Verwaltungsgericht München Urteil, 30. Sept. 2016 - M 7 K 16.50056
Tenor
I.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
Der Kläger, ein senegalesischer Staatsangehöriger, reiste nach seinen Angaben ohne Personaldokumente am
Eine Eurodac-Recherche vom
Mit Bescheid vom
Gegen den am
die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheids vom
Gleichzeitig beantragte er im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die aufschiebende Wirkung gegen die Abschiebungsanordnung anzuordnen.
Zur Begründung von Klage und Eilantrag wurde auf systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingung hingewiesen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung mit sich brächten.
Mit Schreiben vom
Mit Beschluss vom 15. Februar 2016
Mit Schreiben vom
Mit Beschluss vom 11. Juli 2016
In der mündlichen Verhandlung erschien für die Beteiligten niemand.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichts- und Behördenakten verwiesen.
Gründe
Nachdem die beteiligten form- und fristgerecht unter Hinweis gem. § 102 Abs. 2 VwGO geladen worden sind, konnte über den Rechtsstreit in der mündlichen Verhandlung vom
Statthafte Klageart gegen eine Feststellung nach § 29 Abs. 1 Nr. 1a AsylG ist allein die Anfechtungsklage (vgl. die Rechtsprechung zur Vorgängervorschrift des § 27 a AsylG: BVerwG, U. v. 27.10.2015 - 1 C 32.14 - juris Rn. 13 ff.; BayVGH, B. v. 20.5.2015 - 11 ZB 14.50036 - juris Rn. 11; BayVGH, B. v. 11.2.2015 - 13a ZB 15.50005 - juris Rn. 8 ff.; OVG RhPf, U. v. 5.8.2015 - 1 A 11020/14 - juris Rn. 19; OVG NRW, B. v.
Die statthafte Anfechtungsklage bleibt in der Sache erfolglos. Der Bescheid des Bundesamts ist im nach § 77 Abs. 1 Satz 1 2. Hs AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.
Nach § 29 Abs. 1 Nr. 1a AsylG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat nach Maßgabe der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom
Italien ist aufgrund von Rechtsvorschriften der Europäischen Union für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig.
Nach Art. 18 Abs. 1 b der Verordnung Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom
Die Beklagte ist auch nicht nach Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin-III-VO gehindert, den Kläger nach Italien zu überstellen, weil es wesentliche Gründe für die Annahme gäbe, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufwiesen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der EU-Grundrechtecharta mit sich bringen würden.
Das Gemeinsame Europäische Asylsystem stützt sich auf die uneingeschränkte und umfassende Anwendung der Genfer Flüchtlingskonvention und die Versicherung, dass niemand dorthin zurückgeschickt wird, wo er Verfolgung ausgesetzt ist. Es gilt grundsätzlich die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Grundrechte-Charta sowie der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention steht. Diese Vermutung kann jedoch widerlegt werden. Allerdings hat nicht jede Verletzung eines Grundrechts durch den zuständigen Mitgliedstaat zur Folge, dass der Mitgliedstaat, in dem ein Asylantrag eingereicht wurde, daran gehindert ist, den Antragsteller an diesen Mitgliedstaat zu überstellen. Nur wenn ernsthaft zu befürchten wäre, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im zuständigen Mitgliedstaat systemische Mängel aufweisen, die eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung der an diesen Mitgliedstaat überstellten Asylbewerber im Sinne von Art. 4 der Charta implizieren, so wäre die Überstellung mit dieser Bestimmung unvereinbar (vgl. EuGH, U. v. 21.12.2011 - C-411/10 u. a. - juris Rn. 75, 80, 82, 85 und 86). Diese vom Europäischen Gerichtshof aufgestellten Grundsätze sind nunmehr auch ausdrücklich in die Dublin-Verordnung aufgenommen worden. Der Tatrichter muss sich zur Widerlegung der auf dem Prinzip gegenseitigen Vertrauens unter den Mitgliedstaaten gründenden Vermutung, die Behandlung der Asylbewerber stehe in jedem Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der Grundrechte-Charta sowie mit der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK, die Überzeugungsgewissheit (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) verschaffen, dass der Asyl-bewerber wegen systemischer Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen in dem eigentlich zuständigen Mitgliedstaat mit beachtlicher, d. h. überwiegender Wahrscheinlichkeit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt wird (vgl. BVerwG, B. v. 19.3.2014 - 10 B 6.14 - juris Rn. 9). Für die Frage, ob dem Antragsteller bei einer Überstellung nach Italien eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht, ist insbesondere auch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Auslieferungs-, Ausweisungs- und Abschiebungsfällen zu berücksichtigen (vgl. BVerwG, U. v. 27.4.2010 - 10 C 5/09 - juris Rn. 15, 17; BVerfG, B. v. 18.8.2013 - 2 BvR 1380/08 - juris Rn. 28).
Ausgehend von diesen Maßstäben liegen systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen in Italien, die einer Abschiebung des Klägers entgegenstehen, nicht vor.
Das Gericht schließt sich hier der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte an (vgl. zunächst Beschlüsse des EGMR v. 2.4.2013, Nr. 27725/10, und v. 18.6.2013, Nr. 53852/11
Soweit der EGMR in der Entscheidung Tarakhel die individuelle Lage der Beschwerdeführer im Lichte der Gesamtsituation untersucht und hierbei aufgrund der besonderen Schutzbedürftigkeit der Personen individuelle Garantien von den italienischen Behörden bei der Wiederaufnahme verlangt hat, liegt hier eine vergleichbare Situation nicht vor. Das Gericht hat die besondere Schutzbedürftigkeit insbesondere asylsuchender Kinder betont, da sie spezifische Bedürfnisse hätten und extrem verletzlich seien. Dies gelte auch dann, wenn die Kinder von ihren Eltern begleitet würden (EGMR, U. v. 4.11.2014, a. a. O., Rn. 119). Diesen Unterschied zu einem - wie hier - fähigen allein reisenden Mann, hat der Europäische Gerichtshof auch in seiner Entscheidung vom 13. Januar 2015 (Nr. 51428/10
Es ist mittlerweile gefestigte obergerichtliche Rechtsprechung, dass ein alleinstehender Mann im Falle seiner Rückkehr nach Italien nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Gefahr läuft, wegen systemischer Mängel des dortigen Asylverfahrens und/oder der Aufnahmebedingungen einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu werden. Zuletzt haben dies das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen und das Oberverwaltungsgericht Niedersachsen bestätigt (OVG NRW, U. v. 24.4.2015 - 14 A 2356/12.A - juris Rn. 20 ff. m. w. N.;
Den Einwänden des Klägers, wonach das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen systemische Mängel aufwiesen und die Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung bestünde, ist damit nicht zu folgen.
Die Abschiebungsanordnung ist ebenfalls rechtmäßig. Gem. § 34 a Abs. 1 Satz 1 AsylG ordnet das Bundesamt die Abschiebung in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat (§ 29 Absatz 1 Nr. 1 AsylG) an, sobald feststeht, dass die Abschiebung durchgeführt werden kann. Diese Voraussetzungen liegen vor. Zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote hinsichtlich Italiens bestehen nicht. Inlandsbezogene Abschiebungshindernisse und Duldungsgründe, die im Rahmen des § 34 a Abs. 1 Satz 1 AsylG vom Bundesamt zu prüfen sind (BayVGH, B. v. 12. März 2014 - 10 CE 14.427 - juris Ls), sind ebenfalls nicht ersichtlich.
Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Das Verfahren ist nach § 83 b AsylG gerichtskostenfrei. Der Ausspruch übe die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i. V. m. § 708 Nr.11, § 711 ZPO.
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(1) Gegen einen Ausländer, der ausgewiesen, zurückgeschoben oder abgeschoben worden ist, ist ein Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen. Infolge des Einreise- und Aufenthaltsverbots darf der Ausländer weder erneut in das Bundesgebiet einreisen noch sich darin aufhalten noch darf ihm, selbst im Falle eines Anspruchs nach diesem Gesetz, ein Aufenthaltstitel erteilt werden.
(2) Im Falle der Ausweisung ist das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung zu erlassen. Ansonsten soll das Einreise- und Aufenthaltsverbot mit der Abschiebungsandrohung oder Abschiebungsanordnung nach § 58a unter der aufschiebenden Bedingung der Ab- oder Zurückschiebung und spätestens mit der Ab- oder Zurückschiebung erlassen werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist bei seinem Erlass von Amts wegen zu befristen. Die Frist beginnt mit der Ausreise. Die Befristung kann zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung mit einer Bedingung versehen werden, insbesondere einer nachweislichen Straf- oder Drogenfreiheit. Tritt die Bedingung bis zum Ablauf der Frist nicht ein, gilt eine von Amts wegen zusammen mit der Befristung nach Satz 5 angeordnete längere Befristung.
(3) Über die Länge der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots wird nach Ermessen entschieden. Sie darf außer in den Fällen der Absätze 5 bis 5b fünf Jahre nicht überschreiten.
(4) Das Einreise- und Aufenthaltsverbot kann zur Wahrung schutzwürdiger Belange des Ausländers oder, soweit es der Zweck des Einreise- und Aufenthaltsverbots nicht mehr erfordert, aufgehoben oder die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots verkürzt werden. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot soll aufgehoben werden, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 vorliegen. Bei der Entscheidung über die Verkürzung der Frist oder die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots, das zusammen mit einer Ausweisung erlassen wurde, ist zu berücksichtigen, ob der Ausländer seiner Ausreisepflicht innerhalb der ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, es sei denn, der Ausländer war unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist war nicht erheblich. Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung verlängert werden. Absatz 3 gilt entsprechend.
(5) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll zehn Jahre nicht überschreiten, wenn der Ausländer auf Grund einer strafrechtlichen Verurteilung ausgewiesen worden ist oder wenn von ihm eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Absatz 4 gilt in diesen Fällen entsprechend.
(5a) Die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots soll 20 Jahre betragen, wenn der Ausländer wegen eines Verbrechens gegen den Frieden, eines Kriegsverbrechens oder eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit oder zur Abwehr einer Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr ausgewiesen wurde. Absatz 4 Satz 4 und 5 gilt in diesen Fällen entsprechend. Eine Verkürzung der Frist oder Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots ist grundsätzlich ausgeschlossen. Die oberste Landesbehörde kann im Einzelfall Ausnahmen hiervon zulassen.
(5b) Wird der Ausländer auf Grund einer Abschiebungsanordnung nach § 58a aus dem Bundesgebiet abgeschoben, soll ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. In den Fällen des Absatzes 5a oder wenn der Ausländer wegen eines in § 54 Absatz 1 Nummer 1 genannten Ausweisungsinteresses ausgewiesen worden ist, kann im Einzelfall ein unbefristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden. Absatz 5a Satz 3 und 4 gilt entsprechend.
(5c) Die Behörde, die die Ausweisung, die Abschiebungsandrohung oder die Abschiebungsanordnung nach § 58a erlässt, ist auch für den Erlass und die erstmalige Befristung des damit zusammenhängenden Einreise- und Aufenthaltsverbots zuständig.
(6) Gegen einen Ausländer, der seiner Ausreisepflicht nicht innerhalb einer ihm gesetzten Ausreisefrist nachgekommen ist, kann ein Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet werden, es sei denn, der Ausländer ist unverschuldet an der Ausreise gehindert oder die Überschreitung der Ausreisefrist ist nicht erheblich. Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 Satz 3 bis 6, Absatz 3 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1, 2 und 4 gelten entsprechend. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot ist mit seiner Anordnung nach Satz 1 zu befristen. Bei der ersten Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach Satz 1 soll die Frist ein Jahr nicht überschreiten. Im Übrigen soll die Frist drei Jahre nicht überschreiten. Ein Einreise- und Aufenthaltsverbot wird nicht angeordnet, wenn Gründe für eine vorübergehende Aussetzung der Abschiebung nach § 60a vorliegen, die der Ausländer nicht verschuldet hat.
(7) Gegen einen Ausländer,
- 1.
dessen Asylantrag nach § 29a Absatz 1 des Asylgesetzes als offensichtlich unbegründet abgelehnt wurde, dem kein subsidiärer Schutz zuerkannt wurde, das Vorliegen der Voraussetzungen für ein Abschiebungsverbot nach § 60 Absatz 5 oder 7 nicht festgestellt wurde und der keinen Aufenthaltstitel besitzt oder - 2.
dessen Antrag nach § 71 oder § 71a des Asylgesetzes wiederholt nicht zur Durchführung eines weiteren Asylverfahrens geführt hat,
(8) Vor Ablauf des Einreise- und Aufenthaltsverbots kann dem Ausländer ausnahmsweise erlaubt werden, das Bundesgebiet kurzfristig zu betreten, wenn zwingende Gründe seine Anwesenheit erfordern oder die Versagung der Erlaubnis eine unbillige Härte bedeuten würde. Im Falle der Absätze 5a und 5b ist für die Entscheidung die oberste Landesbehörde zuständig.
(9) Reist ein Ausländer entgegen einem Einreise- und Aufenthaltsverbot in das Bundesgebiet ein, wird der Ablauf einer festgesetzten Frist für die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet gehemmt. Die Frist kann in diesem Fall verlängert werden, längstens jedoch um die Dauer der ursprünglichen Befristung. Der Ausländer ist auf diese Möglichkeit bei der erstmaligen Befristung hinzuweisen. Für eine nach Satz 2 verlängerte Frist gelten die Absätze 3 und 4 Satz 1 entsprechend.
(1) In Anwendung des Abkommens vom 28. Juli 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (BGBl. 1953 II S. 559) darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Dies gilt auch für Asylberechtigte und Ausländer, denen die Flüchtlingseigenschaft unanfechtbar zuerkannt wurde oder die aus einem anderen Grund im Bundesgebiet die Rechtsstellung ausländischer Flüchtlinge genießen oder die außerhalb des Bundesgebiets als ausländische Flüchtlinge nach dem Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge anerkannt sind. Wenn der Ausländer sich auf das Abschiebungsverbot nach diesem Absatz beruft, stellt das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge außer in den Fällen des Satzes 2 in einem Asylverfahren fest, ob die Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen und dem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen ist. Die Entscheidung des Bundesamtes kann nur nach den Vorschriften des Asylgesetzes angefochten werden.
(2) Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem ihm der in § 4 Absatz 1 des Asylgesetzes bezeichnete ernsthafte Schaden droht. Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend.
(3) Darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, weil dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht, finden die Vorschriften über die Auslieferung entsprechende Anwendung.
(4) Liegt ein förmliches Auslieferungsersuchen oder ein mit der Ankündigung eines Auslieferungsersuchens verbundenes Festnahmeersuchen eines anderen Staates vor, darf der Ausländer bis zur Entscheidung über die Auslieferung nur mit Zustimmung der Behörde, die nach § 74 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen für die Bewilligung der Auslieferung zuständig ist, in diesen Staat abgeschoben werden.
(5) Ein Ausländer darf nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.
(6) Die allgemeine Gefahr, dass einem Ausländer in einem anderen Staat Strafverfolgung und Bestrafung drohen können und, soweit sich aus den Absätzen 2 bis 5 nicht etwas anderes ergibt, die konkrete Gefahr einer nach der Rechtsordnung eines anderen Staates gesetzmäßigen Bestrafung stehen der Abschiebung nicht entgegen.
(7) Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat soll abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. § 60a Absatz 2c Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Eine erhebliche konkrete Gefahr aus gesundheitlichen Gründen liegt nur vor bei lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen, die sich durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würden. Es ist nicht erforderlich, dass die medizinische Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist. Eine ausreichende medizinische Versorgung liegt in der Regel auch vor, wenn diese nur in einem Teil des Zielstaats gewährleistet ist. Gefahren nach Satz 1, denen die Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, sind bei Anordnungen nach § 60a Abs. 1 Satz 1 zu berücksichtigen.
(8) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn der Ausländer aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland anzusehen ist oder eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen eines Verbrechens oder besonders schweren Vergehens rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt worden ist. Das Gleiche gilt, wenn der Ausländer die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 des Asylgesetzes erfüllt. Von der Anwendung des Absatzes 1 kann abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeutet, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden ist oder eine Straftat nach § 177 des Strafgesetzbuches ist.
(9) In den Fällen des Absatzes 8 kann einem Ausländer, der einen Asylantrag gestellt hat, abweichend von den Vorschriften des Asylgesetzes die Abschiebung angedroht und diese durchgeführt werden. Die Absätze 2 bis 7 bleiben unberührt.
(10) Soll ein Ausländer abgeschoben werden, bei dem die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen, kann nicht davon abgesehen werden, die Abschiebung anzudrohen und eine angemessene Ausreisefrist zu setzen. In der Androhung sind die Staaten zu bezeichnen, in die der Ausländer nicht abgeschoben werden darf.
(11) (weggefallen)
Die Vollmacht wird weder durch den Tod des Vollmachtgebers noch durch eine Veränderung in seiner Prozessfähigkeit oder seiner gesetzlichen Vertretung aufgehoben; der Bevollmächtigte hat jedoch, wenn er nach Aussetzung des Rechtsstreits für den Nachfolger im Rechtsstreit auftritt, dessen Vollmacht beizubringen.
(1) Sobald der Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt ist, sind die Beteiligten mit einer Ladungsfrist von mindestens zwei Wochen, bei dem Bundesverwaltungsgericht von mindestens vier Wochen, zu laden. In dringenden Fällen kann der Vorsitzende die Frist abkürzen.
(2) Bei der Ladung ist darauf hinzuweisen, daß beim Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann.
(3) Die Gerichte der Verwaltungsgerichtsbarkeit können Sitzungen auch außerhalb des Gerichtssitzes abhalten, wenn dies zur sachdienlichen Erledigung notwendig ist.
(4) § 227 Abs. 3 Satz 1 der Zivilprozeßordnung ist nicht anzuwenden.
(1) Anordnungen und Entscheidungen, durch die eine Frist in Lauf gesetzt wird, sowie Terminbestimmungen und Ladungen sind zuzustellen, bei Verkündung jedoch nur, wenn es ausdrücklich vorgeschrieben ist.
(2) Zugestellt wird von Amts wegen nach den Vorschriften der Zivilprozessordnung.
(3) Wer nicht im Inland wohnt, hat auf Verlangen einen Zustellungsbevollmächtigten zu bestellen.
Das Schriftstück gilt als zugestellt, wenn seit dem Aushang der Benachrichtigung ein Monat vergangen ist. Das Prozessgericht kann eine längere Frist bestimmen.
(1) Sobald der Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt ist, sind die Beteiligten mit einer Ladungsfrist von mindestens zwei Wochen, bei dem Bundesverwaltungsgericht von mindestens vier Wochen, zu laden. In dringenden Fällen kann der Vorsitzende die Frist abkürzen.
(2) Bei der Ladung ist darauf hinzuweisen, daß beim Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden kann.
(3) Die Gerichte der Verwaltungsgerichtsbarkeit können Sitzungen auch außerhalb des Gerichtssitzes abhalten, wenn dies zur sachdienlichen Erledigung notwendig ist.
(4) § 227 Abs. 3 Satz 1 der Zivilprozeßordnung ist nicht anzuwenden.
(1) Ein Asylantrag ist unzulässig, wenn
- 1.
ein anderer Staat - a)
nach Maßgabe der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 oder - b)
auf Grund von anderen Rechtsvorschriften der Europäischen Union oder eines völkerrechtlichen Vertrages
- 2.
ein anderer Mitgliedstaat der Europäischen Union dem Ausländer bereits internationalen Schutz im Sinne des § 1 Absatz 1 Nummer 2 gewährt hat, - 3.
ein Staat, der bereit ist, den Ausländer wieder aufzunehmen, als für den Ausländer sicherer Drittstaat gemäß § 26a betrachtet wird, - 4.
ein Staat, der kein Mitgliedstaat der Europäischen Union und bereit ist, den Ausländer wieder aufzunehmen, als sonstiger Drittstaat gemäß § 27 betrachtet wird oder - 5.
im Falle eines Folgeantrags nach § 71 oder eines Zweitantrags nach § 71a ein weiteres Asylverfahren nicht durchzuführen ist.
(2) Das Bundesamt hört den Ausländer zu den Gründen nach Absatz 1 Nummer 1 Buchstabe b bis Nummer 4 persönlich an, bevor es über die Zulässigkeit eines Asylantrags entscheidet. Zu den Gründen nach Absatz 1 Nummer 5 gibt es dem Ausländer Gelegenheit zur Stellungnahme nach § 71 Absatz 3.
(3) Erscheint der Ausländer nicht zur Anhörung über die Zulässigkeit, entscheidet das Bundesamt nach Aktenlage. Dies gilt nicht, wenn der Ausländer unverzüglich nachweist, dass das in Satz 1 genannte Versäumnis auf Umstände zurückzuführen war, auf die er keinen Einfluss hatte. Führt der Ausländer diesen Nachweis, ist das Verfahren fortzuführen.
(4) Die Anhörung zur Zulässigkeit des Asylantrags kann gemäß § 24 Absatz 1a dafür geschulten Bediensteten anderer Behörden übertragen werden.
Tenor
I.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II.
Die Beklagte trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
I.
II.
Tenor
I.
Der Antrag wird abgelehnt.
II.
Die Beklagte hat die Kosten des Antragsverfahrens zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
Tenor
Unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Trier vom 14. August 2014 – 2 K 426/14.TR – wird der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 14. Februar 2014 aufgehoben.
Die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge trägt die Beklagte.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der festzusetzenden Kosten abwenden, wenn nicht der Kläger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
- 1
Der Kläger wendet sich gegen einen Bescheid der Beklagten, mit dem die Unzulässigkeit seines in Deutschland gestellten Asylantrages festgestellt und die Abschiebung nach Italien angeordnet wird.
- 2
Der Kläger ist eigenen Angaben zufolge am … 1976 geboren und iranischer Staatsangehöriger. Im Jahre 2011 reiste er – ebenfalls nach eigener Darstellung – zunächst über die Türkei und Griechenland nach Italien, wo er sich etwa 17 Monate aufhielt und Asyl beantragte. Im März 2013 reiste er über Frankreich nach Deutschland und stellte dort am 23. April 2013 einen Asylantrag.
- 3
Bei seiner Anhörung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge am 30. April 2013 gab der Kläger im Wesentlichen an, im Iran zusammen mit Freunden an Demonstrationen teilgenommen und Parolen gegen die Regierung geschrieben zu haben, woraufhin ein Teil der Freunde verhaftet worden sei. Zudem sei er vom Militärdienst desertiert.
- 4
Die Beklagte stellte, nachdem ihr durch eine Mitteilung aus dem EURODAC-System die illegale Einreise des Klägers nach Italien und die dortige Asylantragstellung bekannt geworden waren, am 12. Dezember 2013 ein Wiederaufnahmegesuch an Italien, auf das die italienischen Behörden nicht reagierten.
- 5
Mit Bescheid vom 14. Februar 2014 erklärte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge den Asylantrag des Klägers für unzulässig und ordnete dessen Abschiebung nach Italien an.
- 6
Einen am 24. Februar 2014 gestellten Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes lehnte das Verwaltungsgericht Trier mit Beschluss vom 6. März 2014 – 2 L 353/14.TR – ab.
- 7
Am 5. März 2014 hat der Kläger Klage erhoben, mit der er im Wesentlichen geltend gemacht hat, dass zwischenzeitlich die in Art. 20 Abs. 2 der Dublin-II-Verordnung festgelegte 6-monatige Frist für eine Überstellung nach Italien abgelaufen und der Bescheid vom 14. Februar 2014 deswegen rechtswidrig geworden und aufzuheben sei.
- 8
Das Verwaltungsgericht Trier hat die Klage mit Urteil vom 14. August 2014 – 2 K 426/14.TR – abgewiesen. Systemische Mängel des italienischen Asylverfahrens und der dortigen Aufnahmebedingungen seien nicht festzustellen. Auch sei die Beklagte vorliegend nicht wegen einer unangemessen langen Dauer des Verwaltungsverfahrens verpflichtet, das ihr eingeräumte Selbsteintrittsrecht auszuüben. Die 6-monatige Überstellungsfrist nach der Dublin II-Verordnung sei ebenfalls noch nicht verstrichen, sondern habe mit Abschluss des Eilverfahrens erneut zu laufen begonnen. Abgesehen davon könne sich der Kläger auf einen Verstoß gegen die entsprechenden Fristenregelungen auch gar nicht berufen, da hieraus keine subjektiven Rechte ableitbar seien.
