Verwaltungsgericht Magdeburg Beschluss, 31. März 2014 - 8 B 2/14

ECLI:ECLI:DE:VGMAGDE:2014:0331.8B2.14.0A
31.03.2014

Gründe

1

Der Antragsteller ist Polizeivollzugsbeamter im Rang eines Polizeiobermeisters und wendet sich gegen die von der Antragsgegnerin ausgesprochenen vorläufigen Dienstenthebung.

2

Der zulässige Antrag nach § 61 Abs. 2 Disziplinargesetz Sachsen-Anhalt (DG LSA) ist unbegründet.

3

Nach § 38 Abs. 1 Satz 1 DG LSA kann die für die Erhebung der Disziplinarklage zuständige Behörde einen Beamten gleichzeitig mit oder nach der Einleitung des Disziplinarverfahrens vorläufig des Dienstes entheben, wenn im Disziplinarverfahren voraussichtlich auf Entfernung aus dem Beamtenverhältnis erkannt wird. Ferner kann die vorläufige Dienstenthebung ausgesprochen werden, wenn durch ein Verbleiben des Beamten im Dienst der Dienstbetrieb oder die Ermittlungen wesentlich beeinträchtigt würden und die vorläufige Dienstenthebung nicht unverhältnismäßig ist (§ 38 Abs. 1 Satz 2 DG LSA). Die Antragsgegnerin stützt sich erkennbar nicht auf letztgenannte Norm, sondern auf § 38 Abs. 1 Satz 1 DG LSA, da ihrer Meinung nach im Disziplinarverfahren voraussichtlich auf Entfernung aus dem Beamtenverhältnis erkannt werden wird.

4

Bei der Anordnung der Suspendierung handelt es sich nicht um eine Disziplinarmaßnahme im Sinne des Maßnahmenkataloges, sondern um eine beamtenrechtliche Maßnahme des Disziplinarrechts (Hummel/Köhler/Mayer, BDG, 5. Auflage 2012, § 38 Rz. 1). Ihre Berechtigung ergibt sich aus dem funktionalen Bedürfnis, noch vor der endgültigen Klärung des Vorliegens eines Dienstvergehens und der abschließenden Entscheidung über die angemessene Maßregelung des Beamten eine den Verwaltungsaufgaben und dem Dienstbetrieb dienende vorübergehende Sicherungsregel zu treffen.

5

1.) Die nach § 61 Abs. 2 DG LSA vom Disziplinargericht vorzunehmende Prüfung ergibt, dass die vorläufige Dienstenthebung nicht aufzuheben ist. Ernstliche Zweifel an ihrer Rechtmäßigkeit bestehen nicht.

6

a.) Die auf § 38 Abs. 1 Satz 1 DG LSA gestützte Verfügung über die vorläufige Dienstenthebung muss pflichtgemäßem Ermessen der Einleitungsbehörde entsprechen. Den Beamten auch nur vorläufig vom Dienst zu entheben, setzt voraus, dass ein Verbleiben des Beamten im Dienst schlechthin untragbar wäre. Dabei handelt es sich um die denkbar schwerste Sanktion für dienstliche Verfehlungen, welche nach der Rechtsprechung besondere Umstände voraussetzt. Für die konkrete Entscheidung im Einzelfall sind grundsätzlich das dienstliche Bedürfnis an der einstweiligen Fernhaltung des Beschuldigten vom Dienst und dessen Recht auf amtsentsprechende dienstliche Beschäftigung abzuwägen (vgl. dazu: Köhler/Ratz, BDO, 2. Aufl., § 91 Rz. 10: vgl. zum Ganzen: VG Magdeburg, Beschl. v. 10.02.2007, 8 B 22/06; Beschl. v. 03.03.2010, 8 B 21/09; zuletzt: Beschl. v. 26.08.2013, 8 B 13/13; OVG Lüneburg, Beschluss v. 25.03.2013, 19 ZD 4/13; alle juris).

7

Nach § 61 Abs. 2 DG LSA ist die vorläufige Dienstenthebung dann aufzuheben, wenn ernstliche Zweifel an ihrer Rechtmäßigkeit bestehen. Ernstliche Zweifel sind schon dann anzunehmen, wenn im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts offen ist, ob die Anordnung nach § 38 Abs. 1 DG LSA rechtmäßig oder rechtswidrig ist (vgl. nur: Bay. VGH, Beschl. v. 11.04.2012, 16b DC 11.985; OVG Lüneburg Beschluss vom 13.5.2005, 3 ZD 1/05; alle juris). Neben der formellen Rechtmäßigkeit der Anordnung ist somit zu prüfen, ob die in der Anordnung liegende Prognose gerechtfertigt ist, der Beamte werde im Disziplinarverfahren voraussichtlich aus dem Dienst entfernt werden.

8

Diese Prognose trägt nur dann, wenn nach dem Kenntnisstand eines Eilverfahrens die Möglichkeit des Ausspruchs der disziplinarrechtlichen Höchstmaßnahme überwiegend wahrscheinlich ist. Ist es dagegen zumindest ebenso wahrscheinlich, dass eine Entfernung des Beamten aus dem Beamtenverhältnis im Disziplinarverfahren nicht erfolgen wird, sind ernstliche Zweifel durch das Gericht zu bejahen (BVerwG, Besch. v. 16.07.2009, 2 AV 4.09; BayVGH, Beschl. v. 20.04.2011, 16b DS 10.1120;Sächs. OVG, B. 19.08.2010, D 6 B115/10 mit Verweis auf Beschluss vom 08.07.2010, D6A116/10; alle juris; Müller, Grundzüge des Beamtendisziplinarrechts, § 38 Abs. 1 BDG, 2010, Rz. 370 m. w. N.; GKÖD, Disziplinarrecht des Bundes und der Länder, § 38 BDG, Rz. 51). Anders gewendet, es müssen hinreichend gewichtige Gründe dafür sprechen, dass die Entfernung aus dem Dienst im Ergebnis des – noch durchzuführenden - Disziplinarverfahrens nicht in Betracht kommt. Dies beinhaltet eine vom Gericht vorzunehmende summarische Prüfung des zurzeit bekannten Sachverhaltes und eine daran orientierte Wahrscheinlichkeitsprognose. Hinsichtlich des zur Last gelegten Dienstvergehens genügt die Feststellung, dass der Beamte dieses Dienstvergehen mit einem hinreichenden Grad an Wahrscheinlichkeit begangen hat; nicht erforderlich ist, dass das Dienstvergehen bereits in vollem Umfang nachgewiesen ist (vgl. BVerwG, Beschl. v. 29.09.1997, 2 WDB 3.97; OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 22.09.2009, 83 DB 1.09; OVG des Saarlandes, Beschl. v. 17.06.2009, 6 B 289/09; alle juris).

9

Die Beurteilung im Verfahren nach § 61 DG LSA erfordert keine gesonderten Beweiserhebungen, sondern ist in der Lage, in der sich das Disziplinarverfahren jeweils befindet, anhand der bis dahin zu Tage getretenen Tatsachen zu treffen. Für eine vorläufige Dienstenthebung können u. U. selbst durch Aktenvermerke untermauerte Erkenntnisse ausreichen (vgl. Müller a. a. O.). Dabei ist auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abzustellen (BVerwG, Beschl. v. 22.07.2002, 2 WDB 1.02; OVG Berlin-Brandenburg; Beschl. v. 18.08.2005, 80 SN 1.05; Bay VGH, Beschl. v. 11.04.2012, 16b DCV 11.985; alle juris). Jedoch muss für die gerichtliche Überprüfung der vorläufigen Dienstenthebung maßgeblich auf die von dem Dienstherrn in dem Bescheid herangezogenen Gründe der Pflichtenverletzung abgestellt werden. Ähnlich wie bei der Bestimmtheit des Tatvorwurfs als inhaltliche Anforderung an die - spätere – Disziplinarklageschrift, müssen die Sachverhalte, aus denen das Dienstvergehen hergeleitet wird, aus sich heraus verständlich und nachvollziehbar geschildert werden. Ort und Zeit der einzelnen Handlungen müssen möglichst genau angegeben, die Geschehensabläufe nachvollziehbar beschrieben werden (vgl. nur: BVerwG, Urteile v. 23.11.2006, 1 D 1.06, v. 25.01.2007, 2 A 3.05; Beschlüsse v. 13.03.2006, 1 D 3.06, v. 18.11.2008, 2 B 63.08 und v. 21.04.2010, 2 B 101.09; alle juris). Nur diese können durch das Disziplinargericht im Rahmen der Würdigung durch Akteninhalte und sonstige – evtl. auch später, im Laufe des Verfahrens nach § 61 DG LSA hinzutretende - Erkenntnisse untermauert werden, um so die Prognoseentscheidung, das heißt die Ausübung des ordnungsgemäßen Ermessens durch den Dienstherrn, zu überprüfen (VG Magdeburg, Beschl. v. 12.06.2012, 8 B 5/12, juris). Hingegen ist es dem Disziplinargericht verwehrt, anstelle der Disziplinarbehörde eine eigene Ermessenserwägung anzustellen (OVG Saarland, Beschluss v. 18.05.2011, 6 B 211/11; juris).

10

b.) Welche Disziplinarmaßnahme im Einzelfall erforderlich ist, richtet sich gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 und 3 DG LSA nach derSchwere des Dienstvergehens und des unter Berücksichtigung der Persönlichkeit des Beamten eingetretenen Umfangs der durch das Dienstvergehen herbeigeführten Vertrauensbeeinträchtigung. § 13 Abs. 2 DG LSA bestimmt, dass ein Beamter, der durch ein schweres Dienstvergehen das Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit endgültig verloren hat, aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen ist (Satz 1). Die Feststellung des verloren gegangenen Vertrauens ist verwaltungsgerichtlich voll inhaltlich nachprüfbar (Satz 2).

11

Demnach ist maßgebendes Bemessungskriterium für die Bestimmung der Disziplinarmaßnahme die Schwere des Dienstvergehens. Sie beurteilt sich zum einen nach der Eigenart und Bedeutung der verletzten Dienstpflichten, Dauer und Häufigkeit der Pflichtenverstöße und den Umständen der Tatbegehung (objektive Handlungsmerkmale) und zum anderen nach Form und Gewicht des Verschuldens und den Beweggründen des Beamten für sein pflichtwidriges Verhalten (subjektive Handlungsmerkmale) sowie nach den unmittelbaren Folgen der Pflichtenverstöße für den dienstlichen Betrieb und für Dritte (vgl. zum gleichlautenden § 13 BDG, BVerwG, Urt. v. 20.10.2005, 2 C 12.04; Urt. v. 03.05.2007, 2 C 9.06; B. v. 10.09.2010, 2 B 97/09; VGH Baden-Württemberg, U. v. 16.09.2010, DL 16 S 579/10; alle juris).

12

Erst bei Würdigung der Gesamtpersönlichkeit des Beamten lässt sich mit der gebotenen Sicherheit beurteilen, ob der Beamte aus disziplinarrechtlicher Sicht noch erziehbar erscheint oder ob hierfür eine bestimmte Disziplinarmaßnahme als notwendig, aber auch als ausreichend erscheint, oder ob der Beamte für die Allgemeinheit und den Dienstherrn untragbar geworden ist und deshalb seine Entfernung aus dem Beamtenverhältnis geboten ist (vgl. nur: VG Magdeburg, U. v. 04.11.2009, 8 A 19/08 m. w. N.; juris).

13

Eine objektive und ausgewogene Zumessungsentscheidung setzt demnach voraus, dass die gegen den Beamten ausgesprochene Disziplinarmaßnahme unter Berücksichtigung der belastenden und entlastenden Umstände des Einzelfalls in einem gerechten Verhältnis zur Schwere des Dienstvergehens und zum Verschulden des Beamten steht und gewisse Besonderheiten des Einzelfalls mildernd zu berücksichtigen sind (vgl. BVerfG, Beschl. v. 08.12.2004, 2 BvR 52/02; BVerwG, U. v. 14.02.2007, 1 D 12.05 mit Verweis auf Urteil vom 20.10.2005, 2 C 12.04; OVG Lüneburg, U. v. 20.11.2009, 6 LD 1/09; VGH Bad.-Württ., U. v. 16.09.2010, DL 16 S 579/10; VG Saarland, U. v. 17.09.2010, 7 K 238/09; alle juris).

14

2.) Unter diesen rechtlichen Prüfungsvoraussetzungen folgt die Disziplinarkammer nach dem derzeitigen, sich aus der Begründung der Suspendierung, dem Aktenmaterial und dem Vorbringen der Antragsgegnerin in der Antragserwiderung vom 03.02. und 13.03.2014 ergebenden Sach- und Rechtsstand der von der Antragsgegnerin angestellten Prognoseentscheidung. Danach ist mit der überwiegenden Wahrscheinlichkeit davon auszugehen ist, dass der Antragsteller ein derart schweres Dienstvergehen begangen hat, welches aufgrund des damit einhergehenden Verlustes des Vertrauens des Dienstherrn oder der Allgemeinheit zu seiner Entfernung aus dem Dienst führt.

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a.) Die Antragsgegnerin stützt die vorläufige Dienstenthebung maßgeblich darauf, dass der Antragsteller gegen die ihm obliegenden beamtenrechtlichen Pflichten nach § 34 Satz 3 Beamtenstatusgesetz (BeamtStG) verstoßen und damit ein außerdienstliches Dienstvergehen begangen habe. Denn er habe u. a. [während der Dienstunfähigkeit] eine unerlaubte Nebentätigkeit sowie ein Gewerbe ausgeübt und sei strafrechtlich verurteilt worden.

16

Dazu führt die Antragsgegnerin u. a. aus, der Beamte betreibe mit Gewinnerziehungsabsicht ein Gestüt sowie eine Pferdepension und sei als Reitlehrer und Pferdeausbilder tätig. Nach Unterlagen aus der Zeit von 1998 bis 2002 habe der Beamte durch den Verkauf von Pferden einen Erlös in Höhe von 70.500,00 DM erzielt. Von 1990 bis 2002 habe er Pferde zum Preis von 71.000,00 DM erworben. Durch die Vermietung von zehn Pferdeboxen habe er pro Box monatliche Einnahmen zwischen 200,00 und 350,00 DM erzielt. Nachdem ihm 2007 behördlich aufgegeben worden sei, seinen Bestand von 33 Pferden zu verringern, habe er 2008 noch über 27 Pferde verfügt. Folglich müsse er 6 Pferde veräußert haben. Zeugenaussagen belegten, dass der Beamte auch nach 2002 Pferde veräußert habe. Als Reitlehrer habe der Beamte pro Wochenende „um die 200,00 Euro“ eingenommen. Zudem habe er gegen Entgelt seinen Hengst zum Decken zur Verfügung gestellt. Der Aktennotiz der Tierärztin Frau S… vom 27.01.2012 seien Hinweise zu entnehmen, die gegen ein bloßes Hobby sprächen:

17

- Alle zwei Tage werde Heu durch den Beamten geholt bzw. werde ihm geliefert
- Täglich werde Stroh nachgestreut
- Täglich werde Wasser aufgefüllt
- Frau S… sei seit 2007 helfend tätig gewesen, wobei die Hilfe geringer bis sporadisch erfolgte
- Donnerstags und samstags sei der Beamte mit dem Hänger nach D… zu einer Reitergruppe gefahren. Ansonsten habe er mindestens drei erwachsene Reiter und mehrere Kinder betreut.

18

Im November 2012 seien 24 Pferde bei dem Antragsteller sichergestellt worden. Zudem sei ein Kadaver gefunden worden.

19

Eine derartige Betätigung sei nicht mehr als Hobby zu bezeichnen. Die Tätigkeit sei auf Dauer angelegt und zunehmend professionalisiert worden. Für ein Pferd fielen Kosten von ca. 200,00 Euro monatlich an. Aus der beamtenrechtlichen Besoldung sei dies nicht zu bewerkstelligen.

20

Während seiner Dienstunfähigkeit vom 01.04. bis 31.05.2011 habe der Antragsteller am 14.05.2011 am Hoffest im Reiterhof G… teilgenommen und dort auch Pferde vorgestellt. Um diesen Zeitpunkt herum habe er auch Reitunterricht gegeben.

21

Schließlich sei der Beamte durch Urteil des Amtsgericht Wernigerode vom 07.11.2013 (812 Js 83275/12) nach den §§ 17 Nr. 2 b Tierschutzgesetz, 25 Abs. 2 StGB wegen quälerischer Tiermisshandlung in 16 Fällen zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten auf Bewährung verurteilt worden.

22

Das so gezeigte außerdienstliche Verhalten habe einen unmittelbaren Bezug zu seinem konkret-funktionellen Amt als Polizeivollzugsbeamter. Die strafrechtliche Verurteilung habe zur Berichterstattung auch in überregionalen Medien geführt. Da der Strafrahmen nach § 17 Tierschutzgesetz bis zu drei Jahren betrage, komme auch nach der disziplinargerichtlichen Rechtsprechung die Entfernung aus dem Dienst in Betracht.

23

b.) Für das Disziplinargericht ist bereits beachtlich, dass aufgrund des hohen Strafrahmens von bis zu drei Jahren des § 17 Tierschutzgesetz nach der disziplinarrechtlichen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. nur: Urteil v. 19.08.2010, 2 C 13.10; Beschluss v. 28.06.2012, 2 B 28.12; juris), der sich die Disziplinarkammer anschließt, auch bei einem außerdienstlichen Fehlverhalten ohne Dienstbezug die Verhängung der disziplinarrechtlichen Höchstmaßnahme als Ausgangspunkt der Zumessungsentscheidung anstehen kann und bei einem hinzutretenden Dienstbezug ansteht (vgl. dazu ausführlich mit weiteren Verweisen: VG Magdeburg, Urteil v. 17.10.2013, 8 A 6/13; juris). Daran ändert der tatsächliche Strafausspruch wegen der unterschiedlichen Zielsetzung des Straf- und Disziplinarrechts wenig. Die Höhe einer Kriminalstrafe ist für die Gewichtung des Dienstvergehens grundsätzlich nicht von ausschlaggebender Bedeutung. Denn die Vertrauensbeeinträchtigung ist in erster Linie von der Straftat selbst, ihrem gesetzlichen Strafrahmen und den Begehungsumständen abhängig (BVerwG, Urteil. v. 08.03.2005, 1 D 15.04; VG Magdeburg, Urteil v. 17.10.2013, 8 A 6/13; juris). Demnach ist nicht entscheidend, dass die Freiheitsstrafe mittlerweile in der Berufung von acht auf sechs Monate in zehn Fällen abgemildert wurde und der Antragsteller nunmehr Revision eingelegt hat. Wie oben ausgeführt, ist bei der prognostischen Bewertung der Schwere des Dienstvergehens für die vorläufige Dienstenthebung der vollständige Nachweis des Dienstvergehens nicht erforderlich. Demnach muss vorliegend bei der Entscheidung über die „nur“ vorläufige Dienstenthebung - anders als in dem laufenden Disziplinarverfahren (vgl. dazu: VG Magdeburg, Beschluss v. 14.04.2011, 8 A 20/10; juris) - auch nicht der rechtskräftige Ausgang des Strafverfahrens abgewartet werden. Eine Aussetzung, Ruhendstellung oder auch nur eine bloße Nichtbearbeitung verbietet sich. Die insoweit vom Antragsteller als „schematische Betrachtung“ bezeichnete Vorgehensweise bei der Bewertung des Dienstvergehens ist dem Verfahren der vorläufigen Dienstenthebung immanent. Eine „rechtlich unzutreffende Würdigung“ zudem „tatsächlich noch nicht aufgeklärter Umstände“ ist damit nicht verbunden. Denn dies und vor allem die Berücksichtigung etwaiger Milderungs- und Entlastungsgründe obliegt dem laufenden Disziplinarverfahren.

24

Bei der prognostischen Entscheidung bezüglich der Schwere des Dienstvergehens ist weiter entscheidend, dass dem Antragsteller neben der zur strafrechtlichen Verurteilung geführten Tierquälerei vorgeworfen wird, mit Gewinnerziehungsabsicht ein Gestüt sowie eine Pferdepension zu betreiben und als Reitlehrer und Pferdeausbilder tätig zu sein, womit er gegen seine beamtenrechtliche Pflicht zur vollen Hingabe seiner persönlichen Leistungsfähigkeit für seinen Dienstherrn verstoßen haben dürfte.

25

Eine disziplinarwürdige nicht mehr als bloße hobbymäßige Freizeitgestaltung zu bewertende Nebentätigkeit liegt bei einer auf Dauer angelegten Tätigkeit vor, die typischerweise auf die Erzielung von Gelderwerb ausgerichtet ist (vgl. ausführlich; VG Magdeburg, Urteil v. 18.07.2012, 8 A 13/11; juris). In einer solchen zweitberuflichen Tätigkeit kann die Beeinträchtigung der grundsätzlich im Rahmen des Dienst- und Treueverhältnisses dem Dienstherrn zustehenden Arbeitskraft eines Beamten liegen, weshalb dem Dienstherrn die Prüfung vorbehalten bleibt, ob die konkrete Tätigkeit Auswirkungen auf die Dienstleistung haben kann sowie, ob eine Ansehensschädigung des Beamtentums insgesamt zu befürchten ist (vgl. grundlegend: BDiG Frankfurt, GB v. 29.03.1999, XIV VL 1/99; VG Münster, Urteil v. 20.10.2011, 13 K 2137(09.O; juris). Der Sinn der Genehmigungspflicht der Nebentätigkeit liegt darin, dass außerdienstliche Aktivitäten immer geeignet sein können, die dienstliche Leistungsfähigkeit zu beeinflussen (vgl. zusammenfassend: Hummel/Köhler/Mayer, BDG, 4. Aufl. 2009, S. 218 Rz. 7; S. 243 Rz. 2). Auch wenn eine Nebentätigkeit nur für einen kurzen Zeitraum ausgeübt wird, entfällt der diesbezügliche Tatbestand nicht (BVerwG, Urt. v. 17.03.1998, 1 D 73.96; juris).

26

Dabei ist die Abgrenzung zwischen einer dem Bereich des Freizeitverhaltens zuzuordnenden Hobbytätigkeit und einer beamtenrechtlichen Nebentätigkeit im Einzelfall schwierig. Denn diese bewegt sich im Spannungsfeld der von Art. 2 GG geschützten Freizeitgestaltung des Beamten und dem dienstlichen Interesse des Dienstherrn auf volle Dienstleistung seiner Beschäftigten nach Art. 33 Abs. 5 GG (VG Trier, Urt. v. 10.11.2009, 3 K 361/09.TR; juris). Dementsprechend ist zur Abgrenzung auf Sinn und Zweck der beamtenrechtlichen Vorschriften zur Nebentätigkeit abzustellen. Wegen des Regelungszusammenhangs muss eine Nebentätigkeit im beamtenrechtlichen Sinn eine gewisse Parallelität zum Beamtendienst aufweisen, die typischerweise in Erwerbsstreben zu sehen ist. Im Gegensatz dazu stellt die Freizeitgestaltung das Gegenteil des Erwerbsstrebens dar. Eine Nebentätigkeit liegt demnach bei einer wirtschaftlichen Betätigung mit Gewinnerzielungsabsicht vor, wobei egal ist, ob auch tatsächlich nach Abzug der Kosten ein Gewinn erzielt wird (BVerwG, Urt. v. 11.01.2007, 1 D 16.05; OVG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 26.02.2002, 3 A 11578/01.OVG; beide juris). Anders gewendet, liegt eine Nebentätigkeit vor, wenn die (Neben-)Tätigkeit auf Erwerb gerichtet oder wirtschaftlich bedeutsam ist oder wenn sie den Beamten erheblich in Anspruch nimmt (Hess. VGH, Urt. v. 24.09.2003, 1 UE 783/02 m. w. N.; juris). Für eine Einordnung als – gewerbliche – Nebentätigkeit spricht insbesondere, wenn die Betätigung auf Dauer angelegt, mit einer gewissen auf Erwerb ausgerichteten Struktur erfolgt und wenn dies durch ein entsprechendes Auftreten nach außen dokumentiert wird. Es kommt auf Dauer, Häufigkeit und Umfang der Tätigkeit an, ob die Betätigung auch materiell rechtswidrig ist und ob sich das Verhalten des Beamten nachteilig auf die Erfüllung seiner dienstlichen Aufgaben ausgewirkt hat (Bayr. VGH, Urteil v. 23.03.2011, 16b D 09.2798; juris). Hiervon auszugehen ist stets dann, wenn erkennbar allmählich ein Zweitberuf aufgebaut werden soll (VG Koblenz, Urt. v. 20.11.2001, 6 K 1546/01.KO; OVG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 19.03.2002, 2 A 10067/02; zusammenfassend: VG Trier, Urt. v. 10.11.2009, 3 K 361/09.TR; VG Magdeburg, Urteil v. 01.12.2011, 8 A 19/10 und v. 18.07.2012, 8 A 13/11; alle juris).

27

Dem Disziplinargericht erscheinen bei der Gesamtschau der im Disziplinarvorgang enthaltenen Unterlagen sowie der tatbestandlichen Ausführungen im Urteil des Amtsgerichts Wernigerode keine ernstlichen Zweifel im Sinne des § 61 Abs. 2 DG LSA hinsichtlich der Rechtmäßigkeit der von der Antragsgegnerin getroffenen vorläufigen Dienstenthebung. Neben der strafrechtlichen Verurteilung stellen ebenso die Art und der Umfang der vom Antragsteller unstreitig vorgenommenen Haltung der zahlreichen Pferde sowie die daraus resultierende umfangreiche Betätigung greifbare Anhaltspunkte für die vorgehaltene Dienstpflichtverletzung dar. Soweit der Antragsteller ausführt, die ihm unterstellte Gewinnerzielungsabsicht stehe im Widerspruch zu der strafrechtlichen Verurteilung wegen Tierquälerei, folgt das Disziplinargericht dem nicht. Denn die ihm vorgeworfenen Nebenaktivitäten und die Schlechtversorgung der ihm anvertrauten Tiere schließen sich nicht aus. Auch ein etwaiger wirtschaftlicher Misserfolg seiner Betätigung spricht nicht gegen den Pflichtentatbestand. Die vom Antragsteller vorgenommene anderswertige Bewertung der von der Antragsgegnerin herangezogenen Zeugenaussagen begründen ebenso keine ernstlichen Zweifel. Denn die Aussagen des Zeugen G… sind zunächst nicht offensichtlich unglaubhaft und der Zeuge ebenso nicht offensichtlich unglaubwürdig, sodass die abschließende Bewertung dem Disziplinarverfahren obliegt. Schließlich beruft sich die Antragsgegnerin zur Begründung des Disziplinarvorwurfs nicht nur auf weit zurückliegende tatsächliche Vorkommnisse, sondern auch auf solche, die unzweifelhaft noch nicht der Verjährung bzw. dem disziplinarrechtlichen Maßnahmeverbot unterliegen. Wobei das Disziplinargericht bereits jetzt darauf hinweisen darf, dass dies sowie die Problematik der sogenannten „Einheitlichkeit des Dienstvergehens“ (vgl. dazu ausführlich: VG Magdeburg, Urteil v. 04.11.2009, 8 A 19/08; juris) im Disziplinarverfahren zu prüfen sein wird.

28

Weiter ist es zunächst unerheblich, ob und in welchen Umfang die Nebentätigkeit während der ärztlich bescheinigten Dienstunfähigkeit ausgeübt wurde. Denn dies betrifft den weiteren Pflichtentatbestand der Gesunderhaltung bzw. der Genesungspflicht (vgl. dazu ausführlich: VG Magdeburg, Urteil v. 11.02.2014, 8 A 1/14; juris gemeldet).

29

Demnach bleibt festzustellen, dass die prognostische Gesamtbewertung der vorgeworfenen dienstlich wie außerdienstlich begangenen Pflichtenverstöße, auch zur Überzeugung des Disziplinargerichts zum augenblicklichen Zeitpunkt die vorläufige Dienstenthebung rechtfertigen.

30

3.) Die Kostenentscheidung beruht auf § 72 Abs. 4, 73 Abs. 1 DG LSA, 154 Abs. 1 VwGO.


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Oberverwaltungsgericht des Saarlandes Beschluss, 17. Juni 2009 - 6 B 289/09

bei uns veröffentlicht am 17.06.2009

Tenor Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 6. März 2009 - 7 L 23/09 - wird zurückgewiesen. Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragstellerin. Grü

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Gründe

I.

1

Mit der angegriffenen Verfügung vom 13.08.2009 enthob der Antragsgegner den Antragsteller als Obersekretär im Justizvollzugsdienst gemäß § 38 Abs. 1 Disziplinargesetz Sachsen-Anhalt (DG LSA) vorläufig des Dienstes und behielt nach § 38 Abs. 2 DG LSA zugleich 30 v. H. seiner Dienstbezüge ein. Zur Begründung führte der Antragsgegner im Wesentlichen aus, dass der Antragsteller in vielfältiger Weise gegen die ihm obliegenden Dienstpflichten verstoßen und dadurch Dienstvergehen von erheblichem Gewicht begangen habe. Aus diesem Grunde sei mit Schriftsatz vom 01.04.2009 Disziplinarklage vor dem zuständigen Verwaltungsgericht Magdeburg mit dem Ziel erhoben worden, den Antragsteller aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen.

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1.) Bezüglich der genauen und einzelnen Vorwürfe wurde auf die dem Bescheid beiliegende Kopie der Disziplinarklage vom 01.04.2009 (8 A 9/09 MD) verwiesen. Dort heißt es:

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Der Antragsteller habe ein Dienstvergehen dadurch begangen, dass er sich wiederholt geweigert habe, Gefangenenwäsche anzunehmen (a.). Weiter stelle seine eigenmächtige Beendigung des „Aufenthalts der Gefangenen im Freien“ ein Dienstvergehen dar (b.) und schließlich sei er der Aufforderung zur Überprüfung seiner Dienstfähigkeit durch den Amtsarzt nicht nachgekommen (c.). Ebenso seien Dienstpflichtverletzungen durch das jahrelange und permanente und massive Stören des Betriebsfriedens zu verzeichnen (d.). Schließlich wird aus zahlreichen Unterlagen zitiert (e.).

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a.) Der Antragsteller habe am 09.01.2006 durch E-Mail an den damaligen Sicherheitsdienstleiter der JVA A-Stadt mitgeteilt, dass der Antragsteller die von den Angehörigen mitgebrachte Wäsche der Gefangenen nicht mehr annehmen werde, es sei denn, die Wäsche werde in einem verschlossenen Paket abgegeben. Zur Begründung hatte der Antragsteller ausgeführt, dass Rauschgiftspürhunde, die regelmäßig zur Kontrolle von Weihnachtspaketen eingesetzt seien, in der Weihnachtszeit 2005 auch bei einem solchen Wäschepaket angeschlagen hätten. Demzufolge seien entweder die darin befindlichen Kleidungsstücke oder die bereitgestellten Kartons mit Rauschgift kontaminiert gewesen. Um sich nicht dem Verdacht auszusetzen, selbst mit Rauschgift zu handeln oder dieses in ein Paket mit eingepackt zu haben, sehe er sich zu der von ihm neu vorgeschlagenen Vorgehensweise veranlasst. Auch nach weiterer Belehrung durch die Anstaltsleitung habe der Antragsteller an seinem Vorhaben festgehalten. Den Angehörigen habe er ein selbstgefertigtes Merkblatt für Wäschepakete ausgehändigt und sie aufgefordert, die Wäsche nur in einem verschlossenen Paket abzugeben. In der Folgezeit habe der Antragsteller einen Strafgefangenen angewiesen, die zum Umpacken der Wäsche bereitgestellten Pakete sowie die anstaltseigene Holzkiste, die zum Transport dieser Pakete gedient habe, aus der Kfz-Schleuse in den Sperrmüllcontainer zu verbringen. Auch aufgrund weiterer Gespräche zwischen der Anstaltsleitung und dem Antragsteller habe dieser an seiner Vorgehensweise festgehalten. Seitens der Anstaltsleitung wird darauf hingewiesen, dass bereits aus Sicherheitsgründen die von den Angehörigen eingebrachten Wäschestücke kontrolliert werden müssten.

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b.) Am 15.03.2006 habe der Antragsteller von dem Tourendienstleiter der JVA A-Stadt die Anweisung erhalten, ab 10.00 Uhr den „Aufenthalt im Freien“ der Gefangenen abzusichern. Der Antragsteller habe eigenmächtig seine Aufsichtstätigkeit beendet und sei in die Außenpforte zurückgekehrt. Die Gefangenen seien unbeaufsichtigt zurückgeblieben bis sie durch einen anderen diensthabenden Beamten zurückgebracht worden seien. Der Antragsteller habe sein Verhalten damit begründet, dass Gefangene grundsätzlich nur eine Stunde „Aufenthalt im Freien“ zustünden. Soweit der Aufenthalt länger als eine Stunde andauere, müsse nach Auffassung des Antragstellers ein anderer Bediensteter die Aufsicht weiterführen.

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c.) Unter dem 13.07.2006 sei der Antragsteller zur Überprüfung der Dienstfähigkeit beim Gesundheitsamt A-Stadt zur amtsärztlichen Untersuchung einbestellt worden. Weitere Einbestellungen seien Anfang August 2006 erfolgt. Am 06.10.2007 habe der Antragsteller der Leitenden Amtsärztin vom Gesundheitsamt A-Stadt mitgeteilt, dass er in dieser Angelegenheit keine weiteren Untersuchungen mitmachen werde. Dies habe sodann auch der inzwischen beauftragte Rechtsanwalt des Antragstellers unter dem 05.11.2007 bestätigt. Es sei nicht erkennbar, warum Zweifel über die Dienstfähigkeit des Antragstellers bestünden. Sodann sei das beamtenrechtliche Zurruhesetzungsverfahren eingeleitet worden. Die diesbezügliche Klage des Beamten wird bei dem Verwaltungsgericht Magdeburg unter dem Aktenzeichen 5 A 430/09 MD geführt.

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d.) Schließlich seien durch jahrelange permanente und massive Störungen des Betriebsfriedens Dienstpflichtverletzungen festzustellen. Diese Dienstpflichtverletzungen werden dezidiert aufgrund mehrerer Vorkommnisse beginnend aus dem Jahr 1996 bis 2006 beschrieben.

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e.) Weiter wird aus einem Bericht des Anstaltspsychologen Dr. F. aus dem Jahre 1998 zitiert sowie das Gutachten des Gesundheits- und Veterinäramtes A-Stadt vom 01.07.2002 auszugsweise wiedergegeben. Das Gutachten führt aus, dass in den vom Antragsteller beigebrachten medizinischen Unterlagen aus den Jahren 1984 bis 2001 eine neurotische Fehlentwicklung beschrieben worden sei. Da der Antragsteller keine psychopathologischen Veränderungen aufgewiesen habe, sei von seiner vollständigen Dienstfähigkeit auszugehen. Die Gutachterin habe eine psychotherapeutische Behandlung empfohlen. Dieser Empfehlung sei der Antragsteller nachgekommen und habe sich ab dem 01.01.2002 in psychotherapeutischer Behandlung befunden. Aufgrund der vom Antragsteller der Gutachterin im Jahre 2002 übergebenden ärztlichen Befunde aus den früheren Jahren habe der Anstaltsleiter der JVA Halberstadt unter dem 25.09.2002 den Verdacht geschildert, dass der Beamte bei der amtsärztlichen Untersuchung für die Eignung für die Beamtenlaufbahn im JVD einen falschen Gesundheitszustand dargestellt habe und die früheren Behandlungen und Therapien nicht angegeben habe. Bei Kenntnis über die neurotische Fehlentwicklung wäre es nicht zu einer Einstellung in den Justizvollzugsdienst des Landes Sachsen-Anhalt gekommen. Die schon in der Probezeit aufgetretenen Auffälligkeiten des Beamten wären dann in einem anderen Licht zu sehen gewesen.

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In der daraufhin (nur nach Aktenlage) erstellten gutachterlichen Stellungnahme zur beantragten Nachbegutachtung vom 16.01.2003 (Bl. 263 Beiakte R) teilte die Gutachterin des Gesundheits- und Veterinäramtes A-Stadt mit,

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„… dass sich anhand der im Nachbegutachtungsantrag aufgeführten Fakten, wesentliche neue Aspekte gegenüber der Sachlage zum Zeitpunkt der Erstbegutachtung ergeben haben. Aufgrund der von zunehmend erweiterten Kenntnissen über die Persönlichkeit des Beamten und der erschwerten Differenzialdiagnostik bei komplizierten Persönlichkeitsstörungen wie sie bei dem Beamten vorliegen, wird eine fachärztliche psychiatrische Zusatzbegutachtung empfohlen, um überprüfen zu können, ob an der festgestellten Erstdiagnose weiterhin festgehalten werden kann.“

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Aufgrund dieser Empfehlung habe sich der Dienstherr sodann zu einer weiteren Begutachtung des Antragstellers entschlossen, welcher vom Antragsteller jedoch nicht Folge geleistet worden sei.

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2.) Insgesamt werde aus den dargestellten Vorfällen deutlich, dass der Antragsteller nicht willens und nicht in der Lage sei, sich in eine bestehende Hierarchie einzuordnen, sein Verhalten anzupassen und Weisungen entgegenzunehmen. Die Probleme bei der Dienstdurchführung und -auffassung bestünden bereits seit über 12 Jahren und hätten sich in den vergangenen Jahren stets verschärft. Die Dienstdurchführung des Antragstellers sei dadurch gekennzeichnet, dass er seiner Auffassung nach allein rechtmäßig zu handeln glaube. Dabei erweise er sich in der Rechtsanwendung als unflexibel, ignoriere Weisungen, weigere sich, Autoritäten anzuerkennen und sei teamunfähig.

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Durch diese Verhaltensweisen werde der geordnete Dienstbetrieb erheblich gefährdet und der Betriebsfrieden der Haftanstalt empfindlich gestört. Der Beamte verkenne, dass ihm in vielen Vorschriften ein Ermessensspielraum eingeräumt werde, welcher von ihm zwingend auszufüllen sei. Sein unbelehrbares Beharren auf seiner Position und seine hartnäckigen Weigerungen, Anordnungen von Vorgesetzten auszuführen, seien daher nicht nur als permanente Gehorsamspflichtverletzungen nach § 55 BG LSA (a. F.) und § 35 Beamtenstatusgesetz (BeamtStG) zu werten. Sie seien auch geeignet, den Betriebsfrieden in der JVA erheblich zu stören und den Antragsteller selbst sowie andere Bedienstete in Gefahr zu bringen.

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Von Justizvollzugsbeamten sei die Fähigkeit zu fordern, im Rahmen des Ermessensspielraumes sensible und abgewogene Einzelfallentscheidungen zu treffen. Der Umgang mit dem Strafgefangenen erfordere ein sogenanntes „Fingerspitzengefühl“. Bereits aufgrund der Persönlichkeitsstruktur vieler Strafgefangener könne es bei unabgewogenen Einzelfallentscheidungen der Justizvollzugsbeamten zu einer Eskalation und Gewalt kommen. Das uneinsichtige Verhalten des Antragsstellers könne somit unter Umständen für alle Beteiligten lebensgefährlich werden. In den vergangenen Jahren habe seine beharrende und uneinsichtige Vorgehensweise in vielen Situationen zu Eskalationen geführt. Dies habe zur Folge, dass sich die überwiegende Anzahl der Kollegen weigere, mit dem Antragsteller zusammenzuarbeiten. In der Vergangenheit sei der Antragsteller insgesamt achtmal dienstrechtlich umgesetzt bzw. versetzt worden, ohne dass sich sein Verhalten geändert habe.

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Aufgrund der dargelegten Pflichtenverstöße müsse davon ausgegangen werden, dass ein so schweres Dienstvergehen vorliege, dass das Vertrauen des Dienstherrn und der Allgemeinheit in eine beanstandungsfreie Dienstdurchführung durch den Antragsteller endgültig verloren sei. Die Schwere des Dienstvergehens rechtfertige bereits die Prognose, dass aufgrund der Disziplinarklage die Entfernung des Antragstellers aus dem Beamtenverhältnis ausgesprochen werde (§ 38 Abs. 1 Satz 1 DG LSA). In jedem Fall würde das Verbleiben des Antragstellers im Dienst den Dienstbetrieb wesentlich beeinträchtigen und die vorläufige Dienstenthebung stehe zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Disziplinarmaßnahme auch nicht außer Verhältnis (§ 38 Abs. 1 Satz 2 DG LSA).

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Demnach sei auch die Einbehaltung der Dienstbezüge des Antragstellers in Höhe von 30 v. H. nach § 38 Abs. 2 DG LSA gerechtfertigt. Da der Antragsteller im Rahmen der Vorermittlungen keine weiteren Mitteilungen über seine finanziellen Belastungen abgegeben habe, sei die Kürzung ermessensfehlerfrei.

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3.) Der Antragsteller widerspricht den behaupteten Dienstpflichtverletzungen und bezieht sich dazu ebenso auf seine Klageerwiderung vom 08.06.2009 zur Disziplinarklage. Demnach sei festzustellen, dass der Antragsgegner sich auf eine Vielzahl von Vorkommnissen beziehe, welche verwirkt oder verjährt seien. Es sei zu keiner „Abmahnung“ gekommen und der Antragsteller habe nicht damit rechnen müssen, dass ihm sein Verhalten vorgehalten werde. Es tritt sodann in seinen weiteren Ausführungen der Bewertung der Vorkommnisse aus den Jahren 1996 und folgend entgegen.

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a.) Hinsichtlich der Vorkommnisse um die Annahme der Gefangenenwäsche führt er aus, dass er die Anstaltsleitung diesbezüglich ausdrücklich beraten habe, um die aus seiner Sicht zweckmäßige und rechtmäßige Maßnahme zu erläutern. Denn es sei nicht auszuschließen, dass in der Gefangenenwäsche gefährliche Substanzen und Gegenstände eingenäht seien, die geeignet seien, erhebliche Gefährdungen und Schäden in der Anstalt zu verursachen. Der Antragsteller habe sich demnach in einer Pflichtenkollision befunden. Denn es sei nicht auszuschließen, dass irgendwann gegen ihn ein derartiger Verdacht eines Betäubungsmittelvergehens oder der Beihilfe ausgesprochen werde. Jedenfalls habe der Beamte nicht schuldhaft gehandelt.

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b.) Zu dem vorgehaltenen Dienstvergehen der eigenmächtigen Beendigung des Aufenthalts der Gefangenen im Freien führt er aus, dass er an diesem Tag bereits mehrere Stunden Gefangene im Freien beaufsichtigt habe und dringend die Toilette aufsuchen musste. Darüber habe er den Vorgesetzten informiert. Der Antragsteller habe nicht durch ein Zurücklassen der Gefangenen auf dem Freistundenhof die Sicherheit der Anstalt gefährdet. Der Antragsteller sei davon ausgegangen, dass ein anderer Bediensteter die Bewachung übernehme. Auch hier habe er sich in einer Pflichtenkollision befunden.

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c.) Nachdem der Antragsteller bereits im Jahre 2002 fachpsychiatrisch durch Dr. S., untersucht worden sei und sich in der Folgezeit einer Psychotherapie unterzogen habe, sei kein Grund erkennbar, seine Dienstfähigkeit in Zweifel zu ziehen. In diesem Zusammenhang sei das grundrechtlich geschützte Persönlichkeitsrecht des Antragstellers zu bewerten.

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Dem Antragsteller werde Ordnungsliebe, Ausdauer, ein gutes Gedächtnis und starke Genauigkeit bei der Anwendung von Vorschriften bescheinigt. Er wirke allgemein bedacht und überlegt mit einem Streben zur Perfektion und Genauigkeit. Bei dem Antragsteller seien keine psychologischen Veränderungen gegeben. In dem psychologischen Befund der Gemeinschaftspraxis der Diplompsychologin F. und S. vom 05.02.2003 sei ausgeführt, dass der Antragsteller therapiert worden sei.

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Die disziplinarrechtlichen und strafrechtlichen Vorbelastungen des Antragstellers seien nicht mehr heranzuziehen. Schließlich könne die Maßnahme auch nach der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung keinen Bestand haben.

II.

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Der Antragsteller ist disziplinarrechtlich vorbelastet. Mit Disziplinarverfügung vom 22.08.2002 wurde eine Geldbuße in Höhe von 200,00 Euro verhängt, da er ohne Genehmigung bzw. Einhaltung des Dienstweges wiederholt in den Jahren 2001/2002 umfangreiche Schreiben, die ausschließlich interne Angelegenheiten der JVA H., dienstliche Verhaltensweisen von Bediensteten, Angelegenheiten von Gefangenen und sonstige dienstliche Vorgänge zum Inhalt hatten, an Behörden und Institutionen weiterleitete. Mit Disziplinarverfügung vom 17.04.2003 wurde wegen eines erneuten Pflichtenverstoßes mit dem annähernd gleichen Inhalt wie zuvor eine Geldbuße in Höhe von 250,00 Euro ausgesprochen. Aufgrund des Urteils des Amtsgerichts Halberstadt vom 23.02.2005 ist der Antragsteller rechtskräftig wegen einer versuchten gefährlichen Körperverletzung ist Tateinheit mit versuchter Körperverletzung im Amt gegenüber einem Gefangenen zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen á 40,00 Euro verurteilt worden.

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Die dienstlichen Beurteilungen und Befähigungsberichte des Antragstellers lauten bis einschließlich seiner Laufbahnprüfung im Jahre 1995 auf „befriedigend“; danach erreicht er in seinen dienstlichen Beurteilungen die Benotung „ausreichend“, „befriedigend“, „mangelhaft“ und wiederholt „ausreichend“.

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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Verfügung sowie die Disziplinarklage vom 01.04.2009, die dortige Klageerwiderung des Antragstellers vom 08.06.2009 und die umfassenden Verwaltungsvorgänge und Beiakten verwiesen. Diese Unteralgen waren Gegenstand der Entscheidungsfindung.

III.

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Nach § 38 Abs. 1 Satz 1 DG LSA kann die für die Erhebung der Disziplinarklage zuständige Behörde einen Beamten gleichzeitig mit oder nach der Einleitung des Disziplinarverfahrens vorläufig des Dienstes entheben, wenn im Disziplinarverfahren voraussichtlich auf Entfernung aus dem Beamtenverhältnis erkannt wird. Ferner kann die vorläufige Dienstenthebung ausgesprochen werden, wenn durch ein Verbleiben des Beamten im Dienst der Dienstbetrieb oder die Ermittlungen wesentlich beeinträchtigt würden und die vorläufige Diensthebung nicht unverhältnismäßig ist (§ 38 Abs. 1 Satz 2 DG LSA). Der Antragsgegner stützt sich in der Verfügung auf beide Bestimmungen.

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Die nach § 61 Abs. 2 DG LSA vom Disziplinargericht vorzunehmende Prüfung ergibt, dass – im Ergebnis - keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der vorläufigen Dienstenthebung bestehen. Soweit der Antragsgegner die vorläufige Dienstenthebung auf § 38 Abs. 1 Satz 1 DG LSA stützt und meint, der Antragsteller werde aufgrund der Disziplinarklage voraussichtlich aus dem Dienst entfernt, vermag das Gericht diese Prognose allerdings nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit zu teilen (1.). Jedoch und jedenfalls ist die vorläufige Dienstenthebung nach § 38 Abs. 1 Satz 2 DG gerechtfertigt (2.). Die teilweise Einbehaltung der Dienstbezüge ist hingegen aufzuheben (3.).

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Die auf § 38 Abs. 1 DG LSA gestützte Verfügung über die vorläufige Dienstenthebung muss pflichtgemäßem Ermessen der Einleitungsbehörde entsprechen. Für die konkrete Entscheidung im Einzelfall sind das dienstliche Bedürfnis an der einstweiligen Fernhaltung des Beschuldigten vom Dienst und dessen Recht auf amtsentsprechende dienstliche Beschäftigung abzuwägen (vgl. dazu. Köhler/Ratz, BDO, 2. Aufl., § 91 Rdzf. 10). Ein dienstliches Bedürfnis für die (weitere) Fernhaltung eines Beamten vom Dienst ist etwa dann gegeben, wenn ihm ein schwerwiegendes (dienstliches oder außerdienstliches) Fehlverhalten vorgeworfen wird, welches geeignet ist, die Integrität der öffentlichen Verwaltung zu beeinträchtigen (vgl. zum Ganzen: VG Magdeburg, Beschl. v. 10.02.2007, 8 B 22/06).

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Den Beamten auch nur vorläufig vom Dienst zu entheben setzt voraus, dass ein Verbleiben des Beamten im Dienst schlechthin untragbar wäre. Dabei handelt es sich um die denkbar schwerste Sanktion für dienstliche Verfehlungen, welche nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts besondere Umstände voraussetzt, wie etwa ein sehr schwerwiegendes kriminelles Verhalten des Beamten.

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Ernstliche Zweifel im Sinne der gerichtlichen Prüfung nach § 61 Abs. 2 DG LSA sind etwa dann anzunehmen, wenn die Wahrscheinlichkeit, dass die Voraussetzungen der Anordnung nicht erfüllt sind, mindestens so groß ist wie die Wahrscheinlichkeit, dass die Voraussetzungen erfüllt sind (vgl. VG Münster, Beschl. v. 07.10.2009, 13 L 376/09.O mit Verweis auf OVG NRW, Beschl. v. 01.07.2005, 21 dA 896/05 und Gamsen, Disziplinarrecht in Bund und Ländern, September 2007, § 63 Rdzf. 9; juris).

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Dies beinhaltet eine vom Gericht vorzunehmende summarische Prüfung des zurzeit bekannten Sachverhaltes und die darin orientierte Wahrscheinlichkeitsprognose. Insofern ist im Aussetzungsverfahren zu prüfen, ob nach der hier gebotenen und möglichen summarischen Beurteilung die Verhängung der Höchstmaßnahme überwiegend wahrscheinlich ist (vgl. BVerwG, Besch. v. 16.07.2009, 2 AV 4.09; juris). Hinsichtlich des zur Last gelegten Dienstvergehens genügt die Feststellung, dass der Beamte dieses Dienstvergehen mit einem hinreichenden Grad an Wahrscheinlichkeit begangen hat; nicht erforderlich ist, dass das Dienstvergehen bereits in vollem Umfang nachgewiesen ist (vgl. BVerwG, Beschl. v. 29.09.1997, 2 WDB 3.97; OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 22.09.2009, 83 DB 1.09; OVG des Saarlandes, Beschl. v. 17.06.2009, 6 B 289/09; alle juris). Dabei ist auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abzustellen (BVerwG, Besch. v. 22.07.2002, 2 WDB 1.02; OVG Berlin-Brandenburg; Beschl. v. 18.08.2005, 80 SN 1.05; beide juris).

