Verwaltungsgericht München Urteil, 03. Aug. 2017 - M 2 K 16.3853

bei uns veröffentlicht am03.08.2017

Gericht

Verwaltungsgericht München

Tenor

I. Der Bescheid der Beklagten vom 29. Juli 2016, Az. …, wird aufgehoben.

II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

III. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrags vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Aufhebung einer von der Beklagten gegen ihn erlassenen straßenrechtlichen Anordnung zur Freihaltung eines Sichtfeldes an der Einmündung einer Ortsstraße der Beklagten in die Ortsdurchfahrt der Staatsstraße …

Der Kläger ist Eigentümer des Grundstücks FlNr. … der Gemarkung … Auf diesem Grundstück hat der Kläger an der Einmündung der Ortsstraße „Am …“ in die Staatsstraße … u.a. Pfosten für einen Zaun zur Einfriedung seines Grundstücks errichtet.

Nach entsprechender Anhörung verpflichtete die Beklagte den Kläger mit streitbefangenem Bescheid vom 29. Juli 2016, zugestellt am 30. Juli 2016, die Bauarbeiten zur Fertigstellung der Einfriedung auf dem Grundstück FlNr. … sofort einzustellen, soweit die Einfriedung innerhalb des Sichtfeldes der Ausfahrt der Ortsstraße „Am …“ in die Staatsstraße zwischen 0,80 m und 2,50 m Höhe errichtet wird (Nr. 1.1), und des Weiteren dazu, die bereits vorhandenem Pfosten für die geplante Einfriedung innerhalb des Sichtfeldes bis spätestens einen Monat nach Unanfechtbarkeit zurückzubauen, sodass das Sichtfeld entsprechend freigehalten wird (Nr. 1.2). Gleichzeitig ordnete die Beklagte die sofortige Vollziehung der Baueinstellungsverfügung gemäß Nr. 1.1 (Nr. 2) an und drohte für den Fall, dass die Verpflichtung nach Nr. 1.1 und 1.2 nicht fristgerecht erfüllt werden jeweils ein Zwangsgeld in Höhe von 500 EUR an. Zudem verpflichtete sie den Kläger, die Kosten des Verfahrens in Höhe von 100 EUR zu tragen (Nr. 5 und 6). Zur Begründung führt die Beklagte im Wesentlichen aus, ein Einschreiten sei im öffentlichen Interesse notwendig. Bei der Ausfahrt handle es sich um einen sehr unübersichtlichen und gefährlichen Knotenpunkt, da die Staatsstraße im Bereich des Ortseingangs einen leichten Knick mache und zahlreiche Fahrzeuge im Ortseingangsbereich schneller als die erlaubte Geschwindigkeit von 50 km/h führen. Um die Geschwindigkeit am Ortseingang einzuschränken, sei bereits im Monat Juli 2016 eine Geschwindigkeitsanzeigetafel aufgestellt worden. Bei der Berechnung des freizuhaltenden Sichtfeldes seien die Richtlinien für die Anlage von Stadtstraßen RASt 06 herangezogen worden. Die Schenkellänge des Sichtfeldes sei danach bei einer Geschwindigkeit von durchschnittlich 60 km/h mit 85 m anzunehmen gewesen. Die Staatsstraße sei im Bereich der Ortsdurchfahrt gerade in den Sommermonaten sehr stark frequentiert (über 10.000 Fahrzeuge täglich), und weise einen hohen Anteil an Schwerverkehr auf. Des Weiteren werde die Ortsstraße „Am …“ von vielen Jugendlichen und Kindern als Übergangsstelle mit dem Fahrrad genutzt. Bereits in der Vergangenheit habe man einen Unfallschwerpunkt durch die Versetzung einer Kapelle im Sichtdreieck bei der gegenüberliegenden Ausfahrt an der …-straße entschärft und dort zusätzlich auch eine Fußgängerampel errichtet. Die Freihaltung des Sichtfeldes erscheine daher zur Vermeidung von Gefahren für Leben und Gesundheit sowie für Sachschäden dringend geboten.

Hiergegen ließ der Kläger mit Schreiben seiner Bevollmächtigten vom 23. August 2016, bei Gericht eingegangen am 25. August 2016, Klage erheben. Er beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 29. Juli 2016 aufzuheben.

Die Klägerbevollmächtigten haben die Klage mit Schriftsatz vom 30. November 2016 im Einzelnen begründet.

Mit Schreiben ihrer Bevollmächtigten vom 16. September 2016 ließ die Beklagte durch ihre Bevollmächtigten beantragen,

die Klage abzuweisen.

Mit Schriftsatz vom 31. Mai 2017 haben die Bevollmächtigten der Beklagten auf die Klage erwidert. Sie vertiefen und erweitern hierzu die Begründung des streitbefangenen Bescheids und führen insbesondere aus, für die streitbefangenen Anordnungen liege mit Art. 29 Bayerisches Straßen- und Wegegesetz (BayStrWG) eine tragfähige Rechtsgrundlage vor. Die Beklagte sei für den Erlass der Anordnung als Straßenbaubehörde auch zuständig gewesen. Auch sei eine konkrete Gefahr für die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs am streitgegenständlichen Knotenpunkt gegeben. Auch die verfassungsrechtlichen Grundsätze der Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit seien gewahrt.

Mit Beschluss der Kammer vom 28. Juli 2017 wurde der Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Berichterstatter als Einzelrichter übertragen. Mit Schreiben vom 31. Juli und 2. August 2017 haben die Beteiligten einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren gestimmt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte sowie auf die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen

Gründe

Mit Zustimmung der Beteiligten (vgl. Schreiben vom 31.7. und 2.8.2017) konnte der nach § 6 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) zuständige Berichterstatter als Einzelrichter (vgl. Beschluss der Kammer vom 28.7.2017) ohne mündliche Verhandlung in der Sache entscheiden (§ 101 Abs. 2 VwGO).

Die zulässige Klage ist begründet. Der Bescheid der Beklagten vom 29. Juli 2016 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Er ist daher aufzuheben.

Die Grundverfügungen in Nr. 1.1 und 1.2 des streitbefangenen Bescheids fußen zwar der Sache nach auf tragfähigen straßen- und sicherheitsrechtlichen Befugnisnormen, auch wenn die Beklagte diese in ihrem Bescheid nicht bzw. nicht zutreffend anführt (1. und 2). Allerdings gebietet Verfassungsrecht eine einschränkende Auslegung dieser Rechtsgrundlagen (3.), der der Bescheid im Ergebnis nicht genügt (4.). Aufgrund dessen erweisen sich auch die Zwangsgeldandrohungen und die Kostenentscheidung in den Nr. 3 bis 6 des Bescheids als rechtswidrig (5.).

1. Rechtsgrundlage für die in Nr. 1.1 und 1.2 des streitbefangenen Bescheids angeordnete Baueinstellungs- und Rückbauverfügung ist Art. 7 Abs. 2 Nr. 1 Landesstraf- und Verordnungsgesetz (LStVG) i.V.m. Art. 66 Nr. 4, Art. 29 Abs. 2 Satz 1 Bay-StrWG. Sofern man die Eingriffsbefugnis auch unmittelbar aus Art. 29 Abs. 2 Satz 2 BayStrWG herleitet, ändert dies am Ergebnis nichts (vgl. BayVGH, B.v. 24.4.2009 – 8 ZB 09.469 – juris Rn. 8, grundlegend zum Ganzen: B.v. 15.12.2004 – 8 B 04.1524 – juris Rn. 21 ff.; Wiget in Zeitler/Wiget, BayStrWG, Stand Oktober 2015, Art. 29 Rn. 28).

Zentrale straßenrechtliche Vorschrift für die (nach Art. 66 Nr. 4 BayStrWG bußgeldbewehrte) Verpflichtung zur Freihaltung von Sichtfeldern (vgl. zur Terminologie Nr. 6.3.9.3 der Richtlinien für die Anlage von Stadtstraßen – RASt 06) ist Art. 29 Abs. 2 BayStrWG. Diese trägt – zumindest dem Grunde – auch die vorliegend streitbefangenen Grundverfügungen in Nr. 1.1 und 1.2 des Bescheids vom 29. Juli 2016 entweder bereits selbständig, jedenfalls aber – wie vorstehend ausgeführt – in Verbindung mit der hier aufgrund der Bußgeldbewehrung nach Art. 66 Nr. 4 BayStrWG einschlägigen Befugnisgeneralklausel des allgemeinen Sicherheitsrechts in Art. 7 Abs. 2 Nr. 1 LStVG.

Unerheblich ist insoweit, dass die Beklagte rechtsirrig Art. 61 Abs. 1 LStVG als Befugnisnorm herangezogen hat. Diese Norm kann vorliegend deswegen nicht als Anordnungsgrundlage dienen, weil sie nur kreisfreie Gemeinden und Landratsämter, nicht aber kreisangehörige Gemeinden wie die Beklagte, im Ermessenswege zum Erlass von Anordnungen zur Vornahme notwendiger Sicherung- und Ausbesserungsarbeiten, Stilllegungen oder Beseitigungsmaßnahmen ermächtigt. Denn wie vorstehend bereits ausgeführt, ist die entsprechende Rechtsfolge im Ermessenswege auch über Art. 7 Abs. 2 Nr. 1 LStVG und Art. 29 Abs. 2 Satz 1, Art. 66 Nr. 4 Bay-StrWG bzw. in unmittelbarer Anwendung des Art. 29 Abs. 2 Satz 2 BayStrWG zu erreichen.

Kommt ein Gericht – wie hier – zu dem Ergebnis, ein Bescheid sei zu Unrecht auf eine nicht tragfähige Rechtsgrundlage gestützt worden, ist es gemäß § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO auch verpflichtet zu prüfen, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang der Bescheid mit Blick auf sonstige Rechtsgrundlagen aufrechterhalten werden kann (vgl. rechtsgrundsätzlich BVerwG, U.v. 19.8.1988 – 8 C 29/87 – juris LS; aktuell U.v. 31.3.2010 – 8 C 12/09 – juris Rn. 16; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 18. Aufl. 2017, § 47 Rn. 7a). Bei einer solchen Konstellation bedarf es keiner (richterlichen) Umdeutung, sodass die Aufrechterhaltung des Bescheides auch nicht davon abhängt, ob die Voraussetzungen für eine Umdeutung nach Art. 47 Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz (BayVwVfG) erfüllt sind. So liegt der Fall hier. Der Regelungsgehalt der Nr. 1.1 und 1.2 des angegriffenen Bescheids bleibt unverändert, wenn die dort verfügten Maßnahmen zur Abwehr von Gefahren für die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs zutreffender Weise mit Art. 7 Abs. 2 Nr. 1 LStVG i.V.m. Art. 29 Abs. 2, Art. 66 Nr. 4 BayStrWG anstelle des von der Behörde rechtsirrig herangezogenen Art. 61 LStVG begründet werden. Der Austausch der Normen lässt den Tenor der beiden streitigen Grundverfügungen, die Verpflichtung zur Baueinstellung und zum Rückbau, inhaltlich unberührt. Er erforderte zudem als solches auch keine anderen oder zusätzlichen Ermessenserwägungen. Hierauf weisen die Beklagtenbevollmächtigten in ihrer Klageerwiderung vom 31. Mai 2017 auch zutreffend hin.

Nicht Gegenstand des Vollzugs des Straßen- und Wegerechts durch die Beklagte sind hingegen etwaige einschlägige Festsetzungen ihres Bebauungsplans „…- …“. Der Vollzug des Baurechts ist nach Art. 53 Abs. 1 Bayerische Bauordnung (BayBO) grundsätzlich Aufgabe der Kreisverwaltungsbehörden als Untere Bauaufsichtsbehörden, sodass die bauaufsichtliche Durchsetzung etwaiger einschlägiger Festsetzungen des vorgenannten Bebauungsplans (vgl. insbesondere § 9 Abs. 1 Nr. 11 BaugesetzbuchBauGB) zur Wahrung der Sicherheit und Leichtigkeit des öffentlichen Verkehrs i.S.d. Art. 14 Abs. 2 BayBO mithin allein Aufgabe des Landratsamts … als zuständiger Unterer Bauaufsichtbehörde, nicht aber der Beklagten als kreisangehöriger Gemeinde ist, der auch keine entsprechenden Zuständigkeiten (vgl. Art. 53 Abs. 2 BayBO) übertragen worden sind. Im Anwendungsbereich der Bayerischen Bauordnung sind die Bestimmungen des Sicherheitsrechts im Verhältnis zu den Befugnissen der Unteren Bauaufsichtsbehörde (vgl. insbesondere Art. 75 f. BayBO) grundsätzlich subsidiär (vgl. Wiget aaO). Nachdem der streitgegenständliche Bescheid indes maßgeblich auf dem Vollzug des Straßen- und Sicherheitsrechts durch die Beklagte in ihrer Eigenschaft als Straßenbaubehörde fußt, kann folglich vorliegend die Frage, ob der vorgenannte Bebauungsplan der Beklagten aufgrund eines Ausfertigungsmangels gegebenenfalls unwirksam ist (vgl. VG München, U.v. 17.5.2016 – M 1 K 16.629 – juris Rn. 28), offenbleiben. Die entsprechenden, den Bescheid letztlich nicht tragenden Ausführungen im streitbefangenen Bescheid (dort S. 3 Abs. 1 a.E.) gehen mithin ins Leere, führen aber nicht zu seiner Rechtswidrigkeit.

2. Nach Art. 29 Abs. 2 Satz 1 BayStrWG dürfen unter anderem Anpflanzungen aller Art und Zäune nicht angelegt werden, soweit sie die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs beeinträchtigen können. Art. 29 Abs. 2 Satz 2 BayStrWG ermächtigt sodann die Straßenbaubehörde, also bei Gemeindestraßen nach Art. 46 BayStrWG – wie hier mit Blick auf die Einmündung der Gemeindestraße „Am …“ in die Staatsstraße … der Fall – die zuständige Gemeinde nach Art. 58 Abs. 2 Nr. 3 BayStrWG, solche Anlagen – wenn sie bereits bestehen – zu beseitigen. Gleiches ergibt sich, wie ausgeführt, auch in Verbindung mit Art. 7 Abs. 2 Nr. 1 LStVG und Art. 66 Nr. 4 BayStrWG. Als Minus zu einer Beseitigungsverfügung kommt bei nicht fertig gestellten störenden Anlagen i.S.d. Art. 29 Abs. 2 Satz 1 BayStrWG daneben auch eine Einstellungsverfügung hinsichtlich bereits aufgenommener Arbeiten zur Errichtung in Betracht. Die streitbefangene Einfriedung auf dem Grundstück FlNr. …, die augenscheinlich die Funktion haben soll, das Grundstück zur Ortsdurchfahrt der Staatsstraße … (… Straße) wie auch zur Ortsstraße „Am …“ hin räumlich abzugrenzen und einzuzäunen, und die zu ihrer Errichtung bereits begonnenen Arbeiten des Klägers waren danach grundsätzlich geeigneter Gegenstand einer Baueinstellungs- und Beseitigungsanordnung im Sinne der genannten Vorschriften.

3. Jedoch bedarf dies der einschränkenden Auslegung im Lichte der Art. 14 Abs. 1 Grundgesetz (GG), Art. 103 Bayerische Verfassung (BV).

Mit der Regelung, dass unter anderem Anpflanzungen aller Art und Zäune nicht errichtet werden dürfen, soweit sie die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs beeinträchtigen können, enthält Art. 29 Abs. 2 Satz 1 BayStrWG eine Beschränkung der Nutzung des privaten Grundstückseigentums. Bei derartigen bodenrechtlichen Sachverhalten steht der Gesetzgeber angesichts des Auftrags, Inhalt und Schranken des Eigentums zu regeln (vgl. Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG, Art. 103 Abs. 2, 158 BV), vor einer schwierigen Aufgabe. Einerseits gewährleisten Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG und Art. 103 Abs. 1 BV das Privateigentum, wie es sich in seinem rechtlichen Gehalt vor allem in der grundsätzlichen Verfügungsbefugnis und in der Privatnützigkeit verwirklicht. Andererseits muss der Gesetzgeber in gleicher Weise dem verfassungsrechtlichen Gebot einer sozial gerechten Eigentumsordnung Rechnung tragen (vgl. Art. 14 Abs. 2 GG, Art. 103 Abs. 2, 158 BV). Dazu muss er die schutzwürdigen Interessen der Beteiligten ohne einseitige Bevorzugung oder Benachteiligung in einen gerechten Ausgleich bringen. Hierbei hat er seine Bindung an die verfassungsrechtlichen Grundsätze der Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit zu beachten. Das Wohl der Allgemeinheit ist nicht nur Grund, sondern auch Grenze für die dem Eigentum aufzuerlegenden Beschränkungen. Um vor den Art. 14 Abs. 1 GG und Art. 103, 158 BV Bestand zu haben, müssen (Nutzungs-)Beschränkungen des Eigentums deshalb vom geregelten Sachbereich her geboten und auch in ihrer Ausgestaltung sachgerecht sein. Einschränkungen der Eigentümerbefugnisse dürfen nicht weiter gehen, als der Schutzzweck reicht, dem die Regelung dient. In jedem Fall erfordert die verfassungsrechtliche Gewährleistung die Erhaltung der Substanz des Eigentums und die Beachtung des Gleichheitsgebots der Art. 3 Abs. 1 GG, Art. 118 Abs. 1 BV.

Dieser verfassungsrechtliche Hintergrund verlangt es, die Anwendbarkeit der Nutzungsbeschränkung des Art. 29 Abs. 2 Satz 1 BayStrWG und die mit ihr gepaarte Eingriffsmöglichkeit nach Art. 7 Abs. 2 Nr. 1 LStVG i.V.m. Art. 66 Nr. 4 BayStrWG bzw. 29 Abs. 2 Satz 2 BayStrWG streng an die Grundsätze der Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit zu binden. Damit ist in jedem konkreten Einzelfall die Prüfung erforderlich, ob die Nutzungsbeschränkung überhaupt und wenn ja, in vollem Umfang notwendig ist, um Gefahren für die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs abzuwehren. Nicht vereinbar mit der verfassungsrechtlichen Stellung des Grundstückseigentümers wäre es deshalb, eine abstrakte Gefährdung der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs als Tatbestandsvoraussetzung ausreichen zu lassen; denn dann würde auf der Grundlage einer nur generell-abstrakten Betrachtung denkbarer Verhaltensweisen oder Zustände ein Schadenseintritt als wahrscheinlich angesehen werden können. Der Interessenkonflikt zwischen Eigentümerbefugnissen und Schutzzweck des Art. 29 Abs. 2 Satz 1 und 2 BayStrWG wird vielmehr nur dann gerecht und verfassungsrechtlich unbedenklich ausgeglichen, wenn im konkreten Einzelfall in überschaubarer Zukunft bei ungehindertem Ablauf des objektiv zu erwartenden Geschehens eine Verletzung der Schutzgüter der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs von Gewicht zu erwarten ist und durch die Regelung abgewehrt werden soll. Notwendig ist also das Vorliegen einer so genannten konkreten Gefahr (vgl. BayVGH, U.v. 15.12.2004 aaO Rn. 22 ff.; VG München, U.v. 6.12.2016 – M 2 K 16.4386 – juris Rn. 23 ff.).

Die Anwendung der verfassungsrechtlichen Grundsätze der Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit bedeutet konkret, dass die Nutzungsbeschränkung des Art. 29 Abs. 2 Satz 1 BayStrWG und die mit ihr verbundene Möglichkeit, die Beseitigung anzuordnen (Art. 7 Abs. 2 Nr. 1 LStVG i.V.m. Art. 66 Nr. 4 BayStrWG bzw. Art. 29 Abs. 2 Satz 2 BayStrWG), nicht pauschal und ohne Abstufung auf allen Straßen und Wegen gleichermaßen Anwendung finden können. Der Schwerpunkt ihres Anwendungsbereichs befindet sich vielmehr dort, wo auf Grund der Verkehrsbelastung einer Straße (z.B. erhebliche durchschnittliche tägliche Verkehrsstärke) oder auf Grund ihrer besonderer Beschaffenheit (z.B. unübersichtlicher oder kurvenreicher Straßenverlauf) konkrete Gefahren für die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs drohen, wenn Sichtfelder nicht freigehalten werden oder die Übersichtlichkeit der Straße in sonstiger Weise durch Anlagen im Sinne des Art. 29 Abs. 2 Satz 1 BayStrWG beeinträchtigt wird. Das wird vor allem auf freier Strecke, d.h. außerhalb der Ortsdurchfahrten (Art. 4 Abs. 1 BayStrWG), innerorts auf Hauptdurchgangsstraßen und allgemein an Unfallschwerpunkten der Fall sein.

Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung hinzukommen muss ferner, dass die konkrete Gefahr nicht hinreichend durch andere, insbesondere einfachere oder einer bestimmten Verkehrssituation angemessene Mittel wie das Aufstellen von Verkehrsspiegeln, den Einsatz geeigneter verkehrslenkender Maßnahmen (insbesondere Verkehrszeichen) und – je nach den örtlichen Gegebenheiten – unter Umständen auch durch den Einsatz von Ampeln oder die Einrichtung von Kreisverkehrsplätzen abgewehrt werden kann. Von Bedeutung sein kann auch, ob das Grundstück mit seiner Einzäunung unmittelbar an die Fahrbahn heranreicht (wie im Fall BayObLG, B.v. 4.4.1995 = BayVBl 1995, 541) oder ob noch – wie hier – ein Gehsteig zwischengeschaltet ist (vgl. BayVGH, U.v. 15.12.2004 aaO Rn. 27 f.)

4. Vorstehendes zu Grunde gelegt, erweisen sich die Einstellung- und Rückbauverfügungen in Nr. 1.1 und 1.2 des Bescheids vom 29. Juli 2016 als rechtswidrig. Die Voraussetzungen hierfür sind von der Beklagten unzureichend ermittelt, begründet und bewertet worden.

Zum einen hat die Beklagte das Vorliegen einer konkreten Gefahr für die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs an der Einmündung der Gemeindestraße „Am …" in die Ortsdurchfahrt der Staatsstraße … im streitbefangenen Bescheid nicht ausreichend ermittelt und begründet (4.1). Zum anderen hat sie ihrer Beurteilung den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht ausreichend zu Grunde gelegt (4.2). Es ergibt sich sonach ein i.S.d. Art. 40 BayVwVfG erhebliches Ermessensdefizit, dem auch durch die weiteren, vertieften Ausführungen in der Klageerwiderung der Beklagtenbevollmächtigten vom 31. Mai 2017 nicht in ausreichender Weise – im Sinne einer Ergänzung gemäß § 114 Satz 2 VwGO – Rechnung getragen wurde (4.3).

4.1 Die tatsächlichen Ermittlungen und technischen Bewertungen der Beklagten hinsichtlich der Freihaltung des Sichtfeldes erweisen sich als defizitär. Die entsprechenden Ausführungen im Bescheid können sonach das Vorliegen einer konkreten Gefahr nicht in ausreichender Weise begründen.

Zunächst noch zutreffend erfasst die Beklagte die Verkehrsbelastung der Staatsstraße … innerhalb der Ortsdurchfahrt von … und erachtet sie als überdurchschnittlich hoch. Sie geht dabei von einem Verkehr von bis zu 10.000 Fahrzeugen täglich aus. Dies ist jedenfalls im Ergebnis zutreffend.

Ausweislich der aktuellen Verkehrsmengenkarte 2010 der Obersten Baubehörde im Bayerischen Staatsministerium des Innern, für Bau und Verkehr (im Folgenden: Oberste Baubehörde) vom 8. März 2010 beträgt der Kfz-Gesamtverkehr/24h in der Ortsdurchfahrt von … (Zählstelle …) 8270, während im Zuständigkeitsbereich des Staatlichen Bauamts … aufgrund der Straßenverkehrszählung 2010 ein entsprechender Mittelwert bei Staatsstraßen von 5025 Kfz/24h festzustellen ist (sämtlich Daten im Internet frei abrufbar unter www.baysis.bayern.de). Damit ist auch zur Überzeugung des Gerichts eine durchaus erheblich überdurchschnittliche tägliche Verkehrsstärke in der Ortsdurchfahrt der Sttaatsstraße … im Bereich der Beklagten zu konstatieren.

Als defizitär erweist sich der Bescheid im Weiteren allerdings sowohl mit Blick auf die Anwendung der Richtlinien für die Anlage von Stadtstraßen RASt 06 als einschlägigem technischem Regelwerk zur Bestimmung des Sichtfeldes als auch bei der Untersuchung der konkreten Unfallgefahr an der Einmündung der Ortsstraße „Am …“ in die Staatsstraße …

4.1.1 Die Beklagte durfte mit der von ihr gegebenen Begründung bei der Bestimmung der Schenkellänge l des Sichtfeldes nicht von einer zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h ausgehen.

Nach Art. 10 Abs. 1 BayStrWG haben die Straßenbaubehörden die allgemein anerkannten Regeln der Technik einzuhalten. Die von der Obersten Baubehörde mit Schreiben vom 11. Februar 2009 in Bayern eingeführten RASt 06 bringen die anerkannten technischen Regeln für die Anlage von Stadtstraßen zum Ausdruck. Ausgehend hiervon wird gegen eine technische Straßenausgestaltung, die sich an den Vorgaben dieser Richtlinien orientiert, regelmäßig nichts zu erinnern sein (vgl. BVerwG, U.v. 19.3.2003 – 9 A 33/02 – juris Rn. 37; VG München aaO Rn. 27).

Die Tabelle 59 zu Nr. 6.3.9.3 der RASt 06 stellt bei der Bestimmung der Schenkellänge maßgeblich auf die zulässige Höchstgeschwindigkeit Vzul der bevorrechtigten Kraftfahrzeuge, hier also auf die zulässige Höchstgeschwindigkeit innerhalb der geschlossenen Ortschaft auf der Staatsstraße … innerhalb der Ortsdurchfahrt ab. Diese bestimmt sich hier unstreitig nach § 3 Abs. 3 Nr. 1 Straßenverkehrs-Ordnung (StVO). Danach beträgt die zulässige Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften (vgl. dazu Zeichen 310) für alle Kraftfahrzeuge 50 km/h. Dies deckt sich im Übrigen auch mit auch mit den Maßgaben im o.g. Einführungsschreiben der Obersten Baubehörde vom 11. Februar 2009, mit dem die RASt 06 als technisches Regelwerk in Bayern zur Anwendung empfohlen wurden. Danach ist für die Ortsdurchfahrten u.a. von Staatsstraßen grundsätzlich darauf zu achten, dass in der Regel eine Befahrbarkeit mit der innerorts zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h sicherzustellen ist. Wenn die Beklagte hingegen – entgegen dem Vorstehenden – bei der Bestimmung des Sichtfeldes von einer Geschwindigkeit von durchschnittlich 60 km/h ausgeht und hierzu angibt, zahlreiche Fahrzeuge im Ortseingangsbereich – und damit auch an der streitbefangenen Einmündung – würden die erlaubte Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h regelmäßig noch überschreiten, führt sie damit keinen Sachverhalt an, der eine entsprechende Abweichung von der Regelbetrachtung anhand der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h in Nr. 6.3.9.3 der RASt 06 rechtfertigen könnte. Die Beklagte teilt zur Begründung lediglich mit, sie habe im Monat Juli 2016 eine Geschwindigkeitsanzeigetafel am (gemeint ist wohl der nördliche) Ortseingang von … an der Staatsstraße … aufgestellt. Eine Abweichung von der zulässigen Höchstgeschwindigkeit bei der Bestimmung des einschlägigen Sichtfeldes nach Tabelle 59 der RASt 06 hätte indes eine detaillierte Angabe zu den am nördlichen Ortseingang von … auf der Staatsstraße … festgestellten Geschwindigkeiten über einen aussagekräftigen Zeitraum hinweg vorausgesetzt. Daran fehlt es sowohl mit Blick auf die – auch aus den vorgelegten Akten im Übrigen nicht ermittelbare – konkrete Zahl entsprechender Geschwindigkeitsverstöße als auch vor dem Hintergrund der lediglich sehr kurzfristigen Einrichtung der Geschwindigkeitsanzeigetafel vor Erlass des streitgegenständlichen Bescheids im Juli 2016. Auch bleibt die Beklagte den Nachweis dafür schuldig, welche Überwachungsmaßnahmen sie, gegebenenfalls unter Einschaltung der zuständigen Polizeiinspektion, im Übrigen unternommen hat, um Geschwindigkeitsüberschreitungen im Bereich der (nördlichen) Ortsdurchfahrt möglichst wirksam zu begegnen.

