Verwaltungsgericht München Urteil, 04. Juli 2018 - M 18 K 16.3912
Tenor
I. Die Bescheide des Beklagten vom ... in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom ... werden aufgehoben.
II. Der Beklagte hat die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leisten.
Tatbestand
-
1.Die Bescheide des Landratsamts ... vom ... in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom ... aufzuheben.
-
2.Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin für die Kinder A. und C. für die Zeit ab 1. November 2016 Zahlungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz zu leisten.
Gründe
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(1) Enthält das Register eine Eintragung oder erhält es eine Mitteilung über die gesuchte Person, gibt die Registerbehörde der suchenden Behörde bekannt
- 1.
das Datum und die Geschäftsnummer der Entscheidung, - 2.
die Behörde, die mitgeteilt hat, sowie - 3.
die letzte mitgeteilte Anschrift der gesuchten Person.
(2) Liegen von verschiedenen Behörden Anfragen vor, welche dieselbe Person betreffen, so ist jeder Behörde von der Anfrage der anderen Behörde Mitteilung zu machen. Entsprechendes gilt, wenn Anfragen von derselben Behörde unter verschiedenen Geschäftsnummern vorliegen.
(1) Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Der Verwaltungsakt soll mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit
- 1.
die Änderung zugunsten des Betroffenen erfolgt, - 2.
der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist, - 3.
nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde, oder - 4.
der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist.
(2) Der Verwaltungsakt ist im Einzelfall mit Wirkung für die Zukunft auch dann aufzuheben, wenn der zuständige oberste Gerichtshof des Bundes in ständiger Rechtsprechung nachträglich das Recht anders auslegt als die Behörde bei Erlass des Verwaltungsaktes und sich dieses zugunsten des Berechtigten auswirkt; § 44 bleibt unberührt.
(3) Kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nach § 45 nicht zurückgenommen werden und ist eine Änderung nach Absatz 1 oder 2 zugunsten des Betroffenen eingetreten, darf die neu festzustellende Leistung nicht über den Betrag hinausgehen, wie er sich der Höhe nach ohne Berücksichtigung der Bestandskraft ergibt. Satz 1 gilt entsprechend, soweit einem rechtmäßigen begünstigenden Verwaltungsakt ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt zugrunde liegt, der nach § 45 nicht zurückgenommen werden kann.
(4) § 44 Abs. 3 und 4, § 45 Abs. 3 Satz 3 bis 5 und Abs. 4 Satz 2 gelten entsprechend. § 45 Abs. 4 Satz 2 gilt nicht im Fall des Absatzes 1 Satz 2 Nr. 1.
(1) Der Vorsitzende oder der Berichterstatter kann dem Kläger eine Frist setzen zur Angabe der Tatsachen, durch deren Berücksichtigung oder Nichtberücksichtigung im Verwaltungsverfahren er sich beschwert fühlt. Die Fristsetzung nach Satz 1 kann mit der Fristsetzung nach § 82 Abs. 2 Satz 2 verbunden werden.
(2) Der Vorsitzende oder der Berichterstatter kann einem Beteiligten unter Fristsetzung aufgeben, zu bestimmten Vorgängen
- 1.
Tatsachen anzugeben oder Beweismittel zu bezeichnen, - 2.
Urkunden oder andere bewegliche Sachen vorzulegen sowie elektronische Dokumente zu übermitteln, soweit der Beteiligte dazu verpflichtet ist.
(3) Das Gericht kann Erklärungen und Beweismittel, die erst nach Ablauf einer nach den Absätzen 1 und 2 gesetzten Frist vorgebracht werden, zurückweisen und ohne weitere Ermittlungen entscheiden, wenn
- 1.
ihre Zulassung nach der freien Überzeugung des Gerichts die Erledigung des Rechtsstreits verzögern würde und - 2.
der Beteiligte die Verspätung nicht genügend entschuldigt und - 3.
der Beteiligte über die Folgen einer Fristversäumung belehrt worden ist.
(4) Abweichend von Absatz 3 hat das Gericht in Verfahren nach § 48 Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 bis 15 und § 50 Absatz 1 Nummer 6 Erklärungen und Beweismittel, die erst nach Ablauf einer nach den Absätzen 1 und 2 gesetzten Frist vorgebracht werden, zurückzuweisen und ohne weitere Ermittlungen zu entscheiden, wenn der Beteiligte
Absatz 3 Satz 2 und 3 gilt entsprechend.(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.
(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.
(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.
(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.
(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.
Tenor
I.
Der Bescheid des Beklagten vom
Der Bescheid des Beklagten vom
II.
Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren war notwendig.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vorher in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich gegen die Einstellung von Unterhaltsvorschusszahlungen für die Vergangenheit sowie eine Ersatzforderung für gezahlte Leistungen.
Mit formularmäßigem Antrag vom
Mit Schreiben vom
Auf einem gleichartigen Fragebogen erklärte die Klägerin unter dem
Nach der mit der Klägerin, mit dem Kindsvater und dem Kreisjugendamt des Beklagten erarbeiteten Umgangsvereinbarung vom
Mit Bescheid vom
Mit Schreiben vom
Mit Schriftsatz vom
Am 24. Juni 2013 schlossen die Klägerin und der Kindsvater vor dem Amtsgericht Garmisch-Partenkirchen eine Zwischenvereinbarung, in der u. a. geregelt ist, dass sich die Kinder im Zeitraum von Montagmittag bis Freitagmorgen bei der Klägerin, Freitag nach der Schule bis Montagmorgen beim Kindsvater aufhalten und dass die Klägerin und der Kindsvater die Kinderbetreuung und -versorgung in den Sommerferien 2013 jeweils für etwa drei Wochen übernehmen. Am 3. April 2014 ordnete das Amtsgericht Garmisch-Partenkirchen im Wege der einstweiligen Anordnung an, dass die Kinder der Klägerin jeweils am letzten Wochenende im Monat bei dieser verblieben. Weiterhin wurde eine Regelung zu den Schulferienzeiten getroffen, die im Ergebnis zu einer etwa hälftigen Aufteilung der Betreuung und Versorgung während der Ferien durch die Klägerin und den Kindsvater führt.
Mit Beschluss vom 23. Juni 2014 wies das Amtsgericht Garmisch-Partenkirchen Barunterhaltsansprüche des Freistaats Bayern gegen den Kindsvater ab, da es keinen Schwerpunkt der tatsächlichen Betreuung gebe.
Mit dem angegriffenen Bescheid vom
Mit Schriftsatz vom
Aus unter dem
Mit Bescheid vom
Die Klägerin hat durch ihre Bevollmächtigten mit Schriftsatz vom
Der Lebensmittelpunkt der Kinder liege bei der Klägerin. Diese trage auch während des Schulbesuchs der Kinder Verantwortung und halte sich zur Verfügung. Die Aufenthalte beim Kindsvater seien lediglich Wochenendaufenthalte. Der Tagesablauf an Wochenenden sei nicht mit der unter der Woche erforderlichen Organisation und ordnenden Gestaltung des Tagesablaufs vergleichbar.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Fehle es an einer eindeutigen Zuordnung des Lebensmittelpunkts, bestehe kein Anspruch auf Unterhaltsvorschussleistungen.
In einer Vereinbarung über die „Stundung mit Ratenzahlung wegen übergegangener Unterhaltsansprüche des Kindes“
Mit Beschluss vom 10. Februar 2016
In der mündlichen Verhandlung am
1. Der Bescheid der Beklagten vom
2. Der Bescheid der Beklagten vom
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird Bezug genommen auf die Gerichtsakte und die vorgelegte Behördenakte.
Gründe
Die Klage ist zulässig, insbesondere ist die Klägerin hinsichtlich der Anfechtung der Ziffer 1 des Bescheids vom 26. November 2014 klagebefugt. Zwar ist Begünstigter der Leistungen nach dem UVG das betreffende Kind. Jedoch ist auch der allein erziehende Elternteil im Streit um UVG-Leistungen klagebefugt, weil er sie nach § 9 Abs. 1 UVG in eigenem Namen geltend machen kann (vgl. BayVGH, B.v. 20.1.2014 - 12 C 13.2488 - juris Rn. 8).
Die Klage ist auch begründet, da der Bescheid der Beklagten vom
1. Die Aufhebung des Bescheids vom
1.1 Die Begründung des Bescheids spricht zwar eine Aufhebung und keine Rücknahme aus und nennt § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X als Rechtsgrundlage. Die Voraussetzung für eine Aufhebung nach § 48 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 SGB X liegen nicht vor. Es ist keine wesentliche Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen eingetreten. Die Betreuungsregelung zwischen der Klägerin und dem Kindsvater bestand vielmehr seit Leistungsbewilligung ohne wesentliche Änderungen fort. Die Erfolglosigkeit der zivilrechtlichen Durchsetzung der Barunterhaltsansprüche gegen den Kindsvater durch den Freistaat Bayern begründet keine wesentliche Änderung der Verhältnisse, da das Bestehen solcher Ansprüche keine Voraussetzung der Leistungsgewährung nach § 1 Unterhaltsvorschussgesetz (UVG) ist.
Der Bescheid kann jedoch entsprechend § 43 Abs. 1 SGB X in einen Rücknahmebescheid nach § 45 SGB X umgedeutet werden. Dem steht nicht § 43 Abs. 3 SGB X entgegen. Nach dieser Vorschrift darf eine gebundene Entscheidung nicht in eine Ermessensentscheidung umgedeutet werden. Dies gilt jedoch nicht, wenn das Ermessen auf eine bestimmte Entscheidung reduziert ist, weil jedes andere Entscheidungsergebnis rechtswidrig wäre (vgl. BSG, U.v. 11.4. 2002 - B 3 P 8/01 R - juris Rn. 25). Dies ist hier der Fall. Liegen die tatbestandlichen Voraussetzung der Rücknahme nach § 45 SGB X für einen Bescheid über Unterhaltsvorschussleistungen für einen zukünftigen Zeitraum vor, wäre jede andere Entscheidung, die zur Fortsetzung des rechtswidrigen Leistungsbezugs in der Zukunft führen würde, rechtswidrig, weil die entscheidende Behörde nach Art. 20 Abs. 3 GG an Recht und Gesetz gebunden sowie nach Art. 7 Abs. 1 Satz 1 Bayerische Haushaltsordnung (BayHO) zur wirtschaftlichen und sparsamen Haushaltsführung verpflichtet ist.
1.2 Nach § 45 Abs. 1 SGB X darf ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), soweit er rechtswidrig ist, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, unter den Einschränkungen des § 45 Abs. 2 bis 4 SGB X ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Der Bescheid vom 12. März 2013 hat einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet, weil er Grundlage für Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz ist.
1.2.1 Der Bescheid vom
Nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 UVG ist Voraussetzung für den Anspruch auf Unterhaltsvorschuss u. a., dass der Betroffene bei einem seiner Elternteile lebt, der ledig, verwitwet oder geschieden ist oder von seinem Ehegatten oder Lebenspartner dauernd getrennt lebt. Ein Kind lebt im Sinne dieser Vorschrift bei einem seiner Elternteile, wenn es mit ihm eine auf Dauer angelegte häusliche Gemeinschaft unterhält, in der es auch betreut wird. Dem Sinn und Zweck des Unterhaltsvorschussgesetzes entsprechend ist das Merkmal nur erfüllt, wenn der allein stehende leibliche Elternteil wegen des Ausfalls des anderen Elternteils die doppelte Belastung mit Erziehung und Unterhaltsgewährung in seiner Person zu tragen hat. Abgrenzungsprobleme entstehen, wenn das Kind regelmäßig einen Teil des Monats auch bei dem anderen Elternteil verbringt. Es ist entscheidend auf die persönliche Betreuung und Versorgung, die das Kind bei dem anderen Elternteil erfährt, und die damit einhergehende Entlastung des alleinerziehenden Elternteils bei der Pflege und der Erziehung des Kindes abzuheben. Trägt der den Unterhaltsvorschuss beantragende Elternteil trotz der Betreuungsleistungen des anderen Elternteils tatsächlich die alleinige Verantwortung für die Sorge und Erziehung des Kindes, weil der Schwerpunkt der Betreuung und Fürsorge des Kindes ganz überwiegend bei ihm liegt, so erfordert es die Zielrichtung des Unterhaltsvorschussgesetzes, das Merkmal als erfüllt anzusehen, dass das Kind lediglich bei einem seiner Elternteile lebt. Wird das Kind hingegen weiterhin auch durch den anderen Elternteil in einer Weise betreut, die eine wesentliche Entlastung des den Unterhaltsvorschuss beantragenden Elternteils bei der Pflege und der Erziehung des Kindes zur Folge hat, ist das Merkmal zu verneinen (vgl. BVerwG, U.v. 11.10.2012 - 5 C 20/11 - BVerwGE 144, 306 Rn. 20). Das Kind lebt nicht bei lediglich einem Elternteil, wenn die leiblichen Eltern - auch wenn sie nicht zusammen wohnen - die Erziehungsaufgaben so untereinander aufteilen, dass keiner der Elternteile diese Aufgabe ganz oder weit überwiegend alleine erfüllen muss. Dabei ist nicht zu fordern, dass die Erziehungs- und Betreuungsanteile in quantitativer und qualitativer Hinsicht gleich sind. Es genügt, wenn der andere Elternteil in wesentlichem Umfang an der erzieherischen Leistung mitwirkt (vgl. BayVGH, B.v. 14.1.2013 - 12 C 12.2737 - juris Rn. 10).
Nach diesen Maßstäben lag hier die Voraussetzung des § 1 Abs. 1 Nr. 2 UVG seit Beginn der Leistungsgewährung nicht vor. Nach der seit dem Jahr 2007 ohne grundlegende Änderung fortgeschriebenen Umgangsregelung erbringt der Kindsvater eine wesentliche Erziehungsleistung, die die Klägerin wesentlich entlastet. Außerhalb der Schulferien erfolgten und erfolgen regelmäßig drei von sieben Übernachtungen in der Woche im Haushalt des Kindsvaters. Der 2003 geborene Sohn der Klägerin verbringt nach der durch die einstweilige Anordnung vom 3. April 2014 modifizierten Zwischenvereinbarung vom 24. Juni 2013 regelmäßig die Wochenenden von Freitagmittag bis Montagvormittag mit Ausnahme des jeweils letzten Wochenendes im Monat beim Kindsvater. Die Betreuung und Versorgung in den Ferienzeiten wurde hälftig aufgeteilt. Dabei ist hinsichtlich der Wesentlichkeit des Erziehungsbeitrages des Kindsvaters zu berücksichtigen, dass die Klägerin außerhalb der Zeiten der Schulferien dadurch entlastet ist, dass sich ihr Sohn in der Schule und der anschließenden Betreuung befindet. Der Betreuungsaufwand an Wochenenden ist regelmäßig erhöht, weil während dieser Zeit die Kinder gerade nicht schon in größerem Umfang anderweitig, nämlich in Kindertageseinrichtungen oder Schulen, betreut werden (vgl. OVG NW U.v. 15.12.2015 - 12 A 1053/14 - juris Rn. 36). Nach den im Wesentlichen übereinstimmenden Betreuungsprotokollen des Kindsvaters und der Klägerin über den Dezember 2014 wurde die Umgangsregelung auch nahezu vollständig in die Wirklichkeit umgesetzt.
1.2.2 Der Bescheid des Beklagten ist rechtswidrig, soweit er die Aufhebung des Bescheids vom
Dies gilt zunächst für den Zeitraum vom 1. August bis zum
Eine Rücknahme mit Wirkung für die Vergangenheit ist nach § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1, Abs. 4 Satz 1 SGB X zulässig, wenn der Begünstigte den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat. Dafür ist hier nichts ersichtlich. Nach § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2, Abs. 4 Satz 1 SGB X kann eine Rücknahme mit Wirkung für die Vergangenheit erfolgen, soweit der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat. Dafür ist vorliegend nichts ersichtlich. Auf dem Antragsvordruck hat die Klägerin bereits angegeben, dass der Kindsvater den 2003 geborenen Sohn von Freitag bis Montag betreut. Auch aus der am 13. März 2013 abgegebenen Erklärung ergibt sich, dass die Kinder vom Kindsvater an jedem Freitagmittag von der Schule abgeholt und am Montagmorgen wieder zur Schule gebracht werden.
Nach § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3, Abs. 4 Satz 1 SGB X wird der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen, soweit der Begünstigte die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte. Dabei sind dem 2003 geborenen Sohn als Begünstigtem hier Kennen und Kennen müssen der Klägerin zuzurechnen, weil dieser nach § 9 Abs. 1 Satz 1 UVG ein eigenes Antragsrecht für die ihrem Sohn als Begünstigtem zu gewährende Leistung zusteht. Dafür, dass die Klägerin die Rechtswidrigkeit des Bescheids vom 12. März 2013 positiv erkannte, ist nichts ersichtlich. Auch Unkenntnis infolge grober Fahrlässigkeit ist nicht gegeben. Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 Hs. 2 SGB X. Dieser Vorwurf eines besonders schweren Sorgfaltspflichtverstoßes kann der Klägerin hier nicht gemacht werden. Sie hat im Antragsformular und in der Erklärung vom 13. März 2013 zutreffende Angaben gemacht. Es kann ihr nicht vorgeworfen werden, dass sie die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt habe, indem sie in der Folgezeit auf die Rechtmäßigkeit des Bescheids vom 12. März 2013 vertraute. Wie sich aus den Akten des Beklagten ergibt, lag bei diesem selbst vor Erlass des Bescheids vom 12. März 2013 Zweifel dahingehend vor, ob der Lebensmittelpunkt des Kindes bei der Klägerin zu sehen sei. Angesichts dessen und der höheren Sachkunde der Behörde ist ersichtlich, dass ein Grenzfall der Gewährung vorlag, der erst durch das Endurteil des Amtsgerichts Garmisch-Partenkirchen in eine Richtung entschieden wurde. Wenn nun bereits die sachkundige Behörde sich nicht sicher über das Vorliegen des Tatbestandsmerkmals „Lebensmittelpunkt“ war und erst ein Endurteil des Amtsgerichts dies indirekt aufklärt, kann der rechtsunkundigen Klägerin eine grobe Fahrlässigkeit wegen des Verkennens des Vorliegend des Tatbestandsmerkmals nicht unterstellt werden.
Auch der Ansicht des Beklagten, dass seit Erlass des Endurteils des Amtsgerichts Garmisch-Partenkirchen grob fahrlässige Unkenntnis im Sinne des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 Hs. 2 SGB X vorlag, kann nicht gefolgt werden. Ein besonders schwerer Sorgfaltsverstoß der Klägerin sieht das Gericht auch hier nicht. Weder die Klägerin, noch der Beklagte waren Parteien im Verfahren vor dem Amtsgericht Garmisch-Partenkirchen, so dass schon fraglich ist, ob die Klägerin Kenntnis vom Verfahren gegen den Kindsvater, geschweige denn des Urteils hatte. Doch selbst, wenn sie Kenntnis gehabt hätte, kann aufgrund der unterschiedlichen Streitgegenstände und der komplexen Verzahnung zwischen dem UVG-Recht und dem zivilrechtlichen Unterhaltsrecht nicht davon ausgegangen werden, dass die Klägerin aufgrund des Urteilsspruches hätte erkennen müssen, dass die Voraussetzung „Lebensmittelpunkt“ für die Gewährung von Unterhaltsvorschuss weggefallen ist.
Für den Zeitraum vom 11. bis zum
2. Die Klage ist auch begründet, soweit sie sich gegen die in Ziffer 2 des Bescheids vom
Der Zulässigkeit der Klage steht insoweit nicht die Stundungsvereinbarung vom
Der Beklagte hat keinen Ersatzanspruch gegen die Klägerin nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 UVG. Nach dieser Vorschrift hat der Elternteil, bei dem der Berechtigte lebt, wenn die Voraussetzungen für die Zahlung der Unterhaltsleistung in dem Kalendermonat, für den sie gezahlt worden ist, nicht oder nicht durchgehend vorgelegen haben, den geleisteten Betrag insoweit zu ersetzen, als er gewusst oder infolge Fahrlässigkeit nicht gewusst hat, dass die Voraussetzungen für die Zahlung der Unterhaltsleistung nicht erfüllt waren. Die Klägerin hat nicht positiv gewusst, dass die Voraussetzungen für die Zahlung der Unterhaltsvorschussleistung nicht erfüllt waren. Ihr ist auch keine Fahrlässigkeit vorzuwerfen. Der Maßstab der Fahrlässigkeit entspricht demjenigen der einfachen Fahrlässigkeit im Sinne des § 276 Abs. 2 BGB (vgl. BVerwG, B.v. 22.6.2006 - 5 B 42/06 - juris Rn. 11). Fahrlässig handelt danach, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt verletzt. Die Klägerin hat nicht die im Verkehr erforderliche Sorgfalt verletzt. Angesichts ihrer zutreffenden Angaben im Antrag und in der Erklärung vom 13. März 2013 durfte sie auf die Rechtmäßigkeit des Bescheids vom 12. März 2013 vertrauen. Unbeschadet des ihr übergebenen Merkblatts über die Gewährung von Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz durfte sie sich darauf verlassen, dass der Beklagte ihre Angaben zutreffend würdigen und eventuelle Unklarheiten hinsichtlich der Leistungsvoraussetzungen durch die Nachforderung von ergänzenden Angaben aufklären würde. Von der Klägerin konnte nicht erwartet werden, sich näher mit den Voraussetzungen der Unterhaltsvorschussleistung und insbesondere mit der höchst- und obergerichtlichen Rechtsprechung zu § 1 Abs. 1 Nr. 2 UVG auseinanderzusetzen, sowie in der Folge zu erkennen, dass in ihrer konkreten Situation ein Anspruch nicht gegeben war. Auch an den Beschluss des Amtsgerichts Garmisch-Partenkirchen
Jedenfalls ab dem 11. Dezember 2014 besteht zwar fahrlässige Unkenntnis. Nach Zugang des Bescheids vom 26. November 2014 spätestens am genannten Tag musste die Klägerin erkennen, dass die Leistungsvoraussetzungen nicht vorlagen. Dies betrifft jedoch nur Leistungen, die nach diesem Zeitpunkt in ihre Verfügungsmacht gelangten (vgl. BayVGH, U.v. 23.10.2001 - 12 B 00.2737 - juris Rn. 22), hier also den Zeitraum ab Januar 2015.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 154 Abs. 1, 188 S. 2 VwGO.