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1.) Welche Disziplinarmaßnahme im Einzelfall erforderlich ist, richtet sich gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 und 3 DG LSA nach der Schwere des Dienstvergehens und der angemessenen Berücksichtigung der Persönlichkeit des Beamten und des Umfangs der durch das Dienstvergehen herbeigeführten Vertrauensbeeinträchtigung. Demnach ist maßgebendes Bemessungskriterium für die Bestimmung der Disziplinarmaßnahme die Schwere des Dienstvergehens. Sie beurteilt sich zum einen nach der Eigenart und Bedeutung der verletzten Dienstpflichten, Dauer und Häufigkeit der Pflichtenverstöße und den Umständen der Tatbegehung (objektive Handlungsmerkmale) und zum anderen nach Form und Gewicht des Verschuldens und den Beweggründen des Beamten für sein pflichtwidriges Verhalten (subjektive Handlungsmerkmale) sowie nach den unmittelbaren Folgen der Pflichtenverstöße für den dienstlichen Betrieb und für Dritte (vgl. zu § 13 BDG, BVerwG, Urt. v. 20.04.2005, 2 C 12.04; Urt. v. 03.05.2007, 2 C 9.06; beide juris).

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a.) Aufgrund der gegen den Antragsteller erhobenen Vielzahl und immer wiederkehrenden Vorwürfe drängt sich der Eindruck auf, dass er für die Aufgaben und das Amt eines Justizobersekretärs im Justizvollzugsdienst als nicht geeignet erscheint. Die einzelnen Vorkommnisse, die aus der Sicht des Antragsgegners die Pflichtenverstöße begründen, werden von dem Antragsteller im Einzelnen und in der Gesamtheit nicht substantiiert bestritten. Vielmehr zieht der Antragsteller daraus lediglich nicht die rechtlichen Schlüsse, wie sie vom Antragsgegner gezogen werden.

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Wegen der hier insoweit vorliegenden Besonderheit stellt sich die Bedeutung und Tragweite des Verhaltens des Antragstellers und die diesbezügliche disziplinarrechtliche Ahndung als äußerst schwierig dar. Denn zum einen handelt es sich bei dem Antragsteller aufgrund der von ihm ganz offensichtlich an den Tag gelegten Verhaltensweisen und die diesbezügliche aus den dem Gericht vorliegenden in den Akten befindlichen medizinischen Unterlagen um eine Persönlichkeit, die aufgrund ihrer charakterlichen Eigenschaften nicht für die Tätigkeit in einer Justizvollzugsanstalt geeignet erscheint. Zum anderen kann und darf das Disziplinarverfahren nicht dazu genutzt werden, einen unliebsamen oder sonst wie im Umgang mit anderen Personen auffällig werdenden Beamten aus dem Dienst zu entfernen oder „kaltzustellen“. Insoweit reicht eine bloße Ungeeignetheit für die dienstlich wahrgenommene Position aufgrund der Verleihung des Beamtenstatus auf Lebenszeit nicht aus. Dass in der Vergangenheit ca. achtmal versucht wurde, eine anderweitige Verwendung des Beamten zu finden, ist dem Gericht bekannt. Soweit Verhaltensweisen gesundheitliche Ursachen haben, die die weitere Verwendung des Beamten im Beamtenverhältnis generell – also unabhängig vom Justizvollzugsdienst – nicht erlauben, ist er nach beamtenrechtlichen Vorschriften aus gesundheitlichen Gründen in den vorzeitigen Ruhestand zu versetzen. Das diesbezügliche gerichtliche Verfahren ist bei Gericht anhängig (5 A 430/09 MD). Von ganz erheblicher Bedeutung ist jedoch auch das Bestreben des Antragsgegners und der Haftanstalt aus den zweifellos verständlichen Sicherheitsaspekten heraus den Antragsteller nicht weiter in der oder einer Justizvollzugsanstalt zu beschäftigen.

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b.) Zweifellos mögen die dem Antragsteller in der Disziplinarklage vorgeworfenen Dienstpflichtverletzungen hinsichtlich des Gehorsamsverstoßes den reibungslosen Betriebsablauf in der Haftanstalt stören und stellen eine Dienstpflichtverletzung hinsichtlich des Gehorsamsverstoßes nach § 55 BG LSA (a. F.), § 35 BeamtStG dar. Gerade in einer Justizvollzugsanstalt ist die Befolgung von Weisungen und Anordnungen als Grundlage für eine effektive Erfüllung der ihr zugewiesenen Aufgaben unerlässlich. Wäre die Befolgung dienstlicher Anordnungen in das Belieben des einzelnen Beamten gestellt, wäre die Aufgabenerfüllung ernsthaft gefährdet. Die Gehorsamspflicht gehört mithin zu den Kernpflichten eines Beamten. Ein Beamter, der ungerechtfertigt die ihm obliegenden Tätigkeiten nicht ausführt, begeht eine Pflichtwidrigkeit von erheblichem Gewicht (vgl. nur: BVerwG, Urteil v. 13.12.2000, 1 D 34.98; juris).

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a. a.) Es erschließt sich dem Gericht bereits aus allgemeinen Erwägungen heraus, dass es nicht angehen kann, dass ein Justizvollzugsbeamter bezüglich von der Anstaltsleitung genau vorgegebenen Handlungsweisen im Umgang mit den Gefangenen abweicht und diesbezüglich andere, von dem Beamten selbst als wirkungsvollere Maßnahmen angesehene, Vorgehensweisen ergreift. Somit stellt der Umgang des Antragstellers mit der von den Angehörigen der Gefangenen übergebenen Wäsche zweifellos ein Dienstvergehen dar. Bezeichnend für das gesamte Persönlichkeitsbild des Beamten ist in diesen Zusammenhang, die Genauigkeit und Intensität sowie die Beharrlichkeit der Handlungsweise, womit er versucht seine eigenen „Dienstvorschriften“ durchzusetzen. So hat er sich mehrmals strikt geweigert, das vorgegebene Verfahren einzuhalten und hat die Angehörigen sogar mittels Übergabe eines von ihm gefertigten Merkblattes dazu angehalten, Pack- und Klebematerial aus einer nahegelegenen Postfiliale zu besorgen. Zudem hat der Beamte sein Verhalten gegenüber der Anstaltsleitung und anderen Kollegen trotz Belehrung durch diese verteidigt und nachhaltig untermauert. Er zeigt sich insoweit beratungs- und weisungsresistent. Es versteht sich ebenso von selbst, dass das Verhalten des Beamten nicht so weit gehen kann, dass er sogar diesbezüglich vorgesehene Einrichtungs- und Transportgegenstände in den Müll verbringen lässt.

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b. b.) Hinsichtlich des weiteren in der Disziplinarklage aufgeführten Verhaltens des Beamten, nämlich die unbeaufsichtigte Zurücklassung der Gefangenen auf dem Hof, kann eine Bewertung des Sachverhalts nicht abschließend vorgenommen werden. Zwar mag es sein, dass der Antragteller dringend auf die Toilette musste. Jedoch ist von einem verantwortungsvollen Justizvollzugsbeamten in Ausübung seiner Pflicht selbstverständlich zu erwarten, dass er frühzeitig sich um eine entsprechend Ablösung kümmert. Die diesbezüglich näheren Umstände sind jedoch aus Sicht des Gerichts noch nicht hinreichend aufgeklärt. So trägt der Antragsteller vor, dass er von der Ablösung ausgegangen sei. Andererseits ist der Aussage des Beamten auch zu entnehmen, dass er grundsätzlich von einem Freigang der Gefangenen nur von genau einer Stunde ausgeht. Demnach gilt zu vermuten, dass der Beamte es zumindest billigend in Kauf genommen hat, den Toilettengang genau nach Ablauf einer Stunde vorzunehmen, wobei er sich dann wiederum im Recht bei der von ihm interpretierten Auslegung der Dienstvorschriften sieht.

38

c. c.) Schließlich stellt sich auch die Bewertung des in der Disziplinarklage aufgeführten Pflichtenverstoßes hinsichtlich der Nichtmitwirkung bei der erneuten amtsärztlichen Untersuchung, als schwierig dar. Bestehen Zweifel über die Dienst(un)fähigkeit des Beamten, so ist dieser gemäß § 42 Abs. 1 Satz 3 BG LSA (a. F.); § 45 LBG LSA, § 26 BeamtStG verpflichtet, sich nach Weisung der Behörde amtsärztlich untersuchen zu lassen. Diese Untersuchungspflicht besteht selbst dann, wenn der Beamte sich selbst für dienstfähig hält und seinen Dienst regelmäßig verrichtet (BVerwG, Urt. v. 23.10.1980, 2 A 4.78; OVG LSA, Beschl. v. 26.06.2007, 1 M 103/07, Beschl. v. 28.01.2009, 1 M 164/08 und Beschl. v. 09.06.2009, 10 L 1/09; VG Magdeburg, Urt. v. 03.02.2009, 8 A 9/08; alle juris). Demnach ist der Beamte zur Mitwirkung bei der Überprüfung seiner Dienst(un)fähigkeit verpflichtet. Der Beamte muss seinen Teil dazu beitragen, seinem Dienstvorgesetzten die Überprüfung zu vermitteln, dass er voll dienstfähig ist (ausdrücklich: BVerwG, Urt. v. 23.10.1980, 2 A 4.78; juris). Die Mitwirkungspflicht umfasst auch die Offenlegung der gesamten Krankengeschichte mit den dazugehörigen Unterlagen. Die Weisung des Dienstherrn an den Beamten, sich wegen bestehender Zweifel an seiner Dienstfähigkeit untersuchen zu lassen, ist gesetzlich ausdrücklich vorgesehen und nicht diskriminierend. Krankheit und Zweifel an der Dienstfähigkeit begründen objektiv keinen Makel, und zwar auch dann nicht, wenn es sich um eine psychische Erkrankung handelt (vgl. hierzu: BVerwG, Besch. v. 26.09.1988, 2 B 132.88; juris). Dabei ist eine Weisung, sich amtsärztlich untersuchen zu lassen, dann gerechtfertigt, wenn sich die Zweifel des Dienstherrn an der Dienstfähigkeit des Beamten auf konkrete Umstände stützen und „nicht aus der Luft gegriffen“ sind (BVerwG, a. a. O.). Die eine Untersuchungsanordnung tragenden Zweifel des Dienstherrn können sich hierbei auch aus einer Summe von Umständen ergeben, die – je für sich gesehen – noch keinen hinreichenden Anlass zu Zweifeln im Sinne von § 42 Abs. 1 Satz 3 BG LSA (a. F.) bieten (vgl. BVerwG, Besch. v. 28.05.1984, 2 B 205.82; juris). Art und Umfang einer amtsärztlichen Untersuchung sind dabei grundsätzlich der ärztlichen Entscheidung überlassen; das Ausmaß der ärztlichen Untersuchung muss indes durch den Anlass gerechtfertigt sein (VG Gelsenkirchen, Urt. v. 25.06.2008, 1 K 3679/07; VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 07.08.2008, 4 S 1068/08; beide juris). Nur wenn dies nicht auf der Hand liegt und auch für einen Arzt nicht ohne weiteres erkennbar ist, bedarf es zudem eines entsprechenden Hinweises auf den Anlass für die dienstärztliche Untersuchung an den untersuchenden Amtsarzt (vgl. BVerwG, Urt. v. 23.10.1990, a. a. O.; OVG LSA, Beschl. v. 26.06.2007 und v. 28.01.2009, a. a. O.; juris).

39

Demnach stellt es für den Beamten eine Dienstpflicht dar, bei erheblichen Zweifeln an seiner Dienstfähigkeit der Weisung der amtsärztlichen Untersuchung nachzukommen.

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c.) Bei der (Gesamt-)Bewertung dieser Vorkommnisse in disziplinarrechtlicher Hinsicht ist davon auszugehen, dass es sich um ein einheitliches Dienstvergehen im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts handelt. Denn stets werden dem Beamten Weisungsverstöße vorgeworfen, welche Ausdruck seiner Persönlichkeit sind. Dementsprechend ist in dieser charakterlichen Grundeinstellung die („böse“) Wurzel des Dienstvergehens zu sehen (vgl. zur Einheitlichkeit des Dienstvergehens nur: BVerwG, U. v. 10.12.1991, 1 D 26.91 mit weiteren Nachweisen, U. v. 06.05.1992, 1 D 7.91 mit weiteren Nachweisen, U. v. 28.04.1981, 1 D 7.80, U. v. 14.11.2007, 1 D 6.06 , B. v. 29.07.2009, 2 B 15.09 und VG Ansbach, U. v. 20.07.2009, AN 6 b D 08.01820; ausführlich: VG Magdeburg, Urteil v. 04.11.2009, 8 A 19/08; alle juris).

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a. a.) Derzeit ist aber zumindest offen, ob diese in der Disziplinarklage aufgeführten Vorkommnisse auch unter der Annahme dienstrechtlicher Pflichtenverstöße mit der hier anzuwendenden hohen Wahrscheinlichkeit zur Entfernung aus dem Dienst führen werden. Auch unter den eingangs beschriebenen Sicherheitsaspekten einer Haftanstalt erscheint es dem Gericht bislang unentschieden, ob die Schwelle der Erheblichkeit hinsichtlich der Aussprache der Höchstmaßnahme erreicht ist. Insoweit vermag es das Gericht nicht auszuschließen, dass die beschriebenen disziplinarrechtlichen Verfehlungen des Beamten disziplinarrechtlich (noch) mit anderen Maßnahmen unterhalb der Entfernung aus dem Dienst zu ahnden wären.

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Dem kann nicht damit begegnet werden, dass der Antragsgegner in der Disziplinarklage weiter eine Pflichtverletzung durch „jahrelange permanente und massive Störung des Betriebsfriedens“ sieht und nachfolgend auszugsweise Vermerke und Berichte von diversen Vorgesetzten und Bediensteten beginnend aus dem Jahr 1996 aufführt. Ob durch die bloße Aufzählung der vielen – in der Tat erschreckenden – Vorkommnisse tatsächlich der Nachweis einer Dienstpflichtverletzung geführt werden kann, ist zweifelhaft. Denn es fehlt an der notwendigen Subsumtion unter den Pflichtentatbestand und der Auseinandersetzung mit den einzelnen Vorkommnissen und es ist mehr als zweifelhaft, ob diese lang zurückliegenden Vorkommnisse im Rahmen der nunmehr anhängigen Disziplinarklage noch herangezogen werden können. Denn insoweit könnten Verfahrensfehler und Milderungsgründe vorliegen (vgl. zu einem solchen Fall: OVG Lüneburg, Urteil vom 10.11.2009, 6 LD 1/09 m. w. Nachw.; juris).

43

Ausweislich der Unterlagen wurde unter dem 23.01.2006 ein Vorermittlungsverfahren nach § 26 DO LSA wegen der Vorkommnisse um die Wäscheannahme eingeleitet (Bl. 8 Beiakte A zu 8 A 9/09). Mit Ermittlungsbericht vom 10.04.2006 stellte die Ermittlungsführerin ein Dienstvergehen fest (Bl. 71 Beiakte A). Von der Ausdehnung der Ermittlungen auf den Vorfall vom 15.03.2006 wurde abgesehen. Soweit die Disziplinarklage auf Seite 3 zum Gang des Disziplinarverfahrens ausführt, dass der Antragsgegner sich entschieden habe, das Disziplinarverfahren auszusetzen, kann eine derartige aktenkundige Aussetzung nicht festgestellt werden. Nach § 16 Abs. 2 DO LSA konnte das Disziplinarverfahren ausgesetzt werden, wenn in einem anderen geordneten Verfahren über eine Frage zu entscheiden ist, deren Beurteilung für die Entscheidung in Disziplinarverfahren von wesentlicher Bedeutung ist. Ob diese Voraussetzungen aufgrund der vordringlich angedachten Überprüfung der beamtenrechtlichen Dienstfähigkeit gegeben sind (vgl. Blatt 10 Beiakte N), mag dahinstehen. Jedenfalls ist den Akten nicht die Entscheidung über die Aussetzung und die diesbezügliche Mitteilung gegenüber dem Beamten zu entnehmen. Dies wäre schon deswegen erforderlich gewesen, weil nach § 16 Abs. 4 DO LSA der Beamten gegen eine Aussetzung den Antrag auf gerichtliche Entscheidung darüber stellen konnte. Somit ist auch die Mitteilung des Antragsgegners vom 16.12.2008 (Bl. 95 Beiakte O) an den damaligen Bevollmächtigten des Antragstellers nicht zutreffend, dass das unterbrochene Disziplinarverfahren wieder aufgenommen und als förmliches Verfahren vor dem Verwaltungsgericht Magdeburg weitergeführt wird. Das im Januar 2006 unter der DO LSA eingeleitete Disziplinarverfahren war nicht (förmlich) unterbrochen und wurde nach § 81 Abs. 3 und 4 DG LSA ab dem 01.07.2006 nach dem DG LSA fortgeführt. Welche Konsequenzen daraus aufgrund des disziplinarrechtlichen Beschleunigungsgebotes (§ 4 DG LSA) und des Maßnahmeverbotes nach § 15 DG LSA i. V. der Verjährung nach § 4 DO LSA zu ziehen sind, mag noch offen bleiben.

44

Ausweislich der Verfügung vom 16.12.2008 (Bl. 92 Beiakte O) und des Schreibens an den damaligen Bevollmächtigten des Beamten vom gleiche Tage sowie vom 13.02.2009 (Bl. 40 Beiakte M) kann wohl die Erweiterung (§ 19 DG LSA) und Unterrichtung (§ 20 DG LSA) bezüglich der Vorkommnisse zum „Freigang“, wegen der „Nichtbefolgung zur Vorstellung beim Arzt“ und auch wegen der „Störung des Betreibfriedens“ angenommen werden.

45

b. b.) Zudem – und dies ist ganz entscheidend – sind dem Antragsgegner die allein in der Persönlichkeit des Beamten begründeten Schwierigkeiten seit jeher bekannt. So kam es aufgrund des problematischen Umgangs mit dem Antragsteller bereits zu einer Verlängerung seiner Probezeit und schließlich führte das im Jahr 2002 erstellte amtsärztliche Gutachten zu dem Ergebnis, dass der Beamte dienstfähig ist. Der Antragsgegner stellte am 22.08.2002 (Bl. 248 Beiakte R) fest, dass „die Befähigung für die Laufbahn des allgemeinen mittleren Justizvollzugsdienstes in gesundheitlicher Hinsicht vorliegt“. Aus Sicht der psychiatrischen Begutachtung gebe es keine Einwände bezügliche einer Weiterbeschäftigung bei der Justizvollzugsanstalt in H. Der Bedienstete zeige keine psychopathologischen Veränderungen, die auf eine Dienstunfähigkeit hinweisen. Es wurde weiter verfügt, das anhängige – hier nicht einschlägige - Disziplinarverfahren vom 30.11.2001 fortzusetzen und zum Abschluss zu bringen. So ergibt sich aus einer Verfügung des Antragsgegners vom 26.03.2003 (Bl. 291 Beiakte R), dass bereits zur Hälfte der Probezeit erste Mängel in der Dienstdurchführung des Bediensteten bekannt geworden seien. So werde dem Bediensteten eine ungenügend ausgebildete Kompromissbereitschaft und insbesondere eine fehlende Teamfähigkeit bescheinigt. Ebenso habe der Beamte das erforderliche Fingerspitzengefühl im Umgang mit Gefangenen vermissen lassen. Aus Fürsorgegründen sei der Beamte in der Vergangenheit immer wieder an andere Justizvollzugsanstalten abgeordnet worden. Auch die Disziplinarklage enthält diesbezügliche Ausführungen.

46

Demnach ist festzustellen, dass dem Dienstherrn die wesentlichen charakterlichen und persönlichkeitsbedingten Wesensmerkmale des Beamten bereits während der Probezeit bekannt waren und sogar zu einer Verlängerung der Probezeit geführt haben. Dabei fällt die identische damalige Wortwahl mit derjenigen der Disziplinarverfügung auf. Dementsprechend ist dem Antragsgegner vorzuhalten, dass er sich nicht frühzeitig aufgrund der zu Tage tretenden Probleme im Umgang mit dem Beamten von diesem getrennt hat. Denn genau dazu dient die beamtenrechtliche Probezeit. Gänzlich neue oder andersartige Erkenntnisse über die persönlichkeitsbedingten Verhaltensweisen des Antragstellers nach seiner Ernennung als Beamter auf Lebenszeit sind den Akten nicht als hinreichende Erkenntnisgrundlage zu entnehmen. Stattdessen hat der Beamte seine Verhaltensweisen (nur) weiter „ausgelebt“.

47

Soweit der Anstaltsleiter der JVA H. mit Schreiben vom 25.09.2002 darauf hinweist, dass aufgrund der Übergabe von Unterlagen durch den Antragsteller an die Gutachterin bei dem Gesundheits- und Veterinäramt der Landeshauptstadt A-Stadt davon auszugehen sei, dass er bereits in den 80er Jahren psychologische Behandlungen und Therapien durchgeführt habe, welche er jedoch bei seiner Einstellung in den Justizvollzugsdienst nicht angegeben habe, sodass bei Kenntnis dieser Unterlagen eine Einstellung nicht vorgenommen worden wäre, vermag auch dies keinen hinreichenden Grund für eine disziplinarrechtliche Entfernung aus dem Dienst liefern. Zudem steht dem Anstaltsleiter mangels hinreichender fachlicher Kenntnisse eine derartige Einschätzung nicht zu. Soweit der Dienstherr von Falschangaben bei der Einstellung ausgeht, müsste ein entsprechendes Verfahren zur Rücknahme der beamtenrechtlichen Ernennung geprüft und eingeleitet werden.

48

Jedenfalls – und darauf legt das Gericht wert – ist vorliegend äußerst zweifelhaft, ob sich die charakterlichen und persönlichkeitsbedingten Verhaltensweisen des Antragstellers eben tatsächlich erst nach der Probezeit und damit der Prognose für die Bewährung als Beamter auf Lebenszeit , gezeigt haben. Die Aktenlage spricht vielmehr dafür, dass diese Probleme mit dem Beamten bereits frühzeitig und während der Probezeit eingetreten sind. Ob eine Veränderung, d. h. Verschlimmerung dieser persönlichkeitsbedingten Verhaltensweisen im Sinne einer Dienstunfähigkeit bei dem Beamten vorliegen, obliegt der Prüfung in dem beamtenrechtlichen Verfahren 5 A 430/09 MD.

49

2.) Aufgrund der vorstehenden detaillierten Ausführungen ist die Disziplinarkammer jedoch der Auffassung, dass die vorläufige Dienstenthebung nach § 38 Abs. 1 Satz 2 DG gerechtfertigt ist. Denn durch das Verbleiben des Antragstellers im Dienst ist der Dienstbetrieb in der Haftanstalt wesentlich beeinträchtigt und die vorläufige Dienstenthebung steht zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Disziplinarmaßnahme nicht außer Verhältnis. Dies hat der Antragsgegner ohne Rechtfehler erkannt und ausgeführt.

50

Der gesetzliche Zweck der Ermessensbefugnis in § 38 Abs. 1 Satz 2 DG LSA ergibt sich daraus, dass die vorläufige Dienstenthebung eines Beamten im Zusammenhang mit einem gegen ihn eingeleiteten Disziplinarverfahren dazu dient, einen Zustand, der endgültig erst aufgrund eines einen längeren Zeitraum beanspruchenden förmlichen Verfahrens geregelt wird, vorübergehend zu ordnen, um dadurch Nachteile und Gefahren - insbesondere für das gemeine Wohl - abzuwehren und zu verhindern, dass vollendete Tatsachen geschaffen werden, bevor die Entscheidung im gerichtlichen Disziplinarverfahren rechtskräftig getroffen und damit - im Falle einer Verurteilung - die Unschuldsvermutung (vgl. Art. 6 Abs. 2 EMRK und hierzu BVerwG, Urteil vom 12. Februar 2003, 2 WD 8.02; Beschluss vom 15. November 2006, 2 WDB 5.06; juris) widerlegt ist (BVerwG, Beschluss vom 07.12.2006, 2 WDB 3.06; Beschluss vom 16.07.2009, 2 AV 4.09; beide juris). Eine solche vorläufige Maßnahme, die in grundrechtlich geschützte Rechtspositionen des Beamten eingreift, bedarf aus verfassungsrechtlichen Gründen eines besonderen sie rechtfertigenden Grundes. Sie muss im Rahmen des gemeinen Wohls geboten sein und zudem - im Hinblick auf die Grenzen der gesetzlichen Ermächtigung - dem Verfassungsgebot der Verhältnismäßigkeit genügen (BVerwG, Beschluss vom 07. Dezember 2006, a. a. O.). Ein rechtfertigender besonderer Grund im dargelegten Sinne ist nur dann gegeben, wenn ohne die angegriffene Anordnung der Dienstbetrieb durch den von dem gerichtlichen Disziplinarverfahren Betroffenen empfindlich gestört oder in besonderem Maße gefährdet würde (BVerwG, Beschluss vom 07. Dezember 2006, a. a. O.). Bei der Beurteilung dessen, ob ohne die angegriffene Anordnung der Dienstbetrieb empfindlich gestört oder in besonderem Maße gefährdet würde, steht dem Antragsgegner innerhalb des dargelegten rechtlichen Rahmens ein Beurteilungsspielraum zu (vgl. zum Ganzen nur: Nieders. OVG, Beschluss vom 12.02.2008, 19 ZD 11/07 m. w. Nachw.; juris).

51

Hiervon ausgehend ist mehr als erkennbar, dass bei einem Verbleib des Antragstellers in seiner gegenwärtigen und auch in jeder anderen Verwendung innerhalb seiner Laufbahn im Justizvollzugdienst mit einer empfindlichen Störung oder in besonderem Maße mit einer Gefährdung des Dienstbetriebs zu rechnen ist. Dies ergibt sich schon daraus, dass auf Grund eines offenbar gegenseitig belasteten Verhältnisses zwischen dem Antragsteller sowie den Bediensteten in der Haftanstalt ein gedeihliches Miteinander nicht mehr möglich ist. Das Gericht ist der Überzeugung und schließt sich der Beurteilung des Antragsgegners an, dass eine erneute Aufnahme der Diensttätigkeit durch den Antragsteller zu untragbaren Zuständen in der Justizvollzugsanstalt führen würde. Denn die Art des Dienstvergehens gibt begründeten Anlass zu der Annahme, die tägliche Dienstverrichtung werde vom Antragsteller dazu benutzt, um die Unbegründetheit der Anschuldigungen zu belegen und seine Sicht der Dinge darzustellen. Demnach ist die vorläufige Dienstenthebung notwendig um das „Streitpotential“ aus dem Dienstbetrieb der Justizvollzugsanstalt fernzuhalten. Daher steht die vorläufige Dienstenthebung zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Disziplinarmaßnahme – wie immer die ausfallen wird – auch nicht außer Verhältnis.

52

3.) Wegen der vom Disziplinargericht nicht geteilten Prognoseentscheidung hinsichtlich der voraussichtlichen Entfernung aus dem Beamtenverhältnis, sind die tatbestandlichen Voraussetzungen der Einbehaltung der Dienstbezüge nach § 38 Abs. 2 DG LSA ebenso nicht gegeben. Diese ist aufzuheben.

53

4.) Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 72 Abs. 4 DG LSA i. V. m. § 155 Abs. 1 VwGO. Die Gerichtsgebührenfreiheit folgt aus § 73 Abs. 1 DG LSA.


Gründe

I.

1

Der Antragsteller ist Ortsbürgermeister der Ortschaft K… und wendet sich gegen die ihm gegenüber vom Antragsgegner mit Bescheid vom 05.06.2013 Ausgesprochene vorläufige Dienstenthebung nach § 38 Abs. 1 Disziplinargesetz Sachsen-Anhalt (DG LSA).

2

Zur Begründung führt der Antragsgegner aus, dass der Antragsteller gegen seine beamtenrechtliche Verfassungstreuepflicht nach § 33 Abs. 1 Satz 3 Beamtenstatusgesetz (BeamtStG) und seine Wohlverhaltenspflicht nach § 34 Satz 3 BeamtStG verstoßen und damit ein schwerwiegendes Dienstvergehen begangen habe, welches voraussichtlich zur Entfernung aus dem Dienst führen werde. Der Antragsteller habe auf seiner Internetseite www.hans-pueschel.de in zahlreichen Artikeln gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung verstoßen. Dazu führt die Verfügung aus:

3

a)      Sie haben bei mehreren Gelegenheiten, so unter anderem in einer Antwort auf eine Lesermeinung am 30.10.2012 geäußert:

„Wenn der § 130 gegen Lügen und Volksverhetzung gerichtet ist,

4

warum werden dann nicht endlich die Großlügner mit den „4 Millionen
in Auschwitz Vergasten“ vor Gericht gestellt? Das ist doch, was
Größe und Umfang betrifft, die allergrößte Lüge, die mir in meinem
bisherigen Leben erst jahrzehntelang um die Ohren gehauen und nun stillschweigend mit Erwähnung in der Kleingartenzeitung Hinterkleckersdorf beerdigt worden ist.“

5

Ferner schrieben Sie am 16.03.2012 in einem von Ihnen unter dem Titel „Holocaustleugnung ist Menschenrecht“ eingeleiteten Diskussionsforum unter anderem.

6

„...Zu den Todesmärschen: Warum blieben dann laut Wikipedia 7000 Insassen von Auschwitz zurück. Haben die sich’s also doch aussuchen können. Waren übrigens Frauen und Kinder dabei. Sehen sogar gut genährt aus - zumindest auf dem Foto. Muss also doch mindestens Ausnahmen von der Rampen-Sortiererei gegeben haben. ...“

7

Am 14.11.2012 schrieben Sie dann unter dem auf Ihrer o. g. Internetseite angelegten Themen-Link „Politik“ zum Thema „Auschwitz, Majdanek - wann platzt die nächste Lüge?“ unter Bezugnahme auf die in nationalsozialistischen Konzentrationslagern verübten Ermordungen dort Inhaftierter:

8

„...Für mich steht fest: Die seit der Kindheit gelernten deutschen Verbrechen sind Lügen!...“

9

Am 07.12.2012 schrieben Sie in einem von Ihnen verfassten Gedicht mit dem Titel „Deutscher Mythos“ unter anderem:

10

„...Der Mythos ist zum Gruseln gut nicht für’s reale Leben....

11

Der Holocaust taugt nicht als Ziel der Seel’ bei klarem Lichte.

12

Wir hab’n der besseren Mythen viel aus tausend Jahr’n Geschichte.
Uns dort zu gründen, bringt uns Heil und Zukunft dem deutschen Volke!

13

Die böse Mär auf’s Altenteil, fort mit der düstren Wolke!“

14

Wegen der drei letztgenannten Äußerungen hat die Staatsanwaltschaft C-Stadt am 26.01.2013 Anklage wegen Volksverhetzung gegen Sie erhoben.

15

b)      Bereits im Jahr 2010 hatten Sie in der MZ einen Leserbrief veröffentlicht, in dem Sie die undemokratische und verfassungsfeindliche Ausrichtung der NPD in Frage stellten. Konkret äußerten Sie:

16

„NPD und DVU - wie undemokratisch sind sie? Wenn ich die 20 Jahre meiner Tätigkeit als Bürgermeister und Kommunalpolitiker rekapituliere, dann muss ich feststellen, dass unsere Demokratie wohl mehr Bürokratie geworden ist, nur noch ein formaler Ablauf.

17

Ich denke, wenn die (nur noch formale) Demokratie die existenziellen Probleme der Menschen und des Landes nicht löst, dann müssen es ja diejenigen versuchen, die eine vielleicht etwas andere Demokratie bzw. Volksherrschaft installieren wollen.“

18

Am 27.11.2012 schrieben Sie unter dem auf seiner o. g. Internetseite angelegten Themen-Link „Politik“ zum Thema „B… und die NPD“.

19

„...Ich habe mich zeitlebens als Deutscher gefühlt, also national gedacht, und demokratisch gehandelt. Kann es denn da einer Alternative geben zu den Nationaldemokraten?...“

20

c)      Abgesehen davon erklärten Sie am 11.11.2012 unter dem auf Ihrer o. g. Internetseite angelegten Themen-Link „Politik“ zum Thema „Rathenau, Battke und die Rache der Sieger“ unter anderem, die Rathenau-Mörder Kern und Fischer haben „...nicht den Juden Rathenau umgebracht sondern den in ihren Augen Vaterlandsverräter Rathenau...“ und „...Nur die Mörder um Stauffenberg passen in unsre Sieger-Sicht auf das Deutsche Reich und wurden zu Helden im Gegensatz zu Fischer, Fern und von Salomon....“

21


Auch haben Sie nach eigener Aussage an den Gedenkfeiern für die Rathenau-Mörder Fischer und Kern auf Burg Saaleck teilgenommen „denn für die letzten Gedenkfeiern kann ich verbürgen, dass Fischer und Kern immer mit ihrem Einsatz durch Attentat und Sterben für Deutschland und nicht der eventuelle unterschwellige Antisemitismus im Vordergrund standen.

22

2) im November 2011 antworteten Sie auf die Anfrage des NPD-Landesvorsitzenden  Herr H..., ob das Bürgerhaus von K… für die am 11. März 2011 geplante Wahlkampfabschlussveranstaltung der NPD genutzt werden könne per E-Mail unter anderem:

23

„Jo mai, döes oan Ding!

24

Dafür würde es sich wohl lohnen, noch eine Weile Ortsbürgermeister zu bleiben,  Herr H... . Den wollte ich aus bekannten Gründen nur zum Übergang ausüben.

...

25

Es wird in den nächsten Tagen abgeklärt, wie der Übergang und weitere Verfahrensablauf in 2011 wird. Wenn es gelingt, die Betreuung/Belegung der Dorfgemeinschaftshäuser bei den Ortsbürgermeistern zu belassen, die dann also die Nutzungsverträge unterschreiben, wäre es also durchaus denkbar, die Veranstaltung durchzuführen. ich würde noch übers erste Quartal weiter amtieren, wobei offen bleibt, inwieweit dann der Bürgermeister mit seiner Verwaltung sich quer legen, hineinagieren könnte/wollte.

26

Es müsste also ein Ausweichquartier im Hintergrund sein bzw. offiziell ein anderer Ort avisiert und erst am letzten Tag umgeschwenkt werden, so dass dann keine Verwaltung mehr großartig reagieren kann - siehe Polizei … ...bzw. Vertrag ist dann Vertrag.

27

Mfg hansPüschel“

28

3) Zur Landtagwahl 2011 traten Sie als Direktkandidat der NPD im Wahlkreis …an. Darüber verdeutlichte sich ihre Nähe zur NPD durch Referententätigkeit bei zahlreichen Veranstaltungen der NPD bzw. ihrer nahestehenden Organisationen. So traten Sie beispielsweise im Januar 2011 bei der Kommunalpolitischen Vereinigung der NPD als Referent auf. Im Juni 2011 traten Sie als Gastredner einer Veranstaltung der NPD-nahen Stiftung „Bildungswerk für Heimat und nationale Identität“ auf.“

29

Die Prognoseentscheidung nach § 38 Abs. 1 Satz 1 DG LSA ergebe, dass das Disziplinarverfahren voraussichtlich mit der Entfernung des Antragstellers aus dem Dienst ende.

30

Die Leugnung des nationalsozialistischen Massenmordes an europäischen Juden in Gaskammern deutscher Konzentrationslager verharmlose und verherrliche den Nationalsozialismus und sei unvereinbar mit der Pflicht des Beamten, aktiv für die geltende Verfassungsordnung einzutreten. Der Antragsteller verbreite die sog. „Ausschwitz-Lüge“, was ein schwerwiegendes Dienstvergehen darstelle.

31

Daneben stelle der Antragsteller die undemokratische und verfassungsfeindliche Ausrichtung der NPD sowie das Vorhandensein einer tatsächlichen Demokratie in Deutschland in Frage. Gleichzeitig zeige er die Errichtung einer „anderen Demokratie“ bzw. „Volksherrschaft“ unter Führung nationaldemokratischer Kräfte als erstrebenswertes Ziel auf. Diese von dem Antragsteller demonstrierte und durch Äußerungen kundgetane Haltung widerspreche dem von einem Beamten verlangten Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes und dem Willen, für deren Erhalt einzutreten. Ähnlich seien die Äußerungen des Antragstellers zur Motivation der Ermordung Walter Rathenaus und der vom Antragsteller gezogene Vergleich zu den Attentätern um Graf Schenk von Stauffenberg zu sehen. Auch insoweit würden zentrale Themen rechtsradikaler Ideologie aufgegriffen und verbreitet, was im Widerspruch zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung stehe. Der Antragsteller leugne einen antisemitischen Bezug bei der Ermordung Walter Rathenaus im Jahre 1922 und bestreite zudem ein Mordmotiv der Täter.

32

In der disziplinarrechtlichen Rechtsprechung sei zwar keine Regelvermutung zur Ahndung derartiger Dienstpflichtverletzungen erkennbar. Denn die Handlungsbreite, die in der Verletzung der politischen Treuepflicht im Dienst denkbar seien, sei zu groß, als dass eine einheitliche Maßnahme erkennbar sei. Trotzdem seien die dargelegten Äußerungen sämtlich als schwerwiegende Dienstvergehen nach § 33 Abs. 1 Satz 3 BeamtStG anzusehen. Auch wenn im Fall einer einzelnen derartigen Äußerung nicht zwingend mit einer unmittelbaren Entfernung aus dem Dienst zu rechnen wäre, vermag vorliegend die Vielzahl und Häufigkeit der Dienstpflichtverletzungen eine solche Entscheidung im Ergebnis des Disziplinarverfahrens gleichwohl erwarten lassen. Die E-Mail an den NPD-Landesvorsitzenden lasse das Ansinnen erkennen, das Amt des Ortsbürgermeisters missbräuchlich zu nutzen, denn es entstehe der Eindruck, dass der Antragsteller das Amt nur noch bekleide um Zugriff auf Einrichtungen wie das Bürgerhaus der Ortschaft zu haben und um diese für die Zwecke verfassungsfeindlicher Organisationen zur Verfügung zu stellen. Zwar bestreite der Antragsteller die Urheberschaft der E-Mail. Dies sei jedoch als Schutzbehauptung zu werten.

33

Zudem werde die vorläufige Dienstenthebung auf § 38 Abs. 1 Satz 2 DG LSA gestützt. Durch ein Verbleiben des Antragstellers im Dienst werde der Dienstbetrieb wesentlich beeinträchtigt. Denn die Funktion des Ortsbürgermeisters beschränke sich im Wesentlichen auf die Repräsentation der Ortschaft. Die dienstliche Funktion bestehe daher in der Achtung, Wertschätzung und dem Respekt, die seiner Person sowohl von seinem Dienstherrn als auch von der Öffentlichkeit entgegengebracht werde. Diese Achtung und damit das Ansehen der Person seien beeinträchtigt, wenn der Beamte ein Verhalten zeige, das Zweifel an seiner Integrität begründe. Dies sei vorliegend gegeben. Zudem seien die Auswirkungen auf den Dienstbetrieb zu befürchten, weil aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte mit einer Fortsetzung der Begehung des Dienstvergehens zu rechnen sei. Der Antragsteller habe sich auch durch die Anklageerhebung wegen Volksverhetzung nicht daran hindern lassen, seine Äußerungen weiter zu vertreten.

34

Die schwerwiegende und unmittelbare Gefährdung des Gemeinwohls rechtfertige die vorläufige Dienstenthebung. Sie widerspreche nicht der dienstrechtlichen Fürsorgepflicht gegenüber dem Antragsteller und sei verhältnismäßig. Dies gelte auch unter der Berücksichtigung, dass der Antragsteller sein Beamtenverhältnis auf einem Wahlmandat begründet. Diese demokratische Legitimation dürfe nicht ohne Weiteres übergangen werden. Jedoch stehe dem der hohe Rang der Verfassungstreuepflicht gegenüber. Ein Ortsbürgermeister, der dies nicht realisiere, gebe ein negatives Beispiel mangelnder Rechtstreue und erschüttere damit das Vertrauen der Bürger in eine rechtsstaatliche Verwaltung. Schließlich stelle das Verhalten des Antragstellers einen Verstoß gegen die Pflicht zu Achtung und Wohlverhalten dar.

35

Der Antragsteller hält die Verfügung mangels Zuständigkeit des Antragsgegners bereits für formell rechtswidrig, sieht das Vertrauensverhältnis zu ihm nicht als zerstört an und beantragt,

36

die vorläufige Dienstenthebung aufzuheben.

37

Der Antragsgegner beantragt,

38

den Antrag abzulehnen

39

und verteidigt die vorläufige Dienstenthebung.

40

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und den beigezogenen Verwaltungsvorgang verwiesen.

II.

41

Der zulässige Antrag nach § 61 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. Abs. 2 DG LSA ist unbegründet.

42

Die nach § 61 Abs. 2 DG LSA vom Disziplinargericht vorzunehmende Prüfung ergibt, dass die auf § 38 Abs. 1 Satz 1 sowie Satz 2 DG LSA gestützte vorläufige Dienstenthebung nicht aufzuheben ist. Ernstliche Zweifel an ihrer Rechtmäßigkeit bestehen nicht. Sie lässt sich jedenfalls auf § 38 Abs. 1 Satz 1 DG LSA stützen, so dass sich ein Eingehen auf die Voraussetzungen nach § 38 Abs. 1 Satz 2 DG LSA erübrigt (vgl. zu dieser Prüfungsfolge: VG Ansbach, Beschluss v. 04.04.2008, AN 13b DS 08.00224; juris).

43

1.) Entgegen der Ansicht des Antragstellers ist die vorläufige Dienstenthebung nicht bereits formell rechtswidrig. Eines Verfahrens nach § 144 Gemeindeordnung Sachsen-Anhalt (GO LSA) bedarf es nicht. Denn vorliegend bedient sich der Antragsgegner des Disziplinarrechts. Als Ortsbürgermeister ist der Antragsteller Ehrenbeamter und unterliegt den beamten- und disziplinarrechtlichen Regelungen und damit auch der Disziplinargewalt des Dienstherrn (§ 5 BeamtStG; § 6 Landesbeamtengesetz Sachsen-Anhalt – LBG; § 57, § 88 Abs. 1 Satz 3 GO LSA; § 1 Abs. 1 DG LSA; Zur Disziplinargewalt über Ehrenbeamte: VG Magdeburg, Urteil v. 01.12.2011, 8 A 18/10; OVG Rheinl.-Pfalz, Beschluss v. 04.03.2013, 3 A 10105/13 beide juris).

44

Die Suspendierungsverfügung wurde nach Einleitung des Disziplinarverfahrens und der Bekanntgabe der disziplinarrechtlichen Vorwürfe dem Antragsteller gegenüber vom Antragsgegner als in diesem speziellen Fall zuständigen Dienstvorgesetzten und obersten Dienstbehörde nach den §§ 76 Abs. 4 und 5 Nr. 8 i. V. m 34 Abs. 2 und 38 Abs. 1 DG LSA erlassen. Der Bürgermeister von … ist nach § 63 Abs. 5 GO LSA Vorgesetzter, Dienstvorgesetzter, höherer Dienstvorgesetzter und oberste Dienstbehörde des Antragstellers in seiner Funktion als Ortsbürgermeister von …. Nachdem der Bürgermeister mitteilte, dass er und seine Verwaltung mit der Durchführung eines derartigen Disziplinarverfahrens gegen dem Antragsteller überfordert sei, nahm der Landrat des  B... die Disziplinarverfolgung gegen den Antragsteller gem. § 17 Abs. 1 i. V. m. § 76 Abs. 2 Satz 1 2. Alternative DG LSA auf. Der Bürgermeister erklärte sich mit dieser Vorgehensweise einverstanden und verzichtete auf die Einlegung eines Rechtsbehelfes (§ 76 Abs. 6 DG LSA). Nachdem der Antragsteller von seinem Äußerungsrecht Gebrauch machte, erließ der Landrat des  B... unter dem 08.05.2013 die in dem bei Gericht anhängigen Parallelverfahren 8 B 11/13 streitgegenständliche Verfügung zur vorläufigen Dienstenthebung. Nachdem die Fehlerhaftigkeit dieser Verfügung aufgrund fehlender Zuständigkeit erkannt wurde, erließ der Antragsgegner die hier streitbefangene Verfügung vom 05.06.2013 zur vorläufigen Dienstenthebung und ersetzte die Verfügung des B… vom 08.05.2013. Dabei ist die rechtliche Problematik der „Ersetzung“ der Verfügung des  B... in diesem gerichtlichen Verfahren nicht streitgegenständlich zu führen. Denn diese Überprüfung wird in dem gerichtlichen Verfahren 8 B 11/13 vorgenommen. Dort hat der Landrat des  B... nunmehr die Verfügung aufgehoben.

45

2.) Nach § 38 Abs. 1 Satz 1 DG LSA kann die für die Erhebung der Disziplinarklage zuständige Behörde einen Beamten gleichzeitig mit oder nach der Einleitung des Disziplinarverfahrens vorläufig des Dienstes entheben, wenn im Disziplinarverfahren voraussichtlich auf Entfernung aus dem Beamtenverhältnis erkannt wird. Ferner kann die vorläufige Dienstenthebung ausgesprochen werden, wenn durch ein Verbleiben des Beamten im Dienst der Dienstbetrieb oder die Ermittlungen wesentlich beeinträchtigt würden und die vorläufige Dienstenthebung nicht unverhältnismäßig ist (§ 38 Abs. 1 Satz 2 DG LSA). Der Antragsgegner stützt sich erkennbar mit selbständigen Begründungen auf beide Voraussetzungen.

46

Bei der Anordnung der Suspendierung handelt es sich nicht um eine Disziplinarmaßnahme (OVG LSA, B. v. 07.05.2010, 10 M 2/10; juris). Ihre Berechtigung ergibt sich aus dem funktionalen Bedürfnis, noch vor der endgültigen Klärung des Vorliegens eines Dienstvergehens und der abschließenden Entscheidung über die angemessene Maßregelung des Beamten eine den Verwaltungsaufgaben und dem Dienstbetrieb dienende vorübergehende Sicherungsregel zu treffen.

47

Die auf § 38 Abs. 1 DG LSA gestützte Verfügung über die vorläufige Dienstenthebung muss pflichtgemäßem Ermessen der Einleitungsbehörde entsprechen. Den Beamten auch nur vorläufig vom Dienst zu entheben, setzt voraus, dass ein Verbleiben des Beamten im Dienst schlechthin untragbar wäre. Dabei handelt es sich um die denkbar schwerste Sanktion für dienstliche Verfehlungen, welche nach der Rechtsprechung besondere Umstände voraussetzt. Für die konkrete Entscheidung im Einzelfall sind grundsätzlich das dienstliche Bedürfnis an der einstweiligen Fernhaltung des Beschuldigten vom Dienst und dessen Recht auf amtsentsprechende dienstliche Beschäftigung abzuwägen (vgl. dazu: Köhler/Ratz, BDO, 2. Aufl., § 91 Rz. 10: vgl. zum Ganzen: VG Magdeburg, Beschl. v. 10.02.2007, 8 B 22/06; Beschl. v. 03.03.2010, 8 B 21/09; zuletzt: Beschl. v. 15.07.2013, 8 B 10/13; OVG Lüneburg, Beschluss v. 25.03.2013, 19 ZD 4/13; alle juris).

48

a.) Nach § 61 Abs. 2 DG LSA ist die vorläufige Dienstenthebung dann aufzuheben, wenn ernstliche Zweifel an ihrer Rechtmäßigkeit bestehen. Ernstliche Zweifel sind schon dann anzunehmen, wenn im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts offen ist, ob die Anordnung nach § 38 Abs. 1 DG LSA rechtmäßig oder rechtswidrig ist (vgl. nur: Bay. VGH, Beschl. v. 11.04.2012, 16b DC 11.985; OVG Lüneburg Beschluss vom 13.5.2005, 3 ZD 1/05; alle juris). Neben der formellen Rechtmäßigkeit der Anordnung ist somit zu prüfen, ob die in der Anordnung liegende Prognose gerechtfertigt ist, der Beamte werde im Disziplinarverfahren voraussichtlich aus dem Dienst entfernt werden.

49

Diese Prognose trägt nur dann, wenn nach dem Kenntnisstand eines Eilverfahrens die Möglichkeit des Ausspruchs der disziplinarrechtlichen Höchstmaßnahme überwiegend wahrscheinlich ist. Ist es dagegen zumindest ebenso wahrscheinlich, dass eine Entfernung des Beamten aus dem Beamtenverhältnis im Disziplinarverfahren nicht erfolgen wird, sind ernstliche Zweifel durch das Gericht zu bejahen (BVerwG, Besch. v. 16.07.2009, 2 AV 4.09; BayVGH, Beschl. v. 20.04.2011, 16b DS 10.1120; Sächs. OVG, B. 19.08.2010, D 6 B115/10 mit Verweis auf Beschluss vom 08.07.2010, D6A116/10; alle juris; Müller, Grundzüge des Beamtendisziplinarrechts, § 38 Abs. 1 BDG, 2010, Rz. 370 m. w. N.; GKÖD, Disziplinarrecht des Bundes und der Länder, § 38 BDG, Rz. 51). Anders gewendet, es müssen hinreichend gewichtige Gründe dafür sprechen, dass die Entfernung aus dem Dienst im Ergebnis des – noch durchzuführenden - Disziplinarverfahrens nicht in Betracht kommt. Dies beinhaltet eine vom Gericht vorzunehmende summarische Prüfung des zurzeit bekannten Sachverhaltes und eine daran orientierte Wahrscheinlichkeitsprognose. Hinsichtlich des zur Last gelegten Dienstvergehens genügt die Feststellung, dass der Beamte dieses Dienstvergehen mit einem hinreichenden Grad an Wahrscheinlichkeit begangen hat; nicht erforderlich ist, dass das Dienstvergehen bereits in vollem Umfang nachgewiesen ist (vgl. BVerwG, Beschl. v. 29.09.1997, 2 WDB 3.97; OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 22.09.2009, 83 DB 1.09; OVG des Saarlandes, Beschl. v. 17.06.2009, 6 B 289/09; alle juris).

