall Anwendung findet, hätte erteilt werden dürfen, führt dies nicht zum Erfolg ihres Antrags.
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Für die Anwendung des § 63 LBauO M-V kommt es darauf an, ob die objektiven Voraussetzungen dieser Vorschrift gemäß § 63 Abs. 1 LBauO M-V vorliegen. Danach ist das vereinfachte Genehmigungsverfahren nur dann möglich und vorgeschrieben, wenn es sich um ein Wohngebäude handelt, eine sonstige bauliche Anlage, die kein Gebäude ist oder ein Nebengebäude oder eine Nebenanlage zu Bauvorhaben der eben genannten Art. Sonderbauten im Sinne von § 2 Abs. 4 LBauO M-V sind von der Regelung des § 63 Abs. 1 LBauO M-V ausdrücklich ausgenommen. Ob die Voraussetzungen für die Anwendung des vereinfachten Genehmigungsverfahrens hier vorliegen, ist zweifelhaft. Insbesondere ist nicht auszuschließen, dass es sich bei dem Bauvorhaben der Beigeladenen um einen Sonderbau handelt.
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Gemäß § 2 Abs. 4 LBauO M-V sind Sonderbauten Anlagen und Räume besonderer Art oder Nutzung. Nach § 2 Abs. 4 Nr. 9 LBauO M-V handelt es sich bei Krankenhäusern, Heimen und sonstigen Einrichtungen zur Unterbringung oder Pflege von Personen um Sonderbauten. Durch die Aufnahme in den Sonderbautenkatalog sollen besondere Anforderungen im Hinblick auf die Personenrettung ermöglicht werden (vgl. Mann, in: Große-Suchsdorf, NBauO, 9. Aufl. 2013, § 2 Rn. 68). So muss bei der Anordnung und Ausbildung der Rettungswege Berücksichtigung finden, wenn nach dem Vorhabenkonzept ein Großteil der Bewohner nicht gehfähig ist. Das Vorhaben der Beigeladenen ist als ein betreutes Wohnquartier geplant, dessen Wohnungen ausschließlich für Menschen mit Behinderungen oder Mieter ab 65 Jahren zur Verfügung stehen sollen. Nach den Erläuterungen zum Bauantrag der Beigeladenen ist Ziel eine Wohnbebauung mit Mietwohnungen, die - zentrumsnah und für eine maximal selbstbestimmte Gestaltung des Lebensabends – die Betreuung der Bewohner sicherstellt. Ausweislich der Schreiben des bauausführenden Architekten der Beigeladenen vom 23. Oktober 2014 und 8. Dezember 2014 an den Antragsgegner wird bei dem maximal auf ein selbstbestimmtes Altern ausgelegten Wohnkonzept die Pflege in den jeweiligen Wohnungen von der Volkssolidarität übernommen und bis zum Miet- oder Lebensende sichergestellt. Ziel bei diesem betreuten Wohnquartier ist ausdrücklich, dass in den Wohnungen auch die Pflege übernommen werden kann.
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Bei dem so beschriebenen Vorhaben der Beigeladenen handelt es sich zwar um ein Wohngebäude im bauplanungsrechtlichen Sinn, da auch das betreute Wohnen eine Form des Wohnens darstellt. Dies wird deutlich aus § 3 Abs. 4 Baunutzungsverordnung (BauNVO), wonach zu den nach § 4 Abs. 2 sowie den §§ 2, 4 bis 7 BauNVO zulässigen Wohngebäuden auch solche gehören, die ganz oder teilweise der Betreuung und Pflege ihrer Bewohner dienen (vgl. Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 27. März 2015 – 3 M 38/15 –, Rn. 17, juris; VG Schwerin, Beschluss vom 23. Dezember 2014 – 2 B 1080/14 –, amtl. Umdruck S. 3). Damit ist allerdings nicht ausgeschlossen, dass es sich bei einer Einrichtung des betreuten Wohnens gleichzeitig auch um einen Sonderbau im Sinne von § 2 Abs. 4 Nr. 9 LBauO M-V handelt. Von den dort genannten Varianten kommen das Heim oder die sonstige Einrichtung zur Unterbringung oder Pflege von Personen in Betracht. So gelten als Heime zur Unterbringung oder Pflege von Personen auch Altenwohnheime. Ein Altenwohnheim ist ein Heim, in dem alte Menschen, die zur Führung eines Haushalts noch im Stand sind, volle Unterkunft in abgeschlossenen, nach Anlage, Ausstattung und Einrichtung auf die besonderen Bedürfnisse alter Menschen ausgerichteten Wohnungen gewährt wird und die Möglichkeit vorgesehen ist, im Bedarfsfalle zusätzliche Verpflegung, Betreuung und vorübergehende Pflege durch den Träger zu gewähren (vgl. VG Bayreuth, Urteil vom 03. Mai 2012 – B 11.779 –, Rn. 27, juris). Diese für Altenwohnheime charakteristischen Leistungen werden, wie oben dargestellt, auch für die streitgegenständliche Anlage der Beigeladenen angeboten. Aufgrund des Alters, der Behinderung bzw. der mehr oder weniger stark ausgeprägten Pflegebedürftigkeit der Bewohner ergibt sich damit eine ähnliche Interessenlage wie bei stationären Kranken- oder Pflegeeinrichtungen. Auch hier besteht insbesondere im Hinblick auf brandschutzrechtliche Anforderungen ein höherer Prüfbedarf- und Umfang durch die Bauaufsichtsbehörden. Unerheblich in baurechtlicher Hinsicht ist dabei, dass das sogenannte Betreute Wohnen nach § 1 Abs. 2 Satz 1 Heimgesetz (HeimG) vom Geltungsbereich dieses Gesetzes ausgenommen ist, da hierin grundlegend andere als brandschutztechnische Zielsetzungen verfolgt werden. So ist nach § 2 Abs. 1 HeimG u. a. Ziel, die Würde sowie die Interessen und Bedürfnisse der Bewohnerinnen und Bewohner von Heimen vor Beeinträchtigungen zu schützen sowie die Selbständigkeit, die Selbstbestimmung und die Selbstverantwortung der Bewohnerinnen und Bewohner zu wahren und zu fördern. Auch der Bayerische Verwaltungsgerichtshof weist in einer Entscheidung vom 19. Mai 2011 (Az. 2 B 11.353; juris, Rn. 43) darauf hin, dass in Einrichtungen Betreuten Wohnens auch Personen Aufnahme fänden, die pflegebedürftig seien, woraus sich unterschiedliche baurechtliche Anforderungen insbesondere hinsichtlich des Brandschutzes ergäben.
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Zwar spricht damit insgesamt viel dafür, dass vorliegend von einem Sonderbau auszugehen ist, so dass der Antragsgegner den Bauantrag der Beigeladenen nicht im vereinfachten Genehmigungsverfahren hätte prüfen dürfen. Allerdings kann diese Frage im Ergebnis offen bleiben. Selbst wenn das streitgegenständliche Vorhaben nach § 64 LBauO M-V und damit inklusive des Abstandsflächenrechts hätte geprüft werden müssen, würde dies dem Begehren der Antragsteller nicht zum Erfolg verhelfen.
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2. Der geltend gemachte Abstandsflächenverstoß liegt nicht vor. Zwar soll die rückwärtige Außenwand des Hofgebäudes 3b der Beigeladenen grenzständig zur hinteren Grundstücksgrenze der Antragsteller hin errichtet werden. Damit weist es nicht die grundsätzlich gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 LBauO M-V erforderliche Abstandsfläche auf. Denn der Abstand muss gemäß § 6 Abs. 2 Satz 1 LBauO M-V auf dem Grundstück selbst liegen, was hier nicht der Fall ist. Allerdings ist nach § 6 Abs. 1 Satz 3 LBauO M-V eine Abstandsfläche nicht erforderlich vor Außenwänden, die an Grundstücksgrenzen errichtet werden, wenn nach planungsrechtlichen Vorschriften an die Grenze gebaut werden muss oder gebaut werden darf. Diese Voraussetzungen sind hier gegeben.
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Ob ein Grenzanbau im hinteren Grundstücksbereich (dem Grunde nach) zulässig ist, beurteilt sich in erster Linie nach dem bauplanungsrechtlichen Zulässigkeitskriterium der Bauweise bzw. nach der überbaubaren Grundstücksfläche, wobei das Vorliegen der jeweiligen Voraussetzungen bei Innenbereichsvorhaben, wenn entsprechende planerische Festsetzungen durch einfachen Bebauungsplan nicht getroffen wurden, gemäß § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB nach Maßgabe des Einfügensgebots im Hinblick auf die Eigenart der näheren Umgebung zu bestimmen ist. Welches Kriterium einschlägig ist, hängt davon ab, ob es sich um eine vordere, seitliche oder rückwärtige Grundstücksgrenze handelt. Diese Einteilung bestimmt sich nach der das Grundstück erschließenden Verkehrsfläche. In Bezug auf die von der Verkehrsfläche aus gesehen seitlichen Grundstücksgrenzen beurteilt sich die Zulässigkeit einer Grenzbebauung ausschließlich nach dem Kriterium der Bauweise (offene, geschlossene oder abweichende Bauweise, vgl. § 22 BauNVO). An eine vordere oder rückwärtige Grundstücksgrenze muss oder darf gebaut werden, wenn eine abweichende Bauweise dies vorsieht (vgl. § 22 Abs. 4 Satz 2 BauNVO, der ausdrücklich klarstellt, dass sich eine Regelung zur Bauweise auch auf die vordere oder rückwärtige Grundstücksgrenze beziehen kann) (vgl. VG München, Beschluss vom 18. Mai 2015 – M 8 SN 15.457 –, Rn. 43, juris). Entsprechendes gilt im nicht beplanten Innenbereich nach § 34 BauGB. Stehen die Gebäude in der für die Beurteilung maßgeblichen Umgebung mit der hinteren Außenwand auf der hinteren Grundstücksgrenze, dann darf aus planungsrechtlichen Gründen grundsätzlich ohne Abstandsflächen an die Grenze gebaut werden (vgl. Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 10. Dezember 2008 – 1 CS 08.2770 –, Rn. 27, juris, zu vorderen Grundstücksgrenzen).
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Die Errichtung des streitgegenständlichen Gebäudes an der hinteren Grundstücksgrenze ist im Sinne von § 6 Abs. 1 Satz 3 LBauO M-V bauplanungsrechtlich zulässig, weil es sich an diesem Standort nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB nach der überbaubaren Grundstücksfläche in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt. Nähere Umgebung ist der Bereich, auf den sich das geplante Vorhaben städtebaulich prägend auswirken wird und von dem aus die vorhandene Bebauung das Baugrundstück prägt. Wieweit diese gegenseitige Prägung reicht, ist eine Frage des Einzelfalles. „Prägen“ können grundsätzlich nur solche Bauwerke, die dem ständigen Aufenthalt von Menschen dienen. Die Bebauung auf dem Baugrundstück selbst gehört regelmäßig zu der den Maßstab bildenden Bebauung. Topographische Gegebenheiten können für die Abgrenzung der näheren Umgebung eine Rolle spielen; insoweit kann die Rechtsprechung zur Abgrenzung des Innenbereichs vom Außenbereich sinngemäß herangezogen werden (vgl. Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 10. Dezember 2008 – 1 CS 08.2770 –, Rn. 31, juris, unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts).
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Ausweislich des vom Antragsgegner mit Schriftsatz vom 21. Dezember 2015 übersandten Lageplans sowie der dem Gericht vorliegenden Luftbilder und Fotoaufnahmen handelt es sich bei der für die Prüfung des Einfügens nach § 34 Abs. 1 BauGB maßgeblichen Umgebung um das Karree, das im Norden durch den …platz, im Osten durch die P…straße, im Süden durch die …-Straße und im Westen durch die …-Straße begrenzt wird. Innerhalb dieses Karrees befindet sich eine Reihe von Grundstücken, die in den hinteren Bereichen eine grenzständige Bebauung aufweisen. Bei den zur …-Straße gehörenden Flurstücken 488, 489 und 490 handelt es sich um eine geschlossene rückwärtige Bebauung. Das Flurstück 487 der Antragsteller ist ebenso wie das Flurstück 485 mit einem zur hinteren Grundstücksgrenze grenzständigen Gebäude bebaut. Beide Gebäude weisen auch zu den jeweiligen südlichen Grundstücksgrenzen keine Abstände auf. Die Flurstücke 506, 505, 503/1 und 501 der …straße/…-Straße sind rückwärts ebenfalls in geschlossener Bauweise grenzständig bebaut. An der …-Straße weisen lediglich die Flurstücke 492 und 493 keine rückwärtig grenzständige Bebauung auf. Das Gleiche gilt hinsichtlich der Flurstücke 504 und 509 der …straße. Das aus den Flurstücken 507 und 508 bestehende Vorhabengrundstück wies ebenfalls eine rückwärtig grenzständige Bebauung auf, die zwar mittlerweile abgerissen wurde, auf den vorliegenden Luftbildern des Geoportals M-V, von Google Maps sowie Bing Maps aber noch zu sehen ist. Der Abriss dürfte somit erst in jüngster Zeit erfolgt sein. Dem entspricht ein Hinweis vom 7. Mai 2015 in den Akten des Antragsgegners, wonach die Grenze zwischen dem Grundstück …straße 3 und dem Grundstück …-Straße 4 „bereits im Bestand bebaut und zwar von beiden Seiten“ ist. Weiter heißt es in dem Vermerk: „Auf dem Grundstück …straße 3 befindet sich bereits jetzt ein grenzständiges Gebäude, welches die gleiche Höhe wie das Beantragte hat, mit einer zusätzlichen Beeinträchtigung durch die Grenzbebauung ist also nicht zu rechnen“ (Beiakte 3 Bl. 161). Dem entspricht die Angabe der Antragsteller im an den Antragsgegner gerichteten Schreiben vom 4. Dezember 2015, das die Erklärung des Verzichts auf die Ausnutzung der ihnen erteilten Baugenehmigung enthält. Von der damit nach dem gegenwärtigen Kenntnisstand des Gerichts ursprünglich vorhandenen Bebauung geht aller Voraussicht nach auch weiterhin eine städtebauliche Prägung aus (vgl. Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 09. November 2011 – 3 M 184/11 -, Rn. 42, juris). Auf den bei Bing Maps zur Verfügung stehenden Schrägansichten ist zudem erkennbar, dass es sich bei den im maßgebenden Karree befindlichen Gebäuden auf den hinteren Flurstücksgrenzen zumindest teilweise um Wohn- und damit Hauptnutzungen handelt. Auch das von den Antragstellern als Nebengebäude bezeichnete Bauwerk auf ihrer hinteren Grundstücksgrenze ist als Wohnhaus genehmigt worden und wird ausweislich ihres Internetauftritts derzeit als Teil des von den Antragstellern geführten Hotels genutzt. Insgesamt stellt die rückwärtige Grenzbebauung damit eine für die nähere Umgebung prägende abweichende Bebauung dar, in die sich das streitgegenständliche Vorhaben bauplanungsrechtlich mit der Folge des Nichterforderlichseins von Abstandsflächen einfügt.
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3. Auch der von den Antragstellern gerügte Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot liegt aller Voraussicht nach nicht vor.
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Seine gesetzliche Ausprägung findet das Gebot der Rücksichtnahme - wenn ein Bauvorhaben im Geltungsbereich eines Bebauungsplans bzw. in einem faktischen Baugebiet im Sinne von § 34 Abs. 2 BauGB realisiert werden soll (vgl. BVerwG, Beschluss vom 16. Dezember 2008 - 4 B 68/08 -, juris) -, in § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO. Ist ein Bauvorhaben nach § 34 Abs. 1 BauGB zu beurteilen, so ist das Gebot der Rücksichtnahme in dem in dieser Bestimmung genannten Begriff des Einfügens enthalten. Es hat zwar grundsätzlich lediglich einen objektiv-rechtlichen Gehalt. Nachbarschützende Wirkung kommt ihm allerdings im Einzelfall insoweit zu, als in qualifizierter und zugleich individualisierter Weise auf schutzwürdige Interessen eines erkennbar abgegrenzten Kreises Dritter Rücksicht zu nehmen ist. Die insofern vorzunehmende Interessenabwägung hat sich daran zu orientieren, was dem Rücksichtnahmebegünstigten und dem Rücksichtnahmeverpflichteten jeweils nach Lage der Dinge zuzumuten ist, was sich nach der jeweiligen Situation der benachbarten Grundstücke beurteilt (vgl. BVerwG, Urteil vom 05. August 1983 - 4 C 96/79 -, juris). Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung des Rücksichtnahmeberechtigten ist, desto mehr kann er an Rücksichtnahme verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer die Interessen des Bauherrn sind, die er mit dem Vorhaben verfolgt, desto weniger muss er Rücksicht nehmen (vgl. u.a. Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 25. August 2000 - 3 M 50/00 -).
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Nach diesen Vorgaben verstößt das genehmigte Vorhaben nach dem gegenwärtigen Erkenntnisstand des Gerichts voraussichtlich nicht gegen das Rücksichtnahmegebot.
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a) Insbesondere führt das streitgegenständliche Vorhaben aller Voraussicht nach nicht zu unzumutbaren Beeinträchtigungen des Grundstücks der Antragsteller im Sinne einer "erdrückenden Wirkung" des genehmigten Baukörpers. Zwar ist eine erdrückende Wirkung eines Bauvorhabens auf die Wohnbebauung in der Nachbarschaft geeignet, die bestimmungsgemäße Nutzung der Nachbargrundstücke zu beeinträchtigen. Sie kann deshalb eine Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme begründen. Eine erdrückende Wirkung ist gegeben, wenn durch das neue Vorhaben eine Abriegelungswirkung (vgl. Oberverwaltungsgericht Niedersachsen, Urteil vom 29. September 1988 - 1 A 75/87 -, BRS 48 Nr. 164) oder das Gefühl des "Eingemauertseins" (vgl. Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 14. Januar 1994 - 7 A 2002/92 -, NVwZ-RR 1995, 187, 188) oder gar eine "Gefängnishof-Situation" (vgl. Oberverwaltungsgericht Niedersachsen, Urteil vom 11. April 1997 - 1 L 7286/95 -, BRS 59 Nr. 164) entsteht (vgl. Oberverwaltungsgericht Bremen, Urteil vom 15. Oktober 2002 - 1 A 88/02 -, juris).
