Verwaltungsgericht Magdeburg Beschluss, 26. Mai 2016 - 15 B 8/16

ECLI:ECLI:DE:VGMAGDE:2016:0526.15B8.16.0A
26.05.2016

Tenor

Der Antrag wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

I.

1

Der 1961 geborene Antragsteller ist seit dem 22.09.2005 gewählter hauptamtlicher Bürgermeister der Stadt A-Stadt. Zuvor war er langjährig ehrenamtlicher Bürgermeister. Er wendet sich gegen die durch den Antragsgegner unter dem 26.11.2015 ausgesprochene vorläufige Dienstenthebung und teilweise Einbehaltung seiner Dienstbezüge in Höhe von 50 % sowie weitere Nebenentscheidungen wie Hausverbot und Herausgabe von Dienstausweis, Schlüsseln und sonstigen dienstlichen Berechtigungen.

2

Mit Beschluss vom 18.12.2014 beschloss der Stadtrat der Stadt A-Stadt gegen den Antragsteller ein Disziplinarverfahren nach § 17 Abs. 1 Disziplinargesetz Sachsen-Anhalt (DG LSA) einzuleiten. Weiterhin wurde beschlossen, die Kommunalaufsicht zu bitten, einen Verfahrensführer zu benennen oder das Verfahren an sich zu ziehen. Unter dem 22.01.2015 unterrichtete der Landkreis S.. dem Stadtratsvorsitzenden, dass eine Heranziehung des Verfahrens nicht beabsichtigt sei und die obere Kommunalaufsichtsbehörde um Benennung eines Ermittlungsführers gebeten werde. Am 30.01.2015 leitete der Stadtrat der Stadt A-Stadt das Disziplinarverfahren gegen den Bürgermeister ein. Gegenstand dessen waren die Nebentätigkeit des Bediensteten H... als Geschäftsführer der E... der Verkauf des Projektes "S…", fehlerhafte Beteiligungsberichte, eine Darlehensvergabe aus den Jahren 2010 - 2012 der Stadt A- Stadt an die E..., die wirtschaftliche Betätigung der E..., die fehlerhafte Bestellung von Traktoren im Fuhrpark der Stadt A-Stadt, Grundstücksgeschäfte sowie Vorgänge um die Änderung der Satzung des Abwasserbetriebes A-Stadt AöR.

3

Mit Verfügung vom 15.04.2015 zog der Landkreis ...das Disziplinarverfahren nach § 76 Abs. 2 DG LSA an sich. Denn der Stadtrat der Stadt A-Stadt habe es unterlassen die erforderlichen Ermittlungen durchzuführen.

4

Unter dem 22.04.2015 zog der Antragsgegner das Disziplinarverfahren nach § 17 Abs. 1 DG LSA an sich.

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Mit Vermerken vom 11.12.2015 wurde das Disziplinarverfahren gegen den Antragsteller auf weitere Handlungen ausgedehnt und zugleich auf einige Sachverhalte beschränkt.

6

Unter dem 26.11.2015 erließ der Antragsgegner die streitbefangene Verfügung und enthob den Antragsteller vorläufig seines Dienstes als Bürgermeister der Stadt A-Stadt und aller Ämter, die damit in Verbindung stehen (Ziffer 1), ordnete die Einbehaltung von 50 % der monatlichen Dienstbezüge ab dem 01.12.2015 an (Ziffer 2) und untersagte dem Antragsteller für die Dauer der vorläufigen Dienstenthebung Gebäude oder Grundstücke, die von der Stadt A-Stadt genutzt werden und durch diese verwaltet werden, zu betreten mit Ausnahme der Wahrnehmung persönlicher Rechte gegenüber der Stadt A-Stadt (Ziffer 3) sowie die Abgabe des Dienstausweises, sonstiger dienstlicher Berechtigungen und Schlüssel für das Dienstgebäude (Ziffer 4).

7

Zur Begründung wurde ausgeführt, der Antragsteller habe mehrere schwerwiegende Dienstpflichtverletzungen begangen, welche in der Gesamtheit die Prognose rechtfertigten, dass bei Fortgang der Ermittlungen die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis auszusprechen sei. Das Vertrauensverhältnis zwischen dem Antragsteller und dem Dienstherren und der Allgemeinheit sei endgültig zerstört. Die Verfügung werde auf § 38 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 DG LSA gestützt. Zu den einzelnen Pflichtenverstößen heißt es:

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1. Grundstücksgeschäfte "Jüngst/Zeigermann": Der Antragsteller habe die Beschlussfassungen des Stadtrates nicht pflichtgemäß vorbereitet. Die Grundstücksverkäufe hätten nur zum vollen Wert und unter Durchführung eines transparenten Bieterverfahrens und einer Wertermittlung durchgeführt werden dürfen. Darüber hinaus sei den Erwerbern eine nach dem Vertrag unzulässige Kaufpreisminderung zugestanden worden, wonach die Stadt A-Stadt durch beide Grundstücksgeschäfte nur 57.066,50 € und damit ⅓ dessen, was nach Bodenrichtwert möglich gewesen wäre, eingenommen habe. Das erst nachträglich eingeholte Verkehrswertgutachten entlaste den Antragsteller nicht. Denn dieses sei offensichtlich mangelhaft.

9

2. Aufwandsentschädigung Gesellschafterversammlung: Der Antragsteller habe 3.450,00 € monatliche Aufwandsentschädigung für seine Tätigkeit in der Gesellschafterversammlung der E... unrechtmäßig erhalten. Denn die Wahrnehmung dieser Aufgabe habe dem Antragsteller kraft Gesetzes (§ 131 Abs. 1 Satz 1 KVG LSA bzw. § 119 Abs. 1 Satz 1 GO LSA) oblegen.

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3. Ernennungen: Die Ernennung des Bediensteten H… zum Beamten auf Lebenszeit sei unter Verstoß gegen die Probezeitregelungen vorgenommen worden.

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4. Urkundenfälschung: Durch das Aufdrücken des Eingangsstempels mit einem in der Vergangenheit liegenden Datum auf einem näher bezeichneten Schriftstück sowie das Abzeichnen mit Namenskürzel habe der Antragsteller eine Urkundenfälschung begangen.

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5. Versagen als Dienstvorgesetzter: Der Antragsteller habe in seiner Funktion als Leiter der Verwaltung der Stadt A-Stadt (§ 66 Abs. 1 Satz 1 KVG LSA) und als Dienstvorgesetzter des Bediensteten H... (§ 66 Abs. 5 KVG LSA) schwerwiegend und schuldhaft versagt. Dies sei in der Nebentätigkeit des Herrn H... und der nicht vorgenommenen Durchsetzung der Ablieferungspflicht der diesbezüglichen Einkünfte begründet.

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6. Dienstwagennutzung: Die unentgeltliche Überlassung des Dienstwagens an Herrn H... sei ohne Rechtsgrund erfolgt.

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7. Grundstücksverkauf an Frau A...: Die diesbezügliche durch den Antragsteller bewirkte Minderung des Kaufpreises sei mangels vertraglicher Grundlage für das Minderungsbegehren ein Dienstvergehen.

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8. Darlehensvergabe an die E...: Die Vergabe eines entsprechenden Darlehens hätte nach der Hauptsatzung der Stadt A-Stadt eines vorherigen Beschlusses des Hauptausschusses bedurft.

16

9. Vorlage der Analyse gem. § 135 KVG LSA: Der entsprechenden Pflicht zur Erstellung der Analyse und deren Vorlage bezüglich des Betriebes und Bewirtschaftung des Felsenbades habe dem Antragsteller oblegen. Dem sei er nicht nachgekommen.

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10. Leasing Traktoren: Die Leasingverträge über Traktoren aus den Jahren 2009, 2010 und 2013 seien unter Verletzung der Ausschreibungspflicht nach § 30 des Gesetzes über die Grundsätze des Haushaltsrechts des Bundes und der Länder geschehen.

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Die Dienstenthebung zur Sicherung des Dienstbetriebes nach § 38 Abs. 1 Satz 2 DG LSA begründe sich daraus, weil der Antragsteller für die Stadtratssitzung am 25.06.2015 einen Beschluss über die Beschaffung einer bestimmten Feuerwehr-Drehleiter herbeiführen wollte. Dies hätte einen Verstoß gegen die Pflicht zur EU-weiten Ausschreibung ausgelöst. Von einer Beschlussfassung sei nur aufgrund der Intervention der Kommunalaufsichtsbehörde des Landkreises S… abgesehen worden. Dieser Vorgang zeige, dass der Dienstbetrieb durch ein rechtswidriges Verwaltungshandeln des Antragstellers aktiv gefördert und ein reibungsloser Dienstbetrieb aufgrund vertrauensvoller Zusammenarbeit zwischen den kommunalen Organen nicht möglich sei.

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Die Einbehaltung von 50 % der Dienstbezüge sei ermessensgerecht. Aufgrund der Einwohnerzahl der Stadt A-Stadt werde der Antragsteller nach der Besoldungsgruppe B 2 Landesbesoldungsgesetz LSA besoldet. Selbst bei einer Einhaltung von 50 % werde der zu wahrende Abstand vom Regelsatz der Sozialhilfe eingehalten. Einer existenzgefährdenden wirtschaftlichen Beeinträchtigung oder der Gefahr nicht wiedergutzumachender Nachteile sei der Antragsteller daher nicht ausgesetzt. Denn die ihm verbleibenden Dienstbezüge seien noch oberhalb der Besoldungsgruppe A 12 Landesbesoldungsgesetz anzusiedeln.

II.

20

Der zulässige Antrag nach § 61 Abs. 2 DG LSA ist unbegründet. Die vom Disziplinargericht vorzunehmende Prüfung ergibt, dass die vorläufige disziplinarrechtliche Dienstenthebung nicht aufzuheben ist. Denn zur Überzeugung des Disziplinargerichts bestehen keine ernstlichen Zweifel an ihrer Rechtmäßigkeit.

21

1.) Nach § 38 Abs. 1 Satz 1 DG LSA kann die für die Erhebung der Disziplinarklage zuständige Behörde einen Beamten gleichzeitig mit oder nach der Einleitung des Disziplinarverfahrens vorläufig des Dienstes entheben, wenn im Disziplinarverfahren voraussichtlich auf Entfernung aus dem Beamtenverhältnis erkannt wird. Ferner kann die vorläufige Dienstenthebung ausgesprochen werden, wenn durch ein Verbleiben des Beamten im Dienst der Dienstbetrieb oder die Ermittlungen wesentlich beeinträchtigt würden und die vorläufige Dienstenthebung nicht unverhältnismäßig ist (§ 38 Abs. 1 Satz 2 DG LSA).

22

Bei der Anordnung der Suspendierung handelt es sich nicht um eine Disziplinarmaßnahme im Sinne des Maßnahmenkataloges, sondern um eine beamtenrechtliche Maßnahme des Disziplinarrechts (Hummel/Köhler/Mayer, BDG, 5. Auflage 2012, § 38 Rz. 1). Ihre Berechtigung ergibt sich aus dem funktionalen Bedürfnis, noch vor der endgültigen Klärung des Vorliegens eines Dienstvergehens und der abschließenden Entscheidung über die angemessene Maßregelung des Beamten eine den Verwaltungsaufgaben und dem Dienstbetrieb dienende vorübergehende Sicherungsregel zu treffen.

23

Eine auf § 38 Abs. 1 Satz 1 DG LSA gestützte Verfügung über die vorläufige Dienstenthebung muss pflichtgemäßem Ermessen der Einleitungsbehörde entsprechen. Den Beamten auch nur vorläufig vom Dienst zu entheben, setzt voraus, dass ein Verbleiben des Beamten im Dienst schlechthin untragbar wäre. Für die konkrete Entscheidung im Einzelfall sind grundsätzlich das dienstliche Bedürfnis an der einstweiligen Fernhaltung des Beschuldigten vom Dienst und dessen Recht auf amtsentsprechende dienstliche Beschäftigung abzuwägen (vgl. dazu nur: VG Magdeburg zuletzt: Beschluss v. 11.02.2015, 8 B 19/14 m. w. Nachw.; juris).

24

2.) Nach § 61 Abs. 2 DG LSA ist die vorläufige Dienstenthebung dann aufzuheben, wenn ernstliche Zweifel an ihrer Rechtmäßigkeit bestehen. Ernstliche Zweifel sind schon dann anzunehmen, wenn im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts offen ist, ob die Anordnung nach § 38 Abs. 1 DG LSA rechtmäßig oder rechtswidrig ist (vgl. nur: Bay. VGH, Beschl. v. 11.04.2012, 16b DC 11.985; OVG Lüneburg Beschluss vom 13.5.2005, 3 ZD 1/05; alle juris). Neben der formellen Rechtmäßigkeit der Anordnung ist somit zu prüfen, ob die in der Anordnung liegende Prognose gerechtfertigt ist, der Beamte werde im Disziplinarverfahren voraussichtlich aus dem Dienst entfernt werden.

25

Diese Prognose trägt nur dann, wenn nach dem Kenntnisstand eines Eilverfahrens die Möglichkeit des Ausspruchs der disziplinarrechtlichen Höchstmaßnahme überwiegend wahrscheinlich ist. Ist es dagegen zumindest ebenso wahrscheinlich, dass eine Entfernung des Beamten aus dem Beamtenverhältnis im Disziplinarverfahren nicht erfolgen wird, sind ernstliche Zweifel durch das Gericht zu bejahen (BVerwG, Besch. v. 16.07.2009, 2 AV 4.09; BayVGH, Beschl. v. 20.04.2011, 16b DS 10.1120; Sächs. OVG, B. 19.08.2010, D 6 B115/10 mit Verweis auf Beschluss vom 08.07.2010, D6A116/10; alle juris; Müller, Grundzüge des Beamtendisziplinarrechts, § 38 Abs. 1 BDG, 2010, Rz. 370 m. w. N.; GKÖD, Disziplinarrecht des Bundes und der Länder, § 38 BDG, Rz. 51). Anders gewendet, es müssen hinreichend gewichtige Gründe dafür sprechen, dass die Entfernung aus dem Dienst im Ergebnis des - noch durchzuführenden - Disziplinarverfahrens nicht in Betracht kommt. Dies beinhaltet eine vom Gericht vorzunehmende summarische Prüfung des zurzeit bekannten Sachverhaltes und eine daran orientierte Wahrscheinlichkeitsprognose. Hinsichtlich des zur Last gelegten Dienstvergehens genügt die Feststellung, dass der Beamte dieses Dienstvergehen mit einem hinreichenden Grad an Wahrscheinlichkeit begangen hat; nicht erforderlich ist, dass das Dienstvergehen bereits in vollem Umfang nachgewiesen ist (vgl. BVerwG, Beschl. v. 29.09.1997, 2 WDB 3.97; OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 22.09.2009, 83 DB 1.09; OVG des Saarlandes, Beschl. v. 17.06.2009, 6 B 289/09; alle juris).

26

Die Beurteilung im Verfahren nach § 61 DG LSA erfordert keine gesonderten Beweiserhebungen, sondern ist in der Lage, in der sich das Disziplinarverfahren jeweils befindet, anhand der bis dahin zu Tage getretenen Tatsachen zu treffen. Für eine vorläufige Dienstenthebung können u. U. selbst durch Aktenvermerke untermauerte Erkenntnisse ausreichen (vgl. Müller a. a. O.). Dabei ist auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abzustellen (BVerwG, Beschl. v. 22.07.2002, 2 WDB 1.02; OVG Berlin-Brandenburg; Beschl. v. 18.08.2005, 80 SN 1.05; Bay VGH, Beschl. v. 11.04.2012, 16b DCV 11.985; alle juris). Jedoch muss für die gerichtliche Überprüfung der vorläufigen Dienstenthebung maßgeblich auf die von dem Dienstherrn in dem Bescheid herangezogenen Gründe der Pflichtenverletzung abgestellt werden.

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Ähnlich wie bei der Bestimmtheit des Tatvorwurfs als inhaltliche Anforderung an die - spätere - Disziplinarklageschrift, müssen die Sachverhalte, aus denen das Dienstvergehen hergeleitet wird, aus sich heraus verständlich und nachvollziehbar geschildert werden. Ort und Zeit der einzelnen Handlungen müssen möglichst genau angegeben, die Geschehensabläufe nachvollziehbar beschrieben werden (vgl. nur: BVerwG, Urteile v. 23.11.2006, 1 D 1.06, v. 25.01.2007, 2 A 3.05; Beschlüsse v. 13.03.2006, 1 D 3.06, v. 18.11.2008, 2 B 63.08 und v. 21.04.2010, 2 B 101.09; alle juris). Nur diese können durch das Disziplinargericht im Rahmen der Würdigung durch Akteninhalte und sonstige - evtl. auch später, im Laufe des Verfahrens nach § 61 DG LSA hinzutretende - Erkenntnisse untermauert werden, um so die Prognoseentscheidung, das heißt die Ausübung des ordnungsgemäßen Ermessens durch den Dienstherrn, zu überprüfen (VG Magdeburg, Beschl. v. 12.06.2012, 8 B 5/12, juris). Hingegen ist es dem Disziplinargericht verwehrt, anstelle der Disziplinarbehörde eine eigene Ermessenserwägung anzustellen (OVG Saarland, Beschluss v. 18.05.2011, 6 B 211/11; juris).

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Welche Disziplinarmaßnahme im Einzelfall erforderlich ist, richtet sich gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 und 3 DG LSA nach der Schwere des Dienstvergehens und des unter Berücksichtigung der Persönlichkeit des Beamten eingetretenen Umfangs der durch das Dienstvergehen herbeigeführten Vertrauensbeeinträchtigung. § 13 Abs. 2 DG LSA bestimmt, dass ein Beamter, der durch ein schweres Dienstvergehen das Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit endgültig verloren hat, aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen ist (Satz 1). Die Feststellung des verloren gegangenen Vertrauens ist verwaltungsgerichtlich voll inhaltlich nachprüfbar (Satz 2).

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Demnach ist maßgebendes Bemessungskriterium für die Bestimmung der Disziplinarmaßnahme die Schwere des Dienstvergehens. Sie beurteilt sich zum einen nach der Eigenart und Bedeutung der verletzten Dienstpflichten, Dauer und Häufigkeit der Pflichtenverstöße und den Umständen der Tatbegehung (objektive Handlungsmerkmale) und zum anderen nach Form und Gewicht des Verschuldens und den Beweggründen des Beamten für sein pflichtwidriges Verhalten (subjektive Handlungsmerkmale) sowie nach den unmittelbaren Folgen der Pflichtenverstöße für den dienstlichen Betrieb und für Dritte (vgl. zum gleichlautenden § 13 BDG, BVerwG, Urt. v. 20.10.2005, 2 C 12.04; Urt. v. 03.05.2007, 2 C 9.06; B. v. 10.09.2010, 2 B 97/09; VGH Baden-Württemberg, U. v. 16.09.2010, DL 16 S 579/10; alle juris).

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Erst bei Würdigung der Gesamtpersönlichkeit des Beamten lässt sich mit der gebotenen Sicherheit beurteilen, ob der Beamte aus disziplinarrechtlicher Sicht noch erziehbar erscheint oder ob hierfür eine bestimmte Disziplinarmaßnahme als notwendig, aber auch als ausreichend erscheint, oder ob der Beamte für die Allgemeinheit und den Dienstherrn untragbar geworden ist und deshalb seine Entfernung aus dem Beamtenverhältnis geboten ist (vgl. nur: VG Magdeburg, U. v. 04.11.2009, 8 A 19/08 m. w. N.; juris).

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Eine objektive und ausgewogene Zumessungsentscheidung setzt demnach voraus, dass die gegen den Beamten ausgesprochene Disziplinarmaßnahme unter Berücksichtigung der belastenden und entlastenden Umstände des Einzelfalls in einem gerechten Verhältnis zur Schwere des Dienstvergehens und zum Verschulden des Beamten steht und gewisse Besonderheiten des Einzelfalls mildernd zu berücksichtigen sind (vgl. BVerfG, Beschl. v. 08.12.2004, 2 BvR 52/02; BVerwG, U. v. 14.02.2007, 1 D 12.05 mit Verweis auf Urteil vom 20.10.2005, 2 C 12.04; OVG Lüneburg, U. v. 20.11.2009, 6 LD 1/09; VGH Bad.-Württ., U. v. 16.09.2010, DL 16 S 579/10; VG Saarland, U. v. 17.09.2010, 7 K 238/09; alle juris).

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3.) Unter diesen rechtlichen Prüfungsvoraussetzungen folgt die Disziplinarkammer nach dem derzeitigen, sich aus der Begründung der Suspendierung, dem Aktenmaterial und dem Vorbringen der Beteiligten ergebenden Sach- und Rechtsstand der von dem Antragsgegner angestellten Prognoseentscheidung. Danach ist gegenwärtig mit der überwiegenden Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass der Antragsteller ein schwerwiegendes innerdienstliches Dienstvergehen begangen hat, welches aufgrund der Schwere die Prognose rechtfertigt, dass im Anschluss an die disziplinarrechtlichen Ermittlungen und bei Erhebung der Disziplinarklage auf die Entfernung aus dem Dienst erkannt werden wird.

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a.) Als Bürgermeister war und ist der Antragsteller "(hauptamtlicher) Beamter auf Zeit" und unterliegt den beamten- und disziplinarrechtlichen Regelungen (§ 6 BeamtStG; § 7 LBG LSA; §§ 57 Abs. 1 Satz 2, 65 Abs. 1 GO LSA, § 60 Abs. 1 KVG LSA, 1 Abs. 1 DG LSA; vergleiche: VG Magdeburg, Urteil vom 06.11.2013, 8 A 9/12 MD mit weiteren Nachweisen auch zu ehrenamtlichen Bürgermeistern; juris).

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b.) Verfahrensfehler in behördlichen Disziplinarverfahren, welche auch auf die streitbefangene Suspendierungsverfügung und die Einbehaltung von Teilen der Dienstbezüge durchschlagen würden, sind nicht ersichtlich.

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a. a.) Die vom Antragsteller gerügten Fehler bei der Heranziehung des behördlichen Disziplinarverfahrens durch die Kommunalaufsicht und letztendlich den Antragsgegner liegen nicht vor. Dabei ist zunächst entscheidend, dass der Landkreis ...als zuständige Kommunalaufsichtsbehörde das behördliche Disziplinarverfahren nach § 76 Abs. 2 DG LSA – und nicht nach § 76 Abs. 1 DG LSA – rechtmäßig an sich gezogen hat. Diese Zuständigkeit ist - anders als nach § 76 Abs. 1 DG LSA - an keine Frist gebunden. Als Voraussetzung sieht § 76 Abs. 2 DG LSA vielmehr vor, dass es der zuständige Dienstvorgesetzte unterlassen hat oder außerstande ist, die angezeigte disziplinarrechtliche Maßnahme zu treffen. Diese tatbestandlichen Voraussetzungen lagen vor. Denn der Stadtrat der Stadt A-Stadt lehnte mit Beschluss vom 26.03.2015 die Bestellung eines Ermittlungsführers ab. Bereits zuvor hatte der Stadtrat die Kommunalaufsicht gebeten, einen Verfahrensführer zu benennen oder das Verfahren zu übernehmen. Der Stadtrat der Stadt A-Stadt ist zwar zugleich Dienstvorgesetzter, höherer Dienstvorgesetzter und oberste Dienstbehörde (§ 45 Abs. 5 KVG LSA) gegenüber dem Bürgermeister und zur Einleitung des Disziplinarverfahrens gegen den Bürgermeister nach § 17 Abs. 1 DG LSA berufen. Von dieser Einleitungsbefugnis unabhängig ist aber das Anziehungsrecht der Kommunalaufsicht nach § 76 Abs. 2 DG LSA zu sehen. Danach ist die Kommunalaufsichtsbehörde berechtigt, ein bereits eingeleitetes Disziplinarverfahren zu übernehmen oder ein Disziplinarverfahren selbst einzuleiten und durchzuführen, wenn der Dienstherr - im Gegensatz zum Fall des Absatzes 1 – nicht (weiter) tätig geworden ist (vgl. Gesetzesbegründung zu § 76 Abs. 2 DG LSA LT-Drs. 4/2364, S. 120). Die Benachrichtigungen darüber an den Dienstvorgesetzen und den Beamten nach § 76 Abs. 3 DG LSA sind geschehen. Dementsprechend ist die Entscheidung des Landkreises S… zur Übernahme des behördlichen Disziplinarverfahrens rechtmäßig ergangen.

36

Da sich aber auch der Landkreis ...als untere Kommunalaufsichtsbehörde personell außerstande sah, das Verfahren mit der gebotenen Dringlichkeit zu führen, wurde der Antragsgegner als obere Kommunalaufsichtsbehörde um Heranziehung gem. § 17 Abs. 1 DG LSA gebeten. Mit Verfügung vom 22.04.2015 kam der Antragsgegner dem nach. Diese nunmehr nach § 17 Abs. 1 Satz 2 DG LSA vorgenommene Heranziehung ist ebenso rechtlich nicht zu beanstanden. Denn danach kann die oberste Dienstbehörde das – bereits eingeleitete - Disziplinarverfahren jederzeit an sich ziehen, eine Disziplinarmaßnahme selbst erlassen oder die Disziplinarverfolgung aufnehmen (§ 17 Abs. 1 Satz 2 2. Halbsatz DG LSA). Der Landkreis ist durch die Heranziehung des Verfahrens Dienstvorgesetzter des Antragstellers geworden. In den Fällen des § 76 Abs. 2 Satz 1 DG LSA tritt an die Stelle des höheren Dienstvorgesetzten und der obersten Dienstbehörde (vgl. § 17 Abs. 1 Satz 2 DG LSA) die obere Kommunalaufsichtsbehörde (§ 76 Abs. 4 DG LSA), mithin der Antragsgegner. Damit durfte der Antragsgegner nach § 17 Abs. 1 Satz 2; 2. HS DG LSA auch im Rahmen des § 38 Abs. 1 Satz 1 DG LSA als für die Erhebung der Disziplinarklage nach § 34 Abs. 2 Satz 1 DG LSA zuständige Behörde tätig werden.

37

b. b.) Ebenso liegt die vom Antragsteller vorgetragene fehlerhafte Vorgehensweise bei der Sachverhaltsaufklärung beziehungsweise der Bestellung geeigneter Bediensteter nach § 21 Abs. 1 DG LSA nicht vor. Soweit der Antragsteller diesbezüglich von Befangenheit bzw. Vorbefassung spricht, ist fraglich, ob dies im Verfahren zur vorläufigen Dienstenthebung überhaupt beanstandet werden kann (vgl. zur Befangenheit des Ermittlungsführers: VG Magdeburg, Urteil vom 13.12.2012, 8 A 7/11; BDiG Frankfurt, Beschluss vom 06.09.1983, VII BK 15/83; bei der juris). Denn diesbezüglich ist von Bedeutung, dass das behördliche Disziplinarverfahren noch nicht abgeschlossen ist und gerade noch keine abschließende disziplinarrechtliche Entscheidung vorliegt. Dies dahingestellt, macht der Antragsteller eine Befangenheit auch nicht glaubhaft. Nach § 21 Abs. 1 DG LSA ist im Sinne eines fairen Verfahrens entscheidend, dass es sich um "geeignete Bedienstete" handeln muss. Grundlegend ist dabei zu beachten, dass es sich um ein faires Disziplinarverfahren handeln muss. Dem steht vorliegend nicht entgegen, dass die mit der Durchführung der Ermittlungen beauftragten Personen bereits seit dem 17.04.2014 der Arbeitsgruppe "… A-Stadt Gesellschaft" im Landesverwaltungsamt angehören. Besteht diese Mitgliedschaft daher bereits vor der Einleitung der disziplinarrechtlichen Ermittlungen, so ist gegen diese Personenauswahl auch im Disziplinarverfahren gleichwohl nichts einzuwenden. Denn insoweit ist von Bedeutung, dass der Aufgabenbereich dieser Arbeitsgruppe auch Teil des disziplinarrechtlichen Vorwurfes ist und insoweit gerade von einer Sachkunde der Personen ausgegangen werden kann. Es wäre gerade unökonomisch diese besondere Sachkunde nicht zu berücksichtigen. Daher ist nichts dagegen einzuwenden, dass aufgrund der langjährigen Verwaltungs- und Berufserfahrungen, des Umfangs der Ermittlungen und unter dem Aspekt des Beschleunigungsgrundsatzes weiterhin die Mitglieder der Arbeitsgruppe A-Stadt, Herr B… und Frau D…z als auch Herr W… als geeignete Bedienstete mit der Aufklärung des erforderlichen Sachverhaltes in dem Disziplinarverfahren betraut wurden. Darüber hinaus wurde auch Herr Kriminaloberrat U… vom Landeskriminalamt als geeigneter Bediensteter betraut. Da § 21 Abs. 1 Satz 1 DG LSA ausdrücklich den Plural benutzt, ist gegen eine aus mehreren geeigneten Bediensteten bestehende Arbeitsgruppe – entgegen dem früher unter der Disziplinarordnung verwendeten Begriffs des singulären Ermittlungsführers – nichts einzuwenden.

38

c.) Materiell-rechtlich betrachtet hat der Antragsteller im Zusammenhang mit den beiden Grundstücksgeschäften mit den Erwerbern Frau J…t und Herrn Z… ein schweres Dienstvergehen verwirklicht, da er hierbei schuldhaft die ihm obliegenden Pflichten verletzte.

39

Mit notariellem Kaufvertrag vom 13.01.2012 erfolgte die Veräußerung der insgesamt rund 2.800 m² großen Anteile an den Flurstücken 130/2 und 130/4 (nach Vermessung Nrn. 1875 und 1884) an Frau F… und Herrn C…, welche beruflich selbst als Projektentwickler bzw. Grundstücksverkäufer tätig waren. Hierzu wurde in der Beschlussvorlage vom 11.10.2011 für die Sitzung des Stadtrates am 27.10.2011 durch den Antragsteller ohne Einholung eines Verkehrswertgutachtens ein Verkaufspreis in Höhe von 35,00 € je m² vorgeschlagen, welchen dieser damit begründete, dass vor einer Bebauung noch umfassende Erschließungsarbeiten erforderlich seien. Der Stadtrat folgte dem Vorschlag. Tatsächlich wies die Bodenrichtwertkarte vom 31.12.2010 für die betroffenen Grundstücke einen Bodenrichtwert in Höhe von 50,00 € je m² aus. Anstatt eines Verkaufserlöses in Höhe von 140.000,00 € wurde so nur 98.000,00 € erzielt.

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Denselben Erwerbern wurde zudem ein zweites, die Flurstücke 1883, 1876 und 1878 umfassendes Grundstück mit einer Gesamtfläche von 957 m² verkauft. Als Verkaufspreis legte der Antragsteller in der Beschlussvorlage 5,50 € je m², mithin 5.263,50 € fest. Auch diesbezüglich holte der Antragsteller kein Verkehrswertgutachten ein. Der Antragsteller qualifizierte das Grundstück als Gartengrundstück. Ein erheblicher Anteil des Grundstückes (870 m² für die Flurstücke 1883 und 1876) entstand jedoch überhaupt nur deshalb, weil dieser entgegen dem Stadtratsbeschluss zum 1. Grundstücksverkauf nicht in vorbezeichneten Kaufvertrag einbezogen wurde. Wäre dies bei – zumindest und lediglich insofern - rechtmäßiger Vorgehensweise geschehen, so wäre auch hierfür ein zwar nicht dem Bodenrichtwert entsprechender, aber doch noch signifikant höherer Verkaufspreis erzielt worden, nämlich wiederum in Höhe von 35,00 € je m². Die Differenz zu Lasten der Stadt A-Stadt beträgt also – mindestens - 25.665,00 €. Geht man entsprechend dem ursprünglichen Bodenrichtwert von einem Quadratmeterpreis in Höhe von 50,00 € je m² aus, so liegt die Differenz sogar bei 38.715,00 €.

41

Zudem bereitete er die Beschlussfassungen des Stadtrates entgegen §§ 62, 63 GO LSA nicht pflichtgemäß vor. Nach §§ 90 Abs. 2, 105 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 GO LSA dürfen Grundstücksverkäufe nur zum vollen Wert erfolgen und setzen die Durchführung eines transparenten Bieterverfahrens mit zumindest einer Wertermittlung nach den Vorschriften der §§ 192 ff. Baugesetzbuch (BauGB) voraus. Davon darf nur abgewichen werden, wenn eine ausdrückliche gesetzliche Verpflichtung oder Beeinträchtigung zum Ansatz eines geringeren Wertes besteht oder die Veräußerung unterhalb des vollen Wertes durch ein besonderes öffentliches Interesse gerechtfertigt werden kann, welches sich wiederum aus der Aufgabenstellung der Kommune und dem Gesamtzusammenhang des Kommunalverfassungsgesetzes ableiten lassen muss. Zudem muss die Veräußerung unterhalb des vollen Wertes willkürfrei erfolgen und für Dritte nachvollziehbar begründet sein (vergleiche insoweit auch die interne Verwaltungsanweisung der Stadt A-Stadt beim Verkauf von Grundstücken).

42

Bei dem damals aktuellen Bodenrichtwert hätte bei beiden Grundstücksgeschäften über insgesamt 3.757 m² ein Verkaufspreis von 187.850,00 € erzielt werden können. Weiter räumte der Antragsteller den Erwerbern eine nach dem Vertrag ausgeschlossene Kaufpreisminderung ein. Im notariellen Kaufvertrag war vereinbart, dass die Stadt A-Stadt gegenüber den Erwerbern nur für die Bebaubarkeit nach öffentlich-rechtlichen Vorschriften haftet; nicht jedoch für eine bestimmte Art der Bebauung. Diesbezüglich wurde den Erwerbern ein Rücktrittsrecht eingeräumt; eine Kaufpreisminderung sowie Schadensersatz wurden ausdrücklich ausgeschlossen. In der Folge des Grundstücksverkaufes traten die Erwerber mit einem Minderungsbegehren an die Stadt heran und begründeten dies damit, dass auf dem 1.566 m² großen Teilstück des Flurstücks 130/4 ein Starkstromkabel des Energieversorgers im Erdreich verlegt sei und damit eine Bebaubarkeit nur eingeschränkt gegeben sei. Daraufhin stimmte der Antragsteller einer Kaufpreisminderung für das betroffene Flurstück auf nunmehr 5,50 € je m² zu. Auf Veranlassung des Antragstellers hin wurde durch notarielle Zusatzvereinbarung vom 04.04.2012 ein Kaufpreis in Höhe von 51.832,00 € vereinbart. Eine Beschlussfassung des Stadtrates hierüber führte der Antragsteller nicht herbei.

43

Somit ist zusammenfassend disziplinarrechtlich festzustellen, dass der Antragsteller als Bürgermeister der Stadt A-Stadt die entsprechenden Stadtratsbeschlüsse pflichtwidrig nicht ordnungsgemäß vorbereitete und den Stadtrat als Entscheidungsträger nicht hinreichend informierte. So führte er über die eigenmächtig mit den Grundstückserwerbern vereinbarte Kaufpreisminderung keine Beschlussfassung des Stadtrates herbei. Auch lag dem Verkauf kein Wertermittlungsgutachten zugrunde. Soweit der Antragsteller dies im Nachhinein und nach dem Beginn der disziplinarrechtlichen Ermittlungen in Auftrag gab, kann ihn dies nicht entlasten. Denn insoweit führt der Antragsgegner zu Recht aus, dass die Annahme des Gutachters bezüglich der Verkehrswertminderung aufgrund der Lage des Starkstromkabels sowie dem Vorhandensein einer alten Silo-Mauer zumindest als fragwürdig angesehen werden kann und die Wertermittlung fehlerhaft erscheint. Entscheidend ist jedenfalls, dass die Wertermittlung nicht vor der Beschlussfassung durch den Rat erfolgte und somit dieser nicht hinreichend informiert wurde. Dadurch hat er als Bürgermeister zugleich die ihm gegenüber der Stadt A-Stadt obliegende Pflicht, fremde Vermögensinteressen wahrzunehmen, verletzt und dadurch der Stadt A-Stadt treuwidrig einen Schaden zugefügt. Dies geschah zumindest fahrlässig.

44

Milderungs- und Entlastungsgründe, wonach zum jetzigen Zeitpunkt die spätere Entfernung nicht prognostiziert werden könnte, sind gegenwärtig nicht erkennbar. Der Antragsteller kann sich nicht dadurch entlasten, dass er mangels eigener juristischer Kenntnisse anwaltliche Hilfe in Anspruch genommen hätte. Zwar bestand zwischen der Stadt A-Stadt und der Rechtsanwaltskanzlei D… seit dem 14.02.2005 ein "Vertrag über laufende Rechtsberatung" (Bl. A 155, Beiakte O). Jedoch wird dem Vortrag des Antragsgegners (Antragserwiderung vom 15.12.2015, Seite 16; GA Blatt 87) nicht widersprochen, dass bezüglich der vorgehaltenen Grundstücksgeschäfte diese anwaltliche Beratung gerade nicht in Anspruch genommen wurde. Die Ausführungen im Schriftsatz vom 10.05.2016 (GA Bl. 172 ff) beschränken sich allein auf den Vorwurf der unerlaubten Nebentätigkeit des Bediensteten H... und eine diesbezüglich eingeholte Rechtseinschätzung vom 16.07.2013. Ebenso ist nichts bekannt über die Inanspruchnahme einer rechtlichen Hilfe durch die Kommunalaufsicht. Demnach kann erschwerend angenommen werden, dass der Antragsteller gerade und trotz bestehender juristischer Unterstützung, diese bei den Grundstücksgeschäften der Gemeinde nicht wahrgenommen hat. Zudem hatte sich der Antragsteller gegenüber der Kommunalaufsicht gegen die Kündigung des Beratungsvertrages ausgesprochen (Bl. A 54, Beiakte O).

45

Dem Antragsgegner ist auch darin zu folgen, dass gerade aufgrund der Begründung des Antragstellers, wegen etwaiger Mängel und der Grundstückssituation die Bodenrichtwertkarte nicht anwendbar gewesen sei, ein Verkehrswertgutachten hätte eingeholt werden müssen. Ebenso gilt es zu berücksichtigen, dass aufgrund des Baubeginns die Erschließung gesichert gewesen sein muss und eine Baugenehmigung vorgelegen haben muss. Soweit sodann erst die verlegte Starkstromleitung gefunden wurde, wäre weiter zu prüfen gewesen, ob die Verlegung der Starkstromleitung durch den Versorger hätte vorgenommen werden müssen bzw. wer die Kosten dafür übernimmt. Dies wäre zwischen den Beteiligten zu klären gewesen und eventuell gegenüber dem Versorger hätte geltend gemacht werden müssen. Einer Einstandspflicht im Sinne einer Minderung des Kaufpreises durch die Stadt A-Stadt vermag dies zunächst nicht offensichtlich zu begründen, zumal die Minderung im Kaufvertrag ausdrücklich ausgeschlossen war.

46

d.) Inwieweit die weiteren in der Suspendierungsverfügung vorgetragenen Pflichtenverletzungen vorliegen und tragend sind, mag dahinstehen. Denn insgesamt kommt es zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt des Gerichtes hinsichtlich der Prognoseentscheidung der späteren Disziplinarmaßnahme auf diese weiteren vorgehaltenen Dienstpflichtverletzungen nicht an. Denn zur Überzeugung des Disziplinargerichts sind – nach augenblicklichem Kenntnisstand - die Vorgänge um die Grundstücksgeschäfte und der daraus resultierende potentiell hohe finanzielle Schaden für die Stadt A-Stadt und damit die öffentliche Kasse als entscheidungserheblich für die Wahrscheinlichkeit des Ausspruchs der Höchstmaßnahme maßgeblich.

47

e.) Halten daher die für die Suspendierung nach § 38 Abs. 1 Satz 1 DG LSA angegeben Gründe der rechtlichen Überprüfung stand, kommt es nicht darauf an, ob die zusätzlich auf § 38 Abs. 1 Satz 2 DG LSA vorgetragene Gründe rechtlich zutreffen. Die vorläufige Dienstenthebung nach § 38 Abs. 1 Satz 2 DG LSA erweist sich dann als ermessensgerecht und verhältnismäßig, wenn ohne diesen Eingriff der Dienstbetrieb oder die ordnungsgemäße Tätigkeit der Verwaltung durch die Anwesenheit des Beamten empfindlich gestört oder in besonderem Maße gefährdet wäre (vgl. BVerwG, Beschl. v. 01.09.2000, 1 DB 16.00; Beschl. v. 04.01.1996, 1 DB 16.95; Hummel/Köhler/Mayer, BDG, 5. Auflage 2012, § 38 Rz. 4). Eine wesentliche Beeinträchtigung des Dienstbetriebes ist vor allem dann zu besorgen, wenn auf Grund von Umständen, die mit dem mutmaßlich begangenen Dienstvergehen in Zusammenhang stehen, eine gedeihliche, der Dienstverrichtung dienende Zusammenarbeit mit dem Beamten gefährdet ist und herunter die Aufgabenerledigung ernsthaft leiden kann. Anhaltspunkte hierfür können sich aus den bereits eingetretenen Folgen des mutmaßlichen Dienstvergehens ergeben. Auswirkungen auf den Dienstbetrieb sind weiterhin zu befürchten, wenn aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte mit einer Fortsetzung der Begehung des Dienstvergehens zu rechnen ist (OVG Lüneburg, Beschl. v. 25.03.2013, 19 ZD 4/13, juris). Ob diese Voraussetzungen tatsächlich bereits aufgrund der Vorkommnisse um den Stadtratsbeschluss vom 25.06.2015 bezüglich der Anschaffung einer bestimmten Feuerwehr-Drehleiter vorliegen, mag bezweifelt werden. Denn insoweit muss die Einlassung des Antragstellers berücksichtigt und gewürdigt werden, dass es sich bei dem Feuerwehrfahrzeug um ein Modell handele, für welches lediglich eine Firma Drehleitern herstelle. Entscheidend wäre, dass der Antragsteller durch sein Verhalten zu erkennen geben würde, sich wiederholt und fortgesetzt nicht an seine dienstlichen Pflichten halten zu wollen. Dazu dürfte dieses Vorkommnis nicht genügen (vgl. zu den Voraussetzungen: VG Magdeburg, Beschluss v. 11.02.2015, 8 B 19/14 m. w. Nachw.; juris).

48

4.) Wegen der prognostizierten Entfernung aus dem Beamtenverhältnis erweist sich auch die Einbehaltung von Teilen der Dienstbezüge nach § 38 Abs. 2 DG LSA als rechtmäßig. Bezüglich der Bestimmung der Höhe des Einbehaltungssatzes hat der Antragsgegner sein Ermessen gesehen und ausgeübt. Dabei muss die Dienstbehörde berücksichtigen, dass die vorläufige Einbehaltung von Dienstbezügen keinen Strafcharakter hat, sondern mit Rücksicht auf die fortbestehende Alimentationspflicht des Dienstherrn allein auf die wirtschaftlichen Verhältnisse des Beamten abzustellen ist. Der vorläufig des Dienstes enthobene Beamte muss gewisse Einschränkungen in seiner Lebenshaltung hinnehmen. Jedoch darf die Einbehaltung wegen ihres vorläufigen Charakters nicht zu einer existenzgefährdenden wirtschaftlichen Beeinträchtigung führen (vgl. zusammenfassend: BVerwG, U. v. 13.08.1979, 1 DB 14.79; VG Berlin, B. v. 02.02.2007, 80 Dn 59.06; VG Magdeburg, B. v. 27.11.2006, 8 A 17/06 und v. 19.05.2009, 8 B 7/09; Beschluss v. 25.02.2015, 8 B 20/14, Beschluss v. 17.09.2015, 8 B 10/15; alle juris). Dass diese Voraussetzungen nicht eingehalten worden wären, ist nicht ersichtlich und wird vom Antragsteller auch nicht substantiiert vorgetragen.

49

5.) Aufgrund dessen das Disziplinargericht in der Suspendierungsverfügung nach § 38 Abs. 1 Satz 1 DG LSA und der vorläufigen Einbehaltung von Teilen der Dienstbezügen keine ernstlichen Zweifel im Sinne der Prüfung nach § 61 Abs. 2 DG LSA sieht, vermag es auch nicht die übrigen Regelungen der streitbefangenen Verfügung, nämlich das Hausverbot sowie die Abgabe des Dienstausweises sowie sonstiger dienstlicher Berechtigungen und Schlüssel aufzuheben. Zwar ist festzustellen, dass diesbezüglich keine spezielle Rechtsgrundlage im Disziplinargesetz bzw. Disziplinarrecht ersichtlich ist. Jedoch muss es dem Dienstherrn im Rahmen seiner allgemeinen organisationsrechtlichen Befugnis erlaubt sein, derartige mit der Suspendierungsverfügung verbundenen Nebenentscheidungen zu regeln. Denn auch bei der Suspendierungsverfügung selbst handelt es sich um eine beamtenrechtliche Maßnahme des Disziplinarrechts. Dementsprechend muss es dem Dienstherrn erlaubt sein in einer disziplinarrechtlichen Entscheidung die notwendigen Nebenentscheidungen zu treffen.

50

6.) Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 72 Abs. 4, 73 Abs. 1 DG LSA, 154 Abs. 1 VwGO.


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Haushaltsgrundsätzegesetz - HGrG | § 30 Öffentliche Ausschreibung


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Gründe

1

I. Der Antragsteller ist Regierungsoberamtsrat bei dem Antragsgegner. Gegen ihn läuft ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren wegen des Verstoßes gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz und des Besitzes kinderpornografischer Schriften.

2

Im Rahmen einer Hausdurchsuchung wurde bei dem Antragsteller jedenfalls ein Verschlusskopf für ein Sturmgewehr G3 sowie eine Bilddatei mit dem Verdacht kinderpornografischer Abbildungen gefunden. Die nachfolgende Durchsuchung der Diensträume des Antragstellers am 03.04.2014wurde mit Beschluss des Amtgerichts Hannover vom 03.04.2014 damit begründet, dass nach kriminalistischer Erfahrung zu erwarten sei, dass der Beschuldigte nach weiteren Bezugsmöglichkeiten kinderpornografischen Materials im Internet gesucht habe. Der (Dienst-)Rechner wurde sichergestellt und der persönliche Speicher auf dem Server gespiegelt.

3

Am 04.04.2014 leitete der Antragsgegner ein Disziplinarverfahren gegen den Antragsteller ein und enthob ihn gleichzeitig mit sofortiger Wirkung gemäß § 38 Abs. 1 des Disziplinargesetzes Sachsen-Anhalt (DG LSA) vorläufig vom Dienst, da ein Verbleiben im Dienst den Dienstbetrieb wesentlich beeinträchtigen würde. Den dagegen eingelegten Widerspruch wies der Antragsgegner mit Bescheid vom 01.09.2014 als unzulässig zurück und verfügte mit sofortiger Wirkung die Einbehaltung von 50 % der Dienstbezüge des Antragstellers. Ihm werde zur Last gelegt, gegen die „Dienstleistungspflicht“ und die Pflicht zu achtungswürdigen und vertrauensgerechten Verhalten verstoßen zu haben. Es bestehe der hinreichend begründete Verdacht eines Dienstvergehens, das mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu disziplinarischen Höchstmaßnahme führen werde. Bereits der Besitz kinderpornografischer Darstellungen sei im Regelfall als schweres Dienstvergehen zu qualifizieren. Ebenso sei der Verstoß gegen das Waffen- und Kriegswaffenkontrollgesetz mit den Grundsätzen des Beamtentums nicht vereinbar. Zudem sei eine Störung des Dienstbetriebes zu besorgen, wozu ausgeführt wird:

4

„Zwar tritt in meinem Hause kaum Publikumsverkehr auf. Gleichwohl handelt es sich um eine oberste Dienstbehörde. Als Ministerium stehen meine Bediensteten und ich besonders im Focus der Öffentlichkeit. Diese hat besonders hohe Erwartungen an die Verfassungs- und Gesetzestreue der Bediensteten meines Hauses. Insoweit erwarte ich und setze ich voraus, dass sich gerade meine Bediensteten besonders genau an die Verfassung und an die Gesetze halten. Unter anderem auch, weil auch in meinem Hause Gesetzesentwürfe erarbeitet werden.