Angesichts der schwierigen Rechtsmaterie war die Beiziehung eines Rechtsanwalts im Vorverfahren nach § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO notwendig.
Die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus den §§ 167 S. 1 VwGO i. V. m. 708 Nr. 11, 711 ZPO.
(1) Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Der Verwaltungsakt soll mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit
- 1.
die Änderung zugunsten des Betroffenen erfolgt, - 2.
der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist, - 3.
nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde, oder - 4.
der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist.
(2) Der Verwaltungsakt ist im Einzelfall mit Wirkung für die Zukunft auch dann aufzuheben, wenn der zuständige oberste Gerichtshof des Bundes in ständiger Rechtsprechung nachträglich das Recht anders auslegt als die Behörde bei Erlass des Verwaltungsaktes und sich dieses zugunsten des Berechtigten auswirkt; § 44 bleibt unberührt.
(3) Kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nach § 45 nicht zurückgenommen werden und ist eine Änderung nach Absatz 1 oder 2 zugunsten des Betroffenen eingetreten, darf die neu festzustellende Leistung nicht über den Betrag hinausgehen, wie er sich der Höhe nach ohne Berücksichtigung der Bestandskraft ergibt. Satz 1 gilt entsprechend, soweit einem rechtmäßigen begünstigenden Verwaltungsakt ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt zugrunde liegt, der nach § 45 nicht zurückgenommen werden kann.
(4) § 44 Abs. 3 und 4, § 45 Abs. 3 Satz 3 bis 5 und Abs. 4 Satz 2 gelten entsprechend. § 45 Abs. 4 Satz 2 gilt nicht im Fall des Absatzes 1 Satz 2 Nr. 1.
Tatbestand
- 1
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Der am 23. Mai 2003 geborene Kläger zu 1 und der am 18. August 2005 geborene Kläger zu 2 sind deutsche Staatsangehörige. Sie begehren Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz.
- 2
-
Die Kläger lebten bis 2009 in Bremen und leben nunmehr am Wohnort ihrer Großmutter in Portugal, wo ihre alleinerziehende Mutter, die eine Wohnung in Bremen unterhält und bei einer Fluggesellschaft in Deutschland arbeitet, ebenfalls 2009 für sich selbst einen weiteren Wohnsitz begründete. Sie beantragte, den Klägern ab Januar 2010 Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz zu bewilligen, da deren Vater ab diesem Zeitpunkt keinen Unterhalt mehr leistete. Mit Bescheid vom 3. Februar 2010 lehnte die Beklagte den Antrag unter Hinweis darauf ab, dass die Kläger nicht bei ihrer Mutter lebten. Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 9. Juli 2010 insbesondere wegen Fehlens einer auf Dauer angelegten häuslichen Gemeinschaft der Kläger mit ihrer Mutter zurück.
- 3
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Die daraufhin erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 9. Februar 2012 abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass die Kläger zwar im Sinne des Gesetzes bei ihrer Mutter, jedoch in Portugal lebten und damit das im Unterhaltsvorschussgesetz enthaltene Erfordernis eines inländischen Wohnsitzes nicht erfüllten, das nicht gegen unionsrechtliche Vorgaben verstoße.
- 4
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Im Berufungsverfahren haben die Beteiligten nach entsprechender Leistungsbewilligung für den Zeitraum Januar bis April 2010 den Rechtsstreit insoweit übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt. Darüber hinaus haben die Kläger die Verpflichtung der Beklagten zur Bewilligung von Unterhaltsvorschussleistungen in gesetzlicher Höhe ab Mai 2010 bis zur berufungsgerichtlichen Entscheidung begehrt. Mit dem angefochtenen Urteil vom 22. April 2015 hat das Berufungsgericht das Verfahren teilweise eingestellt und die Berufung in der Annahme, nur der Zeitraum von Mai 2010 bis zum Erlass des Widerspruchsbescheides am 9. Juli 2010 sei streitbefangen, zurückgewiesen, weil die Kläger nicht im Geltungsbereich des Unterhaltsvorschussgesetzes lebten. Dieses Erfordernis sei aus im Einzelnen dargelegten Gründen mit dem Unionsrecht vereinbar.
- 5
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Ihre Revision stützen die Kläger u.a. darauf, dass die gesetzliche Voraussetzung, im Geltungsbereich des Unterhaltsvorschussgesetzes leben zu müssen, gegen die unionsrechtlich gewährleistete Arbeitnehmerfreizügigkeit ihrer Mutter verstoße und deshalb wegen des Vorrangs des Unionsrechts in ihrem Fall nicht angewendet werden dürfe.
- 6
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Die Beklagte tritt dem Revisionsvorbringen entgegen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Revision hat in dem sich aus dem Tenor ergebenden Umfang Erfolg. Sie ist unbegründet, soweit die Kläger für den Zeitraum vom 10. Juli 2010 bis zum 22. April 2015 Leistungen nach dem Gesetz zur Sicherung des Unterhalts von Kindern alleinstehender Mütter und Väter durch Unterhaltsvorschüsse oder -ausfallleistungen (Unterhaltsvorschussgesetz - UVG) i.d.F. der Bekanntmachung vom 17. Juli 2007 (BGBl. I S. 1446), für den hinsichtlich des Begehrens in seiner Gesamtheit zu betrachtenden Zeitraum zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 3. Mai 2013 (BGBl. I S. 1108), begehren (1.). Begründet ist sie aber, soweit sich das Begehren der Kläger auf den Zeitraum vom 1. Mai bis 9. Juli 2010 bezieht (2.).
- 8
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1. Streitgegenstand des Revisionsverfahrens ist auch der Zeitraum zwischen dem Erlass des Widerspruchsbescheides und dem des angefochtenen Urteils (a). Die darauf bezogene Verpflichtungsklage ist jedoch mangels Klagebefugnis unzulässig (b).
- 9
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a) Der Senat hat - wie mit den Beteiligten in der mündlichen Verhandlung erörtert und von ihnen nicht in Abrede gestellt - in zeitlicher Hinsicht auch über den Zeitraum vom 10. Juli 2010 bis zum 22. April 2015 zu entscheiden.
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Streitgegenstand des Berufungsverfahrens war auch der von den Klägern geltend gemachte Anspruch auf Leistungen für diesen Zeitraum. Zwar hat das Oberverwaltungsgericht hierüber nicht befunden. Gleichwohl ist dieser Zeitraum in der Revisionsinstanz angefallen. Denn das Oberverwaltungsgericht hat mit dem angefochtenen Urteil ein Vollendurteil und kein Teilurteil im Sinne des § 110 VwGO erlassen. Es hat über den vorgenannten Zeitraum allein deshalb nicht entschieden, weil es unter Verstoß gegen § 88 VwGO und § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO angenommen hat, der Streitgegenstand sei auf die Zeit bis zum Erlass des Widerspruchsbescheides am 9. Juli 2010 begrenzt. Dies haben die Kläger der Sache nach auch als Verfahrensmangel gerügt. Eine vom Gericht als Vollendurteil gewollte Entscheidung ist aber auch dann ein Vollendurteil, wenn sie den Streitgegenstand nicht voll erschöpft (BVerwG, Beschluss vom 27. April 2011 - BVerwG 8 B 56.10 - ZOV 2011, 136 m.w.N.).
- 11
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b) Den Klägern fehlt die erforderliche Klagebefugnis nach § 42 Abs. 2 VwGO, soweit sich ihre Verpflichtungsklage auf den vorgenannten Zeitraum erstreckt.
- 12
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Eine Rechtsverletzung der Kläger durch die Nichtgewährung von Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz ist für diesen Zeitraum offensichtlich nicht möglich. Ist im verwaltungsgerichtlichen Verfahren der für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgebliche Zeitpunkt derjenige der letzten Behördenentscheidung und hat die Behörde den Leistungsfall auch nur bis zu diesem Zeitpunkt geregelt, besteht auch bei unveränderter Sach- und Rechtslage nicht die Möglichkeit, dass der Kläger hinsichtlich des nachfolgenden Zeitraums einen Anspruch auf die begehrte Leistung im gerichtlichen Verfahren erfolgreich geltend machen kann.
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Im gerichtlichen Verfahren auf Bewilligung von Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz ist der entscheidungserhebliche Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage regelmäßig derjenige der letzten Entscheidung der Behörde (aa), die hier über den geltend gemachten Anspruch auch nicht über diesen Zeitpunkt hinaus entschieden hat (bb).
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aa) Der für die gerichtliche Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgebliche Zeitpunkt bestimmt sich nach materiellem Recht (BVerwG, Urteil vom 1. Dezember 1989 - BVerwG 8 C 17.87 - BVerwGE 84, 157 <160>), hier dem Unterhaltsvorschussgesetz. Dieses enthält hierzu keine ausdrückliche Bestimmung. Seine an der Gesetzessystematik (1) und an Sinn und Zweck des Gesetzes (2) orientierte Auslegung ergibt jedoch eindeutig, dass bei Klagen auf Bewilligungen von Leistungen nach diesem Gesetz grundsätzlich die letzte Behördenentscheidung der maßgebliche Beurteilungszeitpunkt ist. Die Gesetzgebungshistorie (3) bestätigt diesen Befund.
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(1) Aus gesetzessystematischer Sicht spricht für dieses Ergebnis, dass das Unterhaltsvorschussgesetz verschiedene Vorschriften enthält, die belegen, dass das Prinzip der monatsweisen Betrachtung ein das Unterhaltsvorschussgesetz insgesamt kennzeichnender Grundsatz ist.
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Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz werden ungeachtet einer, wie der maximalen Bewilligungsdauer von (seinerzeit) 72 Monaten (vgl. § 3 UVG) zu entnehmen ist, gegebenenfalls längeren Bezugsdauer auf der Grundlage einer monatsweisen Bewilligung erbracht. § 1 Abs. 4 Satz 1 UVG legt fest, dass der Anspruch auf Unterhaltsleistung nicht besteht "für Monate", in denen der barunterhaltspflichtige Elternteil Vorausleistungen auf den Unterhalt erbracht hat. Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 UVG wird die Unterhaltsleistung "monatlich" gezahlt und zwar im Grundsatz nach Maßgabe des bürgerlich-rechtlichen "monatlichen Mindestunterhalts". Besondere Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang § 2 Abs. 1 Satz 3 UVG zu. Danach wird die Unterhaltsleistung anteilig gezahlt, wenn die Anspruchsvoraussetzungen "nur für den Teil eines Monats" vorliegen. Schließlich werden gemäß § 2 Abs. 3 Nr. 1 UVG die "in demselben Monat" erfolgten Unterhaltszahlungen des barunterhaltspflichtigen Elternteils auf die Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz angerechnet. Die danach jeweils vorzunehmende Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen erstreckt sich sowohl darauf, ob der Anspruch dem Grunde nach (noch) besteht, als auch auf seinen Umfang, was insbesondere dann eine beständige Anpassung der Leistungen erfordert, wenn der barunterhaltspflichtige Elternteil in monatlich unterschiedlicher Höhe zahlt. Nach den vorstehenden Regelungen obliegt es der Behörde, den Leistungsfall grundsätzlich fortlaufend unter Kontrolle zu halten, was jedoch auch länger andauernden Bewilligungszeiträumen insbesondere bei sich nicht verändernden Umständen nicht entgegensteht.
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Abweichendes folgt nicht aus § 7 Abs. 4 Satz 1 UVG. Diese Vorschrift wurde durch Art. 4 Nr. 4c des Gesetzes zur Vereinheitlichung des Unterhaltsrechts minderjähriger Kinder vom 6. April 1998 (BGBl. I S. 666, 672) angefügt. Danach kann das Land gegen den barunterhaltspflichtigen Elternteil bis zur Höhe der bisherigen monatlichen Aufwendungen auch für künftige Leistungen klagen, "wenn die Unterhaltsleistung voraussichtlich auf längere Zeit gewährt werden muss". Die Regelung soll den Rückgriff gegenüber dem barunterhaltspflichtigen Elternteil prozessual erleichtern (BT-Drs. 13/7338 S. 46), eine materielle Aussage ist mit ihr nicht verbunden.
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(2) Sinn und Zweck der Unterhaltsleistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz sprechen ebenfalls für eine Begrenzung der gerichtlichen Kontrolle auf den Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung.
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Das Unterhaltsvorschussgesetz verfolgt zwei Zwecke: Der alleinerziehende Elternteil soll wirtschaftlich entlastet und der (Mindest-)Unterhalt des Kindes soll sichergestellt werden (BT-Drs. 8/1952 S. 6). Damit besteht aus der maßgeblichen Sicht des Leistungsempfängers (Kind) Zweckidentität zwischen Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz und der sozialhilferechtlichen Hilfe zum Lebensunterhalt, die nämlich beide darauf zielen, seinen Unterhalt zu sichern (BVerwG, Urteil vom 14. Oktober 1993 - 5 C 10.91 - Buchholz 436.0 § 11 BSHG Nr. 22 S. 26). Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz dienen - vergleichbar der sozialhilferechtlichen Hilfe zum Lebensunterhalt - nicht der Versorgung des Leistungsempfängers, sondern der Behebung oder zumindest Milderung einer gegenwärtigen Notlage, die nach der Wertung des Gesetzes durch das Alleinerziehen durch einen Elternteil und ausbleibende oder nur unzureichende Unterhaltszahlungen des barunterhaltspflichtigen anderen Elternteils gekennzeichnet ist. Wie bei der Sozialhilfe ist die Feststellung und Prüfung der gegenwärtigen Notlagensituation zuvörderst eine Aufgabe der Behörde. Für die sozialhilferechtliche Hilfe zum Lebensunterhalt aber ist in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung anerkannt, dass im gerichtlichen Verfahren grundsätzlich die letzte Behördenentscheidung den maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt bildet (BVerwG, Urteil vom 30. November 1966 - 5 C 29.66 - BVerwGE 25, 307 <308 f.>).
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(3) Die Gesetzesmaterialien unterstreichen die Nähe von Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz zur sozialhilferechtlichen Hilfe zum Lebensunterhalt.
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Diese werden im Gegensatz zu Letzteren zwar unabhängig von der wirtschaftlichen Situation des Kindes als Leistungsempfänger oder des alleinerziehenden Elternteils erbracht. Der Verzicht auf eine Prüfung der wirtschaftlichen Verhältnisse des alleinerziehenden Elternteils wurde im Gesetzentwurf des Unterhaltsvorschussgesetzes jedoch nicht damit begründet, dass die Unterhaltsvorschussleistungen nicht als Hilfeleistung in einer Notlage zu verstehen seien. Entscheidend war vielmehr, dass der insoweit erforderliche Verwaltungsaufwand außer Verhältnis zu möglichen Leistungseinsparungen stünde (BT-Drs. 8/1952 S. 6). Dieser Einschätzung liegt unausgesprochen die Annahme zugrunde, dass in einer zumindest erheblichen Anzahl von Fällen Hilfebedürftigkeit auch in wirtschaftlicher Hinsicht gegeben sein wird. Darauf weist auch der Umstand hin, dass sich die als § 8 des Gesetzentwurfs vorgesehene Vorschrift zur Überleitung von Unterhaltsansprüchen des Berechtigten an die Regelungen der §§ 90, 91 des Bundessozialhilfegesetzes anlehnte (BT-Drs. 8/1952 S. 7).
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b) Der maßgebliche Zeitpunkt für die gerichtliche Beurteilung der Sach- und Rechtslage verschiebt sich im konkreten Fall ausnahmsweise auch nicht deshalb über den Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides hinaus, weil die Behörde den Hilfefall für einen darüber hinausgehenden Zeitraum geregelt hat; in einem solchen Fall erfasst die gerichtliche Überprüfung nach der sozialhilferechtlichen Rechtsprechung des Senats den gesamten Regelungszeitraum (BVerwG, Urteil vom 14. Juli 1998 - 5 C 2.97 - Buchholz 436.0 § 120 BSHG Nr. 17 S. 9). Dies ist hier nicht der Fall.
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Da das Berufungsgericht den zeitlichen Regelungsbereich insbesondere des angefochtenen Widerspruchsbescheides nicht festgestellt hat, ist dem Revisionsgericht eine eigene Auslegung des Verwaltungsakts möglich (BVerwG, Urteil vom 4. Dezember 2001 - BVerwG 4 C 2.00 - BVerwGE 115, 274 <280>), die sich am Empfängerhorizont zu orientieren hat. Es bestehen keine Anhaltspunkte, die die Annahme einer über den Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides hinausgehenden Regelung durch Ausgangs- und Widerspruchsbescheid rechtfertigen. Diese enthalten weder eine ausdrückliche Aussage über ihre zeitliche Regelungsdauer, noch stellen sie auf einen rechtlichen Gesichtspunkt ab, der in der konkreten Situation der Kläger die Annahme einer in die Zukunft hineinreichenden Regelung zu begründen vermag. Der Wohnsitz in Portugal wird zwar erwähnt. Entscheidende Bedeutung kommt nach dem Inhalt des Widerspruchsbescheides aber dem Umstand zu, dass die Kläger nicht im Sinne des Gesetzes bei ihrer Mutter lebten, was sich jedoch auch bei Aufrechterhaltung des portugiesischen Wohnsitzes jederzeit ändern kann.
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2. Das Oberverwaltungsgericht hat zu Unrecht dahin erkannt, dass den Klägern für den Zeitraum vom 1. Mai 2010 bis zum Erlass des Widerspruchsbescheides kein Anspruch auf Unterhaltsvorschussleistungen zustehe. Seine entscheidungstragende Annahme, die Anknüpfung des Anspruchs an einen Wohnsitz im Geltungsbereich des Unterhaltsvorschussgesetzes sei auch mit Blick auf die unionsrechtlich gewährleistete Arbeitnehmerfreizügigkeit anwendbar, verletzt revisibles Recht im Sinne des § 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO.
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Rechtsgrundlage des geltenden gemachten Anspruchs ist § 1 Abs. 1 UVG i.d.F. der Bekanntmachung vom 17. Juli 2007 (BGBl. I S. 1446), für den hier sachlich zu bescheidenden Zeitraum zuletzt geändert durch Gesetz vom 21. Dezember 2007 (BGBl. I S. 3194). Danach hat Anspruch auf Unterhaltsvorschuss- oder -ausfallleistungen, wer das zwölfte Lebensjahr noch nicht vollendet hat, im Geltungsbereich dieses Gesetzes bei einem seiner Elternteile lebt, der ledig, verwitwet oder geschieden ist oder von seinem Ehegatten oder Lebenspartner dauernd getrennt lebt und nicht oder nicht regelmäßig Unterhalt von dem anderen Elternteil mindestens in der in § 2 Abs. 1 und 2 UVG bezeichneten Höhe erhält. Wie mit den Beteiligten in der mündlichen Verhandlung erörtert, gehen diese zu Recht übereinstimmend davon aus, dass alle Anspruchsvoraussetzungen nach nationalem Recht mit Ausnahme des Merkmals des Lebens im Inland gegeben sind. Diese Voraussetzung erfüllen die Kläger nicht, weil sie in Portugal leben. Die nach nationalem Recht entscheidungserhebliche Regelung des § 1 Abs. 1 Nr. 2 UVG hat jedoch insoweit aus Gründen des vorrangigen Unionsrechts außer Anwendung zu bleiben. Das sog. Wohnsitzerfordernis im Inland gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 2 UVG ist in Fällen der vorliegenden Art wegen des Vorrangs von Art. 7 Abs. 2 der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 des Rates vom 15. Oktober 1968 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft (ABl. Nr. L 257/2), für den hier sachlich zu bescheidenden Zeitraum zuletzt geändert durch die Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 (ABl. L 158/77) - VO (EWG) Nr. 1612/68 -, nicht anwendbar. Das ist unter Zugrundelegung der gefestigten Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (vgl. etwa EuGH, Urteil vom 6. Oktober 1982 - C-283/81, Cilfit - Rn. 16 und 21) offenkundig und zweifelsfrei, so dass es einer Vorlage an dieses Gericht nach Art. 267 Abs. 3 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union - AEUV - i.d.F. der Bekanntmachung vom 9. Mai 2008 (ABl. EU Nr. C 115 vom 9. Mai 2008 S. 47 und BGBl. II 2008 S. 1038 <1054>; in Kraft für die Bundesrepublik Deutschland seit dem 1. Dezember 2009, BGBl. II S. 1223) nicht bedarf.