50

Die Beurteilung im Verfahren nach § 61 DG LSA erfordert keine gesonderten Beweiserhebungen, sondern ist in der Lage, in der sich das Disziplinarverfahren jeweils befindet, anhand der bis dahin zu Tage getretenen Tatsachen zu treffen. Für eine vorläufige Dienstenthebung können u. U. selbst durch Aktenvermerke untermauerte Erkenntnisse ausreichen (vgl. Müller a. a. O.). Dabei ist auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abzustellen (BVerwG, Beschl. v. 22.07.2002, 2 WDB 1.02; OVG Berlin-Brandenburg; Beschl. v. 18.08.2005, 80 SN 1.05; Bay VGH, Beschl. v. 11.04.2012, 16b DCV 11.985; alle juris). Jedoch muss für die gerichtliche Überprüfung der vorläufigen Dienstenthebung maßgeblich auf die von dem Dienstherrn in dem Bescheid herangezogenen Gründe der Pflichtenverletzung abgestellt werden. Ähnlich wie bei der Bestimmtheit des Tatvorwurfs als inhaltliche Anforderung an die - spätere – Disziplinarklageschrift, müssen die Sachverhalte, aus denen das Dienstvergehen hergeleitet wird, aus sich heraus verständlich und nachvollziehbar geschildert werden. Ort und Zeit der einzelnen Handlungen müssen möglichst genau angegeben, die Geschehensabläufe nachvollziehbar beschrieben werden (vgl. nur: BVerwG, Urteile v. 23.11.2006, 1 D 1.06, v. 25.01.2007, 2 A 3.05; Beschlüsse v. 13.03.2006, 1 D 3.06, v. 18.11.2008, 2 B 63.08 und v. 21.04.2010, 2 B 101.09; alle juris). Nur diese können durch das Disziplinargericht im Rahmen der Würdigung durch Akteninhalte und sonstige – evtl. auch später, im Laufe des Verfahrens nach § 61 DG LSA hinzutretende - Erkenntnisse untermauert werden, um so die Prognoseentscheidung, das heißt die Ausübung des ordnungsgemäßen Ermessens durch den Dienstherrn, zu überprüfen (VG Magdeburg, Beschl. v. 15.07.2013, 8 B 10/13, juris). Hingegen ist es dem Disziplinargericht verwehrt, anstelle der Disziplinarbehörde eine eigene Ermessenserwägung anzustellen (OVG Saarland, Beschluss v. 18.05.2011, 6 B 211/11; juris).

51

b.) Welche Disziplinarmaßnahme im Einzelfall erforderlich ist, richtet sich gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 und 3 DG LSA nach der Schwere des Dienstvergehens und des unter Berücksichtigung der Persönlichkeit des Beamten eingetretenen Umfangs der durch das Dienstvergehen herbeigeführten Vertrauensbeeinträchtigung. § 13 Abs. 2 DG LSA bestimmt, dass ein Beamter, der durch ein schweres Dienstvergehen das Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit endgültig verloren hat, aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen ist (Satz 1). Die Feststellung des verloren gegangenen Vertrauens ist verwaltungsgerichtlich voll inhaltlich nachprüfbar (Satz 2).

52

Demnach ist maßgebendes Bemessungskriterium für die Bestimmung der - späteren - Disziplinarmaßnahme die Schwere des Dienstvergehens. Sie beurteilt sich zum einen nach der Eigenart und Bedeutung der verletzten Dienstpflichten, Dauer und Häufigkeit der Pflichtenverstöße und den Umständen der Tatbegehung (objektive Handlungsmerkmale) und zum anderen nach Form und Gewicht des Verschuldens und den Beweggründen des Beamten für sein pflichtwidriges Verhalten (subjektive Handlungsmerkmale) sowie nach den unmittelbaren Folgen der Pflichtenverstöße für den dienstlichen Betrieb und für Dritte (vgl. zum gleichlautenden § 13 BDG, BVerwG, Urt. v. 20.10.2005, 2 C 12.04; Urt. v. 03.05.2007, 2 C 9.06; B. v. 10.09.2010, 2 B 97/09; VGH Baden-Württemberg, U. v. 16.09.2010, DL 16 S 579/10; alle juris).

53

Erst bei Würdigung der Gesamtpersönlichkeit des Beamten lässt sich mit der gebotenen Sicherheit beurteilen, ob der Beamte aus disziplinarrechtlicher Sicht noch erziehbar erscheint oder ob hierfür eine bestimmte Disziplinarmaßnahme als notwendig, aber auch als ausreichend erscheint, oder ob der Beamte für die Allgemeinheit und den Dienstherrn untragbar geworden ist und deshalb seine Entfernung aus dem Beamtenverhältnis geboten ist (vgl. nur: VG Magdeburg, U. v. 04.11.2009, 8 A 19/08 m. w. N.; juris).

54

Eine objektive und ausgewogene Zumessungsentscheidung setzt demnach voraus, dass die gegen den Beamten ausgesprochene Disziplinarmaßnahme unter Berücksichtigung der belastenden und entlastenden Umstände des Einzelfalls in einem gerechten Verhältnis zur Schwere des Dienstvergehens und zum Verschulden des Beamten steht und gewisse Besonderheiten des Einzelfalls mildernd zu berücksichtigen sind (vgl. BVerfG, Beschl. v. 08.12.2004, 2 BvR 52/02; BVerwG, U. v. 14.02.2007, 1 D 12.05 mit Verweis auf Urteil vom 20.10.2005, 2 C 12.04; OVG Lüneburg, U. v. 20.11.2009, 6 LD 1/09; VGH Bad.-Württ., U. v. 16.09.2010, DL 16 S 579/10; VG Saarland, U. v. 17.09.2010, 7 K 238/09; alle juris).

55

3.) Unter diesen rechtlichen Prüfungsvoraussetzungen folgt die Disziplinarkammer nach dem derzeitigen, sich aus der Begründung der Suspendierung und dem Aktenmaterial ergebenden Sach- und Rechtsstand der von dem Antragsgegner angestellten Prognoseentscheidung, dass mit der überwiegenden Wahrscheinlichkeit davon auszugehen ist, dass der Antragsteller ein derart schweres Dienstvergehen begangen hat, welches aufgrund des damit einhergehenden Verlustes des Vertrauens des Dienstherrn oder der Allgemeinheit zu seiner Entfernung aus dem Dienst führen wird.

56

a.) Der Antragsgegner begründet die vorläufige Dienstenthebung maßgeblich damit, dass der Antragsteller durch seine Äußerungen und sein Verhalten gegen die ihm obliegenden beamtenrechtlichen Pflichten nach §§ 33 Abs. 1 Satz 3 (Verfassungstreue) und 34 Satz 3 (Wohlverhaltenspflicht) BeamtStG verstoßen habe.

57

Für die disziplinarrechtliche Beurteilung kommt es nicht entscheidend darauf an, ob das vorgeworfene Verhalten Straftatbestände (§§ 130, 189 StGB) erfüllt. Ein Dienstvergehen im Sinne von § 47 Abs. 1 BeamtStG liegt bereits vor, wenn ein Beamter schuldhaft die ihm obliegenden Dienstpflichten verletzt. Eine Dienstpflichtverletzung kann daher bereits dann gegeben sein, wenn der strafrechtliche Unrechtsgehalt nicht erfüllt wird. Denn das Disziplinarecht ist auf Pflichtenmahnung aufgrund der Besonderheiten des Status als Beamter angelegt (vgl.: VG Magdeburg, Urteil v. 29.03.2012, 8 A 9/09; juris).

58

Die dem Antragsteller vorgehaltenen Handlungen und insbesondere die schriftlichen Äußerungen, die zudem auf seiner Homepage im Internet öffentlich verbreitet wurden, sind geeignet, seine beamtenrechtliche Pflichten zur Verfassungstreue und zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten innerhalb und außerhalb des Dienstes zu verletzen. Dabei handelt es sich auch um innerdienstliche Pflichtverletzungen (§ 47 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG), was den Vorwurf verschärft. Denn die Pflicht zum Eintreten für die freiheitlich-demokratische Grundordnung ist unteilbar und nicht auf den dienstlichen Raum beschränkt (BVerwG. U. v. 12.03.1986, 1 D 103.84; Bayr. VGH, U. v. 28.11.2001, 16 D 00.2077; VG Berlin, B. v. 05.04.2007, 80 Dn 53.06; alles juris).

59

b.) Für den Tatbestand der Ansehensschädigung ist es ausreichend, wenn ein Verhalten zur Beeinträchtigung von Achtung und Vertrauen geeignet ist, so dass eine tatsächliche Beeinträchtigung nicht erforderlich ist (BVerwG, U. v. 08.05.2011, 1 D 20.00; BVerfG, B. v. 05.12.2008, 1 BvR 1318/07; LAG Rheinland-Pfalz, U. v. 16.12.2010, 10 Sa 308/10; VG Magdeburg, Urteil v. 08.06.2011, 8 A 16/10 MD; alle juris).

60

c.) Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Beschl. v. 22.05.1975, 2 BvL 13/73; juris) setzt die - für jede Art von Beamtenverhältnis geltende - Verfassungstreue bei Beamten mehr als nur eine formal-korrekte, im Übrigen uninteressierte, kühle sowie innerlich distanzierte Haltung gegenüber den wesentlichen Wertentscheidungen des Grundgesetzes voraus. Vielmehr ist der Beamte zur Aktivität verpflichtet, wie sich aus den Worten „bekennen“ und „eintreten“ ergebe. Das bloße Haben einer Überzeugung und die bloße Mitteilung, dass man diese habe, stellt dagegen keine Verletzung der politischen Treuepflicht dar. Der Tatbestand ist erst erfüllt, wenn der Beamte aus seiner politischen Überzeugung Folgerungen für seine Einstellung gegenüber der verfassungsmäßigen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland, für die Art der Erfüllung seiner Dienstpflichten, für den Umgang mit seinen Mitarbeitern oder für politische Aktivitäten im Sinne seiner politischen Überzeugung zieht (BVerwG, Beschluss v. 17.05.2001, 1 DB 15/01; VG Münster, Urteil v. 19.02.2013, 13 J 1160/12.O; beide juris). Die daraus resultierende Pflicht umfasst auch die Verpflichtung, alles zu unterlassen, was geeignet ist, den Anschein zu erwecken, verfassungsfeindliche Ansichten Dritter zu teilen oder zu fördern. Dabei darf sich der Beamte nicht passiv verhalten, da dies als stillschweigende Billigung des verfassungsfeindlichen Verhaltens gewertet werden könnte.

61

Ein Beamter ist im Interesse des Vertrauens der Öffentlichkeit in eine dem freiheitlichen demokratischen Rechtsstaat verpflichtenden Beamtenschaft insoweit gehalten, zu vermeiden, dass er durch sein Verhalten in vorhersehbarer und ihm daher zurechenbarer Weise den Anschein setzt, sich mit dem Nationalsozialismus selbst oder Kräften zu identifizieren oder auch nur mit ihnen zu sympathisieren, die der Nationalsozialismus durch geschichtlichen Revisionismus verharmlosen und verherrlichen. Denn im Interesse der Akzeptanz und der Legitimation staatlichen Handelns ist er verpflichtet, bereits den Schein der Identifikation mit einem dem freiheitlichen Rechtsstaat diametral entgegengesetzten Gedankengut und mit Bestrebungen zu vermeiden, die sich zu einem solchen Gedankengut bekennen. Schon das zurechenbare Setzen eines solchen Scheins stellt eine disziplinarrechtlich bedeutsame Dienstpflichtverletzung dar. Diese Annahme ist ohne Verstoß gegen die verfassungsrechtlich verbürgte Unschuldsvermutung dann möglich, wenn das „den bösen Schein“ begründende Verhalten geeignet ist, die Akzeptanz oder Legitimation staatlichen Handelns zu beeinträchtigen (vgl. VG Berlin, B. v. 25.10.2006, 7 A 79.06 zum Fall der Verbreitung einer rechtsradikalen Musik-CD; juris). Pflichtwidrig handelt zwar also auch der, der kein Gegner der freiheitlich demokratischen Grundordnung ist, durch konkretes Handeln aber diesen Anschein hervorruft (BVerwG, B. v. 17.05.2001, 1 DB 15.01; VG Berlin, B. v. 05.04.2007, 80 Dn 43.06; beide juris).

62

Die Leugnung des nationalsozialistischen Massenmordes an europäischen Juden in Gaskammern deutscher Konzentrationslager sowie die Behauptung die diesbezüglichen deutschen Verbrechen seien Lügen, verharmlost und verherrlicht den Nationalsozialismus und ist unvereinbar mit der Pflicht eines Beamten, aktiv für die geltende Verfassungsordnung einzutreten. Hierzu hat bereits der Disziplinargerichtshof Niedersachsen im Urteil vom 23.07.1984 (NdA A12 6.82; zitiert bei Bay. Verwaltungsgerichtshof, U. v. 28.11.2001, 16 D 00.2077; juris) ausgeführt:

63

„Die freiheitliche demokratische Grundordnung steht im scharfen Gegensatz zum Unrechtssystem des Nationalsozialismus. Die nähere Ausformung unserer Demokratie ist weitgehend geprägt durch die Erfahrungen mit dem vorangegangenen totalitären System. Der Einbau wirksamer rechtlicher Sicherungen dagegen, dass solche politischen Richtungen jemals wieder Einfluss auf den Staat gewinnen, beherrscht das Denken des Verfassungsgebers. Wer die vorangegangene Gewaltherrschaft zu rechtfertigen oder zu entschuldigen versucht, der untergräbt zugleich die Grundlagen unserer demokratischen Staatsordnung. Er bereitet damit den „Nährboden“ für eine Widerbelebung von totalitären Anschauungen, an der rechtsextremistischen Kreisen gelegen ist. Der von Hitler angeordnete systematische Massenmord an den Juden ist eines der zentralen Themen der Rechtsradikalen, da er das nationalsozialistische Regime am schwersten belastet. Kann die systematische Judenvernichtung als unwahr hingestellt oder die Bewertung als noch „in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung“ befindlich dargestellt werden, so ist die Bahn frei für Bestrebungen, den Nationalsozialismus zu rehabilitieren und als Alternative zur demokratischen Staatsform anzupreisen“.

64

Diese Ausführungen verdeutlichen auch aus heutiger Sicht den disziplinarrechtlichen Unrechtsgehalt derartiger NS-Propaganda.

65

d.) Für Dienstpflichtverletzungen der vorliegenden Art gibt es keine disziplinare Regelrechtsprechung, welche die Annahme der Entfernung aus dem Dienst prognostiziert. Denn die Handlungsbreite, in der Verletzungen der Pflicht zur Verfassungstreue und/oder eine Ansehensschädigung denkbar sind, ist zu groß, als dass sie einheitlichen Regeln unterliegen und in ihren Auswirkungen auf Achtung und Vertrauen gleichermaßen eingestuft werden könnten. Zu betrachten sind daher stets die besonderen Umstände des Einzelfalls unter Beachtung der bisherigen Rechtsprechung der Disziplinargerichte (VG Berlin, B. v. 05.04.2007, 80 Dn 43/06; juris).

66

So hat das Verwaltungsgericht Magdeburg bezüglich eines beamtenrechtlichen Verbotes der Führung der Dienstgeschäfte wegen der Äußerung eines Justizvollzugsbeamten: „Die kann man nicht mehr behandeln, die kann man nur noch vergasen“, eine Ansehensschädigung des Justizvollzugsdienstes und des gesamten Berufsbeamtentums angenommen (B. v. 16.11.2009, 5 B 279/09 MD, bestätigt durch OVG LSA, B. v. 22.12.2009, 1 M 87/09; beide juris). In seinem Urteil vom 01.12.2011 (8 A 18/10 MD; juris) stellt die Disziplinarkammer fest, dass auch ein Nichteinschreiten eines ehrenamtlichen Bürgermeisters gegen eine in seinem Beisein vorgenommene Handlung des Straftatbestandes der Volksverhetzung (Sommersonnenwendfeier, Bücherverbrennung) eine beamtenrechtliche Pflichtenverletzung hinsichtlich des Wohlverhaltens darstellen kann und wegen der Besonderheiten im Einzelfall keine Entfernung ausgesprochen. Das Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt hat in einem Urteil vom 15.04.2010 (10 L 4/09; n. v.) hinsichtlich eines Polizeivollzugsbeamten, welcher zu einem Angelausflug unter der Überschrift „Operation Weserübung“ (Tarnname für den Überfall der deutschen Wehrmacht auf Norwegen), eingeladen hat die vom erkennenden Disziplinargericht (Urteil v. 10.11.2009, 8 A 11/09 MD; n. v.) festgestellte Ansehensschädigung bestätigt, die ausgesprochene Degradierung aber in eine Gehaltskürzung abgemildert. Zuletzt hat das Disziplinargericht entschieden, dass die Äußerung eines Polizeibeamten „halte die Hand wie beim bösen Adolf“ bei der erkennungsdienstlichen Behandlung wegen der damit bezweckten Assoziation zum Hitlergruß eine Ansehensschädigung des Berufs der Polizeibeamten darstellt und der Verstoß gegen die Wohlverhaltenspflicht mit einer Geldbuße belegt werden darf (VG Magdeburg, Urteil v. 23.01.2013, 8 A 21/12; juris).

67

Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat im Fall eines Lehrers (U. v. 28.11.2001, 16 D 00.2077; juris), nachdem er bereits wegen Verharmlosung des Nationalsozialismus disziplinarrechtlich mit einer Degradierung belastet war aufgrund der Vorbelastung und dem Wiederholungsfall und nach Feststellung völliger Uneinsichtigkeit die Entfernung aus dem Dienst verhängt. Hinsichtlich der Berufsgruppe der Polizeibeamten sind vorwiegend disziplinarrechtliche Entscheidungen mit dem Disziplinarmaß der Zurückstufung bzw. Degradierung unter Berücksichtigung des Vorliegens von Entlastungs- und Milderungsgründen zu finden (vgl. Bay. VGH, U. v. 11.07.2007, 16 a D 06.2094 mit Bestätigung des VG München, U. v. 26.06.2006, M 19 D 06.1360; beide juris).

68

Das Bundesverwaltungsgericht hob die vorläufige Dienstenthebung eines BGS-Beamten (Beschluss vom 17.05.2001, 1 DB 15/01; juris) auf, weil eine Entfernung aus dem Dienst allein wegen des Verstoßes gegen die beamtenrechtliche Wohlverhaltenspflicht nicht in Betracht kommt.

69

Der Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts hat in dem Beschluss vom 18.11.2003 (2 WDB 2.03; juris) die vorläufige Dienstenthebung wegen des Einbringens zahlreichen NS-Propagandamaterials in dienstliche Einrichtungen und Unterkünfte aufrechterhalten.

70

Das Verwaltungsgericht Münster beschäftigte sich jüngst im Urteil vom 19.02.2013 (13 K 1160/12.0; juris) mit der beamtenrechtlichen Verfassungstreuepflicht und der Wohlverhaltenspflicht bei der Teilnahme an der „Rechten Szene“ zuzuordnenden Veranstaltungen und verweist auf die Meinungs- und Versammlungsfreiheit des Beamten, was bei der Auswahl der Disziplinarmaßnahme zu berücksichtigen ist.

71

Auch das VG Berlin sah in dem Beschluss vom 05.04.2007 (80 D n 43/06; juris) aufgrund des Vorliegens von Entlastungs- und Milderungsgründen bei einem Polizeibeamten trotz des disziplinarrechtlichen Pflichtenverstoßes Milderungsgründe, die den Ausspruch der Höchstmaßnahme nicht erwarten ließen, so dass die vorläufige Dienstenthebung aufgehoben wurde.

72

e.) Unter Berücksichtigung dieser in der disziplinarrechtlichen Rechtsprechung zu findenden Fallgestaltungen und der hier im Einzelfall erforderlichen Abwägung sieht das Disziplinargericht die nach § 61 Abs. 2 DG LSA zur Aufhebung der vorläufigen Dienstenthebung führenden ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit nicht. Denn die vom Antragsgegner getroffene Prognose der späteren - im Übrigen vom Disziplinargericht auszusprechenden - Dienstentfernung begegnet keinen ernstlichen Zweifeln und hält der gerichtlichen Überprüfung stand. Die Verfügung zur vorläufigen Dienstenthebung erscheint nicht als verfrüht und wird von den bisherigen disziplinarrechtlichen Ermittlungen und sonstigen tatsächlichen Erkenntnissen getragen. Zwar müssen gerade schwerwiegende Dienstpflichtverletzungen die den Ausspruch der disziplinarrechtlichen Höchstmaßnahme rechtfertigen, einen sorgfältigen Ermittlungs- und Begründungsaufwand genügen, zumal diese schließlich am Ende der Ermittlungen zur Disziplinarklage führen sollen. Das Disziplinargericht weist aber darauf hin, dass in dem jetzigen Stadium der vorläufigen Dienstenthebung das Dienstvergehen gerade noch nicht bewiesen sein muss (vgl. oben II. 2. a.)

73

So reichen die dem Antragsteller vorgehaltenen Äußerungen bereits zum gegenwärtigen Zeitpunkt aus, um mit der hinreichenden überwiegenden Wahrscheinlichkeit die Prognose anzunehmen, dass bei Weiterermittlung im disziplinarrechtlichen Verfahren und unter Verwendung aller diesbezüglichen Aufklärungsmöglichkeiten sowie unter Berücksichtigung der vom Bundesverwaltungsgericht in seiner Rechtsprechung herausgestellten besonderen Bedeutung der Entlastungs- und Milderungsgründe tatsächlich die Entfernung aus dem Dienst ansteht. Ohne jeden Zweifel haben sich die Überzeugungen des Antragstellers in nachdrücklich vertretenen ablehnenden Einstellungen zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung manifestiert. Dabei sind jedenfalls derzeit keine gewichtigen Milderungs- und Entlastungsgründe erkennbar, die eine andere Prognose zu rechtfertigen vermögen. Zudem hat sich der Antragsteller im gerichtlichen Verfahren über die Frage der formellen Rechtmäßigkeit der Verfügung hinaus nicht geäußert, so dass seine Motivation nur aus seinen behördlichen Stellungnahmen und seiner Artikulation in seinem Blog selbst abgeleitet werden kann.

74

Ausweislich seines auf seiner inzwischen gesperrten Homepage veröffentlichten „Programms“ und seiner Stellungnahmen im Disziplinarverfahren sieht er sich zwar (nur) als „Aufklärer“ der von ihm zahlreich gesehenen politischen und gesellschaftlichen „Missstände“ in Deutschland und zieht Parallelen zu üblichen und undemokratischen Handlungen in der Ukraine, Russland oder China. Zugleich glorifiziert er die NPD, kandidierte für diese und trat aus der SPD, zu deren Gründungsmittgliedern er in Sachsen-Anhalt zählte, aus. Dabei bedient er sich dem Gedankengut nicht auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung stehender rechtspopulistischer Parteien und Bestrebungen, obwohl er sich selbst als Demokrat bezeichnet und insbesondere demokratische Strukturen anmahnt. Dies gilt auch hinsichtlich der Feststellung der genauen Anzahl der in Auschwitz von den Nationalsozialisten in den Gaskammern umgebrachter Juden. Dabei ist nicht entscheidend, ob der Antragsteller die Vernichtung der Juden als Tatsache in Frage stellen will, sondern deren genaue Anzahl, um daraus den Beleg für die seiner Auffassung nach bestehende „Verlogenheit des Systems“ zu ziehen. Verheerend bei dieser Art der Publikation ist, dass etwaige historische Fehlinterpretationen – nämlich die genaue Anzahl der von den Nationalsozialisten vernichteten Menschen – und nicht das historisch belegte Vernichtungsprogramm herausgehoben werden. Dies ist geeignet, die Tatsache als solche – hier die systematische Vernichtung der Juden – in Frage zu stellen (Revisionismus). Der Antragsteller hingegen stellt in diesem Zusammenhang die Behauptung auf: „Für mich steht fest: Die seit der Kindheit gelernten deutschen Verbrechen sind Lügen!“ Gleiches gilt für seine Interpretationsversuche hinsichtlich der Hintergründe der Ermordung Walter Rathenaus oder dem Gedenken an Graf von Stauffenberg. Nahezu jedes politisch, historisch oder gesellschaftlich relevante Thema und jede daraus resultierende Person wird von dem Antragsteller unter seinem rechtspopulistischen Blickwinkel ausgiebig behandelt und bizarr verzehrt dargestellt. Diese Äußerungen sind auch nicht mehr als von der Meinungsfreiheit gedeckt anzusehen. Denn insoweit trifft den Beamten ebenso eine Zurückhaltungs- und Mäßigungspflicht (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss v. 04.03.2013, 3 A 10105/13; VG Münster, Urteil v. 19.02.2013, 13 K 1160/12.O; VG Magdeburg, Urteil v. 14.02.2012, 8 A 6/11; alle juris).

75

Aufgrund solcher Äußerungen setzt der Antragsteller in vorhersehbarer und ihm daher zurechenbarer Weise zumindest und zweifellos den Anschein, sich mit dem Nationalsozialismus selbst oder Kräften zu identifizieren oder auch nur mit ihnen zu sympathisieren, die den Nationalsozialismus durch geschichtlichen Revisionismus verharmlosen und verherrlichen. Dabei handelt es sich bei den dem Antragsteller vorgehaltenen Äußerungen auch nicht nur um einmalige oder hinsichtlich der Zeitspanne kurzfristige Ausrutscher oder aus dem Zusammenhang gerissene Zitate. Denn schon das Studium der dem Disziplinargericht vorliegenden Inhalte des vom Antragsteller betriebenen Blogs auf seiner Homepage belegen über die von der Suspendierungsverfügung als Belege herausgegriffenen Äußerungen des Antragstellers hinaus, die durchgehende, über einen längeren Zeitraum erfolgte und ausnahmslose Artikulierung des Antragstellers in dem Sinne, nicht für die in § 33 Abs. 1 Satz 3 (freiheitlich-demokratische Grundordnung) und § 34 Satz 3 BeamtStG (Ansehen und Wohlverhalten) beschriebenen Dienstpflichten einstehen zu wollen. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass der Antragsteller ausweislich seiner Stellungnahme im Ermittlungsverfahren angezeigt hat, keine Zurückhaltung üben zu wollen. Gemäß der Vorgehensweise rechtspopulistischer Bestrebungen äußert sich der Antragsteller bei jeder sich bietenden Gelegenheit unter Verwendung aller möglichen Medien, um so sein Gedankengut zu verbreiten. Der gesamte Blog und nahezu jede Äußerung innerhalb des Chats kann hierzu als Beleg herangezogen werden. Auszugsweise sei über die Ausführungen in dem Suspendierungsbescheid nur ergänzend genannt (18.10.2012):

76

„Die NeoNazis sind doch die Einzigen in Deutschland, die dieses land und seine Kultur am Leben erhalten wollen – Sie scheindeutscher Falschmünzer! Seit Jahrzehnten und entgegen dem erbitterten Widerstand Ihres Mainstreams. Und darum kann und muss jeder aufrechte und vernünftige Deutsche sie unterstützen. DAS ist wirklich alternativlos!“.

77

Aufgrund derartiger Handlungen und Äußerungen wird der Antragsteller fortgesetzt nicht dem Vertrauen als aktiver Verteidiger der verfassungsgemäßen Ordnung gerecht, welches ihm von seinem Dienstherrn aber auch und gerade von der Allgemeinheit zur Ausübung seines Amtes entgegen gebracht wurde. Dies gilt auch unter Beachtung der Tatsache, dass der Antragsteller in das Amt des Ortsbürgermeisters gewählt wurde. Denn als Repräsentant seines Ortes und Vertreter staatlicher Ordnung verletzt er vehement und stetig seine politische Treuepflicht und begeht zudem eine Schädigung des Ansehens des Amtes des Ortsbürgermeisters. In diesen Fällen kommt disziplinarrechtlich die Lösung aus dem Beamtenverhältnis in Betracht.

78

d.) Hingegen kann zum gegenwärtigen Zeitpunkt die Prognoseentscheidung nicht auf eine angeblich vom Antragsteller verfasste E-Mail an den NPD-Landesvorsitzenden … gestützt werden, wonach der Antragsteller unter Ausnutzung seines Amtes als Ortsbürgermeister die zur Verfügungstellung eines Veranstaltungsraumes in seinem Ort bzw. der Gemeinde in Aussicht gestellt habe. Denn das Verfassen dieser E-Mail wird vom Antragsteller bestritten und als Fälschung bezeichnet. Dem ist im Ermittlungsverfahren weiter nachzugehen und kann nicht als bloße Schutzbehauptung abgetan werden. Denn bei der in dem Disziplinarvorgang enthaltenen E-Mail handelt es sich nicht um die Original Nachricht, sondern ausweislich der Kennung um eine auf der Homepage der „Tageszeitung“ publizierten Veröffentlichung. Auch ist nicht ersichtlich, wie der Antragsgegner in den Besitz der E-Mail gelangt ist.

79

4.) Die Kostenentscheidung beruht auf § 72 Abs. 4, 73 Abs. 1 DG LSA, 154 Abs. 1 VwGO.


(1) Die für die Erhebung der Disziplinarklage zuständige Behörde kann einen Beamten gleichzeitig mit oder nach der Einleitung des Disziplinarverfahrens vorläufig des Dienstes entheben, wenn im Disziplinarverfahren voraussichtlich auf Entfernung aus dem Beamtenverhältnis oder auf Aberkennung des Ruhegehalts erkannt werden wird oder wenn bei einem Beamten auf Probe oder einem Beamten auf Widerruf voraussichtlich eine Entlassung nach § 5 Abs. 3 Satz 2 dieses Gesetzes in Verbindung mit § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 oder § 37 Abs. 1 Satz 1 des Bundesbeamtengesetzes erfolgen wird. Sie kann den Beamten außerdem vorläufig des Dienstes entheben, wenn durch sein Verbleiben im Dienst der Dienstbetrieb oder die Ermittlungen wesentlich beeinträchtigt würden und die vorläufige Dienstenthebung zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Disziplinarmaßnahme nicht außer Verhältnis steht.

(2) Die für die Erhebung der Disziplinarklage zuständige Behörde kann gleichzeitig mit oder nach der vorläufigen Dienstenthebung anordnen, dass dem Beamten bis zu 50 Prozent der monatlichen Dienst- oder Anwärterbezüge einbehalten werden, wenn im Disziplinarverfahren voraussichtlich auf Entfernung aus dem Beamtenverhältnis oder auf Aberkennung des Ruhegehalts erkannt werden wird. Das Gleiche gilt, wenn der Beamte im Beamtenverhältnis auf Probe oder auf Widerruf voraussichtlich nach § 5 Abs. 3 Satz 2 dieses Gesetzes in Verbindung mit § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 oder § 37 Abs. 1 Satz 1 des Bundesbeamtengesetzes entlassen werden wird.

(3) Die für die Erhebung der Disziplinarklage zuständige Behörde kann gleichzeitig mit oder nach der Einleitung des Disziplinarverfahrens anordnen, dass dem Ruhestandsbeamten bis zu 30 Prozent des Ruhegehalts einbehalten werden, wenn im Disziplinarverfahren voraussichtlich auf Aberkennung des Ruhegehalts erkannt werden wird.

(4) Die für die Erhebung der Disziplinarklage zuständige Behörde kann die vorläufige Dienstenthebung, die Einbehaltung von Dienst- oder Anwärterbezügen sowie die Einbehaltung von Ruhegehalt jederzeit ganz oder teilweise aufheben.

Tenor

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 6. März 2009 - 7 L 23/09 - wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragstellerin.

Gründe

Die gemäß § 67 Abs. 1 und Abs. 3 SDG i.V.m. § 146, 147 VwGO statthafte Beschwerde, die fristgerecht erhoben und begründet wurde (§ 67 Abs. 3 SDG i.V.m. § 147 Abs. 1, 146 Abs. 4 VwGO) bleibt in der Sache ohne Erfolg.

Zu Recht hat das Verwaltungsgericht den gemäß § 63 Abs. 1 Satz 1 SDG zulässigen Antrag auf Aussetzung der mit Bescheid des Antragsgegners vom 17.12.2008 angeordneten vorläufigen Dienstenthebung der Antragstellerin mangels ernstlicher Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides (§ 63 Abs. 2 SDG) zurückgewiesen.

Dem Verwaltungsgericht ist darin zuzustimmen, dass im konkreten Disziplinarverfahren und nach dem derzeitigen, im vorliegenden Verfahren zugrunde zu legenden Sach- und Streitstand eine überwiegende Wahrscheinlichkeit die Prognose rechtfertigt, dass gegenüber der Antragstellerin die Verhängung der Höchstmaßnahme zu erwarten ist.

Die im Beschwerdeverfahren vorgetragenen Einwendungen führen nicht zu einer abweichenden Einschätzung. Bei dem aktuell erkennbaren Sach- und Streitstand

zur Maßgeblichkeit des Zeitpunkts der gerichtlichen Entscheidung vgl. BayVGH, Beschluss vom 13.11.2008 - 16b DS 08.704 - zitiert nach Juris

ist davon auszugehen, dass der hinreichende Verdacht besteht, dass die Antragstellerin ein - innerdienstliches - Dienstvergehen begangen hat, das mit überwiegender Wahrscheinlichkeit die Verhängung der Höchstmaßnahme erfordern wird (§ 38 Abs. 1 SDG). Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der vorläufigen Dienstenthebung (§ 63 Abs. 2 SDG) bestehen nach wie vor nicht.

Zunächst ist dem Verwaltungsgericht darin zuzustimmen, dass nach Aktenlage derzeit alles dafür spricht, dass die Antragstellerin ein schweres Dienstvergehen begangen hat, indem sie ab März 2008 zu einem Strafgefangenen eine persönliche Beziehung unterhielt und indem sie die insoweit bestehenden Melde- und Offenbarungspflichten gegenüber der Anstaltsleitung nicht erfüllte.

Die Antragstellerin bestreitet das Vorliegen einer persönlichen Beziehung nicht, hält der Argumentation des Verwaltungsgerichts aber entgegen, es stelle schon einen Fehler dar, bei dieser Beurteilung die objektiv in der Vergangenheit vorhanden gewesene Beziehung zu dem Strafgefangenen in zwei Abschnitte zu unterteilen, ohne Aussagen zu den vorgetragenen subjektiven Tatbestandsmerkmalen zu machen.

Der Einwand ist nicht gerechtfertigt. Weder ist die vorgenommene Strukturierung des Sachverhalts zu beanstanden, noch liegt eine nicht ausreichende Berücksichtigung der vorgetragenen subjektiven Umstände vor.

Die vom Verwaltungsgericht vorgenommene zeitliche Abschnittsbildung knüpft im Gegenteil gerade an die von der Antragstellerin geltend gemachten subjektiven Umstände an. Entsprechend den von der Antragstellerin vorgetragenen unterschiedlichen subjektiven Merkmalen der unstreitig von Februar/März 2008 bis Ende Oktober 2008 existent gewesenen Beziehung zwischen ihr und dem Strafgefangenen unterscheidet das Verwaltungsgericht einen ersten Abschnitt der Beziehung von Februar/März 2008 bis etwa Juni/Juli 2008, bei dem es sich um ein einvernehmliches (freiwilliges) Verhältnis mit Merkmalen von Verliebtheit gehandelt habe, und einen zweiten Abschnitt von etwa Juni/Juli 2008 bis Ende Oktober 2008, bei dem es sich um ein unfreiwilliges Verhältnis gehandelt habe, welches die Antragstellerin nur fortgeführt habe, weil sie von dem Strafgefangenen unter Druck gesetzt worden sei.

Zugunsten der Antragstellerin wird damit - ebenso wie in dem Bescheid des Antragsgegners vom 17.12.2008 - bei einem hinsichtlich der subjektiven Merkmale der Beziehung im zweiten Abschnitt noch nicht abschließend geklärten Sachverhalt nur deren eigene Sachverhaltsdarstellung als entscheidungsrelevant zugrunde gelegt.

Zu Recht hat das Verwaltungsgericht auf dieser Sachverhaltsgrundlage - differenziert nach den Zeitabschnitten - sowohl einen vorsätzlichen Verstoß gegen die sogenannte Wohlverhaltenspflicht gemäß § 68 Satz 3 des Saarländischen Beamtengesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 27. Dezember 1996 (Amtsbl. 1997 S. 301), zuletzt geändert durch das Gesetz vom 19. November 2008 (Amtsbl. S. 1930) - gültig bis zum 31.3.2009 - (SBG a.F.), als auch vorsätzliche Verstöße gegen die Pflicht zur Zurückhaltung gegenüber einem Strafgefangenen und gegen die Meldepflicht gemäß § 69 Satz 2 SBG a.F. i.V.m. Nr.1, Nr. 2 Abs. 1 und Nr. 9 der Dienst- und Sicherheitsvorschriften für den Strafvollzug (DSVollz) angenommen und das Vorliegen von Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgründen - auch hier differenziert nach den beiden Zeitabschnitten - verneint.

Insbesondere hinsichtlich der Berücksichtigung der von der Antragstellerin im Beschwerdeverfahren thematisierten subjektiven Umstände ist dem Verwaltungsgericht darin zuzustimmen, dass auch eine tatsächliche Verliebtheit in dem ersten, nach ihrer eigenen Darstellung von Freiwilligkeit und Zuwendung seitens der Antragstellerin geprägten ersten Abschnitt der Beziehung keine Rechtfertigung oder Entschuldigung der Verletzung der Dienstpflichten zur Wahrung der Distanz und zur Meldung und Offenbarung gegenüber der Anstaltsleitung zur Folge haben konnte. Gerade für den ersten Abschnitt der Beziehung in der Zeit von Februar/März 2008 bis Juni/Juli 2008 ist derzeit kein Grund ersichtlich, welcher es der Antragstellerin unmöglich gemacht oder unzumutbar erschwert haben könnte, die dienstpflichtgemäße Handlungsalternative der Wahrung des Distanzgebotes gegenüber dem Gefangenen zu wählen. Ebenso war es weder unmöglich noch unzumutbar, die dienstpflichtgemäße Handlungsalternative der Meldung und Offenbarung der Vorgänge gegenüber ihren Vorgesetzten zu wählen.

Zwar hat die Antragstellerin in der Beschwerdebegründung ausgeführt, sie habe „zu Beginn der Beziehung unter einem hohen psychischen Druck“ gestanden. Auch hat sie in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht eine psychologisch-psychotherapeutische Stellungnahme des behandelnden Psychotherapeuten vom 12.1.2009 vorgelegt. Es ist aber weder nach dem Vortrag der Antragstellerin noch nach der Aktenlage im Übrigen noch nach der psychologisch-psychotherapeutischen Stellungnahme vom 12.1.2009 auch nur ansatzweise nachvollziehbar, inwieweit die Antragstellerin bereits „zu Beginn der Beziehung“, d.h. im Februar/März 2008 unter einem hohen, erst recht unter einem ihre Wahl- und Willensfreiheit ausschließenden psychischen Druck gestanden haben könnte. Nach der eigenen Darstellung der Antragstellerin gestaltete sich vielmehr gerade der erste Abschnitt ihrer Beziehung zu dem Strafgefangenen über einen Zeitraum von immerhin drei bis vier Monaten positiv im Sinne von Zuwendung und Verliebtheit („mit dem Austausch von Zärtlichkeiten und Briefen“).

Die vorgelegte psychologisch-psychotherapeutische Stellungnahme vom 12.1.2009 hat aus der Sicht des Senats zunächst für die Beurteilung des psychischen Zustandes der Antragstellerin „zu Beginn der Beziehung“ keinen hinreichenden Erkenntniswert. Zum einen lassen die inhaltlichen Ausführungen zu dem psychischen Zustand der Antragstellerin eine zeitliche Zuordnung desselben nicht zu. Und zum anderen bestehen durchgreifende Zweifel daran, dass der Stellungnahme eine annähernd realistische Sachverhaltsschilderung im Therapiekontext zugrunde lag.

Im Rahmen seiner Ausführungen thematisiert der Psychologe zunächst die Vorbehandlung der Antragstellerin, die wegen außerdienstlicher Ereignisse im Jahre 2005 zu einem nicht genannten Zeitpunkt aufgenommen wurde. Hierzu sind - ebenfalls ohne zeitlichen Bezug - verschiedene Diagnosen genannt. Von einer Psychotherapie wird berichtet, die aber „im Frühjahr 2008“ unterbrochen wurde. Zur Einschätzung der hier relevanten Geschehnisse ist ohne Hinweis darauf, wann die Behandlung wieder aufgenommen wurde, und damit, aus welcher zeitlichen Perspektive der hier relevante Zeitraum vom Februar/März bis Oktober 2008 therapeutisch bearbeitet wurde, ausgeführt, im „letzten Frühjahr“ sei die Antragstellerin „von einem Gefangenen missbräuchlich in eine nähere Beziehung manipuliert worden“. Wegen der vorhandenen psychischen Defizite sei die Antragstellerin „den Manipulationen und Erpressungen, die das Ziel der psychischen und dann auch körperlichen Vergewaltigung gehabt hätten, hilflos ausgeliefert gewesen“. Es sei „von Anfang an zu Retraumatisierungen“ gekommen, weshalb die Antragstellerin für ihr Verhalten nicht verantwortlich zu machen sei.

Diese Darstellung lässt jede Differenzierung nach den von der Antragstellerin selbst gegenüber der Anstaltsleiterin Ende Oktober 2008 dargestellten unterschiedlichen Zeitabschnitten der Beziehung zu dem Strafgefangenen vermissen und legt die Einschätzung nahe, dass - im therapeutischen Kontext verständlich und nachvollziehbar - Grundlage der Stellungnahme eine aus der Ex-post-Perspektive der Antragstellerin Ende 2008/Anfang 2009 erfolgte Sachverhaltsdarstellung war, in der nur noch die Umstände gegen Ende des zweiten Abschnitts der Beziehung, als diese - nach den Angaben der Antragstellerin - durch Druck und Zwang geprägt war, thematisiert wurden.

Danach spricht weiterhin gerade die Betrachtung des ersten Abschnitts der Beziehung dafür, dass die Antragstellerin ohne Einschränkung ihrer Wahl- und Willensfreiheit eine bewusste Entscheidung gegen die Erfüllung der oben genannten Dienstpflichten durch Eingehung, Aufrechterhaltung und Verheimlichung der Beziehung zu dem Strafgefangenen getroffen hat.

Im zweiten Abschnitt der Beziehung der Antragstellerin zu dem Strafgefangenen dürfte sich - ausgehend von der Sachverhaltsdarstellung der Antragstellerin - der psychische Druck auf sie zwar kontinuierlich erhöht haben. Nachvollziehbar wurde es für sie immer schwieriger, das Distanzgebot in Ansehung des von dem Strafgefangenen aufgebauten Druckes einzuhalten und die ursprünglichen wie die laufenden Dienstpflichtverletzungen und deren Folgen ihren Vorgesetzten zu offenbaren. Gleichwohl bestehen - jedenfalls nach den nur eingeschränkten Erkenntnismöglichkeiten des vorliegenden Verfahrens - keine ernstlichen Zweifel daran, dass ein die Wahl- und Willensfreiheit ausschließender Zustand nicht gegeben war. Letztlich hat sich gezeigt, dass die Steuerungsfähigkeit der Antragstellerin selbst im Endstadium des Abschnitts 2 der Beziehung nach der (erzwungenen) Ausführung des Geschlechtsverkehrs noch so weit erhalten war, dass eine letzte Grenzziehung und schließlich auch die Offenbarung gegenüber der Anstaltsleitung möglich war.

Auch für diesen zweiten Zeitabschnitt führt die vorgelegte psychologisch-psychotherapeutische Stellungnahme vom 12.1.2009 derzeit nicht zu durchgreifenden Zweifeln an der Steuerungsfähigkeit der Antragstellerin.

Zwar hat es den Anschein, als ob die darin getroffenen Aussagen dem zweiten Abschnitt, insbesondere der Endphase des zweiten Abschnitts der Beziehung der Antragstellerin zu dem Strafgefangenen zugeordnet werden könnten. Die mangelnde Differenziertheit, die fragliche zeitliche Einordnung der Aussagen und Diagnosen, insbesondere aber die bereits dargelegte Ungewissheit im Hinblick auf den im therapeutischen Kontext geschilderten und demgemäß zugrunde gelegten Sachverhalt führen jedoch dazu, dass ernstliche Zweifel mit Blick auf das Vorliegen eines Schuldausschließungsgrundes aufgrund mangelnder Steuerungsfähigkeit der Antragstellerin allein damit nicht begründet werden.

Eine andere Einschätzung ergibt sich auch nicht unter Berücksichtigung der im vorliegenden Verfahren beigezogenen amtsärztlichen Stellungnahme vom 6.3.2009, welche aufgrund des Antrages der Antragstellerin nach § 53 SBG a.F. vom 20.11.2008 angefordert worden war.

Auf der Basis einer am 13.1.2009 durch den Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. R. vorgenommenen Untersuchung wurde die am 3.12.2008 von der Leiterin der JVA angeforderte amtsärztliche Stellungnahme zur Frage der Dienstfähigkeit der Antragstellerin durch die Amtsärztin Dr. L. am 6.3.2009 erstellt. Die darin getroffenen Aussagen beziehen sich - antragsgemäß - allerdings nur auf die Frage der Dienstfähigkeit der Antragstellerin. Die Amtsärztin hat diese in einer größeren zeitlichen Perspektive („längerfristig“) bejaht, während zum „gegenwärtigen Zeitpunkt“ demgegenüber „aufgrund des unabgeschlossenen Disziplinarverfahrens und der dadurch bedingten erhöhten psychovegetativen Anspannung“ die Attestierung der Dienstunfähigkeit gerechtfertigt sei. Aussagen über die Schuld- und Steuerungsfähigkeit der Antragstellerin im Zeitraum der Begehung der streitgegenständlichen Dienstpflichtverletzungen sind in der Stellungnahme vom 6.3.2009 nicht enthalten und lassen sich daraus auch nicht ableiten.

Ergänzend ist noch darauf hinzuweisen, dass weder der Antragsgegner vor Erlass seiner Entscheidung über die vorläufige Dienstenthebung der Antragstellerin vom 17.12.2008 noch das Verwaltungsgericht vor seiner Entscheidung im Verfahren nach § 63 SDG gehalten waren, die Vorlage der am 6.3.2009 erstellten amtsärztlichen Stellungnahme abzuwarten. Sowohl der Antragsgegner als auch das Verwaltungsgericht durften die gemäß § 38 Abs. 1 SDG zu treffende Prognose auf den bis dahin ermittelten Sach- und Streitstand stützen.

Des weiteren erweisen sich auch die Einwendungen der Antragstellerin gegen die Ausführungen des angefochtenen Beschlusses des Verwaltungsgerichts vom 6.3.2009 zu der Frage, ob - bei Bestätigung des danach bestehenden Verdachts eines schweren Dienstvergehens - im Hauptsacheverfahren voraussichtlich auf Entfernung aus dem Beamtenverhältnis erkannt werden würde, als nicht durchgreifend.

Die Antragstellerin hat insoweit geltend gemacht, die nach § 13 SDG erforderliche „Interessenabwägung“ halte einer Überprüfung nicht stand. Zum einen sei die Schwere des Dienstvergehens nicht nur nach objektiven, sondern auch nach subjektiven Kriterien zu beurteilen. Hier fehle es an einer Berücksichtigung des „mit Schriftsatz vom 20.1.2009 zur Kenntnis gebrachten ärztlichen Befundberichtes zur psychischen Lage der Antragstellerin“ (womit nur die psychologisch-psychotherapeutische Stellungnahme des behandelnden Psychotherapeuten vom 12.1.2009 gemeint sein kann). Zum anderen habe das Verwaltungsgericht bei der Bewertung des Persönlichkeitsbildes der Antragstellerin die entlastenden Momente der freiwilligen Selbstanzeige der Antragstellerin und der organisatorischen Verfehlungen auf Seiten „des Beschwerdegegners“ (gemeint ist die Leitung der JVA) nicht ordnungsgemäß berücksichtigt.

Dies trifft nicht zu.

Eine gemäß § 38 Abs. 1 Satz 1 SDG verfügte vorläufige Dienstenthebung setzt voraus, dass im Disziplinarverfahren voraussichtlich auf Entfernung aus dem Dienst erkannt werden wird. Im konkreten Disziplinarverfahren muss eine überwiegende Wahrscheinlichkeit die Prognose rechtfertigen, dass auf die Höchstmaßnahme erkannt werden wird

vgl. BVerwG, Beschluss vom 24.10.2002 - 1 DB 10/02 - zitiert nach Juris; BayVGH, Beschluss vom 15.3.2007 - 16 DS 06.3292 - zitiert nach Juris und OVG des Saarlandes, Beschluss vom 6.9.2007 - 7 B 346/07 -.

Eine „Interessenabwägung“ findet insoweit nicht statt.

Welche Disziplinarmaßnahme im Einzelfall erforderlich ist, richtet sich gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 bis 4 SDG nach der Schwere des Dienstvergehens unter angemessener Berücksichtigung der Persönlichkeit des Beamten und des Umfangs der durch das Dienstvergehen herbeigeführten Vertrauensbeeinträchtigung. Maßgebendes Bemessungskriterium für die Bestimmung der Disziplinarmaßnahme ist gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 SDG die Schwere des Dienstvergehens. Sie beurteilt sich zum einen nach der Eigenart und Bedeutung der verletzten Dienstpflichten, Dauer und Häufigkeit der Pflichtverstöße und den Umständen der Tatbegehung (objektive Handlungsmerkmale) und zum anderen nach Form und Gewicht des Verschuldens und den Beweggründen des Beamten für sein pflichtwidriges Verhalten (subjektive Handlungsmerkmale) sowie nach den unmittelbaren Folgen der Pflichtverstöße für den dienstlichen Betrieb und für Dritte

vgl. zum gleichlautenden § 13 BDG: BVerwG, Urteil vom 20.10.2005 - 2 C 12.04 -, BVerwGE 124 252ff., BVerwG, Urteil vom 3.5.2007 - 2 C 9/06 -, zitiert nach Juris.

Nach den genannten Kriterien und nach dem derzeitigen, im vorliegenden - als Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ausgestalteten - Verfahren nur möglichen Erkenntnisstand stellen die von der Antragstellerin begangenen Verstöße gegen die ihr als Strafvollzugsbeamtin obliegenden Dienstpflichten ein äußerst schweres Dienstvergehen dar, wie das Verwaltungsgericht zu Recht ausgeführt hat.

Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die Eigenart und Bedeutung der verletzten Dienstpflichten im Kontext des Strafvollzuges. Die Eingehung und Verheimlichung der Beziehung zu einem Strafgefangenen (Abschnitt 1 der Beziehung von Februar/März 2008 bis Juni/Juli 2008) sowie die Aufrechterhaltung und weitere Verheimlichung der Beziehung auf Druck des Strafgefangenen (Abschnitt 2 von Juni/Juli 2008 bis Ende Oktober 2008) stellen einen dauerhaft schweren Verstoß gegen die Kernpflichten von Bediensteten im Strafvollzug dar. Betroffen waren die Grundpflichten nach Nr. 1 DSVollz, das Distanzgebot nach Nr. 2 Abs.1 DSVollz und die Meldepflicht nach Nr. 9 DSVollz. Hierbei handelte es sich um den Kernbereich der ihr obliegenden Dienstpflichten

vgl. dazu allgemein BVerwG, Urteil vom 22.10.2005, a.a.O.,

die im Mittelpunkt ihres konkreten Amtes im Strafvollzug standen und die zur Gewährleistung von Funktionsfähigkeit und Sicherheit in dem hochsensiblen Bereich des Strafvollzuges unabdingbar sind.