- 9
Gegen das seinem Prozessbevollmächtigten am 3. September 2014 zugestellte Urteil hat der Kläger am 3. Oktober 2014 die Zulassung der Berufung beantragt. Die mit Beschluss des Senats vom 6. November 2014 – 1 A 10928/14.OVG – wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassene Berufung hat der Kläger am 8. Dezember 2014 begründet.
- 10
Er macht geltend, Art. 20 Abs. 2 der Dublin II-Verordnung begründe eine subjektive Berechtigung des Asylbewerbers, wenn die dort festgelegte Frist abgelaufen und eine Überstellung nicht erfolgt sei. Dies sei hier der Fall. Das erfolglos durchgeführte Eilverfahren führe entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht dazu, dass die Überstellungsfrist erneut zu laufen beginne. Ferner seien sehr wohl systemische Mängel des italienischen Asylverfahrens festzustellen.
- 11
Der Kläger beantragt,
- 12
unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Trier vom 14. August 2014 – 2 K 426/13.TR – den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 14. Februar 2014 aufzuheben.
- 13
Die Beklagte beantragt,
- 14
die Berufung zurückzuweisen.
- 15
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zu den Gerichtsakten gereichten Schriftsätze der Beteiligten sowie die Verwaltungsakte der Beklagten (1 Heft) Bezug genommen, welche Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe
- 16
Die zulässige Berufung des Klägers hat Erfolg.
- 17
Das Verwaltungsgericht hätte der Klage stattgeben müssen.
- 18
I. Die Klage ist als Anfechtungsklage zulässig.
- 19
Sie ist als solche insbesondere statthaft, da sie den erforderlichen wie auch ausreichenden Rechtsschutz bietet, so dass es einer weitergehenden Klage auf Verpflichtung der Beklagten nicht bedarf (vgl. hierzu ausführlich OVG Münster, Urteil vom 7. März 2014 – 1 A 21/12.A –, sowie etwa OVG Lüneburg, Urteil vom 25. Juni 2015 – 11 LB 248/14 –, VGH München, Beschluss vom 18. Mai 2015 – 11 ZB 14.50080 –, OVG Hamburg, Beschluss vom 2. Februar 2015 – 1 Bf 208/14.AU –, OVG Saarlouis, Beschluss vom 12. September 2014 – 2 A 191/14 –, VGH Mannheim, Urteil vom 16. April 2014 – A 11 S 1721/13 –, und OVG Magdeburg, Urteil vom 2. Oktober 2013 – 3 L 643/12 –, alle in juris, m. w. N.).
- 20
II. Die Klage ist auch begründet.
- 21
Der angefochtene Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 14. Februar 2014 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO –).
- 22
1. Nach § 27a Asylverfahrensgesetz – AsylVfG – ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Staat aufgrund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft oder eines völkerrechtlichen Vertrages für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist.
- 23
An einer derartigen anderweitigen Zuständigkeit fehlt es jedoch im gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG für die der Entscheidung zugrunde zu legende Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat.
- 24
Die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats erfolgt vorliegend gemäß Art. 49 Abs. 2 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 vom 26. Juni 2013 (ABl EU L 180 S. 31 – Dublin III-VO) nach der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18. Februar 2003 (ABl EG L 50 S. 1 – Dublin II-VO), da sowohl der Asylantrag in der Bundesrepublik Deutschland wie auch der Wiederaufnahmeantrag an Italien noch vor dem 1. Januar 2014 gestellt worden sind (vgl. hierzu näher BVerwG, Urteil vom 17. Juni 2014 – 10 C 7/13 –, juris, Rn. 27).
- 25
Nach Art. 10 Abs. 1 Satz 1 Dublin II-VO ist zunächst Griechenland als der Mitgliedstaat für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig geworden, dessen Grenze der Kläger aus einem Drittstaat – hier der Türkei – kommend im Jahr 2011 illegal überschritten hat. Diese Zuständigkeit endete indessen gemäß Art. 10 Abs. 1 Satz 2 Dublin II–VO zwölf Monate nach dem Tag des illegalen Grenzübertrittes, so dass Italien, wo sich der Kläger von Ende 2011 bis Anfang 2013 aufgehalten und einen Asylantrag gestellt hat, in Abhängigkeit von dem – den Verwaltungsakten nicht zu entnehmenden – genauen Zeitpunkt der dortigen Antragstellung entweder bereits nach Art. 10 Abs. 2 Satz 1 Dublin II-VO oder aber nach Art. 13 Dublin II-VO zuständig geworden ist.
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Die so begründete Zuständigkeit Italiens ist jedoch zwischenzeitlich auf die Beklagte übergegangen. Art. 20 Abs. 2 Dublin II-VO legt nämlich fest, dass – von zwei hier nicht einschlägigen Ausnahmetatbeständen abgesehen – in den Fällen eines vom ersuchten Mitgliedstaat nach den Modalitäten des Art. 20 Abs. 1 Dublin II-VO akzeptierten Wiederaufnahmegesuchs die Zuständigkeit auf den ersuchenden Mitgliedstaat übergeht, wenn die Überstellung des Asylbewerbers an den ersuchten Staat nicht innerhalb der in Art. 20 Abs. 1 Buchst. d Dublin II-VO vorgesehenen Frist von sechs Monaten erfolgt. Diese Voraussetzungen sind vorliegend gegeben:
- 27
Die Beklagte hat am 12. Dezember 2013 per elektronischer Post ein Wiederaufnahmegesuch gemäß Art. 20 Abs. 1 Buchst. a Dublin II-VO an Italien gestellt. Da der Antrag auf Angaben aus dem EURODAC-System gestützt war, nach Buchst. b somit eine verkürzte Frist zur Beantwortung von zwei Wochen galt und binnen dieser Frist von den italienischen Behörden keine Antwort auf das Gesuch erteilt worden ist, war nach Art. 20 Abs. 1 Buchst. c Dublin II-VO davon auszugehen, dass Italien die Wiederaufnahme des Klägers akzeptiert. Damit war die Überstellung gemäß Art. 20 Abs. 1 Buchst. d Satz 2 Dublin II-VO spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach der Annahme des Antrags auf Wiederaufnahme durch den ersuchten Mitgliedstaat oder der Entscheidung über den Rechtsbehelf, wenn dieser aufschiebende Wirkung hat, vorzunehmen.
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Richtiger Anknüpfungspunkt für die Berechnung dieser Frist ist vorliegend die nach Art. 20 Abs. 1 Buchst. c Dublin II-VO wegen unterbliebener Beantwortung binnen zwei Wochen fingierte Annahme des Wiederaufnahmegesuchs mit Ablauf des 26. Dezember 2013. Denn nach zutreffender Auffassung (vgl. ausführlich OVG Münster, Beschluss vom 8. September 2014 – 13 A 1347/14.A –, juris, Rn. 5 ff., sowie etwa VG Hannover, Beschluss vom 13. Mai 2014 – 6 B 9277/14 –, VG Karlsruhe, Beschluss vom 15. April 2014 – A 1 K 25/14 –, VG Düsseldorf, Beschluss vom 24. März 2014 – 13 L 644/14.A –, VG Magdeburg, Urteil vom 28. Februar 2014 – 1 A 413/13 –, und VG Oldenburg, Beschluss vom 21. Januar 2014 – 3 B 7136/13 –, alle in juris) handelt es sich bei dem erfolglos gebliebenen Antrag des Klägers auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes nach § 80 Abs. 5 VwGO nicht um einen mit aufschiebender Wirkung versehenen Rechtsbehelf im Sinne des Art. 20 Abs. 1 Buchst. d Satz 2 Dublin II-VO, so dass die Entscheidung hierüber auch nicht einen neuen Lauf der 6-Monats-Frist eröffnet hat.
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Hierfür sprechen zunächst bereits der Wortlaut und die Systematik der Dublin II-VO. Nach Art. 20 Abs. 1 Buchst. d Satz 2 muss dem Rechtsbehelf selbst aufschiebende Wirkung zukommen. Dies ist bei einem Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO jedoch schon deshalb nicht der Fall, weil nicht der Antrag als solcher, sondern allein die auf einen solchen Antrag ergehende stattgebende gerichtliche Entscheidung zum Eintritt der aufschiebenden Wirkung führt. Zudem ist der in Art. 20 Abs. 1 Buchst. d Satz 2 Dublin II-VO in Bezug genommene Rechtsbehelf eindeutig der, der nach Buchst. e Satz 4 der Vorschrift gegen die Mitteilung der Entscheidung an den Asylbewerber eingelegt werden kann, nach deutschem Recht also die Klage. Für diesen Rechtsbehelf sieht Buchst. e Satz 5 ausdrücklich vor, dass er keine aufschiebende Wirkung für die Durchführung der Überstellung hat; eine Ausnahme hiervon soll nur dann in Betracht kommen, wenn die Gerichte oder zuständigen Stellen dies im Einzelfall nach Maßgabe ihres innerstaatlichen Rechts anders entscheiden. Im Einklang hiermit legt § 75 AsylVfG fest, dass die Klage gegen Entscheidungen nach dem AsylVfG – abgesehen von den Fällen der §§ 38 Abs. 1, 73, 73b und 73c AsylVfG – keine aufschiebende Wirkung hat; in Betracht kommt lediglich die ausnahmsweise Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Hauptsacheklage im Einzelfall gemäß § 80 Abs. 5 i. V. m. Abs. 2 Nr. 3 VwGO.
- 30
Die Richtigkeit dieser Überlegungen wird auch durch eine Folgenbetrachtung bestätigt: Wollte man den Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO als Rechtsbehelf im Sinne des Art. 20 Abs. 1 Buchst. d Satz 2 Dublin II-VO ansehen, so würde auch bei einer Stattgabe die Überstellungsfrist zu laufen beginnen und möglicherweise oder sogar regelmäßig vor einer Entscheidung in der Hauptsache ablaufen. Dies wäre sinnwidrig und stünde zudem im Widerspruch dazu, dass nach der Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 29. Januar 2009 – C-19/08 – [Petrosian], juris) sowie mehrerer Obergerichte (OVG Münster, Beschluss vom 8. Mai 2014 – 13 A 827/14.A –, OVG Lüneburg, Beschluss vom 2. August 2012 – 4 MC 133/12 –, VGH Mannheim, Urteil vom 19. Juni 2012 – A 2 S 1355/11 –, alle in juris) bei Aussetzung der Vollziehung der Überstellung die Frist erst mit der rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung im Hauptsacheverfahren beginnt.
- 31
Dass auch das Unionsrecht klar zwischen dem Rechtsbehelf gegen eine Überstellungsentscheidung und dem Antrag, die Durchführung einer Überstellungsentscheidung auszusetzen, unterscheidet, ergibt sich im Übrigen aus Art. 27 Abs. 3 Dublin III-VO, insbesondere Buchst. c Satz 1, wonach die betreffende Person „zum Zwecke eines Rechtsbehelfs gegen eine Überstellungsentscheidung … die Möglichkeit (hat), bei einem Gericht innerhalb einer angemessenen Frist eine Aussetzung der Durchführung der Überstellungsentscheidung bis zum Abschluss des Rechtsbehelfs … zu beantragen.“
- 32
Ein anderes Ergebnis folgt auch nicht aus dem Sinn und Zweck der Überstellungsfrist. Diese soll den Mitgliedstaaten Zeit geben, die Modalitäten der Überstellung zu regeln, wozu ihnen grundsätzlich die vollen sechs Monate zur Verfügung stehen sollen (EuGH, Urteil vom 29. Januar 2009, a. a. O.). Als den Fristlauf in Gang setzendes Ereignis sieht Art. 20 Abs. 1 Buchst. d Satz 2 Dublin II-VO regelmäßig die Annahme des Wiederaufnahmegesuchs durch den ersuchten Staat an und nur ausnahmsweise dann, wenn dem Rechtsbehelf gegen die Überstellungsentscheidung aufschiebende Wirkung zukommt, die abschließende gerichtliche Entscheidung im Hauptsacheverfahren. Zwar führt vor diesem Hintergrund § 34a Abs. 2 Satz 2 AsylVfG, wonach bei rechtzeitiger Stellung des Antrages nach § 80 Abs. 5 VwGO die Abschiebung vor der gerichtlichen Entscheidung nicht zulässig ist, dazu, dass die Beklagte während der bereits laufenden 6-Monats-Frist für die Dauer des Eilverfahrens an der Durchführung der Überstellung gehindert ist. Dadurch wird der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO jedoch noch nicht zu einem Rechtsbehelf im Sinne des Art. 20 Abs. 1 Buchst. d Satz 2 Dublin II-VO. Ein solcher ist – wie bereits dargelegt – nach deutschem Recht allein die Klage. § 34a Abs. 2 Satz 2 AsylVfG alsgesetzlich angeordnetes Vollziehungshindernis vermag insoweit bereits von daher keine andere Betrachtungsweise zu rechtfertigen, als Art. 20 Abs. 1 Buchst. e Satz 5 Dublin II-VO eine ausnahmsweise aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs gegen die Überstellungsentscheidung nur ausnahmsweise für den Fall zulässt, dass die Gerichte oder zuständigen Stellen dies im Einzelfall nach Maßgabe ihres innerstaatlichen Rechts so entscheiden, d. h. eine konkret-individuelle gerichtliche oder behördliche Entscheidung verlangen. Zudem führt § 34a Abs. 2 Satz 2 AsylVfG aber auch nicht zu einer nach Sinn und Zweck der 6-Monats-Frist ins Gewicht fallenden Schlechterstellung der Beklagten in Bezug auf die ihr für die Organisation und Durchführung der Überstellung zur Verfügung stehende Zeit. Zum einen hindert die bloße Hemmung der Vollziehung die Ausländerbehörde nicht, bis zur Entscheidung über den Eilantrag bereits mit der Vorbereitung der weiterhin zulässigen und lediglich noch nicht durchführbaren Überstellung zu beginnen. Zum anderen beruht die Verkürzung des für die Überstellung zur Verfügung stehenden Zeitraums von sechs Monaten um die Dauer des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO auf einer Entscheidung des nationalen Gesetzgebers, die durch die Dublin II-VO nicht vorgegeben war. § 34a Abs. 2 AsylVfG ist zur Anpassung des AsylVfG an die Vorgaben des Art. 27 Abs. 3 Buchst. c der Dublin III-VO nämlich bereits durch Gesetz vom 28. August 2013 mit Wirkung vom 6. September 2013 geändert worden, obwohl die entsprechende Regelung der Dublin III-VO erst zum 1. Januar 2014 in Kraft getreten ist.
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Abgesehen davon wäre im vorliegenden Fall die 6-monatige Frist des Art. 20 Abs. 1 Buchst. d Satz 2 Dublin II-VO jedenfalls im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat aber auch dann abgelaufen, wenn man mit der Gegenauffassung (vgl. etwa VG Würzburg, Beschluss vom 11. Juni 2014 – W 6 S 14.50065 –, VG Hamburg, Beschluss vom 4. Juni 2014 – 10 AE 2414/14 –, VG München, Gerichtsbescheid vom 28. April 2014 – M 21 K 13.31396 –, VG Düsseldorf, Beschluss vom 7. April 2014 – 2 L 55/14.A –, VG Ansbach, Beschluss vom 31. März 2014 – AN 9 S 13.31028 –, VG Regensburg, Beschluss vom 13. Dezember 2013 – RO 9 S 13.30618 –, und VG Göttingen, Beschluss vom 28. November 2013 – 2 B 887/13 –, alle in juris) als Rechtsbehelf im Sinne dieser Vorschrift auch den Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ansehen oder aber für die Zeit zwischen der Zustellung des Bescheids und der Zustellung der negativen Entscheidung des Verwaltungsgerichts im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes in entsprechender Anwendung des § 209 BGB eine Ablaufhemmung annehmen wollte (so VGH Mannheim, Urteil vom 27. August 2014 – A 11 S 1285/14 –, juris, Rn. 36 ff.).
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Danach ist vorliegend im gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung die Bundesrepublik Deutschland aufgrund von Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaft für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig, so dass weder die Voraussetzungen für eine Ablehnung des Asylantrages als unzulässig gemäß § 27a AsylVfG noch die für den Erlass einer hieran anknüpfenden Abschiebungsanordnung nach § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG gegeben sind.
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2. Der sonach rechtwidrige Bescheid bewirkt auch eine Rechtsverletzung des Klägers.
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Zwar besteht weitgehend Einigkeit darüber, dass es sich bei den Zuständigkeitsregelungen der hier noch anwendbaren Dublin II-VO wie auch der Dublin III-VO vom Grundsatz her um objektive zwischenstaatliche Regelungen handelt, die keine individuelle Rechtsposition begründen.
- 37
Ein Asylbewerber hat demnach grundsätzlich kein subjektiv-öffentliches Recht auf eine Überprüfung, ob der zur Aufnahme bereite Mitgliedstaat, in den er überstellt werden soll, auch der nach der Dublin II-VO bzw. der Dublin III-VO zuständige Staat ist.
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Ebenfalls allgemein anerkannt ist, dass etwas anderes jedenfalls dann gilt, wenn das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in dem zur Aufnahme bereiten Mitgliedstaat aufgrund systemischer Mängel so defizitär sind, dass im konkret zu entscheidenden Einzelfall bei einer Überstellung nach dort mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung drohen würde (vgl. dazu etwa EuGH, Große Kammer, Urteil vom 10. Dezember 2013 – C-394/12 – [Abdullahi], und BVerwG, Beschluss vom 19. März 2014 – 10 B 6/14 –, mit Anmerkung Berlit, jeweils in juris).
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Ob darüber hinaus weitere Ausnahmen anzuerkennen sind, ist in der Rechtsprechung umstritten.
- 40
Teilweise wird dazu festgestellt, dass der Asylbewerber seiner Überstellung nur mit dem Einwand systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber entgegentreten könne (so etwa EuGH, Urteil vom 10. Dezember 2013, a. a. O., BVerwG, Beschluss vom 19. März 2014, a. a. O., OVG Schleswig, Beschluss vom 24. Februar 2015 – 2 LA 15/14 –, OVG Lüneburg, Beschluss vom 6. November 2014 – 13 LA 66/14 –, VGH Kassel, Beschluss vom 25. August 2014 – 2 A 976/14.A –, VGH Mannheim, Urteil vom 16. April 2014 – A 11 S 1721/13 –, und OVG Koblenz, Urteil vom 21. Februar 2014 – 10 A 10656/13 –, alle in juris).
- 41
Andere lassen demgegenüber bereits den bloßen Ablauf der Überstellungsfrist nach der Dublin II-VO bzw. der Dublin III-VO und den hierdurch bewirkten Zuständigkeitsübergang ausreichen, um eine eigene Rechtsverletzung des Betroffenen zu bejahen (so etwa VGH Mannheim, Beschluss vom 6. August 2013 – 12 S 675/13 –, VG Sigmaringen, Urteil vom 28. Januar 2015 – 1 K 500/14 –, VG Karlsruhe, Beschluss vom 30. November 2014 – A 5 K 2026/14 –, VG Münster, Urteil vom 19. November 2014 – 1 K 1136/14.A –, VG Augsburg, Urteil vom 11. September 2014 – Au 7 K 14.50016 –, VG Köln, Urteil vom 27. August 2014 – 3 K 411/14.A –, VG Cottbus, Beschluss vom 24. Juli 2014 – 1 L 174/14.A –, VG Göttingen, Beschluss vom 30. Juni 2014 – 2 B 86/14 –, VG Magdeburg, Urteil vom 28. Februar 2014 – 1 A 413/13 –, und VG Hamburg, Urteil vom 15. März 2012 – 10 A 227/11 –, alle in juris).
- 42
Wieder andere stellen darauf ab, ob die Überstellung trotz Fristablaufs noch zeitnah möglich ist (vgl. VGH Mannheim, Urteil vom 27. August 2014 – A 11 S 1285/14 –, juris Rn 59), das Verfahren sich als überlang erweist (so etwa VG Oldenburg, Beschluss vom 20. Januar 2015 – 11 B 454/15 –, VG Augsburg, Urteil vom 15. Mai 2015 – Au 5 K 15.50002 –, und VG Stuttgart, Urteil vom 28. Februar 2014 – A 12 K 383/14 –, alle in juris) oder der ursprünglich zuständige Mitgliedstaat trotz der abgelaufenen Überstellungsfrist noch zur Übernahme des Betroffenen bereit ist (VGH München, Urteil vom 20. Mai 2015 – 11 ZB 14.50036 –, VG Regensburg, Gerichtsbescheid vom 3. November 2014 – RO 9 K 14.30260 –, VG Würzburg, Beschluss vom 30. Oktober 2014 – W 3 E 14.50144 –, VG Oldenburg, Urteil vom 7. Juli 2014 – 3 A 416/14 –, und VG Hamburg, Beschluss vom 8. April 2014 – 17 AE 1762/14 –, alle in juris).
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Zum Teil wird schließlich zur Begründung einer subjektiven Rechtsverletzung auch unmittelbar an eine durch die Unzulässigkeitsentscheidung drohende Gefährdung oder Verletzung des Asylgrundrechts angeknüpft (VG Hannover, Beschluss vom 10. November 2014 – 1 B 12764/14 –, VG Ansbach, Urteil vom 8. Oktober 2014 – AN 10 K 14.30043 –, und VG Osnabrück, Beschluss vom 19. Februar 2014 – 5 B 12/14 –, alle in juris).
- 44
Unter Berücksichtigung aller in der vorgenannten Rechtsprechung diskutierten Aspekte gelangt der erkennende Senat zu der Auffassung, dass vorliegend der Kläger angesichts des zwischenzeitlichen Übergangs der Zuständigkeit auf die Beklagte durch die Unzulässigkeitsentscheidung und die Anordnung der Abschiebung nach Italien in seinen Rechten verletzt ist.
- 45
Dabei kann offen bleiben, ob bereits die Regelungen der Dublin II-VO bzw. der Dublin III-VO als solche generell oder jedenfalls in Ausnahmesituationen Individualschutz entfalten.
- 46
Hierfür lässt sich immerhin anführen, dass mit den Zuständigkeitsregeln der Dublin II-VO (vgl. dort Erwägung 4) wie auch der Dublin III-VO (dort Erwägung 5) ausdrücklich bezweckt wird, einen effektiven Zugang zu den Verfahren zur Bestimmung der Flüchtlingseigenschaft bzw. zur Gewährung des internationalen Schutzes zu gewährleisten (vgl. dazu auch EuGH, Urteil vom 10. Dezember 2013, a. a. O., Rn 53:
- 47
„... wobei all dies hauptsächlich bezweckt, die Bearbeitung der Anträge im Interesse sowohl der Asylbewerber als auch der teilnehmenden Staaten zu beschleunigen (Urteil N. S. u. a., Randnr. 79)“.
- 48
Zwar kommt der EuGH in seinem Urteil vom 10. Dezember 2013 (a. a. O.) zu dem Ergebnis, dass Art. 19 Abs. 2 Dublin II-VO in der dort entschiedenen Fallkonstellation einer vorliegenden Zustimmung des ersuchten Mitgliedsstaates zur Aufnahme des Betroffenen nur insoweit individualschützende Wirkung entfalte, als systemische Mängel des Asylerfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber im betreffenden Mitgliedsstaat geltend gemacht würden:
- 50
„62. Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 19 Abs. 2 der Verordnung Nr. 343/2003 dahin auszulegen ist, dass in einem Fall, in dem ein Mitgliedstaat der Aufnahme eines Asylbewerbers nach Maßgabe des in Art. 10 Abs. 1 der Verordnung niedergelegten Kriteriums zugestimmt hat, d. h. als der Mitgliedstaat der ersten Einreise des Asylbewerbers in das Unionsgebiet, der Asylbewerber der Heranziehung dieses Kriteriums nur damit entgegentreten kann, dass er systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedstaat geltend macht, die ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass er tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 der Charta ausgesetzt zu werden.“
- 51
Der EuGH hat damit jedoch nicht zu der Frage Stellung genommen, welche Rechtspositionen einem Asylbewerber in den Fällen zustehen, in denen die durch ausdrückliche oder stillschweigende Zustimmung begründete Zuständigkeit eines um Aufnahme bzw. Wiederaufnahme ersuchten Mitgliedstaates wegen der Nichteinhaltung von Überstellungsfristen auf den ersuchenden Staat übergegangen ist. Es kann auch nicht angenommen werden, dass der ersuchte Mitgliedstaat, der eine Zustimmungserklärung abgegeben hat, unbefristet zur Aufnahme des Asylbewerbers bereit ist. Die Zustimmungsklärung ist vielmehr im Kontext der Bestimmungen der Dublin II-VO bzw. der Dublin III-VO zu sehen, wonach Zuständigkeiten auch wieder entfallen, wenn Fristen nicht eingehalten werden (vgl. VG Sigmaringen, Urteil vom 28. Januar 2015 – 1 K 500/14 –, juris, Rn. 34 f.). Die Feststellungen des EuGH schließen es mithin nicht aus, dass der Asylbewerber in den Fällen, in denen von einer Zustimmung des betreffenden Mitgliedstaates nicht mehr ausgegangen werden kann, auch sonstige Gründe gegen die Entscheidung über den zuständigen Mitgliedsstaat geltend machen kann, so z. B. einen Anspruch auf Prüfung seines Schutzgesuches in der Sache in angemessener Zeit.
