Verwaltungsgericht Schwerin Beschluss, 06. Juli 2016 - 2 B 1196/16 SN

bei uns veröffentlicht am06.07.2016

Tenor

1. Die Anträge auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes werden abgelehnt.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.

2. Der Streitwert wird auf 7.500,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

1

Die Antragstellerin wehrt sich im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes gegen eine der Beigeladenen unter Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens erteilte Baugenehmigung für die Errichtung eines Wohngebäudes mit Garage auf dem Grundstück L 32 im Ortsteil G der Antragstellerin.

2

Die Eigenart der näheren Umgebung des Vorhabenstandorts, für den kein Bebauungsplan gilt, entspricht einem allgemeinen Wohngebiet im Sinne von § 4 Baunutzungsverordnung (BauNVO). Für die östliche Straßenseite der L, an der sich das Grundstück Nr. 32 der Beigeladenen befindet, lässt sich eine vordere Bauflucht der baulichen Anlagen nicht feststellen. Ein von der Gemeindevertretung am 27. Februar 2014 gefasster Satzungsbeschluss für den – auch das Vorhabengrundstück erfassenden - Bebauungsplan Nr. 19 „Ortslage G“ ist bisher nicht in Kraft gesetzt worden. Die Satzung der Antragstellerin zur Ortsgestaltung in den Orten der Gemeinde (im Folgenden: Ortsgestaltungsatzung) regelt in § 10 die Grundstücksfreiflächen. Nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Ortsgestaltungsatzung sind die nicht überbauten Flächen der Grundstücke zwischen der öffentlichen Verkehrsfläche und der bis zu den seitlichen Grundstücksgrenzen verlängerten vorderen Gebäudeflucht als Vorgarten anzulegen und zu unterhalten. Nach Satz 3 zweiter Halbsatz der Bestimmung sind Garagen und Carports im Vorgartenbereich unzulässig. Der Vorgartenbereich darf nach Satz 4 der Bestimmung lediglich für Grundstückszufahrten unterbrochen werden.

3

Unter Berufung auf die Ortsgestaltungsatzung beanstandet die Antragstellerin den für die Garage genehmigten Standort. Eine während des Baugenehmigungsverfahrens von der Antragstellerin beantragte Zurückstellung des Baugesuchs der Beigeladenen nach § 15 Baugesetzbuch (BauGB) lehnte die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 11. Mai 2016 ab. Mit Bescheid von 12. Mai 2016 erteilte die Antragsgegnerin der Beigeladenen die beantragte Baugenehmigung nach zuvor erfolgter Anhörung der Antragstellerin zur beabsichtigten Ersetzung des Einvernehmens.

II.

4

1. Der Antrag,

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die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen die zugunsten der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 12. Mai 2016 herzustellen,

6

sowie der Antrag,

7

die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen die Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens gem. § 36 Abs. 1 BauGB, getätigt durch Erlass der Baugenehmigung vom 12. Mai 2016 zugunsten der Beigeladenen durch den Antragsgegner, wiederherzustellen,

8

die von dem Gericht sachgerecht dahin verstanden werden, dass jeweils die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der von der Antragstellerin gegen Baugenehmigung und Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens erhobenen Widersprüche beantragt sein soll, haben keinen Erfolg.

9

a) Soweit die Antragstellerin ihr vorläufiges Rechtsschutzbegehren nach Baugenehmigung und Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens trennt, kommt dem keine rechtserhebliche Bedeutung zu. Die Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens nach § 36 Abs. 2 Satz 3 BauGB und § 71 Abs. 1 Satz 2 Landesbauordnung Mecklenburg-Vorpommern (LBauO M-V) erfolgt nach § 71 Abs. 1 Satz 2 LBauO M-V durch die Erteilung der Baugenehmigung, worin im Verhältnis zur Gemeinde nach § 71 Abs. 3 Satz 1 LBauO M-V zugleich eine begründungspflichtige Ersatzvornahme liegt.

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b) Gem. §§ 80 Abs. 5 Satz 1, 80a Abs. 3 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) kann das Gericht auf Antrag die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs eines Dritten gegen einen nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO sofort vollziehbaren Verwaltungsakt anordnen, wenn das Interesse des Dritten, von der Vollziehung vorläufig verschont zu werden, das Interesse des Begünstigten – hier der Beigeladenen – an der sofortigen Ausnutzung der Baugenehmigung überwiegt. Im Rahmen dieser Interessenabwägung sind zunächst die Erfolgsaussichten im Hauptsacheverfahren zu prüfen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass sich die Antragstellerin als Standortgemeinde des in Rede stehenden Vorhabens gegen die erteilte Baugenehmigung nicht bereits dann zur Wehr setzen kann, wenn diese objektiv rechtswidrig ist. Vielmehr muss sich die Rechtswidrigkeit gerade aus einem Verstoß gegen Vorschriften ergeben, die dem Schutz der gemeindlichen Planungshoheit zu dienen bestimmt sind.

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Danach geht die Interessenabwägung hier zugunsten der Beigeladenen aus. Denn aufgrund der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren nur gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage ist davon auszugehen, dass das Rechtsschutzbegehren in der Hauptsache keinen Erfolg haben wird, weil die erteilte Baugenehmigung die Antragstellerin in ihrer Planungshoheit nicht verletzt.

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aa) (1) Die angefochtene Baugenehmigung verletzt die Antragstellerin nicht in ihrer Planungshoheit im Hinblick auf die Ablehnung des von ihr gestellten Zurückstellungsantrags durch den Bescheid der Antragsgegnerin vom 11. Mai 2016. Das folgt bereits daraus, dass der den Zurückstellungsantrag ablehnende Bescheid vom 11. Mai 2016 im für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage durch das Gericht maßgeblichen Zeitpunkt des heutigen Tages in Bestandskraft erwachsen ist. Den von der Antragsgegnerin vorgelegten Verwaltungsvorgängen ist nicht zu entnehmen, dass die anwaltlich vertretene Antragstellerin Widerspruch (auch) gegen die Ablehnung ihres Zurückstellungsantrags erhoben hätte.

13

(2) Ungeachtet dessen kann in der Erteilung der Baugenehmigung trotz der von der Antragstellerin beantragten Zurückstellung keine Verletzung ihrer gemeindlichen Planungshoheit gesehen werden. Zwar hat die Baugenehmigungsbehörde nach § 15 Abs. 1 Satz 1 BauGB auf Antrag der Gemeinde die Entscheidung über die Zulässigkeit von Vorhaben im Einzelfall für einen Zeitraum bis zu zwölf Monaten auszusetzen, wenn zu befürchten ist, dass die Durchführung einer Planung, zu deren Sicherung der Erlass einer Veränderungssperre zulässig wäre, durch das Vorhaben unmöglich gemacht oder wesentlich erschwert würde. Eine Zurückstellungspflicht nach § 15 Abs. 1 Satz 1 BauGB bestand für die Antragsgegnerin indes nicht.

14

Die Zurückstellung nach § 15 Abs. 1 Satz 1 BauGB ist im hier gegebenen Fall des Nichterlasses einer Veränderungssperre nur zulässig, wenn die sachlichen Voraussetzungen für den Erlass einer Veränderungssperre gegeben sind (vgl. VG Schwerin, Beschluss vom 10. März 2015 – 2 B 981/14 – amtlicher Umdruck S. 5 f.) Zwar hat die Antragsgegnerin nicht nur einen Aufstellungsbeschluss zur Aufstellung des Bebauungsplans Nr. 19 „Ortslage G“, sondern bereits am 27. Februar 2014 den diesbezüglichen Satzungsbeschluss gefasst. Indessen setzt die Zurückstellungspflicht wegen der Inbezugnahme der Voraussetzungen für den Erlass einer Veränderungssperre in § 15 Abs. 1 Satz 1 BauGB voraus, dass in Bezug auf eine gemeindliche Planung ein Sicherungsbedürfnis in dem Sinne besteht, dass die Zurückstellung zur Sicherung der Planung erforderlich ist (vgl. Mitschang, in Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 12. Auflage 2014, § 15 Rn. 2). Das ist nicht nur dann nicht der Fall, wenn – was hier nicht relevant ist – der Inhalt der beabsichtigten Planung noch in keiner Weise abzusehen ist. Vielmehr fehlt das Sicherungsbedürfnis für die gemeindliche Planung auch dann, wenn eine Veränderungssperre und mithin auch die Zurückstellung nach § 15 Abs. 1 Satz 1 BauGB zur Sicherung der städtebaulichen Planung der Gemeinde ungeeignet ist, weil das Satzungsziel im Wege der planerischen Festsetzung nicht erreicht werden kann und ein entsprechend rechtswidriger Bebauungsplan wegen rechtlicher Mängel schlechterdings nicht behebbar ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 21. Dezember 1993 – 4 NB 40.93 – NVwZ 1994, 685).

15

Zwar wird sich regelmäßig – jedenfalls, sofern den gemeindlichen Planungen das erforderliche Mindestmaß an Konkretisierung zu entnehmen ist – nur ausnahmsweise feststellen lassen, dass sich die zu sichernde Planung rechtmäßig nicht verwirklichen lässt. Das hat seinen Grund darin, dass der genaue Inhalt des in Aufstellung befindlichen Bebauungsplans bei Erlass der Veränderungssperre noch nicht feststeht. Das ist indessen anders, wenn – wie im vorliegenden Fall – die Gemeindevertretung den Bebauungsplan bereits als Satzung beschlossen hat und damit dessen Inhalt feststeht. In einem solchen Fall muss sich die Gemeinde auch schon vor der das Rechtssetzungsverfahren abschließenden Bekanntmachung an den beschlossenen Festsetzungen des Bebauungsplans festhalten lassen mit der Folge, dass eine zur Sicherung des Plans erlassene Veränderungssperre unwirksam wird – und damit auch die Möglichkeit auch der Zurückstellung von Baugesuchen nach § 15 Abs. 1 Satz 1 BauGB nicht mehr besteht -, wenn sich der von der Gemeinde zur Verwirklichung ihrer Planungskonzeption gewählte Weg als rechtlich nicht gangbar erweist (vgl. VGH Mannheim, Urteil vom 10. Dezember 1993 – 8 S 994/92 – UPR 1994, 455). So liegt es hier. Die von der Gemeindevertretung beschlossene Festsetzung eines „Sonstiges Sondergebiet für Dauerwohnen und Ferienwohnen“ ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Urteil vom 11. Juli 2013 – 4 CN 7.12 – NVwZ 2014, 72 = BVerwGE 147,138) bauplanungsrechtlich ausgeschlossen.

16

(3) Unabhängig davon spricht nach dem gegenwärtigen Erkenntnisstand des Gerichts im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens Überwiegendes dafür, dass der Gemeinde in Bezug auf den von ihr gestellten Zurückstellungsantrag rechtsmissbräuchliches Verhalten vorzuwerfen ist. Die Zurückstellung von Baugesuchen ist – neben der Veränderungssperre und den gesetzlichen Vorkaufsrechten der Gemeinde – ein Instrument zur Sicherung der gemeindlichen Bauleitplanung. Die Zurückstellung eines Baugesuchs auf Antrag der Gemeinde setzt daher voraus, dass in Bezug auf die kommunale Bauleitplanung ein Sicherungsbedürfnis besteht. § 15 Abs. 1 BauGB macht in diesem Zusammenhang die Zurückstellung von Baugesuchen davon abhängig, dass die Voraussetzungen für den Erlass einer Veränderungssperre gegeben sind. Zu diesen Voraussetzungen zählt auch, dass der Erlass einer Veränderungssperre zur Sicherung der Planung der Gemeinde erforderlich ist (vgl. auch VG Schwerin, Urteil vom 17. März 2011 – 2 A 1085/09 – amtlicher Umdruck S. 14 ff). An einer solchen Erforderlichkeit fehlt es nicht nur in den Fällen, in denen die gemeindliche Planung noch keinen Stand erreicht hat, der wenigstens in groben Zügen erkennen lässt, was Inhalt des zu erwartenden Bebauungsplans sein soll. Vielmehr dürfte die Erforderlichkeit des Erlasses einer Veränderungssperre und damit zugleich die Voraussetzung für die Zurückstellung eines Baugesuchs auch in Fällen wie dem vorliegenden, in dem die Gemeindevertretung bereits einen Satzungsbeschluss über den Bebauungsplan gefasst hat, die Satzung jedoch seit nahezu 2 ½ Jahren nicht in Kraft setzt, fehlen. Eine Gemeinde, wie hier die Antragstellerin, hat es nämlich grundsätzlich in der Hand, nach Ergehen des Satzungsbeschlusses den Bebauungsplan bekannt zu machen und ihm damit – unter der Voraussetzung der Rechtmäßigkeit der planerischen Festsetzungen – Wirksamkeit zu verleihen.