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Nach Art. 7 Abs. 2 VO (EWG) Nr. 1612/68 genießt ein Arbeitnehmer, der Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats ist, im Hoheitsgebiet der anderen Mitgliedstaaten die gleichen sozialen und steuerlichen Vergünstigungen wie die inländischen Arbeitnehmer. Die Beteiligten streiten - wie mit ihnen in der mündlichen Verhandlung erörtert - zu Recht nicht darüber, dass in Anwendung der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (vgl. EuGH, Urteile vom 18. Juli 2007 - C-213/05 [ECLI:EU:C:2007:438], Geven - Rn. 15 und vom 18. Juli 2007 - C-212/05 [ECLI:EU:C:2007:437], Hartmann - Rn. 20; vom 20. Juni 2013 - C-20/12 [ECLI:EU:C:2013:411], Giersch - Rn. 37; vom 14. Dezember 2016 - C-238/15 [ECLI:EU:C:2016:949], Verruga u.a. - Rn. 39 und vom 15. Dezember 2016 - C-401/15 bis 403/15 [ECLI:EU:C:2016:955], Depesme u.a. - Rn. 37) kein vernünftiger Zweifel daran besteht, dass sich die Mutter der Kläger, die auch in Portugal einen Wohnsitz hat und in Deutschland arbeitet, gegenüber ihrem Herkunftsstaat, der Bundesrepublik Deutschland, auf das Arbeitnehmerfreizügigkeitsrecht des Art. 7 Abs. 2 VO (EWG) Nr. 1612/68 berufen kann. Zutreffend besteht auch kein Streit darüber, dass nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (vgl. EuGH, Urteile vom 14. Dezember 2016 - C-238/15 - Rn. 40 und vom 15. Dezember 2016 - C-401/15 bis 403/15 - Rn. 40) vernünftigerweise nicht zu bezweifeln ist, dass die Kläger als Familienmitglieder der sog. Wanderarbeitnehmerin im Zusammenhang mit dem Anspruch auf Unterhaltsvorschussleistungen dieses Recht selbst geltend machen können. Des Weiteren steht das unionsrechtliche Koordinierungsrecht der Anwendbarkeit des Art. 7 Abs. 2 VO (EWG) Nr. 1612/68 nicht entgegen (a). Die Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz sind eine soziale Vergünstigung im Sinne dieser Vorschrift (b). Ihre Vorenthaltung wegen des fehlenden Wohnsitzes der Kläger im Inland führt zu einer mittelbaren Diskriminierung ihrer Mutter als sog. Wanderarbeitnehmerin (c). Diese ist nach unionsrechtlichen Maßstäben nicht gerechtfertigt (d).
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a) Art. 7 Abs. 2 VO (EWG) Nr. 1612/68 ist vorliegend zu beachten.
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Die Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 war - wie bereits das Oberverwaltungsgericht ausgeführt hat - neben der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbstständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, anwendbar (EuGH, Urteile 10. März 1993 - C-111/91 [ECLI:EU:C:1993:92], Kommission/Luxemburg - Rn. 21 und vom 27. Mai 1993 - C-310/91 [ECLI:EU:C:1993:221], Schmid - Rn. 17).
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Bezüglich der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit, die mit Wirkung vom 1. Mai 2010 an die Stelle der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 getreten ist, gilt nichts anderes. Insbesondere wird die Anwendbarkeit des Art. 7 Abs. 2 Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 in Bezug auf Unterhaltsvorschussleistungen nicht dadurch ausgeschlossen, dass diese Leistungen mit Inkrafttreten von Art. 1 Buchst. z VO (EG) Nr. 883/2004 am 1. Mai 2010 aus dem Begriff der Familienleistungen und damit dem Anwendungsbereich dieser Koordinierungsverordnung ausgenommen sind. Die Verordnung (EG) 883/2004 beansprucht nach ihrem Art. 3 nur für die dort aufgeführten sozialrechtlichen Regelungskomplexe, u.a. Familienleistungen, Geltung. Dort nicht aufgeführte Materien verbleiben in der Regelungsmacht der Mitgliedstaaten, die das Gebot der Gleichbehandlung unter den Unionsbürgern zu beachten haben (Oberster Gerichtshof der Republik Österreich, Urteil vom 16. Dezember 2014 - 10 Ob 74/14a - Rn. 3; Bokeloh, Die Sozialleistungen im europäischen Kontext - Soziale Sicherheit, Sozialhilfe, besondere beitragsunabhängige Geldleistungen, WzS 2017, 105 <109>; a.A. Pfarrhofer, Zak 2010, 229).
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Schließlich ist zu beachten, dass Art. 7 Abs. 2 VO (EWG) Nr. 1612/68 eine besondere Ausprägung des in Art. 45 Abs. 2 AEUV enthaltenen Gleichbehandlungsgrundsatzes auf dem spezifischen Gebiet der Gewährung sozialer Vergünstigungen und daher ebenso wie Art. 45 Abs. 2 AEUV auszulegen ist (EuGH, Urteile vom 13. Dezember 2012 - C-379/11 [ECLI:EU:C:2012:798], Caves Krier - Rn. 25; vom 20. Juni 2013 - C-20/12 - Rn. 35 und vom 15. Dezember 2016 - C-401/15 bis 403/15 - Rn. 35). Wegen dieser primärrechtlichen Grundlage ist es ausgeschlossen anzunehmen, der Anwendungsbereich des Art. 7 Abs. 2 VO (EWG) Nr. 1612/68 werde durch eine andere sekundärrechtliche Vorschrift eingeschränkt.
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b) Unterhaltsvorschussleistungen stellen eine soziale Vergünstigung im Sinne des Art. 7 Abs. 2 VO (EWG) Nr. 1612/68 für die Mutter der Kläger als Wanderarbeitnehmerin dar.
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Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union sind darunter alle Vergünstigungen zu verstehen, die - ob sie an einen Arbeitsvertrag anknüpfen oder nicht - den inländischen Arbeitnehmern hauptsächlich wegen ihrer Arbeitnehmereigenschaft oder einfach wegen ihres Wohnorts im Inland gewährt werden und deren Erstreckung auf Wanderarbeitnehmer deshalb als geeignet erscheint, deren Mobilität innerhalb der Gemeinschaft zu erleichtern (EuGH, Urteil vom 11. September 2007 - C-287/05 [ECLI:EU:C:2007:494], Hendrix - Rn. 48). Steht die Leistung - wie hier - einem Kind des Wanderarbeitnehmers zu, muss dieser für den Unterhalt des Kindes aufkommen (EuGH, Urteil vom 15. Dezember 2016 - C-401/15 bis 403/15 - Rn. 39).
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Es unterliegt keinem vernünftigen Zweifel, dass Unterhaltsvorschussleistungen eine soziale Vergünstigung in diesem Sinne darstellen. Die Vergünstigung gegenüber dem Kind erweist sich zugleich als Vergünstigung gegenüber dem Elternteil. Unterhaltsvorschussleistungen tragen, wie schon ihre Bezeichnung erkennen lässt, zum Unterhalt des Kindes bei und dienen insoweit auch dazu, den alleinerziehenden und dem Kind gegenüber unterhaltspflichtigen Elternteil bei der Bewältigung der typischerweise schwierigen Erziehungs- und Lebenssituation zu entlasten (vgl. zu einer vergleichbaren Förderung für den Lebensunterhalt und die Durchführung eines Hochschulstudiums EuGH, Urteil 20. Juni 2013 - C-20/12 - Rn. 38 f.; zu Unterhaltsvorschussleistungen nach österreichischem Recht Oberster Gerichtshof der Republik Österreich, Urteile vom 12. April 2012 - 10 Ob 15/12x - Rn. 3.6 und vom 16. Dezember 2014 - 10 Ob 74/14a - Rn. 3.1 sowie die Schlussanträge der Generalanwälte beim EuGH in den Rechtssachen C-85/99, Offermanns, Rn. 67, C-255/99, Humers, Rn. 85 und C-302/02, Laurin Effing, Rn. 59 - 61). Da die Kläger im hier fraglichen Zeitraum bei ihrer Mutter lebten, leistete diese auch Unterhalt; auf die näheren Umstände und den Umfang der Unterhaltsleistungen kommt es im vorliegenden Zusammenhang nicht an (EuGH, Urteile vom 15. Dezember 2016 - C-401/15 bis 403/15 - Rn. 60).
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c) Der in § 1 Abs. 1 Nr. 2 UVG geforderte Wohnsitz des leistungsberechtigten Kindes in der Bundesrepublik Deutschland führt zu einer mittelbaren Diskriminierung der Mutter der Kläger aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit.
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Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union sind Voraussetzungen des nationalen Rechts als mittelbar diskriminierend anzusehen, die zwar unabhängig von der Staatsangehörigkeit gelten, aber im Wesentlichen oder ganz überwiegend Wanderarbeitnehmer betreffen, sowie unterschiedslos geltende Voraussetzungen, die von inländischen Arbeitnehmern leichter zu erfüllen sind als von Wanderarbeitnehmern, oder auch solche, bei denen die Gefahr besteht, dass sie sich besonders zum Nachteil von Wanderarbeitnehmern auswirken (vgl. EuGH, Urteile vom 23. Mai 1996 - C-237/94 [ECLI:EU:C:1996:206], O'Flynn - Rn. 18 und vom 21. September 2000 - C 124/99 [ECLI:EU:C:2000:485], Borawitz - Rn. 25). So verhält es sich in Bezug auf die Wohnsitzklausel des § 1 Abs. 1 Nr. 2 UVG.
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Diese wirkt sich vor allem auf unionsrechtliche Wanderarbeitnehmer aus, die - wie die Mutter der Kläger - in der Bundesrepublik Deutschland arbeiten, aber in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union wohnen. Diese Arbeitnehmer werden durch die Wohnsitzklausel in § 1 Abs. 1 Nr. 2 UVG gegenüber im Inland arbeitenden und wohnenden Unionsbürgern benachteiligt. Denn Arbeitnehmer können durch die Klausel davon abgehalten werden, von ihrem unionsrechtlichen Freizügigkeitsrecht (Art. 45 AEUV) Gebrauch zu machen und eine Beschäftigung in der Bundesrepublik Deutschland zu suchen und auszuüben und in einem anderen Mitgliedstaat zu wohnen, weil - so wie hier - ihr Kind, für dessen Unterhalt sie aufkommen, keinen Wohnsitz im Geltungsbereich dieses Gesetzes hat und allein deshalb von den Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz ausgeschlossen ist.
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d) Für die Ungleichbehandlung der Mutter der Kläger als sog. Wanderarbeitnehmerin fehlt es an einer dem Unionsrecht standhaltenden Rechtfertigung.
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Nach der seit Jahren gefestigten Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist ein Wohnsitzerfordernis im Zusammenhang mit der Gewährung staatlicher Leistungen an Wanderarbeitnehmer (und deren Familienangehörige) als Form mittelbarer Diskriminierung objektiv gerechtfertigt, wenn es geeignet ist, die Verwirklichung eines legitimen Ziels zu gewährleisten und nicht über das hinausgeht, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist (EuGH, Urteile vom 20. Juni 2013 - C-20/12 - Rn. 46 ff. und vom 14. Dezember 2016 - C-238/15 - Rn. 44 ff.). Dieser Maßstab gilt auch, wenn es sich dabei um eine - wie hier - beitragsunabhängige Sozialleistung handelt (vgl. EuGH, Urteil vom 11. September 2007- C-287/05 - Rn. 51 f. und 82). Das Oberverwaltungsgericht hat das Vorliegen dieser Voraussetzungen fehlerhaft bejaht. Ungeachtet der Frage, ob die mit dem Wohnsitzerfordernis verfolgten Ziele legitime Anliegen im Sinne des Unionsrechts sind (1), fehlt es an der Erforderlichkeit (2).
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(1) Mit dem Wohnsitzerfordernis in § 1 Abs. 1 Nr. 2 UVG verfolgt der nationale Gesetzgeber zwei Ziele.
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Das Wohnsitzerfordernis dient zum einen dazu, diejenigen zu unterstützen, die durch die Wahl ihres Wohnsitzes eine besondere Bindung zur deutschen Gesellschaft eingegangen sind (so die Aussage der Bundesregierung zum vergleichbaren Wohnsitzerfordernis des BErzGG, vgl. EuGH, Urteil vom 18. Juli 2007 - C-213/05 - Rn. 22). Gefordert wird eine hinreichend enge Bindung des minderjährigen Kindes als dem unmittelbaren Empfänger der sozialen Vergünstigung. Die notwendige Verbundenheit wird durch den alleinerziehenden Elternteil vermittelt, auf dessen Arbeitnehmerfreizügigkeit sich das Kind beruft. Denn das Unterhaltsvorschussgesetz knüpft den Anspruch des Kindes an einen gemeinsamen Familienwohnsitz im Geltungsbereich des Gesetzes ("das Kind im Geltungsbereich dieses Gesetzes bei einem seiner Elternteile lebt", § 1 Abs. 1 Nr. 2 UVG).
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Zum anderen zielt das Wohnsitzerfordernis darauf, die Finanzierung eines im Vergleich zum Inland - aufgrund möglicherweise niedrigerer Lebenshaltungskosten - höheren Lebensstandards im Ausland auszuschließen. Dies ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass die Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz an die hiesigen Lebensverhältnisse anknüpfen und den hiesigen Mindestunterhalt abdecken sollen. Diese enge Verbindung der Leistungen mit dem sozialen und wirtschaftlichen Kontext in der Bundesrepublik Deutschland ergibt sich daraus, dass sich die Höhe der Leistungen nach § 2 Abs. 1 UVG am bürgerlich-rechtlichen Mindestunterhalt orientiert, der wiederum an das sächliche Existenzminimum eines Kindes nach § 32 Abs. 6 Satz 1 EStG gekoppelt ist.
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Der Senat braucht nicht zu entscheiden, ob es sich bei den vorgenannten Zielen um legitime Zwecke im Sinne des Unionsrechts handelt. Denn das Wohnsitzerfordernis erscheint zwar zu deren Erreichung durchaus geeignet. Es geht allerdings über das zu ihrer Verwirklichung Notwendige hinaus.
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(2) Die mit der Wohnsitzklausel einhergehende Beschränkung der unionsrechtlichen Arbeitnehmerfreizügigkeit erweist sich als nicht erforderlich.
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Die Erforderlichkeit einer gesetzlichen Wohnsitzklausel ist zu bejahen, wenn der Gesetzgeber nicht eine andere, gleichwirksame, aber die unionsrechtliche Freizügigkeit nicht oder weniger stark einschränkenden Leistungsvoraussetzung hätte wählen können (stRspr des EuGH, vgl. etwa Urteil vom 8. Juli 2010 - C-343/09 [ECLI:EU:C:2010:419], Afton Chemical - Rn. 45). So verhält es sich hier nicht.
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(a) Vielmehr kann dem gesetzgeberischen Ziel der Verbundenheit mit dem die soziale Vergünstigung erbringenden Mitgliedstaat im Einklang mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (vgl. EuGH, Urteile vom 18. Juli 2007 - C-213/05 - Rn. 26, 28 - 30; vom 18. Juli 2007 - C-212/05 - Rn. 35 und vom 14. Dezember 2016 - C-238/15 - Rn. 49 ff.) gleich wirksam, aber das Freizügigkeitsrecht weniger belastend dadurch Rechnung getragen werden, dass die Unterhaltsvorschussleistungen davon abhängig gemacht werden, dass der in einem anderen Mitgliedstaat wohnende alleinerziehende Elternteil in der Bundesrepublik Deutschland einer Erwerbstätigkeit nachgeht, die die Grenze der Geringfügigkeit übersteigt. Ein Elternteil, der auf diese Weise Zugang zum bundesdeutschen Arbeitsmarkt gefunden hat, trägt mit den Abgaben, die er aufgrund der von ihm ausgeübten unselbstständigen Erwerbstätigkeit in dem betreffenden Mitgliedstaat entrichtet, zur Finanzierung der sozialpolitischen Maßnahmen in diesem Staat bei und belegt damit, dass er und das Kind, für dessen Unterhalt er aufkommt, in die hiesige Gesellschaft hinreichend integriert sind.
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Gemessen daran verfügte die Mutter der Kläger in dem hier sachlich noch zu bescheidenden Zeitraum über die vorstehend genannten Bindungen zur Bundesrepublik Deutschland. Nach den bindenden Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts (§ 137 Abs. 2 VwGO) war sie in dieser Zeit im Inland bei einer Fluggesellschaft als Chefin des Kabinenpersonals angestellt. Der Art nach handelt es sich dabei um eine Tätigkeit von mehr als nur geringfügigem Umfang. Da sie nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts im Bundesgebiet einen Wohnsitz unterhält, unterlag sie auch der deutschen Einkommensteuer (vgl. § 1 Abs. 1 Satz 1 EStG, § 8 AO).
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(b) Entgegen der Auffassung des Oberverwaltungsgerichts ist das Wohnsitzerfordernis auch zur Verwirklichung des gesetzgeberischen Anliegens nicht erforderlich, allein den im Inland notwendigen Mindestunterhalt mittels der Unterhaltsvorschussleistungen zu decken.
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Das Berufungsgericht kann sich insoweit insbesondere nicht mit Erfolg auf die Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union in der Rechtssache Hendrix (Urteil vom 11. September 2007- C-287/05 - Rn. 55) berufen. Zwar hat der Gerichtshof in dieser Entscheidung betont, ein Wohnsitzerfordernis könne für objektiv gerechtfertigt gehalten werden, wenn die betreffende Leistung eng mit dem sozialen und wirtschaftlichen Kontext des betreffenden Mitgliedstaats verbunden ist, was - wie dargelegt - bei den Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz der Fall ist. Allerdings hat er für die Bejahung der Erforderlichkeit des Wohnsitzerfordernisses entscheidend darauf abgestellt, dass die der in Rede stehenden Sozialleistung zugrunde liegenden nationalen Rechtsvorschriften ausdrücklich eine Ausnahme vom Wohnsitzerfordernis im Falle einer ansonsten eintretenden "erheblichen Unbilligkeit" ermöglichten und damit selber ein im Vergleich zur strikten Anwendung des Wohnsitzerfordernisses milderes Mittel vorsahen (Urteil vom 11. September 2007- C-287/05 - Rn. 56 f.). Eine derartige Ausnahmeregelung enthält das Unterhaltsvorschussgesetz nicht.
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Die mit dem Wohnsitzerfordernis erstrebte Deckung des in der Bundesrepublik Deutschland üblichen Unterhaltsbedarfs lässt sich jedoch gleichwirksam, die Freizügigkeit der Arbeitnehmer allerdings weniger einschneidend durch eine gesetzliche Regelung des Inhalts erreichen, dass die Höhe der Unterhaltsvorschussleistungen den gegebenenfalls niedrigeren Lebenshaltungskosten im Wohnsitzmitgliedstaat anzupassen sind. Eine solche Anpassung sieht das nationale Recht in anderen, aber durchaus vergleichbaren Regelungszusammenhängen selbst vor. Hervorzuheben ist insoweit die Regelung des § 24 Abs. 3 SGB XII über die Höhe von (ausnahmsweise) im Ausland zu erbringender Sozialhilfeleistungen. Danach richten sich Art und Maß der Leistungserbringung sowie der Einsatz des Einkommens und des Vermögens "nach den besonderen Verhältnissen im Aufenthaltsland". Eine vergleichbare Regelung trifft im Rahmen der Kriegsopferversorgung § 64b Abs. 3 Satz 1 BVG für die ergänzende Hilfe zum Lebensunterhalt nach § 27a BVG. Ferner sind derartige Bestimmungen auch in anderen Regelungszusammenhängen bekannt. So wird im Beamtenrecht der Berechnung des Auslandszuschlags nach § 53 Abs. 1 Satz 4 BBesG für den dienstortbezogenen immateriellen Anteil eine "standardisierte Dienstortbewertung im Verhältnis zum Sitz der Bundesregierung" zugrunde gelegt, und § 55 BBesG sieht einen Kaufkraftausgleich durch Zu- oder Abschläge vor, wenn bei einer allgemeinen Verwendung im Ausland die Kaufkraft der Besoldung am ausländischen Dienstort nicht der Kaufkraft der Besoldung am Sitz der Bundesregierung entspricht.
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Der Gefahr einer Kumulierung mit etwaigen nach portugiesischem Recht zu zahlenden Unterhaltsvorschussleistungen kann wirksam durch deren Anrechnung begegnet werden (EuGH, Urteil vom 20. Juni 2013 - C-20/12 - Rn. 79).
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3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 und 2, § 155 Abs. 1 Satz 3, § 188 Satz 2 VwGO.
Tatbestand
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Der Kläger wendet sich gegen seine Inanspruchnahme auf Ersatz von Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz.
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Seine Ehefrau und er sind die Eltern zweier in den Jahren 1998 beziehungsweise 2000 geborener Kinder. Spätestens seit Juni 2007 lebten die Eheleute dauernd getrennt. Eine in diesem Monat getroffene Umgangsvereinbarung sah vor, dass die Kinder ihren Hauptwohnsitz in der Wohnung ihres Vaters beibehalten, ihre Zeit jedoch zu gleichen Teilen mit ihrer Mutter wie mit dem Kläger verbringen sollten. Im Juli 2007 wurden sie mit Nebenwohnsitz für die Wohnung ihrer Mutter angemeldet.