- 52
Eine entsprechende Sichtweise hat auch der Generalanwalt in seinem Schlussantrag vom 11. Juli 2013 zur Rechtssache C-394/12 (Abdullahi), vertreten. Dort heißt in den Randnummern 44 und 46 wie folgt:
- 53
„Meines Erachtens kann dieser Rechtsbehelf nur die Einhaltung der Verordnung im Hinblick auf zwei Aspekte zum Gegenstand haben: (A) das Vorliegen von Umständen, die die Vermutung der Wahrung der Grundrechte widerlegen können, auf der das System der Union beruht, und (B) die Anerkennung bestimmter spezieller Rechte durch die Verordnung Nr. 343/2003, die mit dem eigentlichen Asylrecht einhergehen, und ihre entsprechende Gewährleistung.“
- 54
„Der zweite Aspekt besteht meines Erachtens in den Rechten, die die Verordnung Nr. 343/2003 dem Asylbewerber speziell im Verlauf des Verfahrens zur Bestimmung des für die Prüfung seines Antrags zuständigen Mitgliedsstaats gewährt. So verhält es sich mit den Rechten im Hinblick auf die Familienzusammenführung (Art. 7, 8, 14, 15), den Rechten bei Minderjährigkeit (Art. 6) oder den Rechten im Zusammenhang mit einem zügigen Verfahren (Einhaltung von Fristen und Umsetzung der in jedem einzelnen Fall vorgesehenen Rechtsfolgen, wie z.B. Art. 19 Abs. 4). Alles dieses sind Rechte, die letztlich über die Rechtsstellung der Mitgliedsstaaten im Bereich der durch die Verordnung Nr. 343/2003 geregelten Beziehungen hinausgehen und die dem Asylbewerber ein spezifisches und eigenes subjektives Recht verleihen, das sich zudem stets auf einen durch eine Grundrechtsgarantie geschützten Bereich bezieht: das Recht auf Schutz des Familienlebens (Art. 7 und 33 der Charta der Grundrechte), das Recht auf Schutz von Kindern (Art. 24 der Charta der Grundrechte) und das Recht auf eine gute Verwaltung (Art. 41 der Charta der Grundrechte). Es handelt sich bei diesen Rechten letzten Endes nicht um einen bloßen Anspruch auf ordnungsgemäße Abwicklung eines Verfahrens, in dem hauptsächlich die Mitgliedsstaaten betreffende Fragen gelöst werden, sondern um den Anspruch darauf, dass bei der Lösung dieser Fragen bestimmte Rechte und Interessen beachtet werden, die Schutzgegenstand bestimmter Grundrechte sind.“
- 55
Letztlich bedarf die Frage nach einem bereits aus der Dublin II-VO selbst ableitbaren Individualschutz vorliegend aber keiner abschließenden Klärung, da sich ein solcher bereits aus dem materiellen Recht, namentlich dem Asylrecht, ergibt.
- 56
Hat nämlich das Bundesamt einen Asylantrag unter Hinweis auf die nach der Dublin II-VO bzw. Dublin III-VO bestehende Zuständigkeit eines anderen Staates in Anwendung des § 27a AsylVfG als unzulässig abgelehnt und ist im nach § 77 Abs. 1 AsylVfG maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung die Zuständigkeit wegen Ablaufs der Überstellungsfrist auf die Beklagte übergegangen, so kann der Betroffene dann, wenn man ihm insoweit kein subjektives Recht zuerkennt und dementsprechend die Klage gegen die Entscheidung nach § 27a AsylVfG mangels Rechtsverletzung abweist, letztlich seinen Anspruch auf die ihm durch Art. 18 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (2010/C 83/02) sowie Art. 3 Abs. 1 der Dublin II-VO bzw. Dublin III-VO garantierte Überprüfung seines Begehrens durch einen Mitgliedstaat nicht mehr wirksam durchsetzen: Die Beklagte kann sich auf die bestandskräftige Ablehnung des in der Bundesrepublik Deutschland gestellten Antrages als unzulässig berufen. Eine Rückkehr in den ursprünglich zuständigen Staat hilft ihm ebenfalls nicht weiter, da er dort wegen der auf die Beklagte übergegangenen Zuständigkeit keinen Anspruch auf Prüfung seines Antrages mehr hat. Und auch ein Weiterwandern in einen dritten Mitgliedstaat führt nicht weiter, weil auch dieser sich auf die Zuständigkeit der Bundesrepublik Deutschland berufen kann (vgl. zum Ganzen etwa VG Sigmaringen, Urteil vom 28. Januar 2015 – 1 K 500/14 –, VG Würzburg, Urteil vom 30. Oktober 2014 – W 3 14.50144 –, VG Ansbach, Urteil vom 8. Oktober 2014 – AN 10 K 14.30043 –, VG Köln, Urteil vom 27. August 2014 – 3 K 411/14.A –, VG Oldenburg, Urteil vom 7. Juli 2014 – 3 A 416/14 –, und VG Hamburg, Beschluss vom 8. April 2014 – 17 AE 1762/14 –).
- 57
Bereits von daher muss dem Betroffenen auch dann, wenn man eine entsprechende subjektiv-rechtliche Berechtigung nicht bereits unmittelbar den Regelungen der Dublin II-VO bzw. der Dublin III-VO entnehmen will, eine solche letztlich jedenfalls als notwendiger Bestandteil des materiellen Asylrechts zuerkannt werden (vgl. etwa VG Düsseldorf, Urteil vom 5. Februar 2015 – 22 K 2262/14.A –, VG Hannover, Beschluss vom 10. November 2014 – 1 B 12764/14 –, VG Regensburg, Urteil vom 23. Oktober 2014 – RN 3 K 14.30180 –, alle in juris, sowie BeckOK AuslR / Günther AsylVfG § 27a Rn. 39).
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Soweit dem in der Rechtsprechung teilweise entgegen gehalten wird, dass der ursprünglich zuständige Staat ja möglicherweise trotz des Zuständigkeitswechsels noch zur Aufnahme bzw. Wiederaufnahme bereit sei – etwa, weil unklar sei, wie sich ein zwischenzeitlich durchgeführtes Verfahren auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes auf die Überstellungsfrist auswirke – und sich der Betroffene dann, wenn ihn dieser ursprünglich zuständige Mitgliedstaat (wieder) aufnehme, nach der Rechtsprechung des EuGH auch nicht auf dessen fehlende Zuständigkeit berufen könne (so etwa OVG Lüneburg, Urteil vom 25. Juni 2015 – 11 LB 248/11 –, OVG Schleswig, Beschluss vom 24. Februar 2015 – 2 LA 17/15 –, VG Würzburg, Beschluss vom 11. Juni 2014 – W 6 S 14.50065 –, und VG Hamburg, Beschluss vom 8. April 2014 – 17 AE 1762/14 –, alle in juris), erscheint dies zwar im Einzelfall durchaus denkbar.
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Der Regelfall wird dies jedoch – insbesondere auch unter den im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung aktuell obwaltenden tatsächlichen Umständen – nicht sein.
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Dagegen spricht bereits generell die praktische Erwägung, dass ein Mitgliedstaat sich schon im Hinblick auf die mit jedem Asylverfahren verbundenen finanziellen und administrativen Belastungen schwerlich entschließen wird, Asylbewerber auch dann noch aufzunehmen, wenn er hierfür nach den einschlägigen Vorschriften gar nicht mehr zuständig ist (VG Oldenburg, Urteil vom 7. Juli 2014 – 3 A 416/14 –, juris, Rn. 44).
- 61
Daran ändert auch eine möglicherweise auf das Wiederaufnahmeersuchen hin ergangene Zustimmungserklärung nichts, da diese – wie bereits ausgeführt – im Kontext der Bestimmungen der Dublin II-VO bzw. der Dublin III-VO zu sehen ist, wonach Zuständigkeiten auch wieder entfallen, wenn Fristen nicht eingehalten werden.
- 62
Zusätzliches Gewicht erhält die daraus resultierende Annahme, dass in einer Vielzahl der Aufnahme-/Wiederaufnahmeverfahren, in denen die Überstellungsfrist abgelaufen ist, der ursprünglich zuständige Mitgliedstaat sich hierauf auch berufen und eine Übernahme des Betroffenen ablehnen wird, angesichts der in den letzten Monaten stark angestiegenen und auch aktuell weiterhin ansteigenden Asylbewerberzahlen (vgl. etwa dpa-Meldung vom 31. Juli 2015 „Asylbewerber-Zahl steigt im Juli auf Rekordhoch“) und einer damit einhergehenden Erschöpfung der Aufnahmekapazitäten insbesondere der an den südlichen Außengrenzen der EU gelegenen Mitgliedstaaten. Dies gilt umso mehr, als es sich dabei in der Praxis häufig – wie auch hier – zugleich um die nach der Dublin II-VO bzw. nach der Dublin III-VO ursprünglich zuständigen Mitgliedstaaten handelt. Insoweit wird derzeit diskutiert, Flüchtlinge von dort auf andere Mitgliedstaaten umzuverteilen (siehe z. B. Spiegel Online vom 20. Juli 2015 „EU-Minister verpassen Einigung in Flüchtlingsfrage“). Dass die betreffenden Staaten das so angestrebte Ziel ihrer Entlastung durch die (Wieder-)Aufnahme von Flüchtlingen konterkarieren werden, für deren Verfahren sie nach den Dublin-Verordnungen gar nicht mehr zuständig sind, steht nach der Lebenserfahrung kaum zu erwarten.
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Danach kann nicht quasi von einer Vermutung einer über das Erlöschen seiner Zuständigkeit nach der Dublin II-VO bzw. der Dublin III-VO hinaus fortbestehenden Aufnahmebereitschaft des ursprünglich zuständigen Mitgliedstaates ausgegangen werden. Im Gegenteil wird man für den Regelfall vielmehr davon auszugehen haben, dass der wegen Ablaufs der Überstellungsfrist nunmehr nicht mehr zuständige Mitgliedstaat sich auch entsprechend der Zuständigkeitsregelung verhalten, d. h. den Betroffenen nach Erlöschen seiner Verpflichtung hierzu nicht (wieder) aufnehmen wird, und mithin im Falle einer Bestandskraft der Unzulässigkeitsentscheidung nach § 27a AsylVfG diesem die materielle Überprüfung seines Asylbegehrens letztlich insgesamt versagt bleiben könnte.
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Nach alledem wird man letztlich unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EuGH (Urteil vom 10. Dezember 2013 – C 394/12 – [Abdullahi]) eine Rechtsverletzung des Asylbewerbers durch eine objektiv rechtswidrige Entscheidung des Bundesamtes nach § 27a AsylVfG in den Fällen einer nach vorheriger Zustimmung des ersuchten Mitgliedstaates abgelaufenen Überstellungsfrist nur dann verneinen können, wenn der ursprünglich zuständige Staat im gemäß § 77 Abs. 1 AsylVfG maßgeblichen Zeitpunkt in hinreichend eindeutiger Weise – in allgemeiner Form wie z. B. einem Abkommen für bestimmte Fälle oder aber im Einzelfall – zu erkennen gegeben hat, weiterhin zur Aufnahme bereit zu sein (in diesem Sinne auch etwa VGH München, Urteil vom 20. Mai 2015 – 11 ZB 14.50036 –, VGH Mannheim, Urteil vom 29. April 2015 – A 11 S 121/15 –, VG Sigmaringen, Urteil vom 28. Januar 2015 – 1 K 500/14 –, VG Oldenburg, Urteil vom 7. Juli 2014 – 3 A 416/14 –, alle in juris).
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Nach Maßgabe dieser Grundsätze ist für den vorliegenden Fall in Ermangelung jeglichen Hinweises auf eine möglicherweise auch nach dem Übergang der Zuständigkeit auf die Beklagte noch fortbestehende Aufnahmebereitschaft des italienischen Staates von einer durch den objektiv rechtswidrigen Bescheid des Bundesamtes vom 14. Februar 2014 bewirkten Verletzung des Klägers in seinen Rechten auszugehen.
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3. Der angefochtene Bescheid kann schließlich nach ganz überwiegender Auffassung (vgl. etwa VGH Mannheim, Urteil vom 29. April 2015 – A 11 S 121/15 –, VGH München, Beschluss vom 2. Februar 2015 – 13a ZB 14.50068 –, OVG Hamburg, Beschluss vom 2. Februar 2015 – 1 Bf 208/14.AZ –, OVG Lüneburg, Beschluss vom 6. November 2014 – 13 LA 66/14 –, OVG Saarlouis, Beschluss vom 12. September 2014 – 2 A 191/14 –, OVG Münster, Urteil vom 7. März 2014 – 1 A 21/12.A –, sowie z. B. VG Berlin, Urteil vom 10. Juni 2015 – 33 K 386.13 A –, juris, Rn. 17 ff., mit weiteren Nachweisen), der sich der Senat anschließt, auch nicht in eine rechtmäßige Ablehnung eines Zweitantrages nach § 71a AsylVfG in Verbindung mit einer Abschiebungsanordnung oder einer Abschiebungsandrohung gemäß § 71a Abs. 4 i. V. m. § 34a bzw. § 34 AsylVfG umgedeutet werden.
- 67
Dem steht in Bezug auf Ziffer 1 des Bescheides schon in prozessualer Hinsicht entgegen, dass die Klage gegen die Unzulässigkeitsentscheidung nach § 27a AsylVfG – wie bereits eingangs dargelegt – nach ganz herrschender Meinung als Anfechtungsklage zulässig ist. Im Falle der Ablehnung eines Zweitantrages wäre die statthafte Klageart demgegenüber die Verpflichtungsklage, so dass bei einer entsprechenden Umdeutung über den gemäß § 88 VwGO allein von der Klägerseite zu bestimmenden Streitgegenstand hinausgegriffen würde (vgl. VGH München und OVG Saarlouis, jeweils a. a. O.).
- 68
Überdies ginge dem Kläger ansonsten eine Tatsacheninstanz verloren, die mit umfassenden Verfahrensgarantien wie der Verpflichtung zur persönlichen Anhörung gemäß § 24 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG und dem Amtsermittlungsgrundsatz gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG ausgestattet ist (VGH München, Urteil vom 28. Februar 2014 – 13a B 13.30295 –, juris, Rn. 6) und das Gericht würde im Ergebnis nicht eine Entscheidung der Behörde kontrollieren, sondern sich anstelle der Exekutive erstmals mit dem Antrag sachlich auseinandersetzen und entscheiden, was unter dem Gesichtspunkt der Gewaltenteilung zumindest bedenklich erschiene (VG Regensburg, Urteil vom 18. Juli 2013 – RN 5 K 13.30027 –, juris, Rn. 20 m. w. N.).
- 69
Zudem sind aber auch die Voraussetzungen für eine Umdeutung gemäß § 47 Verwaltungsverfahrensgesetz – VwVfG – nicht gegeben. Nach § 47 Abs. 1 VwVfG kann ein fehlerhafter Verwaltungsakt in einen anderen Verwaltungsakt umgedeutet werden, wenn er auf das gleiche Ziel gerichtet ist, von der erlassenden Behörde in der geschehenen Verfahrensweise und Form rechtmäßig hätte erlassen werden können und wenn die Voraussetzungen für dessen Erlass erfüllt sind. Nicht zulässig ist eine Umdeutung nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwVfG, wenn der Verwaltungsakt, in den der fehlerhafte Verwaltungsakt umzudeuten wäre, der erkennbaren Absicht der erlassenden Behörde widerspräche oder seine Rechtsfolgen für den Betroffenen ungünstiger wären als die des fehlerhaften Verwaltungsakts.
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Demgegenüber sind die Feststellung der Unzulässigkeit nach § 27a AsylVfG und die Entscheidung über einen Zweitantrag nach § 71a AsylVfG bereits nicht auf das gleiche Ziel gerichtet. Während erstere der Feststellung dient, dass nicht die Bundesrepublik Deutschland, sondern ein anderer Staat für die Durchführung zuständig ist, das Asylbegehren also nicht inmitten steht, hat die zweite Variante die Prüfung zum Gegenstand, ob Gründe im Sinne des § 51 Abs. 1 – 3 VwVfG für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens vorliegen (VGH München, VGH Mannheim, jeweils a. a. O.).
- 71
Nicht auf das gleiche Ziel gerichtet wäre im Falle einer Umdeutung auch die Ziffer 2 des Bescheides. Diese würde sich nunmehr nicht mehr auf Italien als den ursprünglich für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Mitgliedstaat beziehen können, sondern müsste in der Situation eines abgelehnten Zweitantrages gemäß § 71a Abs. 4 i. V. m. den §§ 34 bis 36 AsylVfG als Abschiebungsandrohung in den Herkunftsstaat – hier also den Iran – ausgelegt werden (VG Kassel, Urteil vom 10. Juni 2015 – 3 K 211/14.KS.A. –, juris; VG Berlin, a. a. O., Rn. 18).
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Darüber hinaus würde eine entsprechende Umdeutung der im Bescheid explizit genannten Absicht widersprechen, den Asylantrag in der Bundesrepublik Deutschland nicht materiell zu prüfen (VGH München, Beschluss vom 2. Februar 2015 – 13a ZB 14.50068 –, VG Regensburg, Urteil vom 21. Oktober 2014 – RO 9 K 14.30217, beide in juris).
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Zudem wären schließlich im Falle der Umdeutung der Unzulässigkeitsentscheidung in einen Bescheid nach § 71a AsylVfG dessen Rechtsfolgen ungünstiger als die des fehlerhaften Verwaltungsakts. Während ein Verwaltungsakt nach § 27a AsylVfG gemäß § 34a AsylVfG die Anordnung der Abschiebung in den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Mitgliedsstaat zur Folge hat, wo der Betroffene – etwa durch Stellung eines Folgeantrages – nach Maßgabe entsprechender nationaler Regelungen weiterhin um Schutz vor Abschiebung in den Herkunftsstaat nachsuchen kann, geht mit dem Erlass eines die Voraussetzungen des § 71a AsylVfG verneinenden Bescheids die in aller Regel unmittelbar den Herkunftsstaat benennende Abschiebungsandrohung einher (VGH München, Urteil vom 18. Mai 2015 – 11 ZB 14.50080 –, juris, Rn. 13, VGH Mannheim, a. a. O., Rn. 41).
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylVfG; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit hinsichtlich der Kosten auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr.10, 711 ZPO.
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Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor. Insbesondere hat die Sache im Zeitpunkt der Entscheidung des Senats über die Berufung bereits deshalb keine grundsätzliche Bedeutung mehr, weil die Dublin III-VO mittlerweile seit mehr als 18 Monaten in Kraft ist und sich deshalb die Frage nach einem durch die Zuständigkeitsregelungen der Dublin II-VO bewirkten Individualschutz schon von daher allenfalls noch in einer überschaubaren Zahl weiterhin anhängiger Verfahren stellen dürfte.
Tenor
Der Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Arnsberg vom 11. Dezember 2014 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
1
G r ü n d e :
2Der Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
31. Die erhobene Divergenzrüge (§ 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylVfG) ist unbegründet.
4Die Beklagte macht geltend, das angefochtene Urteil weiche von der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 10. Februar 1998 - 9 C 28.97 - ab,
5vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Februar 1998 - 9 C 28.97 ‑, BVerwGE 106, 171 = juris,
6und führt aus, das Verwaltungsgericht habe im Widerspruch zu dieser Entscheidung die Rechtsauffassung vertreten, gegen die auf § 27a AsylVfG gestützte Antragsablehnung sei die isolierte Anfechtungsklage statthaft. Nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts habe das Gericht die Streitsache im Asylrechtsstreit aber spruchreif zu machen, auch wenn es sich um einen Asylfolgeantrag handele, bezüglich dessen das Bundesamt noch nicht in die Prüfung eingetreten sei.
7Die gerügte Divergenz besteht nicht. Eine Abweichung läge nur vor, wenn das Verwaltungsgericht in Anwendung derselben Rechtsvorschrift mit einem seine Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz von einem in der genannten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts aufgestellten ebensolchen Rechtssatz abgewichen wäre.
8Vgl. etwa BVerwG, Beschlüsse vom 12. Dezember 1991 - 5 B 68.91 -, Buchholz 310 § 132 VwGO Nr. 302, vom 20. Dezember 1995 - 6 B 35.95 -, NVwZ-RR 1996, 712 (713), und vom 22. Oktober 2014 - 8 B 99.13 -, juris, Rn. 19, m. w. N.
9Daran fehlt es hier. Die genannte Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts ist zur Folgeantragsregelung nach § 71 AsylVfG ergangen. Klagegegenstand der angefochtenen Entscheidung ist demgegenüber eine Entscheidung nach § 27a AsylVfG. Nach der von der Beklagten genannten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts kann im Asylfolgeverfahren nicht lediglich isoliert auf „Wiederaufgreifen“ geklagt werden, weil der rechtserhebliche Aspekt, ob das bestandskräftig abgeschlossene Asylverfahren wieder aufgenommen werden müsse, lediglich die (Vor-)Frage nach der Erfüllung der Durchbrechung der Bestandskraft des Erstbescheids als notwendige Voraussetzung für den geltend gemachten Anspruch auf Asyl, nicht aber einen selbstständig neben diesem stehenden einklagbaren Wiederaufgreifensanspruch betreffe.
10Vgl. BVerwG, Urteil vom 10. Februar 1998 - 9 C 28.97 -, BVerwGE 106, 171 (172 f.) = juris, Rn. 10.
11Hingegen trifft das Bundesamt im Verfahren nach § 27a AsylVfG allein die der Prüfung des Asylantrags vorgelagerte Entscheidung über die Unzulässigkeit des Asylantrags; eine materiell-rechtliche Prüfung, ob ein Anspruch auf Anerkennung auf Asyl besteht, findet nicht statt. Insofern steht in diesem Verfahren weder die (Vor-)Frage im Streit, ob ein bestandskräftig abgeschlossenes Asylverfahren wieder aufgenommen werden muss noch ob ein Anspruch auf Asylanerkennung besteht.
12Vgl. zur Erfolglosigkeit der Divergenzrüge in einem solchen Fall: Bay. VGH, Beschluss vom 11. März 2015 - 13a ZB 14.50043 -, juris, Rn. 3; OVG NRW, Beschluss vom 18. Mai 2015 – 11 A 2639/14.A –, juris Rn. 3 ff.; ferner auch BVerwG, Urteil vom 5. September 2013 ‑ 10 C 1.13 ‑, Buchholz 402.25 § 33 AsylVfG Nr. 13, S. 3, Rn. 14 = juris, Rn. 14 zur Anfechtungsklage für den Fall einer Verfahrenseinstellung nach den §§ 32, 33 AsylVfG.
132. Die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG) wird nicht entsprechend den gesetzlichen Erfordernissen des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylVfG dargelegt.
14Zur Darlegung einer grundsätzlichen Bedeutung muss eine tatsächliche oder rechtliche Frage aufgeworfen werden, die entscheidungserheblich ist und über den Einzelfall hinaus im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder Fortentwicklung des Rechts einer Klärung bedarf.