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Derartige Auswirkungen des Vorhabens des Beigeladenen auf das antragstellerische Grundstück lassen sich hier nicht feststellen. Zunächst steht dem an der hinteren Grundstücksgrenze geplanten zweigeschossigen Gebäude 3b der Beigeladenen, das eine Giebelhöhe von 7,60 m aufweisen soll, das ebenfalls zweigeschossige grenzständige Gebäude der Antragsteller gegenüber, das nach deren Angaben 5 m hoch ist. Damit überragt das geplante Gebäude zwar das der Antragsteller, jedoch nicht so wesentlich, dass eine übermäßige Verschattung oder das Gefühl des Eingemauertseins entstehen könnte. Hinzu kommt, dass das bislang auf dem Vorhabengrundstück vorhandene Gebäude entlang der gesamten rückwärtigen Grenze zu den Antragstellern ebenfalls höher als deren eigenes Grenzgebäude war. Dies ergibt sich aus den vorhandenen Luftbildern sowie den von den Antragstellern mit Schriftsatz vom 5. Januar 2016 eingereichten Fotoaufnahmen, auf denen noch die Abbruchkanten des früheren Gebäudes zu sehen sind. Das Grundstück der Antragsteller war daher ähnlichen Beeinträchtigungen wie den jetzt geltend gemachten bereits durch die Bestandsbebauung, die auch nach deren Abriss ihre prägende Wirkung nicht verloren haben dürfte, ausgesetzt. Angesichts der früher vorhandenen Grenzbebauung konnten die Antragsteller daher nicht erwarten, dass eine erneute Bebauung auf der rückwärtigen Grundstücksgrenze nunmehr gänzlich unterbleiben würde. Unter Berücksichtigung der baulichen Gegebenheiten in der maßgeblichen Umgebung, die – wie bereits dargelegt – von einer sehr verdichteten und vielfach grenzständigen Bebauung geprägt ist, ist damit insgesamt nicht von einer unangemessenen Benachteiligung des Grundstücks der Antragsteller auszugehen.
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b) Aus diesem Grund können die Antragsteller sich auch nicht auf die von ihnen geltend gemachte Verletzung ihrer Rechte hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung, insbesondere der Höhe der Grundflächenzahl oder Geschossflächenzahl des Vorhabens, berufen. Für das Einfügen nach dem Maß der baulichen Nutzung ist weniger auf Grund- und Geschossflächenzahl, sondern auf die von außen wahrnehmbare Erscheinung des Gebäudes im Verhältnis zu seiner Umgebungsbebauung abzustellen. Vorrangig ist dabei auf diejenigen Maßkriterien abzustellen, in denen die prägende Wirkung besonders zum Ausdruck kommt. Als prägend können die flächenmäßige Ausdehnung, die Geschosszahl und die Höhe der den Rahmen bildenden Gebäude angesehen werden (vgl. BVerwG, Beschluss vom 21. Juni 2007 - 4 B 8/07 -, juris). Gemessen an diesen Vorgaben hält sich das Vorhaben hinsichtlich der Geschossigkeit innerhalb des vorhandenen Rahmens der näheren Umgebung. So befindet sich im rückwärtigen Bereich des an das Grundstück der Antragsteller angrenzenden Flurstücks 488 ein zweigeschossiges Gebäude, das das rückwärtige Grenzgebäude der Antragsteller überragt. Auch die rückwärtige Bebauung auf den Flurstücken 489 und 490 ist zweigeschossig. Das Gleiche gilt für die Grenzgebäude auf den zur …straße gehörenden Flurstücken 505 und 506. Schließlich weist auch das auf dem Flurstück 508 noch vorhandene rückwärtige Bestandsgebäude der Beigeladenen zwei Geschosse auf und ist höher als das Grenzgebäude der Antragsteller. Ebenso verhielt es sich auch mit dem früheren Gebäude auf dem Flurstück 507 der Beigeladenen. Das streitgegenständliche Bauvorhaben ist somit hinsichtlich seiner Größe und seiner Kubatur in der maßgeblichen Umgebung nicht ohne Beispiel. Zudem befindet sich das antragstellerische Grundstück westlich des Vorhabengrundstücks, so dass die Antragsteller durch das streitgegenständliche Vorhaben keine „Nachteile“ in Bezug auf die nachmittägliche Besonnungssituation ausgesetzt sind.
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c) Schließlich ist auch nicht erkennbar, dass das geplante Bauvorhaben eine verstärkte Nutzung und Inanspruchnahme des besonders schutzwürdigen rückwärtigen Bereiches nach sich ziehen wird, so dass die Antragsteller – wie sie behaupten – in ihrer Nutzungsmöglichkeit spürbar eingeschränkt würden. So ergibt sich aus den von der Beigeladenen eingereichten Bauvorlagen, dass das im rückwärtigen Bereich geplante Gebäude 3b zum Gartenbereich des Grundstücks der Antragsteller hin keine Fenster oder Balkone aufweisen soll. Die Antragsteller dürften daher keinen vermehrten Einsichtsmöglichkeiten ausgesetzt sein. Welche sonstigen nicht hinnehmbaren Beeinträchtigungen eine (erneute) Wohnnutzung auf dem Vorhabengrundstück nach sich ziehen könnte, haben die Antragsteller selbst nicht substantiiert vorgetragen.
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Ein Rücksichtnahmeverstoß dürfte daher aller Voraussicht nach insgesamt nicht vorliegen.
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4. Die Antragsteller können letztlich auch nicht mit dem Argument gehört werden, sie würden deshalb in ihren Rechten verletzt, weil es durch die geplante Tiefgarage und die Gründungsarbeiten für das streitgegenständliche Vorhaben zu Schäden an ihrem Gebäude kommen würde. Allerdings darf nach § 12 Abs. 1 Satz 2 LBauO M-V die Standsicherheit anderer baulicher Anlagen und die Tragfähigkeit des Baugrundes der Nachbargrundstücke nicht gefährdet werden. Dieser – im vereinfachten Genehmigungsverfahren allerdings nicht zum Prüfprogramm der Bauaufsichtsbehörde gehörenden Vorschrift (vgl. Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 06. Januar 2016 – 3 M 72/15 –, amtl. Umdruck S. 4ff. entgegen VG Schwerin, Beschluss vom 02. Dezember 2015 – 2 B 1024/14 –, juris) kommt auch nachbarschützende Wirkung zu (vgl. VG Greifswald, Beschluss vom 01. Juni 2005 - 1 B 1083/05 -, amtl. Umdruck S. 11 m.w.N.). Jedoch ist es nicht so, dass der Bauherr einer neuen baulichen Anlage stets nachzuweisen hat, dass eine Gefährdung der Standsicherheit bereits vorhandener baulicher Anlagen ausgeschlossen ist. Soweit § 12 Abs. 1 Satz 2 LBauO M-V auf die Gefährdung der Standsicherheit bestehender baulicher Anlagen durch die Errichtung und Nutzung anderer baulicher Anlagen abstellt, bedarf es vielmehr einer näheren Abgrenzung der Verantwortungsbereiche der betroffenen Bauherren.
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Grundsätzlich hat der Bauherr einer bestehenden baulichen Anlage selbst für die Standsicherheit seiner Anlage einzustehen, was bereits aus § 12 Abs. 1 Satz 1 LBauO M-V folgt. Andererseits kann er in gewissem Umfang darauf vertrauen, dass die für die Standsicherheit seiner bestehenden Anlage maßgeblichen Umstände nicht zu seinen Lasten mit der Folge verändert werden, dass ein "Nachrüsten" seiner Anlage erforderlich wird, um deren Standsicherheit auch nach solchen Veränderungen weiterhin zu gewährleisten. Derjenige, der eine neue bauliche Anlage errichtet, muss seinerseits darauf achten, dass er keine solchen Veränderungen der Standsicherheitsbedingungen bewirkt, die der Bauherr der bestehenden Anlage bei deren Errichtung und ordnungsgemäßer Unterhaltung nicht in Rechnung stellen muss (vgl. Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 24. Januar 2000 - 7 B 2180/99 -, BauR 2000, 862; VG Schwerin, Beschluss vom 03. Februar 2014 – 2 B 645/13 -, amtl. Umdruck S. 8).
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Aus dem Vorbringen der Antragsteller ergeben sich allerdings bereits keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass infolge der Errichtung des streitgegenständlichen Vorhabens Veränderungen der für die Standsicherheit ihrer vorhandenen Anlage maßgeblichen Umstände auftreten werden. Die diesbezüglichen Angaben der Antragsteller beschränken sich insoweit auf bloße Behauptungen und subjektive Befürchtungen, die durch keinerlei belastbare Tatsachen gestützt werden. Auf die Frage, ob die Antragsteller sich angesichts des Umstandes, dass sie gegen die mittlerweile bestandskräftige Teilbaugenehmigung für Bohrpfahlgründung und Erdarbeiten vom 15. Juli 2015 nicht vorgegangen sind, nicht mehr auf eine Verletzung ihrer nachbarlichen Rechte aus § 12 LBauO M-V berufen können, kommt es daher nicht an.
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Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO. Es entspricht der Billigkeit, den Antragstellern die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen nicht aufzuerlegen, da diese keinen Antrag gestellt und sich damit nach § 154 Abs. 3 VwGO keinem Kostenrisiko ausgesetzt hat.
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Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2 Gerichtskostengesetz (GKG) in Verbindung mit Ziffer II 1.5, II 9.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013. Das Gericht hat den sich danach für ein entsprechendes Klageverfahren ergebenden Streitwert von 10.000,00 EUR für das vorliegende vorläufige Rechtsschutzverfahren halbiert.
ra.de-Urteilsbesprechung zu Verwaltungsgericht Schwerin Beschluss, 16. Feb. 2016 - 2 B 4502/15 SN
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(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a).
(2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur
- 1.
bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten, - 2.
bei unaufschiebbaren Anordnungen und Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten, - 3.
in anderen durch Bundesgesetz oder für Landesrecht durch Landesgesetz vorgeschriebenen Fällen, insbesondere für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die Investitionen oder die Schaffung von Arbeitsplätzen betreffen, - 3a.
für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die die Zulassung von Vorhaben betreffend Bundesverkehrswege und Mobilfunknetze zum Gegenstand haben und die nicht unter Nummer 3 fallen, - 4.
in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, besonders angeordnet wird.
(3) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ist das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Einer besonderen Begründung bedarf es nicht, wenn die Behörde bei Gefahr im Verzug, insbesondere bei drohenden Nachteilen für Leben, Gesundheit oder Eigentum vorsorglich eine als solche bezeichnete Notstandsmaßnahme im öffentlichen Interesse trifft.
(4) Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, kann in den Fällen des Absatzes 2 die Vollziehung aussetzen, soweit nicht bundesgesetzlich etwas anderes bestimmt ist. Bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten kann sie die Vollziehung auch gegen Sicherheit aussetzen. Die Aussetzung soll bei öffentlichen Abgaben und Kosten erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.
(5) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 bis 3a ganz oder teilweise anordnen, im Falle des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ganz oder teilweise wiederherstellen. Der Antrag ist schon vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, so kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung kann von der Leistung einer Sicherheit oder von anderen Auflagen abhängig gemacht werden. Sie kann auch befristet werden.
(6) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 ist der Antrag nach Absatz 5 nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn
- 1.
die Behörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder - 2.
eine Vollstreckung droht.
(7) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach Absatz 5 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.
(8) In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.
(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.
(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.
(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.
(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.
(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.
(1) Reine Wohngebiete dienen dem Wohnen.
(2) Zulässig sind
(3) Ausnahmsweise können zugelassen werden
- 1.
Läden und nicht störende Handwerksbetriebe, die zur Deckung des täglichen Bedarfs für die Bewohner des Gebiets dienen, sowie kleine Betriebe des Beherbergungsgewerbes, - 2.
sonstige Anlagen für soziale Zwecke sowie den Bedürfnissen der Bewohner des Gebiets dienende Anlagen für kirchliche, kulturelle, gesundheitliche und sportliche Zwecke.
(4) Zu den nach Absatz 2 sowie den §§ 2, 4 bis 7 zulässigen Wohngebäuden gehören auch solche, die ganz oder teilweise der Betreuung und Pflege ihrer Bewohner dienen.
(1) Kleinsiedlungsgebiete dienen vorwiegend der Unterbringung von Kleinsiedlungen einschließlich Wohngebäuden mit entsprechenden Nutzgärten und landwirtschaftlichen Nebenerwerbsstellen.
(2) Zulässig sind
- 1.
Kleinsiedlungen einschließlich Wohngebäude mit entsprechenden Nutzgärten, landwirtschaftliche Nebenerwerbsstellen und Gartenbaubetriebe, - 2.
die der Versorgung des Gebiets dienenden Läden, Schank- und Speisewirtschaften sowie nicht störenden Handwerksbetriebe.
(3) Ausnahmsweise können zugelassen werden
Tenor
Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Schwerin vom 23. Dezember 2014 wird zurückgewiesen.
Die Antragsteller tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert wird für das Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht auf 2.615,84 Euro festgesetzt.
Gründe
I.
- 1
Die Antragsteller sind Eigentümer einer Wohnung in einem Gebäude, deren Erwerb am 02.12.2010 im Grundbuch eingetragen wurde. Das Gebäude wurde durch Baugenehmigung vom 30.03.2009 als „Wohnanlage mit Betreuungsangebot“ genehmigt. Der Bebauungsplan Nr. 20, der das Baugebiet als Sondergebiet „Hotel und betreutes Wohnen“ auswies, wurde durch das Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern durch Urteil vom 19.11.2008 - 3 K 2/07 (dazu BVerwG, B. v. 06.10.2009 - 4 BN 8.09) für unwirksam erklärt.
- 2
Die Antragsgegnerin erließ nach Eingang einer Anzeige und Anhörung der Antragsteller unter dem 26.03.2013 eine Ordnungsverfügung und gab den Antragstellern auf, die Feriennutzung der betreffenden Wohnung einzustellen. Die sofortige Vollziehung der Verfügung wurde angeordnet. Zudem wurde ein Zwangsgeld in Höhe von 5.000,00 Euro angedroht. Schließlich wurden die Kosten für den Bescheid in Höhe von 462,60 Euro festgesetzt. Insoweit erging unter dem gleichen Datum ein Gebührenbescheid, der ebenfalls den Betrag von 462,60 Euro festsetzte.
- 3
Hiergegen legten die Antragsteller Widerspruch ein, den die Antragsgegnerin durch Widerspruchsbescheid vom 15.11.2013 zurückwies. Darin wurde auch der Widerspruch gegen den Gebührenbescheid vom 26.03.2013 zurückgewiesen. Außerdem wurde für den Widerspruchsbescheid eine Gebühr in Höhe von 380,63 Euro festgesetzt.
- 4
Hiergegen haben die Antragsteller Klage erhoben (VG Schwerin – 2 A 2084/13 -) über die noch nicht entschieden ist.
- 5
Am 25.11.2014 haben die Antragsteller um die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nachgesucht. Sie haben beantragt, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen die Ordnungsverfügung vom 26.03.2013 sowie gegen den Gebührenbescheid vom 26.03.2013 wiederherzustellen.
- 6
Diese Anträge hat das Verwaltungsgericht durch Beschluss vom 23.12.2014, den Antragstellern zugestellt am 29.12.2014 abgelehnt.
- 7
Die Antragsteller haben am 12.01.2015 Beschwerde eingelegt und diese am 29.01.2015 begründet.
II.
- 8
Die zulässige Beschwerde ist unbegründet. Auf Grund des allein maßgebenden Vorbringens der Antragsteller in der fristgerecht eingereichten Beschwerdeschrift (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO) ergeben sich keine Gesichtspunkte, die zu einer abweichenden Entscheidung Anlass geben.
- 9
In Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO trifft das Gericht eine eigenständige Ermessensentscheidung auf der Grundlage einer summarischen Sachprüfung. Die gerichtliche Entscheidung orientiert sich im Wesentlichen an den Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs im Hauptsacheverfahren. Wird er wenigstens mit überwiegender Wahrscheinlichkeit Erfolg haben, wird in der Regel die aufschiebende Wirkung wiederherzustellen bzw. anzuordnen sein. Umgekehrt wird der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes abzulehnen sein, wenn erkennbar ist, dass der Rechtsbehelf in der Hauptsache keinen Erfolg haben dürfte. Nur wenn die Rechtslage offen ist, ein Obsiegen der Antragsteller im Hauptsacheverfahren ebenso wahrscheinlich wie unwahrscheinlich ist, trifft das Gericht eine Ermessensentscheidung allein unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Umstände, insbesondere unter Abwägung der widerstreitenden Interessen der Beteiligten (vgl. nur OVG Greifswald, B. v. 04.04.2013 - 3 M 183/12 - NordÖR 2013, 414).
- 10
I. Das Verwaltungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass die angeordnete Nutzungsuntersagung sich voraussichtlich als rechtmäßig erweisen wird.
- 11
Die Bescheide finden ihre Rechtsgrundlage in § 80 Abs. 2 S. 1 Landesbauordnung Mecklenburg-Vorpommern (LBauO M-V). Danach kann die Nutzung baulicher Anlagen untersagt werden, wenn sie im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften genutzt werden. Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Nutzungsuntersagung ist die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Entscheidung des Senats maßgebend, da es sich um einen Dauerverwaltungsakt handelt (OVG Greifswald, U. v. 04.09.2013 - 3 L 108/11 - NordÖR 2013, 514).
- 12
(1) Eine bauliche Anlage wird im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften genutzt, wenn sie nicht von der erforderlichen Baugenehmigung gedeckt ist (formelle Baurechtswidrigkeit) oder mit dem materiellen Baurecht bei fehlender Baugenehmigung nicht übereinstimmt (materielle Baurechtswidrigkeit). Das Verwaltungsgericht hat angenommen, dass die Nutzung der Wohnung bereits formell baurechtswidrig ist.
- 13
In diesem Zusammenhang machen die Antragsteller geltend, das Objekt werde deswegen nicht in illegaler Weise genutzt, weil sie einen ordnungsgemäßen Antrag bezüglich der Nutzung des Objekts gestellt hätten. Die von ihnen beantragte Nutzung sei auch genehmigt worden. Die aufgetretenen Irritationen seien nicht von ihnen, sondern ausschließlich und allein von der Antragsgegnerin ausgegangen. Die Nutzung als Ferienwohnung und als Hotel sei nicht wesentlich anders. Diese Darlegungen stellen die Annahme des Verwaltungsgerichts, dass eine formell baurechtswidrige Nutzung vorliegt, nicht in Frage.
- 14
Gemäß § 59 Abs. 1 Satz 1 LBauO M-V bedürfen die Errichtung, Änderung, Nutzungsänderung und der Abbruch baulicher Anlagen einer Genehmigung, soweit in den §§ 60 bis 62, 76 und 77 nichts anderes bestimmt ist.
