Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht Beschluss, 30. Mai 2016 - 6 B 11/16
Tenor
Der Antrag wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert wird auf 15.000 € festgesetzt.
Gründe
I.
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Der Antragsteller begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes Rücknahme einer vom Bürgermeister der Antragsgegnerin abgegebenen und veröffentlichten Äußerung bezüglich seiner Person, künftige Unterlassung vergleichbarer Äußerungen und Widerruf.
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Im Jahre 2015 rief der Antragsteller zusammen mit anderen Gewerbebetreibenden mit Sitz im Gebiet der Antragsgegnerin die Facebook-Gruppe „...“ ins Leben, die sich mit der Flüchtlingspolitik der Antragsgegnerin befasste und die er nach einiger Zeit wieder verließ.
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Am 23.11.2015 fand eine Sitzung der Gemeindevertretung der Antragsgegnerin statt. Zu dieser Sitzung verfasste der Bürgermeister der Antragsgegnerin einen „Bericht zur Gemeindevertretersitzung am 23.11.2015 – Bürgermeister K.“, der im Internet unter http://www.A-Stadt.de/aktuelles/protokolle/gemeindevertretung/, „Bericht BM GV-Sitzung 23.11.2015.pdf“ abrufbar ist. Dort heißt es unter Ziff. 7):
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„Die Aktion des Herrn G. ist für mich weiter vollkommen unverständlich. Selbst durch solche Aktionen das Ehrenamt in Bedrängnis zu bringen, so auch einzelne Personen im wahrsten Sinne dem Mob vorzuwerfen, ist unerträglich und nicht entschuldbar.“
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Der Antragsteller ließ dem Bürgermeister der Antragsgegnerin ein Schreiben vom 25.11.2015 zukommen, in welchem er erklärte, ihm sei zugetragen worden, dass sich der Bürgermeister der Antragsgegnerin auf der Gemeindevertretersitzung am 23.11.2015 sehr abfällig über ihn in Zusammenhang mit der Flüchtlingskrise bzw. seine Person geäußert haben solle. Es sollten Aussagen wie „schändlich“, „Zusammenarbeit mit der NPD“ und „sät Zwietracht“ im Zusammenhang mit der namentlichen Benennung seiner Person gefallen sein. Er erklärte ferner, er wolle mit diesem Schreiben die Hintergründe seiner Zugehörigkeit zu der Facebook-Gruppe und deren Verlassen erklären. Er habe die Gruppe aus reiner Sorge um die Sicherheit im Dorf ins Leben gerufen. Nachdem es in der Gruppe zu massiven Anfeindungen von „Rechts“ und „Links“, den Bürgern und dem Bürgermeister der Antragsgegnerin gegenüber seiner Person gekommen sei, Gegenargumentationen nichts und das „Sperren“ von diesen Personen nur noch mehr Unruhe bewirkt hätte, habe er die Gruppe „blind“ geschaltet, damit sie öffentlich nicht mehr zu sehen sei. Er habe dann einen anderen Administrator benannt und die Gruppe verlassen, da er diese aufgrund der Größe nicht mehr habe löschen können.
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Der Antragsteller forderte den Bürgermeister der Antragsgegnerin mit dem Schreiben vom 25.11.2015 außerdem auf, binnen einer Woche zu dem Sachverhalt Stellung zu nehmen und sich öffentlich von den getätigten Aussagen zu distanzieren. Er solle auf Grundlage des Schreibens Fakten richtig zu stellen und ihm gegenüber erklären, dass er derart diffamierende Aussagen über seine Person, seine Firma, Mitarbeiter und Familie zukünftig unterlassen werde.
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Der Bürgermeister der Antragsgegnerin erklärte hierauf mit Schreiben vom 30.11.2015, aus dem Schreiben vom 25.11.2015 lasse sich kein Sachverhalt entnehmen, der den Antragsteller, seine Firma, Mitarbeiter oder Familie diffamiere.
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Mit Schreiben vom 30.12.2015 teilte der Antragsteller dem Bürgermeister der Antragsgegnerin mit, dass er festgestellt habe, dass er in dem Bericht zur Gemeindevertretersitzung am 23.11.2015 erwähnt werde. Bezugnehmend auf Ziff. 7) diese Berichts erklärte er, dass die im Gemeindebericht bezüglich seiner Person vorhandenen Formulierungen geeignet seien, seine Person herabzuwürdigen und verächtlich zu machen. Außerdem seien diese Äußerungen ehrverletzend, unzutreffend und wiesen einen nach den §§ 185 ff. StGB relevanten strafrechtlichen Charakter auf. Der im Internet befindliche Bericht sei einem großen und uneingeschränkten Leserkreis zugänglich. Der überwiegende Teil der Leser kenne die Hintergründe dieser Äußerung nicht. Er sei nicht bereit, die im Bericht enthaltenen unzutreffenden und beleidigenden Behauptungen betreffend seine Person hinzunehmen.
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Der Antragsteller forderte den Bürgermeister der Antragsgegnerin unter Fristsetzung zum 05.01.2016 auf, dafür Sorge zu tragen, dass die Ziff. 7) des Berichtes der Gemeindevertretersitzung am 23.11.2015 vollständig aus dem Internet entfernt werde. Damit verbunden erfolgte die Aufforderung, eine entsprechende, den Antragsteller rehabilitierende Erklärung unter ihrer Homepage mit dem Inhalt zu verfassen, dass er es bedauere, unreflektiert und unkritisch die Formulierung unter Ziff. 7) des Berichtes der Gemeindevertretersitzung vom 23.11.2015 gewählt und ins Internet gestellt zu haben. Die Gegendarstellung solle weiterhin enthalten, dass der Bürgermeister der Antragsgegnerin ausdrücklich von seiner Behauptung, wonach der Antragsteller das Ehrenamt in Bedrängnis brächte und einzelne Personen im wahrsten Sinne dem Mob vorwerfe, Abstand nähme und diese Formulierung als falsch revidiere. Ferner forderte der Antragsgegner den Bürgermeister der Antragstellerin auf, ihm gegenüber bis zum 07.01.2015 ausdrücklich zu erklären, dass er es ab sofort unterlassen werde, derartige oder vergleichbare Behauptungen zu äußern oder zu verbreiten.
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Mit Schreiben vom 05.01.2016 erklärte der Bürgermeister der Antragsgegnerin, dass er den Forderungen des Antragstellers nicht entsprechen werde.
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Mit Schriftsatz vom 29.03.2016 hat der Antragsteller Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt.
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Zur Begründung wiederholt er die im Schreiben vom 25.11.2015 und 30.12.2015 gemachten Ausführungen. Ergänzend trägt er vor, dass die unter Ziff. 7) in dem Bericht zur Gemeindevertretersitzung vorhandenen Formulierungen geeignet seien, das berufliche Ansehen des Antragstellers zu schädigen. So hätten sich bereits aufgrund der Formulierung im Internet Kunden von ihm abgewandt bzw. bestehende Verträge gekündigt. Eine Wiederholungsgefahr ergebe sich daraus, dass die beanstandete Ziff. 7) des Berichtes der Gemeindevertretersitzung vom 23.11.2015 nach wie vor im Internet stehe.
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Der Antragsgegner beantragt,
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1. die Antragsgegnerin zu verpflichten, binnen zwei Tagen ab förmlicher Zustellung ihre schriftliche Äußerung betreffend den Antragsteller unter Ziff. 7) des Berichtes der Gemeindevertretersitzung am 23.11.2015 – Bürgermeister K. – im Internet abzurufen unter „Gemeinde A-Stadt / Protokolle (Aktuelles) / Gemeindevertretung / Bericht BM GV-Sitzung 23.11.2015“ mit dem nachfolgenden Wortlaut:
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„Die Aktion des Herrn G. ist für mich weiter vollkommen unverständlich. Selbst durch solche Aktionen das Ehrenamt in Bedrängnis zu bringen, so auch einzelne Personen im wahrsten Sinne dem Mob vorzuwerfen, ist unerträglich und nicht entschuldbar.“
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umgehend aus dem Internet zu entfernen,
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2. die Antragsgegnerin hat es zukünftig zu unterlassen, derartige oder vergleichbare Behauptungen betreffend den Antragsteller – wie unter Ziffer 7) des Berichts der Gemeindevertretersitzung am 23.11.2015 erfolgte – zu äußern und zu verbreiten,
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3. die Antragsgegnerin zu verpflichten, binnen zwei Tagen ab förmlicher Zustellung der Verfügung eine entsprechende den Antragsteller rehabilitierende Erklärung unter der Homepage der Gemeine A-Stadt zu verfassen mit dem Inhalt, dass die Antragsgegnerin es bedauert, unreflektiert und unkritisch die Formulierung unter Ziffer 7) des Berichts der Gemeindevertretersitzung am 23.11.2015 gewählt und ins Internet gestellt zu haben.
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Die Gegendarstellung hat weiterhin zu enthalten, dass die Antragsgegnerin ausdrücklich von ihrer dortigen Behauptung, wonach der Antragssteller das Ehrenamt in Bedrängnis bringt und einzelne Personen im wahrsten Sinne des Wortes dem Mob vorwirft – Anstand nimmt und diese Formulierung als falsche Behauptung revidiert.
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Die Antragsgegnerin beantragt,
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den Antrag abzulehnen.
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Zur Begründung erklärt sie, dass handelndes Organ der Bürgermeister gewesen sei, sodass die Antragstellung insoweit nicht richtig sei. Die Anträge könnten aber jedenfalls in der Sache keinen Erfolg haben.