5

Bereits das Bekanntwerden des Verdachts der Verletzung von Strafnormen durch einen Bediensteten meines Hauses würde den Hausfrieden erheblich stören: Meine Bediensteten würden Maßnahmen erwarten und für ein Verbleiben des Beamten im Dienst kein Verständnis aufbringen. Eine normale Zusammenarbeit ihres Mandanten mit seinen Kollegen sehe ich daher derzeit als nicht realisierbar an. Denn trotz aller Vorsichtsmaßnahmen hat sich die Durchsuchung der Diensträume unter meinen Bediensteten herumgesprochen. Zudem betreffen die Vorwürfe einen besonders sensiblen Bereich: den Schutz der Kinder und den Schutz vor unberechtigtem Einsatz von Waffen. Hier fühlt sich jeder meiner Bediensteten betroffen.

6

Die Angelegenheit ist außerdem geeignet, besonderes Aufsehen in der Öffentlichkeit zu erregen. Auch um diesem Vorzubeugen sehe ich keine andere Möglichkeit, als Ihren Mandanten vorläufig des Dienstes zu suspendieren. Hierbei kommt es nicht darauf an, dass er dienstlich grundsätzlich weder mit Kindern noch mit Waffen in Kontakt kommt. Es ist allein darauf abzustellen, dass er Bediensteter einer obersten Landesbehörde ist und die Vorwürfe einen besonders sensiblen Lebensbereich betreffen.

7

Diese Problematik würde auch nicht dadurch gemildert werden, dass Ihr Mandant Heimarbeit ausübt. Auch im Rahmen der Heimarbeit würde Ihr Mandant für mich tätig sein und nach Außen für mein Haus – und sei es auch nur gegenüber anderen Behörden und Institutionen – auftreten. Außerdem entfällt dadurch nicht die Zusammenarbeit mit den Kollegen und der Umgang mit den Dienstvorgesetzten.

8

Letztendlich bitte ich zugleich auch den damit verbundenen Schutz Ihres Mandanten zu sehen, da ich auch bei Heimarbeit Ihrs Mandanten Reaktionen meiner Bediensteten auf den bestehenden Verdacht nicht verhindern kann.“

9

II.) Der zulässige Antrag nach § 61 Abs. 2 Disziplinargesetz Sachsen-Anhalt (DG LSA) ist begründet.

10

Nach § 38 Abs. 1 Satz 1 DG LSA kann die für die Erhebung der Disziplinarklage zuständige Behörde einen Beamten gleichzeitig mit oder nach der Einleitung des Disziplinarverfahrens vorläufig des Dienstes entheben, wenn im Disziplinarverfahren voraussichtlich auf Entfernung aus dem Beamtenverhältnis erkannt wird. Ferner kann die vorläufige Dienstenthebung ausgesprochen werden, wenn durch ein Verbleiben des Beamten im Dienst der Dienstbetrieb oder die Ermittlungen wesentlich beeinträchtigt würden und die vorläufige Dienstenthebung nicht unverhältnismäßig ist (§ 38 Abs. 1 Satz 2 DG LSA). Zudem kann sie nach § 38 Abs. 2 DG LSA mit oder nach der vorläufigen Dienstenthebung anordnen, dass dem Beamten bis zu 50 v. H. der monatlichen Dienstbezüge einbehalten werden, wenn im Disziplinarverfahren voraussichtlich auf Entfernung aus dem Beamtenverhältnis erkannt werden wird.

11

Die vorläufige Dienstenthebung in der Gestalt des Bescheides vom 01.09.2014 stützt der Antragsgegner auf § 38 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 DG LSA.

12

Bei der Anordnung der Suspendierung handelt es sich nicht um eine Disziplinarmaßnahme im Sinne des Maßnahmenkataloges, sondern um eine beamtenrechtliche Maßnahme des Disziplinarrechts (Hummel/Köhler/Mayer, BDG, 5. Auflage 2012, § 38 Rz. 1). Ihre Berechtigung ergibt sich aus dem funktionalen Bedürfnis, noch vor der endgültigen Klärung des Vorliegens eines Dienstvergehens und der abschließenden Entscheidung über die angemessene Maßregelung des Beamten eine den Verwaltungsaufgaben und dem Dienstbetrieb dienende vorübergehende Sicherungsregel zu treffen.

13

1.) Die nach § 61 Abs. 2 DG LSA vom Disziplinargericht vorzunehmende Prüfung ergibt, dass die vorläufige Dienstenthebung sowie die Einbehaltung der Dienstbezüge aufzuheben sind. Denn zur Überzeugung des Disziplinargerichts bestehen ernstliche Zweifel an ihrer Rechtmäßigkeit.

14

a.) Eine auf § 38 Abs. 1Satz 1 DG LSA gestützte Verfügung über die vorläufige Dienstenthebung muss pflichtgemäßem Ermessen der Einleitungsbehörde entsprechen. Den Beamten auch nur vorläufig vom Dienst zu entheben, setzt voraus, dass ein Verbleiben des Beamten im Dienst schlechthin untragbar wäre. Dabei handelt es sich um die denkbar schwerste Sanktion für dienstliche Verfehlungen, welche nach der Rechtsprechung besondere Umstände voraussetzt. Für die konkrete Entscheidung im Einzelfall sind grundsätzlich das dienstliche Bedürfnis an der einstweiligen Fernhaltung des Beschuldigten vom Dienst und dessen Recht auf amtsentsprechende dienstliche Beschäftigung abzuwägen (vgl. dazu: Köhler/Ratz, BDO, 2. Aufl., § 91 Rz. 10: vgl. zum Ganzen: VG Magdeburg, Beschl. v. 10.02.2007, 8 B 22/06; Beschl. v. 03.03.2010, 8 B 21/09; zuletzt: Beschl. v. 31.03.2014, 8 B 2/14 und v. 26.08.2013, 8 B 13/13; Beschl. v. 27.08.2014, 8 B 13/14; OVG Lüneburg, Beschluss v. 25.03.2013, 19 ZD 4/13; alle juris).

15

Nach § 61 Abs. 2 DG LSA ist die vorläufige Dienstenthebung dann aufzuheben, wenn ernstliche Zweifel an ihrer Rechtmäßigkeit bestehen. Ernstliche Zweifel sind schon dann anzunehmen, wenn im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts offen ist, ob die Anordnung nach § 38 Abs. 1 DG LSA rechtmäßig oder rechtswidrig ist (vgl. nur: Bay. VGH, Beschl. v. 11.04.2012, 16b DC 11.985; OVG Lüneburg Beschluss vom 13.5.2005, 3 ZD 1/05; alle juris). Neben der formellen Rechtmäßigkeit der Anordnung ist somit zu prüfen, ob die in der Anordnung liegende Prognose gerechtfertigt ist, der Beamte werde im Disziplinarverfahren voraussichtlich aus dem Dienst entfernt werden.

16

Diese Prognose trägt nur dann, wenn nach dem Kenntnisstand eines Eilverfahrens die Möglichkeit des Ausspruchs der disziplinarrechtlichen Höchstmaßnahme überwiegend wahrscheinlich ist. Ist es dagegen zumindest ebenso wahrscheinlich, dass eine Entfernung des Beamten aus dem Beamtenverhältnis im Disziplinarverfahren nicht erfolgen wird, sind ernstliche Zweifel durch das Gericht zu bejahen (BVerwG, Besch. v. 16.07.2009, 2 AV 4.09; BayVGH, Beschl. v. 20.04.2011, 16b DS 10.1120;Sächs. OVG, B. 19.08.2010, D 6 B115/10 mit Verweis auf Beschluss vom 08.07.2010, D6A116/10; alle juris; Müller, Grundzüge des Beamtendisziplinarrechts, § 38 Abs. 1 BDG, 2010, Rz. 370 m. w. N.; GKÖD, Disziplinarrecht des Bundes und der Länder, § 38 BDG, Rz. 51). Anders gewendet, es müssen hinreichend gewichtige Gründe dafür sprechen, dass die Entfernung aus dem Dienst im Ergebnis des - noch durchzuführenden - Disziplinarverfahrens nicht in Betracht kommt. Dies beinhaltet eine vom Gericht vorzunehmende summarische Prüfung des zurzeit bekannten Sachverhaltes und eine daran orientierte Wahrscheinlichkeitsprognose. Hinsichtlich des zur Last gelegten Dienstvergehens genügt die Feststellung, dass der Beamte dieses Dienstvergehen mit einem hinreichenden Grad an Wahrscheinlichkeit begangen hat; nicht erforderlich ist, dass das Dienstvergehen bereits in vollem Umfang nachgewiesen ist (vgl. BVerwG, Beschl. v. 29.09.1997, 2 WDB 3.97; OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 22.09.2009, 83 DB 1.09; OVG des Saarlandes, Beschl. v. 17.06.2009, 6 B 289/09; alle juris).

17

Die Beurteilung im Verfahren nach § 61 DG LSA erfordert keine gesonderten Beweiserhebungen, sondern ist in der Lage, in der sich das Disziplinarverfahren jeweils befindet, anhand der bis dahin zu Tage getretenen Tatsachen zu treffen. Für eine vorläufige Dienstenthebung können u. U. selbst durch Aktenvermerke untermauerte Erkenntnisse ausreichen (vgl. Müller a. a. O.). Dabei ist auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abzustellen (BVerwG, Beschl. v. 22.07.2002, 2 WDB 1.02; OVG Berlin-Brandenburg; Beschl. v. 18.08.2005, 80 SN 1.05; Bay VGH, Beschl. v. 11.04.2012, 16b DCV 11.985; alle juris). Jedoch muss für die gerichtliche Überprüfung der vorläufigen Dienstenthebung maßgeblich auf die von dem Dienstherrn in dem Bescheid herangezogenen Gründe der Pflichtenverletzung abgestellt werden. Ähnlich wie bei der Bestimmtheit des Tatvorwurfs als inhaltliche Anforderung an die - spätere - Disziplinarklageschrift, müssen die Sachverhalte, aus denen das Dienstvergehen hergeleitet wird, aus sich heraus verständlich und nachvollziehbar geschildert werden. Ort und Zeit der einzelnen Handlungen müssen möglichst genau angegeben, die Geschehensabläufe nachvollziehbar beschrieben werden (vgl. nur: BVerwG, Urteile v. 23.11.2006, 1 D 1.06, v. 25.01.2007, 2 A 3.05; Beschlüsse v. 13.03.2006, 1 D 3.06, v. 18.11.2008, 2 B 63.08 und v. 21.04.2010, 2 B 101.09; alle juris). Nur diese können durch das Disziplinargericht im Rahmen der Würdigung durch Akteninhalte und sonstige - evtl. auch später, im Laufe des Verfahrens nach § 61 DG LSA hinzutretende - Erkenntnisse untermauert werden, um so die Prognoseentscheidung, das heißt die Ausübung des ordnungsgemäßen Ermessens durch den Dienstherrn, zu überprüfen (VG Magdeburg, Beschl. v. 12.06.2012, 8 B 5/12, juris). Hingegen ist es dem Disziplinargericht verwehrt, anstelle der Disziplinarbehörde eine eigene Ermessenserwägung anzustellen (OVG Saarland, Beschluss v. 18.05.2011, 6 B 211/11; juris).

18

a. a.) Welche Disziplinarmaßnahme im Einzelfall erforderlich ist, richtet sich gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 und 3 DG LSA nach derSchwere des Dienstvergehens und des unter Berücksichtigung der Persönlichkeit des Beamten eingetretenen Umfangs der durch das Dienstvergehen herbeigeführten Vertrauensbeeinträchtigung. § 13 Abs. 2 DG LSA bestimmt, dass ein Beamter, der durch ein schweres Dienstvergehen das Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit endgültig verloren hat, aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen ist (Satz 1). Die Feststellung des verloren gegangenen Vertrauens ist verwaltungsgerichtlich voll inhaltlich nachprüfbar (Satz 2).

19

Demnach ist maßgebendes Bemessungskriterium für die Bestimmung der Disziplinarmaßnahme die Schwere des Dienstvergehens. Sie beurteilt sich zum einen nach der Eigenart und Bedeutung der verletzten Dienstpflichten, Dauer und Häufigkeit der Pflichtenverstöße und den Umständen der Tatbegehung (objektive Handlungsmerkmale) und zum anderen nach Form und Gewicht des Verschuldens und den Beweggründen des Beamten für sein pflichtwidriges Verhalten (subjektive Handlungsmerkmale) sowie nach den unmittelbaren Folgen der Pflichtenverstöße für den dienstlichen Betrieb und für Dritte (vgl. zum gleichlautenden § 13 BDG, BVerwG, Urt. v. 20.10.2005, 2 C 12.04; Urt. v. 03.05.2007, 2 C 9.06; B. v. 10.09.2010, 2 B 97/09; VGH Baden-Württemberg, U. v. 16.09.2010, DL 16 S 579/10; alle juris).

20

Erst bei Würdigung der Gesamtpersönlichkeit des Beamten lässt sich mit der gebotenen Sicherheit beurteilen, ob der Beamte aus disziplinarrechtlicher Sicht noch erziehbar erscheint oder ob hierfür eine bestimmte Disziplinarmaßnahme als notwendig, aber auch als ausreichend erscheint, oder ob der Beamte für die Allgemeinheit und den Dienstherrn untragbar geworden ist und deshalb seine Entfernung aus dem Beamtenverhältnis geboten ist (vgl. nur: VG Magdeburg, U. v. 04.11.2009, 8 A 19/08 m. w. N.; juris).

21

Eine objektive und ausgewogene Zumessungsentscheidung setzt demnach voraus, dass die gegen den Beamten ausgesprochene Disziplinarmaßnahme unter Berücksichtigung der belastenden und entlastenden Umstände des Einzelfalls in einem gerechten Verhältnis zur Schwere des Dienstvergehens und zum Verschulden des Beamten steht und gewisse Besonderheiten des Einzelfalls mildernd zu berücksichtigen sind (vgl. BVerfG, Beschl. v. 08.004, 2 BvR 52/02; BVerwG, U. v. 14.02.2007, 1 D 12.05 mit Verweis auf Urteil vom 20.10.2005, 2 C 12.04; OVG Lüneburg, U. v. 20.11.2009, 6 LD 1/09; VGH Bad.-Württ., U. v. 16.09.2010, DL 16 S 579/10; VG Saarland, U. v. 17.09.2010, 7 K 238/09; alle juris).

22

b. b.) Unter diesen rechtlichen Prüfungsvoraussetzungen folgt die Disziplinarkammer nach dem derzeitigen, sich aus der Begründung der Suspendierung, dem Aktenmaterial und dem Vorbringen der Beteiligten ergebenden Sach- und Rechtsstand nicht der von dem Antragsgegner angestellten Prognoseentscheidung. Danach ist gegenwärtig nicht mit der überwiegenden Wahrscheinlichkeit davon auszugehen ist, dass prognostiziert werden kann, bei sich bei Fortgang der Ermittlungen ergibt, dass der Antragsteller ein derart schweres Dienstvergehen begangen hat, welches aufgrund des damit einhergehenden Verlustes des Vertrauens des Dienstherrn oder der Allgemeinheit zu seiner Entfernung aus dem Dienst führt.

23

Der Antragsgegner stützt die vorläufige Dienstenthebung maßgeblich darauf, dass der Antragsteller gegen die „Dienstleistungspflicht und die Pflicht zum achtungswürdigen und vertrauensgerechten Verhalten“ verstoßen habe. Ist „Dienstleistungspflicht“ eher in Bezug auf das Erscheinen zum Dienst und die ordnungsgemäße äußere Dienstausübung anzusehen, meint der Antragsgegner wohl die beamtenrechtlichen Grundpflichten nach § 34 Satz 3 Beamtenstatusgesetz (BeamtStG), wonach das Verhalten des Beamten der Achtung und dem Vertrauen gerecht werden muss, die der Beruf erfordert (Wohlverhaltenpflicht). Diese Pflicht ist generell verletzt, wenn der Beamte strafrechtlich in Erscheinung tritt. Ob diese beamtenrechtliche Pflichtverletzung zugleich notwendig zur Entfernung aus dem Dienst führt, hängt maßgeblich von dem strafrechtlichen Unrechtsgehalt der verwirklichten Straftatbestände und dem Umstand ab, ob es sich um inner- oder außerdienstliche Dienstvergehen handelt. Dabei ist nach der Rechtsprechung unter anderem auf den Strafrahmen abzustellen, welcher nach § 22a Abs. 1 Nr. 3 Kriegswaffenkontrollgesetz bis zu 5 Jahren und im Fall des Absatz 3 bis zu 3 Jahren beträgt. Verbreitung, Erwerb und Besitz kinderpornografischer Schriften ist nach § 184b StGB mit bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe belegt.

24

c. c.) Dem Disziplinargericht erscheint es auch vor diesem Hintergrund der durchaus im Raum stehenden schweren Dienstpflichtverletzungen nach augenblicklichem Kenntnisstand jedoch nicht hinreichend ausermittelt, dass der Antragsteller diese Straftatbestände auch tatsächlich verwirklicht bzw. die daraus resultierenden Dienstpflichten verletzt hat um mit der notwendigen – eingangs beschriebenen – Wahrscheinlichkeit die verlässliche Prognose der Entfernung aus dem Dienst stellen zu können. Vorliegend hat der Antragsgegner bereits tags nach der Durchsuchung der Diensträume und dem Bekanntwerden des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens das Disziplinarverfahren eingeleitet und die streitbefangene Verfügung erlassen, wobei diese isoliert betrachtet, nicht hinreichend begründet erscheint und gerade keine Abwägung und Prognose beinhaltet. Nur durch die hinzutretenden Ausführungen in dem späteren Bescheid vom 01.09.2014 ist eine hinreichende Begründung gegeben. Während es für die Einleitung eines Disziplinarverfahrens nach § 17 DG LSA ausreicht, dass Tatsachen bekannt werden, die den Verdacht eines Dienstvergehens rechtfertigen (vgl. VG Magdeburg, Urteil v. 13.012, 8 A 7/11; juris) reicht dieser Anfangsverdacht für die nach § 38 DG LSA verhängten Maßnahmen der vorläufigen Dienstenthebung und der Einbehaltung von Bezügen gerade nicht aus. Je weniger der den Verdacht begründende Sachverhalt in seinen Einzelheiten bekannt ist, desto mehr muss mit dem Vorliegen von Ausnahmeumständen gerechnet werden (Hummel/Köhler/Mayer, BDG, 5. Auflage 2012, § 38 Rz. 3). Diese unterschiedlichen Zielrichtungen übersieht der Antragsgegner. Auch wenn er in dem Schriftsatz vom 10.02.2015 ausführt, dass ein Durchsuchungsbeschluss aufgrund einer richterlichen Anordnung ergeht und der Richter den Tatverdacht anhand der Aktenlage prüft und tatsächliche Anhaltspunkte für die Begehung einer Straftat vorliegen müssen, ändert dies nichts an dem andersartigen disziplinarrechtlichen Prognosemaßstab zur Wahrscheinlichkeit des späteren Ausspruchs der Entfernung aus dem Dienst. Anderenfalls könnte gleichsam mit der Einleitung strafrechtlicher Ermittlungen stets die Suspendierung ausgesprochen werden. Gerade dies sieht das Disziplinarrecht nicht vor.

25

Der Antragsgegner führt selbst noch in der Antragserwiderung vom (wohl) 19.014 aus, dass man sich bemüht habe, weitere umfangreichere Auskünfte von den Ermittlungsbeamten zu erhalten. Dem Vorschlag der Kriminalpolizei eine schriftliche Anfrage an die Staatsanwaltschaft Hannover zu stellen, wurde unter dem 24.06.2014 gefolgt. Eine Antwort steht aus und der Antragsgegner führt aus, dass er davon ausgehen musste, dass vor Abschluss der Ermittlungen keine Auskünfte erteilt werden. Die sodann vom Antragsgegner gezogene Schlussfolgerung, dass „gleichwohl […] ein weiteres Zuwarten nicht zumutbar [war]“ (Schriftsatz vom 19.014, S. 5 unten), lässt die Abwägung hinsichtlich der Auswirkungen des durch die nach § 38 DG LSA dem Beamten gegenüber vorgenommenen Eingriffe nicht hinreichend erkennen. Denn auch diese im Zeitpunkt des gerichtlichen Verfahrens vorgenommene Abwägung beruht auf Mutmaßungen bzw. nicht belastbaren, weil unreflektiert gegebenen Informationen der Ermittlungsorgane. Der Antragsgegner wertet diese zudem nicht ausreichend und bewegt sich überwiegend im Rahmen der Spekulation. So bezieht sich der Antragsgegner auf eine E-Mail der Kriminalpolizei A-Stadt vom 04.04.2014 (Beiakte A, Bl. 11, f,), wonach im Rahmen der Hausdurchsuchung „eine Vielzahl von Kriegswaffen sichergestellt“ worden seien. Der Kriminalbeamte führt aber weiter aus: „Eine abschließende rechtliche Würdigung dieser Waffen kann erst nach gutachterlicher Stellungnahme erfolgen, da es sich vermutlich ehemals um Dekorationswaffen, bzw. zivile Ausführungen, gehandelt hat. […] Bei den sichergestellten Waffen wurden diese Rückbauten zumindest in Teilbereichen revisioniert – durch Herrn A. -, so dass es wieder zu Teilfunktionen gekommen ist. Ob es wieder zu einer Vollfunktion gekommen ist, bleibt den Gutachtern vorbehalten. Aber auch eine rechtliche Einstufung als Kriegswaffe, trotz Funktionseinschränkungen, wäre denkbar.“ Diese entscheidenden weiteren Ausführungen zu dem Abwarten der Ermittlungs- und Gutachterergebnissen lässt der Antragsgegner vollständig unberücksichtigt. Verwertbar steht bislang allein fest, dass der Antragsteller bei dem Waffenhändler in Essen ein Verschlussteil für ein Maschinengewehr erworben hat. Auch in der E-Mail vom 23.06.2014 (Beiakte A, Bl. 108) geht die PI A-Stadt davon aus, dass erst noch Untersuchungsaufträge erteilt werden müssen. Nach deren Ergebnis hat der Antragsgegner nicht erkundigt.

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Gleiches gilt für den Vorhalt des Verstoßes nach § 184b StGB. Fest steht, dass bei dem Antragsteller im Rahmen eines Zufallsfundes „eine Bilddatei“ mit kinderpornografischen Inhalt gefunden wurde und daraufhin weiter ermittelt wird. Auch hier liegen noch keine Ermittlungsergebnisse vor. Gleichwohl wird in dem Bescheid vom 01.09.2014 ausgeführt, dass auf Nachfrage bei dem Ermittlungsbeamten mitgeteilt worden sei, dass die Auswertung der Datenträger noch andauere, man sich nun mittlerweile in einem „mittleren vierstelligen Bereich bewegen“ würde. Allein der Hinweis darauf, dass der Antragsgegner Kenntnis davon erlangte, das gegen den Antragsteller wegen Kinderpornografie ermittelt wird, reicht als Tatsachengrundlage für eine sachgerechte Prognose, welche Disziplinarmaßnahme zu erwarten ist, gerade nicht aus. Denn dazu müssen Anzahl der Bilder, die Häufigkeit des Herunterladens sowie die in den Bilden und Videos hinsichtlich ihrer Ausführungsart dargestellten sexuellen Handlungen ausgewertet werden (BVerwG, Urteil v. 19.08.2010, 2 C 13.10; vgl. zu einem einmaligen innerdienstlichen Herunterladen kinderpornografischer Inhalte; BayVGH, Urteil v. 17.11.2011, 16a D 10.2504; zusammenfassend: VG Magdeburg, Urteil v. 05.06.2013, 8 A 10/12, alle juris). Allein die Information in der E-Mail der PI A-Stadt vom 23.06.2014 (Beiakte A, Bl. 108) dahingehend, „die Auswertung der Datenträger dauert an; i. S. Kinderpornografie bewegen wir uns mittlerweile im vierstelligen Bereich“ trägt nicht zur Erhellung des im Raume stehenden Vorwurfs bei.

27

b.) Die ebenso auf § 38 Abs. 1Satz 2 DG LSA gestützte Suspendierung hält der Überprüfung nach § 61 Abs. 2 DG LSA nicht stand. Auch insoweit bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit. Die vom Antragsgegner angeführten Gründe sind nicht geeignet zu verdeutlichen, dass durch ein Verbleiben des Antragstellers im Dienst der Dienstbetrieb wesentlich beeinträchtig wäre. Die Maßnahme darf mit Blick auf die Bedeutung der Sache und zu erwartende Disziplinarmaßnahme nicht außer Verhältnis stehen. Die pauschale Begründung, die Dienstenthebung rechtfertige sich aus der zu erwartenden Höchstmaßnahme oder eine Weiterbeschäftigung komme bis zum rechtskräftigen Abschluss des Disziplinarverfahrens nicht in Betracht, um eine Gefährdung oder Störung dienstlicher Belange zu vermeiden, genügt nicht. Es bedarf der Darlegung der besonderen Umstände für die Störung des Dienstbetriebes. Die vorläufige Dienstenthebung erweist sich dann als ermessensgerecht und verhältnismäßig, wenn ohne diesen Eingriff der Dienstbetrieb oder die ordnungsgemäße Tätigkeit der Verwaltung durch die Anwesenheit des Beamtenempfindlich gestört oder in besonderem Maße gefährdet wäre (vgl. BVerwG, Beschl. v. 01.09.2000, 1 DB 16.00; Beschl. v. 04.01.1996, 1 DB 16.95; Hummel/Köhler/Mayer, BDG, 5. Auflage 2012, § 38 Rz. 4).

28

Vorliegend macht der Antragsgegner zwar diesbezüglich umfassende – oben unter I, wiedergegebene – Ausführungen; gleichwohl tragen diese zur Überzeugung des Gerichts nicht. Denn der Antragsgegner argumentiert pauschal, dass der dem Antragsteller vorgehaltene Unrechtsgehalt der strafrechtlichen Delikte zur Störung des Dienstbetriebes führe. Er unterlässt jedwede konkrete Subsumtion zu den gegebenen Besonderheiten und dem Stadium des Verfahrens, dass konkrete und belastende Ermittlungsergebnisse gerade noch nicht vorliegen.

29

Eine wesentliche Beeinträchtigung des Dienstbetriebes ist vor allem dann zu besorgen, wenn auf Grund von Umständen, die mit dem mutmaßlich begangenen Dienstvergehen in Zusammenhang stehen, eine gedeihliche, der Dienstverrichtung dienende Zusammenarbeit mit dem Beamten gefährdet ist und herunter die Aufgabenerledigung ernsthaft leiden kann. Anhaltspunkte hierfür können sich aus den bereits eingetretenen Folgen des mutmaßlichen Dienstvergehens ergeben. Auswirkungen auf den Dienstbetrieb sind weiterhin zu befürchten, wenn aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte mit einer Fortsetzung der Begehung des Dienstvergehens zu rechnen ist (OVG Lüneburg, Beschl. v. 25.03.2013, 19 ZD 4/13, juris).

30

So wäre für ein notwendiges Fernhalten des Antragstellers vom Dienst von Belang, ob er mit dem dienstlichen Inventar oder aus den dienstlichen Räumen heraus die vorgehaltenen Straftaten begangen hat. Gleiches gilt, wenn zu befürchten ist, dass der Beamte im Dienst aufgrund der ihm dienstlich zur Verfügung stehenden Mittel erneut auffällig wird. Der Antraggegner geht insoweit von dem Idealfall aus, dass die Taten bewiesen sind und damit zur Stigmatisierung führen. Er berücksichtigt nicht, dass jedwede bekanntgewordenen straf- oder disziplinarrechtlichen Ermittlungen gegen einen Beamten die Gefahr bedeuten, dass diese Tatsachen negative Auswirkungen auf den Dienstbetrieb auch und gerade eines Ministeriums haben. Es ist zwar nicht ausgeschlossen, dass es Fälle gibt, in denen aufgrund der Natur und des Gewichts des vorgeworfenen Dienstvergehens sowie des vom Beamten bekleideten Amtes zugleich ohne weitere Darlegungen eine wesentliche Beeinträchtigung des Dienstbetriebes ersichtlich ist. Diese allgemeine abstrakte Befürchtung ist aber mit dem Tatbestand des § 38 Abs. 1 Satz 2 DG LSA nicht gemeint. Denn ansonsten würden jedwede (strafrechtliche) Ermittlungen die Suspendierung rechtfertigen.

31

Hinzu kommt, dass der Antragsgegner die Tatsche der vom Antragsteller vorgenommenen Heimarbeit nicht hinreichend würdigt. Ausweislich des ärztlichen Attestes vom 04.07.2013 befindet sich der Antragsteller wohl für den Zeitraum von zwei Jahren in der Wiedereingliederung mit zwei Präsenstagen in der Woche am Dienstort in B-Stadt und an drei Tagen in Heimarbeit. Danach kann man die Präsenz am Dienstort vernachlässigen. Denn nur in Bezug darauf kann die Störung des Dienstbetriebes ernsthaft gesehen, geprüft und abgewogen werden. Der Antragsgegner argumentiert vielmehr damit, dass der Antragsteller auch in Heimarbeit für ihn tätig werde und gegenüber anderen Stellen auftrete. Diese Argumentation zielt aber darauf, sich vor einem Ansehensverlustes zu schützen, was aber nicht mit der „Störung des Dienstbetriebes“ ohne weiteres gleichzusetzen ist.

32

Schließlich berücksichtigt der Antragsgegner nicht hinreichend die weitere Tatbestandsvoraussetzung nach § 38 Abs. 1 Satz 2 DG LSA, nämlich dass die vorläufige Dienstenthebung zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Disziplinarmaßnahme nicht außer Verhältnis steht. Diese Verhältnismäßigkeit kann aber nach den Ausführungen zu § 38 Abs. 1 Satz 1 DG LSA gerade nicht angenommen werden. Denn aufgrund des derzeit offenen und nicht hinreichend bekannten Ergebnisses des Ermittlungsverfahrens, kann der Ausspruch der disziplinarrechtlichen Höchstmaßnahme bei Fortgang der Ermittlungen derzeit gerade nicht mit der notwendigen Wahrscheinlichkeit prognostiziert werden.

33

2.) Aufgrund der derzeit fehlenden Wahrscheinlichkeit zum späteren Ausspruch der Entfernung aus dem Dienst, bestehen auch hinsichtlich der nach § 38 Abs. 2 DG LSA verfügten Einbehaltung der Dienstbezüge ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit im Sinne des § 61 Abs. 2 DG LSA, was zur Aufhebung führt. Dazu darf bemerkt werden, dass die Ausschöpfung der vom Gesetz vorgegeben Obergrenze von 50 % auch unter Beachtung der fehlenden Mitwirkung des Beamten zur Offenlegung seiner finanziellen Situation unter Gründen der Verhältnismäßigkeit als grenzwertig anzusehen ist. Denn der Einbehaltung darf kein Strafcharakter zukommen.

34

3.) Abschließend weist das Gericht darauf hin, dass der Dienstherr den durch die Einleitung des Disziplinarverfahren zur Kenntnis gelangten Lebenssachverhalt stetig unter Kontrolle zu halten, das Disziplinarverfahren daher zügig zu betreiben und abzuschließen oder wegen der strafrechtlichen Ermittlungen auszusetzen und auch die Voraussetzungen der vorläufigen Dienstenthebung und Einbehaltung der Dienstbezüge aktuell zu prüfen hat (vgl. § 38 Abs. 4 DG LSA). Dies bedeutet gerade, dass es bei Fortgang der Ermittlungen und Bekanntgabe deren Ergebnisse nicht ausgeschlossen erscheint, die sodann verlässliche Prognose der Voraussetzungen nach § 38 Abs. 1 DG LSA zu stellen und eine erneute Verfügung zu erlassen.

35

4.) Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 72 Abs. 4, 73 Abs. 1 DG LSA, 154 Abs. 1 VwGO.


(1) Die für die Erhebung der Disziplinarklage zuständige Behörde kann einen Beamten gleichzeitig mit oder nach der Einleitung des Disziplinarverfahrens vorläufig des Dienstes entheben, wenn im Disziplinarverfahren voraussichtlich auf Entfernung aus dem Beamtenverhältnis oder auf Aberkennung des Ruhegehalts erkannt werden wird oder wenn bei einem Beamten auf Probe oder einem Beamten auf Widerruf voraussichtlich eine Entlassung nach § 5 Abs. 3 Satz 2 dieses Gesetzes in Verbindung mit § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 oder § 37 Abs. 1 Satz 1 des Bundesbeamtengesetzes erfolgen wird. Sie kann den Beamten außerdem vorläufig des Dienstes entheben, wenn durch sein Verbleiben im Dienst der Dienstbetrieb oder die Ermittlungen wesentlich beeinträchtigt würden und die vorläufige Dienstenthebung zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Disziplinarmaßnahme nicht außer Verhältnis steht.

(2) Die für die Erhebung der Disziplinarklage zuständige Behörde kann gleichzeitig mit oder nach der vorläufigen Dienstenthebung anordnen, dass dem Beamten bis zu 50 Prozent der monatlichen Dienst- oder Anwärterbezüge einbehalten werden, wenn im Disziplinarverfahren voraussichtlich auf Entfernung aus dem Beamtenverhältnis oder auf Aberkennung des Ruhegehalts erkannt werden wird. Das Gleiche gilt, wenn der Beamte im Beamtenverhältnis auf Probe oder auf Widerruf voraussichtlich nach § 5 Abs. 3 Satz 2 dieses Gesetzes in Verbindung mit § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 oder § 37 Abs. 1 Satz 1 des Bundesbeamtengesetzes entlassen werden wird.

(3) Die für die Erhebung der Disziplinarklage zuständige Behörde kann gleichzeitig mit oder nach der Einleitung des Disziplinarverfahrens anordnen, dass dem Ruhestandsbeamten bis zu 30 Prozent des Ruhegehalts einbehalten werden, wenn im Disziplinarverfahren voraussichtlich auf Aberkennung des Ruhegehalts erkannt werden wird.

(4) Die für die Erhebung der Disziplinarklage zuständige Behörde kann die vorläufige Dienstenthebung, die Einbehaltung von Dienst- oder Anwärterbezügen sowie die Einbehaltung von Ruhegehalt jederzeit ganz oder teilweise aufheben.

Tenor

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 6. März 2009 - 7 L 23/09 - wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragstellerin.

Gründe

Die gemäß § 67 Abs. 1 und Abs. 3 SDG i.V.m. § 146, 147 VwGO statthafte Beschwerde, die fristgerecht erhoben und begründet wurde (§ 67 Abs. 3 SDG i.V.m. § 147 Abs. 1, 146 Abs. 4 VwGO) bleibt in der Sache ohne Erfolg.

Zu Recht hat das Verwaltungsgericht den gemäß § 63 Abs. 1 Satz 1 SDG zulässigen Antrag auf Aussetzung der mit Bescheid des Antragsgegners vom 17.12.2008 angeordneten vorläufigen Dienstenthebung der Antragstellerin mangels ernstlicher Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides (§ 63 Abs. 2 SDG) zurückgewiesen.

Dem Verwaltungsgericht ist darin zuzustimmen, dass im konkreten Disziplinarverfahren und nach dem derzeitigen, im vorliegenden Verfahren zugrunde zu legenden Sach- und Streitstand eine überwiegende Wahrscheinlichkeit die Prognose rechtfertigt, dass gegenüber der Antragstellerin die Verhängung der Höchstmaßnahme zu erwarten ist.

Die im Beschwerdeverfahren vorgetragenen Einwendungen führen nicht zu einer abweichenden Einschätzung. Bei dem aktuell erkennbaren Sach- und Streitstand

zur Maßgeblichkeit des Zeitpunkts der gerichtlichen Entscheidung vgl. BayVGH, Beschluss vom 13.11.2008 - 16b DS 08.704 - zitiert nach Juris

ist davon auszugehen, dass der hinreichende Verdacht besteht, dass die Antragstellerin ein - innerdienstliches - Dienstvergehen begangen hat, das mit überwiegender Wahrscheinlichkeit die Verhängung der Höchstmaßnahme erfordern wird (§ 38 Abs. 1 SDG). Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der vorläufigen Dienstenthebung (§ 63 Abs. 2 SDG) bestehen nach wie vor nicht.

Zunächst ist dem Verwaltungsgericht darin zuzustimmen, dass nach Aktenlage derzeit alles dafür spricht, dass die Antragstellerin ein schweres Dienstvergehen begangen hat, indem sie ab März 2008 zu einem Strafgefangenen eine persönliche Beziehung unterhielt und indem sie die insoweit bestehenden Melde- und Offenbarungspflichten gegenüber der Anstaltsleitung nicht erfüllte.

Die Antragstellerin bestreitet das Vorliegen einer persönlichen Beziehung nicht, hält der Argumentation des Verwaltungsgerichts aber entgegen, es stelle schon einen Fehler dar, bei dieser Beurteilung die objektiv in der Vergangenheit vorhanden gewesene Beziehung zu dem Strafgefangenen in zwei Abschnitte zu unterteilen, ohne Aussagen zu den vorgetragenen subjektiven Tatbestandsmerkmalen zu machen.

Der Einwand ist nicht gerechtfertigt. Weder ist die vorgenommene Strukturierung des Sachverhalts zu beanstanden, noch liegt eine nicht ausreichende Berücksichtigung der vorgetragenen subjektiven Umstände vor.

Die vom Verwaltungsgericht vorgenommene zeitliche Abschnittsbildung knüpft im Gegenteil gerade an die von der Antragstellerin geltend gemachten subjektiven Umstände an. Entsprechend den von der Antragstellerin vorgetragenen unterschiedlichen subjektiven Merkmalen der unstreitig von Februar/März 2008 bis Ende Oktober 2008 existent gewesenen Beziehung zwischen ihr und dem Strafgefangenen unterscheidet das Verwaltungsgericht einen ersten Abschnitt der Beziehung von Februar/März 2008 bis etwa Juni/Juli 2008, bei dem es sich um ein einvernehmliches (freiwilliges) Verhältnis mit Merkmalen von Verliebtheit gehandelt habe, und einen zweiten Abschnitt von etwa Juni/Juli 2008 bis Ende Oktober 2008, bei dem es sich um ein unfreiwilliges Verhältnis gehandelt habe, welches die Antragstellerin nur fortgeführt habe, weil sie von dem Strafgefangenen unter Druck gesetzt worden sei.

Zugunsten der Antragstellerin wird damit - ebenso wie in dem Bescheid des Antragsgegners vom 17.12.2008 - bei einem hinsichtlich der subjektiven Merkmale der Beziehung im zweiten Abschnitt noch nicht abschließend geklärten Sachverhalt nur deren eigene Sachverhaltsdarstellung als entscheidungsrelevant zugrunde gelegt.

Zu Recht hat das Verwaltungsgericht auf dieser Sachverhaltsgrundlage - differenziert nach den Zeitabschnitten - sowohl einen vorsätzlichen Verstoß gegen die sogenannte Wohlverhaltenspflicht gemäß § 68 Satz 3 des Saarländischen Beamtengesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 27. Dezember 1996 (Amtsbl. 1997 S. 301), zuletzt geändert durch das Gesetz vom 19. November 2008 (Amtsbl. S. 1930) - gültig bis zum 31.3.2009 - (SBG a.F.), als auch vorsätzliche Verstöße gegen die Pflicht zur Zurückhaltung gegenüber einem Strafgefangenen und gegen die Meldepflicht gemäß § 69 Satz 2 SBG a.F. i.V.m. Nr.1, Nr. 2 Abs. 1 und Nr. 9 der Dienst- und Sicherheitsvorschriften für den Strafvollzug (DSVollz) angenommen und das Vorliegen von Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgründen - auch hier differenziert nach den beiden Zeitabschnitten - verneint.

Insbesondere hinsichtlich der Berücksichtigung der von der Antragstellerin im Beschwerdeverfahren thematisierten subjektiven Umstände ist dem Verwaltungsgericht darin zuzustimmen, dass auch eine tatsächliche Verliebtheit in dem ersten, nach ihrer eigenen Darstellung von Freiwilligkeit und Zuwendung seitens der Antragstellerin geprägten ersten Abschnitt der Beziehung keine Rechtfertigung oder Entschuldigung der Verletzung der Dienstpflichten zur Wahrung der Distanz und zur Meldung und Offenbarung gegenüber der Anstaltsleitung zur Folge haben konnte. Gerade für den ersten Abschnitt der Beziehung in der Zeit von Februar/März 2008 bis Juni/Juli 2008 ist derzeit kein Grund ersichtlich, welcher es der Antragstellerin unmöglich gemacht oder unzumutbar erschwert haben könnte, die dienstpflichtgemäße Handlungsalternative der Wahrung des Distanzgebotes gegenüber dem Gefangenen zu wählen. Ebenso war es weder unmöglich noch unzumutbar, die dienstpflichtgemäße Handlungsalternative der Meldung und Offenbarung der Vorgänge gegenüber ihren Vorgesetzten zu wählen.

Zwar hat die Antragstellerin in der Beschwerdebegründung ausgeführt, sie habe „zu Beginn der Beziehung unter einem hohen psychischen Druck“ gestanden. Auch hat sie in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht eine psychologisch-psychotherapeutische Stellungnahme des behandelnden Psychotherapeuten vom 12.1.2009 vorgelegt. Es ist aber weder nach dem Vortrag der Antragstellerin noch nach der Aktenlage im Übrigen noch nach der psychologisch-psychotherapeutischen Stellungnahme vom 12.1.2009 auch nur ansatzweise nachvollziehbar, inwieweit die Antragstellerin bereits „zu Beginn der Beziehung“, d.h. im Februar/März 2008 unter einem hohen, erst recht unter einem ihre Wahl- und Willensfreiheit ausschließenden psychischen Druck gestanden haben könnte. Nach der eigenen Darstellung der Antragstellerin gestaltete sich vielmehr gerade der erste Abschnitt ihrer Beziehung zu dem Strafgefangenen über einen Zeitraum von immerhin drei bis vier Monaten positiv im Sinne von Zuwendung und Verliebtheit („mit dem Austausch von Zärtlichkeiten und Briefen“).

Die vorgelegte psychologisch-psychotherapeutische Stellungnahme vom 12.1.2009 hat aus der Sicht des Senats zunächst für die Beurteilung des psychischen Zustandes der Antragstellerin „zu Beginn der Beziehung“ keinen hinreichenden Erkenntniswert. Zum einen lassen die inhaltlichen Ausführungen zu dem psychischen Zustand der Antragstellerin eine zeitliche Zuordnung desselben nicht zu. Und zum anderen bestehen durchgreifende Zweifel daran, dass der Stellungnahme eine annähernd realistische Sachverhaltsschilderung im Therapiekontext zugrunde lag.

Im Rahmen seiner Ausführungen thematisiert der Psychologe zunächst die Vorbehandlung der Antragstellerin, die wegen außerdienstlicher Ereignisse im Jahre 2005 zu einem nicht genannten Zeitpunkt aufgenommen wurde. Hierzu sind - ebenfalls ohne zeitlichen Bezug - verschiedene Diagnosen genannt. Von einer Psychotherapie wird berichtet, die aber „im Frühjahr 2008“ unterbrochen wurde. Zur Einschätzung der hier relevanten Geschehnisse ist ohne Hinweis darauf, wann die Behandlung wieder aufgenommen wurde, und damit, aus welcher zeitlichen Perspektive der hier relevante Zeitraum vom Februar/März bis Oktober 2008 therapeutisch bearbeitet wurde, ausgeführt, im „letzten Frühjahr“ sei die Antragstellerin „von einem Gefangenen missbräuchlich in eine nähere Beziehung manipuliert worden“. Wegen der vorhandenen psychischen Defizite sei die Antragstellerin „den Manipulationen und Erpressungen, die das Ziel der psychischen und dann auch körperlichen Vergewaltigung gehabt hätten, hilflos ausgeliefert gewesen“. Es sei „von Anfang an zu Retraumatisierungen“ gekommen, weshalb die Antragstellerin für ihr Verhalten nicht verantwortlich zu machen sei.

Diese Darstellung lässt jede Differenzierung nach den von der Antragstellerin selbst gegenüber der Anstaltsleiterin Ende Oktober 2008 dargestellten unterschiedlichen Zeitabschnitten der Beziehung zu dem Strafgefangenen vermissen und legt die Einschätzung nahe, dass - im therapeutischen Kontext verständlich und nachvollziehbar - Grundlage der Stellungnahme eine aus der Ex-post-Perspektive der Antragstellerin Ende 2008/Anfang 2009 erfolgte Sachverhaltsdarstellung war, in der nur noch die Umstände gegen Ende des zweiten Abschnitts der Beziehung, als diese - nach den Angaben der Antragstellerin - durch Druck und Zwang geprägt war, thematisiert wurden.

Danach spricht weiterhin gerade die Betrachtung des ersten Abschnitts der Beziehung dafür, dass die Antragstellerin ohne Einschränkung ihrer Wahl- und Willensfreiheit eine bewusste Entscheidung gegen die Erfüllung der oben genannten Dienstpflichten durch Eingehung, Aufrechterhaltung und Verheimlichung der Beziehung zu dem Strafgefangenen getroffen hat.

Im zweiten Abschnitt der Beziehung der Antragstellerin zu dem Strafgefangenen dürfte sich - ausgehend von der Sachverhaltsdarstellung der Antragstellerin - der psychische Druck auf sie zwar kontinuierlich erhöht haben. Nachvollziehbar wurde es für sie immer schwieriger, das Distanzgebot in Ansehung des von dem Strafgefangenen aufgebauten Druckes einzuhalten und die ursprünglichen wie die laufenden Dienstpflichtverletzungen und deren Folgen ihren Vorgesetzten zu offenbaren. Gleichwohl bestehen - jedenfalls nach den nur eingeschränkten Erkenntnismöglichkeiten des vorliegenden Verfahrens - keine ernstlichen Zweifel daran, dass ein die Wahl- und Willensfreiheit ausschließender Zustand nicht gegeben war. Letztlich hat sich gezeigt, dass die Steuerungsfähigkeit der Antragstellerin selbst im Endstadium des Abschnitts 2 der Beziehung nach der (erzwungenen) Ausführung des Geschlechtsverkehrs noch so weit erhalten war, dass eine letzte Grenzziehung und schließlich auch die Offenbarung gegenüber der Anstaltsleitung möglich war.

Auch für diesen zweiten Zeitabschnitt führt die vorgelegte psychologisch-psychotherapeutische Stellungnahme vom 12.1.2009 derzeit nicht zu durchgreifenden Zweifeln an der Steuerungsfähigkeit der Antragstellerin.