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Auf Antrag des Klägers bewilligte der Beklagte den Kindern mit Bescheid vom 18. Oktober 2007 für die Zeit ab dem 1. August 2007 Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz. Bei Antragstellung gab der Kläger an, die Kinder würden von ihrer Mutter, bei der sie nicht lebten, "besuchsweise" betreut. Ende Oktober 2007 wurde dieser vorläufig das alleinige Aufenthaltsbestimmungsrecht übertragen. Zum 1. November 2007 wurden beide Kinder mit Hauptwohnsitz unter der Wohnanschrift ihrer Mutter angemeldet. Mit Ablauf des 30. November 2007 stellte der Beklagte die Leistungsgewährung ein. Mit Bescheid vom 19. Dezember 2007 forderte er von dem Kläger die im Zeitraum vom 1. August bis zum 31. Oktober 2007 bewilligten Unterhaltsvorschussleistungen in Höhe von 1 008 € zurück.
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Das Verwaltungsgericht hat der nach erfolglosem Widerspruchsverfahren erhobenen Anfechtungsklage stattgegeben. Zwar habe der Beklagte gegen den Kläger nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 UVG einen Anspruch auf Erstattung der gewährten Leistungen. Die Voraussetzungen für die Zahlung der Unterhaltsvorschussleistungen hätten nicht vorgelegen. Die verlässlich und regelmäßig wechselnde Betreuung der Kinder durch beide Elternteile führe hier dazu, dass die Kinder nicht mehr nur mit "einem" Elternteil im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 UVG zusammenlebten. Der Kläger habe die Bewilligung der Leistungen durch wahrheitswidrige Angaben zumindest fahrlässig herbeigeführt. Der Beklagte sei indes nicht befugt gewesen, den Anspruch mittels Leistungsbescheides festzusetzen, da es insoweit an einer gesetzlichen Ermächtigung fehle.
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Mit der von dem Verwaltungsgericht zugelassenen Sprungrevision verfolgt der Beklagte sein Klageabweisungsbegehren weiter. § 5 Abs. 1 UVG sei die ungeschriebene Befugnis zu entnehmen, den dort geregelten Ersatzanspruch durch Verwaltungsakt geltend zu machen.
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Der Kläger verteidigt das Urteil des Verwaltungsgerichts.
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Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht tritt dem Vorbringen des Beklagten bei, der Ersatzanspruch sei im Wege eines Verwaltungsakts durchzusetzen.
Entscheidungsgründe
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Die Revision ist begründet.
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Zwar hat das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt, dass die Verwaltung für die Geltendmachung des Ersatzanspruchs aus § 5 Abs. 1 Nr. 1 des Gesetzes zur Sicherung des Unterhalts von Kindern alleinstehender Mütter und Väter durch Unterhaltsvorschüsse oder -ausfallleistungen (Unterhaltsvorschussgesetz - UVG) i.d.F. der Bekanntmachung vom 17. Juli 2007 (BGBl I S. 1446), geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 21. Dezember 2007 (BGBl I S. 3194), durch Leistungsbescheid einer gesetzlichen Ermächtigung bedarf. Das angefochtene Urteil verletzt jedoch Bundesrecht, soweit das Verwaltungsgericht angenommen hat, dass sich eine entsprechende Verwaltungsaktbefugnis dem Gesetz nicht entnehmen lässt (1.). Der Senat kann aufgrund ausreichender Tatsachenfeststellungen abschließend über die Rechtmäßigkeit der Rückforderung der im Zeitraum vom 1. August bis zum 31. Oktober 2007 gezahlten Unterhaltsvorschussleistungen entscheiden (2.).
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1. Die Festsetzung und Durchsetzung des Ersatzanspruchs aus § 5 Abs. 1 Nr. 1 UVG durch die Handlungsform des Verwaltungsakts bedarf der gesetzlichen Grundlage. Eine solche Ermächtigung ist hier gegeben.
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Die Behörde greift mit der Konkretisierung und Individualisierung der sich aus § 5 Abs. 1 Nr. 1 UVG ergebenden Verpflichtung, den geleisteten Betrag an Unterhaltsleistung zu ersetzen, in die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) der in Anspruch genommenen Person ein. Hierfür ist eine gesetzliche Grundlage erforderlich, die die Behörde gerade auch ermächtigt, durch Verwaltungsakt tätig zu werden (vgl. Urteile vom 7. Dezember 2011 - BVerwG 6 C 39.10 - Buchholz 442.09 § 5a AEG Nr. 1 Rn. 14 und vom 3. März 2011 - BVerwG 3 C 19.10 - BVerwGE 139, 125 = Buchholz 316 § 49a VwVfG Nr. 11 jeweils Rn. 16). Eine Befugnis zum Erlass eines Verwaltungsakts muss nicht ausdrücklich geregelt sein. Die Behörde ist auch dann zum Erlass eines Leistungsbescheids ermächtigt, wenn sie und der Bürger gerade mit Blick auf den von ihr geltend gemachten Anspruch in einem allgemeinen öffentlich-rechtlichen Über- und Unterordnungsverhältnis stehen (vgl. Urteil vom 24. Juni 1966 - BVerwG 6 C 183.62 - BVerwGE 24, 225 <226 ff.> und Beschluss vom 29. Dezember 1981 - BVerwG 5 B 18.81 - Buchholz 436.36 § 47a BAföG Nr. 1 S. 1 f.). So liegt es hier.
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Aus dem systematischen Zusammenhang zwischen § 5 Abs. 1 Nr. 1 und § 1 Abs. 3 sowie § 6 Abs. 4 UVG folgt, dass zwischen dem Kläger und dem Beklagten eine Subordinationsbeziehung im angeführten Sinn besteht, die zur Geltendmachung des Leistungsanspruchs durch Verwaltungsakt berechtigt (a). Sinn und Zweck des § 5 Abs. 1 UVG (b) und die Gesetzesmaterialien (c) weisen ebenfalls eindeutig in diese Richtung.
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a) Die Ersatzpflicht des Elternteils, bei dem der Berechtigte lebt, oder des gesetzlichen Vertreters des Berechtigten steht in unmittelbarem Zusammenhang zu § 1 Abs. 3 und § 6 Abs. 4 UVG. Gemäß § 1 Abs. 3 UVG obliegt es dem betroffenen Elternteil, Auskünfte wahrheitsgemäß zu erteilen. § 6 Abs. 4 UVG verpflichtet den Elternteil, bei dem der Berechtigte lebt, und den gesetzlichen Vertreter des Berechtigten, der zuständigen Stelle die Änderungen in den Verhältnissen, die für die Leistung erheblich sind oder über die im Zusammenhang mit der Leistung Erklärungen abgegeben worden sind, unverzüglich mitzuteilen. Die Obliegenheit nach § 1 Abs. 3 UVG und die Auskunftspflicht nach § 6 Abs. 4 UVG sind jeweils öffentlich-rechtlich ausgestaltet. Beide begründen ein Über- und Unterordnungsverhältnis zwischen den Beteiligten, an das § 5 Abs. 1 Nr. 1 UVG anknüpft, indem er die Verletzung jener Obliegenheit beziehungsweise Pflicht mit Mitteln des öffentlichen Rechts sanktioniert (vgl. Beschluss vom 29. Dezember 1981 a.a.O. S. 1 f.).
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b) Sinn und Zweck des § 5 Abs. 1 Nr. 1 UVG, eine zweckentsprechende Verwendung der zur Durchführung der Unterhaltsvorschussgesetzes bereitgestellten öffentlichen Mittel sicherzustellen, bekräftigen die Annahme einer an ein Subordinationsverhältnis anknüpfenden Verwaltungsaktbefugnis. Einer solchen steht nicht entgegen, dass der Elternteil beziehungsweise der gesetzliche Vertreter an dem ausschließlich zwischen der zuständigen Stelle und dem Berechtigten bestehenden Leistungsverhältnis nicht beteiligt sind, der Ersatzanspruch mithin keine unmittelbare Umkehrung des Leistungsanspruchs darstellt. Obgleich jene bei förmlicher Betrachtung Dritte sind, stehen sie zu dem nicht oder nur beschränkt geschäftsfähigen Kind in einer besonderen, auch ihr Verhältnis zu der zuständigen Stelle prägenden Nähebeziehung. Der betroffene Elternteil beziehungsweise der gesetzliche Vertreter vertreten den nicht oder nur beschränkt geschäftsfähigen Leistungsempfänger im Rechtsverkehr. Ihre Handlungen und Erklärungen werden diesem zugerechnet. Sie sollen ihm indes weder zum Schaden gereichen, noch soll er für ein Fehlverhalten seiner Vertreter einstehen müssen (Urteil vom 26. Januar 2011 - BVerwG 5 C 19.10 - Buchholz 436.45 § 3 UVG Nr. 2 Rn. 15; Beschluss vom 22. Juni 2006 - BVerwG 5 B 42.06 und 5 PKH 15 PKH 14.06 - juris Rn. 4). Dieser Konzeption widerstreitet es, den betroffenen Elternteil beziehungsweise gesetzlichen Vertreter im Rahmen des § 5 Abs. 1 Nr. 1 UVG als unbeteiligte Dritte zu behandeln und dem Verhältnis zwischen ihnen und der zuständigen Stelle keinen Subordinationscharakter beizumessen. Die besondere Nähebeziehung, in der der Ersatzanspruch wurzelt, ermächtigt die zuständige Stelle im Zuge der "Rückabwicklung" der hoheitlichen Leistungsgewährung dazu, den Elternteil, bei dem der Berechtigte lebt, beziehungsweise dessen gesetzlichen Vertreter durch Leistungsbescheid in Anspruch zu nehmen (vgl. Urteil vom 3. März 2011 - BVerwG 3 C 13.10 - Buchholz 316 § 49a VwVfG Nr. 11 Rn. 14).
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c) Die Gesetzesmaterialien unterstreichen das vorstehende Normverständnis. Durch das Unterhaltsvorschussgesetz wollte der Gesetzgeber "den Schwierigkeiten begegne
, die alleinstehende Elternteile und ihre Kinder haben, wenn sich ein Elternteil den Zahlungsverpflichtungen gegenüber dem unterhaltsberechtigten Kind entzieht, hierzu ganz oder teilweise nicht in der Lage ist oder ein Elternteil verstorben ist" (BTDrucks 8/1952 S. 1). Die finanziellen Belastungen, denen alleinerziehende Elternteile dadurch ausgesetzt sind, dass sie die Unterhaltsansprüche ihrer minderjährigen Kinder gegen den jeweils anderen Elternteil verfolgen müssen und zugleich gemäß § 1607 BGB verpflichtet sind, im Rahmen ihrer Leistungsfähigkeit auch für den von dem jeweils anderen Elternteil geschuldeten Unterhalt aufzukommen, sollten durch die Gewährung von Unterhaltsvorschussleistungen gemildert werden (BTDrucks 8/1952 S. 6 und BTDrucks 8/2774 S. 11; vgl. auch Urteil 5. Juli 2007 - BVerwG 5 C 40.06 - Buchholz 436.45 § 3 UVG Nr. 1 Rn. 11). Insoweit stellen diese in der Sache eine besondere Sozialleistung auch für den alleinerziehenden Elternteil beziehungsweise gesetzlichen Vertreter dar, was die besondere Nähebeziehung zum Leistungsempfänger und den Subordinationscharakter ihres Verhältnisses zu der zuständigen Stelle bekräftigt.
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Dass der Gesetzgeber davon abgesehen hat, das Unterhaltsvorschussgesetz parallel zum Inkrafttreten des Zehnten Buchs Sozialgesetzbuch um eine dem § 50 Abs. 3 Satz 1 SGB X entsprechende Vorschrift zu ergänzen, erlaubt keinen verlässlichen Rückschluss auf ein "beredtes Schweigen". Insbesondere lässt sich aus der unterbliebenen Anpassung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 UVG nicht auf eine Absicht des Gesetzgebers schließen, eine Verwaltungsaktbefugnis insoweit "gerade nicht" vorzusehen, da das Erfordernis der Festsetzung der nach § 50 Abs. 3 Satz 1 SGB X zu erstattenden Leistung durch Verwaltungsakt ausweislich der Begründung des Gesetzentwurfs "aus Gründen der Rechtssicherheit" vorgesehen wurde (BTDrucks 8/2034 S. 36).
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2. § 5 Abs. 1 Nr. 1 UVG verpflichtet den Kläger auch materiell-rechtlich, die im Zeitraum vom 1. August bis zum 31. Oktober 2007 bewilligten Unterhaltsvorschussleistungen zu ersetzen. Das Verwaltungsgericht ist in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen für die Zahlung der Unterhaltsleistung bezogen auf den streitgegenständlichen Zeitraum nicht vorlagen (a) und der Kläger die Zahlung der Unterhaltsleistung dadurch herbeiführte, dass er zumindest fahrlässig unvollständige Angaben machte (b).
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a) § 5 Abs. 1 UVG knüpft die Ersatzpflicht desjenigen Elternteils, bei dem - dessen Vorbringen zufolge - der Berechtigte lebt, daran, dass die Voraussetzungen für die Zahlung der Unterhaltsleistung nach dem Unterhaltsvorschussgesetz in dem Monat, für den sie gezahlt wurde (Urteil vom 23. November 1995 - BVerwG 5 C 29.93 - BVerwGE 100, 42 <46> = Buchholz 436.45 § 5 UVG Nr. 1 S. 3 f.), nicht vorlagen.
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Gemäß § 1 Abs. 1 UVG hat unter anderem Anspruch auf Unterhaltsvorschuss nach diesem Gesetz, wer 1. das zwölfte Lebensjahr noch nicht vollendet hat, 2. im Geltungsbereich dieses Gesetzes bei einem seiner Elternteile lebt, der von seinem Ehegatten dauernd getrennt lebt und 3. nicht oder nicht regelmäßig Unterhalt von dem anderen Elternteil mindestens in der in § 2 Abs. 1 und 2 UVG bezeichneten Höhe erhält. Ohne Verstoß gegen Bundesrecht hat das Verwaltungsgericht festgestellt, dass die Kinder im streitgegenständlichen Zeitraum nicht im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 UVG beim Kläger gelebt haben.
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Ein Kind lebt im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 UVG bei einem seiner Elternteile, wenn es mit ihm eine auf Dauer angelegte häusliche Gemeinschaft unterhält, in der es auch betreut wird. Dem Sinn und Zweck des Unterhaltsvorschussgesetzes entsprechend ist das Merkmal nur dann erfüllt, wenn der alleinstehende leibliche Elternteil wegen des Ausfalls des anderen Elternteils die doppelte Belastung mit Erziehung und Unterhaltsgewährung in seiner Person zu tragen hat. Abgrenzungsprobleme entstehen, wenn das Kind - wie hier die Kinder des Klägers - regelmäßig einen Teil des Monats auch bei dem anderen Elternteil verbringt. Für die Beantwortung der Frage, ob das Kind in derartigen Fällen nur bei einem seiner Elternteile lebt, ist, wie das Verwaltungsgericht zutreffend erkannt hat, entscheidend auf die persönliche Betreuung und Versorgung, die das Kind bei dem anderen Elternteil erfährt, und die damit einhergehende Entlastung des alleinerziehenden Elternteils bei der Pflege und Erziehung des Kindes abzuheben. Trägt der den Unterhaltsvorschuss beantragende Elternteil trotz der Betreuungsleistungen des anderen Elternteils tatsächlich die alleinige Verantwortung für die Sorge und Erziehung des Kindes, weil der Schwerpunkt der Betreuung und Fürsorge des Kindes ganz überwiegend bei ihm liegt, so erfordert es die Zielrichtung des Unterhaltsvorschussgesetzes, das Merkmal "bei einem seiner Elternteile lebt" als erfüllt anzusehen und Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz zu gewähren. Wird das Kind hingegen weiterhin auch durch den anderen Elternteil in einer Weise betreut, die eine wesentliche Entlastung des den Unterhaltsvorschuss beantragenden Elternteils bei der Pflege und Erziehung des Kindes zur Folge hat, ist das Merkmal zu verneinen. (VGH München, Beschlüsse vom 7. Februar 2006 - 12 ZB 04.2403 - juris Rn. 3, vom 16. Februar 2007 - 12 C 06.3229 - juris Rn. 2 und vom 4. Juli 2007 - 12 C 07.372 - juris Rn. 5; VGH Mannheim, Urteil vom 19. Dezember 1996 - 6 S 1668/94 - FEVS 47, 445 <446 f.>; OVG Münster, Beschluss vom 17. September 2009 - 12 E 1564/08 - juris Rn. 9 bis 12).
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Das Vorliegen des Merkmals "bei einem seiner Elternteile lebt" ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung des Einzelfalles zu beurteilen. Dabei ist als ein wesentlicher Gesichtspunkt zu berücksichtigen, welcher Elternteil zum vorrangig Kindergeldberechtigten bestimmt wurde. Gemäß § 64 Abs. 2 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes i.d.F. der Bekanntmachung vom 19. Oktober 2002 (BGBl I S. 4210) wird das Kindergeld bei mehreren Berechtigten demjenigen gezahlt, der das Kind in seinen Haushalt aufgenommen hat. Der Begriff der Aufnahme in den Haushalt ist zwar - wie das Verwaltungsgericht zutreffend angenommen hat - nicht deckungsgleich mit dem Begriff des "Lebens bei einem Elternteil"; er weist jedoch erhebliche Parallelen zu Letzterem auf. Danach liegt eine Haushaltsaufnahme vor, wenn das Kind in die Familiengemeinschaft mit einem dort begründeten Betreuungs- und Erziehungsverhältnis aufgenommen worden ist. Neben dem örtlich gebundenen Zusammenleben müssen Voraussetzungen materieller (Versorgung, Unterhaltsgewährung) und immaterieller Art (Fürsorge, Betreuung) erfüllt sein (BFH, Beschluss vom 9. Dezember 2011 - III B 25/11 - juris Rn. 13 m.w.N.).
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Der Sachverhaltswürdigung des Verwaltungsgerichts zufolge ist die täglich-anteilige Betreuung der Kindesmutter über die bloße Wahrnehmung von Besuchskontakten hinausgegangen. Sie hat eine das "Leben bei einem Elternteil" und damit den Leistungsanspruch der Kinder ausschließende Entlastung des Klägers bewirkt. Familiengerichtlich ist nicht festgestellt worden, ob der Kläger die Kinder tatsächlich in seinen Haushalt aufgenommen hat. An diese tatsächlichen Feststellungen ist der Senat in Ermangelung zulässiger und begründeter Revisionsgründe gebunden (§ 137 Abs. 2 VwGO).
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b) § 5 Abs. 1 Nr. 1 UVG sanktioniert vorsätzliche oder fahrlässig falsche oder unvollständige Angaben. Die Norm lässt ihrem Wortlaut entsprechend den Vorwurf der einfachen Fahrlässigkeit im Sinne des § 276 Abs. 2 BGB genügen (Beschluss vom 22. Juni 2006 a.a.O. juris Rn. 7). Danach handelt fahrlässig, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt.
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Nach der bindenden Sachverhaltswürdigung (§ 137 Abs. 2 VwGO) des Verwaltungsgerichts hat der Kläger bei den Angaben zur Betreuungsleistung seiner Ehefrau die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht gelassen und damit die Gewährung der Unterhaltsleistung zumindest fahrlässig herbeigeführt. Dem Sinn und Zweck des § 5 Abs. 1 UVG entsprechend ist er daher ungeachtet der Tatsache, dass die Kinder - wie dargelegt - nicht im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 UVG bei ihm gelebt haben, verpflichtet, den Betrag zu ersetzen, der infolge seiner fehlerhaften Angaben geleistet wurde.
Tenor
I.
Der Bescheid des Beklagten vom
Der Bescheid des Beklagten vom
II.
Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren war notwendig.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vorher in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich gegen die Einstellung von Unterhaltsvorschusszahlungen für die Vergangenheit sowie eine Ersatzforderung für gezahlte Leistungen.
Mit formularmäßigem Antrag vom
Mit Schreiben vom
Auf einem gleichartigen Fragebogen erklärte die Klägerin unter dem
Nach der mit der Klägerin, mit dem Kindsvater und dem Kreisjugendamt des Beklagten erarbeiteten Umgangsvereinbarung vom
Mit Bescheid vom
Mit Schreiben vom
Mit Schriftsatz vom
Am 24. Juni 2013 schlossen die Klägerin und der Kindsvater vor dem Amtsgericht Garmisch-Partenkirchen eine Zwischenvereinbarung, in der u. a. geregelt ist, dass sich die Kinder im Zeitraum von Montagmittag bis Freitagmorgen bei der Klägerin, Freitag nach der Schule bis Montagmorgen beim Kindsvater aufhalten und dass die Klägerin und der Kindsvater die Kinderbetreuung und -versorgung in den Sommerferien 2013 jeweils für etwa drei Wochen übernehmen. Am 3. April 2014 ordnete das Amtsgericht Garmisch-Partenkirchen im Wege der einstweiligen Anordnung an, dass die Kinder der Klägerin jeweils am letzten Wochenende im Monat bei dieser verblieben. Weiterhin wurde eine Regelung zu den Schulferienzeiten getroffen, die im Ergebnis zu einer etwa hälftigen Aufteilung der Betreuung und Versorgung während der Ferien durch die Klägerin und den Kindsvater führt.
Mit Beschluss vom 23. Juni 2014 wies das Amtsgericht Garmisch-Partenkirchen Barunterhaltsansprüche des Freistaats Bayern gegen den Kindsvater ab, da es keinen Schwerpunkt der tatsächlichen Betreuung gebe.