15Vgl. BVerwG, Urteil vom 31. Juli 1984 - 9 C 46.84 -, BVerwGE 70, 24 ff., und Beschlüsse vom 2. Oktober 1984 - 1 B 114.84 -, InfAuslR 1985, 130 f., sowie vom 19. Juli 2011 - 10 B 10.11, 10 PKH 10 PKH 4.11 -, juris, Rn. 3.
16Diesen Anforderungen wird das Zulassungsvorbringen nicht gerecht.
17Die von der Beklagten aufgeworfene Frage,
18„ob bei einem als unzulässig i. S. v. § 27a AsylVfG abgelehnten Asylantrag deshalb eine isolierte Anfechtungsklage als zulässige Klageart ausscheidet, weil vielmehr auch dann zwingend eine auf Statuszuerkennung gerichtete Verpflichtungsklage zu erheben ist sowie ob die Tatsachengerichte gehalten sind, das Vorliegen eines insgesamt verfahrensrelevanten Asylantrags festzustellen und ferner, ob dann auch das Asylbegehren in der Sache spruchreif zu machen ist“,
19rechtfertigt nicht die Zulassung der Berufung.
20Die Frage bedarf keiner Klärung in einem Berufungsverfahren. Sie ist in der Rechtsprechung des angerufenen Oberverwaltungsgerichts zwischenzeitlich geklärt. Danach ist gegen die Entscheidung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge nach § 27a AsylVfG allein die Anfechtungsklage statthaft.
21Vgl. OVG NRW, Urteil vom 7. März 2014 - 1 A 21/12 -, juris, Rn. 28 ff., unter Hinweis auf die Rechtsprechung des EuGH.
22Dem Zulassungsantrag bleibt der Erfolg auch versagt, soweit die Beklagte geltend macht, diese Rechtsfrage sei wegen der uneinheitlichen obergerichtlichen Rechtsprechung nicht abschließend geklärt und es stehe eine Beantwortung dieser Frage durch das Bundesverwaltungsgericht aus. Die Rechtsprechung des beschließenden Oberverwaltungsgerichts zur Frage der statthaften Klageart im Falle einer Entscheidung nach § 27a AsylVfG steht im Einklang mit der überwiegenden obergerichtlichen Rechtsprechung.
23Vgl. hierzu Bay. VGH, Beschluss vom 11. März 2015 - 13a ZB 14.50043 -, juris, Rn. 6, unter Hinweis auf die in diesem Zusammenhang ergangene Rechtsprechung verschiedener Obergerichte: Hamb. OVG, Beschluss vom 2. Februar 2015 - 1 Bf 208/14.AZ -, juris; NdsOVG, Beschluss vom 6. November 2014 ‑ 13 LA 66/14 -, AuAS 2014, 273; OVG Saarl., Beschluss vom 12. September 2014 - 2 A 191/14 -, juris; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 16. April 2014 ‑ A 11 S 1721/13 -, InfAuslR 2014, 293; OVG S.-A., Urteil vom 2. Oktober 2013 - 3 L 643/12 ‑, juris; Hess. VGH, Beschluss vom 10. März 2015 – 10 A 1873/14.ZA –, UA S. 13 (soweit ersichtlich nicht veröffentlicht).
24Das Bundesverwaltungsgericht hat zudem entschieden, dass der Grundsatz, die Sache spruchreif zu machen und sich nicht auf eine Entscheidung über die Anfechtungsklage zu beschränken, nicht ausnahmslos gelte. Dazu hat es im Wesentlichen ausgeführt, aus § 113 Abs. 3 VwGO sei zu entnehmen, dass die Verwaltungsgerichte auch bei der Kontrolle eines rechtlich gebundenen Verwaltungsakts nicht in jedem Falle selbst die Spruchreife herbeiführen müssten, sondern bei erheblichen Aufklärungsdefiziten zunächst der Behörde Gelegenheit geben könnten, eine den Streitstoff erschöpfende Sachentscheidung zu treffen. Vor allem stehe die besondere - auf Beschleunigung und Konzentration auf eine Behörde - gerichtete Ausgestaltung des Asylverfahrens durch das Asylverfahrensgesetz im Falle versäumter Sachentscheidung durch das Bundesamt der Annahme entgegen, dass nur eine auf die Asylanerkennung gerichtete Verpflichtungsklage, auf die hin das Verwaltungsgericht die Sache spruchreif zu machen hätte, in Betracht käme.
25Vgl. für den Fall der Verfahrenseinstellung nach den §§ 32, 33 AsylVfG: BVerwG, Urteile vom 7. März 1995 - 9 C 264.94 -, Buchholz 402.25 § 33 AsylVfG Nr. 12, S. 3 ff. = juris, Rn. 14 ff., und vom 5. September 2013 - 10 C 1.13 -, Buchholz 402.25 § 33 AsylVfG Nr. 13, S. 3, Rn. 14 = juris, Rn. 14.
26Diese Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist ohne weiteres auf den Fall der Ablehnung der Durchführung eines Asyl(folge)verfahrens auf der Grundlage des § 27a AsylVfG übertragbar. Auch in diesem Fall trifft das Bundesamt keine Sachentscheidung über den Anspruch auf Asylanerkennung, sondern weist lediglich, ohne dass eine materiell-rechtliche Prüfung stattfindet, auf die Unzulässigkeit des Asylantrags hin.
27Vgl. zur Übertragbarkeit der Ausführungen des BVerwG auf die vorliegende Konstellation: Bay. VGH, Beschluss vom 11. März 2015 - 13a ZB 14.50043 -, juris, Rn. 6.
28Mit Blick darauf kommt es auf die von der Beklagten sinngemäß aufgeworfene Frage nicht an, ob die ablehnende Entscheidung nach § 27a AsylVfG in eine Entscheidung nach § 71a Abs. 1 AsylVfG i. V. m. § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG umzudeuten und sodann „durchzuentscheiden“ sei.
29Abgesehen davon dürfte sich diese Frage nicht in verallgemeinerungsfähiger Weise beantworten lassen. Es kann insoweit dahinstehen, ob die Voraussetzungen für eine Umdeutung im Sinne des § 47 Abs. 1 VwVfG in einem solchen Fall vorliegen. Nach dieser Vorschrift kann ein fehlerhafter Verwaltungsakt in einen anderen Verwaltungsakt umgedeutet werden, wenn er auf das gleiche Ziel gerichtet ist, von der erlassenden Behörde in der geschehenen Verfahrensweise und Form rechtmäßig hätte erlassen werden können und wenn die Voraussetzungen für dessen Erlass erfüllt sind. Mit der Entscheidung nach § 27a AsylVfG wird lediglich ‑ wie in dem vom Kläger angefochtenen Bescheid vom 14. März 2014 - ohne materiell-rechtliche Prüfung die Unzulässigkeit des Asyl(folge)antrags festgestellt; im Rahmen der Entscheidung nach § 71a AsylVfG findet hingegen eine Prüfung statt, ob das Asylverfahren, wenn die Bundesrepublik Deutschland für dessen Durchführung zuständig ist, auf den Zweitantrag wiederaufzugreifen ist und ob, falls Gründe für ein Wiederaufgreifen gegeben sind, ein Anspruch auf Asylanerkennung besteht. Jedenfalls dürfte aber die Frage, ob die Voraussetzungen für eine Entscheidung nach § 27a AsylVfG und eine Entscheidung über einen Zweitantrag nach § 71a AsylVfG i. V. m. § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG im Sinne von § 47 Abs. 1 VwVfG gleichermaßen erfüllt sind, allein anhand des konkreten Einzelfalls zu beantworten sein.
30Im Hinblick darauf führt auch die im Verlaufe des Zulassungsverfahrens erfolgte Bezugnahme der Beklagten auf den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 18. Februar 2015,
31vgl. BVerwG, Beschluss vom 18. Februar 2015 - 1 B 2.15 -, juris, Rn. 3,
32nicht zum Erfolg des Zulassungsantrags. Anders als im vorliegenden Fall lagen hinsichtlich des dortigen Klägers über EURODAC-Treffer der Kategorie 1 hinaus eine der Beklagten über eine DublinNET-Mail zugegangene Antwort Italiens, dass für diesen eine anerkennende Entscheidung in Italien ergangen war, und damit „konkrete Anhaltspunkte dafür vor, dass der Kläger bereits in anderen Mitgliedstaaten Asylanträge gestellt und diese in einem Mitgliedstaat zu einer Anerkennung geführt haben“. Hier spricht nach der auf Art. 16 Abs. 1 lit. c) Dublin II-VO gestützten Annahme des Übernahmeersuchens durch die italienischen Behörden vom 24. April 2014 und den Angaben der Bevollmächtigten des Klägers in der Klageschrift vom 12. Mai 2014 hingegen alles dafür, dass der Kläger in Italien auf seinen Antrag keinen Schutzstatus zuerkannt erhielt. Zudem ging es im vom Bundesverwaltungsgericht entschiedenen Fall um eine Einstellung des Verfahrens wegen Nichtbetreibens gemäß §§ 32, 33 AsylVfG.
33Abgesehen davon sieht sich der Senat mit Blick auf die Ausführungen in der von der Beklagten angeführten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts bestätigt, dass die Frage, ob die ablehnende Entscheidung nach § 27a AsylVfG in eine Entscheidung nach § 71a Abs. 1 AsylVfG i. V. m. § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG umzudeuten und sodann „durchzuentscheiden“ ist, nur anhand des konkreten Einzelfalls und nicht in verallgemeinerungsfähiger Weise zu beantworten sein dürfte. Das Bundesverwaltungsgericht weist in seiner Entscheidung ausdrücklich darauf hin, es komme „somit in tatsächlicher Hinsicht darauf an, ob und mit welchem Ergebnis der Kläger bereits in einem anderen Mitgliedstaat einen Asylantrag gestellt hat. Hierzu wird das Berufungsgericht den Sachverhalt weiter aufzuklären und sodann auf dieser neuen Tatsachengrundlage der Rechtsfrage nachzugehen haben, ob der Bescheid auf anderer Rechtsgrundlage aufrechterhalten oder umgedeutet werden kann“.
34Vgl. BVerwG, Beschluss vom 18. Februar 2015 - 1 B 2.15 -, juris, Rn. 8.
35Daraus ist nur der Schluss zu ziehen, dass ein Asylantrag, der auf der Grundlage des § 27a AsylVfG abgelehnt worden ist, nicht grundsätzlich in einen Bescheid nach § 71a AsylVfG umgedeutet werden kann, sondern über diese Möglichkeit erst entschieden werden kann, wenn die Tatsachengrundlage des jeweiligen Einzelfalls geklärt ist.
36Vgl. zur Erfolglosigkeit der Grundsatzrüge in einem solchen Fall OVG NRW, Beschluss vom 18. Mai 2015 – 11 A 2639/14.A –, juris Rn. 13 ff.
37Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 2 VwGO, 83b AsylVfG.
38Das Urteil des Verwaltungsgerichts ist nunmehr rechtskräftig (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylVfG).
39Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylVfG).
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 11. November 2014 - A 3 K 4877/13 - wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
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Gründe
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(1) Ein Asylantrag ist unzulässig, wenn
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ein anderer Staat - a)
nach Maßgabe der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 oder - b)
auf Grund von anderen Rechtsvorschriften der Europäischen Union oder eines völkerrechtlichen Vertrages
- 2.
ein anderer Mitgliedstaat der Europäischen Union dem Ausländer bereits internationalen Schutz im Sinne des § 1 Absatz 1 Nummer 2 gewährt hat, - 3.
ein Staat, der bereit ist, den Ausländer wieder aufzunehmen, als für den Ausländer sicherer Drittstaat gemäß § 26a betrachtet wird, - 4.
ein Staat, der kein Mitgliedstaat der Europäischen Union und bereit ist, den Ausländer wieder aufzunehmen, als sonstiger Drittstaat gemäß § 27 betrachtet wird oder - 5.
im Falle eines Folgeantrags nach § 71 oder eines Zweitantrags nach § 71a ein weiteres Asylverfahren nicht durchzuführen ist.
(2) Das Bundesamt hört den Ausländer zu den Gründen nach Absatz 1 Nummer 1 Buchstabe b bis Nummer 4 persönlich an, bevor es über die Zulässigkeit eines Asylantrags entscheidet. Zu den Gründen nach Absatz 1 Nummer 5 gibt es dem Ausländer Gelegenheit zur Stellungnahme nach § 71 Absatz 3.
(3) Erscheint der Ausländer nicht zur Anhörung über die Zulässigkeit, entscheidet das Bundesamt nach Aktenlage. Dies gilt nicht, wenn der Ausländer unverzüglich nachweist, dass das in Satz 1 genannte Versäumnis auf Umstände zurückzuführen war, auf die er keinen Einfluss hatte. Führt der Ausländer diesen Nachweis, ist das Verfahren fortzuführen.
(4) Die Anhörung zur Zulässigkeit des Asylantrags kann gemäß § 24 Absatz 1a dafür geschulten Bediensteten anderer Behörden übertragen werden.
(1) Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.
(2) Das Urteil darf nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen die Beteiligten sich äußern konnten.
Tatbestand
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Der Kläger, ein türkischer Staatsangehöriger kurdischer Volkszugehörigkeit, begehrt Abschiebungsschutz gemäß § 60 Abs. 2, 3 oder 7 Satz 2 AufenthG.
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Der 1972 geborene Kläger wurde im November 2004 in M. aufgegriffen und beantragte daraufhin Asyl. Zur Begründung gab der Kläger an, er habe sich am bewaffneten Kampf der PKK beteiligt. Im Juni 1991 sei er festgenommen und einen Monat lang von türkischen Sicherheitskräften unter Folter verhört worden. Nach seiner Verurteilung zu zwölfeinhalb Jahren Haft sei er bis Dezember 2000 weiter im Gefängnis gewesen und dann vorzeitig aus der Haft entlassen worden. Anschließend habe er sich erneut der PKK angeschlossen. Später habe er an deren politischer Linie gezweifelt und sich im Juli 2004 von der PKK getrennt. In der Türkei sei sein Leben trotz des Reuegesetzes gefährdet gewesen, da er keinen Wehrdienst abgeleistet und deswegen gesucht worden sei. Zudem hätten die Sicherheitskräfte erfahren, dass er sich nach seiner Entlassung aus der Haft wieder der PKK angeschlossen habe.
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Der Kläger hat dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (nunmehr: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge - Bundesamt) unter anderem die Kopie eines Urteils des Staatssicherheitsgerichts D. vom 24. Januar 1992 übergeben, wonach er u.a. wegen "Mitgliedschaft in der illegalen Organisation PKK" gemäß § 168/2 tStGB zu einer Haftstrafe von 12 Jahren und 6 Monaten verurteilt worden ist. Das Auswärtige Amt bestätigte die Echtheit der Urkunden und teilte mit, dass nach dem Kläger in der Türkei wegen Mitgliedschaft in der PKK gefahndet werde. Sein Bruder habe ausgesagt, dass der Kläger sich nach der Entlassung aus der Strafhaft wieder der PKK angeschlossen habe. Außerdem sei bekannt, dass er sich in einem Ausbildungscamp im Iran aufgehalten habe. Würde er wegen Mitgliedschaft in der PKK zu einer Haftstrafe verurteilt, würde zusätzlich die auf Bewährung ausgesetzte Reststrafe vollstreckt werden.
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Mit Bescheid vom 28. Juli 2005 lehnte das Bundesamt den Asylantrag des Klägers als offensichtlich unbegründet ab, stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 AufenthG offensichtlich nicht und Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht vorliegen, und drohte dem Kläger für den Fall nicht fristgerechter Ausreise die Abschiebung in die Türkei an. Der Asylantrag sei gemäß § 30 Abs. 4 AsylVfG offensichtlich unbegründet, da der Kläger eine schwere nichtpolitische Straftat begangen und den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwider gehandelt habe. Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG lägen nicht vor.
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Im Klageverfahren hat der Kläger seinen Antrag auf Anerkennung als Asylberechtigter nicht weiter verfolgt. Mit Urteil vom 22. November 2005 hat das Verwaltungsgericht die Beklagte zur Flüchtlingsanerkennung des Klägers verpflichtet. Im Berufungsverfahren hat das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz mitgeteilt, der Kläger sei im Bundesgebiet für die Nachfolgeorganisation der PKK, den KONGRA-GEL aktiv und habe im Januar 2005 an einer Aktivistenversammlung in N. teilgenommen. Er habe im Jahr 2006 als Leiter des KONGRA-GEL in Offenbach fungiert und ab diesem Zeitpunkt eine Kontrollfunktion innerhalb des KONGRA-GEL in A. ausgeübt. Der Kläger hat das bestritten.
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Mit Urteil vom 21. Oktober 2008 hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof das Urteil des Verwaltungsgerichts geändert und die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, dass der Kläger nach Rückkehr in die Türkei gemäß § 314 Abs. 2 tStGB 2005 zu einer langjährigen Freiheitsstrafe verurteilt und die Aussetzung der Vollstreckung des Strafrests widerrufen würde. Auch wenn dies politische Verfolgung darstellen sollte, stünde § 3 Abs. 2 AsylVfG der Flüchtlingsanerkennung entgegen. Die terroristischen Taten der PKK seien als Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit anzusehen, stellten schwere nichtpolitische Straftaten dar und stünden in Widerspruch zu den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen. Der Kläger habe sich daran zumindest "in sonstiger Weise" beteiligt. Selbst wenn für das Vorliegen von Ausschlussgründen gemäß § 3 Abs. 2 AsylVfG von dem Ausländer weiterhin eine Gefahr ausgehen müsse, sei das beim Kläger der Fall. Denn er habe sich weder äußerlich von der PKK abgewandt noch innerlich von seiner früheren Verstrickung in den Terror gelöst. Dahinstehen könne, ob § 3 Abs. 2 AsylVfG eine Verhältnismäßigkeitsprüfung voraussetze, denn der Ausschluss von der Flüchtlingsanerkennung bedeute keine unbillige Härte für den Kläger.
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Abschiebungshindernisse lägen nicht vor. Die Todesstrafe sei in der Türkei vollständig abgeschafft. Wegen der dem Kläger in der Türkei drohenden langjährigen Haftstrafe sei ausgeschlossen, dass er im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG einer erheblichen individuellen Gefahr ausgesetzt sei. Ein Abschiebungsverbot ergebe sich auch nicht aus § 60 Abs. 2 AufenthG und § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK. Zwar greife zugunsten des Klägers, der im Anschluss an seine Festnahme im Juni 1991 Folter erlitten habe, die Beweiserleichterung des § 60 Abs. 11 AufenthG i.V.m. Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG. Dennoch sprächen aufgrund der Angaben des Auswärtigen Amtes sowie türkischer Menschenrechtsorganisationen stichhaltige Gründe dagegen, dass er bis zum Abschluss des Strafverfahrens Folter oder eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung zu befürchten habe. Misshandlungen durch türkische Sicherheitskräfte lägen ganz überwiegend Fälle zugrunde, in denen sich der Betroffene nicht offiziell in Gewahrsam befunden habe; das wäre beim Kläger jedoch der Fall. Angesichts bereits vorhandener Beweise bestünde auch keine Notwendigkeit, durch Folter ein Geständnis zu erzwingen. Schließlich lebten in seiner Heimat zahlreiche Personen, die sich seiner annehmen und ihm bereits bei seiner Ankunft anwaltlichen Beistand verschaffen könnten. Zudem würden die PKK oder andere prokurdische Organisationen das Schicksal des Klägers verfolgen und etwaige Übergriffe auf seine Person publik machen. Ein Schutz durch "Herstellen von Öffentlichkeit" lasse sich zwar nicht während der gesamten Dauer der Strafhaft gewährleisten. Aber auch für diese Zeitspanne sprächen stichhaltige Gründe dagegen, dass der Kläger, der in einem Gefängnis des Typs F untergebracht würde, Folter oder unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlungen ausgesetzt sein würde, die irreparable körperliche oder seelische Folgen nach sich ziehen könnten. Dahinstehen könne, ob das auch für unter dieser Schwelle liegende Maßnahmen gelte, denn derartige Umstände stünden einer Abschiebung des Klägers in die Türkei als Unterzeichnerstaat der Europäischen Menschenrechtskonvention nicht entgegen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu Art. 3 EMRK stehe bei einer Abschiebung in einen Signatarstaat dessen eigene Verantwortung für die Einhaltung der Konventionsrechte im Vordergrund. Eine Mitverantwortung des abschiebenden Landes bestehe nur, wenn dem Ausländer nach seiner Abschiebung Folter oder sonstige schwere und irreparable Misshandlungen drohten und effektiver Rechtsschutz - auch durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte - nicht rechtzeitig zu erreichen sei. Diese Voraussetzungen lägen angesichts der Verhältnisse in der Türkei nicht vor. Da sich Art. 15 Buchst. b der Richtlinie 2004/83/EG an Art. 3 EMRK orientiere, beanspruchten diese Grundsätze auch im Rahmen des § 60 Abs. 2 AufenthG Geltung. Stünden im Herkunftsland ausreichende und effektive Möglichkeiten zur Abwehr drohender Gefahren zur Verfügung, benötige der Betreffende keinen internationalen Schutz. Auch § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG greife nicht. Der Verwaltungsgerichtshof hat die Revision - beschränkt auf das Vorliegen eines Abschiebungshindernisses nach § 60 Abs. 2 AufenthG - zugelassen.
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Mit der Revision rügt der Kläger vor allem eine Verletzung des § 60 Abs. 2 AufenthG. Das Berufungsgericht habe im Rahmen seiner Beweiswürdigung die Quellen selektiv ausgewertet und zu Lasten des Klägers ohne Aufklärung unterstellt, dass seine Familie einen Rechtsanwalt besorgen könne und die Nachfolgeorganisationen der PKK für ihn Öffentlichkeitsarbeit machen würden. Angesichts der umfassenden Geltung des Art. 3 EMRK reiche die Erkenntnislage nicht aus, um ein Abschiebungshindernis auszuschließen. Insofern werde auch eine Gehörsverletzung gerügt, denn wenn das Gericht zu erkennen gegeben hätte, dass es aus tatsächlichen Gründen für den Kläger keine Gefahr einer Misshandlung sehe, hätte der Kläger dazu weiter vorgetragen und Beweisanträge gestellt. Schließlich sei die Auslegung der in Art. 17 der Richtlinie 2004/83/EG enthaltenen Ausschlussgründe ungeklärt.
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Innerhalb der bis einschließlich 4. Juni 2009 verlängerten Revisionsbegründungsfrist ist der Begründungsschriftsatz nicht vollständig per Fax eingegangen. Die Bevollmächtigte des Klägers hat Wiedereinsetzung beantragt und zur Begründung Probleme bei der Faxübertragung geltend gemacht.
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Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil. Die tatsächlichen Feststellungen und Bewertungen des Berufungsgerichts seien einer Überprüfung durch das Revisionsgericht entzogen. Nicht ersichtlich sei, warum der Kläger angesichts der tatsächlichen Würdigung des Berufungsgerichts nicht den Schutz seines Heimatlandes durch Anrufung türkischer Gerichte bzw. eine Individualbeschwerde zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Anspruch nehmen könne.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Revision hat Erfolg. Der Verwaltungsgerichtshof hat Bundesrecht verletzt (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO), da er bei der Prüfung des in § 60 Abs. 2 AufenthG enthaltenen Abschiebungsverbots diejenigen erniedrigenden Behandlungsmaßnahmen übergangen hat, die keine irreparablen oder sonst schweren körperlichen und seelischen Folgen hinterlassen. Der Senat kann über das geltend gemachte Abschiebungsverbot mangels hinreichender Tatsachenfeststellungen des Berufungsgerichts weder in positiver noch in negativer Hinsicht abschließend selbst entscheiden. Daher ist die Sache gemäß § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
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1. Die Revision ist zulässig. Wegen der Versäumung der Revisionsbegründungsfrist ist dem Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 60 Abs. 1 VwGO zu gewähren, da seine Prozessbevollmächtigte ohne Verschulden verhindert war, die Revisionsbegründungsfrist einzuhalten. Diese durfte nach mehreren nur teilweise erfolgreichen Versuchen einer Faxübertragung infolge der fernmündlich erteilten unrichtigen Auskunft des Gerichtspförtners, es seien alle Seiten angekommen, davon ausgehen, dass der Revisionsbegründungsschriftsatz innerhalb der Frist vollständig eingegangen sei.