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Der Antrag zu 1) sei dem Hauptsacheverfahren vorbehalten, da der Antragsteller mit diesem auch den Widerruf zurückliegender Äußerungen begehre, was eine Vorwegnahme der Hauptsache darstelle. Vorsorglich werde das Rechtsschutzbedürfnis bestritten. Es fehle an der Eilbedürftigkeit. Nachteile für den Antragsteller seien nicht ersichtlich. Der Vorgang sei unbedeutend und erziele keine Breitenwirkung. Die Internetseite habe keine überregionale Bedeutung, sie richte sich zunächst nur an Gemeinderatsmitglieder/ Teilnehmer der Gemeindesitzung. Besucher der Internetseite würden das Dokument regelmäßig nicht wahrnehmen, da es sich nicht auf der Hauptseite, sondern auf einer Nebenseite, die über mehrere Mausklicks zu erreichen sei, befinde. Auch inhaltlich gebe das Protokoll nicht viel her. Der Antragsteller werde keinesfalls beleidigt. Es bedürfe einer umfangreichen einseitigen Auslegung, um hier eine Beleidigung mit einem Winkelzug noch begründen zu können.
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Der Antrag zu 2) sei ebenfalls unbegründet. Die Antragsgegnerin dürfe sich auch politisch äußern. Der Bürgermeister der Antragstellerin reagiere nur auf Kritik des Antragstellers, da dieser wie auch die Antragsgegnerin in der vom Antragssteller gegründeten Facebook-Gruppe massiv angegriffen und hinsichtlich ihrer Flüchtlingspolitik angegriffen worden sei. Der Antragsteller sei Initiator und Zweckveranlasser gewesen. Wer eine solche Gruppe ins Leben rufe, müsse vorhersehen, dass diese auch von Trittbrettfahren als Plattform missbraucht werde. Außerdem werde die Dringlichkeit der Sache nicht begründet. Eine Wiederholungsgefahr liege nicht vor. Weitere Äußerungen der Antragsgegnerin seien nicht getätigt worden und die Angelegenheit sei mittlerweile abgeschlossen. Die Sitzung liege mehrere Monate zurück und der Antragsteller habe seine Administrationsrechte an der Facebook-Gruppe abgegeben. Der Antragsteller werde auch nicht in seiner Berufsausübung gehindert. Der Vortrag, Kunden hätten Verträge gekündigt und sich von ihm abgewandt sei unsubstantiiert und es fehle an einer diesbezüglichen Glaubhaftmachung. Die zu den Akten gereichte eidesstattliche Versicherung genüge den Anforderungen des § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO nicht, da diese sich nur auf einen anwaltlichen Schriftsatz beziehe und keine selbstständige Sachdarstellung enthalte.
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Der Antrag zu 3) sei ebenfalls unbegründet. Der Antragsteller mache mit diesem einen Folgenbeseitigungsanspruch geltend, der dem Hauptsacheverfahren vorbehalten sei. Um einen solchen Anspruch zu erfüllen, müsse die Antragsgegnerin Änderungen im Protokoll vornehmen, was das Protokoll unrichtig mache. Eine Distanzierung an anderer Stelle würden die Folgen ebenfalls nicht beseitigen können. Vielmehr würde dies die Leser erst recht auf die Gemeinderatssitzung hinweisen. Der Antrag auf Abgabe eines Bedauerns sei zu unbestimmt und damit nicht vollstreckbar, es fehle folglich an einem Rechtsschutzbedürfnis. Soweit der Antrag auf ein Rehabilitationsinteresse gerichtet sei, sei auch dieser erst in einem Hauptsacheverfahren zu klären.
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Unzutreffend sei, dass der Antragsteller die Antragsgegnerin vorprozessual angeschrieben habe. Richtig sei, dass der Antragsteller den Bürgermeister der Antragsgegnerin persönlich angeschrieben habe.
II.
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Der Antrag ist zulässig jedoch unbegründet.
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Der Antrag ist zulässig. Insbesondere liegt eine Antragsbefugnis analog § 42 Abs. 2 VwGO und das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis vor. Es kann nicht gänzlich ausgeschlossen werden, dass der Antragsteller einen Folgenbeseitigungs- und Unterlassungsanspruch aufgrund von Verletzungen des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG hat.
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Das notwendige Rechtsschutzbedürfnis fehlt insbesondere nicht, weil die Hauptsache offensichtlich unzulässig ist oder der Antragsgegner es versäumt hat, sich vor seinem Gesuch um einstweiligen Rechtsschutz mit seinem Begehren an den Antragsgegner zu wenden. Der Antragsteller hat sich, bevor er den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt hat, mehrfach an den Bürgermeister der Antragstellerin gewandt und dort sein Begehren vorgetragen. Dabei ist unschädlich, dass er seine Schreiben an die Privatadresse des Bürgermeisters der Antragsgegnerin sandte und den Bürgermeister persönlich und nicht in der Funktion des Vertreters der Antragsgegnerin, ansprach. Zwar fehlt ein Rechtsschutzbedürfnis für ein Verfahren, das auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gerichtet ist, in der Regel dann, wenn der Antragsgegner zuvor nicht mit der Sache befasst wurde. Etwas anderes gilt allerdings in den Fällen, in denen ein Antrag bei der zuständigen Behörde aussichtslos und eine reine Förmlichkeit ist. So liegt es hier. Die für die Behandlung der vom Antragsteller geltend gemachten Ansprüche zuständige Behörde der Antragsgegnerin ist im vorliegenden Fall der Bürgermeister. Dieser hat durch den bisherigen Schriftverkehr -auch wenn dieser unter seiner Privatadresse erfolgte- deutlich gemacht, dem Begehren des Antragstellers nicht nachkommen zu wollen, weil er in der Sache die vom Antragsteller geltend gemachten Ansprüche nicht für gegeben erachtet. Vor diesem Hintergrund erscheint es mehr als fernliegend, dass die Antragsgegnerin die vom Antragsteller erhobenen Ansprüche erfüllt hätte, wenn sich dieser mit seinem Begehren ausdrücklich an die Antragstellerin, vertreten durch den Bürgermeister gewandt hätte.
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Ferner ist das für den Antrag zu 2) erforderliche qualifizierte Rechtsschutzbedürfnis gegeben. Der Antragsteller begehrt mit seinem Antrag zu 2) vorbeugenden Rechtsschutz, da er sich gegen mögliche, in der Zukunft liegende Rechtsverletzungen zur Wehr setzten will, wofür regelmäßig ein qualifiziertes Rechtsschutzbedürfnis erforderlich ist. Dieses ist dann gegeben, wenn die Gefahr besteht, dass bei einem Abwarten der möglichen rechtsbeeinträchtigenden Maßnahmen die Gefahr besteht, dass irreversible Fakten geschaffen werden und dadurch nicht wiedergutzumachende Nachteile entstehen (Buchmeister, in: Wysk VwGO, 2. Auflage 2016, § 123 Rn. 14; OVG Schleswig, Beschluss vom 14.12.1993, Az.: 4 M 133/93, juris Rn. 8). Die Voraussetzungen liegen vor. Sollten tatsächlich zu befürchten sein, dass die Antragsgegnerin in Zukunft Äußerungen bezüglich der Person des Antragstellers abgibt, die geeignet sind, das Bild des Antragstellers in der Öffentlichkeit zu beeinträchtigen, kann dies zu nicht wieder auszugleichenden Nachteilen für den Antragsteller führen. Ist seine Person in der öffentlichen Meinung herabgestuft worden, ist eine Wiederherstellung des Bildes regelmäßig nicht zeitnah möglich.
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Der Antrag ist jedoch unbegründet.
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Zwar richtet der Antragsteller den Antrag richtiger Weise gegen die Antragsgegnerin. Sofern eine Person als Organ einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft handelt und dieses Handeln Anlass für die aktuelle Streitigkeit gibt, ist gemäß des Allgemeinen Rechtsträgerprinzips grundsätzlich nicht das Organ, sondern die Körperschaft richtiger Antragsgegner (OVG Lüneburg, Beschluss vom 17.12.2009, Az.: 2 ME 313/09, juris Rn 7; OLG Bremen, Beschluss vom 24.08.2010, Az.: 1 B 12/10, juris Rn. 4; Kopp/Schenke, VwGO, 21. Auflage 2015, § 78 Rn. 3 (mwN)).
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Jedoch liegen die Voraussetzungen zum Erlass von einstweiligen Anordnungen nach § 123 Abs. 1 VwGO nicht vor. Der Antragsteller begehrt mit den Anträgen zu 1) und 3) den Erlass von Regelungsanordnungen nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO und mit dem Antrag zu 2) den Erlass einer Sicherungsanordnung gemäß § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Regelungsanordnungen sind zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung nötig erscheint, um wesentliche Nachteile abzuwenden. Sicherungsanordnungen können gemäß § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO erlassen werden, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Voraussetzung ist jeweils, dass der Antragsteller einen Anordnungsanspruch und einen Anordnungsgrund glaubhaft macht (§ 123 Abs. 3 VwGO, § 920 Abs. 2 ZPO). Diese Voraussetzungen liegen im vorliegenden Fall nicht vor.
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Der Antragsteller hat keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Ein solcher liegt nur dann vor, wenn eine summarische Überprüfung der Hauptsache ergibt, dass die Hauptsache mit überwiegender Wahrscheinlichkeit Erfolg haben wird (Kopp/Schenke, VwGO, 21. Auflage 2015, § 123 Rn. 25). Erfolgsaussichten bestehen nach Auffassung der Kammer für die Hauptsache jedoch nicht.
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Mit dem Antrag zu 1) macht der Antragssteller einen Unterlassungsanspruch geltend. Zwar ist die Äußerung des Bürgermeisters der Antragsgegnerin durch das einmalige Hochladen des Berichts auf die Homepage der Antragsgegnerin gestellt worden. Unterstellt, dass es sich bei der in Ziff. 7) in dem Bericht der Gemeindevertretersitzung vom 23.11.2015 enthaltenen Äußerung des Bürgermeisters um einen rechtswidrigen Eingriff in die Rechte des Antragstellers handelt, bliebe dieser Eingriff durch die Veröffentlichung der Äußerung auf der Homepage der Antragsgegnerin aufrecht erhalten. Infolgedessen beansprucht der Antragsteller mit dem Antrag zu 1) die Unterlassung einer fortgesetzten Rechtsbeeinträchtigung.