Des Weiteren erweist es sich als ebenfalls nicht überzeugend, wenn die Beklagte auch aufgrund eines leichten Knicks der Staatsstraße südlich der Ortsstraße „Am …“ von einem (mit 85 m statt 70 m bemessenen und damit „überlangen“) Schenkel des streitigen Sichtfeldes ausgeht. Dies deswegen, weil die Freihaltung des Sichtfeldes hier ausschließlich der Sicherstellung der Sichtverhältnisse in Richtung des unstreitig sehr geraden und übersichtlichen Verlaufs der Staatsstraße nördlich der Ortsstraße „Am …“ zu dienen bestimmt ist, während es auf den weiteren Verlauf nach Süden hin für die streitgegenständliche Entscheidung gerade nicht ankommt. Der geschilderte Straßenverlauf ergibt sich für das Gericht dabei sowohl aus den bei den Akten der Beklagten befindlichen Fotos und dem Lageplan in Anlage zum streitbefangene Bescheid als insbesondere auch aus allgemeinkundigen, im Internet abrufbaren Luftbildern und Karten in deutlicher Weise. Aufgrund dieser Erkenntnismittel bestand für das Gericht auch kein Anlass für eine Inaugenscheinnahme. Das Gericht kann die bestehende Situation bereits anhand zahlreicher von der Beklagten in den Verfahrensakten vorgelegter Licht- und Luftbilder sowie von allgemeinkundigen Lageplänen, Karten und Luftbildaufnahmen, die im Internet frei abrufbar sind, in hinreichender Weise beurteilen. Der mit einer Ortsbesichtigung erreichbare Zweck kann mit ihrer Hilfe ebenso zuverlässig erreicht werden.

Die Zugrundelegung einer Schenkellänge l des Sichtfeldes von 85 m ist somit von der Beklagten nicht in ausreichender Weise nach den RASt 06 hergeleitet und begründet worden.

4.1.2 Auch hat die Beklagte das Vorliegen einer besonderen Unfallgeneigtheit an der streitbefangenen Einmündung lediglich behauptet, nicht aber mit entsprechenden Zahlen und Erkenntnissen empirisch belegt. Die bloße Behauptung, es handele sich um einen Unfallschwerpunkt, ist indessen gerade nicht ausreichend. Vielmehr hätte es einer Auseinandersetzung auf entsprechender Faktenbasis bedurft, wozu insbesondere eine Auswertung der Unfallsituation entlang der Ortsdurchfahrt der Staatsstraße … im Bereich der Beklagten anhand der detaillierten Erkenntnisse und Analysen der Zentralstelle für Verkehrssicherheit im Straßenbau in Bayern (vgl. www.stmi.bayern.de/vum/verkehrssicherheit/unfallkommissionen/index.php) in Betracht gekommen wäre. Die Zentralstelle für Verkehrssicherheit im Straßenbau analysiert alle polizeilich aufgenommenen Verkehrsunfälle in Bayern und erzeugt daraus digitale Unfallkarten. Eine solche Auswertung ist indes nach Aktenlage von Seiten der Beklagten – ebenso wie eine sonstige Untersuchung anhand von vergleichbarem Quellenmaterial – nicht erfolgt. Damit ergibt sich auch insoweit ein Ermittlungsdefizit.

Endlich ist es auch nicht überzeugend, wenn die Beklagte des Weiteren darauf abstellt, dass die Ortsstraße „Am …“ von vielen Jugendlichen und Kindern mit dem Fahrrad genutzt wird, die dort die Staatsstraße überqueren, um zu den gegenüberliegenden Ortsstraßen zu gelangen. Denn die Beklagte weist bereits zutreffend selbst darauf hin, dass sie die Querungssituation der Staatsstraße … im hier zu betrachtenden engeren Umgriff schon dadurch maßgeblich entschärft hat, dass dort gemeinsam mit dem Staatlichen Bauamt … eine Fußgängerampel errichtet wurde und betrieben wird.

Nach alledem hat die Beklagte nicht alle Erwägungen angestellt, die nach dem gesetzlichen Entscheidungsprogramm und technische Regelwerk erforderlich gewesen sind; sie hat den Sachverhalt in wesentlicher Hinsicht tatsächlich nicht vollständig erfasst bzw. die einschlägigen Regeln der Technik nicht zutreffend angewandt und ihrer Bewertung zugrunde gelegt. Mithin erweist sich die Sachverhaltsermittlung- und -bewertung und in der Folge auch die Rechtsanwendung und Begründung im streitigen Bescheid als in erheblichem Umfang defizitär.

4.2 Zudem hat es die Beklagte unterlassen, im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung zu untersuchen, ob die von ihr (fälschlich; s.o.) ermittelte konkrete Gefahr nicht auch in ausreichender Weise durch andere angemessene Mittel abgewehrt werden kann. Zutreffend weisen die Klägerbevollmächtigten insoweit darauf hin, dass der auch nach Auffassung des Gerichts unter Auswertung des vorliegenden Fotomaterials in den Akten des Beklagten ausreichend durchblickbare Maschendrahtzaun keine „Wandwirkung“ auslöst und die Verkehrssituation an der streitigen Einmündung durch das Aufstellen eines Verkehrsspiegels auf der gegenüberliegenden Straßenseite im Bereich der Einmündung der …straße in die Staatsstraße … in angemessener Weise mit dem Ziel der Wahrung der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs jedenfalls angemessen bewältigt werden kann. Zwar ist der Beklagten durchaus zuzugeben, dass auch ein Maschendrahtzaun grundsätzlich die Sichtbeziehungen beeinträchtigen kann, da er eine „gerasterte“ Sicht auf die kreuzende Straße bedingt. Gleichwohl ist aus den in den Akten befindlichen Fotografien im Rahmen der Baukontrolle vom 5. September 2016 erkennbar, dass der Maschendraht auch an den streitigen Pfosten nach Auffassung des Gerichts die Sicht auf die Staatsstraße nach Norden hin nicht in erheblicher Weise erschweren wird (vgl. Bild 8 und 10 der Kontrolle vom 5.9.2016). Dies gilt auch in Zusammenschau mit den Zaunpfosten der streitigen Reihe selbst, die hier in solchem Abstand zueinander aufgestellt sind, dass sie auch ihrerseits, auch zusammen mit dem dort noch nicht angebrachten Zaungeflecht, keine unzumutbare Sichteinschränkung mit sich bringen. Dies allerdings nur, wenn das Zaungeflecht nur auf der ersten (streitigen) Zaunreihe angebracht wird und gleichzeitig die zweite, vom Kläger (hilfsweise etwas weiter zurückgesetzt) bereits angebrachte Zaunpfostenreihe (einschließlich Zaungeflecht) beseitigt wird (vgl. Bilder 9 und 10 der o.g. Baukontrolle). Die zweite Zaunreihe ist im Übrigen nicht Gegenstand des vorliegenden Verwaltungsrechtsstreits.

Zu konzedierende leichtere Sichteinschränkungen infolge eines Zauns des Klägers von der Ortsstraße „Am …“ nach Norden auf die Staatsstraße hin können jedenfalls unter Einsatz des vorgenannten Verkehrsspiegels zur Überzeugung des Gerichts in einer die Verkehrssicherheit in ausreichend wahrenden Art und Weise bewältigt werden.

Die Anbringung eines Verkehrsspeigels auf öffentlichem (Straßen-)Grund, nötigenfalls sogar auch unter Heranziehung von Privateigentum im Vollzug von § 5b Abs. 6 Straßenverkehrsgesetz (StVG), stellt mithin eine einfachere und verkehrssichere Maßnahme zur ausreichenden Wahrung der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs an der Einmündung der Ortsstraße „Am …“ in die Ortsdurchfahrt der Staatsstraße … dar. Die Kosten für die Anschaffung eines Verkehrsspiegels, die sich nach Auswertung entsprechender Angebote im Internet durch das Gericht voraussichtlich noch in Bereich eines dreistelligen Euro-Betrags bewegen, fallen mit Blick auf den verfassungsrechtlichen Eigentumsschutz nicht in erheblicher Weise ins Gewicht. Gleiches gilt für Aufbau und Unterhalt eines solchen Verkehrsspiegels, der aus ohnehin zweckgebundenen Sachmitteln der Beklagten nach Auffassung des Gerichts von ihr ohne weiteres bewältigt werden kann. Im Rahmen der Prüfung der Erforderlichkeit des Eingriffs in das Privateigentum des Klägers an seinem Zaun hätte es somit einer entsprechenden Untersuchung der Beklagten bedurft, ob die relativ geringen Aufwendungen für einen Verkehrsspiegel hier ausnahmsweise nicht in Betracht kommen. Auch dies ist nicht erfolgt.

Soweit im Übrigen ein Verkehrsspiegel zu einzelnen Zeiten, insbesondere im Winter, durch Beschlagen, Reif oder Vereisung gegebenenfalls nicht voll funktionsfähig sein sollte, handelt es sich zur Überzeugung des Gerichts um in der Gesamtbetrachtung nur geringfügige Zeiträume, in denen es den Verkehrsteilnehmern auf der Ortsstraße „Am …“ auch zuzumuten ist, sich vorsichtig in die Einmündung hinein zu tasten (vgl. ebenso BayVGH, U.v. 15.12.2004, aaO Rn 32).

Nach dem vorstehend unter 4.1 und 4.2 Ausgeführten ergibt sich ein erhebliches Defizit bei der Sachverhaltsermittlung und -bewertung, das zur Rechtswidrigkeit der sicherheits- bzw. straßenrechtlichen Ermessenentscheidung der Beklagten führt.

4.3 Dieses Ermessensdefizit hat die Beklagte auch durch die ergänzenden und vertieften Erwägungen in der Klageerwiderung vom 31. Mai 2017 nicht gemäß § 114 Satz 2 VwGO kompensiert.

Zwar kommt ein Nachschieben von Ermessenserwägungen grundsätzlich auch hier in Betracht; allerdings hätte dies einerseits genügend bestimmt und andererseits auch unter Ersetzung fehlerhafter Erwägungen im streitgegenständlichen Bescheid erfolgen müssen. An beidem fehlt es hier.

Das Erfordernis hinreichender Bestimmtheit der Ergänzung von Ermessenserwägungen ergibt sich aus Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG und gilt als Ausprägung des Rechtsstaatsgebots (Art. 20 Abs. 3 GG) auch für die Änderung eines Verwaltungsakts einschließlich seiner Begründung. Wird die Änderung erst in einem laufenden Verwaltungsprozess erklärt, so muss die Behörde unmissverständlich deutlich machen, dass es sich nicht nur um prozessuales Verteidigungsvorbringen handelt, sondern um eine Änderung des Verwaltungsakts selbst. Außerdem muss deutlich werden, welche der bisherigen Erwägungen weiterhin aufrechterhalten und welche durch die neuen Erwägungen gegenstandslos werden. Andernfalls wäre dem Betroffenen keine sachgemäße Rechtsverteidigung möglich (BVerwG, U.v. 20.6.2013 – 8 C 46/12 – juris Rn. 34 f.). Das wäre mit der Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG nicht zu vereinbaren.

Die im Schriftsatz der Beklagtenbevollmächtigten vom 31. Mai 2017 – im Vergleich zum streitbefangene Bescheid erheblich vertieft und präzisiert – angestellten Überlegungen zum Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen im Rahmen von Art. 29 Abs. 2 Satz 1 BayStrWG sowie zu den im Bescheid verfügten Rechtsfolgen machen bereits nicht deutlich, dass an den von der Beklagten fehlerhaft zugrunde gelegten tatsächlichen Erkenntnissen zur Gefahrensituation, namentlich an der technischen Bestimmung des Sichtfeldes, nicht mehr festgehalten wird. Dort wird nach wie vor von einer zutreffenden Anwendung der RASt 06 sowie von einer ausreichend tatsächlich ermittelte Gefahrensituation auf der Basis der der Beklagten bereits zum Zeitpunkt des Bescheidserlasses (unzureichend) vorliegenden Erkenntnisse ausgegangen. Die ergänzenden Erwägungen, insbesondere zur Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, prüfen zudem ebenso wie der Bescheid nicht die Möglichkeit der Aufstellung eines Verkehrsspiegels an geeigneter Stelle (auf der gegenüberliegenden Straßenseite).

Damit räumt auch die Klageerwiderung vom 31. Mai 2017 sowohl aus formellen als auch aus inhaltlichen Gründen das vorliegende Ermessensdefizit nicht aus.

5. Nachdem sich die Grundverfügungen in Nr. 1.1 und 1.2 des Bescheids vom 29. Juli 2016 als rechtswidrig erweisen, liegen auch die Voraussetzungen für ihre Durchsetzung im Wege des Verwaltungszwangs (Androhung von Zwangsgeld gem. Art. 29 Abs. 2 Nr. 1, Art. 33 und Art. 36 VwZVG) in dessen Nr. 3 und 4 nicht vor. Sie waren daher ebenso wie die Kostenentscheidungen in Nr. 5 und 6 des Bescheids (vgl. Art. 16 Abs. 5 Kostengesetz – KG) aufzuheben.

Der Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. Zivilprozessordnung (ZPO).

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Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 154


(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

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(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag au

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(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs. (2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungskl

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(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich. (2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin. (3) Ni

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 103


(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör. (2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. (3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafge

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(1) Soweit nach diesem Grundgesetz ein Grundrecht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden kann, muß das Gesetz allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten. Außerdem muß das Gesetz das Grundrecht unter Angabe des Artikels

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(1) Das Gericht entscheidet, soweit nichts anderes bestimmt ist, auf Grund mündlicher Verhandlung. Die mündliche Verhandlung soll so früh wie möglich stattfinden. (2) Mit Einverständnis der Beteiligten kann das Gericht ohne mündliche Verhandlung

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Soweit die Verwaltungsbehörde ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, prüft das Gericht auch, ob der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens übersch

Baugesetzbuch - BBauG | § 9 Inhalt des Bebauungsplans


(1) Im Bebauungsplan können aus städtebaulichen Gründen festgesetzt werden: 1. die Art und das Maß der baulichen Nutzung;2. die Bauweise, die überbaubaren und die nicht überbaubaren Grundstücksflächen sowie die Stellung der baulichen Anlagen;2a. vom

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(1) Die Kammer soll in der Regel den Rechtsstreit einem ihrer Mitglieder als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen, wenn 1. die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und2. die Rechtssache keine grundsä

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(1) Die Kammer soll in der Regel den Rechtsstreit einem ihrer Mitglieder als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen, wenn

1.
die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und
2.
die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat.
Ein Richter auf Probe darf im ersten Jahr nach seiner Ernennung nicht Einzelrichter sein.

(2) Der Rechtsstreit darf dem Einzelrichter nicht übertragen werden, wenn bereits vor der Kammer mündlich verhandelt worden ist, es sei denn, daß inzwischen ein Vorbehalts-, Teil- oder Zwischenurteil ergangen ist.

(3) Der Einzelrichter kann nach Anhörung der Beteiligten den Rechtsstreit auf die Kammer zurückübertragen, wenn sich aus einer wesentlichen Änderung der Prozeßlage ergibt, daß die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder die Sache besondere Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist. Eine erneute Übertragung auf den Einzelrichter ist ausgeschlossen.

(4) Beschlüsse nach den Absätzen 1 und 3 sind unanfechtbar. Auf eine unterlassene Übertragung kann ein Rechtsbehelf nicht gestützt werden.

(1) Das Gericht entscheidet, soweit nichts anderes bestimmt ist, auf Grund mündlicher Verhandlung. Die mündliche Verhandlung soll so früh wie möglich stattfinden.

(2) Mit Einverständnis der Beteiligten kann das Gericht ohne mündliche Verhandlung entscheiden.

(3) Entscheidungen des Gerichts, die nicht Urteile sind, können ohne mündliche Verhandlung ergehen, soweit nichts anderes bestimmt ist.

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

Tatbestand

1

Der Beklagte hat der Klägerin aufgegeben, das in ihren Spielhallen verwendete Bonus- und Informationssystem stillzulegen und abzubauen. Dagegen wendet sich die Klägerin.

2

Die Klägerin betreibt in W. zwei Spielhallen, für die sie folgendes Bonus- und Informationssystem eingerichtet hat:

3

Der Kunde erhält bei seinem Eintritt in die Spielhalle eine Chipkarte, auf der sein Name, seine Kundennummer und die Kennnummer der Spielhalle eingetragen werden. Diese Chipkarte kann der Spieler in ein auf dem bespielten Geldautomaten stehendes, technisch davon aber völlig getrenntes Zusatzgerät einführen. Der Kunde zahlt bei dem Geldautomaten 20 Cent Einsatz pro Spiel in bar und erhält den Gewinn in bar ausbezahlt. Das Zusatzgerät registriert den Spielvorgang und notiert auf der Karte für jede 20-Cent-Spieleinheit einen Bonuspunkt. Die Bonuspunkte werden unabhängig von Gewinn oder Verlust gutgeschrieben. Jeder Bonuspunkt hat einen Wert von derzeit 0,9 Cent. Die Bonuspunkte können wahlweise beim Zahlen der Getränke an der Theke oder beim Verlassen der Spielothek mit Abgabe der Chipkarte in bar eingelöst werden.

4

Der Beklagte forderte nach Anhörung der Klägerin diese mit Bescheid vom 28. November 2006 auf, das in ihren Spielhallen verwendete Bonus- und Informationssystem bis spätestens 7. Dezember 2006 stillzulegen und bis spätestens 15. Dezember 2006 abzubauen (Nr. 1 und 2). Für den Fall der Zuwiderhandlung gegen die Stilllegungsanordnung und die Entfernungsanordnung in Nr. 1 und 2 des Bescheids wurde ein Zwangsgeld von jeweils 1 000 € zur Zahlung angedroht (Nr. 3 und 4). Zur Begründung wurde ausgeführt, gemäß Art. 7 Abs. 2 LStVG könnten die Sicherheitsbehörden erforderliche Maßnahmen treffen, um bevorstehende Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung abzuwehren oder Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zu beseitigen. Das verwendete Bonus- und Informationssystem verstoße gegen § 9 Abs. 2 SpielV in der Fassung der Bekanntmachung vom 27. Januar 2006 (BGBl I S. 280). Danach dürften dem Spieler neben der Ausgabe von Gewinnen über gemäß den §§ 33c und 33d GewO zugelassene Spielgeräte keine sonstigen Gewinnchancen in Aussicht gestellt und keine Zahlungen oder sonstige finanzielle Vergünstigungen gewährt werden. Die bei Einlösung gesammelter Bonuspunkte gewährte Barzahlung stelle eine solche verbotene Zahlung dar.

5

Nach erfolglosem Widerspruchsverfahren gab das Verwaltungsgericht der Klage der Klägerin mit Urteil vom 23. Oktober 2007 statt und hob den angefochtenen Bescheid auf. Ihm fehle eine die Maßnahme tragende Rechtsgrundlage. § 9 Abs. 2 SpielV sei nicht als "allumfassende Auffangnorm" des Verbots jedweder Vergünstigung im Zusammenhang mit dem Spielbetrieb zu verstehen, sondern "gewinnorientiert" formuliert. Gesetzliche Zielrichtung sei, all das zu untersagen, was bei dem Spieler den Eindruck erwecke, er könne seine Gewinnchancen steigern bzw. maximieren. Dies sei bei dem Bonus- und Informationssystem nicht der Fall. Die gewährte Vergünstigung sei nicht "spielbezogen". Die Bonierung beziehe sich weder unmittelbar auf den Anreiz zum Weiterspielen noch sei sie gewinnabhängig. Eine Umdeutung in eine Verbotsverfügung nach Art. 7 Abs. 2 Nr. 1 LStVG i.V.m. § 19 Abs. 1 Nr. 8, § 9 Abs. 1 Satz 1 SpielV sei unzulässig.

6

Gegen die Entscheidung hat der Beklagte die vom Verwaltungsgericht zugelassene Berufung eingelegt. § 9 Abs. 2 SpielV sei als Auffangvorschrift anzusehen. Mit § 9 Abs. 2 SpielV sollten sämtliche Zahlungen und Vergünstigungen verboten werden, die neben der Ausgabe von Gewinnen gewährt werden. Auch der Zweck der Norm, die Eindämmung des Spieltriebs, spreche für ein solches Normverständnis.

7

Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Urteil vom 15. Oktober 2008 die Berufung zurückgewiesen. Das von der Klägerin betriebene Bonus- und Informationssystem verstoße weder gegen § 9 Abs. 1 noch gegen § 9 Abs. 2 SpielV. Zwar liege in der Heranziehung des § 9 Abs. 1 SpielV keine unzulässige richterliche Umdeutung der Verbotsverfügung. Der Tatbestand der Norm sei aber nicht erfüllt, weil diese nicht jeden Nachlass auf den Einsatz, sondern nur Einsatzermäßigungen "für weitere Spiele" verbiete. Unzulässig seien danach nur Mengen- und Dauerrabatte, die an eine bestimmte Spielzahl oder Spielzeit gekoppelt seien und zum Weiterspielen animierten. Dagegen habe der Verordnungsgeber einen reinen Preisnachlass, wie ihn das Bonussystem gewähre, mit Rücksicht auf die Wettbewerbsfreiheit der Aufsteller nicht verbieten wollen.

8

Das von der Klägerin betriebene Bonus- und Informationssystem sei auch nicht nach § 9 Abs. 2 SpielV verboten. Diese Vorschrift sei auf Nachlässe für den Einsatz und sonstige Einsatzvergünstigungen nicht anwendbar. § 9 Abs. 1 SpielV sei insoweit eine abschließende Sonderregelung und § 9 Abs. 2 SpielV dürfe nicht als eine jegliche finanzielle Vergünstigung erfassende Auffangvorschrift begriffen werden. Systematische und teleologische Gründe sprächen gegen eine derart weitreichende Interpretation. Dem Gesetzgeber sei es um die Unterbindung von Spielanreizen gegangen, die unabhängig vom einzelnen Spiel im Verhältnis vom Aufsteller zum Spieler geschaffen würden. Da die Einsatzrabatte vom einzelnen Spiel abhängig seien, hätten sie nicht im Focus des Verordnungsgebers gestanden. Interpretiere man § 9 Abs. 2 SpielV als umfassende und auch auf Einsatzvergünstigungen anwendbare Auffangnorm, verbliebe dem Einsatzermäßigungsverbot des § 9 Abs. 1 Satz 1 SpielV kein sinnvoller Anwendungsbereich mehr. Der Umstand, dass der Verordnungsgeber gleichzeitig mit der Einführung des § 9 Abs. 2 SpielV den § 9 Abs. 1 Satz 1 SpielV neu gefasst habe, spreche gegen die Annahme, dass er dieser Vorschrift jeden eigenständigen Anwendungsbereich habe nehmen wollen. Die Regelung diene dem Spielerschutz und stelle sicher, dass insbesondere die Gewinn- und Verlustgrenzen des § 13 SpielV nicht umgangen würden. Zweck der Regelung sei es, das bereits bestehende Schutzniveau aufrechtzuerhalten und gegen neuartige Spielanreize zu verteidigen. Es sollten Lücken im bestehenden Schutzsystem geschlossen werden. Hingegen sollte das Schutzniveau nicht grundlegend angehoben werden. Bei dem Bonussystem handele es sich nicht um einen neuartigen, vom Einzelspiel losgelösten und gesteigerten Spielanreiz. Es beinhalte in technischer Hinsicht etwas Neues, während es wirtschaftlich betrachtet ein altbekanntes und bereits nach § 9 Abs. 1 Satz 1 SpielV zulässiges Rabattsystem darstelle. Da der Spieler weder in gesteigerter Weise zum Weiterspiel angereizt werde, noch die Gewinn- und Verlustgrenzen des § 13 SpielV umgangen würden, widerspreche das Bonussystem nicht dem von § 9 Abs. 2 SpielV beabsichtigten Spielerschutz.

9

Gegen die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs hat der Beklagte die im angegriffenen Urteil zugelassene Revision eingelegt. Er beantragt,

das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 15. Oktober 2008 und das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 23. Oktober 2007 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

10

Zur Begründung des Antrags trägt er vor, die Novelle des § 9 SpielV 2006 stelle sich als Spielerschutznovelle dar. Die Vorschrift des § 9 Abs. 1 und 2 SpielV sei als einheitliche Gesamtregelung zu lesen. Der Verordnungsgeber habe mit der Erweiterung des § 9 SpielV um einen Absatz 2 gegenwärtigen und künftigen Fehlentwicklungen entgegenwirken wollen, die unerwünschte Spielanreize durch Vergünstigungen neben der Ausgabe von nach der Bauartzulassung zugelassenen Gewinnen schafften. Bei der Auszahlung oder Verrechnung des durch die Bonuspunkte gesammelten Guthabens handele es sich um eine nach § 9 Abs. 2 SpielV unzulässige Zahlung oder sonstige finanzielle Vergünstigung. Die Auslegung des § 9 SpielV durch den Verwaltungsgerichtshof sei mit dem Wortlaut, der Entstehungsgeschichte und dem Sinn und Zweck der Norm nicht zu vereinbaren. Die Anwendung des § 9 Abs. 2 SpielV scheitere auch nicht daran, dass es sich bei dem Bonussystem um einen Nachlass auf den Einsatz im Sinne des § 9 Abs. 1 SpielV handele. Wirtschaftlich handele es sich entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts nicht um einen üblichen Preisrabatt. Eine direkte Verknüpfung mit dem Preis für jedes Spiel, wie dies bei einem Rabatt üblich sei, bestehe nicht. Allenfalls hänge die Höhe des Guthabens mit dem Einsatz zusammen. Damit handele es sich um eine sonstige spielbezogene Zahlung oder finanzielle Vergünstigung im Sinne des § 9 Abs. 2 SpielV.