Auch die weiteren objektiven Handlungsmerkmale von Dauer und Häufigkeit der Dienstpflichtverstöße und die Umstände der Tatbegehung bestärken die Annahme eines schweren Dienstvergehens. Die Pflichtverletzungen in Gestalt von Dauerverstößen erstreckten sich bei stetig zunehmender Intensität und Gefährdung der Sicherheit und der Aufgabenerfüllung des Strafvollzuges über einen Zeitraum von insgesamt sieben bis acht Monaten und erfolgten zudem unter gezielter Ausnutzung der besonderen Vollzugsumstände des betreffenden Strafgefangenen (Wohngruppenvollzug, Einsatz als Hausmaler, Mitglied der Redaktion PRO REO).

Entgegen dem Vortrag der Antragstellerin in der Beschwerdebegründung vermögen auch subjektive Handlungsmerkmale nach dem im vorliegenden Verfahren maßgeblichen Erkenntnisstand und vorbehaltlich im Zuge weiterer Ermittlungen möglicherweise noch zutage tretender Erkenntnisse die Schwere des Dienstvergehens nicht maßgeblich zu mindern.

Wie bereits ausgeführt, hat die Antragstellerin sich - zumindest in Abschnitt 1 der Beziehung - bewusst, wissentlich und willentlich gegen die dienstpflichtgemäße Handlungsalternative der Einhaltung des Distanzgebotes und der Meldepflichten entschieden, weil nur dies ihr die Eingehung und Aufrechterhaltung einer -- vermeintlichen - Liebesbeziehung zu dem Strafgefangenen ermöglichte. Die geltend gemachte Schuld- und Steuerungsunfähigkeit ist demgegenüber weder durch Hinweis auf die psychologisch-psychotherapeutische Stellungnahme vom 12.1.2009, noch auf die amtsärztliche Stellungnahme vom 6.3.2009 noch auf andere Weise nachvollziehbar dargelegt worden.

Für den Abschnitt 2 der Beziehung mag der Antragstellerin zwar zuzugestehen sein, dass es aufgrund des - nach ihrem Vortrag - von Seiten des Strafgefangenen aufgebauten Drucks für sie subjektiv zunehmend schwieriger wurde, die dienstpflichtgemäße Handlungsalternative zu wählen. Dies führt - nach den Erkenntnismöglichkeiten des vorliegenden, als Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes konzipierten Verfahrens - indes nicht zur Annahme einer aufgehobenen Steuerungs- und Schuldfähigkeit. Auch insoweit erweisen sich die Stellungnahmen vom 12.1.2009 und vom 6.3.2009 nicht als valide Basis für die Begründung ernst zu nehmender Zweifel.

Schließlich erlaubt auch der Blick auf die unmittelbaren Folgen der Dienstpflichtverstöße der Antragstellerin für den dienstlichen Bereich keine mildere Einschätzung bezüglich der Schwere des Dienstvergehens. Hier ist neben den konkret negativen Auswirkungen des Fehlverhaltens der Antragstellerin auf die Funktionsfähigkeit und Sicherheit in dem hochsensiblen Bereich des Strafvollzuges insbesondere auch auf die generell negativen Folgen des maßgeblichen Geschehens für den Einsatz weiblicher Vollzugsbediensteter im Strafvollzug mit männlichen Gefangenen hinzuweisen.

Von der Begehung eines schweren Dienstvergehens durch die Antragstellerin ist und war danach unter Berücksichtigung aller dafür maßgeblichen Kriterien auszugehen. Die Schwere des Dienstvergehens indiziert grundsätzlich die Angemessenheit der Höchstmaßnahme.

Die von der Schwere des Dienstvergehens ausgehende Indizwirkung für die Angemessenheit der Höchstmaßnahme entfällt allerdings, wenn zugunsten des Beamten gewichtige Entlastungsgründe zu berücksichtigen sind, die den Schluss rechtfertigen, der Beamte habe das Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit noch nicht endgültig verloren

vgl. BVerwG, Urteil vom 20.10.2005, a.a.O., BVerwG, Urteil vom 10.1.2007 - 1 D 15.05 -, ZBR 2009, 160 f., BVerwG, Urteil vom 3.5.2007 a.a.O..

Solche Gründe stellen auch, aber nicht nur die sogenannten anerkannten Milderungsgründe dar. Diese tragen zum einen existenziellen wirtschaftlichen Notlagen sowie körperlichen oder psychischen Ausnahmesituationen Rechnung, in denen ein an normalen Maßstäben orientiertes Verhalten nicht mehr erwartet und daher nicht mehr vorausgesetzt werden kann. Zum anderen erfassen sie ein tätiges Abrücken von der Tat, insbesondere durch freiwillige Wiedergutmachung eines Schadens oder die Offenbarung des Fehlverhaltens vor der Entdeckung der Tat

vgl. BVerwG, Urteil vom 3.5.2007, a.a.O..

Entlastungsgründe, die einem endgültigen Vertrauensverlust entgegen stehen, können sich aber auch aus anderen Umständen ergeben. Sie müssen in ihrer Gesamtheit geeignet sein, die Schwere des Pflichtenverstoßes erheblich herabzusetzen

BVerwG, Urteil vom 10.1.2007, a.a.O. und BVerwG, Urteil vom 3.5.2007, a.a.O..

Zu solchen möglichen, im Gesamtkontext zu würdigenden Umständen gehört auch eine unzureichende Dienstaufsicht zur Tatzeit

BVerwG, Urteil vom 10.1.2007, a.a.O..

Vorliegend ist zunächst von einer Offenbarung des dienstlichen Fehlverhaltens durch die Antragstellerin vor der Entdeckung ihrer Tat auszugehen. Bis zu ihrer Offenbarung gegenüber ihren Kollegen am 29.10.2008 und der unmittelbar nachfolgenden Offenbarung der Antragstellerin gegenüber der Anstaltsleiterin am 29. und 30.10.2008 waren die Dienstpflichtverstöße der Antragstellerin verborgen geblieben. Bekannt wurden sie erst durch die Offenbarung der Antragstellerin.

Die entlastende Wirkung dieser Selbstoffenbarung ist allerdings eingeschränkt durch den Zeitpunkt und die Begleitumstände derselben. Denn unmittelbar vor der Offenbarung war für die Antragstellerin klar geworden, dass sie nicht mehr damit rechnen konnte, dass die Vorgänge der zurückliegenden 7 bis 8 Monate unentdeckt bleiben könnten. Der Strafgefangene hatte sich - nach der Darstellung der Antragstellerin - von einer entsprechenden Zusage trotz des als „Gegenleistung“ hierfür gewährten Geschlechtsverkehrs distanziert und die Antragstellerin am 29.10.2008 gezielt weiter unter Druck gesetzt. Ihre Selbstoffenbarung rechtfertigt deshalb im Rahmen des vorliegenden Verfahrens nicht die Annahme, die Antragstellerin habe das Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit noch nicht endgültig verloren.

Eine Entlastung zugunsten der Antragstellerin folgt auch nicht aus den im Rahmen der Beschwerdebegründung geltend gemachten „organisatorischen Verfehlungen auf Seiten des Beschwerdegegners“.

Zwar kann eine Vernachlässigung der Aufsichtspflicht durch Vorgesetzte unter dem Gesichtspunkt der Verletzung der Fürsorgepflicht oder des „Mitverschuldens“ als Mitursache einer dienstlichen Verfehlung bei der Bemessung der Disziplinarmaßnahme mildernd berücksichtigt werden, wenn konkrete Anhaltspunkte für besondere Umstände vorliegen, die ausreichende Kontrollmaßnahmen unerlässlich gemacht hätten, diese aber pflichtwidrig unterblieben sind

BVerwG, Urteil vom 10.1.2007, a.a.O..

Eine solche Situation war hier - nach den Erkenntnismöglichkeiten des vorliegenden Verfahrens - indes nicht gegeben. Hierzu ist im Rahmen der Beschwerdebegründung vorgetragen, das Verhalten der Antragstellerin sei bereits zu einem sehr früheren Zeitpunkt auffällig gewesen und vom direkten Vorgesetzten bemerkt und thematisiert worden. Gleichwohl habe „die Leitung der JVA im wahrsten Sinne des Wortes weggeschaut und die Situation bis zum Eklat treiben lassen“.

In der Tat waren die häufigen Kontakte der Antragstellerin mit dem Strafgefangenen auch nach der Darstellung des Antragsgegners bereits im Sommer 2008 aufgefallen und von der zuständigen Vollzugsabteilung mit ihr erörtert worden. Diese Gelegenheit hat die Antragstellerin allerdings nicht im Sinne der dienstpflichtgemäßen Offenbarung genutzt, sondern im Gegenteil ihr dienstpflichtwidriges Verhalten und dessen Hintergründe nicht nur nicht offenbart, sondern aktiv verschleiert, indem sie nachvollziehbare behandlerische Gründe für ihre verstärkte Aufmerksamkeit gegenüber dem Strafgefangenen darlegte und es ihr so gelang, die Bedenken ihrer Dienstvorgesetzten gezielt zu zerstreuen.

Eine Vernachlässigung der Aufsichtspflicht seitens der Dienstvorgesetzten kann daraus nicht hergeleitet werden. Diese durften nach dem Ergebnis des Personalgesprächs mit der Antragstellerin davon ausgehen, dass es sich bei den häufigen Kontakten mit dem Strafgefangenen um ein rein berufliches Engagement im Einklang mit den zu beachtenden Dienstpflichten handelte. Seit ihrer Ausbildungszeit (2001 – 2003) hatte die Antragstellerin bis dahin unbeanstandet in der JVA Dienst getan und nach allgemeiner Einschätzung - auch seitens des in der JVA tätigen Dipl.-Psychologen - durch Engagement und Gespräche immer wieder positiv im Sinne des Strafvollzuges auf Gefangene einwirken können. Es konnte daher keine Rede davon sein, dass aus der Sicht der Anstaltsleitung konkrete Anhaltspunkte für besondere Umstände vorgelegen hätten, die weitere Kontroll- und Aufsichtsmaßnahmen unerlässlich gemacht hätten. Ohne solche Umstände darf der Dienstherr grundsätzlich auf die Erfüllung der Dienstpflichten vertrauen. Denn eine ständige und lückenlose Kontrolle eines jeden Mitarbeiters ist unmöglich

vgl. nur BVerwG, Urteil vom 10.1.2007, a.a.O..

Davon durfte hier auch der Antragsgegner ausgehen.

Gegen die Annahme der in der Beschwerdeschrift geltend gemachte Verletzung der Fürsorgepflicht sprechen auch weitere Anhaltspunkte. Gerade im Hinblick auf die Thematik möglicher Verstöße gegen das Distanzgebot zwischen weiblichen Bediensteten und männlichen Gefangenen ist davon auszugehen, dass eine erhöhte Sensibilisierung seitens der Dienstvorgesetzten vorlag und dies den Bediensteten auch deutlich gemacht wurde. Dies ergibt sich z. B. daraus, dass noch im Januar 2008, d.h. kurz vor Aufnahme der Beziehung der Antragstellerin zu dem Strafgefangenen, die jährliche Frauenversammlung innerhalb der JVA gezielt unter das Thema „Frauen im Männervollzug“ gestellt und auf die daraus sich ergebenden Gefahren, insbesondere bei der Missachtung des gebotenen Nähe/Distanzverhaltens für die Betroffenen und andere, unbeteiligte Bedienstete, hingewiesen wurde. An dieser Veranstaltung hat die Antragstellerin selbst teilgenommen.

Nach alledem rechtfertigt der bislang festgestellte Sachverhalt - auch unter Berücksichtigung des Vorbringens im Beschwerdeverfahren - die Prognose, dass im Disziplinarverfahren voraussichtlich auf Entfernung der Antragstellerin aus dem Beamtenverhältnis erkannt werden wird. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der vorläufigen Dienstenthebung (§ 63 Abs. 2 SDG) bestehen deshalb nicht.

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 6.3.2009 war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 77 Abs. 4 SDG, 154 Abs. 2 VwGO.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

Gründe

1

Der zulässige Antrag ist begründet.

2

Nach § 38 Abs. 1 Satz 1 DG LSA kann die für die Erhebung der Disziplinarklage zuständige Behörde einen Beamten gleichzeitig mit oder nach der Einleitung des Disziplinarverfahrens vorläufig des Dienstes entheben, wenn im Disziplinarverfahren voraussichtlich auf Entfernung aus dem Beamtenverhältnis erkannt wird. Ferner kann die vorläufige Dienstenthebung ausgesprochen werden, wenn durch ein Verbleiben des Beamten im Dienst der Dienstbetrieb oder die Ermittlungen wesentlich beeinträchtigt würden und die vorläufige Dienstenthebung nicht unverhältnismäßig ist (§ 38 Abs. 1 Satz 2 DG LSA). Die Antragsgegnerin stützt sich erkennbar nicht auf letztgenannte Norm, sondern (nur) auf § 38 Abs. 1Satz 1 DG LSA, da ihrer Meinung nach im Disziplinarverfahren voraussichtlich auf Entfernung aus dem Beamtenverhältnis erkannt werden wird.

3

Bei der Anordnung der Suspendierung handelt es sich nicht um eine Disziplinarmaßnahme (OVG LSA, B. v. 07.05.2010, 10 M 2/10; juris). Ihre Berechtigung ergibt sich aus dem funktionalen Bedürfnis, noch vor der endgültigen Klärung des Vorliegens eines Dienstvergehens und der abschließenden Entscheidung über die angemessene Maßregelung des Beamten eine den Verwaltungsaufgaben und dem Dienstbetrieb dienende vorübergehende Sicherungsregelung zu treffen.

4

1.) Die nach § 61 Abs. 2 DG LSA vom Disziplinargericht vorzunehmende Prüfung ergibt hier, dass die vorläufige Dienstenthebung und die Einbehaltung der Dienstbezüge aufzuheben sind, weil ernstliche Zweifel an ihrer Rechtmäßigkeit bestehen.

5

a.) Die auf § 38 Abs. 1 Satz 1 DG LSA gestützte Verfügung über die vorläufige Dienstenthebung muss pflichtgemäßem Ermessen der Einleitungsbehörde entsprechen. Den Beamten auch nur vorläufig vom Dienst zu entheben setzt voraus, dass ein Verbleiben des Beamten im Dienst schlechthin untragbar wäre. Dabei handelt es sich um die denkbar schwerste Sanktion für dienstliche Verfehlungen, welche nach der Rechtsprechung besondere Umstände voraussetzt. Für die konkrete Entscheidung im Einzelfall sind grundsätzlich das dienstliche Bedürfnis an der einstweiligen Fernhaltung des Beschuldigten vom Dienst und dessen Recht auf amtsentsprechende dienstliche Beschäftigung abzuwägen (vgl. dazu. Köhler/Ratz, BDO, 2. Aufl., § 91 Rz. 10: vgl. zum Ganzen: VG Magdeburg, Beschl. v. 10.02.2007, 8 B 22/06; Beschl. v. 03.03.2010, 8 B 21/09; juris).

6

Nach § 61 Abs. 2 DG LSA ist die vorläufige Dienstenthebung dann aufzuheben, wenn ernstliche Zweifel an ihrer Rechtmäßigkeit bestehen. Ernstliche Zweifel sind schon dann anzunehmen, wenn im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts offen ist, ob die Anordnung nach § 38 Abs. 1 DG LSA rechtmäßig oder rechtswidrig ist (vgl. nur: Bay. VGH, Beschl. v. 11.04.2012, 16b DC 11.985; OVG Lüneburg Beschluss vom 13.5.2005, 3 ZD 1/05; alle juris). Neben der formellen Rechtmäßigkeit der Anordnung ist somit zu prüfen, ob die in der Anordnung liegende Prognose gerechtfertigt ist, der Beamte werde im Disziplinarverfahren voraussichtlich aus dem Dienst entfernt werden. Diese Prognose kann demnach nur dann gestellt werden, wenn nach dem Kenntnisstand im Eilverfahren die Möglichkeit der Höchstmaßnahme überwiegend wahrscheinlich ist. Ist es dagegen zumindest ebenso wahrscheinlich, dass eine Entfernung des Beamten aus dem Beamtenverhältnis im Disziplinarverfahren nicht erfolgen wird, sind ernstliche Zweifel durch das Gericht zu bejahen (BVerwG, Besch. v. 16.07.2009, 2 AV 4.09; BayVGH, Beschl. v. 20.04.2011, 16b DS 10.1120;Sächs. OVG, B. 19.08.2010, D 6 B115/10 mit Verweis auf Beschluss vom 08.07.2010, D6A116/10; alle juris; Müller, Grundzüge des Beamtendisziplinarrechts, § 38 Abs. 1 BDG, 2010, Rz. 370 m. w. N.; GKÖD, Disziplinarrecht des Bundes und der Länder, § 38 BDG, Rz. 51). Diese Prognoseentscheidung beinhaltet eine vom Gericht vorzunehmende summarische Prüfung des zurzeit bekannten Sachverhaltes und eine daran orientierte Wahrscheinlichkeitsprognose. Hinsichtlich des zur Last gelegten Dienstvergehens genügt, dass der Beamte dieses Dienstvergehen mit einem hinreichenden Grad an Wahrscheinlichkeit begangen hat; nicht erforderlich ist, dass das Dienstvergehen bereits in vollem Umfang nachgewiesen ist (vgl. BVerwG, Beschl. v. 29.09.1997, 2 WDB 3.97; OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 22.09.2009, 83 DB 1.09; OVG des Saarlandes, Beschl. v. 17.06.2009, 6 B 289/09; alle juris). Die Beurteilung im Verfahren nach § 61 DG LSA erfordert keine gesonderten Beweiserhebungen, sondern ist in der Lage, in der sich das Disziplinarverfahren jeweils befindet, anhand der bis dahin zu Tage getretenen Tatsachen zu treffen. Insoweit können u. U. selbst durch Aktenvermerke untermauerte Erkenntnisse ausreichen (vgl. Müller a. a. O). Dabei ist auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abzustellen (BVerwG, Besch. v. 22.07.2002, 2 WDB 1.02; OVG Berlin-Brandenburg; Beschl. v. 18.08.2005, 80 SN 1.05; Bay VGH, Beschl. v. 11.04.2012, 16b DCV 11.985; alle juris). Jedoch muss für die gerichtliche Überprüfung der vorläufigen Dienstenthebung maßgeblich auf die von dem Dienstherrn in dem Bescheid herangezogenen Pflichtenverletzungen abgestellt werden. Diese können durch das Disziplinargericht im Rahmen der Würdigung durch Akteninhalte und sonstige - evtl. auch später, im Laufe des Verfahrens nach § 61 DG LSA hinzutretende - Erkenntnisse untermauert werden, um anhand dessen die Rechtsmäßigkeit der Prognoseentscheidung zu beurteilen.

7

b.) Welche Disziplinarmaßnahme im Einzelfall erforderlich ist, richtet sich gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 und 3 DG LSA nach derSchwere des Dienstvergehens und des unter Berücksichtigung der Persönlichkeit des Beamten eingetretenen Umfangs der durch das Dienstvergehen herbeigeführten Vertrauensbeeinträchtigung. § 13 Abs. 2 DG LSA bestimmt, dass ein Beamter, der durch ein schweres Dienstvergehen das Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit endgültig verloren hat, aus dem Beamtenverhältnis zu entfernenist (Satz 1). Die Feststellung des verloren gegangenen Vertrauens ist verwaltungsgerichtlich voll inhaltlich nachprüfbar (Satz 2).

8

Demnach ist maßgebendes Bemessungskriterium für die Bestimmung der Disziplinarmaßnahme die Schwere des Dienstvergehens. Sie beurteilt sich zum einen nach der Eigenart und Bedeutung der verletzten Dienstpflichten, Dauer und Häufigkeit der Pflichtenverstöße und den Umständen der Tatbegehung (objektive Handlungsmerkmale) und zum anderen nach Form und Gewicht des Verschuldens und den Beweggründen des Beamten für sein pflichtwidriges Verhalten (subjektive Handlungsmerkmale) sowie nach den unmittelbaren Folgen der Pflichtenverstöße für den dienstlichen Betrieb und für Dritte (vgl. zum gleichlautenden § 13 BDG, BVerwG, Urt. v. 20.10.2005, 2 C 12.04; Urt. v. 03.05.2007, 2 C 9.06; B. v. 10.09.2010, 2 B 97/09; VGH Baden-Württemberg, U. v. 16.09.2010, DL 16 S 579/10; alle juris).

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Erst bei Würdigung der Gesamtpersönlichkeit des Beamten lässt sich mit der gebotenen Sicherheit beurteilen, ob der Beamte aus disziplinarrechtlicher Sicht noch erziehbar erscheint oder ob hierfür eine bestimmte Disziplinarmaßnahme als notwendig, aber auch als ausreichend erscheint, oder ob der Beamte für die Allgemeinheit und den Dienstherrn untragbar geworden ist und deshalb seine Entfernung aus dem Beamtenverhältnis geboten ist (VG Magdeburg, U. v. 04.11.2009, 8 A 19/08 m. w. N.; juris).

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Eine objektive und ausgewogene Zumessungsentscheidung setzt demnach voraus, dass die gegen den Beamten ausgesprochene Disziplinarmaßnahme unter Berücksichtigung der belastenden und entlastenden Umstände des Einzelfalls in einem gerechten Verhältnis zur Schwere des Dienstvergehens und zum Verschulden des Beamten steht und gewisse Besonderheiten des Einzelfalls mildernd zu berücksichtigen sind (vgl. BVerfG, Beschl. v. 08.12.2004, 2 BvR 52/02; BVerwG, U. v. 14.02.2007, 1 D 12.05 mit Verweis auf Urteil vom 20.10.2005, 2 C 12.04; OVG Lüneburg, U. v. 20.11.2009, 6 LD 1/09; VGH Bad.-Württ., U. v. 16.09.2010, DL 16 S 579/10; VG Saarland, U. v. 17.09.2010, 7 K 238/09; alle juris).

11

2.) Unter diesen rechtlichen Prüfungsvoraussetzungen vermag die Disziplinarkammer nach dem derzeitigen sich aus der Begründung der Suspendierung, dem Aktenmaterial und dem Vorbringen der Beteiligten ergebenden Sach- und Rechtsstand nicht mit der gebotenen Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass der Antragsteller ein derart schweres Dienstvergehen begangen hat, welches dazu geführt hat, dass das Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit endgültig verloren ist.

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a.) Die Antragsgegnerin stützt die vorläufige Dienstenthebung maßgeblich darauf, dass der Antragsteller gegen die ihm obliegende beamtenrechtliche Pflicht zu einem achtungs- und vertrauensvollen Verhalten (§ 34 Satz 3 Beamtenstatusgesetz [BeamtStG]) verstoßen habe. Der Antragsteller habe dem Polizeiarzt gegenüber im Jahr 2008 angegeben, regelmäßig Cannabis geraucht zu haben. Die damals erstellten Laborbefunde hätten diese Aussage bestätigt. Nach der letztmaligen Vorstellung im Polizeiärztlichen Zentrum am 29.12.2008 seien die Laborbefunde des Antragstellers hinsichtlich des Gebrauchs illegaler Drogen nicht mehr auffällig gewesen. Am 15.09.2011 habe es beim Antragsteller dagegen einen positiven Screeningbefund auf Cannabinoide und auf Benzodiazepin gegeben. Dies habe sich unter dem 20.10.2011 bestätigt.

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Daraus schlussfolgert die Antragsgegnerin, um illegale Drogen zu konsumieren, müssten diese zunächst erworben werden. Der unerlaubte Erwerb von Betäubungsmitteln sei nach § 29 Abs. 1 Ziff. 1 Betäubungsmittelgesetz (BtMG) strafbar. Ein Polizeibeamter, der unerlaubt Betäubungsmittel erwerbe, um diese zu konsumieren, zerstöre regelmäßig das Vertrauensverhältnis, welches für die ordnungsgemäße Aufgabenerfüllung unerlässlich sei. Allein die Umstände der Drogenbeschaffung, die ohne Kontakte in die einschlägige Szene nicht möglich seien, begründen den Verdacht, dass das außerdienstliche Verhalten des Antragstellers in besonderem Maße geeignet sei, das Vertrauen in eine für das Amt eines Polizeibeamten bedeutsamen Weise zu beeinträchtigen. Der Polizeibeamte habe für die Einhaltung der Gesetze einzustehen. Ein derartiges Versagen im Kernbereich beamtenrechtlicher Dienstpflichten sei daher geeignet, die für eine weitere Zusammenarbeit mit dem Beamten erforderliche Vertrauensgrundlage völlig zu zerstören. Deshalb bestehe eine hinreichende Wahrscheinlichkeit, dass der Antragsteller aus dem Beamtenverhältnis entfernt werde. Aus diesen Gründen sei der Antragsteller vorläufig des Dienstes zu entheben.

14

Die sodann unter dem 19.03.2012 verfügte teilweise Einbehaltung der Dienstbezüge nach § 38 Abs. 2 DG LSA wird mit der vorläufigen Dienstenthebung vom 29.02.2012 begründet. Angesichts der bei der Durchsuchungsmaßnahme in den Wohnräumen des Antragstellers beschlagnahmten Sachen und Gegenstände sei die Verneinung eines kriminellen Milieus nicht zu begründen. Es folgt sodann eine Berechnung des finanziellen monatlichen Bedarfs. Dafür notwendige Belege habe der Antragsteller nicht vorgelegt.

15

Am 11.08.2011 fand auf den Beschluss des Amtsgerichts Quedlinburg am 04.08.2011 die Durchsuchung der Wohnung des Antragstellers statt. Dabei wurden u. a. eine sog. Indoorplantage mit 8 Cannabispflanzen und diverse Produkte vorgefunden, die unter das Betäubungsmittelgesetz fallen. Wegen des genauen Umfangs der beschlagnahmten Sachen wird auf den Inhalt der Beiakte A verwiesen. Der Antragsteller weist die darauf beruhenden Vorwürfe von sich; sein Mitbewohner, Herr E., erklärte insoweit bei seiner Beschuldigtenvernehmung, der Antragsteller habe sein Handeln lediglich toleriert. Am 03.04.2012 hat die Staatsanwaltschaft Magdeburg beim Amtsgericht Quedlinburg die Zulassung und Eröffnung des Hauptverfahrens wegen unerlaubten gemeinschaftlichen Anbau und unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln erhoben.

16

b.) Im Fall eines Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz geht die disziplinarrechtliche Rechtsprechung bei der Bemessung der Disziplinarmaßnahme davon aus, dass der Beamte, der an den staatlichen Zielen, den Auswirkungen des zunehmenden Rauschgiftkonsums vorzubeugen und so unabsehbare Gefahren für den Einzelnen und die Allgemeinheit abzuwehren, zuwiderhandelt, eine grob rücksichtslose Haltung gegenüber der Allgemeinheit offenbart. Angesichts der Variationsbreite möglicher Verwirklichungsformen pflichtwidrigen Verhaltens in diesem Bereich wird jedoch das disziplinarrechtliche Gewicht des Dienstvergehens von den besonderen Umständen des Einzelfalls abhängig gemacht (vgl. BVerwG, U. v. 14.12.2000, 1 D 40.99; Urteile vom 07.05.1996, 1 D 82.95 und vom 29.04.1986, 1 D 141.85; vom 25.10.1983, 1 D 37.83, Urteile vom 24.07.2008, DB 16 S 4.07 und vom 06.08.2009, DL 16 S 2974/08; VGH Baden-Württemberg, U. v. 25.02.2010, DL 16 S 2597/09; VG Berlin, U. 22.11.2011, 85 K 11.10 OB; alle juris). Demnach werden in schweren Fällen durchaus die disziplinarrechtlichen Höchstmaßnahmen der Degradierung und die Entfernung aus dem Dienst auszusprechen sein, ohne dass diese jedoch Regelmaßnahme für jedwedes strafbares Handeln nach dem Betäubungsmittelgesetzt (§ 29 BtMG) wären.

17

Bei der Bemessung der Disziplinarmaßnahme ist jedoch neben dem objektiven Gehalt des Strafvorwurfes auch zu berücksichtigen, dass der Polizeibeamte wegen seines besonderen Auftrags zur Abwehr von Gefahren und zur Verfolgung von Straftaten einer strengeren Verpflichtung unterliegt. Mit dieser Verpflichtung ist es durchweg unvereinbar, wenn ein Polizeibeamter - auch außerhalb des Dienstes - gegen Strafvorschriften verstößt, die wichtige Gemeinschaftsbelange schützen sollen und damit einem besonderen staatlichen Anliegen dienen. Das Vertrauen des Dienstherrn in seinen Beamten, der die Aufgabe, Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz wegen der genannten Gefahren abzuwenden und zu verhindern, nicht nur nicht erfüllt, sondern im Gegenteil mit seinem Verhalten Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz fördert und somit die abzuwehrenden Gefahren steigert, ist empfindlich, wenn nicht gar endgültig zerstört (vgl.: OVG NRW, U. v. 16.12.1998, 6 d 4674/97.O; juris).

18

c.) Der Dienstherr rechtfertigt hier - wie oben dargelegt - die vorläufige Dienstenthebung nach § 38 Abs. 1 Satz 1 DG LSA allein damit, dass ihm der zur Entfernung führende unerlaubte, weil strafbare,Erwerb von Betäubungsmitteln vorzuhalten sei. Die diesem pauschalen Vorwurf zugrunde liegenden Erkenntnisse vermögen nach den dargestellten Gründen und der Problematik der Vielschichtigkeit der möglichen Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz bislang die Entfernung aus dem Dienst nicht zwangsläufig zu tragen.

19

Die Antragsgegnerin bezieht ihre Kenntnisse maßgeblich aus den Angaben des Antragstellers gegenüber dem Polizeiarzt, wonach der Antragsteller regelmäßigen Cannabiskonsum im Jahr 2008 angegeben habe und im Jahre 2011 positive Screeningbefunde vorgelegen hätten. Dies allein begründet jedoch für sich genommen nicht perse ein schweres Dienstvergehen, zumal die vom Antragsteller konsumierte Menge, die Konsumdauer und das Konsumverhalten nicht einmal bekannt sind. Zwar ist u. a. der unerlaubte Anbau und Erwerb mit Strafe beschwert (§ 29 Abs. 1 bis 3 BtMG). Der individuelle Unrechts- und Schuldgehalt einer solchen Tat ist jedoch von den Umständen des Einzelfalles abhängig und kann zum Absehen von Strafe bzw. der Verfolgung (§§ 29 Abs. 5, 31a Abs. 1 BtMG) führen (vgl. dazu Richtlinie zur Anwendung des § 31a Abs. 1 Betäubungsmittelgesetzt und zur Bearbeitung von Ermittlungsverfahren in Strafsachen gegen Betäubungsmittelkonsumenten, JMBl. LSA 2008, S. 245). Der Antragsgegnerin kann auch nicht vollends darin gefolgt werden, dass dem Konsum stets eine illegale Beschaffung der Substanzen im kriminellen Milieu vorangegangen sein muss. Dazu ist bereits das Tatbestandsmerkmal der „Beschaffung“ etwa in § 29 Abs. 1 Nr. 1 und 3 BtMG zu vielschichtig. So mag - unabhängig von der strafrechtlichen Relevanz - ein Konsum auch im Freundeskreis oder auf sonstigem Wege möglich sein, woraus sich nicht unmittelbar und unabdingbar ein kriminelles Milieu ergibt. Gerade diese Begleitumstände, also die Variationsbreite der Verstöße gegen das Betäubungsmittelrecht gilt es im Disziplinarverfahren aufzuklären und zu würdigen. Jedenfalls - und das ist entscheidend - lassen sich die diesbezüglichen Vorwürfe auch nicht mit den aufgrund der strafrechtlichen Ermittlungen gewonnenen Erkenntnissen untermauern. Die Antragsgegnerin stützt die vorläufige Dienstenthebung auch nicht darauf. Die beiden streitbefangenen Verfügungen sind insoweit äußerst begründungsarm. So ist die vorläufige Dienstenthebung nicht etwa auf das dem Beamten gegenüber geführte anhängige strafrechtliche Ermittlungsverfahren, welches in der Folgezeit zur Beantragung der Zulassung der Anklage vor dem Amtsgericht Quedlinburg geführt hat, gestützt. Zwar findet sich in der Verfügung zur Einbehaltung der Dienstbezüge vom 19.03.2012 ein Hinweis auf die bei der Durchsuchungsmaßnahme in den Wohnräumen des Beamten beschlagnahmten Sachen und Gegenstände, woraus sich das „kriminelle Milieu“ ergeben würde. Das Disziplinargericht hat zwar keinen Zweifel daran, dass die Feststellungen im Rahmen der Durchsuchung der gemeinsam mit einem weiteren Angeschuldigten genutzten Wohnung disziplinarrechtlich ebenso beachtlich wie die zwischenzeitlich erhobene Anklage sind. Aber auch unter Berücksichtigung dieser, über die Begründung der Verfügung der vorläufigen Dienstenthebung hinausgehenden Erkenntnisse, die eine weitere Qualität im Sinne der Variationsbreite des disziplinarrechtlich zu wertenden Pflichtenverstoßes darstellen, vermag das Disziplinargericht nicht mit der erforderlichen hinreichenden Wahrscheinlichkeit von einer Entfernung aus dem Beamtenverhältnis auszugehen.

20

Denn die in der Rechtsprechung zu findenden Fallgestaltungen hinsichtlich der Variationsbreite der Schwere der Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz rechtfertigen eine vorläufige Dienstenthebung bzw. die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis etwa (erst) dann, wenn es sich um den Konsum „harter“ Drogen (VG Berlin, Urteil v. 22.11.2011, 85 K 11.10 OB; OVG Berlin, Beschluss v. 16.04.1992, 4 S 11.92; beide juris) handelt und/oder der Beamte eine beachtliche Drogenkarriere zurückgelegt hat, der Beamte etwa in die Beschaffungskriminalität abgleitet oder sich als Dealer betätigt (BVerwG, Urteil v. 13.07.1999, 2 WD 4.99; OVG Rheinl.-Pfalz, Urteil v. 30.06.2003, 3 A 10767/03; VG Berlin, Urteil v. 04.10.2011, 80 K 6.11 OL; alle juris) oder aufgrund der Einheitlichkeit des Dienstvergehens weitere Pflichtenverstöße hinzugetreten sind (OVG Lüneburg, Urteil v. 22.06.2010, 20 LD 7/08; VG Berlin, Urteil v. 13.02.2006, 80 A 27.05; alle juris). Die Vergleichbarkeit mit diesen Fallgestaltungen ist vorliegend nicht gegeben. Es gilt die weiteren Ermittlungen bzw. das Strafverfahren im weiter anhängigen behördlichen Disziplinarverfahren abzuwarten. Insoweit steht es dem Dienstherrn frei, bei einer veränderten Erkenntnislage eine erneute Suspendierung auszusprechen (vgl. § 122 Abs. 1, 121 VwGO).

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3.) Dementsprechend ist mangels rechtlicher Voraussetzungen nach § 38 Abs. 2 DG LSA auch die Einhaltung der Dienstbezüge abzuheben.

22

4.) Die Kostenentscheidung beruht auf § 72 Abs. 4, 73 Abs: 1 DG LSA, 154 Abs. 1 VwGO.


Tenor

Unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 8. März 2011 - 7 L 29/11 - wird die Anordnung der vorläufigen Dienstenthebung des Antragstellers und Einbehaltung von 50 % seiner monatlichen Dienstbezüge durch den Bescheid vom 20.12.2010 ausgesetzt.

Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsgegner.

Gründe

Die Beschwerde des Antragstellers ist zulässig. Sie ist gemäß § 67 Abs. 1 und Abs. 3 SDG i.V.m. §§ 146, 147 VwGO statthaft und gemäß § 67 Abs. 3 SDG i.V.m. §§ 147 Abs. 1, 146 Abs. 4 VwGO fristgerecht erhoben und begründet worden. Zu Recht hat das Verwaltungsgericht den Antrag des Antragstellers vom 10.1.2011 als zulässigen Antrag nach § 63 Abs. 1 Satz 1 SDG auf Aussetzung der mit Bescheid des Antragsgegners vom 20.12.2010 ausgesprochenen vorläufigen Dienstenthebung und der Einbehaltung von 50 % seiner monatlichen Dienstbezüge ausgelegt.

Die Beschwerde des Antragstellers gegen die durch Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 8.3.2011 - 7 L 29/11 - erfolgte Zurückweisung seines Aussetzungsantrages hat auch in der Sache Erfolg. Denn es bestehen im Sinne des § 63 Abs. 2 SDG ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 20.12.2010.

Nach § 38 Abs.1 SDG kann die für die Erhebung der Disziplinarklage zuständige Behörde einen Beamten oder eine Beamtin gleichzeitig mit oder nach der Einleitung des Disziplinarverfahrens vorläufig des Dienstes entheben, wenn im Disziplinarverfahren voraussichtlich auf Entfernung aus dem Beamtenverhältnis erkannt werden wird. Nach Abs. 2 der genannten Vorschrift kann die für die Erhebung der Disziplinarklage zuständige Behörde gleichzeitig mit oder nach der vorläufigen Dienstenthebung anordnen, dass dem Beamten oder der Beamtin bis zu 50 % der monatlichen Dienst- oder Anwärterbezüge einbehalten werden, wenn im Disziplinarverfahren voraussichtlich auf Entfernung aus dem Beamtenverhältnis erkannt werden wird.

Nach § 63 Abs. 2 SDG sind die vorläufige Dienstenthebung und die Einbehaltung von Bezügen auszusetzen, wenn ernstliche Zweifel an ihrer Rechtmäßigkeit bestehen. Derartige Zweifel sind vorliegend gegeben.

Zwar sprechen nach Auffassung des Senats - ebenso wie im Ergebnis nach Auffassung des Verwaltungsgerichts – überwiegende Gründe dafür, dass nach dem derzeitigen, im vorliegenden Verfahren zugrunde zu legenden Sach- und Streitstand eine überwiegende Wahrscheinlichkeit die Prognose rechtfertigen dürfte, dass im Rahmen des mit Verfügung vom 26.4.2010 gegen den Antragsteller eingeleiteten Disziplinarverfahrens die Verhängung der Höchstmaßnahme zu erwarten ist. Dabei dürften die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 38 Abs. 1 und Abs. 2 SDG für die vorläufige Dienstenthebung des Antragstellers und die zugleich angeordnete Einbehaltung der monatlichen Dienstbezüge aller Voraussicht nach gegeben sein. Jedoch bestehen mit Blick auf die ordnungsgemäße Ausübung des dem Antragsgegner nach § 38 Abs. 1 SDG eingeräumten Ermessens ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 20.12.2010.

Aus dem Gesamtergebnis des wegen des Besitzes kinderpornografischer Schriften gegen den Antragsteller geführten Ermittlungsverfahrens der Staatsanwaltschaft Saarbrücken (24 Js 899/07) und des vor dem Amtsgericht Saarbrücken geführten Strafverfahrens (119 Ds 89/09) ergibt sich aller Voraussicht nach der hinreichende Verdacht, dass der Antragsteller ein außerdienstliches Dienstvergehen begangen hat, das im Rahmen des am 26.4.2010 gegen ihn eingeleiteten Disziplinarverfahrens mit überwiegender Wahrscheinlichkeit die Verhängung der Höchstmaßnahme erfordern wird. Zwar haben sowohl das Verwaltungsgericht als auch der Antragsteller zu Recht Zweifel daran geltend gemacht, ob sich dieser hinreichende Verdacht allein aus den tatsächlichen Feststellungen des strafgerichtlichen Urteils des Amtsgerichts Saarbrücken vom 10.2.2010 (119 Ds 89/09) ableiten lässt, an die die Disziplinarbehörde gemäß § 23 Abs. 1 SDG und die Disziplinargerichte gemäß § 57 SDG - in jeweils unterschiedlicher Intensität - gebunden sind. Diesbezügliche Bedenken ergeben sich insoweit zum einen hinsichtlich der Frage, ob die Anzahl der im Besitz des Antragstellers gewesenen Bilddateien kinderpornografischen Inhalts tatsächlich 781 betragen hat. In dem strafgerichtlichen Urteil vom 10.2.2010 heißt es hierzu lediglich:

„Dem Angeklagten wird in der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Saarbrücken vom 28.1.2009 vorgeworfen, am 24.10.2007 in seiner Wohnung, A-Straße, A-Stadt, auf seinem Personalcomputer Fujitsu zu Siemens Scaleo 600 781 Bilddateien mit Darstellungen aufbewahrt zu haben, auf denen u.a. Mädchen zu sehen sind, die offensichtlich jünger als 14 Jahre alt sind und mit denen Erwachsene Vaginalverkehr ausüben, die Erwachsene oral stimulieren oder die von Erwachsenen an ihren Geschlechtsteilen berührt werden. Der Angeklagte hat den Vorwurf in der Hauptverhandlung glaubhaft eingestanden. Er hat sich damit des Besitzes kinderpornografischer Schriften gemäß § 184 b Abs. 1, Abs. 4 Satz 2 StGB schuldig gemacht.“

Diese Formulierung lässt zwar den Schluss zu, dass Gegenstand des strafrechtlichen Vorwurfs der Besitz von insgesamt 781 Bilddateien war, die zumindest teilweise als kinderpornografisch einzustufen waren. Dem Urteil lässt sich aber keine ausreichende Tatsachenfeststellung entnehmen, aus der sich ableiten lässt, dass alle diese Dateien von ihrem Inhalt her als kinderpornografisch im Sinne des § 184 b StGB einzustufen waren. Entsprechend eingeschränkt ist der Umfang seiner Bindungswirkung nach §§ 23, 57 SDG.

Gleichwohl wird nach Auffassung des Senats nach dem gesamten Inhalt des Straf- und Ermittlungsverfahrens davon ausgegangen werden können, dass der Antragsteller vorsätzlich im Besitz kinderpornografischer Bilddateien war und dass deren Anzahl aller Voraussicht nach deutlich über die – vom Verwaltungsgericht seiner Entscheidung als ausreichend zugrunde gelegte – Zahl von 10 Bilddateien hinausging, die in der Strafakte als „beispielhaft“ dokumentiert sind. Dies ergibt sich neben anderen, hier nicht im Einzelnen darzulegenden Anhaltspunkten schon daraus, dass die genannten 10 Bilddateien, die ihrerseits eindeutig kinderpornografischen Inhalt haben, nach Durchführung der polizeilichen Auswertung der auf dem Personalcomputer des Antragstellers vorhandenen Dateien beispielhaft ausgedruckt und der Ermittlungsakte beigefügt wurden, um den Inhalt der von Seiten der Polizei als kinderpornografisch eingestuften 781 Dateien zu dokumentieren. Hieraus lässt sich schließen, dass jeder der 10 - unterschiedlichen - Darstellungen jeweils eine Mehrzahl vergleichbarer Darstellungen im Rahmen der insgesamt 781 als kinderpornografisch eingestuften Dateien entspricht. Gleichwohl kann beim derzeitigen Erkenntnisstand und insbesondere auf der Grundlage der in dem Urteil des Amtsgerichts Saarbrücken von 10.2.2010 getroffenen Tatsachenfeststellungen nicht ausgeschlossen werden, dass sich in der Gesamtzahl von 781 im Ermittlungsverfahren als kinderpornografisch bewerteten Darstellungen z.B. auch sogenannte Posing-Bilder befunden haben, welche nicht im strafrechtlichen Sinne des § 184 b StGB als kinderpornografisch einzuordnen sind. Insofern ist zu beachten, dass sich in den Ermittlungsakten auch mehr als 200 Dateien dieser Art (Posing-Bilder) befinden. Hierzu werden im Disziplinarverfahren noch weitere Ermittlungen anzustellen sein, die nach dem Vortrag des Antragsgegners bereits eingeleitet sind.

Zudem lässt sich allein den Feststellungen des Strafurteils nicht entnehmen, in welchem Zeitraum der Antragsteller derartige Bilddateien im Besitz hatte. In dem Urteil ist lediglich von dem 24.10.2009 als Tatzeitpunkt die Rede. Dies war der Tag der Beschlagnahme des Personalcomputers des Antragstellers. Gleichwohl dürfte nach dem Gesamtinhalt des Straf- und Ermittlungsverfahrens nicht davon ausgegangen werden können, dass der Antragsteller die kinderpornografischen Darstellungen nur an einem einzigen, dem im strafrechtlichen Urteil vom 10.2.2010 genannten Durchsuchungstag am 24.10.2009 in Besitz gehabt hat.

Dem Antragsgegner ist im Grundsatz des Weiteren darin zu folgen, dass – auch wenn eine Regeleinstufung insoweit auszuscheiden hat - der Orientierungsrahmen für die Bemessung der erforderlichen Disziplinarmaßnahme nach § 13 SDG bei außerdienstlichem Besitz kinderpornografischer Schriften durch einen Lehrer unter der Geltung der erhöhten Strafandrohung des § 184 b Abs. 5 StGB i.d.F. des Gesetzes zur Änderung der Vorschriften über die Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung und zur Änderung anderer Vorschriften vom 27.12.2003 (BGBl. Teil I S. 3007) nach Maßgabe der neueren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur disziplinarrechtlichen Ahndung des Besitzes kinderpornografischer Schriften

BVerwG, Urteil vom 19.8.2010 - 2 C 5/10 -, zitiert nach juris -

die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis ist.

Gleichwohl bestehen jedoch ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides des Antragsgegners vom 20.12.2010 mit Blick auf die ordnungsgemäße Ausübung des der Disziplinarbehörde in § 38 SDG eingeräumten Ermessens. Denn der Antragsgegner hat seiner Ermessensentscheidung nach § 38 SDG auf der Tatbestandsseite Tatsachen zugrunde gelegt, die sich zum Teil aus den von ihm zitierten Quellen so nicht entnehmen lassen und zum Teil aller Voraussicht nach einem Verwertungsverbot unterliegen.

Wie dargelegt, lässt sich dem strafrechtlichen Urteil vom 10.2.2010 nicht mit Bestimmtheit die Feststellung entnehmen, dass der Antragsteller 781 Bilddateien kinderpornografischen Inhalts in Besitz hatte. Gleichwohl sind die streitgegenständlichen Maßnahmen der vorläufigen Dienstenthebung und der Einbehaltung von Dienstbezügen im Bescheid des Beklagten vom 20.12.2010 maßgeblich auf den „Ihnen zur Last gelegte(n) Besitz von 781 Bilddateien mit kinderpornografischen Darstellungen, auf denen u.a. Mädchen zu sehen sind, die offensichtlich jünger als 14 Jahre alt sind und mit denen Erwachsene Vaginalverkehr ausüben, die Erwachsene oral stimulieren oder die von Erwachsenen an ihren Geschlechtsteilen berührt werden (zitiert aus dem Ihnen gegenüber ergangenen Strafurteil des Amtsgerichts Saarbrücken vom 10. Februar 2010“ gestützt.

Ferner heißt es in dem Bescheid:

„Milderungsgründe, die die Annahme einer Disziplinarmaßnahme unterhalb der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis wahrscheinlich machen würden, sind nicht zu erkennen. Bei Ihrem im Strafverfahren wie auch im Rahmen der behördlichen Anhörung vom 22.4.2010 eingestandenen Fehlverhalten handelt es sich nicht um ein einmaliges oder nur ganz kurzfristiges Verhalten und Versagen, sondern um Aktivitäten, die sich über einen längeren Zeitraum - Sie erwähnten als relevante Zeit die Jahre 2006 und 2007 - hingezogen haben und eine Vielzahl einzelner Schritte zur Verschaffung und Abspeicherung von 781 Bilddateien erforderten. In den Fällen, die Gegenstand dieses Disziplinarverfahrens sind, handelten Sie jeweils vorsätzlich. Dies steht aufgrund ihrer Einlassung in der Anhörung vom 22.4.2010 fest.“

Zum Beleg der von ihm seiner Ermessensentscheidung zugrunde gelegten Tatsachen hat der Antragsgegner damit maßgeblich nicht nur auf die – wie oben bereits dargelegt - unscharfen Formulierungen des Strafurteils zurückgegriffen, sondern auch auf Äußerungen des Antragstellers, die dieser in der - vor der mit Verfügung vom 26.4.2010 erfolgten förmlichen Einleitung des Disziplinarverfahrens durchgeführten - Anhörung vom 22.4.2010 getätigt hatte.

Dem über diese Anhörung gefertigten Protokoll kann indes weder entnommen werden, dass der Antragsteller gemäß § 20 Abs. 1 Satz 3 SDG darüber belehrt wurde, dass es ihm freistehe, sich mündlich oder schriftlich zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen, noch dass er darüber belehrt wurde, dass es ihm freistehe, sich jederzeit eines oder einer Bevollmächtigten oder eines Beistandes zu bedienen. Ob es dem Antragsgegner gelingen wird, seinen Vortrag, der Antragsteller sei zu dem ersten Punkt tatsächlich belehrt worden, auch wenn dies im Protokoll nicht festgehalten wurde, zu beweisen, erscheint derzeit offen. Bezüglich der Belehrung zu dem zweiten Punkt hat der Antragsgegner selbst vorgetragen, es sei nicht erinnerlich, ob insoweit eine Belehrung des Antragstellers stattgefunden habe. Insoweit spricht derzeit alles dafür, dass der Inhalt der Anhörung vom 22.4.2010 einem Verwertungsverbot unterfällt.

Danach hat der Antragsgegner seiner Ermessensentscheidung über die vorläufige Dienstenthebung und Einbehaltung der Dienstbezüge einen Sachverhalt zugrunde gelegt, der nach derzeitigem Erkenntnisstand aller Voraussicht nach nicht hätte zugrunde gelegt werden dürfen, weil er zum Teil, bezogen auf die Anzahl der kinderpornografischen Darstellungen nicht ordnungsgemäß festgestellt worden war und zum Teil, bezogen auf den Zeitraum des Besitzes dieser kinderpornografischen Darstellungen, aller Voraussicht nach auf eine Erkenntnisquelle gestützt ist, die einem Verwertungsverbot unterliegt. Liegt aber einer Ermessensbetätigung ein unrichtiger oder nicht ordnungsgemäß festgestellter Sachverhalt zugrunde, so erweist sich grundsätzlich auch die darauf gestützte Ermessensausübung als fehlerhaft

vgl. nur Kopp/Schenke, VwGO, 16. Auflage, § 114 Rdnr. 12; Bader/Funke-Kaiser/Kuntze/von Albedyll, VwGO, 4. Auflage, § 114 Rdnr.13 m.w.N.; BVerwG, Urteil vom 2.7.1992 – 5 C 51/90 -, zitiert nach juris.