Mit dem angegriffenen Bescheid vom
Mit Schriftsatz vom
Aus unter dem
Mit Bescheid vom
Die Klägerin hat durch ihre Bevollmächtigten mit Schriftsatz vom
Der Lebensmittelpunkt der Kinder liege bei der Klägerin. Diese trage auch während des Schulbesuchs der Kinder Verantwortung und halte sich zur Verfügung. Die Aufenthalte beim Kindsvater seien lediglich Wochenendaufenthalte. Der Tagesablauf an Wochenenden sei nicht mit der unter der Woche erforderlichen Organisation und ordnenden Gestaltung des Tagesablaufs vergleichbar.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Fehle es an einer eindeutigen Zuordnung des Lebensmittelpunkts, bestehe kein Anspruch auf Unterhaltsvorschussleistungen.
In einer Vereinbarung über die „Stundung mit Ratenzahlung wegen übergegangener Unterhaltsansprüche des Kindes“
Mit Beschluss vom 10. Februar 2016
In der mündlichen Verhandlung am
1. Der Bescheid der Beklagten vom
2. Der Bescheid der Beklagten vom
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird Bezug genommen auf die Gerichtsakte und die vorgelegte Behördenakte.
Gründe
Die Klage ist zulässig, insbesondere ist die Klägerin hinsichtlich der Anfechtung der Ziffer 1 des Bescheids vom 26. November 2014 klagebefugt. Zwar ist Begünstigter der Leistungen nach dem UVG das betreffende Kind. Jedoch ist auch der allein erziehende Elternteil im Streit um UVG-Leistungen klagebefugt, weil er sie nach § 9 Abs. 1 UVG in eigenem Namen geltend machen kann (vgl. BayVGH, B.v. 20.1.2014 - 12 C 13.2488 - juris Rn. 8).
Die Klage ist auch begründet, da der Bescheid der Beklagten vom
1. Die Aufhebung des Bescheids vom
1.1 Die Begründung des Bescheids spricht zwar eine Aufhebung und keine Rücknahme aus und nennt § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X als Rechtsgrundlage. Die Voraussetzung für eine Aufhebung nach § 48 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 SGB X liegen nicht vor. Es ist keine wesentliche Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen eingetreten. Die Betreuungsregelung zwischen der Klägerin und dem Kindsvater bestand vielmehr seit Leistungsbewilligung ohne wesentliche Änderungen fort. Die Erfolglosigkeit der zivilrechtlichen Durchsetzung der Barunterhaltsansprüche gegen den Kindsvater durch den Freistaat Bayern begründet keine wesentliche Änderung der Verhältnisse, da das Bestehen solcher Ansprüche keine Voraussetzung der Leistungsgewährung nach § 1 Unterhaltsvorschussgesetz (UVG) ist.
Der Bescheid kann jedoch entsprechend § 43 Abs. 1 SGB X in einen Rücknahmebescheid nach § 45 SGB X umgedeutet werden. Dem steht nicht § 43 Abs. 3 SGB X entgegen. Nach dieser Vorschrift darf eine gebundene Entscheidung nicht in eine Ermessensentscheidung umgedeutet werden. Dies gilt jedoch nicht, wenn das Ermessen auf eine bestimmte Entscheidung reduziert ist, weil jedes andere Entscheidungsergebnis rechtswidrig wäre (vgl. BSG, U.v. 11.4. 2002 - B 3 P 8/01 R - juris Rn. 25). Dies ist hier der Fall. Liegen die tatbestandlichen Voraussetzung der Rücknahme nach § 45 SGB X für einen Bescheid über Unterhaltsvorschussleistungen für einen zukünftigen Zeitraum vor, wäre jede andere Entscheidung, die zur Fortsetzung des rechtswidrigen Leistungsbezugs in der Zukunft führen würde, rechtswidrig, weil die entscheidende Behörde nach Art. 20 Abs. 3 GG an Recht und Gesetz gebunden sowie nach Art. 7 Abs. 1 Satz 1 Bayerische Haushaltsordnung (BayHO) zur wirtschaftlichen und sparsamen Haushaltsführung verpflichtet ist.
1.2 Nach § 45 Abs. 1 SGB X darf ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), soweit er rechtswidrig ist, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, unter den Einschränkungen des § 45 Abs. 2 bis 4 SGB X ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Der Bescheid vom 12. März 2013 hat einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet, weil er Grundlage für Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz ist.
1.2.1 Der Bescheid vom
Nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 UVG ist Voraussetzung für den Anspruch auf Unterhaltsvorschuss u. a., dass der Betroffene bei einem seiner Elternteile lebt, der ledig, verwitwet oder geschieden ist oder von seinem Ehegatten oder Lebenspartner dauernd getrennt lebt. Ein Kind lebt im Sinne dieser Vorschrift bei einem seiner Elternteile, wenn es mit ihm eine auf Dauer angelegte häusliche Gemeinschaft unterhält, in der es auch betreut wird. Dem Sinn und Zweck des Unterhaltsvorschussgesetzes entsprechend ist das Merkmal nur erfüllt, wenn der allein stehende leibliche Elternteil wegen des Ausfalls des anderen Elternteils die doppelte Belastung mit Erziehung und Unterhaltsgewährung in seiner Person zu tragen hat. Abgrenzungsprobleme entstehen, wenn das Kind regelmäßig einen Teil des Monats auch bei dem anderen Elternteil verbringt. Es ist entscheidend auf die persönliche Betreuung und Versorgung, die das Kind bei dem anderen Elternteil erfährt, und die damit einhergehende Entlastung des alleinerziehenden Elternteils bei der Pflege und der Erziehung des Kindes abzuheben. Trägt der den Unterhaltsvorschuss beantragende Elternteil trotz der Betreuungsleistungen des anderen Elternteils tatsächlich die alleinige Verantwortung für die Sorge und Erziehung des Kindes, weil der Schwerpunkt der Betreuung und Fürsorge des Kindes ganz überwiegend bei ihm liegt, so erfordert es die Zielrichtung des Unterhaltsvorschussgesetzes, das Merkmal als erfüllt anzusehen, dass das Kind lediglich bei einem seiner Elternteile lebt. Wird das Kind hingegen weiterhin auch durch den anderen Elternteil in einer Weise betreut, die eine wesentliche Entlastung des den Unterhaltsvorschuss beantragenden Elternteils bei der Pflege und der Erziehung des Kindes zur Folge hat, ist das Merkmal zu verneinen (vgl. BVerwG, U.v. 11.10.2012 - 5 C 20/11 - BVerwGE 144, 306 Rn. 20). Das Kind lebt nicht bei lediglich einem Elternteil, wenn die leiblichen Eltern - auch wenn sie nicht zusammen wohnen - die Erziehungsaufgaben so untereinander aufteilen, dass keiner der Elternteile diese Aufgabe ganz oder weit überwiegend alleine erfüllen muss. Dabei ist nicht zu fordern, dass die Erziehungs- und Betreuungsanteile in quantitativer und qualitativer Hinsicht gleich sind. Es genügt, wenn der andere Elternteil in wesentlichem Umfang an der erzieherischen Leistung mitwirkt (vgl. BayVGH, B.v. 14.1.2013 - 12 C 12.2737 - juris Rn. 10).
Nach diesen Maßstäben lag hier die Voraussetzung des § 1 Abs. 1 Nr. 2 UVG seit Beginn der Leistungsgewährung nicht vor. Nach der seit dem Jahr 2007 ohne grundlegende Änderung fortgeschriebenen Umgangsregelung erbringt der Kindsvater eine wesentliche Erziehungsleistung, die die Klägerin wesentlich entlastet. Außerhalb der Schulferien erfolgten und erfolgen regelmäßig drei von sieben Übernachtungen in der Woche im Haushalt des Kindsvaters. Der 2003 geborene Sohn der Klägerin verbringt nach der durch die einstweilige Anordnung vom 3. April 2014 modifizierten Zwischenvereinbarung vom 24. Juni 2013 regelmäßig die Wochenenden von Freitagmittag bis Montagvormittag mit Ausnahme des jeweils letzten Wochenendes im Monat beim Kindsvater. Die Betreuung und Versorgung in den Ferienzeiten wurde hälftig aufgeteilt. Dabei ist hinsichtlich der Wesentlichkeit des Erziehungsbeitrages des Kindsvaters zu berücksichtigen, dass die Klägerin außerhalb der Zeiten der Schulferien dadurch entlastet ist, dass sich ihr Sohn in der Schule und der anschließenden Betreuung befindet. Der Betreuungsaufwand an Wochenenden ist regelmäßig erhöht, weil während dieser Zeit die Kinder gerade nicht schon in größerem Umfang anderweitig, nämlich in Kindertageseinrichtungen oder Schulen, betreut werden (vgl. OVG NW U.v. 15.12.2015 - 12 A 1053/14 - juris Rn. 36). Nach den im Wesentlichen übereinstimmenden Betreuungsprotokollen des Kindsvaters und der Klägerin über den Dezember 2014 wurde die Umgangsregelung auch nahezu vollständig in die Wirklichkeit umgesetzt.
1.2.2 Der Bescheid des Beklagten ist rechtswidrig, soweit er die Aufhebung des Bescheids vom
Dies gilt zunächst für den Zeitraum vom 1. August bis zum
Eine Rücknahme mit Wirkung für die Vergangenheit ist nach § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1, Abs. 4 Satz 1 SGB X zulässig, wenn der Begünstigte den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat. Dafür ist hier nichts ersichtlich. Nach § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2, Abs. 4 Satz 1 SGB X kann eine Rücknahme mit Wirkung für die Vergangenheit erfolgen, soweit der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat. Dafür ist vorliegend nichts ersichtlich. Auf dem Antragsvordruck hat die Klägerin bereits angegeben, dass der Kindsvater den 2003 geborenen Sohn von Freitag bis Montag betreut. Auch aus der am 13. März 2013 abgegebenen Erklärung ergibt sich, dass die Kinder vom Kindsvater an jedem Freitagmittag von der Schule abgeholt und am Montagmorgen wieder zur Schule gebracht werden.
Nach § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3, Abs. 4 Satz 1 SGB X wird der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen, soweit der Begünstigte die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte. Dabei sind dem 2003 geborenen Sohn als Begünstigtem hier Kennen und Kennen müssen der Klägerin zuzurechnen, weil dieser nach § 9 Abs. 1 Satz 1 UVG ein eigenes Antragsrecht für die ihrem Sohn als Begünstigtem zu gewährende Leistung zusteht. Dafür, dass die Klägerin die Rechtswidrigkeit des Bescheids vom 12. März 2013 positiv erkannte, ist nichts ersichtlich. Auch Unkenntnis infolge grober Fahrlässigkeit ist nicht gegeben. Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 Hs. 2 SGB X. Dieser Vorwurf eines besonders schweren Sorgfaltspflichtverstoßes kann der Klägerin hier nicht gemacht werden. Sie hat im Antragsformular und in der Erklärung vom 13. März 2013 zutreffende Angaben gemacht. Es kann ihr nicht vorgeworfen werden, dass sie die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt habe, indem sie in der Folgezeit auf die Rechtmäßigkeit des Bescheids vom 12. März 2013 vertraute. Wie sich aus den Akten des Beklagten ergibt, lag bei diesem selbst vor Erlass des Bescheids vom 12. März 2013 Zweifel dahingehend vor, ob der Lebensmittelpunkt des Kindes bei der Klägerin zu sehen sei. Angesichts dessen und der höheren Sachkunde der Behörde ist ersichtlich, dass ein Grenzfall der Gewährung vorlag, der erst durch das Endurteil des Amtsgerichts Garmisch-Partenkirchen in eine Richtung entschieden wurde. Wenn nun bereits die sachkundige Behörde sich nicht sicher über das Vorliegen des Tatbestandsmerkmals „Lebensmittelpunkt“ war und erst ein Endurteil des Amtsgerichts dies indirekt aufklärt, kann der rechtsunkundigen Klägerin eine grobe Fahrlässigkeit wegen des Verkennens des Vorliegend des Tatbestandsmerkmals nicht unterstellt werden.
Auch der Ansicht des Beklagten, dass seit Erlass des Endurteils des Amtsgerichts Garmisch-Partenkirchen grob fahrlässige Unkenntnis im Sinne des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 Hs. 2 SGB X vorlag, kann nicht gefolgt werden. Ein besonders schwerer Sorgfaltsverstoß der Klägerin sieht das Gericht auch hier nicht. Weder die Klägerin, noch der Beklagte waren Parteien im Verfahren vor dem Amtsgericht Garmisch-Partenkirchen, so dass schon fraglich ist, ob die Klägerin Kenntnis vom Verfahren gegen den Kindsvater, geschweige denn des Urteils hatte. Doch selbst, wenn sie Kenntnis gehabt hätte, kann aufgrund der unterschiedlichen Streitgegenstände und der komplexen Verzahnung zwischen dem UVG-Recht und dem zivilrechtlichen Unterhaltsrecht nicht davon ausgegangen werden, dass die Klägerin aufgrund des Urteilsspruches hätte erkennen müssen, dass die Voraussetzung „Lebensmittelpunkt“ für die Gewährung von Unterhaltsvorschuss weggefallen ist.
Für den Zeitraum vom 11. bis zum
2. Die Klage ist auch begründet, soweit sie sich gegen die in Ziffer 2 des Bescheids vom
Der Zulässigkeit der Klage steht insoweit nicht die Stundungsvereinbarung vom
Der Beklagte hat keinen Ersatzanspruch gegen die Klägerin nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 UVG. Nach dieser Vorschrift hat der Elternteil, bei dem der Berechtigte lebt, wenn die Voraussetzungen für die Zahlung der Unterhaltsleistung in dem Kalendermonat, für den sie gezahlt worden ist, nicht oder nicht durchgehend vorgelegen haben, den geleisteten Betrag insoweit zu ersetzen, als er gewusst oder infolge Fahrlässigkeit nicht gewusst hat, dass die Voraussetzungen für die Zahlung der Unterhaltsleistung nicht erfüllt waren. Die Klägerin hat nicht positiv gewusst, dass die Voraussetzungen für die Zahlung der Unterhaltsvorschussleistung nicht erfüllt waren. Ihr ist auch keine Fahrlässigkeit vorzuwerfen. Der Maßstab der Fahrlässigkeit entspricht demjenigen der einfachen Fahrlässigkeit im Sinne des § 276 Abs. 2 BGB (vgl. BVerwG, B.v. 22.6.2006 - 5 B 42/06 - juris Rn. 11). Fahrlässig handelt danach, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt verletzt. Die Klägerin hat nicht die im Verkehr erforderliche Sorgfalt verletzt. Angesichts ihrer zutreffenden Angaben im Antrag und in der Erklärung vom 13. März 2013 durfte sie auf die Rechtmäßigkeit des Bescheids vom 12. März 2013 vertrauen. Unbeschadet des ihr übergebenen Merkblatts über die Gewährung von Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz durfte sie sich darauf verlassen, dass der Beklagte ihre Angaben zutreffend würdigen und eventuelle Unklarheiten hinsichtlich der Leistungsvoraussetzungen durch die Nachforderung von ergänzenden Angaben aufklären würde. Von der Klägerin konnte nicht erwartet werden, sich näher mit den Voraussetzungen der Unterhaltsvorschussleistung und insbesondere mit der höchst- und obergerichtlichen Rechtsprechung zu § 1 Abs. 1 Nr. 2 UVG auseinanderzusetzen, sowie in der Folge zu erkennen, dass in ihrer konkreten Situation ein Anspruch nicht gegeben war. Auch an den Beschluss des Amtsgerichts Garmisch-Partenkirchen
Jedenfalls ab dem 11. Dezember 2014 besteht zwar fahrlässige Unkenntnis. Nach Zugang des Bescheids vom 26. November 2014 spätestens am genannten Tag musste die Klägerin erkennen, dass die Leistungsvoraussetzungen nicht vorlagen. Dies betrifft jedoch nur Leistungen, die nach diesem Zeitpunkt in ihre Verfügungsmacht gelangten (vgl. BayVGH, U.v. 23.10.2001 - 12 B 00.2737 - juris Rn. 22), hier also den Zeitraum ab Januar 2015.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 154 Abs. 1, 188 S. 2 VwGO.
Angesichts der schwierigen Rechtsmaterie war die Beiziehung eines Rechtsanwalts im Vorverfahren nach § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO notwendig.
Die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus den §§ 167 S. 1 VwGO i. V. m. 708 Nr. 11, 711 ZPO.
(1) Leistungen nach diesem Buch erhalten Personen, die
- 1.
das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben, - 2.
erwerbsfähig sind, - 3.
hilfebedürftig sind und - 4.
ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Leistungsberechtigte).
- 1.
Ausländerinnen und Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbständige noch aufgrund des § 2 Absatz 3 des Freizügigkeitsgesetzes/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts, - 2.
Ausländerinnen und Ausländer, - a)
die kein Aufenthaltsrecht haben oder - b)
deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt,
- 3.
Leistungsberechtigte nach § 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes.
(2) Leistungen erhalten auch Personen, die mit erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in einer Bedarfsgemeinschaft leben. Dienstleistungen und Sachleistungen werden ihnen nur erbracht, wenn dadurch Hemmnisse bei der Eingliederung der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten beseitigt oder vermindert werden. Zur Deckung der Bedarfe nach § 28 erhalten die dort genannten Personen auch dann Leistungen für Bildung und Teilhabe, wenn sie mit Personen in einem Haushalt zusammenleben, mit denen sie nur deshalb keine Bedarfsgemeinschaft bilden, weil diese aufgrund des zu berücksichtigenden Einkommens oder Vermögens selbst nicht leistungsberechtigt sind.
(3) Zur Bedarfsgemeinschaft gehören
- 1.
die erwerbsfähigen Leistungsberechtigten, - 2.
die im Haushalt lebenden Eltern oder der im Haushalt lebende Elternteil eines unverheirateten erwerbsfähigen Kindes, welches das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, und die im Haushalt lebende Partnerin oder der im Haushalt lebende Partner dieses Elternteils, - 3.
als Partnerin oder Partner der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten - a)
die nicht dauernd getrennt lebende Ehegattin oder der nicht dauernd getrennt lebende Ehegatte, - b)
die nicht dauernd getrennt lebende Lebenspartnerin oder der nicht dauernd getrennt lebende Lebenspartner, - c)
eine Person, die mit der erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person in einem gemeinsamen Haushalt so zusammenlebt, dass nach verständiger Würdigung der wechselseitige Wille anzunehmen ist, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen.
- 4.
die dem Haushalt angehörenden unverheirateten Kinder der in den Nummern 1 bis 3 genannten Personen, wenn sie das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, soweit sie die Leistungen zur Sicherung ihres Lebensunterhalts nicht aus eigenem Einkommen oder Vermögen beschaffen können.
(3a) Ein wechselseitiger Wille, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen, wird vermutet, wenn Partner
- 1.
länger als ein Jahr zusammenleben, - 2.
mit einem gemeinsamen Kind zusammenleben, - 3.
Kinder oder Angehörige im Haushalt versorgen oder - 4.
befugt sind, über Einkommen oder Vermögen des anderen zu verfügen.
(4) Leistungen nach diesem Buch erhält nicht, wer in einer stationären Einrichtung untergebracht ist, Rente wegen Alters oder Knappschaftsausgleichsleistung oder ähnliche Leistungen öffentlich-rechtlicher Art bezieht. Dem Aufenthalt in einer stationären Einrichtung ist der Aufenthalt in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung gleichgestellt. Abweichend von Satz 1 erhält Leistungen nach diesem Buch,
- 1.
wer voraussichtlich für weniger als sechs Monate in einem Krankenhaus (§ 107 des Fünften Buches) untergebracht ist oder - 2.
wer in einer stationären Einrichtung nach Satz 1 untergebracht und unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 15 Stunden wöchentlich erwerbstätig ist.
(4a) (weggefallen)
(5) Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes dem Grunde nach förderungsfähig ist, haben über die Leistungen nach § 27 hinaus keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Satz 1 gilt auch für Auszubildende, deren Bedarf sich nach § 61 Absatz 2, § 62 Absatz 3, § 123 Nummer 2 sowie § 124 Nummer 2 des Dritten Buches bemisst.
(6) Absatz 5 Satz 1 ist nicht anzuwenden auf Auszubildende,
- 1.
die aufgrund von § 2 Absatz 1a des Bundesausbildungsförderungsgesetzes keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung haben, - 2.
deren Bedarf sich nach den §§ 12, 13 Absatz 1 in Verbindung mit Absatz 2 Nummer 1 oder nach § 13 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit Absatz 2 Nummer 2 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes bemisst und die Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz - a)
erhalten oder nur wegen der Vorschriften zur Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen nicht erhalten oder - b)
beantragt haben und über deren Antrag das zuständige Amt für Ausbildungsförderung noch nicht entschieden hat; lehnt das zuständige Amt für Ausbildungsförderung die Leistungen ab, findet Absatz 5 mit Beginn des folgenden Monats Anwendung, oder
- 3.
die eine Abendhauptschule, eine Abendrealschule oder ein Abendgymnasium besuchen, sofern sie aufgrund des § 10 Absatz 3 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung haben.