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2. Gegenstand des Revisionsverfahrens sind die unionsrechtlich vorgezeichneten Abschiebungsverbote des § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG. Die vom Berufungsgericht ausgesprochene Beschränkung der Revisionszulassung auf das Vorliegen eines Abschiebungshindernisses gemäß § 60 Abs. 2 AufenthG erweist sich als unwirksam. Denn der vom Kläger geltend gemachte Anspruch auf Verpflichtung zur Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG (entsprechend den Voraussetzungen für den subsidiären Schutz in Art. 15 der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes - ABl EU Nr. L 304 S. 12; ber. ABl EU vom 5. August 2005 Nr. L 204 S. 24) bildet nach dem dafür maßgeblichen materiellen Recht einen einheitlichen Streitgegenstand bzw. selbständigen Streitgegenstandsteil (Urteil vom 24. Juni 2008 - BVerwG 10 C 43.07 - BVerwGE 131, 198
). Die Revisionszulassung kann daher nicht wirksam auf einzelne materielle Anspruchsgrundlagen dieses einheitlichen prozessualen Anspruchs beschränkt werden (vgl. Urteil vom 1. April 1976 - BVerwG 2 C 39.73 - BVerwGE 50, 292 <295>; BGH, Urteil vom 21. September 2006 - I ZR 2/04 - NJW-RR 2007, 182 <183>).
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Für die rechtliche Beurteilung des Klagebegehrens, das auf Feststellung der Abschiebungsverbote des § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG zielt, ist gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung der Berufungsinstanz am 15. Oktober 2008 abzustellen. Deshalb sind die Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 25. Februar 2008 (BGBl I S. 162) von Bedeutung, die - soweit hier einschlägig - auch derzeit noch unverändert gelten und die Rechtsänderungen durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19. August 2007 (BGBl I S. 1970) - Richtlinienumsetzungsgesetz - berücksichtigen.
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3. Gemäß § 60 Abs. 2 AufenthG darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem für ihn die konkrete Gefahr besteht, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Mit diesem durch das Richtlinienumsetzungsgesetz ergänzten Abschiebungsverbot, das bereits in § 53 Abs. 1 AuslG 1990 und § 53 Abs. 4 AuslG 1990 i.V.m. Art. 3 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 (BGBl 1952 II S. 685 - EMRK) enthalten war, wird Art. 15 Buchst. b der Richtlinie 2004/83/EG umgesetzt. Die Europäische Kommission hat sich bei der Formulierung dieser Richtlinienbestimmung an Art. 3 EMRK orientiert und in diesem Zusammenhang ausdrücklich auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte Bezug genommen (Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie des Rates über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen und Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen vom 12. September 2001 KOM(2001) 510 endgültig S. 6, 30).
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Die Vorschriften zum subsidiären Schutz sind im Aufenthaltsgesetz insoweit "überschießend" umgesetzt worden, als die in Art. 15 der Richtlinie 2004/83/EG enthaltenen Varianten des ernsthaften Schadens in § 60 Abs. 2, 3 und 7 Satz 2 AufenthG als absolute Abschiebungsverbote ausgestaltet worden sind. Denn die in Art. 17 dieser Richtlinie vorgesehenen Ausschlussgründe greifen nach nationalem Recht gemäß § 25 Abs. 3 Satz 2 AufenthG erst auf einer nachgelagerten Ebene als Versagungsgründe für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis. Daher kommt es entgegen der Annahme der Revision auf die Interpretation der Ausschlussgründe gemäß Art. 17 der Richtlinie im vorliegenden Fall nicht an.
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Bei der Auslegung des § 60 Abs. 2 AufenthG ist der während des Revisionsverfahrens in Kraft getretene Art. 19 Abs. 2 der Grundrechte-Charta (ABl EU 2010 Nr. C 83 S. 389 - GR-Charta) als verbindlicher Teil des primären Unionsrechts (Art. 6 Abs. 1 EUV) zu berücksichtigen. Danach darf niemand in einen Staat abgeschoben oder ausgewiesen oder an einen Staat ausgeliefert werden, in dem für sie oder ihn das ernsthafte Risiko der Todesstrafe, der Folter oder einer anderen unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung besteht. Die Vorschrift gilt nach Art. 51 Abs. 1 GR-Charta für die Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union unter Wahrung des Subsidiaritätsprinzips und für die Mitgliedstaaten ausschließlich bei der Durchführung des Rechts der Union. Nach den gemäß Art. 52 Abs. 7 GR-Charta bei ihrer Auslegung gebührend zu berücksichtigenden Erläuterungen (ABl EU 2007 Nr. C 303 S. 17 = EuGRZ 2008, 92) wird durch diese Bestimmung die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 3 EMRK in Auslieferungs-, Ausweisungs- und Abschiebungsfällen übernommen.
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a) Der Verwaltungsgerichtshof ist bei der Prüfung des § 60 Abs. 2 AufenthG in revisionsgerichtlich nicht zu beanstandender Weise davon ausgegangen, dass der Kläger vor seiner Ausreise in der Türkei gefoltert worden ist. Dennoch hat das Berufungsgericht seiner Prognose den Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit und nicht den sog. herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab hinreichender Sicherheit zugrunde gelegt. Es hat aber zugunsten des Klägers die in Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG enthaltene Beweiserleichterung angewendet (UA Rn. 90). Das hält revisionsgerichtlicher Nachprüfung stand.
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Gemäß § 60 Abs. 11 AufenthG gilt für die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2 AufenthG u.a. Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG. Danach ist die Tatsache, dass ein Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden unmittelbar bedroht war, ein ernsthafter Hinweis darauf, dass die Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet ist, bzw. dass er tatsächlich Gefahr läuft, ernsthaften Schaden zu erleiden, es sei denn, stichhaltige Gründe sprechen dagegen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird.
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Diese Vorschrift greift sowohl bei der Entscheidung über die Zuerkennung von Flüchtlingsschutz für einen Vorverfolgten (bzw. von Verfolgung unmittelbar Bedrohten) als auch bei der Prüfung der Gewährung subsidiären Schutzes zugunsten desjenigen, der bereits einen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. davon unmittelbar bedroht war. In beiden Varianten des internationalen Schutzes privilegiert sie den von ihr erfassten Personenkreis durch eine Beweiserleichterung, nicht aber durch einen herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstab, wie er in der deutschen asylrechtlichen Rechtsprechung entwickelt worden ist. Das ergibt sich neben dem Wortlaut auch aus der Entstehungsgeschichte des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG. Denn die Bundesrepublik Deutschland konnte sich mit ihrem Vorschlag, zwischen den unterschiedlichen Prognosemaßstäben der beachtlichen Wahrscheinlichkeit und der hinreichenden Sicherheit zu differenzieren, nicht durchsetzen (vgl. die Beratungsergebnisse der Gruppe "Asyl" vom 25. September 2002, Ratsdokument 12199/02 S. 8 f.). Die Vorschrift begründet für die von ihr begünstigten Antragsteller eine widerlegbare tatsächliche Vermutung dafür, dass sie erneut von einer solchen Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht sind.
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Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG ist Ausdruck des auch der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts zum Asylgrundrecht zugrunde liegenden Gedankens, die Zumutbarkeit der Rückkehr danach differenzierend zu beurteilen, ob der Antragsteller bereits verfolgt worden ist oder nicht (grundlegend BVerfG, Beschluss vom 2. Juli 1980 - 1 BvR 147, 181, 182/80 - BVerfGE 54, 341 <360 f.>; dem folgend Urteil vom 31. März 1981 - BVerwG 9 C 237.80 - Buchholz 402.24 § 28 AuslG Nr. 27; stRspr). Die Nachweiserleichterung, die einen inneren Zusammenhang zwischen erlittener Vorverfolgung und befürchteter erneuter Verfolgung voraussetzt (Urteil vom 18. Februar 1997 - BVerwG 9 C 9.96 - BVerwGE 104, 97 <101 ff.>), beruht zum einen auf der tatsächlichen Erfahrung, dass sich Verfolgung nicht selten und Pogrome sogar typischerweise in gleicher oder ähnlicher Form wiederholen (Urteil vom 27. April 1982 - BVerwG 9 C 308.81 - BVerwGE 65, 250 <252>). Zum anderen widerspricht es dem humanitären Charakter des Asyls, demjenigen, der das Schicksal der Verfolgung bereits erlitten hat, wegen der meist schweren und bleibenden - auch seelischen - Folgen das Risiko einer Wiederholung aufzubürden (Urteil vom 18. Februar 1997 - BVerwG 9 C 9.96 - a.a.O. S. 99). Diese zum Asylgrundrecht entwickelte Rechtsprechung (zusammenfassend Urteile vom 25. September 1984 - BVerwG 9 C 17.84 - BVerwGE 70, 169 <170 f.> und vom 5. November 1991 - BVerwG 9 C 118.90 - BVerwGE 89, 162 <169 f.>) wurde auf den Flüchtlingsschutz (Abschiebungsschutz aus politischen Gründen) gemäß § 51 Abs. 1 AuslG 1990 (Urteil vom 3. November 1992 - BVerwG 9 C 21.92 - BVerwGE 91, 150 <154 f.>), nicht jedoch auf die Abschiebungsverbote des § 53 AuslG 1990 übertragen (vgl. Urteile vom 17. Oktober 1995 - BVerwG 9 C 9.95 - BVerwGE 99, 324 <330> zu § 53 Abs. 6 AuslG und vom 4. Juni 1996 - BVerwG 9 C 134.95 - InfAuslR 1996, 289 zu § 53 Abs. 4 AuslG i.V.m. Art. 3 EMRK).
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Die Richtlinie 2004/83/EG modifiziert diese Nachweiserleichterung in Art. 4 Abs. 4: Zum einen wird ihr Anwendungsbereich über den Flüchtlingsschutz hinaus auf alle Tatbestände des unionsrechtlich geregelten subsidiären Schutzes ausgeweitet. Sie erfasst demzufolge auch das im vorliegenden Fall zu prüfende Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 2 AufenthG. Zum anderen bleibt der der Prognose zugrunde zu legende Wahrscheinlichkeitsmaßstab unverändert, auch wenn der Antragsteller bereits Vorverfolgung oder einen ernsthaften Schaden im Sinne des Art. 15 der Richtlinie erlitten hat (vgl. EuGH, Urteil vom 2. März 2010 - Rs. C-175/08 u.a., Abdulla - Rn. 84 ff. zum Widerruf der Flüchtlingsanerkennung). Der in dem Tatbestandsmerkmal "... tatsächlich Gefahr liefe ..." des Art. 2 Buchst. e der Richtlinie enthaltene Wahrscheinlichkeitsmaßstab orientiert sich an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Dieser stellt bei der Prüfung des Art. 3 EMRK auf die tatsächliche Gefahr ab ("real risk"; vgl. nur EGMR, Große Kammer, Urteil vom 28. Februar 2008 - Nr. 37201/06, Saadi - NVwZ 2008, 1330
); das entspricht dem Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit (Urteil vom 18. April 1996 - BVerwG 9 C 77.95 - Buchholz 402.240 § 53 AuslG 1990 Nr. 4; Beschluss vom 7. Februar 2008 - BVerwG 10 C 33.07 - ZAR 2008, 192 stRspr).
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Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG privilegiert den Vorverfolgten bzw. Geschädigten auf andere Weise: Wer bereits Verfolgung bzw. einen ernsthaften Schaden erlitten hat, für den streitet die tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden. Die Vorschrift misst den in der Vergangenheit liegenden Umständen Beweiskraft für ihre Wiederholung in der Zukunft bei (vgl. EuGH, Urteil vom 2. März 2010 - Rs. C-175/08 u.a., Abdulla - Rn. 92 ff.). Dadurch wird der Vorverfolgte bzw. Geschädigte von der Notwendigkeit entlastet, stichhaltige Gründe dafür darzulegen, dass sich die verfolgungsbegründenden bzw. schadensstiftenden Umstände bei Rückkehr in sein Herkunftsland erneut realisieren werden. Es gelten nicht die strengen Maßstäbe, die bei fehlender Vorverfolgung anzulegen sind (EGMR, Große Kammer, Urteil vom 28. Februar 2008 - Nr. 37201/06, Saadi - a.a.O. Rn. 128 m.w.N.). Diese Vermutung kann aber widerlegt werden. Hierfür ist erforderlich, dass stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgung bzw. des Eintritts eines solchen Schadens entkräften. Diese Beurteilung obliegt tatrichterlicher Würdigung im Rahmen freier Beweiswürdigung. Die Vermutung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG kann im Einzelfall selbst dann widerlegt sein, wenn nach herkömmlicher Betrachtung keine hinreichende Sicherheit im Sinne des herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstabes bestünde. Dieser Maßstab hat bei der Prüfung der Flüchtlingsanerkennung und des subsidiären Schutzes keine Bedeutung (mehr).
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b) Das Berufungsgericht hat bei der Prüfung, ob stichhaltige Gründe dagegen sprechen, dass der Kläger während der Strafhaft erniedrigenden Behandlungen ausgesetzt sein wird, den Maßstab des § 60 Abs. 2 AufenthG auf diejenigen tatbestandsmäßigen Verhaltensweisen verengt, die irreparable körperliche oder seelische Folgen nach sich ziehen können, zur Verursachung bleibender Schäden geeignet oder aus sonstigen Gründen als gravierend anzusehen sind (UA Rn. 106). Erniedrigende Behandlungsmaßnahmen im Sinne des Art. 3 EMRK, die keine irreparablen oder sonst schweren Folgen hinterlassen, hat es bei der Prognoseerstellung ausdrücklich nicht geprüft (UA Rn. 111). Insoweit hat der Verwaltungsgerichtshof die eigene Verantwortung der Türkei als Signatarstaat der Europäischen Menschenrechtskonvention betont und daraus gefolgert, dass sich der Kläger darauf verweisen lassen müsse, seine Rechte gegen diese Arten von Konventionsverletzungen in der Türkei und von der Türkei aus selbst zu verfolgen (UA Rn. 112). Diese Annahme verletzt Bundesrecht.
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Die Auslegung des § 60 Abs. 2 AufenthG hat sich nach den unionsrechtlichen Vorgaben - wie oben bereits ausgeführt - an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 3 EMRK zu orientieren. Dieser betont in seinen Entscheidungen zur Verantwortlichkeit eines Vertragsstaates für die mittelbaren Folgen einer Abschiebung, wenn dem Betroffenen im Zielstaat Folter oder eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht, immer wieder den absoluten und ausnahmslosen Schutz des Art. 3 EMRK (EGMR, Urteile vom 7. Juli 1989 - Nr. 1/1989/161/217, Soering - NJW 1990, 2183
; vom 15. November 1996 - Nr. 70/1995/576/662, Chahal - NVwZ 1997, 1093 und vom 28. Februar 2008 - Nr. 37201/06, Saadi - a.a.O. ). Damit erweist es sich als unvereinbar, den Schutzbereich des Abschiebungsverbots gemäß § 60 Abs. 2 AufenthG zu verengen, und bei einer Abschiebung in einen Signatarstaat der Konvention erniedrigende Behandlungsmaßnahmen von vornherein auszunehmen, die keine irreparablen oder sonst schweren Folgen hinterlassen. Sonst käme Rechtsschutz durch türkische Gerichte oder den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu spät und könnte eine bereits eingetretene Rechtsverletzung nicht ungeschehen machen. Das Abschiebungsverbot des § 60 Abs. 2 AufenthG gilt mithin uneingeschränkt auch bei der Abschiebung in einen Signatarstaat der Europäischen Menschenrechtskonvention.
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Der Verwaltungsgerichtshof beruft sich für seine Auffassung zu Unrecht auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu § 53 Abs. 4 AuslG 1990 (nunmehr: § 60 Abs. 5 AufenthG) i.V.m. Art. 3 EMRK. Der damals für die Feststellung von Abschiebungshindernissen durch das Bundesamt zuständige 1. Senat des Bundesverwaltungsgerichts hat entschieden, dass eine Mitverantwortung des abschiebenden Vertragsstaates, den menschenrechtlichen Mindeststandard in einem anderen Signatarstaat als Zielstaat der Abschiebung zu wahren, nur dann besteht, wenn dem Ausländer nach seiner Abschiebung Folter oder sonstige schwere und irreparable Misshandlungen drohen und effektiver Rechtsschutz - auch durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte - nicht oder nicht rechtzeitig zu erreichen ist (Urteil vom 7. Dezember 2004 - BVerwG 1 C 14.04 - BVerwGE 122, 271 <277>). Dieser Rechtssatz schränkt jedoch nicht den Schutzbereich des Art. 3 EMRK ein. Vielmehr werden - insbesondere mit Blick auf die von dem damaligen Kläger angeführten Haftbedingungen in der Türkei - nur Maßnahmen erfasst, die erst durch Zeitablauf oder Wiederholung in den Tatbestand einer erniedrigenden Behandlung und damit den Schutzbereich des Art. 3 EMRK hineinwachsen. Nur in derartigen Fällen kann der Betroffene auf Rechtsschutz im Abschiebezielstaat oder durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verwiesen werden.
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4. Das Berufungsgericht hat die Abschiebungsverbote des § 60 Abs. 3 und Abs. 7 Satz 2 AufenthG geprüft und aus tatsächlichen Gründen abgelehnt (UA Rn. 86 f.). Dagegen bestehen aus revisionsgerichtlicher Sicht keine Bedenken.
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5. Der Senat kann über das geltend gemachte Abschiebungsverbot gemäß § 60 Abs. 2 AufenthG mangels hinreichender Tatsachenfeststellungen des Berufungsgerichts weder zugunsten noch zulasten des Klägers abschließend entscheiden. Die Sache ist daher gemäß § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Damit bedarf es keiner Entscheidung über die Gehörsrüge. Der Senat bemerkt aber dazu, dass der Verwaltungsgerichtshof nicht gegen das Verbot einer Überraschungsentscheidung verstoßen hat. Denn grundsätzlich ist ein Gericht nicht verpflichtet, die abschließende Sachverhalts- und Beweiswürdigung vorab mit den Beteiligten zu erörtern (Beschlüsse vom 21. Januar 2000 - BVerwG 9 B 614.99 - Buchholz 310 § 130a VwGO Nr. 46 und vom 26. November 2001 - BVerwG 1 B 347.01 - Buchholz 310 § 86 Abs. 3 VwGO Nr. 52; stRspr). Etwas anderes gilt nur dann, wenn es einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung macht und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der die Beteiligten nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht zu rechnen brauchten (vgl. Urteil vom 10. April 1991 - BVerwG 8 C 106.89 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 235). Dafür ist im vorliegenden Fall nichts ersichtlich, da der Kläger selbst in der Berufungsbegründung zur Gefahr der Folter in der Türkei vorgetragen hatte.
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Der Verwaltungsgerichtshof wird in dem neuen Berufungsverfahren die Prognose, ob die konkrete Gefahr besteht, dass der Kläger in der Türkei der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung unterworfen wird, auf aktueller tatsächlicher Grundlage erneut stellen müssen. Dabei besteht auch Gelegenheit, dem Vorbringen des Klägers weiter nachzugehen, dass die ihn belastende Aussage seines Bruders die Gefahr von Folter nicht ausschließe. Bei der gebotenen Gesamtwürdigung aller Umstände im Rahmen der tatsächlichen Feststellung, ob die Vermutung des Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2004/83/EG widerlegt ist, kann das Berufungsgericht auch der Tatsache Bedeutung beimessen, dass die Türkei als Abschiebezielstaat ein Vertragsstaat der Konvention ist, der sich verpflichtet hat, die darin garantierten Rechte und Grundsätze zu achten. Die Berücksichtigung dieses Umstands im Rahmen der Prognose entspricht ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 3 EMRK (Entscheidungen vom 7. Oktober 2004 - Nr. 33743/03, Dragan - NVwZ 2005, 1043 <1045> und vom 15. Dezember 2009 - Nr. 43212/05, Kaplan -
) und ist durch Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2004/83/EG mit dem darin enthaltenen Kriterium ausreichender Schutzgewährleistung abgedeckt.
Gründe
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Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen die Versagung von Prozesskostenhilfe zur Durchführung einer auf eine vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte festgestellte Verletzung der Europäischen Menschenrechtskonvention gestützte Restitutionsklage vor Inkrafttreten von § 580 Nr. 8 ZPO.
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I.
- 2
-
1. Auf Betreiben ihres Vaters wurde die zum Einweisungszeitpunkt volljährige Beschwerdeführerin gegen ihren Willen - die Beschwerdeführerin war weder entmündigt noch lag eine Einverständniserklärung oder eine gerichtliche Anordnung für die Unterbringung vor - in der Zeit vom 29. Juli 1977 bis zum 5. April 1979 wegen einer diagnostizierten hebephrenen Schizophrenie in der geschlossenen Station der psychiatrischen Privatklinik Dr. H. in B. untergebracht. Sie wurde während ihrer Unterbringung medizinisch und medikamentös - unter anderem mit Neuroleptika - behandelt. Während des Klinikaufenthalts unternahm die Beschwerdeführerin mehrere Fluchtversuche, wobei sie die Polizei nach einem dieser Fluchtversuche im März 1979 gewaltsam in die Klinik zurückbrachte. Im Jahre 1994 kam ein von der Beschwerdeführerin beauftragter Sachverständiger zu dem Schluss, bei ihr habe zu keinem Zeitpunkt eine Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis vorgelegen. Vielmehr könne "retrospektiv heute die Diagnose einer Reifungskrise mit einer erheblichen psychoreaktiven ursächlichen Komponente bei erheblicher intrafamiliärer Problematik gestellt werden". In einem weiteren von der Beschwerdeführerin veranlassten Gutachten im Jahre 1999 bestätigte die Sachverständige das vorangegangene Gutachten und führte aus, die Beschwerdeführerin habe aufgrund einer Fehldiagnose über mehrere Jahre Medikamente erhalten, deren negative Konsequenzen zum damaligen Zeitpunkt bereits bekannt gewesen seien. Aufgrund einer Erkrankung mit Kinderlähmung hätte die Beschwerdeführerin jedoch mit größtmöglicher Sorgfalt behandelt werden müssen. Die Situation in der Klinik sei überdies besonders dramatisch und die angewandte Methodik äußerst zweifelhaft gewesen.
- 3
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Die Beschwerdeführerin leidet bis heute an schweren und dauerhaften Gesundheitsschädigungen, die sie auf ihre Unterbringung in der Klinik sowie die dort erfolgte medizinische und medikamentöse Behandlung zurückführt. Sie ist zu 100 % schwerbehindert, erwerbsunfähig und auf einen Rollstuhl angewiesen. Sie leidet ständig unter beträchtlichen Schmerzen an Armen, Beinen und der Wirbelsäule. Im täglichen Leben benötigt sie Hilfe bei der Körperpflege, im Haushalt und für die Teilnahme am sozialen Leben.
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2. a) Im Jahr 1997 erhob die Beschwerdeführerin vor dem Landgericht Bremen Klage gegen die Privatklinik Dr. H. auf Zahlung von Schmerzensgeld wegen ihrer Unterbringung sowie der medizinischen und medikamentösen Behandlung. Zudem seien ihr erhebliche materielle Schäden entstanden. Das Landgericht Bremen gab der Klage durch Grundurteil statt. Die Unterbringung der Beschwerdeführerin ohne Einwilligung oder gerichtliche Anordnung habe rechtswidrig in ihr Freiheitsrecht eingegriffen. Auf die Berufung der Beklagten hob das Hanseatische Oberlandesgericht in Bremen das Urteil des Landgerichts auf und wies die Klage ab (OLGR Bremen 2002, S. 167 ff.). Zur Begründung führte es aus, deliktische Schadensersatzansprüche seien jedenfalls verjährt. Auch vertragliche Schadensersatzansprüche kämen nicht in Betracht. Ein Behandlungsvertrag sei jedenfalls konkludent zustande gekommen; dieser sei auch nicht durch die Fluchtversuche der Beschwerdeführerin beendet worden, denn die Klinik habe mit der Fortsetzung des Klinikaufenthaltes lediglich ihrer aus der behandlungsbedürftigen schweren Krankheit der Beschwerdeführerin folgenden Fürsorgepflicht entsprochen. Das vom Oberlandesgericht eingeholte Sachverständigengutachten habe jedoch dargelegt, dass die medizinische und medikamentöse Behandlung der Beschwerdeführerin nicht fehlerhaft gewesen sei. Die Revision der Beschwerdeführerin nahm der Bundesgerichtshof nicht an, da die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung noch Aussicht auf Erfolg habe. Das Bundesverfassungsgericht nahm die gegen die Abweisung der Klage sowie gegen die Nichtannahme der Revision erhobene Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung an (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 6. März 2002 - 1 BvR 213/02 und 1 BvR 315/02 -, juris).