Der vorliegende Ermessensfehler ist vorliegend auch nicht unter den Aspekten einer möglichen Ermessensreduzierung auf Null oder eines wirksamen Nachschiebens von Ermessenserwägungen unbeachtlich. Die tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen dafür liegen hier nicht vor.

Es kann vor diesem Hintergrund auch dahinstehen, ob der Auffassung des Verwaltungsgerichts gefolgt werden kann, dass auch schon der zeitlich nicht näher eingegrenzte Besitz von (nur) 10 kinderpornografischen Bilddateien - auf der Tatbestandsseite des § 38 SDG - ausreichend für die Verhängung der Höchstmaßnahme im Disziplinarverfahren gegenüber dem Antragsteller sei. Ebenso kann offen bleiben, ob - wofür aus der Sicht des Senats einiges spricht - aus dem Gesamtergebnis des strafrechtlichen Ermittlungs- und Gerichtsverfahrens Feststellungen abgeleitet werden können, die die Annahme rechtfertigen, dass der Antragsteller im Besitz eines Mehrfachen von 10 kinderpornografischen Bilddateien gewesen ist. Denn ungeachtet dessen ist es den Disziplinargerichten verwehrt, ausgehend von ihren eigenen Annahmen zu den auf der Tatbestandsseite relevanten Tatsachen die Ermessensentscheidung des Antragsgegners nach § 38 SDG durch ihre eigene Ermessensentscheidung zu ersetzen. Es ist vielmehr allein Sache des Antragsgegners, die von ihm getroffene Ermessensentscheidung nach § 38 SDG, gegen deren Rechtmäßigkeit wegen Ermessensfehlgebrauchs ernstliche Zweifel bestehen, durch eine erneute Ermessensentscheidung, die auf eine ordnungsgemäße Tatsachengrundlage gestützt ist, zu ersetzen

vgl. BVerwG, Beschluss vom 21.9.2000 - 1 DB 7/00 - sowie vom 16.11.1999 - 1 DB 8/99 -, jeweils zitiert nach juris.

Der Antrag des Antragstellers hatte daher Erfolg. Die begehrte Aussetzung nach § 63 SDG war daher auszusprechen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 77 Abs. 4 SDG, 154 Abs. 1 VwGO.

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar.

(1) Die Entscheidung über eine Disziplinarmaßnahme ergeht nach pflichtgemäßem Ermessen. Die Disziplinarmaßnahme ist nach der Schwere des Dienstvergehens zu bemessen. Das Persönlichkeitsbild des Beamten ist angemessen zu berücksichtigen. Ferner soll berücksichtigt werden, in welchem Umfang der Beamte das Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit beeinträchtigt hat.

(2) Ein Beamter, der durch ein schweres Dienstvergehen das Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit endgültig verloren hat, ist aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen. Dem Ruhestandsbeamten wird das Ruhegehalt aberkannt, wenn er als noch im Dienst befindlicher Beamter aus dem Beamtenverhältnis hätte entfernt werden müssen.

Gründe

1

Die Beschwerde des Beklagten hat mit der Maßgabe Erfolg, dass der Rechtsstreit gemäß § 133 Abs. 6 VwGO, § 69 BDG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückzuverweisen ist. Die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO liegen vor, weil das Berufungsurteil auf der vom Beklagten geltend gemachten Verletzung seines Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs gemäß Art. 103 Abs. 1 GG beruht.

2

Der Beklagte, ein Bundesbahnobersekretär, wurde im Jahr 1999 wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr und im Jahr 2001 wegen Urkundenfälschung in Tateinheit mit versuchtem Betrug jeweils zu einer Geldstrafe verurteilt. Im Jahr 2003 wurde gegen den Beklagten wegen Urkundenfälschung in Tatmehrheit mit 13 sachlich zusammenhängenden Fällen des Missbrauchs von Scheck- und Kreditkarten eine Gesamtfreiheitsstrafe von acht Monaten verhängt, die zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die jeweils sachgleichen Disziplinarverfahren wurden eingestellt (§ 27 BDO und § 32 Abs. 1 Nr. 3 BDG). Im November 2006 wurde der Beklagte wegen versuchten Betrugs in zwei Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit Urkundenfälschung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 11 Monaten verurteilt, die nicht zur Bewährung ausgesetzt wurde. Auf die sachgleiche Disziplinarklage erkannte das Verwaltungsgericht wegen eines außerdienstlichen Dienstvergehens auf Entfernung aus dem Beamtenverhältnis. Der Verwaltungsgerichtshof hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen.

3

1. Art. 103 Abs. 1 GG gewährleistet den Verfahrensbeteiligten das Recht, sich nicht nur zu dem der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt, sondern auch zur Rechtslage zu äußern, und verpflichtet das Gericht, den Vortrag der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Dabei kann es in besonderen Fällen auch geboten sein, die Verfahrensbeteiligten auf eine Rechtsauffassung hinzuweisen, die das Gericht der Entscheidung zugrunde legen will. Es kann im Ergebnis der Verhinderung eines Vortrags zur Rechtslage gleichkommen, wenn das Gericht ohne vorherigen Hinweis auf einen rechtlichen Gesichtspunkt abstellt, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter selbst unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen nicht zu rechnen brauchte. Allerdings ist zu beachten, dass das Gericht grundsätzlich weder zu einem Rechtsgespräch noch zu einem Hinweis auf seine Rechtsauffassung verpflichtet ist. Auch wenn die Rechtslage umstritten oder problematisch ist, müssen daher die Verfahrensbeteiligten grundsätzlich alle vertretbaren rechtlichen Gesichtspunkte von sich aus in Betracht ziehen und ihren Vortrag darauf einstellen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. Mai 1992 - 1 BvR 986/91 - BVerfGE 86, 133 <144 f.> und Urteil vom 14. Juli 1998 - 1 BvR 1640/97 - BVerfGE 98, 218 <263> jeweils m.w.N.).

4

Nach diesen Grundsätzen war das Berufungsgericht verpflichtet, vor seiner Entscheidung über die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts diesen darauf hinzuweisen, dass es aufgrund der gegen den Beklagten ausgesprochenen Freiheitsstrafe von 11 Monaten bei einem außerdienstlichen Dienstvergehen von der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis quasi als Regelmaßnahme ausgehen würde, von der nur bei Vorliegen besonderer, gewichtiger Milderungsgründe abgewichen werden kann. Wie die Ausführungen auf Seite 13 des Berufungsurteils belegen, ist der Verwaltungsgerichtshof der Sache nach davon ausgegangen, dass die Verhängung einer Freiheitsstrafe im Strafverfahren, die nur wenig unterhalb der sich aus § 48 Satz 1 Nr. 1 BBG a.F. (§ 41 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BBG) ergebenden Grenze liegt, für das Disziplinarverfahren ohne Weiteres die Dienstentfernung nach sich zieht. Diese Rechtsansicht widerspricht der Rechtsprechung des Disziplinarsenats des Bundesverwaltungsgerichts zur Bedeutung einer im Strafverfahren verhängten Freiheitsstrafe für die Bemessung der Disziplinarmaßnahme im sachgleichen Disziplinarverfahren. Der Disziplinarsenat hat in dem im Berufungsurteil genannten Urteil vom 8. März 2005 (BVerwG 1 D 15.04 - Buchholz 232 § 77 BBG Nr. 24 S. 16) festgestellt, dass wegen der Eigenständigkeit des Disziplinarrechts der strafrechtlichen Einstufung des Falles durch das Strafmaß im eigentlichen Sinne keine präjudizielle Bedeutung für die Bemessung der Disziplinarmaßnahme zukommt. Demnach ist es ausgeschlossen, vom Ausspruch einer Freiheitsstrafe von weniger als einem Jahr zwingend auf die Dienstentfernung zu schließen, ohne weitere bemessungsrelevante Umstände i.S.d. § 13 Abs. 1 BDG in den Blick zu nehmen. Dies gilt zumal in Betrugsfällen, in denen stets eine Abwägung der fallbezogenen erschwerenden und entlastenden Umstände stattzufinden hat, wobei der Höhe des Schadens besondere Bedeutung zukommt (vgl. unten S. 5 f.).

5

Ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter muss auch unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen nicht damit rechnen, dass ein Gericht ohne Hinweis in einer für den Ausgang des Verfahrens entscheidenden Frage von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abweicht. Ausweislich der dem Senat vorliegenden Gerichtsakten bot der Ablauf des gerichtlichen Verfahrens aus Sicht des Beklagten bis zur Zustellung des Berufungsurteils auch keine Veranlassung, die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Bedeutung der im sachgleichen Strafverfahren verhängten Freiheitsstrafe für die Bemessung der Disziplinarmaßnahme anzusprechen und vorsorglich einer Abweichung von diesen Grundsätzen entgegenzutreten. Der Beklagte ist davon überrascht worden, dass das Berufungsgericht die Dienstentfernung in Abweichung von der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ausschließlich auf die verhängte Freiheitsstrafe gestützt hat.

6

Das Berufungsurteil beruht auch auf dem Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht bei Berücksichtigung des Vorbringens, das der Beklagte in der Beschwerdebegründung dargelegt hat, zu einer ihm günstigeren Entscheidung gelangt wäre (vgl. BVerfG, Beschluss vom 8. Februar 1994 - 1 BvR 765, 766/89 - BVerfGE 89, 381 <392 f.>). Hätte das Berufungsgericht den Beklagten vor dem Urteil über seine Erwägungen zur Bedeutung einer Freiheitsstrafe für die Bemessung der Disziplinarmaßnahme in Kenntnis gesetzt, so hätte der Beklagte seinerseits darauf verweisen können, dass diese mit den Grundsätzen des Bundesverwaltungsgerichts zum Verhältnis von Freiheitsstrafe und Bemessung einer Disziplinarmaßnahme gerade nicht in Einklang stehen. Dies hätte dazu führen können, dass das Berufungsgericht seinen Bemessungserwägungen eine mildere Disziplinarmaßnahme als die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis zugrunde gelegt hätte.

7

2. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:

Nach der Grundsatzentscheidung des Disziplinarsenats vom 30. August 2000 - BVerwG 1 D 37.99 (BVerwGE 112, 19), die das Leitbild des Beamten als Vorbild für den Rest der Bevölkerung in allen Lebenslagen verabschiedet hat, hat der Senat im Urteil vom 25. März 2010 - BVerwG 2 C 83.08 (zur Veröffentlichung in BVerwGE bestimmt) zwar zur Auslegung gesetzlicher Begriffe wie "besondere Eignung zur Vertrauensbeeinträchtigung" auf das Strafrecht abgestellt. Er hat aber auch in dieser Entscheidung hervorgehoben, dass nur vorsätzlich begangene schwerwiegende Straftaten, die mit einer Freiheitsstrafe geahndet worden sind, auch ohne Bezug auf das konkrete Amt zu einer Ansehensschädigung führen. Wie schwerwiegend eine außerdienstliche Straftat ist, hängt unter anderen von den Umständen des konkreten Einzelfalles (hier versuchter Betrug) und vom Strafrahmen für die verwirklichten Delikte (hier: 5 Jahre im Höchstmaß) ab. Der Senat hat deshalb lediglich für den Ausnahmefall des außerdienstlichen sexuellen Missbrauch eines Kindes gemäß § 176 Abs. 1 StGB (Rn. 18 und LS, a.a.O.) entschieden, dass aufgrund der Schwere eines solchen Dienstvergehens gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 BDG als Richtschnur für die Maßnahmebemessung die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis bzw. die Aberkennung des Ruhegehalts zugrunde gelegt werden kann.

8

Bei einem außerdienstlich begangenen Betrug ist die Variationsbreite, in der gegen fremdes Vermögen gerichtete Verfehlungen denkbar sind, zu groß, als dass sie einheitlichen Regeln unterliegen und in ihren Auswirkungen auf Achtung und Vertrauen gleichermaßen eingestuft werden können. Stets sind die besonderen Umstände des Einzelfalls maßgebend. In Fällen des innerdienstlichen Betrugs zum Nachteil des Dienstherrn ist der Beamte in der Regel aus dem Dienst zu entfernen, wenn im Einzelfall Erschwerungsgründe vorliegen, denen keine Milderungsgründe von solchem Gewicht gegenüberstehen, dass eine Gesamtbetrachtung nicht den Schluss rechtfertigt, der Beamte habe das Vertrauen endgültig verloren. Je gravierender die Erschwerungsgründe in ihrer Gesamtheit zu Buche schlagen, desto gewichtiger müssen die Milderungsgründe sein, um davon ausgehen zu können, dass noch ein Rest an Vertrauen zum Beamten vorhanden ist. Erschwerungsgründe können sich z.B. aus Anzahl und Häufigkeit der Betrugshandlungen, der Höhe des Gesamtschadens, der missbräuchlichen Ausnutzung der dienstlichen Stellung oder dienstlich erworbener Kenntnisse sowie daraus ergeben, dass die Betrugshandlung im Zusammenhang mit weiteren Verfehlungen von erheblichem disziplinarischen Eigengewicht, z.B. mit Urkundenfälschungen stehen (Urteile vom 28. November 2000 - BVerwG 1 D 56.99 - Buchholz 232 § 54 Satz 2 BBG Nr. 23; vom 26. September 2001 - BVerwG 1 D 32.00 - Buchholz 232 § 77 BBG Nr. 18 und vom 22. Februar 2005 a.a.O.; Beschluss vom 14. Juni 2005 - BVerwG 2 B 108.04 - NVwZ 2005, 1199 <1200>). Aus der Senatsrechtsprechung lässt sich der Grundsatz ableiten, dass beim einem Gesamtschaden von über 5 000 € die Entfernung aus dem Dienst ohne Hinzutreten weiterer Erschwerungsgründe gerechtfertigt sein kann (Beschluss vom 24. Februar 2005 - BVerwG 1 D 1.05 - juris m.w.N.). Derartige Bemessungsgrundsätze gelten auch für außerdienstliche Betrugsfälle und Veruntreuungen (Urteil vom 24. November 1998 - BVerwG 1 D 36.97 - Buchholz 232 § 54 Satz 3 BBG Nr. 16; Beschluss vom 3. Juli 2007 - BVerwG 2 B 18.07 - Buchholz 235.1 § 69 BDG Nr. 1 Rn. 12).

9

Für die Zumessungsentscheidung müssen weiter die in § 13 Abs. 1 Satz 2 bis 4 BDG genannten Bemessungskriterien ermittelt und mit dem ihnen zukommenden Gewicht eingestellt werden. Insoweit kann von Bedeutung sein, dass der Beklagte nach den tatsächlichen Feststellungen im Berufungsurteil in dem relativ kurzen Zeitraum von der Erhebung der Disziplinarklage vor dem Verwaltungsgericht (Ende Juli 2007) bis zum Berufungsurteil (27. Mai 2009) seinen Schuldenstand von 25 000 € immerhin um 10 000 € reduzieren konnte. Auch sind die Gründe einzubeziehen, die für die Einstellung der früheren Disziplinarverfahren maßgebend waren.

Tenor

Die Berufung der Beamtin gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart - Disziplinarkammer - vom 04. Februar 2010 - ... - wird zurückgewiesen.

Die Beamtin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Gründe

 
I.
Die am ... geborene Beamtin trat nach dem Erwerb der mittleren Reife im ... und einem daran anschließenden einjährigen Berufskolleg am ... unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Widerruf als Steueranwärterin in die Finanzverwaltung des Landes Baden-Württemberg ein. Nachdem sie am ... die Wiederholung der Laufbahnprüfung für den mittleren Dienst mit der Note „ausreichend“ (7,41 Punkte) bestanden hatte, wurde sie am ... unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Probe zur Steuerassistentin z.A. ernannt und beim Finanzamt ... in einem Veranlagungsbezirk eingesetzt. Zum ... wurde sie zum Finanzamt ... versetzt, bei dem sie ebenfalls in der Veranlagung eingesetzt wurde. Am ... wurde die Beamtin zur Steuerassistentin ernannt, am ... wurde sie in die Besoldungsgruppe A 6 (Steuersekretärin) übergeleitet. Am ... wurde die Beamtin an das Finanzamt ... zurückversetzt und weiterhin in einem Veranlagungsbezirk eingesetzt. Am ... wurde sie zur Steuerobersekretärin befördert. Am ... wurde ihr die Eigenschaft einer Beamtin auf Lebenszeit verliehen. Die letzte dienstliche Beurteilung der Beamtin zum Stichtag 01.01.2002 lautete auf das Gesamturteil 5,5 Punkte („entspricht den Leistungserwartungen“).
Die Beamtin ist verheiratet und hat ... Kinder. Sie verfügte im Februar 2004 über ein monatliches Nettoeinkommen in Höhe von 1.749,19 EUR, ihr Ehemann als ... über etwa 1.960 EUR. Nach der Dienstenthebung beträgt das Nettoeinkommen der Beamtin ca. 822 EUR.
Mit seit dem 24.09.2005 rechtskräftigem Strafbefehl des Amtsgerichts ... vom 05.09.2005 - ... - wurde gegen die Beamtin wegen zweier Vergehen der tateinheitlichen Einkommensteuerhinterziehung und Hinterziehung von Solidaritätszuschlag gemäß §§ 370 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 Nr. 2, 150 AO, §§ 1 Abs. 1, 2, 25 EStG, § 56 EStDVO, §§ 1, 2 SolZG, § 52 StGB sowie ein Vergehen der tateinheitlichen Urkundenfälschung sowie Einkommensteuerhinterziehung und Hinterziehung von Solidaritätszuschlag im besonders schweren Fall gemäß §§ 267 StGB, 52 StGB, §§ 370 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 Nr. 2, 150 AO, §§ 1 Abs. 1, 2, 25 EStG, § 56 EStDVO, §§ 1, 2 SolZG eine Gesamtfreiheitsstrafe von 8 Monaten verhängt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Der Beamtin wurde in dem Strafbefehl folgender Sachverhalt zur Last gelegt:
„Die Angeklagte war Sachbearbeiterin für die Veranlagung von Einkommensteuer für Steuerpflichtige mit den Anfangsbuchstaben „...“ beim Finanzamt .... Beim Finanzamt ... wurde u.a. die Mutter der Angeklagten, ..., veranlagt, die im selben Haus wie die Angeklagte selbst wohnt.
Fälle 1 und 2a
Unter bewusster Ausnutzung ihrer Funktion als Veranlagungsbeamtin gab die Angeklagte aufgrund jeweils neuen Tatentschlusses jeweils höhere als die in den Lohnsteuerkarten vom Arbeitgeber tatsächlich bescheinigten Steuerabzugsbeträge bei der Erfassung und Bearbeitung der Einkommensteuererklärungen 1998 und 1999 ihrer Mutter an. Wie von der Angeklagten vorhergesehen und beabsichtigt, ergaben sich aufgrund der Anrechnung der vermeintlich erhöhten Steuerabzugsbeträge zugunsten ... in 1998 ein ungerechtfertigt hoher Erstattungsbetrag und in 1999 ein Erstattungsbetrag statt einer Nachzahlung auf die Einkommensteuer und den Solidaritätszuschlag. Im einzelnen:
Fall
Datum
Manipulierter
Bescheid
Festgesetzte
ESt / Soli lt.
Bescheid DM
Steuerabzug
vom Lohn
ESt / Soli lt.
Bescheid DM
Steuerabzug
vom Lohn
ESt / Soli lt.
Prüfung DM 
Verkürzte
ESt / Soli DM
Verkürzte
ESt / Soli EUR
(gerundet)
1       
09.06.00
3872,00 /
40,00
5536,00 /
304,48
4051,00 /
49,51
1485,00 /
254,97
759 /
130      
2a   
24.01.01
5626,00 /
309,43
8268,00 /
454,74
4167,00 /
38,79
4101,00 /
415,95
2097 /
213      
Fall 2 b
Bzgl. des Veranlagungsjahres 1999 änderte die Angeklagte die in den Steuerakten befindliche Lohnsteuerkarte der ... wie folgt handschriftlich ab, um bei einer Überprüfung der Steuerakten den Eindruck zu erwecken, die höheren Steuerabzugsbeträge seien bereits vom Arbeitgeber eingetragen worden.
10 
1999
Ursprüngliche
Bescheinigung DM
Eintragung nach
Änderungen der
Angeklagten DM
Lohnsteuer
4166,00
8268,00
Kirchenlohnsteuer
333,24
661,44
Soli
38,79
474,74
11 
Fall 3
12 
Zu einem näher nicht mehr aufklärbaren Zeitpunkt ab 22.02.01 erfuhr die Angeklagte durch ein mitangehörtes Telefonat ihres Kollegen, dass die mittels der verfälschten Lohnsteuerkarte fingierten Steuererstattungsbeträge entdeckt waren. Aufgrund neuen Tatentschlusses und wiederum unter Missbrauch ihrer Position beim Finanzamt ... veranlasste sie daher am 06.06.01 die Erstellung eines neuen Bescheids vom 11.06.01, in dem die Steuerabzugsbeträge zwar korrigiert, nunmehr jedoch - positive - Einkünfte aus Vermietung in Höhe von 4046 DM fälschlicherweise als Verlust von 4046 DM ausgewiesen wurden. Dies führte zwar zur Wiedergutmachung der im Fall 2a eingetretenen Einkommensteuerverkürzung, zugleich jedoch zur erneuten Einkommensteuerhinterziehung und Hinterziehung von Solidaritätszuschlag zugunsten von ... wie folgt:
13 
Datum
Bescheid
ESt / Soli lt.
Bescheid DM
Festzusetzende
ESt / Soli lt.
Prüfung DM
Verkürzte
ESt / Soli DM
Verkürzter
Soli DM (EUR)
11.06.01
4068,00 /
79,20
6112,00 /
336,16
2044,00 /
256,92
1042 /
131      
14 
Bereits am 13.01.2004 wurde der Beamtin die Führung der Dienstgeschäfte vorläufig verboten. Mit Verfügung vom 11.03.2004, die der Beamtin am 12.03.2004 zugestellt wurde, leitete die Oberfinanzdirektion ... gegen die Beamtin das förmliche Disziplinarverfahren ein und bestellte eine Untersuchungsführerin und den Vertreter der Einleitungsbehörde. Mit Schreiben vom 01.04.2004 zeigte der frühere bevollmächtigte Rechtsanwalt der Beamtin deren Vertretung im Disziplinarverfahren an.
15 
Mit Verfügung der Oberfinanzdirektion ... vom 06.04.2004 wurde die Beamtin vorläufig des Dienstes enthoben. Zugleich wurde die Einbehaltung der Hälfte ihrer Besoldungsbezüge verfügt.
16 
Mit Verfügung vom 22.04.2004 wurde das förmliche Disziplinarverfahren im Hinblick auf das strafrechtliche Ermittlungsverfahren ausgesetzt. Nach Rechtskraft des Strafbefehls vom 05.09.2005 wurde es fortgeführt.
17 
Den Termin zur Vernehmung gemäß § 55 LDO am 06.03.2006 nahm die Beamtin in Anwesenheit ihres damaligen Bevollmächtigten wahr und führte hinsichtlich ihrer Person unter anderem aus, dass sie sich zur Zeit in psychologischer/psychiatrischer Behandlung befinde; ansonsten lägen keine Krankheiten vor. In der Sache wurde mit Zustimmung der Beamtin und des Vertreters der Einleitungsbehörde der Sachverhalt, so wie er im Strafbefehlsverfahren zu Grunde gelegt wurde, auch im Disziplinarverfahren zu Grunde gelegt. Zusätzlich wurde der Beamtin der weitere Vorwurf gemacht, sie habe Arbeitszeiten manipuliert. Die Beamtin gab bei der Vernehmung zur Sache unter anderem an: Sie habe seit 1999 massive Eheprobleme gehabt, da ihr Mann fremd gegangen sei. Es sei ein ständiges Auf und Ab gewesen, bis im Dezember 1999 nochmals ein Versuch gestartet worden sei, die Ehe zu retten. Sie habe damals privat wie auch im Amt keine Ansprechpartner gehabt. Sie habe sich über die Folgen der Taten keine Gedanken gemacht. Auch im Nachhinein könne sie sich die Tat nicht erklären. Es sei wie ein Grauschleier gewesen. Ihre Mutter habe sich nach dem Tod ihres Vaters Sorgen um die finanziellen Verhältnisse gemacht und diese ihr gegenüber geäußert. Aus Mitleid habe sie dann beim Erstellen der Erklärung die Steuerabzugsbeträge entsprechend geändert. Sie habe sich im Herbst 2004 Hilfe beim Hausarzt und im Dezember 2004 bei einer Psychologin geholt. Sie befinde sich seit Dezember 2004 wegen depressiver Verstimmungen in Behandlung und sei es immer noch. Zeitweilig habe sie auch Medikamente genommen. Die Beamtin übergab insoweit eine nervenärztliche Bescheinigung der Ärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. ... - ohne Datum -, in der der Beamtin eine leichte bis mittelgradige depressive Episode bescheinigt wird. Die Beamtin habe sich seit Dezember 2004 in größeren Abständen wegen der Depression vorgestellt. Unter „Zusammenfassung“ heißt es in der Bescheinigung:
18 
„Frau ... stand in den Jahren 1999 und 2000 unter schwerer seelischer Belastung durch Ehekrise und unerfülltem Kinderwunsch und beschreibt eine depressive Grundstimmung, Angst, Selbstunsicherheit. Im Jahr 2000 kam der plötzliche Tod des Vaters, der der Familie Halt gegeben hatte, so dass die Sorge um ihre Mutter zunahm und sie die finanzielle Situation der Mutter falsch bewertete.
19 
Seit Dezember 2004 kann ich die mittelgradige depressive Störung bestätigen, die bei ihr mit depressiver Grundstimmung, eingeengter affektiver Schwingungsfähigkeit, Zukunftsängsten, Selbstwertproblematik und Rückzug aus sozialen Bezügen einhergeht.
20 
Zusammenfassend ist zu überlegen, ob im Rahmen der 1999 und 2000 [sich] bestehenden depressiven Reaktion bei den schweren situativen Belastungen eine in gewisser Beziehung geminderte Schuldfähigkeit bestand, wobei sie wohl das Unrecht der Tat einsah, aber nicht nach dieser Einsicht handeln konnte.“
21 
Mit Schreiben vom 17.10.2006 wies die Untersuchungsführerin die Beamtin darauf hin, dass sich aus den beigezogenen Akten ergebe, dass schon bei der erstmaligen Veranlagung der Einkommensteuererklärung 1998 der Eltern im September 1999 (und nicht erst im Rahmen der Abänderung des Einkommensteuerbescheids der Eltern für das Jahr 1998 mit Bescheid vom 09.06.2000) überhöhte Steuerabzugsbeträge berücksichtigt und dadurch Steuern verkürzt worden seien, so dass insoweit der Sachverhalt, wie er im Strafbefehl zu Grunde gelegt worden sei, nach den im staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren aufgefundenen Unterlagen nicht zutreffend sein könne. Der Sachverhalt werde deshalb insoweit auch nicht dem förmlichen Disziplinarverfahren zu Grunde gelegt. Die Vorwürfe wurden daraufhin dahingehend abgeändert, dass der Beamtin nunmehr Steuerhinterziehung in vier rechtlich selbständigen Handlungen zu Gunsten Dritter und im Amt sowie Urkundenfälschung und -unterdrückung und ein Verwahrungsbruch im Amt vorgeworfen wurde.
22 
Mit Schreiben vom 02.03.2007 führte der Verteidiger der Beamtin aus, er habe auf Grund eines ausführlichen Gesprächs feststellen müssen, dass die Beamtin gesundheitlich nicht in der Lage sei, sich einer weiteren Beschuldigtenvernehmung zu stellen. Mit Schreiben vom 12.03.2007 gab der Verteidiger der Beamtin an, diese werde keine Angaben mehr machen, selbst wenn sie gesund wäre. In einer ärztlichen Bescheinigung der Ärztin für Psychiatrie und Psychotherapie ... vom 14.05.2007 wird ausgeführt, dass die Beamtin derzeit nicht in der Lage sei, eine mehrstündige Verhandlung durchzustehen.
23 
Mit Schreiben vom 22.11.2007 beantragte der Vertreter der Einleitungsbehörde die Bestellung eines Betreuers für die Beamtin wegen deren Verhandlungsunfähigkeit gemäß § 20 Abs. 2 Nr. 1 LDO. Im Weiteren legte der Verteidiger der Beamtin eine nervenärztliche Bescheinigung von Frau Dr. ... vom 18.03.2005 vor, in der die Diagnose einer leichten bis mittelgradigen depressiven Episode nach schwerer situativer Belastung gestellt wird. Die depressive Reaktion stehe im Zusammenhang mit ihrer momentanen Situation, dem schwebenden Verfahren, wobei sich die Beamtin wegen ihrer damaligen Verfehlung schwere Selbstvorwürfe mache. Ihr sei ein mildes Antidepressivum rezeptiert worden. Ein Sachverständigengutachten des Gesundheitsamtes ..., Dr. ..., vom 04.10.2007 an das Amtsgericht ... zur Verhandlungsfähigkeit der Beamtin gelangte zu folgendem Ergebnis:
24 
„Aus physischer Sicht ist Frau ... fähig, einer Verhandlung von drei Stunden zu folgen. Sehr bedenklich allerdings ist ihre offensichtliche Unfähigkeit, sich zu konzentrieren und bei einer Vernehmung genaue und verlässliche Angaben in ihrem eigenen Interesse zu machen. Dies kann dazu führen, dass sie ohne eigenes Verschulden von ihren Angaben vom März 2006 abweichende Angaben machen wird. Die reaktive Depression verlangsamt und erschwert das Denken und die für eine Vernehmung und Verhandlung erforderliche Flexibilität der Kognition. Insgesamt resultiert das Bild einer kognitiven Insuffizienz wie bei Prüfungsangst. …
25 
Ob Frau ... bereits im Zeitpunkt der Vorvernehmung im März 2006 bzw. zum Zeitpunkt der Einleitung des Disziplinarverfahrens ebenfalls bereits verhandlungsunfähig gewesen ist, kann der Sachverständige wegen des zeitlichen Ablaufs bis zu der Untersuchung vom 27.09. nicht beurteilen. Die voraussichtliche Dauer der psychogenen kognitiven Insuffizienz dürfte sich auf die Verfahrensdauer erstrecken. …. Aus ärztlicher Sicht ist Frau ... vorübergehend, mindestens jedoch für die verbleibende Verfahrensdauer nicht verhandlungsfähig.“
26 
Mit Beschluss vom 18.12.2007 - 1 XVII 127/2007 - wies das Amtsgericht ... den Antrag auf Bestellung eines Betreuers für die Beamtin zur Wahrnehmung der Rechte im Disziplinarverfahren ab. Zur Begründung hieß es: Die von dem Sachverständigen diagnostizierten Umstände reichten nicht aus, um von vollständiger Verhandlungsunfähigkeit auszugehen. Aus der persönlichen Anhörung der Beamtin vor Gericht werde geschlossen, dass eine Verhandlung mit der Betroffenen zwar schwierig, jedoch unter Berücksichtigung ihrer Einschränkungen möglich sei. Des Weiteren sei die Bestellung eines Betreuers auch nicht erforderlich, da sie einen Anwalt mit ihrer Vertretung beauftragt habe.
27 
Mit Schreiben vom 06.03.2008 beantragte der Verteidiger der Beamtin, das Verfahren wegen eines Verfahrenshindernisses einzustellen. Es stehe fest, dass die Beamtin schon zum Zeitpunkt der Einleitung des Verfahrens erkrankt gewesen sei. Es hätte schon damals einer Betreuerbestellung gemäß § 20 Abs. 2 LDO bedurft.
28 
Am 09.04.2008 fand eine weitere Beschuldigtenvernehmung zu dem erweiterten Untersuchungsgegenstand statt, an der nicht die Beamtin, sondern nur deren Verteidiger teilnahm.
29 
Mit Schreiben vom 30.04.2008 teilte der Vertreter der Einleitungsbehörde mit, dass das Verfahren fortgesetzt werde. Zum Zeitpunkt der Zustellung der Einleitungsverfügung hätten keine Anhaltspunkte dafür vorgelegen, dass die Beamtin krank oder verhandlungsunfähig gewesen sei.
30 
In seiner abschließenden Stellungnahme vom 03.07.2008 machte der Verteidiger der Beamtin geltend: Gemäß § 19 LDO sei der Sachverhalt, wie er sich aus dem rechtskräftigen Strafbefehl des Amtsgerichts... ergebe, auch dem Disziplinarverfahren zu Grunde zu legen. Eine Ausweitung der Ermittlungen sei weder geboten noch zulässig gewesen. Es liege zudem ein Verfahrenshindernis vor, da die Beamtin verhandlungsunfähig sei und diese Verhandlungsunfähigkeit bereits zu Beginn des Verfahrens bestanden habe.
31 
In einem zur Dienstfähigkeit der Beamtin eingeholten amtsärztlichen Zeugnis des Landratsamtes ..., Dr. ..., vom 21.07.2008 wird unter anderem ausgeführt:
32 
„Die Beamtin hat den Dienst bis heute nicht wieder aufnehmen können, weil die reaktive Depression sich nicht hat bessern können, da ein Abschluss des für die Beamtin belastenden Disziplinarverfahrens nicht eingetreten ist. … Die Beamtin wird dahingehend beurteilt, dass sie spätestens sechs Monate nach einem für sie positiv ausgehenden Abschluss des Disziplinarverfahrens mindestens hälftig wieder in den Dienst einsteigen kann mit einer Stufung bis zum vollen Dienstumfang um je ein Viertel in Abstand von jeweils zwei Monaten.“
33 
Am 03.11.2008 hat der Vertreter der Einleitungsbehörde der Disziplinarkammer beim Verwaltungsgericht Stuttgart die Anschuldigungsschrift vorgelegt, in der der Beamtin vorgeworfen wird:
34 
1. Hinterziehung von Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag im Amt zugunsten Dritter bei der erstmaligen Veranlagung der Einkommensteuererklärung ... 1998 (Einkommensteuerbescheid 1998 vom 20.09.1999, freigegeben am 15.09.1999)
35 
2. Hinterziehung von Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag im Amt zugunsten Dritter bei der Abänderung des Einkommensteuerbescheides ... 1998 (Einkommensteuerbescheid 1998 vom 09.06.2000, freigegeben am 06.06.2000)
36 
3. Hinterziehung von Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag im Amt zugunsten Dritter bei der erstmaligen Veranlagung der Einkommensteuererklärung ... 1999 (Einkommensteuerbescheid 1999 vom 24.01.2001, freigegeben am 19.01.2001)
37 
4. Urkundenfälschung durch Abänderung der Steuerabzugsbeträge auf der Lohnsteuerkarte 1999 von Frau ...
38 
5. Hinterziehung von Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag im Amt zugunsten Dritter bei der Abänderung des Einkommensteuerbescheids ... 1999 (Einkommensteuerbescheid 1999 vom 11.06.2001, freigegeben am 06.06.2001)
39 
6. Urkundenunterdrückung und Verwahrungsbruch im Amt durch Verbringen der Veranlagungsakten ... in die Altaktenregistratur und weitere Manipulationshandlungen
40 
7. Hinterziehung von Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag zugunsten Dritter beim Erstellen der Einkommensteuererklärung ... 2001
41 
8. Unerlaubtes Fernbleiben vom Dienst und Manipulation von Arbeitszeiten in der Zeit von Anfang Februar 2003 bis Mitte Mai 2003
42 
9. Verstoß gegen das Gebot der Unparteilichkeit bei Amtshandlungen
43 
Durch diese Verstöße habe die Beamtin die Pflichten, ihr Amt uneigennützig und nach bestem Wissen und Gewissen zu verwalten und mit ihrem Verhalten der Achtung und dem Vertrauen gerecht zu werden, die ihr Beruf erfordert, dem Dienst nicht ohne Genehmigung des Dienstvorgesetzten fernzubleiben sowie die Pflicht zur Unparteilichkeit verletzt. Die Beamtin habe ein schweres Dienstvergehen begangen, indem sie anderen vorsätzlich und fortgesetzt mit erheblicher krimineller Energie ungerechtfertigte Steuervorteile verschafft habe, obwohl sie öffentliche Aufgaben wahrzunehmen gehabt habe. Sie sei für den öffentlichen Dienst untragbar und ihr Verbleiben im Dienst dem Dienstherrn nicht mehr zumutbar.
44 
Der Verteidiger der Beamtin hat im Verfahren vor der Disziplinarkammer geltend gemacht: Es liege ein Verfahrenshindernis vor, das zur Einstellung des Disziplinarverfahrens führen müsse. Die Feststellungen der Ärztin Dr. ... würden den Verdacht nahe legen, dass die Beamtin bereits bei Einleitung des Verfahrens, vor allem auch schon bei der Vernehmung der Beamtin im März 2006 verhandlungsunfähig gewesen sei. Vorsorglich sei weiterhin davon auszugehen, dass gemäß § 19 LDO von dem Sachverhalt, wie er sich aus dem rechtskräftigen Strafbefehl ergebe, auszugehen sei. Eine Ausweitung der Ermittlungen sei weder geboten noch zulässig gewesen. Es lägen zudem Milderungsgründe vor: Die Beamtin habe sich zum Zeitpunkt der Tat in einer schweren Ehekrise befunden. Die unklare Situation habe sie in besonders starker Weise belastet. Sie habe deshalb in einem rational nicht nachvollziehbaren Akt versucht, von ihr geliebte Menschen an sich zu binden, ihnen zu helfen und die letztlich wirtschaftlich nicht sehr sinnvollen Manipulationen an den Steuererklärungen ihrer Mutter vorgenommen. Insoweit sei zumindest an eine verminderte Schuldfähigkeit zu denken. Durch die Ermittlungen und die Dauer des Verfahrens hätten sich die psychischen Belastungen der Beamtin trotz positiven Ausgangs der Ehekrise verschärft. Die reaktive Depression habe sich derart entwickelt, dass die Beamtin nicht mehr verhandlungsfähig sei. Zudem sei ihr Mann wegen psychischer Folgen einer Konfliktsituation am Arbeitsplatz arbeitsunfähig geschrieben. Die Beamtin sei geständig und sehe das Unrecht ihres Tuns vollständig ein.
45 
Die Beamtin hat in der Hauptverhandlung hilfsweise die Erhebung eines medizinisch-sachverständigen Gutachtens auf neurologisch-psychologischem Gebiet zu ihrer Verhandlungsfähigkeit zum Zeitpunkt der Einleitung des förmlichen Disziplinarverfahrens und zu der Frage ihrer erheblich verminderten Schuldfähigkeit zum Zeitpunkt der Tatbegehung beantragt.
46 
Mit Urteil vom 04.02.2010 hat die Disziplinarkammer des Verwaltungsgerichts Stuttgart die Beamtin aus dem Dienst entfernt. Zur Begründung hat sie ausgeführt: Die Verhandlungsunfähigkeit der Beamtin sei kein Verfahrenshindernis. Sie sei durch einen Verteidiger vertreten, so dass ihre Rechte ausreichend gewahrt werden könnten. Ein solches Verfahrenshindernis habe auch nicht in der Vergangenheit während des Untersuchungsverfahrens bestanden. Sie befinde sich erst seit September 2004, also nach Einleitung des förmlichen Disziplinarverfahrens wegen einer reaktiven Depression in ärztlicher Behandlung. Sie sei am 06.03.2006 zu den gegen sie erhobenen Vorwürfen vernommen worden, ohne dass dabei Schwierigkeiten aufgetreten wären. Auch auf Grund des Beschlusses des Amtsgerichts ... stehe fest, dass die Beamtin hinreichend verhandlungsfähig gewesen sei. In der Sache legte die Disziplinarkammer ihrer Entscheidung den der Beamtin in der Anschuldigungsschrift vorgeworfenen Sachverhalt zu Grunde. Danach habe die Beamtin schuldhaft ein einheitliches Dienstvergehen begangen und gegen ihre Verpflichtungen aus § 73 Satz 2 LBG, § 73 Satz 3 LBG, § 91 LBG sowie gegen §§ 77 Abs. 1 LBG, 82 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO verstoßen. Es bestünden keine Zweifel an der schuldhaften Begehung der fraglichen Verstöße. Die Beamtin sei zum Zeitpunkt der Tatbegehung weder krankgeschrieben gewesen noch habe sie sich in laufender medizinischer Behandlung befunden. Wegen einer Affäre des Ehemannes könne zwar ein psychischer Ausnahmezustand als wahr unterstellt werden, allerdings könne dieser mangels Behandlungsbedürftigkeit nicht von erheblicher Schwere gewesen sein. Die Eheprobleme seien nach der - unklaren - Aussage der Beamtin spätestens Ende 2000 vorüber gewesen, so dass diese Ausnahmesituation bei der Begehung der Taten hinsichtlich der Steuererklärungen 1999, der Steuererklärung ..., der Verdunklungshandlungen und der Arbeitszeitverstöße keine maßgebliche Rolle mehr habe spielen können. Die Beamtin habe mit ihrem Verhalten gegen die sie treffenden Beamtenpflichten im Kernbereich in besonderer Schwere verstoßen. Sie habe gerade diejenigen Pflichten verletzt, für deren Einhaltung sie durch ihre Tätigkeit zu sorgen gehabt habe. Die Taten hätten sich über eine erhebliche Zeitdauer hingezogen und noch dadurch an Gewicht gewonnen, dass die Beamtin mit erheblicher Intensität versucht habe, ihre Manipulationen zu vertuschen. Dies bedeute, dass nur eine Entfernung der Beamtin aus dem Dienst in Frage komme. Die hilfsweise gestellten Beweisanträge führten zu keiner Beweisaufnahme. Ein Unterhaltsbeitrag sei der Beamtin nicht zu bewilligen, da sie nach ihrer wirtschaftlichen Lage angesichts des Verdienstes ihres Ehemannes nicht der Unterstützung bedürftig sei.
47 
Gegen das am 26.02.2010 zugestellte Urteil hat die Beamtin am 11.03.2010 Berufung eingelegt. Zur Begründung führt ihr Verteidiger aus: Es liege ein Verfahrenshindernis vor, das zur Einstellung des Disziplinarverfahrens führen müsse. Das Verwaltungsgericht habe zu Unrecht die Verhandlungsfähigkeit der Beamtin angenommen. Sie leide unter einer reaktiven Depression, die schon im Dezember 2004 bestanden habe. Die Feststellungen in den ärztlichen Bescheinigungen der Frau Dr. ... legten zumindest den Verdacht nahe, dass auf Grund der Erkrankung der Beamtin, die ja in engem Zusammenhang mit dem Verfahren stehe, bereits bei Einleitung des Verfahrens, vor allem auch schon bei der Vernehmung im März 2006 Verhandlungsunfähigkeit bestanden habe. Die Ablehnung der Betreuerbestellung durch das Amtsgericht sei dabei unerheblich. Zum einen habe das Amtsgericht dies damit begründet, dass die Beamtin anwaltlich vertreten sei, zum anderen könne die Verhandlungsunfähigkeit im März 2006 nicht durch die erst später beantragte Bestellung eines Betreuers durch das Amtsgericht ... geheilt werden. Es sei nichts darüber bekannt, ob und inwieweit die Beamtin bei ihrer Vernehmung in der Lage gewesen sei, die Vorgänge für sich richtig einzuordnen. In diesem Zusammenhang erweise es sich als fehlerhaft, dass die Disziplinarkammer den Beweisanträgen nicht stattgegeben habe. Bei der Wahl der Disziplinarmaßnahme seien zu Gunsten der Beamtin zu würdigende Milderungsgründe nicht berücksichtigt worden. Es sei an eine verminderte Schuldfähigkeit zu denken, nachdem sich die Beamtin im Zeitpunkt der Tat in einer schweren Ehekrise befunden habe. Durch die Ermittlungen und die Dauer des Verfahrens hätten sich die psychischen Belastungen der Beamtin trotz positiven Ausgangs der Ehekrise stark verschärft. Zudem sei ihr Ehemann, ein ... im mittleren Dienst, wegen psychischer Folgen einer Konfliktsituation am Arbeitsplatz arbeitsunfähig geschrieben; ihm drohe eine Versetzung in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit. Eine Entfernung aus dem Dienst würde über das Schicksal der Beamtin selbst hinausreichen und zu psychischen und wirtschaftlichen Folgen für sie selbst und ihren Ehemann führen, die neben der bereits erfolgten strafrechtlichen Verurteilung in keinem angemessenen Verhältnis zu den vorgeworfenen Dienstvergehen mehr stünden und unter Fürsorgegesichtspunkten vermieden werden müssten. Es sei auch zu berücksichtigen, dass nach amtsärztlicher Aussage mit einer Wiederherstellung dauernder Dienstfähigkeit der Beamtin ein halbes Jahr nach einem für diese positiven Ausgang des Disziplinarverfahrens gerechnet werden könne. Die Beamtin sei voll geständig und sehe das Unrecht ihres Tuns vollständig ein. Im Hinblick auf die wirtschaftlichen Folgen einer Entfernung aus dem Dienst für die aus zwei psychisch kranken und allenfalls eingeschränkt erwerbsfähigen Beamten bestehende Familie sei zumindest ein Unterhaltsbeitrag festzusetzen.
48 
Die Beamtin beantragt,
49 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart - Disziplinarkammer - vom 04. Februar 2010 - ... - zu ändern und das Disziplinarverfahren einzustellen, hilfsweise auf eine mildere Disziplinarmaßnahme als die Entfernung aus dem Dienst zu erkennen, weiter hilfsweise ihr einen Unterhaltsbeitrag zu bewilligen.
50 
Der Vertreter der obersten Dienstbehörde beantragt,
51 
die Berufung zurückzuweisen.
52 
Er verteidigt das angefochtene Urteil. Das Verwaltungsgericht habe zu Recht die Verhandlungsfähigkeit der Beamtin bejaht. Die Beamtin sei durch einen Verteidiger vertreten gewesen, so dass sie ihre Rechte ausreichend habe wahren können. Eine Verhandlungsunfähigkeit sei auch dem amtsärztlichen Attest vom 21.07.2008 nicht zu entnehmen. Das Vorliegen einer reaktiven Depression führe nicht zu einem Verfahrenshindernis. Dieses Thema sei bereits Gegenstand im Beschluss des Amtsgerichts ... gewesen, mit dem ein Antrag auf Bestellung eines Betreuers zurückgewiesen worden sei. Die Diagnose „Leichte bis mittelgradige depressive Episode nach schwerer situativer Belastung“ lasse nicht auf eine bestehende Verhandlungsunfähigkeit schließen. Zudem habe sich die Beamtin erst nach Einleitung des förmlichen Disziplinarverfahrens wegen einer reaktiven Depression in Behandlung begeben. Sie sei am 06.03.2006 vernommen worden, ohne dass dabei Schwierigkeiten aufgetreten seien. Weiterhin sei die Beamtin erst seit dem 01.12.2006 fortlaufend krankgeschrieben. Die vom Gericht ausgesprochene Disziplinarmaßnahme sei nicht zu beanstanden. Eine Weiterbeschäftigung der Beamtin sei dem Dienstherrn nicht zumutbar. Die schwerwiegenden Pflichtverletzungen hätten zum totalen Vertrauensverlust des Dienstherrn in die Amtsführung der Beamtin geführt.
53 
Dem Senat liegen die Personal- und Personalnebenakten der Beamtin, die Untersuchungsakten, die Disziplinarakten, die Strafakten des Amtsgerichts ... sowie die einschlägigen Akten der Disziplinarkammer vor.
II.
54 
Die zulässige Berufung der Beamtin, gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts - Disziplinarkammer - hat keinen Erfolg.
55 
Der Senat hat die Rechtslage nach der Landesdisziplinarordnung in der Fassung vom 25.04.1991 (GBl. S. 227), zuletzt geändert durch Art. 3 des Gesetzes vom 15.12.1997 (GBl. S. 552) - LDO - zu beurteilen. Zwar ist die LDO nach Art. 27 Satz 2 Nr. 1 des Gesetzes zur Neuordnung des Landesdisziplinarrechts - LDNOG - vom 14.10.2008 (GBl. S. 343) am 22.10.2008 außer Kraft getreten. Doch werden nach Art. 26 Abs. 3 Satz 1 LDNOG förmliche Disziplinarverfahren, in denen im Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Gesetzes (22.10.2008) der Beamte bereits zur Vernehmung nach § 55 LDO geladen war, bis zu ihrem unanfechtbaren Abschluss nach bisherigem Recht fortgeführt.
56 
1. Das Disziplinarverfahren ist nicht nach §§ 83 Abs. 1 Nr. 2, 74 Abs. 1, Abs. 3, 60 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 LDO einzustellen. Nach diesen Vorschriften ist das Disziplinarverfahren einzustellen, wenn es nicht rechtswirksam eingeleitet oder sonst unzulässig ist.
57 
Diese Voraussetzungen sind auch dann gegeben, wenn der Beamte bei Zustellung der Einleitungsverfügung im Sinne des § 20 Abs. 1 LDO verhandlungsunfähig und für ihn ein Betreuer nach § 20 Abs. 2 Nr. 1 LDO nicht bestellt war (vgl. BVerwG, Beschluss vom 25.01.2001 - 1 D 31.99 -, juris; VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 25.03.1981 - DH 1/81 -). Zwar steht nach § 20 Abs. 1 LDO der Einleitung und Durchführung eines Disziplinarverfahrens nicht entgegen, dass der Beamte verhandlungsunfähig ist, doch ist ihm in diesem Fall nach § 20 Abs. 2 Nr. 1 LDO auf Antrag der Einleitungsbehörde ein Betreuer zu bestellen. Unterbleibt dies im Fall der Verhandlungsunfähigkeit, kann die Einleitungsverfügung an den Beamten nicht wirksam zugestellt werden mit der Folge, dass ein zur Einstellung des Disziplinarverfahrens führender Mangel im Sinne des § 60 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 LDO vorliegt.
58 
Zum Zeitpunkt der Einleitung des Disziplinarverfahrens mit Zustellung der Einleitungsverfügung am 12.03.2004 war die Beamtin allerdings nicht verhandlungsunfähig im Sinne des § 20 Abs. 1 LDO. Verhandlungsunfähigkeit liegt dann vor, wenn der Beamte nicht in der Lage ist, die Bedeutung des Disziplinarverfahrens und der einzelnen Verfahrensvorgänge zu erkennen und sich sachgemäß zu verteidigen. Verhandlungsunfähigkeit des Beamten setzt allerdings nicht notwendig die Fähigkeit voraus, selbst Argumentations- und Verhandlungsstrategien zu entwickeln, weil dies in erster Linie Aufgabe eines Prozessbevollmächtigten ist. Um verhandlungsfähig zu sein, muss der Beamte in jeder Lage des Verfahrens imstande sein, sich zu verteidigen. Dies erfordert sowohl die Fähigkeit, anderen verständlich zu machen, was vorgetragen werden soll, als auch diejenige, das in sich aufzunehmen und zu verstehen, was andere erklären (BVerwG, Urteil vom 24.09.2009 - 2 C 80.08 -, BVerwGE 135, 24 m.w.N.). Mithin musste die Beamtin zum Zeitpunkt der Zustellung der Einleitungsverfügung nach ihrer geistigen und seelischen Verfassung in der Lage gewesen sein, den Inhalt der Einleitungsverfügung zu verstehen und sich sachgerecht zu verteidigen, also zumindest einen Verteidiger zu bestellen und diesen für das Disziplinarverfahren zu informieren (vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 09.03.1989 - DH 22/88 -). Für den Senat bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass diese Voraussetzungen zum Zeitpunkt der Zustellung der Einleitungsverfügung am 12.03.2004 nicht erfüllt gewesen wären. Für die Beamtin hat sich am 01.04.2004 und somit alsbald nach Zustellung der Einleitungsverfügung ihr ehemaliger Bevollmächtigter Rechtsanwalt ... bestellt; im gesamten Verfahren hat die Beamtin auch nicht geltend gemacht, den Inhalt der Einleitungsverfügung nicht verstanden zu haben oder ihren Verteidiger nicht für das Disziplinarverfahren informieren zu können. Aus den dem Senat vorliegenden ärztlichen Attesten ergibt sich nichts anderes. Aus den Attesten der Ärztin für Neurologie und Psychiatrie, Psychotherapie Dr. ... sowie den Angaben der Beamtin bei ihrer Vernehmung am 06.03.2006 folgt, dass sich die Beamtin (erst) ab Dezember 2004 und damit nach Einleitung des Disziplinarverfahrens in psychotherapeutische Behandlung begab. Im Attest vom 18.03.2005 führt Dr. ... aus, dass sich die Beamtin drei Mal in ihre psychiatrisch-psychotherapeutische Behandlung begeben habe und eine leichte bis mittelgradige depressive Episode nach schwerer situativer Belastung diagnostiziert werden könne. Die Beamtin sei affektiv herabgestimmt mit Zukunftsängsten, Selbstwertproblematik und Rückzug aus sozialen Bindungen. Sie wolle sich am liebsten verkriechen, stimmungsmäßig gehe es bei ihr auf und ab. Die depressive Reaktion stehe im Zusammenhang mit ihrer momentanen Situation (dem schwebenden Verfahren), wobei sich die Beamtin wegen der damaligen Verfehlung schwere Selbstvorwürfe mache. Es sei ihr ein mildes Antidepressivum verschrieben worden. Aus diesen Angaben, der Diagnose und Beschreibung des Krankheitsbildes kann aber nicht einmal ansatzweise gefolgert werden, dass die Beamtin bei Einleitung des Disziplinarverfahrens nicht in der Lage gewesen wäre, den Inhalt der Einleitungsverfügung zu verstehen oder sich sachgerecht im oben beschriebenen Sinne zu verteidigen. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der nervenärztlichen Bescheinigung Dr. ... - ohne Datum, nach den Angaben des Verteidigers der Beamtin wohl aus dem Januar 2006 stammend -. In dieser wird unter Nennung der gleichen Diagnose („Leichte bis mittelgradige depressive Episode“) ein gleiches Krankheitsbild gezeichnet und eine mittelgradige depressive Störung seit Dezember 2004 bestätigt. Die weiteren Überlegungen beschäftigen sich lediglich mit Mutmaßungen zu einer „in gewisser Beziehung geminderten Schuldfähigkeit“ bei Begehung der der Beamtin vorgeworfenen Taten in den Jahren 1999 und 2000. Die Ärztin für Psychiatrie und Psychotherapie ... bescheinigte unter dem 14.05.2007 nur, dass die Beamtin derzeit nicht in der Lage sei, eine mehrstündige Vernehmung durchzustehen. Im amtsärztlichen Attest des Dr. ... vom 20.06.2007 wird lediglich davon gesprochen, dass im Dezember 2004 „eine Depression begann“, im Sachverständigengutachten des Dr. ... vom 04.10.2007 für das Verfahren auf Bestellung eines Betreuers vor dem Amtsgericht ... wird von einer „reaktiven Depression seit ca. Herbst 2004“ gesprochen und weiter ausgeführt, dass der Sachverständige die Frage, ob die Beamtin bereits zum Zeitpunkt der Vernehmung im März 2006 bzw. zum Zeitpunkt der Einleitung des Disziplinarverfahrens verhandlungsunfähig gewesen sei, wegen des zeitlichen Abstandes zur Untersuchung nicht beurteilen könne. Das amtsärztliche Zeugnis des Dr. ... vom 21.07.2008 spricht wieder davon, dass die Beamtin seit „Dezember 2004“ unter einer reaktiven Depression leide. Im Beschluss des Amtsgerichts ... vom 18.12.2007 wird in Auseinandersetzung mit den Ausführungen des Sachverständigengutachtens des Dr. ... vom 04.10.2007, der der Ansicht war, dass die reaktive Depression das Denken und die für die Vernehmung und Verhandlung der Beamtin erforderliche Kognition verlangsame und erschwere, ausgeführt, dass das Gericht die Betroffene im Rahmen der persönlichen Anhörung selbst kennengelernt und dabei festgestellt habe, dass zwar Unkonzentriertheit gegeben sei und die Betroffene auch nicht immer vollständig in der Lage gewesen sei, dem Gespräch zu folgen. Bei etwaigen Nachfragen habe sie sich jedoch zumindest für einige Zeit konzentrieren und folgerichtige Antworten geben können. Damit sei eine Verhandlung mit der Beamtin zwar schwierig, jedoch unter Berücksichtigung ihrer Einschränkungen möglich; Verhandlungsunfähigkeit nach der Disziplinarordnung sei nicht gegeben. Anhaltspunkte, warum dies bei Einleitung des Disziplinarverfahrens zum Zeitpunkt der Zustellung der Einleitungsverfügung am 12.03.2004 anders gewesen sein könnte, sind damit für den Disziplinarsenat nicht ersichtlich.
59 
Entsprechendes gilt für die Vernehmung der Beamtin gemäß § 55 LDO am 06.03.2006, so dass der weiteren Frage, welche rechtlichen Folgen die Verhandlungsunfähigkeit der Beamtin bei dieser Vernehmung bei mangelnder Bestellung eines Betreuers gehabt hätte (vgl. dazu GKÖD, Disziplinarrecht des Bundes und der Länder, Band II § 19 BDO RdNr. 7a), nicht weiter nachgegangen werden muss, nachdem ein solcher Mangel des Verfahrens in § 60 LDO nicht ausdrücklich erwähnt ist. Zwar ist zu dem Zeitpunkt der Vernehmung am 06.03.2006 davon auszugehen, dass die Beamtin an einer leichten bis mittelgradigen Depression gelitten hat. Doch sind in den zeitnah erstellten Attesten der sie behandelnden Fachärztin Dr. ... keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass diese Diagnose und das mit ihr einhergehende Krankheitsbild zu einer Verhandlungsunfähigkeit der Beamtin geführt haben. Die Beamtin selbst hat bei ihrer Vernehmung am 06.03.2006 lediglich angegeben, dass sie in psychologischer / psychiatrischer Behandlung sei. Sie habe sich Hilfe beim Hausarzt und später bei der Psychologin geholt, weil es nicht mehr weitergegangen sei; zeitweilig habe sie auch Medikamente genommen. Anhaltspunkte dafür, dass die Beamtin bei ihrer Vernehmung nicht in der Lage gewesen ist, anderen verständlich zu machen, was vorgetragen werden soll, sowie, das in sich aufzunehmen und zu verstehen, was andere erklären, sind nicht ersichtlich. Ihre Angaben sind schlüssig und lassen auch ohne Weiteres darauf schließen, dass die Beamtin das verstanden hat, was sie gefragt oder was ihr erklärt worden ist. Im gesamten Verfahren haben weder die Beamtin noch ihre Bevollmächtigten geltend gemacht, dass und welche (der) Angaben der Beamtin bei ihrer Vernehmung am 06.03.2006 unzutreffend oder unter Einschränkung ihrer Verteidigungsfähigkeit zustande gekommen sind. Erst mit Schreiben vom 02.03.2007 hat der Verteidiger der Beamtin ausgeführt, dass er in einem ausführlichen Gespräch mit der Beamtin habe feststellen müssen, dass diese gesundheitlich derzeit nicht in der Lage sei, sich einer Vernehmung zu stellen. Ihr früherer Bevollmächtigter hatte etwaige Defizite, die zu einer Verhandlungsunfähigkeit führen könnten, hingegen vor oder bei der Vernehmung der Beamtin am 06.03.2006 nicht geltend gemacht. Die Beamtin hat in der Sache die Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt und damit zu erkennen gegeben, dass die Feststellung des Dienstvergehens, die auch auf ihren Angaben bei der Vernehmung vom 06.03.2006 beruhte, nicht zu beanstanden ist und hat zuletzt noch einmal im Berufungsverfahren vortragen lassen, dass sie voll geständig sei und das Unrecht ihrer Taten einsehe. Schließlich ist nochmals darauf abzustellen, dass das Amtsgericht ... in seinem Beschluss vom 18.12.2007 eine Verhandlungsunfähigkeit der Beamtin nicht hat feststellen können. Auch liegen fortlaufende Krankschreibungen erst seit dem 01.12.2006 vor.
60 
Für die Disziplinarkammer bestand auch kein Anlass, den nicht innerhalb der Äußerungsfrist des § 63 Abs. 2 LDO (vier Wochen nach Zustellung der Anschuldigungsschrift am 07.11.2008) und damit verspätet (§ 64 LDO) gestellten Beweisantrag vom 21.12.2009 zur Frage der Verhandlungsunfähigkeit der Beamtin zum Zeitpunkt der Einleitung des förmlichen Disziplinarverfahrens nachzugehen. Unter den dargelegten Umständen hat sie zu Recht eine weitere Beweisaufnahme zur Frage der Verhandlungsunfähigkeit der Beamtin auch im Rahmen ihrer Aufklärungspflicht nicht für erforderlich gehalten (vgl. von Alberti/Gayer/Roskamp, LDO, § 64 LDO RdNr. 4).
61 
2. In der Sache ist die Berufung der Beamtin - wie sich aus dem Schriftsatz ihres Verteidigers vom 19.03.2010 ergibt - auf das Disziplinarmaß beschränkt. Eine solche Beschränkung hat zur Folge, dass der Senat an die durch die Disziplinarkammer getroffenen Tat- und Schuldfeststellungen sowie an die disziplinarrechtliche Würdigung als Dienstvergehen gebunden ist. Nach ständiger Rechtsprechung (vgl. BVerwG, Urteil vom 05.07.2006 - 1 D 5.05 -, Buchholz 235 § 82 BDO Nr. 7; Urteil des Senats vom 10.03.2008 - DL 16 S 5/07 -) gehören zu den bindenden Feststellungen die zum konkreten historischen Vorgang getroffenen Feststellungen, mit denen die Verletzungshandlung in Bezug auf den Tatbestand des angenommenen Pflichtenverstoßes gekennzeichnet wird (etwa zur Frage der Eigennützigkeit, zur Anzahl der Teilakte oder des Zeitpunktes auch des Tatentschlusses) und die Feststellungen zur Form des Verschuldens (Vorsatz oder Fahrlässigkeit). Zusätzliche oder abweichende Feststellungen können nur noch getroffen werden, soweit sie sich zu den bindenden Tat- und Schuldfeststellungen nicht in Widerspruch setzen und ausschließlich für die Bestimmung des Disziplinarmaßes von Bedeutung sind.
62 
Mithin steht infolge der Beschränkung der Berufung auf das Disziplinarmaß für den Disziplinarsenat im Berufungsverfahren bindend fest, dass die Beamtin mit den von der Disziplinarkammer festgestellten Verfehlungen der Einkommensteuerhinterziehung und Hinterziehung von Solidaritätszuschlag, der Urkundenfälschung, der Urkundenunterdrückung und des Verwahrungsbruchs im Amt sowie des unerlaubten Fernbleibens vom Dienst und der Manipulation von Arbeitszeiten schuldhaft die ihr obliegenden Beamtenpflichten aus § 73 Satz 2 LBG (Pflicht, das Amt uneigennützig und nach bestem Gewissen zu verwalten), § 73 Satz 3 LBG (Pflicht zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten), § 91 LBG (Pflicht, dem Dienst nicht ohne Genehmigung des Dienstherrn fernzubleiben), § 77 Abs. 1 LBG, § 82 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO (Pflicht zur Unparteilichkeit) verletzt und damit ein einheitliches Dienstvergehen begangen hat.
63 
Der Senat hat damit nur noch darüber zu entscheiden, ob die von der Disziplinarkammer ausgesprochene Entfernung aus dem Dienst (§ 11 LDO) gerechtfertigt oder aber, was die Beamtin anstrebt, auf eine mildere Disziplinarmaßnahme zu erkennen ist.
64 
Der Senat teilt die von der Disziplinarkammer getroffene Einschätzung, dass auf Grund des festgestellten - schwerwiegenden - Dienstvergehens die Entfernung der Beamtin aus dem Dienst unumgänglich ist. Das Berufungsvorbringen rechtfertigt keine andere Beurteilung.
65 
Maßgebend für die Bemessung der Disziplinarmaßnahme ist das Eigengewicht der Pflichtverletzung, d.h. die Schwere des Dienstvergehens. Hierfür können bestimmend sein die objektive Handlung (insbesondere Eigenart und Bedeutung der Dienstpflichtverletzung sowie besondere Umstände der Tatbegehung, etwa Häufigkeit und Dauer eines wiederholten Fehlverhaltens), subjektive Handlungsmerkmale (insbesondere Form und Gewicht der Schuld des Beamten, Beweggründe für sein Verhalten) sowie unmittelbare Folgen des Dienstvergehens für den dienstlichen Bereich und Dritte, z.B. der materielle Schaden (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.10.2005 - 2 C 12.04 -, BVerwGE 124, 252). Die gegen einen Beamten ausgesprochene Disziplinarmaßnahme muss unter Berücksichtigung aller belastenden und entlastenden Umstände des Einzelfalls in einem gerechten Verhältnis zur Schwere des Dienstvergehens und zum Verschulden des Beamten stehen (BVerfG, Beschl. vom 08.12.2004 - 2 BvR 52/02 -, BVerfGK 4, 243).
66 
Die hier im Vordergrund des disziplinaren Vorwurfs stehende Steuerhinterziehung, mit der der Anspruch des Staates auf den vollen und rechtzeitigen Ertrag aus jeder einzelnen Steuer verkürzt wird, ist im Hinblick auf den dem Staat verursachten Schaden ein schweres Wirtschaftsdelikt. Dies belegt bereits der Strafrahmen. Danach ist Steuerhinterziehung mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren, in besonders schweren Fällen bis zu zehn Jahren (§ 370 Abs. 1 und 3 AO) bedroht. Ein Beamter, der sich der Steuerhinterziehung schuldig macht, verletzt damit in schwerwiegender Weise die ihm obliegende Pflicht, der Achtung und dem Vertrauen gerecht zu werden, die sein Beruf erfordert (ebenso BayVGH, Urteil vom 24.09.2008 - 16a D 07.2849 -, juris). Dabei wirkt sich besonders nachteilig aus, wenn der Beamte sich oder einem Dritten durch strafbares Verhalten unberechtigte Steuervorteile verschafft, obwohl er öffentliche Aufgaben wahrzunehmen hat und durch öffentliche Mittel alimentiert wird. Dies beeinträchtigt in erheblichem Maße sein Ansehen und das Ansehen der Beamtenschaft insgesamt, auf das der Staat in besonderem Maße angewiesen ist, wenn er die ihm gegenüber der Allgemeinheit obliegenden Aufgaben sachgerecht erfüllen will. Über die Ansehensschädigung hinaus führt ein solches Verhalten grundsätzlich auch zu erheblichen Zweifeln an der Vertrauenswürdigkeit des Beamten. Dies gilt in besonderem Maße bei einem Finanzbeamten, dessen Aufgabe es gerade ist, die an den Staat abzuführenden Steuern korrekt festzusetzen und in diesem Zusammenhang auch die Steuerpflichtigen zur Steuerehrlichkeit und zu einem ordentlichen Erklärungsverhalten anzuhalten hat (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Urteile vom 30.05.2006 - 21d A 3905/05.O -, ZBR 2006, 420 und vom 07.08.2001 - 15d 4172/00.O -, DÖD 2003, 40). Im vorliegenden Fall kommt zu diesen allgemein für die Steuerhinterziehung geltenden Grundsätzen (vgl. dazu auch: Claussen/Janzen, Bundesdisziplinarrecht, S. 141) noch besonders erschwerend für die Beamtin hinzu, dass sie die Steuerhinterziehung in Ausübung ihres Amtes begangen hat. Denn die Verwaltung - insbesondere die Finanz- und Steuerverwaltung, deren Funktionieren jede öffentliche Aufgabenerfüllung letztlich erst möglich macht (vgl. VG des Saarlandes, Urteil vom 13.03.2009 - 7 K 2125/07 -, juris) - ist auf die Ehrlichkeit und Zuverlässigkeit ihrer Beamten angewiesen, wenn sie ihre Aufgaben gegenüber der Allgemeinheit sinnvoll und auftragsgerecht erfüllen will. Dabei betrifft die Tat einer Steuerbeamtin, die bei Ausübung ihres Dienstes durch manipulierte Steuererklärungen nicht bestehende Steuererstattungen erwirkt, den Kernbereich ihrer dienstlichen Obliegenheiten. Besonders gravierend tritt hier hinzu, dass die Beamtin die steuerlichen Vorteile zu Gunsten ihrer Mutter unter bewusster Ausnutzung ihrer dienstlichen Aufgaben und Möglichkeiten erwirkt hat. Vollkommen zu Recht hat die Disziplinarkammer dazu noch darauf abgestellt, dass sich die Taten der Beamtin über eine erhebliche Zeitdauer hingezogen und noch dadurch an Gewicht gewonnen haben, dass die Beamtin mit erheblicher Intensität versucht hat, ihre Manipulationen zu vertuschen (so durch Manipulation der Grunddaten, Abfangen der Kontrollmitteilung und Beseitigung der Akte). Zudem hat die Beamtin mit der Steuerhinterziehung noch weitere strafbare Urkundsdelikte begangen. All dies führt dazu, dass sich die Beamtin für den Dienst als (Steuer-)Beamtin als untragbar erwiesen hat.
67 
Die von der Beamtin, die an der Hauptverhandlung im Berufungsverfahren nicht teilgenommen hat, zu ihren Gunsten im Berufungsverfahren vorgetragenen Milderungsgründe rechtfertigen keine andere disziplinarrechtliche Bewertung ihres Handelns.
68 
So ist zunächst nicht der Milderungsgrund des Handelns in einer psychischen Ausnahmesituation gegeben. Eine solche Situation wird in aller Regel hervorgerufen durch den plötzlichen unvorhergesehen Eintritt eines Ereignisses, das gemäß seiner Bedeutung für die besonderen Lebensumstände des Betroffenen bei diesem einen seelischen Schock auslöst, der seinerseits zu der Begehung des Dienstvergehens führt (BVerwG, Urteil vom 09.05.2001 - 1 D 22.00 -, BVerwGE 114, 240; Urteil des Senats vom 24.06.2010 - 16 S 3391/08 -). Einen solchen Schock, der zur Begehung des Dienstvergehens der Beamtin geführt haben könnte, vermag der Senat nicht zu erkennen. Zwar mag sich die Beamtin wegen einer schweren Ehekrise und des Todes ihres Vaters durchaus in einer sie schwer belastenden und schwierigen persönlichen Situation befunden haben, die auch Auswirkungen auf ihre psychische Gesundheit gehabt haben könnte. Es ist jedoch nicht ersichtlich, dass diese das Gewicht einer Notlage gehabt hätte, die das - über einen langen Zeitraum, zum Teil zeitlich auch schon vor dem Tod des Vaters und mit besonderer krimineller Energie begangene - Dienstvergehen im Ansatz in einem milderen Licht erscheinen lassen könnte. Insbesondere erklären diese Umstände nicht, wieso die Beamtin gegen zentrale und leicht einsehbare Kernpflichten verstoßen und nach Begehung der Steuerhinterziehung zu deren Vertuschung noch weitere kriminelle Handlungen begangen hat. Die mit der beruflichen Situation des Ehemannes der Beamtin hervorgerufenen weiteren Belastungen, auf die die Berufungsbegründung abstellt, traten zudem erst im Jahr 2008 auf und lassen mithin das weit früher begangene Dienstvergehen der Beamtin in keinem milderen Licht erscheinen.
69 
Das Vorbringen der Beamtin, sie habe zum Zeitpunkt der Begehung des Dienstvergehens wegen ihrer Ehekrise Verlassensängste gehabt, wegen derer sie geglaubt habe, ihr nahe stehende verbleibende Personen an sich binden zu müssen, und dies sei dadurch geschehen, dass sie aus einem nicht nachvollziehbaren Entschluss die Festsetzung der Steuer gegen ihre Eltern manipuliert habe, weil sie völlig grundlos befürchtet habe, ihre Eltern gerieten in finanzielle Schwierigkeiten, kann aus denselben Gründen nicht eine mildere Bewertung des Dienstvergehens nach sich ziehen. Insbesondere vermag der Senat nicht das Vorliegen des Milderungsgrundes einer erheblich verminderten Schuldfähigkeit im Sinne von §§ 20, 21 StGB zu erkennen, bei dem nach der jüngsten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts jedenfalls unter den Bemessungsvorgaben des Bundesdisziplinargesetzes die Höchstmaßnahme der Entfernung aus dem Dienst regelmäßig nicht mehr ausgesprochen werden kann (BVerwG, Urteil vom 25.03.2010 - 2 C 83.08 -, juris).
70 
Erheblich verminderte Schuldfähigkeit gemäß §§ 20, 21 StGB setzt voraus, dass die Fähigkeit, das Unrecht einer Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, wegen einer Störung im Sinne von § 20 StGB bei Tatbegehung erheblich eingeschränkt war. Für die hier relevante Frage der Steuerungsfähigkeit kommt es darauf an, ob das Hemmungsvermögen so stark herabgesetzt war, dass der Betroffene den Tatanreizen erheblich weniger Widerstand als gewöhnlich entgegenzusetzen vermochte. Die Frage, ob die Verminderung der Steuerungsfähigkeit auf Grund einer krankhaften seelischen Störung „erheblich" war, ist eine Rechtsfrage, die die Disziplinargerichte ohne Bindung an die Einschätzung Sachverständiger in eigener Verantwortung zu beantworten haben. Hierzu bedarf es einer Gesamtschau der Persönlichkeitsstruktur des Betroffenen, seines Erscheinungsbildes vor, während und nach der Tat und der Berücksichtigung der Tatumstände, insbesondere der Vorgehensweise. Für die Annahme einer erheblichen Minderung der Schuldfähigkeit sind schwerwiegende Gesichtspunkte heranzuziehen wie etwa Psychopathien, Neurosen, Triebstörungen, leichtere Formen des Schwachsinns, altersbedingte Persönlichkeitsveränderungen, Affektzustände sowie Folgeerscheinungen einer Abhängigkeit von Alkohol, Drogen oder Medikamenten. Die Erheblichkeitsschwelle liegt umso höher, je schwerer das in Rede stehende Delikt wiegt. Dementsprechend hängt im Disziplinarrecht die Beurteilung der Erheblichkeit im Sinne von § 21 StGB von der Bedeutung und Einsehbarkeit der verletzten Dienstpflichten ab und wird die Schwelle der Erheblichkeit damit bei der Verletzung von ohne Weiteres einsehbaren innerdienstlichen Kernbereichspflichten nur in Ausnahmefällen erreicht sein (vgl. für Zugriffsdelikte: BVerwG, Urteil vom 29.05.2008 - 2 C 59.07 -, Buchholz 235.1 § 70 BDG Nr. 3; Beschluss vom 27.10.2008 - 2 B 48.08 -, juris; Urteil des Senats vom 24.06.2010 - DB 16 S 3391/08 -).
71 
Der Senat vermag keinerlei Anhaltspunkte dafür zu erkennen, dass ein solcher Ausnahmefall für die Beamtin zum Zeitpunkt der Begehung des Dienstvergehens gegeben war. In keinem der im Verlauf des Disziplinarverfahrens vorgelegten Atteste wird für den Zeitpunkt des Dienstvergehens eine psychische Erkrankung beschrieben, die den Krankheitsgrad einer Psychopathie, Neurose, Triebstörung, der leichteren Form des Schwachsinns, einer altersbedingten Persönlichkeitsveränderung, eines Affektzustandes oder der Folgeerscheinung einer Abhängigkeit von Alkohol, Drogen oder Medikamenten erreicht. Im Attest der die Beamtin behandelnden Ärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. ... - ohne Datum - wird eine depressive Reaktion bei schwerer situativer Belastung genannt und es lediglich als überlegenswert bezeichnet, ob bei der Beamtin zum damaligen Zeitpunkt eine „in gewisser“ und damit gerade nicht in erheblicher Weise geminderte Schuldfähigkeit bestand. Das in dem ärztlichen Attest beschriebene Krankheitsbild einer depressiven Reaktion erreicht angesichts der leicht einsehbaren Kernbereichspflicht, die die Beamtin einzuhalten hatte, die Erheblichkeitsschwelle nicht. Bei depressiven Episoden auch schweren Grades, einschließlich der depressiven Reaktion, leidet der betroffene Patient unter einer gedrückten Stimmung und einer Verminderung von Antrieb und Aktivität. Die Fähigkeit zu Freude, das Interesse und die Konzentration sind vermindert. Ausgeprägte Müdigkeit kann nach jeder kleinsten Anstrengung auftreten. Der Schlaf ist meist gestört, der Appetit vermindert. Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen sind fast immer beeinträchtigt. Es kommen Schuldgefühle oder Gedanken über eigene Wertlosigkeit vor. Die gedrückte Stimmung verändert sich von Tag zu Tag wenig, reagiert nicht auf Lebensumstände und kann von so genannten "somatischen" Symptomen begleitet werden, wie Interessenverlust oder Verlust der Freude, Früherwachen, Morgentief, deutliche psychomotorische Hemmung, Agitiertheit (krankhafte Unruhe, bei der es zu heftigen und hastigen Bewegungen des Patienten kommt), Appetitverlust, Gewichtsverlust und Libidoverlust (ICD 10 GM 2010, F. 32). Dies spricht aber gegen eine erhöhte Neigung zu delinquentem Handeln.
72 
Insoweit bestand auch hier für die Disziplinarkammer kein Anlass, dem ebenfalls verspätet gestellten Beweisantrag zur Frage der erheblich verminderten Schuldfähigkeit auf Grund einer psychischen Erkrankung zum Zeitpunkt der Begehung der Dienstvergehen nachzugehen.
73 
Damit vermag der Senat - ebenso wie die Disziplinarkammer - unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Umstände, auch der langjährigen dienstlichen Unbescholtenheit der Beamtin, ihrer ordentlichen dienstlichen Beurteilungen, ihrer Einsicht in das Unrecht ihres Tuns sowie ihrer schwierigen persönlichen und familiären Situation zum Zeitpunkt der Tatbegehung, nicht zu erkennen, dass die von der Schwere des Dienstvergehens ausgehende Indizwirkung für den eingetretenen Vertrauensverlust durch vorrangig zu berücksichtigende und durchgreifende Entlastungsgründe entfallen ist und die Beamtin gegenüber ihrem Dienstherrn noch ein Restvertrauen für sich in Anspruch nehmen könnte. Die weiter von der Beamtin noch zu ihren Gunsten hervorgehobene und absehbare Wiederherstellung ihrer Dienstfähigkeit nach einem für sie positiven Ausgang des Disziplinarverfahrens ist für die Frage, ob der Dienstherr ihr noch ein Restvertrauen entgegenbringen kann, ohne ausschlaggebende Bedeutung. Ist das Vertrauensverhältnis zwischen der Beamtin und ihrem Dienstherrn zerstört, erweist sich die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis als angemessene Reaktion. Die hierin liegende Härte ist für die Beamtin - auch unter familiären Gesichtspunkten, insbesondere dem Umstand, dass die Dienstfähigkeit ihres als ... tätigen Ehemannes in Frage stehen könnte - nicht unverhältnismäßig, da sie auf zurechenbarem Verhalten beruht.
74 
3. Der Senat sieht keinen Anlass, auf den weiter hilfsweise gestellten Antrag der Beamtin die Entscheidung der Disziplinarkammer über die Versagung eines Unterhaltsbeitrags nach § 75 Abs. 1 LDO zu ändern. Die Beamtin ist zwar einer solchen Unterstützung nicht unwürdig, derzeit jedoch nicht bedürftig (§ 75 Abs. 1 Satz 1 LDO). Mit der Bewilligung eines Unterhaltsbeitrags soll dem aus dem Dienst entfernten Beamten der Übergang in einen anderen Beruf oder, sofern dies wegen Alters oder Erwerbsunfähigkeit nicht mehr möglich ist, in eine andere Art der gesetzlichen Alters- oder Erwerbsunfähigkeitsversorgung erleichtert werden. Dieser Zweck des Unterhaltsbeitrags, den aus dem Dienst entfernten Beamten und dessen Familie für eine Übergangszeit vor einer finanziellen Notlage zu schützen, wobei sich der anzuerkennende Bedarf vor allem nach den aktuellen Regelsätzen, Wohnungskosten (die Beamtin lebt allerdings mietfrei in der Wohnung ihrer Mutter, wie ihr Verteidiger in der Hauptverhandlung vor dem Senat noch einmal bestätigte) und einem Zuschlag für den Krankenversicherungsbeitrag bestimmt, ist hier bereits durch die Bezüge des Ehemannes der Beamtin (zur Berücksichtigung des Einkommens des Ehegatten des Beamten vgl. BVerwG, Urteil vom 28.11.1996 - 1 D 67.96 -, Buchholz 235 § 77 BDO Nr. 3; Urteil vom 18.03.1998 - 1 D 88.97 -, BVerwGE 113, 208; von Alberti/Gayer/Roskamp, a.a.O., § 75 LDO RdNr. 8; Köhler/Ratz, BDG, 3. Aufl., § 10 BDG RdNr. 8) in Höhe von 1.960 EUR netto monatlich sichergestellt. Dass die Bezüge des Ehemannes in absehbarer Zeit durch dessen Versetzung in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit geringer ausfallen werden, ist derzeit nicht hinreichend absehbar (vgl. dazu von Alberti/Gayer/Roskamp, a.a.O., § 75 LDO RdNr. 8). Der Verteidiger der Beamtin gab in der Hauptverhandlung im Berufungsverfahren an, dass sich der Ehemann der Beamtin auf Weisung seines Dienstherrn zur Wiederherstellung der Dienstfähigkeit in teilstationäre Behandlung begeben habe und ein förmliches Verfahren der Zurruhesetzung nicht eingeleitet sei.
75 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 112 Abs. 2 Satz 1 LDO.
76 
Dieses Urteil ist unanfechtbar (§ 88 LDO).