Tenor
Das angefochtene Urteil wird geändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens beider Instanzen.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
Tatbestand
2Die Klägerin ist Mutter des am 2013 geborenen Kindes D. , mit dem sie seit dessen Geburt gemeinsam in einem Haushalt in H. unter der Anschrift I.---straße 28 A wohnt. Der Vater von D. wohnt in einer Entfernung von ca. 700 m zur Wohnung der Klägerin in der T.--straße 36 in H. bei seiner Großmutter.
3Auf Anfrage der Klägerin, initiiert vom Jobcenter, bestätigte der Beklagte der Klägerin unter dem 30. Juli 2013, dass Unterhaltsvorschuss für D. nicht gewährt werden könne, da die Klägerin zwar nicht mit dem Kindesvater in Haushaltsgemeinschaft lebe, die Erziehung des Kindes aber zu beiden Teilen vom Vater und ihr selbst geleistet werde. Die Klägerin sei daher nicht alleinerziehend im Sinne des Unterhaltsvorschussgesetzes - UVG -.
4Ende August 2013 beantragte die Klägerin beim Beklagten förmlich Unterhaltsleistungen für D. nach dem UVG. Im Formular gab sie an, dass sich der Kindesvater in Ausbildung befinde und ein monatliches Gehalt von 401,85 € netto beziehe. Ferner merkte sie auf die Frage, warum sie sich nicht um Unterhaltsleistungen des Kindesvaters bemüht habe, an: „Da Partnerschaft besteht, nur getrennte Haushalte wegen Ausbildung“. Im Anschreiben heißt es hierzu ergänzend: „...der Vater von D. und ich (führen) eine Beziehung ... Der Vater von D. und ich betreuen und pflegen das Kind zu gleichen Teilen“.
5Mit Bescheid vom 13. September 2013 lehnte der Beklagte den Antrag auf Unterhaltsvorschusszahlungen für D. ab. Es sei faktisch von einer vollständigen Familie auszugehen. Damit liege ein „Zusammenleben“ i. S. d. UVG vor.
6Am 15. Oktober 2013 hat die Klägerin Klage erhoben mit dem Antrag, ihr für das Kind D. Unterhaltsleistungen nach dem UVG zu gewähren. Zur Begründung hat sie vorgetragen: Sie sei für die Versorgung und Ernährung von D. allein zuständig. Der Kindesvater könne keinen Unterhalt leisten, da er in Ausbildung sei. Er besuche sie regelmäßig und betreue auch das Kind. Das gestalte sich allerdings schwierig, weil er beruflich bedingt ganztags außer Haus sei und nicht mit ihnen in einem Haushalt lebe. Aus seiner Berufstätigkeit und den getrennten Haushalten ergebe sich, dass die Kindesbetreuung nicht von beiden Eltern zu gleichem Anteil getragen werde. Die regelmäßigen Besuche wirkten in keiner Weise auf die Erziehung und Versorgung des Kindes ein, so dass sie faktisch alleinerziehend sei.
7Die Klägerin hat beantragt,
8den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 13. September 2013 zu verpflichten, auf ihren Antrag vom 26. August 2013 Unterhaltsvorschussleistungen zu leisten.
9Der Beklagte hat beantragt,
10die Klage abzuweisen.
11Er hat zur Begründung angeführt, Unterhaltsvorschussleistungen dienten primär dazu, die prekäre Lage einer Alleinerziehenden abzumildern und nicht dazu, ausbleibenden Unterhalt des Barunterhaltsverpflichteten, der nicht mit dem Kind zusammenlebe, auszugleichen. Daher seien UVG-Leistungen für faktisch vollständige Familien ausgeschlossen.
12Das Verwaltungsgericht hat in der mündlichen Verhandlung den Vater des Kindes als Zeugen zu der Frage vernommen, ob und wie er an der Betreuung des Kindes D. mitgewirkt hat bzw. mitwirkt. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 5. Dezember 2014 verwiesen.
13Mit dem angefochtenen Urteil vom 5. Dezember 2014, auf dessen Entscheidungsgründe Bezug genommen wird, hat das Verwaltungsgericht der Klage stattgegeben und den Beklagten verpflichtet, Unterhaltsvorschussleistungen in Höhe von monatlich 133 € ab dem 4. Juli 2013 zu bewilligen.
14Zur Begründung seiner vom Senat zugelassenen Berufung trägt der Beklagte im Wesentlichen vor: Das Verwaltungsgericht habe den väterlichen Betreuungsanteil unzureichend gewürdigt. Die gemeinsame Verantwortung werde im vorliegenden Fall von beiden Elternteilen getragen. Das Jobcenter habe die Klageschrift für die Klägerin vorformuliert und ihr zur Unterschrift vorgelegt; so erkläre sich auch, dass die Klägerin die Auffassung von der dort wiedergegebenen Familiensituation nicht teile. Auf ein Zusammenwohnen im Sinne einer Wohn- und Wirtschafts-gemeinschaft oder einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft komme es nicht an. Vielmehr sei entscheidend, ob von einer faktisch vollständigen Familie ausgegan-gen werden könne, auch wenn sie nicht idealtypisch sei. Hier lebe der Kindesva-ter in einer Beziehung mit der Kindesmutter. Er wohne in geringer Entfernung von der Wohnung der Klägerin im Hause seiner Großmutter. Der emotionale Lebens-mittelpunkt liege bei der Klägerin und dem gemeinsamen Kind. Am Wochenende sei der Vater stets bei seinem Kind, in der Woche hänge dies von der Ausbil-dungsbelastung ab. Halte er sich in der Wohnung der Klägerin auf, so überneh-me er dort alle Aufgaben, die mit der Versorgung und Betreuung des Kindes zusammenhingen, wie etwa Füttern, Spielen, Windeln wechseln, Spazieren-gehen. Er nehme folglich an der Entwicklung des Kindes teil. Während seiner Urlaubstage sei er bereit, die Vorsorgeuntersuchungen mit dem Kind wahrzunehmen und etwa auch Spielgruppen mit dem Kind zu besuchen. Diese Entlastungen für die Kindesmutter hätten beide Elternteile übereinstimmend in der mündlichen Verhandlung angegeben. Dass der Vater nicht die alltägliche existentielle Bedürfnisbefriedigung des Kindes wie Ernährung, Hygiene, Gesundheitsversorgung, ärztliche Vorsorgeuntersuchungen, Vorhaltung jahreszeitlicher Bekleidung, Erziehung und Betreuung tags und nachts leiste, schließe den Gesamteindruck einer vollständigen Familie nicht aus. Auch bei gemeinsamem Wohnen stehe der berufstätige Elternteil nicht gleichermaßen für die alltägliche Versorgung eines Kindes zur Verfügung. Hier liege die Entlastung in zeitlicher Hinsicht in den Abendstunden und an Wochenenden sowie im Übrigen in der Beteiligung an Entscheidungen, die das Kind und die Familie beträfen. Hier komme hinzu, dass der Vater von D. in seiner Ausbildungssituation zeitlich noch eingegrenzter sei als ein Berufstätiger. Gemessen an den vom Verwaltungsgericht zugrundegelegten Kriterien der Rechtsprechung werde die gemeinsame Verantwortung im vorliegenden Fall von beiden Elternteilen getragen. Das ergebe sich auch schon aus den Angaben der Klägerin im Verwaltungsverfahren.
15Der Beklagte beantragt,
16das angefochtene Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
17Die Klägerin stellt keinen Antrag. Auf schriftliche Anfrage des Senats hat sie mitgeteilt, dass der Vater von D. seine Ausbildung Ende Januar 2016 beendet habe und seit 1. Februar 2016 Unterhalt für das gemeinsame Kind zahle; sie beabsichtigten, in Kürze zusammenzuziehen.
18In der mündlichen Verhandlung hat der Senat die Klägerin zur Frage der Betreuung des Kindes ab Geburt persönlich angehört. Wegen des Ergebnisses wird auf die Niederschrift vom 24. Mai 2016 verwiesen.
19Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten Be-zug genommen.
20E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
21Die zulässige Berufung des Beklagten ist begründet.
22Die Verpflichtungsklage der Klägerin ist unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch gegen den Beklagten auf Bewilligung von Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz für ihren Sohn D. . Der ablehnende Bescheid des Beklagten vom 13. September 2013 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
23Voraussetzung eines Anspruchs auf Unterhaltsleistung nach dem Unterhaltsvorschussgesetz ist u. a., dass das Kind, für welches die Leistung gewährt werden soll, im Geltungsbereich dieses Gesetzes bei einem seiner Elternteile lebt, der ledig, verwitwet oder geschieden ist oder von seinem Ehegatten oder Lebenspartner dauernd getrennt lebt (§ 1 Abs. 1 Nr. 2 UVG).
24Ein Kind lebt im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 UVG bei einem seiner Elternteile, wenn es mit ihm eine auf Dauer angelegte häusliche Gemeinschaft unterhält, in der es auch betreut wird. Dem Sinn und Zweck des Unterhaltsvorschussgesetzes entsprechend ist das Merkmal bei einem alleinstehenden leiblichen Elternteil nur dann erfüllt, wenn dieser wegen des Ausfalls des anderen Elternteils die doppelte Belastung mit Erziehung und Unterhaltsgewährung in seiner Person zu tragen hat. Abgrenzungsprobleme entstehen, wenn das Kind regelmäßig einen Teil des Monats auch bei dem anderen Elternteil verbringt. Für die Beantwortung der Frage, ob das Kind in derartigen Fällen nur bei einem seiner Elternteile lebt, ist entscheidend auf die persönliche Betreuung und Versorgung, die das Kind bei dem anderen Elternteil erfährt, und die damit einhergehende Entlastung des alleinerziehenden Elternteils bei der Pflege und Erziehung des Kindes abzuheben. Trägt der den Unterhaltsvorschuss beantragende Elternteil trotz der Betreuungsleistungen des anderen Elternteils tatsächlich die alleinige Verantwortung für die Sorge und Erziehung des Kindes, weil der Schwerpunkt der Betreuung und Fürsorge des Kindes ganz überwiegend bei ihm liegt, so erfordert es die Zielrichtung des Unterhaltsvorschussgesetzes, das Merkmal „bei einem seiner Elternteile lebt" als erfüllt anzusehen und Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz zu gewähren. Wird das Kind hingegen weiterhin auch durch den anderen Elternteil in einer Weise betreut, die eine wesentliche Entlastung des den Unterhaltsvorschuss beantragenden Elternteils bei der Pflege und Erziehung des Kindes zur Folge hat, ist das Merkmal zu verneinen. Dazu bedarf es einer umfassenden Würdigung des Einzelfalles.
25Vgl. BVerwG, Urteil vom 11. Oktober 2012
26- 5 C 20.11 -, juris Rn. 20 f. m. w. N. aus der obergerichtlichen Rechtsprechung.
27Spiegelbildlich zu der in § 1 Abs. 1 Nr. 2 UVG geregelten Anspruchsvoraussetzung des Lebens „bei einem seiner Elternteile“ schließt § 1 Abs. 3 UVG einen Anspruch auf Unterhaltsleistung nach diesem Gesetz ausdrücklich u. a. für den Fall aus, dass der in Absatz 1 Nr. 2 bezeichnete Elternteil mit dem anderen Elternteil zusammenlebt. Leben beide Elternteile nämlich zusammen, lebt das Kind nicht bei „einem“ seiner Elternteile, wie es § 1 Abs. 1 Nr. 2 UVG verlangt.
28Vgl. Grube, UVG, 2009, § 1 Rn. 54.
29Ausgehend von dem Gesetzeszweck setzt der Begriff des Zusammenlebens im Sinne des § 1 Abs. 3 UVG bei unverheirateten Eltern nicht zwingend voraus, dass diese eine eheähnliche Lebensgemeinschaft oder eine Bedarfsgemeinschaft im Sinne des § 7 Abs. 3 und Abs. 3a SGB II bilden. Vielmehr ist entscheidend darauf abzustellen, ob die Eltern des Kindes nur in einer Weise Kontakt haben, die eher der Situation eines alleinstehenden Elternteils entspricht oder ob unter Berücksichtigung der vielfältig möglichen - und nicht nur idealtypischen - Formen familiären Zusammenlebens eher von einer faktisch vollständigen Familie auszugehen ist.
30Zur Maßgeblichkeit des faktischen Vorhandenseins einer „vollständigen Familie“ vgl. BT-Drucks. 8/2774, S. 12.
31Hierzu genügt, dass in der Wohnung, in der das Kind mit einem Elternteil lebt, der andere Elternteil einen, wenn auch nicht notwendig seinen einzigen Lebensmittelpunkt hat. Haben die Eltern eines Kindes hingegen allenfalls in einer Weise Kontakt, die der Situation eines alleinerziehenden Elternteils entspricht, so fehlt es an einem Zusammenleben im Sinne des § 1 Abs. 3 UVG. Auch hinsichtlich des Begriffs des Zusammenlebens kommt es entscheidend darauf an, inwieweit eine wechselseitige Unterstützung der Eltern bei der Bewältigung der familiären Alltagssituation erfolgt.
32Vgl. dazu Bay. VGH, Beschluss vom 18. Februar 2013 - 12 C 12.2105 -, juris Rn. 6 f.; Sächs. OVG, Beschluss vom 10. Oktober 2012 - 5 D 74/12 -, juris Rn. 8; OVG Saarl., Beschluss vom 6. Januar 2011 - 3 D 137/10 -, juris Rn. 11; Nds. OVG, Beschluss vom 8. September 2009 - 4 PA 51/09 -, juris Rn. 6.
33Ausgehend von diesen Maßgaben war und ist die Klägerin seit Geburt des Kindes nicht alleinerziehend; vielmehr ist von einer faktisch vollständigen Familie auszugehen.
34Die Klägerin lebte bereits vor Geburt des Kindes in einer intakten Partnerschaft mit dem Kindesvater, die auch heute noch besteht. Das Kind wird von beiden Elternteilen gemeinsam versorgt und betreut, auch wenn der zeitliche Anteil, den die Klägerin mit D. verbringt, in der Woche höher anzusetzen ist als beim jetzt berufstätigen und zuvor in der beruflichen Ausbildung stehenden Kindesvater.
35Dieser Gesamteindruck einer vollständigen Familie, den schon die Angaben der Klägerin im Verwaltungsverfahren nahe legen, hat sich durch die Anhörung der Klägerin in der mündlichen Verhandlung des Senats verfestigt. Danach bewohnt der Kindesvater zwar ein Zimmer im Hause seiner Großmutter in etwa 700 m Fußweg-Entfernung von der Klägerin. Sein Lebensmittelpunkt lag und liegt aber seit der Geburt von D. in der Wohnung der Klägerin und des Kindes. Dort hat er sich nicht nur mindestens jeden zweiten Tag nach Rückkehr vom Ausbildungsplatz aufgehalten, geduscht und am Abendessen teilgenommen, sondern regelmäßig auch jedes Wochenende und jeden Feiertag. Ebenso hat er seine Ur-laubstage mit der Klägerin und seinem Sohn gemeinsam geplant und verbracht. In der Wohnung nutzen beide Eltern - wie die Klägerin sinngemäß anführt - schon immer den Kleiderschrank gemeinsam, wo der Kindesvater Kleidungsstücke, insbesondere auch Sportkleidung untergebracht hat. Demgegenüber bewohnt der Kindesvater im Hause seiner Großmutter keine vollständig abgeschlossene Wohneinheit, sondern lediglich ein Zimmer und teilt sich mit der Großmutter - und seit 2015 auch mit seiner Tante - die Nebenräume des Hauses. Dass dort - jedenfalls seit der Geburt von D. - nicht der Lebensmittelpunkt des Kindesvaters gelegen hat, belegen nicht nur die Zeiten, die dieser bei der Klägerin zugebracht hat, sondern dessen gesamte Lebensumstände. So war der Kindesvater etwa auch insoweit in den Haushalt der Klägerin einbezogen, als beide gelegentlich abends die Einkäufe gemeinsam erledigt haben.
36Neben diesem Aspekt der Zeit, die die Familie seit Geburt des Kindes gemeinsam verbringt und verbracht hat, ist der Vater von Geburt des Kindes an auch in die Erziehung und Versorgung von D. mit einbezogen gewesen. So hat die Klägerin ihren Wunsch, mit dem Kind etwa ab dem 4. Lebensmonat an einer Pekip-Gruppe teilzunehmen, mit dem Kindesvater erörtert, ehe sie ihn umgesetzt hat. Ebenso ist der Entschluss, das Kind ab 2015 in einer Kindertagesstätte anzumelden, von beiden Elternteilen getroffen worden. Die aus Elternsicht sehr wichtige Entscheidung, ob das Kind an einer Helmtherapie in Köln teilnimmt, um die Kopfform auszugleichen und etwaigen späteren Rückenschäden vorzubeugen, haben die Eltern nicht nur gemeinsam getroffen, sondern der Kindesvater ist - wie die Klägerin geschildert hat - zur Vorbereitung dieser Entscheidung, die medizinisch nicht eindeutig zu treffen war, einen hohen Fahrtaufwand für Mutter und Kind bedeutet hat und nicht zuletzt eine finanzielle Eigenbeteiligung der Eltern erforderte, mit zum Kinderarzt gegangen. Auch im Übrigen hat die Klägerin den Kindesvater über Besonderheiten, die im Alltag mit dem Kind anfielen, abends in Kenntnis gesetzt. Diese Teilhabe an der Erziehung und Entwicklung des Kindes prägt ebenfalls den Gesamteindruck einer faktisch vollständigen Familie.
37Der Kindesvater hat bei seiner Vernehmung vor dem Verwaltungsgericht die Angaben der Klägerin im Kern bestätigt: Dort hat er ausgeführt, in der Woche zwei- bis dreimal „bei der Klägerin“ zu sein, meistens am Wochenende. Das hänge auch davon ab, wie er Arbeiten zu schreiben habe. Er habe während seines Aufenthaltes in der Wohnung der Klägerin seinen Sohn auch selbständig versorgt, an freien Tagen auch Arztbesuche mit diesem erledigt.
38Das Bild einer vollständigen Familiensituation entspricht auch der subjektiven Einschätzung der Klägerin: Diese hat sich bereits bei Antragstellung gegenüber dem Beklagten als in einer „Partnerschaft“ mit dem Kindesvater stehend angesehen. Sie hat im Verwaltungsverfahren beschrieben, die Betreuung erfolge zu gleichen Teilen (Vermerk des Beklagten über ein Telefongespräch mit der Klägerin vom 30. Juli 2013), der Kindesvater übernachte mehrmals in der Woche bei ihr, um bei seinem Kind zu sein und sie - die Klägerin - zu entlasten (Gesprächsvermerk des Beklagten vom 26. August 2013). Die Klägerin hat weiter in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat geschildert, dass der Kindesvater jetzt, nachdem er seine Ausbildung am 31. Januar beendet habe und seit 1. Februar 2016 berufstätig sei, so bald wie möglich in ihre Wohnung einziehen werde; die Umschreibung des Mietvertrages auch auf seine Person sei bei der Vermieterin schon angefragt worden. Es habe ihrer gemeinsamen Planung seit Geburt des Kindes entsprochen, dass der Kindesvater nach Ablegung der Gesellenprüfung in ihren Haushalt einziehe. Diese Planung steht in Übereinstimmung mit den schriftlichen Angaben der Klägerin im Antragsformular, wo sie sinngemäß angegeben hat, getrennte Haushalte bestünden nur wegen der Ausbildung des Kindesvaters.
39Die schriftliche Klagebegründung, mit der die Klägerin zusammenfassend geltend gemacht hat, faktisch alleinerziehend zu sein, der Kindesvater wirke mit seinen Besuchen in keiner Weise auf die Erziehung und Versorgung des Kindes ein, steht zu ihren übrigen Angaben nur scheinbar im Widerspruch. Die Klägerin hat vor dem Senat bestätigt, dass sie die Klage auf Drängen des Sozialamts eingereicht habe und der Klageschriftsatz dort vorformuliert worden sei, wie dies auch von der Beklagten zuvor geltend gemacht worden war. Sie hat sich damit vom Inhalt der Klageschrift distanziert. Wie sich durch die (erneute) Anhörung der Klägerin vor dem Senat ergeben hat, nimmt der Kindesvater an allen wesentlichen Fragen der Kindeserziehung und Versorgung teil und entlastet die Klägerin auch seit der Geburt des Kindes bei der Betreuung in nicht unerheblichem Umfang. Dies ergibt den Gesamteindruck einer faktisch vollständigen Familie.
40Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO i. V. m. § 188 Satz 2 Halbs. 1 VwGO.
41Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i. V. m. § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.
42Die Revision ist nicht zuzulassen, weil Zulassungsgründe im Sinne des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.
(1) Enthält das Register eine Eintragung oder erhält es eine Mitteilung über die gesuchte Person, gibt die Registerbehörde der suchenden Behörde bekannt
- 1.
das Datum und die Geschäftsnummer der Entscheidung, - 2.
die Behörde, die mitgeteilt hat, sowie - 3.
die letzte mitgeteilte Anschrift der gesuchten Person.
(2) Liegen von verschiedenen Behörden Anfragen vor, welche dieselbe Person betreffen, so ist jeder Behörde von der Anfrage der anderen Behörde Mitteilung zu machen. Entsprechendes gilt, wenn Anfragen von derselben Behörde unter verschiedenen Geschäftsnummern vorliegen.
Tatbestand
- 1
-
Der am 23. Mai 2003 geborene Kläger zu 1 und der am 18. August 2005 geborene Kläger zu 2 sind deutsche Staatsangehörige. Sie begehren Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz.