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b) Auf die Individualbeschwerde der Beschwerdeführerin hin stellte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (Urteil vom 16. Juni 2005, Beschwerde-Nr. 61603/00, Storck ./. Deutschland, NJW-RR 2006, S. 308 ff.) fest, dass die Beschwerdeführerin durch die Behandlung in der Klinik im Zeitraum vom 29. Juli 1977 bis 5. April 1979 in ihrem Recht auf Freiheit und Sicherheit nach Art. 5 Abs. 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) sowie in ihrem Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens nach Art. 8 EMRK verletzt worden sei und verurteilte die Bundesrepublik Deutschland deshalb auf der Grundlage von Art. 41 EMRK zur Zahlung eines immateriellen Schadensersatzes in Höhe von 75.000 Euro sowie zur Erstattung von 18.315 Euro für Kosten und Auslagen. Zur Begründung führte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte aus, der Beschwerdeführerin sei durch die Unterbringung die Freiheit entzogen worden. Sie habe das Aufnahmeformular nicht unterschrieben, sei nach einem Fluchtversuch in der Klinik gefesselt worden und habe nach einem weiteren Fluchtversuch von der Polizei zurückgebracht werden müssen; unter diesen Umständen könne er eine wirksame Einwilligung in die fortlaufende Unterbringung in der Klinik nicht erkennen. Die ärztliche Behandlung gegen den Willen der Beschwerdeführerin stelle zudem eine Verletzung von Art. 8 EMRK dar. Die Verantwortlichkeit der Bundesrepublik Deutschland ergebe sich daraus, dass die Beschwerdeführerin nach ihrer Flucht im März 1979 durch die Polizei gewaltsam zurückgebracht worden sei, ohne dass diese die Rechtmäßigkeit der Unterbringung geprüft habe. Zudem habe das Oberlandesgericht bei der Auslegung des nationalen Rechts mit Blick auf den Lauf der Verjährung und die angenommene Einwilligung in die Unterbringung den Art. 5 und Art. 8 EMRK nicht hinreichend Rechnung getragen. Schließlich sei die Bundesrepublik Deutschland ihrer Verpflichtung nicht nachgekommen, die Beschwerdeführerin vor Eingriffen in ihre Freiheit durch Private zu schützen. Im Hinblick auf den geltend gemachten Anspruch auf Ersatz materieller Schäden führte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hingegen aus, ein eindeutiger Kausalzusammenhang zwischen der Konventionsverletzung und dem geltend gemachten Schaden sei nicht nachgewiesen; insbesondere könne er keine Mutmaßungen dahingehend vornehmen, welchen Beruf die Beschwerdeführerin ergriffen hätte und wie hoch ihr Einkommen ohne den Aufenthalt in der Klinik gewesen wäre.
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3. Die Beschwerdeführerin beantragte nach Verkündung dieses Urteils mit Schriftsatz vom 17. Oktober 2005 bei dem Hanseatischen Oberlandesgericht in Bremen die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Durchführung eines Verfahrens zur Wiederaufnahme ihres Rechtsstreits gegen die Privatklinik Dr. H. Sie berief sich dabei auf der Grundlage der bis zum 31. Dezember 2006 geltenden Fassung der Zivilprozessordnung (ZPO) darauf, dass aufgrund der durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte rechtskräftig festgestellten Verstöße gegen Art. 5 und Art. 8 EMRK das durch das Urteil des Oberlandesgerichts rechtskräftig abgeschlossene Verfahren analog § 580 Nr. 7 Buchstabe b ZPO wiederaufgenommen werden müsse. Nach dieser Vorschrift findet die Restitutionsklage statt, "wenn die Partei eine andere Urkunde auffindet oder zu benutzen in den Stand gesetzt wird, die eine ihr günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würde."
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a) Den Antrag der Beschwerdeführerin wies das Oberlandesgericht durch den angegriffenen Beschluss vom 2. Februar 2006 (OLGR Bremen 2006, S. 467 ff.) zurück, da die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg biete. Die Restitutionsklage sei unzulässig, weil kein Restitutionsgrund vorliege. Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte hätten keine unmittelbare kassatorische Wirkung. Für den Zivilprozess sehe die Zivilprozessordnung - anders als § 359 Nr. 6 StPO für das Strafverfahren - keine Wiederaufnahme eines durch rechtskräftiges Urteil abgeschlossenen Verfahrens für den Fall vor, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte eine Konventionsverletzung festgestellt habe. Eine Wiederaufnahme nach § 580 Nr. 7 Buchstabe b ZPO komme nicht in Betracht, da ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte keine Urkunde im Sinne dieser Vorschrift darstelle. Auch eine analoge Anwendung der Vorschrift sei ausgeschlossen, da der Gesetzgeber durch die Einfügung von § 359 Nr. 6 StPO im Jahr 1998 zum Ausdruck gebracht habe, dass er die Wiederaufnahme zwar im Rahmen des Strafverfahrens, nicht jedoch im Zivilprozess vorsehen wollte. Überdies seien die Regelungen des § 580 ZPO als die Rechtskraft gerichtlicher Urteile durchbrechende Ausnahmetatbestände eng auszulegen. Dementsprechend sei eine analoge Anwendbarkeit von Wiederaufnahmevorschriften für den Fall, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ein Urteil als konventionswidrig angesehen hat, von der einhelligen Rechtsprechung stets verneint worden. Eine Pflicht zur rechtskraftdurchbrechenden Wiederaufnahme zivilgerichtlicher Verfahren folge zudem weder aus der Europäischen Menschenrechtskonvention noch aus dem Grundgesetz. Die Versagung der Prozesskostenhilfe überspanne auch nicht die Anforderungen an die Erfolgsaussichten der beabsichtigten Rechtsverfolgung und verstoße daher nicht gegen Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG, da nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sowie der Fachgerichte die Rechtskraft der Urteile deutscher Gerichte von einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte nicht beeinträchtigt werde; es liege somit keine schwierige und ungeklärte Rechtsfrage vor, die die Bewilligung von Prozesskostenhilfe erforderlich mache.
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b) Die Gegenvorstellung der Beschwerdeführerin gegen diesen Beschluss verwarf das Oberlandesgericht mit ebenfalls angegriffenem Beschluss vom 20. April 2006 (OLGR Bremen 2006, S. 464 ff.) als unzulässig. Die Gegenvorstellung sei bereits unstatthaft. Darüber hinaus scheitere die Bewilligung von Prozesskostenhilfe daran, dass die Beschwerdeführerin nunmehr vermögend sei, nachdem sie die vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ausgeurteilten Beträge erhalten habe. Es sei der Beschwerdeführerin zumutbar, einen Teil der zugesprochenen Entschädigung in Höhe von 75.000 Euro für das beabsichtigte Wiederaufnahmeverfahren einzusetzen. Schließlich gebe die Begründung der Gegenvorstellung keinen Anlass, in der Sache anders zu entscheiden, da sich aus dem von der Beschwerdeführerin für ihre Rechtsauffassung angeführten Görgülü-Beschluss des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 14. Oktober 2004 (BVerfGE 111, 307) nicht ergebe, dass das Verfahren in ihrem Fall wiederaufgenommen werden müsste. Danach gehöre zur Bindung an Recht und Gesetz auch die Berücksichtigung der Gewährleistungen der Europäischen Menschenrechtskonvention und der Entscheidungen des Gerichtshofs im Rahmen methodisch vertretbarer Gesetzesauslegung. Letztendlich sei ausschlaggebend, ob ein Gericht im Rahmen des geltenden Verfahrensrechts die Möglichkeit zu einer weiteren Entscheidung habe, bei der es das einschlägige Urteil des Gerichtshofs berücksichtigen könne. Dies sei nicht der Fall, da die Zivilprozessordnung eine Wiederaufnahme des Verfahrens nicht zulasse, die in der Feststellung einer Menschenrechtsverletzung durch den Gerichtshof begründet liege. Eine analoge Anwendung des § 580 ZPO auf Fälle der vorliegenden Art verbiete sich nicht zuletzt wegen des verfassungsrechtlich verbürgten Prinzips der Rechtssicherheit, das sich im Bereich des Verfahrensrechts unter anderem im Postulat der Rechtsmittelklarheit auswirke. Das Bundesverfassungsgericht habe in seinem Beschluss vom 14. Oktober 2004 zudem einen Umgangsrechtsfall zu entscheiden gehabt. In Umgangsrechts- und Sorgerechtsverfahren sei jedoch wegen der materiellrechtlichen Änderungsbefugnis aus § 1696 Abs. 1 BGB nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts für den Einwand der rechtskräftig entschiedenen Sache kein Raum. Ferner wirke der Konventionsverstoß im Fall der Beschwerdeführerin - anders als dort - nicht unmittelbar fort.
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4. Durch Art. 10 des Zweiten Gesetzes zur Modernisierung der Justiz vom 22. Dezember 2006 (2. Justizmodernisierungsgesetz - 2. JuMoG, BGBl I S. 3416) ergänzte der Gesetzgeber § 580 ZPO um einen weiteren Restitutionsgrund. Nach § 580 Nr. 8 ZPO ist nunmehr die Restitutionsklage gegen ein rechtskräftiges zivilgerichtliches Urteil statthaft, wenn der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte eine Verletzung der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten oder ihrer Protokolle festgestellt hat und das Urteil auf dieser Verletzung beruht. Als Übergangsvorschrift bestimmt § 35 EGZPO, dass § 580 Nr. 8 ZPO auf vor dem 31. Dezember 2006 rechtskräftig abgeschlossene Verfahren nicht anzuwenden ist.
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5. Mit seiner Resolution CM/ResDH(2007)123 entschied das Ministerkomitee des Europarats in seiner 1007. Sitzung vom 15. bis 17. Oktober 2007, die Überwachung der Durchführung des Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Fall der Beschwerdeführerin gemäß Art. 46 Abs. 2 EMRK einzustellen. Zu den von der Bundesrepublik Deutschland ergriffenen individuellen Maßnahmen zur Urteilsdurchführung stellte das Ministerkomitee fest, dass die Einführung des § 580 Nr. 8 ZPO zum 31. Dezember 2006 der Beschwerdeführerin mangels rückwirkender Anwendbarkeit nicht zugutekommen werde. Diese habe jedoch gegen die Prozesskostenhilfe versagende Entscheidung des Oberlandesgerichts vom Februar 2006 die vorliegende Verfassungsbeschwerde erhoben. In Anbetracht der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sei zu erwarten, dass das nationale Gericht in seiner Entscheidung die Konvention und die Entscheidungen des Gerichtshofs vollständig implementieren werde, um der Beschwerdeführerin volle Wiedergutmachung zu gewähren.
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II.
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Mit ihrer Verfassungsbeschwerde wendet sich die Beschwerdeführerin gegen die beiden Beschlüsse des Hanseatischen Oberlandesgerichts in Bremen. Sie rügt eine Verletzung in ihren Rechten aus Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 6, 13 EMRK (Rechtsschutzgleichheit), Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1, Art. 104, Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 46 EMRK (Nichtberücksichtigung der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte) sowie aus Art. 3 Abs. 1 GG. Zur Begründung ihrer mit einem Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe verbundenen Verfassungsbeschwerde führt sie im Wesentlichen aus:
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1. Das Oberlandesgericht habe die Anforderungen an die im Prozesskostenhilfebewilligungsverfahren zu prüfenden Erfolgsaussichten der beabsichtigten Rechtsverfolgung überspannt und damit Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG verletzt. Es sei davon ausgegangen, dass die maßgebliche Frage der einfach- und verfassungsrechtlich gebotenen Auslegung von Wiederaufnahmegründen im Zivilprozess nach vorangegangener Verurteilung durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zweifelsfrei geklärt sei, ohne sich mit den Auswirkungen des Görgülü-Beschlusses des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 14. Oktober 2004 (BVerfGE 111, 307) auseinanderzusetzen.
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2. Das Oberlandesgericht habe zudem die verfassungsrechtliche Verpflichtung zur weitest möglichen Umsetzung der Wiedergutmachungsverpflichtung aus Art. 46 EMRK verkannt und so Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1, Art. 104, Art. 20 Abs. 3 GG, Art. 46 EMRK verletzt. Auf der Grundlage des Görgülü-Beschlusses hätte es § 580 Nr. 7 Buchstabe b ZPO im Lichte des Grundgesetzes und der völkerrechtlichen Verpflichtungen auslegen und - zumindest in analoger Anwendung der Vorschrift - einen Wiederaufnahmegrund annehmen müssen. Die Zuerkennung einer Entschädigung nach Art. 41 EMRK stehe weitergehenden Schadensersatzansprüchen nach nationalem Recht nicht entgegen. Gemäß Art. 46 EMRK bestehe die Verpflichtung des Staates, die Konventionsverletzung zu beseitigen und den Zustand wiederherzustellen, der ohne die festgestellte Konventionsverletzung bestehen würde; dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte keine Kausalität zwischen der Konventionsverletzung und den geltend gemachten materiellen Schäden habe erkennen können, beruhe lediglich darauf, dass dessen Erkenntnismöglichkeiten eingeschränkt seien, insbesondere weil der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte regelmäßig keine Beweisaufnahme durchführe.
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3. Aus der Entscheidung des Ministerkomitees des Europarats im Fall der Beschwerdeführerin ergebe sich, dass dieses auf Grundlage der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erwarte, dass die Zivilgerichte der Beschwerdeführerin unter vollständiger Anwendung der Konvention und der Spruchpraxis des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in vollem Umfang Wiedergutmachung gewähren würden, was bisher noch nicht geschehen sei. Die Wiederaufnahme des innerstaatlichen Verfahrens sei das einzige Mittel, um ihr diese Wiedergutmachung zu gewähren.
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4. Schließlich verstoße es gegen den allgemeinen Gleichheitssatz, die Wiederaufnahme nur im Strafprozess, nicht aber im Zivilprozess zuzulassen.
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III.
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Der Senator für Justiz und Verfassung der Freien Hansestadt Bremen hatte Gelegenheit zur Äußerung. Dem Bundesverfassungsgericht haben Teile der Akten des Ausgangsverfahrens vorgelegen.
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IV.
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Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, da die Annahmevoraussetzungen nicht vorliegen (§ 93a Abs. 2 BVerfGG). Ihr kommt keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu (§ 93a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG), da die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen - insbesondere zum Gebot der weitgehenden Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes (vgl. BVerfGE 81, 347 <356 ff.> m.w.N.) und zur Bedeutung der Europäischen Menschenrechtskonvention bei der Auslegung der Grundrechte und der rechtsstaatlichen Grundsätze (vgl. BVerfGE 111, 307 <315 ff.>; 128, 326 <366 ff.>) - bereits geklärt sind. Ihre Annahme ist auch nicht zur Durchsetzung der Grundrechte der Beschwerdeführerin angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG), weil sie teilweise bereits unzulässig (1.) und im Übrigen jedenfalls unbegründet ist (2.) und daher keine Aussicht auf Erfolg hat (vgl. BVerfGE 90, 22 <25 f.>). Insoweit kann offen bleiben, ob die Verfassungsbeschwerde bereits deshalb nicht zur Entscheidung anzunehmen ist, weil die Beschwerdeführerin wegen zwischenzeitlich entfallener Bedürftigkeit auch im Falle einer Zurückverweisung an das Ausgangsgericht im Ergebnis keinen Erfolg haben würde (vgl. BVerfGE 90, 22 <26>).
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1. Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig, soweit die Beschwerdeführerin eine Grundrechtsverletzung durch Nichtbeachtung der verfassungsrechtlichen Verpflichtung zur Umsetzung der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (a) sowie eine Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes durch die unterlassene Wiederaufnahme des Verfahrens (b) rügt. Im Übrigen kann offen bleiben, ob die Verfassungsbeschwerde zulässig ist, da sie insoweit jedenfalls unbegründet ist (c).
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a) Soweit die Beschwerdeführerin eine Verletzung in ihren Grundrechten rügt, weil das Oberlandesgericht die Reichweite von Art. 46 EMRK verkannt habe, hat sie die Möglichkeit einer Grundrechtsverletzung entgegen § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG nicht hinreichend substantiiert dargelegt. Zwar trifft alle Träger der deutschen öffentlichen Gewalt nach Art. 46 EMRK die Verpflichtung zur Beendigung einer vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte festgestellten Konventionsverletzung beziehungsweise zur Wiedergutmachung (vgl. BVerfGE 111, 307 <322 f.>). Wird gegen diese Verpflichtung verstoßen, so kann darin zugleich eine Verletzung des betroffenen Grundrechts jedenfalls dann liegen, wenn die Verletzung noch andauert (vgl. BVerfGE 111, 307 <330 f.>). Ob dies auch dann gilt, wenn sich die Verletzung erledigt hat und der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte dem Individualbeschwerdeführer einen Entschädigungsanspruch nach Art. 41 EMRK zugesprochen hat, dieser jedoch nicht erfüllt worden ist, kann offen bleiben. Denn die Beschwerdeführerin hat nicht vorgetragen, dass das zu ihren Gunsten ergangene Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte - das die Bundesrepublik Deutschland zur Zahlung eines immateriellen Schadensersatzes in Höhe von 75.000 Euro sowie zur Erstattung von 18.315 Euro für Kosten und Auslagen verurteilt hatte - nicht umgesetzt worden sei. Darüber hinaus gehende Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte nicht ausgesprochen. Der Gerichtshof hat in seinem Urteil auch nicht auf die ihm am angemessensten erscheinende Art der Wiedergutmachung hingewiesen, wie er dies bereits wiederholt getan hat (vgl. den Hinweis des Gerichtshofs, wonach "die Wiederaufnahme des nationalen Verfahrens die angemessenste Lösung sei", EGMR, Urteil vom 1. März 2006, Beschwerde-Nr. 56581/00, Sejdovic ./. Italien, Rn. 125 m.w.N.; vgl. auch Urteil vom 8. Juli 2004, Beschwerde-Nr. 48787/99, Ilaşcu u.a. ./. Moldawien und Russland, NJW 2005, S. 1849 <1854>; Urteil vom 8. April 2004, Beschwerde-Nr. 71503/01, Assanidze ./. Georgien, Rn. 202 f.; Urteil vom 26. Februar 2004, Beschwerde-Nr. 74969/01, Görgülü ./. Deutschland, NJW 2004, S. 3397 <3400 f.>).
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b) Eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung von strafrechtlichen und zivilrechtlichen Verfahren hat die Beschwerdeführerin ebenfalls nicht hinreichend substantiiert dargelegt. Das Oberlandesgericht hat eine solche Ungleichbehandlung nicht im Rahmen eigener Entscheidungsspielräume vorgenommen, sondern vielmehr die gesetzgeberischen Vorgaben nachvollzogen, die in § 580 ZPO zum damaligen Zeitpunkt keinen dem § 359 Nr. 6 StPO vergleichbaren Restitutionsgrund vorgesehen hatten. Eine Ungleichbehandlung durch den Gesetzgeber, der zunächst davon abgesehen hatte, auch für das Zivilverfahren einen Restitutionsgrund für auf vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte festgestellte Verstöße gegen die Europäische Konvention für Menschenrechte beruhende Urteile vorzusehen, hat die Beschwerdeführerin dagegen nicht gerügt.
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c) Im Übrigen - soweit die Beschwerdeführerin eine Verletzung in ihrem Recht auf Rechtsschutzgleichheit (Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG) rügt - kann offen bleiben, ob die Verfassungsbeschwerde zulässig erhoben wurde, da sie jedenfalls unbegründet ist. Zweifelhaft erscheint, ob die Beschwerdeführerin hier dem in § 90 Abs. 2 BVerfGG ausgeformten Grundsatz der materiellen Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde Genüge getan hat. Nach diesem Grundsatz hat ein Beschwerdeführer alle nach Lage der Sache zur Verfügung stehenden prozessualen Möglichkeiten zu ergreifen, um die geltend gemachte Grundrechtsverletzung in dem unmittelbar mit ihr zusammenhängenden sachnächsten Verfahren zu verhindern oder zu beseitigen (vgl. BVerfGE 112, 50 <60 ff.>). Hier kam zum einen in Betracht, die begehrte volle Wiedergutmachung statt im Wiederaufnahmeverfahren im Prozess gegen die Privatklinik Dr. H. im Wege einer Inanspruchnahme der Bundesrepublik Deutschland oder des Landes Bremen auf Grundlage von Art. 5 Abs. 5 EMRK einzufordern. Zum anderen wäre zu erwägen gewesen, unter Verweis auf die Entscheidung des Ministerkomitees aus dem Jahr 2007 einen neuerlichen Prozesskostenhilfeantrag beim Oberlandesgericht zu stellen.
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2. Soweit die Beschwerdeführerin eine Verletzung in ihrem Recht auf Rechtsschutzgleichheit rügt, ist ihre Verfassungsbeschwerde jedenfalls unbegründet. Das aus Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG folgende Gebot der weitgehenden Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes ist im vorliegenden Fall nicht verletzt, weil die vom Oberlandesgericht zu entscheidende Rechtsfrage nicht schwierig und die Rechtslage hinreichend geklärt war. Durch die Versagung der Prozesskostenhilfe wurde ihr Zweck, Unbemittelten einen weitgehend gleichen Zugang zu Gericht zu ermöglichen, daher nicht verfehlt.
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a) Das Gebot der weitgehenden Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes (Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG) fordert, die Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes weitgehend anzugleichen (vgl. BVerfGE 9, 124 <130 f.>; 10, 264 <270 f.>; 22, 83 <87>; 51, 295 <302>; 63, 380 <394 f.>; 67, 245 <248>; 81, 347 <356 ff.>; BVerfGK 2, 279 <280 f.>; 10, 84 <86 f.>; stRspr). Dabei ist es verfassungsrechtlich unbedenklich, die Gewährung von Prozesskostenhilfe davon abhängig zu machen, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg hat und nicht mutwillig erscheint. Die Prüfung der Erfolgsaussichten darf jedoch nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst in das summarische Verfahren der Prozesskostenhilfe zu verlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen. Das Verfahren der Prozesskostenhilfe will den vom Rechtsstaatsprinzip geforderten Rechtsschutz nicht selbst bieten, sondern ihn erst zugänglich machen (vgl. BVerfGE 81, 347 <357>).
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Auslegung und Anwendung der §§ 114 f. ZPO obliegen in erster Linie den zuständigen Fachgerichten. Diese verletzen jedoch spezifisches Verfassungsrecht (vgl. BVerfGE 18, 85 <92 f.>; 95, 96 <128>), wenn eine Entscheidung Fehler erkennen lässt, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung der in Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG verbürgten Rechtsschutzgleichheit beruhen (vgl. BVerfGE 81, 347 <357 f.>; BVerfGK 2, 279 <281>). So überschreiten die Fachgerichte den Entscheidungsspielraum, der ihnen bei der Auslegung des gesetzlichen Tatbestandsmerkmals der hinreichenden Erfolgsaussicht zukommt, wenn sie einen Auslegungsmaßstab verwenden, durch den einer unbemittelten Partei im Vergleich zur bemittelten die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung unverhältnismäßig erschwert wird. Das ist namentlich dann der Fall, wenn das Fachgericht die Anforderungen an die Erfolgsaussichten der beabsichtigten Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung überspannt und dadurch der Zweck der Prozesskostenhilfe deutlich verfehlt wird (vgl. BVerfGE 81, 347 <358>).