17

bb) Die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung verletzt die Antragstellerin nach dem gegenwärtigen Erkenntnisstand des Gerichts auch sonst nicht in ihrer Planungshoheit, insbesondere folgt eine solche Verletzung nicht, wie es die Antragstellerin meint, aus dem von ihr angenommenen Verstoß des Vorhabens der Beigeladenen gegen die Ortsgestaltungssatzung im Hinblick auf den Standort der geplanten Garage.

18

(1) Bei dem Vorhaben der Beigeladenen handelt es sich um ein solches, für das nach § 63 LBauO M-V das vereinfachte Baugenehmigungsverfahren gilt. Nach § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 LBauO M-V prüft die Bauaufsichtsbehörde im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren lediglich die Übereinstimmung des Vorhabens mit den Vorschriften über die Zulässigkeit der baulichen Anlagen nach den §§ 29 bis 38 BauGB. Die Übereinstimmung des Bauvorhabens mit bauordnungsrechtlichen Vorschriften ist – soweit nicht Abweichungen und die Abstandflächenvorschriften des § 6 LBauO M-V in Rede stehen (vgl. § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 LBauO M-V) – nicht Teil des bauaufsichtlichen Prüfprogramms. Die Ortsgestaltungssatzung, deren Verletzung die Antragstellerin im Hinblick auf den Standort der von der Beigeladenen geplanten Garage rügt, stellt eine auf der Grundlage von § 86 Abs. 1 Nr. 1 LBauO M-V erlassene Satzung über örtliche Bauvorschriften dar, der mithin bauordnungsrechtlicher Charakter zukommt. Ist mithin die Feststellung der Übereinstimmung des Bauvorhabens der Beigeladenen mit der Ortsgestaltungssatzung vom Regelungsgehalt der angefochtenen Baugenehmigung nicht umfasst, kann der von der Antragstellerin angenommene Verstoß des Vorhabens der Beigeladenen gegen § 10 der Ortsgestaltungssatzung auch nicht zur Rechtswidrigkeit der Baugenehmigung führen.

19

(2) Die Antragstellerin kann sich auch nicht darauf berufen, dass die Antragsgegnerin die Baugenehmigung im Hinblick auf den geltend gemachten Verstoß gegen § 10 der Ortsgestaltungsatzung unter dem Gesichtspunkt des fehlenden Sachbescheidungsinteresses nicht hätte erteilen dürfen. Zwar kann das Sachbescheidungsinteresse in Bezug auf einen Bauantrag fehlen, wenn von vornherein feststeht, das von einer erteilten Baugenehmigung durch den Bauherrn kein Gebrauch gemacht werden kann, was der Fall sein kann, wenn das Bauvorhaben zwar nicht den im Rahmen des Baugenehmigungsverfahrens zu prüfenden öffentlich-rechtlichen Vorschriften, jedoch anderen, gleichwohl vom Bauherrn zu beachtenden, zwingenden öffentlich-rechtlichen Vorschriften widerspricht. Ein solcher Fall liegt hier indessen nicht vor. Selbst wenn der von der Antragstellerin behauptete Verstoß gegen § 10 der Ortsgestaltungssatzung vorliegen sollte, kann nicht von vornherein angenommen werden, dass die Beigeladene ihr Vorhaben gerade wegen dieses Verstoßes nicht verwirklichen könnte. Denn jedenfalls besteht für die Beigeladene die Möglichkeit zur Beantragung einer Abweichung von den Bestimmungen der Ortsgestaltungssatzung gem. § 67 Abs. 1 LBauO M-V. Da die Erteilung einer solchen Abweichung im Ermessen der Erteilungsbehörde steht und hierbei maßgeblich im Rahmen des Konzepts der „vollzugstauglichen Flexibilisierung“ des Bauordnungsrechts (vgl. Begründung Regierungsentwurf LBauO 2006, LT-Drs. 4/1810 S. 170; vgl. dazu VG Schwerin, Urteil vom 14. Februar 2013 – 2 A 1774/10 – juris m.w.N.; Beschluss vom 22. Oktober 2014 – 2 B 670/14 – amtlicher Umdruck S. 10) die Zielrichtung der bauordnungsrechtlichen Vorschrift, von der ein Dispens begehrt wird, in Rede steht, kann gerade nicht festgestellt werden, dass der Beigeladenen ein Anspruch auf Erteilung der Abweichung nicht zusteht.

20

(3) Im Übrigen dürfte zweifelhaft sein, ob die Regelung in § 10 Abs. 1 der Ortsgestaltungssatzung im Hinblick auf die Regelung des Standortes von Stellplätzen, Garagen und Carports, insbesondere hinsichtlich der Regelung über die Unzulässigkeit von Garagen und Carports im Vorgartenbereich, im Einklang mit der Ermächtigungsgrundlage des § 86 Abs. 1 Nr. 5 LBauO M-V steht. Danach kann die Gemeinde örtliche Bauvorschriften erlassen unter anderem über die Gestaltung der unbebauten Flächen der bebauten Grundstücke und kann dabei bestimmen, dass Vorgärten nicht als Arbeitsflächen oder Lagerflächen genutzt werden dürfen. Anders als etwa nach § 86 Abs. 1 Nr. 4 Bauordnung für das Land Nordrhein-Westfalen (BauO NRW) ermächtigt § 86 Abs. 1 Nr. 5 LBauO M-V gerade nicht zu einer Bestimmung, dass Stellplätze nicht in Vorgärten errichtet werden dürfen. Darüber hinaus ist zweifelhaft, ob das Verbot von Garagen und Carports in Vorgärten überhaupt eine bauordnungsrechtliche Regelung oder nicht eher eine unzulässige bodenrechtliche Regelung im Gewande einer Baugestaltungsvorschrift darstellt (vgl. dazu BVerwG, Beschluss vom 10. Juli 1997 – 4 NB 15.97 – BRS 59 Nr. 19).

21

cc) Schließlich kommt eine Verletzung der Antragstellerin in ihren Rechten auch sonst nicht durch die erteilte Baugenehmigung in Betracht. Der Vorhabenstandort befindet sich im nicht beplanten Innenbereich im Sinne des § 34 Abs. 1 BauGB. Zwar hat die Antragstellerin durch ihre Gemeindevertretung den Satzungsbeschluss für den Erlass des Bebauungsplans Nr. 19 gefasst. Daraus folgt indessen nicht die Anwendbarkeit des § 33 BauGB als Prüfungsmaßstab für das Vorhaben der Beigeladenen. Voraussetzung dafür wäre neben der formellen auch die materielle Planreife des künftigen Bebauungsplans. Daran fehlt es zum einen deshalb, weil der Bebauungsplan nach dem oben Gesagten mit den in ihm vorgesehenen Festsetzungen von „Sonstigen Sondergebieten Dauerwohnen und Ferienwohnen“ nicht rechtswirksam werden kann. Zum anderen kann aufgrund des Umstands, dass die Gemeinde den Bebauungsplan bereits nahezu 2 ½ Jahre nach Ergehen des Satzungsbeschlusses nicht bekannt gemacht hat, ein unverändertes Inkrafttreten des Bebauungsplans nicht hinreichend sicher erwartet werden (vgl. VGH Mannheim, Beschluss vom 19. Mai 2008 – 3 S 2509/07 – BRS 73 Nr. 79; vgl. auch VG Schwerin, Urteil vom 16. Juni 2016 – 2 A 808/14 – amtlicher Umdruck S. 17 ff.). Im Übrigen böte § 33 BauGB lediglich die Möglichkeit der Zulassung des Vorhabens im Einklang mit den künftigen Festsetzungen des Bebauungsplans, nicht hingegen dessen Ablehnung, wenn es nach § 34 BauGB zulassungsfähig ist (vgl. Reidt, in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 12. Aufl. 2014, § 34 Rn. 1).

22

(1) Ist Prüfungsmaßstab für das Bauvorhaben der Beigeladen mithin § 34 Abs. 1 BauGB hinsichtlich der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, lässt sich im Hinblick auf den vorgesehenen Standort der Garage ein Verstoß hiergegen nicht feststellen. Entlang der Ostseite der L findet sich keine einheitliche Bauflucht. Vielmehr ergibt sich bereits aus den dem Verwaltungsvorgang zu entnehmenden Unterlagen wie auch aus dem Eindruck, den das Gericht im Rahmen des Erörterungstermins vor Ort am 10. Juni 2016 gewonnen hat, dass die baulichen Anlagen entlang der Ostseite der L in unterschiedlicher Tiefe von der Straße aus errichtet sind. Mangels einheitlicher Bauflucht kann der von der Beigeladenen vorgesehene Standort ihrer Garage auch nicht gegen eine solche verstoßen.

23

(2) Die von der Antragstellerin reklamierte Ortsbildbeeinträchtigung (§ 34 Abs. 1 Satz 2 2. Alt. BauGB) liegt nicht vor. Die Antragstellerin hat bereits nicht dargelegt, worin die spezifische städtebauliche Wertigkeit des Ortsbildes in G unter dem Aspekt der Stellung von Garagen auf den Baugrundstücken, insbesondere entlang der östlichen Seite der L, zu sehen ist (vgl. zu dem Erfordernis einer besonderen Wertigkeit des Ortsbildes Mitschang/Reidt, in: Battis/Krautzberger/Löhr, a.a.O., § 34 Rn. 40). Im Rahmen des Erörterungstermins vor Ort am 10. Juni 2016 hat das Gericht eine solche Wertigkeit, die zu einer aus dem Üblichen herausragenden Prägung des Ortsbildes führen muss (vgl. Mitschang/Reidt a.a.O.), nicht feststellen können.

24

2. Den weiteren Antrag,

25

im Wege der einstweiligen Anordnung zugunsten der Antragstellerin sofort zu entscheiden,

26

versteht das Gericht nicht als eigenständigen Antrag. Als solcher wäre er nach § 123 Abs. 5 VwGO unzulässig.

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3. Der hilfsweise Antrag,

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festzustellen, dass der Widerspruch der Antragstellerin gegen die Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens aufschiebende Wirkung hat,

29

ist unbegründet. Das folgt (bereits) aus § 71 Abs. 3 Satz 1 und 2 LBauO M-V. Danach ist die Baugenehmigung, durch deren Erteilung das Einvernehmens ersetzt wird (§ 71 Abs. 1 Satz 2 LBauO M-V), zugleich eine begründungspflichtige Ersatzvornahme (Satz 1); Widerspruch und Anfechtungsklage gegen die Ersatzvornahme haben keine aufschiebende Wirkung (Satz 2).

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4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 in Verbindung mit § 162 Abs. 3 VwGO. Da die Beigeladene einen Antrag gestellt und damit sich einem eigenen Kostenrisiko ausgesetzt hat, erscheint es billig, ihre außergerichtlichen Kosten für erstattungsfähig zu erklären

31

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2 Gerichtskostengesetz (GKG) in Verbindung mit Ziffer 9.10 des Streitwertkatalogs 2013. Den sich danach ergebenden Hauptsachestreitwert in Höhe von 15.000,00 € hat das Gericht in Anwendung von Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs 2013 für das hier zu entscheidende vorläufige Rechtsschutzverfahren halbiert.