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Der allgemein anerkannte öffentlich-rechtliche Unterlassungsanspruch, wird aus der Abwehrfunktion der Grundrechte selbst hergeleitet (st. Rechtspr., vgl. BVerwG, Urteil vom 23.05.1989, Az.: 7 C 2/87, juris Rn. 48; Urteil vom 20.11.2014, Az.: 3 C 27/13, juris Rn. 11). Er setzt voraus, dass ein rechtswidriger hoheitlicher Eingriff in Grundrechte oder andere subjektive Rechte des Betroffenen erfolgt ist und die konkrete Gefahr der Wiederholung besteht (Bay. VGH 06.07.2012, Az.: 4 B 12.952, juris Rn. 19; OVG Bremen, Urteil vom 01.12.2015, Az.: 1 B 95/15, Rn. 27; ). Diese Voraussetzungen liegen nach Auffassung der Kammer nicht vor.
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In der in Ziff. 7) des Berichts des Bürgermeisters zur Gemeindevertretersitzung vom 23.11.2015 enthaltenen Äußerung liegt ein hoheitliches, der Gemeinde zuzurechnendes Handeln. Die hier streitgegenständliche Äußerung ist Teil eines Berichtes, den der Bürgermeister in amtlicher Funktion über eine Gemeinderatssitzung verfasste. Er handelte in diesem Zusammenhang gerade nicht als Privatperson, sondern wurde als Bürgermeister der Antragsgegnerin tätig (vgl. zur Einordnung der Äußerung eines Hoheitsträgers als hoheitlich BVerwG, Urteil vom 14.04.1988, Az.: 3 C 65.85, juris; OVG Münster, Beschluss vom 16.12.2003, Az.: 15 B 2455/03, juris). Schon der genannte Bericht als solches ist untrennbar mit dem Amt des Bürgermeisters verbunden.
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Allerdings erkennt die Kammer keinen durch das hoheitliche Handeln des Bürgermeisters der Antragsgegnerin eingetretenen rechtswidrigen Eingriff in subjektive Rechte des Antragstellers. Zwar wird der Einzelne durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG in seiner Funktion als Abwehrrecht grundsätzlich auch vor staatlichen Äußerungen geschützt, die sich negativ auf das Bild des Betroffenen in der Öffentlichkeit auswirken (Bay. VGH 06.07.2012, Az.: 4 B 12.952, juris Rn. 19; BverfG, Beschluss vom 17.04.2004, Az.: 1 BvR 363/03, juris). Bei der in dem Bericht zur Gemeindevertreterversammlung am 23.11.2015 enthaltenen Äußerung des Bürgermeisters der Antragsgegnerin bezüglich der Person des Antragsgegners bestehen jedoch bereits Zweifel, ob sich diese tatsächlich negativ auf das Bild des Antragstellers in der Öffentlichkeit auswirkt und insofern überhaupt ein Eingriff vorliegt. Der Bürgermeister der Antragsgegnerin gibt mit der unter Ziff. 7) des Berichts zur Gemeindevertretersitzung vom 23.11.2015 enthaltenen Aussage ein Werturteil ab, das eine von diesem vorgenommene Handlung bewertet. Werturteile sind gekennzeichnet durch Elemente des Dafürhaltens oder Meinens und anders als Tatsachenbehauptungen dem Beweis nicht zugänglich. Durch die Nutzung von Ausdrücken wie „für mich“, wodurch zweifelsfrei verdeutlicht wird, dass eine subjektive Wertung vorliegt, als auch durch Worte wie „unerträglich“, das persönliche Empfindungen beschreibt, kommt der wertende Charakter der Aussage des Bürgermeisters der Antragsgegnerin zum Ausdruck. Tatsächlich nachvollziehbar und verständlich wird das von dem Bürgermeister der Antragsgegnerin abgegebene Werturteil allerdings erst dann, wenn die Vorgeschichte zu dieser Äußerung bekannt ist. Negativ scheint sich für den Antragsteller insbesondere auszuwirken, dass er durch die Äußerung des Bürgermeisters der Antragsgegnerin mit einer bestimmten „Aktion“ in Verbindung gebracht wird bzw. diese Aktion ihm zugerechnet wird. Es wird für die Kammer nicht eindeutig, auf welche „Aktion“ des Antragstellers der Bürgermeister der Antragsgegnerin Bezug nimmt bzw. ob die Gründung der Facebook-Gruppe gemeint ist.
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Auf die Frage, ob durch die veröffentlichte Äußerung des Bürgermeisters der Antragsgegnerin tatsächlich in ein Recht des Antragstellers eingegriffen wurde, kommt es im Ergebnis nicht an. Selbst wenn man zugunsten des Antragstellers einen Eingriff in subjektive Rechte unterstellt, wäre dieser jedenfalls nicht als rechtswidrig zu bewerten, da das Verhalten des Bürgermeisters der Antragstellerin vorliegend gerechtfertigt war. Zwar können sich Hoheitsträger, sofern sie eine hoheitliche Aufgabe wahrnehmen, als Teil der Staatsgewalt nicht selbst auf die Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG berufen (OLG Bremen, Beschluss vom 24.08.2010, Az.: 1 B 12/10, juris Rn. 3) und daraus eine Rechtfertigung eigener Meinungsäußerungen herleiten. Das bedeutet jedoch nicht, dass sich Hoheitsträger und deren Organe grundsätzlich jeder Äußerung über andere Personen oder deren Handlungen zu enthalten haben. Sie bedürfen insoweit jedoch einer besonderen Rechtfertigung (OLG Bremen, Beschluss vom 24.08.2010, Az.: 1 B 12/10, juris Rn. 3). Amtliche Äußerungen eines Hoheitsträgers sind dann gerechtfertigt, wenn der Hoheitsträger im Rahmen seiner ihm zugewiesenen staatlichen Aufgaben handelt und die Anforderungen an die Sachlichkeit derartige Äußerungen gewahrt werden (vgl. VG Stuttgart, Beschluss vom 13.04.2011, Az. 7 K 602/11, juris Rn. 34). Letzteres ist in Hinblick auf Werturteile dann der Fall, wenn diese auf einem im Wesentlichen zutreffenden oder zumindest sachgerecht und vertretbar gewürdigten Tatsachenkern beruhen, weder auf sachfremden Erwägungen fußen noch den sachlich gebotenen Rahmen überschreiten (OVG Bremen, Urteil vom 01.12.2015, Az.: 1 B 95/15, Rn. 28; VG Stuttgart, Beschluss vom 13.04.2011, Az. 7 K 602/11, juris Rn. 34). Ferner müssen die Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes gewahrt werden (OVG Münster, Beschluss vom 12.07.2005, Az.: 15 B 1099/05, juris Rn. 15; VG Stuttgart, Beschluss vom 13.04.2011, Az. 7 K 602/11, juris Rn. 34).
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Der Bürgermeister der Antragsgegnerin gab die Äußerung in Verbindung mit einer der Antragsgegnerin zugewiesenen Aufgabe ab. Aus Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG, § 1 Abs. 1 Satz 2 GO SH ergibt sich, dass Aufgabe der Gemeinden die Regelung aller Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft ist. Das sind solche Aufgaben, die einen besonderen Bezug zu den Einwohnern der Gemeinden haben und deren Zusammenleben und Wohnen betreffen (BVerfG, Beschluss vom 23.11.1988, Az.: 2 BvR 1619/83, juris LS 1; Urteil vom 11.02.1993, Az.: 4 C 18.91, juris Rn. 32). Die getätigte Äußerung des Bürgermeisters der Antragstellerin steht mit der kommunalen Flüchtlingspolitik in Verbindung und betrifft schon aus diesem Grunde Aufgaben der örtlichen Gemeinschaft. Es ist ihm auch nicht verwehrt, politisch Stellung zu bestimmten Themen zu beziehen, da gerade das Amt des Bürgermeisters eine durchaus politisch geprägte Position ist. Außerdem stellt sich der Bürgermeister durch die in Ziff. 7) der Gemeindevertretersitzung enthaltene Äußerung schützend vor das Ehrenamt als solches. Gerade das Ehrenamt nimmt in den Kommunen eine bedeutsame Stellung ein und sichert unter Anderem, dass diese die ihnen zukommenden Aufgaben auch tatsächlich erfüllen können. Das Ehrenamt hat insofern eine ganz wesentliche Bedeutung für ein funktionierendes Zusammenleben der Bürger einer Kommune, sodass der Bürgermeister sich auch insofern im Rahmen von ihm zugewiesenen Aufgaben bewegte.
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Das in dem Bericht zur Gemeindevertreterversammlung am 23.11.2015 abgegebene Werturteil des Bürgermeisters der Antragsgegnerin beruht auf einem sachgerecht und vertretbar gewürdigten Tatsachenkern, ergibt sich nicht auf Grundlage sachfremder Erwägungen und verlässt auch nicht den sachlich gebotenen Rahmen. Die Äußerung des Bürgermeisters fußt jedenfalls auf der Tatsache, dass der Antragsteller die Facebook-Gruppe „...“ gründete, die durch politisch rechts und links orientierte Personen zur Verfolgung ihrer politischen Ziele genutzt wurde und die infolge dessen das gemeindliche Zusammenleben und die Ausübung des Ehrenamtes verschiedentlich beeinflusste, indem sie ein Forum für gegenseitige Angriffe bot.