11

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

12

Sie macht geltend, § 9 Abs. 1 Satz 1 SpielV regele abschließend, ob und unter welchen Voraussetzungen ein Nachlass auf den Einsatz gewährt werden dürfe. Nicht verboten sei ein Nachlass, der unabhängig von der Spieldauer in gleicher Höhe für jedes einzelne Spiel gewährt werde. Die Gewährung eines solchen Nachlasses verstoße auch nicht gegen § 9 Abs. 2 SpielV. Dagegen spreche bereits die Gesetzessystematik. Der Verordnungsgeber habe den früheren § 9 Satz 1 SpielV im neuen § 9 Abs. 1 Satz 1 SpielV im Sinne der bisherigen Rechtsprechung als Verbot der Einsatzermäßigung - nur - für weitere Spiele präzisiert. Der neu eingefügte § 9 Abs. 2 SpielV verbiete dagegen das In-Aussicht-Stellen von sonstigen Gewinnchancen. Er dürfe nicht subsidiär auf Einsatznachlässe angewendet werden, die bereits in § 9 Abs. 1 Satz 1 SpielV speziell geregelt seien. Die dortige differenzierende, Nachlässe nicht ausnahmslos verbietende Regelung sei überflüssig, wenn stets auch § 9 Abs. 2 SpielV eingreife.

Entscheidungsgründe

13

Die Revision des Beklagten hat Erfolg. Zwar ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, dass der Verwaltungsgerichtshof die polizeirechtliche Generalklausel herangezogen (1.) und § 9 Abs. 1 Satz 1 SpielV als mögliche Rechtsgrundlage der angefochtenen Verfügung geprüft hat (2.). Er hat dessen Anwendbarkeit auch im Ergebnis zutreffend verneint (3.). Seine Auffassung, § 9 Abs. 2 SpielV greife als Verbotsnorm wegen der speziellen Regelung in § 9 Abs. 1 Satz 1 SpielV vorliegend nicht ein, verstößt jedoch gegen Bundesrecht (4.). Die Entscheidung stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 144 Abs. 4 VwGO) (5.).

14

1. Rechtsgrundlage der Stilllegungs- und Abbauanordnung ist Art. 7 Abs. 2 Nr. 1 LStVG. Danach kann die Sicherheitsbehörde zur Erfüllung ihrer Aufgaben Anordnungen für den Einzelfall treffen, um rechtswidrige Taten, die den Tatbestand einer Ordnungswidrigkeit verwirklichen, zu verhüten oder zu unterbinden. An die Anwendung dieser irrevisiblen Vorschrift durch den Verwaltungsgerichtshof ist das Revisionsgericht gebunden. § 1 GewO steht ihr nicht entgegen. § 1 Abs. 1 GewO gestattet jedermann den Betrieb eines Gewerbes, soweit nicht durch die Gewerbeordnung Ausnahmen oder Beschränkungen vorgeschrieben oder zugelassen sind. § 1 GewO gilt aber nur für die Zulassung zum Gewerbebetrieb (Urteil vom 24. Juni 1971 - BVerwG 1 C 39.67 - BVerwGE 38, 209). Ist - wie vorliegend - die Art und Weise der Gewerbeausübung Gegenstand ordnungsbehördlichen Einschreitens, können die landesrechtlichen polizeilichen Generalklauseln herangezogen werden, um mit ihrer Hilfe eine eigenständige Eingriffsgrundlage zu schaffen (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 1. September 1989 - 14 S 2193/87 - GewArch 1990, 403; OVG Münster, Beschluss vom 13. Februar 1997 - 4 A 762/96 - DÖV 1997, 1055). Auch die Möglichkeit einer nachträglichen Auflagenerteilung nach § 33i Abs. 1 Satz 2 GewO schließt eine auf die landesrechtliche polizeiliche Generalklausel gestützte Stilllegungs- und Abbauanordnung nicht aus (Beschluss vom 17. März 1993 - BVerwG 1 B 33.93 - Buchholz 451.20 § 33i GewO Nr. 13).

15

2. Zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass die angefochtene Verfügung sowohl im Hinblick auf § 9 Abs. 1 Satz 1 SpielV als auch auf § 9 Abs. 2 SpielV zu überprüfen ist. Die Überlegung, eine umfassende richterliche Rechtmäßigkeitskontrolle erfordere, den Anwendungsbereich beider Verbotstatbestände im vorliegenden Fall zu überprüfen, steht mit Bundesrecht im Einklang (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

16

Die Frage, ob ein angefochtener Bescheid materiell rechtmäßig oder rechtswidrig ist, richtet sich nach dem Recht, das geeignet ist, die getroffene Regelung zu rechtfertigen. Erweist sie sich aus anderen als in dem Bescheid angegebenen Gründen als rechtmäßig, ohne dass sie durch den Austausch der Begründung in ihrem Wesen geändert würde, dann ist der Verwaltungsakt im Sinne des § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO nicht rechtswidrig (Urteil vom 19. August 1988 - BVerwG 8 C 29.87 - BVerwGE 80, 96 <98>). So liegt der Fall hier. Der Regelungsgehalt der angegriffenen Ordnungsverfügung bliebe im Wesentlichen unverändert, wenn die Gefahr für die öffentliche Sicherheit mit einem Verstoß gegen § 9 Abs. 1 Satz 1 SpielV anstelle des von der Behörde herangezogenen § 9 Abs. 2 SpielV begründet würde. Der Austausch beider Normen ließe den Tenor der Grundverfügung, die Verpflichtung zur Stilllegung und zum Abbau des Bonus- und Informationssystems, unberührt. Er erforderte auch keine wesentlich anderen oder zusätzlichen Ermessenserwägungen.

17

3. Der Verwaltungsgerichtshof ist im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, dass § 9 Abs. 1 Satz 1 SpielV das Bonus- und Informationssystem der Klägerin nicht verbietet. Das angegriffene Urteil ordnet den Bonus von 0,9 Cent pro Spiel zwar irrig als "Nachlass auf den Einsatz" im Sinne der Vorschrift ein, erkennt jedoch zutreffend, dass der Bonus jedenfalls nicht "für weitere Spiele" im Sinne des § 9 Abs. 1 Satz 1 SpielV gewährt wird.

18

Gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 SpielV darf der Aufsteller eines Spielgerätes oder der Veranstalter eines anderen Spieles dem Spieler für weitere Spiele hinsichtlich der Höhe der Einsätze keine Vergünstigungen, insbesondere keine unentgeltlichen Spiele, Nachlässe des Einsatzes oder auf den Einsatz oder darüber hinausgehende sonstige finanzielle Vergünstigungen gewähren. Diese Vorschrift betrifft den Mittelfluss vom Spieler zum Aufsteller oder Veranstalter. Sie verbietet Vergünstigungen, die die Höhe des Einsatzes für weitere Spiele herabsetzen. Dabei erfasst das Tatbestandsmerkmal des Nachlasses auf den Einsatz nur Ermäßigungen des vom Spieler zu zahlenden Einsatzbetrages, nicht jedoch die teilweise Rückgewähr gezahlter Einsätze oder Gutschriften auf den zunächst in voller Höhe zu zahlenden Einsatz. Solche finanziellen Vergünstigungen unterfallen als Rückflüsse vom Aufsteller oder Veranstalter zum Spieler nicht § 9 Abs. 1 Satz 1 SpielV, sondern sind am Maßstab des § 9 Abs. 2 SpielV zu prüfen.

19

Die gegenteilige Auffassung des angegriffenen Urteils, das eine wirtschaftliche Betrachtungsweise zugrunde legt und den Bonus als Einsatzrabatt versteht, übersieht, dass diese weite, zu § 9 Satz 1 SpielV a.F. entwickelte Tatbestandsauslegung nicht ohne Weiteres auf § 9 Abs. 1 Satz 1 SpielV übertragen werden kann. Die frühere, nicht nach Einsatzermäßigung und Rückfluss von Mitteln differenzierende Regelung des § 9 Satz 1 SpielV a.F. legte eine wirtschaftliche Betrachtungsweise nahe, nach der auch Einsatzrabatte in Form nachträglicher teilweiser Rückgewähr oder Gutschrift des gezahlten Einsatzes vom Tatbestand erfasst waren. Dies entsprach dem Sinn und Zweck der Regelung, zur Eindämmung der Spielsucht jede Vergünstigung für künftige Spiele zu untersagen, und ergänzte die Verpflichtung des Aufstellers aus § 33c Abs. 1 GewO, Geldgewinnspielgeräte entsprechend der dafür erteilten Bauartzulassung aufzustellen und nicht so zu manipulieren, dass mit einem geringeren Einsatz gespielt werden konnte (Urteil vom 23. November 2005 - BVerwG 6 C 8.05 - Buchholz 451.20 § 33c GewO Nr. 6).

20

Die hier anzuwendende Neuregelung in § 9 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 SpielV verfolgt denselben Regelungszweck und ergänzt ebenfalls das Verbot technischer Manipulation. Sie unterscheidet aber systematisch zwischen finanziellen Vergünstigungen hinsichtlich der Höhe des vom Spieler zu erbringenden Einsatzes einerseits und solchen, die der Aufsteller oder Veranstalter des Spiels dem Spieler zuwendet, andererseits. Der Anwendungsbereich des § 9 Abs. 1 Satz 1 SpielV beschränkt sich danach auf Ermäßigungen des vom Spieler geschuldeten Einsatzes. Rückflüsse vom Aufsteller oder Veranstalter zum Spieler, die das Zahlen des vollen Einsatzes voraussetzen und daran eine Rückgewähr, Gutschrift oder sonstige finanzielle Vergünstigung knüpfen, werden von § 9 Abs. 2 SpielV erfasst. Er verbietet dem Aufsteller oder Veranstalter, dem Spieler neben der Ausgabe von Gewinnen über die nach §§ 33c, 33d GewO zugelassenen Spielgeräte und Spiele hinaus sonstige finanzielle Vergünstigungen zu gewähren.

21

Der Einwand der Klägerin, damit bleibe für § 9 Abs. 1 Satz 1 SpielV kein eigenständiger Anwendungsbereich, trifft nicht zu. Zum einen bezieht der Tatbestand des § 9 Abs. 1 Satz 1 SpielV neben Spielgeräten, für die bereits das aus § 33c Abs. 1 GewO abzuleitende Manipulationsverbot gilt, auch sonstige Spiele ein. Zum anderen ist die Vorschrift nach wie vor für den Betrieb von Spielgeräten relevant, weil sie dem Aufsteller verbietet, den Einsatz für weitere Spiele in anderer Weise als durch Gerätemanipulation zu ermäßigen, etwa, indem Besuchern der Spielhalle ein Zuschuss zum Einsatz für ein künftiges Spiel angeboten wird (vgl. Urteil vom 23. November 2005 - BVerwG 6 C 9.05 - GewArch 2006, 158 zur Zuwendung eines Geldbetrages, der von Bediensteten der Spielhalle in das Gerät einzuwerfen war). Im Übrigen lässt die Formulierung des § 9 Abs. 1 Satz 1 SpielV erkennen, dass der Verordnungsgeber nicht davon ausging, jede Vergünstigungsalternative müsse für jede denkbare Spielvariante realisierbar sein. Vielmehr sollte der nur beispielhaft konkretisierte, zahlreiche Alternativen erfassende, generalklauselartige Tatbestand alle denkbaren, auch erst künftig zu entwickelnden Formen der Einsatzermäßigung für künftige Spiele erfassen.

22

Das von der Klägerin verwendete System stellt keine finanzielle Vergünstigung auf den Spieleinsatz dar, weil der Spieler für jedes Spiel den vollen Spieleinsatz bezahlt und eine teilweise Rückgewähr des Spieleinsatzes vom Aufsteller zum Spieler erst im Nachhinein erfolgt. Der Spieler hat die Wahl, die angesammelten Bonuspunkte als Zahlungsmittel für Getränke zu verwenden oder sich auszahlen zu lassen. Damit unterscheidet sich das Bonussystem der Klägerin wesentlich von der Gewährung eines Nachlasses bzw. Rabattes, der in Beziehung zu dem konkreten jeweiligen Spielvorgang zu sehen ist und unmittelbar zu einer Einsatzvergünstigung führt. Hier handelt es sich um eine Leistung des Aufstellers an den Spieler, die mit dem vom Spieler geleisteten Einsatz nur mittelbar insoweit zusammenhängt, als sich die Höhe des Guthabens auf der Chipkarte nach der Anzahl der getätigten Spiele bestimmt.

23

Die Annahme des Verwaltungsgerichtshofs, der mit dem Bonussystem gewährte Rabatt beziehe sich nicht auf "weitere Spiele", trifft jedoch im Ergebnis zu.

24

Nicht zu folgen ist allerdings seiner einengenden "finalen" Interpretation des Verbotstatbestandes auf die bisher entschiedenen Fallgruppen des mengen- und des spieldauerabhängigen Rabatts, die sonstige einsatzbezogene Nachlässe für weitere Spiele, etwa die Gewährung nicht in der Software des zugelassenen Geräts angelegter Freispiele, unberücksichtigt lässt. Das Tatbestandsmerkmal "für weitere Spiele" gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 SpielV stellt auf den Bezugspunkt der Vergünstigung und auf deren Eignung ab, den Spieler zum Weiterspielen zu motivieren. Ob dies vom Aufsteller beabsichtigt oder aus seiner Sicht nur die Nebenfolge einer auf den Preiswettbewerb zielenden Maßnahme darstellt, ist nach dem Wortlaut und dem Sinn und Zweck der Vorschrift unerheblich. Die Annahme des Verwaltungsgerichtshofs, der Verordnungsgeber habe mit Rücksicht auf die Wettbewerbsfreiheit einen Preiswettbewerb nicht verhindern wollen, und die daraus abgeleitete einschränkende Auslegung des Verbots einsatzbezogener Vergünstigungen nach § 9 Abs. 1 Satz 1 SpielV, sind weder entstehungsgeschichtlich belegt noch grundrechtlich herzuleiten. Die Wettbewerbsfreiheit zwingt nicht zur restriktiven Auslegung des Verbots. Den Aufstellern bleibt es auch bei einer weiten, jede einsatzbezogene Vergünstigung erfassenden Interpretation unbenommen, durch nicht spielbezogene Leistungen in Wettbewerb zueinander zu treten.

25

"Für weitere Spiele" wird eine Vergünstigung nur gewährt, wenn sie den Einsatz für ein dem aktuellen Spiel nachfolgendes, noch nicht begonnenes Spiel ermäßigt, oder wenn sie von der Durchführung mindestens eines Folgespiels abhängt oder nur zu diesem Zweck eingelöst werden kann. Nach dem eindeutigen Wortsinn kann als "weiteres" Spiel nur ein Spiel bezeichnet werden, das auf ein bereits abgeschlossenes oder noch laufendes Spiel folgt. Deshalb stellen auch die Entscheidungen zum sog. PEP-System und Bonus-Dollar-System darauf ab, dass die Vergünstigung während einer Spielfrequenz für die bis zum Ablauf der Stunde noch möglichen, den bisherigen Spielen sich anschließenden "Folgespiele" angekündigt wird (vgl. Urteile vom 23. November 2005 - BVerwG 6 C 8.05 - Buchholz 451.20 § 33c GewO Nr. 6 und - BVerwG 6 C 9.05 - GewArch 2006, 158). Es genügt nicht, dass die Vergünstigung - wie im Bonus- und Informationssystem der Klägerin - für das jeweils aktuelle Spiel gewährt wird, ohne den Einsatz für Folgespiele zu ermäßigen, von diesen abhängig oder dafür zweckgebunden zu sein.

26

Anhaltspunkte für eine darüber hinausgehende Auslegung des Merkmals "für weitere Spiele" bieten weder die Entstehungsgeschichte noch der systematische Zusammenhang der Norm. Ihre Neufassung war den PEP- und Bonus-Dollar-Systemen geschuldet, die eine Rückerstattung von der Durchführung von Folgespielen bis zum Ablauf einer Stunde abhängig machten, also von einem Ausschöpfen des Zeitraums, nach dem § 13 Abs. 1 Nr. 5 SpielV eine Spielpause von mindestens fünf Minuten vorschreibt.

27

4. Das Berufungsgericht hat jedoch § 9 Abs. 2 SpielV zu Unrecht nicht als tragfähiges Verbot für das von der Klägerin an ihren Spielautomaten installierte Bonus- und Informationssystem angesehen. Danach darf der Aufsteller eines Spielgerätes oder der Veranstalter eines anderen Spieles dem Spieler neben der Ausgabe von Gewinnen über gemäß den §§ 33c und 33d der Gewerbeordnung zugelassene Spielgeräte oder andere Spiele keine sonstigen Gewinnchancen in Aussicht stellen und keine Zahlungen oder sonstigen finanziellen Vergünstigungen gewähren.

28

Die bei Einlösung gesammelter Bonuspunkte durch die Klägerin gewährte Rückerstattung von 0,9 Cent pro Punkt stellt eine verbotene, über die zulässige Gewinnausschüttung hinausgehende Zahlung dar, soweit sie in bar erfolgt. Soweit der Spieler die gesammelten Bonuspunkte beim Zahlen von Getränken einsetzen kann, handelt es sich um eine sonstige finanzielle Vergünstigung im Sinne der Verordnung.

29

9 Abs. 2 SpielV bezieht sich auch nicht nur auf Gewinnchancen und gewinnähnliche Vergünstigungen, die spielbezogen sind. Weder dem Wortlaut der Regelung, ihrer Entstehungsgeschichte und ihrem Sinn und Zweck noch ihrem systematischen Verhältnis zu § 9 Abs. 1 Satz 1 SpielV wird eine derart einengende Interpretation gerecht.

30

Schon aus dem Wortlaut folgt, dass das Verbot, dem Spieler neben der Ausgabe von Gewinnen "Zahlungen oder sonstige finanzielle Vergünstigungen" zu gewähren, als selbstständige Alternative neben dem Verbot steht, dem Spieler sonstige Gewinnchancen in Aussicht zu stellen.

31

Der systematische Vergleich mit § 9 Abs. 1 Satz 1 SpielV bestätigt dies. Anders als § 9 Abs. 1 Satz 1 SpielV, der eine Verknüpfung der dem Spieler gewährten Vergünstigung mit dem Einsatz voraussetzt, stellt § 9 Abs. 2 SpielV gleichrangig neben das Verbot, keine sonstigen Gewinnchancen in Aussicht zu stellen, das Verbot, Zahlungen oder sonstige finanzielle Vergünstigungen zu gewähren.

32

Auch die Entstehungsgeschichte stützt die Auslegung des § 9 Abs. 2 SpielV als weit gefasste Verbotsnorm, die neben der Ausgabe von Gewinnen, die über zugelassene Spielgeräte (§ 33c GewO) erfolgen, jeglichen Mittelfluss vom Aufsteller des Spielgerätes oder dem Veranstalter eines anderen Spieles an den Spieler unterbinden will.

33

§ 9 Abs. 2 SpielV wurde mit der Fünften Verordnung zur Änderung der Spielverordnung vom 17. Dezember 2005 (BGBl I S. 3495) in die Spielverordnung eingefügt. Während der ursprüngliche Änderungsvorschlag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit lediglich eine Neufassung des § 9 SpielV vorsah, der § 9 Abs. 1 Satz 1 SpielV in der nunmehr gültigen Fassung entspricht, wurde § 9 Abs. 2 SpielV aufgrund eines Antrags des Freistaates Bayern im Gesetzgebungsverfahren in die Spielverordnung aufgenommen und im nachfolgenden Beschluss des Bundesrates übernommen (vgl. BRDrucks 655/05 S. 3; 655/1/05 S. 1 f.; 655/2/05 S. 1 f.). Der Bundesrat hielt eine Ergänzung des damaligen § 9 Satz 1 SpielV für nicht ausreichend, um der Umgehung von Gewinn- und Verlustgrenzen Einhalt zu gebieten. Der neu eingefügte § 9 Abs. 2 SpielV wurde bewusst weit gefasst, um vor allem Jackpots zu verbieten, aber nicht nur diese. Neben dem Verbot, dem Spieler sonstige Gewinnchancen in Aussicht zu stellen, wurde noch eine weitere Tatbestandsalternative aufgenommen, die weite Bereiche der Gewährung von Vergünstigungen durch den Aufsteller bzw. Veranstalter an den Spieler abdecken sollte, um so die Gewinn- und Verlustgrenzen des § 13 Abs. 1 Nr. 3 und 4 SpielV umfassend zu sichern. Zu diesem Zweck wurde das Verbot auch nicht auf spielbezogene Vergünstigungen beschränkt, sondern auf alle finanziellen Vergünstigungen im Verhältnis der Aufsteller oder Veranstalter zum Spieler erstreckt (vgl. BRDrucks 655/1/05 S. 5; 655/2/05 S. 3).

34

Dieses weite Verständnis von § 9 Abs. 2 SpielV entspricht auch seinem Sinn und Zweck. Die Regelung dient dem Spielerschutz. Das Verbot gilt unabhängig vom einzelnen Spiel im Verhältnis Aufsteller/Veranstalter zum Spieler. Es betrifft die sog. Jackpots und andere Sonderzahlungen im Hinblick auf die gesteigerten Spielanreize und das damit verbundene Suchtpotenzial. Gleichzeitig dient es der Einhaltung der Gewinn- und Verlustgrenzen des § 13 SpielV, deren Regelung der Verordnungsgeber besondere Bedeutung beigemessen hat (vgl. BRDrucks 655/1/05 S. 5 f.; Hahn, in: Friauf, Gewerbeordnung, Stand: Januar 2010, § 9 Rn. 3; Marcks, in: Landmann/Rohmer, Gewerbeordnung, Band 2, Stand: Mai 2009, § 9 Rn. 5).

35

Der systematische Zusammenhang des § 9 Abs. 1 Satz 1 und des § 9 Abs. 2 SpielV rechtfertigt keine abweichende Auslegung, sondern zeigt zwei klar zu trennende Anwendungsbereiche. § 9 Abs. 1 Satz 1 SpielV regelt speziell einsatzbezogene Vergünstigungen, die den Bereich des Mittelflusses vom Spieler zum Aufsteller betreffen. Sie sind - nur - verboten, wenn sie für weitere Spiele gewährt werden. Daneben greift § 9 Abs. 2 SpielV als umfassendes Verbot sonstiger finanzieller Vergünstigungen und Zahlungen neben der Gewinnausgabe bei einem Mittelrückfluss und sonstigen finanziellen Zuwendungen vom Aufsteller oder Veranstalter zum Spieler.

36

5. Die Entscheidung des Berufungsgerichts erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 144 Abs. 4 VwGO). Sonstige Gründe, aus denen die angegriffene Verordnungsverfügung rechtswidrig sein könnte, sind weder vorgetragen noch erkennbar. Die Anordnung konkretisiert die verordnungsrechtliche Berufsausübungsregelung verhältnismäßig und ermessensfehlerfrei. Die Zwangsgeldandrohungen entsprechen den Anforderungen des rechtsstaatlichen Bestimmtheitsgrundsatzes. Dass sie für jede betroffene Spielhalle gesondert verfügt wurden, macht deutlich, dass schon die Missachtung der Grundverfügung in einer von beiden die Zwangsgeldforderung in voller Höhe auslöst.

(1) Im Bebauungsplan können aus städtebaulichen Gründen festgesetzt werden:

1.
die Art und das Maß der baulichen Nutzung;
2.
die Bauweise, die überbaubaren und die nicht überbaubaren Grundstücksflächen sowie die Stellung der baulichen Anlagen;
2a.
vom Bauordnungsrecht abweichende Maße der Tiefe der Abstandsflächen;
3.
für die Größe, Breite und Tiefe der Baugrundstücke Mindestmaße und aus Gründen des sparsamen und schonenden Umgangs mit Grund und Boden für Wohnbaugrundstücke auch Höchstmaße;
4.
die Flächen für Nebenanlagen, die auf Grund anderer Vorschriften für die Nutzung von Grundstücken erforderlich sind, wie Spiel-, Freizeit- und Erholungsflächen sowie die Flächen für Stellplätze und Garagen mit ihren Einfahrten;
5.
die Flächen für den Gemeinbedarf sowie für Sport- und Spielanlagen;
6.
die höchstzulässige Zahl der Wohnungen in Wohngebäuden;
7.
die Flächen, auf denen ganz oder teilweise nur Wohngebäude, die mit Mitteln der sozialen Wohnraumförderung gefördert werden könnten, errichtet werden dürfen;
8.
einzelne Flächen, auf denen ganz oder teilweise nur Wohngebäude errichtet werden dürfen, die für Personengruppen mit besonderem Wohnbedarf bestimmt sind;
9.
der besondere Nutzungszweck von Flächen;
10.
die Flächen, die von der Bebauung freizuhalten sind, und ihre Nutzung;
11.
die Verkehrsflächen sowie Verkehrsflächen besonderer Zweckbestimmung, wie Fußgängerbereiche, Flächen für das Parken von Fahrzeugen, Flächen für Ladeinfrastruktur elektrisch betriebener Fahrzeuge, Flächen für das Abstellen von Fahrrädern sowie den Anschluss anderer Flächen an die Verkehrsflächen; die Flächen können auch als öffentliche oder private Flächen festgesetzt werden;
12.
die Versorgungsflächen, einschließlich der Flächen für Anlagen und Einrichtungen zur dezentralen und zentralen Erzeugung, Verteilung, Nutzung oder Speicherung von Strom, Wärme oder Kälte aus erneuerbaren Energien oder Kraft-Wärme-Kopplung;
13.
die Führung von oberirdischen oder unterirdischen Versorgungsanlagen und -leitungen;
14.
die Flächen für die Abfall- und Abwasserbeseitigung, einschließlich der Rückhaltung und Versickerung von Niederschlagswasser, sowie für Ablagerungen;
15.
die öffentlichen und privaten Grünflächen, wie Parkanlagen, Naturerfahrungsräume, Dauerkleingärten, Sport-, Spiel-, Zelt- und Badeplätze, Friedhöfe;
16.
a)
die Wasserflächen und die Flächen für die Wasserwirtschaft,
b)
die Flächen für Hochwasserschutzanlagen und für die Regelung des Wasserabflusses,
c)
Gebiete, in denen bei der Errichtung baulicher Anlagen bestimmte bauliche oder technische Maßnahmen getroffen werden müssen, die der Vermeidung oder Verringerung von Hochwasserschäden einschließlich Schäden durch Starkregen dienen, sowie die Art dieser Maßnahmen,
d)
die Flächen, die auf einem Baugrundstück für die natürliche Versickerung von Wasser aus Niederschlägen freigehalten werden müssen, um insbesondere Hochwasserschäden, einschließlich Schäden durch Starkregen, vorzubeugen;
17.
die Flächen für Aufschüttungen, Abgrabungen oder für die Gewinnung von Steinen, Erden und anderen Bodenschätzen;
18.
a)
die Flächen für die Landwirtschaft und
b)
Wald;
19.
die Flächen für die Errichtung von Anlagen für die Kleintierhaltung wie Ausstellungs- und Zuchtanlagen, Zwinger, Koppeln und dergleichen;
20.
die Flächen oder Maßnahmen zum Schutz, zur Pflege und zur Entwicklung von Boden, Natur und Landschaft;
21.
die mit Geh-, Fahr- und Leitungsrechten zugunsten der Allgemeinheit, eines Erschließungsträgers oder eines beschränkten Personenkreises zu belastenden Flächen;
22.
die Flächen für Gemeinschaftsanlagen für bestimmte räumliche Bereiche wie Kinderspielplätze, Freizeiteinrichtungen, Stellplätze und Garagen;
23.
Gebiete, in denen
a)
zum Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen im Sinne des Bundes-Immissionsschutzgesetzes bestimmte Luft verunreinigende Stoffe nicht oder nur beschränkt verwendet werden dürfen,
b)
bei der Errichtung von Gebäuden oder bestimmten sonstigen baulichen Anlagen bestimmte bauliche und sonstige technische Maßnahmen für die Erzeugung, Nutzung oder Speicherung von Strom, Wärme oder Kälte aus erneuerbaren Energien oder Kraft-Wärme-Kopplung getroffen werden müssen,
c)
bei der Errichtung, Änderung oder Nutzungsänderung von nach Art, Maß oder Nutzungsintensität zu bestimmenden Gebäuden oder sonstigen baulichen Anlagen in der Nachbarschaft von Betriebsbereichen nach § 3 Absatz 5a des Bundes-Immissionsschutzgesetzes bestimmte bauliche und sonstige technische Maßnahmen, die der Vermeidung oder Minderung der Folgen von Störfällen dienen, getroffen werden müssen;
24.
die von der Bebauung freizuhaltenden Schutzflächen und ihre Nutzung, die Flächen für besondere Anlagen und Vorkehrungen zum Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen und sonstigen Gefahren im Sinne des Bundes-Immissionsschutzgesetzes sowie die zum Schutz vor solchen Einwirkungen oder zur Vermeidung oder Minderung solcher Einwirkungen zu treffenden baulichen und sonstigen technischen Vorkehrungen, einschließlich von Maßnahmen zum Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen durch Geräusche, wobei die Vorgaben des Immissionsschutzrechts unberührt bleiben;
25.
für einzelne Flächen oder für ein Bebauungsplangebiet oder Teile davon sowie für Teile baulicher Anlagen mit Ausnahme der für landwirtschaftliche Nutzungen oder Wald festgesetzten Flächen
a)
das Anpflanzen von Bäumen, Sträuchern und sonstigen Bepflanzungen,
b)
Bindungen für Bepflanzungen und für die Erhaltung von Bäumen, Sträuchern und sonstigen Bepflanzungen sowie von Gewässern;
26.
die Flächen für Aufschüttungen, Abgrabungen und Stützmauern, soweit sie zur Herstellung des Straßenkörpers erforderlich sind.