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(1) Wird eine Veränderungssperre nach § 14 nicht beschlossen, obwohl die Voraussetzungen gegeben sind, oder ist eine beschlossene Veränderungssperre noch nicht in Kraft getreten, hat die Baugenehmigungsbehörde auf Antrag der Gemeinde die Entscheidung über die Zulässigkeit von Vorhaben im Einzelfall für einen Zeitraum bis zu zwölf Monaten auszusetzen, wenn zu befürchten ist, dass die Durchführung der Planung durch das Vorhaben unmöglich gemacht oder wesentlich erschwert werden würde. Wird kein Baugenehmigungsverfahren durchgeführt, wird auf Antrag der Gemeinde anstelle der Aussetzung der Entscheidung über die Zulässigkeit eine vorläufige Untersagung innerhalb einer durch Landesrecht festgesetzten Frist ausgesprochen. Die vorläufige Untersagung steht der Zurückstellung nach Satz 1 gleich.

(2) Soweit für Vorhaben im förmlich festgelegten Sanierungsgebiet oder im städtebaulichen Entwicklungsbereich eine Genehmigungspflicht nach § 144 Absatz 1 besteht, sind die Vorschriften über die Zurückstellung von Baugesuchen nicht anzuwenden; mit der förmlichen Festlegung des Sanierungsgebiets oder des städtebaulichen Entwicklungsbereichs wird ein Bescheid über die Zurückstellung des Baugesuchs nach Absatz 1 unwirksam.

(3) Auf Antrag der Gemeinde hat die Baugenehmigungsbehörde die Entscheidung über die Zulässigkeit von Vorhaben nach § 35 Absatz 1 Nummer 2 bis 6 für einen Zeitraum bis zu längstens einem Jahr nach Zustellung der Zurückstellung des Baugesuchs auszusetzen, wenn die Gemeinde beschlossen hat, einen Flächennutzungsplan aufzustellen, zu ändern oder zu ergänzen, mit dem die Rechtswirkungen des § 35 Absatz 3 Satz 3 erreicht werden sollen, und zu befürchten ist, dass die Durchführung der Planung durch das Vorhaben unmöglich gemacht oder wesentlich erschwert werden würde. Auf diesen Zeitraum ist die Zeit zwischen dem Eingang des Baugesuchs bei der zuständigen Behörde bis zur Zustellung der Zurückstellung des Baugesuchs nicht anzurechnen, soweit der Zeitraum für die Bearbeitung des Baugesuchs erforderlich ist. Der Antrag der Gemeinde nach Satz 1 ist nur innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Gemeinde in einem Verwaltungsverfahren von dem Bauvorhaben förmlich Kenntnis erhalten hat, zulässig. Wenn besondere Umstände es erfordern, kann die Baugenehmigungsbehörde auf Antrag der Gemeinde die Entscheidung nach Satz 1 um höchstens ein weiteres Jahr aussetzen.

(1) Über die Zulässigkeit von Vorhaben nach den §§ 31, 33 bis 35 wird im bauaufsichtlichen Verfahren von der Baugenehmigungsbehörde im Einvernehmen mit der Gemeinde entschieden. Das Einvernehmen der Gemeinde ist auch erforderlich, wenn in einem anderen Verfahren über die Zulässigkeit nach den in Satz 1 bezeichneten Vorschriften entschieden wird; dies gilt nicht für Vorhaben der in § 29 Absatz 1 bezeichneten Art, die der Bergaufsicht unterliegen. Richtet sich die Zulässigkeit von Vorhaben nach § 30 Absatz 1, stellen die Länder sicher, dass die Gemeinde rechtzeitig vor Ausführung des Vorhabens über Maßnahmen zur Sicherung der Bauleitplanung nach den §§ 14 und 15 entscheiden kann. In den Fällen des § 35 Absatz 2 und 4 kann die Landesregierung durch Rechtsverordnung allgemein oder für bestimmte Fälle festlegen, dass die Zustimmung der höheren Verwaltungsbehörde erforderlich ist.

(2) Das Einvernehmen der Gemeinde und die Zustimmung der höheren Verwaltungsbehörde dürfen nur aus den sich aus den §§ 31, 33, 34 und 35 ergebenden Gründen versagt werden. Das Einvernehmen der Gemeinde und die Zustimmung der höheren Verwaltungsbehörde gelten als erteilt, wenn sie nicht binnen zwei Monaten nach Eingang des Ersuchens der Genehmigungsbehörde verweigert werden; dem Ersuchen gegenüber der Gemeinde steht die Einreichung des Antrags bei der Gemeinde gleich, wenn sie nach Landesrecht vorgeschrieben ist. Die nach Landesrecht zuständige Behörde kann ein rechtswidrig versagtes Einvernehmen der Gemeinde ersetzen.

(1) Die Umlegungsstelle hat ortsüblich bekannt zu machen, in welchem Zeitpunkt der Umlegungsplan unanfechtbar geworden ist. Dem Eintritt der Unanfechtbarkeit des Umlegungsplans steht es gleich, wenn der Umlegungsplan lediglich wegen der Höhe einer Geldabfindung anfechtbar ist.

(2) Vor Unanfechtbarkeit des Umlegungsplans kann die Umlegungsstelle räumliche und sachliche Teile des Umlegungsplans durch Bekanntmachung in Kraft setzen, wenn sich die Entscheidung über eingelegte Rechtsbehelfe auf diese Teile des Umlegungsplans nicht auswirken kann. Personen, die Rechtsbehelfe eingelegt haben, sind von der Inkraftsetzung zu unterrichten.

(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a).

(2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur

1.
bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten,
2.
bei unaufschiebbaren Anordnungen und Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten,
3.
in anderen durch Bundesgesetz oder für Landesrecht durch Landesgesetz vorgeschriebenen Fällen, insbesondere für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die Investitionen oder die Schaffung von Arbeitsplätzen betreffen,
3a.
für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die die Zulassung von Vorhaben betreffend Bundesverkehrswege und Mobilfunknetze zum Gegenstand haben und die nicht unter Nummer 3 fallen,
4.
in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, besonders angeordnet wird.
Die Länder können auch bestimmen, daß Rechtsbehelfe keine aufschiebende Wirkung haben, soweit sie sich gegen Maßnahmen richten, die in der Verwaltungsvollstreckung durch die Länder nach Bundesrecht getroffen werden.

(3) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ist das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Einer besonderen Begründung bedarf es nicht, wenn die Behörde bei Gefahr im Verzug, insbesondere bei drohenden Nachteilen für Leben, Gesundheit oder Eigentum vorsorglich eine als solche bezeichnete Notstandsmaßnahme im öffentlichen Interesse trifft.

(4) Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, kann in den Fällen des Absatzes 2 die Vollziehung aussetzen, soweit nicht bundesgesetzlich etwas anderes bestimmt ist. Bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten kann sie die Vollziehung auch gegen Sicherheit aussetzen. Die Aussetzung soll bei öffentlichen Abgaben und Kosten erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.

(5) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 bis 3a ganz oder teilweise anordnen, im Falle des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ganz oder teilweise wiederherstellen. Der Antrag ist schon vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, so kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung kann von der Leistung einer Sicherheit oder von anderen Auflagen abhängig gemacht werden. Sie kann auch befristet werden.

(6) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 ist der Antrag nach Absatz 5 nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn

1.
die Behörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder
2.
eine Vollstreckung droht.

(7) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach Absatz 5 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.

(8) In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.

(1) Wird eine Veränderungssperre nach § 14 nicht beschlossen, obwohl die Voraussetzungen gegeben sind, oder ist eine beschlossene Veränderungssperre noch nicht in Kraft getreten, hat die Baugenehmigungsbehörde auf Antrag der Gemeinde die Entscheidung über die Zulässigkeit von Vorhaben im Einzelfall für einen Zeitraum bis zu zwölf Monaten auszusetzen, wenn zu befürchten ist, dass die Durchführung der Planung durch das Vorhaben unmöglich gemacht oder wesentlich erschwert werden würde. Wird kein Baugenehmigungsverfahren durchgeführt, wird auf Antrag der Gemeinde anstelle der Aussetzung der Entscheidung über die Zulässigkeit eine vorläufige Untersagung innerhalb einer durch Landesrecht festgesetzten Frist ausgesprochen. Die vorläufige Untersagung steht der Zurückstellung nach Satz 1 gleich.

(2) Soweit für Vorhaben im förmlich festgelegten Sanierungsgebiet oder im städtebaulichen Entwicklungsbereich eine Genehmigungspflicht nach § 144 Absatz 1 besteht, sind die Vorschriften über die Zurückstellung von Baugesuchen nicht anzuwenden; mit der förmlichen Festlegung des Sanierungsgebiets oder des städtebaulichen Entwicklungsbereichs wird ein Bescheid über die Zurückstellung des Baugesuchs nach Absatz 1 unwirksam.

(3) Auf Antrag der Gemeinde hat die Baugenehmigungsbehörde die Entscheidung über die Zulässigkeit von Vorhaben nach § 35 Absatz 1 Nummer 2 bis 6 für einen Zeitraum bis zu längstens einem Jahr nach Zustellung der Zurückstellung des Baugesuchs auszusetzen, wenn die Gemeinde beschlossen hat, einen Flächennutzungsplan aufzustellen, zu ändern oder zu ergänzen, mit dem die Rechtswirkungen des § 35 Absatz 3 Satz 3 erreicht werden sollen, und zu befürchten ist, dass die Durchführung der Planung durch das Vorhaben unmöglich gemacht oder wesentlich erschwert werden würde. Auf diesen Zeitraum ist die Zeit zwischen dem Eingang des Baugesuchs bei der zuständigen Behörde bis zur Zustellung der Zurückstellung des Baugesuchs nicht anzurechnen, soweit der Zeitraum für die Bearbeitung des Baugesuchs erforderlich ist. Der Antrag der Gemeinde nach Satz 1 ist nur innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Gemeinde in einem Verwaltungsverfahren von dem Bauvorhaben förmlich Kenntnis erhalten hat, zulässig. Wenn besondere Umstände es erfordern, kann die Baugenehmigungsbehörde auf Antrag der Gemeinde die Entscheidung nach Satz 1 um höchstens ein weiteres Jahr aussetzen.

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 100 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt die Verpflichtung der Beklagten zur Erteilung einer Abweichung von den Abstandsvorschriften des § 32 Landesbauordnung Mecklenburg-Vorpommern (LBauO M-V) bei weichen Bedachungen.

2

Die Klägerin errichtete im Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. 18 a „W.“ der Gemeinde B. auf den Flurstücken 31/1 und 31/2 der Flur 1 der Gemarkung W. im Rahmen des genehmigungsfreien Bauens sechs Reihenhäuser zu je zwei Reihenhauszeilen in eingeschossiger Bauweise mit ausgebautem Dachgeschoss. Die Grundfläche jeder der beiden Reihenhauszeilen beträgt nach den Angaben der Klägerin jeweils 165 qm. Nach den Angaben der Beklagtenvertreter im Termin zur mündlichen Verhandlung, die durch Fotos im Verwaltungsvorgang der Beklagten bestätigt werden, befinden sich im Dachbereich der beiden Reihenhauszeilen jeweils durchgehende Gauben. Die Bedachung der Gebäude erfolgte mit einer Reet-Eindeckung. Der Abstand zu den Grundstücksgrenzen beträgt zum Teil weniger als 12 m. An der nordöstlichen Seite des Gebäudes auf dem Flurstück 31/2 beträgt der Abstand zur Grundstücksgrenze nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung vom 14. Februar 2013 weniger als sechs Meter.