- 2
-
Die Kläger lebten bis 2009 in Bremen und leben nunmehr am Wohnort ihrer Großmutter in Portugal, wo ihre alleinerziehende Mutter, die eine Wohnung in Bremen unterhält und bei einer Fluggesellschaft in Deutschland arbeitet, ebenfalls 2009 für sich selbst einen weiteren Wohnsitz begründete. Sie beantragte, den Klägern ab Januar 2010 Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz zu bewilligen, da deren Vater ab diesem Zeitpunkt keinen Unterhalt mehr leistete. Mit Bescheid vom 3. Februar 2010 lehnte die Beklagte den Antrag unter Hinweis darauf ab, dass die Kläger nicht bei ihrer Mutter lebten. Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 9. Juli 2010 insbesondere wegen Fehlens einer auf Dauer angelegten häuslichen Gemeinschaft der Kläger mit ihrer Mutter zurück.
- 3
-
Die daraufhin erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 9. Februar 2012 abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass die Kläger zwar im Sinne des Gesetzes bei ihrer Mutter, jedoch in Portugal lebten und damit das im Unterhaltsvorschussgesetz enthaltene Erfordernis eines inländischen Wohnsitzes nicht erfüllten, das nicht gegen unionsrechtliche Vorgaben verstoße.
- 4
-
Im Berufungsverfahren haben die Beteiligten nach entsprechender Leistungsbewilligung für den Zeitraum Januar bis April 2010 den Rechtsstreit insoweit übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt. Darüber hinaus haben die Kläger die Verpflichtung der Beklagten zur Bewilligung von Unterhaltsvorschussleistungen in gesetzlicher Höhe ab Mai 2010 bis zur berufungsgerichtlichen Entscheidung begehrt. Mit dem angefochtenen Urteil vom 22. April 2015 hat das Berufungsgericht das Verfahren teilweise eingestellt und die Berufung in der Annahme, nur der Zeitraum von Mai 2010 bis zum Erlass des Widerspruchsbescheides am 9. Juli 2010 sei streitbefangen, zurückgewiesen, weil die Kläger nicht im Geltungsbereich des Unterhaltsvorschussgesetzes lebten. Dieses Erfordernis sei aus im Einzelnen dargelegten Gründen mit dem Unionsrecht vereinbar.
- 5
-
Ihre Revision stützen die Kläger u.a. darauf, dass die gesetzliche Voraussetzung, im Geltungsbereich des Unterhaltsvorschussgesetzes leben zu müssen, gegen die unionsrechtlich gewährleistete Arbeitnehmerfreizügigkeit ihrer Mutter verstoße und deshalb wegen des Vorrangs des Unionsrechts in ihrem Fall nicht angewendet werden dürfe.
- 6
-
Die Beklagte tritt dem Revisionsvorbringen entgegen.
Entscheidungsgründe
- 7
-
Die zulässige Revision hat in dem sich aus dem Tenor ergebenden Umfang Erfolg. Sie ist unbegründet, soweit die Kläger für den Zeitraum vom 10. Juli 2010 bis zum 22. April 2015 Leistungen nach dem Gesetz zur Sicherung des Unterhalts von Kindern alleinstehender Mütter und Väter durch Unterhaltsvorschüsse oder -ausfallleistungen (Unterhaltsvorschussgesetz - UVG) i.d.F. der Bekanntmachung vom 17. Juli 2007 (BGBl. I S. 1446), für den hinsichtlich des Begehrens in seiner Gesamtheit zu betrachtenden Zeitraum zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 3. Mai 2013 (BGBl. I S. 1108), begehren (1.). Begründet ist sie aber, soweit sich das Begehren der Kläger auf den Zeitraum vom 1. Mai bis 9. Juli 2010 bezieht (2.).
- 8
-
1. Streitgegenstand des Revisionsverfahrens ist auch der Zeitraum zwischen dem Erlass des Widerspruchsbescheides und dem des angefochtenen Urteils (a). Die darauf bezogene Verpflichtungsklage ist jedoch mangels Klagebefugnis unzulässig (b).
- 9
-
a) Der Senat hat - wie mit den Beteiligten in der mündlichen Verhandlung erörtert und von ihnen nicht in Abrede gestellt - in zeitlicher Hinsicht auch über den Zeitraum vom 10. Juli 2010 bis zum 22. April 2015 zu entscheiden.
- 10
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Streitgegenstand des Berufungsverfahrens war auch der von den Klägern geltend gemachte Anspruch auf Leistungen für diesen Zeitraum. Zwar hat das Oberverwaltungsgericht hierüber nicht befunden. Gleichwohl ist dieser Zeitraum in der Revisionsinstanz angefallen. Denn das Oberverwaltungsgericht hat mit dem angefochtenen Urteil ein Vollendurteil und kein Teilurteil im Sinne des § 110 VwGO erlassen. Es hat über den vorgenannten Zeitraum allein deshalb nicht entschieden, weil es unter Verstoß gegen § 88 VwGO und § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO angenommen hat, der Streitgegenstand sei auf die Zeit bis zum Erlass des Widerspruchsbescheides am 9. Juli 2010 begrenzt. Dies haben die Kläger der Sache nach auch als Verfahrensmangel gerügt. Eine vom Gericht als Vollendurteil gewollte Entscheidung ist aber auch dann ein Vollendurteil, wenn sie den Streitgegenstand nicht voll erschöpft (BVerwG, Beschluss vom 27. April 2011 - BVerwG 8 B 56.10 - ZOV 2011, 136 m.w.N.).
- 11
-
b) Den Klägern fehlt die erforderliche Klagebefugnis nach § 42 Abs. 2 VwGO, soweit sich ihre Verpflichtungsklage auf den vorgenannten Zeitraum erstreckt.
- 12
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Eine Rechtsverletzung der Kläger durch die Nichtgewährung von Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz ist für diesen Zeitraum offensichtlich nicht möglich. Ist im verwaltungsgerichtlichen Verfahren der für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgebliche Zeitpunkt derjenige der letzten Behördenentscheidung und hat die Behörde den Leistungsfall auch nur bis zu diesem Zeitpunkt geregelt, besteht auch bei unveränderter Sach- und Rechtslage nicht die Möglichkeit, dass der Kläger hinsichtlich des nachfolgenden Zeitraums einen Anspruch auf die begehrte Leistung im gerichtlichen Verfahren erfolgreich geltend machen kann.
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Im gerichtlichen Verfahren auf Bewilligung von Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz ist der entscheidungserhebliche Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage regelmäßig derjenige der letzten Entscheidung der Behörde (aa), die hier über den geltend gemachten Anspruch auch nicht über diesen Zeitpunkt hinaus entschieden hat (bb).
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aa) Der für die gerichtliche Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgebliche Zeitpunkt bestimmt sich nach materiellem Recht (BVerwG, Urteil vom 1. Dezember 1989 - BVerwG 8 C 17.87 - BVerwGE 84, 157 <160>), hier dem Unterhaltsvorschussgesetz. Dieses enthält hierzu keine ausdrückliche Bestimmung. Seine an der Gesetzessystematik (1) und an Sinn und Zweck des Gesetzes (2) orientierte Auslegung ergibt jedoch eindeutig, dass bei Klagen auf Bewilligungen von Leistungen nach diesem Gesetz grundsätzlich die letzte Behördenentscheidung der maßgebliche Beurteilungszeitpunkt ist. Die Gesetzgebungshistorie (3) bestätigt diesen Befund.
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(1) Aus gesetzessystematischer Sicht spricht für dieses Ergebnis, dass das Unterhaltsvorschussgesetz verschiedene Vorschriften enthält, die belegen, dass das Prinzip der monatsweisen Betrachtung ein das Unterhaltsvorschussgesetz insgesamt kennzeichnender Grundsatz ist.
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Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz werden ungeachtet einer, wie der maximalen Bewilligungsdauer von (seinerzeit) 72 Monaten (vgl. § 3 UVG) zu entnehmen ist, gegebenenfalls längeren Bezugsdauer auf der Grundlage einer monatsweisen Bewilligung erbracht. § 1 Abs. 4 Satz 1 UVG legt fest, dass der Anspruch auf Unterhaltsleistung nicht besteht "für Monate", in denen der barunterhaltspflichtige Elternteil Vorausleistungen auf den Unterhalt erbracht hat. Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 UVG wird die Unterhaltsleistung "monatlich" gezahlt und zwar im Grundsatz nach Maßgabe des bürgerlich-rechtlichen "monatlichen Mindestunterhalts". Besondere Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang § 2 Abs. 1 Satz 3 UVG zu. Danach wird die Unterhaltsleistung anteilig gezahlt, wenn die Anspruchsvoraussetzungen "nur für den Teil eines Monats" vorliegen. Schließlich werden gemäß § 2 Abs. 3 Nr. 1 UVG die "in demselben Monat" erfolgten Unterhaltszahlungen des barunterhaltspflichtigen Elternteils auf die Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz angerechnet. Die danach jeweils vorzunehmende Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen erstreckt sich sowohl darauf, ob der Anspruch dem Grunde nach (noch) besteht, als auch auf seinen Umfang, was insbesondere dann eine beständige Anpassung der Leistungen erfordert, wenn der barunterhaltspflichtige Elternteil in monatlich unterschiedlicher Höhe zahlt. Nach den vorstehenden Regelungen obliegt es der Behörde, den Leistungsfall grundsätzlich fortlaufend unter Kontrolle zu halten, was jedoch auch länger andauernden Bewilligungszeiträumen insbesondere bei sich nicht verändernden Umständen nicht entgegensteht.
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Abweichendes folgt nicht aus § 7 Abs. 4 Satz 1 UVG. Diese Vorschrift wurde durch Art. 4 Nr. 4c des Gesetzes zur Vereinheitlichung des Unterhaltsrechts minderjähriger Kinder vom 6. April 1998 (BGBl. I S. 666, 672) angefügt. Danach kann das Land gegen den barunterhaltspflichtigen Elternteil bis zur Höhe der bisherigen monatlichen Aufwendungen auch für künftige Leistungen klagen, "wenn die Unterhaltsleistung voraussichtlich auf längere Zeit gewährt werden muss". Die Regelung soll den Rückgriff gegenüber dem barunterhaltspflichtigen Elternteil prozessual erleichtern (BT-Drs. 13/7338 S. 46), eine materielle Aussage ist mit ihr nicht verbunden.
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(2) Sinn und Zweck der Unterhaltsleistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz sprechen ebenfalls für eine Begrenzung der gerichtlichen Kontrolle auf den Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung.
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Das Unterhaltsvorschussgesetz verfolgt zwei Zwecke: Der alleinerziehende Elternteil soll wirtschaftlich entlastet und der (Mindest-)Unterhalt des Kindes soll sichergestellt werden (BT-Drs. 8/1952 S. 6). Damit besteht aus der maßgeblichen Sicht des Leistungsempfängers (Kind) Zweckidentität zwischen Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz und der sozialhilferechtlichen Hilfe zum Lebensunterhalt, die nämlich beide darauf zielen, seinen Unterhalt zu sichern (BVerwG, Urteil vom 14. Oktober 1993 - 5 C 10.91 - Buchholz 436.0 § 11 BSHG Nr. 22 S. 26). Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz dienen - vergleichbar der sozialhilferechtlichen Hilfe zum Lebensunterhalt - nicht der Versorgung des Leistungsempfängers, sondern der Behebung oder zumindest Milderung einer gegenwärtigen Notlage, die nach der Wertung des Gesetzes durch das Alleinerziehen durch einen Elternteil und ausbleibende oder nur unzureichende Unterhaltszahlungen des barunterhaltspflichtigen anderen Elternteils gekennzeichnet ist. Wie bei der Sozialhilfe ist die Feststellung und Prüfung der gegenwärtigen Notlagensituation zuvörderst eine Aufgabe der Behörde. Für die sozialhilferechtliche Hilfe zum Lebensunterhalt aber ist in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung anerkannt, dass im gerichtlichen Verfahren grundsätzlich die letzte Behördenentscheidung den maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt bildet (BVerwG, Urteil vom 30. November 1966 - 5 C 29.66 - BVerwGE 25, 307 <308 f.>).
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(3) Die Gesetzesmaterialien unterstreichen die Nähe von Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz zur sozialhilferechtlichen Hilfe zum Lebensunterhalt.
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Diese werden im Gegensatz zu Letzteren zwar unabhängig von der wirtschaftlichen Situation des Kindes als Leistungsempfänger oder des alleinerziehenden Elternteils erbracht. Der Verzicht auf eine Prüfung der wirtschaftlichen Verhältnisse des alleinerziehenden Elternteils wurde im Gesetzentwurf des Unterhaltsvorschussgesetzes jedoch nicht damit begründet, dass die Unterhaltsvorschussleistungen nicht als Hilfeleistung in einer Notlage zu verstehen seien. Entscheidend war vielmehr, dass der insoweit erforderliche Verwaltungsaufwand außer Verhältnis zu möglichen Leistungseinsparungen stünde (BT-Drs. 8/1952 S. 6). Dieser Einschätzung liegt unausgesprochen die Annahme zugrunde, dass in einer zumindest erheblichen Anzahl von Fällen Hilfebedürftigkeit auch in wirtschaftlicher Hinsicht gegeben sein wird. Darauf weist auch der Umstand hin, dass sich die als § 8 des Gesetzentwurfs vorgesehene Vorschrift zur Überleitung von Unterhaltsansprüchen des Berechtigten an die Regelungen der §§ 90, 91 des Bundessozialhilfegesetzes anlehnte (BT-Drs. 8/1952 S. 7).
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b) Der maßgebliche Zeitpunkt für die gerichtliche Beurteilung der Sach- und Rechtslage verschiebt sich im konkreten Fall ausnahmsweise auch nicht deshalb über den Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides hinaus, weil die Behörde den Hilfefall für einen darüber hinausgehenden Zeitraum geregelt hat; in einem solchen Fall erfasst die gerichtliche Überprüfung nach der sozialhilferechtlichen Rechtsprechung des Senats den gesamten Regelungszeitraum (BVerwG, Urteil vom 14. Juli 1998 - 5 C 2.97 - Buchholz 436.0 § 120 BSHG Nr. 17 S. 9). Dies ist hier nicht der Fall.
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Da das Berufungsgericht den zeitlichen Regelungsbereich insbesondere des angefochtenen Widerspruchsbescheides nicht festgestellt hat, ist dem Revisionsgericht eine eigene Auslegung des Verwaltungsakts möglich (BVerwG, Urteil vom 4. Dezember 2001 - BVerwG 4 C 2.00 - BVerwGE 115, 274 <280>), die sich am Empfängerhorizont zu orientieren hat. Es bestehen keine Anhaltspunkte, die die Annahme einer über den Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides hinausgehenden Regelung durch Ausgangs- und Widerspruchsbescheid rechtfertigen. Diese enthalten weder eine ausdrückliche Aussage über ihre zeitliche Regelungsdauer, noch stellen sie auf einen rechtlichen Gesichtspunkt ab, der in der konkreten Situation der Kläger die Annahme einer in die Zukunft hineinreichenden Regelung zu begründen vermag. Der Wohnsitz in Portugal wird zwar erwähnt. Entscheidende Bedeutung kommt nach dem Inhalt des Widerspruchsbescheides aber dem Umstand zu, dass die Kläger nicht im Sinne des Gesetzes bei ihrer Mutter lebten, was sich jedoch auch bei Aufrechterhaltung des portugiesischen Wohnsitzes jederzeit ändern kann.
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2. Das Oberverwaltungsgericht hat zu Unrecht dahin erkannt, dass den Klägern für den Zeitraum vom 1. Mai 2010 bis zum Erlass des Widerspruchsbescheides kein Anspruch auf Unterhaltsvorschussleistungen zustehe. Seine entscheidungstragende Annahme, die Anknüpfung des Anspruchs an einen Wohnsitz im Geltungsbereich des Unterhaltsvorschussgesetzes sei auch mit Blick auf die unionsrechtlich gewährleistete Arbeitnehmerfreizügigkeit anwendbar, verletzt revisibles Recht im Sinne des § 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO.
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Rechtsgrundlage des geltenden gemachten Anspruchs ist § 1 Abs. 1 UVG i.d.F. der Bekanntmachung vom 17. Juli 2007 (BGBl. I S. 1446), für den hier sachlich zu bescheidenden Zeitraum zuletzt geändert durch Gesetz vom 21. Dezember 2007 (BGBl. I S. 3194). Danach hat Anspruch auf Unterhaltsvorschuss- oder -ausfallleistungen, wer das zwölfte Lebensjahr noch nicht vollendet hat, im Geltungsbereich dieses Gesetzes bei einem seiner Elternteile lebt, der ledig, verwitwet oder geschieden ist oder von seinem Ehegatten oder Lebenspartner dauernd getrennt lebt und nicht oder nicht regelmäßig Unterhalt von dem anderen Elternteil mindestens in der in § 2 Abs. 1 und 2 UVG bezeichneten Höhe erhält. Wie mit den Beteiligten in der mündlichen Verhandlung erörtert, gehen diese zu Recht übereinstimmend davon aus, dass alle Anspruchsvoraussetzungen nach nationalem Recht mit Ausnahme des Merkmals des Lebens im Inland gegeben sind. Diese Voraussetzung erfüllen die Kläger nicht, weil sie in Portugal leben. Die nach nationalem Recht entscheidungserhebliche Regelung des § 1 Abs. 1 Nr. 2 UVG hat jedoch insoweit aus Gründen des vorrangigen Unionsrechts außer Anwendung zu bleiben. Das sog. Wohnsitzerfordernis im Inland gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 2 UVG ist in Fällen der vorliegenden Art wegen des Vorrangs von Art. 7 Abs. 2 der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 des Rates vom 15. Oktober 1968 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft (ABl. Nr. L 257/2), für den hier sachlich zu bescheidenden Zeitraum zuletzt geändert durch die Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 (ABl. L 158/77) - VO (EWG) Nr. 1612/68 -, nicht anwendbar. Das ist unter Zugrundelegung der gefestigten Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (vgl. etwa EuGH, Urteil vom 6. Oktober 1982 - C-283/81, Cilfit - Rn. 16 und 21) offenkundig und zweifelsfrei, so dass es einer Vorlage an dieses Gericht nach Art. 267 Abs. 3 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union - AEUV - i.d.F. der Bekanntmachung vom 9. Mai 2008 (ABl. EU Nr. C 115 vom 9. Mai 2008 S. 47 und BGBl. II 2008 S. 1038 <1054>; in Kraft für die Bundesrepublik Deutschland seit dem 1. Dezember 2009, BGBl. II S. 1223) nicht bedarf.
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Nach Art. 7 Abs. 2 VO (EWG) Nr. 1612/68 genießt ein Arbeitnehmer, der Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats ist, im Hoheitsgebiet der anderen Mitgliedstaaten die gleichen sozialen und steuerlichen Vergünstigungen wie die inländischen Arbeitnehmer. Die Beteiligten streiten - wie mit ihnen in der mündlichen Verhandlung erörtert - zu Recht nicht darüber, dass in Anwendung der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (vgl. EuGH, Urteile vom 18. Juli 2007 - C-213/05 [ECLI:EU:C:2007:438], Geven - Rn. 15 und vom 18. Juli 2007 - C-212/05 [ECLI:EU:C:2007:437], Hartmann - Rn. 20; vom 20. Juni 2013 - C-20/12 [ECLI:EU:C:2013:411], Giersch - Rn. 37; vom 14. Dezember 2016 - C-238/15 [ECLI:EU:C:2016:949], Verruga u.a. - Rn. 39 und vom 15. Dezember 2016 - C-401/15 bis 403/15 [ECLI:EU:C:2016:955], Depesme u.a. - Rn. 37) kein vernünftiger Zweifel daran besteht, dass sich die Mutter der Kläger, die auch in Portugal einen Wohnsitz hat und in Deutschland arbeitet, gegenüber ihrem Herkunftsstaat, der Bundesrepublik Deutschland, auf das Arbeitnehmerfreizügigkeitsrecht des Art. 7 Abs. 2 VO (EWG) Nr. 1612/68 berufen kann. Zutreffend besteht auch kein Streit darüber, dass nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (vgl. EuGH, Urteile vom 14. Dezember 2016 - C-238/15 - Rn. 40 und vom 15. Dezember 2016 - C-401/15 bis 403/15 - Rn. 40) vernünftigerweise nicht zu bezweifeln ist, dass die Kläger als Familienmitglieder der sog. Wanderarbeitnehmerin im Zusammenhang mit dem Anspruch auf Unterhaltsvorschussleistungen dieses Recht selbst geltend machen können. Des Weiteren steht das unionsrechtliche Koordinierungsrecht der Anwendbarkeit des Art. 7 Abs. 2 VO (EWG) Nr. 1612/68 nicht entgegen (a). Die Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz sind eine soziale Vergünstigung im Sinne dieser Vorschrift (b). Ihre Vorenthaltung wegen des fehlenden Wohnsitzes der Kläger im Inland führt zu einer mittelbaren Diskriminierung ihrer Mutter als sog. Wanderarbeitnehmerin (c). Diese ist nach unionsrechtlichen Maßstäben nicht gerechtfertigt (d).
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a) Art. 7 Abs. 2 VO (EWG) Nr. 1612/68 ist vorliegend zu beachten.
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Die Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 war - wie bereits das Oberverwaltungsgericht ausgeführt hat - neben der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbstständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, anwendbar (EuGH, Urteile 10. März 1993 - C-111/91 [ECLI:EU:C:1993:92], Kommission/Luxemburg - Rn. 21 und vom 27. Mai 1993 - C-310/91 [ECLI:EU:C:1993:221], Schmid - Rn. 17).
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Bezüglich der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit, die mit Wirkung vom 1. Mai 2010 an die Stelle der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 getreten ist, gilt nichts anderes. Insbesondere wird die Anwendbarkeit des Art. 7 Abs. 2 Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 in Bezug auf Unterhaltsvorschussleistungen nicht dadurch ausgeschlossen, dass diese Leistungen mit Inkrafttreten von Art. 1 Buchst. z VO (EG) Nr. 883/2004 am 1. Mai 2010 aus dem Begriff der Familienleistungen und damit dem Anwendungsbereich dieser Koordinierungsverordnung ausgenommen sind. Die Verordnung (EG) 883/2004 beansprucht nach ihrem Art. 3 nur für die dort aufgeführten sozialrechtlichen Regelungskomplexe, u.a. Familienleistungen, Geltung. Dort nicht aufgeführte Materien verbleiben in der Regelungsmacht der Mitgliedstaaten, die das Gebot der Gleichbehandlung unter den Unionsbürgern zu beachten haben (Oberster Gerichtshof der Republik Österreich, Urteil vom 16. Dezember 2014 - 10 Ob 74/14a - Rn. 3; Bokeloh, Die Sozialleistungen im europäischen Kontext - Soziale Sicherheit, Sozialhilfe, besondere beitragsunabhängige Geldleistungen, WzS 2017, 105 <109>; a.A. Pfarrhofer, Zak 2010, 229).
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Schließlich ist zu beachten, dass Art. 7 Abs. 2 VO (EWG) Nr. 1612/68 eine besondere Ausprägung des in Art. 45 Abs. 2 AEUV enthaltenen Gleichbehandlungsgrundsatzes auf dem spezifischen Gebiet der Gewährung sozialer Vergünstigungen und daher ebenso wie Art. 45 Abs. 2 AEUV auszulegen ist (EuGH, Urteile vom 13. Dezember 2012 - C-379/11 [ECLI:EU:C:2012:798], Caves Krier - Rn. 25; vom 20. Juni 2013 - C-20/12 - Rn. 35 und vom 15. Dezember 2016 - C-401/15 bis 403/15 - Rn. 35). Wegen dieser primärrechtlichen Grundlage ist es ausgeschlossen anzunehmen, der Anwendungsbereich des Art. 7 Abs. 2 VO (EWG) Nr. 1612/68 werde durch eine andere sekundärrechtliche Vorschrift eingeschränkt.
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b) Unterhaltsvorschussleistungen stellen eine soziale Vergünstigung im Sinne des Art. 7 Abs. 2 VO (EWG) Nr. 1612/68 für die Mutter der Kläger als Wanderarbeitnehmerin dar.
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Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union sind darunter alle Vergünstigungen zu verstehen, die - ob sie an einen Arbeitsvertrag anknüpfen oder nicht - den inländischen Arbeitnehmern hauptsächlich wegen ihrer Arbeitnehmereigenschaft oder einfach wegen ihres Wohnorts im Inland gewährt werden und deren Erstreckung auf Wanderarbeitnehmer deshalb als geeignet erscheint, deren Mobilität innerhalb der Gemeinschaft zu erleichtern (EuGH, Urteil vom 11. September 2007 - C-287/05 [ECLI:EU:C:2007:494], Hendrix - Rn. 48). Steht die Leistung - wie hier - einem Kind des Wanderarbeitnehmers zu, muss dieser für den Unterhalt des Kindes aufkommen (EuGH, Urteil vom 15. Dezember 2016 - C-401/15 bis 403/15 - Rn. 39).
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Es unterliegt keinem vernünftigen Zweifel, dass Unterhaltsvorschussleistungen eine soziale Vergünstigung in diesem Sinne darstellen. Die Vergünstigung gegenüber dem Kind erweist sich zugleich als Vergünstigung gegenüber dem Elternteil. Unterhaltsvorschussleistungen tragen, wie schon ihre Bezeichnung erkennen lässt, zum Unterhalt des Kindes bei und dienen insoweit auch dazu, den alleinerziehenden und dem Kind gegenüber unterhaltspflichtigen Elternteil bei der Bewältigung der typischerweise schwierigen Erziehungs- und Lebenssituation zu entlasten (vgl. zu einer vergleichbaren Förderung für den Lebensunterhalt und die Durchführung eines Hochschulstudiums EuGH, Urteil 20. Juni 2013 - C-20/12 - Rn. 38 f.; zu Unterhaltsvorschussleistungen nach österreichischem Recht Oberster Gerichtshof der Republik Österreich, Urteile vom 12. April 2012 - 10 Ob 15/12x - Rn. 3.6 und vom 16. Dezember 2014 - 10 Ob 74/14a - Rn. 3.1 sowie die Schlussanträge der Generalanwälte beim EuGH in den Rechtssachen C-85/99, Offermanns, Rn. 67, C-255/99, Humers, Rn. 85 und C-302/02, Laurin Effing, Rn. 59 - 61). Da die Kläger im hier fraglichen Zeitraum bei ihrer Mutter lebten, leistete diese auch Unterhalt; auf die näheren Umstände und den Umfang der Unterhaltsleistungen kommt es im vorliegenden Zusammenhang nicht an (EuGH, Urteile vom 15. Dezember 2016 - C-401/15 bis 403/15 - Rn. 60).
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c) Der in § 1 Abs. 1 Nr. 2 UVG geforderte Wohnsitz des leistungsberechtigten Kindes in der Bundesrepublik Deutschland führt zu einer mittelbaren Diskriminierung der Mutter der Kläger aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit.
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Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union sind Voraussetzungen des nationalen Rechts als mittelbar diskriminierend anzusehen, die zwar unabhängig von der Staatsangehörigkeit gelten, aber im Wesentlichen oder ganz überwiegend Wanderarbeitnehmer betreffen, sowie unterschiedslos geltende Voraussetzungen, die von inländischen Arbeitnehmern leichter zu erfüllen sind als von Wanderarbeitnehmern, oder auch solche, bei denen die Gefahr besteht, dass sie sich besonders zum Nachteil von Wanderarbeitnehmern auswirken (vgl. EuGH, Urteile vom 23. Mai 1996 - C-237/94 [ECLI:EU:C:1996:206], O'Flynn - Rn. 18 und vom 21. September 2000 - C 124/99 [ECLI:EU:C:2000:485], Borawitz - Rn. 25). So verhält es sich in Bezug auf die Wohnsitzklausel des § 1 Abs. 1 Nr. 2 UVG.
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Diese wirkt sich vor allem auf unionsrechtliche Wanderarbeitnehmer aus, die - wie die Mutter der Kläger - in der Bundesrepublik Deutschland arbeiten, aber in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union wohnen. Diese Arbeitnehmer werden durch die Wohnsitzklausel in § 1 Abs. 1 Nr. 2 UVG gegenüber im Inland arbeitenden und wohnenden Unionsbürgern benachteiligt. Denn Arbeitnehmer können durch die Klausel davon abgehalten werden, von ihrem unionsrechtlichen Freizügigkeitsrecht (Art. 45 AEUV) Gebrauch zu machen und eine Beschäftigung in der Bundesrepublik Deutschland zu suchen und auszuüben und in einem anderen Mitgliedstaat zu wohnen, weil - so wie hier - ihr Kind, für dessen Unterhalt sie aufkommen, keinen Wohnsitz im Geltungsbereich dieses Gesetzes hat und allein deshalb von den Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz ausgeschlossen ist.
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d) Für die Ungleichbehandlung der Mutter der Kläger als sog. Wanderarbeitnehmerin fehlt es an einer dem Unionsrecht standhaltenden Rechtfertigung.
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Nach der seit Jahren gefestigten Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist ein Wohnsitzerfordernis im Zusammenhang mit der Gewährung staatlicher Leistungen an Wanderarbeitnehmer (und deren Familienangehörige) als Form mittelbarer Diskriminierung objektiv gerechtfertigt, wenn es geeignet ist, die Verwirklichung eines legitimen Ziels zu gewährleisten und nicht über das hinausgeht, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist (EuGH, Urteile vom 20. Juni 2013 - C-20/12 - Rn. 46 ff. und vom 14. Dezember 2016 - C-238/15 - Rn. 44 ff.). Dieser Maßstab gilt auch, wenn es sich dabei um eine - wie hier - beitragsunabhängige Sozialleistung handelt (vgl. EuGH, Urteil vom 11. September 2007- C-287/05 - Rn. 51 f. und 82). Das Oberverwaltungsgericht hat das Vorliegen dieser Voraussetzungen fehlerhaft bejaht. Ungeachtet der Frage, ob die mit dem Wohnsitzerfordernis verfolgten Ziele legitime Anliegen im Sinne des Unionsrechts sind (1), fehlt es an der Erforderlichkeit (2).
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(1) Mit dem Wohnsitzerfordernis in § 1 Abs. 1 Nr. 2 UVG verfolgt der nationale Gesetzgeber zwei Ziele.
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Das Wohnsitzerfordernis dient zum einen dazu, diejenigen zu unterstützen, die durch die Wahl ihres Wohnsitzes eine besondere Bindung zur deutschen Gesellschaft eingegangen sind (so die Aussage der Bundesregierung zum vergleichbaren Wohnsitzerfordernis des BErzGG, vgl. EuGH, Urteil vom 18. Juli 2007 - C-213/05 - Rn. 22). Gefordert wird eine hinreichend enge Bindung des minderjährigen Kindes als dem unmittelbaren Empfänger der sozialen Vergünstigung. Die notwendige Verbundenheit wird durch den alleinerziehenden Elternteil vermittelt, auf dessen Arbeitnehmerfreizügigkeit sich das Kind beruft. Denn das Unterhaltsvorschussgesetz knüpft den Anspruch des Kindes an einen gemeinsamen Familienwohnsitz im Geltungsbereich des Gesetzes ("das Kind im Geltungsbereich dieses Gesetzes bei einem seiner Elternteile lebt", § 1 Abs. 1 Nr. 2 UVG).
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Zum anderen zielt das Wohnsitzerfordernis darauf, die Finanzierung eines im Vergleich zum Inland - aufgrund möglicherweise niedrigerer Lebenshaltungskosten - höheren Lebensstandards im Ausland auszuschließen. Dies ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass die Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz an die hiesigen Lebensverhältnisse anknüpfen und den hiesigen Mindestunterhalt abdecken sollen. Diese enge Verbindung der Leistungen mit dem sozialen und wirtschaftlichen Kontext in der Bundesrepublik Deutschland ergibt sich daraus, dass sich die Höhe der Leistungen nach § 2 Abs. 1 UVG am bürgerlich-rechtlichen Mindestunterhalt orientiert, der wiederum an das sächliche Existenzminimum eines Kindes nach § 32 Abs. 6 Satz 1 EStG gekoppelt ist.
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Der Senat braucht nicht zu entscheiden, ob es sich bei den vorgenannten Zielen um legitime Zwecke im Sinne des Unionsrechts handelt. Denn das Wohnsitzerfordernis erscheint zwar zu deren Erreichung durchaus geeignet. Es geht allerdings über das zu ihrer Verwirklichung Notwendige hinaus.
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(2) Die mit der Wohnsitzklausel einhergehende Beschränkung der unionsrechtlichen Arbeitnehmerfreizügigkeit erweist sich als nicht erforderlich.
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Die Erforderlichkeit einer gesetzlichen Wohnsitzklausel ist zu bejahen, wenn der Gesetzgeber nicht eine andere, gleichwirksame, aber die unionsrechtliche Freizügigkeit nicht oder weniger stark einschränkenden Leistungsvoraussetzung hätte wählen können (stRspr des EuGH, vgl. etwa Urteil vom 8. Juli 2010 - C-343/09 [ECLI:EU:C:2010:419], Afton Chemical - Rn. 45). So verhält es sich hier nicht.
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(a) Vielmehr kann dem gesetzgeberischen Ziel der Verbundenheit mit dem die soziale Vergünstigung erbringenden Mitgliedstaat im Einklang mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (vgl. EuGH, Urteile vom 18. Juli 2007 - C-213/05 - Rn. 26, 28 - 30; vom 18. Juli 2007 - C-212/05 - Rn. 35 und vom 14. Dezember 2016 - C-238/15 - Rn. 49 ff.) gleich wirksam, aber das Freizügigkeitsrecht weniger belastend dadurch Rechnung getragen werden, dass die Unterhaltsvorschussleistungen davon abhängig gemacht werden, dass der in einem anderen Mitgliedstaat wohnende alleinerziehende Elternteil in der Bundesrepublik Deutschland einer Erwerbstätigkeit nachgeht, die die Grenze der Geringfügigkeit übersteigt. Ein Elternteil, der auf diese Weise Zugang zum bundesdeutschen Arbeitsmarkt gefunden hat, trägt mit den Abgaben, die er aufgrund der von ihm ausgeübten unselbstständigen Erwerbstätigkeit in dem betreffenden Mitgliedstaat entrichtet, zur Finanzierung der sozialpolitischen Maßnahmen in diesem Staat bei und belegt damit, dass er und das Kind, für dessen Unterhalt er aufkommt, in die hiesige Gesellschaft hinreichend integriert sind.
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Gemessen daran verfügte die Mutter der Kläger in dem hier sachlich noch zu bescheidenden Zeitraum über die vorstehend genannten Bindungen zur Bundesrepublik Deutschland. Nach den bindenden Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts (§ 137 Abs. 2 VwGO) war sie in dieser Zeit im Inland bei einer Fluggesellschaft als Chefin des Kabinenpersonals angestellt. Der Art nach handelt es sich dabei um eine Tätigkeit von mehr als nur geringfügigem Umfang. Da sie nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts im Bundesgebiet einen Wohnsitz unterhält, unterlag sie auch der deutschen Einkommensteuer (vgl. § 1 Abs. 1 Satz 1 EStG, § 8 AO).
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(b) Entgegen der Auffassung des Oberverwaltungsgerichts ist das Wohnsitzerfordernis auch zur Verwirklichung des gesetzgeberischen Anliegens nicht erforderlich, allein den im Inland notwendigen Mindestunterhalt mittels der Unterhaltsvorschussleistungen zu decken.
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Das Berufungsgericht kann sich insoweit insbesondere nicht mit Erfolg auf die Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union in der Rechtssache Hendrix (Urteil vom 11. September 2007- C-287/05 - Rn. 55) berufen. Zwar hat der Gerichtshof in dieser Entscheidung betont, ein Wohnsitzerfordernis könne für objektiv gerechtfertigt gehalten werden, wenn die betreffende Leistung eng mit dem sozialen und wirtschaftlichen Kontext des betreffenden Mitgliedstaats verbunden ist, was - wie dargelegt - bei den Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz der Fall ist. Allerdings hat er für die Bejahung der Erforderlichkeit des Wohnsitzerfordernisses entscheidend darauf abgestellt, dass die der in Rede stehenden Sozialleistung zugrunde liegenden nationalen Rechtsvorschriften ausdrücklich eine Ausnahme vom Wohnsitzerfordernis im Falle einer ansonsten eintretenden "erheblichen Unbilligkeit" ermöglichten und damit selber ein im Vergleich zur strikten Anwendung des Wohnsitzerfordernisses milderes Mittel vorsahen (Urteil vom 11. September 2007- C-287/05 - Rn. 56 f.). Eine derartige Ausnahmeregelung enthält das Unterhaltsvorschussgesetz nicht.
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Die mit dem Wohnsitzerfordernis erstrebte Deckung des in der Bundesrepublik Deutschland üblichen Unterhaltsbedarfs lässt sich jedoch gleichwirksam, die Freizügigkeit der Arbeitnehmer allerdings weniger einschneidend durch eine gesetzliche Regelung des Inhalts erreichen, dass die Höhe der Unterhaltsvorschussleistungen den gegebenenfalls niedrigeren Lebenshaltungskosten im Wohnsitzmitgliedstaat anzupassen sind. Eine solche Anpassung sieht das nationale Recht in anderen, aber durchaus vergleichbaren Regelungszusammenhängen selbst vor. Hervorzuheben ist insoweit die Regelung des § 24 Abs. 3 SGB XII über die Höhe von (ausnahmsweise) im Ausland zu erbringender Sozialhilfeleistungen. Danach richten sich Art und Maß der Leistungserbringung sowie der Einsatz des Einkommens und des Vermögens "nach den besonderen Verhältnissen im Aufenthaltsland". Eine vergleichbare Regelung trifft im Rahmen der Kriegsopferversorgung § 64b Abs. 3 Satz 1 BVG für die ergänzende Hilfe zum Lebensunterhalt nach § 27a BVG. Ferner sind derartige Bestimmungen auch in anderen Regelungszusammenhängen bekannt. So wird im Beamtenrecht der Berechnung des Auslandszuschlags nach § 53 Abs. 1 Satz 4 BBesG für den dienstortbezogenen immateriellen Anteil eine "standardisierte Dienstortbewertung im Verhältnis zum Sitz der Bundesregierung" zugrunde gelegt, und § 55 BBesG sieht einen Kaufkraftausgleich durch Zu- oder Abschläge vor, wenn bei einer allgemeinen Verwendung im Ausland die Kaufkraft der Besoldung am ausländischen Dienstort nicht der Kaufkraft der Besoldung am Sitz der Bundesregierung entspricht.
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Der Gefahr einer Kumulierung mit etwaigen nach portugiesischem Recht zu zahlenden Unterhaltsvorschussleistungen kann wirksam durch deren Anrechnung begegnet werden (EuGH, Urteil vom 20. Juni 2013 - C-20/12 - Rn. 79).
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3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 und 2, § 155 Abs. 1 Satz 3, § 188 Satz 2 VwGO.
(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a).
(2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur
- 1.
bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten, - 2.
bei unaufschiebbaren Anordnungen und Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten, - 3.
in anderen durch Bundesgesetz oder für Landesrecht durch Landesgesetz vorgeschriebenen Fällen, insbesondere für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die Investitionen oder die Schaffung von Arbeitsplätzen betreffen, - 3a.
für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die die Zulassung von Vorhaben betreffend Bundesverkehrswege und Mobilfunknetze zum Gegenstand haben und die nicht unter Nummer 3 fallen, - 4.
in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, besonders angeordnet wird.
(3) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ist das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Einer besonderen Begründung bedarf es nicht, wenn die Behörde bei Gefahr im Verzug, insbesondere bei drohenden Nachteilen für Leben, Gesundheit oder Eigentum vorsorglich eine als solche bezeichnete Notstandsmaßnahme im öffentlichen Interesse trifft.
(4) Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, kann in den Fällen des Absatzes 2 die Vollziehung aussetzen, soweit nicht bundesgesetzlich etwas anderes bestimmt ist. Bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten kann sie die Vollziehung auch gegen Sicherheit aussetzen. Die Aussetzung soll bei öffentlichen Abgaben und Kosten erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.
(5) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 bis 3a ganz oder teilweise anordnen, im Falle des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ganz oder teilweise wiederherstellen. Der Antrag ist schon vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, so kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung kann von der Leistung einer Sicherheit oder von anderen Auflagen abhängig gemacht werden. Sie kann auch befristet werden.
(6) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 ist der Antrag nach Absatz 5 nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn
- 1.
die Behörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder - 2.
eine Vollstreckung droht.
(7) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach Absatz 5 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.
(8) In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.
(1) Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Der Verwaltungsakt soll mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit
- 1.
die Änderung zugunsten des Betroffenen erfolgt, - 2.
der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist, - 3.
nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde, oder - 4.
der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist.
(2) Der Verwaltungsakt ist im Einzelfall mit Wirkung für die Zukunft auch dann aufzuheben, wenn der zuständige oberste Gerichtshof des Bundes in ständiger Rechtsprechung nachträglich das Recht anders auslegt als die Behörde bei Erlass des Verwaltungsaktes und sich dieses zugunsten des Berechtigten auswirkt; § 44 bleibt unberührt.
(3) Kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nach § 45 nicht zurückgenommen werden und ist eine Änderung nach Absatz 1 oder 2 zugunsten des Betroffenen eingetreten, darf die neu festzustellende Leistung nicht über den Betrag hinausgehen, wie er sich der Höhe nach ohne Berücksichtigung der Bestandskraft ergibt. Satz 1 gilt entsprechend, soweit einem rechtmäßigen begünstigenden Verwaltungsakt ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt zugrunde liegt, der nach § 45 nicht zurückgenommen werden kann.
(4) § 44 Abs. 3 und 4, § 45 Abs. 3 Satz 3 bis 5 und Abs. 4 Satz 2 gelten entsprechend. § 45 Abs. 4 Satz 2 gilt nicht im Fall des Absatzes 1 Satz 2 Nr. 1.
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.
Die Sachgebiete in Angelegenheiten der Fürsorge mit Ausnahme der Angelegenheiten der Sozialhilfe und des Asylbewerberleistungsgesetzes, der Jugendhilfe, der Kriegsopferfürsorge, der Schwerbehindertenfürsorge sowie der Ausbildungsförderung sollen in einer Kammer oder in einem Senat zusammengefaßt werden. Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden in den Verfahren dieser Art nicht erhoben; dies gilt nicht für Erstattungsstreitigkeiten zwischen Sozialleistungsträgern.
(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.
(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.