(1a) Flächen oder Maßnahmen zum Ausgleich im Sinne des § 1a Absatz 3 können auf den Grundstücken, auf denen Eingriffe in Natur und Landschaft zu erwarten sind, oder an anderer Stelle sowohl im sonstigen Geltungsbereich des Bebauungsplans als auch in einem anderen Bebauungsplan festgesetzt werden. Die Flächen oder Maßnahmen zum Ausgleich an anderer Stelle können den Grundstücken, auf denen Eingriffe zu erwarten sind, ganz oder teilweise zugeordnet werden; dies gilt auch für Maßnahmen auf von der Gemeinde bereitgestellten Flächen.

(2) Im Bebauungsplan kann in besonderen Fällen festgesetzt werden, dass bestimmte der in ihm festgesetzten baulichen und sonstigen Nutzungen und Anlagen nur

1.
für einen bestimmten Zeitraum zulässig oder
2.
bis zum Eintritt bestimmter Umstände zulässig oder unzulässig
sind. Die Folgenutzung soll festgesetzt werden.

(2a) Für im Zusammenhang bebaute Ortsteile (§ 34) kann zur Erhaltung oder Entwicklung zentraler Versorgungsbereiche, auch im Interesse einer verbrauchernahen Versorgung der Bevölkerung und der Innenentwicklung der Gemeinden, in einem Bebauungsplan festgesetzt werden, dass nur bestimmte Arten der nach § 34 Abs. 1 und 2 zulässigen baulichen Nutzungen zulässig oder nicht zulässig sind oder nur ausnahmsweise zugelassen werden können; die Festsetzungen können für Teile des räumlichen Geltungsbereichs des Bebauungsplans unterschiedlich getroffen werden. Dabei ist insbesondere ein hierauf bezogenes städtebauliches Entwicklungskonzept im Sinne des § 1 Abs. 6 Nr. 11 zu berücksichtigen, das Aussagen über die zu erhaltenden oder zu entwickelnden zentralen Versorgungsbereiche der Gemeinde oder eines Gemeindeteils enthält. In den zu erhaltenden oder zu entwickelnden zentralen Versorgungsbereichen sollen die planungsrechtlichen Voraussetzungen für Vorhaben, die diesen Versorgungsbereichen dienen, nach § 30 oder § 34 vorhanden oder durch einen Bebauungsplan, dessen Aufstellung förmlich eingeleitet ist, vorgesehen sein.

(2b) Für im Zusammenhang bebaute Ortsteile (§ 34) kann in einem Bebauungsplan, auch für Teile des räumlichen Geltungsbereichs des Bebauungsplans, festgesetzt werden, dass Vergnügungsstätten oder bestimmte Arten von Vergnügungsstätten zulässig oder nicht zulässig sind oder nur ausnahmsweise zugelassen werden können, um

1.
eine Beeinträchtigung von Wohnnutzungen oder anderen schutzbedürftigen Anlagen wie Kirchen, Schulen und Kindertagesstätten oder
2.
eine Beeinträchtigung der sich aus der vorhandenen Nutzung ergebenden städtebaulichen Funktion des Gebiets, insbesondere durch eine städtebaulich nachteilige Häufung von Vergnügungsstätten,
zu verhindern.

(2c) Für im Zusammenhang bebaute Ortsteile nach § 34 und für Gebiete nach § 30 in der Nachbarschaft von Betriebsbereichen nach § 3 Absatz 5a des Bundes-Immissionsschutzgesetzes kann zur Vermeidung oder Verringerung der Folgen von Störfällen für bestimmte Nutzungen, Arten von Nutzungen oder für nach Art, Maß oder Nutzungsintensität zu bestimmende Gebäude oder sonstige bauliche Anlagen in einem Bebauungsplan festgesetzt werden, dass diese zulässig, nicht zulässig oder nur ausnahmsweise zulässig sind; die Festsetzungen können für Teile des räumlichen Geltungsbereichs des Bebauungsplans unterschiedlich getroffen werden.

(2d) Für im Zusammenhang bebaute Ortsteile (§ 34) können in einem Bebauungsplan zur Wohnraumversorgung eine oder mehrere der folgenden Festsetzungen getroffen werden:

1.
Flächen, auf denen Wohngebäude errichtet werden dürfen;
2.
Flächen, auf denen nur Gebäude errichtet werden dürfen, bei denen einzelne oder alle Wohnungen die baulichen Voraussetzungen für eine Förderung mit Mitteln der sozialen Wohnraumförderung erfüllen, oder
3.
Flächen, auf denen nur Gebäude errichtet werden dürfen, bei denen sich ein Vorhabenträger hinsichtlich einzelner oder aller Wohnungen dazu verpflichtet, die zum Zeitpunkt der Verpflichtung geltenden Förderbedingungen der sozialen Wohnraumförderung, insbesondere die Miet- und Belegungsbindung, einzuhalten und die Einhaltung dieser Verpflichtung in geeigneter Weise sichergestellt wird.
Ergänzend können eine oder mehrere der folgenden Festsetzungen getroffen werden:
1.
das Maß der baulichen Nutzung;
2.
die Bauweise, die überbaubaren und die nicht überbaubaren Grundstücksflächen sowie die Stellung der baulichen Anlagen;
3.
vom Bauordnungsrecht abweichende Maße der Tiefe der Abstandsflächen;
4.
Mindestmaße für die Größe, Breite und Tiefe der Baugrundstücke;
5.
Höchstmaße für die Größe, Breite und Tiefe der Wohnbaugrundstücke, aus Gründen des sparsamen und schonenden Umgangs mit Grund und Boden.
Die Festsetzungen nach den Sätzen 1 und 2 können für Teile des räumlichen Geltungsbereichs des Bebauungsplans getroffen werden. Die Festsetzungen nach den Sätzen 1 bis 3 können für Teile des räumlichen Geltungsbereichs des Bebauungsplans oder für Geschosse, Ebenen oder sonstige Teile baulicher Anlagen unterschiedlich getroffen werden. Das Verfahren zur Aufstellung eines Bebauungsplans nach diesem Absatz kann nur bis zum Ablauf des 31. Dezember 2024 förmlich eingeleitet werden. Der Satzungsbeschluss nach § 10 Absatz 1 ist bis zum Ablauf des 31. Dezember 2026 zu fassen.

(3) Bei Festsetzungen nach Absatz 1 kann auch die Höhenlage festgesetzt werden. Festsetzungen nach Absatz 1 für übereinanderliegende Geschosse und Ebenen und sonstige Teile baulicher Anlagen können gesondert getroffen werden; dies gilt auch, soweit Geschosse, Ebenen und sonstige Teile baulicher Anlagen unterhalb der Geländeoberfläche vorgesehen sind.

(4) Die Länder können durch Rechtsvorschriften bestimmen, dass auf Landesrecht beruhende Regelungen in den Bebauungsplan als Festsetzungen aufgenommen werden können und inwieweit auf diese Festsetzungen die Vorschriften dieses Gesetzbuchs Anwendung finden.

(5) Im Bebauungsplan sollen gekennzeichnet werden:

1.
Flächen, bei deren Bebauung besondere bauliche Vorkehrungen gegen äußere Einwirkungen oder bei denen besondere bauliche Sicherungsmaßnahmen gegen Naturgewalten erforderlich sind;
2.
Flächen, unter denen der Bergbau umgeht oder die für den Abbau von Mineralien bestimmt sind;
3.
Flächen, deren Böden erheblich mit umweltgefährdenden Stoffen belastet sind.

(6) Nach anderen gesetzlichen Vorschriften getroffene Festsetzungen, gemeindliche Regelungen zum Anschluss- und Benutzungszwang sowie Denkmäler nach Landesrecht sollen in den Bebauungsplan nachrichtlich übernommen werden, soweit sie zu seinem Verständnis oder für die städtebauliche Beurteilung von Baugesuchen notwendig oder zweckmäßig sind.

(6a) Festgesetzte Überschwemmungsgebiete im Sinne des § 76 Absatz 2 des Wasserhaushaltsgesetzes, Risikogebiete außerhalb von Überschwemmungsgebieten im Sinne des § 78b Absatz 1 des Wasserhaushaltsgesetzes sowie Hochwasserentstehungsgebiete im Sinne des § 78d Absatz 1 des Wasserhaushaltsgesetzes sollen nachrichtlich übernommen werden. Noch nicht festgesetzte Überschwemmungsgebiete im Sinne des § 76 Absatz 3 des Wasserhaushaltsgesetzes sowie als Risikogebiete im Sinne des § 73 Absatz 1 Satz 1 des Wasserhaushaltsgesetzes bestimmte Gebiete sollen im Bebauungsplan vermerkt werden.

(7) Der Bebauungsplan setzt die Grenzen seines räumlichen Geltungsbereichs fest.

(8) Dem Bebauungsplan ist eine Begründung mit den Angaben nach § 2a beizufügen.

Tenor

I.

Die Klage wird abgewiesen.

II.

Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen zu tragen.

III.

Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen eine dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung für die Nutzungsänderung einer Lagerhalle in ein Asylbewerberwohnheim.

Der Kläger ist Eigentümer des mit einem Wohnhaus bebauten Grundstücks FlNr. 1005/2 der Gemarkung ... Auf dem nordöstlich angrenzenden, ursprünglich im Eigentum des Klägers stehenden und mit notariellem Kaufvertrag vom ... Mai 2006 an die Eltern des Beigeladenen veräußerten Grundstück FlNr. 1005 befindet sich eine vom Kläger errichtete Lagerhalle mit einer Grundfläche von circa 36 x 18 m. Die Eltern des Beigeladenen nutzten die Lagerhalle für ihr Bauunternehmen. Mit Mietvertrag vom 17. September 2015 vermieteten sie die Halle nebst Freiflächen an den Beigeladenen. Mit Zusatz vom 26. Oktober 2015 erklärten sie sich mit einer Nutzung der Halle zur Unterbringung von Flüchtlingen einverstanden.

Die Grundstücke FlNr. 1005/2 und 1005 liegen im Geltungsbereich des Bebauungsplans Traunschlacht-Wolfsgrube, den der Gemeinderat der Gemeinde ... am 19. November 1985 als Satzung beschlossen hat. Das Landratsamt Traunstein hat den Bebauungsplan mit Bescheid vom 3. März 1986 genehmigt. Die Genehmigung wurde am 14. März 1986 ortsüblich bekanntgemacht. Die Ausfertigung erfolgte am 3. April 1986. Der Bebauungsplan setzt für die Grundstücke FlNr. 1005/2 und 1005 und ihren Umgriff Mischgebiet fest; außerdem sieht er für das Grundstück FlNr. 1005 die Bebauung nur mit einem Geschoss und eine Geschossflächenzahl (GFZ) von 0,2 vor. Die die beiden Grundstücke umgebenden Grundstücke sind mit Wohn- und Gewerbenutzung bebaut; so werden die nördlich angrenzenden Grundstücke FlNr. 1004/1, 1004 und 1004/2 und die Grundstücke westlich der Straße A... überwiegend wohngenutzt und die Grundstücke nördlich der B... Straße überwiegend gewerblich genutzt.

Unter dem Datum des 7. Januar 2016 beantragte der Beigeladene beim Landratsamt Traunstein die Erteilung einer Baugenehmigung für den Umbau der Lagerhalle (Gebäudeklasse 3) in ein Wohngebäude für die Unterbringung von Asylbewerbern. Nach einer beigefügten „Erläuterung zum Bauvorhaben“ (Bl. 23 der Behördenakte) sollen 17 Wohneinheiten jeweils mit Küche und Bad entstehen, die die Nutzungsberechtigten eigenständig bewohnen sollen. Weiter sind Gemeinschaftsräume wie Unterrichtsraum, Spielzimmer, Medienraum, Gebetsraum etc. geplant. Durch Einziehen einer Zwischendecke soll ein weiteres Geschoss entstehen, weshalb hinsichtlich der Zahl der Vollgeschosse (2 statt 1) und der GFZ (0,416 statt 0,2) eine Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplans beantragt wurde. Im südwestlichen Grundstücksbereich gegenüber dem Grundstück des Klägers sollen die schon bisher vorhandenen 14 Pkw-Stellplätze beibehalten werden. Betreiber der Anlage ist die Regierung von Oberbayern.

Mit Schreiben vom 11. Januar 2016 an das Landratsamt Traunstein wandte sich die Schwester des Beigeladenen gegen das Vorhaben und legte auch ein Schreiben ihrer Eltern vom 30. November 2015 an die Gemeinde ... vor, in dem sich diese gegen das Vorhaben aussprechen. Mit Schriftsatz seiner Bevollmächtigten vom 12. Januar 2016 an das Landratsamt Traunstein wandte sich auch der Kläger gegen das Vorhaben.

Das Landratsamt Traunstein erteilte dem Beigeladenen mit Bescheid vom 14. Januar 2016 die beantragte Baugenehmigung. Von den Festsetzungen des Bebauungsplans wurde wegen Überschreitung der Anzahl der Vollgeschosse und der GFZ eine Befreiung erteilt. Zur Begründung wurde ausgeführt, die Umnutzung in Wohnraum stelle aus immissionsschutzrechtlicher Sicht eine Verbesserung für das angrenzende allgemeine Wohngebiet dar. Weil ein besonderes öffentliches Interesse an einer schnellstmöglichen Unterbringung von Asylbewerbern bestehe, rechtfertigten Gründe des Wohls der Allgemeinheit die Befreiung. Die Grundzüge der Planung würden nicht berührt.

Mit Ergänzungsbescheid vom 6. Mai 2016 wurde die Betriebsbeschreibung (Bl. 23 der Behördenakte) zum Bestandteil der Baugenehmigung erklärt und eine maximale Belegungsstärke von 94 Personen festgesetzt.

Im Rahmen seiner bereits am 12. Februar 2016 zum Bayerischen Verwaltungsgericht München erhobenen Klage beantragt der Kläger letztendlich sinngemäß,

die Baugenehmigung des Landratsamts Traunstein vom 14. Januar 2016 in Gestalt des Ergänzungsbescheids vom 6. Mai 2016 aufzuheben.

Er trägt vor, die Baugenehmigung sei zu unbestimmt. Die Betriebsbeschreibung enthalte keine Aussage dazu, wie die Ver- und Entsorgung organisiert würden, wo der An- und Abfahrtsverkehr verlaufe und wie sich die Aufenthaltsmöglichkeit der Bewohner im Freien gestalten solle. Ein Freiflächengestaltungsplan fehle. Für die Baugenehmigung fehle das Sachbescheidungsinteresse, weil sich die Eigentümer des Grundstücks gegen das Vorhaben gewandt hätten. Das Vorhaben verstoße gegen seinen Gebietserhaltungsanspruch, weil der Charakter des festgesetzten Mischgebiets wegen des Fehlens von Gewerbebetrieben in den eines allgemeinen Wohngebiets kippe. Das Vorhaben verstoße auch gegen seinen Gebietsprägungserhaltungsanspruch, weil die Wohnruhe im Umfeld der vorhandenen Ein- und Zweifamilienhäuser durch die dichte Nutzung erheblich gestört werde. Die erteilte Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplans sei rechtswidrig. Wegen der Situierung der Stellplätze direkt an der Grundstücksgrenze liege überdies ein Verstoß gegen § 15 Abs. 1 Satz 2 Baunutzungsverordnung (BauNVO) vor. Zudem sei die Abwasserleitung zu klein dimensioniert, weshalb ein Rückstau und eine erhebliche Beeinträchtigung seines Anwesens zu befürchten sei und ein Verstoß gegen die drittschützende Vorschrift des Art. 41 Bayerische Bauordnung (BayBO) vorliege. Das Vorhaben stelle einen Sonderbau dar, dessen Bedachung entgegen der ebenfalls drittschützenden Vorschrift des Art. 30 Abs. 1 BayBO nicht ausreichend lang feuerwiderstandsfähig sei.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er führt aus, die Halle sei bisher für das Bauunternehmen des Beigeladenen genutzt worden; das Erdgeschoss sei als Lagerhalle sowie Garage und Werkstatt für die Lkws, das Obergeschoss für die Bereiche Verwaltung und Planung genutzt worden. Die Baugenehmigung sei nicht wegen fehlenden Sachbescheidungsinteresses rechtswidrig. Ein Mietvertrag zwischen dem Beigeladenen und seinen Eltern liege vor; außerdem entfalte dieser Umstand ohnehin keinen Drittschutz. Der Kläger werde nicht in seinem Gebietserhaltungsanspruch verletzt. Eine Asylbewerberunterkunft als Einrichtung für soziale Zwecke sei sowohl im Mischgebiet als auch im allgemeinen wie im reinen Wohngebiet zulässig, in letzterem i. V. m. § 246 Abs. 11 Satz 1 Baugesetzbuch (BauGB). Anhaltspunkte für die Funktionslosigkeit des Bebauungsplans ergäben sich nicht; vielmehr finde sich in zehn von circa 15 Anwesen in dem als Mischgebiet festgesetzten Bereich entlang der B... Straße gewerbliche Nutzung. Durch die Umnutzung kippe nicht der Gebietscharakter, weil gewerbliche Nutzung in mehr als der Hälfte der Anwesen stattfinde und die Asylbewerberunterkunft ohnehin den Gewerbebetrieben zuzuordnen sei. Die Zunahme von Wohnnutzungen gefährde die eigene Wohnnutzung des Klägers nicht. Das Bauunternehmen sei wegen seines Zuschnitts ohnehin ein Fremdkörper und hätte in einem Gewerbegebiet angesiedelt werden müssen. Auch ein Verstoß gegen einen Gebietsprägungserhaltungsanspruch sei zweifelhaft. Bei einer Gemengelage würde dieser ohnehin nicht eingreifen. Außerdem bleibe der Baukörper unverändert und sei die Belegungsstärke für die Gebietsprägung unerheblich. Der Kläger werde auch durch die Befreiungen zur Geschosszahl und zur GFZ nicht in seinen Rechten verletzt; die entsprechenden Festsetzungen seien nicht drittschützend. Rücksichtslosigkeit sei zu verneinen: das Baurecht entfalte keinen Milieuschutz und die Lärmeinwirkungen würden vermindert.

Der Beigeladene beantragt ebenfalls,

die Klage abzuweisen.

Er führt aus, nach seinem Konzept werde bei dem Vorhaben Wert auf ein möglichst selbstständiges Verweilen der untergebrachten Asylbewerber gelegt. Die Anfahrt erfolge wie bisher über das Grundstück FlNr. 1005/3. Ein nennenswerter An- und Ablieferverkehr finde nicht statt, vielmehr reduziere sich die Verkehrsbelastung. Der Aufenthalt im Freien werde überwiegend vom klägerischen Grundstück weggewandt stattfinden. Die Baugenehmigung sei hinreichend bestimmt. Das Vorhaben ändere nichts an der vorhandenen Zufahrt oder der Stellplatzsituation. Die Nutzung und die maximale Belegungszahl seien festgesetzt. Die Frage des fehlenden Sachbescheidungsinteresses sei zum einen nicht nachbarschützend, zum anderen liege eine Einverständniserklärung seiner Eltern vor. Der Gebietserhaltungsanspruch werde nicht verletzt. Eine Anlage für soziale Zwecke sei in allen denkbaren Gebietsarten zulässig. Auch der Gebietsprägungserhaltungsanspruch sei nicht verletzt. Es handle sich um eine relativ kleine Unterkunft auf einem durch den Gewerbebetrieb erheblich vorbelasteten Grundstück. Rücksichtslosigkeit sei zu verneinen, weil sich die Belastungen reduzierten und die Stellplatzsituation unverändert bleibe. Befreiungen von nachbarschützenden Vorschriften lägen nicht vor.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der vorgelegten Behördenakten und der Gerichtsakte verwiesen.

Gründe

Gegenstand der vorliegenden Nachbaranfechtungsklage ist die dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung des Landratsamts Traunstein vom 14. Januar 2016 in der Fassung des Ergänzungsbescheids vom 6. Mai 2016.

Die Klage hat keinen Erfolg. Der angegriffene Bescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO).

Der Kläger hat als Nachbar nicht schon bei objektiver Rechtswidrigkeit der Baugenehmigung einen Rechtsanspruch auf ihre Aufhebung. Er muss vielmehr durch die Baugenehmigung gerade in eigenen Rechten verletzt sein. Dies ist nur dann der Fall, wenn die verletzte Norm zumindest auch dem Schutz des Nachbarn zu dienen bestimmt ist, sie also drittschützende Wirkung hat (vgl. BayVGH, B. v. 2.9.2013 - 14 ZB 13.1193 - juris Rn. 11). Hier ist eine Verletzung des Klägers in drittschützenden Rechten zu verneinen.

1. Der Kläger kann sich nicht auf ein fehlendes Sachbescheidungsinteresse des Beigeladenen berufen.

Die Rechtsfigur des Sachbescheidungsinteresses ermöglicht es der Baugenehmigungsbehörde, einen Antrag auf Erteilung einer Baugenehmigung trotz Vorliegens aller Anspruchsvoraussetzungen abzulehnen, wenn der Antragsteller aus der Baugenehmigung aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen keinen Nutzen ziehen kann (Wolf in Simon/Busse, BayBO, Sept. 2015, Art. 59 Rn. 89). Hier hat der Beigeladene jedoch ein Sachbescheidungsinteresse an der Erteilung der Baugenehmigung. Er ist aufgrund des am 17. September 2015 mit seinen Eltern geschlossenen Mietvertrags berechtigt, die Lagerhalle und die umliegenden Freiflächen zu nutzen. Die Eltern haben auch einer Nutzung als Asylbewerberwohnheim mit Erklärung vom 26. Oktober 2015 ausdrücklich zugestimmt. Ein einseitiger Widerruf des mit einer zehnjährigen Laufzeit geschlossenen Vertrags durch ihr Schreiben vom 30. November 2015 an die Gemeinde ... ist nicht möglich.

Im Übrigen entfaltet die Frage des Vorliegens des Sachbescheidungsinteresses keine drittschützende Wirkung (BayVGH, U. v. 25.11.2010 - 9 B 10.531 - juris Rn. 19).

2. Der Kläger kann auch nicht mit Erfolg die fehlende Bestimmtheit der Baugenehmigung rügen.

Eine Baugenehmigung muss inhaltlich hinreichend bestimmt sein (Art. 37 Abs. 1 Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz - BayVwVfG). Nachbarn müssen zweifelsfrei feststellen können, ob und in welchem Umfang sie betroffen sind. Eine Verletzung von Nachbarrechten liegt vor, wenn die Unbestimmtheit ein nachbarrechtlich relevantes Merkmal betrifft und infolge des Mangels nicht beurteilt werden kann, ob das Vorhaben den geprüften nachbarschützenden Vorschriften entspricht (BayVGH‚ B. v. 29.1.2016 - 15 ZB 13.1759 - juris Rn. 7). Die vorliegende Baugenehmigung verstößt nicht gegen das Bestimmtheitserfordernis, sondern ist inhaltlich hinreichend bestimmt. Die Beschreibung des Vorhabens als „Asylbewerberwohnheim“ definiert die zulässige Nutzung klar. Aus den genehmigten Plänen ergibt sich die Aufteilung der Flächen in 17 Wohnungen und Gemeinschaftsräume mit konkreter Zweckbestimmung. Durch den Ergänzungsbescheid vom 6. Mai 2016 wurde auch die Betriebsbeschreibung Bestandteil der Baugenehmigung und die maximale Belegungszahl auf 94 Personen festgelegt. Die Zufahrt erfolgt wie bisher über das nördlich gelegene Grundstück FlNr. 1005/3. Die Situierung der Stellplätze bleibt unverändert.

3. Der Gebietserhaltungsanspruch des Klägers ist nicht verletzt.

Der Gebietserhaltungsanspruch besteht nach ständiger Rechtsprechung in durch Bebauungsplan festgesetzten Baugebieten sowie im unbeplanten Innenbereich i. S. d. § 34 Abs. 2 BauGB und beruht auf der Erwägung, dass die Gebietsfestsetzungen nach der Baunutzungsverordnung die Planbetroffenen oder die Grundstückseigentümer im unbeplanten Bereich nach § 34 Abs. 2 BauGB zu einer Gemeinschaft verbinden, in der die Beschränkung der Nutzungsmöglichkeiten dadurch ausgeglichen wird, dass auch die anderen Eigentümer denselben Beschränkungen unterworfen sind. Der auf die Erhaltung der Gebietsart gerichtete Nachbarschutz setzt also Gebiete voraus, die - wie die Baugebiete der Baunutzungsverordnung - durch eine einheitliche bauliche Nutzung gekennzeichnet sind (BVerwG, U. v. 16.9.1993 - 4 C 28.91 - BVerwGE 94, 151 - juris Ls.).