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Im Übrigen ist die vom Bürgermeister der Antragsgegnerin getätigte Äußerung verhältnismäßig. Sie ist insbesondere angemessen. Die hoheitlichen Aufgaben müssen mit den Interessen des Antragstellers abgewogen werden. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang, dass Anknüpfungspunkt der Ziff. 7) des Berichts zur Gemeindevertreterversammlung am 23.11.2015 „die Aktion“ des Antragstellers ist. Der Bürgermeister der Beklagten reagierte lediglich auf eine Handlung des Antragstellers und die sich aus dieser ergebenden Auswirkungen, die vom Antragsteller vielleicht nicht gewollt, für diesen jedoch durchaus vorhersehbar waren. Wer öffentliche Foren nutzt, um politische Themen zu diskutieren, der muss damit rechnen, auf seine Handlungen auch Reaktionen sowohl von Privatpersonen als auch den Hoheitsträgern, die unmittelbar mit den diskutierten Themen in Verbindung stehen, zu erhalten. Es ist den Hoheitsträgern in diesem Zusammenhang auch nicht verwehrt, eine politische Meinung zu vertreten. Vielmehr fordert das politische Amt in der Regel eine Stellungnahme von Ihnen.
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Auch erkennt die Kammer keinen rechtswidrigen Eingriff in das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb, das dem Schutzbereich des Art. 14 Abs. 1 GG unterfällt. Selbst wenn der Antragsteller aufgrund der vom Bürgermeister der Antragsgegnerin getätigten und veröffentlichten Äußerungen Kunden verlieren und insofern der Bestand seines Betriebes gefährdet werden sollte, wäre ein solcher Eingriff jedenfalls nach den oben genannten Maßstäben und aus den genannten Gründen gerechtfertigt.
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Mangels einer Verletzung subjektiver Rechte des Antragstellers durch die Antragsgegnerin scheitert auch der mit dem Antrag zu 2) verfolgte Anspruch auf Unterlassen zukünftiger, der in Ziff. 7) des Berichts zur Gemeindevertreterversammlung am 23.11.2015 vergleichbarer Äußerungen. Der Unterlassungsanspruch erfordert, wie soeben dargestellt, dass eine Verletzung subjektiver Rechte des Antragstellers durch hoheitliches Handeln gegeben ist. Eine solche liegt jedoch aus den genannten Gründen nicht vor. Außerdem fehlt es dem mit dem Antrag zu 2) geltend gemachten Anspruch an einer Wiederholungsgefahr. Der Antragsteller hat nicht vorgetragen, aus welchen Gründen zu befürchten sein soll, dass sich der Bürgermeister der Antragstellerin erneut bezüglich der Person des Antragstellers äußert.
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Der Antrag zu 3) hat in der Sache ebenfalls keinen Erfolg. Der Antragsteller begehrt durch diesen Antrag, die Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Abgebe einer rehabilitierende Stellungnahme. Der Antragsteller verfolgt mit diesem Antrag das Ziel, sein Ansehen in der Öffentlichkeit wiederherzustellen. Bei dem insoweit geltend gemachten Anspruch handelt es sich um einen Folgenbeseitigungsanspruch. Der aus dem in Art. 20 Abs. 3 GG enthaltenen Rechtsstaatsprinzips herzuleitenden Folgenbeseitigungsanspruch (vgl. BVerwG, Urteil vom 19.07.1984, Az.: 3 C 81/82, juris Rn. 30) setzt wie der öffentlich-rechtliche Unterlassungsanspruch zunächst voraus, dass durch eine hoheitliche Handlung in ein subjektives öffentliches Recht eingegriffen wird und dies einen noch andauernden rechtswidrigen Zustand schafft. Aus den genannten Gründen liegen diese Voraussetzungen nicht vor. Zunächst scheint die Beeinträchtigung subjektiver Rechte fraglich. Selbst wenn man eine solche annehmen würde, wäre diese gerechtfertigt und könnte daher keinen rechtswidrigen Zustand begründen bzw. aufrechterhalten. Insofern kommt es auf die Frage, inwiefern der Antragsgegnerin die Folgenbeseitigung bzw. die Wiederherstellung des status quo ante überhaupt möglich ist, nicht an.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
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Die Entscheidung über die Festsetzung des Streitwertes ergibt sich aus §§ 63 Abs. 1 Satz 1, 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 1, 2 GKG.
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(1) Auf Antrag kann das Gericht, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, daß durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint.
(2) Für den Erlaß einstweiliger Anordnungen ist das Gericht der Hauptsache zuständig. Dies ist das Gericht des ersten Rechtszugs und, wenn die Hauptsache im Berufungsverfahren anhängig ist, das Berufungsgericht. § 80 Abs. 8 ist entsprechend anzuwenden.
(3) Für den Erlaß einstweiliger Anordnungen gelten §§ 920, 921, 923, 926, 928 bis 932, 938, 939, 941 und 945 der Zivilprozeßordnung entsprechend.
(4) Das Gericht entscheidet durch Beschluß.
(5) Die Vorschriften der Absätze 1 bis 3 gelten nicht für die Fälle der §§ 80 und 80a.
(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts (Anfechtungsklage) sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts (Verpflichtungsklage) begehrt werden.
(2) Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage nur zulässig, wenn der Kläger geltend macht, durch den Verwaltungsakt oder seine Ablehnung oder Unterlassung in seinen Rechten verletzt zu sein.
(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.
(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.
(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.
(1) Auf Antrag kann das Gericht, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, daß durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint.
(2) Für den Erlaß einstweiliger Anordnungen ist das Gericht der Hauptsache zuständig. Dies ist das Gericht des ersten Rechtszugs und, wenn die Hauptsache im Berufungsverfahren anhängig ist, das Berufungsgericht. § 80 Abs. 8 ist entsprechend anzuwenden.
(3) Für den Erlaß einstweiliger Anordnungen gelten §§ 920, 921, 923, 926, 928 bis 932, 938, 939, 941 und 945 der Zivilprozeßordnung entsprechend.
(4) Das Gericht entscheidet durch Beschluß.
(5) Die Vorschriften der Absätze 1 bis 3 gelten nicht für die Fälle der §§ 80 und 80a.
Tatbestand
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Die Klägerin stellt elektronische Zigaretten (im Folgenden: E-Zigaretten) und mit so genannten Liquids befüllte Filterkartuschen her. Die Flüssigkeiten bestehen aus Propylenglykol, Glycerin, künstlichen Lebensmittelaromen und Wasser. Wie zahlreiche andere Hersteller bietet die Klägerin die Liquids in verschiedenen Geschmacksrichtungen mit und ohne Nikotin an. Mit der E-Zigarette lassen sich die Liquids erhitzen („verdampfen“) und inhalieren.
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Am 16. Dezember 2011 veröffentlichte das für Gesundheit zuständige Ministerium des Beklagten eine Pressemitteilung unter der Überschrift „Ministerin Steffens warnt vor Verkauf von illegalen E-Zigaretten: Geschäftsgründungen sind riskant - Gesundheitsschäden zu befürchten“. In der Mitteilung hieß es:
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„Gesundheitsministerin Barbara Steffens hat heute ... vor dem Verkauf von elektronischen Zigaretten, die im Handel als E-Zigaretten angeboten werden, gewarnt. 'Der Handel und der Verkauf von E-Zigaretten sowie von liquidhaltigen Kartuschen, Kapseln oder Patronen für E-Zigaretten sind, sofern die arzneimittel- und medizinprodukterechtlichen Vorschriften nicht eingehalten werden, gesetzlich verboten. Insbesondere nikotinhaltige Liquids dürfen nur mit einer arzneimittelrechtlichen Zulassung in den Verkehr gebracht werden. Bei nikotinfreien Liquids ist im Einzelfall anhand der Inhaltsstoffe zu prüfen, ob sie den arzneimittelrechtlichen Vorschriften unterliegen. Wer gegen die genannten Vorschriften des Arzneimittelgesetzes verstößt, setzt sich der Gefahr strafrechtlicher Ahndung aus. Eine Information über diese geltende Rechtslage habe ich heute an die Bezirksregierungen und die Kreise sowie kreisfreien Städte in Nordrhein-Westfalen auf den Weg gebracht', erläuterte die Ministerin. ... 'Angesichts der vielen Fragezeichen und der rechtlichen Situation kann ich allen Menschen nur abraten, ihre wirtschaftliche Existenz darauf zu gründen. Viel Zeit und Geld könnten fehlinvestiert werden', sagte die Ministerin“.
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In einem an die Bezirksregierungen, Kreise und kreisfreien Städte gerichteten Erlass vom selben Tag wies das Ministerium auf seine Rechtsauffassung zur Einstufung der E-Zigaretten und Liquids hin. Nikotin sei eine pharmakologisch wirksame Substanz. Nikotinhaltige Liquids unterfielen daher als Funktionsarzneimittel den arzneimittelrechtlichen Regelungen. Die E-Zigarette (Applikator) unterliege den Kennzeichnungsvorschriften des Medizinproduktegesetzes. Der Erlass wurde nachrichtlich an die Landesapothekerkammern übersandt.
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Nachdem dem Beklagten mit Beschluss vom 23. April 2012 (OVG Münster - 13 B 127/12 - NVwZ 2012, 767) untersagt worden war, die Verlautbarungen über die rechtliche Einordnung der E-Zigarette und der Liquids zu wiederholen, hat die Klägerin im Mai 2012 Klage auf Unterlassung der Äußerungen erhoben. Sie hat geltend gemacht, der Inhalt der Pressemitteilung und des Erlasses sei unrichtig. Nikotinhaltige E-Zigaretten seien keine Arzneimittel. Eine therapeutische Funktion komme ihnen nicht zu. Es handele sich vielmehr um Genussmittel. Zudem sei das Ministerium für die in Rede stehende Informationstätigkeit unzuständig. Zu öffentlichen Warnungen vor Arzneimitteln sei allein das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte berufen.