- 15
Eine Nutzungsänderung ist die Änderung der Nutzung der Anlage oder eines Teils, ohne dass notwendig bauliche Änderungen damit einhergehen. Dabei müssen die Beendigung der bisherigen und der Beginn der neuen Nutzung einen einheitlichen Lebensvorgang darstellen, die Altnutzung also bis zur Aufnahme der neuen andauern. Maßgeblich ist die rechtserhebliche Funktionsänderung, die nicht nach außen zu treten braucht. Wesentlich ist eine (Nutzungs)Änderung, wenn für die geänderte Anlage oder neue Nutzung andere oder weitergehende Anforderungen nach öffentlich-rechtlichen Vorschriften gelten als für die bisherige Nutzung (vgl. dazu BVerwG, B. v. 01.03.1989 - 4 B 24/89 -, UPR 1989, 426). Nicht maßgebend ist, ob diese Anforderungen von dem Änderungsvorhaben eingehalten werden, ob also die Änderung oder neue Nutzung im Ergebnis genehmigungsfähig ist (OVG Greifswald, U. v. 04.09.2013 - 3 L 108/11 - NordÖR 2013, 514).
- 16
Nach diesen Grundsätzen ist das Verwaltungsgericht zu Recht davon ausgegangen, dass die Änderung der genehmigten Nutzung als Nutzung zum „betreuten“ Wohnen in Ferienwohnungen eine derartige Nutzungsänderung darstellt.
- 17
Das Bauplanungsrecht unterscheidet begrifflich zwischen Wohngebäuden einerseits und Ferien- und Wochenendhäusern andererseits. Während nach den §§ 2, 3, 4, 4a, 5 und 6 BauNVO "Wohngebäude" in den entsprechenden Baugebieten zulässig sind, bezieht sich § 10 Abs. 3 BauNVO auf "Wochenendhäuser" und § 10 Abs. 4 BauNVO auf "Ferienhäuser". Diese begriffliche Unterscheidung ist im Bauplanungsrecht angelegt. Die Baunutzungsverordnung führt die allgemeine Wohnnutzung einerseits und die Ferienwohnnutzung andererseits als eigenständige Nutzungsarten auf (OVG Greifswald, U. v. 19.02.2014 - 3 L 212/12 - NordÖR 2014, 323 = BauR 2015, 81 unter Hinweis auf BVerwG, B. v. 08.05.1989 - 4 B 78.89 -, NVwZ 1989, 1060 = Juris Rn. 3; B. v. 07.09.1984 – 4 N 3.84 – NVwZ 1985, 338 = Juris Rn. 21). Diese Grundsätze gelten auch für die Änderung von betreutem Wohnen zu Ferienwohnnutzung, da das betreute Wohnen eine Form des Wohnens darstellt. Dies wird deutlich aus § 3 Abs. 4 BauNVO, wonach zu den nach § 4 Abs. 2 sowie den §§ 2, 4 bis 7 BauNVO zulässigen Wohngebäuden auch solche gehören, die ganz oder teilweise der Betreuung und Pflege ihrer Bewohner dienen (dazu VGH München, U. v. 25.08.2009 - 1 CS 09.287 - BauR 2010, 120 (Leitsatz), zit. nach juris). Ob die Nutzung als Ferienwohnung genehmigungsfähig wäre, ist an dieser Stelle unerheblich.
- 18
Die Antragsteller können sich auch nicht, wie in der Beschwerdeschrift geltend gemacht, auf Bestandsschutz berufen. Er entfällt, wenn eine rechtserhebliche Funktionsänderung vorgenommen wird. Weisen genehmigungspflichtige Maßnahmen die Merkmale einer Änderung bzw. Nutzungsänderung im Sinne des § 29 BauGB auf, so ist die Zulässigkeit des Vorhabens allein nach den §§ 30 bis 37 BauGB zu beurteilen. Bestandsschutzgrundsätze haben daneben als Zulassungsmaßstab keinen Platz (BVerwG, U. v. 27.08.1998 - 4 C 5/98 - NVwZ 1999, 523).
- 19
(2) Über den Erlass einer Nutzungsuntersagung ist eine Ermessensentscheidung zu treffen. Nach § 40 VwVfG M-V hat die Behörde ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten. Dies hat das Verwaltungsgericht nach Maßgabe des § 114 S. 1 VwGO zu überprüfen.
- 20
(a) Die formelle Baurechtswidrigkeit rechtfertigt in aller Regel den Erlass einer Nutzungsuntersagung. Das formelle Baurecht soll die Rechtmäßigkeit der baulichen Entwicklung sichern. Im Hinblick auf diese Ordnungsfunktion rechtfertigt in der Regel bereits der Umstand, dass eine Nutzung ohne die erforderliche Genehmigung ausgeübt wird, den Erlass einer Nutzungsuntersagung als ermessensgerechte Reaktion. Das der Bauaufsichtsbehörde in § 80 Abs. 2 Satz 1 LBauO M-V eingeräumte Ermessen stellt sich insoweit als intendiertes Ermessen dar. Hierfür spricht der Ermessenszweck, der auf die Herstellung rechtmäßiger Zustände gerichtet ist.
- 21
Das schließt nicht aus, dass die Behörde in Fällen, in denen - ausnahmsweise - besondere vom Normalfall abweichende Umstände vorhanden sind, diese auch zur Kenntnis nimmt und bei ihrer Entscheidung im Rahmen der zu treffenden Abwägung entsprechend berücksichtigt (OVG Greifswald, U. v. 18.04.2012 – 3 L 3/08 - unter Hinweis auf OVG Hamburg, U. v. 11.11.2009 - 2 Bf 201/06 –, NordÖR 2010, 29 = BRS 74 Nr. 205 m.w.N.). Bei einem trotz Genehmigungsbedürftigkeit ungenehmigt genutzten Bauwerk müssen daher erhebliche Gründe vorgebracht werden, weshalb ausnahmsweise die Nutzung bis zur Entscheidung über die materielle Legalität weiter ausgeübt werden darf (vgl. OVG Greifswald, B. v. 16.06.1999 - 3 M 3/99 -; B. v. 03.12.2008 - 3 M 153/08 -).
- 22
Diesen Grundsätzen entspricht die Entscheidung des Verwaltungsgerichts. Die Einwendungen der Antragsteller in der Beschwerde rechtfertigen keine andere Beurteilung.
- 23
(b) Ein Absehen von dem Erlass einer Nutzungsuntersagung kann ausnahmsweise in Betracht kommen, wenn offensichtlich ist, dass die formell illegale Nutzung materiell genehmigungsfähig ist. Von der offensichtlichen Genehmigungsfähigkeit kann nur dann gesprochen werden, wenn die Bauaufsichtsbehörde ohne weitere Ermittlungen erkennen kann, dass die bauliche Anlage und ihre Nutzung dem öffentlichen Baurecht entspricht. Es muss mit anderen Worten geradezu handgreiflich sein und keiner näheren Prüfung bedürfen, dass der vom Bauherrn gewünschte Zustand dem öffentlichen Baurecht vollständig entspricht (OVG Greifswald, B. v. 09.03.2004 - 3 M 224/03, juris).
- 24
Zunächst gilt, dass, nachdem der ursprünglich maßgebende Bebauungsplan Nr. 20 durch die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts für unwirksam erklärt worden ist, § 34 BauGB die maßgebliche Beurteilungsgrundlage darstellt. Die Annahme der Antragsteller, der Bebauungsplan sei eigentliche „Rechtsgrundlage“ der angefochtenen Bescheide, geht fehl.
- 25
Soweit man bereits in diesem Zusammenhang den weiteren Vortrag der Antragsteller berücksichtigt, es könne im vorliegenden Fall eine Gemengelage im Sinne von § 34 Abs. 1 BauGB vorliegen und daher die Ferienwohnungsnutzung offensichtlich genehmigungsfähig sein, ist auch dieser Vortrag nicht geeignet, der Beschwerde zum Erfolg zu verhelfen. Der Fall einer offensichtlichen Genehmigungsfähigkeit liegt nämlich nicht vor. Es bedarf einer näheren Klärung, wie die Art der baulichen Nutzung der näheren Umgebung, deren Umfang festzulegen ist (dazu BVerwG, B. v. 28.08.2003 - 4 B 74/03 – juris), zu beurteilen ist. Hierfür sind die genehmigten oder solche Nutzungen maßgebend, die von der zuständigen Bauordnungsbehörde in einer Weise geduldet werden, die keinen Zweifel daran lässt, dass sie sich mit dem Vorhandensein der Bauten abgefunden hat (BVerwG, B. v. 23.11.1998 - 4 B 29/98 - BauR 1999, 233). Alsdann ist zu klären, ob die maßgebende nähere Umgebung des Baugrundstücks im Sinne von § 34 Abs. 1 BauGB einem Baugebietstyp nach § 34 Abs. 2 BauGB entspricht (dazu BVerwG, B. v. 11.02.2000 - 4 B 1/00 - BRS 63 Nr. 102) und ob das Vorhaben nach der Art der Nutzung mit den Vorschriften der Baunutzungsverordnung für den entsprechenden Baugebietstyp vereinbar ist. Im übrigen ist weiterhin zu klären, ob sich das Vorhaben nach den in § 34 Abs. 1 BauGB genannten Kriterien in die nähere Umgebung einfügt. Dabei wird auch zu beurteilen sein, inwieweit das Vorhaben einerseits Rücksicht nehmen muss auf die vorhandene Bebauung und andererseits die Genehmigung des Vorhabens Rücksichtnahmeansprüche gegenüber bereits vorhandener Nutzung auslösen könnte. Dies alles muss einem Baugenehmigungsverfahren vorbehalten bleiben.
- 26
(c) Soweit die Antragsteller vortragen, eine Nutzung zu Wochenendzwecken durch sie selbst würde etwa zu vier Aufenthalten von etwa 1 bis 3 Wochen pro Jahr führen, dies sei keine realistische Alternative, sondern müsse vielmehr zwangsläufig den Verkauf des Objekts nach sich ziehen, könnte der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit angesprochen sein.
- 27
Sofern die Nutzungsuntersagung – wie hier - allein auf die formelle Rechtwidrigkeit der Nutzung gestützt ist, dient sie wesentlich der Durchsetzung des notwendigen Baugenehmigungsverfahrens. Dies bedeutet, dass die Wirkung zeitlich begrenzt ist bis zu dem Zeitpunkt, zu dem die Baugenehmigung erteilt ist. Für diesen Zeitraum ist nicht erkennbar, dass die aufgezeigten Belastungen angesichts des Umstandes, dass die Antragsteller die Wohnung ohne die erforderliche Baugenehmigung in Form einer Nutzungsänderungsgenehmigung nutzen, unverhältnismäßig sind. Sollte sich herausstellen, dass die Nutzung auch materiell nicht genehmigungsfähig ist und deshalb die Baugenehmigung nicht erteilt werden kann, würde sich die Nutzungsuntersagung auch unter dem Gesichtspunkt des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ohnehin zu Lasten der Antragsteller beurteilen.
- 28
Die Nutzungsuntersagung als Ferienwohnung könnte sich allenfalls dann als unverhältnismäßig darstellen, wenn sie in ihrer Auswirkung nahezu einer Beseitigungsanordnung gleichkommen würde. Dies wäre dann der Fall, wenn sie mit schweren, irreversiblen Folgen wie die Untersagung der Ausübung eines eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs verbunden wäre (vgl. OVG Münster, B. v. 04.07.2014 – 2 B 508/14 – BauR 2014, 1927). Ein solcher Fall liegt hier nicht vor. Eine Vermietung für (betreutes) Wohnen ist nicht ausgeschlossen. Der Verlust von Gewinnmöglichkeiten genügt nicht.
- 29
Schließlich kommt es auch nicht darauf an, dass – wie die Antragsteller vortragen – es ihnen von vornherein darum gegangen sei, die Wohnung an Feriengäste vermieten zu können. Etwaige Vorstellungen beim Erwerb der Wohnung, die mit der baurechtlichen Rechtslage nicht vereinbar sind, genießen keinen Schutz. Der Erwerber ist nach § 58 Abs. 2 LBauO M-V als Rechtsnachfolger an den Inhalt der Baugenehmigung gebunden. Es ist seine Sache, die zulässige Nutzung zu klären.
- 30
(d) Soweit die Antragsteller darauf verweisen, dass andere Eigentümer von Wohnungen in dem betroffenen Gebäude diese ebenfalls nicht für (betreutes) Wohnen nutzten, sondern zum Wochenendwohnen, hat das Verwaltungsgericht zutreffend darauf hingewiesen, dass insoweit ein anderer Sachverhalt vorliegt, der ein differenziertes Einschreiten der Antragsgegnerin rechtfertigt. Die Einwendungen hiergegen greifen nicht durch.
- 31
Allerdings ist im Rahmen der Ermessensentscheidung der Gleichbehandlungsgrundsatz durch die Antragsgegnerin zu beachten (zum Folgenden OVG Greifswald, B. v. 13.08.2007 - 3 M 48/07 - NordÖR 2007, 456). Die Bauaufsichtsbehörde darf nicht einzelne Bürger gegenüber anderen willkürlich, d.h. ohne rechtfertigenden Grund, benachteiligen. Daraus folgt allerdings nicht, dass rechtswidrige Zustände, die bei einer Vielzahl von Grundstücken vorliegen, stets "flächendeckend" zu bekämpfen sind. Vielmehr darf die Behörde - etwa in Ermangelung ausreichender personeller und sachlicher Mittel - auch anlassbezogen vorgehen und sich auf die Regelung von Einzelfällen beschränken, sofern sie hierfür sachliche Gründe anzuführen vermag (vgl. BVerwG, B. v. 19.07.1976 - 4 B 22.76 - Buchholz 406.17 Bauordnungsrecht Nr. 5). So kann es rechtmäßig sein, wenn die Behörde einen geeigneten Fall als "Musterfall" auswählt, um erst nach einer gerichtlichen Bestätigung ihrer Rechtsauffassung gleichartige Fälle aufzugreifen. Ebenso ist es mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar, wenn die Behörde zunächst nur Fälle aufgreift, in denen eine Verschlechterung des bestehenden Zustands droht (BVerwG, B. v. 19.02.1992 - 7 B 106/91 - NVwZ-RR 1992, 360).
- 32
Hier fehlt bereits an der Voraussetzung, dass eine Nutzung als Wochenendwohnung und als Ferienwohnung einen gleichen Sachverhalt darstellen. Gem. § 10 Abs. 3 BauNVO sind Ferienwohnungen dazu bestimmt, überwiegend und auf Dauer einem wechselnden Personenkreis zur Erholung zu dienen (Stock in König/Roeser/Stock, BauNVO, 3. Aufl. § 10 Rn. 28), während Wochenendwohnungen im Wesentlichen der Erholungsnutzung durch den Eigentümer und seiner Familie dienen (Stock a.a.O. § 10 Rn. 20). Damit sind erheblich abweichende Störpotentiale und Anforderungen an die Gebietsverträglichkeit verbunden (Stock a.a.O. § 10 Rn. 18). Das rechtfertigt ein unterschiedliches Einschreiten.
- 33
(3) Wenn die Voraussetzungen für eine Nutzungsuntersagung vorliegen, ist in der Regel auch die Anordnung der sofortigen Vollziehung nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO gerechtfertigt. Dies gilt auch für den Erlass einer Nutzungsuntersagung wegen formeller Illegalität des Vorhabens. Es bedarf einer weiteren Begründung grundsätzlich nicht (vgl. OVG Greifswald, B. v. 16.06.1999 - 3 M 3/99 -)
- 34
Lediglich dann, wenn die Nutzungsuntersagung in ihrer Wirkung einer Beseitigungsanordnung gleich käme, wäre auf die einschränkenden Voraussetzungen für die Anordnung der sofortigen Vollziehung einer rechtmäßigen Beseitigungsanordnung abzustellen (dazu OVG Greifswald, B. v. 06.02.2008 - 3 M 9/08 -, DÖV 2008, 874). Wie dargelegt, liegt ein solcher Fall hier nicht vor.
- 35
Aus Verhältnismäßigkeitsgesichtpunkten kann es gleichwohl geboten sein, die Frist für die Vollstreckung der Nutzungsuntersagung im Rahmen einer Auflage nach § 80 Abs. 5 Satz 4 VwGO aufzuschieben (OVG Greifswald, B. v. 03.12.2008 - 3 M 153/08 unter Hinweis auf Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 5. Aufl., Rn. 1004; Kopp/Schenke, VwGO, 15. Aufl., § 80 Rn. 169, jeweils m.w.N.). Anhaltspunkte dafür haben die Antragsteller indes nicht vorgetragen.
- 36
II. Dagegen, dass das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Festsetzung der Verwaltungsgebühr nicht angeordnet hat, führt die Beschwerde nichts aus.
- 37
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf §§ 47, 53 Abs. 2, 52 Abs. 1 und 3 GKG.
- 38
Hinweis:
- 39
Der Beschluss ist gemäß § 152 Abs. 1 VwGO und § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG unanfechtbar.
(1) Zweck des Gesetzes ist es,
- 1.
die Würde sowie die Interessen und Bedürfnisse der Bewohnerinnen und Bewohner von Heimen vor Beeinträchtigungen zu schützen, - 2.
die Selbständigkeit, die Selbstbestimmung und die Selbstverantwortung der Bewohnerinnen und Bewohner zu wahren und zu fördern, - 3.
die Einhaltung der dem Träger des Heims (Träger) gegenüber den Bewohnerinnen und Bewohnern obliegenden Pflichten zu sichern, - 4.
die Mitwirkung der Bewohnerinnen und Bewohner zu sichern, - 5.
eine dem allgemein anerkannten Stand der fachlichen Erkenntnisse entsprechende Qualität des Wohnens und der Betreuung zu sichern, - 6.
die Beratung in Heimangelegenheiten zu fördern sowie - 7.
die Zusammenarbeit der für die Durchführung dieses Gesetzes zuständigen Behörden mit den Trägern und deren Verbänden, den Pflegekassen, dem Medizinischen Dienst der Krankenversicherung sowie den Trägern der Sozialhilfe zu fördern.
(2) Die Selbständigkeit der Träger in Zielsetzung und Durchführung ihrer Aufgaben bleibt unberührt.
(1) Innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile ist ein Vorhaben zulässig, wenn es sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt und die Erschließung gesichert ist. Die Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse müssen gewahrt bleiben; das Ortsbild darf nicht beeinträchtigt werden.