Unabhängig von der Wirksamkeit des Bebauungsplans Traunschlacht-Wolfsgrube wird der Gebietserhaltungsanspruch des Klägers von der Zulassung des Vorhabens nicht berührt. Entweder liegt ein festgesetztes oder ein faktisches Mischgebiet oder ein faktisches allgemeines Wohngebiet vor, in dem das Asylbewerberheim jeweils zulässig ist. Der Bebauungsplan setzt das Baugrundstück, das klägerische Grundstück und seinen Umgriff als Mischgebiet fest (vgl. § 1 Abs. 3 Satz 2 i. V. m. § 6 BauNVO). An der Wirksamkeit des Bebauungsplans bestehen allerdings erhebliche Zweifel, weil dieser an einem Verfahrensmangel leiden dürfte. Die Erteilung seiner Genehmigung wurde bereits am 14. März 1986 und damit vor seiner Ausfertigung am 3. April 1986 bekannt gemacht (vgl. § 10 Abs. 3 Satz 1 und 4 BauGB; BVerwG, B. v. 27.1.1999 - 4 B 129.98 - BayVBl 1999, 410 - juris Ls. 1; Stock in Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, Nov. 2015, § 10 Rn. 105). Nach den vorgelegten Unterlagen erscheint es auch zweifelhaft, dass dieser Verfahrensfehler durch die nachträglichen Änderungen des Bebauungsplans und deren Bekanntmachung geheilt wurde (vgl. BVerwG, B. v. 18.12.1995 - 4 NB 30/95 - BauR 1996, 351 - juris). Bei Unwirksamkeit des Bebauungsplans richtet sich die Gebietsart nach der faktisch vorhandenen Bebauung, die im Umfeld des klägerischen Grundstücks nördlich der B... Straße im Wesentlichen aus Wohngebäuden und nicht wesentlich störender gewerblicher Nutzung besteht und daher einem Mischgebiet (§ 34 Abs. 2 BauGB i. V. m. § 6 BauNVO) oder einem allgemeinen Wohngebiet (§ 34 Abs. 2 BauGB i. V. m. § 4 BauNVO) entspricht. Nach ständiger Rechtsprechung und ganz herrschender Meinung handelt es sich bei einer Asylbewerberunterkunft regelmäßig um eine Anlage für soziale Zwecke (BayVGH, B. v. 29.1.2014 - 2 ZB 13.678 - juris Rn. 5; U. v. 13.9.2012 - 2 B 12.109 - BayVBl 2013, 241 - juris Rn. 25; BVerwG, B. v. 4.6.1997 - 2 C 2.96 - NVwZ 1998, 173 - juris Rn. 3), die sowohl im Mischgebiet als auch im allgemeinen Wohngebiet allgemein zulässig ist (vgl. § 6 Abs. 2 Nr. 5 und § 4 Abs. 2 Nr. 3 BauNVO). Ein „Kippen“ des Mischgebiets in ein allgemeines Wohngebiet infolge der Zulassung des Vorhabens ist nicht zu befürchten, weil - wie sich aus der vom Beklagten in der mündlichen Verhandlung übergebenen Übersicht ergibt - noch ausreichend Gewerbebetriebe nördlich der B... Straße (Second-Hand-Laden, Kfz-Werkstatt, Gaststätte etc.) vorhanden sind.

4. Auch ein möglicher Gebietsprägungserhaltungsanspruch des Klägers ist nicht verletzt.

Ein Gebietsprägungserhaltungsanspruch wird in neuerer Zeit zunehmend in Literatur (vgl. Stühler, BauR 2011, 1576; Hoffmann, BauR 2010, 1859; Decker, Juristische Arbeitsblätter = JA 2007, 55 ff.) und Rechtsprechung (vgl. etwa VG Münster, U. v. 14.4.2016 - 2 K 1348/15 - juris Rn. 32 ff.; VG München, B. v. 11.11.2015 - M 8 SN 15.3892 - juris Rn. 34 ff.; BayVGH, B. v. 9.10.2012 - 2 ZB 11.2653 - juris Rn. 7 ff.) behandelt und teilweise auch mit den in § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO genannten Kriterien verknüpft. Er beruht - wie der Gebietserhaltungsanspruch - auf dem Gedanken des wechselseitigen Austauschverhältnisses. Seine rechtliche Anerkennung ist umstritten. Nach dem Gebietsprägungserhaltungsanspruch wäre ein Vorhaben, das in dem konkreten Baugebiet regelhaft zulässig, also mit der Gebietsart vereinbar ist, gleichwohl (generell) gebietsunverträglich, wenn es aufgrund seiner Nutzungsweise störend wirkt (vgl. BVerwG, B. v. 28.2.2008 - 4 B 60.07 - NVwZ 2008, 786 - juris Rn. 11). Erweist sich das (ausnahmsweise) zulässige Vorhaben aber (generell) als gebietsunverträglich, soll es von einem Dritten, ohne dass dieser konkret und individuell betroffen sein muss, abgewehrt werden können.

Ein Asylbewerberwohnheim ist grundsätzlich im Mischgebiet und im allgemeinen Wohngebiet gleichermaßen zulässig (§ 34 Abs. 2 BauGB i. V. m. § 6 oder § 4 BauNVO). Bei der anzustellenden typisierenden Betrachtungsweise wirkt sich ein Asylbewerberwohnheim - bezogen auf den Gebietscharakter des jeweiligen Gebiets - nicht störend aus. Mischgebiete dienen dem Wohnen und dem - mit dem Wohnen verträglichen - Gewerbe (vgl. § 6 Abs. 1 BauNVO). Beide Nutzungsarten haben aufeinander Rücksicht zu nehmen. Asylbewerberunterkünfte sind aufgrund ihrer zumindest wohnähnlichen Nutzung mit dem Gebietscharakter eines Mischgebiets insoweit vereinbar, als von ihnen keine wohnunverträglichen Störungen ausgehen, die bebauungsrechtlich beachtlich wären. Insbesondere kann und soll das allgemeine Bauplanungsrecht keinen Milieuschutz gewährleisten (vgl. BVerwG, U. v. 23.8.1996 - 4 C 13.94 - BVerwGE 101, 364 - juris Rn. 72). Im Hinblick auf die im Mischgebiet zulässigen gewerblichen Nutzungen ist der wohnähnliche Charakter einer Asylbewerberunterkunft ebenfalls gebietsverträglich, weil nur solche Gewerbebetriebe zulässig sind, die das Wohnen nicht erheblich stören (BayVGH, B. v. 9.12.2015 - 15 CS 15.1935 - ZfBR 2016, 169 - juris Rn. 19). Nichts anderes gilt wegen der wohnähnlichen Nutzung einer Asylbewerberunterkunft für das allgemeine Wohngebiet.

Das Vorhaben ist auch nicht im Lichte von § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO unzulässig. Nach dieser Vorschrift sind die in den § 2 bis 14 BauNVO aufgeführten baulichen und sonstigen Anlagen im Einzelfall unzulässig, wenn sie nach Anzahl, Lage, Umfang oder Zweckbestimmung der Eigenart des Baugebiets widersprechen. Diese dem Nachbarschutz dienende Vorschrift findet als die §§ 2 bis 14 BauNVO ergänzende Regelung zur Art der baulichen Nutzung im Bebauungsplangebiet unmittelbar oder im unbeplanten Innenbereich kraft Verweisung in § 34 Abs. 2 BauGB Anwendung (vgl. BayVGH, B. v. 9.12.2015 - 15 CS 15.1935 - ZfBR 2016, 169 - juris Rn. 20) und vermittelt einen Anspruch auf Aufrechterhaltung der typischen Prägung eines Baugebiets (vgl. BVerwG, B. v. 28.2.2008 - 4 B 60.07 - BayVBl 2008, 542 - juris Rn. 6 ff, 11; B. v. 13.5.2002 - 4 B 86.01 - NVwZ 2002, 1384 - juris Rn. 7 m. w. N.).

Anhaltspunkte für einen Widerspruch des Vorhabens zur Eigenart des faktischen Mischgebiets aufgrund seiner „Anzahl, Lage oder Zweckbestimmung“ bestehen nicht. Ein Widerspruch zur Eigenart des Baugebiets hinsichtlich des „Umfangs“ des Vorhabens liegt ebenfalls nicht vor. Wenn § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO bestimmt, dass ein Vorhaben im Einzelfall auch unzulässig ist, wenn es wegen seines Umfangs der Eigenart eines bestimmten Baugebiets widerspricht, so geht die Vorschrift davon aus, dass im Einzelfall Quantität in Qualität umschlagen kann, dass also die Größe einer baulichen Anlage die Art der baulichen Nutzung erfassen kann (BayVGH, B. v. 9.12.2015 - 15 CS 15.1935 - ZfBR 2016, 169 - juris Rn. 20; BVerwG, U. v. 16.3.1995 - 4 C 3.94 - NVwZ 1995, 899 - juris Rn. 17). Der „Umfang“ i. S. v. § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO wird dabei nicht nur durch die baulichtechnische Gestaltung und Ausdehnung des Vorhabens bestimmt, sondern auch durch den Benutzerkreis und die Folgewirkungen wie etwa die Verkehrsverhältnisse (Söfker in Ernst/Zinkahn/Bielenberg, a. a. O., § 15 BauNVO Rn. 17). Im vorliegenden Fall ist schon zweifelhaft, ob hinsichtlich des Umfangs ein Widerspruch zur Eigenart des Baugebiets vorliegen kann, weil die Lagerhalle in ihren Außenmaßen unverändert bleibt. Das Vorhaben führt auch im Hinblick auf die mit ihm zusammenhängenden Folgewirkungen nicht zu gebietsunvertrglichen Störungen, weil gegenüber der vorherigen Nutzung keine Verschlechterung der Lärmsituation und kein nennenswerter An- und Abfahrtsverkehr zu erwarten sind. Einziger Anknüpfungspunkt für einen am Umfang orientierten Widerspruch zur Eigenart des Baugebiets kann daher die Bewohnerdichte sein, die höher ist als in den umliegenden Wohnhäusern. Die den Bewohnern zur Verfügung stehenden Wohneinheiten von circa 28 bis 30 qm für vier Personen und von circa 36 qm für sechs Personen bieten angesichts der Vielzahl von gemeinschaftlich nutzbaren Räumen (Unterrichtsraum 46 qm, Spielzimmer 39 qm, Gebetsraum 13 qm, Medienraum 17 qm und Besprechungsraum Sozialarbeiter 16 qm) ausreichend Raum zum Wohnen und Leben. Allein die Bewohnerdichte und die Anzahl der künftigen Bewohner ist für sich keine geeignete Grundlage, um die bebauungsrechtliche Zulassungsfähigkeit des Vorhabens in Zweifel zu ziehen. Denn das allgemeine Bauplanungsrecht kann und soll keinen „Milieuschutz“ gewährleisten (BayVGH, B. v. 9.12.2015 - 15 CS 15.1935 - ZfBR 2016, 169 - juris Rn. 20 für eine Asylbewerberunterkunft für max. 164 Personen; BVerwG, U. v. 23.8.1996 - 4 C 13.94 - BVerwGE 101, 364 - juris Rn. 72). Vielmehr liegt bei den in § 6 Abs. 2 Nr. 5 und § 4 Abs. 2 Nr. 5 BauNVO genannten Anlagen insbesondere für kirchliche, soziale und gesundheitliche Zwecke (z. B. Altersheim, Jugendhilfeeinrichtung, Krankenhaus) wesensgemäß eine höhere Bewohner- oder Benutzerdichte als bei herkömmlicher Wohnnutzung vor. Im Übrigen würde die Intention des durch das „Flüchtlingsunterbringungs-Maßnahmengesetz“ vom 26. November 2014 (BGBl I, 1748) eingeführten und durch das „Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz“ vom 24. Oktober 2015 (BGBl I, 1722) erweiterten § 246 BauGB, der eine erleichterte bauplanungsrechtliche Zulässigkeit von Asylbewerberunterkünften zum Ziel hat, unterlaufen, würde man - vom extremen Einzelfall abgesehen - eine Asylbewerberunterkunft aufgrund ihrer höheren Bewohnerdichte nach § 15 Abs. 1 Satz 1 BauNVO als unzulässig ansehen.

5. Auch die erteilte Befreiung verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.

Für den Fall der Wirksamkeit des Bebauungsplans ist hinsichtlich des Nachbarschutzes im Rahmen des § 31 Abs. 2 BauGB grundsätzlich danach zu unterscheiden, ob von drittschützenden Festsetzungen eines Bebauungsplans befreit wird oder von nicht drittschützenden Festsetzungen. Weicht ein Bauvorhaben von drittschützenden Festsetzungen eines Bebauungsplans ab, so kann es nur zugelassen werden, wenn die Abweichung durch eine Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB gerechtfertigt wird. Dabei hat der Dritte einen Rechtsanspruch auf Einhaltung der jeweiligen tatbestandlichen Voraussetzungen des § 31 Abs. 2 BauGB. Im Falle des Abweichens von einer nicht nachbarschützenden Festsetzung eines Bebauungsplans hat der Nachbar lediglich ein subjektiv öffentliches Recht auf Würdigung seiner nachbarlichen Interessen; unter welchen Voraussetzungen eine Befreiung die Rechte des Nachbarn verletzt, ist dabei nach den Maßstäben des Gebots der Rücksichtnahme zu beantworten. Für den Nachbarn bedeutet dies, dass er ein Bauvorhaben, für das eine Befreiung erteilt wurde, nur dann mit Erfolg angreifen kann, wenn dieses ihm gegenüber rücksichtslos ist (BVerwG, B. v. 8.7.1998 - 4 B 64.98 - NVwZ-RR 1999, 8 - juris Rn. 5 f.; BayVGH, B. v. 3.2.2012 - 14 CS 11.2284 - juris Rn. 37 f.).

Im vorliegenden Fall dient die Festsetzung der Vollgeschosse und der GFZ nicht dem Schutz einzelner Nachbarn im Bebauungsplangebiet. Festsetzungen zum Maß der baulichen Nutzung, so für Vollgeschosse und die GFZ, sind in der Regel nicht drittschützend (vgl. BayVGH, U. v. 27.3.2013 - 14 B 12.192 - juris Rn. 26). Eine ausnahmsweise drittschützende Zielrichtung müsste sich mit hinreichender Deutlichkeit aus dem Bebauungsplan‚ seiner Begründung oder aus sonstigen Unterlagen der planenden Gemeinde (Gemeinderatsprotokolle etc.) ergeben (vgl. BayVGH, B. v. 23.11.2015 - 1 CS 15.2207 - juris Rn. 8), was hier nicht der Fall ist.

Das Vorhaben verstößt auch nicht gegen das Gebot der Rücksichtnahme. Gegeneinander abzuwägen sind insoweit die Schutzwürdigkeit des Betroffenen, die Intensität der Beeinträchtigung, die Interessen des Bauherrn und das, was beiden Seiten billigerweise zumutbar oder unzumutbar ist. Feste Regeln lassen sich dabei nicht aufstellen. Erforderlich ist eine Gesamtschau der von dem Vorhaben ausgehenden Beeinträchtigungen (vgl. BVerwG, B. v. 10.1.2013 - 4 B 48.12 - juris Rn. 7 m. w. N.).

Die Änderungen im Hinblick auf das Maß der baulichen Nutzung durch Einfügen eines weiteren Vollgeschosses und Erhöhung der GFZ führen nicht zu einer Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme. Die Halle bleibt in ihren Außenmaßen unverändert und eine erdrückende oder abriegelnde Wirkung ist nicht ersichtlich.

Auch im Hinblick auf den von den künftigen Bewohnern ausgehenden Lärm ist eine Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme nicht erkennbar. Bei den Lebensäußerungen von Menschen, die von dem Vorhaben ausgehen werden, handelt es sich um typische, grundsätzlich hinzunehmende Wohngeräusche (vgl. BayVGH, U. v. 13.9.2012 - 2 B 12.109 - juris Rn. 38).

6. Das Vorhaben verletzt auch keine drittschützenden Vorschriften des Brandschutzes.

Der Kläger beruft sich insoweit auf Art. 30 Abs. 1 BayBO, nach dem Bedachungen gegen eine Brandbeanspruchung von außen durch Flugfeuer und strahlende Wärme ausreichend lang widerstandsfähig sein müssen. Diese Vorschrift entfaltet zwar Nachbarschutz (Dirnberger in Simon/Busse, a. a. O., Art. 66 BayBO Rn. 279), ist vorliegend aber nicht verletzt. Die Einhaltung brandschutzrechtlicher Vorschriften obliegt grundsätzlich dem Bauherrn und wird im Baugenehmigungsverfahren nicht mehr geprüft. Als Ausnahme von diesem Grundsatz sieht Art. 62 Abs. 3 Satz 3 Nr. 1 BayBO unter anderem für Sonderbauten vor, dass der Brandschutznachweis durch einen Prüfsachverständigen bescheinigt sein oder bauaufsichtlich geprüft werden muss. Zweifelhaft ist hier bereits, ob das Asylbewerberwohnheim einen Sonderbau nach Art. 2 Abs. 4 Nr. 11 BayBO darstellt. Nach dieser Vorschrift sind sonstige Einrichtungen zur Unterbringung von Personen sowie Wohnheime Sonderbauten. Eine Unterbringung im Sinne dieser Vorschrift liegt aber nur vor, wenn die unterzubringenden Menschen in einer Weise auf Hilfe angewiesen sind, die ihnen die Führung eines eigenständigen Haushalts verbietet und mit der Orientierungs- und/oder Bewegungseinschränkungen verbunden sind, die die Selbstrettungsfähigkeit einschränken und deshalb zu einer besonderen Betrachtung insbesondere der Personenrettung im Brandfall Veranlassung geben (Dirnberger in Simon/Busse, a. a. O., Art. 2 BayBO Rn. 456). Diese Voraussetzung liegt bei Asylbewerbern in der Regel nicht vor, so dass die Einhaltung der brandschutzrechtlichen Vorschriften vorliegend dem Bauherrn obliegt. Jedenfalls aber ist bei dem Asylbewerberwohnheim als Gebäude der Gebäudeklasse 3 eine Bedachung, die die Anforderungen des Art. 30 Abs. 1 BayBO nicht erfüllt, zulässig, weil ein Abstand von mindestens 12 m zur Grundstücksgrenze des Klägers besteht (hier 14,3 m, vgl. Art. 30 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BayBO).

7. Der Kläger kann sich auch nicht auf eine nicht ordnungsgemäße Fäkalentsorgung berufen.

Nach Art. 41 Abs. 1 BayBO muss die einwandfreie Beseitigung des Abwassers einschließlich des Fäkalschlamms innerhalb und außerhalb des Grundstücks gesichert sein. Diese Vorschrift entfaltet jedoch grundsätzlich keinen Nachbarschutz; vielmehr besteht das Erfordernis der Erschließung im öffentlichen Interesse. Ein Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme liegt allenfalls bei einer ganz erheblichen Beeinträchtigung des Nachbarn vor (BayVGH, B. v. 18.5.2006 - 26 ZB 05.3344 - juris Rn. 3; VG Bayreuth, U. v. 27.5.2015 - B 2 K 14.560 - juris Rn. 26). Eine solche ist hier jedoch zu verneinen. Wie der Beklagte in der mündlichen Verhandlung vorgetragen hat, sieht der gemeindliche Entwässerungsplan vom 12. Mai 1989 vor, dass Kellerabläufe mit einem Rückstaudoppelverschluss zu sichern sind. Bereits diese dem Kläger obliegende Sicherungsmöglichkeit steht der Annahme einer erheblichen Beeinträchtigung entgegen. Zudem könnten die möglicherweise entstehenden Probleme durch nachträgliche Ertüchtigung der Abwasserleitung durch den Beigeladenen gelöst werden.

Die Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Da der Beigeladene einen eigenen Sachantrag gestellt und sich daher einem Kostenrisiko ausgesetzt hat, entspricht es billigem Ermessen, dass er seine außergerichtlichen Kosten vom Kläger erstattet erhält, § 154 Abs. 3 i. V. m. § 162 Abs. 3 VwGO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 ff. Zivilprozessordnung (ZPO).

Rechtsmittelbelehrung:

Nach §§ 124, 124 a Abs. 4 VwGO können die Beteiligten die Zulassung der Berufung gegen dieses Urteil innerhalb eines Monats nach Zustellung beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,

Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder

Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München

beantragen. In dem Antrag ist das angefochtene Urteil zu bezeichnen. Dem Antrag sollen vier Abschriften beigefügt werden.

Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist bei dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof,

Hausanschrift in München: Ludwigstraße 23, 80539 München, oder

Postanschrift in München: Postfach 34 01 48, 80098 München

Hausanschrift in Ansbach: Montgelasplatz 1, 91522 Ansbach

einzureichen, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist.

Über die Zulassung der Berufung entscheidet der Bayerische Verwaltungsgerichtshof.

Vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof müssen sich die Beteiligten, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch für Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingeleitet wird. Als Prozessbevollmächtigte zugelassen sind neben Rechtsanwälten und den in § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO genannten Rechtslehrern mit Befähigung zum Richteramt die in § 67 Abs. 4 Sätze 4 und 7 VwGO sowie in §§ 3, 5 RDGEG bezeichneten Personen und Organisationen.

Beschluss:

Der Streitwert wird auf EUR 10.000,- festgesetzt (§ 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz - GKG - i. V. m. Nr. 9.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit).

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Beschluss steht den Beteiligten die Beschwerde an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zu, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes EUR 200,- übersteigt oder die Beschwerde zugelassen wurde. Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, beim Bayerischen Verwaltungsgericht München,

Hausanschrift: Bayerstraße 30, 80335 München, oder

Postanschrift: Postfach 20 05 43, 80005 München

einzulegen.

Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde auch noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.

Der Beschwerdeschrift eines Beteiligten sollen Abschriften für die übrigen Beteiligten beigefügt werden.

(1) Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt.

(2) Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.

(3) Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. Sie darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt. Die Entschädigung ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen. Wegen der Höhe der Entschädigung steht im Streitfalle der Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten offen.

(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.

(2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.

(3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.

(1) Das Eigentum und das Erbrecht werden gewährleistet. Inhalt und Schranken werden durch die Gesetze bestimmt.

(2) Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.

(3) Eine Enteignung ist nur zum Wohle der Allgemeinheit zulässig. Sie darf nur durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes erfolgen, das Art und Ausmaß der Entschädigung regelt. Die Entschädigung ist unter gerechter Abwägung der Interessen der Allgemeinheit und der Beteiligten zu bestimmen. Wegen der Höhe der Entschädigung steht im Streitfalle der Rechtsweg vor den ordentlichen Gerichten offen.

(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.

(2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.

(3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.

(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

(2) Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.

(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

Tenor

I. Der Bescheid der Beklagten vom 5. September 2016 in der Fassung vom 6. Dezember 2016 wird in den Nrn. 2 und 3 aufgehoben.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

II. Von den Kosten des Verfahrens haben die Kläger ¾, die Beklagte ¼ zu tragen.

III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Kostenschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit einer Anordnung der Beklagten, die auf dem Grundstück der Klagepartei an der Grenze zu einer Ortsstraße befindliche Thujenhecke zurückzuschneiden, soweit sie über die Grenze des Grundstücks der Klagepartei hinaus in den Gehweg hineinragt.

Das Grundstück der Klägerseite ist mit einem Holzlattenzaun von der …straße abgegrenzt, die im Bereich des klägerischen Grundstücks nach übereinstimmender Darstellung der Beteiligten über einen (inklusive Randstein) 2,50 m breiten, gepflasterten Gehweg verfügt. Beginnend ab der Oberkante des Zauns, für welche die Beteiligten unterschiedlich eine Höhe zwischen 1,30 und 1,50 m angeben, ragt eine Thujenhecke in den Gehweg hinein. Während die Klägerseite einen Überstand von mindestens 45 cm einräumt, bemisst die Beklagte den Überstand mit 60 - 70 cm.

Nach vorangegangenen Aufforderungen und einem Ortstermin wurde die Klagepartei mit Bescheid der Beklagten vom 5. September 2016 aufgefordert, spätestens zum 17. Oktober 2016 die auf dem Grundstück …straße 13 an der südlichen Grundstücksgrenze zur …straße hin befindliche Hecke so zurückzuschneiden, „dass die Freihaltung des sich aus der in der Anlage beigefügten Planzeichnung ergebenden Lichtraumprofils (Durchschnittshöhe min. 2,50 m, Durchgangsbreite auf dem Gehweg min. 2,30 m) gewährleistet ist“ (Ziffer 1.). In Ziffer 2. des Bescheids wurde für den Fall der nicht fristgerechten Ausführung der unter Ziffer 1. getroffenen Anordnung die Durchführung dieser Anordnung im Wege der Ersatzvornahme angedroht, die Kosten hierfür wurden in Ziffer 3. des Bescheids auf voraussichtlich 300,00 € geschätzt. Die sofortige Vollziehung der Aufforderung nach Ziffer 1. wurde angeordnet (Ziffer 4.). Mit Ziffer 5. des Bescheids wurden Kosten in Höhe von 15,00 € erhoben. Zur Begründung des Bescheids wurde im Wesentlichen ausgeführt: Die Anordnung beruhe auf Art. 7 Abs. 2 Nr. 3 LStVG i.V.m. Art. 29 Abs. 2 Satz 2 BayStrWG. Die …straße sei eine gewidmete öffentliche Straße mit Begegnungsverkehr und beidseitigen Gehwegen, die eine Breite von 2,30 m hätten. Bei einer Ortsbesichtigung am 2. Februar 2016 sei festgestellt worden, dass die Hecke ca. 60 cm in den Lichtraum des öffentlichen Gehwegs hineinrage. Zur Vermeidung von Beeinträchtigungen und Schädigungen der Verkehrsteilnehmer sei das Lichtraumprofil des öffentlichen Gehwegs, wie in der beigefügten Planzeichnung beschrieben, dauerhaft freizuhalten. Die bisherigen Aufforderungen der Gemeinde seien ergebnislos geblieben. Die Aufforderung zum Rückschnitt sei auch verhältnismäßig, da dieser auf die Freihaltung des erforderlichen Lichtraumprofils begrenzt werde und nicht in die Substanz der Hecke eingreife. Im Rahmen des der Gemeinde zustehenden Ermessens überwiege die Durchsetzung des Gemeingebrauchs das private Interesse der Eigentümer am ungeschmälerten Erhalt der Heckenbepflanzung.

Gegen diesen Bescheid erhob die Klagepartei am 27. September 2016 Klage zum Verwaltungsgericht München und beantragte,

  • den Bescheid der Beklagten vom 5. September 2016 aufzuheben.