3

Unter dem 17. Mai 2010 beantragte die Klägerin unter Berufung auf eine brandschutztechnische Stellungnahme des von ihr beauftragten Brandschutzexperten Dr. R. H. die Zulassung einer Abweichung unter der Voraussetzung, dass die Dachkonstruktion der jeweils mittleren Wohnung unterseitig in der Qualität F 30 feuerhemmend ausgeführt und bis an die feuerhemmenden Trennwände herangeführt wird, sowie, dass eine Blitzschutzanlage für beide Gebäude installiert und wechselseitig Baulasten begründet werden. Mit Bescheid vom 19. Juli 2010 lehnte die Beklagte den Antrag ab. Den dagegen erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 22. November 2010, zugestellt am 25. November 2010, zurück.

4

Die Klägerin hat am 9. Dezember 2010 Klage erhoben. Sie begehrt die Abweichung nunmehr unter der Voraussetzung, dass in sämtlichen sechs Wohneinheiten die Unterkonstruktion des Daches (einschließlich der Dachbalken) mit Feuerschutzplatten derart verkleidet wird, dass die Feuerwiderstandsklasse F 30 von oben und von unten erreicht wird, sowie, dass der Dachüberstand bei dem Gebäude auf dem Flurstück 31/2 an der nordöstlichen Seite so gekürzt wird, dass ein Abstand der Traufe zur Grundstücksgrenze von sechs Metern eingehalten wird. Zur Begründung macht sie im Wesentlichen geltend: Hinsichtlich der Brandbeanspruchung von außen knüpfe der Gesetzgeber die Schutzwürdigkeit an die Größe des Gebäudes und damit des Daches. § 32 Abs. 2 Satz 1 und 2 LBauO M-V ließen Reet-Dächer mit einem Abstand von mindestens sechs Meter für die Gebäudeklassen I und II zu (mit der weiteren Einschränkung von zwei Wohneinheiten gemäß Satz 3). Die Gebäudeklassen I und II definiere § 2 Abs. 3 LBauO M-V neben der Höhe und der Zahl der Nutzungseinheiten mit einer Größe von insgesamt nicht mehr von 400 qm. Vorliegend unterschritten beide Gebäude mit einer Grundfläche von jeweils 165 qm den Schwellenwert der Gebäudeklasse I und II damit um mehr als die Hälfte. Soweit es um die Brandbeanspruchung von außen durch Flugfeuer und strahlende Wärme gehe, wiesen beide Gebäude daher einen deutlich höheren Schutzstandard als die ansonsten bei weicher Bedachung mit einem Grenzabstand von sechs Meter zulässigen Gebäude der Gebäudeklassen I und II auf. Die Abweichung sei nur wegen der Zahl von drei anstelle der gemäß § 32 Abs. 2 Satz 3 LBauO M-V zulässigen zwei Wohneinheiten erforderlich. Die Zahl der Wohneinheiten im Innern eines Gebäudes sei jedoch für die Brandbeanspruchung von außen durch Flugfeuer und strahlende Wärme völlig unerheblich. Die Installation einer Blitzschutzanlage sei zusätzlich vorgesehen, um die Gefährdung des Baustoffes Reet bei einem Brand von außen zu reduzieren. Das Übergreifen eines Brandes auf eine andere Wohneinheit im Innern der Gebäude werde durch die Nachrüstung der Dachkonstruktion eingeschränkt. Dadurch werde der Schutzstandard des § 32 Abs. 2 Satz 3 LBauO M-V auch im Innern gewährleistet. Die brandschutztechnische Stellungnahme des anerkannten und zugelassenen Sachverständigen für Brandschutzfragen Dr. R. H. vom 10. Mai 2010 stelle fest, dass durch diese Maßnahme sowohl nach außen als auch nach innen ein gleichwertiger Brandschutz wie bei aneinander gebauten Wohngebäuden mit insgesamt zwei Wohneinheiten hergestellt werde. Nachbarliche Belange würden durch die vorgesehene Eintragung von Baulasten auf den Baugrundstücken selbst gewährleistet. Damit sei rechtlich gesichert, dass die Eigentümer der jeweils aneinander gebauten drei Wohneinheiten entsprechend bauten und die weiche Bedachung wechselseitig duldeten. Nachbarliche Belange angrenzender Grundstücke seien nicht betroffen. Die Gefährdung von Nachbargrundstücken durch Flugfeuer und strahlende Wärme hänge wesentlich von der Größe des Daches ab. Die Dachfläche sei das wesentliche Kriterium für eine Brandlast. Der Gesetzgeber habe dieses Kriterium der Größe ausdrücklich in der Definition der Gebäudeklassen in § 2 Abs. 3 LBauO M-V eingeführt, nach der Gebäude der Gebäudeklassen I und II nicht mehr als 400 qm Grundfläche haben dürften. Dieses Kriterium unterschritten die beiden streitigen Gebäude mit jeweils 165 qm deutlich.

5

Die Klägerin beantragt,

6

den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 19. Juli 2010 und des Widerspruchsbescheides vom 22. November 2010 zu verpflichten, die beantragte Abweichung von der Beschränkung des § 32 Abs. 2 Satz 3 LBauO M-V für zwei Reet-Dach-Häuser zu erteilen, wobei in sämtlichen sechs Wohneinheiten die Unterkonstruktion des Daches (einschließlich der Dachbalken) mit Feuerschutzplatten derart verkleidet wird, dass die Feuerwiderstandsklasse F 30 von oben und von unten erreicht wird und der Dachüberstand bei dem Gebäude auf dem Flurstück 31/2 an der nordöstlichen Seite so gekürzt wird, dass ein Abstand der Traufe zur Grundstücksgrenze von sechs Meter eingehalten wird.

7

Der Beklagte beantragt,

8

die Klage abzuweisen.

9

Die streitgegenständlichen Gebäude seien gemäß § 2 Abs. 3 Nr. 3 LBauO M-V der Gebäudeklasse III - sonstige Gebäude mit einer Höhe bis zu sieben Meter - zugeordnet, weil sie mit ihren je drei Wohnungen mehr als die maximal zulässigen zwei Nutzungseinheiten im Sinne von §2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und 2 LBauO M-V aufwiesen. Insoweit sehe der Gesetzgeber eine gesteigerte Gefahrensituation, die durch eine geringere Grundfläche von 400 qm mit hier 165 qm nicht kompensiert werde. Die mögliche Brandentstehung im Inneren eines Gebäudes liege in der Haustechnik, elektrischen Geräten und der Unachtsamkeit von Menschen begründet. Gerade aufgrund der höheren Brandentstehungsgefahren, die in den drei einzelnen Nutzungseinheiten lägen, habe der Gesetzgeber den Brandabstand gemäß § 32 Abs. 2 Satz 3 LBauO M-V allein für Wohngebäude mit maximal zwei Nutzungseinheiten und mit nicht mehr als 400 qm Fläche privilegiert auf sechs Meter beschränkt. Die von der Klägerin vorgesehenen Maßnahmen seien nicht geeignet, eine Abweichung gemäß § 67 Abs. 1 LBauO M-V zu rechtfertigen. Bei der hier relevanten Brandschutzvorschrift sei zunächst zu berücksichtigen, dass die Entstehung und Ausbreitung eines Brandes eine Zündquelle (Funke), brennbare Materialien (Reet) und Sauerstoff voraussetze und entsprechend der Beginn eines Brandes von der Entzündlichkeit und Entflammbarkeit des zuerst von der Zündquelle berührten Stoffes bestimmt werde. Dieser Gefahr von außen solle bei herkömmlich errichteten Reet-Dächern durch die politisch-gesetzlich vorgegebenen Abstände begegnet werden. Brandschutztechnisch sei jedoch festzustellen, dass die aktuellen Brandschutzabstände bei weitem für diesen Brandschutz nicht ausreichten. Obwohl sich bautechnisch seit Jahrzehnten an der Benutzung des naturbelassenen Reets und an seiner Verwendung bei der Errichtung der Dacheindeckung nichts geändert habe, seien im Laufe der Jahre dennoch die Brandabstände ohne brandschutztechnische Begründung immer weiter reduziert worden. Wenn also der Gesetzgeber mit den Brandabständen einen brandschutztechnisch nicht zu rechtfertigenden Mindestabstand setze, müssten demgegenüber die eine Abweichung rechtfertigenden Maßnahmen zumindest ein Mehr an Sicherheit bieten, um hier eine Abweichung von diesen äußersten Mindestanforderungen zu rechtfertigen. Das sei bei den klägerseitigen Angeboten nicht gegeben. Zwar sehe – so die Beklagtenvertreter in der mündlichen Verhandlung vom 14. Februar 2013 – die nunmehr geplanten Maßnahme im Innern vor, dass auch der Träger der Brandschutzverkleidung die gleiche Feuerwiderstandsklasse aufweise. Durch die vorhandenen Licht- und Luftdurchlässe sei im Brandfall jedoch immer noch ein Brandüberschlag auf das Dach möglich. Zudem übersehe die Klägerin, dass die Brandabstandsvorschrift dazu diene, die Gefahr einer vom Reet gedeckten Gebäude ausgehenden Brandausbreitung durch Flugfeuer und strahlende Wärme zumindest „einzuschränken“ und zwar auch dann, wenn die Bebauung auf den Nachbargrundstücken eine Dacheindeckung mit „harter“ Bedachung aufweise. Dem sei nicht entgegen zu halten, dass die Gefährdung durch Flugfeuer und strahlende Wärme wesentlich von der Größe des Daches abhänge, weil die Dachfläche das wesentliche Kriterium für eine Brandlast sei. Die beschriebene Gefährdung komme allein durch die Reet-Eindeckung bei einem zu geringen Abstand zustande und nicht durch die Größe des Daches. Auch wenn die Größe der Wärmestrahlung in Abhängigkeit zur Dachgröße stehe, werde die nachbarliche Gefährdung durch den Funkenflug damit nicht verringert. Brandschutzmaßnahmen im Objekt selbst verhinderten keine Brandausbreitung über die erforderlichen Öffnungen (Fenster) eines Hauses.

10

Mit Beschluss vom 18. Januar 2013 ist der Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Berichterstatter als Einzelrichter übertragen worden.

11

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsvorgänge der Beklagten, die ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der mündlichen Verhandlung vom 14. Februar 2013 gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

12

Die zulässige Klage ist unbegründet. Die Ablehnung der begehrten Abweichung durch die Beklagte in dem Bescheid vom 19. Juli 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. November 2010 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 5 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die Zulassung der von ihr begehrten Abweichung.

13

Nach § 67 Abs. 1 Satz 1 LBauO M-V kann die Bauaufsichtsbehörde Abweichungen von den Anforderungen der Landesbauordnung und aufgrund der Landesbauordnung erlassener Vorschriften zulassen, wenn sie unter Berücksichtigung des Zwecks der jeweiligen Anforderung und unter Würdigung der öffentlich-rechtlich geschützten nachbarlichen Belange mit den öffentlichen Belangen, insbesondere den Anforderungen des § 3 Abs. 1, vereinbar sind.

14

Mit dieser Bestimmung verfolgt der Landesgesetzgeber das Ziel, ohne die Bindung an das Erfordernis eines atypischen Einzelfalles das materielle Bauordnungsrecht „vollzugstauglich zu flexibilisieren“ (vgl. Begründung des Regierungsentwurfs LT-Drs. 4/1810, S. 170). Dabei geht der Gesetzgeber davon aus, dass die Vorschriften des Bauordnungsrechts bestimmte Schutzziele verfolgen und zur Erreichung dieser Ziele einen von mehreren möglichen Wegen weisen (vgl. Begründung, a.a.O.). Wird das Schutzziel der Norm auf andere Weise als im Gesetz vorgesehen gleichermaßen erreicht, so besteht regelmäßig ein Anspruch auf Erteilung einer Abweichung (vgl. OVG Greifswald, Beschluss vom 27.9.2010 – 3 M 173/10; Beschluss vom 12.9.2008 – 3 L 18/02 – NordÖR 2009, 83). Eine solche, das hier in Rede stehende Schutzziel gleichermaßen erreichende Maßnahme liegt dem Antrag der Klägerin nicht zugrunde.