Zwar hat es den Anschein, als ob die darin getroffenen Aussagen dem zweiten Abschnitt, insbesondere der Endphase des zweiten Abschnitts der Beziehung der Antragstellerin zu dem Strafgefangenen zugeordnet werden könnten. Die mangelnde Differenziertheit, die fragliche zeitliche Einordnung der Aussagen und Diagnosen, insbesondere aber die bereits dargelegte Ungewissheit im Hinblick auf den im therapeutischen Kontext geschilderten und demgemäß zugrunde gelegten Sachverhalt führen jedoch dazu, dass ernstliche Zweifel mit Blick auf das Vorliegen eines Schuldausschließungsgrundes aufgrund mangelnder Steuerungsfähigkeit der Antragstellerin allein damit nicht begründet werden.

Eine andere Einschätzung ergibt sich auch nicht unter Berücksichtigung der im vorliegenden Verfahren beigezogenen amtsärztlichen Stellungnahme vom 6.3.2009, welche aufgrund des Antrages der Antragstellerin nach § 53 SBG a.F. vom 20.11.2008 angefordert worden war.

Auf der Basis einer am 13.1.2009 durch den Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. R. vorgenommenen Untersuchung wurde die am 3.12.2008 von der Leiterin der JVA angeforderte amtsärztliche Stellungnahme zur Frage der Dienstfähigkeit der Antragstellerin durch die Amtsärztin Dr. L. am 6.3.2009 erstellt. Die darin getroffenen Aussagen beziehen sich - antragsgemäß - allerdings nur auf die Frage der Dienstfähigkeit der Antragstellerin. Die Amtsärztin hat diese in einer größeren zeitlichen Perspektive („längerfristig“) bejaht, während zum „gegenwärtigen Zeitpunkt“ demgegenüber „aufgrund des unabgeschlossenen Disziplinarverfahrens und der dadurch bedingten erhöhten psychovegetativen Anspannung“ die Attestierung der Dienstunfähigkeit gerechtfertigt sei. Aussagen über die Schuld- und Steuerungsfähigkeit der Antragstellerin im Zeitraum der Begehung der streitgegenständlichen Dienstpflichtverletzungen sind in der Stellungnahme vom 6.3.2009 nicht enthalten und lassen sich daraus auch nicht ableiten.

Ergänzend ist noch darauf hinzuweisen, dass weder der Antragsgegner vor Erlass seiner Entscheidung über die vorläufige Dienstenthebung der Antragstellerin vom 17.12.2008 noch das Verwaltungsgericht vor seiner Entscheidung im Verfahren nach § 63 SDG gehalten waren, die Vorlage der am 6.3.2009 erstellten amtsärztlichen Stellungnahme abzuwarten. Sowohl der Antragsgegner als auch das Verwaltungsgericht durften die gemäß § 38 Abs. 1 SDG zu treffende Prognose auf den bis dahin ermittelten Sach- und Streitstand stützen.

Des weiteren erweisen sich auch die Einwendungen der Antragstellerin gegen die Ausführungen des angefochtenen Beschlusses des Verwaltungsgerichts vom 6.3.2009 zu der Frage, ob - bei Bestätigung des danach bestehenden Verdachts eines schweren Dienstvergehens - im Hauptsacheverfahren voraussichtlich auf Entfernung aus dem Beamtenverhältnis erkannt werden würde, als nicht durchgreifend.

Die Antragstellerin hat insoweit geltend gemacht, die nach § 13 SDG erforderliche „Interessenabwägung“ halte einer Überprüfung nicht stand. Zum einen sei die Schwere des Dienstvergehens nicht nur nach objektiven, sondern auch nach subjektiven Kriterien zu beurteilen. Hier fehle es an einer Berücksichtigung des „mit Schriftsatz vom 20.1.2009 zur Kenntnis gebrachten ärztlichen Befundberichtes zur psychischen Lage der Antragstellerin“ (womit nur die psychologisch-psychotherapeutische Stellungnahme des behandelnden Psychotherapeuten vom 12.1.2009 gemeint sein kann). Zum anderen habe das Verwaltungsgericht bei der Bewertung des Persönlichkeitsbildes der Antragstellerin die entlastenden Momente der freiwilligen Selbstanzeige der Antragstellerin und der organisatorischen Verfehlungen auf Seiten „des Beschwerdegegners“ (gemeint ist die Leitung der JVA) nicht ordnungsgemäß berücksichtigt.

Dies trifft nicht zu.

Eine gemäß § 38 Abs. 1 Satz 1 SDG verfügte vorläufige Dienstenthebung setzt voraus, dass im Disziplinarverfahren voraussichtlich auf Entfernung aus dem Dienst erkannt werden wird. Im konkreten Disziplinarverfahren muss eine überwiegende Wahrscheinlichkeit die Prognose rechtfertigen, dass auf die Höchstmaßnahme erkannt werden wird

vgl. BVerwG, Beschluss vom 24.10.2002 - 1 DB 10/02 - zitiert nach Juris; BayVGH, Beschluss vom 15.3.2007 - 16 DS 06.3292 - zitiert nach Juris und OVG des Saarlandes, Beschluss vom 6.9.2007 - 7 B 346/07 -.

Eine „Interessenabwägung“ findet insoweit nicht statt.

Welche Disziplinarmaßnahme im Einzelfall erforderlich ist, richtet sich gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 bis 4 SDG nach der Schwere des Dienstvergehens unter angemessener Berücksichtigung der Persönlichkeit des Beamten und des Umfangs der durch das Dienstvergehen herbeigeführten Vertrauensbeeinträchtigung. Maßgebendes Bemessungskriterium für die Bestimmung der Disziplinarmaßnahme ist gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 SDG die Schwere des Dienstvergehens. Sie beurteilt sich zum einen nach der Eigenart und Bedeutung der verletzten Dienstpflichten, Dauer und Häufigkeit der Pflichtverstöße und den Umständen der Tatbegehung (objektive Handlungsmerkmale) und zum anderen nach Form und Gewicht des Verschuldens und den Beweggründen des Beamten für sein pflichtwidriges Verhalten (subjektive Handlungsmerkmale) sowie nach den unmittelbaren Folgen der Pflichtverstöße für den dienstlichen Betrieb und für Dritte

vgl. zum gleichlautenden § 13 BDG: BVerwG, Urteil vom 20.10.2005 - 2 C 12.04 -, BVerwGE 124 252ff., BVerwG, Urteil vom 3.5.2007 - 2 C 9/06 -, zitiert nach Juris.

Nach den genannten Kriterien und nach dem derzeitigen, im vorliegenden - als Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ausgestalteten - Verfahren nur möglichen Erkenntnisstand stellen die von der Antragstellerin begangenen Verstöße gegen die ihr als Strafvollzugsbeamtin obliegenden Dienstpflichten ein äußerst schweres Dienstvergehen dar, wie das Verwaltungsgericht zu Recht ausgeführt hat.

Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die Eigenart und Bedeutung der verletzten Dienstpflichten im Kontext des Strafvollzuges. Die Eingehung und Verheimlichung der Beziehung zu einem Strafgefangenen (Abschnitt 1 der Beziehung von Februar/März 2008 bis Juni/Juli 2008) sowie die Aufrechterhaltung und weitere Verheimlichung der Beziehung auf Druck des Strafgefangenen (Abschnitt 2 von Juni/Juli 2008 bis Ende Oktober 2008) stellen einen dauerhaft schweren Verstoß gegen die Kernpflichten von Bediensteten im Strafvollzug dar. Betroffen waren die Grundpflichten nach Nr. 1 DSVollz, das Distanzgebot nach Nr. 2 Abs.1 DSVollz und die Meldepflicht nach Nr. 9 DSVollz. Hierbei handelte es sich um den Kernbereich der ihr obliegenden Dienstpflichten

vgl. dazu allgemein BVerwG, Urteil vom 22.10.2005, a.a.O.,

die im Mittelpunkt ihres konkreten Amtes im Strafvollzug standen und die zur Gewährleistung von Funktionsfähigkeit und Sicherheit in dem hochsensiblen Bereich des Strafvollzuges unabdingbar sind.

Auch die weiteren objektiven Handlungsmerkmale von Dauer und Häufigkeit der Dienstpflichtverstöße und die Umstände der Tatbegehung bestärken die Annahme eines schweren Dienstvergehens. Die Pflichtverletzungen in Gestalt von Dauerverstößen erstreckten sich bei stetig zunehmender Intensität und Gefährdung der Sicherheit und der Aufgabenerfüllung des Strafvollzuges über einen Zeitraum von insgesamt sieben bis acht Monaten und erfolgten zudem unter gezielter Ausnutzung der besonderen Vollzugsumstände des betreffenden Strafgefangenen (Wohngruppenvollzug, Einsatz als Hausmaler, Mitglied der Redaktion PRO REO).

Entgegen dem Vortrag der Antragstellerin in der Beschwerdebegründung vermögen auch subjektive Handlungsmerkmale nach dem im vorliegenden Verfahren maßgeblichen Erkenntnisstand und vorbehaltlich im Zuge weiterer Ermittlungen möglicherweise noch zutage tretender Erkenntnisse die Schwere des Dienstvergehens nicht maßgeblich zu mindern.

Wie bereits ausgeführt, hat die Antragstellerin sich - zumindest in Abschnitt 1 der Beziehung - bewusst, wissentlich und willentlich gegen die dienstpflichtgemäße Handlungsalternative der Einhaltung des Distanzgebotes und der Meldepflichten entschieden, weil nur dies ihr die Eingehung und Aufrechterhaltung einer -- vermeintlichen - Liebesbeziehung zu dem Strafgefangenen ermöglichte. Die geltend gemachte Schuld- und Steuerungsunfähigkeit ist demgegenüber weder durch Hinweis auf die psychologisch-psychotherapeutische Stellungnahme vom 12.1.2009, noch auf die amtsärztliche Stellungnahme vom 6.3.2009 noch auf andere Weise nachvollziehbar dargelegt worden.

Für den Abschnitt 2 der Beziehung mag der Antragstellerin zwar zuzugestehen sein, dass es aufgrund des - nach ihrem Vortrag - von Seiten des Strafgefangenen aufgebauten Drucks für sie subjektiv zunehmend schwieriger wurde, die dienstpflichtgemäße Handlungsalternative zu wählen. Dies führt - nach den Erkenntnismöglichkeiten des vorliegenden, als Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes konzipierten Verfahrens - indes nicht zur Annahme einer aufgehobenen Steuerungs- und Schuldfähigkeit. Auch insoweit erweisen sich die Stellungnahmen vom 12.1.2009 und vom 6.3.2009 nicht als valide Basis für die Begründung ernst zu nehmender Zweifel.

Schließlich erlaubt auch der Blick auf die unmittelbaren Folgen der Dienstpflichtverstöße der Antragstellerin für den dienstlichen Bereich keine mildere Einschätzung bezüglich der Schwere des Dienstvergehens. Hier ist neben den konkret negativen Auswirkungen des Fehlverhaltens der Antragstellerin auf die Funktionsfähigkeit und Sicherheit in dem hochsensiblen Bereich des Strafvollzuges insbesondere auch auf die generell negativen Folgen des maßgeblichen Geschehens für den Einsatz weiblicher Vollzugsbediensteter im Strafvollzug mit männlichen Gefangenen hinzuweisen.

Von der Begehung eines schweren Dienstvergehens durch die Antragstellerin ist und war danach unter Berücksichtigung aller dafür maßgeblichen Kriterien auszugehen. Die Schwere des Dienstvergehens indiziert grundsätzlich die Angemessenheit der Höchstmaßnahme.

Die von der Schwere des Dienstvergehens ausgehende Indizwirkung für die Angemessenheit der Höchstmaßnahme entfällt allerdings, wenn zugunsten des Beamten gewichtige Entlastungsgründe zu berücksichtigen sind, die den Schluss rechtfertigen, der Beamte habe das Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit noch nicht endgültig verloren

vgl. BVerwG, Urteil vom 20.10.2005, a.a.O., BVerwG, Urteil vom 10.1.2007 - 1 D 15.05 -, ZBR 2009, 160 f., BVerwG, Urteil vom 3.5.2007 a.a.O..

Solche Gründe stellen auch, aber nicht nur die sogenannten anerkannten Milderungsgründe dar. Diese tragen zum einen existenziellen wirtschaftlichen Notlagen sowie körperlichen oder psychischen Ausnahmesituationen Rechnung, in denen ein an normalen Maßstäben orientiertes Verhalten nicht mehr erwartet und daher nicht mehr vorausgesetzt werden kann. Zum anderen erfassen sie ein tätiges Abrücken von der Tat, insbesondere durch freiwillige Wiedergutmachung eines Schadens oder die Offenbarung des Fehlverhaltens vor der Entdeckung der Tat

vgl. BVerwG, Urteil vom 3.5.2007, a.a.O..

Entlastungsgründe, die einem endgültigen Vertrauensverlust entgegen stehen, können sich aber auch aus anderen Umständen ergeben. Sie müssen in ihrer Gesamtheit geeignet sein, die Schwere des Pflichtenverstoßes erheblich herabzusetzen

BVerwG, Urteil vom 10.1.2007, a.a.O. und BVerwG, Urteil vom 3.5.2007, a.a.O..

Zu solchen möglichen, im Gesamtkontext zu würdigenden Umständen gehört auch eine unzureichende Dienstaufsicht zur Tatzeit

BVerwG, Urteil vom 10.1.2007, a.a.O..

Vorliegend ist zunächst von einer Offenbarung des dienstlichen Fehlverhaltens durch die Antragstellerin vor der Entdeckung ihrer Tat auszugehen. Bis zu ihrer Offenbarung gegenüber ihren Kollegen am 29.10.2008 und der unmittelbar nachfolgenden Offenbarung der Antragstellerin gegenüber der Anstaltsleiterin am 29. und 30.10.2008 waren die Dienstpflichtverstöße der Antragstellerin verborgen geblieben. Bekannt wurden sie erst durch die Offenbarung der Antragstellerin.

Die entlastende Wirkung dieser Selbstoffenbarung ist allerdings eingeschränkt durch den Zeitpunkt und die Begleitumstände derselben. Denn unmittelbar vor der Offenbarung war für die Antragstellerin klar geworden, dass sie nicht mehr damit rechnen konnte, dass die Vorgänge der zurückliegenden 7 bis 8 Monate unentdeckt bleiben könnten. Der Strafgefangene hatte sich - nach der Darstellung der Antragstellerin - von einer entsprechenden Zusage trotz des als „Gegenleistung“ hierfür gewährten Geschlechtsverkehrs distanziert und die Antragstellerin am 29.10.2008 gezielt weiter unter Druck gesetzt. Ihre Selbstoffenbarung rechtfertigt deshalb im Rahmen des vorliegenden Verfahrens nicht die Annahme, die Antragstellerin habe das Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit noch nicht endgültig verloren.

Eine Entlastung zugunsten der Antragstellerin folgt auch nicht aus den im Rahmen der Beschwerdebegründung geltend gemachten „organisatorischen Verfehlungen auf Seiten des Beschwerdegegners“.

Zwar kann eine Vernachlässigung der Aufsichtspflicht durch Vorgesetzte unter dem Gesichtspunkt der Verletzung der Fürsorgepflicht oder des „Mitverschuldens“ als Mitursache einer dienstlichen Verfehlung bei der Bemessung der Disziplinarmaßnahme mildernd berücksichtigt werden, wenn konkrete Anhaltspunkte für besondere Umstände vorliegen, die ausreichende Kontrollmaßnahmen unerlässlich gemacht hätten, diese aber pflichtwidrig unterblieben sind

BVerwG, Urteil vom 10.1.2007, a.a.O..

Eine solche Situation war hier - nach den Erkenntnismöglichkeiten des vorliegenden Verfahrens - indes nicht gegeben. Hierzu ist im Rahmen der Beschwerdebegründung vorgetragen, das Verhalten der Antragstellerin sei bereits zu einem sehr früheren Zeitpunkt auffällig gewesen und vom direkten Vorgesetzten bemerkt und thematisiert worden. Gleichwohl habe „die Leitung der JVA im wahrsten Sinne des Wortes weggeschaut und die Situation bis zum Eklat treiben lassen“.

In der Tat waren die häufigen Kontakte der Antragstellerin mit dem Strafgefangenen auch nach der Darstellung des Antragsgegners bereits im Sommer 2008 aufgefallen und von der zuständigen Vollzugsabteilung mit ihr erörtert worden. Diese Gelegenheit hat die Antragstellerin allerdings nicht im Sinne der dienstpflichtgemäßen Offenbarung genutzt, sondern im Gegenteil ihr dienstpflichtwidriges Verhalten und dessen Hintergründe nicht nur nicht offenbart, sondern aktiv verschleiert, indem sie nachvollziehbare behandlerische Gründe für ihre verstärkte Aufmerksamkeit gegenüber dem Strafgefangenen darlegte und es ihr so gelang, die Bedenken ihrer Dienstvorgesetzten gezielt zu zerstreuen.

Eine Vernachlässigung der Aufsichtspflicht seitens der Dienstvorgesetzten kann daraus nicht hergeleitet werden. Diese durften nach dem Ergebnis des Personalgesprächs mit der Antragstellerin davon ausgehen, dass es sich bei den häufigen Kontakten mit dem Strafgefangenen um ein rein berufliches Engagement im Einklang mit den zu beachtenden Dienstpflichten handelte. Seit ihrer Ausbildungszeit (2001 – 2003) hatte die Antragstellerin bis dahin unbeanstandet in der JVA Dienst getan und nach allgemeiner Einschätzung - auch seitens des in der JVA tätigen Dipl.-Psychologen - durch Engagement und Gespräche immer wieder positiv im Sinne des Strafvollzuges auf Gefangene einwirken können. Es konnte daher keine Rede davon sein, dass aus der Sicht der Anstaltsleitung konkrete Anhaltspunkte für besondere Umstände vorgelegen hätten, die weitere Kontroll- und Aufsichtsmaßnahmen unerlässlich gemacht hätten. Ohne solche Umstände darf der Dienstherr grundsätzlich auf die Erfüllung der Dienstpflichten vertrauen. Denn eine ständige und lückenlose Kontrolle eines jeden Mitarbeiters ist unmöglich

vgl. nur BVerwG, Urteil vom 10.1.2007, a.a.O..

Davon durfte hier auch der Antragsgegner ausgehen.

Gegen die Annahme der in der Beschwerdeschrift geltend gemachte Verletzung der Fürsorgepflicht sprechen auch weitere Anhaltspunkte. Gerade im Hinblick auf die Thematik möglicher Verstöße gegen das Distanzgebot zwischen weiblichen Bediensteten und männlichen Gefangenen ist davon auszugehen, dass eine erhöhte Sensibilisierung seitens der Dienstvorgesetzten vorlag und dies den Bediensteten auch deutlich gemacht wurde. Dies ergibt sich z. B. daraus, dass noch im Januar 2008, d.h. kurz vor Aufnahme der Beziehung der Antragstellerin zu dem Strafgefangenen, die jährliche Frauenversammlung innerhalb der JVA gezielt unter das Thema „Frauen im Männervollzug“ gestellt und auf die daraus sich ergebenden Gefahren, insbesondere bei der Missachtung des gebotenen Nähe/Distanzverhaltens für die Betroffenen und andere, unbeteiligte Bedienstete, hingewiesen wurde. An dieser Veranstaltung hat die Antragstellerin selbst teilgenommen.

Nach alledem rechtfertigt der bislang festgestellte Sachverhalt - auch unter Berücksichtigung des Vorbringens im Beschwerdeverfahren - die Prognose, dass im Disziplinarverfahren voraussichtlich auf Entfernung der Antragstellerin aus dem Beamtenverhältnis erkannt werden wird. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der vorläufigen Dienstenthebung (§ 63 Abs. 2 SDG) bestehen deshalb nicht.

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 6.3.2009 war daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 77 Abs. 4 SDG, 154 Abs. 2 VwGO.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

Gründe

1

Der zulässige Antrag ist begründet.

2

Nach § 38 Abs. 1 Satz 1 DG LSA kann die für die Erhebung der Disziplinarklage zuständige Behörde einen Beamten gleichzeitig mit oder nach der Einleitung des Disziplinarverfahrens vorläufig des Dienstes entheben, wenn im Disziplinarverfahren voraussichtlich auf Entfernung aus dem Beamtenverhältnis erkannt wird. Ferner kann die vorläufige Dienstenthebung ausgesprochen werden, wenn durch ein Verbleiben des Beamten im Dienst der Dienstbetrieb oder die Ermittlungen wesentlich beeinträchtigt würden und die vorläufige Dienstenthebung nicht unverhältnismäßig ist (§ 38 Abs. 1 Satz 2 DG LSA). Die Antragsgegnerin stützt sich erkennbar nicht auf letztgenannte Norm, sondern (nur) auf § 38 Abs. 1Satz 1 DG LSA, da ihrer Meinung nach im Disziplinarverfahren voraussichtlich auf Entfernung aus dem Beamtenverhältnis erkannt werden wird.

3

Bei der Anordnung der Suspendierung handelt es sich nicht um eine Disziplinarmaßnahme (OVG LSA, B. v. 07.05.2010, 10 M 2/10; juris). Ihre Berechtigung ergibt sich aus dem funktionalen Bedürfnis, noch vor der endgültigen Klärung des Vorliegens eines Dienstvergehens und der abschließenden Entscheidung über die angemessene Maßregelung des Beamten eine den Verwaltungsaufgaben und dem Dienstbetrieb dienende vorübergehende Sicherungsregelung zu treffen.

4

1.) Die nach § 61 Abs. 2 DG LSA vom Disziplinargericht vorzunehmende Prüfung ergibt hier, dass die vorläufige Dienstenthebung und die Einbehaltung der Dienstbezüge aufzuheben sind, weil ernstliche Zweifel an ihrer Rechtmäßigkeit bestehen.

5

a.) Die auf § 38 Abs. 1 Satz 1 DG LSA gestützte Verfügung über die vorläufige Dienstenthebung muss pflichtgemäßem Ermessen der Einleitungsbehörde entsprechen. Den Beamten auch nur vorläufig vom Dienst zu entheben setzt voraus, dass ein Verbleiben des Beamten im Dienst schlechthin untragbar wäre. Dabei handelt es sich um die denkbar schwerste Sanktion für dienstliche Verfehlungen, welche nach der Rechtsprechung besondere Umstände voraussetzt. Für die konkrete Entscheidung im Einzelfall sind grundsätzlich das dienstliche Bedürfnis an der einstweiligen Fernhaltung des Beschuldigten vom Dienst und dessen Recht auf amtsentsprechende dienstliche Beschäftigung abzuwägen (vgl. dazu. Köhler/Ratz, BDO, 2. Aufl., § 91 Rz. 10: vgl. zum Ganzen: VG Magdeburg, Beschl. v. 10.02.2007, 8 B 22/06; Beschl. v. 03.03.2010, 8 B 21/09; juris).

6

Nach § 61 Abs. 2 DG LSA ist die vorläufige Dienstenthebung dann aufzuheben, wenn ernstliche Zweifel an ihrer Rechtmäßigkeit bestehen. Ernstliche Zweifel sind schon dann anzunehmen, wenn im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts offen ist, ob die Anordnung nach § 38 Abs. 1 DG LSA rechtmäßig oder rechtswidrig ist (vgl. nur: Bay. VGH, Beschl. v. 11.04.2012, 16b DC 11.985; OVG Lüneburg Beschluss vom 13.5.2005, 3 ZD 1/05; alle juris). Neben der formellen Rechtmäßigkeit der Anordnung ist somit zu prüfen, ob die in der Anordnung liegende Prognose gerechtfertigt ist, der Beamte werde im Disziplinarverfahren voraussichtlich aus dem Dienst entfernt werden. Diese Prognose kann demnach nur dann gestellt werden, wenn nach dem Kenntnisstand im Eilverfahren die Möglichkeit der Höchstmaßnahme überwiegend wahrscheinlich ist. Ist es dagegen zumindest ebenso wahrscheinlich, dass eine Entfernung des Beamten aus dem Beamtenverhältnis im Disziplinarverfahren nicht erfolgen wird, sind ernstliche Zweifel durch das Gericht zu bejahen (BVerwG, Besch. v. 16.07.2009, 2 AV 4.09; BayVGH, Beschl. v. 20.04.2011, 16b DS 10.1120;Sächs. OVG, B. 19.08.2010, D 6 B115/10 mit Verweis auf Beschluss vom 08.07.2010, D6A116/10; alle juris; Müller, Grundzüge des Beamtendisziplinarrechts, § 38 Abs. 1 BDG, 2010, Rz. 370 m. w. N.; GKÖD, Disziplinarrecht des Bundes und der Länder, § 38 BDG, Rz. 51). Diese Prognoseentscheidung beinhaltet eine vom Gericht vorzunehmende summarische Prüfung des zurzeit bekannten Sachverhaltes und eine daran orientierte Wahrscheinlichkeitsprognose. Hinsichtlich des zur Last gelegten Dienstvergehens genügt, dass der Beamte dieses Dienstvergehen mit einem hinreichenden Grad an Wahrscheinlichkeit begangen hat; nicht erforderlich ist, dass das Dienstvergehen bereits in vollem Umfang nachgewiesen ist (vgl. BVerwG, Beschl. v. 29.09.1997, 2 WDB 3.97; OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 22.09.2009, 83 DB 1.09; OVG des Saarlandes, Beschl. v. 17.06.2009, 6 B 289/09; alle juris). Die Beurteilung im Verfahren nach § 61 DG LSA erfordert keine gesonderten Beweiserhebungen, sondern ist in der Lage, in der sich das Disziplinarverfahren jeweils befindet, anhand der bis dahin zu Tage getretenen Tatsachen zu treffen. Insoweit können u. U. selbst durch Aktenvermerke untermauerte Erkenntnisse ausreichen (vgl. Müller a. a. O). Dabei ist auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abzustellen (BVerwG, Besch. v. 22.07.2002, 2 WDB 1.02; OVG Berlin-Brandenburg; Beschl. v. 18.08.2005, 80 SN 1.05; Bay VGH, Beschl. v. 11.04.2012, 16b DCV 11.985; alle juris). Jedoch muss für die gerichtliche Überprüfung der vorläufigen Dienstenthebung maßgeblich auf die von dem Dienstherrn in dem Bescheid herangezogenen Pflichtenverletzungen abgestellt werden. Diese können durch das Disziplinargericht im Rahmen der Würdigung durch Akteninhalte und sonstige - evtl. auch später, im Laufe des Verfahrens nach § 61 DG LSA hinzutretende - Erkenntnisse untermauert werden, um anhand dessen die Rechtsmäßigkeit der Prognoseentscheidung zu beurteilen.

7

b.) Welche Disziplinarmaßnahme im Einzelfall erforderlich ist, richtet sich gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 und 3 DG LSA nach derSchwere des Dienstvergehens und des unter Berücksichtigung der Persönlichkeit des Beamten eingetretenen Umfangs der durch das Dienstvergehen herbeigeführten Vertrauensbeeinträchtigung. § 13 Abs. 2 DG LSA bestimmt, dass ein Beamter, der durch ein schweres Dienstvergehen das Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit endgültig verloren hat, aus dem Beamtenverhältnis zu entfernenist (Satz 1). Die Feststellung des verloren gegangenen Vertrauens ist verwaltungsgerichtlich voll inhaltlich nachprüfbar (Satz 2).

8

Demnach ist maßgebendes Bemessungskriterium für die Bestimmung der Disziplinarmaßnahme die Schwere des Dienstvergehens. Sie beurteilt sich zum einen nach der Eigenart und Bedeutung der verletzten Dienstpflichten, Dauer und Häufigkeit der Pflichtenverstöße und den Umständen der Tatbegehung (objektive Handlungsmerkmale) und zum anderen nach Form und Gewicht des Verschuldens und den Beweggründen des Beamten für sein pflichtwidriges Verhalten (subjektive Handlungsmerkmale) sowie nach den unmittelbaren Folgen der Pflichtenverstöße für den dienstlichen Betrieb und für Dritte (vgl. zum gleichlautenden § 13 BDG, BVerwG, Urt. v. 20.10.2005, 2 C 12.04; Urt. v. 03.05.2007, 2 C 9.06; B. v. 10.09.2010, 2 B 97/09; VGH Baden-Württemberg, U. v. 16.09.2010, DL 16 S 579/10; alle juris).

9

Erst bei Würdigung der Gesamtpersönlichkeit des Beamten lässt sich mit der gebotenen Sicherheit beurteilen, ob der Beamte aus disziplinarrechtlicher Sicht noch erziehbar erscheint oder ob hierfür eine bestimmte Disziplinarmaßnahme als notwendig, aber auch als ausreichend erscheint, oder ob der Beamte für die Allgemeinheit und den Dienstherrn untragbar geworden ist und deshalb seine Entfernung aus dem Beamtenverhältnis geboten ist (VG Magdeburg, U. v. 04.11.2009, 8 A 19/08 m. w. N.; juris).

10

Eine objektive und ausgewogene Zumessungsentscheidung setzt demnach voraus, dass die gegen den Beamten ausgesprochene Disziplinarmaßnahme unter Berücksichtigung der belastenden und entlastenden Umstände des Einzelfalls in einem gerechten Verhältnis zur Schwere des Dienstvergehens und zum Verschulden des Beamten steht und gewisse Besonderheiten des Einzelfalls mildernd zu berücksichtigen sind (vgl. BVerfG, Beschl. v. 08.12.2004, 2 BvR 52/02; BVerwG, U. v. 14.02.2007, 1 D 12.05 mit Verweis auf Urteil vom 20.10.2005, 2 C 12.04; OVG Lüneburg, U. v. 20.11.2009, 6 LD 1/09; VGH Bad.-Württ., U. v. 16.09.2010, DL 16 S 579/10; VG Saarland, U. v. 17.09.2010, 7 K 238/09; alle juris).

11

2.) Unter diesen rechtlichen Prüfungsvoraussetzungen vermag die Disziplinarkammer nach dem derzeitigen sich aus der Begründung der Suspendierung, dem Aktenmaterial und dem Vorbringen der Beteiligten ergebenden Sach- und Rechtsstand nicht mit der gebotenen Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass der Antragsteller ein derart schweres Dienstvergehen begangen hat, welches dazu geführt hat, dass das Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit endgültig verloren ist.

12

a.) Die Antragsgegnerin stützt die vorläufige Dienstenthebung maßgeblich darauf, dass der Antragsteller gegen die ihm obliegende beamtenrechtliche Pflicht zu einem achtungs- und vertrauensvollen Verhalten (§ 34 Satz 3 Beamtenstatusgesetz [BeamtStG]) verstoßen habe. Der Antragsteller habe dem Polizeiarzt gegenüber im Jahr 2008 angegeben, regelmäßig Cannabis geraucht zu haben. Die damals erstellten Laborbefunde hätten diese Aussage bestätigt. Nach der letztmaligen Vorstellung im Polizeiärztlichen Zentrum am 29.12.2008 seien die Laborbefunde des Antragstellers hinsichtlich des Gebrauchs illegaler Drogen nicht mehr auffällig gewesen. Am 15.09.2011 habe es beim Antragsteller dagegen einen positiven Screeningbefund auf Cannabinoide und auf Benzodiazepin gegeben. Dies habe sich unter dem 20.10.2011 bestätigt.

13

Daraus schlussfolgert die Antragsgegnerin, um illegale Drogen zu konsumieren, müssten diese zunächst erworben werden. Der unerlaubte Erwerb von Betäubungsmitteln sei nach § 29 Abs. 1 Ziff. 1 Betäubungsmittelgesetz (BtMG) strafbar. Ein Polizeibeamter, der unerlaubt Betäubungsmittel erwerbe, um diese zu konsumieren, zerstöre regelmäßig das Vertrauensverhältnis, welches für die ordnungsgemäße Aufgabenerfüllung unerlässlich sei. Allein die Umstände der Drogenbeschaffung, die ohne Kontakte in die einschlägige Szene nicht möglich seien, begründen den Verdacht, dass das außerdienstliche Verhalten des Antragstellers in besonderem Maße geeignet sei, das Vertrauen in eine für das Amt eines Polizeibeamten bedeutsamen Weise zu beeinträchtigen. Der Polizeibeamte habe für die Einhaltung der Gesetze einzustehen. Ein derartiges Versagen im Kernbereich beamtenrechtlicher Dienstpflichten sei daher geeignet, die für eine weitere Zusammenarbeit mit dem Beamten erforderliche Vertrauensgrundlage völlig zu zerstören. Deshalb bestehe eine hinreichende Wahrscheinlichkeit, dass der Antragsteller aus dem Beamtenverhältnis entfernt werde. Aus diesen Gründen sei der Antragsteller vorläufig des Dienstes zu entheben.

14

Die sodann unter dem 19.03.2012 verfügte teilweise Einbehaltung der Dienstbezüge nach § 38 Abs. 2 DG LSA wird mit der vorläufigen Dienstenthebung vom 29.02.2012 begründet. Angesichts der bei der Durchsuchungsmaßnahme in den Wohnräumen des Antragstellers beschlagnahmten Sachen und Gegenstände sei die Verneinung eines kriminellen Milieus nicht zu begründen. Es folgt sodann eine Berechnung des finanziellen monatlichen Bedarfs. Dafür notwendige Belege habe der Antragsteller nicht vorgelegt.

15

Am 11.08.2011 fand auf den Beschluss des Amtsgerichts Quedlinburg am 04.08.2011 die Durchsuchung der Wohnung des Antragstellers statt. Dabei wurden u. a. eine sog. Indoorplantage mit 8 Cannabispflanzen und diverse Produkte vorgefunden, die unter das Betäubungsmittelgesetz fallen. Wegen des genauen Umfangs der beschlagnahmten Sachen wird auf den Inhalt der Beiakte A verwiesen. Der Antragsteller weist die darauf beruhenden Vorwürfe von sich; sein Mitbewohner, Herr E., erklärte insoweit bei seiner Beschuldigtenvernehmung, der Antragsteller habe sein Handeln lediglich toleriert. Am 03.04.2012 hat die Staatsanwaltschaft Magdeburg beim Amtsgericht Quedlinburg die Zulassung und Eröffnung des Hauptverfahrens wegen unerlaubten gemeinschaftlichen Anbau und unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln erhoben.

16

b.) Im Fall eines Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz geht die disziplinarrechtliche Rechtsprechung bei der Bemessung der Disziplinarmaßnahme davon aus, dass der Beamte, der an den staatlichen Zielen, den Auswirkungen des zunehmenden Rauschgiftkonsums vorzubeugen und so unabsehbare Gefahren für den Einzelnen und die Allgemeinheit abzuwehren, zuwiderhandelt, eine grob rücksichtslose Haltung gegenüber der Allgemeinheit offenbart. Angesichts der Variationsbreite möglicher Verwirklichungsformen pflichtwidrigen Verhaltens in diesem Bereich wird jedoch das disziplinarrechtliche Gewicht des Dienstvergehens von den besonderen Umständen des Einzelfalls abhängig gemacht (vgl. BVerwG, U. v. 14.12.2000, 1 D 40.99; Urteile vom 07.05.1996, 1 D 82.95 und vom 29.04.1986, 1 D 141.85; vom 25.10.1983, 1 D 37.83, Urteile vom 24.07.2008, DB 16 S 4.07 und vom 06.08.2009, DL 16 S 2974/08; VGH Baden-Württemberg, U. v. 25.02.2010, DL 16 S 2597/09; VG Berlin, U. 22.11.2011, 85 K 11.10 OB; alle juris). Demnach werden in schweren Fällen durchaus die disziplinarrechtlichen Höchstmaßnahmen der Degradierung und die Entfernung aus dem Dienst auszusprechen sein, ohne dass diese jedoch Regelmaßnahme für jedwedes strafbares Handeln nach dem Betäubungsmittelgesetzt (§ 29 BtMG) wären.

17

Bei der Bemessung der Disziplinarmaßnahme ist jedoch neben dem objektiven Gehalt des Strafvorwurfes auch zu berücksichtigen, dass der Polizeibeamte wegen seines besonderen Auftrags zur Abwehr von Gefahren und zur Verfolgung von Straftaten einer strengeren Verpflichtung unterliegt. Mit dieser Verpflichtung ist es durchweg unvereinbar, wenn ein Polizeibeamter - auch außerhalb des Dienstes - gegen Strafvorschriften verstößt, die wichtige Gemeinschaftsbelange schützen sollen und damit einem besonderen staatlichen Anliegen dienen. Das Vertrauen des Dienstherrn in seinen Beamten, der die Aufgabe, Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz wegen der genannten Gefahren abzuwenden und zu verhindern, nicht nur nicht erfüllt, sondern im Gegenteil mit seinem Verhalten Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz fördert und somit die abzuwehrenden Gefahren steigert, ist empfindlich, wenn nicht gar endgültig zerstört (vgl.: OVG NRW, U. v. 16.12.1998, 6 d 4674/97.O; juris).

18

c.) Der Dienstherr rechtfertigt hier - wie oben dargelegt - die vorläufige Dienstenthebung nach § 38 Abs. 1 Satz 1 DG LSA allein damit, dass ihm der zur Entfernung führende unerlaubte, weil strafbare,Erwerb von Betäubungsmitteln vorzuhalten sei. Die diesem pauschalen Vorwurf zugrunde liegenden Erkenntnisse vermögen nach den dargestellten Gründen und der Problematik der Vielschichtigkeit der möglichen Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz bislang die Entfernung aus dem Dienst nicht zwangsläufig zu tragen.

19

Die Antragsgegnerin bezieht ihre Kenntnisse maßgeblich aus den Angaben des Antragstellers gegenüber dem Polizeiarzt, wonach der Antragsteller regelmäßigen Cannabiskonsum im Jahr 2008 angegeben habe und im Jahre 2011 positive Screeningbefunde vorgelegen hätten. Dies allein begründet jedoch für sich genommen nicht perse ein schweres Dienstvergehen, zumal die vom Antragsteller konsumierte Menge, die Konsumdauer und das Konsumverhalten nicht einmal bekannt sind. Zwar ist u. a. der unerlaubte Anbau und Erwerb mit Strafe beschwert (§ 29 Abs. 1 bis 3 BtMG). Der individuelle Unrechts- und Schuldgehalt einer solchen Tat ist jedoch von den Umständen des Einzelfalles abhängig und kann zum Absehen von Strafe bzw. der Verfolgung (§§ 29 Abs. 5, 31a Abs. 1 BtMG) führen (vgl. dazu Richtlinie zur Anwendung des § 31a Abs. 1 Betäubungsmittelgesetzt und zur Bearbeitung von Ermittlungsverfahren in Strafsachen gegen Betäubungsmittelkonsumenten, JMBl. LSA 2008, S. 245). Der Antragsgegnerin kann auch nicht vollends darin gefolgt werden, dass dem Konsum stets eine illegale Beschaffung der Substanzen im kriminellen Milieu vorangegangen sein muss. Dazu ist bereits das Tatbestandsmerkmal der „Beschaffung“ etwa in § 29 Abs. 1 Nr. 1 und 3 BtMG zu vielschichtig. So mag - unabhängig von der strafrechtlichen Relevanz - ein Konsum auch im Freundeskreis oder auf sonstigem Wege möglich sein, woraus sich nicht unmittelbar und unabdingbar ein kriminelles Milieu ergibt. Gerade diese Begleitumstände, also die Variationsbreite der Verstöße gegen das Betäubungsmittelrecht gilt es im Disziplinarverfahren aufzuklären und zu würdigen. Jedenfalls - und das ist entscheidend - lassen sich die diesbezüglichen Vorwürfe auch nicht mit den aufgrund der strafrechtlichen Ermittlungen gewonnenen Erkenntnissen untermauern. Die Antragsgegnerin stützt die vorläufige Dienstenthebung auch nicht darauf. Die beiden streitbefangenen Verfügungen sind insoweit äußerst begründungsarm. So ist die vorläufige Dienstenthebung nicht etwa auf das dem Beamten gegenüber geführte anhängige strafrechtliche Ermittlungsverfahren, welches in der Folgezeit zur Beantragung der Zulassung der Anklage vor dem Amtsgericht Quedlinburg geführt hat, gestützt. Zwar findet sich in der Verfügung zur Einbehaltung der Dienstbezüge vom 19.03.2012 ein Hinweis auf die bei der Durchsuchungsmaßnahme in den Wohnräumen des Beamten beschlagnahmten Sachen und Gegenstände, woraus sich das „kriminelle Milieu“ ergeben würde. Das Disziplinargericht hat zwar keinen Zweifel daran, dass die Feststellungen im Rahmen der Durchsuchung der gemeinsam mit einem weiteren Angeschuldigten genutzten Wohnung disziplinarrechtlich ebenso beachtlich wie die zwischenzeitlich erhobene Anklage sind. Aber auch unter Berücksichtigung dieser, über die Begründung der Verfügung der vorläufigen Dienstenthebung hinausgehenden Erkenntnisse, die eine weitere Qualität im Sinne der Variationsbreite des disziplinarrechtlich zu wertenden Pflichtenverstoßes darstellen, vermag das Disziplinargericht nicht mit der erforderlichen hinreichenden Wahrscheinlichkeit von einer Entfernung aus dem Beamtenverhältnis auszugehen.

20

Denn die in der Rechtsprechung zu findenden Fallgestaltungen hinsichtlich der Variationsbreite der Schwere der Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz rechtfertigen eine vorläufige Dienstenthebung bzw. die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis etwa (erst) dann, wenn es sich um den Konsum „harter“ Drogen (VG Berlin, Urteil v. 22.11.2011, 85 K 11.10 OB; OVG Berlin, Beschluss v. 16.04.1992, 4 S 11.92; beide juris) handelt und/oder der Beamte eine beachtliche Drogenkarriere zurückgelegt hat, der Beamte etwa in die Beschaffungskriminalität abgleitet oder sich als Dealer betätigt (BVerwG, Urteil v. 13.07.1999, 2 WD 4.99; OVG Rheinl.-Pfalz, Urteil v. 30.06.2003, 3 A 10767/03; VG Berlin, Urteil v. 04.10.2011, 80 K 6.11 OL; alle juris) oder aufgrund der Einheitlichkeit des Dienstvergehens weitere Pflichtenverstöße hinzugetreten sind (OVG Lüneburg, Urteil v. 22.06.2010, 20 LD 7/08; VG Berlin, Urteil v. 13.02.2006, 80 A 27.05; alle juris). Die Vergleichbarkeit mit diesen Fallgestaltungen ist vorliegend nicht gegeben. Es gilt die weiteren Ermittlungen bzw. das Strafverfahren im weiter anhängigen behördlichen Disziplinarverfahren abzuwarten. Insoweit steht es dem Dienstherrn frei, bei einer veränderten Erkenntnislage eine erneute Suspendierung auszusprechen (vgl. § 122 Abs. 1, 121 VwGO).

21

3.) Dementsprechend ist mangels rechtlicher Voraussetzungen nach § 38 Abs. 2 DG LSA auch die Einhaltung der Dienstbezüge abzuheben.

22

4.) Die Kostenentscheidung beruht auf § 72 Abs. 4, 73 Abs: 1 DG LSA, 154 Abs. 1 VwGO.


Tenor

Unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 8. März 2011 - 7 L 29/11 - wird die Anordnung der vorläufigen Dienstenthebung des Antragstellers und Einbehaltung von 50 % seiner monatlichen Dienstbezüge durch den Bescheid vom 20.12.2010 ausgesetzt.

Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsgegner.

Gründe

Die Beschwerde des Antragstellers ist zulässig. Sie ist gemäß § 67 Abs. 1 und Abs. 3 SDG i.V.m. §§ 146, 147 VwGO statthaft und gemäß § 67 Abs. 3 SDG i.V.m. §§ 147 Abs. 1, 146 Abs. 4 VwGO fristgerecht erhoben und begründet worden. Zu Recht hat das Verwaltungsgericht den Antrag des Antragstellers vom 10.1.2011 als zulässigen Antrag nach § 63 Abs. 1 Satz 1 SDG auf Aussetzung der mit Bescheid des Antragsgegners vom 20.12.2010 ausgesprochenen vorläufigen Dienstenthebung und der Einbehaltung von 50 % seiner monatlichen Dienstbezüge ausgelegt.

Die Beschwerde des Antragstellers gegen die durch Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 8.3.2011 - 7 L 29/11 - erfolgte Zurückweisung seines Aussetzungsantrages hat auch in der Sache Erfolg. Denn es bestehen im Sinne des § 63 Abs. 2 SDG ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 20.12.2010.

Nach § 38 Abs.1 SDG kann die für die Erhebung der Disziplinarklage zuständige Behörde einen Beamten oder eine Beamtin gleichzeitig mit oder nach der Einleitung des Disziplinarverfahrens vorläufig des Dienstes entheben, wenn im Disziplinarverfahren voraussichtlich auf Entfernung aus dem Beamtenverhältnis erkannt werden wird. Nach Abs. 2 der genannten Vorschrift kann die für die Erhebung der Disziplinarklage zuständige Behörde gleichzeitig mit oder nach der vorläufigen Dienstenthebung anordnen, dass dem Beamten oder der Beamtin bis zu 50 % der monatlichen Dienst- oder Anwärterbezüge einbehalten werden, wenn im Disziplinarverfahren voraussichtlich auf Entfernung aus dem Beamtenverhältnis erkannt werden wird.

Nach § 63 Abs. 2 SDG sind die vorläufige Dienstenthebung und die Einbehaltung von Bezügen auszusetzen, wenn ernstliche Zweifel an ihrer Rechtmäßigkeit bestehen. Derartige Zweifel sind vorliegend gegeben.

Zwar sprechen nach Auffassung des Senats - ebenso wie im Ergebnis nach Auffassung des Verwaltungsgerichts – überwiegende Gründe dafür, dass nach dem derzeitigen, im vorliegenden Verfahren zugrunde zu legenden Sach- und Streitstand eine überwiegende Wahrscheinlichkeit die Prognose rechtfertigen dürfte, dass im Rahmen des mit Verfügung vom 26.4.2010 gegen den Antragsteller eingeleiteten Disziplinarverfahrens die Verhängung der Höchstmaßnahme zu erwarten ist. Dabei dürften die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 38 Abs. 1 und Abs. 2 SDG für die vorläufige Dienstenthebung des Antragstellers und die zugleich angeordnete Einbehaltung der monatlichen Dienstbezüge aller Voraussicht nach gegeben sein. Jedoch bestehen mit Blick auf die ordnungsgemäße Ausübung des dem Antragsgegner nach § 38 Abs. 1 SDG eingeräumten Ermessens ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 20.12.2010.