Zur Begründung wurde (in einem Schriftsatz vom 19. September 2016 im Eilverfahren M 2 S. 16.4306) im Wesentlichen ausgeführt: Die formelhaften Ausführungen im angefochtenen Bescheid zur Begründung der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts genügten nicht den gesetzlichen Anforderungen. Soweit eine Begründung genannt werde, nämlich die vermeintliche Gefahr im Winter abbrechender Zweige oder Äste, sei sie angesichts der Thujenhecke sachlich unzutreffend. Auch die Behauptung, es könne nicht mehr länger zugewartet werden, sei nicht nachvollziehbar. Die Hecke bestehe im vorhandenen Ausmaß seit mehreren Jahrzehnten, sie werde im Frühjahr und im Herbst jeden Jahres fachmännisch zurückgeschnitten. Die Gemeinde habe den Überwuchs auch 30 Jahre lang nicht beanstandet. Im Übrigen sei die Anordnung auch rechtswidrig. Die Tatbestandsvoraussetzung der Beeinträchtigung der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs aus Art. 29 Abs. 2 BayStrWG liege nicht vor. Bei einem Überwuchs der Hecke von 0,45 m und einer Gehwegbreite von 2,50 m verbleibe mit 2,05 m eine ausreichende Breite für einen ungehinderten Begegnungsverkehr. Auch die Ermessensausübung der Beklagten sei im Hinblick auf den langjährigen Bestand der Hecke und die geringe Nutzung des Gehwegs in einer reinen Anwohner Straße zu beanstanden. Schließlich sei die Anordnung unverhältnismäßig, da der geforderte Rückschnitt in die Substanz der Hecke eingreife und zu einer Vernichtung der Hecke führe.

Die Beklagte beantragte,

  • die Klage abzuweisen.

Zur Begründung wurde (in einem Schriftsatz vom 12. Oktober 2016 im Eilverfahren M 2 S. 16.4306) im Wesentlichen ausgeführt, der angefochtene Bescheid sei rechtmäßig. Die in den Fußweg hineinragende Hecke beeinträchtige den Fußgängerverkehr durch die hineinragenden Zweige und zwinge Fußgänger jedenfalls im Begegnungsverkehr dazu, auf die Straße auszuweichen. Hierin liege eine konkrete Gefahr für die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs. Die Thujenhecke der Klagepartei rage seit März 2016 unverändert in den Straßenraum hinein. Im Rahmen der regelmäßig von Mitarbeitern der Gemeinde durchgeführten Kontrollen habe sich gezeigt, dass die Hecke jedenfalls straßenseitig nur an den Spitzen gekürzt werde. Die Beklagte veröffentliche jährlich seit über 20 Jahren im gemeindeeigenen Mitteilungsblatt den Hinweis an alle Grundstückseigentümer, den Rückschnitt von überhängenden lebenden Zäunen auf den Straßengrund regelmäßig vorzunehmen. Lediglich in wenigen Fällen im Gemeindegebiet sei die zwangsweise Durchsetzung der Verpflichtung erforderlich.

Die Klägerseite nahm mit Schriftsatz vom 17. Oktober 2016 (im Eilverfahren M 2 S. 16.4306) ergänzend Stellung. Jederzeit könne die Gartenbaufirma benannt werden, welche die Hecke zweimal pro Jahr zurückschneide. Zutreffend sei, dass in den letzten beiden Jahren Versuche zur einvernehmlichen Lösung der Angelegenheit unternommen worden seien. Die Klagepartei habe angeboten, durch regelmäßige Rückschnitte sicherzustellen, dass die Hecke „nicht mehr als 40 cm in den Gehweg hineinragt“. Auch sei ein 5-jähriger Beobachtungszeitraum für den Rückschnitt unter Erhalt von Bestand und Begrünung der Hecke vorgeschlagen worden. Die Beklagte sei aber nicht von ihrem Standpunkt abgerückt. Hingewiesen werde noch darauf, dass der Überwuchs erst in einer Höhe von 1,50 m beginne, so dass für Kinder, Rollstuhlfahrer und Kinderwagen die Gesamtbreite des Gehwegs zur Verfügung stehe.

Mit Schriftsatz vom 1. Dezember 2016 nahm die Beklagte ergänzend Stellung: Bei einer nochmaligen Vermessung sei vor dem Anwesen der Klagepartei eine Gehwegbreite von 2,50 m festgestellt worden, soweit die Beklagte bislang von einer Breite von 2,30 m ausgegangen sei, beruhe dies darauf, dass der Randstein nicht berücksichtigt worden sei. Die Hecke rage beginnend ab einer Höhe von 1,30 m in das Lichtraumprofil des Gehwegs hinein. Der Überstand der Hecke betrage 70 cm. Zutreffend sei, dass die Hecke regelmäßig zugeschnitten werde, allerdings finde lediglich ein sog. „Spitzenschnitt“ statt, d.h. die Hecke werde lediglich geringfügig verschnitten, um das Grün der Hecke zu erhalten. Da bei dieser Heckenart der Holzansatz mit steigendem Alter der Hecke ständig zunehme, führe dies im Ergebnis dazu, dass die Hecke trotz Verschnitt immer weiter in den Gehweg hineinwachse. Das bisherige Einigungsangebot der Klägerseite wäre darauf hinausgelaufen, den status quo im Ergebnis beizubehalten. Dies widerspreche der eindeutigen Beschlusslage des Bau-, Verkehrs- und Grundstücksausschusses der Beklagten, der mit Beschluss vom 23. Juli 2015 festgelegt habe, dass das Lichtraumprofil im öffentlichen Straßenraum freizuhalten sei und der der Verwaltung aufgegeben habe, die Beseitigung von Ästen und Zweigen, die in den Lichtraum hineinragen, konsequent zu verfolgen. Auf Grund dieser Beschlusslage fordere die Beklagte den Rückschnitt der Hecke bis zur Grundstücksgrenze.

In der mündlichen Verhandlung am 6. Dezember 2016 wiederholten und vertieften die Beteiligten ihre schriftsätzlichen Ausführungen. Der Bevollmächtigte der Beklagten änderte den streitgegenständlichen Bescheid vom 5. September 2016 in Ziffer 1. dahingehend ab, dass die Aufforderung zum Rückschnitt der Hecke bis spätestens zwei Wochen nach Unanfechtbarkeit des Bescheids zu erfüllen ist. Ein Eilverfahren der Klägerseite in gleicher Sache (M 2 S. 16.4306) wurde mit Beschluss vom 6. Dezember 2016 eingestellt.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten (des Klagesowie des Eilverfahrens M 2 S. 16.4306) und die in diesen Verfahren vorgelegten Behördenakten verwiesen.

Gründe

Die zulässige Klage ist nur zum Teil begründet.

Die Anordnung der Beklagten in Ziffer 1. des Bescheids vom 5. September 2016 in der Fassung der Erklärung vom 6. Dezember 2016 ist rechtlich nicht zu beanstanden (nachfolgend I.). Rechtswidrig ist hingegen die Androhung der Zwangsvollstreckung in den Ziffern 2. und 3. dieses Bescheids (nachfolgend II.). Ziffer 4. des Bescheids (Anordnung des Sofortvollzugs) ist nur Gegenstand des Eilverfahrens, die Kostenentscheidung in Ziffer 5. des Bescheids begegnet keinen Bedenken.

I. Die Beklagte darf die Klagepartei verpflichten, die auf deren Grundstück stehende Thujenhecke soweit zurückzuschneiden, dass keine Äste und Zweige dieser Hecke über die Grundstücksgrenze in das Lichtraumprofil des angrenzenden Gehwegs hineinragen.

1. Als Rechtsgrundlage für die Anordnung kann die Beklagte sich auf Art. 29 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. Art. 66 Nr. 4 BayStrWG i.V.m. Art. 7 Abs. 2 Nr. 2 LStVG stützen (nachfolgend a); zu dieser Rechtsgrundlage vgl. Wiget in Zeitler, Bayer. Straßen- und Wegegesetz, Stand Oktober 2015, Art. 29 Rn. 28). Ihr stünde im Übrigen alternativ auch eine weitere Rechtsgrundlage zur Verfügung (nachfolgend b)).

a) Nach Art. 29 Abs. 2 Satz 1 BayStrWG dürfen u.a. Anpflanzungen aller Art nicht angelegt werden, soweit sie die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs beeinträchtigen können. Vom Begriff des „Anlegens“ wird dabei auch das „Wachsenlassen“ von Anpflanzungen erfasst (vgl. Wiget in Zeitler, a.a.O., Art. 29 Rn. 26; BayObLG, B.v. 4.4.1995 - 3 ObOWi 30/95 - BayVBl 1995, 541). Art. 66 Nr. 4 BayStrWG enthält eine Bußgeldvorschrift für den Fall der Zuwiderhandlung gegen Art. 29 Abs. 2 Satz 1 BayStrWG. Deshalb vermittelt Art. 7 Abs. 2 Nr. 2 LStVG (wonach die Sicherheitsbehörden für den Einzelfall Anordnungen treffen können, um Zustände zu beseitigen, die durch Taten verursacht wurden, die den Tatbestand einer Ordnungswidrigkeit verwirklichen) den Gemeinden (vgl. Art. 6 LStVG) die Befugnis für die erforderlichen Anordnungen zur Beseitigung verbotswidriger Behinderungen (vgl. Wiget in Zeitler, a.a.O., Art. 29 Rn. 28).

b) Angemerkt sei noch, dass die streitige Sachverhaltskonstellation einer von einem Privatgrundstück in den öffentlichen Straßenraum hineinragenden Anpflanzung auch eine Sondernutzung i.S.v. Art. 18 Abs. 1 Satz 1 BayStrWG darstellt (vgl. OVG NRW, B.v. 21.7.2009 - 11 A 701/70 - juris Rn. 20; Edhofer/Willmitzer, Bayer. Straßen- und Wegegesetz, 13. Aufl. 2010, Art. 29 Erl. 2.2, 2.5). Im Bereich der straßenrechtlichen Sondernutzung ist allgemein anerkannt, dass eine „Bagatellgrenze“ hinsichtlich der Beeinträchtigung des Gemeingebrauchs nicht besteht und dass - von Extremfällen abgesehen - bereits ein geringfügiges Hineinragen in den Straßenraum auch ohne konkrete Gefährdung der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs die Erlaubnispflicht auslöst (vgl. im Einzelnen: Wiget in Zeitler, a.a.O., Art. 18 Rn. 15). Damit würde auch Art. 18a Abs. 1 Satz 1 BayStrWG (wonach die Gemeinde als Straßenbaubehörde die erforderlichen Anordnungen erlassen kann, wenn eine Straße ohne die nach Art. 18 BayStrWG erforderliche Erlaubnis benutzt wird) eine Anordnung mit dem streitgegenständlichen Inhalt ermöglichen (hinsichtlich eines ebenso möglichen privatrechtlichen Vorgehens vgl. im Übrigen: BayVGH, U.v. 15.12.2004 - 8 B 04.1524 - juris Rn. 40; Edhofer/Willmitzer, a.a.O., Art. 29 Erl. 1, 4; Wiget in Zeitler, a.a.O., Art. 29 Rn. 2, 44).

2. Die Anordnung der Beklagten ist in formeller Hinsicht nicht zu beanstanden, insbesondere ist sie inhaltlich hinreichend bestimmt (Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG).

Zwar ging die Beklagte bei der Erstellung der Anordnung von einer Breite des Gehwegs von 2,30 m aus (weil sie die Breite des Randsteins nicht berücksichtigte). Die Klagepartei wird deshalb dazu verpflichtet, dass durch den Rückschnitt auf dem Gehweg eine Durchgangsbreite von „min. 2,30 m“ gewährleistet ist. Im gerichtlichen Verfahren ging die Beklagte jedoch - wie die Klagepartei - von einer Gehwegbreite von 2,50 m aus und fordert auch einen Rückschnitt bis an die Grundstücksgrenze zwischen Anliegergrundstück und Gehweg. Dies ist rechtlich unbedenklich, denn die Beklagte hat die streitgegenständliche Anordnung vorrangig vor konkreten Maßangaben vor allem durch den Verweis auf eine dem Bescheid beigefügte Darstellung des von Bewuchs freizuhaltenden Lichtraumprofils konkretisiert. Aus dieser Darstellung ergibt sich das Ziel der Anordnung, nämlich ein Rückschnitt bis an die Grundstücksgrenze über die gesamte Breite des Gehwegs hinweg, zweifelsfrei. Vor diesem Hintergrund und angesichts der konkret gewählten Formulierung der Anordnung („min. 2,30 m“) besteht auch kein rechtlich relevanter Widerspruch zwischen der (textlichen) Anordnung und dieser Darstellung.

3. Der Verbotstatbestand des Art. 29 Abs. 2 Satz 1 BayStrWG ist erfüllt. Danach dürfen u.a. Anpflanzungen aller Art nicht angelegt (vgl. hierzu bereits oben 1. a)) werden, soweit sie die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs beeinträchtigen können. Die Anordnung ihrer Beseitigung ist nach Art. 29 Abs. 2 Satz 1 BayStrWG i.V.m. Art. 66 Nr. 4 BayStrWG i.V.m. Art. 7 Abs. 2 Nr. 2 LStVG grundsätzlich zulässig.

a) Mit der Regelung, dass unter anderem Anpflanzungen aller Art und Zäune nicht errichtet werden dürfen, soweit sie die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs beeinträchtigen können, enthält Art. 29 Abs. 2 Satz 1 BayStrWG eine Beschränkung der Nutzung des privaten Grundstückseigentums. Bei derartigen bodenrechtlichen Sachverhalten steht der Gesetzgeber angesichts des Auftrags, Inhalt und Schranken des Eigentums zu regeln (vgl. Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG, Art. 103 Abs. 2, 158 BV), vor einer schwierigen Aufgabe. Einerseits gewährleisten Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG und Art. 103 Abs. 1 BV das Privateigentum, wie es sich in seinem rechtlichen Gehalt vor allem in der grundsätzlichen Verfügungsbefugnis und in der Privatnützigkeit verwirklicht. Andererseits muss der Gesetzgeber in gleicher Weise dem verfassungsrechtlichen Gebot einer sozial gerechten Eigentumsordnung Rechnung tragen (vgl. Art. 14 Abs. 2 GG, Art. 103 Abs. 2, 158 BV). Dazu muss er die schutzwürdigen Interessen der Beteiligten ohne einseitige Bevorzugung oder Benachteiligung in einen gerechten Ausgleich bringen. Hierbei hat er seine Bindung an die verfassungsrechtlichen Grundsätze der Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit zu beachten. Das Wohl der Allgemeinheit ist nicht nur Grund, sondern auch Grenze für die dem Eigentum aufzuerlegenden Beschränkungen. Um vor den Art. 14 Abs. 1 GG und Art. 103, 158 BV Bestand zu haben, müssen (Nutzungs-)Beschränkungen des Eigentums deshalb vom geregelten Sachbereich her geboten und auch in ihrer Ausgestaltung sachgerecht sein. Einschränkungen der Eigentümerbefugnisse dürfen nicht weiter gehen, als der Schutzzweck reicht, dem die Regelung dient. In jedem Fall erfordert die verfassungsrechtliche Gewährleistung die Erhaltung der Substanz des Eigentums und die Beachtung des Gleichheitsgebots der Art. 3 Abs. 1 GG, Art. 118 Abs. 1 BV (BayVGH, U.v. 15.12.2004 - 8 B 04.1524 - juris Rn. 23 m.w.N.).

Diesen verfassungsrechtlichen Grundsätzen entspricht die Systematik der gesetzlichen Regelungen in Art. 29 Abs. 2, Abs. 4 BayStrWG, die nach der eigentumsrechtlichen Schutzwürdigkeit und Schutzbedürftigkeit von Anpflanzungen und Gegenständen, welche die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs beeinträchtigen können, differenziert. Nach Art. 29 Abs. 2 Satz 1 BayStrWG verbotswidrige Anpflanzungen und Gegenstände wie z.B. Hecken, die - wie hier - in den öffentlichen Straßenraum hineinwachsen, erlangen - jedenfalls in der Regel - keinen Eigentumsschutz. Zwar kann auch dieses Verbot durchaus zu fühlbaren Vermögensnachteilen führen. Das als Auswirkung der Sozialpflichtigkeit des Eigentums unmittelbar wirksame Verbot führt jedoch dazu, dass ab dem Zeitpunkt der Wirksamkeit keine entschädigungsfähige Rechtsposition mehr entstehen kann (vgl. Wiget in Zeitler, a.a.O., Rn. 39 m.w.N.). Denn für den Eigentümer des z.B. in den Straßenraum hineinragenden Bewuchses stellt sich das Verbot als zulässige Inhalts- und Schrankenbestimmung i.S. von Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG bzw. Art. 103 Abs. 2 BV dar, die seine Rechtsposition und damit den Inhalt seiner Eigentümerbefugnisse schmälert (vgl. BayVGH, U.v. 15.12.2004 - 8 B 04.1524 - juris Rn. 40). Der Gesetzgeber sieht deshalb im Falle eines Verstoßes gegen das Verbot des Art. 29 Abs. 2 Satz 1 BayStrWG auch keine Ausgleichspflicht vor, anders als im Falle des Art. 29 Abs. 2 Satz 2 BayStrWG, in dem die Duldung der Beseitigung bereits vorhandener, die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs beeinträchtigender Anpflanzungen und Gegenstände durch den Straßenbaulastträger verlangt werden kann. Im letzteren Fall lässt der Gesetzgeber nämlich auch Einwirkungen auf bestandsgeschützte Nutzungen zu, die dem Eigentümer ein ausgleichspflichtiges Sonderopfer abverlangen können (vgl. Wiget in Zeitler, a.a.O., Rn. 39). Eine derartige Fallgestaltung liegt hier jedoch nicht vor, weil von der streitgegenständlichen Beseitigungsanordnung nur i.S.d. Art. 29 Abs. 2 Satz 1 BayStrWG verbotswidrig in den öffentlichen Straßenraum ragender Bewuchs betroffen ist und nicht etwa auch bestandsgeschützte Teile der Hecke auf dem Grundstück der Klagepartei.

Nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs ist allerdings auch im Rahmen des Art. 29 Abs. 2 Satz 1 BayStrWG in jedem konkreten Einzelfall die Prüfung erforderlich, ob die Nutzungsbeschränkung überhaupt und wenn ja, in vollem Umfang notwendig ist, um Gefahren für die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs abzuwehren. Nicht vereinbar mit der verfassungsrechtlichen Stellung des Grundstückseigentümers wäre es deshalb, eine abstrakte Gefährdung der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs als Tatbestandsvoraussetzung ausreichen zu lassen; denn dann würde auf der Grundlage einer nur generell-abstrakten Betrachtung denkbarer Verhaltensweisen oder Zustände ein Schadenseintritt als wahrscheinlich angesehen werden können. Der Interessenkonflikt zwischen Eigentümerbefugnissen und Schutzzweck des Art. 29 Abs. 2 Sätze 1 und 2 BayStrWG wird vielmehr nur dann gerecht und verfassungsrechtlich unbedenklich ausgeglichen, wenn im konkreten Einzelfall in überschaubarer Zukunft bei ungehindertem Ablauf des objektiv zu erwartenden Geschehens eine Verletzung der Schutzgüter der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs von Gewicht zu erwarten ist und durch die Regelung abgewehrt werden soll, d.h. notwendig ist das Vorliegen einer so genannten konkreten Gefahr (BayVGH, U.v. 15.12.2004 - 8 B 04.1524 - juris Rn. 24).

b) Gemessen hieran ist im vorliegenden Einzelfall festzustellen: Selbst wenn man nur von einem Überwuchs der Thujenhecke in dem von der Klagepartei einräumten Ausmaß (ca. 45 cm) ausgeht, liegt bereits eine hinreichende und die streitgegenständliche Anordnung rechtfertigende Beeinträchtigung der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs vor.

Die Zweige und Äste der Thujenhecke der Klagepartei ragen entlang der Front des Grundstücks zum Gehweg jedenfalls mehr als 40 cm in den Gehweg hinein (die Klagepartei räumt einen Überwuchs von mindestens 45 cm ein und hat nach eigener Darstellung einen Rückschnitt auf einen Überwuchs von 40 cm angeboten, die Beklagte geht von einem Überwuchs von 60 - 70 cm aus). Nach - inzwischen - unstreitiger Auffassung der Beteiligten weist der Gehweg vor dem Grundstück der Klagepartei eine Breite von 2,50 m auf. Es verbleibt damit günstigstenfalls eine nutzbare Gehwegbreite von 2,10 m (dass der Überwuchs erst ab der Oberkante des Gartenzauns in einer Höhe von 1,30 bis 1,50 m beginnt, spielt keine Rolle, da für einen durchschnittlichen Nutzer des Gehwegs der Luftraum unterhalb dieses Überwuchses keinen praktisch nutzbaren Bewegungsraum darstellt). Schon diese günstigstenfalls nutzbare Breite von 2,10 m lässt nach Überzeugung des Gerichts nicht ansatzweise eine hinreichend sichere und unbeeinträchtigte Nutzung des Gehwegs durch die unterschiedlichen Verkehrsteilnehmer (Fußgänger, Rollstuhlfahrer, Fußgänger mit Kinderwagen, spielende oder auf dem Gehweg Rad fahrende Kleinkinder, etc.) vor dem Anwesen der Klagepartei zu. Bestätigt wird dies durch entsprechende technische Regelwerke wie die Richtlinien für die Anlage von Stadtstraßen (RASt 06): Danach ergibt sich als Mindestanforderung für den Verkehrsraum eines Gehwegs eine Breite von 2,50 m (RASt 06, Seite 81, Bild 70). Dementsprechend wird auch für die „typische Entwurfssituation einer Wohn Straße“, die der vorliegenden örtlichen Situation entsprechen dürfte, eine Mindest-Gehwegbreite von 2,50 m empfohlen (RASt 06, Seite 39, Bild 26). Deshalb greift auch die Behauptung der Klägerseite, bei der …straße handle es sich um eine gering genutzte reine Anwohner Straße, nicht durch; auch für Straßen mit einer reinen Funktion zur Erschließung von Wohngebieten und einer geringen Stärke des motorisierten Verkehrs leitet sich nach diesem technischen Regelwerk aus dem typischen Raumbedarf der Gehwegnutzer eine Mindest-Gehwegbreite von 2,50 m ab. Die durch das Unterschreiten dieses Raumbedarfs verursachte Beeinträchtigung der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs auf dem an sich baulich ausreichend dimensionierten und durch die Widmung vollständig dem Gemeingebrauch zur Verfügung stehenden Gehweg gebietet das Einschreiten der Beklagten.

4. Die Ermessensausübung der Beklagten im streitgegenständlichen Bescheid ist durch das Gericht nicht zu beanstanden (§ 114 Satz 1 VwGO).

Soweit die Klagepartei auf die langjährige, vermeintlich unbeanstandete Existenz der Thujenhecke hinweist, vermag dies keine Zweifel am ermessensfehlerfreien Vorgehen der Beklagten zu begründen. Der Vertreter der Beklagten legte dar, dass in der Vergangenheit im gemeindlichen Mitteilungsblatt regelmäßig auf den erforderlichen Rückschnitt von Hecken hingewiesen worden sei. Dies musste letztlich nicht weiter überprüft werden, denn entscheidend ist, dass durch eine Beschlussfassung vom 23. Juli 2015 im Bau-, Verkehrs- und Grundstücksausschuss der Beklagten aus Gründen der Gleichbehandlung aller Grundstückseigentümer ein konsequentes gemeindeweites Vorgehen zur notfalls zwangsweisen Durchsetzung des Rückschnitts von Hecken auf die Grundstücksgrenzen festgelegt und die Verwaltung mit der entsprechenden Umsetzung beauftragt wurde. Dass diese Umsetzung gemeindeweit erfolgte und weiter erfolgen wird, wurde vom Vertreter der Beklagten in der mündlichen Verhandlung überzeugend erläutert. Es ist deshalb nichts dafür ersichtlich, dass die Beklagte mit ihrem Vorgehen die durch Art. 40 BayVwVfG gezogenen Grenzen überschreiten würde.

5. Bedenken gegen die Verhältnismäßigkeit der Anordnung hat das Gericht nicht. Der geforderte Rückschnitt der Thujenhecke der Klägerseite bis auf die Grundstücksgrenze ist geeignet und erforderlich, eine Beeinträchtigung der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs auf dem Gehweg vor dem Anwesen der Klagepartei zu verhindern und den Gehweg in seiner vollen und für die Verkehrsteilnehmer erforderlichen Breite wieder zur Verfügung zu stellen. Der gegen die Verhältnismäßigkeit der Anordnung erhobene Einwand der Klagepartei, durch einen Rückschnitt der Thujenhecke bis auf die Grundstücksgrenze werde die Hecke insgesamt in ihrer Existenz gefährdet und es sei davon auszugehen, dass mit hohem finanziellen Aufwand eine Ersatzpflanzung erforderlich werde, verhilft der Klage nicht zum Erfolg:

Für das Gericht ist nicht ersichtlich, dass der geforderte Rückschnitt der Thujenhecke tatsächlich deren Existenz insgesamt gefährden könnte. Nach dem Eindruck des Gerichts aus der Erörterung der Angelegenheit in der mündlichen Verhandlung dürfte auf der Klägerseite wohl eher die - durchaus realistische - Befürchtung vorherrschen, der geforderte Rückschnitt führe dazu, dass die Thujenhecke auf Grund ihrer natürlichen Beschaffenheit mindestens auf Jahre hinaus zur Straßenseite hin ein unansehnlich kahles Erscheinungsbild zeigen werde. Dafür, dass die Hecke insgesamt, also auch soweit sie sich auf dem klägerischen Grundstück befindet, auf Grund des geforderten Rückschnitts bis zur Grundstücksgrenze nicht mehr überlebensfähig wäre, sind dagegen keine hinreichenden Anhaltspunkte ersichtlich. Die bloße optische Beeinträchtigung reicht nicht aus, einen Eigentumseingriff von Gewicht zu begründen. Insoweit kommt - wie oben (I. 3. a)) bereits dargelegt - zum Tragen, dass der in den öffentlichen Straßenraum hineinragende verbotswidrige Bewuchs - jedenfalls im Regelfall - keinen Eigentumsschutz erlangen kann. So liegt der Fall auch hier, zumal die Rechtswidrigkeit des Überwuchses - allein schon auf Grund der öffentlichen Hinweise der Beklagten - für den Kläger offensichtlich sein musste. Es kann daher keine Rede davon sein, dass die Beseitigungsanordnung unangemessen wäre. Auch ist keine praktikable Möglichkeit ersichtlich, die von der Klagepartei befürchteten Auswirkungen auf die Thujenhecke bei Sicherstellung des Ziels einer Gewährleistung der Sicherheit und Leichtigkeit des Fußgängerverkehrs spürbar abzumildern, etwa durch einen sukzessiven, zeitlich gestaffelten Rückschnitt: Wie in der mündlichen Verhandlung ausführlich erörtert wurde, eröffnet das natürliche Wuchsverhalten einer Thujenhecke bei dem vorhandenen massiven Überhang keinen Raum dafür, in einem noch angemessenen Zeitraum einen Rückschnitt bis auf die Grundstücksgrenze unter gleichzeitigem Erhalt von frischen Trieben der Hecke zu erreichen.

II.

Die Androhung der Ersatzvornahme in Ziffer 2. des Bescheids vom 5. September 2016 und dementsprechend auch die Kostenschätzung in Ziffer 3. des Bescheids sind rechtswidrig und verletzen die Klagepartei in eigenen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Nach Art. 32 Satz 2 BayVwZVG ist die Ersatzvornahme nur zulässig, wenn ein Zwangsgeld keinen Erfolg erwarten lässt. Diese Einschränkung ist eine Zulässigkeitsvoraussetzung für das Zwangsmittel der Ersatzvornahme und entspricht der nach bayerischem Vollstreckungsrecht vorgesehenen Rangfolge der Zwangsmittel (vgl. Art. 29 Abs. 2 BayVwZVG), die bei vertretbaren Handlungen - wie hier - grundsätzlich vom Vorrang des Zwangsgeldes gegenüber der Ersatzvornahme ausgeht, weil ersteres als das mildere Zwangsmittel angesehen wird. Art. 32 Satz 2 BayVwZVG schränkt somit die Anwendung des Zwangsmittels der Ersatzvornahme ein (BayVGH, B.v. 14.9.2006 - 15 ZB 06.2079 - juris Rn. 5 m.w.N.).