Tatbestand

1

Die Klägerin führte die Disziplinarklage gegen den beklagten Polizeivollzugsbeamten im Rang eines Polizeimeisters (Besoldungsgruppe A 7 BBesO) mit dem Ziel seiner Entfernung aus dem Dienst.

2

Der 1968 in S. geborene Beamte besuchte von 1975 – 1985 die Polytechnische Oberschule und absolvierte anschließend eine zweijährige Berufsausbildung zum Facharbeiter für Schweißtechnik. In den Jahren 1988 bis 1989 leistete er seinen Wehrdienst bei der Nationalen Volksarmee und trat am 01.11.1989 in ein Dienstverhältnis bei der Volkspolizei ein. Am 01.01.1991 wurde er in den Dienst des Landes Sachsen-Anhalt übernommen und mit Wirkung vom 17.07.1991 unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Probe zum Polizeihauptmeister z. A. ernannt. Die Lebenszeiternennung erfolgt am 24.09.1995. Der Beamte war sodann auf Dienstposten als Sachbearbeiter tätig. Zum 01.03.2012 wurde der Beamte an die Landesbereitschaftspolizei zur Verwendung der Objektschutzwache abgeordnet.

3

Die letzte dem Beamten erstellte dienstliche Beurteilung aus dem Jahre 2012 schließt innerhalb der Leistungsbeurteilung mit der Gesamtbewertung „E“ (entspricht den Leistungsanforderungen im Wesentlichen) und in der Befähigungsbeurteilung mit der Gesamtbewertung „D“ (wenig befähigt).

4

Bis zu den hier einschlägigen Geschehnissen ist der Beklagte weder straf- noch disziplinarrechtlich vorbelastet.

5

Aus den Gründen der Disziplinarklage sowie weiterer disziplinarrechtlicher Vorgänge wurde der Beklagte mit Verfügung vom 11.01.2010 gemäß § 38 Abs. 1 Disziplinargesetz Sachsen-Anhalt (DG LSA) vorläufig des Dienstes enthoben und durch weitere Verfügung im April 2010 mit einer Kürzung seiner Dienstbezüge um 40 % belegt. Mit Verfügung vom 07.02.2012 wurden die vorläufige Dienstenthebung und die Kürzung der Dienstbezüge aufgehoben.

6

Mit rechtskräftigem Strafbefehl des Amtsgerichts A. (17 Cs 227 Js 7305/10) vom 31.05.2010 wurde der Beklagte wegen Entziehung elektrischer Energie zu einer Geldstrafe von 70 Tagessätzen zu je 40,00 Euro verurteilt. Der Strafbefehl führt zum Tatgeschehen aus:

7

„In der Zeit vom 10.05.2006 bis 13.10.2009 manipulierten Sie an der Steigleitung zum Stromzähler des Wohnhauses in der B-Straße in B-Stadt, um unberechtigt vom Stromanbieter E.O.N./Avacon GmbH Strom zu nutzen und dieses in der Tatzeit auch taten. Sie verbrauchten Strom zu einem Betrag von insgesamt 3.484,08 Euro.“

8

Mit der Disziplinarklage vom 26.02.2013 (Eingang: 05.03.2013) wird der Beamte angeschuldigt, ein Dienstvergehen nach § 47 Abs. 1 Beamtenstatusgesetz (BeamtStG) begangen zu haben, indem er

9

1. unberechtigte Datenabfragen im WARSA und Weitergabe der Daten an Dritte

10

sowie

11

2. Entziehung elektrischer Energie

12

vorgenommen und damit vorsätzlich und schuldhaft gegen seine Dienstpflichten verstoßen habe.

13

Zum Pflichtenverstoß nach Nr. 1 führt die Disziplinarklage aus: Der Beklagte habe aus dem polizeilichen Informationssystem WARSA unberechtigte Datenabfragen vorgenommen und die daraus erlangten Informationen an Dritte weitergegeben. Die Dialogselektion unter dem IVOPOL LOGIN „     “ (     ) habe eine Vielzahl von Abfragen im Recherchesystem WARSA in den Jahren 2008/2009 festgestellt. Der Beklagte habe bei Feierlichkeiten damit geprahlt, dass er alles rausbekommen würde, was gegen einzelne Personen polizeilich laufe. Bezüglich der Zeugin Diana B. (nicht verwandt und nicht verschwägert mit dem Beklagten) habe der Beklagte in über 91 Fällen eine derartige Abfrage getätigt und der Zeugin mitgeteilt, dass auf sie wegen Geldschulden ein Strafverfahren zukomme. Der Beklagte habe ebenso den Zeugen M. H. im WARSA überprüft. Die Erkenntnisse darüber seien der Zeugin I. von der Ehefrau des Beklagten mitgeteilt worden. Am 04.05. und 05.05.2009 habe der Beklagte im WARSA nach Herrn R. S. (Schwager des Beklagten) recherchiert und habe neun Treffer im IVOPOL erzielt. Die Zeugin I. habe erklärt, dass D. S. (Tochter des R. S.) die in der Wohnung des Beklagten gewohnt habe, geäußert habe, dass der Beklagte interne Details bezüglich der Trunkenheitsfahrt des Herrn S. preisgegeben habe. Zudem habe der Beklagte ein Bild des D. S. (Sohn von R. S.), das über ihn aufgrund erkennungsdienstlicher Maßnahmen angefertigt worden sei, aus den polizeilichen Datensätzen auf sein Handy geladen. Dieses Foto habe der Beklagte der Zeugin I. mit der Bemerkung gezeigt, dass es sich dabei um ein Fahndungsfoto handele. Am 28.09.2008 habe der Beklagte bezüglich des D. S. 31 Treffer im IVOPOL, einen Treffer im Ditralis, einen Treffer im Inpol und 64 Treffer in Journalen erzielt.

14

Das diesbezügliche strafrechtliche Ermittlungsverfahren wurde am 06.09.2010 gemäß § 154 Abs. 1 StPO vorläufig eingestellt, weil gegen den Beamten weitere strafrechtliche Verfahren anhängig waren.

15

Trotz Einstellung der strafrechtlichen Ermittlungen sei von einem disziplinarrechtlichen Überhang auszugehen. Die Vielzahl der Datenabfragen aus den polizeilichen Informationssystemen seien ohne dienstlichen Anlass vorgenommen und unberechtigt an Dritte weitergegeben worden. Damit habe der Beamte gegen seine beamtenrechtliche Verschwiegenheitspflicht nach § 37 BeamtStG verstoßen. Dies sei auch unter Verstoß gegen datenschutzrechtliche Belange geschehen. Damit habe der Beamte gegen seine ihm obliegende Pflicht zur Weisungsgebundenheit (§ 35 Satz 2 BeamtStG) und zu einem achtungs- und vertrauenswürdigen Verhalten innerhalb des Dienstes (§ 34 Satz 3 BeamtStG) verstoßen.

16

Das Gebot der Amtsverschwiegenheit gehöre zu den elementaren Pflichten eines (Polizei-)beamten. Sowohl der Dienstherr als auch die Allgemeinheit müssten darauf vertrauen können, dass die in polizeilichen Informationssystemen gespeicherten personenbezogenen Daten nicht ohne Rechtsgrund erhoben und unbefugt offenbart werden würden. Ein Verstoß dagegen, beinhalte regelmäßig einen schweren Treuebruch. Der Beklagte habe allein zur Befriedigung seiner eigenen Bedürfnisse die Daten erhoben, um mit dem dienstlich erlangten Wissen innerhalb seiner Verwandtschaft und Bekanntschaft zu prahlen. Damit habe sich der Beklagte in hohem Maße als unzuverlässig erwiesen.

17

Zu 2. führt die Disziplinarklage aus: Dem Strafbefehl des Amtsgerichts A. vom 31.05.2010 sei vorausgegangen, dass bei dem Beklagten am 13.10.2009 eine Hausdurchsuchung im Zusammenhang mit den dem Beklagten gegenüber erhobenen Vorwürfen des sexuellen Missbrauchs von Kindern und des sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen durchgeführt worden sei. Dabei sei festgestellt worden, dass elektrische Endgeräte im Betrieb gewesen seien, die Zählerscheibe des Stromzählers sich jedoch nicht gedreht habe. Ein Mitarbeiter des Stromversorgers habe sodann die Manipulation der Steigleitung festgestellt. Der Beklagte habe eingeräumt, den Strom genutzt zu haben, um seine finanzielle Situation zu verbessern.

18

Die tatbestandlichen Feststellungen im rechtskräftigen Strafbefehl seien zwar disziplinarrechtlich nicht bindend, könnten jedoch ohne nochmalige Prüfung dem Disziplinarverfahren zugrunde gelegt werden (§ 23 Abs. 1 DG LSA). Dabei handele es sich um ein außerdienstliches Dienstvergehen im Sinne des § 34 Satz 3 i. V. m. § 47 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG. Das außerdienstliche Fehlverhalten weise einen unmittelbaren Bezug zu dem konkret-funktionalen Amt des Beklagten als Polizeivollzugsbeamter auf. Polizeivollzugsbeamte seien als Teil der staatlichen Gewalt der Rechtsordnung in besonderem Maße verpflichtet und müssten entsprechend ihres gesetzlichen Auftrages handeln. Gerade die Öffentlichkeit erwarte, dass ein Polizeibeamter sich als Träger öffentlicher Gewalt ehrlich, zuverlässig und rechtstreu verhalte. Das Verhalten des Beklagten sei daher in besonderem Maße geeignet, das Vertrauen in einer für das Amt des Beklagten bedeutsamen Weise zu beeinträchtigen.

19

Bei der Gesamtschau der begangenen Dienstpflichtverletzungen im Sinne eines einheitlichen Dienstvergehens seien gravierende Persönlichkeitsmängel des Beamten offensichtlich. Der Beklagte setze sich völlig bedenkenlos über Strafgesetze und Dienstvorschriften hinweg. Charakterlich sei er von Labilität und Gleichgültigkeit geprägt. Es handele sich um ein schweres Dienstvergehen. Das Vertrauen des Dienstherrn und der Allgemeinheit sei endgültig verloren. Dabei komme der vom Beklagten begangenen vermögensschädigenden Straftat der Entziehung elektrischer Energie disziplinarrechtlich ein besonders schweres Gewicht zu. Die Straftat sei über einen sehr langen Zeitraum von fast 3 ½ Jahren begangen worden. Hinzu komme, dass die Straftat erst im Rahmen der beim Beklagten durchgeführten Hausdurchsuchung aufgedeckt worden sei, so dass der Beklagte bei Nichtaufdeckung weiterhin rechtswidrig elektrische Energie entzogen hätte. Zudem habe eine permanente Gefahr für den Ausbruch eines gefährlichen Brandes durch Überlastung der Abzweigleitung und damit insbesondere eine Gefahr für Leib und Leben der in dem Wohnhaus des Beklagten lebenden oder sich darin aufhaltenden Personen bestanden.

20

Der Strafrahmen für den Straftatbestand der Entziehung elektrischer Energie nach § 248 c Abs. 1 StGB betrage bis zu 5 Jahren Freiheitsstrafe. Demnach stünde nach der neueren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bei einem derartigen Strafrahmen der Ausspruch der disziplinaren Höchstmaßnahme zur Verfügung.

21

Milderungs- und Entlastungsgründe seien nicht ersichtlich. Der Beklagte habe sich diesbezüglich weder im Straf- noch Disziplinarverfahren eingelassen. Eine Augenblickstat oder Kurzschlusshandlung sei auszuschließen. Anhaltspunkte für eine unverschuldete unausweichliche finanzielle Notlage seien nicht gegeben. Trotz aufgelaufener Stromkostenrückstände sei eine existenzielle Notlage nicht ersichtlich. Von der Möglichkeit der Vereinbarung von Ratenzahlungen oder sonstiger Hilfsangebote habe der Beklagte offenbar keinen Gebrauch gemacht. Die sogenannte Geringfügigkeitsschwelle sei bei einem Schaden in Höhe von 3.484,08 Euro um ein Vielfaches überschritten.

22

Die Klägerin beantragt,

23

den Beamten aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen.

24

Der Beklagte beantragt,

25

auf eine mildere Maßnahme zu erkennen.

26

Nachdem er sich weder im Straf- noch im behördlichen und gerichtlichen Disziplinarverfahren eingelassen hat, erklärte er sich erstmals in der mündlichen Verhandlung vor dem Disziplinargericht. Die Datenabfragen habe er vorgenommen, um zu wissen, „wer in seinem Haus verkehre“. Der Entzug elektrischer Energie habe sich ergeben, weil er nach der Stromsperre beim „aufräumen eine stromführende Leitung gefunden habe“. Trotz dessen er den Strafbefehl akzeptiert habe, sei unklar, wer die Leitung „angezapft“ habe.

27

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungs- und Ermittlungsvorgänge verwiesen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidungsfindung.

Entscheidungsgründe

28

Die zulässige Disziplinarklage ist begründet.

29

Der Beklagte hat ein schwerwiegendes Dienstvergehen gemäß § 47 Abs. 1 BeamtStG begangen, welches die Disziplinarmaßnahme der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis (§ 10 DG LSA) nach sich zieht.

30

Beamte begehen ein Dienstvergehen, wenn sie schuldhaft die ihnen obliegenden Pflichten verletzen (§ 47 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG). Ein Verhalten außerhalb des Dienstes ist nur dann ein Dienstvergehen, wenn es nach den Umständen des Einzelfalls in besonderem Maße geeignet ist, das Vertrauen in einer für ihr Amt bedeutsamen Weise zu beeinträchtigen (§ 47 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG). Diese Voraussetzungen liegen vor. Die Disziplinarkammer ist davon überzeugt, dass der Beklagte die ihm in der Disziplinarklage vorgeworfenen Pflichtenverstöße begangen hat.

31

1.) Der disziplinarrechtlich zu bewertende Sachverhalt, welcher zur Verurteilung wegen der Entziehung elektrischer Energie nach § 248 c StGB führte, ergibt sich aus dem Tatbestand des rechtskräftigen Strafbefehls des Amtsgerichts A. vom 31.05.2010. Zwar tritt - anders als bei Urteilen - insoweit keine tatbestandliche Bindungswirkung nach §§ 54 Abs. 1, 23 Abs. 1 DG LSA ein. Jedoch können diese Feststellungen ohne nochmalige Prüfung dem Disziplinarverfahren zugrunde gelegt werden (§§ 54 Abs. 2, 23 Abs. 2 DG LSA). Denn Zweifel an der Richtigkeit der dort getroffenen Feststellungen bestehen nicht und werden vom Beklagten auch nicht vorgetragen. Soweit der Beklage in der mündlichen Verhandlung vor dem Disziplinargericht erstmals und unsubstantiiert erklärt, es sei unklar, wer die Leitung „angezapft“ habe, glaubt ihm dies das Disziplinargericht nicht. Denn damit setzt er sich bereits in Widerspruch dazu, dass er die stromführende Leitung gefunden habe. Zudem hat jedenfalls er unzweifelhaft den Strom und diesen wegen der Sperrung seiner Kundenanlage und Nichtveranlagung zu einem Entgelt in Kenntnis der Manipulation genutzt.

32

2.) Ebenso ist die Disziplinarkammer davon überzeugt, dass der Beamte die ihm vorgeworfenen unberechtigten Datenabfragen in polizeilichen Informationssystemen vorgenommen und diese an Dritte unbefugt weitergegeben hat. Dies ergibt sich aus den in den Ermittlungsvorgängen befindlichen Unterlagen sowie aus den Zeugenaussagen. Der Beklagte bestreitet die Abfragen auch nicht. Daran ändert die Einstellung der strafrechtlichen Ermittlungen durch die Staatsanwaltschaft A-Stadt gemäß 154 Abs. 1 StPO nichts. Denn diese Einstellung ist im Zusammenhang mit den weiteren damaligen Anschuldigungen zu sehen.

33

3.) Der unter Nr. 1 der Disziplinarklage vorgehaltene Pflichtenverstoß (Datenabfrage und Weitergabe) ist als dienstliches und der unter Nr. 2 der Disziplinarklage vorgehaltene Straftatbestand der Entziehung elektrischer Energie ist als außerdienstliches Fehlverhalten einzustufen (vgl. zur Abgrenzung: VG Magdeburg, B. v. 24.01.2013, 8 B 23/12 MD; VG Magdeburg, U. v. 29.01.2013, 8 A 22/12 MD; beide juris).

34

a.) Bei einem außerdienstlichen Fehlverhalten müssen die besonderen qualifizierenden Voraussetzungen des § 47 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG gegeben sein, um von einer Disziplinarwürdigkeit auszugehen. Dabei muss die Frage der Disziplinarwürdigkeit eines außerdienstlichen Verhaltens von der eigentlichen Zumessensentscheidung nach Maßgabe des § 13 DG LSA getrennt beurteilt werden. Das Verhalten des Beamten muss nach den Umständen des Einzelfalls in besonderem Maße geeignet sein, das Vertrauen in einer für das Amt bedeutsamen Weise zu beeinträchtigen. Das Merkmal „in besonderem Maße“ bezieht sich auf die Eignung zur Achtungs- und Vertrauensbeeinträchtigung und ist nur erfüllt, wenn das Verhalten des Beamten in quantitativer oder qualitativer Hinsicht über das über eine jede Eignung vorausgesetzte Mindestmaß an Wahrscheinlichkeit einer Beeinträchtigung hinausgeht. Ist eine derart qualifizierte Möglichkeit der Beeinträchtigung gegeben, kommt es weiterhin darauf an, ob diese Beeinträchtigung bedeutsam wäre. Das Merkmal „in bedeutsamer Weise“ bezieht sich auf den „Erfolg“ der möglichen Achtungs- und Vertrauensbeeinträchtigung. Die zur Beeinträchtigung in besonderem Maße geeignete Pflichtenverletzung weist Bedeutsamkeit auf, wenn sie in qualitativer oder quantitativer Hinsicht das einer jeden außerdienstlichen Pflichtverletzung innewohnende Maß an disziplinarrechtlicher Relevanz deutlich überschreitet (vgl. zum Ganzen: BVerwG, Urt. v. 08.05.2001, 1 D 20.00; juris). Die Beeinträchtigung der Achtung und des Vertrauens muss sich entweder auf das Amt des Beamten im konkret-funktionellen Sinne (Dienstposten), d. h. auf die Erfüllung der dem Beamten konkret obliegenden Dienstpflichten oder auf das Ansehen des Berufsbeamtentums als Sachwalter einer stabilen und gesetzestreuen Verwaltung beziehen (vgl. zum Ganzen: BVerwG, Urt. v. 30.08.2000, 1 D 37.99; Urt. v. 12.12.2001, 1 D 4.01; Urt. v. 25.08.2009, 1 D 1.08; Urt. v. 19.08.2010, 2 C 13.10; Urt. v. 28.07.2011, 2 C 16.10; alle juris).