(2) Entspricht die Eigenart der näheren Umgebung einem der Baugebiete, die in der auf Grund des § 9a erlassenen Verordnung bezeichnet sind, beurteilt sich die Zulässigkeit des Vorhabens nach seiner Art allein danach, ob es nach der Verordnung in dem Baugebiet allgemein zulässig wäre; auf die nach der Verordnung ausnahmsweise zulässigen Vorhaben ist § 31 Absatz 1, im Übrigen ist § 31 Absatz 2 entsprechend anzuwenden.
(3) Von Vorhaben nach Absatz 1 oder 2 dürfen keine schädlichen Auswirkungen auf zentrale Versorgungsbereiche in der Gemeinde oder in anderen Gemeinden zu erwarten sein.
(3a) Vom Erfordernis des Einfügens in die Eigenart der näheren Umgebung nach Absatz 1 Satz 1 kann im Einzelfall abgewichen werden, wenn die Abweichung
- 1.
einem der nachfolgend genannten Vorhaben dient: - a)
der Erweiterung, Änderung, Nutzungsänderung oder Erneuerung eines zulässigerweise errichteten Gewerbe- oder Handwerksbetriebs, - b)
der Erweiterung, Änderung oder Erneuerung eines zulässigerweise errichteten, Wohnzwecken dienenden Gebäudes oder - c)
der Nutzungsänderung einer zulässigerweise errichteten baulichen Anlage zu Wohnzwecken, einschließlich einer erforderlichen Änderung oder Erneuerung,
- 2.
städtebaulich vertretbar ist und - 3.
auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist.
(4) Die Gemeinde kann durch Satzung
- 1.
die Grenzen für im Zusammenhang bebaute Ortsteile festlegen, - 2.
bebaute Bereiche im Außenbereich als im Zusammenhang bebaute Ortsteile festlegen, wenn die Flächen im Flächennutzungsplan als Baufläche dargestellt sind, - 3.
einzelne Außenbereichsflächen in die im Zusammenhang bebauten Ortsteile einbeziehen, wenn die einbezogenen Flächen durch die bauliche Nutzung des angrenzenden Bereichs entsprechend geprägt sind.
(5) Voraussetzung für die Aufstellung von Satzungen nach Absatz 4 Satz 1 Nummer 2 und 3 ist, dass
- 1.
sie mit einer geordneten städtebaulichen Entwicklung vereinbar sind, - 2.
die Zulässigkeit von Vorhaben, die einer Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung nach Anlage 1 zum Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung oder nach Landesrecht unterliegen, nicht begründet wird und - 3.
keine Anhaltspunkte für eine Beeinträchtigung der in § 1 Absatz 6 Nummer 7 Buchstabe b genannten Schutzgüter oder dafür bestehen, dass bei der Planung Pflichten zur Vermeidung oder Begrenzung der Auswirkungen von schweren Unfällen nach § 50 Satz 1 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes zu beachten sind.
(6) Bei der Aufstellung der Satzungen nach Absatz 4 Satz 1 Nummer 2 und 3 sind die Vorschriften über die Öffentlichkeits- und Behördenbeteiligung nach § 13 Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 und 3 sowie Satz 2 entsprechend anzuwenden. Auf die Satzungen nach Absatz 4 Satz 1 Nummer 1 bis 3 ist § 10 Absatz 3 entsprechend anzuwenden.
(1) Im Bebauungsplan kann die Bauweise als offene oder geschlossene Bauweise festgesetzt werden.
(2) In der offenen Bauweise werden die Gebäude mit seitlichem Grenzabstand als Einzelhäuser, Doppelhäuser oder Hausgruppen errichtet. Die Länge der in Satz 1 bezeichneten Hausformen darf höchstens 50 m betragen. Im Bebauungsplan können Flächen festgesetzt werden, auf denen nur Einzelhäuser, nur Doppelhäuser, nur Hausgruppen oder nur zwei dieser Hausformen zulässig sind.
(3) In der geschlossenen Bauweise werden die Gebäude ohne seitlichen Grenzabstand errichtet, es sei denn, dass die vorhandene Bebauung eine Abweichung erfordert.
(4) Im Bebauungsplan kann eine von Absatz 1 abweichende Bauweise festgesetzt werden. Dabei kann auch festgesetzt werden, inwieweit an die vorderen, rückwärtigen und seitlichen Grundstücksgrenzen herangebaut werden darf oder muss.
Tenor
I. Die aufschiebende Wirkung der Klage vom 22. Dezember 2014 (M 8 K 14.5726) gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom ... November 2014, Az.: ..., wird angeordnet, soweit die Errichtung eines 4,805 m breiten und 1,39 m tiefen Balkons im 1. Obergeschoss des geplanten Rückgebäudes genehmigt wurde. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
II.
Von den Kosten des Verfahrens trägt die Antragstellerin 4/5, die Antragsgegnerin und die Beigeladene je 1/10. Die Antragstellerin trägt 4/5 der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, im Übrigen trägt diese ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III.
Der Streitwert wird auf 3.750,- Euro festgesetzt.
Gründe
I.
(Lageplan aufgrund Einscannens möglicherweise nicht mehr maßstabsgetreu)
die aufschiebende Wirkung der Klage vom 22. Dezember 2014 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom ... November 2014 wird angeordnet.
den Antrag abzulehnen.
den Antrag anzulehnen.
II.
(1) Innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile ist ein Vorhaben zulässig, wenn es sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt und die Erschließung gesichert ist. Die Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse müssen gewahrt bleiben; das Ortsbild darf nicht beeinträchtigt werden.
(2) Entspricht die Eigenart der näheren Umgebung einem der Baugebiete, die in der auf Grund des § 9a erlassenen Verordnung bezeichnet sind, beurteilt sich die Zulässigkeit des Vorhabens nach seiner Art allein danach, ob es nach der Verordnung in dem Baugebiet allgemein zulässig wäre; auf die nach der Verordnung ausnahmsweise zulässigen Vorhaben ist § 31 Absatz 1, im Übrigen ist § 31 Absatz 2 entsprechend anzuwenden.
(3) Von Vorhaben nach Absatz 1 oder 2 dürfen keine schädlichen Auswirkungen auf zentrale Versorgungsbereiche in der Gemeinde oder in anderen Gemeinden zu erwarten sein.
(3a) Vom Erfordernis des Einfügens in die Eigenart der näheren Umgebung nach Absatz 1 Satz 1 kann im Einzelfall abgewichen werden, wenn die Abweichung
- 1.
einem der nachfolgend genannten Vorhaben dient: - a)
der Erweiterung, Änderung, Nutzungsänderung oder Erneuerung eines zulässigerweise errichteten Gewerbe- oder Handwerksbetriebs, - b)
der Erweiterung, Änderung oder Erneuerung eines zulässigerweise errichteten, Wohnzwecken dienenden Gebäudes oder - c)
der Nutzungsänderung einer zulässigerweise errichteten baulichen Anlage zu Wohnzwecken, einschließlich einer erforderlichen Änderung oder Erneuerung,
- 2.
städtebaulich vertretbar ist und - 3.
auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist.
(4) Die Gemeinde kann durch Satzung
- 1.
die Grenzen für im Zusammenhang bebaute Ortsteile festlegen, - 2.
bebaute Bereiche im Außenbereich als im Zusammenhang bebaute Ortsteile festlegen, wenn die Flächen im Flächennutzungsplan als Baufläche dargestellt sind, - 3.
einzelne Außenbereichsflächen in die im Zusammenhang bebauten Ortsteile einbeziehen, wenn die einbezogenen Flächen durch die bauliche Nutzung des angrenzenden Bereichs entsprechend geprägt sind.
(5) Voraussetzung für die Aufstellung von Satzungen nach Absatz 4 Satz 1 Nummer 2 und 3 ist, dass
- 1.
sie mit einer geordneten städtebaulichen Entwicklung vereinbar sind, - 2.
die Zulässigkeit von Vorhaben, die einer Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung nach Anlage 1 zum Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung oder nach Landesrecht unterliegen, nicht begründet wird und - 3.
keine Anhaltspunkte für eine Beeinträchtigung der in § 1 Absatz 6 Nummer 7 Buchstabe b genannten Schutzgüter oder dafür bestehen, dass bei der Planung Pflichten zur Vermeidung oder Begrenzung der Auswirkungen von schweren Unfällen nach § 50 Satz 1 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes zu beachten sind.
(6) Bei der Aufstellung der Satzungen nach Absatz 4 Satz 1 Nummer 2 und 3 sind die Vorschriften über die Öffentlichkeits- und Behördenbeteiligung nach § 13 Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 und 3 sowie Satz 2 entsprechend anzuwenden. Auf die Satzungen nach Absatz 4 Satz 1 Nummer 1 bis 3 ist § 10 Absatz 3 entsprechend anzuwenden.
Tenor
1. Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts E-Stadt vom 30. September 2011 in Ziff. 1 geändert und wie folgt gefasst:
Der Antrag auf Anordnung der aufschieben Wirkung der Widersprüche der Antragsteller gegen die Baugenehmigung der Antragsgegnerin vom 18. Mai 2011 wird abgelehnt.
Die Antragsteller zu 1 bis 7 tragen die Kosten des Verfahrens vor dem Verwaltungsgericht nach Kopfteilen.
2. Die Antragsteller zu 5 bis 7 tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens nach Kopfteilen.
3. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 11.250 Euro festgesetzt.
Gründe
I.
- 1
Die Antragsteller begehren vorläufigen Rechtsschutz gegen die Genehmigung der Antragsgegnerin für die Umnutzung des Gebäudes in E-Stadt, Mittelweg 9 als Obdachlosenunterkunft.
- 2
Die Antragsgegnerin – Amt für Soziales und Wohnen – erstellte im Februar 2011 eine Rahmenkonzeption über den Leistungsumfang des Betriebes der Wohnungslosenunterkunft. Danach dient die Einrichtung der niederschwelligen, qualifizierten Unterbringung von alleinstehenden, nicht belastbaren, wohnungslosen Menschen mit komplexen Problemlagen. In der Regel handelt es sich bei den Problemen um Sucht- und psychische Erkrankungen in unmittelbarem Bezug zur dauerhaft fehlenden Fähigkeit zur eigenverantwortlichen Nutzung von Wohnraum. Es geht zunächst um eine reine Unterbringung in schlichtem Wohnraum. Sofern allerdings bei einzelnen Bewohnern der Unterkunft eine – wenn auch geringe – Motivation zur Akzeptanz von Hilfe vorhanden ist, soll die in E-Stadt vorhandene, solchen Bedarfen entsprechende soziale Infrastruktur auch genutzt werden können. Die Einrichtung soll ständig aufnahmebereit sein. Die Aufnahme erfolgt unabhängig von Geschlecht, der Herkunft oder Religion des Aufzunehmenden.
- 3
Am 24.02.2011 beschloss die Stadtvertretung, die Unterbringung wohnungsloser Menschen von der bisherigen Unterkunft in der Anne-Frank-Straße 50 in das Gebäude Mittelweg 9 zu verlegen.
- 4
Der Antragsteller zu 5 wies in einem Schreiben vom 20.04.2011 an die Antragsgegnerin darauf hin, dass diese durch Schreiben vom 24.07.2003 die Nutzungsänderung des Gebäudes Mittelweg 5 zu Wohnzwecken bzw. in Wohn- und Gewerberäume mit der Erwägung abgelehnt habe, dass der Baugebietscharakter der näheren Umgebung dem eines Gewerbegebietes entspreche, in dem lediglich Wohnungen für Betriebspersonal o.ä. zulässig seien.
- 5
Die Baugenehmigung wurde unter dem 18.05.2011 erteilt. Gegenstand ist die Nutzungsänderung mit der Beschreibung „bisherige Nutzung als Kindertagesstätte, neue Nutzung zur Unterbringung von Wohnungslosen, Umbauten geringfügigen Ausmaßes und Verbesserung des baulichen Brandschutzes“. Nach der Anlage Bl. 1 zur Baubeschreibung soll das Gebäude ab Herbst 2011 zur Unterbringung von maximal 40 Wohnungslosen hergerichtet werden.
- 6
Unter dem 24.05.2011 teilte das Zentrale Gebäudemanagement dem Amt für Stadtentwicklung mit, eine ergänzende Baubeschreibung zu einem gewerblichen Bauvorhaben könne erst zu einem späteren Zeitpunkt nachgereicht werden, da die Stadtvertretersitzung am 23.05.2011 beschlossen habe, die Betreibung neu auszuschreiben. Erst nach Abschluss dieses Verfahrens sei es möglich, mit dem künftigen Betreiber und dessen Konzept die entsprechenden Angaben aufzunehmen.
- 7
Mit der Ausführung des Bauvorhabens wurde am 06.06.2011 begonnen.
- 8
Die Antragsteller 1 bis 5 wandten sich an die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 25.07.2011 und baten um Auskunft, ob für die Umnutzung des Gebäudes Mittelweg 9 von der ehemaligen Kinderstätte „Kirschblüte“ zu einem Obdachlosenheim eine Nutzungsänderungsgenehmigung oder sonstige Baugenehmigung erteilt worden sei. Gegen diese Genehmigung würden sie Widerspruch einlegen. Sie kündigten einen Eilrechtsschutzantrag an.
- 9
Mit Schreiben vom 28.07.2011 teilte die Antragsgegnerin den Antragstellern mit, sie be-stätige ihren Drittwiderspruch gegen die Baugenehmigung vom 18.05.2011 und bitte, diesen zu begründen. Über den Widerspruch ist noch nicht entschieden.
- 10
Am 19.08.2011 haben die Antragsteller den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs gegen die Baugenehmigung vom 18.05.2011 gestellt.
- 11
Die Antragsgegnerin hat in ihrer Antragserwiderung darauf hingewiesen, die Unterbringung der Betroffenen solle vorrangig zur Abwehr von Gefahren, die durch die Wohnungslosigkeit für sie sowie für die Öffentlichkeit entstünden, erfolgen. Die Einweisung Wohnungsloser werde nach § 13 SOG M-V erfolgen. Ziel sei es, die Betroffenen möglichst unverzüglich in dauerhafte Wohnverhältnisse zu vermitteln. Es sei beabsichtigt, die derzeit in der Anne-Frank-Straße 50 untergebrachten Langzeitnutzer zukünftig im Mittelweg unterzubringen. Aktuell würden dort 25 Bewohner mit einer Aufenthaltszeit zwischen 1 und 18 Jahren untergebracht. Mit dem Umzug in die neue Einrichtung bestehe zugleich die Absicht, verstärkte Anstrengungen zu unternehmen, die derzeitigen Langzeitnutzer in anderweitigen Wohnraum unterzubringen. Soweit die Stadtvertretung am 21.02.2011 beschlossen habe, dass der vorgesehene Betrieb der Unterkunft als „alternative Wohnform für wohnungslose Menschen“ geführt werden solle, sei dies ohne Bezug auf die Typisierung der Baunutzungsverordnung festgelegt worden. Gemeint sei damit zunächst einmal dass – anders als bei den klassischen Obdachlosenunterkünften – den Nutzern auch tagsüber der Aufenthalt in der Einrichtung gestattet sei. Dem gegenüber sei es seinerzeit nicht das Bestreben gewesen, die aktuelle Nutzungsform in der Anne-Frank-Straße einfach fortzuschreiben. Es könne letztlich offen bleiben, ob die für das Gebäude Mittelweg 9 in Aussicht genommene Nutzung bauplanungsrechtlich als Wohnen zu bewerten oder als Einrichtung für soziale Zwecke anzusehen sei; beide Nutzungsformen seien ohne Weiteres zulässig.
- 12
Das Verwaltungsgericht hat die Örtlichkeit und ihre nähere Umgebung am 27.09.2011 in Augenschein genommen.
- 13
Durch Beschluss vom 30.09.2011 hat das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragsteller zu 5, 6 und 7 gegen die Baugenehmigung der Antragsgegnerin vom 18.05.2011 angeordnet und im Übrigen den Antrag abgelehnt. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt:
- 14
Bei der summarischen Überprüfung der Erfolgsaussichten des Widerspruchs der Antragsteller im Rahmen der nach § 80 Abs. 5 VwGO gebotenen Ermessensentscheidung sei davon auszugehen, dass der Widerspruch der Antragsteller zu 5 bis 7 voraussichtlich Erfolg haben werde. Da wesentliche bauliche Änderungen an dem Gebäude Mittelweg 9 nicht vorgenommen werden sollten, stehe das Einfügen nach dem Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden solle, im Sinne von § 34 Abs. 1 BauGB nicht in Frage.
- 15
Hinsichtlich der näheren Umgebung im Sinne von § 34 Abs. 1 und 2 BauGB für die Beurteilung der Zulässigkeit der Art der baulichen Nutzung sei die Bebauung nördlich des Mittelwegs bis zum Hopfenbruch und nord-östlich des Hopfenbruchwegs bis zu den ehemaligen Güterbahnhofanlagen in den Blick zu nehmen. Nicht als Teil der näheren Umgebung anzusehen sei die Mehrfamilienhauswohnbebauung entlang der nördlichen Seite der Robert-Beltz-Straße und an der Wossidlo-Straße.
- 16
Diese so umgrenzte Fläche stelle sich als faktisches Gewerbegebiet im Sinne von § 8 BauNVO dar. Es sei nicht von einer Gemengelage auszugehen.
- 17
Das Obdachlosenwohnheim entspreche keiner der nach § 8 Abs. 2 BauNVO zulässigen Nutzungsarten.
- 18
Eine ausnahmsweise Zulassung der Nutzung nach § 8 Abs. 3 NVO i.V.m. §§ 34 Abs. 2 Halbsatz 2 und 31 Abs. 1 BauGB käme nicht in Betracht. Im Gewerbegebiet seien nur Vorhaben zulässig, in denen kurzfristig und vorübergehend gewohnt werde, nicht aber – wie hier – unter Umständen ein mehrjähriger Aufenthalt ihrer Bewohner und damit eine wohnähnliche Nutzung vorgesehen sei. Hinzu komme, dass diese Nutzung in keinem funktionellen Zusammenhang mit den in § 8 Abs. 2 BauNVO aufgeführten Hauptnutzungen stehe.
- 19
Eine Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB scheide aus, da die Zulassung dieser Nutzung baulich nicht vertretbar sei. Es widerspreche allgemeinen städtebaulichen Grundsätzen, ein Leben in einer menschenwürdigen Umwelt zu sichern, wenn eine Wohnnutzung oder – hier – jedenfalls wohnähnliche Nutzung in einer von gewerblicher Nutzung und gewerblichen baulichen Anlagen geprägten Umgebung angesiedelt werde.
- 20
Unter diesen Umständen hätten die Antragsteller zu 5 bis 7 einen Abwehranspruch gegen solche Nutzungen, die nach Art der baulichen Nutzung in einem faktischen Baugebiet unzulässig seien (Gebietserhaltungsanspruch).