Vorliegend ist nichts dafür ersichtlich oder von der Beklagten schlüssig vorgetragen, dass im Fall der Klagepartei ein - erstmals - angedrohtes Zwangsgeld von vornherein ungeeignet gewesen wäre, die Klagepartei zur Erfüllung ihrer Pflichten anzuhalten. Dass durch eine Ersatzvornahme der rechtlich gebotene Zustand auf direkterem Weg hergestellt werden kann als durch die nur mittelbar wirksame Androhung und Beitreibung eines Zwangsgelds, ändert nichts an dessen rechtlichem Vorrang als Regelzwangsmittel (BayVGH, B.v. 7.11.2002 - 22 CS 02.2335 - juris Rn. 13 m.w.N.).

Die Klage war deshalb zum überwiegenden Teil mit der Kostenfolge des § 155 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 VwGO abzuweisen.

Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.

Die Berufung war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 124 Abs. 2 Nrn. 3 oder 4 VwGO nicht vorliegen (§ 124 a Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Soweit die Verwaltungsbehörde ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, prüft das Gericht auch, ob der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist. Die Verwaltungsbehörde kann ihre Ermessenserwägungen hinsichtlich des Verwaltungsaktes auch noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ergänzen.

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt die Feststellung der Rechtswidrigkeit einer Verfügung, mit der ihr die Annahme und Vermittlung unerlaubter Sportwetten in ihrem Geschäftsraum in der F.-Straße ... in W. untersagt worden war.

2

In dieser Betriebsstätte vermittelte die Klägerin Sportwetten an die D. GmbH in Österreich. Ihr Antrag auf Erteilung einer Vermittlungserlaubnis, hilfsweise auf Feststellung, dass die österreichische Konzession des Wettanbieters einer inländischen Erlaubnis gleichstehe, wurde abgelehnt. Dagegen erhob die Klägerin Klage. Nach vorheriger Anhörung untersagte die Stadt W. als Rechtsvorgängerin des Beklagten ihr mit sofort vollziehbarem Bescheid vom 30. August 2007 die Vermittlung von Sportwetten in ihrem Wettlokal, gab ihr auf, den Betrieb einzustellen, und drohte ein Zwangsgeld in Höhe von 5 000 € an. Zur Begründung verwies sie auf §§ 5, 12 Abs. 1 Satz 2 des Staatsvertrags zum Lotteriewesen in Deutschland vom 13. Februar 2004 (Lotteriestaatsvertrag - LoStV - GVBl S. 325) i.V.m. § 2 des Landesgesetzes über das öffentliche Glücksspiel - LGlüG - vom 14. Juni 2004 (GVBl S. 322). Wegen des staatlichen Sportwettenmonopols könne die Klägerin ebenso wie der private Wettanbieter keine Erlaubnis erhalten. Den Widerspruch der Klägerin wies die Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion Trier (ADD Trier) mit Widerspruchsbescheid vom 28. Juli 2008, zugestellt am 30. Juli 2008, zurück. Sie führte aus, die Untersagung sei ermessensgerecht und insbesondere verhältnismäßig. Eine andere Entscheidung komme nicht in Betracht.

3

Am 30. August 2008 hat die Klägerin Anfechtungsklage erhoben. Ihr bereits zuvor erhobener Eilantrag hatte zunächst Erfolg. Im Streit um die eilverfahrensrechtlichen Konsequenzen der Umsetzung des Glücksspielstaatsvertrags lehnte das Oberverwaltungsgericht jedoch schließlich mit Beschluss vom 5. Januar 2010 eine Wiederherstellung oder Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage ab.

4

Nach einer Kontrolle im Februar 2010 setzte der Beklagte ein Zwangsgeld in Höhe von 3 000 € fest. Auf die Erklärung des Geschäftsführers der Klägerin, er sei nicht mehr für diese, sondern für die W. GmbH i.G. als neue Betreiberin des Wettlokals tätig, stellte der Beklagte die Vollstreckung ein.

5

Mit außergerichtlichem Schreiben vom 13. September 2010 wies der Beklagte die Klägerin darauf hin, nach den Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs vom 8. September 2010 sei allenfalls die Monopolregelung unanwendbar, der Betrieb von Wettannahmestellen ohne Erlaubnis aber weiterhin formell illegal. Er werde die Entscheidung des Ministeriums abwarten.

6

Im gerichtlichen Verfahren trug der Beklagte mit Schriftsatz vom 30. November 2011 vor, die Untersagung sei wegen des Fehlens der erforderlichen Erlaubnis gerechtfertigt. Darauf habe sich schon der Ausgangsbescheid gestützt. Deshalb liege auch kein unzulässiger Austausch von Gründen vor. Im Übrigen könnten Dauerverwaltungsakte jederzeit modifiziert werden. Inzwischen sei das Erlaubnisverfahren für Private geöffnet worden. Dies habe das Innenministerium den Wettanbietern, die eine Erlaubnis beantragt hatten, mit Schreiben vom 18. Oktober 2010 erläutert. Außerdem habe es dazu eine Check-Liste herausgegeben. Die Angebote der Wettveranstalter seien jedoch nicht offensichtlich erlaubnisfähig.

7

Das Verwaltungsgericht Mainz hat den angegriffenen Bescheid mit Gerichtsbescheid vom 5. Januar 2012 aufgehoben.

8

Im Berufungsverfahren hat die Klägerin mitgeteilt, sie habe am 10. Mai 2012 den Zugriff auf die Geschäftsräume in der F.-Straße ... durch Rückgabe der Räume an den Vermieter verloren. Deshalb hat sie ihre Klage auf einen Fortsetzungsfeststellungsantrag umgestellt und sich auf ein Präjudizinteresse und ein Rehabilitierungsinteresse sowie auf ein berechtigtes Feststellungsinteresse wegen der Schwere des Grundrechtseingriffs berufen.

9

Das Oberverwaltungsgericht hat mit Urteil vom 15. Mai 2012 den Gerichtsbescheid geändert und festgestellt, die Untersagungsverfügung sei vom Zeitpunkt ihres Erlasses bis zum 10. Mai 2012 rechtswidrig gewesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der Untersagung ergebe sich aus einem Präjudizinteresse der Klägerin. Die Geltendmachung von Staatshaftungsansprüchen insbesondere nach § 68 Abs. 1 Satz 2 POG sei nicht offensichtlich aussichtslos. Die Klägerin habe alles Zumutbare getan, eine Erlaubnis zu erlangen. Die Fortsetzungsfeststellungsklage sei auch begründet, weil die Untersagung ermessensfehlerhaft sei. Im Zeitraum vom Erlass der Verfügung bis 2010 sei das Sportwettenmonopol schon wegen der Werbung, die von der L. GmbH für die Sportwette ODDSET betrieben wurde, verfassungs- und unionsrechtswidrig gewesen. Auch im Zeitraum seit 2010, in dem der Beklagte das Erlaubnisverfahren für Private geöffnet und das Aufrechterhalten der Verbotsverfügung mit dem Fehlen einer Vermittlungserlaubnis und der fehlenden Erlaubnisfähigkeit des Wettangebots gerechtfertigt habe, sei die Untersagung rechtswidrig gewesen. Insoweit liege ein nach § 114 Satz 2 VwGO unzulässiger Austausch wesentlicher Ermessenserwägungen vor, da der ursprünglich tragende Gesichtspunkt des Sportwettenmonopols keine Rolle mehr spiele. Überdies sei auch die unzulässig nachgeschobene Begründung ermessensfehlerhaft. Der Beklagte habe es versäumt, bei seiner Ermessensausübung zu berücksichtigen, dass die Landesregierung dem Landtag Rheinland-Pfalz den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Landesglücksspielgesetzes (LTDrucks 16/1179) zugeleitet habe, das am 1. Juli 2012 in Kraft treten solle. Der Entwurf sehe vor, in Übereinstimmung mit dem Ersten Glücksspieländerungsstaatsvertrag die Veranstaltung und Vermittlung von Wetten im Internet sowie Endergebniswetten während des laufenden Sportereignisses zuzulassen. Dies habe der Beklagte nicht zuletzt wegen des Unterliegens der Klägerin im Eilverfahren in seine Ermessensausübung einbeziehen müssen.

10

Mit seiner Revision, die bezüglich des Untersagungszeitraums vom 1. Oktober 2010 bis zum 10. Mai 2012 zugelassen wurde, macht der Beklagte geltend, das Berufungsgericht habe zu Unrecht ein Präjudizinteresse der Klägerin bejaht. § 68 Abs. 1 Satz 2 POG, der im Verwaltungsprozess ebenso revisibel sei wie im zivilgerichtlichen Verfahren, greife offensichtlich nicht ein. Er begründe keine Haftung für legislatives Unrecht einschließlich des Vollzugs rechtswidriger Gesetze. In materiell-rechtlicher Hinsicht sei der Verwaltungsgerichtshof zu Unrecht von einer Inkohärenz des Monopols ausgegangen. Er habe den Werbebegriff verkannt und die unionsrechtlichen Grenzen kanalisierender Werbung zu eng gezogen. Gegebenenfalls sei dazu eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union einzuholen. Für den Wortlaut der vorgeschlagenen Vorlagefragen wird auf die Anlage zur Sitzungsniederschrift vom 18. Juni 2013 verwiesen. Der Beklagte trägt weiter vor, bei Dauerverwaltungsakten wie der hier angegriffenen Untersagung stehe § 114 Satz 2 VwGO einem Auswechseln der Ermessenserwägungen nicht entgegen. Unabhängig davon seien auch die allgemeinen verwaltungsverfahrensrechtlichen Grenzen des Nachschiebens von Gründen gewahrt. Das Berufungsurteil verkenne die Rechtsfigur des intendierten Ermessens und übersehe, dass das Ermessen des Beklagten zulasten der Klägerin auf Null reduziert gewesen sei. Gesetze im Entwurfsstadium müssten bei der Ermessensausübung nicht berücksichtigt werden.

11

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 15. Mai 2012 und den Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts Mainz vom 5. Januar 2012, soweit diese den Zeitraum vom 1. Oktober 2010 bis zum 10. Mai 2012 betreffen, zu ändern und die Klage insoweit abzuweisen.

12

Die Klägerin beantragt,

die Revision des Beklagten zurückzuweisen.

13

Sie verteidigt das angegriffene Urteil und führt ergänzend aus, ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse ergebe sich auch aus dem schwerwiegenden Eingriff in ihre Dienstleistungsfreiheit. Der Erlaubnisvorbehalt sei nicht monopol-unabhängig anwendbar. Ein Nachschieben von Gründen sei nach endgültiger Erledigung der Untersagung nicht mehr zulässig. Ein intendiertes Ermessen oder eine Ermessensreduzierung auf Null lägen nicht vor. Außerdem dürfe nicht auf die formelle Illegalität abgestellt werden, weil die Öffnung des Erlaubnisverfahrens für Private in Rheinland-Pfalz nicht den unionsrechtlichen Anforderungen der Transparenz genügt habe. Insoweit sei nach wie vor von einer Verletzung der Dienstleistungsfreiheit auszugehen. Die entsprechenden unionsrechtlichen Vorgaben seien durch ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union zu klären. Für die von der Klägerin formulierten Vorlagefragen wird auf die zweite Anlage zur Sitzungsniederschrift vom 18. Juni 2013 verwiesen.

Entscheidungsgründe

14

Die Revision des Beklagten ist im Umfang ihrer Zulassung - soweit das Verfahren den Zeitraum vom 1. Oktober 2010 bis zum 10. Mai 2012 betrifft - begründet. Insoweit beruht das angegriffene Urteil gemäß § 137 Abs. 1 VwGO auf der unzutreffenden Anwendung der §§ 133, 157 BGB, des § 114 Satz 2 VwGO und des § 40 VwVfG, der nach § 1 des Landesverwaltungsverfahrensgesetzes (LVwVfG) vom 23. Dezember 1976 (GVBl S. 308) in der Fassung der Änderung durch Gesetz vom 27. Oktober 2009 (GVBl S. 358) anzuwenden ist. Die Berufungsentscheidung erweist sich insoweit auch nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 144 Abs. 4 VwGO). Da ihre Tatsachenfeststellungen keine abschließende Entscheidung zulassen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1, Abs. 4 VwGO), war das angegriffene Urteil, soweit es den verfahrensgegenständlichen Zeitraum betrifft, aufzuheben und die Sache insoweit zurückzuverweisen (§ 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO).

15

1. Zu Recht hat das Oberverwaltungsgericht die Fortsetzungsfeststellungsklage der Klägerin für zulässig gehalten.

16

a) Statthaft ist diese Klageart, weil die angegriffene Untersagungsverfügung sich endgültig erledigt hat. Da sie sich nur auf die Betriebsstätte der Klägerin bezog, wurde sie gegenstandslos, als die Klägerin den Zugriff auf das Wettlokal verlor. Die Feststellung des Oberverwaltungsgerichts, dies sei durch Aufgeben der Betriebsstätte am 10. Mai 2012 geschehen, hat der Beklagte nicht mit wirksamen Verfahrensrügen angegriffen. Insbesondere war das Berufungsgericht nach § 86 Abs. 1 VwGO nicht verpflichtet, ohne konkrete Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit des Vorbringens der Klägerin und ohne einen entsprechenden Beweisantrag des Beklagten weitere Aufklärungsmaßnahmen zur Klärung des Zeitpunkts und der Umstände der Betriebsaufgabe einzuleiten. Der Zulässigkeit des Fortsetzungsfeststellungsbegehrens steht auch nicht entgegen, dass die Zwangsgeldfestsetzung nach der Einstellung der Vollstreckung nicht aufgehoben wurde. Wegen der endgültigen Aufgabe der Betriebsstätte kommt eine weitere Vollstreckung aus der Zwangsgeldfestsetzung nicht mehr in Betracht. Damit ist die Untersagungsverfügung auch als Vollstreckungsgrundlage gegenstandslos geworden.

17

b) Die Klägerin hat auch ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der Untersagung (§ 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO). Zwar besteht kein Rehabilitierungsinteresse, da der Widerspruchsbescheid zur Begründung der Untersagung allein auf die objektive Tatbestandsmäßigkeit des Verhaltens abstellt, ohne einen stigmatisierenden Vorwurf schuldhaft strafrechtswidrigen Handelns zu erheben. Die Klägerin kann sich aber auf ein Präjudizinteresse berufen. Dazu genügt, dass die beabsichtigte Geltendmachung von Staatshaftungsansprüchen nicht offensichtlich aussichtslos ist.

18

Bei der Prüfung dieses Ausschlusskriteriums ist ein strenger Maßstab anzulegen. Offensichtlich aussichtslos ist eine Staatshaftungsklage, wenn der geltend gemachte Anspruch unter keinem denkbaren rechtlichen Gesichtspunkt besteht und dies sich ohne eine ins Einzelne gehende Würdigung aufdrängt (Urteile vom 14. Januar 1980 - BVerwG 7 C 92.79 - Buchholz 310 § 113 VwGO Nr. 95, vom 29. April 1992 - BVerwG 4 C 29.90 - Buchholz 310 § 113 VwGO Nr. 247 und vom 8. Dezember 1995 - BVerwG 8 C 37.93 - BVerwGE 100, 83 <92> = Buchholz 454.11 WEG Nr. 7). Die Wahrscheinlichkeit eines Misserfolgs genügt nicht.

19

Offenbleiben kann hier, ob ein - verschuldensabhängiger - Amtshaftungsanspruch nach Art. 34 Satz 1 GG, § 839 BGB oder ein unionsrechtlicher Staatshaftungsanspruch in Betracht kommt. Jedenfalls ist das Bestehen eines Haftungsanspruchs nach § 68 Abs. 1 Satz 2 des rheinland-pfälzischen Polizei- und Ordnungsgesetzes (POG) nicht von vornherein offensichtlich ausgeschlossen. Dabei muss nicht geklärt werden, ob die Anwendung der im Zivilprozess revisiblen Vorschrift (§§ 545, 560 ZPO) auch im Verwaltungsprozess revisionsgerichtlich überprüft werden darf oder ob dies wegen § 137 Abs. 1 VwGO nicht in Betracht kommt (vgl. Beschlüsse vom 17. Oktober 2012 - BVerwG 8 B 47.12 - Buchholz 11 Art. 20 GG Nr. 208 und - BVerwG 8 B 62.12 - juris). Selbst wenn eine revisionsgerichtliche Überprüfung der Auslegung der Vorschrift zulässig sein sollte, wären deren Voraussetzungen hier nicht offensichtlich und ohne eine ins Einzelne gehende Prüfung zu verneinen.

20

§ 68 Abs. 1 Satz 2 POG begründet einen - verschuldensunabhängigen - Entschädigungsanspruch, wenn jemand durch eine rechtswidrige Maßnahme der allgemeinen Ordnungsbehörden oder der Polizei einen Schaden erleidet. Bei Erlass der Untersagungsverfügung wurde die Stadt W. nach § 11 Abs. 2 Satz 1 LGlüG als örtliche Ordnungsbehörde tätig.

21

Ob eine Haftung nach § 68 Abs. 1 Satz 2 POG ausgeschlossen ist, weil die Norm nur die Haftung für enteignungsgleichen Eingriff regeln soll und keine Entschädigung für legislatives Unrecht einschließlich der Anwendung rechtswidriger Normen (sog. Beruhensfälle) gewährt, muss gegebenenfalls im zivilgerichtlichen Staatshaftungsprozess geklärt werden. Von einer solchen Anspruchsbegrenzung kann nicht mit der erforderlichen Offensichtlichkeit ausgegangen werden. Weder der Wortlaut der Norm noch die Gesetzessystematik geben dafür klare Anhaltspunkte. In den Gesetzesmaterialien (vgl. Heise/Riegel, Musterentwurf eines einheitlichen Polizeigesetzes, 2. Aufl. 1978, S. 23 unter 3.51 erster Absatz sowie die Begründung des Gesetzentwurfs der Landesregierung zur Änderung des Polizeiverwaltungsgesetzes von Rheinland-Pfalz vom 2. Februar 1993, LTDrucks 12/2542, S. 32; Protokoll der ersten Beratung des Gesetzentwurfs, Protokolle der 12. Wahlperiode, 44. Sitzung vom 11. Februar 1993, StenBer S. 3568 f.) finden sich zu dieser Frage keine einschlägigen, eindeutigen Aussagen. Eine gefestigte, die Anspruchsbegrenzung bestätigende zivilgerichtliche Rechtsprechung liegt noch nicht vor. Nur eines von zwei rheinland-pfälzischen Oberlandesgerichten hat bislang eine solche Begrenzung in einem Prozesskostenhilfe-Beschwerdeverfahren mit rechtsgeschichtlichen und rechtsvergleichenden Erwägungen bejaht (OLG Zweibrücken, Beschluss vom 6. März 2013 - 6 W 21.12 - ZfWG 2013, 185 f. = juris ). Eine Berufungsentscheidung des anderen Oberlandesgerichts in einem weiteren diese Frage betreffenden Verfahren (LG Mainz, Urteil vom 11. April 2012 - 4 O 436/10 -) stand bei Schluss der mündlichen Verhandlung im vorliegenden Revisionsverfahren noch aus.

22

Ein Ersatzanspruch nach § 68 Abs. 1 Satz 2 POG ist auch nicht schon offensichtlich zu verneinen, weil die etwaige Rechtsverletzung nicht kausal für den geltend gemachten Schaden wäre. Die landesrechtliche Regelung verhält sich nicht zu den Anforderungen, die an die Verursachung des Schadens zu stellen sind. Bisher fehlt auch eine gefestigte zivilgerichtliche Konkretisierung der in § 68 Abs. 1 Satz 2 POG vorausgesetzten Kausalität. Zwar mag naheliegen, die für revisible Haftungsnormen entwickelten Anforderungen an die Kausalität bei Ermessensakten auch auf die landesrechtliche Haftungsregelung des Polizei- und Ordnungsrechts zu übertragen und die Ursächlichkeit zu verneinen, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass auch bei fehlerfreier Rechtsanwendung dieselbe zum Schaden führende Entscheidung getroffen worden wäre (BGH, Beschlüsse vom 21. Januar 1982 - III ZR 37/81 - VersR 1982, 275 und vom 30. Mai 1985 - III ZR 198/84 - VersR 1985, 887 f.; Vinke, in: Soergel, Bürgerliches Gesetzbuch, Bd. 12, Stand: Sommer 2005, § 839 Rn. 176, zur Unterscheidung von der Figur rechtmäßigen Alternativverhaltens vgl. ebd. Rn. 178). Offensichtlich ist eine solche Parallelität aber nicht. Insbesondere steht es dem Landesgesetzgeber frei, die Haftung großzügiger zu regeln. Ob dies hier geschehen ist, bedarf gegebenenfalls einer näheren Prüfung im Staatshaftungsverfahren.

23

Entgegen der Auffassung des Beklagten fehlt es schließlich nicht offenkundig an einem ersatzfähigen Schaden. Auf die Frage, ob eigentumsfähige Positionen betroffen sind, kommt es nur bei einer entsprechenden, hier gerade nicht offensichtlichen Beschränkung der Haftung an. Ob Vermögenseinbußen wegen rechtlicher Missbilligung der untersagten Tätigkeit nicht ersatzfähig sind, lässt sich nur auf der Grundlage einer ins Einzelne gehenden verfassungs- und unionsrechtlichen Prüfung der die Tätigkeit beschränkenden oder missbilligenden Vorschriften beantworten, so dass auch insoweit keine Offensichtlichkeit vorliegt.

24

Da die Klägerin sich um eine Erlaubnis bemüht und deswegen Klage erhoben hat, scheidet eine Haftung auch unter dem Gesichtspunkt der Mitverursachung nicht offensichtlich aus.

25

2. Die Annahme des Berufungsgerichts, die Fortsetzungsfeststellungsklage sei für den verfahrensgegenständlichen Zeitraum vom 1. Oktober 2010 bis zum 10. Mai 2012 auch begründet, hält jedoch der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht Stand. Das Berufungsurteil verletzt die revisiblen Auslegungsregeln der §§ 133, 157 BGB, soweit es den Stellungnahmen des Beklagten im verwaltungsgerichtlichen Verfahren entnimmt, dass die Untersagung im verfahrensgegenständlichen Zeitraum nicht mehr auf das Sportwettenmonopol, sondern allein auf die nachgeschobenen Erwägungen zur formellen und materiellen Illegalität der untersagten Tätigkeit gestützt wurde. Außerdem geht das Urteil unzutreffend davon aus, die Zulässigkeit des Nachschiebens neuer Gründe sei in § 114 Satz 2 VwGO geregelt, und übergeht die einschlägigen Grundsätze des allgemeinen Verwaltungsverfahrensrechts. Schließlich wendet es § 40 VwVfG i.V.m. § 1 LVwVfG unrichtig an, soweit es annimmt, der Beklagte sei verpflichtet gewesen, bei seinen Ermessenserwägungen den Gesetzentwurf der Landesregierung zur Umsetzung des Ersten Glücksspieländerungsvertrags zu berücksichtigen.

26

a) Das Berufungsgericht ist in Anwendung nichtrevisiblen Landesrechts davon ausgegangen, dass die Vermittlungstätigkeit der Klägerin formell illegal war und deshalb von der Ordnungsbehörde - bei fehlerfreier Ausübung des ihr eingeräumten Ermessens - untersagt werden durfte. Dagegen ist nichts zu erinnern. Gleiches gilt für die Annahme des Berufungsgerichts, die Untersagungsverfügung sei ursprünglich damit begründet worden, dass die Vermittlungstätigkeit wegen des Sportwettenmonopols schlechterdings nicht erlaubt werden konnte. Revisionsrechtlich fehlerhaft ist jedoch seine weitere Annahme, der Beklagte habe diese Begründung nach der Öffnung des Erlaubnisverfahrens für Private im Jahr 2010 durch die neue Erwägung ersetzt, der Schutz des Erlaubnisverfahrens erfordere die Untersagung einer unerlaubten Gewerbeausübung; das Monopol habe deshalb seither für die Begründung der Ermessensentscheidung keine Rolle mehr gespielt. Diese Deutung verletzt revisible Auslegungsgrundsätze und wird den Erklärungen des Beklagten nicht gerecht.

27

Die bundesrechtlichen Auslegungsregeln der §§ 133, 157 BGB sind auf öffentlich-rechtliche Erklärungen entsprechend anzuwenden. Bei Verwaltungsakten kommt es wie bei empfangsbedürftigen Willenserklärungen nicht auf den wirklichen Willen des Erklärenden (natürliche Auslegung), sondern auf den objektiven Erklärungsinhalt an. Maßgeblich ist, wie der Empfänger die Erklärung nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der für ihn erkennbaren Umstände verstehen musste. Dabei ist vom Wortlaut der Erklärung auszugehen und deren objektiver Gehalt unter Berücksichtigung des Empfängerhorizonts zu ermitteln (stRspr, vgl. Urteile vom 2. September 1999 - BVerwG 2 C 22.98 - BVerwGE 109, 283 <286> = Buchholz 237.7 § 72 NWLBG Nr. 4 und vom 27. Juni 2012 - BVerwG 9 C 7.11 - BVerwGE 143, 222 = Buchholz 11 Art. 20 GG Nr. 206; BGH, Urteile vom 24. Februar 1988 - VIII ZR 145/87 - BGHZ 103, 275 <280>, vom 27. Januar 2010 - VIII ZR 58/09 - BGHZ 184, 128 <137 Rn. 33> und vom 1. März 2011 - II ZR 16/10 - NJW 2011, 1666 <1667 Rn. 11> je m.w.N.). Das setzt nicht zuletzt eine vollständige Berücksichtigung des Wortlauts schriftlicher Erklärungen voraus. Diesen Anforderungen genügt die berufungsgerichtliche Auslegung der Ausführungen des Beklagten zu den Gründen der Ermessensausübung nicht.