35

Mit der Neuregelung der tatbestandlichen Voraussetzungen des außerdienstlichen Dienstvergehens wollte der Gesetzgeber den Wandel der gesellschaftlichen Anschauungen über die Stellung der Beamten Rechnung tragen. Demnach werden Beamte nicht mehr als Vorbild in allen Lebenslagen angesehen, die besonderen Anforderungen an Moral und Anstand unterliegen (BVerwG, Urt. v. 30.08.2000, 1 D 37.99; juris). In Reaktion auf diese Rechtsprechung erwähnt § 47 Abs. 1 Satz 2 BeamtStG den Ansehensverlust nicht mehr. Die Vorstellung, dass der Beamte „niemals Privatmann“ sei, sondern auch außerhalb des Dienstes Beamter, der stets auf seine Amtsstellung Rücksicht zu nehmen habe, hat der Gesetzgeber zum Schutz der Privatsphäre des Beamten bewusst aufgegeben. Der Gesetzgeber wollte durch die gesetzliche Regelung zum Ausdruck bringen, dass von einem Beamten außerdienstlich kein wesentlich anderes Sozialverhalten als von jedem Bürger erwartet wird. Die Voraussetzungen für die Annahme eines Dienstvergehens im außerdienstlichen Bereich sollten durch besondere tatbestandliche Merkmale verschärft werden. Dies sollte in erster Linie für eine Vielzahl von Straßenverkehrsdelikten gelten (z. B. Trunkenheit im Verkehr; vgl. Entwurf eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung der Bundesdisziplinarordnung, Schriftlicher Bericht des Innenausschusses des Deutschen Bundestages, BT-Drucksache V/1693, zu Art. 2 § 2 Seite 10; BVerwG, Urt. v. 30.08.2000, 1 D 37.99; Urt. v. 25.03.2010, 2 C 83.08; Urt. v. 19.08.2010, 2 C 5.10 und 13.10; juris). In der Gesetzesbegründung wird hervorgehoben, dass die vorkonstitutionelle Auffassung, Beamte seien „immer im Dienst“, in dieser Allgemeinheit nicht mehr gelte. Es gehe allein um das Vertrauen in eine objektive, rechtmäßige und effiziente Aufgabenerfüllung (vgl. BVerwG, Urt. v. 25.08.2009, 1 D 1.08 mit Verweis auf BT-Drs. 16/4027, S. 34 zu § 48 des Entwurfs; juris). Das Berufsbeamtentum soll eine stabile gesetzestreue Verwaltung sichern, die freiheitlich demokratische Rechtsordnung verteidigen und durch Unabhängigkeit und Unparteilichkeit einen ausgleichenden Faktor gegenüber den das Staatsleben gestaltenden politischen Kräften darstellen. Das Vertrauen, dass der Beamte diesem Auftrag gerecht wird und dessen er zur Erfüllung seiner Aufgabe bedarf, darf der Beamte durch sein Verhalten nicht beeinträchtigen (BVerwG, Urt. v. 30.08.2000, 1 D 37.99; juris).

36

b.) Der somit zu fordernde Dienstbezug ist gegeben, wenn das außerdienstliche Verhalten Rückschlüsse auf die Dienstausübung in dem Amt im konkret-funktionellen Sinn zulässt oder den Beamten in der Dienstausübung beeinträchtigt (Beeinträchtigung der für die Dienstausübung unabdingbaren Autorität). Während bei Delikten gegen die sexuelle Selbstbestimmung und hier insbesondere bei dem Besitz oder dem Verbreiten kinderpornografischer Dateien ein Dienstbezug bei Lehrern, Pädagogen, Erziehern und auch Polizeivollzugsbeamten im Regelfall angenommen wird (vgl. nur BVerwG, Urt. v. 19.08.2010, 2 C 5.10; B. v. 25.05.2012, 2 B 133.11; VG Magdeburg, Urt. v. 05.06.2013, 8 A 10/12 MD; jüngst VG Wiesbaden bei einem JVA-Bediensteten einer Jugend-JVA, Urt. v. 05.06.2013, 28 K 296/12.WI.D; alle juris) wird dies z. B. bei einem Zollinspektor, welcher im Bereich der Bekämpfung der Schwarzarbeit eingesetzt wird, abgelehnt (BVerwG, Urt. v. 19.08.2010, 2 C 13.10). Die Ausübung der Prostitution hat Dienstbezug bei einer Justizbeamtin (VG Münster, Urteil v. 19.03.2013, 13 K 2930/12.O; juris). Ebenso die außerdienstliche Trunkenheitsfahrt eines Beamten, der auch dienstlich ein Kraftfahrzeug zu führen hat (BVerwG, Urt. v. 30.08.2000, 1 D 37.99; juris). Ähnlich besteht der Dienstbezug bei einem Vermögensdelikt eines Beamten, dem dienstlich die Führung einer Kasse obliegt (BVerwG, Urt. v. 30.08.2000, 1 D 37.99; juris). Das erkennende Disziplinargericht hat bei einem Polizeibeamten hinsichtlich außerdienstlicher Verstöße gegen das Waffen-, Sprengstoff- und Munitionsgesetz sowie das Kriegswaffenkontrollgesetz wegen der dienstlichen Eigenschaft als Waffenträger den Dienstbezug bejaht (VG Magdeburg, Urt. v. 28.02.2013, 8 A 14/11; juris).

37

Diese Voraussetzungen eines Dienstbezuges sieht die Disziplinarkammer bei der Begehung der Straftat der Entziehung elektrischer Energie durch einen Polizeibeamten im Eingangsamt eines Polizeimeisters nicht als gegeben an. Ähnlich das Bundesverwaltungsgericht wenn es ausführt, dass allein der Umstand, dass der Beamte innerhalb der „Finanzkontrolle Schwarzarbeit“ dienstlich mit der Verfolgung und Ahndung von Rechtsverstößen Dritter befasst war, eine außerdienstlich begangene Straftat als solche keinen Dienstbezug begründet. Rückschlüsse aus dem außerdienstlichen Fehlverhalten des Beamten auf seine künftige Amtsführung oder eine Beeinträchtigung dieser, könnten allein daraus nicht gezogen werden (BVerwG, Urt. v. 15.08.2010, 2 C 13.10; juris). Die von der Klägerin in der Disziplinarklage insoweit pauschal vertretene Auffassung, dass von einem Polizeivollzugsbeamten die Einhaltung der Gesetze zwingend verlangt werde, berücksichtigt gerade nicht die Gesetzesänderung, weshalb auch und jedenfalls der unterrangige Polizeivollzugsbeamte nicht Garant für Moral und Anstand ist. Zudem besteht der disziplinarrelevante Pflichtenverstoß - nur - in dem Verstoß gegen die Wohlverhaltenspflicht nach § 34 Satz 3 BeamtStG, welcher durch die Begehung der Straftat indiziert ist. Soweit verlangt wird, dass die Öffentlichkeit erwarte, dass sich ein Polizeibeamter auch als Träger öffentlicher Gewalt ehrlich, zuverlässig und rechtstreu verhält, ist dies zweifellos richtig und wünschenswert. Dies würde dann aber zwangsläufig einen generellen ausnahmslosen Dienstbezug und damit die stetige Disziplinarwürdigkeit jedes außerdienstlichen Fehlverhaltens eines jeden Polizeibeamten, gleich welcher Position und welchen Ranges nach sich ziehen. Für die Beamtengruppe der Polizeivollzugsbeamten würde die in der Gesetzesänderung zum Ausdruck gebrachte notwendige besondere Qualifizierung des außerdienstlichen Verhaltens als Voraussetzung der Disziplinarwürdigkeit vernachlässigt werden.

38

c.) Sind die Voraussetzungen des eng zu verstehenden Dienstbezuges nicht gegeben, ist die außerdienstliche Pflichtverletzung nur disziplinarwürdig, wenn das Ansehen des Berufsbeamtentums als Sachverwalter einer stabilen und gesetzestreuen Verwaltung beeinträchtigt ist.

39

Das Bundesverwaltungsgericht (Urt. v. 30.08.2000, 1 D 37.99; Urt. v. 25.03.2010, 2 C 83.08; beide juris) stellt klar, dass bereits bei erstmaligem außerdienstlichem Fehlverhalten die Eignung zu Beeinträchtigung von Achtung und Vertrauen im Hinblick auf das Ansehen des Beamtentums gegeben sein kann. Dies unter Hinweis auf die gesetzgeberischen Wertungen bei der Begehung einer Straftat zum Nachteil des Staates (§ 41 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BBG) oder der Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr wegen einer vorsätzlich begangenen schwerwiegenden Straftat (vgl. § 41 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BBG). Das Bundesverwaltungsgericht führt in dem Urteil vom 19.08.2010 (2 C 13.10; juris; auch: Beschluss v. 28.06.2012, 2 B 28.12; juris) aus:

40

„Unabhängig von diesen Fallgruppen lässt der Strafrahmen Rückschlüsse auf das Maß der disziplinarrechtlich relevanten Ansehensschädigung zu. Die Disziplinarwürdigkeit eines erstmaligen außerdienstlichen Verhaltens eines Beamten ist regelmäßig anzunehmen, wenn das außerdienstliche Verhalten im Strafgesetzbuch als Vergehen mit einer Freiheitsstrafe im mittleren Bereich belegt ist. Durch die Festlegung des Strafrahmens bringt der Gesetzgeber verbindlich den Unrechtsgehalt eines Deliktes zum Ausdruck. An dieser Wertung hat sich auch die Entscheidung über die Eignung zu Vertrauensbeeinträchtigung zu orientieren, wenn andere Kriterien, wie etwa ein Dienstbezug oder die Verhängung einer Freiheitsstrafe bei einer vorsätzlich begangenen Straftat ausscheiden. Hierdurch wird hinsichtlich der Frage der Disziplinarwürdigkeit außerdienstlichem Verhaltens eine Entscheidung gewährleistet, die an nachvollziehbare Kriterien anknüpft und keine „allgemeine Empörung oder Entrüstung“ darstellt.“

41

Vorliegend ist der Strafrahmen des Straftatbestandes nach § 248 c StGB mit bis zu 5 Jahren belegt und ist damit im oberen und nicht mehr nur im mittleren Bereich, wie dies etwa bei den Fällen des Besitzes kinderpornografischer Schriften einschlägig ist, angesiedelt. Die Disziplinarwürdigkeit des außerdienstlichen Fehlverhaltens ist damit gegeben. Der Beklagte hat durch die Begehung der Straftat vorsätzlich und schuldhaft gegen seine Wohlverhaltenspflicht nach § 34 Satz 3 BeamtStG verstoßen.

42

4.) Mit den unberechtigten Datenabfragen in den polizeilichen Informationssystemen und deren unberechtigte Weitergabe an Dritte hat der Beklagte vorsätzlich und schuldhaft gegen seine Pflicht zur Amtsverschwiegenheit nach § 37 BeamtStG sowie gegen die maßgeblichen datenschutzrechtlichen Vorschriften und dazu ergangenen einschlägigen Verwaltungsvorschriften und Dienstanweisungen verstoßen, was wiederum den Pflichtenverstoß nach § 35 Satz 2 BeamtStG begründet. Diese Dienstpflichtverletzung ist unzweifelhaft dem dienstlichen Bereich zuzurechnen.

43

Nach § 37 Abs. 1 BeamtStG hat der Beamte über die ihn bei seiner amtlichen Tätigkeit bekannt gewordenen Gelegenheiten Verschwiegenheit zu bewahren. Dies gilt nicht für Tatsachen, die offenkundig sind oder ihre Bedeutung nach keiner Geheimhaltung bedürfen (VG Magdeburg, Urt. v. 08.05.2013, 8 A 24/12; juris). Die Pflicht des Beamten zur Amtsverschwiegenheit gehört zu seinen Hauptpflichten und dient sowohl dem öffentlichen Interesse, vor allem dem Schutz der dienstlichen Belange der Behörde, als auch dem Schutz des von Amtshandlungen betroffenen Bürgers.

 

44

5.) Welche Disziplinarmaßnahme im Einzelfall erforderlich ist, richtet sich nach der Schwere des Dienstvergehens, dem Persönlichkeitsbild des Beamten sowie dem Umfang der durch das Dienstvergehen herbeigeführten Vertrauensbeeinträchtigung. Die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis ist regelmäßig dann auszusprechen, wenn der Beamte durch ein schweres Dienstvergehen, das für die weitere dienstliche Tätigkeit notwendige Vertrauensverhältnis zwischen ihm und dem Dienstherrn aber auch der Allgemeinheit endgültig zerstört hat (vgl. nur: BVerwG, Urt. v. 20.10.2005, 2 C 12.04 und Urt. v. 19.08.2010, 2 C 13.10; beide juris).

45

a.) Die Schwere des Dienstvergehens beurteilt sich nach objektiven Handlungsmerkmalen wie Eigenart und Bedeutung der Dienstpflichtverletzung, den besonderen Umständen der Tatbegehung sowie Häufigkeit und Dauer eines wiederholten Fehlverhaltens, nach subjektiven Handlungsmerkmalen wie Form und Gewicht des Verschuldens des Beamten, den Beweggründen für sein Verhalten sowie nach den unmittelbaren Folgen für den dienstlichen Bereich und für Dritte. Davon ausgehend kommt es darauf an, ob Erkenntnisse zum Persönlichkeitsbild und zum Umfang der Vertrauensbeeinträchtigung im Einzelfall derart ins Gewicht fallen, dass eine andere als die durch die Schwere des Dienstvergehens indizierte Maßnahme geboten ist. Eine vollständige und richtige Gesamtwürdigung setzt voraus, dass die Disziplinarkammer die im Einzelfall bemessungsrelevanten, d. h. die für die Schwere des Dienstvergehens und das Persönlichkeitsbild bedeutsamen Tatsachen ermittelt und mit dem ihnen zukommenden Gewicht in die Gesamtbewertung einbezieht. Dies entspricht dem Zweck der Disziplinarbefugnis des Disziplinargerichts als einem Mittel der Funktionssicherheit des öffentlichen Dienstes. Dabei findet der Grundsatz „in dubio pro reo“ Anwendung. Die Disziplinargerichte dürfen nur solche belastenden Tatsachen in die Gesamtwürdigung einstellen, die zur Überzeugung des Gerichts feststehen. Demgegenüber müssen entlastende (mildernde) Umstände schon dann zu Gunsten des Beamten berücksichtigt werden, wenn hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für ihr Vorliegen gegeben sind und eine weitere Sachverhaltsaufklärung nicht möglich ist (vgl. nur: VG Magdeburg, Urt. v. 27.10.2011, 8 A 2/11 mit Verweis auf BVerwG, Urt. v. 27.01.2011, 2 A 5.09; jüngst BVerwG, Urt. v. 29.03.2012, 2 A 11/10, OVG Lüneburg, Urt. v. 14.11.2012, 19 LD 4/11; zuletzt ausführlich; VG Magdeburg, Urt. v. 29.11.2012, 8 A 12/11; alle juris).

46

b.) Setzt sich das (einheitliche) Dienstvergehen (vgl. zur Einheit des Dienstvergehens nur: VG Magdeburg, Urteil v. 04.11.2009, 8 A 19/08 m. w. Nachw.; juris) aus mehreren Dienstpflichtverletzungen zusammen, bestimmt sich die zu verhängende Disziplinarmaßnahme in erster Linie nach der schwersten Verfehlung (BVerwG, Urt. v. 23.02.2005, 1 D 1.04; juris). Vorliegend wiegen beide vorgeworfenen Pflichtverletzungen (gleich) schwer.

47

c.) Grundsätzlich begeht ein Polizeibeamter ein schwerwiegendes Dienstvergehen, wenn er seine Pflicht zur Amtsverschwiegenheit durch Weitergabe von Daten aus dem polizeilichen Informationssystem oder auch aus sonstigen Akten oder Ordnern verletzt. Derartige Pflichtverletzungen können durchaus zur Entfernung aus dem Dienst führen (vgl.: OVG Saarland, Urt. v. 22.02.2006, 7 R 1/05; VG München, Urt. v. 08.12.2006, M 19 DO 63363; VG Meiningen, Urt. v. 16.03.2009, 6 D 60014/06 – ME; VG Berlin, B. v. 20.02.2009, 80 Dn 68.08; Bayerischer VGH, Urt. v. 24.11.2004, 16 a D 03.2668; vgl. insgesamt: VG Magdeburg, Urt. v. 09.03.2010, 8 A 25/09 und Urt. v. 08.05.2013, 8 A 24/12; alle juris).

48

Wegen der großen Spannbreite der Verhaltensweisen hinsichtlich einer derartigen Pflichtverletzung lassen sich allerdings feste Regeln für eine Disziplinarmaßnahme nicht aufstellen. Je nach Bedeutung der vertraulich zu behandelnden amtlichen Vorgänge und dem Grad des Verschuldens kann ein Verstoß gegen die Verschwiegenheitspflicht unterschiedliches Gewicht haben (vgl. zusammenfassend: OVG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 30.01.2013, 3 A 10771/12; VG Trier. B. v. 14.05.2013, 3 L 388/13.TR; beide juris).

49

In Anwendung dieser Grundsätze fällt zu Lasten des Klägers ins Gewicht, dass er die Daten nicht nur unberechtigt abgefragt, sondern diese Daten auch unbefugten Personen offenbart hat. Die erstmalige Einlassung des Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Disziplinargericht, er habe die Datenabfragen getätigt, um zu wissen, „wer in seinem Hause ein und aus geht“, belegt einerseits die eigennützige, nicht an Recht und Gesetz orientierte Handlungsweise des Beklagten. Andererseits sind z. B. Ermittlungen nicht gefährdet oder auch nur erschwert worden und die Kundgabe hatte keine größere Wirkung auf die Öffentlichkeit, wie dies etwa bei Medienpublikationen der Fall wäre. Das Motiv des Beamten für sein Verhalten dürfte eher im privaten Bereich zu sehen sein, um sich so im Bekannten- und Verwandtenkreis als „Herrscher über die Daten“ Geltung und Anerkennung zu verschaffen. Gleichwohl fällt negativ auf, dass der Beamte auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Disziplinargericht nicht das Unrecht seiner Handlung einsah und stetig nach nicht vorhandenen Rechtfertigungen suchte.

50

d.) Im Bezug auf strafbares außerdienstliches Verhalten betont das Bundesverwaltungsgericht in der neuerlichen Rechtsprechung auch bei der Bewertung der Schwere der Pflichtverletzung die Bedeutung der gesetzlichen Strafandrohung für die Maßnahmebemessung (BVerwG, Urt. v. 25.03.2010, 2 C 83.08, Urt. v. 19.08.2010, 2 C 5.10 und 2 C 13.10, B. v. 21.12.2010, 2 B 29.10, B. v. 26.06.2012, 2 B 28.12; alle juris). Die Anknüpfung an den Strafrahmen gewährleistet eine nachvollziehbare und gleichmäßige disziplinarrechtliche Ahndung von Dienstvergehen. Dabei hat das Bundesverwaltungsgericht bei einem Strafrahmen von bis zu einem Jahr Freiheitsstrafe bei Fehlen jeglichen Dienstbezuges allenfalls eine Disziplinarmaßnahme im unteren Bereich für angemessen erachtet und bei einem Strafrahmen von bis zu zwei Jahren die Zurückstufung als Orientierungsrahmen angesehen. Kommt ein Dienstbezug hinzu, so kann der Orientierungsrahmen bei einem Strafrahmen bis zu einem Jahr ebenfalls die Zurückstufung, bei einem Strafrahmen bis zu zwei Jahren, sogar die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis sein. Besteht eine wesentlich höhere Strafandrohung - wie hier bis zu fünf Jahren – reicht der disziplinarrechtliche Orientierungsrahmen auch bei Fehlen eines Dienstbezuges – wie vorliegend – bis zur Höchstmaßnahme (BVerwG, B. v. 28.06.2012, 2 B 28.12; juris). Dabei betont das Bundesverwaltungsgericht, dass die Disziplinargerichte ihre eigene Einschätzung des Unwertgehalts eines Delikts nicht an die Stelle der Bewertung des Gesetzgebers setzen dürfen. Das Ausmaß des Ansehensschadens, der durch eine außerdienstlich begangene Straftat hervorgerufen wird, wird maßgeblich durch den Strafrahmen bestimmt (BVerwG, Urt. v. 19.08.2010, 2 C 13.10; juris).

51

Vorliegend ist der Strafrahmen des Straftatbestandes nach § 248 c StGB mit bis zu 5 Jahren belegt und ist damit im oberen und nicht mehr nur im mittleren Bereich, wie dies etwa bei den Fällen des Besitzes kinderpornografischer Schriften einschlägig ist, angesiedelt. Eine im Bereich der Höchstmaßnahme zu ahndende schwere Dienstpflichtverletzung liegt somit vor.

52

6.) Der so zu bestimmende Orientierungsrahmen für die Bemessung der Disziplinarmaßnahme entbindet die Disziplinargerichte jedenfalls nicht davon, die Umstände des Einzelfalls ausreichend zu würdigen (BVerwG, Urt. v. 25.03.2010, 2 C 83.08; juris). Für die Zumessungsentscheidung müssen die in § 13 Abs. 1 Satz 2 bis 4 DG LSA genannten Bemessungskriterien mit dem ihnen zukommenden Gewicht ermittelt und eingestellt werden. Dieses Erfordernis beruht auf dem im Disziplinarverfahren geltenden Schuldprinzip und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.

53

Ist damit aufgrund der Schwere der Dienstpflichtverletzungen generell von der Maßnahme der Entfernung aus dem Dienst auszugehen, ist zu fragen, ob gewichtige Milderungsgründe eine darunter liegende Disziplinarmaßnahme (noch) rechtfertigen können.

54

Dies ist dann der Fall, wenn zu Gunsten des Beamten gewichtige Entlastungsgründe (Milderungsgründe) zu berücksichtigen sind, die den Schluss rechtfertigen, dass das dem Beamten vom Dienstherrn und der Allgemeinheit entgegengebrachte Vertrauen noch nicht endgültig verloren ist. Solche Gründe stellen zum einen die von der Rechtsprechung bezüglich der sog. Zugriffsdelikte entwickelten und anerkannten Milderungsgründe dar, die besondere menschliche Konfliktsituationen beschreiben. Hierzu zählen etwa das Handeln in einer existenziellen wirtschaftlichen Notlage oder einer körperlichen oder psychischen Ausnahmesituation oder besonderen Versuchssituationen oder eine persönlichkeitsfremde Einzelverfehlung des Beamten wie auch „Entgleisungen“ während einer negativen, inzwischen überwundenen, durch Alkohol, Drogen oder Schicksalsschlägen bedingte Lebensphase. Der Milderungsgrund der Geringwertigkeit eines verursachten Schadens oder des geldlichen Vorteils der Handlung wird bei etwa 50,00 Euro gezogen. Auch besondere die Dienstpflichtverletzung begünstigende Handlungen und mangelnde Kontrollen des Dienstherrn können im Einzelfall wie ein besonderes Nachtatverhalten die Schwere der Verfehlung mildern. Zeitlich überlange Disziplinarverfahren können wegen des disziplinarrechtlichen Beschleunigungsgebotes und der mit dem Disziplinarverfahren verbundenen persönlichen Belastungen jedenfalls bei Maßnahmen der Pflichtenmahnung berücksichtigt werden. Entlastungsgründe können sich aber zum anderen auch aus allen Besonderheiten ergeben, die es im Einzelfall wegen der persönlichkeitsbedingten an § 13 DG LSA zu orientierenden Prognoseentscheidung gebieten, von der disziplinarrechtlichen Höchstmaßnahmen Abstand zu nehmen. Auch eine dienstliche Überlastung kann einen Milderungsgrund darstellen (VG Magdeburg, Urteil v. 29.01.2013, 8 A 5/11; juris).

55

Die entlastenden Gründe sind nicht (mehr) allein auf den in der Rechtsprechung entwickelten Kanon der anerkannten Milderungsgründe beschränkt (BVerwG, Urteil v. 29.03.2012, 2 A 11.10, m. w. Nachw.; juris; insoweit missverständlich: OVG LSA, Beschluss v. 17.09.2013, 10 M 9/13 [n. v..]). Diese müssen aber in ihrer Gesamtheit geeignet sein, die Schwere des Pflichtenverstoßes erheblich herabzusetzen. Generell gilt, dass das Gewicht der Entlastungsgründe umso größer sein muss, je schwerer das Delikt aufgrund der Schadenshöhe sowie der Tatumstände, wie Anzahl, Häufigkeit, Zeitraum, Verschiedenartigkeit und Tatausführung wiegt (im Ganzen ausführlich: VG Magdeburg, Urt. v. 29.11.2012, 8 A 12/11, v. 31.03.2011, 8 A 2/10 MD und v. 27.10.2011, 8 A 2/11, mit Verweis auf BVerwG, Urt. v. 24.05.2007, 2 C 28.06, Urt. v. 06.06.2007, 1 D 2.06, Urt. v. 29.05.2008, 2 C 59.07; Bayr. VGH, Urt. v. 27.10.2010, 16 aD 09.2470; OVG Lüneburg, Urt. v. 08.02.2011, 6 LD 4/08; alle juris).

56

In diesem Sinne durchgreifende besondere Umstände, die ein Absehen von der schwerwiegendsten und eine mildere Disziplinarmaßnahme rechtfertigen würden, vermag das Disziplinargericht vorliegend nicht zu erkennen und sind auch nicht vorgetragen. Aufgrund des langjährigen Zeitraums von 3 ½ Jahren in dem Energie entzogen wurde, kann nicht von einer einmaligen Gelegenheitstat oder einem persönlichkeitsfremden „Ausrutscher“ ausgegangen werden. Der Strafausspruch einer Geldstrafe von „nur“ 70 Tagessätzen vermag an der disziplinarrechtlichen Bewertung wegen der unterschiedlichen Zielsetzung des Straf- und Disziplinarrechts nichts zu ändern. Die Höhe einer Kriminalstrafe ist für die Gewichtung des Dienstvergehens grundsätzlich nicht von ausschlaggebender Bedeutung. Denn die Vertrauensbeeinträchtigung ist in erster Linie von der Straftat selbst, ihrem gesetzlichen Strafrahmen und den Begehungsumständen abhängig (BVerwG, Urt. v. 08.03.2005, 1 D 15.04; juris). Der Beamte handelte ebenso nicht in einer besonderen Versuchssituation. Auf intensive Nachfrage in der mündlichen Verhandlung vor dem Disziplinargericht offenbarte der Beklagte keine besonderen wirtschaftlichen oder persönlichen Notsituationen. Gesundheitliche oder alkoholbedingte Probleme lägen nicht vor, beteuerte er.

57

Demnach stößt das Disziplinargericht hier an die Grenzen seiner Aufklärungspflicht. Denn das Gericht ist auf die Mitarbeit des Beamten zur Aufklärung der in seiner Sphäre liegenden höchstpersönlichen Angelegenheiten angewiesen, um überhaupt die Möglichkeit einer disziplinarrechtlichen Milderung im Sinne der Disziplinarrechtsprechung prüfen zu können (VG Magdeburg, Urt. v. 28.02.2013, 8 A 13/12; juris).

58

Unter Abwägung aller Erkenntnisse fällt die vom Disziplinargericht anzustellende Persönlichkeits- und Prognosebewertung hinsichtlich der Vertrauensbeeinträchtigung für den Beklagten negativ aus. Auch in der mündlichen Verhandlung zeigte sich der Beamte nicht einsichtig und zeigte auch bislang kein besonders mildernd zu berücksichtigendes Nachtatverhalten. Dies gilt auch für die Geschehnisse um die Datenabfragen. Dort zeigte er - wie bei dem Entzug der elektrischen Energie - kein Unrechtsbewusstsein und ging quasi von einer Selbstverständlichkeit dieser als privat anzusehenden Abfragen aus. Auf die richterliche Nachfrage, ob er den langjährigen illegalen Zustand bezüglich der Entziehung der elektrischen Energie irgendwann habe beenden und legalisieren wollen, wusste er keine Antwort.

59

Hinsichtlich der - eingetretenen - Vertrauensbeeinträchtigung ist auch nicht entscheidend, dass der Beamte im Folgezeitraum nicht mehr auffällig wurde. Die prognostische Frage nach dem Umfang der Beeinträchtigung des Vertrauens des Dienstherrn oder der Allgemeinheit (§ 13 DG LSA) betrifft die Erwartung, dass sich der Beamte aus der Sicht des Dienstherrn und der Allgemeinheit so verhält, wie es von ihm im Hinblick auf seine Dienstpflichten als berufserforderlich erwartet wird. Das Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit in die Person des Beamten bezieht sich in erster Linie auf dessen allgemeinen Status als Beamter (vgl. BVerwG, Urt. v. 20.01.2004, 1 D 33.02; juris), daneben aber auch auf dessen konkreten Tätigkeitsbereich innerhalb der Verwaltung und auf dessen konkret ausgeübte Funktion, z. B. als Vorgesetzter. Ob und gegebenenfalls inwieweit eine Beeinträchtigung des Vertrauens des Dienstherrn vorliegt, ist nach objektiven Gesichtspunkten zu beurteilen. Entscheidend ist nicht die subjektive Einschätzung des jeweiligen Dienstvorgesetzten, sondern die Frage, inwieweit der Dienstherr bei objektiver Gewichtung des Dienstvergehens auf der Basis der festgestellten belastenden und entlastenden Umstände noch darauf vertrauen kann, dass der Beamte in Zukunft seinen Dienstpflichten ordnungsgemäß nachkommen wird.

60

Daher ist auch nicht bedeutsam, dass die Klägerin die vorläufige Dienstenthebung im Laufe des Verfahrens aufgehoben hat, zumal dies nur in Einschätzung der damaligen Erkenntnisse bezüglich der weiteren Verfahren der kinderpornografischen Schriften geschah. Dies ist kein Hinweis auf zurück gewonnenes Vertrauen des Dienstherrn; Die vorherige Suspendierung ist auch nicht Voraussetzung für die spätere Entfernung. Entscheidungsmaßstab ist insoweit, in welchem Umfang die Allgemeinheit dem Beamten noch Vertrauen in eine zukünftig pflichtgemäße Amtsausübung entgegenbringen würde. Dies unterliegt uneingeschränkter verwaltungsgerichtlicher Nachprüfung (vgl. zum Ganzen: BVerwG, Urt. v. 29.03.2012, 2 A 11.10 mit Verweis auf Urteile v. 20.10.2005, 2 C 12.04, v. 03.05.2007, 2 C 9.06 und v. 29.05.2008, 2 C 59.07; zuletzt: VG Magdeburg, Urt. v. 30.04.2013, 8 A 18/12; alle juris).

61

7.) Die nach alledem dienstrechtlich notwendige Entfernung aus dem Dienst verstößt auch nicht gegen das Verhältnismäßigkeitsgebot. Denn diese disziplinarrechtliche Höchstmaßnahme ist die einzige Möglichkeit, das durch den Dienstherrn sonst nicht lösbare Dienstverhältnis einseitig zu beenden. Die darin liegende Härte für den Betroffenen ist nicht unverhältnismäßig. Sie beruht vielmehr auf einem ihm zurechenbaren Verhalten (BVerwG, Urteil v. 21.06.2000, 1 D 49.99; juris).

62

8.) Die Kostenentscheidung folgt aus § 72 Abs. 1 Satz 1 DG LSA. Das Verfahren ist gem. § 73 Abs. 1 Satz 1 gebührenfrei.


Tatbestand

1

Die bei dem Beklagten beschäftigte Klägerin wendet sich gegen eine Disziplinarverfügung in Form eines Verweises. Zum Zeitpunkt der ihr vorgeworfenen dienstrechtlichen Verfehlung war sie im Rang einer Zollobersekretärin beschäftigt.

2

In der streitbefangenen Disziplinarverfügung des Beklagten vom 16.03.2011 wird ausgeführt, dass die Klägerin gegen ihre Pflicht gemäß § 99 Abs. 1 Bundesbeamtengesetz (BBG) verstoßen habe, wonach die von ihr ausgeübte Nebentätigkeit angezeigt bzw. genehmigt werden müsste. Weiter habe sie ihre gemäß § 62 Abs. 1 Satz 1 BBG obliegende Unterstützungs- und Informationspflicht und die aus § 62 Abs. 1 Satz 2 BBG resultierende Folgepflicht verletzt. Sie habe seit März 2010 ohne vorherige Genehmigung einer Nebentätigkeit als Mitglied des Zuchtvereins Deutscher Retriever Club mit ihrer Hündin die Zucht begonnen, erfolgreich durch die Geburt von sechs Welpen durchgeführt und durch deren Verkauf ein Einkommen von 6.300,00 Euro erzielt. Aufgrund des erzielten Gesamterlöses liege eine genehmigungspflichtige Nebentätigkeit im Sinne des § 99 BBG vor. Eine Ausnahme nach § 100 Abs. 1 BBG sei nicht gegeben. Bei einer wirtschaftlichen Betätigung mit Gewinnerzielungsabsicht sei es egal, ob auch tatsächlich nach Abzug aller Kosten ein Gewinn erzielt werde. Diese Nebentätigkeit habe sie fahrlässig nicht dem Dienstherrn angezeigt. Denn sie hätte erkennen können bzw. von ihr hätte erwartet werden müssen, dass die Hundezucht eine beamtenrechtliche Nebentätigkeit darstelle. Bei Unsicherheiten hinsichtlich der Rechtslage hätte sie vor Aufnahme der Zucht Erkundigungen bei der zuständigen Personalstelle einholen müssen. Damit habe sie die Sorgfalt außer Acht gelassen, zu der sie nach den Umständen des hier vorliegenden Falles und nach ihren persönlichen Kenntnissen und Fähigkeiten verpflichtet und imstande gewesen wäre. Dabei handele es sich um ein leichtes Dienstvergehen. Mildernd werde berücksichtigt, dass die Hundezucht in ihrem Arbeitsbereich Verbrauchssteuern bekannt gewesen sei, sodass sie diese nicht verschwiegen habe. Nach Abwägung der Gesamtumstände sei der Ausspruch einer Disziplinarmaßnahme in Form eines Verweises ausreichend und angemessen, um die Beamtin künftig zur Einhaltung ihrer Pflichten anzuhalten.

3

Den dagegen eingelegten Widerspruch, den die Beamtin maßgeblich damit begründete, dass die Hundezucht keine Nebentätigkeit darstelle, wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 30.09.2011 unter vertiefter Begründung des Ausgangsbescheides als begründet zurück.

4

Mit der dagegen fristgerecht erhobenen Klage begehrt die Klägerin weiter die Aufhebung der Disziplinarmaßnahme. Die Klägerin habe keine Pflichtverletzung und damit kein Dienstvergehen begangen. Mit Verweis auf Rechtsprechung und Literatur handele es sich bei der von der Klägerin vorgenommenen Hundezucht nicht um eine beamtenrechtliche Nebentätigkeit, sondern um eine Freizeitbeschäftigung. Die anzeige- und genehmigungsbedürftige beamtenrechtliche Nebentätigkeit müsse eine gewisse Parallelität zum Beamtendienst aufweisen. Dies sei etwa dann gegeben, wenn ein auf Dauer angelegtes Erwerbsstreben im gewerblichen Sinne mit Gewinnerzielungsabsicht vorliege, sodass allmählich ein Zweitberuf aufgebaut werde. Das Freizeitverhalten der Klägerin sei mit dem Sachverhalt, welcher der in der Disziplinarverfügung genannten Entscheidung des VG Trier vom 10.11.2009 zugrunde liege, nicht vergleichbar. Die Klägerin habe nur einen Hund gehalten und diesen zur einmaligen Zucht verwandt. Daran ändere auch ihre Mitgliedschaft in dem Verein DRC (Deutscher Retriever Club) nichts. Denn die Mitwirkung in Vereinen und Verbänden gehöre typischerweise zu den Freizeitaktivitäten. Aufgrund der im behördlichen Disziplinarverfahren durchgeführten Vernehmungen der Vorgesetzten der Beamtin sei ersichtlich, dass sich die Betreuung der Welpen nicht nachteilig auf die Diensttätigkeit der Klägerin ausgewirkt habe. Denn die Vorgesetzten bescheinigten der Klägerin eine sehr geigenständige, fleißige und engagierte Dienstleistung. Unabhängig von dem Nichtvorliegen einer anzeige- und genehmigungsbedürftigen Nebentätigkeit fehle es am subjektiven Tatbestand der Dienstpflichtverletzung. Der Beamtin könne gerade nicht vorgeworfen werden, dass sie „in Kenntnis der Vorschriften“ hätte erkennen können, dass die Hundezucht eine Nebentätigkeit darstelle. Denn auch die als Zeugen im behördlichen Disziplinarverfahren vernommenen unmittelbaren Vorgesetzten der Beamtin seien nicht von einer anzeige- und genehmigungsbedürftigen Nebentätigkeit ausgegangen. Auch der hohe Aufwand zur Begründung der Nebentätigkeit in der Disziplinarverfügung spreche gegen ein fahrlässiges Verhalten der Klägerin.

5

Die Klägerin beantragt,

6

die Disziplinarverfügung des Beklagten vom 16.03.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.09.2011 aufzuheben.

7

Der Beklagte beantragt,

8

die Klage abzuweisen

9

und verteidigt die Disziplinarverfügung mit der darin vorgenommenen Annahme und Bewertung des Pflichtenverstoßes.

10

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge verwiesen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidungsfindung.

Entscheidungsgründe

11

Die zulässige Klage ist begründet. Denn die angefochtene Disziplinarverfügung in Gestalt des Widerspruchsbescheides ist rechtswidrig (1.) und - jedenfalls - ebenso nicht zweckmäßig (2.) und verletzt die Klägerin dadurch in ihren Rechten (§§ 3, 60 Abs. 3 BDG; 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

12

Der Klägerin wird eine schuldhafte und fahrlässige Verletzung ihrer nach § 99 Abs. 1 (BBG) bestehenden Dienstpflicht „zur Anzeige beziehungsweise Genehmigung“ von Nebentätigkeiten vorgeworfen, wodurch sie gleichzeitig gegen ihre nach § 62 Abs. 1 Satz 1 BBG obliegende Unterstützung und Informationspflicht und die aus § 62 Abs. 1 Satz 2 BBG resultierende Folgepflicht verstoßen habe. Denn sie habe seit März 2010 ohne vorherige Genehmigung als Mitglied des Zuchtvereins Deutscher Retriever Club mit ihrer Hündin erfolgreich die Zucht begonnen.

13

1.) Nach § 99 Abs. 1 BBG bedürfen Beamten zur Ausübung jeder entgeltlichen Nebentätigkeit, mit Ausnahme der in § 100 Abs. 1 BBG abschließend aufgeführten, der vorherigen Genehmigung, soweit sie nicht nach § 98 BBG zu ihrer Ausübung verpflichtet sind. Nach § 99 Abs. 1 Satz 2 BBG gilt dies auch u. a. (Nr. 2) für gewerbliche oder freiberufliche Tätigkeiten oder die Mitarbeit in einer dieser Tätigkeiten. Nach Abs. 5 der Norm erteilt die oberste Dienstbehörde die Genehmigung. § 97 Abs. 1 BBG definiert die Nebentätigkeit als die Wahrnehmung eines Nebenamtes oder die Ausübung einer Nebenbeschäftigung. Nebenbeschäftigung ist jede sonstige, nicht zu einem Hauptamt gehörende Tätigkeit innerhalb oder außerhalb des öffentlichen Dienstes (§ 97 Abs. 3 BBG).

14

a.) Zur Überzeugung des Disziplinargerichts hat die Klägerin in dem in der Disziplinarverfügung zugrunde gelegten Zeitraum keine beamtenrechtlich relevante Nebentätigkeit ausgeübt, sodass sie diese Tätigkeit auch dem Dienstherrn nicht anzeigen oder genehmigen lassen musste. Eine Nebentätigkeit im Sinne der Vorschriften liegt vor bei einer auf Dauer angelegten Tätigkeit, die typischerweise auf die Erzielung von Gelderwerb ausgerichtet ist. In einer solchen zweitberuflichen Tätigkeit kann die Beeinträchtigung der grundsätzlich im Rahmen des Dienst- und Treueverhältnisses dem Dienstherrn zustehenden Arbeitskraft eines Beamten liegen, weshalb dem Dienstherrn die Prüfung vorbehalten bleibt, ob die konkrete Tätigkeit Auswirkungen auf die Dienstleistung haben kann sowie zudem, ob eine Ansehensschädigung des Beamtentums insgesamt zu befürchten ist (vgl. grundlegend: BDiG Frankfurt, GB v. 29.03.1999, XIV VL 1/99; VG Münster, Urteil v. 20.10.2011, 13 K 2137(09.O; juris). Der Sinn der Genehmigungspflicht der Nebentätigkeit liegt darin, dass außerdienstliche Aktivitäten immer geeignet sein können, die dienstliche Leistungsfähigkeit zu beeinflussen (vgl. zusammenfassend: Hummel/Köhler/Mayer, BDG, 4. Aufl. 2009, S. 218 Rz. 7; S. 243 Rz. 2). Auch wenn eine Nebentätigkeit nur für einen kurzen Zeitraum ausgeübt wird, entfällt der diesbezügliche Tatbestand nicht (BVerwG, Urt. v. 17.03.1998, 1 D 73.96; juris).

15

a. a.) Dabei ist die Abgrenzung zwischen einer dem Bereich des Freizeitverhaltens zuzuordnenden Hobbytätigkeit und einer beamtenrechtlichen Nebentätigkeit im Einzelfall schwierig. Denn diese bewegt sich im Spannungsfeld der von Art. 2 GG geschützten Freizeitgestaltung des Beamten und dem dienstlichen Interesse des Dienstherrn auf volle Dienstleistung seiner Beschäftigten nach Art. 33 Abs. 5 GG (VG Trier, Urt. v. 10.11.2009, 3 K 361/09.TR; juris). Dementsprechend ist zur Abgrenzung auf Sinn und Zweck der beamtenrechtlichen Vorschriften zur Nebentätigkeit abzustellen. Wegen des Regelungszusammenhangs muss eine Nebentätigkeit im beamtenrechtlichen Sinn eine gewisse Parallelität zum Beamtendienst aufweisen, die typischerweise in Erwerbsstreben zu sehen ist. Im Gegensatz dazu stellt die Freizeitgestaltung typischerweise das Gegenteil des Erwerbsstrebens dar. Eine Nebentätigkeit liegt demnach bei einer wirtschaftlichen Betätigung mit Gewinnerzielungsabsicht vor, wobei egal ist, ob auch tatsächlich nach Abzug der Kosten ein Gewinn erzielt wird (BVerwG, Urt. v. 01.01.2007, 1 D 16.05; OVG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 26.02.2002, 3 A 11578/01.OVG; beide juris). Anders gewendet, liegt eine Nebentätigkeit vor, wenn die (Neben-)Tätigkeit auf Erwerb gerichtet oder wirtschaftlich bedeutsam ist oder wenn sie den Beamten erheblich in Anspruch nimmt (Hess. VGH, Urt. v. 24.09.2003, 1 UE 783/02 m. w. N.; juris). Für eine Einordnung als – gewerbliche – Nebentätigkeit spricht insbesondere, wenn die Betätigung auf Dauer angelegt, mit einer gewissen auf Erwerb ausgerichteten Struktur erfolgt und wenn dies durch ein entsprechendes Auftreten nach außen dokumentiert wird. Es kommt auf Dauer, Häufigkeit und Umfang der Tätigkeit an, ob die Betätigung auch materiell rechtswidrig ist und ob sich das Verhalten des Beamten nachteilig auf die Erfüllung seiner dienstlichen Aufgaben ausgewirkt hat (Bayr. VGH, Urteil v. 23.03.2011, 16b D 09.2798; juris). Hiervon auszugehen ist stets dann, wenn erkennbar allmählich ein Zweitberuf aufgebaut werden soll (VG Koblenz, Urt. v. 20.11.2001, 6 K 1546/01.KO; OVG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 19.03.2002, 2 A 10067/02; OVG LSA, Urteil v. 05.06.2012, 10 L 2/12; zusammenfassend: VG Trier, Urt. v. 10.11.2009, 3 K 361/09.TR; VG Magdeburg, Urteil v. 01.12.2011, 8 A 19/10; alle juris).

16

b. b.) Unter Beachtung dieser in der Rechsprechung und Literatur zu findenden Definition der Abgrenzung zwischen Freizeitgestaltung und beamtenrechtlicher Nebentätigkeit und den zugrundeliegenden Sachverhalten hat die Klägerin keine Nebentätigkeit ausgeübt.

17

Dabei sieht das Gericht bereits erhebliche Unterschiede zu dem vom Beklagen herangezogenen Sachverhalt des Urteils des VG Trier vom 10.11.2009 (3 K 361-09.TR; juris). Wie die Klägerin zu Recht ausführt, ging es dort um eine Pferdezucht mit jeweils zehn bis sechzehn Zuchttieren gleichzeitig. Dort hatte der Beamte weitere mit der Zucht zusammenhängende Leistungen vorgenommen, wie etwa Vorhaltung größerer Futtermengen und Weideflächen und somit im weitesten Sinne eine landwirtschaftliche Betätigung ausgeübt. Schließlich war der Wille zum wirtschaftlichen Zweitberuf dadurch erkennbar, dass er umfangreiche bauliche Aktivitäten entfaltete und beispielsweise eine Reithalle baute und fremde Arbeitsleistungen in Anspruch nahm. Insgesamt gab der Beamte durch diese professionalisierten breiten Aktivitäten das Bild eines hauptberuflich tätigen Leiters eines Gestüts ab.

18

Der jüngsten zu findenden Entscheidung des VG Trier (Urteil v. 10.01.2012, 3 K 1337/11.TR; juris) lag der Sachverhalt zugrunde, dass der Beamte über eine Dauer von mehreren Jahren als gewerblicher Festveranstalter sowohl in formeller als auch materieller Hinsicht gegen das Nebentätigkeitsrecht verstoßen hat und dies auch noch nach Einleitung eines Disziplinarverfahrens und nach ausdrücklicher Warnung seines Dienstvorgesetzten.

19

Das VG Regensburg (Urteil v. 26.07.2010, RD 10B DK 10.230; juris) hat einen Beamten aus dem Dienst entfernt, weil er einen umfangreichen Internethandel mit unterschiedlichsten Produkten betrieb, wozu auch der Verkauf von Welpen gehörte.

20

Derartige Tätigkeiten sind bei der Klägerin nicht ansatzweise feststellbar. Die Klägerin hält eine Hündin, welche in einem Wurf sechs Welpen zur Welt brachte, woraus die Beamtin einen einmaligen Erlös von 6.300,- € erzielte. Eine derartige Tätigkeit stellt sich als Ausfluss einer moderaten persönlichen Freizeitgestaltung der Beamtin dar und ist dem Einflussbereich des Dienstherrn entzogen. Denn nach Art und Umfang der Zucht stellt sich diese - jedenfalls zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung - als eine aus der Tierliebe und damit dem Freizeitvergnügen der Beamtin resultierende Liebhaberei dar. Dass es sich dabei um Rassehunde handelt, macht keinen Unterschied. Denn dies ist notwendige Voraussetzung einer artgerechten Rassehundezucht und stellt sich nicht anders dar als etwa eine (Rasse-)Kaninchen- oder sonstige (Klein-)Tierzucht, wie sie oft im ländlichen Gebiet vorkommt. Diese Aktivitäten werden vom Menschen grundsätzlich aufgrund der Liebe zu den Tieren und der Freude an der Zucht, dem Aufwuchs, der Pflege der Tiere und dem Umgang mit ihnen sowie ihrer Beobachtung vorgenommen. Eine artgerechte, am Tierschutzgesetz orientierte und von der Verantwortung gegenüber den Tieren getragene Zucht, macht diese nicht zu einer beamtenrechtlich relevanten Nebentätigkeit. Eine außerhalb des Berufes liegende Freizeitgestaltung des Menschen zeichnet sich typischerweise dadurch aus, das eine an individueller und persönlicher Freude, Neigungen und Bedürfnissen orientierte Tätigkeit gesucht wird, die sich auch aufgrund des individuellen Lebensstils (Wohnumfeld, Garten; Kinder etc.) realisieren lässt.

21

Entgegen der Auffassung der Beklagten stellt auch die Mitgliedschaft der Klägerin im Verein … sowie die Nutzung des Vereins und der Homepage für den Verkauf der Welpen kein Indiz für die gewerbliche (Neben-)Tätigkeit dar. Dabei stellt eine bloße Vereinsmitgliedschaft bereits generell eine Freizeitgestaltung dar. Vielmehr kann dies als Beleg für das wahre Interesse der Klägerin an dem artgerechten Umgang mit den Hunden und der Abgabe in „gute Hände“ interpretiert werden. Insoweit bedingt bereits die am Tierschutz orientierte erfolgversprechende artgerechte Abgabe der Tiere eine entsprechende professionelle Vermarktung der Hunde. Dabei resultiert auch der durch den Verkauf der Hunde erzielte marktgerechte Erlös allein aus der Tatsache, dass es sich um Rassehunde handelt. Ein Indiz für die Gewinnerzielungsabsicht und Ausübung eines Zweitberufs stellt dies unter den genannten Umständen nicht dar.

22

Dazu kommt entscheidend, dass die Beamtin nicht widerlegt angegeben hat, dass ebenso ihr Ehemann und ihre Mutter für die Pflege und Aufzucht der Welpen zur Verfügung standen und die Geburt und damit der größte Aufwand während des Urlaubs der Klägerin geschah. Zudem ist sie – wohl teilweise – in Telearbeit beschäftigt. Schließlich hat auch der Beklagte festgestellt, dass die Dienstleistung der Beamtin nicht unter ihrem Freizeitverhalten leidet. Die im behördlichen Disziplinarverfahren als Zeugen vernommenen Dienstvorgesetzten bescheinigten der Klägerin eine eigenständige, fleißige und engagierte Dienstleistung. Weder ihre Telearbeit noch ihr Verweilen in der Dienststelle waren von Arbeitsmängeln oder auch nur Beanstandungen geprägt.

23

b.) Auch soweit der objektive Tatbestand einer beamtenrechtlich relevanten Nebentätigkeit durch die Hundezucht der Klägerin realisiert sein sollte, könnte ihr gleichwohl kein disziplinarrechtlich relevanter Plifichtenverstoß vorgehalten werden. Denn insoweit fehlt es am subjektiven Tatbestand, nämlich der vom Beklagten angenommenen Fahrlässigkeit ihres Handelns. Die Klägerin führt zu Recht aus, dass sie gerade nicht „in Kenntnis der Vorschriften“ hätte erkennen können, dass die Hundezucht eine Nebentätigkeit im Sinne des § 99 BBG darstelle. Vielmehr ist es so, dass sich die Beamtin sogar ausführlich mit dieser Problematik auseinandergesetzt hat und zu dem – zumindest – tragfähigen Ergebnis gelangte, dass sie keinen Zweitberuf ausübt. Dies ist ihr nicht vorzuwerfen. Je nach individueller Kenntnis und Beschäftigung mit dem Thema kamen im Übrigen auch ihre Dienstvorgesetzten zu dem gleichen Ergebnis. Erst im Zusammenhang mit der späteren Prüfung der Innenrevision sollte die Frage einer Klärung durch das Sachgebiet A zugeführt werden. Die Klägerin hatte daher gerade keine Veranlassung dazu bei der Personalstelle vorstellig zu werden und Auskünfte einzuholen.