- 21
Gegen diese Entscheidung hat die Antragsgegnerin Beschwerde eingelegt mit dem Ziel, auch den Antrag der Antragsteller zu 5 bis 7 abzulehnen. Zur Begründung ihrer Beschwerde trägt sie im Wesentlichen vor:
- 22
Das Verwaltungsgericht habe die „nähere Umgebung“ unzutreffend bestimmt. Es blende ohne jegliche Begründung die von ihm selbst festgestellte kleingärtnerische Nutzung westlich des Bauvorhabens aus. In diese kleingärtnerische Nutzung seien die von dem Verwaltungsgericht mit örtlicher Dominanz beschriebenen Gelände des ehemaligen Kraftfahrzeuginstandsetzungsbetriebs (KIB) eingebettet. Unzutreffend habe es die Wohnbebauung der Robert-Beltz-Straße außer Betracht gelassen. Die vom Mittelweg gesehene südliche Wohnbebauung müsse in die Betrachtung einbezogen werden, weil hier bodenrechtliche Spannungslagen zwischen der Wohnbebauung und der Obdachlosenunterkunft auf der Hand lägen. Zudem sei der Grenzverlauf der näheren Umgebung nicht davon abhängig, dass die unterschiedliche Bebauung durch eine künstliche oder natürliche Trennlinie entkoppelt sei.
- 23
Das Verwaltungsgericht habe auch das Gebiet nördlich und nord-östlich des Mittelwegs 9 unzutreffend als Gewerbegebiet im Sinne des § 8 BauNVO bewertet. In diesem nördlich des Vorhabens bis zum Hopfenbruchweg belegenen Gebiet befinde sich lediglich ein echter Gewerbebetrieb, nämlich der Mitsubishi-Kfz Betrieb im Mittelweg 1. Die Nutzungen M-Straße (Büro des Antragstellers zu 5 und Kita Nutzung) sowie der Kindertagesstätte im Hopfenbruchweg stellten keine gewerbliche Nutzung dar. Das Grundstück Mittelweg 5 werde ebenfalls nicht gewerblich genutzt, sondern als Wohngrundstück. Das Grundstück des ehemaligen KIB stelle seit Einstellung der Produktion 1996 eine Industriebrache ohne gewerbliche Nutzung dar. Dagegen spreche nicht das einmal im Jahr für zwei Tage stattfindende Oldtimertreffen. Auch die Stellplatznutzung sei angesichts der Weitläufigkeit der Fläche zu vernachlässigen. Nach alledem sei das Tatbestandsmerkmal des § 8 BauNVO, wonach das Gebiet vorwiegend der gewerblichen Nutzung diene, nicht erfüllt.
- 24
Diese Einschätzung ändere sich auch nicht, wenn man mit dem Gericht das Gebiet nord-östlich über den Hopfenbruchweg hinaus bis zu den ehemaligen Güterbahnhofsanlagen erweitere. Denn auch hier sei festzustellen, dass mehr als 50 % der Fläche, insbesondere das Gelände des ehemaligen Güterbahnhofs, brach lägen.
- 25
Gegen die Annahme eines Gewerbegebiets sprächen zudem die kleingärtnerische Nutzung der benachbarten Grundstücke, die Kindertagesstätte im Hopfenbruchweg, die keinen Bezug zu den wenigen Gewerbebetrieben habe, sowie der ehemals genehmigte Pensionsbetrieb Mittelweg 5. Es handele sich insgesamt um eine Gemengelage, die keiner der in der BauNVO aufgezählten Gebiete zuzuordnen ist.
- 26
Voraussetzung für die Geltendmachung des Gebietserhaltungsanspruches der Nachbarn sei, dass eine Beeinträchtigung durch die bekämpfte Nutzung überhaupt vorstellbar sei. Die Antragsteller hätten nicht dargelegt, in welcher Form die vorgesehene Nutzung ihnen die Ausnutzbarkeit ihres Grundstücks erschweren könne.
- 27
Bei der Beurteilung der Nutzung, die Gegenstand der Baugenehmigung sei, habe das Verwaltungsgericht zu Unrecht eine Wohn- oder wohnähnliche Nutzung angenommen. Es handele sich um ein Obdachlosenwohnheim. Angesichts des niedrigsten Standards der Einrichtung der Aufenthaltsräume könne von der für das Wohnen erforderlichen Häuslichkeit und Haushaltsführung keine Rede sein. Dabei sei insbesondere zu beachten, dass die Einrichtung lediglich über eine gemeinschaftliche Küche und zentrale Sanitäreinrichtungen verfüge. Daher trete der Wohncharakter der Einrichtung völlig zurück. Der vom Gericht in Bezug genommene „wohnähnliche“ Charakter finde weder in der BauNVO noch in der Rechtsprechung eine Definition mit entsprechendem Rechtsfolgenbezug.
- 28
Die Nutzung sei auch nicht gebietsunverträglich. Dabei sei zu berücksichtigen, dass die Obdachlosenunterkunft am äußersten Rande des vom Verwaltungsgericht für maßgebend gehaltenen Gebiets liege. Außerdem bestehe zwischen den Grundstücken Mittelweg 9 und Mittelweg 5 nicht mal eine Geräusch- oder Sichtbeziehung.
- 29
Hinsichtlich der Beurteilung der Möglichkeit, eine Befreiung zu erteilen, sei das Verwaltungsgericht zu Unrecht davon ausgegangen, dass die Nutzung städtebaulich nicht vertretbar sei. Auf dem Grundstück Mittelweg 9 sei während der letzten 50 Jahre Kinderbetreuung nicht für menschenunwürdig erachtet worden. Die Platzierung der Obdachlosenunterkunft in diesem Gebiet könne auch nicht als eine Entwicklung der städtebaulichen Ausgrenzung von sozialen Randgruppen angesehen werden.
- 30
Schließlich hätten die Antragsteller ihren nachbarlichen Anspruch verwirkt. Während der letzten Jahrzehnte sei niemals ein Untersagungsanspruch gegen die Antragsgegnerin oder den Betreiber der Kita auf dem Grundstück Mittelweg 9 geltend gemacht worden. Auch diese Kita habe zu keinem Zeitpunkt einen funktionalen Bezug zu den umliegenden Gewerbeeinrichtungen gehabt. Von der jetzt beabsichtigten Nutzung als Wohnungslosenunterkunft gingen keinerlei weitere, über den vormaligen Betrieb als Kita hinausgehende Beeinträchtigungen auf die übrigen Gewerbeeinrichtungen aus.
- 31
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge ergänzend Bezug genommen; sie sind Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen.
II.
- 32
Die Beschwerde der Antragsgegnerin hat nach Maßgabe des gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO zu berücksichtigenden Beschwerdevorbringens Erfolg. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragsteller zu 5 bis 7 gegen die erteilte Genehmigung ist nicht anzuordnen.
- 33
In Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO trifft das Gericht eine eigenständige Ermessensentscheidung auf der Grundlage einer summarischen Sachprüfung. Die gerichtliche Entscheidung orientiert sich im Wesentlichen an den Erfolgsaussichten des Widerspruchs bzw. der Klage im Hauptsacheverfahren. Wird der Widerspruch bzw. die Anfechtungsklage wenigstens mit überwiegender Wahrscheinlichkeit Erfolg haben, wird in der Regel die aufschiebende Wirkung anzuordnen sein. Umgekehrt wird der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung abzulehnen sein, wenn erkennbar ist, dass Widerspruch oder Klage in der Hauptsache keinen Erfolg haben dürfte. Nur wenn die Rechtslage offen ist, ein Obsiegen der Antragsteller im Hauptsacheverfahren ebenso wahrscheinlich wie unwahrscheinlich ist, trifft das Gericht eine Ermessensentscheidung allein unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Umstände, insbesondere unter Abwägung der widerstreitenden Interessen der Beteiligten.
- 34
Die angefochtene Genehmigung verletzt nach der im Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage unter Berücksichtigung des Vortrags der Antragsgegnerin im Beschwerdeverfahren die Antragsteller nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 S. 1 VwGO).
- 35
1. Die Antragsteller zu 5 bis 7 können keinen sog. Gebietserhaltungsanspruch geltend machen.
- 36
a) Der Gebietserhaltungsanspruch gibt den Eigentümern von Grundstücken, die in einem durch Bebauungsplan festgesetzten Baugebiet (§ 9 Abs. 1 Nr. 1 BauGB, § 1 Abs. 3, §§ 2 bis 14 BauNVO) oder in einem „faktischen“ Baugebiet (§ 34 Abs. 2 BauGB, §§ 2 bis 14 BauNVO) liegen, das Recht, sich gegen ein hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung nicht zulässiges Vorhaben zur Wehr zu setzen. Der Anspruch beruht auf der drittschützenden Wirkung, die eine Baugebietsfestsetzung bzw. § 34 Abs. 2 BauGB in Verbindung mit den Baugebietsvorschriften der Baunutzungsverordnung gegenüber den Eigentümern aller Grundstücke in einem (faktischen) Baugebiet hat. Die Beschränkung der Bebaubarkeit eines Grundstücks durch eine Baugebietsfestsetzung bzw. durch § 34 Abs. 2 BauGB ist eigentumsrechtlich auch dadurch gerechtfertigt, dass Inhalt und Schranken des Grundeigentums (Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG) bei den anderen Grundstücken im Gebiet in entsprechender Weise bestimmt werden. Wegen dieses Austauschverhältnisses hat jeder Grundstückseigentümer - unabhängig davon, ob er tatsächlich beeinträchtigt ist - das Recht, sich gegen eine "schleichende Umwandlung" des Gebiets durch Zulassung einer gebietsfremden Nutzung zur Wehr zu setzen (BVerwG, U. v. 6.9.1993 - 4 C 28/91 - BVerwGE 94, 151 = NJW 1994, 1546; BVerwG, B. v. 11.4.1996 - 4 B 51/96 - NVwZ-RR 1997, 463; U. v. 23.8.1996 - 4 C 13/94 - BVerwGE 101, 364 = NVwZ 1997, 384; B. v. 2.2.2000 - 4 B 87/99 - NVwZ 2000, 679). Danach kommt es entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin nicht darauf an, ob Beeinträchtigungen vorstellbar sind, es geht gerade um die Abwehr einer schleichend Umwandlung des Baugebiets. Etwas anderes lässt sich auch nicht der von der Antragsgegnerin zitieren Entscheidung des OVG Koblenz vom 1.6.2011 – 8 A 10196 /11 entnehmen. Sie besagt dasselbe und führt auch aus: „…so dass der Frage, inwieweit von dem Vorhaben des Klägers konkret nachweisbare, unzumutbare Beeinträchtigungen für das Grundstück der Beigeladenen ausgehen, nicht nachgegangen werden muss.“
- 37
b) Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme durch den Senat spricht Überwiegendes dafür, dass das Vorhabengrundstück nicht in einem Baugebiet im Sinne des § 34 Abs. 1 BauGB liegt, jedenfalls aber nicht in einem Gebiet, das nach § 34 Abs. 2 BauGB zu beurteilen ist.
- 38
Ein im Zusammenhang bebauter Ortsteil im Sinne des § 34 Abs. 1 BauGB ist ein Bebauungskomplex im Gebiet einer Gemeinde, der nach der Zahl der vorhandenen Bauten ein gewisses Gewicht besitzt und Ausdruck einer organischen Siedlungsstruktur ist. In Entgegensetzung zur unerwünschten Splittersiedlung ist er Ansatzpunkt für eine nach der Siedlungsstruktur angemessene Bebauung innerhalb des gegebenen Bereichs (BVerwG, U. v. 6.11.1968 - 4 C 31.66 - BVerwGE 31, 22, 26). Die betreffenden Anlagen und Flächen müssen dem ständigen Aufenthalt von Menschen dienen. Der im Zusammenhang bebaute Ortsteil ist nämlich eine Bebauung, die, wenn sie aufgrund eines Bebauungsplans entstanden wäre, bei einheitlicher Gebietsstruktur auch Baugebiet im Sinne der Baunutzungsverordnung sein könnte. Freilich setzt ein im Zusammenhang bebauter Ortsteil nicht eine Einordnung in eine der Baugebietstypen der Baunutzungsverordnung voraus; darauf zielt nur § 34 Abs. 2 BauGB ab (vgl. BVerwG, U. v. 17.2.1984 - 4 C 55/81 - NJW 1984, 1576).
- 39
(1) Nach diesen Grundsätzen können zunächst Baulichkeiten, die ausschließlich kleingärtnerischen Zwecken dienen, für sich allein genommen keine Bauten sein, die einen im Zusammenhang bebauten Ortsteil bilden können. Kleingärten ordnet das Baugesetzbuch unter die Grünflächen ein (§ 5 Abs. 2 Nr. 5, § 9 Abs. 1 Nr. 15 BauGB). Die in Kleingärten üblichen und auch nach dem Bundeskleingartengesetz zulässigen "Lauben" haben nur eine der gärtnerischen Nutzung dienende Hilfsfunktion; sie sind in einem weiteren Sinne "Nebenanlagen" zur gärtnerischen Nutzung. Sie dürfen gemäß § 3 Abs. 2 Satz 2 Bundeskleingartengesetz vom 28.02.1983 (BGBl. I S. 210), zuletzt geändert durch Gesetz vom 19.09.2006 (BGBl. I S. 2146) - BKleingG -, nach ihrer Beschaffenheit nicht zum dauernden Wohnen geeignet sein (BVerwG, U. v. 17.2.1984 - 4 C 55/81 - NJW 1984, 1576). Sie können daher bei der Bestimmung eines Ortsteils und damit auch der der näheren Umgebung nicht berücksichtigt werden. Im Rahmen der Ortsbesichtigung durch den Senat haben die Beteiligten überstimmend bekundet, dass es sich in der Umgebung um das ehemalige KIB-Gelände um Lauben handelt, die den Vorgaben des Bundeskleingartengesetzes entsprechen (dazu OVG Greifswald, U. v. 06.05.2009 - 3 K 30/07 - NordÖR 2009, 357). Sie sind damit nicht zum Wohnen geeignet oder bestimmt. Damit scheidet eine Zuordnung der Flächen jenseits des Hauptzugangswegs zu der Kleingartenlage als Teil des im Zusammenhang bebauten Ortsteils aus. Gleiches gilt für die großräumige Fläche zwischen diesem Hauptzugangsweg und der westlichen Gebäudeseite der Werkhalle des ehemaligen KIB.
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(2) Die baulichen Anlagen des ehemaligen KIB können angesichts des spätestens seit 1996 festzustellenden Leerstandes der Gebäude nicht mehr einer Nutzungsart zugeordnet werden. Damit dürften auch diese Flächen nicht mehr Bestandteil des im Zusammenhang bebauten Ortsteils sein, jedenfalls aber lässt sich keine Art der baulichen Nutzung bestimmen, die eine Zuordnung nach § 34 Abs. 2 BauGB ermöglicht.
- 41
Dafür, dass das Gelände des ehemaligen KIB als Außenbereichsfläche zu werten ist, dürften folgende Gesichtspunkte sprechen: Die Anwendbarkeit des § 34 BauGB setzt eine bestehende aufeinander folgende Bebauung voraus, die einen „Ortsteil“ bildet. Ortsteil in diesem Sinne ist jeder Bebauungskomplex im Gebiet einer Gemeinde, der nach der Zahl der vorhandenen Bauten ein gewisses Gewicht besitzt und Ausdruck einer organischen Siedlungsstruktur ist (BVerwG, U. v. 06.11.1968 - 4 C 31.66 -, BVerwGE 31, 22, 26f.; U. v. 17.02.1984 - 4 C 56.79 -, NVwZ 1984, 434). Die vorhandenen Bauten müssen eine angemessene Fortentwicklung der Bebauung vorgeben, indem ihnen maßstabsbildende Kraft zukommt (BVerwG, U. v. 14.09.1992 - 4 C 15.90 -, NVwZ 1993, 985). Dies ist nicht der Fall, wenn der bisherige Nutzungszweck endgültig aufgegeben worden. Eine noch vorhandene, funktionslos gewordene Bebauung, die auf ihre Umgebung keine prägende Kraft mehr ausübt, ist nicht geeignet, die künftige Bebauung und Nutzung zu lenken. Eine tatsächlich beendete bauliche Nutzung verliert jedenfalls dann ihre den Rahmen mitbestimmende Kraft, wenn sie endgültig aufgegeben worden ist und nach der Verkehrsauffassung mit ihr nicht mehr gerechnet wird (vgl. BVerwG, U. v. 15.01.1982 - 4 C 58.79 -, NVwZ 1982, 312 und U. v. 19.09.1986, a.a.O. S. 40; zu Vorstehendem VGH Mannheim, U. v. 10.07.2006 - 3 S 2309/05 - NVwZ-RR 2007, 233).
- 42
Zu den konkreten Umständen, die die Verkehrsauffassung prägen, gehört der Umstand, ob es sich um ein Grundstück in der Ortsrandlage zum Außenbereich handelt oder um ein Grundstück in der Innenstadtlage, das durch Zeitablauf allenfalls zu einer "Außenbereichsinsel" im Innenbereich werden könnte. Die Verkehrsauffassung wird bei letztgenanntem Fall einen längeren Zeitraum zwischen Abriss und Neubebauung hinnehmen, bevor sie eine Wiederbebauung nicht mehr erwartet, als dies bei einem Grundstück in der Randlage zum Außenbereich der Fall ist. Hinzu kommt, dass Planung und Vorbereitung der Bebauung eines solch großen Grundstücks mehr Zeit in Anspruch nehmen, als dies bei einem ehemals etwa mit einem Einfamilienhaus bebauten Grundstück der Fall ist (vgl. BVerwG, U. v. 19.09.1986 -4 C 15/84 - BVerwGE 75, 34 = BauR 1987, 52). Hier liegt der Fall allerdings so, dass das Betriebgelände nicht in eine „Außenbereichsinsel“ hineinwachsen würde, sondern mit den Kleingartenflächen Außerbereich bilden würde und somit selbst am Rand der vorhandenen Bebauung liegt.