15

Die von der Klägerin errichteten zwei Reihenhauszeilen mit je drei Wohneinheiten erfüllen – was zwischen den Beteiligten nicht im Streit steht – nicht die bauordnungsrechtlichen Anforderungen des § 32 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 LBauO M-V, wonach die hier in Rede stehende weiche Bedachung nur zulässig ist, wenn die Dächer der Gebäude einen Abstand von der Grundstücksgrenze von mindestens 12 m einhalten. Die Regelung über einen auf mindestens sechs Meter reduzierten Abstand zur Grundstücksgrenze in § 32 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 LBauO M-V kann nicht zum Tragen kommen, weil sie nur für Wohngebäude der Gebäudeklassen I und II gilt. Wohngebäude der Gebäudeklassen I und II (§ 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und 2 LBauO M-V) stellen die klägerischen Reihenhäuser jedoch nicht dar. Die jeweiligen drei Reihenhäuser der beiden Reihenhauszeilen stellen für sich genommen kein (selbständiges) Wohngebäude im Sinne von § 2 Abs. 2 Satz 2 LBauO M-V dar. Vielmehr sind sie aufgrund der Abgeschlossenheitsbescheinigungen vom 3. Juni 2009 zu in sich abgeschlossenen Wohnungen der jeweiligen Reihenhauszeile erklärt worden und damit nach § 3 Abs. 2 Wohnungseigentumsgesetz (WEG) sondereigentumsfähig. Sie sind daher Wohneinheiten innerhalb der jeweiligen, den (Wohn-)Gebäudebegriff erfüllenden Reihenhauszeile. Von vornherein nicht einschlägig ist daher auch die Vorschrift des § 32 Abs. 2 Satz 3 LBauO M-V, wonach zwei zu einem Doppelhaus aneinander gebaute Wohngebäude mit jeweils nur einer Wohnung mit weicher Bedachung unter den Voraussetzungen des Halbsatzes 1 der Bestimmung als ein Gebäude im Sinne des Satzes 2 gelten.

16

Die Klägerin reklamiert die mithin allein wegen des Vorhandenseins von drei statt lediglich zwei Wohneinheiten notwendig werdende Abweichung von der Anforderung eines Abstands von mindestens 12 m (§ 32 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 LBauO M-V) für sich mit dem Argument, nach § 32 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 LBauO M-V i.V.m. § 2 Abs. 3 Nr. 1 LBauO M-V müsse selbst ein Gebäude mit weicher Bedachung, dass – bei allerdings nur zwei Wohneinheiten – eine „Größe von insgesamt nicht mehr als 400 m²“ aufweise, lediglich einen Abstand von mindestens 6 m einhalten. Die streitgegenständlichen Gebäude unterschritten mit einer Grundfläche von jeweils 165 qm diesen Wert als mehr um die Hälfte. Hinsichtlich der Brandbeanspruchung von außen durch Flugfeuer und strahlende Wärme wiesen die beiden Gebäude einen deutlich höheren Schutzstandard auf. Das präzisierte die Klägerin in der mündlichen Verhandlung mit dem Hinweis auf die deutlich kleinere Dachfläche gegenüber einem Gebäude, das unter Ausschöpfung der Möglichkeiten von §§ 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1, § 32 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 LBauO M-V errichtet sei. Zudem werde ein Übergreifen eines Brandes im Inneren auf eine andere Wohneinheit sowie ein Durchschlagen auf das Dach durch die Nachrüstung der Dachkonstruktion eingeschränkt. Dieses schränke auch ein Durchschlagen eines Brandes von außen durch das Dach hindurch ein. Dem folgt das Gericht nicht.

17

Zielrichtung des § 32 LBauO M-V ist ausweislich seines Absatzes 1 die ausreichend lange Widerstandsfähigkeit der Bedachung gegen eine Brandbeanspruchung von außen durch Flugfeuer und strahlende Wärme, die der Landesgesetzgeber bei harter Bedachung im Sinne der einschlägigen DIN-Vorschriften gewährleistet sieht. Die bei einer nicht harten Bedachung – wie hier – fehlende ausreichende Widerstandsfähigkeit ersetzt der Landesgesetzgeber durch die besonderen Abstandsregelungen des § 32 Abs. 2 LBauO M-V. Die Anforderungen des Absatz 1 – harte Bedachung – stellen sicher, dass bei einem Brand von benachbarten Gebäuden der Brand nicht durch brennende Teile, die auf das Dach fallen, weitergeleitet wird und dienen damit der Verhinderung der Brandübertragung. Zugleich soll die Überzündung durch Hitzestrahlung verhindert werden (vgl. Plietz, in: Gädtke/Czepuck/Johlen/Plietz/Wenzel, BauO NRW, 12. Auflage 2011, § 35 Rn. 5). Bildet die Abstandsregelung des § 32 Abs. 2 LBauO M-V mithin das Surrogat für die fehlende Widerstandsfähigkeit von weichen Bedachungen gegen eine Brandbeanspruchung von außen durch Flugfeuer und strahlende Wärme, so ist auch deren Schutzzweck auf den Schutz vor einer Brandbeanspruchung von außen gerichtet. Damit korrespondiert, dass der Landesgesetzgeber für den Fall weicher Bedachung keine das Gebäudeinnere betreffenden zusätzlichen Maßnahmen vorgeschrieben hat. Geht es mithin (auch) in der Abstandsregelung des § 32 Abs. 2 LBauO M-V (allein) um die Brandbeanspruchung von außen, also um den Schutz vor einem Inbrandsetzen des Daches durch eine außerhalb des Gebäudes auftretende Zündquelle, so sind die von der Klägerin im Innern der beiden Gebäude vorgesehenen Maßnahmen der Verkleidung mit Feuerschutzplatten, mit denen die Feuerwiderstandsklasse F 30 von oben und von unten erreicht wird, irrelevant. Sie verbessern zwar den Schutz der Bewohner, wenn das Dach (bereits) entzündet worden ist, dadurch, dass dem Durchschlagen des Feuers durch das Dach ein längerer Widerstand entgegengesetzt wird. Auch führen sie dazu, dass ein Durchgreifen eines in einer Wohnung entstehenden Feuers durch das Dach erst später erfolgt, als es ohne die Schutzplatten der Fall wäre. Das von § 32 Abs. 2 LBauO M-V indes verfolgte Ziel, nämlich (bereits) die Inbrandsetzung des Daches, etwa im Fall eines auf dem Nachbargrundstück entstandenen Brandes, zu verhindern, wird mit der Innenverkleidung indessen nicht erreicht.

18

Zwar trifft zu, dass die Klägerin bauordnungsrechtlich zulässig ein größeres Gebäude mit einer entsprechend größeren Dachfläche als die beiden streitgegenständlichen Gebäude mit weicher Bedachung errichten darf. Allerdings trifft bereits nicht zu, dass – wie die Klägerin meint – der bei lediglich zwei Nutzungseinheiten möglichen Fläche von insgesamt 400 qm lediglich die Grundfläche der jeweiligen Reihenhauszeilen von 165 qm gegenüberzustellen ist. Vielmehr ist es so, dass beide Gebäude über ein Erdgeschoss und ein ausgebautes Dachgeschoss verfügen, so dass unter Zugrundelegung der Brutto-Grundfläche (vgl. § 2 Abs. 3 Satz 3 LBauO M-V) als der Summe alle Grundflächen aller Grundrissebenen je Gebäude bereits eine Fläche von 330 qm zugrunde zu legen wäre. Zudem liegt der Vorschrift, nach der die Klägerin sich gewissermaßen parallel behandelt sehen will, nämlich § 32 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 LBauO M-V gerade nicht die Vorstellung zugrunde, dass von ihr typischerweise die Fälle der maximalen Ausschöpfung der Flächengrenzen des § 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 (und Nr. 2) LBauO M-V erfasst sind. Vielmehr dürfte auch der hiesige Landesgesetzgeber sich bei der Reduzierung der an sich vorgesehenen Abstandsbestimmungen des § 32 Abs. 2 Satz 1 LBauO M-V in Satz 2 auch von der Überlegung leiten gelassen haben, dass die mit einer Reet-Eindeckung verbundenen Risiken für Ein- oder Zweifamilienhäuser gerade deshalb hingenommen werden können, weil einerseits ihre Bedachung in der Regel eine bestimmte Größe – wie auch bei den klägerischen Gebäuden – nicht überschreiten würde und die Risiken bei einer Begrenzung auf zwei Wohnungen begrenzt blieben (vgl. dazu die Begründung zum Regierungsentwurf der BauO NRW, NRW-LT-Drs. 12/3738, S. 74 f., zitiert nach Plietz, a.a.O., Rn. 7). Der von der Klägerin ihrer Vorstellung offenbar zugrunde gelegte Fall eines lediglich eine Grundrissebene mit einer Fläche von 400 qm aufweisenden Gebäudes mit entsprechend großer Dachfläche und weicher Bedachung dürfte mithin jenseits des vom Gesetzgeber gesehenen typischen Falles liegen, der der in § 32 Abs. 2 Satz 2 LBauO M-V eingeräumten reduzierten Abstände zugrunde liegt.

19

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

20

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 Zivilprozessordnung (ZPO).

(1) Innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile ist ein Vorhaben zulässig, wenn es sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt und die Erschließung gesichert ist. Die Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse müssen gewahrt bleiben; das Ortsbild darf nicht beeinträchtigt werden.

(2) Entspricht die Eigenart der näheren Umgebung einem der Baugebiete, die in der auf Grund des § 9a erlassenen Verordnung bezeichnet sind, beurteilt sich die Zulässigkeit des Vorhabens nach seiner Art allein danach, ob es nach der Verordnung in dem Baugebiet allgemein zulässig wäre; auf die nach der Verordnung ausnahmsweise zulässigen Vorhaben ist § 31 Absatz 1, im Übrigen ist § 31 Absatz 2 entsprechend anzuwenden.

(3) Von Vorhaben nach Absatz 1 oder 2 dürfen keine schädlichen Auswirkungen auf zentrale Versorgungsbereiche in der Gemeinde oder in anderen Gemeinden zu erwarten sein.

(3a) Vom Erfordernis des Einfügens in die Eigenart der näheren Umgebung nach Absatz 1 Satz 1 kann im Einzelfall abgewichen werden, wenn die Abweichung

1.
einem der nachfolgend genannten Vorhaben dient:
a)
der Erweiterung, Änderung, Nutzungsänderung oder Erneuerung eines zulässigerweise errichteten Gewerbe- oder Handwerksbetriebs,
b)
der Erweiterung, Änderung oder Erneuerung eines zulässigerweise errichteten, Wohnzwecken dienenden Gebäudes oder
c)
der Nutzungsänderung einer zulässigerweise errichteten baulichen Anlage zu Wohnzwecken, einschließlich einer erforderlichen Änderung oder Erneuerung,
2.
städtebaulich vertretbar ist und
3.
auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist.
Satz 1 findet keine Anwendung auf Einzelhandelsbetriebe, die die verbrauchernahe Versorgung der Bevölkerung beeinträchtigen oder schädliche Auswirkungen auf zentrale Versorgungsbereiche in der Gemeinde oder in anderen Gemeinden haben können. In den Fällen des Satzes 1 Nummer 1 Buchstabe b und c kann darüber hinaus vom Erfordernis des Einfügens im Einzelfall im Sinne des Satzes 1 in mehreren vergleichbaren Fällen abgewichen werden, wenn die übrigen Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und die Aufstellung eines Bebauungsplans nicht erforderlich ist.

(4) Die Gemeinde kann durch Satzung

1.
die Grenzen für im Zusammenhang bebaute Ortsteile festlegen,
2.
bebaute Bereiche im Außenbereich als im Zusammenhang bebaute Ortsteile festlegen, wenn die Flächen im Flächennutzungsplan als Baufläche dargestellt sind,
3.
einzelne Außenbereichsflächen in die im Zusammenhang bebauten Ortsteile einbeziehen, wenn die einbezogenen Flächen durch die bauliche Nutzung des angrenzenden Bereichs entsprechend geprägt sind.
Die Satzungen können miteinander verbunden werden.