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Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 10. Oktober 2012 abgewiesen. Die Äußerungen stellten ein zulässiges Informationshandeln des Beklagten dar. Insbesondere verletzten sie nicht das Gebot der Richtigkeit und Sachlichkeit. Die öffentliche Information über die arzneimittel- und medizinprodukterechtliche Einstufung der E-Zigarette sei auch nicht als funktionales Äquivalent einer Verbotsverfügung anzusehen und unterliege daher nicht den für einen Grundrechtseingriff geltenden Bindungen. Dasselbe gelte für den Erlass an die nachgeordneten Behörden. Abgesehen davon sei die Rechtsauffassung des Ministeriums nicht zu beanstanden. Nikotinhaltige Liquids erfüllten die Voraussetzungen eines Funktionsarzneimittels im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 2 AMG. Die E-Zigarette als Applikator sei gemäß § 2 Abs. 3 MPG ein Medizinprodukt.
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Auf die Berufung der Klägerin hat das Oberverwaltungsgericht die erstinstanzliche Entscheidung geändert und der Klage stattgegeben. Zur Begründung heißt es im Wesentlichen: Die Klägerin habe einen Anspruch auf Unterlassung der streitigen Äußerungen, weil deren Wiederholung drohe und sie rechtswidrig in die Berufsfreiheit der Klägerin eingriffen. Zwar stelle die verfassungsunmittelbare Aufgabenzuweisung der Staatsleitung grundsätzlich eine hinreichende Ermächtigung der Regierung zur Information der Öffentlichkeit dar. Auch liege kein Verstoß gegen die Kompetenzordnung vor, da § 69 Abs. 4 AMG einer Informationstätigkeit der Länder nicht entgegenstehe. Jedoch genügten die Äußerungen nicht den inhaltlichen Anforderungen an ein zulässiges staatliches Informationshandeln. Zum Zeitpunkt der Verlautbarung habe eine erhebliche Rechtsunsicherheit bestanden, ob E-Zigaretten und nikotinhaltige Liquids den Bestimmungen des Arzneimittelgesetzes und des Medizinproduktegesetzes unterfielen. Das Ministerium hätte seine Rechtsauffassung daher als vorläufig kennzeichnen oder als mit Unsicherheiten behaftet bezeichnen müssen. Unabhängig davon erwiesen sich die Äußerungen als funktionales Äquivalent einer Verbotsregelung; denn sie beeinträchtigten den Absatz der E-Zigaretten und Liquids faktisch ähnlich wie eine rechtliche Verkaufsbeschränkung. Die verbotsähnliche Wirkung sei vom Ministerium auch bezweckt gewesen und durch den Erlass vom 16. Dezember 2011, der über die nachgeordneten Behörden hinaus auch den Apothekerkammern zur Kenntnis gegeben worden sei, noch verstärkt worden. Wegen dieses Eingriffscharakters unterlägen die Äußerungen denselben Rechtmäßigkeitsanforderungen wie ein belastender Verwaltungsakt. Offen bleiben könne, ob für sie eine spezialgesetzliche Ermächtigungsgrundlage erforderlich sei. Ihre Rechtswidrigkeit ergebe sich jedenfalls daraus, dass die verlautbarte Rechtsauffassung unzutreffend sei. Im Regelfall seien nikotinhaltige Liquids nicht als Arzneimittel einzustufen und erfüllten E-Zigaretten nicht die Voraussetzungen eines Medizinprodukts. Etwas anderes gelte nur, wenn ihnen von Seiten der Hersteller oder Vertreiber im Sinne eines Präsentationsarzneimittels nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 AMG eine Bestimmung zur Heilung oder Verhütung von Krankheiten oder krankhaften Beschwerden zugeschrieben werde. Dafür sei indes nichts ersichtlich. Die Erzeugnisse seien auch keine Funktionsarzneimittel im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AMG. Es könne unterstellt werden, dass marktübliche nikotinhaltige Liquids den menschlichen Stoffwechsel nennenswert beeinflussten. Das allein genüge jedoch nicht, um die Arzneimitteleigenschaft zu bejahen. Die gebotene Gesamtbetrachtung führe zu dem Ergebnis, dass die Liquids ihrer Funktion nach nicht als Arzneimittel, sondern als Genussmittel anzusehen seien. E-Zigaretten mit Nikotinlösungen ähnelten und imitierten Tabakzigaretten, die offensichtlich keine Arzneimittel seien. Auch die Beimengung von Aromastoffen stütze die Einstufung als Genussmittel. Die zunehmende Verbreitung der E-Zigarette sei ebenfalls kein Gesichtspunkt, der für die Annahme eines Arzneimittels sprechen könne; denn der steigende Absatz sei darauf zurückzuführen, dass das Produkt vom Verbraucher überwiegend als Genussmittel angesehen werde. Die Gesundheitsrisiken, die mit dem Verdampfen nikotinhaltiger Liquids verbunden seien, erschienen nicht größer als die Gefahren des Tabakrauchens. Im Rahmen der Gesamtschau sei zudem zu beachten, dass Funktionsarzneimittel typischerweise der Behandlung von Krankheiten oder unerwünschten körperlichen Zuständen und Beschwerden dienten. Es sei daher in den Blick zu nehmen, ob die Liquids objektiv geeignet seien, zu arzneilichen Zwecken eingesetzt zu werden, und ob ihnen die Anwender überwiegend eine therapeutische Zweckbestimmung beimäßen. Beides sei nicht der Fall.
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Mit der vom Oberverwaltungsgericht wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassenen Revision begehrt der Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Er macht im Wesentlichen geltend: Das Berufungsurteil stehe nicht im Einklang mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung zum staatlichen Informationshandeln. Die Grundsätze über die Richtigkeit und Sachlichkeit einer Information könnten nicht auf die amtliche Äußerung einer Rechtsauffassung übertragen werden. Anders als Tatsachen seien rechtliche Wertungen nicht dem Beweis zugänglich und ließen sich daher nicht abschließend als richtig oder falsch qualifizieren. Zutreffend sei das Verwaltungsgericht daher davon ausgegangen, dass die Eingriffsschwelle erst überschritten werde, wenn die Rechtsauffassung völlig abwegig oder unter keinem erdenklichen Gesichtspunkt mehr vertretbar erscheine. Abgesehen davon überzeuge die Annahme einer Rechtsunsicherheit nicht; denn die zahlreichen Stellungnahmen, die eine Arzneimitteleigenschaft bejahten, blieben unerwähnt. Im Übrigen habe das Oberverwaltungsgericht die Arzneimitteleigenschaft der nikotinhaltigen Liquids zu Unrecht verneint. Das Vorliegen eines therapeutischen Nutzens sei für die Einstufung als Funktionsarzneimittel nicht zwingend. Auch die Voraussetzungen einer funktionalen Eingriffsäquivalenz seien nicht erfüllt. Die streitigen Äußerungen seien in ihrer Zielsetzung und Wirkung nicht mit einer Verbotsverfügung vergleichbar. Ein wirtschaftlicher Schaden der Klägerin sei nicht dargelegt. Er - der Beklagte - habe auch nicht bezweckt, den Handel mit E-Zigaretten und Liquids faktisch unmöglich zu machen. Die offenkundig missverständliche Interpretation der amtlichen Äußerungen durch Teile der Medien müsse er sich nicht zurechnen lassen. Selbst wenn die Voraussetzungen eines Eingriffs bejaht würden, sei er gerechtfertigt, weil das Ministerium die Liquids zu Recht als Arzneimittel eingestuft habe.
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Die Klägerin verteidigt das angegriffene Berufungsurteil. Ergänzend trägt sie vor, dass die Äußerungen wegen ihrer eingriffsgleichen Wirkung einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage bedürften, an der es fehle.
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Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht ist in Übereinstimmung mit dem Bundesministerium für Gesundheit der Auffassung, dass der Beklagte die Marktteilnehmer nicht auf verbleibende Unsicherheiten bei der rechtlichen Einstufung der E-Zigarette hätte hinweisen müssen. Gelangten die zuständigen Überwachungsbehörden zu dem Schluss, dass nikotinhaltige E-Zigaretten ohne arzneimittelrechtliche Zulassung nicht verkehrsfähig seien, müssten sie ein Inverkehrbringen unverzüglich und wirksam unterbinden. Es sei daher nicht zu beanstanden, wenn das Ministerium wegen der Vielzahl der befürchteten Verstöße auf diesen Sachverhalt aufmerksam mache und seine rechtliche Bewertung für Hersteller und Verbraucher deutlich mache.
Entscheidungsgründe
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Die Revision des Beklagten ist unbegründet. Das angefochtene Urteil beruht nicht auf einer Verletzung von Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Das Oberverwaltungsgericht hat der Klage zu Recht stattgegeben. Der Klägerin steht der geltend gemachte Unterlassungsanspruch zu, weil die in Rede stehenden Äußerungen rechtswidrig in ihr Grundrecht auf freie Berufsausübung eingreifen.
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1. Der öffentlich-rechtliche Anspruch auf Unterlassung der Wiederholung einer amtlichen Äußerung setzt voraus, dass diese rechtswidrig in subjektive Rechte des Betroffenen eingreift und die konkrete Gefahr ihrer Wiederholung droht. Fehlt es - wie hier - an einer spezialgesetzlichen Grundlage, leitet sich der Unterlassungsanspruch aus einer grundrechtlich geschützten Position des Betroffenen ab. Die Grundrechte schützen vor rechtswidrigen Beeinträchtigungen jeder Art, auch solchen durch schlichtes Verwaltungshandeln. Der Betroffene kann daher, wenn ihm eine derartige Rechtsverletzung droht, gestützt auf das jeweilige Grundrecht Unterlassung verlangen (BVerwG, Urteile vom 23. Mai 1989 - 7 C 2.87 - BVerwGE 82, 76 <77 f.> und vom 21. Mai 2008 - 6 C 13.07 - BVerwGE 131, 171 Rn. 13; Beschluss vom 11. November 2010 - 7 B 54.10 - juris Rn. 14). Diese Voraussetzungen liegen vor.