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Ob nach der Verkehrsauffassung zu erwarten ist, dass das ehemalige KIB-Grundstück auch nach Ablauf von mehr als zehn Jahren, in denen es nicht genutzt worden ist, weiterhin zur Bebauung ansteht, kann hier jedoch offenbleiben, wenn sich die Antragsgegnerin als Eigentümerin fortlaufend um eine Bebauung bzw. neue bauliche Nutzung bemüht haben sollte (vgl. BVerwG, U. v. 19.09.1986 -4 C 15/84 - BVerwGE 75, 34 = BauR 1987, 52). Dafür ist nichts ersichtlich. Die Nutzung als Kfz-Betrieb wurde spätestens 1996 erkennbar endgültig aufgegeben. Derzeit handelt es sich bei dem gesamten Areal um eine abgesperrte brachliegende Fläche, die einer Anschlussnutzung zwar zugänglich wäre, die aber nach dem übereinstimmenden Vortrag der Beteiligten in der mündlichen Verhandlung seit mindestens 15 Jahren ungenutzt ist. Entsprechend stellt sich die Situation auf dem Gelände selbst dar: Hier befinden sich noch die nicht mehr genutzten Hallen mit einem Schornstein und einem Lichtmasten. Im östlichen Bereich des Geländes stehen mehrere ebenfalls seit 1996 leer stehende ehemalige Funktionsgebäude. Der optische Eindruck der baulich noch vorhandenen Funktionsbauten ist der eines seit langem verlassenen Ortes. Anhaltspunkte dafür, dass die Nutzung Kfz-Betrieb als wieder aufgenommen wird, bestehen nicht. Vielmehr belegen die Bemühungen der Antragsgegnerin, das Areal in die Bundesgartenschau zu integrieren und einer neuen Nutzung zuzuführen, die endgültige Aufgabe der bisherigen Nutzung und das endgültige Scheitern der Wiederaufnahme einer entsprechenden Nutzung. Verstärkt wird dieser Umstand, dadurch, dass eine Nachnutzung des Geländes nach Angaben der Antragsgegnerin an den Altlasten auf dem Gelände gescheitert ist. Mag das Areal auch vormals Teil des Ortsteils im Sinne des § 34 Abs. 1 BauGB gewesen sein, seit der endgültigen Aufgabe der Nutzung ohne Anschlussnutzung kann hiervon jedenfalls heute nicht mehr die Rede sein.
- 44
Das Areal ist auch nicht aufgrund der vorhandenen Umgebungsbebauung zum Innenbereich zu rechnen, denn es weist eine solche Größe auf, die eine Anwendung des § 34 BauGB verbietet. Wie eng die Aufeinanderfolge von Baulichkeiten sein muss, um sich noch als zusammenhängende Bebauung darzustellen, ist nicht nach geografisch-mathematischen Maßstäben, sondern aufgrund einer umfassenden Würdigung der tatsächlichen örtlichen Gegebenheiten einzelfallbezogen zu entscheiden (BVerwG, U. v. 06.12.1967 - 4 C 94.66 -, BVerwGE 28, 268, 272). Dabei ist die Größe der Fläche ein nicht unwesentliches Merkmal, denn die Möglichkeit, eine Baulücke anzunehmen, findet durchaus auch in der Größe eines Grundstücks ihre obere Grenze. In diesem Sinne hat das Bundesverwaltungsgericht mehrfach entschieden, "dass mit ansteigender Größe das Vorliegen einer Baulücke weniger wahrscheinlich wird" (vgl. BVerwG, U. v. 12.06.1970 - IV C 77.68 -, BVerwGE 35, 256; U. v. 01.12.1972 - IV C 6.71 -, BVerwGE 41, 227). Einer der - gerade für die mögliche Größe von Baulücken wesentlichen - Maßstäbe ergibt sich dabei aus dem normativen Zweck des § 34 BauGB: Diese Vorschrift gestattet die Errichtung von Vorhaben, die mit der vorhandenen Bebauung vereinbar sind. In dieser Voraussetzung liegt zugleich die innere Rechtfertigung für die Rechtsfolge des § 34 BauGB: Das Fehlen eines die Bebauung lenkenden Bebauungsplanes wird vom Gesetz für unschädlich gehalten, wenn und weil die bereits vorhandene Bebauung die unerlässlichen Grenzen setzt. Nur dieser lenkende Einfluss der bereits vorhandenen Bebauung ermöglicht die Rechtsfolge des § 34 BauGB. Dementsprechend setzt seine Anwendbarkeit voraus, dass ein Grundstück durch die vorhandene Bebauung in irgendeiner Weise geprägt wird. Daran fehlt es, wenn es sich wegen der Größe der Fläche um ein eigenes fiktives Plangebiet handelt, wenn also eine Fläche wegen ihrer Größe zu einer von der Umgebung gerade unabhängigen gesonderten städtebaulichen Entwicklung und Beplanung fähig ist. Eine derartige "Freiheit" von einer Prägung durch die vorhandene Bebauung entzieht der Anwendbarkeit des § 34 BauGB den Boden (BVerwG, U. v. 01.12.1972, a.a.O.). Dies ist hier der Fall. Das gesamte Areal hat eine Größe von 6 ha. Zudem grenzt es mit dem Kleingartengelände an echte Außenbereichsflächen. Darauf sind zwar noch bauliche Anlagen vorhanden. Diese können dem Baugrundstück aber - wie oben ausgeführt - keine Innenbereichsqualität (mehr) vermitteln. Eine ringsum von Bebauung umgebene freie bzw. - wie hier - funktionslose Fläche, die so groß ist, dass sich ihre Bebauung nicht als zwanglose Fortsetzung der vorhandenen Bebauung aufdrängt, ist nicht nach § 34 Abs. 1 BauGB bebaubar (BVerwG, U. v. 06.11.1968 - 4 C 2.66 -, BVerwGE 31, 20 vom 01.12.1972 - 4 C 6.71 -, Buchholz 406.11 § 35 BBauG Nr. 102 und vom 17.02.1984 - 4 C 55.81 -, NJW 1984, 1576).
- 45
Das Vorhabengrundstück grenzt von ihm aus gesehen im hinteren und seitlichen Bereich somit allein an Außenbereichsflächen. Es ist auch nicht als Teil des Bebauung am der Robert-Beltz-Straße anzusehen.
- 46
Ob eine Straße, die einen bebauten Bereich durchschneidet, ein trennendes oder ein verbindendes Element ist, ist einerseits nach dem optischen Eindruck zu beurteilen, andererseits aber auch nach der Frage, ob beidseits der Straße deutlich unterschiedliche oder vergleichbare Nutzungsarten vorliegen (zusammenfassend Senat, U. v. 28.11.2007 - 3 L 219/01 – juris). Dies gilt insbesondere, wenn der Eindruck der Gleichartigkeit nur dadurch entsteht, dass die gewerbliche Nutzung sich im äußeren Erscheinungsbild nicht von der allgemeinen Wohnnutzung auf der anderen Straßenseite unterscheidet. Wenn Wohngebäude auf der einen Straßenseite Gewerbebetrieben zugeordnet sind, während auf der anderen Straßenseite Wohnhäuser ohne Zuordnung zu gewerblichen Betrieben vorhanden sind, spricht vieles dafür, dass die prägende Wirkung der unterschiedlichen Nutzungen jeweils an der Straße endet (BVerwG, U. v. 06.07.1984 - 4 C 28/83 - NJW 1985, 1569; Rieger in: Schröter, BauGB, 7. Aufl. 2006 § 34 Rn. 29). Allerdings bedeutet dies nicht, dass bei unterschiedlicher Nutzung auf beiden Straßenseiten stets von einer trennenden Funktion der Straße auszugehen sei. Entscheidend ist vielmehr bei der Bestimmung der "näheren Umgebung", inwieweit sich das geplante Vorhaben auf die Umgebung auswirken kann und wieweit ihrerseits die Umgebung sich noch prägend auf das Baugrundstück auswirken kann (vgl. BVerwG, U. v. 26.05.1978 - 4 C 9.77 - BVerwGE 55, 369). Bei der Beurteilung dieser Frage kann auch die unterschiedliche Nutzung diesseits und jenseits einer Straße eine Rolle spielen, wobei es wiederum auch auf die Art des Unterschiedes ankommen kann (BVerwG, B. v. 10.06.1991 - 4 B 88/91 - zit. nach juris).
- 47
Nach diesen Grundsätzen hat die Ortsbesichtigung durch den Senat ergeben, dass die Wohnbebauung südlich des Mittelwegs entlang der Robert-Beltz-Straße nicht zur näheren Umgebung zählt. Sie weist eine homogene, andere Nutzung auf als die Flächen nördlich dieser Straße. Die Häuser sind in Richtung Robert-Beltz-Straße ausgerichtet. Die Flächen zum Mittelweg sind die Gärten diese Häuser. Am Mittelweg stehen Garagen, die auf den Mittelweg ausgerichtet sind und eine Art Riegelwirkung entfalten. Die dahinter liegende Gartenreihe wirkt abschirmend gegen den Mittelweg und seine Bebauung. Die Verbindungsstraße zwischen Mittelweg und Robert-Beltz-Straße wirkt entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin nicht trennend.
- 48
Ist somit der Bereich des ehemaligen KIB einschließlich des Vorhabengrundstücks als Außenbereich anzusehen, kommt eine Anwendung des § 34 Abs. 2 BauGB nicht in Betracht.
- 49
b) Selbst wenn die gegenwärtige Nutzung von Teilflächen des KIB-Geländes als bauplanungsrechtlich prägenden Nutzung des Innenbereichs angesehen werden könnte, scheidet eine Zuordnung nach § 34 Abs. 2 BauGB aus.
- 50
Die einmal jährlich stattfindende zweitägige Oldtimer-Ausstellung auf dem ehemaligen KIB-Gelände vermag eine prägende gewerbliche bauliche Nutzung nicht zu vermitteln. Eine derartige sporadische Nutzung vermag eine bauplanungsrechtlich prägende Wirkung nicht zu entfalten.
- 51
Die Nutzung des vorderen Teils des ehemaligen Betriebsgeländes der KIB als Abstellplatz für die Berufsschule lässt sich nicht einem Baugebietstyp nach § 34 Abs. 2 BauGB zuordnen. Die Zulässigkeit von Stellplätzen und den ihnen gleich gestellten Garagen regelt § 12 BauNVO. Nach § 12 Abs. 1 BauNVO sind Stellplätze und Garagen in allen Baugebieten zulässig, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 6 nichts anderes ergibt. § 12 Abs. 2 BauNVO ordnet an, dass Stellplätze und Garagen in Kleinsiedlungsgebieten, reinen Wohngebieten und allgemeinen Wohngebieten sowie Sondergebieten, die der Erholung dienen, nur für den durch die zugelassene Nutzung verursachten Bedarf zulässig sind. Stellplätze und Garagen für einen darüber hinausgehenden, außerhalb des Baugebiets ausgelösten Bedarf sind allein in den übrigen, nicht in § 12 Abs. 2 genannten Gebieten zulässig. In diesen Gebieten erlaubt § 12 Abs. 1 BauNVO nicht nur Einstellplätze, die als Nebenanlagen einer Hauptnutzung zugeordnet sind, sondern auch solche, die keine funktionale Zuordnung zu einer Hauptnutzung aufweisen. Darunter fallen gewerblich betriebene Einstellplätze, die - wie hier - außerhalb öffentlicher Verkehrsflächen errichtet und Dritten – ggf. gegen Entgelt - zur Verfügung gestellt werden sollen (vgl. BVerwG, U. v. 16.09.2010 - 4 C 7/10 –, BauR 2011, 222 = NVwZ 2011, 436). Daraus folgt, dass derartige Stellplätze in besonderen Wohngebieten, Dorfgebieten, Mischgebieten, Kerngebiete, Gewerbegebieten, Industriegebiete und sonstigen Sondergebieten zulässig sind. Eine Zuordnung von Stellplätzen zu einem Baugebietstyp nach der BauNVO ist damit nicht möglich. Das gilt auch für gewerblich betriebene Stellplätze. Denn sie fallen unter § 12 BauNVO, selbst wenn sie zugleich Gewerbebetriebe sind, die als solche nicht genehmigungsfähig wären (Reidt in Gelzer/Bracher/Reidt, Bauplanungsrecht, 7. Aufl. Rn. 1242). § 8 oder § 9 BauNVO finden somit keine Anwendung (Gatz, jurisPR-BVerwG 1/2011 Anm. 6 (Anmerkung)), so dass eine Zuordnung nach § 34 Abs. 2 BauGB ausscheidet.
- 52
2. Da das Baugrundstück nach alledem nur nach Maßgabe des § 35 BauGB bebaubar sein dürfte, dürfte eine Bebauung bzw. Nutzungsänderung mit dem beantragten - nicht im Sinne des § 35 Abs. 1 BauGB privilegierten - Vorhaben nur in Betracht kommen, wenn dieses nicht öffentliche Belange im Sinne von § 35 Abs. 3 BauGB beeinträchtigt. Allenfalls käme eine Beurteilung nach § 34 Abs. 1 BauGB in Betracht.
- 53
In beiden Fällen ist auf den Rechtsbehelf der Antragsteller die Baugenehmigung nur in Hinblick darauf zu überprüfen, ob sie ihnen gegenüber den Grundsatz der Rücksichtnahme verletzt (Löhr in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, Komm., 12. Aufl. 2010, § 31 Rn. 78 und 79).
- 54
Ob durch die Ausführung oder Benutzung eines Vorhabens "rücksichtslos" in schutzwürdige Belange eines Dritten eingegriffen würde, ist aufgrund einer Interessenabwägung im Einzelfall festzustellen. Dabei sind dessen konkrete Umstände zu würdigen und insbesondere die gegenläufigen Interessen des Bauherrn und des Nachbarn in Anwendung des Maßstabs der planungsrechtlichen Zumutbarkeit gegeneinander abzuwägen. Dabei kann umso mehr an Rücksichtnahme verlangt werden, je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung dessen ist, dem die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zu Gute kommt; umgekehrt braucht derjenige, der das Vorhaben verwirklichen will, desto weniger Rücksicht zu nehmen, je verständlicher und unabweisbarer die von ihm mit dem Bauvorhaben verfolgten Interessen sind (vgl. BVerwG, U. v. 25.02.1977 - 4 C 22.75 -, BRS 32 Nr. 155 und U. v. 27.08.1998 - 4 C 5.98 -, BRS 60 Nr. 83).
- 55
Dieses Gebot soll gewährleisten, Nutzungen, die geeignet sind, Spannungen und Störungen hervorzurufen, einander so zuzuordnen, dass Konflikte möglichst vermieden werden. Welche Anforderungen sich dabei im Einzelnen ergeben, hängt maßgeblich davon ab, was dem Rücksichtnahmebegünstigten einerseits und dem Rücksichtnahmeverpflichteten andererseits nach Lage der Dinge zuzumuten ist. Ist die Grundstücksnutzung aufgrund der konkreten örtlichen Gegebenheiten mit einer spezifischen gegenseitigen Pflicht zur Rücksichtnahme belastet, so führt dies nicht nur zu einer Pflichtigkeit desjenigen, der Immissionen verursacht, sondern auch zu einer Duldungspflicht desjenigen, der sich solchen Immissionen aussetzt (BVerwG, U. v. 23.9.1999 - 4 C 6.98 -, BVerwGE 109, 314 = BRS 62 Nr. 86 und v. 18.5.1995 - 4 C 20.94 -, BVerwGE 98, 235 = BRS 57 Nr. 67).
- 56
Derartigen unzumutbare Immissionen im Sinne von § 3 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 BImSchG sind angesichts der Entfernung der Gebäude der Antragsteller zu 5 bis 7 von dem Vorhabengrundstück nicht erkennbar. Auf die von den Antragstellern in Feld geführten befürchteten Verhaltensweisen der Bewohner kommt es nicht an, da sie keinen unmittelbaren Bezug zur Grundstücksnutzung haben. Einen baurechtlichen Milieuschutz gibt es nicht (OVG Bremen, B. v. 29.1.1993 – 1 B 7/93).
- 57
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1 und 2 VwGO, die Festsetzung des Streitwerts auf §§ 47, 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG.
- 58
Der Beschluss ist gemäß § 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 S. 5 i.V.m. 66 Abs. 3 S. 3 GKG unanfechtbar.
(1) Innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile ist ein Vorhaben zulässig, wenn es sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt und die Erschließung gesichert ist. Die Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse müssen gewahrt bleiben; das Ortsbild darf nicht beeinträchtigt werden.
(2) Entspricht die Eigenart der näheren Umgebung einem der Baugebiete, die in der auf Grund des § 9a erlassenen Verordnung bezeichnet sind, beurteilt sich die Zulässigkeit des Vorhabens nach seiner Art allein danach, ob es nach der Verordnung in dem Baugebiet allgemein zulässig wäre; auf die nach der Verordnung ausnahmsweise zulässigen Vorhaben ist § 31 Absatz 1, im Übrigen ist § 31 Absatz 2 entsprechend anzuwenden.
(3) Von Vorhaben nach Absatz 1 oder 2 dürfen keine schädlichen Auswirkungen auf zentrale Versorgungsbereiche in der Gemeinde oder in anderen Gemeinden zu erwarten sein.
(3a) Vom Erfordernis des Einfügens in die Eigenart der näheren Umgebung nach Absatz 1 Satz 1 kann im Einzelfall abgewichen werden, wenn die Abweichung
- 1.
einem der nachfolgend genannten Vorhaben dient: - a)
der Erweiterung, Änderung, Nutzungsänderung oder Erneuerung eines zulässigerweise errichteten Gewerbe- oder Handwerksbetriebs, - b)
der Erweiterung, Änderung oder Erneuerung eines zulässigerweise errichteten, Wohnzwecken dienenden Gebäudes oder - c)
der Nutzungsänderung einer zulässigerweise errichteten baulichen Anlage zu Wohnzwecken, einschließlich einer erforderlichen Änderung oder Erneuerung,
- 2.
städtebaulich vertretbar ist und - 3.
auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist.
(4) Die Gemeinde kann durch Satzung
- 1.
die Grenzen für im Zusammenhang bebaute Ortsteile festlegen, - 2.
bebaute Bereiche im Außenbereich als im Zusammenhang bebaute Ortsteile festlegen, wenn die Flächen im Flächennutzungsplan als Baufläche dargestellt sind, - 3.
einzelne Außenbereichsflächen in die im Zusammenhang bebauten Ortsteile einbeziehen, wenn die einbezogenen Flächen durch die bauliche Nutzung des angrenzenden Bereichs entsprechend geprägt sind.
(5) Voraussetzung für die Aufstellung von Satzungen nach Absatz 4 Satz 1 Nummer 2 und 3 ist, dass
- 1.
sie mit einer geordneten städtebaulichen Entwicklung vereinbar sind, - 2.
die Zulässigkeit von Vorhaben, die einer Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung nach Anlage 1 zum Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung oder nach Landesrecht unterliegen, nicht begründet wird und - 3.
keine Anhaltspunkte für eine Beeinträchtigung der in § 1 Absatz 6 Nummer 7 Buchstabe b genannten Schutzgüter oder dafür bestehen, dass bei der Planung Pflichten zur Vermeidung oder Begrenzung der Auswirkungen von schweren Unfällen nach § 50 Satz 1 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes zu beachten sind.