Aus dem Gesamtergebnis des wegen des Besitzes kinderpornografischer Schriften gegen den Antragsteller geführten Ermittlungsverfahrens der Staatsanwaltschaft Saarbrücken (24 Js 899/07) und des vor dem Amtsgericht Saarbrücken geführten Strafverfahrens (119 Ds 89/09) ergibt sich aller Voraussicht nach der hinreichende Verdacht, dass der Antragsteller ein außerdienstliches Dienstvergehen begangen hat, das im Rahmen des am 26.4.2010 gegen ihn eingeleiteten Disziplinarverfahrens mit überwiegender Wahrscheinlichkeit die Verhängung der Höchstmaßnahme erfordern wird. Zwar haben sowohl das Verwaltungsgericht als auch der Antragsteller zu Recht Zweifel daran geltend gemacht, ob sich dieser hinreichende Verdacht allein aus den tatsächlichen Feststellungen des strafgerichtlichen Urteils des Amtsgerichts Saarbrücken vom 10.2.2010 (119 Ds 89/09) ableiten lässt, an die die Disziplinarbehörde gemäß § 23 Abs. 1 SDG und die Disziplinargerichte gemäß § 57 SDG - in jeweils unterschiedlicher Intensität - gebunden sind. Diesbezügliche Bedenken ergeben sich insoweit zum einen hinsichtlich der Frage, ob die Anzahl der im Besitz des Antragstellers gewesenen Bilddateien kinderpornografischen Inhalts tatsächlich 781 betragen hat. In dem strafgerichtlichen Urteil vom 10.2.2010 heißt es hierzu lediglich:

„Dem Angeklagten wird in der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Saarbrücken vom 28.1.2009 vorgeworfen, am 24.10.2007 in seiner Wohnung, A-Straße, A-Stadt, auf seinem Personalcomputer Fujitsu zu Siemens Scaleo 600 781 Bilddateien mit Darstellungen aufbewahrt zu haben, auf denen u.a. Mädchen zu sehen sind, die offensichtlich jünger als 14 Jahre alt sind und mit denen Erwachsene Vaginalverkehr ausüben, die Erwachsene oral stimulieren oder die von Erwachsenen an ihren Geschlechtsteilen berührt werden. Der Angeklagte hat den Vorwurf in der Hauptverhandlung glaubhaft eingestanden. Er hat sich damit des Besitzes kinderpornografischer Schriften gemäß § 184 b Abs. 1, Abs. 4 Satz 2 StGB schuldig gemacht.“

Diese Formulierung lässt zwar den Schluss zu, dass Gegenstand des strafrechtlichen Vorwurfs der Besitz von insgesamt 781 Bilddateien war, die zumindest teilweise als kinderpornografisch einzustufen waren. Dem Urteil lässt sich aber keine ausreichende Tatsachenfeststellung entnehmen, aus der sich ableiten lässt, dass alle diese Dateien von ihrem Inhalt her als kinderpornografisch im Sinne des § 184 b StGB einzustufen waren. Entsprechend eingeschränkt ist der Umfang seiner Bindungswirkung nach §§ 23, 57 SDG.

Gleichwohl wird nach Auffassung des Senats nach dem gesamten Inhalt des Straf- und Ermittlungsverfahrens davon ausgegangen werden können, dass der Antragsteller vorsätzlich im Besitz kinderpornografischer Bilddateien war und dass deren Anzahl aller Voraussicht nach deutlich über die – vom Verwaltungsgericht seiner Entscheidung als ausreichend zugrunde gelegte – Zahl von 10 Bilddateien hinausging, die in der Strafakte als „beispielhaft“ dokumentiert sind. Dies ergibt sich neben anderen, hier nicht im Einzelnen darzulegenden Anhaltspunkten schon daraus, dass die genannten 10 Bilddateien, die ihrerseits eindeutig kinderpornografischen Inhalt haben, nach Durchführung der polizeilichen Auswertung der auf dem Personalcomputer des Antragstellers vorhandenen Dateien beispielhaft ausgedruckt und der Ermittlungsakte beigefügt wurden, um den Inhalt der von Seiten der Polizei als kinderpornografisch eingestuften 781 Dateien zu dokumentieren. Hieraus lässt sich schließen, dass jeder der 10 - unterschiedlichen - Darstellungen jeweils eine Mehrzahl vergleichbarer Darstellungen im Rahmen der insgesamt 781 als kinderpornografisch eingestuften Dateien entspricht. Gleichwohl kann beim derzeitigen Erkenntnisstand und insbesondere auf der Grundlage der in dem Urteil des Amtsgerichts Saarbrücken von 10.2.2010 getroffenen Tatsachenfeststellungen nicht ausgeschlossen werden, dass sich in der Gesamtzahl von 781 im Ermittlungsverfahren als kinderpornografisch bewerteten Darstellungen z.B. auch sogenannte Posing-Bilder befunden haben, welche nicht im strafrechtlichen Sinne des § 184 b StGB als kinderpornografisch einzuordnen sind. Insofern ist zu beachten, dass sich in den Ermittlungsakten auch mehr als 200 Dateien dieser Art (Posing-Bilder) befinden. Hierzu werden im Disziplinarverfahren noch weitere Ermittlungen anzustellen sein, die nach dem Vortrag des Antragsgegners bereits eingeleitet sind.

Zudem lässt sich allein den Feststellungen des Strafurteils nicht entnehmen, in welchem Zeitraum der Antragsteller derartige Bilddateien im Besitz hatte. In dem Urteil ist lediglich von dem 24.10.2009 als Tatzeitpunkt die Rede. Dies war der Tag der Beschlagnahme des Personalcomputers des Antragstellers. Gleichwohl dürfte nach dem Gesamtinhalt des Straf- und Ermittlungsverfahrens nicht davon ausgegangen werden können, dass der Antragsteller die kinderpornografischen Darstellungen nur an einem einzigen, dem im strafrechtlichen Urteil vom 10.2.2010 genannten Durchsuchungstag am 24.10.2009 in Besitz gehabt hat.

Dem Antragsgegner ist im Grundsatz des Weiteren darin zu folgen, dass – auch wenn eine Regeleinstufung insoweit auszuscheiden hat - der Orientierungsrahmen für die Bemessung der erforderlichen Disziplinarmaßnahme nach § 13 SDG bei außerdienstlichem Besitz kinderpornografischer Schriften durch einen Lehrer unter der Geltung der erhöhten Strafandrohung des § 184 b Abs. 5 StGB i.d.F. des Gesetzes zur Änderung der Vorschriften über die Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung und zur Änderung anderer Vorschriften vom 27.12.2003 (BGBl. Teil I S. 3007) nach Maßgabe der neueren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur disziplinarrechtlichen Ahndung des Besitzes kinderpornografischer Schriften

BVerwG, Urteil vom 19.8.2010 - 2 C 5/10 -, zitiert nach juris -

die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis ist.

Gleichwohl bestehen jedoch ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides des Antragsgegners vom 20.12.2010 mit Blick auf die ordnungsgemäße Ausübung des der Disziplinarbehörde in § 38 SDG eingeräumten Ermessens. Denn der Antragsgegner hat seiner Ermessensentscheidung nach § 38 SDG auf der Tatbestandsseite Tatsachen zugrunde gelegt, die sich zum Teil aus den von ihm zitierten Quellen so nicht entnehmen lassen und zum Teil aller Voraussicht nach einem Verwertungsverbot unterliegen.

Wie dargelegt, lässt sich dem strafrechtlichen Urteil vom 10.2.2010 nicht mit Bestimmtheit die Feststellung entnehmen, dass der Antragsteller 781 Bilddateien kinderpornografischen Inhalts in Besitz hatte. Gleichwohl sind die streitgegenständlichen Maßnahmen der vorläufigen Dienstenthebung und der Einbehaltung von Dienstbezügen im Bescheid des Beklagten vom 20.12.2010 maßgeblich auf den „Ihnen zur Last gelegte(n) Besitz von 781 Bilddateien mit kinderpornografischen Darstellungen, auf denen u.a. Mädchen zu sehen sind, die offensichtlich jünger als 14 Jahre alt sind und mit denen Erwachsene Vaginalverkehr ausüben, die Erwachsene oral stimulieren oder die von Erwachsenen an ihren Geschlechtsteilen berührt werden (zitiert aus dem Ihnen gegenüber ergangenen Strafurteil des Amtsgerichts Saarbrücken vom 10. Februar 2010“ gestützt.

Ferner heißt es in dem Bescheid:

„Milderungsgründe, die die Annahme einer Disziplinarmaßnahme unterhalb der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis wahrscheinlich machen würden, sind nicht zu erkennen. Bei Ihrem im Strafverfahren wie auch im Rahmen der behördlichen Anhörung vom 22.4.2010 eingestandenen Fehlverhalten handelt es sich nicht um ein einmaliges oder nur ganz kurzfristiges Verhalten und Versagen, sondern um Aktivitäten, die sich über einen längeren Zeitraum - Sie erwähnten als relevante Zeit die Jahre 2006 und 2007 - hingezogen haben und eine Vielzahl einzelner Schritte zur Verschaffung und Abspeicherung von 781 Bilddateien erforderten. In den Fällen, die Gegenstand dieses Disziplinarverfahrens sind, handelten Sie jeweils vorsätzlich. Dies steht aufgrund ihrer Einlassung in der Anhörung vom 22.4.2010 fest.“

Zum Beleg der von ihm seiner Ermessensentscheidung zugrunde gelegten Tatsachen hat der Antragsgegner damit maßgeblich nicht nur auf die – wie oben bereits dargelegt - unscharfen Formulierungen des Strafurteils zurückgegriffen, sondern auch auf Äußerungen des Antragstellers, die dieser in der - vor der mit Verfügung vom 26.4.2010 erfolgten förmlichen Einleitung des Disziplinarverfahrens durchgeführten - Anhörung vom 22.4.2010 getätigt hatte.

Dem über diese Anhörung gefertigten Protokoll kann indes weder entnommen werden, dass der Antragsteller gemäß § 20 Abs. 1 Satz 3 SDG darüber belehrt wurde, dass es ihm freistehe, sich mündlich oder schriftlich zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen, noch dass er darüber belehrt wurde, dass es ihm freistehe, sich jederzeit eines oder einer Bevollmächtigten oder eines Beistandes zu bedienen. Ob es dem Antragsgegner gelingen wird, seinen Vortrag, der Antragsteller sei zu dem ersten Punkt tatsächlich belehrt worden, auch wenn dies im Protokoll nicht festgehalten wurde, zu beweisen, erscheint derzeit offen. Bezüglich der Belehrung zu dem zweiten Punkt hat der Antragsgegner selbst vorgetragen, es sei nicht erinnerlich, ob insoweit eine Belehrung des Antragstellers stattgefunden habe. Insoweit spricht derzeit alles dafür, dass der Inhalt der Anhörung vom 22.4.2010 einem Verwertungsverbot unterfällt.

Danach hat der Antragsgegner seiner Ermessensentscheidung über die vorläufige Dienstenthebung und Einbehaltung der Dienstbezüge einen Sachverhalt zugrunde gelegt, der nach derzeitigem Erkenntnisstand aller Voraussicht nach nicht hätte zugrunde gelegt werden dürfen, weil er zum Teil, bezogen auf die Anzahl der kinderpornografischen Darstellungen nicht ordnungsgemäß festgestellt worden war und zum Teil, bezogen auf den Zeitraum des Besitzes dieser kinderpornografischen Darstellungen, aller Voraussicht nach auf eine Erkenntnisquelle gestützt ist, die einem Verwertungsverbot unterliegt. Liegt aber einer Ermessensbetätigung ein unrichtiger oder nicht ordnungsgemäß festgestellter Sachverhalt zugrunde, so erweist sich grundsätzlich auch die darauf gestützte Ermessensausübung als fehlerhaft

vgl. nur Kopp/Schenke, VwGO, 16. Auflage, § 114 Rdnr. 12; Bader/Funke-Kaiser/Kuntze/von Albedyll, VwGO, 4. Auflage, § 114 Rdnr.13 m.w.N.; BVerwG, Urteil vom 2.7.1992 – 5 C 51/90 -, zitiert nach juris.

Der vorliegende Ermessensfehler ist vorliegend auch nicht unter den Aspekten einer möglichen Ermessensreduzierung auf Null oder eines wirksamen Nachschiebens von Ermessenserwägungen unbeachtlich. Die tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen dafür liegen hier nicht vor.

Es kann vor diesem Hintergrund auch dahinstehen, ob der Auffassung des Verwaltungsgerichts gefolgt werden kann, dass auch schon der zeitlich nicht näher eingegrenzte Besitz von (nur) 10 kinderpornografischen Bilddateien - auf der Tatbestandsseite des § 38 SDG - ausreichend für die Verhängung der Höchstmaßnahme im Disziplinarverfahren gegenüber dem Antragsteller sei. Ebenso kann offen bleiben, ob - wofür aus der Sicht des Senats einiges spricht - aus dem Gesamtergebnis des strafrechtlichen Ermittlungs- und Gerichtsverfahrens Feststellungen abgeleitet werden können, die die Annahme rechtfertigen, dass der Antragsteller im Besitz eines Mehrfachen von 10 kinderpornografischen Bilddateien gewesen ist. Denn ungeachtet dessen ist es den Disziplinargerichten verwehrt, ausgehend von ihren eigenen Annahmen zu den auf der Tatbestandsseite relevanten Tatsachen die Ermessensentscheidung des Antragsgegners nach § 38 SDG durch ihre eigene Ermessensentscheidung zu ersetzen. Es ist vielmehr allein Sache des Antragsgegners, die von ihm getroffene Ermessensentscheidung nach § 38 SDG, gegen deren Rechtmäßigkeit wegen Ermessensfehlgebrauchs ernstliche Zweifel bestehen, durch eine erneute Ermessensentscheidung, die auf eine ordnungsgemäße Tatsachengrundlage gestützt ist, zu ersetzen

vgl. BVerwG, Beschluss vom 21.9.2000 - 1 DB 7/00 - sowie vom 16.11.1999 - 1 DB 8/99 -, jeweils zitiert nach juris.

Der Antrag des Antragstellers hatte daher Erfolg. Die begehrte Aussetzung nach § 63 SDG war daher auszusprechen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 77 Abs. 4 SDG, 154 Abs. 1 VwGO.

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar.

(1) Die Entscheidung über eine Disziplinarmaßnahme ergeht nach pflichtgemäßem Ermessen. Die Disziplinarmaßnahme ist nach der Schwere des Dienstvergehens zu bemessen. Das Persönlichkeitsbild des Beamten ist angemessen zu berücksichtigen. Ferner soll berücksichtigt werden, in welchem Umfang der Beamte das Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit beeinträchtigt hat.

(2) Ein Beamter, der durch ein schweres Dienstvergehen das Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit endgültig verloren hat, ist aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen. Dem Ruhestandsbeamten wird das Ruhegehalt aberkannt, wenn er als noch im Dienst befindlicher Beamter aus dem Beamtenverhältnis hätte entfernt werden müssen.

Gründe

1

Die Beschwerde des Beklagten hat mit der Maßgabe Erfolg, dass der Rechtsstreit gemäß § 133 Abs. 6 VwGO, § 69 BDG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückzuverweisen ist. Die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO liegen vor, weil das Berufungsurteil auf der vom Beklagten geltend gemachten Verletzung seines Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs gemäß Art. 103 Abs. 1 GG beruht.

2

Der Beklagte, ein Bundesbahnobersekretär, wurde im Jahr 1999 wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr und im Jahr 2001 wegen Urkundenfälschung in Tateinheit mit versuchtem Betrug jeweils zu einer Geldstrafe verurteilt. Im Jahr 2003 wurde gegen den Beklagten wegen Urkundenfälschung in Tatmehrheit mit 13 sachlich zusammenhängenden Fällen des Missbrauchs von Scheck- und Kreditkarten eine Gesamtfreiheitsstrafe von acht Monaten verhängt, die zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die jeweils sachgleichen Disziplinarverfahren wurden eingestellt (§ 27 BDO und § 32 Abs. 1 Nr. 3 BDG). Im November 2006 wurde der Beklagte wegen versuchten Betrugs in zwei Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit Urkundenfälschung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 11 Monaten verurteilt, die nicht zur Bewährung ausgesetzt wurde. Auf die sachgleiche Disziplinarklage erkannte das Verwaltungsgericht wegen eines außerdienstlichen Dienstvergehens auf Entfernung aus dem Beamtenverhältnis. Der Verwaltungsgerichtshof hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen.

3

1. Art. 103 Abs. 1 GG gewährleistet den Verfahrensbeteiligten das Recht, sich nicht nur zu dem der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt, sondern auch zur Rechtslage zu äußern, und verpflichtet das Gericht, den Vortrag der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Dabei kann es in besonderen Fällen auch geboten sein, die Verfahrensbeteiligten auf eine Rechtsauffassung hinzuweisen, die das Gericht der Entscheidung zugrunde legen will. Es kann im Ergebnis der Verhinderung eines Vortrags zur Rechtslage gleichkommen, wenn das Gericht ohne vorherigen Hinweis auf einen rechtlichen Gesichtspunkt abstellt, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter selbst unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen nicht zu rechnen brauchte. Allerdings ist zu beachten, dass das Gericht grundsätzlich weder zu einem Rechtsgespräch noch zu einem Hinweis auf seine Rechtsauffassung verpflichtet ist. Auch wenn die Rechtslage umstritten oder problematisch ist, müssen daher die Verfahrensbeteiligten grundsätzlich alle vertretbaren rechtlichen Gesichtspunkte von sich aus in Betracht ziehen und ihren Vortrag darauf einstellen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. Mai 1992 - 1 BvR 986/91 - BVerfGE 86, 133 <144 f.> und Urteil vom 14. Juli 1998 - 1 BvR 1640/97 - BVerfGE 98, 218 <263> jeweils m.w.N.).

4

Nach diesen Grundsätzen war das Berufungsgericht verpflichtet, vor seiner Entscheidung über die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts diesen darauf hinzuweisen, dass es aufgrund der gegen den Beklagten ausgesprochenen Freiheitsstrafe von 11 Monaten bei einem außerdienstlichen Dienstvergehen von der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis quasi als Regelmaßnahme ausgehen würde, von der nur bei Vorliegen besonderer, gewichtiger Milderungsgründe abgewichen werden kann. Wie die Ausführungen auf Seite 13 des Berufungsurteils belegen, ist der Verwaltungsgerichtshof der Sache nach davon ausgegangen, dass die Verhängung einer Freiheitsstrafe im Strafverfahren, die nur wenig unterhalb der sich aus § 48 Satz 1 Nr. 1 BBG a.F. (§ 41 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BBG) ergebenden Grenze liegt, für das Disziplinarverfahren ohne Weiteres die Dienstentfernung nach sich zieht. Diese Rechtsansicht widerspricht der Rechtsprechung des Disziplinarsenats des Bundesverwaltungsgerichts zur Bedeutung einer im Strafverfahren verhängten Freiheitsstrafe für die Bemessung der Disziplinarmaßnahme im sachgleichen Disziplinarverfahren. Der Disziplinarsenat hat in dem im Berufungsurteil genannten Urteil vom 8. März 2005 (BVerwG 1 D 15.04 - Buchholz 232 § 77 BBG Nr. 24 S. 16) festgestellt, dass wegen der Eigenständigkeit des Disziplinarrechts der strafrechtlichen Einstufung des Falles durch das Strafmaß im eigentlichen Sinne keine präjudizielle Bedeutung für die Bemessung der Disziplinarmaßnahme zukommt. Demnach ist es ausgeschlossen, vom Ausspruch einer Freiheitsstrafe von weniger als einem Jahr zwingend auf die Dienstentfernung zu schließen, ohne weitere bemessungsrelevante Umstände i.S.d. § 13 Abs. 1 BDG in den Blick zu nehmen. Dies gilt zumal in Betrugsfällen, in denen stets eine Abwägung der fallbezogenen erschwerenden und entlastenden Umstände stattzufinden hat, wobei der Höhe des Schadens besondere Bedeutung zukommt (vgl. unten S. 5 f.).

5

Ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter muss auch unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen nicht damit rechnen, dass ein Gericht ohne Hinweis in einer für den Ausgang des Verfahrens entscheidenden Frage von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abweicht. Ausweislich der dem Senat vorliegenden Gerichtsakten bot der Ablauf des gerichtlichen Verfahrens aus Sicht des Beklagten bis zur Zustellung des Berufungsurteils auch keine Veranlassung, die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Bedeutung der im sachgleichen Strafverfahren verhängten Freiheitsstrafe für die Bemessung der Disziplinarmaßnahme anzusprechen und vorsorglich einer Abweichung von diesen Grundsätzen entgegenzutreten. Der Beklagte ist davon überrascht worden, dass das Berufungsgericht die Dienstentfernung in Abweichung von der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ausschließlich auf die verhängte Freiheitsstrafe gestützt hat.

6

Das Berufungsurteil beruht auch auf dem Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht bei Berücksichtigung des Vorbringens, das der Beklagte in der Beschwerdebegründung dargelegt hat, zu einer ihm günstigeren Entscheidung gelangt wäre (vgl. BVerfG, Beschluss vom 8. Februar 1994 - 1 BvR 765, 766/89 - BVerfGE 89, 381 <392 f.>). Hätte das Berufungsgericht den Beklagten vor dem Urteil über seine Erwägungen zur Bedeutung einer Freiheitsstrafe für die Bemessung der Disziplinarmaßnahme in Kenntnis gesetzt, so hätte der Beklagte seinerseits darauf verweisen können, dass diese mit den Grundsätzen des Bundesverwaltungsgerichts zum Verhältnis von Freiheitsstrafe und Bemessung einer Disziplinarmaßnahme gerade nicht in Einklang stehen. Dies hätte dazu führen können, dass das Berufungsgericht seinen Bemessungserwägungen eine mildere Disziplinarmaßnahme als die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis zugrunde gelegt hätte.

7

2. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:

Nach der Grundsatzentscheidung des Disziplinarsenats vom 30. August 2000 - BVerwG 1 D 37.99 (BVerwGE 112, 19), die das Leitbild des Beamten als Vorbild für den Rest der Bevölkerung in allen Lebenslagen verabschiedet hat, hat der Senat im Urteil vom 25. März 2010 - BVerwG 2 C 83.08 (zur Veröffentlichung in BVerwGE bestimmt) zwar zur Auslegung gesetzlicher Begriffe wie "besondere Eignung zur Vertrauensbeeinträchtigung" auf das Strafrecht abgestellt. Er hat aber auch in dieser Entscheidung hervorgehoben, dass nur vorsätzlich begangene schwerwiegende Straftaten, die mit einer Freiheitsstrafe geahndet worden sind, auch ohne Bezug auf das konkrete Amt zu einer Ansehensschädigung führen. Wie schwerwiegend eine außerdienstliche Straftat ist, hängt unter anderen von den Umständen des konkreten Einzelfalles (hier versuchter Betrug) und vom Strafrahmen für die verwirklichten Delikte (hier: 5 Jahre im Höchstmaß) ab. Der Senat hat deshalb lediglich für den Ausnahmefall des außerdienstlichen sexuellen Missbrauch eines Kindes gemäß § 176 Abs. 1 StGB (Rn. 18 und LS, a.a.O.) entschieden, dass aufgrund der Schwere eines solchen Dienstvergehens gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 BDG als Richtschnur für die Maßnahmebemessung die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis bzw. die Aberkennung des Ruhegehalts zugrunde gelegt werden kann.

8

Bei einem außerdienstlich begangenen Betrug ist die Variationsbreite, in der gegen fremdes Vermögen gerichtete Verfehlungen denkbar sind, zu groß, als dass sie einheitlichen Regeln unterliegen und in ihren Auswirkungen auf Achtung und Vertrauen gleichermaßen eingestuft werden können. Stets sind die besonderen Umstände des Einzelfalls maßgebend. In Fällen des innerdienstlichen Betrugs zum Nachteil des Dienstherrn ist der Beamte in der Regel aus dem Dienst zu entfernen, wenn im Einzelfall Erschwerungsgründe vorliegen, denen keine Milderungsgründe von solchem Gewicht gegenüberstehen, dass eine Gesamtbetrachtung nicht den Schluss rechtfertigt, der Beamte habe das Vertrauen endgültig verloren. Je gravierender die Erschwerungsgründe in ihrer Gesamtheit zu Buche schlagen, desto gewichtiger müssen die Milderungsgründe sein, um davon ausgehen zu können, dass noch ein Rest an Vertrauen zum Beamten vorhanden ist. Erschwerungsgründe können sich z.B. aus Anzahl und Häufigkeit der Betrugshandlungen, der Höhe des Gesamtschadens, der missbräuchlichen Ausnutzung der dienstlichen Stellung oder dienstlich erworbener Kenntnisse sowie daraus ergeben, dass die Betrugshandlung im Zusammenhang mit weiteren Verfehlungen von erheblichem disziplinarischen Eigengewicht, z.B. mit Urkundenfälschungen stehen (Urteile vom 28. November 2000 - BVerwG 1 D 56.99 - Buchholz 232 § 54 Satz 2 BBG Nr. 23; vom 26. September 2001 - BVerwG 1 D 32.00 - Buchholz 232 § 77 BBG Nr. 18 und vom 22. Februar 2005 a.a.O.; Beschluss vom 14. Juni 2005 - BVerwG 2 B 108.04 - NVwZ 2005, 1199 <1200>). Aus der Senatsrechtsprechung lässt sich der Grundsatz ableiten, dass beim einem Gesamtschaden von über 5 000 € die Entfernung aus dem Dienst ohne Hinzutreten weiterer Erschwerungsgründe gerechtfertigt sein kann (Beschluss vom 24. Februar 2005 - BVerwG 1 D 1.05 - juris m.w.N.). Derartige Bemessungsgrundsätze gelten auch für außerdienstliche Betrugsfälle und Veruntreuungen (Urteil vom 24. November 1998 - BVerwG 1 D 36.97 - Buchholz 232 § 54 Satz 3 BBG Nr. 16; Beschluss vom 3. Juli 2007 - BVerwG 2 B 18.07 - Buchholz 235.1 § 69 BDG Nr. 1 Rn. 12).

9

Für die Zumessungsentscheidung müssen weiter die in § 13 Abs. 1 Satz 2 bis 4 BDG genannten Bemessungskriterien ermittelt und mit dem ihnen zukommenden Gewicht eingestellt werden. Insoweit kann von Bedeutung sein, dass der Beklagte nach den tatsächlichen Feststellungen im Berufungsurteil in dem relativ kurzen Zeitraum von der Erhebung der Disziplinarklage vor dem Verwaltungsgericht (Ende Juli 2007) bis zum Berufungsurteil (27. Mai 2009) seinen Schuldenstand von 25 000 € immerhin um 10 000 € reduzieren konnte. Auch sind die Gründe einzubeziehen, die für die Einstellung der früheren Disziplinarverfahren maßgebend waren.

Tenor

Die Berufung der Beamtin gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart - Disziplinarkammer - vom 04. Februar 2010 - ... - wird zurückgewiesen.