(5) Voraussetzung für die Aufstellung von Satzungen nach Absatz 4 Satz 1 Nummer 2 und 3 ist, dass

1.
sie mit einer geordneten städtebaulichen Entwicklung vereinbar sind,
2.
die Zulässigkeit von Vorhaben, die einer Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung nach Anlage 1 zum Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung oder nach Landesrecht unterliegen, nicht begründet wird und
3.
keine Anhaltspunkte für eine Beeinträchtigung der in § 1 Absatz 6 Nummer 7 Buchstabe b genannten Schutzgüter oder dafür bestehen, dass bei der Planung Pflichten zur Vermeidung oder Begrenzung der Auswirkungen von schweren Unfällen nach § 50 Satz 1 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes zu beachten sind.
In den Satzungen nach Absatz 4 Satz 1 Nummer 2 und 3 können einzelne Festsetzungen nach § 9 Absatz 1 und 3 Satz 1 sowie Absatz 4 getroffen werden. § 9 Absatz 6 und § 31 sind entsprechend anzuwenden. Auf die Satzung nach Absatz 4 Satz 1 Nummer 3 sind ergänzend § 1a Absatz 2 und 3 und § 9 Absatz 1a entsprechend anzuwenden; ihr ist eine Begründung mit den Angaben entsprechend § 2a Satz 2 Nummer 1 beizufügen.

(6) Bei der Aufstellung der Satzungen nach Absatz 4 Satz 1 Nummer 2 und 3 sind die Vorschriften über die Öffentlichkeits- und Behördenbeteiligung nach § 13 Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 und 3 sowie Satz 2 entsprechend anzuwenden. Auf die Satzungen nach Absatz 4 Satz 1 Nummer 1 bis 3 ist § 10 Absatz 3 entsprechend anzuwenden.

(1) In Gebieten, für die ein Beschluss über die Aufstellung eines Bebauungsplans gefasst ist, ist ein Vorhaben zulässig, wenn

1.
die Öffentlichkeits- und Behördenbeteiligung nach § 3 Absatz 2, § 4 Absatz 2 und § 4a Absatz 2 bis 4 durchgeführt worden ist,
2.
anzunehmen ist, dass das Vorhaben den künftigen Festsetzungen des Bebauungsplans nicht entgegensteht,
3.
der Antragsteller diese Festsetzungen für sich und seine Rechtsnachfolger schriftlich anerkennt und
4.
die Erschließung gesichert ist.

(2) In Fällen des § 4a Absatz 3 Satz 1 kann vor der erneuten Öffentlichkeits- und Behördenbeteiligung ein Vorhaben zugelassen werden, wenn sich die vorgenommene Änderung oder Ergänzung des Bebauungsplanentwurfs nicht auf das Vorhaben auswirkt und die in Absatz 1 Nummer 2 bis 4 bezeichneten Voraussetzungen erfüllt sind.

(3) Wird ein Verfahren nach § 13 oder § 13a durchgeführt, kann ein Vorhaben vor Durchführung der Öffentlichkeits- und Behördenbeteiligung zugelassen werden, wenn die in Absatz 1 Nummer 2 bis 4 bezeichneten Voraussetzungen erfüllt sind. Der betroffenen Öffentlichkeit und den berührten Behörden und sonstigen Trägern öffentlicher Belange ist vor Erteilung der Genehmigung Gelegenheit zur Stellungnahme innerhalb angemessener Frist zu geben, soweit sie dazu nicht bereits zuvor Gelegenheit hatten.

Tenor

Die Beschwerden der Antragstellerin und der Beigeladenen gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 20. September 2007 - 10 K 924/07 - werden zurückgewiesen.

Die Antragstellerin und die Beigeladene tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens je zur Hälfte.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 116.250,-- EUR festgesetzt.