(6) Bei der Aufstellung der Satzungen nach Absatz 4 Satz 1 Nummer 2 und 3 sind die Vorschriften über die Öffentlichkeits- und Behördenbeteiligung nach § 13 Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 und 3 sowie Satz 2 entsprechend anzuwenden. Auf die Satzungen nach Absatz 4 Satz 1 Nummer 1 bis 3 ist § 10 Absatz 3 entsprechend anzuwenden.
(1) Die in den §§ 2 bis 14 aufgeführten baulichen und sonstigen Anlagen sind im Einzelfall unzulässig, wenn sie nach Anzahl, Lage, Umfang oder Zweckbestimmung der Eigenart des Baugebiets widersprechen. Sie sind auch unzulässig, wenn von ihnen Belästigungen oder Störungen ausgehen können, die nach der Eigenart des Baugebiets im Baugebiet selbst oder in dessen Umgebung unzumutbar sind, oder wenn sie solchen Belästigungen oder Störungen ausgesetzt werden.
(2) Die Anwendung des Absatzes 1 hat nach den städtebaulichen Zielen und Grundsätzen des § 1 Absatz 5 des Baugesetzbuchs zu erfolgen.
(3) Die Zulässigkeit der Anlagen in den Baugebieten ist nicht allein nach den verfahrensrechtlichen Einordnungen des Bundes-Immissionsschutzgesetzes und der auf seiner Grundlage erlassenen Verordnungen zu beurteilen.
(1) Innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile ist ein Vorhaben zulässig, wenn es sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt und die Erschließung gesichert ist. Die Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse müssen gewahrt bleiben; das Ortsbild darf nicht beeinträchtigt werden.
(2) Entspricht die Eigenart der näheren Umgebung einem der Baugebiete, die in der auf Grund des § 9a erlassenen Verordnung bezeichnet sind, beurteilt sich die Zulässigkeit des Vorhabens nach seiner Art allein danach, ob es nach der Verordnung in dem Baugebiet allgemein zulässig wäre; auf die nach der Verordnung ausnahmsweise zulässigen Vorhaben ist § 31 Absatz 1, im Übrigen ist § 31 Absatz 2 entsprechend anzuwenden.
(3) Von Vorhaben nach Absatz 1 oder 2 dürfen keine schädlichen Auswirkungen auf zentrale Versorgungsbereiche in der Gemeinde oder in anderen Gemeinden zu erwarten sein.
(3a) Vom Erfordernis des Einfügens in die Eigenart der näheren Umgebung nach Absatz 1 Satz 1 kann im Einzelfall abgewichen werden, wenn die Abweichung
- 1.
einem der nachfolgend genannten Vorhaben dient: - a)
der Erweiterung, Änderung, Nutzungsänderung oder Erneuerung eines zulässigerweise errichteten Gewerbe- oder Handwerksbetriebs, - b)
der Erweiterung, Änderung oder Erneuerung eines zulässigerweise errichteten, Wohnzwecken dienenden Gebäudes oder - c)
der Nutzungsänderung einer zulässigerweise errichteten baulichen Anlage zu Wohnzwecken, einschließlich einer erforderlichen Änderung oder Erneuerung,
- 2.
städtebaulich vertretbar ist und - 3.
auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist.
(4) Die Gemeinde kann durch Satzung
- 1.
die Grenzen für im Zusammenhang bebaute Ortsteile festlegen, - 2.
bebaute Bereiche im Außenbereich als im Zusammenhang bebaute Ortsteile festlegen, wenn die Flächen im Flächennutzungsplan als Baufläche dargestellt sind, - 3.
einzelne Außenbereichsflächen in die im Zusammenhang bebauten Ortsteile einbeziehen, wenn die einbezogenen Flächen durch die bauliche Nutzung des angrenzenden Bereichs entsprechend geprägt sind.
(5) Voraussetzung für die Aufstellung von Satzungen nach Absatz 4 Satz 1 Nummer 2 und 3 ist, dass
- 1.
sie mit einer geordneten städtebaulichen Entwicklung vereinbar sind, - 2.
die Zulässigkeit von Vorhaben, die einer Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung nach Anlage 1 zum Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung oder nach Landesrecht unterliegen, nicht begründet wird und - 3.
keine Anhaltspunkte für eine Beeinträchtigung der in § 1 Absatz 6 Nummer 7 Buchstabe b genannten Schutzgüter oder dafür bestehen, dass bei der Planung Pflichten zur Vermeidung oder Begrenzung der Auswirkungen von schweren Unfällen nach § 50 Satz 1 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes zu beachten sind.
(6) Bei der Aufstellung der Satzungen nach Absatz 4 Satz 1 Nummer 2 und 3 sind die Vorschriften über die Öffentlichkeits- und Behördenbeteiligung nach § 13 Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 und 3 sowie Satz 2 entsprechend anzuwenden. Auf die Satzungen nach Absatz 4 Satz 1 Nummer 1 bis 3 ist § 10 Absatz 3 entsprechend anzuwenden.
Tenor
1. Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Schwerin vom 02. Februar 2015 geändert.
Der Antrag der Antragsteller, die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs und einer nachfolgenden Klage gegen die Baugenehmigung des Antragsgegners vom 24. Oktober 2014 anzuordnen, wird abgelehnt.
Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Antragsgegnerin und der Beigeladenen in beiden Instanzen als Gesamtschuldner.
2. Der Streitwert wird für das Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht auf 7.500,00 Euro festgesetzt.
Gründe
I.
- 1
Die Antragsteller wenden sich als Nachbarn gegen die Baugenehmigung der Antragsgegnerin, die den Beigeladenen zur Errichtung eines grenzständigen, unterkellerten Wohnhauses erteilt worden ist.
- 2
Die Beigeladenen planen an das grenzständig errichtete Bestandsgebäude der Antragsteller, das ausweislich der diesbezüglichen Baugenehmigung nur eine Flachgründung mittels Sohlplatte aufweist, anzubauen. Für die Unterkellerung des Neubaus war zunächst die Unterfangung des Bestandsgebäudes vorgesehen. Dieser Vorgehensweise stimmten die Antragsteller nicht zu. Sie sahen die Standsicherheit ihres Gebäudes gefährdet und befürchteten Schäden, insbesondere Setzungsrisse.
- 3
Die den Beigeladenen im vereinfachten Genehmigungsverfahren nach § 63 Landesbauordnung – LBauO M-V – am 24. Oktober 2014 erteilte Baugenehmigung der Antragsgegnerin enthielt eine aufschiebende Bedingung zum Baurecht in Ziff. 1, nach der vor Baubeginn die Erklärung des Tragwerksplaners nach § 66 Abs. 2 u. 3 LBauO M-V (Kriterienkatalog) i. V. m. § 14 Abs. 2 Bauvorlagenverordnung M-V nachzureichen sei. Bei Prüferfordernis dürfe mit dem Bau erst begonnen werden, wenn die bautechnischen Nachweise zur Standsicherheit geprüft seien. Zugleich wurde in der Baugenehmigung als eine baurechtliche Auflage (Ziff. 3) bestimmt, dass bei Prüferfordernis hinsichtlich der Baustatik die Forderungen der Prüfingenieure und die Prüfberichte als Auflagen zur Baugenehmigung gelten. Die Bauausführung dürfe nur nach den geprüften Unterlagen erfolgen.
- 4
Auf den Widerspruch der Antragsteller vom 30. Oktober 2014 hob die Antragsgegnerin mit Widerspruchsbescheid vom 03. März 2015 die aufschiebende Bedingung unter Ziff. 1 der Baugenehmigung wegen Erledigung auf, ergänzte die Baugenehmigung um eine (neue) aufschiebende Bedingung über die Sicherstellung einer Freiheit von Grund- und Schichtenwasser und wies im Übrigen den Widerspruch der Antragsteller zurück.
- 5
Am 06. November 2014 haben die Antragsteller um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht.
- 6
Das Verwaltungsgericht Schwerin hat dem Antrag durch Beschluss vom 02. Februar 2015 stattgegeben. Dieser Beschluss wurde der Antragsgegnerin am 03. Februar 2015 und den Beigeladenen am 06. Februar 2015 zugestellt.
- 7
Die Antragsgegnerin hat am 06. Februar 2015 und die Beigeladenen am 17. Februar 2015 Beschwerde eingelegt. Die Antragsgegnerin hat ihre Beschwerde mit einem am 03. März 2015 eingegangenen Schriftsatz begründet, die Beigeladenen mit einem am 05. März 2015 eingegangen Schriftsatz.
- 8
Die Antragsgegnerin hat ihre Begründung auch auf eine Änderung der Sach- und Rechtslage gestützt. Die Aufhebung der aufschiebenden Bedingung sei im Widerspruchsbescheid erfolgt, da die Standsicherheit einschließlich der des Bestandsgebäudes zumindest zwischenzeitlich geklärt worden sei. Es werde keine Unterfangung sondern eine Abfangungswand parallel zur Grundstücksgrenze auf dem Grundstück der Beigeladenen errichtet. Für die Standsicherheit des Bestandsgebäudes der Antragsteller haben die Beigeladenen am 02. März 2015 eine Baulast gemäß § 83 Abs. 4 Nr. 1 LBauO M-V eingeräumt.
- 9
Ob in der Hauptsache zwischenzeitlich Klage erhoben worden ist, lässt sich der Akte nicht entnehmen.
II.
- 10
Die zulässigen Beschwerden sind nach Maßgabe des eingeschränkten Prüfprogramms gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO begründet. Das Verwaltungsgericht hat zu Unrecht die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragsteller gegen die angefochtene Baugenehmigung angeordnet, weil sich nach summarischer Überprüfung der Sach- und Rechtslage ergibt, dass der Rechtsbehelf der Antragsteller keinen Erfolg haben wird. Die Baugenehmigung verletzt sie nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
- 11
Das Vorhaben beurteilt sich gem. § 87 LBauO M-V der geltenden Fassung vom 15.10.2015 (GVOBl. M-V S. 344) nach der bis zum 30.10.2015 geltenden Fassung durch Gesetz vom 20.05.2011 (GVOBl. M-V S. 323). Denn entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts gehört danach die Frage der Standsicherheit nach § 12 LBauO M-V nicht zum Prüfungsumfang des vereinfachten Genehmigungsverfahrens nach § 63 LBauO M-V, wie die Beigeladenen zu Recht rügen.
- 12
§ 63 Abs. 1 Satz 2 LBauO M-V sieht für das vereinfachte Baugenehmigungsverfahren vor, dass § 66 „unberührt bleibt“. Daraus lässt sich jedoch nicht ableiten, dass die nach § 66 Abs. 1 LBauO M-V zu erbringenden technischen Nachweise, hier insbesondere der Standsicherheitsnachweis, im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren selbst vorzulegen sind. Vielmehr ist ausreichend, dass der Nachweis vor Baubeginn vorliegt und – soweit eine bauaufsichtliche Prüfung zu erfolgen hat – diese vor Baubeginn durchgeführt werden kann.
- 13
Der Senat hat bereits entschieden, dass ein dem vereinfachten Baugenehmigungsverfahren gemäß § 63 Abs. 1 Satz 1 LBauO unterfallendes Vorhaben nicht auf die Übereinstimmung mit den bauordnungsrechtlichen Vorschriften der Landesbauordnung geprüft wird, soweit dies nicht in § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 LBauO M-V angeordnet ist (vgl. nur OVG M-V, Urt. v. 30.10.2013 – 3 L 183/10 –, NordÖR 2014, 317, juris Rn. 45 zum Abstandsflächenrecht). Die Feststellungswirkung der Baugenehmigung bezieht sich nur auf die Einhaltung der Vorschriften, die zum Prüfprogramm gehören. Dass die Rechtmäßigkeit der Baugenehmigung und die Rechtmäßigkeit des Bauvorhabens auseinanderfallen können, ist die Konsequenz der Einführung des vereinfachten Baugenehmigungsverfahrens (vgl. OVG Koblenz, Urt. v. 22.10.2008 – 8 A 10942/08 – BRS 73 Nr. 147, juris Rn. 24).
- 14
Das gilt auch für die Prüfung der Standsicherheit (vgl. auch BayVGH, Beschl. v. 27.10.1999 – 2 Cs 99.2387). Bereits nach dem vereinfachten Baugenehmigungsverfahren der Landesbauordnung Mecklenburg-Vorpommern in der bis 30. August 2006 geltenden Fassung regelte § 63 Abs. 2 Nr. 2 LBauO M-V a. F. ausdrücklich, dass die Nachweise über die Standsicherheit von Wohngebäuden geringer Höhe mit nicht mehr als zwei Wohnungen und im Übrigen von Tragwerken sehr geringer und geringer Schwierigkeit im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren nicht geprüft werden. Abs. 6 dieser Norm schrieb vor, dass auch soweit eine Prüfung entfällt, die Bauvorlagen einzureichen sind. Nach Satz 1 sind die Nachweise über die Standsicherheit, soweit sie erforderlich sind, spätestens bis Baubeginn einzureichen. Dabei muss nach Abs. 4 der Vorschrift der Standsicherheitsnachweis von einem bauvorlageberechtigten Ingenieur aufgestellt sein, der nach Abs. 8 eine Erklärung abzugeben hat, dass die von ihm gefertigten Bauvorlagen den gesetzlichen Vorschriften entsprechen.
- 15
An diesem System hat der Gesetzgeber bei der umfassenden Änderung der Landesbauordnung im Jahr 2006 (Gesetz vom 18. April 2006, GVOBl. M-V S. 102), mit der die hier maßgebende Formulierung des § 63 Abs. 1 Satz 2 LBauO M-V eingeführt worden ist, nicht nur festgehalten, vielmehr sollte „eine grundlegende ordnungspolitische Entscheidung für weniger staatliche Kontrolle und für mehr Verantwortung für den Einzelnen“ getroffen werden. „Es (werde) weitergehender als bisher auf materielle Anforderungen sowie auf staatliche Prüfungen und Überwachungen verzichtet. (…) Baurechtliche und bautechnische Prüfung durch die Bauaufsichtsbehörde werden grundsätzlich voneinander abgekoppelt“ (LT-Drs. 4/1810 v. 09.08.2005, S. 2). „Präventive Prüfungen im Rahmen der Baugenehmigungsverfahren können so weit zurückgenommen werden, als die Einhaltung der materiellen Anforderungen bautechnischer Art (Standsicherheit, Brandschutz) durch ein Kompensationssystem in besonderer Weise qualifizierter und ebenso in besonderem Maße verantwortlicher Privater sichergestellt werden kann (LT-Drs. 4/1810 v. 09.08.2005, S. 89). Damit ist die Baugenehmigung im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren „auf eine im Kern (nur noch) planungsrechtliche Genehmigung reduziert“ (LT-Drs. 4/1810 v. 09.08.2005, S. 90 u. schon S. 3). Eine Prüfung der bauordnungsrechtlichen Anforderungen soll nicht stattfinden (LT-Drs. 4/1810 v. 09.08.2005, S. 91 u. 161).
- 16
Mit der Neuformulierung des § 63 LBauO M-V in der ab 01. September 2006 geltenden Fassung wurde somit das Prüfprogramm des vereinfachten Baugenehmigungsverfahrens nicht um die Prüfung der bautechnischen Nachweise im Genehmigungsverfahren gegenüber der Altfassung erweitert. Das lässt sich auch der Systematik der Vorschrift entnehmen, die in Abs. 1 Satz 1 das Prüfprogramm positiv auflistet. Soweit nach Satz 2 nunmehr § 66 „unberührt“ bleiben soll, kommt dieser Formulierung, die sich auch in § 62 Abs. 5 Satz 1 LBauO M-V für die Genehmigungsfreistellung und in § 64 Satz 2 LBauO M-V für das (volle) Baugenehmigungsverfahren findet, nur die Bedeutung zu, dass die in dieser Vorschrift geregelten bautechnischen Nachweise – unabhängig von der Genehmigungsprüfung – vorzulegen und ggf. bauaufsichtlich (neben dem Genehmigungsverfahren) zu prüfen sind. Hierfür spricht auch die Vorschrift des § 72 Abs. 8 Satz 2 LBauO M-V, nach der Baugenehmigungen, Bauvorlagen sowie bautechnische Nachweise, soweit es sich nicht um Bauvorlagen handelt, an der Baustelle vor Baubeginn vorliegen müssen.
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Soweit in der Begründung des Gesetzentwurfs zu § 63 Abs. 1 Satz 2 ausgeführt wird, dass die Unberührtheitsvorschrift eine zusätzliche Regelung des bauaufsichtlichen Prüfprogramms enthält, und das Prüfprogramm des § 63 Abs. 1 um die jeweils der bauaufsichtlichen Prüfung unterworfenen Gegenstände erweitert wird (LT-Drs. 4/1810 v. 09.08.2005, S. 162), ist damit nicht erklärt, zu welchem Zeitpunkt diese Prüfung erfolgen muss. Zudem wird in dem Entwurf darauf verwiesen, dass die bauaufsichtliche Prüfung der Standsicherheit durch die Bauaufsichtsbehörde selbst aber auch durch einen Prüfingenieur (als beliehenen Unternehmer) möglich sei.
- 18
Durch die Neufassung der Landesbauordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 15. Oktober 2015, gültig ab dem 31. Oktober 2015, ist § 63 Abs. 1 Satz 2 LBauO M-V nicht verändert worden.
- 19
Die vom Verwaltungsgericht in dem angefochtenen Beschluss offen gelassenen Fragen, insbesondere auch zur Anwendbarkeit der DIN 4123 betreffen sämtlich die Problematik der Standsicherheit des zu errichtenden Gebäudes bzw. des Bestandsgebäude und bedürfen deshalb im hiesigen Verfahren keiner weiteren Ausführungen.
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Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2, 162, Abs. 3 VwGO.
- 21
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG.
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Hinweis:
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Der Beschluss ist gemäß § 152 Abs. 1 VwGO und § 68 Abs. 2 Satz 7 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG unanfechtbar.
Tenor
1. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragsteller gegen die den Beigeladenen von der Antragsgegnerin erteilte Baugenehmigung vom 24. Oktober 2014 wird angeordnet.
Die Antragsgegnerin und die Beigeladenen tragen die Kosten des Verfahrens je zur Hälfte.