Die Beamtin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Gründe

 
I.
Die am ... geborene Beamtin trat nach dem Erwerb der mittleren Reife im ... und einem daran anschließenden einjährigen Berufskolleg am ... unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Widerruf als Steueranwärterin in die Finanzverwaltung des Landes Baden-Württemberg ein. Nachdem sie am ... die Wiederholung der Laufbahnprüfung für den mittleren Dienst mit der Note „ausreichend“ (7,41 Punkte) bestanden hatte, wurde sie am ... unter Berufung in das Beamtenverhältnis auf Probe zur Steuerassistentin z.A. ernannt und beim Finanzamt ... in einem Veranlagungsbezirk eingesetzt. Zum ... wurde sie zum Finanzamt ... versetzt, bei dem sie ebenfalls in der Veranlagung eingesetzt wurde. Am ... wurde die Beamtin zur Steuerassistentin ernannt, am ... wurde sie in die Besoldungsgruppe A 6 (Steuersekretärin) übergeleitet. Am ... wurde die Beamtin an das Finanzamt ... zurückversetzt und weiterhin in einem Veranlagungsbezirk eingesetzt. Am ... wurde sie zur Steuerobersekretärin befördert. Am ... wurde ihr die Eigenschaft einer Beamtin auf Lebenszeit verliehen. Die letzte dienstliche Beurteilung der Beamtin zum Stichtag 01.01.2002 lautete auf das Gesamturteil 5,5 Punkte („entspricht den Leistungserwartungen“).
Die Beamtin ist verheiratet und hat ... Kinder. Sie verfügte im Februar 2004 über ein monatliches Nettoeinkommen in Höhe von 1.749,19 EUR, ihr Ehemann als ... über etwa 1.960 EUR. Nach der Dienstenthebung beträgt das Nettoeinkommen der Beamtin ca. 822 EUR.
Mit seit dem 24.09.2005 rechtskräftigem Strafbefehl des Amtsgerichts ... vom 05.09.2005 - ... - wurde gegen die Beamtin wegen zweier Vergehen der tateinheitlichen Einkommensteuerhinterziehung und Hinterziehung von Solidaritätszuschlag gemäß §§ 370 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 Nr. 2, 150 AO, §§ 1 Abs. 1, 2, 25 EStG, § 56 EStDVO, §§ 1, 2 SolZG, § 52 StGB sowie ein Vergehen der tateinheitlichen Urkundenfälschung sowie Einkommensteuerhinterziehung und Hinterziehung von Solidaritätszuschlag im besonders schweren Fall gemäß §§ 267 StGB, 52 StGB, §§ 370 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 Nr. 2, 150 AO, §§ 1 Abs. 1, 2, 25 EStG, § 56 EStDVO, §§ 1, 2 SolZG eine Gesamtfreiheitsstrafe von 8 Monaten verhängt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Der Beamtin wurde in dem Strafbefehl folgender Sachverhalt zur Last gelegt:
„Die Angeklagte war Sachbearbeiterin für die Veranlagung von Einkommensteuer für Steuerpflichtige mit den Anfangsbuchstaben „...“ beim Finanzamt .... Beim Finanzamt ... wurde u.a. die Mutter der Angeklagten, ..., veranlagt, die im selben Haus wie die Angeklagte selbst wohnt.
Fälle 1 und 2a
Unter bewusster Ausnutzung ihrer Funktion als Veranlagungsbeamtin gab die Angeklagte aufgrund jeweils neuen Tatentschlusses jeweils höhere als die in den Lohnsteuerkarten vom Arbeitgeber tatsächlich bescheinigten Steuerabzugsbeträge bei der Erfassung und Bearbeitung der Einkommensteuererklärungen 1998 und 1999 ihrer Mutter an. Wie von der Angeklagten vorhergesehen und beabsichtigt, ergaben sich aufgrund der Anrechnung der vermeintlich erhöhten Steuerabzugsbeträge zugunsten ... in 1998 ein ungerechtfertigt hoher Erstattungsbetrag und in 1999 ein Erstattungsbetrag statt einer Nachzahlung auf die Einkommensteuer und den Solidaritätszuschlag. Im einzelnen:
Fall
Datum
Manipulierter
Bescheid
Festgesetzte
ESt / Soli lt.
Bescheid DM
Steuerabzug
vom Lohn
ESt / Soli lt.
Bescheid DM
Steuerabzug
vom Lohn
ESt / Soli lt.
Prüfung DM 
Verkürzte
ESt / Soli DM
Verkürzte
ESt / Soli EUR
(gerundet)
1       
09.06.00
3872,00 /
40,00
5536,00 /
304,48
4051,00 /
49,51
1485,00 /
254,97
759 /
130      
2a   
24.01.01
5626,00 /
309,43
8268,00 /
454,74
4167,00 /
38,79
4101,00 /
415,95
2097 /
213      
Fall 2 b
Bzgl. des Veranlagungsjahres 1999 änderte die Angeklagte die in den Steuerakten befindliche Lohnsteuerkarte der ... wie folgt handschriftlich ab, um bei einer Überprüfung der Steuerakten den Eindruck zu erwecken, die höheren Steuerabzugsbeträge seien bereits vom Arbeitgeber eingetragen worden.
10 
1999
Ursprüngliche
Bescheinigung DM
Eintragung nach
Änderungen der
Angeklagten DM
Lohnsteuer
4166,00
8268,00
Kirchenlohnsteuer
333,24
661,44
Soli
38,79
474,74
11 
Fall 3
12 
Zu einem näher nicht mehr aufklärbaren Zeitpunkt ab 22.02.01 erfuhr die Angeklagte durch ein mitangehörtes Telefonat ihres Kollegen, dass die mittels der verfälschten Lohnsteuerkarte fingierten Steuererstattungsbeträge entdeckt waren. Aufgrund neuen Tatentschlusses und wiederum unter Missbrauch ihrer Position beim Finanzamt ... veranlasste sie daher am 06.06.01 die Erstellung eines neuen Bescheids vom 11.06.01, in dem die Steuerabzugsbeträge zwar korrigiert, nunmehr jedoch - positive - Einkünfte aus Vermietung in Höhe von 4046 DM fälschlicherweise als Verlust von 4046 DM ausgewiesen wurden. Dies führte zwar zur Wiedergutmachung der im Fall 2a eingetretenen Einkommensteuerverkürzung, zugleich jedoch zur erneuten Einkommensteuerhinterziehung und Hinterziehung von Solidaritätszuschlag zugunsten von ... wie folgt:
13 
Datum
Bescheid
ESt / Soli lt.
Bescheid DM
Festzusetzende
ESt / Soli lt.
Prüfung DM
Verkürzte
ESt / Soli DM
Verkürzter
Soli DM (EUR)
11.06.01
4068,00 /
79,20
6112,00 /
336,16
2044,00 /
256,92
1042 /
131      
14 
Bereits am 13.01.2004 wurde der Beamtin die Führung der Dienstgeschäfte vorläufig verboten. Mit Verfügung vom 11.03.2004, die der Beamtin am 12.03.2004 zugestellt wurde, leitete die Oberfinanzdirektion ... gegen die Beamtin das förmliche Disziplinarverfahren ein und bestellte eine Untersuchungsführerin und den Vertreter der Einleitungsbehörde. Mit Schreiben vom 01.04.2004 zeigte der frühere bevollmächtigte Rechtsanwalt der Beamtin deren Vertretung im Disziplinarverfahren an.
15 
Mit Verfügung der Oberfinanzdirektion ... vom 06.04.2004 wurde die Beamtin vorläufig des Dienstes enthoben. Zugleich wurde die Einbehaltung der Hälfte ihrer Besoldungsbezüge verfügt.
16 
Mit Verfügung vom 22.04.2004 wurde das förmliche Disziplinarverfahren im Hinblick auf das strafrechtliche Ermittlungsverfahren ausgesetzt. Nach Rechtskraft des Strafbefehls vom 05.09.2005 wurde es fortgeführt.
17 
Den Termin zur Vernehmung gemäß § 55 LDO am 06.03.2006 nahm die Beamtin in Anwesenheit ihres damaligen Bevollmächtigten wahr und führte hinsichtlich ihrer Person unter anderem aus, dass sie sich zur Zeit in psychologischer/psychiatrischer Behandlung befinde; ansonsten lägen keine Krankheiten vor. In der Sache wurde mit Zustimmung der Beamtin und des Vertreters der Einleitungsbehörde der Sachverhalt, so wie er im Strafbefehlsverfahren zu Grunde gelegt wurde, auch im Disziplinarverfahren zu Grunde gelegt. Zusätzlich wurde der Beamtin der weitere Vorwurf gemacht, sie habe Arbeitszeiten manipuliert. Die Beamtin gab bei der Vernehmung zur Sache unter anderem an: Sie habe seit 1999 massive Eheprobleme gehabt, da ihr Mann fremd gegangen sei. Es sei ein ständiges Auf und Ab gewesen, bis im Dezember 1999 nochmals ein Versuch gestartet worden sei, die Ehe zu retten. Sie habe damals privat wie auch im Amt keine Ansprechpartner gehabt. Sie habe sich über die Folgen der Taten keine Gedanken gemacht. Auch im Nachhinein könne sie sich die Tat nicht erklären. Es sei wie ein Grauschleier gewesen. Ihre Mutter habe sich nach dem Tod ihres Vaters Sorgen um die finanziellen Verhältnisse gemacht und diese ihr gegenüber geäußert. Aus Mitleid habe sie dann beim Erstellen der Erklärung die Steuerabzugsbeträge entsprechend geändert. Sie habe sich im Herbst 2004 Hilfe beim Hausarzt und im Dezember 2004 bei einer Psychologin geholt. Sie befinde sich seit Dezember 2004 wegen depressiver Verstimmungen in Behandlung und sei es immer noch. Zeitweilig habe sie auch Medikamente genommen. Die Beamtin übergab insoweit eine nervenärztliche Bescheinigung der Ärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. ... - ohne Datum -, in der der Beamtin eine leichte bis mittelgradige depressive Episode bescheinigt wird. Die Beamtin habe sich seit Dezember 2004 in größeren Abständen wegen der Depression vorgestellt. Unter „Zusammenfassung“ heißt es in der Bescheinigung:
18 
„Frau ... stand in den Jahren 1999 und 2000 unter schwerer seelischer Belastung durch Ehekrise und unerfülltem Kinderwunsch und beschreibt eine depressive Grundstimmung, Angst, Selbstunsicherheit. Im Jahr 2000 kam der plötzliche Tod des Vaters, der der Familie Halt gegeben hatte, so dass die Sorge um ihre Mutter zunahm und sie die finanzielle Situation der Mutter falsch bewertete.
19 
Seit Dezember 2004 kann ich die mittelgradige depressive Störung bestätigen, die bei ihr mit depressiver Grundstimmung, eingeengter affektiver Schwingungsfähigkeit, Zukunftsängsten, Selbstwertproblematik und Rückzug aus sozialen Bezügen einhergeht.
20 
Zusammenfassend ist zu überlegen, ob im Rahmen der 1999 und 2000 [sich] bestehenden depressiven Reaktion bei den schweren situativen Belastungen eine in gewisser Beziehung geminderte Schuldfähigkeit bestand, wobei sie wohl das Unrecht der Tat einsah, aber nicht nach dieser Einsicht handeln konnte.“
21 
Mit Schreiben vom 17.10.2006 wies die Untersuchungsführerin die Beamtin darauf hin, dass sich aus den beigezogenen Akten ergebe, dass schon bei der erstmaligen Veranlagung der Einkommensteuererklärung 1998 der Eltern im September 1999 (und nicht erst im Rahmen der Abänderung des Einkommensteuerbescheids der Eltern für das Jahr 1998 mit Bescheid vom 09.06.2000) überhöhte Steuerabzugsbeträge berücksichtigt und dadurch Steuern verkürzt worden seien, so dass insoweit der Sachverhalt, wie er im Strafbefehl zu Grunde gelegt worden sei, nach den im staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren aufgefundenen Unterlagen nicht zutreffend sein könne. Der Sachverhalt werde deshalb insoweit auch nicht dem förmlichen Disziplinarverfahren zu Grunde gelegt. Die Vorwürfe wurden daraufhin dahingehend abgeändert, dass der Beamtin nunmehr Steuerhinterziehung in vier rechtlich selbständigen Handlungen zu Gunsten Dritter und im Amt sowie Urkundenfälschung und -unterdrückung und ein Verwahrungsbruch im Amt vorgeworfen wurde.
22 
Mit Schreiben vom 02.03.2007 führte der Verteidiger der Beamtin aus, er habe auf Grund eines ausführlichen Gesprächs feststellen müssen, dass die Beamtin gesundheitlich nicht in der Lage sei, sich einer weiteren Beschuldigtenvernehmung zu stellen. Mit Schreiben vom 12.03.2007 gab der Verteidiger der Beamtin an, diese werde keine Angaben mehr machen, selbst wenn sie gesund wäre. In einer ärztlichen Bescheinigung der Ärztin für Psychiatrie und Psychotherapie ... vom 14.05.2007 wird ausgeführt, dass die Beamtin derzeit nicht in der Lage sei, eine mehrstündige Verhandlung durchzustehen.
23 
Mit Schreiben vom 22.11.2007 beantragte der Vertreter der Einleitungsbehörde die Bestellung eines Betreuers für die Beamtin wegen deren Verhandlungsunfähigkeit gemäß § 20 Abs. 2 Nr. 1 LDO. Im Weiteren legte der Verteidiger der Beamtin eine nervenärztliche Bescheinigung von Frau Dr. ... vom 18.03.2005 vor, in der die Diagnose einer leichten bis mittelgradigen depressiven Episode nach schwerer situativer Belastung gestellt wird. Die depressive Reaktion stehe im Zusammenhang mit ihrer momentanen Situation, dem schwebenden Verfahren, wobei sich die Beamtin wegen ihrer damaligen Verfehlung schwere Selbstvorwürfe mache. Ihr sei ein mildes Antidepressivum rezeptiert worden. Ein Sachverständigengutachten des Gesundheitsamtes ..., Dr. ..., vom 04.10.2007 an das Amtsgericht ... zur Verhandlungsfähigkeit der Beamtin gelangte zu folgendem Ergebnis:
24 
„Aus physischer Sicht ist Frau ... fähig, einer Verhandlung von drei Stunden zu folgen. Sehr bedenklich allerdings ist ihre offensichtliche Unfähigkeit, sich zu konzentrieren und bei einer Vernehmung genaue und verlässliche Angaben in ihrem eigenen Interesse zu machen. Dies kann dazu führen, dass sie ohne eigenes Verschulden von ihren Angaben vom März 2006 abweichende Angaben machen wird. Die reaktive Depression verlangsamt und erschwert das Denken und die für eine Vernehmung und Verhandlung erforderliche Flexibilität der Kognition. Insgesamt resultiert das Bild einer kognitiven Insuffizienz wie bei Prüfungsangst. …
25 
Ob Frau ... bereits im Zeitpunkt der Vorvernehmung im März 2006 bzw. zum Zeitpunkt der Einleitung des Disziplinarverfahrens ebenfalls bereits verhandlungsunfähig gewesen ist, kann der Sachverständige wegen des zeitlichen Ablaufs bis zu der Untersuchung vom 27.09. nicht beurteilen. Die voraussichtliche Dauer der psychogenen kognitiven Insuffizienz dürfte sich auf die Verfahrensdauer erstrecken. …. Aus ärztlicher Sicht ist Frau ... vorübergehend, mindestens jedoch für die verbleibende Verfahrensdauer nicht verhandlungsfähig.“
26 
Mit Beschluss vom 18.12.2007 - 1 XVII 127/2007 - wies das Amtsgericht ... den Antrag auf Bestellung eines Betreuers für die Beamtin zur Wahrnehmung der Rechte im Disziplinarverfahren ab. Zur Begründung hieß es: Die von dem Sachverständigen diagnostizierten Umstände reichten nicht aus, um von vollständiger Verhandlungsunfähigkeit auszugehen. Aus der persönlichen Anhörung der Beamtin vor Gericht werde geschlossen, dass eine Verhandlung mit der Betroffenen zwar schwierig, jedoch unter Berücksichtigung ihrer Einschränkungen möglich sei. Des Weiteren sei die Bestellung eines Betreuers auch nicht erforderlich, da sie einen Anwalt mit ihrer Vertretung beauftragt habe.
27 
Mit Schreiben vom 06.03.2008 beantragte der Verteidiger der Beamtin, das Verfahren wegen eines Verfahrenshindernisses einzustellen. Es stehe fest, dass die Beamtin schon zum Zeitpunkt der Einleitung des Verfahrens erkrankt gewesen sei. Es hätte schon damals einer Betreuerbestellung gemäß § 20 Abs. 2 LDO bedurft.
28 
Am 09.04.2008 fand eine weitere Beschuldigtenvernehmung zu dem erweiterten Untersuchungsgegenstand statt, an der nicht die Beamtin, sondern nur deren Verteidiger teilnahm.
29 
Mit Schreiben vom 30.04.2008 teilte der Vertreter der Einleitungsbehörde mit, dass das Verfahren fortgesetzt werde. Zum Zeitpunkt der Zustellung der Einleitungsverfügung hätten keine Anhaltspunkte dafür vorgelegen, dass die Beamtin krank oder verhandlungsunfähig gewesen sei.
30 
In seiner abschließenden Stellungnahme vom 03.07.2008 machte der Verteidiger der Beamtin geltend: Gemäß § 19 LDO sei der Sachverhalt, wie er sich aus dem rechtskräftigen Strafbefehl des Amtsgerichts... ergebe, auch dem Disziplinarverfahren zu Grunde zu legen. Eine Ausweitung der Ermittlungen sei weder geboten noch zulässig gewesen. Es liege zudem ein Verfahrenshindernis vor, da die Beamtin verhandlungsunfähig sei und diese Verhandlungsunfähigkeit bereits zu Beginn des Verfahrens bestanden habe.
31 
In einem zur Dienstfähigkeit der Beamtin eingeholten amtsärztlichen Zeugnis des Landratsamtes ..., Dr. ..., vom 21.07.2008 wird unter anderem ausgeführt:
32 
„Die Beamtin hat den Dienst bis heute nicht wieder aufnehmen können, weil die reaktive Depression sich nicht hat bessern können, da ein Abschluss des für die Beamtin belastenden Disziplinarverfahrens nicht eingetreten ist. … Die Beamtin wird dahingehend beurteilt, dass sie spätestens sechs Monate nach einem für sie positiv ausgehenden Abschluss des Disziplinarverfahrens mindestens hälftig wieder in den Dienst einsteigen kann mit einer Stufung bis zum vollen Dienstumfang um je ein Viertel in Abstand von jeweils zwei Monaten.“
33 
Am 03.11.2008 hat der Vertreter der Einleitungsbehörde der Disziplinarkammer beim Verwaltungsgericht Stuttgart die Anschuldigungsschrift vorgelegt, in der der Beamtin vorgeworfen wird:
34 
1. Hinterziehung von Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag im Amt zugunsten Dritter bei der erstmaligen Veranlagung der Einkommensteuererklärung ... 1998 (Einkommensteuerbescheid 1998 vom 20.09.1999, freigegeben am 15.09.1999)
35 
2. Hinterziehung von Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag im Amt zugunsten Dritter bei der Abänderung des Einkommensteuerbescheides ... 1998 (Einkommensteuerbescheid 1998 vom 09.06.2000, freigegeben am 06.06.2000)
36 
3. Hinterziehung von Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag im Amt zugunsten Dritter bei der erstmaligen Veranlagung der Einkommensteuererklärung ... 1999 (Einkommensteuerbescheid 1999 vom 24.01.2001, freigegeben am 19.01.2001)
37 
4. Urkundenfälschung durch Abänderung der Steuerabzugsbeträge auf der Lohnsteuerkarte 1999 von Frau ...
38 
5. Hinterziehung von Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag im Amt zugunsten Dritter bei der Abänderung des Einkommensteuerbescheids ... 1999 (Einkommensteuerbescheid 1999 vom 11.06.2001, freigegeben am 06.06.2001)
39 
6. Urkundenunterdrückung und Verwahrungsbruch im Amt durch Verbringen der Veranlagungsakten ... in die Altaktenregistratur und weitere Manipulationshandlungen
40 
7. Hinterziehung von Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag zugunsten Dritter beim Erstellen der Einkommensteuererklärung ... 2001
41 
8. Unerlaubtes Fernbleiben vom Dienst und Manipulation von Arbeitszeiten in der Zeit von Anfang Februar 2003 bis Mitte Mai 2003
42 
9. Verstoß gegen das Gebot der Unparteilichkeit bei Amtshandlungen
43 
Durch diese Verstöße habe die Beamtin die Pflichten, ihr Amt uneigennützig und nach bestem Wissen und Gewissen zu verwalten und mit ihrem Verhalten der Achtung und dem Vertrauen gerecht zu werden, die ihr Beruf erfordert, dem Dienst nicht ohne Genehmigung des Dienstvorgesetzten fernzubleiben sowie die Pflicht zur Unparteilichkeit verletzt. Die Beamtin habe ein schweres Dienstvergehen begangen, indem sie anderen vorsätzlich und fortgesetzt mit erheblicher krimineller Energie ungerechtfertigte Steuervorteile verschafft habe, obwohl sie öffentliche Aufgaben wahrzunehmen gehabt habe. Sie sei für den öffentlichen Dienst untragbar und ihr Verbleiben im Dienst dem Dienstherrn nicht mehr zumutbar.
44 
Der Verteidiger der Beamtin hat im Verfahren vor der Disziplinarkammer geltend gemacht: Es liege ein Verfahrenshindernis vor, das zur Einstellung des Disziplinarverfahrens führen müsse. Die Feststellungen der Ärztin Dr. ... würden den Verdacht nahe legen, dass die Beamtin bereits bei Einleitung des Verfahrens, vor allem auch schon bei der Vernehmung der Beamtin im März 2006 verhandlungsunfähig gewesen sei. Vorsorglich sei weiterhin davon auszugehen, dass gemäß § 19 LDO von dem Sachverhalt, wie er sich aus dem rechtskräftigen Strafbefehl ergebe, auszugehen sei. Eine Ausweitung der Ermittlungen sei weder geboten noch zulässig gewesen. Es lägen zudem Milderungsgründe vor: Die Beamtin habe sich zum Zeitpunkt der Tat in einer schweren Ehekrise befunden. Die unklare Situation habe sie in besonders starker Weise belastet. Sie habe deshalb in einem rational nicht nachvollziehbaren Akt versucht, von ihr geliebte Menschen an sich zu binden, ihnen zu helfen und die letztlich wirtschaftlich nicht sehr sinnvollen Manipulationen an den Steuererklärungen ihrer Mutter vorgenommen. Insoweit sei zumindest an eine verminderte Schuldfähigkeit zu denken. Durch die Ermittlungen und die Dauer des Verfahrens hätten sich die psychischen Belastungen der Beamtin trotz positiven Ausgangs der Ehekrise verschärft. Die reaktive Depression habe sich derart entwickelt, dass die Beamtin nicht mehr verhandlungsfähig sei. Zudem sei ihr Mann wegen psychischer Folgen einer Konfliktsituation am Arbeitsplatz arbeitsunfähig geschrieben. Die Beamtin sei geständig und sehe das Unrecht ihres Tuns vollständig ein.
45 
Die Beamtin hat in der Hauptverhandlung hilfsweise die Erhebung eines medizinisch-sachverständigen Gutachtens auf neurologisch-psychologischem Gebiet zu ihrer Verhandlungsfähigkeit zum Zeitpunkt der Einleitung des förmlichen Disziplinarverfahrens und zu der Frage ihrer erheblich verminderten Schuldfähigkeit zum Zeitpunkt der Tatbegehung beantragt.
46 
Mit Urteil vom 04.02.2010 hat die Disziplinarkammer des Verwaltungsgerichts Stuttgart die Beamtin aus dem Dienst entfernt. Zur Begründung hat sie ausgeführt: Die Verhandlungsunfähigkeit der Beamtin sei kein Verfahrenshindernis. Sie sei durch einen Verteidiger vertreten, so dass ihre Rechte ausreichend gewahrt werden könnten. Ein solches Verfahrenshindernis habe auch nicht in der Vergangenheit während des Untersuchungsverfahrens bestanden. Sie befinde sich erst seit September 2004, also nach Einleitung des förmlichen Disziplinarverfahrens wegen einer reaktiven Depression in ärztlicher Behandlung. Sie sei am 06.03.2006 zu den gegen sie erhobenen Vorwürfen vernommen worden, ohne dass dabei Schwierigkeiten aufgetreten wären. Auch auf Grund des Beschlusses des Amtsgerichts ... stehe fest, dass die Beamtin hinreichend verhandlungsfähig gewesen sei. In der Sache legte die Disziplinarkammer ihrer Entscheidung den der Beamtin in der Anschuldigungsschrift vorgeworfenen Sachverhalt zu Grunde. Danach habe die Beamtin schuldhaft ein einheitliches Dienstvergehen begangen und gegen ihre Verpflichtungen aus § 73 Satz 2 LBG, § 73 Satz 3 LBG, § 91 LBG sowie gegen §§ 77 Abs. 1 LBG, 82 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO verstoßen. Es bestünden keine Zweifel an der schuldhaften Begehung der fraglichen Verstöße. Die Beamtin sei zum Zeitpunkt der Tatbegehung weder krankgeschrieben gewesen noch habe sie sich in laufender medizinischer Behandlung befunden. Wegen einer Affäre des Ehemannes könne zwar ein psychischer Ausnahmezustand als wahr unterstellt werden, allerdings könne dieser mangels Behandlungsbedürftigkeit nicht von erheblicher Schwere gewesen sein. Die Eheprobleme seien nach der - unklaren - Aussage der Beamtin spätestens Ende 2000 vorüber gewesen, so dass diese Ausnahmesituation bei der Begehung der Taten hinsichtlich der Steuererklärungen 1999, der Steuererklärung ..., der Verdunklungshandlungen und der Arbeitszeitverstöße keine maßgebliche Rolle mehr habe spielen können. Die Beamtin habe mit ihrem Verhalten gegen die sie treffenden Beamtenpflichten im Kernbereich in besonderer Schwere verstoßen. Sie habe gerade diejenigen Pflichten verletzt, für deren Einhaltung sie durch ihre Tätigkeit zu sorgen gehabt habe. Die Taten hätten sich über eine erhebliche Zeitdauer hingezogen und noch dadurch an Gewicht gewonnen, dass die Beamtin mit erheblicher Intensität versucht habe, ihre Manipulationen zu vertuschen. Dies bedeute, dass nur eine Entfernung der Beamtin aus dem Dienst in Frage komme. Die hilfsweise gestellten Beweisanträge führten zu keiner Beweisaufnahme. Ein Unterhaltsbeitrag sei der Beamtin nicht zu bewilligen, da sie nach ihrer wirtschaftlichen Lage angesichts des Verdienstes ihres Ehemannes nicht der Unterstützung bedürftig sei.
47 
Gegen das am 26.02.2010 zugestellte Urteil hat die Beamtin am 11.03.2010 Berufung eingelegt. Zur Begründung führt ihr Verteidiger aus: Es liege ein Verfahrenshindernis vor, das zur Einstellung des Disziplinarverfahrens führen müsse. Das Verwaltungsgericht habe zu Unrecht die Verhandlungsfähigkeit der Beamtin angenommen. Sie leide unter einer reaktiven Depression, die schon im Dezember 2004 bestanden habe. Die Feststellungen in den ärztlichen Bescheinigungen der Frau Dr. ... legten zumindest den Verdacht nahe, dass auf Grund der Erkrankung der Beamtin, die ja in engem Zusammenhang mit dem Verfahren stehe, bereits bei Einleitung des Verfahrens, vor allem auch schon bei der Vernehmung im März 2006 Verhandlungsunfähigkeit bestanden habe. Die Ablehnung der Betreuerbestellung durch das Amtsgericht sei dabei unerheblich. Zum einen habe das Amtsgericht dies damit begründet, dass die Beamtin anwaltlich vertreten sei, zum anderen könne die Verhandlungsunfähigkeit im März 2006 nicht durch die erst später beantragte Bestellung eines Betreuers durch das Amtsgericht ... geheilt werden. Es sei nichts darüber bekannt, ob und inwieweit die Beamtin bei ihrer Vernehmung in der Lage gewesen sei, die Vorgänge für sich richtig einzuordnen. In diesem Zusammenhang erweise es sich als fehlerhaft, dass die Disziplinarkammer den Beweisanträgen nicht stattgegeben habe. Bei der Wahl der Disziplinarmaßnahme seien zu Gunsten der Beamtin zu würdigende Milderungsgründe nicht berücksichtigt worden. Es sei an eine verminderte Schuldfähigkeit zu denken, nachdem sich die Beamtin im Zeitpunkt der Tat in einer schweren Ehekrise befunden habe. Durch die Ermittlungen und die Dauer des Verfahrens hätten sich die psychischen Belastungen der Beamtin trotz positiven Ausgangs der Ehekrise stark verschärft. Zudem sei ihr Ehemann, ein ... im mittleren Dienst, wegen psychischer Folgen einer Konfliktsituation am Arbeitsplatz arbeitsunfähig geschrieben; ihm drohe eine Versetzung in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit. Eine Entfernung aus dem Dienst würde über das Schicksal der Beamtin selbst hinausreichen und zu psychischen und wirtschaftlichen Folgen für sie selbst und ihren Ehemann führen, die neben der bereits erfolgten strafrechtlichen Verurteilung in keinem angemessenen Verhältnis zu den vorgeworfenen Dienstvergehen mehr stünden und unter Fürsorgegesichtspunkten vermieden werden müssten. Es sei auch zu berücksichtigen, dass nach amtsärztlicher Aussage mit einer Wiederherstellung dauernder Dienstfähigkeit der Beamtin ein halbes Jahr nach einem für diese positiven Ausgang des Disziplinarverfahrens gerechnet werden könne. Die Beamtin sei voll geständig und sehe das Unrecht ihres Tuns vollständig ein. Im Hinblick auf die wirtschaftlichen Folgen einer Entfernung aus dem Dienst für die aus zwei psychisch kranken und allenfalls eingeschränkt erwerbsfähigen Beamten bestehende Familie sei zumindest ein Unterhaltsbeitrag festzusetzen.
48 
Die Beamtin beantragt,
49 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart - Disziplinarkammer - vom 04. Februar 2010 - ... - zu ändern und das Disziplinarverfahren einzustellen, hilfsweise auf eine mildere Disziplinarmaßnahme als die Entfernung aus dem Dienst zu erkennen, weiter hilfsweise ihr einen Unterhaltsbeitrag zu bewilligen.
50 
Der Vertreter der obersten Dienstbehörde beantragt,
51 
die Berufung zurückzuweisen.
52 
Er verteidigt das angefochtene Urteil. Das Verwaltungsgericht habe zu Recht die Verhandlungsfähigkeit der Beamtin bejaht. Die Beamtin sei durch einen Verteidiger vertreten gewesen, so dass sie ihre Rechte ausreichend habe wahren können. Eine Verhandlungsunfähigkeit sei auch dem amtsärztlichen Attest vom 21.07.2008 nicht zu entnehmen. Das Vorliegen einer reaktiven Depression führe nicht zu einem Verfahrenshindernis. Dieses Thema sei bereits Gegenstand im Beschluss des Amtsgerichts ... gewesen, mit dem ein Antrag auf Bestellung eines Betreuers zurückgewiesen worden sei. Die Diagnose „Leichte bis mittelgradige depressive Episode nach schwerer situativer Belastung“ lasse nicht auf eine bestehende Verhandlungsunfähigkeit schließen. Zudem habe sich die Beamtin erst nach Einleitung des förmlichen Disziplinarverfahrens wegen einer reaktiven Depression in Behandlung begeben. Sie sei am 06.03.2006 vernommen worden, ohne dass dabei Schwierigkeiten aufgetreten seien. Weiterhin sei die Beamtin erst seit dem 01.12.2006 fortlaufend krankgeschrieben. Die vom Gericht ausgesprochene Disziplinarmaßnahme sei nicht zu beanstanden. Eine Weiterbeschäftigung der Beamtin sei dem Dienstherrn nicht zumutbar. Die schwerwiegenden Pflichtverletzungen hätten zum totalen Vertrauensverlust des Dienstherrn in die Amtsführung der Beamtin geführt.
53 
Dem Senat liegen die Personal- und Personalnebenakten der Beamtin, die Untersuchungsakten, die Disziplinarakten, die Strafakten des Amtsgerichts ... sowie die einschlägigen Akten der Disziplinarkammer vor.
II.
54 
Die zulässige Berufung der Beamtin, gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts - Disziplinarkammer - hat keinen Erfolg.
55 
Der Senat hat die Rechtslage nach der Landesdisziplinarordnung in der Fassung vom 25.04.1991 (GBl. S. 227), zuletzt geändert durch Art. 3 des Gesetzes vom 15.12.1997 (GBl. S. 552) - LDO - zu beurteilen. Zwar ist die LDO nach Art. 27 Satz 2 Nr. 1 des Gesetzes zur Neuordnung des Landesdisziplinarrechts - LDNOG - vom 14.10.2008 (GBl. S. 343) am 22.10.2008 außer Kraft getreten. Doch werden nach Art. 26 Abs. 3 Satz 1 LDNOG förmliche Disziplinarverfahren, in denen im Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Gesetzes (22.10.2008) der Beamte bereits zur Vernehmung nach § 55 LDO geladen war, bis zu ihrem unanfechtbaren Abschluss nach bisherigem Recht fortgeführt.
56 
1. Das Disziplinarverfahren ist nicht nach §§ 83 Abs. 1 Nr. 2, 74 Abs. 1, Abs. 3, 60 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 LDO einzustellen. Nach diesen Vorschriften ist das Disziplinarverfahren einzustellen, wenn es nicht rechtswirksam eingeleitet oder sonst unzulässig ist.
57 
Diese Voraussetzungen sind auch dann gegeben, wenn der Beamte bei Zustellung der Einleitungsverfügung im Sinne des § 20 Abs. 1 LDO verhandlungsunfähig und für ihn ein Betreuer nach § 20 Abs. 2 Nr. 1 LDO nicht bestellt war (vgl. BVerwG, Beschluss vom 25.01.2001 - 1 D 31.99 -, juris; VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 25.03.1981 - DH 1/81 -). Zwar steht nach § 20 Abs. 1 LDO der Einleitung und Durchführung eines Disziplinarverfahrens nicht entgegen, dass der Beamte verhandlungsunfähig ist, doch ist ihm in diesem Fall nach § 20 Abs. 2 Nr. 1 LDO auf Antrag der Einleitungsbehörde ein Betreuer zu bestellen. Unterbleibt dies im Fall der Verhandlungsunfähigkeit, kann die Einleitungsverfügung an den Beamten nicht wirksam zugestellt werden mit der Folge, dass ein zur Einstellung des Disziplinarverfahrens führender Mangel im Sinne des § 60 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 LDO vorliegt.
58 
Zum Zeitpunkt der Einleitung des Disziplinarverfahrens mit Zustellung der Einleitungsverfügung am 12.03.2004 war die Beamtin allerdings nicht verhandlungsunfähig im Sinne des § 20 Abs. 1 LDO. Verhandlungsunfähigkeit liegt dann vor, wenn der Beamte nicht in der Lage ist, die Bedeutung des Disziplinarverfahrens und der einzelnen Verfahrensvorgänge zu erkennen und sich sachgemäß zu verteidigen. Verhandlungsunfähigkeit des Beamten setzt allerdings nicht notwendig die Fähigkeit voraus, selbst Argumentations- und Verhandlungsstrategien zu entwickeln, weil dies in erster Linie Aufgabe eines Prozessbevollmächtigten ist. Um verhandlungsfähig zu sein, muss der Beamte in jeder Lage des Verfahrens imstande sein, sich zu verteidigen. Dies erfordert sowohl die Fähigkeit, anderen verständlich zu machen, was vorgetragen werden soll, als auch diejenige, das in sich aufzunehmen und zu verstehen, was andere erklären (BVerwG, Urteil vom 24.09.2009 - 2 C 80.08 -, BVerwGE 135, 24 m.w.N.). Mithin musste die Beamtin zum Zeitpunkt der Zustellung der Einleitungsverfügung nach ihrer geistigen und seelischen Verfassung in der Lage gewesen sein, den Inhalt der Einleitungsverfügung zu verstehen und sich sachgerecht zu verteidigen, also zumindest einen Verteidiger zu bestellen und diesen für das Disziplinarverfahren zu informieren (vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 09.03.1989 - DH 22/88 -). Für den Senat bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass diese Voraussetzungen zum Zeitpunkt der Zustellung der Einleitungsverfügung am 12.03.2004 nicht erfüllt gewesen wären. Für die Beamtin hat sich am 01.04.2004 und somit alsbald nach Zustellung der Einleitungsverfügung ihr ehemaliger Bevollmächtigter Rechtsanwalt ... bestellt; im gesamten Verfahren hat die Beamtin auch nicht geltend gemacht, den Inhalt der Einleitungsverfügung nicht verstanden zu haben oder ihren Verteidiger nicht für das Disziplinarverfahren informieren zu können. Aus den dem Senat vorliegenden ärztlichen Attesten ergibt sich nichts anderes. Aus den Attesten der Ärztin für Neurologie und Psychiatrie, Psychotherapie Dr. ... sowie den Angaben der Beamtin bei ihrer Vernehmung am 06.03.2006 folgt, dass sich die Beamtin (erst) ab Dezember 2004 und damit nach Einleitung des Disziplinarverfahrens in psychotherapeutische Behandlung begab. Im Attest vom 18.03.2005 führt Dr. ... aus, dass sich die Beamtin drei Mal in ihre psychiatrisch-psychotherapeutische Behandlung begeben habe und eine leichte bis mittelgradige depressive Episode nach schwerer situativer Belastung diagnostiziert werden könne. Die Beamtin sei affektiv herabgestimmt mit Zukunftsängsten, Selbstwertproblematik und Rückzug aus sozialen Bindungen. Sie wolle sich am liebsten verkriechen, stimmungsmäßig gehe es bei ihr auf und ab. Die depressive Reaktion stehe im Zusammenhang mit ihrer momentanen Situation (dem schwebenden Verfahren), wobei sich die Beamtin wegen der damaligen Verfehlung schwere Selbstvorwürfe mache. Es sei ihr ein mildes Antidepressivum verschrieben worden. Aus diesen Angaben, der Diagnose und Beschreibung des Krankheitsbildes kann aber nicht einmal ansatzweise gefolgert werden, dass die Beamtin bei Einleitung des Disziplinarverfahrens nicht in der Lage gewesen wäre, den Inhalt der Einleitungsverfügung zu verstehen oder sich sachgerecht im oben beschriebenen Sinne zu verteidigen. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der nervenärztlichen Bescheinigung Dr. ... - ohne Datum, nach den Angaben des Verteidigers der Beamtin wohl aus dem Januar 2006 stammend -. In dieser wird unter Nennung der gleichen Diagnose („Leichte bis mittelgradige depressive Episode“) ein gleiches Krankheitsbild gezeichnet und eine mittelgradige depressive Störung seit Dezember 2004 bestätigt. Die weiteren Überlegungen beschäftigen sich lediglich mit Mutmaßungen zu einer „in gewisser Beziehung geminderten Schuldfähigkeit“ bei Begehung der der Beamtin vorgeworfenen Taten in den Jahren 1999 und 2000. Die Ärztin für Psychiatrie und Psychotherapie ... bescheinigte unter dem 14.05.2007 nur, dass die Beamtin derzeit nicht in der Lage sei, eine mehrstündige Vernehmung durchzustehen. Im amtsärztlichen Attest des Dr. ... vom 20.06.2007 wird lediglich davon gesprochen, dass im Dezember 2004 „eine Depression begann“, im Sachverständigengutachten des Dr. ... vom 04.10.2007 für das Verfahren auf Bestellung eines Betreuers vor dem Amtsgericht ... wird von einer „reaktiven Depression seit ca. Herbst 2004“ gesprochen und weiter ausgeführt, dass der Sachverständige die Frage, ob die Beamtin bereits zum Zeitpunkt der Vernehmung im März 2006 bzw. zum Zeitpunkt der Einleitung des Disziplinarverfahrens verhandlungsunfähig gewesen sei, wegen des zeitlichen Abstandes zur Untersuchung nicht beurteilen könne. Das amtsärztliche Zeugnis des Dr. ... vom 21.07.2008 spricht wieder davon, dass die Beamtin seit „Dezember 2004“ unter einer reaktiven Depression leide. Im Beschluss des Amtsgerichts ... vom 18.12.2007 wird in Auseinandersetzung mit den Ausführungen des Sachverständigengutachtens des Dr. ... vom 04.10.2007, der der Ansicht war, dass die reaktive Depression das Denken und die für die Vernehmung und Verhandlung der Beamtin erforderliche Kognition verlangsame und erschwere, ausgeführt, dass das Gericht die Betroffene im Rahmen der persönlichen Anhörung selbst kennengelernt und dabei festgestellt habe, dass zwar Unkonzentriertheit gegeben sei und die Betroffene auch nicht immer vollständig in der Lage gewesen sei, dem Gespräch zu folgen. Bei etwaigen Nachfragen habe sie sich jedoch zumindest für einige Zeit konzentrieren und folgerichtige Antworten geben können. Damit sei eine Verhandlung mit der Beamtin zwar schwierig, jedoch unter Berücksichtigung ihrer Einschränkungen möglich; Verhandlungsunfähigkeit nach der Disziplinarordnung sei nicht gegeben. Anhaltspunkte, warum dies bei Einleitung des Disziplinarverfahrens zum Zeitpunkt der Zustellung der Einleitungsverfügung am 12.03.2004 anders gewesen sein könnte, sind damit für den Disziplinarsenat nicht ersichtlich.
59 
Entsprechendes gilt für die Vernehmung der Beamtin gemäß § 55 LDO am 06.03.2006, so dass der weiteren Frage, welche rechtlichen Folgen die Verhandlungsunfähigkeit der Beamtin bei dieser Vernehmung bei mangelnder Bestellung eines Betreuers gehabt hätte (vgl. dazu GKÖD, Disziplinarrecht des Bundes und der Länder, Band II § 19 BDO RdNr. 7a), nicht weiter nachgegangen werden muss, nachdem ein solcher Mangel des Verfahrens in § 60 LDO nicht ausdrücklich erwähnt ist. Zwar ist zu dem Zeitpunkt der Vernehmung am 06.03.2006 davon auszugehen, dass die Beamtin an einer leichten bis mittelgradigen Depression gelitten hat. Doch sind in den zeitnah erstellten Attesten der sie behandelnden Fachärztin Dr. ... keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass diese Diagnose und das mit ihr einhergehende Krankheitsbild zu einer Verhandlungsunfähigkeit der Beamtin geführt haben. Die Beamtin selbst hat bei ihrer Vernehmung am 06.03.2006 lediglich angegeben, dass sie in psychologischer / psychiatrischer Behandlung sei. Sie habe sich Hilfe beim Hausarzt und später bei der Psychologin geholt, weil es nicht mehr weitergegangen sei; zeitweilig habe sie auch Medikamente genommen. Anhaltspunkte dafür, dass die Beamtin bei ihrer Vernehmung nicht in der Lage gewesen ist, anderen verständlich zu machen, was vorgetragen werden soll, sowie, das in sich aufzunehmen und zu verstehen, was andere erklären, sind nicht ersichtlich. Ihre Angaben sind schlüssig und lassen auch ohne Weiteres darauf schließen, dass die Beamtin das verstanden hat, was sie gefragt oder was ihr erklärt worden ist. Im gesamten Verfahren haben weder die Beamtin noch ihre Bevollmächtigten geltend gemacht, dass und welche (der) Angaben der Beamtin bei ihrer Vernehmung am 06.03.2006 unzutreffend oder unter Einschränkung ihrer Verteidigungsfähigkeit zustande gekommen sind. Erst mit Schreiben vom 02.03.2007 hat der Verteidiger der Beamtin ausgeführt, dass er in einem ausführlichen Gespräch mit der Beamtin habe feststellen müssen, dass diese gesundheitlich derzeit nicht in der Lage sei, sich einer Vernehmung zu stellen. Ihr früherer Bevollmächtigter hatte etwaige Defizite, die zu einer Verhandlungsunfähigkeit führen könnten, hingegen vor oder bei der Vernehmung der Beamtin am 06.03.2006 nicht geltend gemacht. Die Beamtin hat in der Sache die Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt und damit zu erkennen gegeben, dass die Feststellung des Dienstvergehens, die auch auf ihren Angaben bei der Vernehmung vom 06.03.2006 beruhte, nicht zu beanstanden ist und hat zuletzt noch einmal im Berufungsverfahren vortragen lassen, dass sie voll geständig sei und das Unrecht ihrer Taten einsehe. Schließlich ist nochmals darauf abzustellen, dass das Amtsgericht ... in seinem Beschluss vom 18.12.2007 eine Verhandlungsunfähigkeit der Beamtin nicht hat feststellen können. Auch liegen fortlaufende Krankschreibungen erst seit dem 01.12.2006 vor.
60 
Für die Disziplinarkammer bestand auch kein Anlass, den nicht innerhalb der Äußerungsfrist des § 63 Abs. 2 LDO (vier Wochen nach Zustellung der Anschuldigungsschrift am 07.11.2008) und damit verspätet (§ 64 LDO) gestellten Beweisantrag vom 21.12.2009 zur Frage der Verhandlungsunfähigkeit der Beamtin zum Zeitpunkt der Einleitung des förmlichen Disziplinarverfahrens nachzugehen. Unter den dargelegten Umständen hat sie zu Recht eine weitere Beweisaufnahme zur Frage der Verhandlungsunfähigkeit der Beamtin auch im Rahmen ihrer Aufklärungspflicht nicht für erforderlich gehalten (vgl. von Alberti/Gayer/Roskamp, LDO, § 64 LDO RdNr. 4).
61 
2. In der Sache ist die Berufung der Beamtin - wie sich aus dem Schriftsatz ihres Verteidigers vom 19.03.2010 ergibt - auf das Disziplinarmaß beschränkt. Eine solche Beschränkung hat zur Folge, dass der Senat an die durch die Disziplinarkammer getroffenen Tat- und Schuldfeststellungen sowie an die disziplinarrechtliche Würdigung als Dienstvergehen gebunden ist. Nach ständiger Rechtsprechung (vgl. BVerwG, Urteil vom 05.07.2006 - 1 D 5.05 -, Buchholz 235 § 82 BDO Nr. 7; Urteil des Senats vom 10.03.2008 - DL 16 S 5/07 -) gehören zu den bindenden Feststellungen die zum konkreten historischen Vorgang getroffenen Feststellungen, mit denen die Verletzungshandlung in Bezug auf den Tatbestand des angenommenen Pflichtenverstoßes gekennzeichnet wird (etwa zur Frage der Eigennützigkeit, zur Anzahl der Teilakte oder des Zeitpunktes auch des Tatentschlusses) und die Feststellungen zur Form des Verschuldens (Vorsatz oder Fahrlässigkeit). Zusätzliche oder abweichende Feststellungen können nur noch getroffen werden, soweit sie sich zu den bindenden Tat- und Schuldfeststellungen nicht in Widerspruch setzen und ausschließlich für die Bestimmung des Disziplinarmaßes von Bedeutung sind.
62 
Mithin steht infolge der Beschränkung der Berufung auf das Disziplinarmaß für den Disziplinarsenat im Berufungsverfahren bindend fest, dass die Beamtin mit den von der Disziplinarkammer festgestellten Verfehlungen der Einkommensteuerhinterziehung und Hinterziehung von Solidaritätszuschlag, der Urkundenfälschung, der Urkundenunterdrückung und des Verwahrungsbruchs im Amt sowie des unerlaubten Fernbleibens vom Dienst und der Manipulation von Arbeitszeiten schuldhaft die ihr obliegenden Beamtenpflichten aus § 73 Satz 2 LBG (Pflicht, das Amt uneigennützig und nach bestem Gewissen zu verwalten), § 73 Satz 3 LBG (Pflicht zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten), § 91 LBG (Pflicht, dem Dienst nicht ohne Genehmigung des Dienstherrn fernzubleiben), § 77 Abs. 1 LBG, § 82 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO (Pflicht zur Unparteilichkeit) verletzt und damit ein einheitliches Dienstvergehen begangen hat.
63 
Der Senat hat damit nur noch darüber zu entscheiden, ob die von der Disziplinarkammer ausgesprochene Entfernung aus dem Dienst (§ 11 LDO) gerechtfertigt oder aber, was die Beamtin anstrebt, auf eine mildere Disziplinarmaßnahme zu erkennen ist.
64 
Der Senat teilt die von der Disziplinarkammer getroffene Einschätzung, dass auf Grund des festgestellten - schwerwiegenden - Dienstvergehens die Entfernung der Beamtin aus dem Dienst unumgänglich ist. Das Berufungsvorbringen rechtfertigt keine andere Beurteilung.
65 
Maßgebend für die Bemessung der Disziplinarmaßnahme ist das Eigengewicht der Pflichtverletzung, d.h. die Schwere des Dienstvergehens. Hierfür können bestimmend sein die objektive Handlung (insbesondere Eigenart und Bedeutung der Dienstpflichtverletzung sowie besondere Umstände der Tatbegehung, etwa Häufigkeit und Dauer eines wiederholten Fehlverhaltens), subjektive Handlungsmerkmale (insbesondere Form und Gewicht der Schuld des Beamten, Beweggründe für sein Verhalten) sowie unmittelbare Folgen des Dienstvergehens für den dienstlichen Bereich und Dritte, z.B. der materielle Schaden (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.10.2005 - 2 C 12.04 -, BVerwGE 124, 252). Die gegen einen Beamten ausgesprochene Disziplinarmaßnahme muss unter Berücksichtigung aller belastenden und entlastenden Umstände des Einzelfalls in einem gerechten Verhältnis zur Schwere des Dienstvergehens und zum Verschulden des Beamten stehen (BVerfG, Beschl. vom 08.12.2004 - 2 BvR 52/02 -, BVerfGK 4, 243).
66 
Die hier im Vordergrund des disziplinaren Vorwurfs stehende Steuerhinterziehung, mit der der Anspruch des Staates auf den vollen und rechtzeitigen Ertrag aus jeder einzelnen Steuer verkürzt wird, ist im Hinblick auf den dem Staat verursachten Schaden ein schweres Wirtschaftsdelikt. Dies belegt bereits der Strafrahmen. Danach ist Steuerhinterziehung mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren, in besonders schweren Fällen bis zu zehn Jahren (§ 370 Abs. 1 und 3 AO) bedroht. Ein Beamter, der sich der Steuerhinterziehung schuldig macht, verletzt damit in schwerwiegender Weise die ihm obliegende Pflicht, der Achtung und dem Vertrauen gerecht zu werden, die sein Beruf erfordert (ebenso BayVGH, Urteil vom 24.09.2008 - 16a D 07.2849 -, juris). Dabei wirkt sich besonders nachteilig aus, wenn der Beamte sich oder einem Dritten durch strafbares Verhalten unberechtigte Steuervorteile verschafft, obwohl er öffentliche Aufgaben wahrzunehmen hat und durch öffentliche Mittel alimentiert wird. Dies beeinträchtigt in erheblichem Maße sein Ansehen und das Ansehen der Beamtenschaft insgesamt, auf das der Staat in besonderem Maße angewiesen ist, wenn er die ihm gegenüber der Allgemeinheit obliegenden Aufgaben sachgerecht erfüllen will. Über die Ansehensschädigung hinaus führt ein solches Verhalten grundsätzlich auch zu erheblichen Zweifeln an der Vertrauenswürdigkeit des Beamten. Dies gilt in besonderem Maße bei einem Finanzbeamten, dessen Aufgabe es gerade ist, die an den Staat abzuführenden Steuern korrekt festzusetzen und in diesem Zusammenhang auch die Steuerpflichtigen zur Steuerehrlichkeit und zu einem ordentlichen Erklärungsverhalten anzuhalten hat (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Urteile vom 30.05.2006 - 21d A 3905/05.O -, ZBR 2006, 420 und vom 07.08.2001 - 15d 4172/00.O -, DÖD 2003, 40). Im vorliegenden Fall kommt zu diesen allgemein für die Steuerhinterziehung geltenden Grundsätzen (vgl. dazu auch: Claussen/Janzen, Bundesdisziplinarrecht, S. 141) noch besonders erschwerend für die Beamtin hinzu, dass sie die Steuerhinterziehung in Ausübung ihres Amtes begangen hat. Denn die Verwaltung - insbesondere die Finanz- und Steuerverwaltung, deren Funktionieren jede öffentliche Aufgabenerfüllung letztlich erst möglich macht (vgl. VG des Saarlandes, Urteil vom 13.03.2009 - 7 K 2125/07 -, juris) - ist auf die Ehrlichkeit und Zuverlässigkeit ihrer Beamten angewiesen, wenn sie ihre Aufgaben gegenüber der Allgemeinheit sinnvoll und auftragsgerecht erfüllen will. Dabei betrifft die Tat einer Steuerbeamtin, die bei Ausübung ihres Dienstes durch manipulierte Steuererklärungen nicht bestehende Steuererstattungen erwirkt, den Kernbereich ihrer dienstlichen Obliegenheiten. Besonders gravierend tritt hier hinzu, dass die Beamtin die steuerlichen Vorteile zu Gunsten ihrer Mutter unter bewusster Ausnutzung ihrer dienstlichen Aufgaben und Möglichkeiten erwirkt hat. Vollkommen zu Recht hat die Disziplinarkammer dazu noch darauf abgestellt, dass sich die Taten der Beamtin über eine erhebliche Zeitdauer hingezogen und noch dadurch an Gewicht gewonnen haben, dass die Beamtin mit erheblicher Intensität versucht hat, ihre Manipulationen zu vertuschen (so durch Manipulation der Grunddaten, Abfangen der Kontrollmitteilung und Beseitigung der Akte). Zudem hat die Beamtin mit der Steuerhinterziehung noch weitere strafbare Urkundsdelikte begangen. All dies führt dazu, dass sich die Beamtin für den Dienst als (Steuer-)Beamtin als untragbar erwiesen hat.
67 
Die von der Beamtin, die an der Hauptverhandlung im Berufungsverfahren nicht teilgenommen hat, zu ihren Gunsten im Berufungsverfahren vorgetragenen Milderungsgründe rechtfertigen keine andere disziplinarrechtliche Bewertung ihres Handelns.
68 
So ist zunächst nicht der Milderungsgrund des Handelns in einer psychischen Ausnahmesituation gegeben. Eine solche Situation wird in aller Regel hervorgerufen durch den plötzlichen unvorhergesehen Eintritt eines Ereignisses, das gemäß seiner Bedeutung für die besonderen Lebensumstände des Betroffenen bei diesem einen seelischen Schock auslöst, der seinerseits zu der Begehung des Dienstvergehens führt (BVerwG, Urteil vom 09.05.2001 - 1 D 22.00 -, BVerwGE 114, 240; Urteil des Senats vom 24.06.2010 - 16 S 3391/08 -). Einen solchen Schock, der zur Begehung des Dienstvergehens der Beamtin geführt haben könnte, vermag der Senat nicht zu erkennen. Zwar mag sich die Beamtin wegen einer schweren Ehekrise und des Todes ihres Vaters durchaus in einer sie schwer belastenden und schwierigen persönlichen Situation befunden haben, die auch Auswirkungen auf ihre psychische Gesundheit gehabt haben könnte. Es ist jedoch nicht ersichtlich, dass diese das Gewicht einer Notlage gehabt hätte, die das - über einen langen Zeitraum, zum Teil zeitlich auch schon vor dem Tod des Vaters und mit besonderer krimineller Energie begangene - Dienstvergehen im Ansatz in einem milderen Licht erscheinen lassen könnte. Insbesondere erklären diese Umstände nicht, wieso die Beamtin gegen zentrale und leicht einsehbare Kernpflichten verstoßen und nach Begehung der Steuerhinterziehung zu deren Vertuschung noch weitere kriminelle Handlungen begangen hat. Die mit der beruflichen Situation des Ehemannes der Beamtin hervorgerufenen weiteren Belastungen, auf die die Berufungsbegründung abstellt, traten zudem erst im Jahr 2008 auf und lassen mithin das weit früher begangene Dienstvergehen der Beamtin in keinem milderen Licht erscheinen.
69 
Das Vorbringen der Beamtin, sie habe zum Zeitpunkt der Begehung des Dienstvergehens wegen ihrer Ehekrise Verlassensängste gehabt, wegen derer sie geglaubt habe, ihr nahe stehende verbleibende Personen an sich binden zu müssen, und dies sei dadurch geschehen, dass sie aus einem nicht nachvollziehbaren Entschluss die Festsetzung der Steuer gegen ihre Eltern manipuliert habe, weil sie völlig grundlos befürchtet habe, ihre Eltern gerieten in finanzielle Schwierigkeiten, kann aus denselben Gründen nicht eine mildere Bewertung des Dienstvergehens nach sich ziehen. Insbesondere vermag der Senat nicht das Vorliegen des Milderungsgrundes einer erheblich verminderten Schuldfähigkeit im Sinne von §§ 20, 21 StGB zu erkennen, bei dem nach der jüngsten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts jedenfalls unter den Bemessungsvorgaben des Bundesdisziplinargesetzes die Höchstmaßnahme der Entfernung aus dem Dienst regelmäßig nicht mehr ausgesprochen werden kann (BVerwG, Urteil vom 25.03.2010 - 2 C 83.08 -, juris).
70 
Erheblich verminderte Schuldfähigkeit gemäß §§ 20, 21 StGB setzt voraus, dass die Fähigkeit, das Unrecht einer Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, wegen einer Störung im Sinne von § 20 StGB bei Tatbegehung erheblich eingeschränkt war. Für die hier relevante Frage der Steuerungsfähigkeit kommt es darauf an, ob das Hemmungsvermögen so stark herabgesetzt war, dass der Betroffene den Tatanreizen erheblich weniger Widerstand als gewöhnlich entgegenzusetzen vermochte. Die Frage, ob die Verminderung der Steuerungsfähigkeit auf Grund einer krankhaften seelischen Störung „erheblich" war, ist eine Rechtsfrage, die die Disziplinargerichte ohne Bindung an die Einschätzung Sachverständiger in eigener Verantwortung zu beantworten haben. Hierzu bedarf es einer Gesamtschau der Persönlichkeitsstruktur des Betroffenen, seines Erscheinungsbildes vor, während und nach der Tat und der Berücksichtigung der Tatumstände, insbesondere der Vorgehensweise. Für die Annahme einer erheblichen Minderung der Schuldfähigkeit sind schwerwiegende Gesichtspunkte heranzuziehen wie etwa Psychopathien, Neurosen, Triebstörungen, leichtere Formen des Schwachsinns, altersbedingte Persönlichkeitsveränderungen, Affektzustände sowie Folgeerscheinungen einer Abhängigkeit von Alkohol, Drogen oder Medikamenten. Die Erheblichkeitsschwelle liegt umso höher, je schwerer das in Rede stehende Delikt wiegt. Dementsprechend hängt im Disziplinarrecht die Beurteilung der Erheblichkeit im Sinne von § 21 StGB von der Bedeutung und Einsehbarkeit der verletzten Dienstpflichten ab und wird die Schwelle der Erheblichkeit damit bei der Verletzung von ohne Weiteres einsehbaren innerdienstlichen Kernbereichspflichten nur in Ausnahmefällen erreicht sein (vgl. für Zugriffsdelikte: BVerwG, Urteil vom 29.05.2008 - 2 C 59.07 -, Buchholz 235.1 § 70 BDG Nr. 3; Beschluss vom 27.10.2008 - 2 B 48.08 -, juris; Urteil des Senats vom 24.06.2010 - DB 16 S 3391/08 -).
71 
Der Senat vermag keinerlei Anhaltspunkte dafür zu erkennen, dass ein solcher Ausnahmefall für die Beamtin zum Zeitpunkt der Begehung des Dienstvergehens gegeben war. In keinem der im Verlauf des Disziplinarverfahrens vorgelegten Atteste wird für den Zeitpunkt des Dienstvergehens eine psychische Erkrankung beschrieben, die den Krankheitsgrad einer Psychopathie, Neurose, Triebstörung, der leichteren Form des Schwachsinns, einer altersbedingten Persönlichkeitsveränderung, eines Affektzustandes oder der Folgeerscheinung einer Abhängigkeit von Alkohol, Drogen oder Medikamenten erreicht. Im Attest der die Beamtin behandelnden Ärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. ... - ohne Datum - wird eine depressive Reaktion bei schwerer situativer Belastung genannt und es lediglich als überlegenswert bezeichnet, ob bei der Beamtin zum damaligen Zeitpunkt eine „in gewisser“ und damit gerade nicht in erheblicher Weise geminderte Schuldfähigkeit bestand. Das in dem ärztlichen Attest beschriebene Krankheitsbild einer depressiven Reaktion erreicht angesichts der leicht einsehbaren Kernbereichspflicht, die die Beamtin einzuhalten hatte, die Erheblichkeitsschwelle nicht. Bei depressiven Episoden auch schweren Grades, einschließlich der depressiven Reaktion, leidet der betroffene Patient unter einer gedrückten Stimmung und einer Verminderung von Antrieb und Aktivität. Die Fähigkeit zu Freude, das Interesse und die Konzentration sind vermindert. Ausgeprägte Müdigkeit kann nach jeder kleinsten Anstrengung auftreten. Der Schlaf ist meist gestört, der Appetit vermindert. Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen sind fast immer beeinträchtigt. Es kommen Schuldgefühle oder Gedanken über eigene Wertlosigkeit vor. Die gedrückte Stimmung verändert sich von Tag zu Tag wenig, reagiert nicht auf Lebensumstände und kann von so genannten "somatischen" Symptomen begleitet werden, wie Interessenverlust oder Verlust der Freude, Früherwachen, Morgentief, deutliche psychomotorische Hemmung, Agitiertheit (krankhafte Unruhe, bei der es zu heftigen und hastigen Bewegungen des Patienten kommt), Appetitverlust, Gewichtsverlust und Libidoverlust (ICD 10 GM 2010, F. 32). Dies spricht aber gegen eine erhöhte Neigung zu delinquentem Handeln.
72 
Insoweit bestand auch hier für die Disziplinarkammer kein Anlass, dem ebenfalls verspätet gestellten Beweisantrag zur Frage der erheblich verminderten Schuldfähigkeit auf Grund einer psychischen Erkrankung zum Zeitpunkt der Begehung der Dienstvergehen nachzugehen.
73 
Damit vermag der Senat - ebenso wie die Disziplinarkammer - unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Umstände, auch der langjährigen dienstlichen Unbescholtenheit der Beamtin, ihrer ordentlichen dienstlichen Beurteilungen, ihrer Einsicht in das Unrecht ihres Tuns sowie ihrer schwierigen persönlichen und familiären Situation zum Zeitpunkt der Tatbegehung, nicht zu erkennen, dass die von der Schwere des Dienstvergehens ausgehende Indizwirkung für den eingetretenen Vertrauensverlust durch vorrangig zu berücksichtigende und durchgreifende Entlastungsgründe entfallen ist und die Beamtin gegenüber ihrem Dienstherrn noch ein Restvertrauen für sich in Anspruch nehmen könnte. Die weiter von der Beamtin noch zu ihren Gunsten hervorgehobene und absehbare Wiederherstellung ihrer Dienstfähigkeit nach einem für sie positiven Ausgang des Disziplinarverfahrens ist für die Frage, ob der Dienstherr ihr noch ein Restvertrauen entgegenbringen kann, ohne ausschlaggebende Bedeutung. Ist das Vertrauensverhältnis zwischen der Beamtin und ihrem Dienstherrn zerstört, erweist sich die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis als angemessene Reaktion. Die hierin liegende Härte ist für die Beamtin - auch unter familiären Gesichtspunkten, insbesondere dem Umstand, dass die Dienstfähigkeit ihres als ... tätigen Ehemannes in Frage stehen könnte - nicht unverhältnismäßig, da sie auf zurechenbarem Verhalten beruht.
74 
3. Der Senat sieht keinen Anlass, auf den weiter hilfsweise gestellten Antrag der Beamtin die Entscheidung der Disziplinarkammer über die Versagung eines Unterhaltsbeitrags nach § 75 Abs. 1 LDO zu ändern. Die Beamtin ist zwar einer solchen Unterstützung nicht unwürdig, derzeit jedoch nicht bedürftig (§ 75 Abs. 1 Satz 1 LDO). Mit der Bewilligung eines Unterhaltsbeitrags soll dem aus dem Dienst entfernten Beamten der Übergang in einen anderen Beruf oder, sofern dies wegen Alters oder Erwerbsunfähigkeit nicht mehr möglich ist, in eine andere Art der gesetzlichen Alters- oder Erwerbsunfähigkeitsversorgung erleichtert werden. Dieser Zweck des Unterhaltsbeitrags, den aus dem Dienst entfernten Beamten und dessen Familie für eine Übergangszeit vor einer finanziellen Notlage zu schützen, wobei sich der anzuerkennende Bedarf vor allem nach den aktuellen Regelsätzen, Wohnungskosten (die Beamtin lebt allerdings mietfrei in der Wohnung ihrer Mutter, wie ihr Verteidiger in der Hauptverhandlung vor dem Senat noch einmal bestätigte) und einem Zuschlag für den Krankenversicherungsbeitrag bestimmt, ist hier bereits durch die Bezüge des Ehemannes der Beamtin (zur Berücksichtigung des Einkommens des Ehegatten des Beamten vgl. BVerwG, Urteil vom 28.11.1996 - 1 D 67.96 -, Buchholz 235 § 77 BDO Nr. 3; Urteil vom 18.03.1998 - 1 D 88.97 -, BVerwGE 113, 208; von Alberti/Gayer/Roskamp, a.a.O., § 75 LDO RdNr. 8; Köhler/Ratz, BDG, 3. Aufl., § 10 BDG RdNr. 8) in Höhe von 1.960 EUR netto monatlich sichergestellt. Dass die Bezüge des Ehemannes in absehbarer Zeit durch dessen Versetzung in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit geringer ausfallen werden, ist derzeit nicht hinreichend absehbar (vgl. dazu von Alberti/Gayer/Roskamp, a.a.O., § 75 LDO RdNr. 8). Der Verteidiger der Beamtin gab in der Hauptverhandlung im Berufungsverfahren an, dass sich der Ehemann der Beamtin auf Weisung seines Dienstherrn zur Wiederherstellung der Dienstfähigkeit in teilstationäre Behandlung begeben habe und ein förmliches Verfahren der Zurruhesetzung nicht eingeleitet sei.
75 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 112 Abs. 2 Satz 1 LDO.
76 
Dieses Urteil ist unanfechtbar (§ 88 LDO).

Für die Rechtsverhältnisse der Beamtinnen auf Zeit und Beamten auf Zeit gelten die Vorschriften für Beamtinnen auf Lebenszeit und Beamte auf Lebenszeit entsprechend, soweit durch Landesrecht nichts anderes bestimmt ist.

Kommt eine Abfindung in Land in Betracht, können die in den Ländern tätigen gemeinnützigen Siedlungsunternehmen im Sinne des Reichssiedlungsgesetzes mit der Beschaffung des Ersatzlands und der Durchführung der Umsiedlung beauftragt werden.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit einer Disziplinarverfügung, womit gegen den Kläger wegen eines Dienstvergehens die Kürzung seiner Dienstbezüge in Höhe von einem Zehntel für die Dauer von sechs Monaten verhängt wurde.

2

Der Kläger ist Volljurist und seit dem 01.09.2008 Kanzler der … Universität in C-Stadt (BesGr. B 2 BBesO). Nach § 71 Abs. 3 Hochschulgesetz Sachsen-Anhalt (HSG LSA) wird der Kanzler für die Dauer von acht Jahren zum Beamten auf Zeit ernannt. Die während des Disziplinarverfahrens vom Dienstherrn betriebene beamtenrechtliche Abordnung und Versetzung des Klägers wurde letztendlich gerichtlich aufgehoben (vgl. VG Magdeburg, Urteil v. 13.12.2011, 5 A 56/11 MD und 5 B 26/11 MD, Beschluss des OVG LSA vom 24.04.2012, 1 L 31/12, juris).

3

Mit der streitbefangenen Disziplinarverfügung vom 16.03.2011 des Kultusministeriums wird dem Kläger vorgeworfen, dadurch ein Dienstvergehen begangen zu haben, dass er am 13.03., 08.05., 27.10. und 02./03.12.2009 Dienstfahrzeuge der Universität zu privaten Zwecken genutzt habe. Dadurch habe er gegen seine Pflichten aus §§ 34, 35 Satz 2 Beamtenstatutsgesetz (BeamtStG) und § 42 Satz 2 der Landeshaushaltsordnung (LHO) i. V. m. den einschlägigen Richtlinien über die Haltung und Benutzung von Dienstkraftfahrzeugen (Kraftfahrzeugrichtlinien-KfzR) und den dazu ergangenen universitären Festlegungen (Fuhrparkordnung, Rundschreiben) verstoßen. Den Pflichtenverstoß habe er vorsätzlich begangen. Denn als Volljurist und in seiner Funktion als Kanzler und Beauftragter für den Haushalt der Universität sei ihm hinlänglich bekannt, dass Dienstkraftfahrzeuge grundsätzlich nur zur Durchführung dienstlicher Zwecke genutzt werden dürften.