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2. Dass die Klägerin die Gefahr einer Wiederholung der beanstandeten Äußerungen durch den Beklagten zu besorgen hat (vgl. BVerwG, Urteile vom 15. Dezember 2005 - 7 C 20.04 - Buchholz 11 Art. 4 GG Nr. 78 Rn. 34 und vom 25. Januar 2012 - 6 C 9.11 - BVerwGE 141, 329 Rn. 21), hat das Oberverwaltungsgericht ausgehend von seinen das Revisionsgericht bindenden Tatsachenfeststellungen (§ 137 Abs. 2 VwGO) zutreffend angenommen.
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3. Die streitigen Äußerungen verletzen die Klägerin in ihrer Berufsausübungsfreiheit.
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a) Art. 12 Abs. 1 GG schützt (u.a.) die Erwerbszwecken dienende freie unternehmerische Betätigung einschließlich der Teilhabe am Wettbewerb (BVerwG, Urteile vom 18. April 1985 - 3 C 34.84 - BVerwGE 71, 183 <189> und vom 7. Dezember 1995 - 3 C 23.94 - Buchholz 11 Art. 12 GG Nr. 240 S. 66). Zwar haben die Wettbewerber keinen grundrechtlichen Anspruch darauf, dass die Wettbewerbsbedingungen für sie gleich bleiben. Insbesondere gewährleistet Art. 12 Abs. 1 GG keinen Anspruch auf eine erfolgreiche Marktteilhabe oder auf Sicherung künftiger Erwerbsmöglichkeiten. Die Wettbewerbsposition und damit auch die erzielbaren Erträge unterliegen vielmehr den jeweiligen Funktionsbedingungen des Marktes. Entsprechend ist nicht jedes marktbezogene Informationshandeln des Staates schon als Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit zu bewerten (vgl. BVerfG, Beschluss vom 26. Juni 2002 - 1 BvR 558, 1428/91 - BVerfGE 105, 252 <265 ff.>; Nichtannahmebeschluss vom 28. Juli 2004 - 1 BvR 2566/95 - NJW-RR 2004, 1710 <1711>; BVerwG, Urteil vom 7. Dezember 1995 - 3 C 23.94 - Buchholz 11 Art. 12 GG Nr. 240 S. 66 f.). Eine staatliche Informationstätigkeit, die sich nachteilig auf die unternehmerische Wettbewerbsposition auswirken und den Markterfolg des Unternehmers behindern kann, stellt aber jedenfalls dann eine Beeinträchtigung des Grundrechts aus Art. 12 Abs. 1 GG dar, wenn sie in der Zielsetzung und ihren Wirkungen Ersatz für eine behördliche Maßnahme ist, die als Grundrechtseingriff zu qualifizieren wäre. Bei Vorliegen eines solchen funktionalen Äquivalents eines Eingriffs hängt die Rechtmäßigkeit des Informationshandelns davon ab, dass die für Grundrechtseingriffe maßgeblichen rechtlichen Anforderungen erfüllt sind (BVerfG, Beschlüsse vom 26. Juni 2002 - 1 BvR 558, 1428/91 - BVerfGE 105, 252 <273> und vom 24. Mai 2005 - 1 BvR 1072/01 - BVerfGE 113, 63 <76, 78>; Kammerbeschluss vom 31. August 2009 - 1 BvR 3275/07 - NVwZ 2009, 1486 Rn. 11).
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b) Danach greifen die Äußerungen über die rechtliche Einstufung der E-Zigaretten und Liquids unzulässig in die unternehmerische Betätigungsfreiheit der Klägerin ein.
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aa) Die Verlautbarungen des Ministeriums stellen sich als funktionales Äquivalent eines klassischen Grundrechtseingriffs mittels hoheitlicher Regelung dar. Eine solche eingriffsgleiche Maßnahme liegt vor, wenn der Staat zielgerichtet zu Lasten bestimmter Betroffener einen im öffentlichen Interesse erwünschten Erfolg herbeiführen will. Der nachteilige Effekt darf nicht nur zufällig eintreten oder unvorhersehbare Folge des staatlichen Handelns sein (BVerwG, Urteile vom 7. Dezember 1995 - 3 C 23.94 - Buchholz 11 Art. 12 GG Nr. 240 S. 66 f. und vom 15. Dezember 2005 - 7 C 20.04 - Buchholz 11 Art. 4 GG Nr. 78 Rn. 29 f.). Diese Voraussetzungen sind hier nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts erfüllt. Danach haben die streitigen Äußerungen die unternehmerische Tätigkeit der Klägerin faktisch ähnlich wie eine rechtliche Verkaufsbeschränkung beeinträchtigt. Der Hinweis auf die drohenden strafrechtlichen Konsequenzen sei in besonderem Maße geeignet gewesen, Marktteilnehmer vom Handel mit E-Zigaretten und nikotinhaltigen Liquids abzuhalten. Vergleichbares gelte für die Information des Ministeriums, es habe die nachgeordneten Behörden über seine Rechtsauffassung unterrichtet; denn dadurch sei den Marktteilnehmern der Eindruck vermittelt worden, es sei mit einem baldigen ordnungsbehördlichen Einschreiten gegen den Vertrieb der E-Zigaretten und nikotinhaltigen Liquids zu rechnen. Damit seien die Absatzmöglichkeiten der Klägerin (und anderer Hersteller) erheblich behindert worden. Der nachteilige Effekt für den Handel und Verkauf dieser Produkte sei von dem Ministerium auch beabsichtigt gewesen (UA S. 21 ff.). Diese Annahmen des Berufungsgerichts sind revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Die Bewertung der Zielsetzung und Wirkungen der Äußerungen gehört zur Tatsachenfeststellung und -würdigung, die für den Senat bindend ist. Durchgreifende Verfahrensrügen hiergegen hat der Beklagte nicht erhoben (§ 137 Abs. 2 VwGO).
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Ein Rechtsfehler liegt auch nicht in der Annahme des Berufungsgerichts, durch die mediale Berichterstattung über die Äußerungen des Ministeriums sei deren verbotsähnlicher Effekt noch verstärkt worden. Bei der Bewertung der Wirkungen, die von der Presseinformation vom 16. Dezember 2011 ausgegangen sind, ist maßgeblich darauf abzuheben, wie die Äußerungen vom verständigen Durchschnittspublikum aufgenommen und verstanden worden sind (objektiver Empfängerhorizont). Dabei ist auch die Medienberichterstattung zu berücksichtigen, die zur Verbreitung der Äußerungen in besonderem Maße beigetragen hat. Die Einbeziehung der Medien als Multiplikatoren war von dem Ministerium zudem beabsichtigt; denn die Mitteilung war ausdrücklich an die Presse gerichtet. Soweit der Beklagte auf eine teilweise missverständliche Interpretation der Presseinformation in den Medien verweist, hat das Berufungsgericht dem entgegengesetzt, dass es sich um eine unerhebliche Abweichung gehandelt hat und es im Übrigen an dem Beklagten liegt, den mit einer unzutreffenden Berichterstattung verbundenen Wirkungen seines Informationshandelns erforderlichenfalls entgegenzusteuern. Dagegen ist aus Sicht des Revisionsrechts nichts zu erinnern.
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Ebenso wenig ist zu beanstanden, dass das Oberverwaltungsgericht neben den Verlautbarungen in der Pressemitteilung auch Äußerungen aus dem Erlass vom 16. Dezember 2011 Eingriffswirkung beigemessen hat. Richtig ist allerdings, dass das Ministerium die nachgeordneten Behörden über seine Rechtsauffassung zur Einstufung der E-Zigaretten und Liquids informieren durfte. Solches Handeln gehört zum Aufgabenkreis einer obersten Aufsichtsbehörde. Die Weitergabe von Informationen an nachgeordnete Stellen im Erlasswege ist auch keine öffentliche Informationstätigkeit, sondern vielmehr eine interne Verwaltungsmaßnahme. Dass der Erlass nachrichtlich an die Landesapothekerkammern zur Kenntnis gegeben worden ist, steht dem nicht entgegen; denn sie sind in die öffentliche Aufgabe, eine ordnungsgemäße Arzneimittelversorgung der Bevölkerung sicherzustellen (§ 1 AMG, § 1 Abs. 1 ApoG), nach Maßgabe der Vorschriften des nordrhein-westfälischen Heilberufsgesetzes einbezogen. Das Berufungsgericht durfte die in dem Erlass getroffenen Aussagen zur arzneimittelrechtlichen und medizinprodukterechtlichen Beurteilung der E-Zigaretten und Liquids aber gleichwohl berücksichtigen, weil das Ministerium hierauf in seiner Pressemitteilung ausdrücklich Bezug genommen und den Erlass damit zum Gegenstand seines öffentlichen Informationshandelns gemacht hat. Demzufolge bezieht sich der tenorierte Unterlassungsanspruch der Klägerin, worauf der Senat zur Klarstellung hinweist, nur auf öffentliche Äußerungen und nicht auf Mitteilungen diesen Inhalts mit rein verwaltungsinterner Zweckbestimmung.
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bb) Der Grundrechtseingriff ist nicht gerechtfertigt, weil dem Beklagten für die Äußerungen die erforderliche gesetzliche Ermächtigungsgrundlage (Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG) fehlt.