2. Der Streitwert wird auf 7.500,00 Euro festgesetzt.
Gründe
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Der zulässige Antrag der Antragsteller,
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die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs vom 30. Oktober 2014 gegen die Baugenehmigung vom 24. Oktober 2014 (Az.: …) anzuordnen,
- 3
hat Erfolg.
- 4
Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1, § 80 a Satz 3 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) kann das Gericht auf Antrag die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs eines Dritten gegen einen nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO sofort vollziehbaren Verwaltungsakt anordnen, wenn das Interesse des Dritten, von der Vollziehung vorläufig verschont zu werden, das Interesse des Begünstigten – hier der Beigeladenen – an der sofortigen Ausnutzung der Baugenehmigung überwiegt. Im Rahmen dieser Interessenabwägung sind zunächst die Erfolgsaussichten im Hauptsacheverfahren zu prüfen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass sich die Antragsteller als Nachbarn des streitgegenständlichen Bauvorhabens gegen die erteilte Baugenehmigung nicht bereits dann zur Wehr setzen können, wenn diese objektiv rechtswidrig ist. Vielmehr muss sich die Rechtswidrigkeit gerade aus einem Verstoß gegen Vorschriften ergeben, die dem Schutz der Antragsteller als Nachbarn des Bauvorhabens zu dienen bestimmt sind.
- 5
Die streitgegenständliche Baugenehmigung verstößt nach dem gegenwärtigen Erkenntnisstand des Gerichts aller Voraussicht nach gegen die nachbarschützende Vorschrift (zum nachbarschützenden Charakter vgl. z.B. Kammeyer, in: Große-Suchsdorf, NBauO, 9. Auflage 2013, § 12 Rn. 13) des § 12 Abs. 1 Satz 2 Landesbauordnung Mecklenburg-Vorpommern (LBauO M-V) (dazu nachfolgend unter 1.). Die Bestimmung ist im vorliegenden Fall auch vom Prüfprogramm der Bauaufsichtsbehörde erfasst mit der Folge, dass die Standsicherheit des Nachbargebäudes und die Tragfähigkeit des Baugrunds des Grundstücks der Antragsteller zum Inhalt des feststellenden Teils der Baugenehmigung vom 24. Oktober 2014 geworden sind (dazu nachfolgend unter 2.).
- 6
1. Nach § 12 Abs. 1 Satz 2 LBauO M-V dürfen die Standsicherheit anderer baulicher Anlagen und die Tragfähigkeit des Baugrundes der Nachbargrundstücke nicht gefährdet werden. Maßgeblich für die Beurteilung der Standsicherheit der anderen baulichen Anlagen sind die an diese gestellten Standsicherheitsanforderungen. Diese Voraussetzungen sind bei dem streitgegenständlichen Bauvorhaben der Beigeladenen nach dem gegenwärtigen Erkenntnisstand des Gerichts aller Voraussicht nach nicht erfüllt.
- 7
Die streitgegenständliche Baugenehmigung ist den Beigeladenen für das als Hinterbebauung vorgesehene Vorhaben „Neubau eines Doppelhauses“ erteilt worden, wobei ursprünglich von den Beigeladenen der Neubau eines Einfamilienwohnhauses beantragt worden war. Die Nutzung des streitgegenständlichen Vorhabens ist in den Bauvorlagen mit „Archiv“ in den beiden oberirdischen Geschossen und „Kellerraum“ im Kellergeschoss angegeben. Das Gebäude soll grenzständig an das vorhandene Wohngebäude der Antragsteller errichtet werden. Wegen des Kellergeschosses liegt die Gründungsebene des geplanten Gebäudes tiefer als diejenige des Bestandsgebäudes der Antragsteller. Die Baugenehmigung vom 24. Oktober 2014 genehmigt daher eine „Abfangung nach DIN 4123 abschnittsweise Blomben < 1,25 m“. Im grüngestempelten Schnitt A-A heißt es dazu:
- 8
„Kellerwand zum Nachbarn mit 36,5 cm Schalungssteinen als Abfangungswand konstruiert nach DIN 4123, abschnittsweise, Blomben < 1,25 m“.
- 9
Das geplante Gebäude der Beigeladenen soll nach dem Schnitt A-A auf „Magerbetonsäulen“ von 30 cm Durchmesser und einer Tiefe von 1,30 m unter Bezugnahme auf ein Gründungsgutachten stehen. Der Prüfbericht … Nr. … des Ingenieurbüros und Prüfingenieure für Baustatik … vom 12. Juni 2014 nimmt auf eine „Baugrundtechnische Stellungnahme – Gründungsbeurteilung“ vom September 2013 Bezug.
- 10
In dem Prüfbericht … Nr. … werden u. a. folgende „Prüffeststellungen“ getroffen:
- 11
„8.2 Die Prüfung bezog sich ausschließlich auf die Unterfangung des bestehenden Gebäudes.“
- 12
„8.4 Es wird darauf hingewiesen, dass für das neue Gebäude eine Baulast (Grundbucheintrag) durch das Bestandsgebäude erforderlich ist, da das neu herzustellende Wohnhaus nach Errichtung für die Standsicherheit des Bestandsgebäudes erforderlich ist.“
- 13
„8.5 Es wird empfohlen, ein Beweissicherungsverfahren für das Bestandsgebäude durchzuführen, da es gemäß Baugrundgutachten eine setzungsempfindliche Weichschicht gibt.“
- 14
„8.6 Bei der Prüfung wird als richtig unterstellt, dass für die Bemessung von Pos. 405 kein Grund- oder Schichtenwasser (mindestens 50 cm tiefer als Gründungsebene) vorhanden ist.“
- 15
Der Prüfbericht … Nr. … kommt auf dieser Grundlage u. a. zu den Prüfergebnissen:
- 16
„9.4 Durch die setzungsempfindliche Bodenschicht und den neuen Lasteintrag durch die neue Gründung unmittelbar am Bestandsgebäude sind nachträglich Setzungsrisse an der Bausubstanz des Bestandsgebäudes nicht auszuschließen (siehe hierzu auch Pkt. 8.5). Es wird empfohlen, eine Setzungsberechnung für das neue Bauwerk durchzuführen, um die Größenordnung der zu erwartenden Risse abzuschätzen.“
- 17
„9.5 Da mit Wasser in der Gründungsebene zu rechnen ist, sollte eine flache Drainage hergestellt werden (siehe auch Pkt. 8.6). Dies ist nicht eindeutig verständlich, da hierzu Leitungen erforderlich sind, die vor Baubeginn verlegt werden müssen, um mit den Unterfangungsarbeiten beginnen zu können. Bei den Grabungsarbeiten für die auszuhebende Tiefe ist die Standsicherheit des Bestandsgebäudes aber nicht gegeben. Gemäß Aussage von Herrn … wird die Flächendränage erst mit dem Ausheben des Bodens für den jeweiligen Bauabschnitt hergestellt (quer zum bestehenden Gebäude).“
- 18
Zum „Pos. 405“ ist in dem Prüfbericht … Nr. … ausgeführt:
- 19
„Zur Sicherung des Vorhandenen Nachbargebäudes wird die Gründung abschnittsweise gem. DIN 4123 hergestellt. Das Nachbargebäude wird durch die Berme in Anlehnung an die DIN 4123 gesichert. Als erstes ist der Sohlplattenteil hinter der Berme vergl. Skizze herzustellen. Nach Einbau der einzelnen Sohlplattenstreifen 1-3 wird jeweils am Nachbargebäude die Stb.-Außenwand Pos. 405 im Schalungsstein hergestellt. Die Stb.-Außenwand leitet die auftretenden Lasten aus dem Nachbargebäude in die Gründungsplatte. Die Verbindung der einzelnen Sohlstreifen erfolgt mit Rückbiegeanschlüssen. Die Betonierabschnitte sind ggf. mit Verpressschläuchen zu sichern, gem. Angaben der Bauleitung.“
- 20
In einem Prüfbericht … Nr. … vom 15. Dezember 2014, der von der Antragsgegnerin bei dem genannten Statikbüro auf der Grundlage von § 66 Abs. 3 Nr. 2 LBauO M-V in Verbindung mit der Anlage 2 zu § 14 Bauvorlagenverordnung Mecklenburg-Vorpommern (BauVorlVO M-V) nach Erteilung der streitgegenständlichen Baugenehmigung beauftragt worden war, heißt es unter 8.3.:
- 21
„Die Nachbargebäudeabfangung wurde bereits geprüft (siehe Prüf-Nr. 46/14).“
- 22
Danach folgt bereits aus der Prüffeststellung Nr. 8.4 des Prüfberichts … Nr. … vom 12. Juni 2014, der nach der Prüffeststellung Nr. 8.3 des Prüfberichts … Nr. … für die „Nachbargebäudeabfangung“ weiterhin maßgeblich ist, dass „das neu herzustellende Wohnhaus nach Errichtung für die Standsicherheit des Bestandsgebäudes erforderlich ist“. Nach § 12 Abs. 1 Satz 1 LBauO M-V muss jedoch jede bauliche Anlage im Ganzen und in ihren einzelnen Teilen für sich allein standsicher sein. „Für sich allein“ sind bauliche Anlagen standsicher, wenn sie zur Aufnahme der Lasten nicht auf andere Bauten angewiesen sind; sie dürfen grundsätzlich ihre Standsicherheit nicht aus dem statischen oder konstruktiven Verbund mit Nachbarbauten beziehen (vgl. VG Schwerin, Beschl. v. 22. Januar 2015 – 2 A 899/14 (PKH); Kammeyer, a.a.O., § 12 Rn. 3).
- 23
Im vorliegenden Fall würde die Realisierung des von der Antragsgegnerin genehmigten Vorhabens nach der genannten Prüffeststellung, von deren Richtigkeit das erkennende Gericht mangels anderer Anhaltspunkte jedenfalls für das hier zu entscheidende vorläufige Rechtsschutzverfahren ausgeht, für das antragstellerische Gebäude zum Verlust seiner bisher gegebenen Standsicherheit „ für sich allein“ führen. Die (bisher) von anderen baulichen Anlagen unabhängige Standsicherheit des antragstellerischen Gebäudes wird somit durch das genehmigte Bauvorhaben beseitigt und von dessen Bestand abhängig gemacht. Die von § 12 Abs. 1 Satz 2 LBauO M-V – nachbarschützend – für die bauordnungsrechtliche Zulässigkeit von Bauvorhaben normierte Voraussetzung, dass die Standsicherheit „anderer baulicher Anlagen“ nicht gefährdet werden darf, ist daher nicht erfüllt.
- 24
Zwar ist davon auszugehen, dass grundsätzlich der Bauherr einer bestehenden baulichen Anlage selbst für die Standsicherheit seiner Anlage einzustehen hat, was aus § 12 Abs. 1 Satz 1 LBauO M-V folgt. Andererseits kann er in gewissem Umfang darauf vertrauen, dass die für die Standsicherheit seiner bestehenden Anlage maßgeblichen Umstände nicht zu seinen Lasten mit der Folge verändert werden, dass ein „Nachrüsten“ seiner Anlage erforderlich wird, um deren Standsicherheit auch nach solchen Veränderungen weiter zu gewährleisten. Derjenige, der eine neue bauliche Anlage errichtet, muss seinerseits darauf achten, dass er keine solchen Veränderungen der Standsicherheitsbedingungen bewirkt, die der Bauherr der bestehenden Anlage bei deren Einrichtung und ordnungsgemäßer Unterhaltung nicht in Rechnung stellen muss (vgl. VG Schwerin, Beschl. v. 14. Januar 2015 – 2 B 889/14 -, amtlicher Umdruck S. 7 unter Hinweis auf VG Schwerin, Beschl. v. 28. April 2011 – 2 B 9/11 -, und Beschl. v. 7. Oktober 2008 – 2 B 399/08 – und OVG Münster, Beschl. v. 24. Januar 2000 – 7 B 2180/99 -, BauR 2000, 862). Vorliegend sind es jedoch gerade die Beigeladenen, die die vorhandene statische Situation zu Lasten der Antragsteller nachträglich verändern wollen, indem sie die Gründungsebene des von ihnen geplanten Gebäudes tiefer als diejenige des Bestandsgebäudes vorsehen.
- 25
Zu einer solchen einseitigen nachträglichen Veränderung sind sie mangels anderweitiger Anhaltspunkte auch nicht aufgrund ihrer aus einer Baulast folgenden Anbauverpflichtung berechtigt. Welche zivilrechtlichen Vereinbarungen der Übernahme der Anbaubaulast für das Grundstück der Beigeladenen zugrunde lagen, entzieht sich der Kenntnis des Gerichts. Solche sind für die öffentlich-rechtlichen bauordnungsrechtlichen Standsicherheitsanforderungen des § 12 Abs. 1 LBauO M-V auch ohne Relevanz (vgl. z.B. VG Schwerin, Urt. v. 26. März 2009 – 2 A 1914/06, amtl. Umdruck S. 19).
- 26
Der Verlust der selbständigen Standsicherheit des Wohnhauses der Antragsteller durch das Vorhaben der Beigeladenen ist auch nicht anderweitig öffentlich-rechtlich legitimiert. Denn das setzte wegen der dem § 12 Abs. 2 LBauO M-V mindestens vergleichbaren Interessenlage die öffentlich-rechtliche Sicherung des Bestandes des Vorhabengebäudes voraus, jedenfalls, soweit es für die Standsicherheit des antragstellerischen Hauses relevant ist. Dass eine solche hier gegeben ist, etwa durch eine Baulast nach § 83 Abs. 4 Nr. 1 LBauO M-V, ist indes weder vorgetragen noch derzeit ersichtlich. Dahin gestellt bleiben kann daher, ob zudem nicht auch das antragstellerische Gebäude für die Standsicherheit des zu errichtenden Gebäudes Relevanz hat. In diesem Fall dürfte wohl weitere Voraussetzung für die Erteilung der Baugenehmigung die Übernahme einer Baulast durch die Antragsteller sein.
- 27
Angesichts dessen können die weiteren Fragen des Falles, u. a. diejenige danach, ob im Blick auf die Bodenverhältnisse und den Grundwasserstand die DIN 4123 überhaupt Anwendung finden kann (vgl. dort Nr. 9.1 Buchstabe a)) und ob sie tatsächlich auch Anwendung finden soll oder ob nicht hier ein (eigenes) Verfahren lediglich “in Anlehnung an die DIN 4123“ zugrunde liegt, dahin stehen. Das gilt auch für die Frage, ob das Verfahren nach DIN 4123 notwendig einen Eingriff unterhalb des antragstellerischen Gebäudes bedingt (vgl. Bild 3 und 4 sowie Nr. 9.2 und 9.5 Buchstabe a) DIN 4123) und welche (öffentlich-rechtlichen) Konsequenzen sich daraus ergeben. Ebenso dahinstehen kann daher auch die Frage, ob die hier nach Nr. 9.4 des Prüfberichts … Nr. … offenbar bestehende Gefahr von Setzrissen aufgrund setzungsempfindlicher Bodenschichten oder in Folge von Grundwasserveränderungen (vgl. dazu Kammeyer, a.a.O., § 12 Rn. 13) eine Nachbarrechtsverletzung begründet. Das gilt auch für die Tragfähigkeit des Baugrunds infrage stellende Grundwasserabsenkungen während der Bauphase (vgl. Nr. 9.1 Buchstabe b) DIN 4123), was Nachbarrechtsrelevanz neben § 12 Abs. 1 Satz 2 LBauO M-V, der sich auch auf den Bauvorgang bezieht (vgl. Kammeyer, a.a.O., Rn. 13), zudem im Blick auf § 11 Abs. 1 LBauO M-V hat, wonach Baustellen unter anderem so einzurichten sind, dass Gefahren nicht entstehen. Schließlich braucht hier auch nicht weiter der Frage nachgegangen zu werden, ob die Baugenehmigung nicht bereits deshalb rechtswidrig und nachbarrechtsverletzend zu Lasten der Antragsteller ist, weil sie die hier in Rede stehenden Standsicherheitsfragen – in der Auslegung der Antragsgegnerin – zum Inhalt einer aufschiebenden Bedingung gemacht und damit die Baugenehmigung erteilt hat, ohne zuvor die Fragen der Standsicherheit im Blick auf § 12 Abs. 1 Satz 1 und 2 LBauO M-V abschließend geklärt zu haben (vgl. OVG Greifswald, Urt. v. 14. August 2013 – 3 L 116/07 -, NordÖR 2013, 486, 487 f., das sogar die Nichtigkeit einer solchen Baugenehmigung erwägt).
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2. Die Fragen der Standsicherheit sind im vorliegenden Fall auch Teil des bauaufsichtlichen Prüfprogramms der Antragsgegnerin gewesen, obwohl das streitgegenständliche Vorhaben lediglich im vereinfachten Genehmigungsverfahren nach § 63 LBauO M-V zu prüfen war.
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Das folgt aus § 63 Abs. 1 Satz 2 LBauO M-V, wonach § 66 unberührt bleibt. § 66 LBauO M-V regelt in Abs. 3 Satz 1 diejenigen Fälle, in denen der Standsicherheitsnachweis bauaufsichtlich geprüft sein muss. Im vorliegenden Fall ergibt sich das Erfordernis der bauaufsichtlichen Prüfung des Standsicherheitsnachweises aus § 66 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe a) LBauO M-V, weil der Kriterienkatalog der Anlage 2 zu § 14 BauVorlVO als der in Bezug genommenen Rechtsverordnung nach § 85 Abs. 3 LBauO M-V nach der Erklärung des Entwurfsverfassers vom 11. November 2014 nicht erfüllt ist. Der Standsicherheitsnachweis ist nicht beschränkt auf den Nachweis der Standsicherheit des zu errichtenden Gebäudes, sondern nach § 66 Abs. 1 Satz 1 LBauO M-V bezogen auf die „Einhaltung der Anforderungen an die Standsicherheit“, wozu auch das Erfordernis des § 12 Abs. 1 Satz 2 LBauO M-V über die Nichtgefährdung der Standsicherheit anderer baulicher Anlagen und der Tragfähigkeit des Baugrunds der Nachbargrundstücke zählt.
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3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 und 3 VwGO. Da die Beigeladenen mit dem von ihnen gestellten Antrag unterliegen, sind sie an den Kosten des Verfahrens neben der Antragsgegnerin zu beteiligen.
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Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG sowie Ziffer 9.7 und 1.5 Streitwertkatalog 2013. Mangels anderer konkreter Anhaltspunkte orientiert sich das Gericht an dem Regelrahmen von 7.500,00 bis 15.000,00 Euro als Hauptsachestreitwert, wobei es von dem oberen Rahmenwert ausgeht, der für das vorläufige Rechtsschutzverfahren zu halbieren war.
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.