4

Weiter wird dem Kläger vorgehalten, Mitarbeiterinnen gemobbt, verbal und sexuell belästigt zu haben. Dadurch habe er gegen seine Pflicht zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten nach § 34 Satz 3 BeamtStG vorsätzlich und schuldhaft verstoßen. Er habe sich der Zeugin D. über einen längeren Zeitraum hinweg körperlich genähert, sie verbal belästigt und unmittelbar deren Umsetzung auf einen anderen Arbeitsplatz betrieben, als sie dem vom Kläger bei einem gemeinsamen Mittagessen am 02.03.2010 geäußerten Wunsch nach „mehr persönlicher Nähe“ nicht entsprochen habe. Auch die Zeugin E. habe bestätigt, dass der Kläger sich ihr ähnlich genähert und sie belästigt habe. Die Grenze zur Pflichtwidrigkeit sei überschritten, wenn ein Beamter gegenüber weiblichen Bediensteten trotz deren eindeutig ablehnender Haltung aus sexuellen Gründen zudringlich werde. Der Kläger habe bewusst während des Dienstes körperlichen Kontakt zu den genannten Zeuginnen gesucht und sie wiederholt umarmt sowie bewusst durch Bemerkungen sexuellen Inhalts belästigt. Gegenüber der Zeugin D. habe der Kläger geschlechtsbezogene Äußerungen und Anspielungen in Bezug auf deren Kleidung getätigt. Dieses Verhalten sei von den Zeuginnen für den Kläger eindeutig erkennbar ausdrücklich verbal und durch Körpersprache abgelehnt und von ihnen als verletzend empfunden worden. Insbesondere die Zeugin D. habe psychisch gelitten. Ein Beamter, der innerhalb des Dienstes Mitarbeiterinnen sexuell belästige, beeinträchtige erheblich sein Ansehen und das der Beamtenschaft, störe erheblich den Dienstfrieden und verletze in schwerwiegender Weise die Würde und Ehre der Betroffenen.

5

Den gegen die Disziplinarverfügung eingelegten Widerspruch wies das vormals zuständige Kultusministerium mit Widerspruchsbescheid vom 19.04.2011 mit den Gründen des Ausgangsbescheides als unbegründet zurück.

6

Mit der dagegen fristgerecht erhobenen Klage wendet sich der Kläger weiter gegen die Disziplinarverfügung. Das Disziplinarverfahren sei bereits verfahrensfehlerhaft durchgeführt worden. Neben der gegen den Kläger betriebenen beamtenrechtlichen Abordnung und Versetzung sei das Disziplinarverfahren Teil der Mobbing-Kampagne gegen den Kläger, so dass ein objektives, faires und vor allem gesetzeskonformes Disziplinarverfahren nicht geführt worden sei.

7

Dem Kläger sei keine vollständige Akteneinsicht durch den Ermittlungsführer gewährt worden. Der am 09.06.2010 zur Akteneinsicht übersandte Disziplinarvorgang sei unvollständig gewesen. Es habe dort die gesamte Korrespondenz zwischen dem AL 4 des Beklagten, Dr. … und dem Bevollmächtigten des Klägers im Zeitraum vom 01.04.2010 bis etwa zum 18.05.2010 und insbesondere das Protokoll über die Besprechung am 15.04.2010 gefehlt. Aufgrund fehlender nachvollziehbarer Unterlagen sei nicht feststellbar, auf welcher Tatsachengrundlage das Disziplinarverfahren eingeleitet worden sei. Es sei insbesondere nicht erkennbar, welche Informationen für die Einleitungsverfügung vom 26.05.2010 ursächlich gewesen seien. Aufgrund des Vermerkes des späteren Ermittlungsführers von etwa Mitte April 2010, wonach „die Gewissheit“ für Dienstvergehen, begründe sich die Befangenheit des Ermittlungsführers, so dass dieser als ungeeignet anzusehen sei und gar nicht zum Ermittlungsführer hätte bestellt werden dürfen. Zudem habe der Ermittlungsführer weitere Verfahrensfehler begangen. In den Zeugenladungen seien das Beweisthema nicht angegeben worden. Dem Kläger und seinem Bevollmächtigten seien die Teilnahme an der Zeugenvernehmung nicht gestattet worden. Das Anwesenheits- und Fragerecht nach § 24 Abs. 4 Disziplinargesetz Sachsen-Anhalt (DG LSA) könne nicht gegen ein nachträgliches Anhörungsrecht nach § 30 DG LSA ausgehebelt werden. Beide Rechte hätten unterschiedliche Zielsetzungen. Dem Wunsch des Bevollmächtigten nicht zu entsprechen, die Zeugenvernehmungen an einem Tag wegen der Anreise aus A-Stadt vorzunehmen, sei eine bewusste Schikane. Die Zeugin D. und der Zeuge Z. seien zum sog. IKAM-Projekt befragt worden, obwohl dies nicht Gegenstand des Disziplinarverfahrens gewesen sei. Schließlich würden die Protokolle über die vom Ermittlungsführer vernommenen Zeugenaussagen nicht den gesetzlichen Anforderungen des § 28 DG LSA genügen. Es fehle an den zwingend in § 168 a Abs. 1 StPO vorgeschriebenen Angaben, so dass die stereotypische Angabe „Auf Frage“ nicht genüge.

8

Diese auf der Befangenheit des Ermittlungsführers beruhenden Verfahrensfehler führten zur Rechtswidrigkeit der Disziplinarverfügung. Auch der Widerspruchsbescheid habe diese Verfahrensfehler nicht geheilt. Zudem habe der Staatssekretär im Kultusministerium als Widerspruchsbehörde seinen eigenen Ausgangsbescheid überprüft.

9

Die fehlerhaften Beweiserhebungen könnten auch nicht im Gerichtsverfahren geheilt werden. Denn das Recht auf Beweisteilhabe nach § 24 Abs. 4 DG LSA gehe inhaltlich weit über den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs im Verwaltungsverfahren hinaus. Die zwingend notwendig gewesene Teilnahme des Klägers an den Zeugenvernehmungen im behördlichen Verfahren könnten im Gerichtsverfahren nicht nachgeholt werden.

10

Hinsichtlich der vorgehaltenen Nutzung der Dienstkraftfahrzeuge zu privaten Zwecken sei festzustellen, dass dies in zahllosen Fällen auch bei anderen Mitgliedern der Universität genau so gewesen sei und der Dienstherr nur bei dem Kläger die Kostenerstattung und eine disziplinarrechtliche Ahndung vornehme. Die vorgeworfenen Fahrten ließen die seinerzeit bei dem Kläger bestandenen persönlichen und beruflichen Umstände außer Betracht. Der als Kanzler viel beschäftigte Kläger sei aus wirtschaftlichen und persönlichen Gründen gezwungen gewesen, in A-Stadt und C-Stadt neue Wohnungen zu finden. Insoweit habe er sich in seinen Mittagspausen zu einem Wohnungsbesichtigungstermin fahren lassen, um seine Dienstgeschäfte nicht unnötig lange unterbrechen zu müssen. Er sei auch auf das Angebot zurückgekommen, ein Schlafsofa von A-Stadt nach C-Stadt transportieren zu lassen. Die Nutzung des Dienstfahrzeuges zu einem Termin als ehrenamtlicher Richter des Landesozialgerichts A-Stadt-B. sei rechtmäßig gewesen. Denn der Kläger habe die Fahrt zugleich für ein Personalvorstellungsgespräch mit einer ehemaligen Kollegin der Filmhochschule Babelsberg genutzt. Die Filmhochschule liege nur wenige hundert Meter vom Gerichtsgebäude entfernt. Die Nutzung der Bahn sei nicht möglich gewesen, da am selben Abend ein Termin der Staatskanzlei stattgefunden habe.

11

Die Vorwürfe des Mobbing und der sexuellen Belästigung der Zeuginnen D. und E. beruhten auf Unterstellungen und den bereits gerügten formellen Fehlern. In der Disziplinarverfügung sei nicht hinreichend herausgearbeitet, welches konkrete Verhalten des Klägers zu der in § 3 Abs. 4 AGG definierten sexuellen Belästigung geführt hätten. Der Kläger bestreite mit Nachdruck jedwedes Mobbing und jedwede sexuelle Belästigung der Zeuginnen D. und E., welche nach immerhin eineinhalbjähriger Zusammenarbeit erfolgt sein sollten. Hingegen hätten dienstliche Spannungen ohne jedweden sexuellen Bezug vorgelegen.

12

Neben dem Zeitfaktor und der unbeanstandeten eineinhalbjährigen Zusammenarbeit und der plötzlichen Erhebung der Vorwürfe während der unfallbedingten Dienstunfähigkeit des Klägers, sei festzustellen, dass die Verhaltensweisen des Klägers bei Besprechungen und bei einer Fortbildungsveranstaltung in Gegenwart von Dritten vorgenommen seien. Diese Dritten seien jedoch nicht erwähnt oder vernommen worden.

13

Die Zeugin D. sei unglaubwürdig und wolle dem Kläger schaden. Dies werde auch dadurch ersichtlich, dass sie in der Zeugenvernehmung, obwohl nicht Gegenstand des Disziplinarverfahrens, zu dem sog. IKAM-Projekt ausgesagt habe.

14

Der Kläger beantragt,

15

die Disziplinarverfügung des Beklagten vom 16.03.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.04.2011 aufzuheben.

16

Der Beklagte beantragt,

17

die Klage abzuweisen

18

und verteidigt als nach dem 19.04.2011 zuständige Behörde die Disziplinarverfügung und die darin vorgehaltenen Pflichtenverstöße.

19

Die vom Kläger bemängelten Verfahrensfehler seien nicht gegeben. Die Akteneinsicht sei vollständig gewährt worden. Die Korrespondenz mit dem AL 4, Dr...., sei kein Bestandteil der Disziplinarakte gewesen. Zudem habe der Kläger diese Korrespondenz selbst geführt. Eine Voreingenommenheit des Ermittlungsführers sei nicht ersichtlich. Der Vermerk des Ermittlungsführers über die Einleitung eines Disziplinarverfahrens sei der damaligen summarischen Prüfung geschuldet gewesen. Der Ermittlungsführer habe den Klägervertreter mit Schreiben vom 26.07.2010 die Protokolle über die Vernehmungen der Zeugen übersandt. Ein eventueller Verstoß gegen die Beweisteilhabe sei somit nach den Grundsätzen der Rechtsprechung jedenfalls geheilt. Denn der Kläger habe somit Gelegenheit gehabt, dazu Stellung zu nehmen und ergänzende Beweisanträge zu stellen, wovon er jedoch keinen Gebrauch gemacht habe. Nach § 24 Satz 2 DG LSA könne der Beamte von der Teilnahme an der Beweiserhebung ausgeschlossen werden, soweit dies aus wichtigen Gründen, insbesondere mit Rücksicht auf den Zweck der Ermittlungen oder zum Schutz der Rechte Dritter erforderlich sei. Diese Gefahr habe vorliegend bestanden. Denn Gegenstand der Zeuginnenvernehmungen sei insbesondere das Verhalten des Klägers als Vorgesetzter ihnen gegenüber gewesen. Dies habe der Ermittlungsführer nachvollziehbar begründet und dem Klagevertreter mitgeteilt. Aus der tatsächlichen Vornahme der Zeugenvernehmungen an mehreren Tagen könne keine Schikane dem Kläger oder seinem Vertreter gegenüber gesehen werden. Von der Zeugenvernehmung P. sei der Kläger nicht ausgeschlossen worden. Richtig seien die Vorgänge zum sog. IKAM-Projekt nicht Gegenstand des Disziplinarverfahrens. Wenn jedoch einzelne Zeugen von sich aus darauf zu sprechen kämen um das Verhalten des Klägers in bestimmten Situationen zu illustrieren oder Persönlichkeitsaspekte zu verdeutlichen, sei dies als Teil der Zeugenaussage zu protokollieren. Schließlich sei die Protokollierung der Zeugenaussagen gem. § 28 DG LSA i. V. m. § 168 a StPO nicht zu beanstanden. Die Angabe in Protokollen „Auf Frage“ sei allgemein üblich und auch nicht zu beanstanden.

20

Der Kläger erwidert: Der Ausschluss des Klägers von der Zeugenvernehmung der Zeuginnen D. und E. mit der Begründung diese zu schützen, sei nicht nachvollziehbar. Denn diese hätten durchaus nach Alter und Persönlichkeit und ihrer beruflichen Stellung die Situation verkraften können. Sogar Opfern von Kapitalverbrechern werde zugemutet, in der gerichtlichen Hauptverhandlung in Anwesenheit des Angeklagten auszusagen. Die Zeugin D. werde als „ausgesprochen belastbar und außerordentlich fähige Mitarbeiterin“ sowie als „selbstbewusste Kollegin“ beschrieben. Eine Zeugin mit einem derartigen Persönlichkeitsbild werde mit Sicherheit „nicht psychischen Auswirkungen“ bei einer Zeugenvernehmung in Anwesenheit des Klägers ausgesetzt sein.

21

Eine Heilung der fehlerhaften Beweisaufnahme durch Übersendung der Vernehmungsprotokolle sei so der Rechtsprechung nicht zu entnehmen. Der rechtswidrige Ausschluss des Beamten von seinem Anwesenheits- und Fragerecht bei der Zeugenvernehmung im Verwaltungsverfahren sei nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 15.12.2005 (2 A 4/04) allenfalls heilbar im Klageverfahren durch Teilnahme des Beamten an der Beweisaufnahme des Gerichtes (so auch BVerwG, U. v. 27.01.2011, 2 A 5/09 ).

22

Das Gericht hat durch Vernehmung der Zeuginnen D. und E. in der mündlichen Verhandlung über das dem Kläger vorgeworfenen Verhalten ihnen gegenüber und durch Vernehmung des Zeugen G. über die Umstände der Nutzung dienstlicher Personenkraftwagen Beweis erhoben. Zum Ergebnis der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll verwiesen.

23

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte dieses Verfahrens sowie den der Verfahren 5 B 26/11, 5 A 56/11 und 1 L 31/12 und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge verwiesen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidungsfindung.

Entscheidungsgründe

24

Die zulässige Klage ist unbegründet. Die streitbefangene Disziplinarverfügung in Gestalt des Widerspruchsbescheides ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 3 DG LSA; § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

25

1.) Die Disziplinarverfügung ist nicht bereits aufgrund der vom Kläger gerügten Verfahrensfehler aufzuheben. Denn diese liegen nicht vor bzw. sind geheilt oder sind als reine Ordnungsvorschriften unerheblich. Es liegt kein Verstoß gegen die Grundsätze eines fairen Verfahrens vor.

26

Ein schwerer Mangel des behördlichen Disziplinarverfahrens liegt vor, wenn gegen eine Verfahrensvorschrift verstoßen worden ist, deren Verletzung schwerwiegend und für den Ausgang des Verfahrens (noch) von Bedeutung ist. Ein schwerwiegender Verstoß gegen eine Verfahrensvorschrift ist regelmäßig dann gegeben, wenn die Rechte eines Verfahrensbeteiligten wesentlich beeinträchtigt worden sind oder wenn der Verfahrensverstoß den Zweck einer Formvorschrift wesentlich vereitelt; wenn eine vom Gesetzgeber als zwingend ausgestaltete Verfahrensvorschrift, d. h. nicht nur eine reine Ordnungsvorschrift, nicht beachtet wurde. Das Gericht darf eine solche zwingende Vorschrift nicht dadurch "leerlaufen" lassen, dass es ihre Nichtbeachtung als für das Ergebnis des gerichtlichen Disziplinarverfahrens unerheblich einstuft. Vielmehr ist es Aufgabe des Gerichts, die Nachholung einer unterbliebenen Verfahrenshandlung, soweit es das Verfahrensrecht zulässt, herbeizuführen (vgl. BVerwG, Beschluss v. 31.01.2012, 2 WD 4.11; Urteil v. 29.07.2010, 2 A 4.09; Urteil v. 20.10.2005, 2 C 12.04; Beschluss v. 18.11.2008, 2 B 63.08; alle juris).

27

Ein Mangel des behördlichen Disziplinarverfahrens ist wesentlich, wenn sich nicht mit hinreichender Sicherheit ausschließen lässt, dass er sich auf das Ergebnis des Disziplinarverfahrens ausgewirkt haben kann (BVerwG, Urteil v. 24.06.2010, 2 C 15.09; juris).

28

a.) Soweit der Kläger rügt, dass in der Disziplinarakte nicht die gesamte Korrespondenz zwischen dem AL 4 und dem Bevollmächtigten des Klägers vorhanden sei, führt dies nicht zu einer Verletzung des Rechts auf Akteneinsicht nach § 20 Abs. 4 DG LSA. Die Disziplinarakte ist nicht etwa unvollständig. Denn diese Korrespondenz wurde vom Kläger selbst geführt, so dass bereits nicht ersichtlich ist, weshalb Rechte des Klägers verletzt sein sollten. Soweit der Kläger anscheinend darauf anspielt, dass diese Korrespondenz, die auf Vermeidung eines Disziplinarverfahrens und einer gütlichen Beilegung gerichtet war, deswegen nicht in den Disziplinarvorgang aufgenommen worden sei, um sich von einer Einleitung des Disziplinarverfahrens nicht abhalten zu lassen, ist dies nicht hinreichend nachvollziehbar. Damit ist jedenfalls kein Recht auf Akteneinsicht verletzt. Es geht in diesem Zusammenhang auch nicht darum, dass Geheimakten geführt oder die Einsicht darin verweigert wurde (vgl. zu einem ähnlichen Fall: BVerwG, Urteil v. 29.07.2010, 2 A 4.09; juris).

29

b.) Das behördliche Disziplinarverfahren ist formgerecht eingeleitet worden. Entscheidend und gerichtlich nachprüfbar hinsichtlich des behördlichen Disziplinarverfahrens ist nur, ob die Einleitung disziplinarrechtlicher Ermittlungen im Sinne des Disziplinargesetzes angezeigt war und vermerkt wurde. Dies ist durch die Verfügung vom 19.05.2010 und der Mitteilung der Einleitung eines Disziplinarverfahrens an den Kläger unter dem 26.05.2010 rechtsfehlerfrei geschehen.

30

Zuständig für die Einleitung ist gem. § 17 Abs. 1 Satz 1 DG der Dienstvorgesetzte des Beamten. Gemäß § 17 Abs. 1 Satz 3 DG LSA ist die Einleitung aktenkundig zu machen. Nach § 20 Abs. 1 Satz 1 DG LSA ist der Beamte über die Einleitung des Disziplinarverfahrens unverzüglich zu unterrichten. Da auch keine gesetzlichen Formerfordernisse für den Aktenvermerk bestehen, ist es erforderlich, aber auch ausreichend, dass der zuständige Dienstvorgesetzte in der Disziplinarakte vermerkt, wenn er die Entscheidung über die Einleitung getroffen hat. Aus den Vermerken müssen sich die inhaltlich unmissverständliche Entscheidung und die Verantwortlichkeit des Dienstvorgesetzten hierfür ergeben. Dieser muss sich den Einleitungsvermerk jedenfalls zu Eigen gemacht haben (BVerwG, Beschluss v. 18.11.2008, 2 B 63.08; juris). Dies hat Staatssekretär … durch Abzeichnung mit Rotstift und ausweislich des Vermerkes des Ermittlungsführers … vom 21.05.2010 unzweifelhaft getan (Beiakte A, Bl. 65).

31

Die Vorschrift setzt am Legalitätsprinzip an (BVerwG, Urteil v. 29.07.2010, 2 A 4.09; juris). Danach muss der Verdacht eines Dienstvergehens hinreichend konkret sein und bloße Vermutungen sind nicht ausreichend. Dadurch soll die Sachaufklärung sichergestellt werden. Ermittlungen nach § 17 DG LSA dürfen nur eingeleitet werden, wenn Tatsachen bekannt werden, die den Verdacht eines Dienstvergehens rechtfertigen. Das schließt Ermittlungen aus, durch die erst festgestellt werden soll, ob solche Tatsachen vorliegen. Es genügen also nicht bloße Vermutungen, Gerüchte oder ähnliches (zweifelhaft: anonyme Anzeige). Hinreichende Tatsachen können sich ergeben aus Hinweisen von Verwaltungsangehörigen, Aktenvorgängen, aber auch aus schriftlichen oder mündlichen Mitteilungen von Verwaltungsfremden. Die dem Dienstvorgesetzten bekannt gewordenen Tatsachen müssen den Verdacht eines Dienstvergehens rechtfertigen, d. h., dass eine schuldhafte Pflichtverletzung vorliegen würde, wenn sich die verdächtigten Tatsachen als wahr erweisen würden. Der Verdacht bezieht sich zunächst also nur auf das Vorliegen einschlägiger Tatsachen, über die Rechtsfrage, ob die verdächtigte Tat auch den Tatbestand eines Dienstvergehens erfüllt, muss Gewissheit bestehen (vgl. Thüringer OVG, Urteil v. 06.11.2008, 8 DO 584/07; juris; zusammenfassend: Hummel/Köhler/Mayer, BDG, 4. Auflage 2009, § 17, Rz. 5).

32

Richtig verweist der Kläger auf einen undatierten Vermerk des späteren Ermittlungsführers … (Bl. 18, Beiakte A). Daraus ist ersichtlich, dass ein Anfangsverdacht im Sinne des § 17 DG LSA vorgelegen hat. Auch wenn dort nicht explizit genannt ist, aus welchen „bislang vom MK übermittelten Unterlagen i. V. m. der Erörterung vom 25.03.2010“ sich der Verdacht eines Dienstvergehens ergibt, so ist in dem Vermerk doch hinreichend zum Ausdruck gebracht, was dem Kläger zur Last gelegt wird; nämlich die Nutzung des Dienstkraftfahrzeuges und die sexuelle Belästigung von Mitarbeiterinnen. Aufgrund der aus den Akten und dem übereinstimmenden Vorbringen der Beteiligten ersichtlichen zeitlichen Geschehnisse im März 2010, ergeben sich die Tatsachen, die den Verdacht des Dienstvergehens rechtfertigten. Im Anschluss an das Mittagessen zwischen dem Kläger und seiner Mitarbeiterin, der Zeugin D., am 02.03.2010 betrieb der Kläger jedenfalls deren arbeitsplatzmäßige Umsetzung mit der Begründung ihrer Schlechtleistung. Darauf fand am 04.03.2010 ein als Moderation bezeichnetes Gespräch zwischen dem Kläger, der Zeugin D., Herrn …. und Frau … statt. Schließlich nahmen die Dezernenten die unter Teilnahme des Klägers und den Zeuginnen stattgefundene Dezernententagung am 11./12.03.2010 zum Anlass in einem gemeinsamen Brief an den Rektor die Zusammenarbeit mit dem Kläger zu problematisieren, ja aufzukündigen. Nachdem sich Rektor … in einer „Mail“ an den Kläger vom 12.03.2010 „entsetzt“ über die Vorkommnisse zeigte, eröffnete er dem Kläger während des Gesprächs am 15.03.2010 die mögliche Einleitung eines Disziplinarverfahrens aufgrund der Vorkommnisse. Schließlich fand am 18.03.2010 ein Gespräch mit der Konflikt- und Mobbingbeauftragten der Universität statt. Demnach zeigten sich „zureichende tatsächliche Anhaltspunkte“ hinsichtlich des Verdachtes eines Dienstvergehens, die dem Kläger auch bekannt waren.

33

Die Voraussetzungen der Nichteinleitung eines Disziplinarverfahrens aufgrund Verjährung oder eines Maßnahmeverbotes (§§ 14, 15 DG LSA) lagen ebenso nicht vor (§ 17 Abs. 2 DG LSA).

34

c.) Weder aus § 168 a StPO noch aus sonstigen Verfahrensvorschriften ergibt sich, dass die „Frage“ im Protokoll aufzunehmen ist.

35

d.) Zutreffend ist der klägerische Vorwurf, dass der Ermittlungsführer in den ihm übermittelten Ladungen zu den Zeugenvernehmungen zwar die Namen der Zeugen aber nicht das Beweisthema angegeben hat. Nach § 24 Abs. 4 DG LSA ist dem Beamten Gelegenheit zu geben, an der Vernehmung von Zeugen und Sachverständigen sowie an der Einnahme des Augenscheins teilzunehmen und hierbei sachdienliche Fragen zu stellen (Rechte auf Beweisteilhabe). Der Beamte kann das ihm ausdrücklich eingeräumte Fragerecht aber nur dann sachdienlich wahrnehmen, wenn er sich auf die Vernehmung vorbereiten kann. Dies setzt voraus, dass er rechtzeitig erfährt, worum es in der Beweisaufnahme voraussichtlich geht. Hierfür müssen ihm rechtzeitig vor einer Zeugenvernehmung die Namen der Zeugen und die Beweisthemen genannt werden. Dies fordert auch der Anspruch des Beamten auf ein faires Disziplinarverfahren (BVerwG, U. v. 15.12.2005, 2 A 4.04; B. v. 18.11.2008, 2 B 63.08; beide juris).

36

Es mag dahinstehen, ob dieser mögliche Verfahrensfehler tatsächlich besteht. Denn dem Kläger war durch die Einleitungsverfügung hinlänglich bekannt, welche Disziplinarvorwürfe ihm gemacht werden und welche Personen diesbezügliche zeugenschaftliche Aussagen machen können, sodass die Angabe des Beweisthemas überflüssig erscheinen mag.

37

Den Ausschluss des Beamten von der Anwesenheit während der Zeugenvernehmung aus wichtigen Gründen, insbesondere mit Rücksicht auf den Zweck der Ermittlungen oder zum Schutz der Rechte Dritter, sieht § 24 Abs. 4 Satz 2 DG LSA ausdrücklich vor.

38

Die Ausschlussgründe sind aktenkundig zu machen (§ 24 Abs. 4 Satz 3 DG LSA). Dies ist mit Verweis auf die persönliche Betroffenheit der Zeuginnen D. und E. geschehen. Entscheidend ist, dass dem Bevollmächtigten des Klägers nicht die Teilnahme verweigert wurde und die Ermessensentscheidung des Ermittlungsführers über den Ausschluss des Klägers nachvollziehbar ist.

39

Abgesehen davon - und dies ist entscheidend - hatte der Ermittlungsführer den - etwaigen - Verstoß gegen das Recht auf Beweisteilhabe unter Angabe des Beweisthemas im behördlichen Disziplinarverfahren geheilt. Denn er hat dem Bevollmächtigten des Klägers die Vernehmungsniederschriften übersandt. Dadurch erhielt der Kläger die Gelegenheit zu den Aussagen der Zeuginnen Stellung zu nehmen und ergänzende Beweisanträge zu stellen. Dann hätte der Ermittlungsführer wohl möglich Zeugen erneut vernehmen müssen (vgl. BVerwG, U. v. 15.12.2005, 2 A 4.04 und B. v. 18.11.2008, 2 B 63.08; beide juris). Der Kläger hat diese Möglichkeit jedoch nicht wahrgenommen. Dementsprechend ist der Kläger – zu diesem Zeitpunkt – im Verfahren gerade nicht nur auf die letztendliche Schlussanhörung nach Abschluss der Ermittlungen (§ 30 DG LSA) angewiesen.

40

e.) Die Terminsverlegung der Beweisaufnahme ist im Disziplinargesetz Sachsen-Anhalt selbst nicht geregelt. Über § 3 DG LSA gilt das Verwaltungsverfahrensgesetz und die Verwaltungsgerichtsordnung bzw. die Strafprozessordnung. Nach § 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 227 Abs. 1 Satz 1 ZPO kann ein Termin aus erheblichen Gründen aufgehoben oder verlegt werden. Die Rechtsprechung sieht nur solche Gründe als erheblich an, die zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs eine Zurückstellung des Beschleunigungs- und Konzentrationsgebots erfordern. Wobei die Gründe glaubhaft zu machen sind. Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs liegt nur dann vor, wenn einem Beteiligten trotz zumutbaren eigenen Bemühens die Möglichkeit zur Äußerung verweigert oder abgeschnitten wird. Deshalb begründet allein die Unmöglichkeit an einem Termin teilzunehmen, nicht einen Anspruch auf Aufhebung oder Verlegung. Vielmehr muss sich ein Prozessbevollmächtigter im Rahmen seiner Mitwirkungspflichten bemühen, einen solchen Hinderungsgrund selbst in zumutbarere Weise zu beseitigen (vgl. statt vieler nur: Bay.VGH, Beschluss v. 15.01.2009, 7 ZB 06.3284; m. w. Nachw.; juris).

41

All dies ist hinsichtlich der entscheidungsrelevanten Vernehmungen der Zeuginnen D. und E. nicht erkennbar. Der Klägerbevollmächtigte beantragte nur die Verlegung des Termins zur Vernehmung des Zeugen Prof. … wegen eines Termins am Verwaltungsgericht A-Stadt. Der Klägerbevollmächtigte führte aus, dass es sich „hart an der Grenze zur Schikane [bewegt], wenn Sie in Kenntnis des Wohnorts meines Mandanten und meines Kanzleisitzes in A-Stadt an drei aufeinanderfolgenden Tagen die Vernehmung der drei geladenen Zeugen terminieren und damit entweder eine dreimalige Anreise oder zwei Übernachtungen in C-Stadt mit entsprechendem Zeit- und Kostenaufwand verursachen wollen.“ Ähnlich formulierte er unter dem 08.06.2010 die Anhörungen an einem Tag durchzuführen. Einen generellen, unbedingten und eindeutigen Verlegungsantrag kann dem nicht entnommen werden. Dem Verlegungsantrag zur Vernehmung des Zeugen … am 28.07.2010 vom 20.07.2010 (Fax) beantwortete der Ermittlungsführer mit Fax vom 26.07.2010 dahingehend: „Sofern Sie nach Vorstehenden [Protokollübersendung] daran festhalten wollen, der Zeugenanhörung … beizuwohnen, sehe ich Ihrem Hinweis entgegen, damit kurzfristig ein anderer Termin ins Auge gefasst werden kann.“ Der Klägerbevollmächtigt erwiderte mit Fax vom 28.07.2010:„[…] habe ich […] um die Verlegung des Termins […] gebeten, um daran teilnehmen zu können, anderenfalls hätte es bei dem Vernehmungstermin am 28.07.2010 verbleiben können. Ein neuer Termin in meiner Anwesenheit setzt allerdings voraus, dass das Anwesenheits- und Fragerecht meines Mandanten gewahrt wird [….]“. Professor … wurde dann am 28.07.2010 vernommen.

42

Der Verlegungsantrag zur Vernehmung des Zeugen … wurde demnach wohl nicht beschieden. Unterstellt, dies hätte „aus wichtigem Grund“ geschehen müssen, liegt gleichfalls keine Verletzung rechtlichen Gehörs vor. Denn ähnlich wie in der Rechtsprechung zu gerichtlichen Verlegungsterminen vertreten, muss dies auch im behördlichen Verfahren gelten. Wird danach ein Antrag auf (gerichtliche) Terminsverlegung nicht beschieden, hat sich der Kläger rechtzeitig durch Rückfrage über die Entscheidung seines Antrages zu informieren. Solange ihm eine Terminsaufhebung nicht mitgeteilt worden ist, muss er davon ausgehen, dass die mündliche Verhandlung stattfindet (BFH, Beschluss v. 20.09.2010, V B 105/09; juris).

43

Letztendlich ist auch hier bedeutsam, dass das Protokoll übersandt wurde, was zur, vom Bundesverwaltungsgericht vertretenen, nachträglichen Heilung führt.

44

f.) Schließlich und letztendlich hat das Disziplinargericht etwaige Fehler bei der behördlichen Beweisaufnahme durch die eigene gerichtliche Beweisaufnahme geheilt (vgl. zu dieser Möglichkeit ausführlich m. w. Nachw.: VG Magdeburg, Urteil v. 04.11.2009, 8 A 19/08;]; im Ergebnis wohl auch: OVG LSA, Urteil v. 02.12.2010, 10 L 1/10;, beide juris).

45

g.) Es ist nicht zu beanstanden, dass der Staatssekretär … im Ausgangs- und im Widerspruchsverfahren entschieden hat.

46

Die ausgesprochene Gehaltskürzung nach § 8 DG LSA kann aufgrund § 33 Abs. 3 Nr. 1 DG LSA die oberste Dienstbehörde bis zum Höchstmaß festsetzen. Dienstvorgesetzter des Hochschulkanzlers war bis zum Ressortwechsel im Mai 2011der Kultusminister, danach der Beklagte (§ 110 Abs. 2 HSG LSA in der bis zum 26.07.2010 geltenden Fassung; danach § 46 Abs. 10 HSG LSA). In dem Disziplinarbescheid vom 16.03.2011 handelte der Kultus-Staatssekretär. Daran ist nichts zu erinnern. Denn insoweit ist für die Ausübung der Disziplinarbefugnis entscheidend, dass das Disziplinargesetz in § 33 Abs. 3 Nr. 1 von der „obersten Dienstbehörde“ und nicht wie an anderen Stellen (z. B. §§ 33 Abs. 2; 34 Abs. 2 Satz 1, Alt. 2; 17 Abs. 1 DG LSA) von dem „Dienstvorgesetzten“ spricht. Wer innerhalb der Behörde im Einzelfall zuständig ist, ergibt sich aus dem Disziplinargesetz nicht, so dass auf allgemeine Rechtgrundsätze zurückzugreifen ist (VG Düsseldorf, Beschluss v. 08.03.2006, 38 K 3451/05.BDG; juris). Nach § 7 Abs. 1 Satz 2 des Beschlusses der Landesregierung über die Gemeinsame Geschäftsordnung der Ministerien – Allgemeiner Teil – (GGO LSA) v. 15.03.2005 i. V. m. § 7 Abs. 1 Satz 1 Geschäftsordnung der Landesregierung (GOLReg) und dem Beschluss der Landesregierung über die gegenseitige Vertretung der Minister ist der Staatssekretär der ständige Vertreter des Ministers. Entscheidend ist demnach, dass der Disziplinarbescheid von der Leitungsebene des Ministeriums erlassen wurde (vgl. OVG NRW, Beschluss v. 22.08.2007, 21d A 1624/06.BDG, wonach sogar Mitarbeiter des Personalreferats zeichnungsbefugt seien). Auch bei Unterzeichnung durch den Staatssekretär ergeht die Entscheidung durch den Minister (BVerwG, Beschluss v. 29.01.2008, 1 WB 4.07; Beschluss v. 15.08.1972, 1 DB 10.72; beide juris). Hier kommt hinzu, dass das Verfahren stets auf der Leitungsebene geführt wurde und die Ministerin ausweislich der von ihr mit Grünstift zahlreich vorgenommen Änderungen in die Entscheidung involviert war (Beiakte A).

47

Dass der Staatssekretär sodann auch über den Widerspruch entscheidet ist systemkonform. Denn nach § 42 Abs. 1 Satz 1 DG LSA entscheidet über das nach § 41 DG LSA grundsätzlich vorgesehene Vorverfahren die oberste Dienstbehörde, also der Staatssekretär auch über den Ausgangsbescheid. Dies ist gesetzeskonform und auch in anderen Fällen wie z. B. der gemeindlichen Selbstverwaltung systemimmanent.

48

h.) Das Studium der Unterlagen legt die Vermutung nahe, dass der Umgang mit den Verlegungsanträgen einem Missverständnis zugrunde lag. Wie aus den oben wiedergegebenen Textpassagen ersichtlich ist, ging der Ermittlungsführer – fehlerhaft – davon aus, dass der Bevollmächtigte sowieso wegen des Ausschlusses des Klägers nicht kommen wollte. Bei der Vernehmung … war der Kläger aber nicht ausgeschlossen und schließlich ist der Bevollmächtigte zu keiner Zeugenvernehmung erschienen.

49

Die diesbezügliche - fehlerhafte - Vorgehensweise des Ermittlungsführers leitet vielmehr zu der Frage über – und das meint der Kläger auch im Kern – ob kein faires Disziplinarverfahren geführt wurde bzw. der Ermittlungsführer befangen war.

50

a. a.) § 21 Abs. 1 DG LSA spricht davon, dass der Ermittlungsführer ein „geeigneter Bediensteter“ sein müsse.

51

Der Ermittlungsführer … steht im Rang eines Ministerialrates im Hause des Kultusministeriums Sachsen-Anhalt. Die generelle Ungeeignetheit des Ermittlungsführers ist nicht erkennbar. Soweit das OVG LSA in dem Urteil vom 02.12.2010 (10 L 1/10; juris) aufgrund der statusrechtlichen Gleichrangigkeit des Ermittlungsführers mit der damaligen beschuldigten Beamtin die Ungeeignetheit bzw. dann auch wieder nur „Zweifel“ an der Geeignetheit konstruiert, folgt dem das Disziplinargericht in dieser Bestimmtheit nicht. Üblicherweise sei es zur Vermeidung des Anscheins eines persönlichen (Konkurrenz-)Interesses – Voraussetzung für die Bestellung eines Ermittlungsführers, dass dieser ein höheres statusrechtliches Amt habe. Diese aus Gründen der Chancengleichheit bei Beförderungen resultierende Sichtweise, ist vorliegend offensichtlich nicht notwendig.

52

Die Vorwürfe des Klägers gegen den Ermittlungsführer resultieren aus seiner (rechtlichen) Bewertung der Tätigkeit des Ermittlungsführers, belegen aber gleichsam nicht, die unfairen Ermittlungen gegen den Kläger. Auch das Bundesverwaltungsgericht führt in dem Beschluss vom 18.11.2008 (2 B 63.08; juris) aus, dass der Ermittlungsführer in dem dortigen Fall nicht wegen Besorgnis der Befangenheit von seiner Tätigkeit entbunden werden musste. Denn der Verstoß des Ermittlungsführers gegen die Beweiserhebungsvorschriften – alternativ hier: Verlegungsvorschriften – konnte diese Besorgnis nicht begründen. Lagen dem damals auch andere rechtliche Normen zugrunde, wonach die Auffassung der Nichtmitteilung des Beweisthemas vertretbar gewesen sei, ist der Sachverhalt vergleichbar. Entscheidend für die Nichtannahme der Besorgnis der Befangenheit ist, dass die vom Ermittlungsführer gemachten „Fehler“ nicht als willkürlich begangen oder im Sinne einer Voreingenommenheit oder eines unfairen Verfahrens gegenüber dem Kläger anzusehen sind (vgl. ähnlich: BVerwG, Urteil v. 29.07.2010, 2 A 4.09; juris). Auch von einer „Schikane“ kann bei objektiver Betrachtung nicht ausgegangen werden.

53

Demnach durfte die unter dem 23.08.2010 vom Kläger gestellte und mit den oben genannten Verfahrensfehlern begründete „Dienstaufsichtsbeschwerde und die Ablehnungsgründe gegen den Ermittlungsführer“, wenn auch ohne weitere Begründung, zurückgewiesen werden (Bl. 251, Beiakte A).

54

b. b.) Das Gericht hat auch keine greifbaren Anhaltspunkte dafür, dass das Disziplinarverfahren gegen den Kläger aus sachfremden Erwägungen, also als Mobbing gegen den Kläger geführt wurde. Zwar hatte die 5. Kammer des Verwaltungsgerichts C-Stadt im Urteil vom 13.12.2011 (5 A 56/11) in dem beamtenrechtlichen Verfahren des Klägers ausgeführt, dass sich die Bemühungen des MK vorrangig auf die Herauslösung des Klägers aus der Universität konzentrierten, ohne dass ein Bemühen um eine Aufklärung und Beilegung des Konfliktes durch das MK zu erkennen gewesen wäre. Dies widerspreche den Grundsätzen eines fairen Verfahrens. Der Kläger habe an der Fortdauer der Spannungen nicht vorwerfbar mitgewirkt. Er habe sich vielmehr immer gesprächs- und aufklärungsbereit gezeigt. Die Universität habe ein Mediationsverfahren abgelehnt. In dem Beschluss zur Nichtzulassung der Berufung vom 24.04.2012 (1 L 31/12; juris) teilt das OVG LSA die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass die „Verschuldensfrage“ durch die Universität nicht aufgeklärt worden sei. So mag es auch und sogar sein, dass sich der Kläger bei den Dezernenten wegen der Aufdeckung von „Fehlern“ unbeliebt gemacht hat.

55

Gleichwohl belegt dieses etwaige unfaire beamtenrechtliche Verfahren nicht gleichsam das unfaire Disziplinarverfahren. Denn – wie bereits oben ausgeführt – war die Einleitung des Disziplinarverfahrens geboten. Dass die zum Disziplinarverfahren geführten Vorkommnisse gleichsam willkommener Anlass für die beamtenrechtlichen Maßnahmen gegen den Kläger waren, berührt das Disziplinarverfahren nicht. Es ist nicht ersichtlich, dass das Disziplinarverfahren als Vorwand für die beamtenrechtlichen Verfahren benutzt wurde oder wird. Denn dann wäre davon auszugehen, dass Disziplinarklage mit dem Ziel der Entfernung aus dem Dienst erhoben worden wäre, wobei der Ausspruch der Höchstmaßnahme wegen der Vorwürfe nicht gänzlich von der Hand zu weisen wäre.

56

Mag der Vorhalt des Klägers sogar zutreffend sein, dass die Zeuginnen D. und E. zur Niederschrift ihrer Beobachtungen durch Dritte aufgefordert worden seien, ist dieses Vorgehen allein den Ermittlungen geschuldet und macht das Disziplinarverfahren nicht zu einem einseitig unfair geführten Verfahren. Der Kläger übersieht auch hier die oben dargestellten tatsächlichen hinreichenden Anhaltspunkte für die Einleitung eines Disziplinarverfahrens nach § 17 DG LSA. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass die Zeuginnen etwa unter Druck gesetzt oder zu einem bestimmten Aussageverhalten aufgefordert wurden. Darüber hinaus ist nicht das Aussageverhalten der Zeuginnen im behördlichen, sondern im gerichtlichen Verfahren maßgeblich und die Würdigung obliegt dem Gericht (BVerwG, Urteil v. 29.07.2010, 2 A 4.09; juris). Aus diesem Grunde muss die Kammer den in der mündlichen Verhandlung hilfsweise gestellten (Beweis-)Antrag zur Vernehmung der Herren … und … zu der Frage, ob Dritte das Verhalten der Zeuginnen initiiert bzw. gefordert hätten, nicht nachgehen.

57

2.) Die Disziplinarverfügung ist auch materiell-rechtlich nicht zu beanstanden. Zur Überzeugung des Disziplinargerichts steht fest, dass der Kläger die ihm zur Last gelegten Pflichtenverstöße und damit ein - innerdienstliches - Dienstvergehen (§ 47 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG) begangen hat. Dabei liegt der Schwerpunkt der Verfehlungen auf dem Vorwurf des Verstoßes gegen die allgemeine beamtenrechtliche Wohlverhaltenspflicht nach § 34 Satz 3 BeamtStG innerhalb des Dienstes aufgrund seines Verhaltens gegenüber den Zeuginnen D. und E. (a.). Der Vorwurf, Dienstfahrzeuge pflichtwidrig zu privaten Zwecken genutzt zu haben, ist wegen der Umstände des Einzelfalls und der daraus resultierenden Milderungsgründe nahezu unbedeutend (b.). Die ausgesprochene Disziplinarmaßnahme in Form der Gehaltskürzung (§ 8 DG LSA) ist verhältnismäßig, den Pflichtenverstößen angemessen und auch nach § 59 Abs. 3 DG LSA zweckmäßig (c.).

58

a.) Hinsichtlich des Disziplinarvorwurfs der Übergriffe gegenüber den Zeuginnen D. und E. geht das Disziplinargericht von Folgendem aus:

59

a. a.) Sexuelle Belästigung ist kein Straftatbestand. In besonderen Fällen kann die einschlägige Handlung gleichzeitig als Beleidigung (mit sexuellem Hintergrund) gem. § 185 StGB strafbar sein. Ob sich der Belästigte subjektiv beleidigt fühlt oder nicht, ist dabei nicht entscheidend. Da § 185 StGB kein Auffangtatbestand ist, fallen sexualbezogene Handlungen nur dann unter diese Vorschrift, wenn besondere Umstände einen selbstständigen beleidigenden Charakter erkennen lassen.

60

Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz ist eine Benachteiligung im Sinne des allgemeinen Gleichstellungsgesetzes (AGG). In § 3 Abs. 4 AGG wird sie definiert als

61

„ein unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten, wozu auch unerwünschte sexuelle Handlungen und Aufforderungen zu diesen, sexuell bestimmte körperliche Berührungen, Bemerkungen sexuellen Inhalts sowie unerwünschtes Zeigen und sichtbares Anbringen von pornografischen Darstellungen gehören, bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird, insbesondere wenn ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird“.

62

Nach §§ 7 Abs. 3 und 24 Nr. 1 AGG gilt das Verbot der sexuellen Belästigung nach § 3 Abs. 4 AGG auch im öffentlichen Dienstrecht und wird damit eine Beamtenpflicht.

63

Es mag dahinstehen, ob das Verhalten des Klägers gegenüber den Zeuginnen den Tatbestand der sexuellen Belästigung nach § 3 Abs. 4 AGG erfüllt. Denn dem Disziplinargericht drängt sich aufgrund der nach § 13 DG LSA notwendigen Gesamtbetrachtung der Persönlichkeit des Klägers der Eindruck auf, dass das von ihm im Umgang mit den unmittelbaren Mitarbeiterinnen gezeigte Verhalten, seiner Persönlichkeit entspricht ohne das er dadurch die weiblichen Bediensteten verletzend sexuell belästigen wollte bzw. ihm die diesbezügliche objektive Bewertung überhaupt bewusst war. Denn der Kläger führte in der mündlichen Verhandlung nachvollziehbar und überzeugend aus, dass für ihn in seinem unmittelbaren beruflichen Umfeld, eine Vertrautheit und damit eine gewisse menschliche Wärme unverzichtbar erschienen. Danach mögen gewisse Verhaltensweisen von ihm, wie der Wunsch mit „Lieber Herr A.“ angesprochen zu werden, die Mitarbeiterinnen zu duzen, über die Wochenend- und Freizeitaktivitäten „seiner“ engsten Mitarbeiterinnen informiert zu werden oder das überschwängliche in den Arm nehmen, seinem einseitigen Bedürfnis nach mehr Vertrautheit im dienstlichen Umgang geschuldet gewesen sein. So hieß es im behördlichen Verfahren auch, dass der Kläger durch Rückfragen bei den Damen stets um Anerkennung bemüht gewesen sei und diese sich in eine „Mutterrolle“ gedrängt fühlten.

64

b. b.) Auf die Subsumtion des Verhaltens des Klägers unter den Tatbestand der sexuellen Belästigung kommt es indes auch nicht an. Denn unabhängig davon, ist im Einzelfall jede ungebührliche, gegen die allgemeinen Regeln des Anstands und der guten Sitten im gesellschaftlichen, menschlichen Umgang untereinander verstoßende Handlung im Dienstbetrieb geeignet, einen Verstoß gegen die allgemeine innerdienstliche Wohlverhaltenspflicht nach § 34 Satz 3 BeamtStG darzustellen (so auch: BVerwG, Urteil v. 29.07.2010, 2 A 4.09; juris). Eine disziplinarrechtlich relevante, die Achtung und Wahrung des Berufsbeamtentums schädigende Handlung liegt insbesondere dann vor, wenn die Übergriffe durch einen Vorgesetzten gegenüber ihm dienstlich unterstellte Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen begangen wird.