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Hiernach dürfen schwierige, bislang ungeklärte Rechts- und Tatfragen nicht im Prozesskostenhilfeverfahren entschieden werden, sondern müssen auch von Unbemittelten einer prozessualen Klärung zugeführt werden können (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 14. Juli 1993 - 1 BvR 1523/92 -, NJW 1994, S. 241 <242>; Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 28. Januar 2013 - 1 BvR 274/12 -, FamRZ 2013, S. 685 <686>). Zwar braucht Prozesskostenhilfe nicht schon dann gewährt zu werden, wenn die entscheidungserhebliche Rechtsfrage zwar noch nicht höchstrichterlich geklärt ist, ihre Beantwortung aber im Hinblick auf die einschlägige gesetzliche Regelung oder die durch die bereits vorliegende Rechtsprechung gewährten Auslegungshilfen nicht in dem genannten Sinne als "schwierig" erscheint. Liegt jedoch eine "schwierige", bislang ungeklärte Rechts- und Tatfrage vor, so läuft es dem Gebot der Rechtsschutzgleichheit zuwider, dem Unbemittelten wegen fehlender Erfolgsaussicht seines Begehrens Prozesskostenhilfe vorzuenthalten (vgl. BVerfGE 81, 347 <359>; BVerfGK 2, 279 <281>). Hiervon zu unterscheiden ist es, wenn ein Fachgericht zwar dieser - verfassungsrechtlich gebotenen - Auslegung des § 114 Satz 1 ZPO folgt, eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage jedoch - obwohl diese erheblichen Zweifeln begegnet - als einfach oder geklärt ansieht und sie deswegen bereits im Verfahren der Prozesskostenhilfe zum Nachteil des Unbemittelten beantwortet. Wann hierbei der Zweck der Prozesskostenhilfe, dem Unbemittelten den weitgehend gleichen Zugang zu Gericht zu ermöglichen, deutlich verfehlt wird, hängt von der Eigenart der jeweiligen Rechtsmaterie und der Ausgestaltung des zugehörigen Verfahrens ab (vgl. BVerfGE 81, 347 <359 f.>).
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b) Bei der Anwendung und Auslegung des einfachen Rechts sind die Europäische Menschenrechtskonvention und die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte als Auslegungshilfen heranzuziehen (aa). Die Möglichkeiten einer konventionsfreundlichen Auslegung enden jedoch dort, wo diese nach den anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung und Verfassungsinterpretation nicht mehr vertretbar erscheint (bb).
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aa) Die Europäische Menschenrechtskonvention und ihre Zusatzprotokolle - soweit sie für die Bundesrepublik Deutschland in Kraft getreten sind - stehen innerhalb der deutschen Rechtsordnung im Rang eines Bundesgesetzes (vgl. BVerfGE 74, 358 <370>; 82, 106 <120>; 111, 307 <316 f.>; 128, 326 <367>). Ein Beschwerdeführer kann daher vor dem Bundesverfassungsgericht nicht unmittelbar die Verletzung eines in der Europäischen Menschenrechtskonvention enthaltenen Rechts mit der Verfassungsbeschwerde rügen (vgl. BVerfGE 74, 102 <128>; 111, 307 <317>; 128, 326 <367>; BVerfGK 3, 4 <8>; stRspr). Gleichwohl besitzen die Gewährleistungen der Europäischen Menschenrechtskonvention verfassungsrechtliche Bedeutung, indem sie die Auslegung der Grundrechte und rechtsstaatlichen Grundsätze des Grundgesetzes beeinflussen. Der Konventionstext und die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte dienen auf der Ebene des Verfassungsrechts als Auslegungshilfen für die Bestimmung von Inhalt und Reichweite von Grundrechten und rechtsstaatlichen Grundsätzen des Grundgesetzes, sofern dies nicht zu einer - von der Konvention selbst nicht gewollten (vgl. Art. 53 EMRK) - Einschränkung oder Minderung des Grundrechtsschutzes nach dem Grundgesetz führt (vgl. BVerfGE 128, 326 <367 f.> m.w.N.). Auf der Ebene des einfachen Rechts trifft die Fachgerichte die Verpflichtung, die Gewährleistungen der Europäischen Menschenrechtskonvention zu berücksichtigen und in den betroffenen Teilbereich der nationalen Rechtsordnung einzupassen (vgl. BVerfGE 111, 307 <327>).
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In diesem Rahmen sind als Auslegungshilfe auch die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu berücksichtigen, und zwar auch dann, wenn sie nicht denselben Streitgegenstand betreffen. Dies beruht auf der Orientierungs- und Leitfunktion, die der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte für die Auslegung der Europäischen Menschenrechtskonvention auch über den konkret entschiedenen Einzelfall hinaus zukommt (vgl. BVerfGE 128, 326 <368>). Das Grundgesetz will vor dem Hintergrund der zumindest faktischen Präzedenzwirkung der Entscheidungen internationaler Gerichte Konflikte zwischen den völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland und dem nationalen Recht nach Möglichkeit vermeiden (vgl. BVerfGE 128, 326 <368 f.> m.w.N.). Die Heranziehung der Europäischen Menschenrechtskonvention und der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte als Auslegungshilfe über den Einzelfall hinaus dient überdies dazu, den Garantien der Menschenrechtskonvention in der Bundesrepublik Deutschland möglichst umfassend Geltung zu verschaffen (vgl. BVerfGE 128, 326 <369 f.>).
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bb) Die Berücksichtigung der Europäischen Menschenrechtskonvention zielt jedoch nicht auf eine schematische Parallelisierung einzelner einfach- oder verfassungsrechtlicher Begriffe. Die Beseitigung oder Vermeidung einer Völkerrechtsverletzung wird zwar vielfach leichter zu erreichen sein, wenn das innerstaatliche Recht mit der Konvention harmonisiert wird. Die Konvention gewährt den Vertragsparteien jedoch Wahlfreiheit, in welcher Weise sie ihrer Pflicht zur Beachtung der Vertragsvorschriften genügen (vgl. EGMR, Urteil vom 13. Juli 2000, Beschwerde-Nr. 39221/98 u. Nr. 41963/98, Scozzari u. Giunta ./. Italien, Rn. 249; Urteil vom 30. Juni 2009, Beschwerde-Nr. 32772/02, Verein gegen Tierfabriken Schweiz ./. Schweiz Nr. 2, NJW 2010, S. 3699 <3703> m.w.N.; BVerfGE 111, 307 <316, 322> m.w.N.; 128, 326 <370>).
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Die Möglichkeiten einer konventionsfreundlichen Auslegung enden überdies dort, wo diese nach den anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung und Verfassungsinterpretation nicht mehr vertretbar erscheint (vgl. BVerfGE 111, 307 <329>; BVerfGE 128, 326 <371> m.w.N.). Im Übrigen ist auch im Rahmen der konventionsfreundlichen Auslegung des Grundgesetzes - ebenso wie bei der Berücksichtigung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte auf der Ebene des einfachen Rechts - die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte möglichst schonend in das vorhandene, dogmatisch ausdifferenzierte nationale Rechtssystem einzupassen (vgl. BVerfGE 111, 307 <327>; 128, 326 <371>), weshalb sich eine unreflektierte Adaption völkerrechtlicher Begriffe verbietet. Bei der insoweit erforderlichen wertenden Berücksichtigung durch die nationalen Gerichte kann auch dem Umstand Rechnung getragen werden, dass das Individualbeschwerdeverfahren vor dem Gerichtshof, insbesondere bei zivilrechtlichen Ausgangsverfahren, die beteiligten Rechtspositionen und Interessen möglicherweise nicht vollständig abbildet (vgl. BVerfGE 111, 307 <328>).
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c) Bei Anwendung dieser Maßstäbe erweist sich die Verfassungsbeschwerde als unbegründet, denn das Oberlandesgericht hat die Anforderungen an die Erfolgsaussicht der beabsichtigten Rechtsverfolgung nicht in einer den Zweck der Prozesskostenhilfe verfehlenden Weise überspannt. Die innerstaatliche Rechtslage war zum Zeitpunkt seiner Entscheidung hinreichend geklärt (aa). Weder die Europäische Menschenrechtskonvention noch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte gebieten im Übrigen eine andere Auslegung des Gebots der Rechtsschutzgleichheit oder der Zivilprozessordnung (bb).
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aa) Die innerstaatliche Rechtslage war, was die Auslegung des § 580 ZPO für den Fall angeht, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte eine Verletzung der Europäischen Konvention für Menschenrechte festgestellt hat und ein Zivilurteil auf dieser Verletzung beruht, hinreichend geklärt, so dass die Beantwortung der Rechtsfrage, ob die Restitutionsklage der Beschwerdeführerin zulässig war, bereits im Rahmen des Prozesskostenhilfeverfahrens beantwortet werden konnte, ohne damit dessen Zweck zu verfehlen.
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(1) In anderen Verfahrensordnungen als der Strafprozessordnung war die Frage, wie die Bundesrepublik Deutschland im Fall ihrer Verurteilung durch den Gerichtshof im Hinblick auf den Grundsatz der Rechtssicherheit reagieren soll, wenn Gerichtsverfahren rechtskräftig abgeschlossen sind, zwar nicht abschließend beantwortet. Das Bundesverfassungsgericht hat im Görgülü-Beschluss hierzu ausgeführt, dass es Sachverhalte geben könne, in denen deutsche Gerichte zwar nicht über die res judicata, so doch über den Gegenstand, zu dem der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte einen Konventionsverstoß festgestellt hat, erneut entscheiden könnten. Dies könne etwa der Fall sein, wenn eine erneute Befassung des Gerichts auf Grund neuen Antrags oder veränderter Umstände vorgesehen oder das Gericht in einer anderen Konstellation mit der Sache noch befasst sei (vgl. BVerfGE 111, 307 <326 f.>). Das Bundesverfassungsgericht hat jedoch zugleich deutlich gemacht, dass letztendlich ausschlaggebend sei, ob ein Gericht im Rahmen des geltenden Verfahrensrechts die Möglichkeit zu einer weiteren Entscheidung habe, bei der es das einschlägige Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte - im Rahmen methodisch vertretbarer Gesetzesauslegung - berücksichtigen könne. In solchen Fallkonstellationen wäre es nicht hinnehmbar, den Beschwerdeführer lediglich auf eine Entschädigung in Geld zu verweisen, obwohl eine Restitution weder an tatsächlichen noch an rechtlichen Gründen scheitern würde (vgl. BVerfGE 111, 307 <323, 327>).
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(2) Nach diesen Grundsätzen bestand im Jahr 2006 keine Möglichkeit für das Oberlandesgericht, im Rahmen methodisch vertretbarer Gesetzesauslegung eine weitere Entscheidung über das ursprüngliche Schadensersatzbegehren der Beschwerdeführerin herbeizuführen.
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Es entsprach im Jahr 2006 der einhelligen Auffassung in der Rechtsprechung, dass der Restitutionsgrund des § 580 Nr. 7 Buchstabe b ZPO auf nach Rechtskraft eines Urteils ergangene weitere Gerichtsurteile nicht unmittelbar anwendbar war (vgl. zu Urteilen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte OLG Brandenburg, Urteil vom 9. Juni 2004 - 4 U 34/04 -, VIZ 2004, S. 525 <526>, LG Bautzen, Urteil vom 8. Oktober 2004 - 4 O 151/04 -, juris, Rn. 30 ff.; zu Urteilen des Gerichtshofs der Europäischen Union BSG, Urteil vom 25. August 1982 - 12 RK 62/81 -, juris, Rn. 14; BFH, Beschluss vom 27. September 1977 - VII K 1/76 -, NJW 1978, S. 511 <511>; BVerwG, Beschluss vom 7. Juli 1999 - 8 B 66-99 -, NVwZ 1999, S. 1335 <1335>).
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Eine analoge Anwendung des § 580 Nr. 7 Buchstabe b ZPO wurde zu diesem Zeitpunkt nach herrschender Auffassung im Schrifttum und in der Rechtsprechung ebenfalls abgelehnt. Eine solche Analogie wurde zwar teilweise im Schrifttum befürwortet (vgl. Schumann, Verfassungs- und Menschenrechtsbeschwerde gegen richterliche Entscheidungen, 1963, S. 308 ff., 321 ff., 324 ff.; Schorn, Die Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten und ihr Zusatzprotokoll in Einwirkung auf das deutsche Recht, 1965, S. 405; Schlosser, ZZP 79 <1966>, S. 164 <189>; Selbmann, NJ 2005, S. 103 <106>; Grunsky, in: Stein/Jonas, ZPO, Bd. 5, Teilband 1, 21. Aufl. 1994, vor § 578 Rn. 58; Geimer, in: Zöller, ZPO, 25. Aufl. 2005, Einl. Rn. 136; zurückhaltender aber wieder Schumann, NJW 1964, S. 753 <754, 756>; zu weiteren, nur vereinzelt vertretenen Lösungsansätzen siehe die Nachweise bei Reinkenhof, NJ 2004, S. 250 <252, Fn. 22>). In der Rechtsprechung und dem überwiegenden Teil des Schrifttums hat sich diese Ansicht aber nicht durchsetzen können (vgl. OLG Dresden, Beschluss vom 1. April 2004 - 16 U 0297/04 -, VIZ 2004, S. 459 <459 f.>; OLG Brandenburg, Urteil vom 9. Juni 2004, a.a.O.; OLG des Landes Sachsen-Anhalt, Urteil vom 17. Mai 2005 - 11 U 135/04 -, OLGR Naumburg 2005, S. 877 <878>; LG Bautzen, Urteil vom 8. Oktober 2004, a.a.O.; zum Disziplinarverfahren BVerwG, Beschluss vom 4. Juni 1998 - 2 DW 3-97 -, NJW 1999, S. 1649 <1651>; vgl. auch Hartmann, in: Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, Zivilprozessordnung, 62. Aufl. 2004, vor § 578 Rn. 1; Ress, in: Maier, Europäischer Menschenrechtsschutz, 1982, S. 227 <240 f.>; Frowein/Peukert, in: Frowein/Peukert, Europäische Menschenrechtskonvention, 2. Aufl. 1996, Art. 53 Rn. 5; Meyer-Ladewig, Europäische Menschenrechtskonvention, 2. Aufl. 2006, Art. 46 Rn. 26; Walter, in: Grote/Marauhn, EMRK/GG-Konkordanzkommentar, 2006, Kap. 31 Rn. 52; E. Klein, JZ 2004, S. 1176 <1177>; Reinkenhof, NJ 2004, S. 250 <252>; Purps, ZOV 2004, S. 3 <5>; Meyer-Ladewig/Petzold, NJW 2005, S. 15 <17>; zurückhaltend auch Braun, in: Lüke/Wax, Münchener Kommentar zur Zivilprozessordnung, Band 2, 2. Aufl. 2000, vor § 578 Rn. 37).
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Die zum damaligen Zeitpunkt herrschende Meinung fand ihre Bestätigung auch in der Praxis des Europarats. Dessen Lenkungsorgan, das Ministerkomitee, "ermutigte" ("encourages") die Vertragsparteien der Europäischen Menschenrechtskonvention im Januar 2000, ihre innerstaatlichen Rechtssysteme zu überprüfen, um sicherzustellen, dass geeignete Möglichkeiten für die Überprüfung einer Sache, einschließlich der Wiederaufnahme eines Verfahrens in Fällen bestehen, in denen der Gerichtshof eine Verletzung der Konvention festgestellt hat (vgl. Recommendation No. R (2000) 2 of the Committee of Ministers to member states vom 19. Januar 2000). Noch im April 2006 berichtete der Lenkungsausschuss für Menschenrechte, der dem Ministerkomitee zuarbeitet, in einer aktualisierten Übersicht über die Möglichkeiten der Wiederaufnahme von Verfahren in den Mitgliedstaaten, dass über die Wiederaufnahmemöglichkeit von Zivilverfahren in der Bundesrepublik Deutschland höchstrichterlich noch nicht entschieden sei, die Instanzgerichte jedoch überwiegend eine analoge Anwendung der Wiederaufnahmevorschriften ablehnten (vgl. CDDH, <2006>008 Addendum III Bil vom 7. April 2006, S. 38 f.). Die Empfehlung des Ministerkomitees und der Bericht des Lenkungsausschusses waren ein wesentlicher Grund für den Gesetzgeber, tätig zu werden und den neuen Restitutionsgrund des § 580 Nr. 8 ZPO zu schaffen (vgl. BTDrucks 16/3038, S. 39 f.). Im August 2006 leitete die Bundesregierung dem Bundesrat dann einen entsprechenden Gesetzentwurf zu (vgl. BRDrucks 550/06).
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bb) Weder die Europäische Menschenrechtskonvention noch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte fordern eine andere Auslegung. Grundsätzliche konventionsrechtliche Bedenken gegen das deutsche Institut der Prozesskostenhilfe bestehen nicht (1). Die Gewährleistungen der Europäischen Menschenrechtskonvention gebieten weder generell die Wiederaufnahme rechtskräftig abgeschlossener Zivilverfahren (2) noch ist eine Wiederaufnahme im vorliegenden Fall konventionsrechtlich geboten (3).
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(1) Zunächst bestehen keine grundsätzlichen konventionsrechtlichen Bedenken gegen das deutsche Institut der Prozesskostenhilfe. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte verpflichtet die Europäische Menschenrechtskonvention die Vertragsstaaten nicht dazu, für alle Streitigkeiten in Zivilverfahren Prozesskostenhilfe bereitzustellen. Das von der Europäischen Menschenrechtskonvention gewährleistete Recht auf Zugang zu einem Gericht ist kein absolutes Recht und kann eingeschränkt werden, solange die Einschränkungen ein legitimes Ziel verfolgen und verhältnismäßig sind. Insbesondere kann es akzeptabel sein, Bedingungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe aufzustellen, die unter anderem auf die finanzielle Lage der Prozesspartei oder deren Erfolgsaussichten im Verfahren abstellen, vorausgesetzt, das Prozesskostenhilfesystem bietet dem Einzelnen insgesamt ausreichende Garantien, die ihn vor Willkür schützen (vgl. EGMR, Urteil vom 10. April 2007, Beschwerde-Nr. 23947/03, Eckardt ./. Deutschland, juris, Rn. 37 ff. m.w.N.). Das deutsche Prozesskostenhilfesystem bietet dem Einzelnen nach diesen Maßstäben ausreichende Garantien (vgl. EGMR, Urteil vom 10. April 2007, Beschwerde-Nr. 23947/03, Eckardt ./. Deutschland, juris, Rn. 43; Urteil vom 29. Mai 2012, Beschwerde-Nr. 53126/07, Taron ./. Deutschland, NVwZ 2013, S. 47 <48>; Urteil vom 22. Januar 2013, Beschwerde-Nr. 51314/10, Havermann ./. Deutschland, juris, Rn. 17).
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(2) Die Gewährleistungen der Europäischen Menschenrechtskonvention verlangen nicht die Wiederaufnahme rechtskräftig abgeschlossener Zivilverfahren, weder im Jahr 2006 noch nach heutiger Rechtslage. Der Gesetzgeber war zur Einführung eines Restitutionsgrundes weder durch die Vorgaben der Europäischen Konvention für Menschenrechte noch durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte verpflichtet.
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Nach Art. 46 Abs. 1 EMRK verpflichten sich die Vertragsparteien, in allen Rechtssachen, in denen sie Partei sind, das endgültige Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu befolgen. Danach obliegt die Umsetzung von Entscheidungen des Gerichtshofs den Vertragsparteien. Die Vertragsparteien sind im Rahmen des Möglichen dazu verpflichtet, allgemeine und gegebenenfalls individuelle Maßnahmen in ihrer Rechtsordnung zu treffen, um die vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte festgestellte Verletzung abzustellen und die Folgen so weit wie möglich zu beseitigen, um den Zustand vor der Verletzung wiederherzustellen (vgl. EGMR, Urteil vom 13. Juli 2000, Beschwerde-Nr. 39221/98 u. Nr. 41963/98, Scozzari u. Giunta ./. Italien, Rn. 249; Urteil vom 8. April 2004, Beschwerde-Nr. 71503/01, Assanidzé ./. Georgien, NJW 2005, S. 2207 <2212>; Urteil vom 30. Juni 2009, Beschwerde-Nr. 32772/02, Verein gegen Tierfabriken Schweiz ./. Schweiz Nr. 2, NJW 2010, S. 3699 <3702>; Entscheidung vom 6. Juli 2010, Beschwerde-Nr. 5980/07, Öcalan ./. Türkei, NJW 2010, S. 3703 <3704>). Insbesondere aus Art. 1 EMRK ergibt sich, dass die Vertragsparteien ihre Rechtsordnung in einer mit der Konvention zu vereinbarenden Weise gestalten und jedes mögliche Hindernis für eine angemessene Wiedergutmachung eines Betroffenen beseitigen (vgl. EGMR, Urteil vom 8. April 2004, Beschwerde-Nr. 71503/01, Assanidzé ./. Georgien, NJW 2005, S. 2207 <2212>). Dies ändert aber nichts daran, dass die Beseitigung einer Konventionsverletzung grundsätzlich den Vertragsparteien überlassen bleibt, die dieser Pflicht im Rahmen des nach der innerstaatlichen Rechtsordnung Möglichen nachzukommen haben. Dementsprechend gebietet die Konvention nicht, die Möglichkeit zur Wiederaufnahme von rechtskräftig abgeschlossenen Zivilverfahren zu schaffen (vgl. EGMR, Urteil vom 30. Juni 2009, Beschwerde-Nr. 32772/02, Verein gegen Tierfabriken Schweiz ./. Schweiz Nr. 2, NJW 2010, S. 3699 <3703>; BVerfGE 111, 307 <325>). Art. 41 EMRK, der zugunsten der verletzten Partei eine gerechte Entschädigung für die Fälle vorsieht, in denen nur eine unvollständige Wiedergutmachung für die Folgen einer Konventionsverletzung geleistet werden kann, trägt dem Rechnung (vgl. BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 11. Oktober 1985 - 2 BvR 336/85 -, NJW 1986, S. 1425 <1426>; BAG, Urteil vom 22. November 2012 - 2 AZR 570/11 -, juris, Rn. 32).
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(3) Aus der zugunsten der Beschwerdeführerin ergangenen Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte kann sie keine weitergehenden Rechte ableiten.
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Der Gerichtshof erlässt ausschließlich Feststellungsurteile; eine kassatorische, die angegriffene Maßnahme der Vertragspartei unmittelbar aufhebende Entscheidung ergeht nicht (vgl. BVerfGE 111, 307 <320>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 11. Oktober 1985 - 2 BvR 336/85 -, NJW 1986, S. 1425 <1426>). Dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte kommt auch nicht die Befugnis zur Aufhebung nationaler Gerichtsentscheidungen oder zur Anordnung einer Wiederaufnahme eines Verfahrens zu (vgl. EGMR, Urteil vom 29. April 1988, Beschwerde-Nr. 10328/83, Belilos ./. Schweiz, Rn. 76; Urteil vom 20. September 1993, Beschwerde-Nr. 14647/89, Saidi ./. Frankreich, Rn. 47; Urteil vom 22. September 1994, Beschwerde-Nr. 16737/90, Pelladoah ./. Niederlande, Rn. 44; Urteil vom 30. Juni 2009, Beschwerde-Nr. 32772/02, Verein gegen Tierfabriken Schweiz ./. Schweiz Nr. 2, NJW 2010, S. 3699 <3702>). Auch die betroffene Vertragspartei aus einem festgestellten Konventionsverstoß trifft keine Pflicht zur Beseitigung des konventionswidrigen Urteils (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 11. Oktober 1985 - 2 BvR 336/85 -, NJW 1986, S. 1425 <1426 f.>).
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Vor diesem Hintergrund lehnt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte Individualbeschwerden, mit denen gegen die Ablehnung der Wiederaufnahme ihres Falles seitens der innerstaatlichen Gerichte vorgegangen wird, grundsätzlich als unzulässig ab, da der Gerichtshof keine Zuständigkeit hat, zu prüfen, ob ein Konventionsstaat die Pflichten erfüllt hat, die sich aus einem seiner Urteile ergeben. Die Überwachung der Urteilsdurchführung fällt vielmehr gemäß Art. 46 Abs. 2 EMRK in die Zuständigkeit des Ministerkomitees. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz hat der Gerichtshof nur für den Fall anerkannt, dass Maßnahmen, die der Mitgliedstaat zur Wiedergutmachung einer Konventionsverletzung getroffen hat, neue Fragen aufwerfen, über die im Urteil noch nicht entschieden worden ist (vgl. EGMR, Entscheidung vom 6. Juli 2010, Beschwerde-Nr. 5980/07, Öcalan ./. Türkei, NJW 2010, S. 3703 <3704>; Breuer, in: Karpenstein/Mayer, EMRK, 2012, Art. 46 Rn. 17, 77). Dies hat der Gerichtshof - soweit hier von Interesse - in einem Ausnahmefall bejaht, in dem das Ministerkomitee seine Überwachung der Urteilsdurchführung in Unkenntnis des Umstands eingestellt hatte, dass im Rahmen eines nach nationalem Recht grundsätzlich zulässigen Wiederaufnahmeverfahrens das zuständige nationale Gericht den Wiederaufnahmeantrag aufgrund neu eingetretener Umstände abgelehnt hatte (vgl. EGMR, Urteil vom 30. Juni 2009, Beschwerde-Nr. 32772/02, Verein gegen Tierfabriken Schweiz ./. Schweiz Nr. 2, NJW 2010, S. 3699 <3700 f.>).
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Welche Konsequenzen in einem derartigen Ausnahmefall für das deutsche Recht zu ziehen wären, bedarf keiner Erörterung. Denn im Fall der Beschwerdeführerin sind nach der Einstellungsentscheidung des Ministerkomitees keine neuen Fragen aufgeworfen worden, die eine erneute Befassung des Gerichtshofs ermöglichen könnten. Eine Wiederaufnahme des Verfahrens war zum damaligen Zeitpunkt nicht statthaft. Soweit die Beschwerdeführerin ausführt, eine Wiederaufnahme des Zivilverfahrens gegen die Privatklinik Dr. H. sei nach deutschem Recht die einzige Möglichkeit, die vom Ministerkomitee erwartete volle Wiedergutmachung zu erreichen, ist dies unzutreffend. In Betracht gekommen wäre auch, die Bundesrepublik Deutschland oder die Freie Hansestadt Bremen gemäß Art. 5 Abs. 5 EMRK auf Ersatz jedenfalls des vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte nicht zugesprochenen Vermögensschadens in Anspruch zu nehmen. Diese Vorschrift gewährt den Betroffenen nach der Rechtsprechung der deutschen Zivilgerichte unmittelbar einen verschuldensunabhängigen Schadensersatzanspruch gegen die öffentliche Hand wegen Freiheitsentziehungen unter Verletzung von Art. 5 EMRK (vgl. BGHZ 45, 58 <65>). Dieser Anspruch dürfte allerdings zwischenzeitlich gemäß §§ 195, 199 Abs. 1 BGB verjährt sein, da die Verjährungsregeln des deutschen Rechts für deliktische Ansprüche entsprechende Anwendung finden (vgl. BGHZ 45, 58 <70 ff.>; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 6. Oktober 2004 - 1 BvR 414/04 -, NJW 2005, 1567).
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3. Da durch die Annahme des Oberlandesgerichts, die Restitutionsklage sei unzulässig, das Gebot der Rechtsschutzgleichheit nicht verletzt ist, kommt es auf seine Hilfserwägungen im Beschluss über die Gegenvorstellung nicht mehr an.
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V.
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Der Antrag der Beschwerdeführerin auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung von Rechtsanwalt R. ist entsprechend § 114 ZPO abzulehnen.
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Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Tenor
Das angegriffene Urteil wird geändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Vollstreckungsgläubigerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
Tatbestand:
2Der Kläger, ein 23jähriger lediger Kurde yezidischen Glaubens mit syrischer Staatsangehörigkeit, beantragte am 7.7.2011 gegenüber der Beklagten die Gewährung von Asyl. In seiner Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge am 28.7.2011 gab er an, von der Türkei mit einem Schiff nach Italien und von dort mit dem Zug nach Deutschland gefahren zu sein. Zu seinen Fluchtgründen gab er an, nicht den sonst bevorstehenden Wehrdienst leisten zu wollen, weil er dann auf das unschuldige Volk zu schießen habe. Er habe auch an einigen Demonstrationen in Hassake teilgenommen, was die Polizei aber festgestellt und ihm eine Vorladung geschickt habe, zu der er nicht hingegangen sei.
3Auf ein Übernahmeersuchen der Beklagten erklärte Italien unter dem 6.10.2011 seine Übernahmebereitschaft. Mit Bescheid vom 11.10.2011 stufte die Beklagte den Asylantrag als unzulässig ein und ordnete die Abschiebung nach Italien an. Der Asylantrag sei gemäß § 27a des Asylverfahrensgesetzes (AsylVfG) unzulässig, da nach § 10 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom 18.2.2003 (ABl. L 50/1 vom 25.2.2003 ‑ Dublin II‑VO ‑) Italien für die Prüfung des Asylantrags zuständig sei. Die Abschiebungsanordnung beruhe auf § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylVfG.
4Mit der am 26.1.2011 erhobenen Klage hat sich der Kläger gegen diesen Bescheid gewandt und vorgetragen: Er erhalte in Italien wegen der dortigen Überlastung der Behörden keinen Schutz entsprechend der europaweit vereinbarten Mindeststandards. Im Fall der Abschiebung drohe ihm, dem Kläger, in Italien ein menschenrechtswidriges und europäisches Recht verletzendes Verfahren. Das Konzept normativer Vergewisserung bei der Einstufung sicherer Drittstaaten greife hier nicht. Es lägen ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe vor, dass er aufgrund systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen im Fall einer Überstellung nach Italien Gefahr laufe, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu werden. Die Beklagte sei daher zum Selbsteintritt gemäß § 3 Abs. 2 Dublin II‑VO verpflichtet.
5Er könne auch über eine bloße Aufhebung des Bescheides die Verurteilung zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft bzw. zur Feststellung von Abschiebungshindernissen beanspruchen, da das Gericht durchzuentscheiden habe und nicht etwa bloß an die Asylbehörde zurückverweisen dürfe. Er habe einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, da ihm generell wegen zu erwartender Verhöre bei Rückkehr, seiner illegalen Ausreise, seiner Asylantragstellung und des längeren Auslandsaufenthalts, aber auch wegen seiner kurdischen Volkszugehörigkeit und der von Kurden organisierten Demonstrationen in Hassake, an denen er teilgenommen habe, politische Verfolgung drohe.
6Der Kläger hat beantragt,
7die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 11.10.2011 zu verpflichten,
81. dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen sowie
92. hilfsweise festzustellen, dass hinsichtlich des Klägers Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 2 - 7 AufenthG vorliegen.
10Die Beklagte hat beantragt,
11die Klage abzuweisen.
12Sie hat vorgetragen, dass kein Fall einer Ausnahme vom Konzept der normativen Vergewisserung vorliege.
13Mit dem angegriffenen Urteil hat das Verwaltungsgericht der Klage im Hauptantrag stattgegeben. Dagegen richtet sich die zugelassene und rechtzeitig begründete Berufung der Beklagten, mit der sie vorträgt: In Italien lägen keine systemischen Mängel des Asylverfahrens oder der Aufnahmebedingungen einschließlich der Gesundheitsversorgung vor, die einer Abschiebung dorthin entgegenstünden.
14Sie beantragt,
15unter Abänderung des angegriffenen Urteils die Klage abzuweisen.
16Der Kläger tritt dem Rechtsmittel entgegen und verteidigt das angegriffene Urteil.
17Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vortrags der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Unterlagen Bezug genommen.
18Entscheidungsgründe:
19Der Berichterstatter ist auf Grund des Einverständnisses der Beteiligten zur Entscheidung (§§ 125 Abs. 1 Satz 1, 87a Abs. 2 und 3 der Verwaltungsgerichtsordnung ‑ VwGO ‑) ohne mündliche Verhandlung (§§ 125 Abs. 1 Satz 1, 101 Abs. 2 VwGO) berufen.
20Die Klage umfasst im Anfechtungsteil jedenfalls die Aufhebung des Bescheides vom 11.10.2011 und ist darüber hinaus auf eine Verpflichtung der Beklagten zur Gewährung internationalen Schutzes gerichtet. Die zulässige Berufung ist begründet. Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 11.10.2011 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO), der Kläger hat auch keinen Anspruch (§ 113 Abs. 5 VwGO) auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft durch die Beklagte oder auf deren Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 60 Abs. 2 bis 7 des Aufenthaltsgesetzes.
21Der Asylantrag vom 7.7.2011 ist nämlich gemäß § 27a AsylVfG unzulässig, weil ein anderer Staat auf Grund von Rechtsvorschiften der Europäischen Gemeinschaft für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Das ist hier nach Art. 10 Abs. 1, 5 Abs. 2 Dublin II‑VO Italien, da der Kläger über Italien eingereist, hier den Asylantrag gestellt und Italien seine Übernahmebereitschaft nach Art. 18 Dublin II‑VO erklärt hat. Die Anwendbarkeit dieser Vorschriften ergibt sich aus § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG i.V.m. Art. 49 Abs. 2 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.6.2013 (ABl. L 180/31 vom 29.6.2013 ‑ Dublin III‑VO ‑), wonach diese Nachfolgeverordnung erst für Anträge auf internationalen Schutz gilt, die im Laufe des Jahres 2014 gestellt werden. Aus der Unzulässigkeit des Asylantrags folgt, dass die Beklagte befugt war, gemäß Art. 19 Abs. 3 Dublin II‑VO die Überstellung des Klägers an den zuständigen Mitgliedstaat Italien zu betreiben. Nach Art. 19 Abs. 1 Dublin II‑VO war die Beklagte daher unionsrechtlich befugt, dem Kläger durch den angefochtenen Bescheid die Entscheidung, den Asylantrag nicht zu prüfen, sowie die Verpflichtung, den Kläger an den zuständigen Mitgliedstaat Italien zu überstellen, mitzuteilen. Die Abschiebungsanordnung rechtfertigt sich aus § 34a Satz 1 AsylVfG. Danach ordnet das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge die Abschiebung in den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Das ist mit der Übernahmeerklärung Italiens vom 6.10.2011 der Fall.
22Gegen den so unionsrechtlich legitimierten Bescheid kann zwar nach Art. 19 Abs. 2 Satz 3 Dublin II‑VO der vorliegende Rechtsbehelf eingelegt werden. Entgegen dem angegriffenen Urteil besteht jedoch die Zuständigkeit Italiens und stehen einer Überstellung nach Italien keine Hinderungsgründe entgegen. Das wäre unionsrechtlich nur dann nicht der Fall, wenn systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in dem zuständigen Mitgliedstaat ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme darstellen, dass der Asylbewerber tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRCharta) (= Art. 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention ‑ EMRK ‑) ausgesetzt zu werden. Dabei berührt nicht jede Verletzung eines Grundrechts durch den zuständigen Mitgliedstaat die Verpflichtungen der übrigen Mitgliedstaaten, die Dublin II‑VO zu beachten. Denn auf Grund des Konzepts der sicheren europäischen Drittstaaten (Art. 36 der Richtlinie 2005/85/EG des Rates vom 1.12.2005 ‑ ABl. L 326/13 vom 13.12.2005 ‑, heute Art. 39 der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.6.2013 ‑ ABl. L 180/60 vom 29.6.2013 ‑) und des Prinzips gegenseitigen Vertrauens der Mitgliedstaaten untereinander muss die Vermutung gelten, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der GRCharta sowie mit der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK steht.
23EuGH, Urteil vom 21.12.2011 ‑ C‑411 und 493/10, NVwZ 2012, 417 Rn. 78 - 80, 82, 94; Urteil vom 14.11.2013 ‑ C‑4/11 ‑, NVwZ 2014, 129 Rn. 36; Urteil vom 10.12.2013 ‑ C‑394/12 ‑, NVwZ 2014, 208 Rn. 60, 62.
24Ein Asylbewerber kann der Überstellung in den nach der Dublin II‑VO für ihn zuständigen Mitgliedstaat daher nur mit dem Einwand systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber entgegentreten. Es kommt hingegen nicht darauf an, ob es unterhalb der Schwelle systemischer Mängel in Einzelfällen zu einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i.S.v. Art. 4 GRCharta bzw. Art. 3 EMRK kommen kann.
25Vgl. BVerwG, Beschluss vom 6.6.2014 ‑ 10 B 35.14 ‑, NVwZ 2014, 1677.
26Dieser unionsrechtlichen Lage, die ohnehin Vorrang vor nationalem Recht hat, entspricht auch im Kern die nationale Rechtslage. Dass Italien als Mitglied der Europäischen Union ein sicherer Drittstaat ist, steht kraft normativer Vergewisserung des Verfassungsgesetzgebers fest (Art. 16a Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes). Dem kann nur damit entgegengetreten werden, dass es sich aufgrund bestimmter Tatsachen aufdrängt, dass der Kläger von einem der vom Bundesverfassungsgericht herausgearbeiteten, im normativen Vergewisserungskonzept nicht aufgefangenen Sonderfälle betroffen ist, wobei an diese Darlegung strenge Anforderungen zu stellen sind.
27Vgl. BVerfG, Urteil vom 14.5.1996 ‑ 2 BvR 1938, 2315/93, ‑, BVerfGE 94, 49 (99 f.); zu den Fallgruppen vgl. Marx, AsylVfG, 8. Aufl., § 26a Rn. 3 ff.
28Nicht umfasst vom Konzept normativer Vergewisserung über einen Schutz für Flüchtlinge durch den Drittstaat sind ‑ hier allenfalls in Betracht kommende ‑ Ausnahmesituationen, in denen der Drittstaat selbst gegen den Schutzsuchenden zu Maßnahmen unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung (Art. 3 EMRK = Art. 4 GRCharta) greift. Dabei ist der Asylbewerber ‑ wie im Unionsrecht ‑ mit dem Einwand ausgeschlossen, für ihn bestehe in dem betreffenden Drittstaat keine Sicherheit, weil dort in seinem Einzelfall - trotz normativer Vergewisserung - die Verpflichtungen aus der Genfer Flüchtlingskonvention und der Europäischen Menschenrechtskonvention nicht erfüllt würden.
29Vgl. BVerfG, Urteil vom 14.5.1996 ‑ 2 BvR 1938, 2315/93, ‑, BVerfGE 94, 49 (98 f.)
30Maßgebend für die gerichtliche Verneinung des Status eines sicheren Drittstaates ist nicht, wie das Verwaltungsgericht meint, ob die flüchtlingsrechtlichen Gewährleistungen und die Verfahrenspraxis in Italien an die zu fordernden und bei Einführung des § 27a AsylVfG vorausgesetzten unions- bzw. völkerrechtlichen Standards reichen oder ob eine prekäre Situation von Asylbewerbern im Hinblick auf die materiellen Aufnahmebedingen gegeben ist, sondern ob wegen systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen in Italien ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme vorliegen, dass Asylbewerber tatsächlich Gefahr laufen, in Italien einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu werden.
31Für den Schutzumfang ist dabei zu berücksichtigen, dass Art. 4 GRCharta bzw. Art. 3 EMRK zuvörderst eine Unterlassenspflicht für Italien begründen (Verbot, jemanden einer bestimmten Behandlung zu unterwerfen). Dass Italien seine Asylbewerber aktiv unmenschlich oder erniedrigend behandelt, und zwar nicht in Einzelfällen, sondern systemisch, wird von keiner Erkenntnisquelle gestützt und auch vom angegriffenen Urteil nicht behauptet. Vielmehr geht es darum, dass Italien materielle Aufnahmebedingungen für Asylbewerber nicht in ausreichendem Maße gewährleisten soll. Es geht also nicht um einen Verstoß gegen Unterlassenspflichten, sondern um einen Verstoß gegen Gewährleistungsrechte, insbesondere Schutzpflichten, soweit sie aus Art. 4 GRCharta bzw. Art. 3 EMRK abgeleitet werden können.
32Vgl. zum Unterschied in der Beeinträchtigungsform Jarass, GRCharta, 2. Aufl., Art. 4 Rn. 7; Höfling in: Tettinger/Stern, Kölner Gemeinschaftskommentar zur GRCharta, Art. 4 Rn. 3; Borowsky in: Meyer, GRCharta, 4. Aufl., Art. 4 Rn. 20.
33Im Bereich von medizinischer und sozialer Fürsorge kann es unter dem Gesichtspunkt eines Verstoßes gegen das Verbot, jemanden einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung zu unterwerfen, von vorneherein nur um die Gewährleistung einer unabdingbaren Grundversorgung gehen. Dagegen würde etwa verstoßen, wenn Asylbewerber aufgrund systemischer Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen monatelang obdachlos und ohne Zugang zu jeder Versorgung wären.
34Bank in: Dörr/Grote/Marauhn, Konkordanzkommentar EMRK/GG, 1. Bd., 2. Aufl., Kap. 11 Rn. 110 ff., insbes. 115.
35Die Eingriffsschwelle von Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 GRCharta wird durch Missstände im sozialen Bereich nur unter strengen Voraussetzungen überschritten.
36Vgl. die Rechtsprechungsnachweise für den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte bei Iliopoulos-Strangas in: Merten/Papier, Handbuch der Grundrechte, Bd. VI/1, § 145 Rn. 72; Filzwieser/Sprung, Dublin III-VO, Art. 27 Anm. K9: hinsichtlich Gesundheitsversorgung und Unterbringung nur bei gänzlicher Versorgungsverweigerung mit existenzbedrohenden oder unmenschlicher Behandlung gleichkommenden Folgen.
37Nach diesen Maßstäben kann nicht festgestellt werden, dass in Italien systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber vorliegen, die die Annahme erlaubten, dass der Kläger tatsächlich Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung ausgesetzt zu werden. Das ist in der Rechtsprechung des beschließenden Gerichts geklärt.
38Vgl. das den Beteiligten mitgeteilte Urteil vom 7.3.2014 ‑ 1 A 21/12.A ‑, NRWE; zuletzt Beschluss vom 28.1.2015 ‑ 11 A 2550/14.A ‑, S. 5 f. des Beschlussabdrucks; zuletzt durch den beschließenden Senat Beschluss vom 18.8.2014 ‑ 14 A 1613/13.A ‑, S. 2 f. des Beschlussabdrucks.
39Diese Bewertung steht in Übereinstimmung mit der obergerichtlichen Rechtsprechung anderer Bundesländer,
40vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 27.5.2014 ‑ 2 LA 308/13 ‑, juris; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 16.4.2014 ‑ A 11 S 1721/13 ‑, InfAuslR 2014, 293; Bay. VGH, Urteil vom 28.2.2014 ‑ 13a B 13.30295 ‑, BayVBl. 2014, 628; Hess. VGH, Beschluss vom 28.2.2014 ‑ 10 A 681/13.Z.A ‑, juris; OVG Rh.-Pf., Urteil vom 21.2.2014 ‑ 10 A 10656/13 ‑, juris; OVG S.-A., Beschluss vom 14.11.2013 ‑ 4 L 44/13 ‑, juris,
41und der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte,
42vgl. zuletzt Decision vom 13.1.2015 ‑ 51428/10 ‑, juris.
43Nach der im hiesigen Verfahren eingeholten Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 6.1.2015 (dort irrtümlich 6.1.2014) hat sich an der Erkenntnislage, die der Entscheidung des beschließenden Gerichts vom 7.3.2014 ‑ 1 A 21/12.A ‑ zu Grunde lag, nichts geändert. Auch sonst liegen dem Senat keine Erkenntnisse über relevante Veränderungen vor. Insbesondere stellt die gegenwärtig besonders hohe Zahl von Einwanderern nach Italien keinen Umstand dar, der eine veränderte Beurteilung rechtfertigen könnte. Die Schwelle zur unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung durch Italien würde erst dann überschritten, wenn auf die erhöhte Zahl von Einwanderern keinerlei Maßnahmen zur Bewältigung dieses Problems ergriffen würden. Davon kann nicht ausgegangen werden.
44Stellt sich die verfügte Unzulässigkeit des Asylantrags als rechtmäßig dar, besteht der im Verpflichtungswege verfolgte Anspruch auf Flüchtlingsanerkennung und hilfsweise subsidiären Schutz durch die Beklagte nicht.
45Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 83b AsylVfG. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 der Zivilprozessordnung.
46Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.
(1) Ein Asylantrag ist unzulässig, wenn
- 1.
ein anderer Staat - a)
nach Maßgabe der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 oder - b)
auf Grund von anderen Rechtsvorschriften der Europäischen Union oder eines völkerrechtlichen Vertrages
- 2.
ein anderer Mitgliedstaat der Europäischen Union dem Ausländer bereits internationalen Schutz im Sinne des § 1 Absatz 1 Nummer 2 gewährt hat, - 3.
ein Staat, der bereit ist, den Ausländer wieder aufzunehmen, als für den Ausländer sicherer Drittstaat gemäß § 26a betrachtet wird, - 4.
ein Staat, der kein Mitgliedstaat der Europäischen Union und bereit ist, den Ausländer wieder aufzunehmen, als sonstiger Drittstaat gemäß § 27 betrachtet wird oder - 5.
im Falle eines Folgeantrags nach § 71 oder eines Zweitantrags nach § 71a ein weiteres Asylverfahren nicht durchzuführen ist.
(2) Das Bundesamt hört den Ausländer zu den Gründen nach Absatz 1 Nummer 1 Buchstabe b bis Nummer 4 persönlich an, bevor es über die Zulässigkeit eines Asylantrags entscheidet. Zu den Gründen nach Absatz 1 Nummer 5 gibt es dem Ausländer Gelegenheit zur Stellungnahme nach § 71 Absatz 3.
(3) Erscheint der Ausländer nicht zur Anhörung über die Zulässigkeit, entscheidet das Bundesamt nach Aktenlage. Dies gilt nicht, wenn der Ausländer unverzüglich nachweist, dass das in Satz 1 genannte Versäumnis auf Umstände zurückzuführen war, auf die er keinen Einfluss hatte. Führt der Ausländer diesen Nachweis, ist das Verfahren fortzuführen.
(4) Die Anhörung zur Zulässigkeit des Asylantrags kann gemäß § 24 Absatz 1a dafür geschulten Bediensteten anderer Behörden übertragen werden.
Tenor
I.
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 1.250,-- Euro festgesetzt.
Gründe
die Antragsgegnerin auch passivlegitimiert. Entgegen der vom Verwaltungsgericht im Beschluss vom 10. Februar 2014 (Az. M 12 S7 14.30227) vertretenen Auffassung hat das Bundesamt im Rahmen einer Abschiebungsanordnung nach § 34a AsylVfG die (rechtliche und tatsächliche) Durchführbarkeit der Abschiebung und damit sowohl zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse als auch der Abschiebung entgegenstehende inlandsbezogene Vollzugshindernisse zu prüfen, so dass daneben für eine eigene Entscheidungskompetenz der Ausländerbehörde für die Erteilung einer Duldung nach § 60a Abs. 2 AufenthG kein Raum verbleibt (st. Rspr. des Senats; vgl. zuletzt BayVGH, B.v. 28.10.2013 - 10 CE 13.2257 - juris Rn. 4; B.v. 20.11.2012 - 10 CE 12.2428 - juris Rn. 4; NdsOVG, U.v. 4.7.2012 - 2 LB 163/10 - juris Rn. 41; OVG Berlin-Bbg, B.v. 1.2.2012 - 2 S 6/12 - juris Rn. 4; VGH BW, B.v. 31.5.2011 - A 11 S 1523/11 - juris Rn. 4). Dies gilt nicht nur hinsichtlich bereits bei Erlass der Abschiebungsanordnung vorliegender Abschiebungshindernisse und Duldungsgründe. Bei nach Erlass der Abschiebungsanordnung auftretenden Abschiebungshindernissen hat das Bundesamt gegebenenfalls die Abschiebungsanordnung aufzuheben oder die Ausländerbehörde anzuweisen, von der Vollziehung der Abschiebungsanordnung abzusehen (OVG NRW, B.v. 30.8.2011 - 18 B 1060/11 - juris Rn. 4).
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.
(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.
(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.
Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:
- 1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen; - 2.
Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a; - 3.
Urteile, durch die gemäß § 341 der Einspruch als unzulässig verworfen wird; - 4.
Urteile, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen werden; - 5.
Urteile, die ein Vorbehaltsurteil, das im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen wurde, für vorbehaltlos erklären; - 6.
Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt oder aufgehoben werden; - 7.
Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen; - 8.
Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht; - 9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung; - 10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist; - 11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.
In den Fällen des § 708 Nr. 4 bis 11 hat das Gericht auszusprechen, dass der Schuldner die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung abwenden darf, wenn nicht der Gläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit leistet. § 709 Satz 2 gilt entsprechend, für den Schuldner jedoch mit der Maßgabe, dass Sicherheit in einem bestimmten Verhältnis zur Höhe des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages zu leisten ist. Für den Gläubiger gilt § 710 entsprechend.