Gründe

 
Die statthaften und auch sonst zulässigen Beschwerden der Antragstellerin und der Beigeladenen haben keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat es im Ergebnis zu Recht abgelehnt, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen die für sofort vollziehbar erklärte Rücknahmeverfügung des Antragsgegners vom 05.02.2007 wiederherzustellen (§ 80 Abs. 5 Satz 1, Abs. 2 Nr. 4 VwGO). Denn diese Verfügung erweist sich schon bei summarischer Überprüfung mit hoher Wahrscheinlichkeit als rechtmäßig mit der Folge, dass dem öffentlichen Interesse an der Verhinderung vollendeter Tatsachen Vorrang gebührt vor dem Interesse der Antragstellerin (und der Beigeladenen), die streitigen Vorhaben vorläufig weiterbauen zu dürfen (zu gleicher Interessenabwägung bei offener Erfolgsaussicht vgl. VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 21.11.2006 - 5 S 1825/06 -, VBlBW 2007, 188 f.).
I.
Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 48 Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 Satz 2 LVwVfG für eine Rücknahme der streitigen Baugenehmigung vom 22.08.2006 liegen mit hoher Wahrscheinlichkeit vor. Denn diese Baugenehmigung, mit der auf Grundlage von § 33 BauGB die Errichtung eines Lebensmittelmarkts mit Backwarenverkauf (Verkaufsfläche ca. 1.050 qm) und eines Textilmarkts (Verkaufsfläche ca. 500 qm) auf den bislang nicht überplanten, am östlichen Ortsrand der Beigeladenen gelegenen Grundstücken Flst.-Nrn. 10992, 10993, 10884, 11045 und 11046 gestattet wird, erweist sich mit hoher Wahrscheinlichkeit als von Anfang an rechtswidrig, weil es jedenfalls an der nach § 33 Abs. 1 Nr. 2 BauGB erforderlichen materiellen Planreife des in Aufstellung befindlichen vorhabenbezogenen Bebauungsplans „Sondergebiet Einzelhandelsgebiet Riedwiesen“ der Beigeladenen fehlte und bis heute fehlt. Diese Feststellung kann der Senat treffen, ohne dass es einer vertieften oder gar abschließenden Auseinandersetzung mit den vom Verwaltungsgericht und den Beschwerdeführern im Einzelnen aufgeworfenen zahlreichen schwierigen Rechtsfragen bedarf. Denn im „vorgezogenen“ Verfahren nach § 33 BauGB ist es weder Aufgabe der Baurechtsbehörde noch der Gerichte, über streitige und zudem prüfungsaufwändige Zweifelsfragen in Bezug auf die mögliche Wirksamkeit des in Aufstellung befindlichen Bebauungsplans zu entscheiden. Weder die Widerspruchsbehörde noch die Verwaltungsgerichte müssen in diesem Verfahrensstadium die eingeleitete Planung „zu Ende denken“ (so zutreffend VG Freiburg, Urteil vom 18.10.2005 - 1 K 1928/04 -, VBlBW 2006, 361 ff.). Dies würde dem Zweck des Genehmigungsverfahrens nach § 33 BauGB widersprechen und dieses Verfahren mit einer Prüfungsdichte überfrachten, die der späteren unmittelbaren oder inzidenten Kontrolle des „fertigen“ Bebauungsplans vorbehalten bleiben muss. Hierzu ist im Einzelnen folgendes zu bemerken:
1. Nach § 33 Abs. 1 Nr. 2 BauGB ist in Gebieten, in denen - wie hier - ein Beschluss über die Aufstellung eines Bebauungsplans gefasst ist, ein Vorhaben zulässig, wenn u.a. anzunehmen ist, dass es den künftigen Festsetzungen des Bebauungsplans nicht entgegensteht.
a) Diese als materielle Planreife zu bezeichnende Planungssituation ist gegeben, wenn hinreichend voraussehbar und mit der gebotenen Sicherheit beurteilbar ist, dass der Inhalt des Entwurfs mit der Qualität des § 10 BauGB gültiges Ortsrecht wird (st. Rechtspr., vgl. BVerwG, Beschluss vom 25.11.1991 - 4 B 212.91 -, Buchholz 406.11, § 33, BBauG/BauGB Nr. 7; Beschluss vom 02.03.1978 - 4 B 26.78 -, Buchholz, a.a.O., Nr. 5). Es muss sich prognostisch um eine „sichere Erwartung“ (so BVerwG, Beschluss vom 25.11.1991, a.a.O.) bzw. um eine „sichere Prognose“ handeln (so OVG NRW, Beschluss vom 14.03.2001 - 7 B 355/01 -, BauR 2001, 1394 ff.). Eine solche enge Auslegung ergibt sich aus dem Zweck des § 33 BauGB. Danach soll ein Bauantragsteller zwar einerseits - zur Vermeidung nicht zu vertretender Verzögerungen bei der Realisierung eines zulässigen Bauvorhabens - besser gestellt werden als bei Anwendung der §§ 30, 34 und 35 BauGB. Andererseits gilt es aber zu verhindern, dass der mit dieser Regelung verbundene typische Vorgriff auf einen Bebauungsplan ins Leere geht oder aber als taktisches Mittel oder gar missbräuchlich verwendet wird, um vollendete, bauplanerisch möglicherweise nicht gewollte oder aber nicht umsetzbare Tatsachen zu schaffen (vgl. BVerwG, Urteil vom 01.08.2002 - 4 C 5.01 -, NVwZ 2003, 86 ff.). Ein strenger Prognosemaßstab ist aus diesen Gründen gerade auch bei Bebauungsplänen nach § 12 BauGB geboten, bei denen das zur Genehmigung gestellte Einzelvorhaben gleichzeitig den wesentlichen Inhalt des im Verfahren befindlichen Bebauungsplans bildet, so dass in besonderem Maße auf künftige Plankonformität geachtet werden muss.
b) Vor diesem Hintergrund sind an die (negative) Aussage, dass die nach § 33 BauGB erforderliche Sicherheit der Planreife eines Vorhabens nicht angenommen werden kann, keine hohen Anforderungen zu stellen (dazu BVerwG, Beschluss vom 25.11.1991, a.a.O.). Es genügen bereits alle nach dem jeweiligen Planungsstand schlüssigen und nicht gänzlich von der Hand zu weisenden Zweifel daran, dass das Plankonzept zum einen mit dem jetzigen Inhalt, zum anderen aber auch innerhalb eines - je nach Verfahrensstand - vertretbaren und verzögerungsfreien Zeitraums in einen wirksam Bebauungsplan nach § 10 BauGB münden wird. Bedenken der zuständigen höheren Verwaltungsbehörde, der Landesplanungsbehörde oder anderer höhere Behörden stehen dabei bereits in aller Regel der Annahme einer inhaltlich ausreichend sicheren materiellen Planreife entgegen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 25.11.1991, a.a.O.; VG Freiburg, Urteil vom 18.10.2005, a.a.O.). Zweifel am zeitlichen Element der Planreife sind umso mehr angebracht, je länger der Zeitraum zwischen einem „satzungsreifen“ Bebauungsplanentwurf und dessen Umsetzung durch Satzungsbeschluss nebst Bekanntmachung dauert. Hierbei rechtfertigt allein das Interesse des Plangebers, Klarheit über die Rechtslage zu erlangen, es grundsätzlich nicht, ein im Stadium der Abschlussreife befindliches Bebauungsplanverfahren bis zum Abschluss eines anhängigen Rechtsstreits offenzuhalten; § 33 Abs. 1 BauGB ist daher nicht anwendbar, wenn der Planungsträger erklärt, alles zum Abschluss des Planaufstellungsverfahrens Erforderliche getan zu haben, den Bebauungsplan aber gleichwohl nicht durch öffentliche Bekanntmachung in Kraft setzt (vgl. BVerwG, Urteil vom 01.08.2002, a.a.O.).
2. Gemessen daran war die erforderliche materielle Planreife des streitigen Vorhabens weder bei Erteilung der Baugenehmigung am 22.08.2006 gegeben noch ist sie bis heute eingetreten. Eine sichere Prognose, dass der zur Realisierung der genehmigten Märkte aufgestellte vorhabenbezogene Bebauungsplan „Sondergebiet Einzelhandelsgebiet Riedwiesen“ innerhalb angemessener Zeit und vor allem mit dem beschlossenen Inhalt als Satzung nach § 10 BauGB in Kraft treten wird, war und ist nicht möglich. Vielmehr bestehen insofern derzeit nicht von der Hand zu weisende und nicht sicher ausräumbare Zweifel, die es verbieten, vom Instrument der vorgezogenen Baugenehmigung nach § 33 BauGB zugunsten der Antragstellerin Gebrauch zu machen. Der Senat nimmt insoweit auf die zutreffenden Ausführungen der Antragsgegnerin in der Rücknahmeverfügung und in der Beschwerdeerwiderung Bezug. Ergänzend und klarstellend hierzu ist Folgendes festzustellen:
a) Zweifel am zeitlichen Zusammenhang zwischen dem Plankonzept und dessen „satzungsreife“ Umsetzung sind deswegen angebracht, weil bei Erteilung der Baugenehmigung wohl bereits alle inhaltlich für den Satzungsbeschluss erforderlichen Planungsschritte vorgenommen waren. Am 22.08.2006 waren die öffentliche Auslegung und die nachfolgende Bürger- und Behördenbeteiligung (§§ 3 Abs. 2, 4 Abs. 1 BauGB) bereits durchgeführt und der Gemeinderat der Beigeladenen hatte sich im „Abwägungsbeschluss“ vom 07.08.2006 mit den eingegangenen Bedenken eingehend auseinandergesetzt. In Kenntnis der Einwendungen der Fachbehörden und unter Berücksichtigung der in den Aussagen unterschiedlichen Marktgutachten der gemaba und der GMA hatte der Gemeinderat an der Festsetzung eines Sondergebiets für Einzelhandel mit den auf das streitige Vorhaben zugeschnittenen Verkaufs(Nutz-)Flächen von 1.050 qm (Lebensmittelmarkt mit Backshop) und 510 qm („Noonfood-Markt, wie z.B. Textilien“) festgehalten. Lediglich der formale Satzungsbeschluss stand damals noch aus. Ob es ein zureichender Grund war, diesen im Hinblick auf das Parallelverfahren bei der Änderung des Flächennutzungsplans zurückzustellen, erscheint im Hinblick auf § 8 Abs. 2 Satz 2 BauGB fraglich, lässt sich in tatsächlicher Hinsicht nach Aktenlage aber nicht eindeutig klären. Einen zweiten „Abwägungsbeschluss“ unter ergänzender Auseinandersetzung mit beiden Gutachten fasste der Gemeinderat am 11.12.2006. Von einem Vorbehalt wegen des Flächennutzungsplanverfahrens war ausweislich des Sitzungsprotokolls nicht mehr die Rede. Daher spricht einiges dafür, dass der Gemeinderat jedenfalls zu diesem Zeitpunkt von der Abschlussreife des Bebauungsplanverfahrens ausging. Dessen ungeachtet hat der Gemeinderat - wohl in der Absicht, die erhobenen Bedenken vorab im vorliegenden Verfahren nach § 33 BauGB klären zu lassen - davon abgesehen, den Satzungsbeschluss zu fassen und den Bebauungsplan zeitnah in Kraft zu setzen.
b) Nicht von der Hand zu weisende Zweifel an der materiellen Planreife des Vorhabens bestehen auch und vor allem in inhaltlicher Hinsicht. Denn gegen den dieses Vorhaben legitimierenden Bebauungsplanentwurf haben sowohl das Regierungspräsidium Karlsruhe als höhere Raumordnungs- und Genehmigungsbehörde als auch die IHK Rhein-Neckar sowie der Verband Region Rhein-Neckar bis zuletzt massive Bedenken erhoben. Das Regierungspräsidium Karlsruhe hat den Bebauungsplan dabei zu keiner Zeit als genehmigungsfähig angesehen. Dies ergibt sich aus dem Schriftverkehr der Beigeladenen mit dem Regierungspräsidium sowie besonders deutlich aus dem Protokoll der gemeinsamen Besprechung vom 20.12.2006.
Schon die Existenz dieser Bedenken mehrerer Fachbehörden schließt, wie oben dargelegt, die Annahme der materiellen Planreife regelmäßig aus (vgl. BVerwG, Beschluss vom 25.11.1991, a.a.O.). Eine Ausnahme von dieser Regel käme allenfalls in Betracht, wenn die vorgebrachten Bedenken bei erstem Hinsehen „aus der Luft gegriffen“, d.h. offensichtlich unbegründet wären. Davon kann im vorliegenden Fall auch unter Würdigung der ausführlichen und vertieften Gegenargumente der Beschwerdeführer indessen nicht die Rede sein. Vielmehr sind die vorgetragenen Bedenken und deren Würdigung durch die Antragsgegnerin schlüssig und nicht offenkundig falsch. Ob sie ganz oder teilweise letztlich durchgreifen, haben weder der Senat noch die Widerspruchsbehörde im vorliegenden Verfahren zu entscheiden. Diese Prüfung muss späteren Verfahren gegen den Bebauungsplan, sollte er erlassen werden, vorbehalten bleiben.
10 
aa) Zunächst sind die Bedenken bezüglich der Übereinstimmung des Bebauungsplanentwurfs mit dem (zwingenden) Anpassungsgebot nach § 1 Abs. 4 BauGB nicht offenkundig von der Hand zu weisen. § 1 Abs. 4 BauGB schreibt vor, dass Bebauungspläne an die im maßgeblichen Zeitpunkt geltenden verbindlichen Ziele der Raumordnung anzupassen sind. Daher muss sich der in Aussicht genommene Bebauungsplan „Sondergebiet Einzelhandelsgebiet Riedwiesen“ der Beigeladenen an den Zielen der Plansätze 3.3.7.1 und 3.3.7.2 des Landesentwicklungsplans 2002 (LEP) sowie an den Zielen des Plansatzes 2.2.5.3 der am 15.05.2006 in Kraft getretenen 3. Teilfortschreibung des Regionalplans Unterer Neckar (Plankapitel 2.2.5 Einzelhandel) messen lassen. Dass Zweifel an der Übereinstimmung des Planentwurfs mit diesen Zielen bestehen können, hat der Antragsgegner zuletzt im Beschwerdeverfahren im Einzelnen nachvollziehbar dargelegt. Dies reicht aus, um die erforderliche Planreife zu verneinen. Dass die genannten Planziele des LEP und des Regionalplans - wie die Beschwerdeführer geltend machen - deswegen nicht anwendbar wären, weil der Planentwurf schon gar keine „Einzelhandelsgroßprojekte“ bzw. „regionalbedeutsamen Einzelhandelsgroßprojekte“ zulasse, ist keinesfalls eindeutig. Im Gegenteil spricht vieles dafür, dass es sich jedenfalls bei dem mit einer Verkaufsfläche von ca. 1.050 qm deutlich „großflächigen“ Lebensmittel-Einzelhandelsbetrieb um ein solches Einzelhandelsgroßprojekt handelt. Denn die Legaldefinition des raumordnungsrechtlichen Begriffs „Einzelhandelsgroßprojekt“ in Ziff. 3.3.7 LEP knüpft wörtlich an die Betriebstypen des § 11 Abs. 3 BauNVO an, zu denen auch großflächige Einzelhandelsbetriebe gehören. Auch für die Regionalbedeutsamkeit des Lebensmittel-Einzelhandelsbetriebs, sofern dieses Merkmal neben dem des Einzelhandelsgroßprojekts überhaupt eigenständige Bedeutung hat, sprechen nicht von der Hand zu weisende Gründe. Der streitige Betrieb mit einer Verkaufsfläche von ca. 1.050 qm weist eine aller Voraussicht nach deutlich über 1.200 qm liegende Geschossfläche auf. Er fällt daher unter die Vermutensregel des § 11 Abs. 3 Satz 2 BauNVO, wonach großflächige Einzelhandelsbetriebe dieser Größe nicht nur unwesentliche negative Auswirkungen u.a. auf die Verwirklichung der Ziele der Raumordnung sowie auf die Nahversorgung und die Entwicklung zentraler Versorgungsbereiche haben können. Damit spricht manches dafür, dass ein Lebensmittel-Einzelhandelsbetrieb dieser Größe regelmäßig auch regionalbedeutsam ist. Für diese Einstufung sprechen auch Wortlaut und Struktur des § 11 Abs. 3 LplG, der im Katalog in Satz 2 Ziffern 1 - 11 potentiell regionalbedeutsame Vorhaben im Sinne von Satz 1 umschreibt; in diesem Katalog sind auch Standorte für großflächige Einzelhandelsbetriebe aufgeführt (§ 11 Abs. 3 Satz 2 Nr. 5 LplG).
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aaa) Damit kommt vorliegend ein Verstoß des Planentwurfs gegen das im Planziel Ziff. 3.3.7.2 Satz 1 des LEP niedergelegte Beeinträchtigungsverbot in Betracht. Danach dürfen Einzelhandelsgroßprojekte weder durch ihre Lage und Größe noch durch ihre Folgewirkungen die Stadt- und Ortskerne der Standortgemeinde wesentlich beeinträchtigen. Derartige Auswirkungen auf den Ortskern der Beigeladenen werden jedoch im Gutachten der GMA von Juni 2006 attestiert. Das Gutachten gelangt schlüssig und nachvollziehbar zum Ergebnis, dass der geplante und genehmigte Discountmarkt den Wettbewerbern vor Ort Umsatz in der Größenordnung von 18 % entzieht. Einer vertiefteren Überprüfung des Gutachtens anhand der Einwände der Beschwerdeführer bedarf es auf der Ebene des § 33 BauGB nicht. Ein Umsatzrückgang von 18 % kann aber ein für das Beeinträchtigungsverbot durchaus relevantes Ausmaß darstellen. Umsatzumverteilungen sind lediglich eine andere Bezeichnung für Kaufkraftabflüsse (vgl. BVerwG, Urteil vom 11.10.2007 - 4 C 7.07 -, NVwZ 2008, 308 ff.), und Kaufkraftabflüsse von deutlich über 10 % werden in der Rechtsprechung dem Bereich potentiell negativer Auswirkungen gewichtiger Art im Rahmen des § 2 Abs. 2 BauGB zugerechnet. Der Einzelhandelserlass vom 21.02.2001 wiederum setzt den Schwellenwert für eine Verletzung des Beeinträchtigungsverbots bereits bei einem Umsatzverlust von 10 % bei zentren- oder nahversorgungsrelevanten Sortimenten an. Das Bundesverwaltungsgericht schließlich hat im Rahmen des § 34 Abs. 3 BauGB Kaufkraftabflüsse von je nach Größe des Verflechtungsbereichs und je nach Sortiment zwischen 10 % und 30 % als relevant angesehen (Urteil vom 11.10.2007, a.a.O.).
12 
bbb) Zum Anderen wird auch ein Verstoß gegen das in den Planzielen Ziff. 2.2.5.3 Abs. 1 und Abs. 4 des Teilregionalplans Einzelhandel konkretisierte Integrationsgebot schlüssig dargetan und kommt möglicherweise in Betracht. Danach sind regionalbedeutsame Einzelhandelsgroßprojekte mit zentrenrelevanten Sortimenten nur in den in der Raumnutzungskarte gebietsscharf dargestellten zentralörtlichen Standortbereichen anzusiedeln. Die Ansiedlung außerhalb dieser Standortbereiche ist ausgeschlossen. Das Bebauungsplangebiet, in dem der streitige Lebensmittelmarkt errichtet werden soll, liegt jedoch weit außerhalb des für das Unterzentrum Hardheim in der Raumnutzungskarte (S. 41) vorgesehenen zentralörtlichen Standortbereichs. Das Sortiment des Lebensmittelmarkts wird in der Sortimentsliste des Teilregionalplans zwar als dritte Gruppe (neben „zentrenrelevanten“ und „nicht-zentrenrelevanten“ Sortimenten) aufgeführt. Gleichwohl können und werden nahversorgungsrelevante Sortimente gleichzeitig auch Zentrenrelevanz entfalten. Dies kann gerade auch in - wie hier - dünn besiedelten und eher ländlich orientierten Gebieten der Fall sein, wie der Antragsgegner plausibel dargelegt hat. Von dieser regionalplanerischen Bewertung der Lebensmittel und Getränke geht auch die Sortimentsliste selbst aus, wie der Zusatz „ggfs. auch zentrenrelevante Sortimente“ zeigt.
13 
bb) Schon die vorstehend dargelegten Zweifel schließen es aus, die für die materielle Planreife erforderliche sichere Richtigkeitsprognose für einen künftigen Bebauungsplan treffen zu können. Ob darüber hinaus auch noch Bedenken hinsichtlich einer ordnungsgemäßen Abwägung bestehen, weil der Gemeinderat der Beigeladenen trotz widersprüchlicher Gutachten die raumordnungsrechtlichen- und städtebaulichen Auswirkungen des Bebauungsplans nicht weiter aufgeklärt hat (vgl. dazu auch Urteil des Senats vom 27.09.2007 - 3 S 2875/06 -) und weil der Gemeinderat, wie der Antragsgegner vermutet, wegen bereits vorbereiteter Grundstücksverkäufe im Plangebiet und Einstellung der Kaufpreise in den Haushalt nicht mehr ausreichend abwägungsbereit war, kann auf sich beruhen. Die von den Beschwerdeführern im Einzelnen ausführlich und mit hohem Aufwand gegen die raumordnungsrechtliche Relevanz des Bebauungsplanentwurfs und die Auslegung der raumordnungsrechtlichen Rechtsbegriffe und Vorgaben ins Feld geführten Argumente, die der Senat sorgfältig erwogen hat, sind ihrerseits schlüssig und bedenkenswert. Sie sind aber nicht geeignet - und nur darauf kommt es auf der Prüfungsebene des § 33 BauGB an -, die von den Fachbehörden und vom Antragsgegner erhobenen und oben dargelegten Bedenken als offenkundig unrichtig und haltlos erscheinen zu lassen.
II.
14 
War und ist die Baugenehmigung nach alldem rechtswidrig, kann auch die Ausübung des Rücknahmeermessens durch den Antragsgegner nicht beanstandet werden. Es erscheint sachgerecht und verhältnismäßig, wenn er dem öffentlichen Interesse, rechtmäßige Zustände wiederherzustellen und den Weiterbau des mit erheblichen Auswirkungen verbundenen Einzelhandelsvorhabens Vorrang vor dem Vertrauen der Antragstellerin am Bestand der Baugenehmigung eingeräumt hat. Die von der Antragstellerin in schutzwürdigem Vertrauen bisher getätigten finanziellen Aufwendungen werden im Rahmen des § 48 Abs. 3 LVwVfG ersetzt und das diese Aufwendungen „überschießende“ Vertrauen hat kein das öffentliche Interesse überwiegendes Gewicht. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Erd- und Entwässerungsarbeiten erst mit Teilfreigabeschein vom 25.10.2006 freigegeben worden sind, dass die Antragstellerin danach bereits mit Schreiben vom 21.11.2006 auf die rechtlichen Bedenken bezüglich der Baugenehmigung hingewiesen worden ist und dass der Antragsgegner den Bau sodann mit sofort vollziehbarer Verfügung vom 21.12.2006 eingestellt hat.
15 
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 1, 159 Satz 1 VwGO, 100 Abs. 2 ZPO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 3 Nr. 2 GKG i.V.m. Ziff.1.5 und 9.1.4 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.
16 
Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

(1) In Gebieten, für die ein Beschluss über die Aufstellung eines Bebauungsplans gefasst ist, ist ein Vorhaben zulässig, wenn

1.
die Öffentlichkeits- und Behördenbeteiligung nach § 3 Absatz 2, § 4 Absatz 2 und § 4a Absatz 2 bis 4 durchgeführt worden ist,
2.
anzunehmen ist, dass das Vorhaben den künftigen Festsetzungen des Bebauungsplans nicht entgegensteht,
3.
der Antragsteller diese Festsetzungen für sich und seine Rechtsnachfolger schriftlich anerkennt und
4.
die Erschließung gesichert ist.

(2) In Fällen des § 4a Absatz 3 Satz 1 kann vor der erneuten Öffentlichkeits- und Behördenbeteiligung ein Vorhaben zugelassen werden, wenn sich die vorgenommene Änderung oder Ergänzung des Bebauungsplanentwurfs nicht auf das Vorhaben auswirkt und die in Absatz 1 Nummer 2 bis 4 bezeichneten Voraussetzungen erfüllt sind.

(3) Wird ein Verfahren nach § 13 oder § 13a durchgeführt, kann ein Vorhaben vor Durchführung der Öffentlichkeits- und Behördenbeteiligung zugelassen werden, wenn die in Absatz 1 Nummer 2 bis 4 bezeichneten Voraussetzungen erfüllt sind. Der betroffenen Öffentlichkeit und den berührten Behörden und sonstigen Trägern öffentlicher Belange ist vor Erteilung der Genehmigung Gelegenheit zur Stellungnahme innerhalb angemessener Frist zu geben, soweit sie dazu nicht bereits zuvor Gelegenheit hatten.

(1) Innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile ist ein Vorhaben zulässig, wenn es sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt und die Erschließung gesichert ist. Die Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse müssen gewahrt bleiben; das Ortsbild darf nicht beeinträchtigt werden.

(2) Entspricht die Eigenart der näheren Umgebung einem der Baugebiete, die in der auf Grund des § 9a erlassenen Verordnung bezeichnet sind, beurteilt sich die Zulässigkeit des Vorhabens nach seiner Art allein danach, ob es nach der Verordnung in dem Baugebiet allgemein zulässig wäre; auf die nach der Verordnung ausnahmsweise zulässigen Vorhaben ist § 31 Absatz 1, im Übrigen ist § 31 Absatz 2 entsprechend anzuwenden.

(3) Von Vorhaben nach Absatz 1 oder 2 dürfen keine schädlichen Auswirkungen auf zentrale Versorgungsbereiche in der Gemeinde oder in anderen Gemeinden zu erwarten sein.

(3a) Vom Erfordernis des Einfügens in die Eigenart der näheren Umgebung nach Absatz 1 Satz 1 kann im Einzelfall abgewichen werden, wenn die Abweichung

1.
einem der nachfolgend genannten Vorhaben dient:
a)
der Erweiterung, Änderung, Nutzungsänderung oder Erneuerung eines zulässigerweise errichteten Gewerbe- oder Handwerksbetriebs,
b)
der Erweiterung, Änderung oder Erneuerung eines zulässigerweise errichteten, Wohnzwecken dienenden Gebäudes oder
c)
der Nutzungsänderung einer zulässigerweise errichteten baulichen Anlage zu Wohnzwecken, einschließlich einer erforderlichen Änderung oder Erneuerung,
2.
städtebaulich vertretbar ist und
3.
auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist.
Satz 1 findet keine Anwendung auf Einzelhandelsbetriebe, die die verbrauchernahe Versorgung der Bevölkerung beeinträchtigen oder schädliche Auswirkungen auf zentrale Versorgungsbereiche in der Gemeinde oder in anderen Gemeinden haben können. In den Fällen des Satzes 1 Nummer 1 Buchstabe b und c kann darüber hinaus vom Erfordernis des Einfügens im Einzelfall im Sinne des Satzes 1 in mehreren vergleichbaren Fällen abgewichen werden, wenn die übrigen Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und die Aufstellung eines Bebauungsplans nicht erforderlich ist.

(4) Die Gemeinde kann durch Satzung

1.
die Grenzen für im Zusammenhang bebaute Ortsteile festlegen,
2.
bebaute Bereiche im Außenbereich als im Zusammenhang bebaute Ortsteile festlegen, wenn die Flächen im Flächennutzungsplan als Baufläche dargestellt sind,
3.
einzelne Außenbereichsflächen in die im Zusammenhang bebauten Ortsteile einbeziehen, wenn die einbezogenen Flächen durch die bauliche Nutzung des angrenzenden Bereichs entsprechend geprägt sind.
Die Satzungen können miteinander verbunden werden.

(5) Voraussetzung für die Aufstellung von Satzungen nach Absatz 4 Satz 1 Nummer 2 und 3 ist, dass

1.
sie mit einer geordneten städtebaulichen Entwicklung vereinbar sind,
2.
die Zulässigkeit von Vorhaben, die einer Pflicht zur Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung nach Anlage 1 zum Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung oder nach Landesrecht unterliegen, nicht begründet wird und
3.
keine Anhaltspunkte für eine Beeinträchtigung der in § 1 Absatz 6 Nummer 7 Buchstabe b genannten Schutzgüter oder dafür bestehen, dass bei der Planung Pflichten zur Vermeidung oder Begrenzung der Auswirkungen von schweren Unfällen nach § 50 Satz 1 des Bundes-Immissionsschutzgesetzes zu beachten sind.
In den Satzungen nach Absatz 4 Satz 1 Nummer 2 und 3 können einzelne Festsetzungen nach § 9 Absatz 1 und 3 Satz 1 sowie Absatz 4 getroffen werden. § 9 Absatz 6 und § 31 sind entsprechend anzuwenden. Auf die Satzung nach Absatz 4 Satz 1 Nummer 3 sind ergänzend § 1a Absatz 2 und 3 und § 9 Absatz 1a entsprechend anzuwenden; ihr ist eine Begründung mit den Angaben entsprechend § 2a Satz 2 Nummer 1 beizufügen.

(6) Bei der Aufstellung der Satzungen nach Absatz 4 Satz 1 Nummer 2 und 3 sind die Vorschriften über die Öffentlichkeits- und Behördenbeteiligung nach § 13 Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 und 3 sowie Satz 2 entsprechend anzuwenden. Auf die Satzungen nach Absatz 4 Satz 1 Nummer 1 bis 3 ist § 10 Absatz 3 entsprechend anzuwenden.

(1) Auf Antrag kann das Gericht, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, daß durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint.

(2) Für den Erlaß einstweiliger Anordnungen ist das Gericht der Hauptsache zuständig. Dies ist das Gericht des ersten Rechtszugs und, wenn die Hauptsache im Berufungsverfahren anhängig ist, das Berufungsgericht. § 80 Abs. 8 ist entsprechend anzuwenden.

(3) Für den Erlaß einstweiliger Anordnungen gelten §§ 920, 921, 923, 926, 928 bis 932, 938, 939, 941 und 945 der Zivilprozeßordnung entsprechend.

(4) Das Gericht entscheidet durch Beschluß.

(5) Die Vorschriften der Absätze 1 bis 3 gelten nicht für die Fälle der §§ 80 und 80a.

(1) Kosten sind die Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) und die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten einschließlich der Kosten des Vorverfahrens.

(2) Die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts oder eines Rechtsbeistands, in den in § 67 Absatz 2 Satz 2 Nummer 3 und 3a genannten Angelegenheiten auch einer der dort genannten Personen, sind stets erstattungsfähig. Soweit ein Vorverfahren geschwebt hat, sind Gebühren und Auslagen erstattungsfähig, wenn das Gericht die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig erklärt. Juristische Personen des öffentlichen Rechts und Behörden können an Stelle ihrer tatsächlichen notwendigen Aufwendungen für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen den in Nummer 7002 der Anlage 1 zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz bestimmten Höchstsatz der Pauschale fordern.

(3) Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen sind nur erstattungsfähig, wenn sie das Gericht aus Billigkeit der unterliegenden Partei oder der Staatskasse auferlegt.