65

Die vom Disziplinargericht in der mündlichen Verhandlung durch die Vernehmung der Zeuginnen D. und E. durchgeführte Beweisaufnahme hat ergeben, dass der Kläger gegenüber den Zeuginnen gegen seine allgemeine innerdienstliche Wohlverhaltenspflicht verstoßen hat.

66

Zur Überzeugung des Gerichts haben die Zeuginnen wahrheitsgemäß ausgesagt. Die Zeuginnen sind glaubwürdig und ihre Aussagen sind glaubhaft. Die den Zeuginnen vom Kläger unterstellte Tendenz zur Mehrbelastung sieht das Gericht nicht. Für die Kammer ist nicht erkennbar, dass die Zeuginnen den Kläger durch eine bewusste Falschaussage belasten oder schädigen wollten. Zudem ist keine Motivation der Zeuginnen für eine derartige Belastungstendenz ersichtlich. Die Zeuginnen neigten bei ihren Schilderungen nicht zu verbalen Übertreibungen, besonderen sprachlichen Ausschmückungen oder Verschärfungen hinsichtlich der Art, Intensität oder Dauer der vorgeworfenen Handlungen. Vielmehr sind die Aussagen detailreich, lassen deutlich den Bezug zu einem eigenen Erleben erkennen und decken sich mit ihren bereits im behördlichen Verfahren gemachten Angaben. Zudem sind die Aussagen der Zeuginnen im Kernbereich übereinstimmend, ohne dass Gründe für eine Absprache ersichtlich sind.

67

Die Zeugin D. gab an, dass der Kläger anlässlich eines Essens zum Ausdruck brachte, dass er über die dienstliche Zusammenarbeit hinaus von ihr mehr Nähe erwartet. Der Kläger suchte beispielsweise in Dienstberatungen insistierenden Blickkontakt und schaute auf ihre Beine. Schließlich ist es auch zu körperlichen Berührungen gekommen. Der Kläger strich ihr über die Haare bzw. wuschelte diese mit der Bemerkung, „bitte noch einmal angucken.“ Am Schreibtisch sitzend strich der Kläger ihr zwei bis dreimal über den Rücken, wobei sie durch ihre Haltung (Hohlkreuz) versuchte auszuweichen. Ein anderes Mal trat der Kläger von hinten so nahe an die Zeugin heran, dass sich ihre Wangen berührten. Auch das völlig unpassende mehrfache Zuwerfen von sog. Kussmunden empfand die Zeugin als unangenehm.

68

Die sich durch musternde Blicke und dem Zuwerfen von Kussmunden ausdrückende Zuneigung des Klägers gegenüber Frau D. wurde von der Zeugin E. bestätigt. Darüber hinaus sagte die Zeugin E. aus, dass der Kläger auch ihr gegenüber körperliche Annäherungen vornahm. Es ist oft vorgekommen – auf Nachfrage durch das Gericht – fast alltäglich, dass der Kläger der Zeugin E. über den Rücken strich. Mit der Zeit nahm die Intensität dieser Berührungen zu. Bei einem Diktat hat die Zeugin den Mund bzw. den Atem des Klägers stark in der Nähe ihres Kopfes gespürt.

69

Für die Glaubhaftigkeit der Aussagen der Zeuginnen spricht auch, dass sie nicht generell alle körperlichen Kontakte ablehnten, sondern diese bei bestimmten Anlässen, wie Geburtstagen durchaus vorkamen und als angemessen angesehen wurden. Auch wurde der Kontakt mit dem Kläger von den Zeuginnen nicht generell als unangenehm bezeichnet. Eher waren ab dem letzten Quartal des Jahres 2009 Steigerungen in der Suche nach den zudringlichen Körperkontakten zu verzeichnen.

70

Ein Beamter, der innerhalb des Dienstes Mitarbeiterinnen (körperlich) belästigt, beeinträchtigt erheblich sein Ansehen und das der Beamtenschaft, stört den Dienstfrieden und verletzt in schwerwiegender Weise die Würde und Ehre der Betroffenen. Vor allem weibliche Bedienstete müssen im Dienst vor jedweden Belästigungen seitens ihrer Vorgesetzten und Kollegen sicher sein (BVerwG, B. v. 16.07.2009, 2 AV 4.09; juris).

71

b.) Hinsichtlich des zur Last gelegten Pflichtenverstoßes der unzulässigen Nutzung der Dienstkraftfahrzeuge der Universität zu privaten Zwecken ist soviel festzustellen, dass dieser Tatbestand vorliegt und vom Kläger wohl auch eingeräumt wird. Das Problem dabei ist vielmehr, wieweit dem Kläger hier ein Verschulden vorzuwerfen ist. Denn er verteidigt sich damit, dass es in der …-Universität üblich sei, dass auch andere Bedienstete die Dienstkraftfahrzeuge zu privaten Zwecken genutzt hätten und nur er im Rahmen der gegen ihn geführten Mobbing-Kampagne disziplinarrechtlich herangezogen werde.

72

Nach der gerichtlichen Beweisaufnahme durch die Vernehmung des Zeugen G. und der Auswertung der vom Gericht angeforderten Stellungnahme der Universität sowie unter Zugrundelegung der bezeichneten rechtlichen Gegebenheiten, ist das Disziplinargericht davon überzeugt, dass die Bereitstellung der Dienstfahrzeuge durch die Universität nicht an den zugrunde gelegten Vorschriften orientiert war.

73

Nach Nr. 7.1 der Richtlinien über die Haltung und Benutzung von Dienstkraftfahrzeugen (Kraftfahrzeugrichtlinien – KfzR; - RdErl. des MF v. 08.11.2002 – 22.02500-1) und den Regelungen der Universität dürfen Dienstkraftfahrzeug grundsätzlich nur für dienstliche Zwecke, namentlich für Einsatzfahrten, Arbeitseinsätzen sowie Dienstreisen und Dienstgängen im Sinne von § 2 des Bundesreisekostengesetzes benutzt werden. Die hier einschlägige Regelung der Universität vom 06.09.2000 besagt nichts zu einer Genehmigung, sondern enthält nur den grundsätzlichen Hinweis auf die Benutzung für dienstliche Zwecke. Die Fuhrparkordnung der Universität vom 03.06.2005 regelt unter Nr. 5.2, dass Fahrzeuganforderungen entsprechend Vordruck nach entsprechender Genehmigung als Fahrauftrag gelten. Nach Nr. 7.2 der Richtlinie ist die Zustimmung des Dienststellenleiters bzw. nach Nr. 1.1 der Regelungen der Universität vom 28.01.2010 ab dem 01.02.2010 {hier also nicht einschlägig} des „Genehmigenden“ erforderlich. Nach Nr. 3.1 der Richtlinie der Universität ab 01.02.2010 bedarf die Benutzung eines Dienstfahrzeuges eins schriftlichen Fahrantrages. Die Genehmigung von Fahranträgen obliegt dem Leiter der Fahrbereitschaft, der den Einsatz der Dienstkraftfahrzeuge koordiniert.

74

Den in den Akten befindlichen und im Übrigen von Frau E. unterschriebenen Fahraufträgen zu den vorgeworfenen Terminen ist allesamt zu entnehmen, dass diese bei „gehöriger Prüfung“ den privaten Charakter der Fahrt ohne Probleme erkennen lassen (13.03.2009; Termin zur Wohnungsbesichtigung; 08.05.2009; Abholung und Transport in A-Stadt; 27.10.2009; Transport …straße; 02./03.12.2009; Termin beim Landessozialgericht A-Stadt-B.). Somit hat der Kläger nicht etwa eine Dienstfahrt vorgegeben, sondern wahrheitsgemäß den - privaten - Zweck der Fahrt angegeben. Diese hätten dann unter Zugrundelegung der rechtlichen Gegebenheiten nicht „genehmigt“ werden dürften. Denn wenn - wie hier - der Dienstherr ein „Genehmigungs-, Prüf- oder Überwachungsverfahren“ unter Verwendung „amtlicher“ AntragsVordrucke vorschreibt oder auch nur vorhält, muss er sich selbst auch an diese Gepflogenheiten halten und die ordnungsgemäße Prüfung des Antrages vornehmen. Daran hat es die Universität fehlen lassen. Der Zeuge G. führte aus, dass er als Leiter der Fahrbereitschaft stets aufgrund eines bloßen unterschriebenen Fahrantrages ein Fahrzeug zur Verfügung stellte. Seine „Genehmigungsprüfung“ beschränkte sich demnach lediglich auf das Vorhandensein eines Fahrzeuges. Demnach hat das Gericht keine Zweifel daran, dass der Vorhalt des Klägers zutreffend ist, dass auch andere Bedienstete der Universität vergleichsweise privat veranlasste Fahrten unternahmen. Soweit die Universität in diesem Zusammenhang dem Gericht gegenüber ausführt, dass derartige Fahrten nicht bekannt seien, ist dies wenig nachvollziehbar.

75

Trifft die Universität somit ein erhebliches Mitverschulden, ist der Kläger gleichwohl nicht vom Verstoß gegen seine beamtenrechtliche Pflicht zur Uneigennützigkeit (§ 34 Satz 2 BeamtStG) unter der Befolgung der einschlägigen Vorschriften vollständig freizusprechen. Denn insoweit ist zutreffend, dass der Kläger als Volljurist und Kanzler der Universität und somit als Verwaltungschef und Beauftragter für den universitären Haushalt um die Problematik der Fahrten wusste. Zudem hat er selbst an der Neuregelung im Jahre 2010 mitgewirkt. Auch wird ihm bewusst gewesen sein, dass der von ihm als Kanzler über Frau E. in Auftrag gegebene Fahrauftrag durch Herrn G. oder einer sonstigen - ihm dienstlich unterstellten - Person nicht abgelehnt werden wird.

76

c.) Bei der disziplinarrechtlichen Bewertung der Pflichtenverstöße geht das Gericht davon aus, dass der Schwerpunkt des (einheitlichen) Dienstvergehens auf dem Verstoß gegen die Wohlverhaltenspflicht im Dienst beruht.

77

Bei körperlicher Belästigung am Arbeitsplatz ist eine Regeleinstufung nicht angezeigt. Die Variationsbreite derartiger Zudringlichkeiten im Dienst ist zu groß, als dass sie einheitlichen Regeln unterliegen und in ihren Auswirkungen auf Achtung und Vertrauen gleichermaßen eingestuft werden könnten. Stets sind die besonderen Umstände des Einzelfalls maßgebend. In schweren Fällen innerdienstlicher (sexueller) Belästigung weiblicher oder männlicher Mitarbeiter, insbesondere wenn der Beamte unter Ausnutzung seiner Vorgesetzteneigenschaft versagt und dadurch nicht nur seine Integrität in der Dienststelle weitgehend eingebüßt, sondern auch sein Vertrauensverhältnis zum Dienstherrn schwer erschüttert ist, kann sich grundsätzlich die Frage seiner weiteren Tragbarkeit im öffentlichen Dienst stellen, während in minderschweren Fällen eine mildere Disziplinarmaßnahme verhängt werden kann (BVerwG, U. v. 29.07.2010, 2 A 4.09; Bayr. VGH, U. v. 13.07.2011, 16 a D 10.565; beide juris). Erhebliches Gewicht kommt derartigen Verfehlungen durch die Häufigkeit, Anzahl der betroffenen Kolleginnen und deren Dauer zu. Zudem wird der Betriebsfrieden massiv gestört.

78

Unter Zugrundelegung dessen, spricht gegen den Kläger, dass er als Vorgesetzter gegenüber den Zeuginnen die körperlichen und verbalen Übergriffe über einen längeren Zeitraum unternahm. Gleichwohl muss die eingangs vom Gericht erwähnte Persönlichkeitsstruktur des Klägers berücksichtigt werden, die die Handlungen in einem milderen Licht erscheinen lassen bzw. als weniger sexuell motiviert erklären, wobei das Gericht keinen Zweifel daran lässt, dass der Kläger schuldhaft handelte. Der Kläger hat permanent und über einen längeren Zeitraum die körperliche Integrität seiner beiden engsten Mitarbeiterinnen, der Zeuginnen D. und E., missachtet und sie damit am Arbeitsplatz gegen ihren erkennbaren Willen belästigt. Damit hat er die Grenzen des moralischen und sittlichen Anstandes am Arbeitsplatz überschritten. Schließlich hat er die Zurückweisung „nach mehr Nähe“ durch die Zeugin D. anlässlich des Gespräches beim Italiener auch dazu genutzt, ihre dienstliche Versetzung aus plötzlichen Gründen der Schlechtleistung zu betreiben.

79

Aufgrund der bei dem Pflichtenverstoß hinsichtlich der privaten Benutzung der Dienstfahrzeuge bestehende Entlastungsmöglichkeit, hält das Gericht die vom Beklagten aufgrund seiner Disziplinarbefugnis ausgesprochene Disziplinarmaßnahme insgesamt für verhältnismäßig, weil der Tat angemessen und als erzieherischen Maßnahme auch erforderlich und schließlich zweckmäßig (§ 59 Abs. 3 DG LSA).

80

3.) Die Kostenentscheidung folgt aus § 72 Abs. 4 DG LSA i. V. m. § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 3 DG LSA, § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


Gründe

1

I. Der Antragsteller ist Regierungsoberamtsrat bei dem Antragsgegner. Gegen ihn läuft ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren wegen des Verstoßes gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz und des Besitzes kinderpornografischer Schriften.

2

Im Rahmen einer Hausdurchsuchung wurde bei dem Antragsteller jedenfalls ein Verschlusskopf für ein Sturmgewehr G3 sowie eine Bilddatei mit dem Verdacht kinderpornografischer Abbildungen gefunden. Die nachfolgende Durchsuchung der Diensträume des Antragstellers am 03.04.2014wurde mit Beschluss des Amtgerichts Hannover vom 03.04.2014 damit begründet, dass nach kriminalistischer Erfahrung zu erwarten sei, dass der Beschuldigte nach weiteren Bezugsmöglichkeiten kinderpornografischen Materials im Internet gesucht habe. Der (Dienst-)Rechner wurde sichergestellt und der persönliche Speicher auf dem Server gespiegelt.

3

Am 04.04.2014 leitete der Antragsgegner ein Disziplinarverfahren gegen den Antragsteller ein und enthob ihn gleichzeitig mit sofortiger Wirkung gemäß § 38 Abs. 1 des Disziplinargesetzes Sachsen-Anhalt (DG LSA) vorläufig vom Dienst, da ein Verbleiben im Dienst den Dienstbetrieb wesentlich beeinträchtigen würde. Den dagegen eingelegten Widerspruch wies der Antragsgegner mit Bescheid vom 01.09.2014 als unzulässig zurück und verfügte mit sofortiger Wirkung die Einbehaltung von 50 % der Dienstbezüge des Antragstellers. Ihm werde zur Last gelegt, gegen die „Dienstleistungspflicht“ und die Pflicht zu achtungswürdigen und vertrauensgerechten Verhalten verstoßen zu haben. Es bestehe der hinreichend begründete Verdacht eines Dienstvergehens, das mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu disziplinarischen Höchstmaßnahme führen werde. Bereits der Besitz kinderpornografischer Darstellungen sei im Regelfall als schweres Dienstvergehen zu qualifizieren. Ebenso sei der Verstoß gegen das Waffen- und Kriegswaffenkontrollgesetz mit den Grundsätzen des Beamtentums nicht vereinbar. Zudem sei eine Störung des Dienstbetriebes zu besorgen, wozu ausgeführt wird:

4

„Zwar tritt in meinem Hause kaum Publikumsverkehr auf. Gleichwohl handelt es sich um eine oberste Dienstbehörde. Als Ministerium stehen meine Bediensteten und ich besonders im Focus der Öffentlichkeit. Diese hat besonders hohe Erwartungen an die Verfassungs- und Gesetzestreue der Bediensteten meines Hauses. Insoweit erwarte ich und setze ich voraus, dass sich gerade meine Bediensteten besonders genau an die Verfassung und an die Gesetze halten. Unter anderem auch, weil auch in meinem Hause Gesetzesentwürfe erarbeitet werden.

5

Bereits das Bekanntwerden des Verdachts der Verletzung von Strafnormen durch einen Bediensteten meines Hauses würde den Hausfrieden erheblich stören: Meine Bediensteten würden Maßnahmen erwarten und für ein Verbleiben des Beamten im Dienst kein Verständnis aufbringen. Eine normale Zusammenarbeit ihres Mandanten mit seinen Kollegen sehe ich daher derzeit als nicht realisierbar an. Denn trotz aller Vorsichtsmaßnahmen hat sich die Durchsuchung der Diensträume unter meinen Bediensteten herumgesprochen. Zudem betreffen die Vorwürfe einen besonders sensiblen Bereich: den Schutz der Kinder und den Schutz vor unberechtigtem Einsatz von Waffen. Hier fühlt sich jeder meiner Bediensteten betroffen.

6

Die Angelegenheit ist außerdem geeignet, besonderes Aufsehen in der Öffentlichkeit zu erregen. Auch um diesem Vorzubeugen sehe ich keine andere Möglichkeit, als Ihren Mandanten vorläufig des Dienstes zu suspendieren. Hierbei kommt es nicht darauf an, dass er dienstlich grundsätzlich weder mit Kindern noch mit Waffen in Kontakt kommt. Es ist allein darauf abzustellen, dass er Bediensteter einer obersten Landesbehörde ist und die Vorwürfe einen besonders sensiblen Lebensbereich betreffen.

7

Diese Problematik würde auch nicht dadurch gemildert werden, dass Ihr Mandant Heimarbeit ausübt. Auch im Rahmen der Heimarbeit würde Ihr Mandant für mich tätig sein und nach Außen für mein Haus – und sei es auch nur gegenüber anderen Behörden und Institutionen – auftreten. Außerdem entfällt dadurch nicht die Zusammenarbeit mit den Kollegen und der Umgang mit den Dienstvorgesetzten.

8

Letztendlich bitte ich zugleich auch den damit verbundenen Schutz Ihres Mandanten zu sehen, da ich auch bei Heimarbeit Ihrs Mandanten Reaktionen meiner Bediensteten auf den bestehenden Verdacht nicht verhindern kann.“

9

II.) Der zulässige Antrag nach § 61 Abs. 2 Disziplinargesetz Sachsen-Anhalt (DG LSA) ist begründet.

10

Nach § 38 Abs. 1 Satz 1 DG LSA kann die für die Erhebung der Disziplinarklage zuständige Behörde einen Beamten gleichzeitig mit oder nach der Einleitung des Disziplinarverfahrens vorläufig des Dienstes entheben, wenn im Disziplinarverfahren voraussichtlich auf Entfernung aus dem Beamtenverhältnis erkannt wird. Ferner kann die vorläufige Dienstenthebung ausgesprochen werden, wenn durch ein Verbleiben des Beamten im Dienst der Dienstbetrieb oder die Ermittlungen wesentlich beeinträchtigt würden und die vorläufige Dienstenthebung nicht unverhältnismäßig ist (§ 38 Abs. 1 Satz 2 DG LSA). Zudem kann sie nach § 38 Abs. 2 DG LSA mit oder nach der vorläufigen Dienstenthebung anordnen, dass dem Beamten bis zu 50 v. H. der monatlichen Dienstbezüge einbehalten werden, wenn im Disziplinarverfahren voraussichtlich auf Entfernung aus dem Beamtenverhältnis erkannt werden wird.

11

Die vorläufige Dienstenthebung in der Gestalt des Bescheides vom 01.09.2014 stützt der Antragsgegner auf § 38 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 DG LSA.

12

Bei der Anordnung der Suspendierung handelt es sich nicht um eine Disziplinarmaßnahme im Sinne des Maßnahmenkataloges, sondern um eine beamtenrechtliche Maßnahme des Disziplinarrechts (Hummel/Köhler/Mayer, BDG, 5. Auflage 2012, § 38 Rz. 1). Ihre Berechtigung ergibt sich aus dem funktionalen Bedürfnis, noch vor der endgültigen Klärung des Vorliegens eines Dienstvergehens und der abschließenden Entscheidung über die angemessene Maßregelung des Beamten eine den Verwaltungsaufgaben und dem Dienstbetrieb dienende vorübergehende Sicherungsregel zu treffen.

13

1.) Die nach § 61 Abs. 2 DG LSA vom Disziplinargericht vorzunehmende Prüfung ergibt, dass die vorläufige Dienstenthebung sowie die Einbehaltung der Dienstbezüge aufzuheben sind. Denn zur Überzeugung des Disziplinargerichts bestehen ernstliche Zweifel an ihrer Rechtmäßigkeit.

14

a.) Eine auf § 38 Abs. 1Satz 1 DG LSA gestützte Verfügung über die vorläufige Dienstenthebung muss pflichtgemäßem Ermessen der Einleitungsbehörde entsprechen. Den Beamten auch nur vorläufig vom Dienst zu entheben, setzt voraus, dass ein Verbleiben des Beamten im Dienst schlechthin untragbar wäre. Dabei handelt es sich um die denkbar schwerste Sanktion für dienstliche Verfehlungen, welche nach der Rechtsprechung besondere Umstände voraussetzt. Für die konkrete Entscheidung im Einzelfall sind grundsätzlich das dienstliche Bedürfnis an der einstweiligen Fernhaltung des Beschuldigten vom Dienst und dessen Recht auf amtsentsprechende dienstliche Beschäftigung abzuwägen (vgl. dazu: Köhler/Ratz, BDO, 2. Aufl., § 91 Rz. 10: vgl. zum Ganzen: VG Magdeburg, Beschl. v. 10.02.2007, 8 B 22/06; Beschl. v. 03.03.2010, 8 B 21/09; zuletzt: Beschl. v. 31.03.2014, 8 B 2/14 und v. 26.08.2013, 8 B 13/13; Beschl. v. 27.08.2014, 8 B 13/14; OVG Lüneburg, Beschluss v. 25.03.2013, 19 ZD 4/13; alle juris).

15

Nach § 61 Abs. 2 DG LSA ist die vorläufige Dienstenthebung dann aufzuheben, wenn ernstliche Zweifel an ihrer Rechtmäßigkeit bestehen. Ernstliche Zweifel sind schon dann anzunehmen, wenn im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts offen ist, ob die Anordnung nach § 38 Abs. 1 DG LSA rechtmäßig oder rechtswidrig ist (vgl. nur: Bay. VGH, Beschl. v. 11.04.2012, 16b DC 11.985; OVG Lüneburg Beschluss vom 13.5.2005, 3 ZD 1/05; alle juris). Neben der formellen Rechtmäßigkeit der Anordnung ist somit zu prüfen, ob die in der Anordnung liegende Prognose gerechtfertigt ist, der Beamte werde im Disziplinarverfahren voraussichtlich aus dem Dienst entfernt werden.

16

Diese Prognose trägt nur dann, wenn nach dem Kenntnisstand eines Eilverfahrens die Möglichkeit des Ausspruchs der disziplinarrechtlichen Höchstmaßnahme überwiegend wahrscheinlich ist. Ist es dagegen zumindest ebenso wahrscheinlich, dass eine Entfernung des Beamten aus dem Beamtenverhältnis im Disziplinarverfahren nicht erfolgen wird, sind ernstliche Zweifel durch das Gericht zu bejahen (BVerwG, Besch. v. 16.07.2009, 2 AV 4.09; BayVGH, Beschl. v. 20.04.2011, 16b DS 10.1120;Sächs. OVG, B. 19.08.2010, D 6 B115/10 mit Verweis auf Beschluss vom 08.07.2010, D6A116/10; alle juris; Müller, Grundzüge des Beamtendisziplinarrechts, § 38 Abs. 1 BDG, 2010, Rz. 370 m. w. N.; GKÖD, Disziplinarrecht des Bundes und der Länder, § 38 BDG, Rz. 51). Anders gewendet, es müssen hinreichend gewichtige Gründe dafür sprechen, dass die Entfernung aus dem Dienst im Ergebnis des - noch durchzuführenden - Disziplinarverfahrens nicht in Betracht kommt. Dies beinhaltet eine vom Gericht vorzunehmende summarische Prüfung des zurzeit bekannten Sachverhaltes und eine daran orientierte Wahrscheinlichkeitsprognose. Hinsichtlich des zur Last gelegten Dienstvergehens genügt die Feststellung, dass der Beamte dieses Dienstvergehen mit einem hinreichenden Grad an Wahrscheinlichkeit begangen hat; nicht erforderlich ist, dass das Dienstvergehen bereits in vollem Umfang nachgewiesen ist (vgl. BVerwG, Beschl. v. 29.09.1997, 2 WDB 3.97; OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 22.09.2009, 83 DB 1.09; OVG des Saarlandes, Beschl. v. 17.06.2009, 6 B 289/09; alle juris).

17

Die Beurteilung im Verfahren nach § 61 DG LSA erfordert keine gesonderten Beweiserhebungen, sondern ist in der Lage, in der sich das Disziplinarverfahren jeweils befindet, anhand der bis dahin zu Tage getretenen Tatsachen zu treffen. Für eine vorläufige Dienstenthebung können u. U. selbst durch Aktenvermerke untermauerte Erkenntnisse ausreichen (vgl. Müller a. a. O.). Dabei ist auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abzustellen (BVerwG, Beschl. v. 22.07.2002, 2 WDB 1.02; OVG Berlin-Brandenburg; Beschl. v. 18.08.2005, 80 SN 1.05; Bay VGH, Beschl. v. 11.04.2012, 16b DCV 11.985; alle juris). Jedoch muss für die gerichtliche Überprüfung der vorläufigen Dienstenthebung maßgeblich auf die von dem Dienstherrn in dem Bescheid herangezogenen Gründe der Pflichtenverletzung abgestellt werden. Ähnlich wie bei der Bestimmtheit des Tatvorwurfs als inhaltliche Anforderung an die - spätere - Disziplinarklageschrift, müssen die Sachverhalte, aus denen das Dienstvergehen hergeleitet wird, aus sich heraus verständlich und nachvollziehbar geschildert werden. Ort und Zeit der einzelnen Handlungen müssen möglichst genau angegeben, die Geschehensabläufe nachvollziehbar beschrieben werden (vgl. nur: BVerwG, Urteile v. 23.11.2006, 1 D 1.06, v. 25.01.2007, 2 A 3.05; Beschlüsse v. 13.03.2006, 1 D 3.06, v. 18.11.2008, 2 B 63.08 und v. 21.04.2010, 2 B 101.09; alle juris). Nur diese können durch das Disziplinargericht im Rahmen der Würdigung durch Akteninhalte und sonstige - evtl. auch später, im Laufe des Verfahrens nach § 61 DG LSA hinzutretende - Erkenntnisse untermauert werden, um so die Prognoseentscheidung, das heißt die Ausübung des ordnungsgemäßen Ermessens durch den Dienstherrn, zu überprüfen (VG Magdeburg, Beschl. v. 12.06.2012, 8 B 5/12, juris). Hingegen ist es dem Disziplinargericht verwehrt, anstelle der Disziplinarbehörde eine eigene Ermessenserwägung anzustellen (OVG Saarland, Beschluss v. 18.05.2011, 6 B 211/11; juris).

18

a. a.) Welche Disziplinarmaßnahme im Einzelfall erforderlich ist, richtet sich gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 und 3 DG LSA nach derSchwere des Dienstvergehens und des unter Berücksichtigung der Persönlichkeit des Beamten eingetretenen Umfangs der durch das Dienstvergehen herbeigeführten Vertrauensbeeinträchtigung. § 13 Abs. 2 DG LSA bestimmt, dass ein Beamter, der durch ein schweres Dienstvergehen das Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit endgültig verloren hat, aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen ist (Satz 1). Die Feststellung des verloren gegangenen Vertrauens ist verwaltungsgerichtlich voll inhaltlich nachprüfbar (Satz 2).

19

Demnach ist maßgebendes Bemessungskriterium für die Bestimmung der Disziplinarmaßnahme die Schwere des Dienstvergehens. Sie beurteilt sich zum einen nach der Eigenart und Bedeutung der verletzten Dienstpflichten, Dauer und Häufigkeit der Pflichtenverstöße und den Umständen der Tatbegehung (objektive Handlungsmerkmale) und zum anderen nach Form und Gewicht des Verschuldens und den Beweggründen des Beamten für sein pflichtwidriges Verhalten (subjektive Handlungsmerkmale) sowie nach den unmittelbaren Folgen der Pflichtenverstöße für den dienstlichen Betrieb und für Dritte (vgl. zum gleichlautenden § 13 BDG, BVerwG, Urt. v. 20.10.2005, 2 C 12.04; Urt. v. 03.05.2007, 2 C 9.06; B. v. 10.09.2010, 2 B 97/09; VGH Baden-Württemberg, U. v. 16.09.2010, DL 16 S 579/10; alle juris).

20

Erst bei Würdigung der Gesamtpersönlichkeit des Beamten lässt sich mit der gebotenen Sicherheit beurteilen, ob der Beamte aus disziplinarrechtlicher Sicht noch erziehbar erscheint oder ob hierfür eine bestimmte Disziplinarmaßnahme als notwendig, aber auch als ausreichend erscheint, oder ob der Beamte für die Allgemeinheit und den Dienstherrn untragbar geworden ist und deshalb seine Entfernung aus dem Beamtenverhältnis geboten ist (vgl. nur: VG Magdeburg, U. v. 04.11.2009, 8 A 19/08 m. w. N.; juris).

21

Eine objektive und ausgewogene Zumessungsentscheidung setzt demnach voraus, dass die gegen den Beamten ausgesprochene Disziplinarmaßnahme unter Berücksichtigung der belastenden und entlastenden Umstände des Einzelfalls in einem gerechten Verhältnis zur Schwere des Dienstvergehens und zum Verschulden des Beamten steht und gewisse Besonderheiten des Einzelfalls mildernd zu berücksichtigen sind (vgl. BVerfG, Beschl. v. 08.004, 2 BvR 52/02; BVerwG, U. v. 14.02.2007, 1 D 12.05 mit Verweis auf Urteil vom 20.10.2005, 2 C 12.04; OVG Lüneburg, U. v. 20.11.2009, 6 LD 1/09; VGH Bad.-Württ., U. v. 16.09.2010, DL 16 S 579/10; VG Saarland, U. v. 17.09.2010, 7 K 238/09; alle juris).

22

b. b.) Unter diesen rechtlichen Prüfungsvoraussetzungen folgt die Disziplinarkammer nach dem derzeitigen, sich aus der Begründung der Suspendierung, dem Aktenmaterial und dem Vorbringen der Beteiligten ergebenden Sach- und Rechtsstand nicht der von dem Antragsgegner angestellten Prognoseentscheidung. Danach ist gegenwärtig nicht mit der überwiegenden Wahrscheinlichkeit davon auszugehen ist, dass prognostiziert werden kann, bei sich bei Fortgang der Ermittlungen ergibt, dass der Antragsteller ein derart schweres Dienstvergehen begangen hat, welches aufgrund des damit einhergehenden Verlustes des Vertrauens des Dienstherrn oder der Allgemeinheit zu seiner Entfernung aus dem Dienst führt.

23

Der Antragsgegner stützt die vorläufige Dienstenthebung maßgeblich darauf, dass der Antragsteller gegen die „Dienstleistungspflicht und die Pflicht zum achtungswürdigen und vertrauensgerechten Verhalten“ verstoßen habe. Ist „Dienstleistungspflicht“ eher in Bezug auf das Erscheinen zum Dienst und die ordnungsgemäße äußere Dienstausübung anzusehen, meint der Antragsgegner wohl die beamtenrechtlichen Grundpflichten nach § 34 Satz 3 Beamtenstatusgesetz (BeamtStG), wonach das Verhalten des Beamten der Achtung und dem Vertrauen gerecht werden muss, die der Beruf erfordert (Wohlverhaltenpflicht). Diese Pflicht ist generell verletzt, wenn der Beamte strafrechtlich in Erscheinung tritt. Ob diese beamtenrechtliche Pflichtverletzung zugleich notwendig zur Entfernung aus dem Dienst führt, hängt maßgeblich von dem strafrechtlichen Unrechtsgehalt der verwirklichten Straftatbestände und dem Umstand ab, ob es sich um inner- oder außerdienstliche Dienstvergehen handelt. Dabei ist nach der Rechtsprechung unter anderem auf den Strafrahmen abzustellen, welcher nach § 22a Abs. 1 Nr. 3 Kriegswaffenkontrollgesetz bis zu 5 Jahren und im Fall des Absatz 3 bis zu 3 Jahren beträgt. Verbreitung, Erwerb und Besitz kinderpornografischer Schriften ist nach § 184b StGB mit bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe belegt.

24

c. c.) Dem Disziplinargericht erscheint es auch vor diesem Hintergrund der durchaus im Raum stehenden schweren Dienstpflichtverletzungen nach augenblicklichem Kenntnisstand jedoch nicht hinreichend ausermittelt, dass der Antragsteller diese Straftatbestände auch tatsächlich verwirklicht bzw. die daraus resultierenden Dienstpflichten verletzt hat um mit der notwendigen – eingangs beschriebenen – Wahrscheinlichkeit die verlässliche Prognose der Entfernung aus dem Dienst stellen zu können. Vorliegend hat der Antragsgegner bereits tags nach der Durchsuchung der Diensträume und dem Bekanntwerden des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens das Disziplinarverfahren eingeleitet und die streitbefangene Verfügung erlassen, wobei diese isoliert betrachtet, nicht hinreichend begründet erscheint und gerade keine Abwägung und Prognose beinhaltet. Nur durch die hinzutretenden Ausführungen in dem späteren Bescheid vom 01.09.2014 ist eine hinreichende Begründung gegeben. Während es für die Einleitung eines Disziplinarverfahrens nach § 17 DG LSA ausreicht, dass Tatsachen bekannt werden, die den Verdacht eines Dienstvergehens rechtfertigen (vgl. VG Magdeburg, Urteil v. 13.012, 8 A 7/11; juris) reicht dieser Anfangsverdacht für die nach § 38 DG LSA verhängten Maßnahmen der vorläufigen Dienstenthebung und der Einbehaltung von Bezügen gerade nicht aus. Je weniger der den Verdacht begründende Sachverhalt in seinen Einzelheiten bekannt ist, desto mehr muss mit dem Vorliegen von Ausnahmeumständen gerechnet werden (Hummel/Köhler/Mayer, BDG, 5. Auflage 2012, § 38 Rz. 3). Diese unterschiedlichen Zielrichtungen übersieht der Antragsgegner. Auch wenn er in dem Schriftsatz vom 10.02.2015 ausführt, dass ein Durchsuchungsbeschluss aufgrund einer richterlichen Anordnung ergeht und der Richter den Tatverdacht anhand der Aktenlage prüft und tatsächliche Anhaltspunkte für die Begehung einer Straftat vorliegen müssen, ändert dies nichts an dem andersartigen disziplinarrechtlichen Prognosemaßstab zur Wahrscheinlichkeit des späteren Ausspruchs der Entfernung aus dem Dienst. Anderenfalls könnte gleichsam mit der Einleitung strafrechtlicher Ermittlungen stets die Suspendierung ausgesprochen werden. Gerade dies sieht das Disziplinarrecht nicht vor.

25

Der Antragsgegner führt selbst noch in der Antragserwiderung vom (wohl) 19.014 aus, dass man sich bemüht habe, weitere umfangreichere Auskünfte von den Ermittlungsbeamten zu erhalten. Dem Vorschlag der Kriminalpolizei eine schriftliche Anfrage an die Staatsanwaltschaft Hannover zu stellen, wurde unter dem 24.06.2014 gefolgt. Eine Antwort steht aus und der Antragsgegner führt aus, dass er davon ausgehen musste, dass vor Abschluss der Ermittlungen keine Auskünfte erteilt werden. Die sodann vom Antragsgegner gezogene Schlussfolgerung, dass „gleichwohl […] ein weiteres Zuwarten nicht zumutbar [war]“ (Schriftsatz vom 19.014, S. 5 unten), lässt die Abwägung hinsichtlich der Auswirkungen des durch die nach § 38 DG LSA dem Beamten gegenüber vorgenommenen Eingriffe nicht hinreichend erkennen. Denn auch diese im Zeitpunkt des gerichtlichen Verfahrens vorgenommene Abwägung beruht auf Mutmaßungen bzw. nicht belastbaren, weil unreflektiert gegebenen Informationen der Ermittlungsorgane. Der Antragsgegner wertet diese zudem nicht ausreichend und bewegt sich überwiegend im Rahmen der Spekulation. So bezieht sich der Antragsgegner auf eine E-Mail der Kriminalpolizei A-Stadt vom 04.04.2014 (Beiakte A, Bl. 11, f,), wonach im Rahmen der Hausdurchsuchung „eine Vielzahl von Kriegswaffen sichergestellt“ worden seien. Der Kriminalbeamte führt aber weiter aus: „Eine abschließende rechtliche Würdigung dieser Waffen kann erst nach gutachterlicher Stellungnahme erfolgen, da es sich vermutlich ehemals um Dekorationswaffen, bzw. zivile Ausführungen, gehandelt hat. […] Bei den sichergestellten Waffen wurden diese Rückbauten zumindest in Teilbereichen revisioniert – durch Herrn A. -, so dass es wieder zu Teilfunktionen gekommen ist. Ob es wieder zu einer Vollfunktion gekommen ist, bleibt den Gutachtern vorbehalten. Aber auch eine rechtliche Einstufung als Kriegswaffe, trotz Funktionseinschränkungen, wäre denkbar.“ Diese entscheidenden weiteren Ausführungen zu dem Abwarten der Ermittlungs- und Gutachterergebnissen lässt der Antragsgegner vollständig unberücksichtigt. Verwertbar steht bislang allein fest, dass der Antragsteller bei dem Waffenhändler in Essen ein Verschlussteil für ein Maschinengewehr erworben hat. Auch in der E-Mail vom 23.06.2014 (Beiakte A, Bl. 108) geht die PI A-Stadt davon aus, dass erst noch Untersuchungsaufträge erteilt werden müssen. Nach deren Ergebnis hat der Antragsgegner nicht erkundigt.

26

Gleiches gilt für den Vorhalt des Verstoßes nach § 184b StGB. Fest steht, dass bei dem Antragsteller im Rahmen eines Zufallsfundes „eine Bilddatei“ mit kinderpornografischen Inhalt gefunden wurde und daraufhin weiter ermittelt wird. Auch hier liegen noch keine Ermittlungsergebnisse vor. Gleichwohl wird in dem Bescheid vom 01.09.2014 ausgeführt, dass auf Nachfrage bei dem Ermittlungsbeamten mitgeteilt worden sei, dass die Auswertung der Datenträger noch andauere, man sich nun mittlerweile in einem „mittleren vierstelligen Bereich bewegen“ würde. Allein der Hinweis darauf, dass der Antragsgegner Kenntnis davon erlangte, das gegen den Antragsteller wegen Kinderpornografie ermittelt wird, reicht als Tatsachengrundlage für eine sachgerechte Prognose, welche Disziplinarmaßnahme zu erwarten ist, gerade nicht aus. Denn dazu müssen Anzahl der Bilder, die Häufigkeit des Herunterladens sowie die in den Bilden und Videos hinsichtlich ihrer Ausführungsart dargestellten sexuellen Handlungen ausgewertet werden (BVerwG, Urteil v. 19.08.2010, 2 C 13.10; vgl. zu einem einmaligen innerdienstlichen Herunterladen kinderpornografischer Inhalte; BayVGH, Urteil v. 17.11.2011, 16a D 10.2504; zusammenfassend: VG Magdeburg, Urteil v. 05.06.2013, 8 A 10/12, alle juris). Allein die Information in der E-Mail der PI A-Stadt vom 23.06.2014 (Beiakte A, Bl. 108) dahingehend, „die Auswertung der Datenträger dauert an; i. S. Kinderpornografie bewegen wir uns mittlerweile im vierstelligen Bereich“ trägt nicht zur Erhellung des im Raume stehenden Vorwurfs bei.

27

b.) Die ebenso auf § 38 Abs. 1Satz 2 DG LSA gestützte Suspendierung hält der Überprüfung nach § 61 Abs. 2 DG LSA nicht stand. Auch insoweit bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit. Die vom Antragsgegner angeführten Gründe sind nicht geeignet zu verdeutlichen, dass durch ein Verbleiben des Antragstellers im Dienst der Dienstbetrieb wesentlich beeinträchtig wäre. Die Maßnahme darf mit Blick auf die Bedeutung der Sache und zu erwartende Disziplinarmaßnahme nicht außer Verhältnis stehen. Die pauschale Begründung, die Dienstenthebung rechtfertige sich aus der zu erwartenden Höchstmaßnahme oder eine Weiterbeschäftigung komme bis zum rechtskräftigen Abschluss des Disziplinarverfahrens nicht in Betracht, um eine Gefährdung oder Störung dienstlicher Belange zu vermeiden, genügt nicht. Es bedarf der Darlegung der besonderen Umstände für die Störung des Dienstbetriebes. Die vorläufige Dienstenthebung erweist sich dann als ermessensgerecht und verhältnismäßig, wenn ohne diesen Eingriff der Dienstbetrieb oder die ordnungsgemäße Tätigkeit der Verwaltung durch die Anwesenheit des Beamtenempfindlich gestört oder in besonderem Maße gefährdet wäre (vgl. BVerwG, Beschl. v. 01.09.2000, 1 DB 16.00; Beschl. v. 04.01.1996, 1 DB 16.95; Hummel/Köhler/Mayer, BDG, 5. Auflage 2012, § 38 Rz. 4).

28

Vorliegend macht der Antragsgegner zwar diesbezüglich umfassende – oben unter I, wiedergegebene – Ausführungen; gleichwohl tragen diese zur Überzeugung des Gerichts nicht. Denn der Antragsgegner argumentiert pauschal, dass der dem Antragsteller vorgehaltene Unrechtsgehalt der strafrechtlichen Delikte zur Störung des Dienstbetriebes führe. Er unterlässt jedwede konkrete Subsumtion zu den gegebenen Besonderheiten und dem Stadium des Verfahrens, dass konkrete und belastende Ermittlungsergebnisse gerade noch nicht vorliegen.

29

Eine wesentliche Beeinträchtigung des Dienstbetriebes ist vor allem dann zu besorgen, wenn auf Grund von Umständen, die mit dem mutmaßlich begangenen Dienstvergehen in Zusammenhang stehen, eine gedeihliche, der Dienstverrichtung dienende Zusammenarbeit mit dem Beamten gefährdet ist und herunter die Aufgabenerledigung ernsthaft leiden kann. Anhaltspunkte hierfür können sich aus den bereits eingetretenen Folgen des mutmaßlichen Dienstvergehens ergeben. Auswirkungen auf den Dienstbetrieb sind weiterhin zu befürchten, wenn aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte mit einer Fortsetzung der Begehung des Dienstvergehens zu rechnen ist (OVG Lüneburg, Beschl. v. 25.03.2013, 19 ZD 4/13, juris).

30

So wäre für ein notwendiges Fernhalten des Antragstellers vom Dienst von Belang, ob er mit dem dienstlichen Inventar oder aus den dienstlichen Räumen heraus die vorgehaltenen Straftaten begangen hat. Gleiches gilt, wenn zu befürchten ist, dass der Beamte im Dienst aufgrund der ihm dienstlich zur Verfügung stehenden Mittel erneut auffällig wird. Der Antraggegner geht insoweit von dem Idealfall aus, dass die Taten bewiesen sind und damit zur Stigmatisierung führen. Er berücksichtigt nicht, dass jedwede bekanntgewordenen straf- oder disziplinarrechtlichen Ermittlungen gegen einen Beamten die Gefahr bedeuten, dass diese Tatsachen negative Auswirkungen auf den Dienstbetrieb auch und gerade eines Ministeriums haben. Es ist zwar nicht ausgeschlossen, dass es Fälle gibt, in denen aufgrund der Natur und des Gewichts des vorgeworfenen Dienstvergehens sowie des vom Beamten bekleideten Amtes zugleich ohne weitere Darlegungen eine wesentliche Beeinträchtigung des Dienstbetriebes ersichtlich ist. Diese allgemeine abstrakte Befürchtung ist aber mit dem Tatbestand des § 38 Abs. 1 Satz 2 DG LSA nicht gemeint. Denn ansonsten würden jedwede (strafrechtliche) Ermittlungen die Suspendierung rechtfertigen.

31

Hinzu kommt, dass der Antragsgegner die Tatsche der vom Antragsteller vorgenommenen Heimarbeit nicht hinreichend würdigt. Ausweislich des ärztlichen Attestes vom 04.07.2013 befindet sich der Antragsteller wohl für den Zeitraum von zwei Jahren in der Wiedereingliederung mit zwei Präsenstagen in der Woche am Dienstort in B-Stadt und an drei Tagen in Heimarbeit. Danach kann man die Präsenz am Dienstort vernachlässigen. Denn nur in Bezug darauf kann die Störung des Dienstbetriebes ernsthaft gesehen, geprüft und abgewogen werden. Der Antragsgegner argumentiert vielmehr damit, dass der Antragsteller auch in Heimarbeit für ihn tätig werde und gegenüber anderen Stellen auftrete. Diese Argumentation zielt aber darauf, sich vor einem Ansehensverlustes zu schützen, was aber nicht mit der „Störung des Dienstbetriebes“ ohne weiteres gleichzusetzen ist.

32

Schließlich berücksichtigt der Antragsgegner nicht hinreichend die weitere Tatbestandsvoraussetzung nach § 38 Abs. 1 Satz 2 DG LSA, nämlich dass die vorläufige Dienstenthebung zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Disziplinarmaßnahme nicht außer Verhältnis steht. Diese Verhältnismäßigkeit kann aber nach den Ausführungen zu § 38 Abs. 1 Satz 1 DG LSA gerade nicht angenommen werden. Denn aufgrund des derzeit offenen und nicht hinreichend bekannten Ergebnisses des Ermittlungsverfahrens, kann der Ausspruch der disziplinarrechtlichen Höchstmaßnahme bei Fortgang der Ermittlungen derzeit gerade nicht mit der notwendigen Wahrscheinlichkeit prognostiziert werden.

33

2.) Aufgrund der derzeit fehlenden Wahrscheinlichkeit zum späteren Ausspruch der Entfernung aus dem Dienst, bestehen auch hinsichtlich der nach § 38 Abs. 2 DG LSA verfügten Einbehaltung der Dienstbezüge ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit im Sinne des § 61 Abs. 2 DG LSA, was zur Aufhebung führt. Dazu darf bemerkt werden, dass die Ausschöpfung der vom Gesetz vorgegeben Obergrenze von 50 % auch unter Beachtung der fehlenden Mitwirkung des Beamten zur Offenlegung seiner finanziellen Situation unter Gründen der Verhältnismäßigkeit als grenzwertig anzusehen ist. Denn der Einbehaltung darf kein Strafcharakter zukommen.

34

3.) Abschließend weist das Gericht darauf hin, dass der Dienstherr den durch die Einleitung des Disziplinarverfahren zur Kenntnis gelangten Lebenssachverhalt stetig unter Kontrolle zu halten, das Disziplinarverfahren daher zügig zu betreiben und abzuschließen oder wegen der strafrechtlichen Ermittlungen auszusetzen und auch die Voraussetzungen der vorläufigen Dienstenthebung und Einbehaltung der Dienstbezüge aktuell zu prüfen hat (vgl. § 38 Abs. 4 DG LSA). Dies bedeutet gerade, dass es bei Fortgang der Ermittlungen und Bekanntgabe deren Ergebnisse nicht ausgeschlossen erscheint, die sodann verlässliche Prognose der Voraussetzungen nach § 38 Abs. 1 DG LSA zu stellen und eine erneute Verfügung zu erlassen.