28

Die Annahme, das Monopol habe für die Begründung der Ermessensentscheidung seit Oktober 2010 keine Rolle mehr gespielt, beruht auf einer unvollständigen Berücksichtigung der Ausführungen in der Klageerwiderung des Beklagten vom 30. November 2011 und dessen im Wesentlichen inhaltsgleicher Berufungsbegründung vom 9. März 2012. Das Berufungsurteil gibt sinngemäß nur die Ausführungen des Beklagten zur Durchsetzung des Erlaubnisvorbehalts und zur materiellen Illegalität des Angebots der Wettunternehmer wieder (Ziffern I, II und V der Klageerwiderung sowie Ziffern IV bis VII der Berufungsbegründung) und reduziert das Beklagtenvorbringen darauf. Die umfangreichen Darlegungen beider Schriftsätze zur Rechtmäßigkeit des Monopols (Ziffern III und IV der Klageerwiderung sowie Ziffer II und III der Berufungserwiderung) und die Hinweise zum Verhältnis der beiden Begründungsstränge zueinander werden dabei ausgeblendet. Unberücksichtigt bleiben deshalb diejenigen Ausführungen der Klageerwiderung und der Berufungsbegründung, die im Einzelnen darlegen, aus welchen Gründen der Beklagte das Sportwettenmonopol weiterhin für unionsrechtskonform und für geeignet hält, die Untersagung zu rechtfertigen. So wendet er sich unter anderem gegen die Feststellung einer Expansionspolitik im Bereich des gewerblichen Automatenspiels und gegen die Annahme, aus einer solchen Politik folge schon die Ungeeignetheit des Monopols zur Suchtbekämpfung. Seine Ausführungen geben keinerlei Anhaltspunkte für eine zeitliche Zäsur in der Begründung der Untersagung. Das Berufungsurteil zeigt solche Anhaltspunkte auch nicht auf. Es prüft nur, ob das Nachschieben der neuen Ausführungen zur Durchsetzung des Erlaubnisvorbehalts nach § 114 Satz 2 VwGO noch als zulässige Ergänzung oder als Ersetzen der bisherigen Ermessenserwägungen einzuordnen ist. Dabei wird übersehen, dass die Frage nach der prozessualen Beachtlichkeit neuer Erwägungen gemäß § 114 Satz 2 VwGO sich erst stellt, wenn durch Auslegung entsprechend §§ 133, 157 BGB ermittelt wurde, ob damit eine neue Begründung neben die bisherige oder an deren Stelle getreten ist, und wenn geklärt wurde, ob das Nachschieben der neuen Gründe verwaltungsverfahrensrechtlich zulässig war.

29

Bei vollständiger Berücksichtigung der Ausführungen des Beklagten wird deutlich, dass dieser die ursprüngliche Begründung der Untersagung mit dem Monopol auch für die Zeit ab Oktober 2010 nicht aufgeben wollte. Sein Vortrag, das Monopol sei auch unter Berücksichtigung der Entscheidungen des Gerichtshofs noch unionsrechtskonform, lässt sich nur dahin verstehen, dass er die Monopolregelung weiterhin und über den Herbst 2010 hinaus für rechtmäßig hält. Die nachgeschobenen Erwägungen sollten ersichtlich nur hilfsweise angeführt werden für den Fall, dass die Gerichte von einer Inkohärenz des Monopols im unionsrechtlichen Sinn ausgingen. Die Eröffnung des Erlaubnisverfahrens wird entsprechend als "vorsorglich" bezeichnet (vgl. Ziffer V Seite 23 f. der Klageerwiderung und Ziffer VII Seite 16 der Berufungserwiderung). Die Begründung mit dem Monopol wird also als Hauptbegründung aufrechterhalten; die Erwägungen zur alternativen Begründbarkeit mit der Durchsetzung des Erlaubnisvorbehalts haben nur Hilfsfunktion.

30

b) Auch der weiteren Annahme des Berufungsgerichts, die - von ihm angenommene - Auswechslung wesentlicher Ermessenserwägungen sei wegen Verstoßes gegen § 114 Satz 2 VwGO unzulässig, kann nicht zugestimmt werden.

31

aa) Ob ein Nachschieben von Ermessenserwägungen zulässig ist, bestimmt sich nach dem materiellen Recht und dem Verwaltungsverfahrensrecht. § 114 Satz 2 VwGO regelt lediglich, unter welchen Voraussetzungen derart veränderte Ermessungserwägungen im Prozess zu berücksichtigen sind (im Anschluss an das Urteil vom 13. Dezember 2011 - BVerwG 1 C 14.10 - BVerwGE 141, 253 ).

32

Neue Gründe für einen Verwaltungsakt dürfen nach dem allgemeinen Verwaltungsverfahrensrecht nur nachgeschoben werden, wenn sie schon bei Erlass des Verwaltungsakts vorlagen, dieser nicht in seinem Wesen verändert und der Betroffene nicht in seiner Rechtsverteidigung beeinträchtigt wird (stRspr, Urteile vom 14. Oktober 1965 - BVerwG 2 C 3.63 - BVerwGE 22, 215 <218> = Buchholz 232 § 32 BBG Nr. 14, vom 16. Juni 1997 - BVerwG 3 C 22.96 - BVerwGE 105, 55 <59> = Buchholz 316 § 39 VwVfG Nr. 25 und vom 29. Januar 2001 - BVerwG 11 C 3.00 - Buchholz 401.64 § 6 AbwAG Nr. 3). Diese Grundsätze gelten auch bei Verwaltungsakten mit Dauerwirkung wie der glücksspielrechtlichen Untersagungsverfügung, wenn deren Begründung für einen bereits abgelaufenen Zeitraum geändert werden soll. Dabei kann offenbleiben, ob eine solche rückwirkende Änderung ausscheidet, nachdem sich der Dauerverwaltungsakt endgültig erledigt hat, also seinen Regelungsgegenstand für die Zukunft verloren hat und auch für die Vergangenheit keinerlei fortwirkende Folgen mehr aufweist. Jedenfalls kann auch ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung in Ansehung eines bereits abgelaufenen Zeitraums nicht mehr mit Ermessenserwägungen begründet werden, durch welche die ursprüngliche Ermessensentscheidung im Kern ausgewechselt wird (vgl. Rennert, in: Eyermann, VwGO-Kommentar, 13. Auflage 2010, § 114 Rn. 89).

33

Der Austausch wesentlicher Ermessenserwägungen kann jedoch zulässig sein, soweit die Begründung der glücksspielrechtlichen Untersagung (nur) für die Zukunft geändert wird. Als Verwaltungsakt mit Dauerwirkung muss eine solche Untersagung einer Änderung der Sach- und Rechtslage Rechnung tragen. Sie ist deshalb auf eine Anpassung an jeweils neue Umstände angelegt und wird dadurch nicht zwangsläufig in ihrem Wesen verändert. So wie die Behörde die Untersagung mit neuer Begründung neu erlassen könnte, kann sie das Verbot auch mit geänderter Begründung für die Zukunft aufrechterhalten. Die Rechtsverteidigung des Betroffenen wird durch eine Änderung (nur) für die Zukunft nicht beeinträchtigt. Da für die rechtliche Beurteilung von Dauerverwaltungsakten grundsätzlich die jeweils aktuelle Sach- und Rechtslage maßgeblich ist, muss das Prozessverhalten des Betroffenen sich ohnehin auf zukunftsbezogene Veränderungen einstellen. Führt (erst) die Änderung der Begründung der Untersagung mit Wirkung für die Zukunft dazu, dass die bisherigen Erfolgsaussichten einer Klage entfallen, steht es dem Betroffenen frei, den Rechtsstreit durch Erledigungserklärung ohne eigene Kostenbelastung zu beenden (vgl. § 161 Abs. 2 VwGO), sofern er die Untersagung nicht - etwa als Rechtsgrundlage noch rückgängig zu machender Vollzugsmaßnahmen - für die Vergangenheit (gegebenenfalls: weiterhin) anfechten oder wegen eines berechtigten Feststellungsinteresses im Sinne des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO zu einem Fortsetzungsfeststellungsantrag übergehen kann und will.

34

Aus § 114 Satz 2 VwGO ergeben sich keine weitergehenden Anforderungen. Diese Vorschrift regelt nicht die Voraussetzungen für die materiell-rechtliche und verwaltungsverfahrensrechtliche Zulässigkeit des Nachschiebens von Ermessenserwägungen, sondern betrifft nur deren Geltendmachung im Prozess. Ihr Zweck ist es, klarzustellen, dass ein materiell- und verwaltungsverfahrensrechtlich zulässiges Nachholen von Ermessenserwägungen nicht an prozessualen Hindernissen scheitert (Urteile vom 5. Mai 1998 - BVerwG 1 C 17.97 - BVerwGE 106, 351 <364> = Buchholz 402.240 § 45 AuslG 1990 Nr. 13 und vom 13. Dezember 2011 a.a.O. ).

35

Kommt ein Nachschieben von Ermessenserwägungen nach dem Vorstehenden in Betracht, so muss dies allerdings genügend bestimmt geschehen. Das Erfordernis hinreichender Bestimmtheit ergibt sich aus § 37 Abs. 1 VwVfG und gilt als Ausprägung des Rechtsstaatsgebots (Art. 20 Abs. 3 GG) auch für die Änderung eines Verwaltungsakts einschließlich seiner Begründung. Wird die Änderung erst in einem laufenden Verwaltungsprozess erklärt, so muss die Behörde unmissverständlich deutlich machen, dass es sich nicht nur um prozessuales Verteidigungsvorbringen handelt, sondern um eine Änderung des Verwaltungsakts selbst. Außerdem muss deutlich werden, welche der bisherigen Erwägungen weiterhin aufrechterhalten und welche durch die neuen Erwägungen gegenstandslos werden. Andernfalls wäre dem Betroffenen keine sachgemäße Rechtsverteidigung möglich (Urteil vom 13. Dezember 2011 a.a.O. Rn. 18). Das wäre mit der Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG nicht zu vereinbaren.

36

bb) Da das Berufungsgericht auf die verwaltungsverfahrensrechtlichen Anforderungen nicht eingeht, übersieht es, dass die - von ihm angenommene - Änderung eines Verwaltungsakts nicht dem Erfordernis hinreichender Bestimmtheit gemäß § 37 Abs. 1 VwVfG i.V.m. § 1 LVwVfG genügte.

37

Der Beklagte hat erst während des Verwaltungsprozesses und nur im Wege prozessualen Vorbringens geltend gemacht, die Untersagung sei nicht allein aus dem Sportwettenmonopol, sondern alternativ und hilfsweise wegen der formellen und materiellen Illegalität der untersagten Tätigkeit gerechtfertigt. Das genügt den dargelegten Bestimmtheitsanforderungen nicht. Unklar bleibt, ob damit nur die Untersagung im Prozess verteidigt oder die angegriffene Verfügung selbst in ihrer Begründung geändert werden soll. Im letztgenannten Fall wird außerdem nicht deutlich, ob die Hilfsbegründung rückwirkend für den gesamten Wirkungszeitraum der Untersagungsverfügung oder nur für die Zeit nach dem Zugang der Erklärung eingeführt wird. Solche Zweifel und Unklarheiten gehen zulasten der Behörde (Urteil vom 13. Dezember 2011 a.a.O.). Das außergerichtliche Schreiben des Beklagten vom 13. November 2010 trägt nichts zur Klärung bei. Mit Blick auf die unionsgerichtliche Rechtsprechung weist es nur darauf hin, die Vermittlung sei weiterhin zumindest formell illegal, und kündigt an, eine Entscheidung des zuständigen Ministeriums abwarten zu wollen.

38

cc) Unabhängig davon wäre die neue Begründung, soweit sie - wie vom Berufungsgericht angenommen - auf den Zeitpunkt der Öffnung des Erlaubnisverfahrens im Oktober 2010 zurückwirken sollte, auch unzulässig, weil sie die Klägerin in ihrer Rechtsverteidigung beeinträchtigte.

39

Hätte die Beklagte die fehlende Erlaubnisfähigkeit nicht mehr mit dem Sportwettenmonopol, sondern allein mit der materiellen Illegalität der Wettvermittlung begründet, wären die wesentlichen Ermessenserwägungen für die Untersagung ausgetauscht worden. Die Rechtmäßigkeit und Anwendbarkeit des Monopols sind für die erste Begründung entscheidend, für die zweite jedoch unerheblich. Ein solcher Austausch wäre nur für die Zukunft zulässig, nicht hingegen auch rückwirkend für bereits verstrichene Zeiträume. Daran ändert auch nichts, dass beide Begründungen an das Fehlen einer Erlaubnis anknüpfen. Die formelle Illegalität erfüllt den Tatbestand der Untersagungsermächtigung und eröffnet damit nur das Ermessen. Dessen Ausübung muss sich daher nach anderen Kriterien richten. Ob im Austausch der wesentlichen Ermessenserwägungen schon eine Wesensänderung der Untersagung selbst liegt, kann dahinstehen. Jedenfalls wird die Rechtsverteidigung des Betroffenen erheblich beeinträchtigt, wenn die maßgeblichen Erwägungen rückwirkend ausgewechselt werden. Dies zwingt ihn, seine Rechtsverteidigung für eine erhebliche vergangene Zeitspanne völlig umzustellen. Solange die Ermessensausübung im Wesentlichen mit dem Sportwettenmonopol begründet wurde, konnte der Betroffene sich darauf konzentrieren, dessen Rechtswidrigkeit geltend zu machen. Die neue Begründung stellt erstmals auf die monopolunabhängigen Anforderungen an die Vermittlung und das Wettangebot ab. Dem Betroffenen bleibt nur, diese Anforderungen zu prüfen und für den gesamten bereits abgelaufenen Zeitraum entweder darzulegen, dass sie rechtswidrig waren, oder darzutun, dass seine Tätigkeit mit ihnen übereinstimmte. Soweit die rückwirkende Änderung der Begründung die Erfolgsaussichten der Klage entfallen lässt, kann er darauf nur nachträglich reagieren.

40

c) Entgegen dem angegriffenen Urteil war die - von ihm angenommene - Begründung der Untersagungsverfügung mit der formellen und materiellen Illegalität der Tätigkeit nicht schon ermessensfehlerhaft, weil sie den Gesetzentwurf zur Umsetzung des Ersten Glücksspieländerungsstaatsvertrags nicht berücksichtigte. Dabei kann offenbleiben, inwieweit der Beklagte unter Opportunitätsgesichtspunkten zu einer Einbeziehung des Entwurfs in seine Ermessenserwägungen befugt gewesen wäre. Eine Rechtspflicht dazu bestand im verfahrensgegenständlichen Zeitraum bis zur endgültigen Erledigung der angegriffenen Verfügung jedenfalls nicht.

41

Die Ermächtigung, die unerlaubte Wettvermittlung zu untersagen, ergab sich seinerzeit aus § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 des Glücksspielstaatsvertrags - GlüStV (a.F.) i.V.m. § 11 Abs. 2 LGlüG. Die Ausübung des Ermessens musste gemäß § 40 VwVfG, der hier gemäß § 1 LVwVfG anzuwenden ist, dem Zweck der Ermächtigung entsprechen und die gesetzlichen Ermessensgrenzen beachten. Zu diesen Rechtsgrenzen zählte die gesetzliche Neuregelung des Glücksspielrechts erst mit ihrem Inkrafttreten. Zuvor entfaltete sie keine rechtliche Bindungswirkung. Das ergibt sich aus der rechtsstaatlichen Bindung der Exekutive an das Gesetz und aus dem verfassungsrechtlichen Demokratiegebot (Art. 20 Abs. 3 GG). Das Rechtsstaatsgebot verpflichtet die Verwaltung zur Anwendung des jeweils geltenden Rechts und lässt es nicht zu, davon mit Blick auf eine vorgeschlagene künftige Rechtsänderung abzuweichen. Das Demokratiegebot lässt es nicht zu, die Beachtung der vom Parlament erlassenen Gesetze zur Disposition der Verwaltung zu stellen. Entsprechend geht das Oberverwaltungsgericht auch nicht von einer Pflicht zur Voranwendung der beabsichtigten Rechtsänderung, sondern nur von einer Verpflichtung zu ihrer Vorberücksichtigung im Rahmen der Ermessenserwägungen aus (zur Begrifflichkeit vgl. Kloepfer, Vorwirkung von Gesetzen, 1974, S. 94 f., 166; Guckelberger, Vorwirkung von Gesetzen im Tätigkeitsbereich der Verwaltung, 1997, S. 162).

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Aus dem Verhältnismäßigkeitsgebot, das die Behörde als rechtliche Grenze des Ermessens beachten muss, ergibt sich ebenfalls keine Verpflichtung, den in den Landtag eingebrachten Gesetzentwurf zu berücksichtigen. Bis zum Inkrafttreten der Rechtsänderung war die Untersagung geeignet und erforderlich, die unerlaubte und nach damaliger Rechtslage nicht offensichtlich erlaubnisfähige Wettvermittlung zu unterbinden (vgl. zu diesen Kriterien Urteil vom 16. Mai 2013 - BVerwG 8 C 14.12 - Rn. 53 ff. - juris). Der Umstand, dass der Gesetzentwurf Regelungen vorsah, nach denen die materielle Erlaubnisfähigkeit des Wettangebots möglicherweise günstiger zu beurteilen war, führt auch nicht zur Unangemessenheit der Untersagung oder zu deren Unverhältnismäßigkeit im engeren Sinne. Voraussetzung dafür wäre vielmehr, dass mit hinreichender Sicherheit vom Wirksamwerden der Neuregelung zu einem bestimmten, absehbaren Zeitpunkt auszugehen war und dass die Tätigkeit damit bereits legal werden würde (vgl. Urteil vom 6. Dezember 1985 - BVerwG 4 C 23.83 und 4 C 24.83 - Buchholz 406.17 Bauordnungsrecht Nr. 21 S. 8). Hier fehlt schon die erste Bedingung, die bei gesetzlichen Neuregelungen regelmäßig einen Gesetzesbeschluss des Parlaments voraussetzt. Im Zeitpunkt der Erledigung der Untersagungsverfügung war das Gesetzgebungsverfahren noch nicht über die erste Lesung im Parlament und die Überweisung an die Ausschüsse hinausgelangt. Außerdem stand noch nicht fest, ob der durch das Gesetz umzusetzende Erste Glücksspieländerungsstaatsvertrag, wie in seinem Art. 2 Abs. 1 vorausgesetzt, bis zum 30. Juni 2012 von mindestens 13 Bundesländern ratifiziert werden und zum 1. Juli 2012 in Kraft treten würde.

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Ein Ermessensdefizit lässt sich auch nicht unabhängig vom Verhältnismäßigkeitsgebot aus der Pflicht herleiten, alle ermessensrelevanten Gesichtspunkte im Sinne einer vollständigen Interessenabwägung in die Entscheidung einzubeziehen. Rechtlich begrenzt und gerichtlich überprüfbar ist die Ermessensausübung nach § 40 VwVfG nur, soweit sie durch den Zweck der Ermächtigung und die gesetzlichen Grenzen der Ermessensausübung gebunden wird. Die Umstände, die für die Beachtung dieser rechtlichen Grenzen relevant sind, wurden bereits in den Ausführungen zum Rechtsstaatsgebot und zur Verhältnismäßigkeit erörtert. Der Zweck der Ermächtigung, den Erlaubnisvorbehalt zur Sicherung des Jugend- und Spielerschutzes durchzusetzen, gebietet ebenfalls keine Vorberücksichtigung einer Entwurfsregelung, die das gerade zum Jugend- und Spielerschutz erlassene Internetverbot lockert und weitere, bis zur Rechtsänderung illegale Wettformen zulässt.

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d) Entgegen der Auffassung der Revision musste das Berufungsgericht aber nicht von einer Ermessensreduzierung auf Null zulasten der Klägerin ausgehen. Umstände, deretwegen jedes Zuwarten des Beklagten rechtswidrig gewesen wäre, sind weder festgestellt noch von der Revision geltend gemacht worden. Der Vortrag, das Wettangebot des Wettunternehmers schließe materiell illegale Wettformen ein, belegt noch nicht, dass auch die konkrete Vermittlungstätigkeit der Klägerin materiell illegal war und nicht zumindest unter Nebenbestimmungen erlaubnisfähig gewesen wäre. Das Berufungsgericht hat auch den Begriff des intendierten Ermessens nicht verkannt, der als Rechtsfigur des allgemeinen Verwaltungsverfahrensrechts revisibel ist. Ob die Untersagungsermächtigung im verfahrensgegenständlichen Zeitraum nur ein intendiertes Ermessen einräumte, ist eine revisionsrechtlich nicht zu überprüfende Frage der Auslegung dieser irrevisiblen Vorschrift (vgl. den in diesem Verfahren ergangenen Beschluss vom 17. Oktober 2012 - BVerwG 8 B 61.12 - Rn. 13 - juris).

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3. Das Berufungsurteil beruht auf der unzutreffenden Anwendung der §§ 133, 157 BGB, § 40 VwVfG und § 114 Satz 2 VwGO, weil es bezüglich des noch verfahrensgegenständlichen Zeitraums nicht von einer fehlerfreien Alternativbegründung getragen wird. Zur Beurteilung der Untersagung im verfahrensgegenständlichen Zeitraum stellt das angegriffene Urteil unter Ziffer 3 b seiner Entscheidungsgründe allein auf den - angenommenen - Austausch der Begründung der Untersagungsverfügung und die - vermeintliche - Rechtswidrigkeit der nachgeschobenen Erwägungen ab. Nur bezüglich des vorhergehenden Zeitraums bis zur Öffnung des Erlaubnisverfahrens für Private im Jahr 2010 - genauer: im Oktober diesen Jahres - geht es davon aus, dass die Untersagung auf das Sportwettenmonopol gestützt wurde, und begründet ihre Rechtswidrigkeit mit der Erwägung, dieses sei wegen systematischer Verstöße gegen die verfassungs- und unionsrechtlichen Grenzen zulässiger Werbung rechtswidrig gewesen (vgl. Ziffer 3 a der Entscheidungsgründe des Berufungsurteils).

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4. Bezüglich des verfahrensgegenständlichen Zeitraums erweist das Urteil sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 144 Abs. 4 VwGO).

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Zwar ist das Oberverwaltungsgericht im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, dass der Hinweis des Beklagten auf die formelle und materielle Illegalität der Wettvermittlung das Verbot nicht trägt. Wie bereits dargelegt, sind die verwaltungsverfahrensrechtlichen Anforderungen an eine nachträgliche Änderung der Begründung der Untersagungsverfügung nicht erfüllt, weil sie nicht hinreichend bestimmt erklärt wurde und ein Austausch der Ermessenserwägungen für die Vergangenheit ohnehin unzulässig wäre.

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Ob indes die im angegriffenen Urteil übergangene, vom Beklagten aufrechterhaltene Begründung der Untersagung mit dem Sportwettenmonopol im Zeitraum vom 1. Oktober 2010 bis zum 10. Mai 2012 rechtswidrig war, lässt sich auf der Grundlage der Tatsachenfeststellungen des Berufungsgerichts nicht abschließend beurteilen. Entgegen der Auffassung der Klägerin ergibt sich aus den Feststellungen, die das angegriffene Urteil zur Werbung des Monopolträgers im Jahr 2010 und darüber hinaus getroffen hat, noch keine Rechtswidrigkeit des Monopols. Die Werbebeispiele für den hier maßgeblichen Zeitraum seit Oktober 2010 belegen keine systematischen Verstöße gegen § 5 GlüStV oder die verfassungs- und unionsrechtlichen Werbebeschränkungen, aus denen auf rechtlich illegitime, fiskalische Ziele des Monopols zu schließen wäre. Aus der Bezugnahme auf herausragende Sportereignisse folgt noch kein Verstoß gegen die Pflicht, die Werbung zur Kanalisierung der vorhandenen Nachfrage auf sachliche Information und Aufklärung über die legalen Wettangebote zu beschränken. So darf ein herausragendes Sportereignis als Gegenstand der angebotenen Wetten benannt werden. Unzulässig ist es dagegen, in stimulierender, zur Teilnahme am Glücksspiel ermunternder oder anreizender Art und Weise auf ein solches Sportereignis Bezug zu nehmen oder die Bezugnahme mit der Ankündigung höherer oder zusätzlicher Gewinnchancen zu verknüpfen (Urteil vom 1. Juni 2011 - BVerwG 8 C 2.10 - Buchholz 11 Art. 12 GG Nr. 276 Rn. 34). Eine Missachtung dieser Grenzen ist anhand der Werbebeispiele, die das Berufungsgericht für den verfahrensgegenständlichen Zeitraum aufgeführt hat, nicht festzustellen. Insbesondere gehen Formulierungen nach dem Muster " bei ODDSET" nicht über eine zulässige Information über den Gegenstand der angebotenen Wetten hinaus. Die Beurteilung der Werbeanzeige "Wochen der Entscheidung" (April 2011) und der mit Vereinssignets illustrierten Anzeige "Derby-Zeit" (Januar 2012) kann dahinstehen, weil aus einem Einzelfall unzulässiger Werbung pro Jahr noch nicht auf eine rechtswidrige Zielsetzung des Monopols geschlossen werden kann.

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5. Eine Sachentscheidung nach § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 VwGO ist auf der Grundlage der vom Berufungsgericht festgestellten Tatsachen nicht möglich. Als Grundlage für eine abschließende Beurteilung der Werbepraxis im verfahrensgegenständlichen Zeitraum oder gar der Rechtmäßigkeit des Monopols im Übrigen reichen sie nicht aus. Die für die Zeit seit Oktober 2010 aufgeführten Werbebeispiele stehen im Zusammenhang der Ausführungen des Berufungsurteils zum Zeitraum bis 2010 und sollen ersichtlich nur die Kontinuität bestimmter Werbestrategien während dieses Jahres und - vereinzelt - noch darüber hinaus belegen. Weitere und genauere Feststellungen waren aus der Sicht des Berufungsgerichts nicht erforderlich, weil es die Untersagung im verfahrensgegenständlichen Zeitraum aus anderen Gründen für rechtswidrig hielt. Mangels einschlägiger Feststellungen des Berufungsgerichts kann auch nicht beurteilt werden, ob das Monopol im verfahrensgegenständlichen Zeitraum unabhängig von der Werbepraxis rechtswidrig war, etwa wegen einer gegenläufigen Glücksspielpolitik in einem anderen Bereich mit mindestens gleich hohem Suchtpotenzial, wenn diese zur Folge hatte, dass das Monopol nicht mehr wirksam zum Erreichen der mit ihm verfolgten, unionsrechtlich legitimen Ziele beitragen konnte. Vor der erforderlichen weiteren Sachaufklärung lässt sich nicht absehen, ob und gegebenenfalls welche Zweifelsfragen zu den unionsrechtlichen Grenzen zulässiger Werbung für die Entscheidung des Rechtsstreits erheblich sein werden. Derzeit besteht daher gemäß Art. 267 Abs. 3 AEUV kein Anlass, das vom Beklagten angeregte Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union zu richten.

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Da eine abschließende Entscheidung nicht möglich ist, muss die Sache gemäß § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden. Dieses wird bei seiner weiteren Prüfung zu berücksichtigen haben, dass sich eine Verletzung der unionsrechtlichen Grenzen zulässiger Werbung auch aus Werbemaßnahmen ergeben kann, die im Rahmen einer im Deutschen Lotto- und Totoblock abgestimmten Werbestrategie unter einer gemeinsamen Dachmarke verbreitet werden (vgl. Urteil vom 20. Juni 2013 - BVerwG 8 C 10.12 - Rn. 40 ff.).

(1) Soweit nach diesem Grundgesetz ein Grundrecht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden kann, muß das Gesetz allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten. Außerdem muß das Gesetz das Grundrecht unter Angabe des Artikels nennen.

(2) In keinem Falle darf ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden.

(3) Die Grundrechte gelten auch für inländische juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind.

(4) Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg offen. Soweit eine andere Zuständigkeit nicht begründet ist, ist der ordentliche Rechtsweg gegeben. Artikel 10 Abs. 2 Satz 2 bleibt unberührt.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.

(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.