24

c.) Schließlich spricht gegen die schuldhafte Verletzung der Dienstpflichten, dass auch der Beklagte erheblichen Begründungsaufwand für die Beurteilung der Hundezucht als Zweitberuf benötigt. Zudem beachten und unterscheiden die streitbefangene Disziplinarverfügung und der Widerspruchsbescheid nicht klar und eindeutig, ob der dienstrechtliche Pflichtenverstoß in der bloßen Nichtanzeige der Nebentätigkeit oder der fehlenden Genehmigung der Nebentätigkeit liegt. Die Disziplinarverfügung in Gestalt des Widerspruchsbescheides stellt beide Alternativen durch die Verwendung „beziehungsweise“ nebeneinander. Insoweit könnte man vermuten, dass der Beklagte von einer grundsätzlichen (bloßen) Anzeigepflicht jedweder (Neben-)Tätigkeit ausgeht. Die bloße Anzeigepflicht einer Nebentätigkeit ist im Bundesbeamtengesetz, entgegen dem Beamtenstatusgesetz (§ 40 Satz 1) und den Landesbeamtengesetzten (vgl. § 75 LBG LSA), aber nicht vorgesehen. Der in diesem Zusammenhang in der Disziplinarverfügung genannte § 99 BBG beschreibt nur die Genehmigungspflicht der Nebentätigkeit und § 100 BBG die Genehmigungsfreiheit, nicht hingegen die bloße Anzeigepflicht. Auf die Anzeige nach § 100 Abs. 2 BBG für die dort genannten Tätigkeiten stellt der Beklagte ersichtlich nicht ab. Die Begründung der Disziplinarverfügung in Gestalt des Widerspruchsbescheides lässt vermuten, dass der dienstrechtliche Pflichtenverstoß in der bloßen Nichtanzeige der Hundezucht als Nebentätigkeit gesehen und (sogar) von einer (offensichtlichen) Genehmigungsfähigkeit ausgegangen wurde. Dafür spricht auch – wie das Disziplinargericht in der mündlichen Verhandlung erfuhr – die zwischenzeitliche Erteilung der Nebentätigkeitsgenehmigung für die Hundezucht. Unter Berücksichtigung dessen steht allein die disziplinarrechtliche Bewertung der Nichtanzeige der von ihr vorgenommenen Hundezucht im Sinne des beamtenrechtlichen Nebentätigkeitsrechts, als Folge einer formellen Illegalität zur Bewertung. Aufgrund der (späteren) Genehmigung und damit der materiellen Genehmigungsfähigkeit ihrer Tätigkeit minimiert sich der daraus resultierende vorzuwerfende Pflichtenverstoß erneut.

25

2.) Das Disziplinargericht kommt zu dem Ergebnis, dass auch und sogar bei Unterstellung einer beamtenrechtlich relevanten Nebentätigkeit, die Disziplinarverfügung aus Gründen der Zweckmäßigkeit aufzuheben ist.

26

Nach § 60 Abs. 3 BDG prüft das Gericht bei der Klage des Beamten gegen eine Disziplinarverfügung neben der Rechtmäßigkeit auch die Zweckmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung. Diese zusätzliche in Abweichung von § 114 VwGO dem Gericht zustehende eigene Prüfungskompetenz und Ermessensentscheidung (Gesetzesbegründung zu § 60 Abs. 3 BDG, BT-Drs. 14/4659, S. 48; BVerwG, Urt. v. 15.12.2005, 2 A 4.04; OVG NRW, Beschl. v. 19.09.2007, 21d A 3600/06.O; Bayr. VGH, Beschl. v. 27.01.2010, 16a DZ 07.3110, Bayr. VGH, Beschl. v. 02.07.2012, 16a DZ 10.1644; alle juris) führt bereits zur Aufhebung der Disziplinarmaßnahme. Dabei geht das Disziplinargericht aufgrund der obigen Ausführungen zu dem Besonderheiten des Falls davon aus, dass der Klägerin kein – jedenfalls gravierender – Pflichtenverstoß vorzuwerfen ist, sodass eine Disziplinarmaßnahme zur Pflichtenermahnung nicht angezeigt erscheint (vgl. zur Zweckmäßigkeit auch; VG Magdeburg, Urt. v. 06.11.2007, 8 A 10/07 MD; VG Magdeburg, Urteil v. 18.07.2012, 8 A 1/12; juris). Das Disziplinarrecht dient vordringlich der Pflichtenmahnung des Beamten für die Zukunft. Insoweit wäre hier die so genannte missbilligende Äußerung des Dienstherrn als bloßer Hinweis auf den Pflichtenverstoß ausreichend gewesen (§ 6 Satz 2 BDG). Das Disziplinargericht muss in seinen Entscheidungen stets darauf hinweisen, dass das Disziplinarrecht kein Strafrecht darstellt und die Disziplinarmaßnahmen in einem Stufenverhältnis (vgl. §§ 5, 13 BDG) stehen und je nach Schwere und Eigenart des Dienstvergehens sorgfältig und ausgewogen geprüft werden müssen (vgl. nur: VG Magdeburg, Urteil v. 29.03.2012, 8 A 9/09; m. w. Nachw.; VG Magdeburg, Urteil v. 14.02.2012, 8 A 6/11; VG Magdeburg, Urteil v. 01.12.2011, 8 A 18/10; zur Zweckmäßigkeit weiter: VG Magdeburg, Urteil v. 06.11.2007, 8 A 10/07; alle juris). Nicht jeder Verstoß gegen Dienstpflichten stellt zugleich auch ein Dienstvergehen im Sinne des Disziplinarrechts dar (VG Münster, Urt. v. 23.02.2007, 20 K 1538/06.O; juris). Denn dem menschlichen Verhalten sind Fehler und Schwächen immanent. Disziplinarrechtliche Relevanz erhält ein Fehlverhalten eines Beamten erst dann, wenn eine gewisse Schwelle überschritten ist. Diese Schwelle wäre hier – auch bei Zugrundelegung eines Pflichtenverstoßes – durch das Verhalten der Klägerin (noch) nicht überschritten.

27

3.) Die Kostenentscheidung folgt aus § 77 Abs. 4 BDG i. V. m. § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 3 BDG, § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

(1) Jeder Deutsche hat in jedem Lande die gleichen staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten.

(2) Jeder Deutsche hat nach seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amte.

(3) Der Genuß bürgerlicher und staatsbürgerlicher Rechte, die Zulassung zu öffentlichen Ämtern sowie die im öffentlichen Dienste erworbenen Rechte sind unabhängig von dem religiösen Bekenntnis. Niemandem darf aus seiner Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit zu einem Bekenntnisse oder einer Weltanschauung ein Nachteil erwachsen.

(4) Die Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse ist als ständige Aufgabe in der Regel Angehörigen des öffentlichen Dienstes zu übertragen, die in einem öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis stehen.

(5) Das Recht des öffentlichen Dienstes ist unter Berücksichtigung der hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums zu regeln und fortzuentwickeln.

Tatbestand

1

Die bei dem Beklagten beschäftigte Klägerin wendet sich gegen eine Disziplinarverfügung in Form eines Verweises. Zum Zeitpunkt der ihr vorgeworfenen dienstrechtlichen Verfehlung war sie im Rang einer Zollobersekretärin beschäftigt.

2

In der streitbefangenen Disziplinarverfügung des Beklagten vom 16.03.2011 wird ausgeführt, dass die Klägerin gegen ihre Pflicht gemäß § 99 Abs. 1 Bundesbeamtengesetz (BBG) verstoßen habe, wonach die von ihr ausgeübte Nebentätigkeit angezeigt bzw. genehmigt werden müsste. Weiter habe sie ihre gemäß § 62 Abs. 1 Satz 1 BBG obliegende Unterstützungs- und Informationspflicht und die aus § 62 Abs. 1 Satz 2 BBG resultierende Folgepflicht verletzt. Sie habe seit März 2010 ohne vorherige Genehmigung einer Nebentätigkeit als Mitglied des Zuchtvereins Deutscher Retriever Club mit ihrer Hündin die Zucht begonnen, erfolgreich durch die Geburt von sechs Welpen durchgeführt und durch deren Verkauf ein Einkommen von 6.300,00 Euro erzielt. Aufgrund des erzielten Gesamterlöses liege eine genehmigungspflichtige Nebentätigkeit im Sinne des § 99 BBG vor. Eine Ausnahme nach § 100 Abs. 1 BBG sei nicht gegeben. Bei einer wirtschaftlichen Betätigung mit Gewinnerzielungsabsicht sei es egal, ob auch tatsächlich nach Abzug aller Kosten ein Gewinn erzielt werde. Diese Nebentätigkeit habe sie fahrlässig nicht dem Dienstherrn angezeigt. Denn sie hätte erkennen können bzw. von ihr hätte erwartet werden müssen, dass die Hundezucht eine beamtenrechtliche Nebentätigkeit darstelle. Bei Unsicherheiten hinsichtlich der Rechtslage hätte sie vor Aufnahme der Zucht Erkundigungen bei der zuständigen Personalstelle einholen müssen. Damit habe sie die Sorgfalt außer Acht gelassen, zu der sie nach den Umständen des hier vorliegenden Falles und nach ihren persönlichen Kenntnissen und Fähigkeiten verpflichtet und imstande gewesen wäre. Dabei handele es sich um ein leichtes Dienstvergehen. Mildernd werde berücksichtigt, dass die Hundezucht in ihrem Arbeitsbereich Verbrauchssteuern bekannt gewesen sei, sodass sie diese nicht verschwiegen habe. Nach Abwägung der Gesamtumstände sei der Ausspruch einer Disziplinarmaßnahme in Form eines Verweises ausreichend und angemessen, um die Beamtin künftig zur Einhaltung ihrer Pflichten anzuhalten.

3

Den dagegen eingelegten Widerspruch, den die Beamtin maßgeblich damit begründete, dass die Hundezucht keine Nebentätigkeit darstelle, wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 30.09.2011 unter vertiefter Begründung des Ausgangsbescheides als begründet zurück.

4

Mit der dagegen fristgerecht erhobenen Klage begehrt die Klägerin weiter die Aufhebung der Disziplinarmaßnahme. Die Klägerin habe keine Pflichtverletzung und damit kein Dienstvergehen begangen. Mit Verweis auf Rechtsprechung und Literatur handele es sich bei der von der Klägerin vorgenommenen Hundezucht nicht um eine beamtenrechtliche Nebentätigkeit, sondern um eine Freizeitbeschäftigung. Die anzeige- und genehmigungsbedürftige beamtenrechtliche Nebentätigkeit müsse eine gewisse Parallelität zum Beamtendienst aufweisen. Dies sei etwa dann gegeben, wenn ein auf Dauer angelegtes Erwerbsstreben im gewerblichen Sinne mit Gewinnerzielungsabsicht vorliege, sodass allmählich ein Zweitberuf aufgebaut werde. Das Freizeitverhalten der Klägerin sei mit dem Sachverhalt, welcher der in der Disziplinarverfügung genannten Entscheidung des VG Trier vom 10.11.2009 zugrunde liege, nicht vergleichbar. Die Klägerin habe nur einen Hund gehalten und diesen zur einmaligen Zucht verwandt. Daran ändere auch ihre Mitgliedschaft in dem Verein DRC (Deutscher Retriever Club) nichts. Denn die Mitwirkung in Vereinen und Verbänden gehöre typischerweise zu den Freizeitaktivitäten. Aufgrund der im behördlichen Disziplinarverfahren durchgeführten Vernehmungen der Vorgesetzten der Beamtin sei ersichtlich, dass sich die Betreuung der Welpen nicht nachteilig auf die Diensttätigkeit der Klägerin ausgewirkt habe. Denn die Vorgesetzten bescheinigten der Klägerin eine sehr geigenständige, fleißige und engagierte Dienstleistung. Unabhängig von dem Nichtvorliegen einer anzeige- und genehmigungsbedürftigen Nebentätigkeit fehle es am subjektiven Tatbestand der Dienstpflichtverletzung. Der Beamtin könne gerade nicht vorgeworfen werden, dass sie „in Kenntnis der Vorschriften“ hätte erkennen können, dass die Hundezucht eine Nebentätigkeit darstelle. Denn auch die als Zeugen im behördlichen Disziplinarverfahren vernommenen unmittelbaren Vorgesetzten der Beamtin seien nicht von einer anzeige- und genehmigungsbedürftigen Nebentätigkeit ausgegangen. Auch der hohe Aufwand zur Begründung der Nebentätigkeit in der Disziplinarverfügung spreche gegen ein fahrlässiges Verhalten der Klägerin.

5

Die Klägerin beantragt,

6

die Disziplinarverfügung des Beklagten vom 16.03.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.09.2011 aufzuheben.

7

Der Beklagte beantragt,

8

die Klage abzuweisen

9

und verteidigt die Disziplinarverfügung mit der darin vorgenommenen Annahme und Bewertung des Pflichtenverstoßes.

10

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge verwiesen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidungsfindung.

Entscheidungsgründe

11

Die zulässige Klage ist begründet. Denn die angefochtene Disziplinarverfügung in Gestalt des Widerspruchsbescheides ist rechtswidrig (1.) und - jedenfalls - ebenso nicht zweckmäßig (2.) und verletzt die Klägerin dadurch in ihren Rechten (§§ 3, 60 Abs. 3 BDG; 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

12

Der Klägerin wird eine schuldhafte und fahrlässige Verletzung ihrer nach § 99 Abs. 1 (BBG) bestehenden Dienstpflicht „zur Anzeige beziehungsweise Genehmigung“ von Nebentätigkeiten vorgeworfen, wodurch sie gleichzeitig gegen ihre nach § 62 Abs. 1 Satz 1 BBG obliegende Unterstützung und Informationspflicht und die aus § 62 Abs. 1 Satz 2 BBG resultierende Folgepflicht verstoßen habe. Denn sie habe seit März 2010 ohne vorherige Genehmigung als Mitglied des Zuchtvereins Deutscher Retriever Club mit ihrer Hündin erfolgreich die Zucht begonnen.

13

1.) Nach § 99 Abs. 1 BBG bedürfen Beamten zur Ausübung jeder entgeltlichen Nebentätigkeit, mit Ausnahme der in § 100 Abs. 1 BBG abschließend aufgeführten, der vorherigen Genehmigung, soweit sie nicht nach § 98 BBG zu ihrer Ausübung verpflichtet sind. Nach § 99 Abs. 1 Satz 2 BBG gilt dies auch u. a. (Nr. 2) für gewerbliche oder freiberufliche Tätigkeiten oder die Mitarbeit in einer dieser Tätigkeiten. Nach Abs. 5 der Norm erteilt die oberste Dienstbehörde die Genehmigung. § 97 Abs. 1 BBG definiert die Nebentätigkeit als die Wahrnehmung eines Nebenamtes oder die Ausübung einer Nebenbeschäftigung. Nebenbeschäftigung ist jede sonstige, nicht zu einem Hauptamt gehörende Tätigkeit innerhalb oder außerhalb des öffentlichen Dienstes (§ 97 Abs. 3 BBG).

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a.) Zur Überzeugung des Disziplinargerichts hat die Klägerin in dem in der Disziplinarverfügung zugrunde gelegten Zeitraum keine beamtenrechtlich relevante Nebentätigkeit ausgeübt, sodass sie diese Tätigkeit auch dem Dienstherrn nicht anzeigen oder genehmigen lassen musste. Eine Nebentätigkeit im Sinne der Vorschriften liegt vor bei einer auf Dauer angelegten Tätigkeit, die typischerweise auf die Erzielung von Gelderwerb ausgerichtet ist. In einer solchen zweitberuflichen Tätigkeit kann die Beeinträchtigung der grundsätzlich im Rahmen des Dienst- und Treueverhältnisses dem Dienstherrn zustehenden Arbeitskraft eines Beamten liegen, weshalb dem Dienstherrn die Prüfung vorbehalten bleibt, ob die konkrete Tätigkeit Auswirkungen auf die Dienstleistung haben kann sowie zudem, ob eine Ansehensschädigung des Beamtentums insgesamt zu befürchten ist (vgl. grundlegend: BDiG Frankfurt, GB v. 29.03.1999, XIV VL 1/99; VG Münster, Urteil v. 20.10.2011, 13 K 2137(09.O; juris). Der Sinn der Genehmigungspflicht der Nebentätigkeit liegt darin, dass außerdienstliche Aktivitäten immer geeignet sein können, die dienstliche Leistungsfähigkeit zu beeinflussen (vgl. zusammenfassend: Hummel/Köhler/Mayer, BDG, 4. Aufl. 2009, S. 218 Rz. 7; S. 243 Rz. 2). Auch wenn eine Nebentätigkeit nur für einen kurzen Zeitraum ausgeübt wird, entfällt der diesbezügliche Tatbestand nicht (BVerwG, Urt. v. 17.03.1998, 1 D 73.96; juris).

15

a. a.) Dabei ist die Abgrenzung zwischen einer dem Bereich des Freizeitverhaltens zuzuordnenden Hobbytätigkeit und einer beamtenrechtlichen Nebentätigkeit im Einzelfall schwierig. Denn diese bewegt sich im Spannungsfeld der von Art. 2 GG geschützten Freizeitgestaltung des Beamten und dem dienstlichen Interesse des Dienstherrn auf volle Dienstleistung seiner Beschäftigten nach Art. 33 Abs. 5 GG (VG Trier, Urt. v. 10.11.2009, 3 K 361/09.TR; juris). Dementsprechend ist zur Abgrenzung auf Sinn und Zweck der beamtenrechtlichen Vorschriften zur Nebentätigkeit abzustellen. Wegen des Regelungszusammenhangs muss eine Nebentätigkeit im beamtenrechtlichen Sinn eine gewisse Parallelität zum Beamtendienst aufweisen, die typischerweise in Erwerbsstreben zu sehen ist. Im Gegensatz dazu stellt die Freizeitgestaltung typischerweise das Gegenteil des Erwerbsstrebens dar. Eine Nebentätigkeit liegt demnach bei einer wirtschaftlichen Betätigung mit Gewinnerzielungsabsicht vor, wobei egal ist, ob auch tatsächlich nach Abzug der Kosten ein Gewinn erzielt wird (BVerwG, Urt. v. 01.01.2007, 1 D 16.05; OVG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 26.02.2002, 3 A 11578/01.OVG; beide juris). Anders gewendet, liegt eine Nebentätigkeit vor, wenn die (Neben-)Tätigkeit auf Erwerb gerichtet oder wirtschaftlich bedeutsam ist oder wenn sie den Beamten erheblich in Anspruch nimmt (Hess. VGH, Urt. v. 24.09.2003, 1 UE 783/02 m. w. N.; juris). Für eine Einordnung als – gewerbliche – Nebentätigkeit spricht insbesondere, wenn die Betätigung auf Dauer angelegt, mit einer gewissen auf Erwerb ausgerichteten Struktur erfolgt und wenn dies durch ein entsprechendes Auftreten nach außen dokumentiert wird. Es kommt auf Dauer, Häufigkeit und Umfang der Tätigkeit an, ob die Betätigung auch materiell rechtswidrig ist und ob sich das Verhalten des Beamten nachteilig auf die Erfüllung seiner dienstlichen Aufgaben ausgewirkt hat (Bayr. VGH, Urteil v. 23.03.2011, 16b D 09.2798; juris). Hiervon auszugehen ist stets dann, wenn erkennbar allmählich ein Zweitberuf aufgebaut werden soll (VG Koblenz, Urt. v. 20.11.2001, 6 K 1546/01.KO; OVG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 19.03.2002, 2 A 10067/02; OVG LSA, Urteil v. 05.06.2012, 10 L 2/12; zusammenfassend: VG Trier, Urt. v. 10.11.2009, 3 K 361/09.TR; VG Magdeburg, Urteil v. 01.12.2011, 8 A 19/10; alle juris).

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b. b.) Unter Beachtung dieser in der Rechsprechung und Literatur zu findenden Definition der Abgrenzung zwischen Freizeitgestaltung und beamtenrechtlicher Nebentätigkeit und den zugrundeliegenden Sachverhalten hat die Klägerin keine Nebentätigkeit ausgeübt.

17

Dabei sieht das Gericht bereits erhebliche Unterschiede zu dem vom Beklagen herangezogenen Sachverhalt des Urteils des VG Trier vom 10.11.2009 (3 K 361-09.TR; juris). Wie die Klägerin zu Recht ausführt, ging es dort um eine Pferdezucht mit jeweils zehn bis sechzehn Zuchttieren gleichzeitig. Dort hatte der Beamte weitere mit der Zucht zusammenhängende Leistungen vorgenommen, wie etwa Vorhaltung größerer Futtermengen und Weideflächen und somit im weitesten Sinne eine landwirtschaftliche Betätigung ausgeübt. Schließlich war der Wille zum wirtschaftlichen Zweitberuf dadurch erkennbar, dass er umfangreiche bauliche Aktivitäten entfaltete und beispielsweise eine Reithalle baute und fremde Arbeitsleistungen in Anspruch nahm. Insgesamt gab der Beamte durch diese professionalisierten breiten Aktivitäten das Bild eines hauptberuflich tätigen Leiters eines Gestüts ab.

18

Der jüngsten zu findenden Entscheidung des VG Trier (Urteil v. 10.01.2012, 3 K 1337/11.TR; juris) lag der Sachverhalt zugrunde, dass der Beamte über eine Dauer von mehreren Jahren als gewerblicher Festveranstalter sowohl in formeller als auch materieller Hinsicht gegen das Nebentätigkeitsrecht verstoßen hat und dies auch noch nach Einleitung eines Disziplinarverfahrens und nach ausdrücklicher Warnung seines Dienstvorgesetzten.

19

Das VG Regensburg (Urteil v. 26.07.2010, RD 10B DK 10.230; juris) hat einen Beamten aus dem Dienst entfernt, weil er einen umfangreichen Internethandel mit unterschiedlichsten Produkten betrieb, wozu auch der Verkauf von Welpen gehörte.

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Derartige Tätigkeiten sind bei der Klägerin nicht ansatzweise feststellbar. Die Klägerin hält eine Hündin, welche in einem Wurf sechs Welpen zur Welt brachte, woraus die Beamtin einen einmaligen Erlös von 6.300,- € erzielte. Eine derartige Tätigkeit stellt sich als Ausfluss einer moderaten persönlichen Freizeitgestaltung der Beamtin dar und ist dem Einflussbereich des Dienstherrn entzogen. Denn nach Art und Umfang der Zucht stellt sich diese - jedenfalls zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung - als eine aus der Tierliebe und damit dem Freizeitvergnügen der Beamtin resultierende Liebhaberei dar. Dass es sich dabei um Rassehunde handelt, macht keinen Unterschied. Denn dies ist notwendige Voraussetzung einer artgerechten Rassehundezucht und stellt sich nicht anders dar als etwa eine (Rasse-)Kaninchen- oder sonstige (Klein-)Tierzucht, wie sie oft im ländlichen Gebiet vorkommt. Diese Aktivitäten werden vom Menschen grundsätzlich aufgrund der Liebe zu den Tieren und der Freude an der Zucht, dem Aufwuchs, der Pflege der Tiere und dem Umgang mit ihnen sowie ihrer Beobachtung vorgenommen. Eine artgerechte, am Tierschutzgesetz orientierte und von der Verantwortung gegenüber den Tieren getragene Zucht, macht diese nicht zu einer beamtenrechtlich relevanten Nebentätigkeit. Eine außerhalb des Berufes liegende Freizeitgestaltung des Menschen zeichnet sich typischerweise dadurch aus, das eine an individueller und persönlicher Freude, Neigungen und Bedürfnissen orientierte Tätigkeit gesucht wird, die sich auch aufgrund des individuellen Lebensstils (Wohnumfeld, Garten; Kinder etc.) realisieren lässt.

21

Entgegen der Auffassung der Beklagten stellt auch die Mitgliedschaft der Klägerin im Verein … sowie die Nutzung des Vereins und der Homepage für den Verkauf der Welpen kein Indiz für die gewerbliche (Neben-)Tätigkeit dar. Dabei stellt eine bloße Vereinsmitgliedschaft bereits generell eine Freizeitgestaltung dar. Vielmehr kann dies als Beleg für das wahre Interesse der Klägerin an dem artgerechten Umgang mit den Hunden und der Abgabe in „gute Hände“ interpretiert werden. Insoweit bedingt bereits die am Tierschutz orientierte erfolgversprechende artgerechte Abgabe der Tiere eine entsprechende professionelle Vermarktung der Hunde. Dabei resultiert auch der durch den Verkauf der Hunde erzielte marktgerechte Erlös allein aus der Tatsache, dass es sich um Rassehunde handelt. Ein Indiz für die Gewinnerzielungsabsicht und Ausübung eines Zweitberufs stellt dies unter den genannten Umständen nicht dar.

22

Dazu kommt entscheidend, dass die Beamtin nicht widerlegt angegeben hat, dass ebenso ihr Ehemann und ihre Mutter für die Pflege und Aufzucht der Welpen zur Verfügung standen und die Geburt und damit der größte Aufwand während des Urlaubs der Klägerin geschah. Zudem ist sie – wohl teilweise – in Telearbeit beschäftigt. Schließlich hat auch der Beklagte festgestellt, dass die Dienstleistung der Beamtin nicht unter ihrem Freizeitverhalten leidet. Die im behördlichen Disziplinarverfahren als Zeugen vernommenen Dienstvorgesetzten bescheinigten der Klägerin eine eigenständige, fleißige und engagierte Dienstleistung. Weder ihre Telearbeit noch ihr Verweilen in der Dienststelle waren von Arbeitsmängeln oder auch nur Beanstandungen geprägt.

23

b.) Auch soweit der objektive Tatbestand einer beamtenrechtlich relevanten Nebentätigkeit durch die Hundezucht der Klägerin realisiert sein sollte, könnte ihr gleichwohl kein disziplinarrechtlich relevanter Plifichtenverstoß vorgehalten werden. Denn insoweit fehlt es am subjektiven Tatbestand, nämlich der vom Beklagten angenommenen Fahrlässigkeit ihres Handelns. Die Klägerin führt zu Recht aus, dass sie gerade nicht „in Kenntnis der Vorschriften“ hätte erkennen können, dass die Hundezucht eine Nebentätigkeit im Sinne des § 99 BBG darstelle. Vielmehr ist es so, dass sich die Beamtin sogar ausführlich mit dieser Problematik auseinandergesetzt hat und zu dem – zumindest – tragfähigen Ergebnis gelangte, dass sie keinen Zweitberuf ausübt. Dies ist ihr nicht vorzuwerfen. Je nach individueller Kenntnis und Beschäftigung mit dem Thema kamen im Übrigen auch ihre Dienstvorgesetzten zu dem gleichen Ergebnis. Erst im Zusammenhang mit der späteren Prüfung der Innenrevision sollte die Frage einer Klärung durch das Sachgebiet A zugeführt werden. Die Klägerin hatte daher gerade keine Veranlassung dazu bei der Personalstelle vorstellig zu werden und Auskünfte einzuholen.

24

c.) Schließlich spricht gegen die schuldhafte Verletzung der Dienstpflichten, dass auch der Beklagte erheblichen Begründungsaufwand für die Beurteilung der Hundezucht als Zweitberuf benötigt. Zudem beachten und unterscheiden die streitbefangene Disziplinarverfügung und der Widerspruchsbescheid nicht klar und eindeutig, ob der dienstrechtliche Pflichtenverstoß in der bloßen Nichtanzeige der Nebentätigkeit oder der fehlenden Genehmigung der Nebentätigkeit liegt. Die Disziplinarverfügung in Gestalt des Widerspruchsbescheides stellt beide Alternativen durch die Verwendung „beziehungsweise“ nebeneinander. Insoweit könnte man vermuten, dass der Beklagte von einer grundsätzlichen (bloßen) Anzeigepflicht jedweder (Neben-)Tätigkeit ausgeht. Die bloße Anzeigepflicht einer Nebentätigkeit ist im Bundesbeamtengesetz, entgegen dem Beamtenstatusgesetz (§ 40 Satz 1) und den Landesbeamtengesetzten (vgl. § 75 LBG LSA), aber nicht vorgesehen. Der in diesem Zusammenhang in der Disziplinarverfügung genannte § 99 BBG beschreibt nur die Genehmigungspflicht der Nebentätigkeit und § 100 BBG die Genehmigungsfreiheit, nicht hingegen die bloße Anzeigepflicht. Auf die Anzeige nach § 100 Abs. 2 BBG für die dort genannten Tätigkeiten stellt der Beklagte ersichtlich nicht ab. Die Begründung der Disziplinarverfügung in Gestalt des Widerspruchsbescheides lässt vermuten, dass der dienstrechtliche Pflichtenverstoß in der bloßen Nichtanzeige der Hundezucht als Nebentätigkeit gesehen und (sogar) von einer (offensichtlichen) Genehmigungsfähigkeit ausgegangen wurde. Dafür spricht auch – wie das Disziplinargericht in der mündlichen Verhandlung erfuhr – die zwischenzeitliche Erteilung der Nebentätigkeitsgenehmigung für die Hundezucht. Unter Berücksichtigung dessen steht allein die disziplinarrechtliche Bewertung der Nichtanzeige der von ihr vorgenommenen Hundezucht im Sinne des beamtenrechtlichen Nebentätigkeitsrechts, als Folge einer formellen Illegalität zur Bewertung. Aufgrund der (späteren) Genehmigung und damit der materiellen Genehmigungsfähigkeit ihrer Tätigkeit minimiert sich der daraus resultierende vorzuwerfende Pflichtenverstoß erneut.

25

2.) Das Disziplinargericht kommt zu dem Ergebnis, dass auch und sogar bei Unterstellung einer beamtenrechtlich relevanten Nebentätigkeit, die Disziplinarverfügung aus Gründen der Zweckmäßigkeit aufzuheben ist.

26

Nach § 60 Abs. 3 BDG prüft das Gericht bei der Klage des Beamten gegen eine Disziplinarverfügung neben der Rechtmäßigkeit auch die Zweckmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung. Diese zusätzliche in Abweichung von § 114 VwGO dem Gericht zustehende eigene Prüfungskompetenz und Ermessensentscheidung (Gesetzesbegründung zu § 60 Abs. 3 BDG, BT-Drs. 14/4659, S. 48; BVerwG, Urt. v. 15.12.2005, 2 A 4.04; OVG NRW, Beschl. v. 19.09.2007, 21d A 3600/06.O; Bayr. VGH, Beschl. v. 27.01.2010, 16a DZ 07.3110, Bayr. VGH, Beschl. v. 02.07.2012, 16a DZ 10.1644; alle juris) führt bereits zur Aufhebung der Disziplinarmaßnahme. Dabei geht das Disziplinargericht aufgrund der obigen Ausführungen zu dem Besonderheiten des Falls davon aus, dass der Klägerin kein – jedenfalls gravierender – Pflichtenverstoß vorzuwerfen ist, sodass eine Disziplinarmaßnahme zur Pflichtenermahnung nicht angezeigt erscheint (vgl. zur Zweckmäßigkeit auch; VG Magdeburg, Urt. v. 06.11.2007, 8 A 10/07 MD; VG Magdeburg, Urteil v. 18.07.2012, 8 A 1/12; juris). Das Disziplinarrecht dient vordringlich der Pflichtenmahnung des Beamten für die Zukunft. Insoweit wäre hier die so genannte missbilligende Äußerung des Dienstherrn als bloßer Hinweis auf den Pflichtenverstoß ausreichend gewesen (§ 6 Satz 2 BDG). Das Disziplinargericht muss in seinen Entscheidungen stets darauf hinweisen, dass das Disziplinarrecht kein Strafrecht darstellt und die Disziplinarmaßnahmen in einem Stufenverhältnis (vgl. §§ 5, 13 BDG) stehen und je nach Schwere und Eigenart des Dienstvergehens sorgfältig und ausgewogen geprüft werden müssen (vgl. nur: VG Magdeburg, Urteil v. 29.03.2012, 8 A 9/09; m. w. Nachw.; VG Magdeburg, Urteil v. 14.02.2012, 8 A 6/11; VG Magdeburg, Urteil v. 01.12.2011, 8 A 18/10; zur Zweckmäßigkeit weiter: VG Magdeburg, Urteil v. 06.11.2007, 8 A 10/07; alle juris). Nicht jeder Verstoß gegen Dienstpflichten stellt zugleich auch ein Dienstvergehen im Sinne des Disziplinarrechts dar (VG Münster, Urt. v. 23.02.2007, 20 K 1538/06.O; juris). Denn dem menschlichen Verhalten sind Fehler und Schwächen immanent. Disziplinarrechtliche Relevanz erhält ein Fehlverhalten eines Beamten erst dann, wenn eine gewisse Schwelle überschritten ist. Diese Schwelle wäre hier – auch bei Zugrundelegung eines Pflichtenverstoßes – durch das Verhalten der Klägerin (noch) nicht überschritten.

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3.) Die Kostenentscheidung folgt aus § 77 Abs. 4 BDG i. V. m. § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 3 BDG, § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


Tatbestand

1

Der Kläger ist Polizeivollzugsbeamter im Rang eines Polizeihauptmeisters (BesGr. A 9 BBesO) im Land Sachsen-Anhalt, bei der Beklagten beschäftigt und wendet sich gegen eine Disziplinarmaßnahme in Form der Geldbuße in Höhe von 200,00 Euro.

2

Mit der Disziplinarverfügung vom 13.08.2013 wird dem Kläger vorgehalten, dass er gegen die ihm obliegenden beamtenrechtlichen Pflichten nach §§ 34 Satz 1, 35 Satz 1 Beamtenstatusgesetz (BeamtStG) verstoßen und damit ein Dienstvergehen nach § 47 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG begangen habe. Er habe gegen seine Gesunderhaltungs- bzw. Genesungspflicht im Zeitraum der krankheitsbedingten Dienstunfähigkeit vom 23.09. bis 02.10.2011 verstoßen. Am 01.10.2011 sei er gegen 10.00 Uhr in der LKW-Werkstatt in A-Stadt, …straße, mit einem Fahrzeug des Technischen Hilfswerkes (THW) durch Kollegen angetroffen worden. In seiner schriftlichen Stellungnahme vom 12.12.2011 habe er angegeben, dass er wegen eines Defektes an seinem Privat-PKW die THW-Werkstatt aufgesucht habe um auf der Montagegrube den Anlasser zu wechseln. Mit einem Dienstfahrzeug des THW sei er zur LKW-Werkstatt Z gefahren und habe dort den Anlasser überprüfen lassen. Anschließend sei er wieder zur THW-Werkstatt zurückgefahren und habe dort einen Teil des Anlassers geordert. Der Zeuge ...habe als zuständiger Ortsbeauftragter des THW angegeben, dass der Kläger am 01.10.2011 von 07.30 Uhr bis 16.00 Uhr Dienst im THW verrichtet habe. Über eine Erkrankung habe der Kläger nicht berichtet.

3

Damit habe der Kläger seine ehrenamtliche Tätigkeit beim THW ganztägig im Krankenstand wahrgenommen. Der Wechsel des Anlassers sei nicht unproblematisch zu bewerkstelligen und mit Gefahren verbunden. Die Tätigkeiten in Arbeitsgruben seien nicht ungefährlich und gesetzliche Rahmenbedingungen, wie Unfallverhütungsvorschriften seien zu beachten. Damit habe der Kläger gegen seine Pflicht zur Gesunderhaltung und zum achtungs- und vertrauenswürdigen Verhalten verstoßen. Mit der Gesunderhaltungspflicht korrespondiere die Pflicht zur Wiederherstellung der verlorenen oder eingeschränkten Dienst- und Einsatzfähigkeit. Beamte seien verpflichtet insbesondere im Krankenstand, alles der Genesung Entgegenstehende, zu unterlassen. Die Tätigkeiten des Anlasserwechsels seien zumindest als mittelschwere körperliche Arbeiten zu werten. Des Nachweises, dass die Tätigkeit den Gesundungsprozess konkret behindere oder verzögere, bedürfe es nicht. Es reiche vielmehr aus, wenn die Tätigkeit generell geeignet sei, die alsbaldige und nachhaltige Genesung zu beeinträchtigen. Hiervon sei vorliegend auszugehen.

4

Bei der Wahl der Disziplinarmaßnahme sei insbesondere zu beachten, dass der Kläger wegen Verstößen gegen die Gesunderhaltungspflicht bereits in den Jahren 2006 und 2011 disziplinarrechtlich herangezogen worden sei. Besonders markant sei, dass zum Zeitpunkt des Vorfalls am 01.10.2011 das vorherige Disziplinarverfahren noch nicht beendet gewesen sei und dem Kläger offensichtlich jede Einsicht in die Pflichtwidrigkeit seines Verhaltens fehle. Daher sei die Verhängung einer Geldbuße in Höhe von 200,00 Euro angemessen, um eine Pflichten mahnende Wirkung und die gewünschte Verhaltenslenkung bei dem Kläger zu erzielen.

5

Den dagegen eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 29.11.2013 als unbegründet zurück und vertiefte die Ausführungen des Ausgangsbescheides.

6

Mit der dagegen fristgerecht erhobenen Klage wendet sich der Kläger weiter gegen die Disziplinarverfügung und ist im Kern seiner Ausführungen der Auffassung, dass die durchgeführte Tätigkeit an seinem Privat-PKW und im THW der Krankschreibung und der diesbezüglichen beamtenrechtlichen Genesungspflicht nicht entgegenstehe.

7

Der Kläger beantragt,

8

den Disziplinarbescheid der Beklagten vom 13.08.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29.11.2013 aufzuheben.

9

Die Beklagte beantragt,

10

die Klage abzuweisen

11

und verteidigt die streitbefangene Disziplinarverfügung.

12

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie den beigezogenen Verwaltungsvorgang verwiesen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidungsfindung.

Entscheidungsgründe

13

Die zulässige Klage ist unbegründet. Der streitbefangene Disziplinarbescheid in Gestalt des Widerspruchsbescheides ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 3 DG LSA; § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die Disziplinarmaßnahme ist auch zweckmäßig, was ebenfalls nicht zu ihrer Aufhebung führt (§ 59 Abs. 3 DG LSA).

14

Zur Überzeugung des Gerichts steht fest, dass die tatsächlichen Feststellungen in dem Disziplinarbescheid hinsichtlich der Reparatur seines Fahrzeugen zutreffend sind und der Kläger damit gegen seine sogenannte Gesunderhaltungspflicht als Ausprägung der allgemeinen Wohlverhaltenspflicht und der Pflicht zur vollen Hingabe an den Beruf (§ 34 BeamtStG) verstoßen hat. Damit liegt ein sogenanntes innerdienstliches Dienstvergehen nach § 47 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG vor. Denn obwohl im Krankenstand begangen, sind die vorgehaltenen Handlungen unmittelbar dem Dienstverhältnis des Beamten geschuldet und somit nicht seiner Privatsphäre zuzuordnen (vgl. zur Abgrenzung zwischen dienstlichen und außerdienstlichen Dienstvergehen nur: VG Magdeburg, Urteil v. 29.01.2013, 8 A 22/12; juris).

15

Die vom Kläger während seiner Dienstunfähigkeit durchgeführte Reparatur an seinem Fahrzeug auf einer Montagegrube des THW steht aufgrund seiner eigenen Einlassung (Blatt 7 Beiakte 7) fest. Demnach ist unbestritten, dass der Kläger während seiner Krankschreibung die vorgehaltene Tätigkeit ausgeführt hat. Ob er darüber hinaus weiter an dem besagten Tag, einem Samstag, tatsächlich ehrenamtlichen Dienst beim THW in der Zeit von 07.30 Uhr bis 16.00 Uhr durchgeführt hat, ist eher nebensächlich. Aufgrund der zeugenschaftlichen Aussagen des Zeugen ... im behördlichen Disziplinarverfahren (vgl. Blatt 40 f. Beiakte A) spricht vieles dafür. So führte der Zeuge aus: „Man begrüßt sich Samstags gegen 08.00 Uhr, die Aufgaben werden verteilt und jeder begibt sich in seinen Dienstbereich. Ich begab mich in mein Dienstzimmer und arbeite meine Aufgaben ab.“ Schließlich bestreitet der Kläger nicht, dass er an dem besagten Tag in den Räumen und Werkstätten des THW’s aufhältig war. Mag dies auch vordringlich der Bewerkstelligung seiner privaten PKW-Probleme gedient haben, so spricht vieles dafür, dass er dies im Rahmen seiner normalen ehrenamtlichen Tätigkeit beim THW durchführte. Demnach musste auch dem in der mündlichen Verhandlung gestellten klägerischen Beweisantrag zur Vernehmung des Zeugen ... nicht weiter nachgegangen werden. Denn zur Überzeugung des Gerichts ist dieser Tatvorwurf der ganztägigen Tätigkeit beim THW subsidiär gegenüber dem Hauptvorwurf des Verstoßes gegen die beamtenrechtliche Genesungspflicht während der Krankschreibung durch die vom Beamten zugegebene Reparatur seines Fahrzeuges. Bereits diese Reparaturtätigkeit während der Dienstunfähigkeit stellt zur Überzeugung des Disziplinargerichts den Verstoß gegen seine Genesungspflicht dar. Die rechtliche Bewertung des den Gegenstand der Disziplinarverfügung bildenden Geschehens – sowohl insgesamt als auch hinsichtlich einzelner Teilaspekte – steht in der Entscheidungskompetenz des Disziplinargerichts. Das Gericht ist insoweit weder an die Rechtsauffassung der Behörde noch an die von dieser vorgenommenen Subsumtion einzelner Verhaltensweisen unter bestimmte Rechtsnormen gebunden (OVG LSA, Beschluss v. 18.09.2013, 10 L 6/13; juris).

16

Das erkennende Disziplinargericht hat bezüglich des vorangegangenen Disziplinarverfahrens gegen den Kläger hinsichtlich des ebenso damaligen Verstoßes gegen die Gesunderhaltungspflicht ausgeführt:

17

„Die aus der allgemeinen Dienstleistung resultierende Gesunderhaltungspflicht füllt die Treuepflicht und Pflicht zur vollen Hingabe an den Beruf aus (§ 34 BeamStG). Der Gesunderhaltungspflicht des Beamten widerspricht grundsätzlich, wenn der Beamte seine Kräfte nicht schont und sie vorzeitig, insbesondere zu Erwerbszwecken einsetzt, wobei es eines konkreten Nachweises, dass der Gesundungsprozess des dienstunfähigen Beamten behindert oder verzögert wurde, nicht notwendig ist. Es reicht vielmehr aus, wenn z.B. eine Nebentätigkeit generell geeignet ist, die alsbaldige und nachteilige Genesung zu beeinträchtigen. Fühlt sich der Beamte bereits im Stande, Dienstleistungen auch nur in beschränktem Umfang zu erbringen, so handelt er pflichtwidrig, wenn er sie nicht seinem Dienstherren anbietet, der ihm das Gehalt weiterzahlt und ihm aus Anlass der Krankheit soziale Vorteile gewährt (vgl. BVerwG, Urteil vom 14.11.2001, 1 D 60.00; Urteil v. 15.08.2000, 1 D 77.98; Urteil v. 01.06.1999, 1 D 49.97; Bay-VGH, Beschluss vom 11.04.2012, 16 b DC 11.985; VG Berlin, Urteil vom 27.03.2012, 80 K 8.11 OL; alle juris). Einem kranken, jedoch nicht dauernd dienstunfähigen Beamten obliegt es, alles ihm zumutbar Mögliche zu tun, was der Wiedererlangung seiner vollen Arbeitsfähigkeit nützt und zu unterlassen, was die Genesung verzögern oder gar hindern könnte (vgl. Weiß, Zur Gesunderhaltungspflicht des Beamten in: ZBR 1982, S. 6, 11 m. w. Nachw.). So stellt z.B. auch nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts das Taxifahren ganz allgemein eine anstrengende Tätigkeit dar, die geeignet ist, die alsbaldige und nachhaltige Genesung eines erkrankten Beamten zu verhindern (BVerwG, Urteil vom 12.02.1992, 1 D 2.91; juris).“

18

Ebenso wie damals verweist das Gericht darauf, dass die vom Kläger vorgetragene Entlastung aufgrund der angeblichen ärztlichen „Erlaubnis“ während der bescheinigten Dienstunfähigkeit, bereits aufgrund der körperlichen Tätigkeit vom Ansatz her nicht greift. So hat auch im vorliegenden Fall die Beklagte mit Verweis auf die Gefahr geneigte Tätigkeit in Arbeitsgruben nachvollziehbar belegt, dass es sich bei derartigen Reparaturen am PKW keinesfalls um einfache, eher beiläufige und auch im Rahmen einer Dienstunfähigkeit wahrnehmbare Aufgaben handelt, welcher der Genesungspflicht nicht entgegenstehen würden. Das Disziplinargericht kommt nicht umhin, erneut die Ausführungen im damaligen Urteil zu wiederholen:

19

„So mag es vorstellbar sein, dass einem krankgeschriebenen Beamten leichte Schreibtischtätigkeit trotz einer Erkrankung möglich ist, welche insoweit seine körperliche und geistige Leistungsfähigkeit hinsichtlich dieser Schreibtischtätigkeit nicht beeinträchtigt. Ein solch krankgeschriebener Beamter vermag zu Hause am Schreibtisch seine privaten Angelegenheiten ordnen können, soweit dies den Genesungsprozess z. B. einer Handverletzung nicht entgegensteht. Keine Gefährdung der Genesungspflicht liegt etwa bei einem Langstreckenflug nach Knieverletzung vor (VG Berlin, Urteil vom 27.03.2012, 80 K 8.11 OL; juris). Dies kann jedoch für den hier vorliegenden Fall einer durchaus schweren und auch gefahrgeneigten körperlichen Tätigkeit nicht gelten. Insoweit kann auch nicht erfolgreich vorgetragen werden, dass auf Grund der psychischen Erkrankung des Beamten eine körperliche Tätigkeit dem Genesungsprozess förderlich sei. So mag es sein, dass bei derartigen psychischen Erkrankungen eine gewisse körperliche Anstrengung im Sinne eines „Abschaltens“ der Genesung hilfreich sein mag. Dies kann aber insoweit nur z. B. für sportliche Aktivitäten (Jogging) gelten. Keinesfalls kann es sein, dass der krankgeschriebene Beamte seine Krankschreibung und seine daraus resultierende Genesungs- und Erholungspflicht dazu missbraucht, eindeutig seinen Freizeitaktivitäten und damit seinem privaten Bereich zuzuordnende Tätigkeiten – wie hier Stallausbau – vornimmt. Der Missbrauch der Krankschreibung liegt hier offensichtlich auf der Hand. Dazu kommt, dass der erkrankte Beamte bei der Verrichtung seiner körperlichen Tätigkeit von Kollegen gesehen und ertappt wurde. Auch diese Tatsache belegt, dass es nicht hinnehmbar ist, dass krankgeschriebene Beamte körperliche anstrengende Freizeitaktivitäten entwickeln. Dies wirkt zudem schädigend auf das Ansehen des Berufsstandes der Polizeibeamten.“

20

Das Gericht musste demnach auch nicht dem in der mündlichen Verhandlung gestellten klägerischen Beweisantrag zur Vernehmung der behandelnden Ärztin des Klägers dazu nachkommen, dass der Kläger nicht gegen seine Genesungspflicht verstoßen habe. Denn bei der Genesungspflicht handelt es sich bereits um eine vom Gericht zu beantwortende Rechtsfrage und nicht um eine dem Beweis zugängliche Tatsachenbehauptung. Darüber hinaus wäre dies ein unzulässiger Ausforschungsbeweis. Legt man den Beweisantrag großzügig dahingehend aus, dass die Ärztin die Tatsache bezeugen solle, dass sie die ärztliche Erlaubnis zur Durchführung der PKW Reparatur in der Arbeitsgrube erteilt habe, führt dies ebenso zur Ablehnung. Insoweit ist von einer Unerreichbarkeit bzw. Untauglichkeit des Beweismittels auszugehen. Denn die für die Vernehmung der Ärztin als Zeugin unabdingbare Entbindung von der ärztlichen Schweigepflicht lag und liegt nicht vor (vgl. VG Düsseldorf, Urteil v. 09.12.2011, 13 K 2812/10; juris). Dementsprechend darf die Ärztin gar nicht als Zeugin vor Gericht aussagen.

21

Das Gericht ist weiter der Überzeugung, dass der eher pauschal vom Kläger gehaltene Hinweis darauf, dass seine Erkrankung psychischer Natur und er daher auch von ärztlicher Seite nicht gehindert sei, derartige Tätigkeiten während der Dienstunfähigkeit wahrzunehmen, bereits vom Ansatz her nicht greift. Wie bereits ausgeführt, mögen bei derartigen Erkrankungen gewisse Tätigkeiten oder sportliche Aktivitäten der Gesundheit förderlich sein. Für derartige Besonderheiten gibt es vorliegend keinerlei greifbare Anhaltspunkte. Das Gericht darf sagen, dass auch die in der mündlichen Verhandlung von Klägerseite überreichte an die Krankenkasse gerichtete Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung aufgrund des dortigen Diagnoseschlüssels eine andere Sicht der Dinge vermittelt. Denn dort wird gerade ein anderes Krankheitsbild und jedenfalls keine psychische Erkrankung bescheinigt. Somit erübrigt sich auch eine Beweisaufnahme von Amts wegen (vgl. dazu bereits: OVG LSA, Beschluss v. 06.05.2013, 10 L 1/13; juris).

22

Mit den Ausführungen in den streitbefangenen Bescheiden geht auch das Disziplinargericht davon aus, dass es sich hier um einen wiederholten Verstoß gegen die Gesunderhaltungs- bzw. Genesungspflicht handelt. Der Kläger wird zum dritten Mal disziplinarrechtlich bezüglich gleichartiger Vorfälle belangt. Dementsprechend ist die nunmehr gewählte Disziplinarmaßnahme - nur - einer Geldbuße in Höhe von 200,00 Euro auf jeden Fall verhältnismäßig, angemessen und auch nach § 59 Abs. 3 DG LSA zweckmäßig.

23

Das Disziplinargericht führt ergänzend aus, dass es hinsichtlich seiner nunmehr eigenen disziplinargerichtlichen Zuständigkeit in Anwendung der in § 13 Abs. 1 DG LSA niedergelegten Grundsätze an die durch die Verfügung vorgegebene Disziplinarmaßnahme als Obergrenze gebunden ist; eine Verböserung scheidet daher aus (vgl. ausführlich zuletzt: VG Magdeburg, Urteil v. 14.01.2014, 8 A 12/13; juris gemeldet). Dem Kläger muss erneut eindringlich mit den Ausführungen aus dem Urteil vom 17.01.2013 die Ernsthaftigkeit und die Folgenschwere derartiger immer wiederkehrender Verstöße vor Augen geführt werden. Letztendlich bemühte sich auch das Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt mit seinen Ausführungen in dem Beschluss vom 06.05.2013 (10 L 1/13; juris) hinsichtlich der Nichtzulassung der Berufung darum, wobei das Disziplinargericht bemüht ist, einen anderen prozessualen Umgang mit dem Kläger zu pflegen.

24

Zur weiteren Begründung darf das Disziplinargericht auf die zutreffenden Ausführungen in dem Disziplinarbescheid verweisen und sich diesen anschließen (§ 3 DG LSA; § 117 Abs. 5 VwGO).

25

Die Kostenentscheidung folgt aus § 72 Abs. 4 DG LSA i. V. m. § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 3 DG LSA, § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.