35

4.) Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 72 Abs. 4, 73 Abs. 1 DG LSA, 154 Abs. 1 VwGO.


Gründe

1

I.) Die Antragstellerin ist Polizeivollzugsbeamtin im Rang einer Kriminalkommissarin und wendet sich gegen die von der Antragsgegnerin mit Bescheid vom 24.09.2014 ausgesprochene teilweise Einbehaltung der Dienstbezüge in Höhe von 31 %. Zuvor wurde die Beamtin mit Bescheid vom 11.08.2014 vorläufig des Dienstes enthoben. Den dagegen bei dem Disziplinargericht gestellten Antrag nach § 61 Abs. 1 Disziplinargesetz Sachsen-Anhalt - DG LSA - (8 B 17/14) hat sie zurückgenommen. Die vorläufige Dienstenthebung führt aus, dass die Beamtin ein schwerwiegendes Dienstvergehen begangen habe. Denn aufgrund der rechtskräftigen Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten auf Bewährung durch das Landgericht A-Stadt vom 12.11.2013 wegen falscher uneidlicher Aussage in Tateinheit mit versuchter Strafvereitelung sei damit zu rechnen, dass die Beamtin im Fortgang des Disziplinarverfahrens aus dem Dienst entfernt werde. Die Antragstellerin wendet sich mit ihrem Antrag gegen die Berechnung und die Höhe des Kürzungsteils.

2

II.) Der zulässige Antrag nach § 61 Abs. 2 DG LSA ist unbegründet.

3

Nach § 38 Abs. 2 DG LSA kann die für die Erhebung der Disziplinarklage zuständige Behörde gleichzeitig mit oder nach der vorläufigen Dienstenthebung anordnen, dass dem Beamten bis zu 50 v. H. der monatlichen Dienstbezüge einbehalten werden, wenn im Disziplinarverfahren voraussichtlich auf Entfernung aus dem Beamtenverhältnis erkannt werden wird.

4

Die nach § 61 Abs. 2 DG LSA vom Disziplinargericht vorzunehmende Prüfung ergibt, dass die Einbehaltung von 31 % der Dienstbezüge nicht aufzuheben ist. Ernstliche Zweifel an ihrer Rechtmäßigkeit bestehen nicht.

5

Nach § 61 Abs. 2 DG LSA ist die Einbehaltung von Dienstbezügen dann aufzuheben, wenn ernstliche Zweifel an ihrer Rechtmäßigkeit bestehen. Dies ist dann der Fall, wenn sich die Ermessensentscheidung des Dienstherrn hinsichtlich der Höhe des Einbehaltungsanteils nicht an dem Grundsatz der angemessenen Alimentation des Beamten ausrichtet, aber auch dann, wenn der Dienstherr die Prognose, dass im Disziplinarverfahren voraussichtlich auf Entfernung aus dem Beamtenverhältnis erkannt werden wird, nicht oder nicht hinreichend stellt.

6

1.) Vorliegend führt die Antragsgegnerin in dem streitbefangenen Bescheid aus, dass die Beamtin vorläufig des Dienstes enthoben wurde und bei summarischer Prüfung überwiegend wahrscheinlich sei, dass als disziplinarrechtliche Maßnahme die Entfernung aus dem Dienst folgen werde. In der Antragserwiderung vom 01.12.2014 verweist die Antragstellerin auf die Begründung der vorläufigen Dienstenthebung.

7

Das Disziplinargericht weist darauf hin, dass die notwendige Prüfung und Prognoseentscheidung zum voraussichtlichen Ausgang des anhängigen Disziplinarverfahrens als Tatbestandsvoraussetzung der Rechtmäßigkeit der Kürzung nach § 38 Abs. 2 DG LSA genauso sorgfältig zu erfolgen hat, wie in der Entscheidung über die vorläufige Dienstenthebung nach § 38 Abs. 1 DG LSA selbst. Dabei darf aber nicht übersehen werden, dass die Einbehaltung von Teilen der Dienstbezüge meistens gleichzeitig mit der Entscheidung über die vorläufige Dienstenthebung verbunden wird, wie dies auch vom Gesetz als zulässig angesehen wird. Eine Verweisung auf die Gründe der Suspendierungsverfügung muss daher grundsätzlich aus Effektivitätsgründen als zulässig angesehen werden. Dementsprechend sieht das Disziplinargericht die vorliegende Anlehnung an die Gründe der Suspendierung in dem streitbefangenen Bescheid und schließlich die Verweisung darauf in der Antragserwiderung als noch ausreichend an.

8

Diese Ausführungen zum Dienstvergehen und insbesondere zur Schwere des Dienstvergehens tragen die von der Antragsgegnerin angestellte Prognoseentscheidung, dass bei Fortgang des Disziplinarverfahrens der Ausspruch der disziplinarrechtlichen Höchstmaßnahme überwiegend wahrscheinlich ist. Letztendlich wendet sich die Antragstellerin auch nicht gegen diese Prognoseentscheidung.

9

Diese Prognose trägt nur dann, wenn nach dem Kenntnisstand eines Eilverfahrens die Möglichkeit des Ausspruchs der disziplinarrechtlichen Höchstmaßnahme überwiegend wahrscheinlich ist. Ist es dagegen zumindest ebenso wahrscheinlich, dass eine Entfernung des Beamten aus dem Beamtenverhältnis im Disziplinarverfahren nicht erfolgen wird, sind ernstliche Zweifel durch das Gericht zu bejahen (BVerwG, Besch. v. 16.07.2009, 2 AV 4.09; BayVGH, Beschl. v. 20.04.2011, 16b DS 10.1120;Sächs. OVG, B. 19.08.2010, D 6 B115/10 mit Verweis auf Beschluss vom 08.07.2010, D6A116/10; alle juris; Müller, Grundzüge des Beamtendisziplinarrechts, § 38 Abs. 1 BDG, 2010, Rz. 370 m. w. N.; GKÖD, Disziplinarrecht des Bundes und der Länder, § 38 BDG, Rz. 51). Anders gewendet, es müssen hinreichend gewichtige Gründe dafür sprechen, dass die Entfernung aus dem Dienst im Ergebnis des - noch durchzuführenden - Disziplinarverfahrens nicht in Betracht kommt. Dies beinhaltet eine vom Gericht vorzunehmende summarische Prüfung des zurzeit bekannten Sachverhaltes und eine daran orientierte Wahrscheinlichkeitsprognose. Hinsichtlich des zur Last gelegten Dienstvergehens genügt die Feststellung, dass der Beamte dieses Dienstvergehen mit einem hinreichenden Grad an Wahrscheinlichkeit begangen hat; nicht erforderlich ist, dass das Dienstvergehen bereits in vollem Umfang nachgewiesen ist (vgl. BVerwG, Beschl. v. 29.09.1997, 2 WDB 3.97; OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 22.09.2009, 83 DB 1.09; OVG des Saarlandes, Beschl. v. 17.06.2009, 6 B 289/09; alle juris).

10

Die Beurteilung im Verfahren nach § 61 DG LSA erfordert keine gesonderten Beweiserhebungen, sondern ist in der Lage, in der sich das Disziplinarverfahren jeweils befindet, anhand der bis dahin zu Tage getretenen Tatsachen zu treffen. Für eine vorläufige Dienstenthebung können u. U. selbst durch Aktenvermerke untermauerte Erkenntnisse ausreichen (vgl. Müller a. a. O.). Dabei ist auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abzustellen (BVerwG, Beschl. v. 22.07.2002, 2 WDB 1.02; OVG Berlin-Brandenburg; Beschl. v. 18.08.2005, 80 SN 1.05; Bay VGH, Beschl. v. 11.04.2012, 16b DCV 11.985; alle juris). Jedoch muss für die gerichtliche Überprüfung der vorläufigen Dienstenthebung maßgeblich auf die von dem Dienstherrn in dem Bescheid herangezogenen Gründe der Pflichtenverletzung abgestellt werden. Ähnlich wie bei der Bestimmtheit des Tatvorwurfs als inhaltliche Anforderung an die - spätere - Disziplinarklageschrift, müssen die Sachverhalte, aus denen das Dienstvergehen hergeleitet wird, aus sich heraus verständlich und nachvollziehbar geschildert werden. Ort und Zeit der einzelnen Handlungen müssen möglichst genau angegeben, die Geschehensabläufe nachvollziehbar beschrieben werden (vgl. nur: BVerwG, Urteile v. 23.11.2006, 1 D 1.06, v. 25.01.2007, 2 A 3.05; Beschlüsse v. 13.03.2006, 1 D 3.06, v. 18.11.2008, 2 B 63.08 und v. 21.04.2010, 2 B 101.09; alle juris). Nur diese können durch das Disziplinargericht im Rahmen der Würdigung durch Akteninhalte und sonstige - evtl. auch später, im Laufe des Verfahrens nach § 61 DG LSA hinzutretende - Erkenntnisse untermauert werden, um so die Prognoseentscheidung, das heißt die Ausübung des ordnungsgemäßen Ermessens durch den Dienstherrn, zu überprüfen (VG Magdeburg, Beschl. v. 12.06.2012, 8 B 5/12, juris). Hingegen ist es dem Disziplinargericht verwehrt, anstelle der Disziplinarbehörde eine eigene Ermessenserwägung anzustellen (OVG Saarland, Beschluss v. 18.05.2011, 6 B 211/11; juris).

11

Vorliegend wird die Schwere des Dienstvergehens zutreffend darin gesehen, dass die Beamtin rechtskräftig wegen falscher uneidlicher Aussage in Tateinheit mit versuchter Strafvereitelung zu einer Freiheitsstrafe von 6 Monaten zur Bewährung verurteilt wurde. Zutreffend wertet die Antragsgegnerin diese außerdienstlich begangene Straftat als in besonderem Maße geeignet, das Vertrauen in einer für das Amt bedeutsamen Weise zu beeinträchtigen und welche zu einem schweren Ansehensverlust in der Öffentlichkeit führt. Von einer Polizeibeamtin muss und darf erwartet werden, dass sie Straftaten verhindert und nicht selbst begeht. Dies gilt gerade für solche der vorliegenden Art. Denn wie auch das Strafgericht ausgeführt hat, war der Antragstellerin als Polizeibeamtin bekannt, dass Zeugenaussagen dieser Personen- und Berufsgruppe vor Gericht eine besondere Bedeutung zukommt, so dass das Landgericht den Strafausspruch verschärfte.

12

2.) Die Berechnung und Festlegung des Kürzungsteils ist nicht zu beanstanden. Dabei muss die Dienstbehörde berücksichtigen, dass die vorläufige Einbehaltung von Dienstbezügen keinen Strafcharakter hat, sondern mit Rücksicht auf die fortbestehende Alimentationspflicht des Dienstherrn allein auf die wirtschaftlichen Verhältnisse des Beamten abzustellen ist. Der vorläufig des Dienstes enthobene Beamte muss gewisse Einschränkungen in seiner Lebenshaltung hinnehmen. Jedoch darf die Einbehaltung wegen ihres vorläufigen Charakters nicht zu einer existenzgefährdenden wirtschaftlichen Beeinträchtigung führen (vgl. zusammenfassend: BVerwG, U. v. 13.08.1979, 1 DB 14.79; VG Berlin, B. v. 02.02.2007, 80 Dn 59.06; VG Magdeburg, B. v. 27.11.2006, 8 A 17/06 und v. 19.05.2009, 8 B 7/09; alle juris).

13

Gemessen daran, ist das Ermessen der Einleitungsbehörde fehlerfrei ausgeübt worden. Denn bei der Berechnung der wirtschaftlichen Verhältnisse der Antragstellerin als Grundlage für den prozentualen Kürzungsanteil durfte sich die Behörde zu Recht an den Sozialhilfegrundsätzen orientieren. Dabei hat sie berücksichtigt, dass der Regelsatz der Sozialhilfe aufgrund des Alimentationsgrundsatzes angemessen zu erhöhen ist. Diese pauschale Erhöhung von 10 % ist nicht zu beanstanden. Zudem wurde ihr als Alleinerziehende mit zwei Kindern ein 36%iger Mehrbedarf zugesprochen. Dementsprechend ist das Kindergeld zutreffend als Einkommen berücksichtigt worden. Denn auch dieses gilt als Einkommen der Beamtin und nicht etwa als Einkommen Dritter oder einer Bedarfsgemeinschaft (Sächs. OVG, Beschluss v. 02.02.2013, D 6 B 147/12 mit Verweis auf: BVerwG, Urteil v. 17.06.2004,2 C 34.02; juris). Dem weiteren Vortrag der Antragstellerin, dass die Kürzungen es ihr nicht ermöglichen, notwendige Ausgaben für die Kinder zu tätigen, kann deshalb nicht gefolgt werden. Mit der Antragsgegnerin geht die Kammer davon aus, dass der Sozialhilfesatz zuzüglich der Zuschläge die notwendigen Ausgaben gewährleistet. Die von der Antragsgegnerin nicht anerkannten Ausgaben werden nicht bestritten. Das Gericht folgt demnach der Berechnung der Antragsgegnerin in dem Bescheid und der Antragserwiderung vom 01.12.2014 und darf zur weiteren Begründung darauf verweisen (§ 3 DG LSA; 117 Abs. 5 VwGO).

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3.) Die Kostenentscheidung beruht auf § 72 Abs. 4, 73 Abs. 1 DG LSA, 154 Abs. 1 VwGO.


Gründe

1

Die Klägerin begehrt die Feststellung der Rechtswidrigkeit einer glücksspielrechtlichen Untersagungsverfügung. Das Regierungspräsidium Karlsruhe untersagte ihr mit sofort vollziehbarem Bescheid vom 4. Juli 2006 unter Androhung eines Zwangsgeldes, in Baden-Württemberg Sportwetten zu veranstalten, zu vermitteln und dafür zu werben. Das Zwangsgeld wurde festgesetzt, aber nicht mehr beigetrieben, nachdem die im Eilverfahren unterlegene Klägerin die Sportwettenvermittlung eingestellt hatte. Ihre Klage gegen die Untersagungsverfügung hat das Verwaltungsgericht Karlsruhe abgewiesen. Ein Staatshaftungsprozess vor dem Landgericht Karlsruhe wurde bis zur rechtskräftigen Entscheidung im Verwaltungsrechtsstreit ausgesetzt. Soweit dieser den Zeitraum seit Inkrafttreten des Glücksspieländerungsstaatsvertrages zum 1. Juli 2012, die beidseits für erledigt erklärte Anfechtung der Untersagungsverfügung in Ansehung ihrer Vollziehung sowie eine Gebührenfestsetzung betraf, hat der Verwaltungsgerichtshof das Verfahren unter dem Aktenzeichen 6 S 397/14 abgetrennt. Bezüglich des Fortsetzungsfeststellungsbegehrens betreffend die Untersagung in der Zeit vom 4. Juli 2006 bis zum 30. Juni 2012 hat er die Berufung zurückgewiesen und die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen.

2

Die dagegen erhobene, allein auf Verfahrensrügen gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Verfahrensmängel liegen nicht vor.

3

1. Das angegriffene Urteil verletzt nicht das Recht der Klägerin auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO. Ein Verstoß gegen diese Gewährleistung ist teils nicht prozessordnungsgemäß nach § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO dargetan und liegt im Übrigen nicht vor. Der Verwaltungsgerichtshof hat weder klägerisches Vorbringen verfahrensfehlerhaft übergangen noch gerichtliche Erörterungs- oder Hinweispflichten verletzt; er hat auch keine unzulässige Überraschungsentscheidung getroffen.

4

a) Der Vorwurf, das Berufungsurteil lasse den Kern des klägerischen Vortrags außer Acht, ist nicht berechtigt. Die Gewährleistung rechtlichen Gehörs gebietet, das Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und zu berücksichtigen. Daraus folgt allerdings nicht, dass in der Entscheidung sämtliche von den Beteiligten vorgetragenen oder für wesentlich gehaltenen Gesichtspunkte zu behandeln wären. Nur wenn nach der materiell-rechtlichen Rechtsauffassung des Gerichts entscheidungserhebliches tatsächliches oder rechtliches Vorbringen unerwähnt bleibt, lässt das darauf schließen, dass dieses Vorbringen nicht berücksichtigt wurde (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. Mai 1992 - 1 BvR 986/91 - BVerfGE 86, 133; BVerwG, Urteil vom 20. November 1995 - 4 C 10.95 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 267 S. 22 f.; Beschluss vom 29. Juli 2010 - 8 B 106.09 - juris Rn. 33 § 3 vermg nr. 77 nicht abgedruckt> m.w.N.). Ein Übergehen solchen Vorbringens ist der Beschwerdebegründung nicht zu entnehmen.

5

Auf den Vortrag zur fiskalischen Zielsetzung des Sportwettenmonopols und seiner exekutiven Durchsetzung sowie auf den Vortrag zur Erkennbarkeit dieser Zielsetzung für die im Untersagungsverfahren tätig gewordenen Amtswalter musste die Vorinstanz nicht ausdrücklich eingehen, weil es darauf nach ihrer materiell-rechtlichen Rechtsauffassung nicht ankam. Der Verwaltungsgerichtshof hat angenommen, für die Zeit vor Ergehen der einschlägigen Urteile des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 8. September 2010 sei das in § 839 BGB vorausgesetzte Verschulden unabhängig von den geltend gemachten rechtswidrigen Zielen des Monopols und seiner Durchsetzung zu verneinen, da rechtskundige Kollegialgerichte seinerzeit das Monopol und dessen Durchsetzung mit Untersagungsverfügungen für rechtmäßig gehalten hätten und ihre Urteile - auch in Ansehung der bis zu diesem Zeitpunkt ergangenen unionsgerichtlichen Rechtsprechung - nicht bereits im Ansatz verfehlt gewesen seien. Für den genannten Zeitraum fehle es mangels eindeutiger Rechtsprechung auch an einem hinreichend qualifizierten Unionsrechtsverstoß. Legt man diese materiell-rechtliche Sicht zugrunde, kam es weder auf die Zielsetzung des Monopols oder seiner Durchsetzung im betreffenden Zeitraum noch darauf an, ob die Amtswalter von ihr Kenntnis hatten oder hätten haben müssen. Für den übrigen verfahrensgegenständlichen Zeitraum bis zum 30. Juni 2012 waren diese Umstände nach der materiell-rechtlichen Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichtshofs ebenfalls nicht erheblich, weil danach jedenfalls eine Kausalität der möglichen schuldhaften Rechtsverletzung für einen etwa entstandenen Schaden fehlte. Die Richtigkeit der materiell-rechtlichen Rechtsauffassung kann nicht mit der Verfahrensrüge angegriffen werden. Das gilt auch für die berufungsgerichtliche Interpretation der in der unionsgerichtlichen Rechtsprechung entwickelten Anforderungen an glücksspielrechtliche Beschränkungen der Dienstleistungsfreiheit, die unter dem Stichwort der "Zenatti-Bemerkung" kritisiert wird.

6

Der Vorwurf, der Verwaltungsgerichtshof gehe auf den detaillierten Vortrag der Klägerin zur Sportwettenvermittlung insbesondere im Schriftsatz vom 16. Januar 2015 (S. 20 bis 28) mit keinem Wort ein, genügt nicht den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO, weil er die Entscheidungserheblichkeit des Vortrags aus der materiell-rechtlichen Sicht des Berufungsgerichts nicht darlegt.

7

Mit dem Vortrag, ein Staatshaftungsanspruch der Klägerin könne sich aus direkter oder entsprechender Anwendung des § 55 Abs. 1 des Polizeigesetzes des Landes Baden-Württemberg (PolG BW) ergeben, und den wesentlichen dafür angeführten Argumenten der Klägerin setzt sich das Berufungsurteil auf Seite 19 f. auseinander. Sein Hinweis, die Klägerin sei nicht als Nichtstörerin, sondern gegebenenfalls rechtswidrig als Störerin in Anspruch genommen worden, lässt deutlich erkennen, dass es für die Inanspruchnahme "als" Nichtstörer allein auf die Zielrichtung der Maßnahme abstellt und die Auffassung der Klägerin, rechtswidrig "als" Störer in Anspruch genommene Personen seien ebenfalls Nichtstörer oder jedenfalls wie diese zu behandeln, nicht teilt. Dazu verweist es auf den Zusammenhang von § 55 Abs. 1 und § 9 Abs. 1 PolG BW, der einen polizeilichen Notstand voraussetzt. Dass die Klägerin bei Erlass der Untersagungsverfügung als Störerin angesehen wurde, ergab sich schon aus dem angegriffenen Bescheid. Das Berufungsurteil verneint auch die materiell-rechtlichen Voraussetzungen einer Analogie.

8

b) Die geltend gemachten Verstöße gegen Hinweis- oder Erörterungspflichten aus Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor. Der Vorwurf einer Überraschungsentscheidung ist ebenfalls nicht begründet.

9

Das Recht auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO gewährleistet, dass die Beteiligten sich zu allen entscheidungserheblichen tatsächlichen und rechtlichen Fragen äußern können. Er verbietet, eine Gerichtsentscheidung ohne vorherigen Hinweis auf einen rechtlichen Gesichtspunkt zu stützen, mit dem ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem Prozessverlauf nicht rechnen musste. Das Gericht ist danach nicht grundsätzlich verpflichtet, vor der Entscheidung auf seine Rechtsauffassung hinzuweisen. Ein Hinweis ist nur erforderlich, wenn ein Beteiligter bei Anwendung der von ihm zu verlangenden Sorgfalt nicht zu erkennen vermag, auf welchen Vortrag es für die Entscheidung ankommen kann. Das ist nicht der Fall, wenn ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens damit rechnen musste, dass ein rechtlicher Gesichtspunkt für die Entscheidung erheblich sein könnte (vgl. BVerfG, Beschluss vom 29. Mai 1991 - 1 BvR 1383/90 - BVerfGE 84, 188 <190>; Urteil vom 8. Juli 1997 - 1 BvR 1934/93 - BVerfGE 96, 189 <204> und Plenumsbeschluss vom 30. April 2003 - 1 PBvU 1/02 [ECLI:DE:BVerfG:2003:up20030430.1pbvu000102] - BVerfGE 107, 395 <409>; BVerwG, Beschluss vom 1. März 2010 - 8 C 48.09 <8 C 12.08> - ZOV 2010, 148). Erübrigt sich danach ein Hinweis, besteht auch keine Pflicht, unabhängig vom Vortrag der Beteiligten auf eine Erörterung der entsprechenden Gesichtspunkte hinzuwirken oder zur Diskussion einer bestimmten in Betracht zu ziehenden Rechtsauffassung aufzufordern.

10

Danach musste der Verwaltungsgerichtshof nicht auf seine - vorläufige - Rechtsauffassung zu § 55 Abs. 1 PolG BW hinweisen, weil ein kundiger Prozessbeteiligter bei gewissenhafter Vorbereitung auch ohne einen solchen Hinweis damit rechnen musste, dass die Literatur zu § 55 Abs. 1 PolG BW herangezogen und die dort vertretene Auffassung der Berufungsentscheidung zugrunde gelegt werden könnte.

11

Es konnte einen solchen Prozessbeteiligten auch nicht überraschen, dass der Verwaltungsgerichtshof sich wegen der in seinem Urteil (S. 11 f.) zitierten, zwischenzeitlich ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht mehr durch die vorherige Aussetzung des zivilgerichtlichen Verfahrens gehindert sah, ein Präjudizinteresse der Klägerin zu verneinen. Die von ihm zitierte Rechtsprechung klärte Grundsatzfragen zur Staatshaftung für glücksspielrechtliche Untersagungen unter dem Lotteriestaatsvertrag und dem Glücksspielstaatsvertrag 2008 sowie zu den Voraussetzungen eines Präjudizinteresses für entsprechende Fortsetzungsfeststellungsklagen. Daher war nicht auszuschließen, dass der Verwaltungsgerichtshof die Aussetzung für überholt halten und davon ausgehen könnte, sie stehe einer Entscheidung auf der Grundlage der aktuellen höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht entgegen (zur Rüge des Verstoßes gegen § 148 ZPO, § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO sogleich unten Rn. 14 f.). Eine gegenteilige Einschätzung ist nicht auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 7. Dezember 1965 - 2 C 226.62 - (Buchholz 310 § 113 VwGO Nr. 23 S. 42) zu stützen. Dieses Urteil betrifft einen Fall, in dem die Prozesslage unverändert geblieben war. Zur Frage, ob die Aussetzung dem Verneinen eines Präjudizinteresses auch bei nachträglicher Klärung dafür höchstrichterlicher erheblicher Rechtsfragen entgegensteht, ist ihm nichts zu entnehmen. Daher liegt auch die von der Klägerin sinngemäß gerügte, wenngleich nicht substantiiert dargelegte Divergenz im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO nicht vor.

12

Ein Verstoß gegen Hinweis- und Erörterungspflichten ergibt sich nicht aus dem Vortrag der Klägerin, der Verwaltungsgerichtshof sei überraschend und trotz ihres Bestreitens davon ausgegangen, in der Zeit nach Ergehen der unionsgerichtlichen Urteile vom 8. September 2010 sei in Baden-Württemberg ein Erlaubnisverfahren eröffnet worden und die Erteilung einer Erlaubnis sowie effektiver Rechtsschutz zur Durchsetzung der Erlaubniserteilung möglich gewesen. Diese Tatsachen waren nach der Darstellung der Klägerin umstritten; ihre Erheblichkeit ergab sich bereits aus der zwischenzeitlich ergangenen, im Verfahren diskutierten Rechtsprechung. Die Klägerin hatte daher Gelegenheit, ihren Standpunkt darzulegen und gegebenenfalls weitere Sachaufklärung einzufordern; andernfalls musste sie damit rechnen, dass die Vorinstanz die umstrittenen Tatsachen aufgrund der Aktenlage, des Ergebnisses der Berufungsverhandlung, sonstiger gerichtskundiger Tatsachen oder allgemeinkundiger Tatsachen feststellen könnte. Außerdem übersieht die Klägerin, dass die Vorinstanz nicht maßgeblich auf eine damalige Bereitschaft des Beklagten abstellt, antragsgemäß Erlaubnisse zu erteilen, sondern, unter Hinweis auf die bundesverwaltungsgerichtliche Rechtsprechung (BVerwG, Urteil vom 16. Mai 2013 - 8 C 14.12 - BVerwGE 146, 303 Rn. 57), auf die gerichtliche Durchsetzbarkeit etwaiger Erlaubnisansprüche. Da die zitierte Entscheidung unter anderem darauf abstellte, dass gegen rechtswidrige Ablehnungsentscheidungen effektiver Rechtsschutz zur Verfügung stand, hatte die Klägerin auch ohne gerichtlichen Hinweis Anlass, Bedenken gegen die Effektivität wegen der Aussetzung des Hauptsacheverfahrens vorzutragen. Auf die damalige berufungsgerichtliche Rechtsprechung musste nicht hingewiesen werden, weil sie jedem kundigen Prozessbeteiligten bekannt war. Im Übrigen war der Rechtsweg mit ihr noch nicht erschöpft. Eine Umdeutung der Einwände in eine Aufklärungsrüge (§ 86 VwGO) oder eine Rüge der Verletzung des Überzeugungsgrundsatzes (§ 108 Abs. 1 VwGO) kann nicht zur Revisionszulassung führen, weil die Darlegungsanforderungen gemäß § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO nicht erfüllt sind. Der Beschwerdebegründung ist weder zu entnehmen, welche Aufklärungsmaßnahmen sich der Vorinstanz auch ohne förmlichen Beweisantrag hätten aufdrängen müssen, noch legt sie einen Verstoß gegen Denkgesetze substantiiert dar.

13

Ein kundiger Beteiligter musste schließlich damit rechnen, dass der Verwaltungsgerichtshof im Einklang mit der von ihm zitierten, zwischenzeitlich ergangenen Rechtsprechung annehmen würde, eine Ermessensreduzierung auf Null zugunsten der Klägerin setze die offensichtlich materielle Erlaubnisfähigkeit ihrer Tätigkeit voraus, und dass er die Klägerin insoweit für darlegungs- und beweisbelastet halten würde. Die berufungsgerichtliche Feststellung, der Beklagte sei nicht zur Duldung rechtswidriger Sportwettenvermittlung bereit gewesen, konnte ebenfalls nicht überraschen, weil die Klägerin selbst die strenge Durchsetzung des Erlaubnisvorbehalts beklagte.

14

2. Unbegründet ist auch die weitere Rüge, das Berufungsurteil verletze § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO, weil es völlig überzogene Anforderungen an ein Präjudizinteresse stelle und die fortbestehende Aussetzung des Staatshaftungsprozesses nach § 148 ZPO missachte.

15

Der Verwaltungsgerichtshof hat weder verkannt, dass ein Präjudizinteresse bei offensichtlicher Aussichtslosigkeit der Geltendmachung staatshaftungsrechtlicher Ansprüche zu verneinen ist, noch hat er das Kriterium offensichtlicher Aussichtslosigkeit fehlerhaft konkretisiert. Er ist zutreffend davon ausgegangen, dass es nur erfüllt ist, wenn der geltend gemachte Anspruch unter keinem denkbaren rechtlichen Gesichtspunkt besteht und dies sich ohne eine ins Einzelne gehende Würdigung aufdrängt (vgl. BVerwG, Urteile vom 14. Januar 1980 - 7 C 92.79 - Buchholz 310 § 113 VwGO Nr. 95 S. 27, vom 29. April 1992 - 4 C 29.90 - Buchholz 310 § 113 VwGO Nr. 247 S. 90, vom 8. Dezember 1995 - 8 C 37.93 - BVerwGE 100, 83 <92> und vom 16. Mai 2013 - 8 C 14.12 - BVerwGE 146, 303 Rn. 44). Das bejaht das Berufungsurteil unter Heranziehung der aktuellen höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Staatshaftung für glücksspielrechtliche Untersagungsverfügungen unter dem Lotteriestaatsvertrag und unter dem Glücksspielstaatsvertrag 2008 für den verfahrensgegenständlichen Zeitraum bis zum 30. Juni 2012. Die Beschwerdebegründung erhebt keine Einwände gegen die berufungsgerichtliche Definition eines Präjudizinteresses oder gegen die Konkretisierung seiner Voraussetzungen. Sie wendet sich vielmehr gegen die Annahme des Verwaltungsgerichtshofs, die anhängige Staatshaftungsklage sei offensichtlich aussichtslos. Einerseits macht sie geltend, der Verwaltungsgerichtshof sei schon wegen der fortdauernden Aussetzung des zivilgerichtlichen Verfahrens gemäß § 148 ZPO gehindert gewesen, ein Präjudizinteresse zu verneinen. Andererseits wendet sie sich gegen die Annahme, die von der Klägerin geltend gemachten Staatshaftungsansprüche seien nach jeder denkbaren rechtlichen Betrachtung offensichtlich unbegründet. Der erste Einwand trifft nicht zu; der zweite zeigt keinen Verfahrensmangel auf.

16

a) Der Aussetzungsbeschluss des Landgerichts Karlsruhe vom 11. August 2011 - 2 O 51/11 - hinderte den Verwaltungsgerichtshof nicht, unter Berufung auf die zwischenzeitliche höchstrichterliche Klärung entscheidungserheblicher Rechtsfragen der Staatshaftung für glücksspielrechtliche Untersagungsverfügungen unter dem Lotteriestaatsvertrag und dem Glücksspielstaatsvertrag 2008 von der offensichtlichen Aussichtslosigkeit des Staatshaftungsprozesses auszugehen. Die Aussetzung gemäß § 148 ZPO ist eine prozessleitende Maßnahme, die der Prozessökonomie und dem Vermeiden einander widersprechender Entscheidungen dient. Ihre Rechtsfolge ist der Stillstand des ausgesetzten Verfahrens nach Maßgabe des § 249 Abs. 1 und 2 ZPO (Reichold, in: Thomas/Putzo, ZPO, 36. Aufl. 2015, § 148 Rn. 2 und 12; § 249 Rn. 1 und 9). Eine materielle Bindungswirkung des Aussetzungsbeschlusses für die Entscheidung im vorgreiflichen Verfahren ist den zivilprozessrechtlichen Vorschriften nicht zu entnehmen. Sie ist hier auch nicht aus § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO herzuleiten. Allerdings darf ein Präjudizinteresse, wenn der Staatshaftungsprozess wegen Vorgreiflichkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der staatlichen Maßnahme ausgesetzt wurde, nicht pauschal mit der Begründung verneint werden, die verwaltungsgerichtliche Entscheidung sei für den Ausgang des zivilgerichtlichen Verfahrens unter jedem verständigerweise zu berücksichtigenden Gesichtspunkt unerheblich (BVerwG, Urteil vom 7. Dezember 1965 - 2 C 226.62 - Buchholz 310 § 113 VwGO Nr. 23 S. 42). Ob es danach bei unveränderten Bedingungen stets ausgeschlossen ist, den ausgesetzten Staatshaftungsprozess für offensichtlich aussichtslos zu halten, kann hier dahinstehen. Jedenfalls ist das Verwaltungsgericht nicht gehindert, für die Erfolgsaussichten relevante zwischenzeitliche Veränderungen der Prozesslage sowie zwischenzeitliche Klärungen seines Erachtens entscheidungserheblicher Rechtsfragen zu berücksichtigen. Das ergibt sich schon aus seiner verwaltungsprozessrechtlichen Pflicht, die Sachentscheidungsvoraussetzungen bezogen auf den Zeitpunkt seiner Entscheidung - und nicht auf den der zivilgerichtlichen Aussetzungsentscheidung - zu prüfen. Wäre es dagegen verpflichtet, ein Präjudizinteresse allein wegen der früheren Aussetzung zu bejahen oder das Aufnehmen des Zivilprozesses abzuwarten, würde dem Aussetzungsbeschluss wahlweise eine Bindungs- oder Sperrwirkung zugeschrieben, die im Prozessrecht keine Stütze findet.

17

Entgegen der Darstellung der Beschwerdebegründung greift das Verneinen eines Präjudizinteresses nicht in die Sachentscheidungskompetenz des Zivilgerichts ein. Dieses bleibt sowohl in der Prozessgestaltung als auch in seiner Sachentscheidung frei. Es ist insbesondere nicht gehindert, der Staatshaftungsklage aufgrund eigener, von der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung abweichender Beurteilung der Erfolgsaussichten stattzugeben. Die Einwände der Klägerin gegen die Übertragbarkeit der Rechtsprechung zu bayerischen Untersagungen zeigen keinen Verfahrensmangel auf. Soweit sie die Vergleichbarkeit der rechtlichen Maßstäbe und der landesrechtlichen Staatshaftung zum Gegenstand haben, betreffen sie materiell-rechtliche Annahmen der Vorinstanz, die nicht mit der Verfahrensrüge angegriffen werden können. Soweit sie die Verschiedenheit der tatsächlichen Situation geltend machen, wenden sie sich gegen die tatrichterliche Sachverhaltsfeststellung und -würdigung, ohne nach § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO wirksame Verfahrensrügen zu erheben. Das gilt nicht nur für Gehörsrügen (dazu oben unter 1.), sondern auch für sonst in Betracht kommende Rügen. Aufklärungsmängel (§ 86 Abs. 1 VwGO) oder als Verfahrensmängel einzuordnende Verstöße gegen den Überzeugungsgrundsatz (§ 108 Abs. 1 VwGO) werden nicht substantiiert dargetan. Die Beschwerdebegründung zeigt nicht auf, dass sich die weitere Aufklärung bestimmter, aus der Sicht des Berufungsgerichts erheblicher Tatsachen auch ohne förmlichen Beweisantrag hätte aufdrängen müssen, und legt keinen Verstoß gegen die Denkgesetze dar.

18

b) Die Annahme des Verwaltungsgerichtshofs, der von der Klägerin geltend gemachte Staatshaftungsanspruch bestehe offensichtlich unter keinem denkbaren rechtlichen Gesichtspunkt, ist auch im Übrigen nicht verfahrensfehlerhaft. Ein Verstoß gegen § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO ist nicht mit der Kritik an der Auslegung und Anwendung von Staatshaftungsnormen dargetan. Das gilt für den Vortrag, das Berufungsgericht habe zu Unrecht die unmittelbare oder analoge Anwendbarkeit des § 55 PolG BW für ausgeschlossen gehalten, ebenso wie für die Rüge, es habe ein Eingreifen des § 839 BGB oder des unionsrechtlichen Staatshaftungsanspruchs aufgrund fehlerhafter Erwägungen zum individuellen Verschulden und zur Kausalität verneint. Damit und mit dem Vortrag zur unionsrechtlichen Unzulässigkeit der Anwendung des glücksspielrechtlichen Erlaubnisvorbehalts bis Ende Juni 2012 sowie zur Unzulässigkeit eines Aufrechterhaltens der Untersagung nach Einstellung der Wettvermittlung unter dem Druck drohender Vollziehung werden jeweils materiell-rechtliche Mängel geltend gemacht, die nicht mit der Verfahrensrüge anzugreifen sind. Bei der Prüfung von Verfahrensmängeln ist stets von der materiell-rechtlichen Rechtsauffassung der Vorinstanz auszugehen, selbst wenn deren Standpunkt verfehlt sein sollte. Das gilt auch, soweit materiell-rechtliche Fragen als Vorfragen verfahrensrechtlicher Fragen zu beantworten sind (BVerwG, Beschlüsse vom 21. Januar 1993 - 4 B 206.92 - NVwZ 1993, 884 <885>, vom 23. Januar 1996 - 11 B 150.95 - Buchholz 424.5 GrdstVG Nr. 1 S. 1 f. und vom 8. Juni 2009 - 4 BN 9.09 - BRS 74, 255 <256 f.>; Pietzner/Buchheister, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand: März 2015, § 132 Rn. 93 m.w.N.). Daher kann das Verneinen eines Präjudizinteresses § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO nur verletzen, wenn das Berufungsgericht die prozessrechtliche Norm selbst unzutreffend ausgelegt und ihre Anforderungen überspannt hat. Das ist hier nicht dargelegt. Der Verwaltungsgerichtshof hat diese Anforderungen und die Voraussetzungen, unter denen danach ein Präjudizinteresse fehlt, zutreffend definiert (vgl. oben Rn. 15). Aus der Beschwerdebegründung ergibt sich auch nicht, dass er diese Voraussetzungen aufgrund seiner für die Prüfung von Verfahrensfehlern maßgeblichen materiell-rechtlichen Rechtsauffassung unzutreffend angewandt hätte. Der Verwaltungsgerichtshof ist nach seiner materiell-rechtlichen Rechtsauffassung ohne eine ins Einzelne gehende Prüfung zur Überzeugung gelangt, dass der Klägerin die geltend gemachten Staatshaftungsansprüche nach keiner aus seiner Sicht vertretbaren Rechtsauffassung zustehen können. Soweit die Klägerin die Richtigkeit der materiell-rechtlichen Beurteilung - auch der Evidenz- oder der Tatsachengrundlage in Frage stellt, zeigt sie keinen Verfahrensfehler auf. Dies gilt auch, soweit sie die berufungsgerichtlichen Feststellungen zur Möglichkeit einer Erlaubniserteilung und effektiven Rechtsschutzes seit dem Herbst 2010 und zum Fehlen einer Duldungsbereitschaft des Beklagten angreift. Insoweit hat sie weder eine wirksame Rüge der Verletzung des Rechts auf rechtliches Gehör noch sonstige wirksame Verfahrensrügen erhoben (dazu vgl. oben Rn. 10 ff.).

19

Prozessrechtliche Gründe, aus denen es ausnahmsweise nicht auf die materiell-rechtliche Rechtsauffassung des Berufungsgerichts ankäme oder diese als verfahrensfehlerhaftes Überspannen der Zulässigkeitsanforderungen zu beurteilen wäre, zeigt die Beschwerdebegründung nicht auf.

20

Entgegen ihrer Auffassung folgt aus dem Prozessrecht nicht, dass die Annahme offensichtlicher Aussichtslosigkeit nur dann auf eine materiell-rechtliche Rechtsauffassung gestützt werden dürfte, wenn diese bereits durch eine gefestigte Rechtsprechung zur herangezogenen Norm bestätigt worden wäre. Eine entscheidungserhebliche materiell-rechtliche Frage kann auch ohne einschlägige Rechtsprechung bereits anhand der anerkannten Auslegungsmethoden ohne Weiteres eindeutig aus dem Gesetz zu beantworten sein. Aus den dagegen angeführten Urteilen des Bundesverwaltungsgerichts zur Staatshaftung für rheinland-pfälzische glücksspielrechtliche Untersagungsverfügungen (BVerwG, Urteile vom 20. Juni 2013 - 8 C 46.12 - BVerwGE 147, 81 Rn. 21 und - 8 C 47.12 - juris) ergibt sich nichts anderes. Sie betonten gerade, dass die allgemein anerkannten Auslegungsmethoden bei § 68 des Polizei- und Ordnungsbehördengesetzes des Landes Rheinland-Pfalz (POG RP) nicht zu einem eindeutigen Ergebnis führten, und lehnten es deshalb ab, diese irrevisible landesrechtliche Norm ohne eine Stütze in der einschlägigen Rechtsprechung revisionsgerichtlich für offensichtlich unanwendbar zu erklären. Ein unbedingtes Erfordernis zivilgerichtlicher Vorklärung ist daraus nicht herzuleiten.

21

Ob ein Verkennen des Offensichtlichkeitsmaßstabs stets vorliegt, wenn einzelne Entscheidungen anderer Instanzgerichte die materiell-rechtliche Frage anders beurteilen als das angegriffene Urteil, kann dahinstehen. Der Hinweis der Klägerin auf eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Stuttgart zu § 55 PolG BW zeigt jedenfalls noch keine uneinheitliche Rechtsprechung auf, weil er nicht darlegt, dass diese Entscheidung einen Rechtssatz aufstellt, der den Anwendungsbereich der Vorschrift auf rechtswidrig in Anspruch genommene Störer ausdehnte. Hinweise auf die Rechtsprechung zu anderen Haftungstatbeständen, etwa auf das Urteil des Oberlandesgerichts Koblenz vom 22. August 2013 - 1 U 551/12 - (ZfWG 2014, 65) zu § 68 POG RP, können keinen Verfahrensmangel wegen möglichen Bestehens eines Anspruchs nach § 55 PolG BW dartun.

22

Die materiell-rechtliche Rechtsauffassung des Berufungsgerichts scheidet schließlich nicht etwa deshalb als Grundlage der verfahrensrechtlichen Prüfung aus, weil sie - wie die Klägerin meint - der Stellungnahme der Europäischen Kommission in der Rechtssache Ince - EuGH C-336/14 - vom 6. November 2014 widerspräche. Die Auslegung der unionsrechtlichen Anforderungen an einen mitgliedstaatlichen Erlaubnisvorbehalt und dessen Anwendung kann ebenso wie jede andere materiell-rechtliche Auffassung weder unmittelbar noch mittelbar Gegenstand einer Verfahrensrüge sein. Die Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) gebietet keine andere Auslegung des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO, weil materiell-rechtliche Fragen mittels Grundsatz- oder Divergenzrüge einer Überprüfung in einem Revisionsverfahren zugeführt werden können.

23

Unabhängig davon wäre selbst, wenn sich ein Verfahrensmangel aus einem Verkennen der unionsrechtlichen materiellen Rechtslage ergeben könnte, mit den Ausführungen der Beschwerdebegründung kein solcher Mangel dargetan. Soweit die Stellungnahme der Europäischen Kommission sich (in Rn. 20 ff.) zum hier betroffenen Zeitraum bis zum 30. Juni 2012 äußert, geht sie auf der Grundlage des Vorlagebeschlusses des Amtsgerichts Sonthofen (dazu a.a.O. Rn. 8 ff.) von tatsächlichen Voraussetzungen aus, die der Verwaltungsgerichtshof nicht festgestellt hat, insbesondere vom rechtlichen oder faktischen Ausschluss jeder Erlaubniserteilung und von einer dauerhaften Untersagung unerlaubter Vermittlung und Veranstaltung von Sportwetten auf der Grundlage unionsrechtswidriger Gesetze. Zum anderen lässt sich den rechtlichen Ausführungen der Kommission nicht entnehmen, dass die Erkenntnis der Unionsrechtswidrigkeit einer Monopolregelung es ausschlösse, eine unerlaubte Sportwettenvermittlung auf der Grundlage eines verfassungs- und unionsrechtskonform interpretierten Erlaubnisvorbehalts im Zeitraum bis zur Ablösung der rechtswidrigen Monopolregelung zu untersagen (zu dieser Möglichkeit vgl. EuGH, Urteil vom 24. Januar 2013 - C-186/11 [ECLI:EU:C:2013:33] u.a., Stanleybet Int. Ldt. u.a. - NVwZ 2013, 785 Rn. 38 f., 44, 46 ff.; BVerwG, Urteil vom 16. Mai 2013 - 8 C 14.12 - BVerwGE 146, 303 Rn. 56 f.). Die Kommission hält vielmehr daran fest, dass Mitgliedstaaten die Veranstaltung und Vermittlung von Sportwetten grundsätzlich von einer nationalen Erlaubnis abhängig machen dürfen, und betont lediglich, dass dieses System auf objektiven, nicht diskriminierenden und im Voraus bekannten Kriterien beruhen muss (a.a.O. Rn. 21).

24

Das weitere Beschwerdevorbringen mit Schriftsatz vom 6. August 2015 und die mit Schriftsatz vom 12. November 2015 nachgereichten Ausführungen zu den Schlussanträgen des Generalanwalts Szpunar vom 22. Oktober 2015 in der Rechtssache - EuGH C-336/14, Ince - können der Beschwerde ebenfalls nicht zum Erfolg verhelfen. Soweit sie neues Vorbringen enthalten, sind sie wegen des Ablaufs der Beschwerdebegründungsfrist (§ 133 Abs. 3 Satz 1 VwGO) am 7. April 2015 nicht mehr zu berücksichtigen. Soweit sie sich als Vertiefung des früheren Vorbringens darstellen, rechtfertigen sie keine der Klägerin günstigere Beurteilung. Für die Schlussanträge des Generalanwalts gilt ebenso wie für die Stellungnahme der Kommission, dass sie von anderen Tatsachen ausgehen als denen, die der Verwaltungsgerichtshof verfahrensfehlerfrei festgestellt hat. Auch materiell-rechtlich hat er lediglich vertreten, dass Unionsrecht einer übergangsweisen weiteren Anwendung des verfassungs- und unionsrechtskonform interpretierten Erlaubnisvorbehalts bis zur Ablösung der rechtswidrigen Monopolregelung unter dem Glücksspielstaatsvertrag 2008 nicht entgegenstand. Er rechtfertigt also keine dauerhafte Untersagung einer unerlaubten Wettvermittlung auf der Grundlage unionsrechtswidriger Gesetze. Die Frage der Unionsrechtmäßigkeit der Rechtslage und Praxis seit Inkrafttreten der Neuregelung zum 1. Juli 2012 war nicht Gegenstand der Berufungsentscheidung.

25

Eine Umdeutung der materiell-rechtlichen Einwände der Klägerin in eine Grundsatz- oder Divergenzrüge kann nicht zur Zulassung der Revision führen, da die Anforderungen an eine substantiierte Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO und an die Darlegung einer Abweichung im Sinne der Nr. 2 der Vorschrift nicht erfüllt sind.

26

Von einer weiteren Begründung wird nach § 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO abgesehen.

27

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

28

Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.