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Die unmittelbar durch die Landesverfassung zugewiesene Aufgabe der Staatsleitung bietet insoweit keine hinreichende Grundlage. Erweist sich die staatliche Informationstätigkeit - wie hier - als funktionales Äquivalent eines Eingriffs, ist auch dafür eine besondere gesetzliche Ermächtigung erforderlich, weil andernfalls durch die Wahl der Handlungsform die verfassungsrechtlichen Anforderungen an einen Grundrechtseingriff umgangen werden könnten (BVerfG, Beschluss vom 26. Juni 2002 - 1 BvR 670/91 - BVerwGE 105, 279 <303>; BVerwG, Urteil vom 15. Dezember 2005 - 7 C 20.04 - Buchholz 11 Art. 4 GG Nr. 78 Rn. 26 f.). Angesichts dessen braucht die in diesem Zusammenhang von den Beteiligten aufgeworfene Frage nicht beantwortet zu werden, ob für die Zulässigkeit staatlichen Informationshandelns, das die Äußerung von Rechtsansichten zum Gegenstand hat, auf die Vertretbarkeit der Rechtsauffassung abzustellen ist und ob der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verlangt, die Marktteilnehmer auf die Vorläufigkeit der rechtlichen Bewertung hinzuweisen.
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Die angegriffenen Äußerungen des Beklagten lassen sich auch nicht auf § 69 Abs. 1 Satz 1 des Arzneimittelgesetzes (AMG) stützen. Zwar kann die Vorschrift dahin ausgelegt werden, dass die zuständigen Landesbehörden zur Wahrnehmung ihrer Überwachungsaufgaben erforderlichenfalls auch befugt sind, öffentliche Warnungen oder Empfehlungen auszusprechen (Kloesel/Cyran, Arzneimittelrecht, 3. Aufl., Stand: April 2014, § 69 AMG, Rn. 20; Delewski, in: Kügel/ Müller/Hofmann, AMG, 2012, § 69 Rn. 6: keine Beschränkung der Handlungsformen). Die materiellen Eingriffsvoraussetzungen liegen jedoch mangels Verstoßes gegen arzneimittelrechtliche Bestimmungen nicht vor. Das Oberverwaltungsgericht hat ohne Rechtsfehler angenommen, dass nikotinhaltige Liquids im Regelfall - und so auch die von der Klägerin vertriebenen Produkte - keine Arzneimittel im Sinne von § 2 Abs. 1 AMG sind. Ebenso scheidet § 26 Abs. 2 Satz 4 des Medizinproduktegesetzes (MPG) als Ermächtigungsgrundlage aus, da E-Zigaretten nicht als Medizinprodukte im Sinne von § 2 Abs. 3 oder § 3 Nr. 1 bis 3 MPG einzustufen sind.
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(1) Unter den Begriff des Präsentationsarzneimittels nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 AMG und Art. 1 Nr. 2 Buchst. a der Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel (ABl. Nr. L 311 S. 67) i.d.F. der Richtlinie 2012/26/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2012 zur Änderung der Richtlinie 2001/83/EG hinsichtlich der Pharmakovigilanz (ABl. Nr. L 299 S. 1) fallen Stoffe oder Zubereitungen aus Stoffen, die zur Anwendung im oder am menschlichen Körper und als Mittel mit Eigenschaften zur Heilung oder Linderung oder zur Verhütung menschlicher Krankheiten oder krankhafter Beschwerden bestimmt sind. Ein Erzeugnis erfüllt diese Merkmale, wenn es entweder ausdrücklich als Mittel mit Eigenschaften zur Heilung, Linderung oder Verhütung von Krankheiten bezeichnet oder empfohlen wird oder wenn sonst bei einem durchschnittlich informierten Verbraucher auch nur schlüssig, aber mit Gewissheit der Eindruck entsteht, dass das Produkt in Anbetracht seiner Aufmachung die betreffenden Eigenschaften haben müsse (stRspr; z.B. BVerwG, Urteile vom 3. März 2011 - 3 C 8.10 - Buchholz 418.32 AMG Nr. 60 Rn. 12 und vom 26. Mai 2009 - 3 C 5.09 - Buchholz 418.710 LFGB Nr. 6 Rn. 21 f.; EuGH, Urteil vom 15. November 2007 - C-319/05, Kommission ./. Bundesrepublik Deutschland - Slg. 2007, I-9811 Rn. 43 ff. m.w.N.).
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Nach den bindenden Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts (§ 137 Abs. 2 VwGO) werden die von der Klägerin hergestellten Liquids und E-Zigaretten sowie sonstige marktübliche Erzeugnisse dieser Art nicht als Mittel präsentiert, die zur Heilung, Linderung oder Verhütung von Krankheiten bestimmt sind. Weder nach ihrer Bezeichnung und den werbenden Aussagen noch nach der Produktaufmachung im Übrigen nehmen die Erzeugnisse in Anspruch, Eigenschaften zur Behandlung der Nikotin- oder Tabaksucht aufzuweisen.
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(2) Die Produkte erfüllen auch nicht die Voraussetzungen eines Funktionsarzneimittels nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AMG und Art. 1 Nr. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/83/EG. Hierzu zählen alle Stoffe und Stoffzubereitungen, die im oder am menschlichen Körper angewendet oder einem Menschen verabreicht werden können, um die physiologischen Funktionen durch eine pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung wiederherzustellen, zu korrigieren oder zu beeinflussen. Die Entscheidung, ob ein Erzeugnis unter diese Definition fällt, ist von Fall zu Fall zu treffen. Dabei sind alle Merkmale des Produkts zu berücksichtigen (vgl. § 2 Abs. 3a AMG, Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie 2001/83/EG), insbesondere seine Zusammensetzung, seine pharmakologischen, immunologischen oder metabolischen Eigenschaften, die Modalitäten seines Gebrauchs, der Umfang seiner Verbreitung, seine Bekanntheit bei den Verbrauchern und die Risiken seiner Verwendung (stRspr des EuGH; z.B. Urteile vom 3. Oktober 2013 - C-109/12, Laboratoires Lyocentre - Rn. 42 und vom 15. Januar 2009 - C-140/07, Hecht-Pharma - Slg. 2009, I-41 Rn. 32, jeweils m.w.N.). Im Rahmen dieser Einzelfallprüfung sind die pharmakologischen, immunologischen oder metabolischen Eigenschaften das Kriterium, auf dessen Grundlage ausgehend von den Wirkungsmöglichkeiten des Erzeugnisses zu beurteilen ist, ob es zur Wiederherstellung, Korrektur oder Beeinflussung der physiologischen Funktionen im oder am menschlichen Körper angewandt oder einem Menschen verabreicht werden kann (EuGH, Urteil vom 3. Oktober 2013 - C-109/12, Laboratoires Lyocentre - Rn. 43). Das Produkt muss die Körperfunktionen nachweisbar und in nennenswerter Weise wiederherstellen, korrigieren oder beeinflussen können, wobei auf dessen bestimmungsgemäßen, normalen Gebrauch abzustellen ist (EuGH, Urteile vom 6. September 2012 - C-308/11, Chemische Fabrik Kreussler - Rn. 35 und vom 30. April 2009 - C-27/08, BIOS Naturprodukte - Slg. 2009, I-3785 Rn. 21 ff.; BVerwG, Urteil vom 26. Mai 2009 - 3 C 5.09 - Buchholz 418.710 LFGB Nr. 6 Rn. 13 m.w.N.).
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Nicht erfasst vom Begriff des Funktionsarzneimittels sind Stoffe oder Stoffzusammensetzungen, deren Wirkungen sich auf eine schlichte Beeinflussung der physiologischen Funktionen beschränken, ohne dass sie geeignet wären, der Gesundheit unmittelbar oder mittelbar zuträglich zu sein (EuGH, Urteil vom 10. Juli 2014 - C-358/13 und C-181/14 - Rn. 38; BVerwG, Beschluss vom 25. Oktober 2007 - 3 C 42.06 - PharmR 2008, 254 <256>; Rennert, NVwZ 2008, 1179 <1184>). Daher können Erzeugnisse, die nicht zu therapeutischen, sondern ausschließlich zu Entspannungs- oder Rauschzwecken konsumiert werden und dabei gesundheitsschädlich sind, nicht als Arzneimittel im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AMG, Art. 1 Nr. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/83/EG eingestuft werden (EuGH, Urteil vom 10. Juli 2014 - C-358/13 und C-181/14 - Rn. 46). Schließlich genügt es nicht, dass das fragliche Erzeugnis Eigenschaften besitzt, die der Gesundheit im Allgemeinen förderlich sind, oder dass es einen Stoff enthält, der für therapeutische Zwecke verwendet werden kann. Ihm muss vielmehr tatsächlich die Funktion der Heilung, Linderung oder Verhütung von Krankheiten oder krankhaften Beschwerden zukommen (EuGH, Urteil vom 15. November 2007 - C-319/05, Kommission ./. Bundesrepublik Deutschland - Slg. 2007, I-9811 Rn. 64 f.). Mit anderen Worten, das Produkt muss objektiv geeignet sein, für therapeutische Zwecke eingesetzt zu werden.
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Danach sind nikotinhaltige Liquids nicht als Funktionsarzneimittel anzusehen. Zwar ist nach den Feststellungen des Berufungsgerichts zugrundezulegen, dass Nikotin ein Stoff ist, der pharmakologische Wirkungen entfaltet und in den marktüblichen Liquids in einer Dosierung vorhanden ist, die bei bestimmungsgemäßem Gebrauch eine nennenswerte Einwirkung auf den Stoffwechsel hervorruft. Bei der gebotenen Gesamtschau aller Produktmerkmale ist das Oberverwaltungsgericht aber rechtsfehlerfrei zu dem Schluss gelangt, dass die Erzeugnisse nach ihrer Funktion Genussmittel sind und ihnen keine Arzneimitteleigenschaft zukommt. Für die Genussmitteleigenschaft spricht, dass die nikotinhaltige E-Zigarette eine große Ähnlichkeit mit Tabakzigaretten aufweist. Das ergibt sich aus der äußeren Form, der sonstigen Aufmachung und der Art der Anwendung der E-Zigarette. Danach wird mit dem Verdampfen der Liquids das Rauchen der Tabakzigarette imitiert. Durch den Zusatz von Aromastoffen soll ein angenehmer Geschmack erzeugt werden, wobei dem Anwender vielfältige Geschmacksvarianten zur Auswahl stehen. Das unterscheidet die Liquids von dem zur Rauchentwöhnung zugelassenen Arzneimittel „Nicorette Inhaler“, das allein Menthol und Nikotin enthält. Auch fehlt eine Dosierungsempfehlung, wie sie für Arzneimittel typisch ist. Des Weiteren hat das Berufungsgericht festgestellt, dass die Liquids nicht geeignet sind, zu therapeutischen Zwecken eingesetzt zu werden. Es stützt sich darauf, dass allein die Möglichkeit, Entzugssymptome kurzfristig zu lindern, die Annahme einer arzneilichen Zweckbestimmung nicht rechtfertigt, weil die Aufnahme und Anreicherung von Nikotin der Gesundheit schaden. Diese Argumentation ist nicht zu beanstanden (vgl. EuGH, Urteil vom 10. Juli 2014 - C-358/13 und C-181/14 - Rn. 32 ff.). Einen Vergleich mit den zur Substitution von Betäubungsmitteln zugelassenen Arzneimitteln hat das Oberverwaltungsgericht unter Hinweis auf die dafür bestehenden speziellen gesetzlichen Bestimmungen überzeugend abgelehnt. Schließlich ist den Liquids auch nicht deshalb eine therapeutische Eignung beizumessen, weil Erzeugnisse wie Nikotinpflaster oder der „Nicorette Inhaler“ als Arzneimittel eingestuft (und zugelassen) sind. Grundlage für die Qualifizierung dieser Nikotinersatzpräparate als Arzneimittel ist ihr Anspruch und ihre objektive Bestimmung, zur Rauchentwöhnung angewendet zu werden. Ein solcher therapeutischer Nutzen kommt der E-Zigarette nicht zu. Das Berufungsgericht hat angenommen, dass sich eine Eignung der E-Zigarette als Mittel zur Erreichung eines Rauchstopps und zur Behandlung der Nikotinsucht mit dem Ziel der Entwöhnung wissenschaftlich nicht belegen lässt. Dabei stützt es sich auf verschiedene sachverständige Stellungnahmen und wissenschaftliche Erkenntnismaterialien. Dementsprechend messen auch die Konsumenten den Produkten überwiegend keine arzneiliche Zweckbestimmung bei, sondern verwenden sie als Genussmittel. Verfahrensrügen gegen diese Tatsachenfeststellungen hat der Beklagte nicht erhoben. Sie sind deshalb der Revisionsentscheidung zugrundezulegen (§ 137 Abs. 2 VwGO).
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Danach lässt sich die Arzneimitteleigenschaft auch nicht damit begründen, dass mit der Verwendung der Liquids gesundheitliche Risiken verbunden sind. Das Oberverwaltungsgericht hat nicht verkannt, dass die von dem Inhalieren des Nikotindampfes ausgehenden gesundheitlichen Gefahren noch nicht abschließend erforscht sind. Nach seinen Feststellungen sind nach dem derzeitigen Stand der Wissenschaft die Gesundheitsrisiken bei bestimmungsgemäßer Anwendung der E-Zigarette eher geringer einzuschätzen als die Gefahren des Rauchens herkömmlicher Tabakzigaretten; jedenfalls seien sie nicht größer. Dieser Befund legt zwar eine Regulierung des Inverkehrbringens und der Kennzeichnung nikotinhaltiger Liquids nahe (vgl. dazu Art. 1 Buchst. f und Art. 20 der Richtlinie 2014/40/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 3. April 2014 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Herstellung, die Aufmachung und den Verkauf von Tabakerzeugnissen und verwandten Erzeugnissen und zur Aufhebung der Richtlinie 2001/37/EG
, die von den Mitgliedstaaten bis zum 20. Mai 2016 umzusetzen ist ). Allein das Bestehen von Gesundheitsrisiken bei der Anwendung eines Produkts rechtfertigt es aber nicht, es als Arzneimittel anzusehen (vgl. EuGH, Urteile vom 30. April 2009 - C-27/08, BIOS Naturprodukte - Slg. 2009, I-3785 Rn. 24 ff. und vom 10. Juli 2014 - C-358/13 und C-181/14 - Rn. 48 f.).
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§ 2 Abs. 3a AMG und Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie 2001/83/EG führen zu keiner abweichenden rechtlichen Bewertung. Aus ihnen ergibt sich für den Fall, dass ein Erzeugnis unter die Definition des Arzneimittels fällt und zugleich unter die Begriffsbestimmung eines Erzeugnisses nach § 2 Abs. 3 AMG fallen kann, der Vorrang des Arzneimittelrechts. Die Anwendung der „Zweifelsfallregelung“ des § 2 Abs. 3a AMG beruht somit auf der Prämisse, dass das betreffende Produkt die Voraussetzungen eines Arzneimittels erfüllt (vgl. EuGH, Urteil vom 15. Januar 2009 - C-140/07, Hecht-Pharma - Slg. 2009, I-41 Rn. 24 m.w.N.; BVerwG, Urteil vom 26. Mai 2009 - 3 C 5.09 - Buchholz 418.710 LFGB Nr. 6 Rn. 15).
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Der Nichteinstufung als Arzneimittel steht schließlich nicht entgegen, dass nikotinhaltige Liquids in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union als Arzneimittel behandelt werden mögen. Nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs lässt sich nach der gegenwärtigen - nicht vollständigen - Harmonisierung auf dem Gebiet des Arzneimittelrechts nicht ausschließen, dass die Frage der Arzneimitteleigenschaft eines Erzeugnisses unterschiedlich beurteilt wird. Der Umstand, dass Liquids für E-Zigaretten in einem Mitgliedstaat als Arzneimittel qualifiziert werden, bindet andere Mitgliedstaaten daher nicht (EuGH, Urteile vom 3. Oktober 2013 - C-109/12, Laboratoires Lyocentre - Rn. 45 ff. und vom 15. Januar 2009 - C-140/07, Hecht-Pharma - Slg. 2009, I-41 Rn. 28).
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(3) Fehlt den Liquids die Arzneimitteleigenschaft, handelt es sich bei den E-Zigaretten, mittels derer sie verdampft und inhaliert werden, auch nicht um Medizinprodukte. Sie sind weder im Sinne von § 2 Abs. 3 MPG dazu bestimmt, Arzneimittel zu verabreichen, noch liegt ein Fall des § 3 Nr. 1 bis 3 MPG vor.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.
(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.
(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.
(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.
(2) Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.
(3) Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.
Tenor
Der Antrag wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert wird auf 2.500,-- EUR festgesetzt.
Gründe
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(1) Die verfassungsmäßige Ordnung in den Ländern muß den Grundsätzen des republikanischen, demokratischen und sozialen Rechtsstaates im Sinne dieses Grundgesetzes entsprechen. In den Ländern, Kreisen und Gemeinden muß das Volk eine Vertretung haben, die aus allgemeinen, unmittelbaren, freien, gleichen und geheimen Wahlen hervorgegangen ist. Bei Wahlen in Kreisen und Gemeinden sind auch Personen, die die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates der Europäischen Gemeinschaft besitzen, nach Maßgabe von Recht der Europäischen Gemeinschaft wahlberechtigt und wählbar. In Gemeinden kann an die Stelle einer gewählten Körperschaft die Gemeindeversammlung treten.
(2) Den Gemeinden muß das Recht gewährleistet sein, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln. Auch die Gemeindeverbände haben im Rahmen ihres gesetzlichen Aufgabenbereiches nach Maßgabe der Gesetze das Recht der Selbstverwaltung. Die Gewährleistung der Selbstverwaltung umfaßt auch die Grundlagen der finanziellen Eigenverantwortung; zu diesen Grundlagen gehört eine den Gemeinden mit Hebesatzrecht zustehende wirtschaftskraftbezogene Steuerquelle.
(3) Der Bund gewährleistet, daß die verfassungsmäßige Ordnung der Länder den Grundrechten und den Bestimmungen der Absätze 1 und 2 entspricht.
(1) Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt.
(2) Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.
(3) Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. Sie darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt. Die Entschädigung ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen. Wegen der Höhe der Entschädigung steht im Streitfalle der Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten offen.
(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.
(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.
(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.
(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.
(1) Sind Gebühren, die sich nach dem Streitwert richten, mit der Einreichung der Klage-, Antrags-, Einspruchs- oder Rechtsmittelschrift oder mit der Abgabe der entsprechenden Erklärung zu Protokoll fällig, setzt das Gericht sogleich den Wert ohne Anhörung der Parteien durch Beschluss vorläufig fest, wenn Gegenstand des Verfahrens nicht eine bestimmte Geldsumme in Euro ist oder gesetzlich kein fester Wert bestimmt ist. Einwendungen gegen die Höhe des festgesetzten Werts können nur im Verfahren über die Beschwerde gegen den Beschluss, durch den die Tätigkeit des Gerichts aufgrund dieses Gesetzes von der vorherigen Zahlung von Kosten abhängig gemacht wird, geltend gemacht werden. Die Sätze 1 und 2 gelten nicht in Verfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit.
(2) Soweit eine Entscheidung nach § 62 Satz 1 nicht ergeht oder nicht bindet, setzt das Prozessgericht den Wert für die zu erhebenden Gebühren durch Beschluss fest, sobald eine Entscheidung über den gesamten Streitgegenstand ergeht oder sich das Verfahren anderweitig erledigt. In Verfahren vor den Gerichten für Arbeitssachen oder der Finanzgerichtsbarkeit gilt dies nur dann, wenn ein Beteiligter oder die Staatskasse die Festsetzung beantragt oder das Gericht sie für angemessen hält.
(3) Die Festsetzung kann von Amts wegen geändert werden
Die Änderung ist nur innerhalb von sechs Monaten zulässig, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat.