Verwaltungsgericht Magdeburg Beschluss, 26. Mai 2016 - 15 B 8/16
Tenor
Der Antrag wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Gründe
I.
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Der 1961 geborene Antragsteller ist seit dem 22.09.2005 gewählter hauptamtlicher Bürgermeister der Stadt A-Stadt. Zuvor war er langjährig ehrenamtlicher Bürgermeister. Er wendet sich gegen die durch den Antragsgegner unter dem 26.11.2015 ausgesprochene vorläufige Dienstenthebung und teilweise Einbehaltung seiner Dienstbezüge in Höhe von 50 % sowie weitere Nebenentscheidungen wie Hausverbot und Herausgabe von Dienstausweis, Schlüsseln und sonstigen dienstlichen Berechtigungen.
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Mit Beschluss vom 18.12.2014 beschloss der Stadtrat der Stadt A-Stadt gegen den Antragsteller ein Disziplinarverfahren nach § 17 Abs. 1 Disziplinargesetz Sachsen-Anhalt (DG LSA) einzuleiten. Weiterhin wurde beschlossen, die Kommunalaufsicht zu bitten, einen Verfahrensführer zu benennen oder das Verfahren an sich zu ziehen. Unter dem 22.01.2015 unterrichtete der Landkreis S.. dem Stadtratsvorsitzenden, dass eine Heranziehung des Verfahrens nicht beabsichtigt sei und die obere Kommunalaufsichtsbehörde um Benennung eines Ermittlungsführers gebeten werde. Am 30.01.2015 leitete der Stadtrat der Stadt A-Stadt das Disziplinarverfahren gegen den Bürgermeister ein. Gegenstand dessen waren die Nebentätigkeit des Bediensteten H... als Geschäftsführer der E... der Verkauf des Projektes "S…", fehlerhafte Beteiligungsberichte, eine Darlehensvergabe aus den Jahren 2010 - 2012 der Stadt A- Stadt an die E..., die wirtschaftliche Betätigung der E..., die fehlerhafte Bestellung von Traktoren im Fuhrpark der Stadt A-Stadt, Grundstücksgeschäfte sowie Vorgänge um die Änderung der Satzung des Abwasserbetriebes A-Stadt AöR.
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Mit Verfügung vom 15.04.2015 zog der Landkreis ...das Disziplinarverfahren nach § 76 Abs. 2 DG LSA an sich. Denn der Stadtrat der Stadt A-Stadt habe es unterlassen die erforderlichen Ermittlungen durchzuführen.
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Unter dem 22.04.2015 zog der Antragsgegner das Disziplinarverfahren nach § 17 Abs. 1 DG LSA an sich.
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Mit Vermerken vom 11.12.2015 wurde das Disziplinarverfahren gegen den Antragsteller auf weitere Handlungen ausgedehnt und zugleich auf einige Sachverhalte beschränkt.
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Unter dem 26.11.2015 erließ der Antragsgegner die streitbefangene Verfügung und enthob den Antragsteller vorläufig seines Dienstes als Bürgermeister der Stadt A-Stadt und aller Ämter, die damit in Verbindung stehen (Ziffer 1), ordnete die Einbehaltung von 50 % der monatlichen Dienstbezüge ab dem 01.12.2015 an (Ziffer 2) und untersagte dem Antragsteller für die Dauer der vorläufigen Dienstenthebung Gebäude oder Grundstücke, die von der Stadt A-Stadt genutzt werden und durch diese verwaltet werden, zu betreten mit Ausnahme der Wahrnehmung persönlicher Rechte gegenüber der Stadt A-Stadt (Ziffer 3) sowie die Abgabe des Dienstausweises, sonstiger dienstlicher Berechtigungen und Schlüssel für das Dienstgebäude (Ziffer 4).
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Zur Begründung wurde ausgeführt, der Antragsteller habe mehrere schwerwiegende Dienstpflichtverletzungen begangen, welche in der Gesamtheit die Prognose rechtfertigten, dass bei Fortgang der Ermittlungen die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis auszusprechen sei. Das Vertrauensverhältnis zwischen dem Antragsteller und dem Dienstherren und der Allgemeinheit sei endgültig zerstört. Die Verfügung werde auf § 38 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 DG LSA gestützt. Zu den einzelnen Pflichtenverstößen heißt es:
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1. Grundstücksgeschäfte "Jüngst/Zeigermann": Der Antragsteller habe die Beschlussfassungen des Stadtrates nicht pflichtgemäß vorbereitet. Die Grundstücksverkäufe hätten nur zum vollen Wert und unter Durchführung eines transparenten Bieterverfahrens und einer Wertermittlung durchgeführt werden dürfen. Darüber hinaus sei den Erwerbern eine nach dem Vertrag unzulässige Kaufpreisminderung zugestanden worden, wonach die Stadt A-Stadt durch beide Grundstücksgeschäfte nur 57.066,50 € und damit ⅓ dessen, was nach Bodenrichtwert möglich gewesen wäre, eingenommen habe. Das erst nachträglich eingeholte Verkehrswertgutachten entlaste den Antragsteller nicht. Denn dieses sei offensichtlich mangelhaft.
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2. Aufwandsentschädigung Gesellschafterversammlung: Der Antragsteller habe 3.450,00 € monatliche Aufwandsentschädigung für seine Tätigkeit in der Gesellschafterversammlung der E... unrechtmäßig erhalten. Denn die Wahrnehmung dieser Aufgabe habe dem Antragsteller kraft Gesetzes (§ 131 Abs. 1 Satz 1 KVG LSA bzw. § 119 Abs. 1 Satz 1 GO LSA) oblegen.
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3. Ernennungen: Die Ernennung des Bediensteten H… zum Beamten auf Lebenszeit sei unter Verstoß gegen die Probezeitregelungen vorgenommen worden.
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4. Urkundenfälschung: Durch das Aufdrücken des Eingangsstempels mit einem in der Vergangenheit liegenden Datum auf einem näher bezeichneten Schriftstück sowie das Abzeichnen mit Namenskürzel habe der Antragsteller eine Urkundenfälschung begangen.
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5. Versagen als Dienstvorgesetzter: Der Antragsteller habe in seiner Funktion als Leiter der Verwaltung der Stadt A-Stadt (§ 66 Abs. 1 Satz 1 KVG LSA) und als Dienstvorgesetzter des Bediensteten H... (§ 66 Abs. 5 KVG LSA) schwerwiegend und schuldhaft versagt. Dies sei in der Nebentätigkeit des Herrn H... und der nicht vorgenommenen Durchsetzung der Ablieferungspflicht der diesbezüglichen Einkünfte begründet.
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6. Dienstwagennutzung: Die unentgeltliche Überlassung des Dienstwagens an Herrn H... sei ohne Rechtsgrund erfolgt.
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7. Grundstücksverkauf an Frau A...: Die diesbezügliche durch den Antragsteller bewirkte Minderung des Kaufpreises sei mangels vertraglicher Grundlage für das Minderungsbegehren ein Dienstvergehen.
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8. Darlehensvergabe an die E...: Die Vergabe eines entsprechenden Darlehens hätte nach der Hauptsatzung der Stadt A-Stadt eines vorherigen Beschlusses des Hauptausschusses bedurft.
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9. Vorlage der Analyse gem. § 135 KVG LSA: Der entsprechenden Pflicht zur Erstellung der Analyse und deren Vorlage bezüglich des Betriebes und Bewirtschaftung des Felsenbades habe dem Antragsteller oblegen. Dem sei er nicht nachgekommen.
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10. Leasing Traktoren: Die Leasingverträge über Traktoren aus den Jahren 2009, 2010 und 2013 seien unter Verletzung der Ausschreibungspflicht nach § 30 des Gesetzes über die Grundsätze des Haushaltsrechts des Bundes und der Länder geschehen.
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Die Dienstenthebung zur Sicherung des Dienstbetriebes nach § 38 Abs. 1 Satz 2 DG LSA begründe sich daraus, weil der Antragsteller für die Stadtratssitzung am 25.06.2015 einen Beschluss über die Beschaffung einer bestimmten Feuerwehr-Drehleiter herbeiführen wollte. Dies hätte einen Verstoß gegen die Pflicht zur EU-weiten Ausschreibung ausgelöst. Von einer Beschlussfassung sei nur aufgrund der Intervention der Kommunalaufsichtsbehörde des Landkreises S… abgesehen worden. Dieser Vorgang zeige, dass der Dienstbetrieb durch ein rechtswidriges Verwaltungshandeln des Antragstellers aktiv gefördert und ein reibungsloser Dienstbetrieb aufgrund vertrauensvoller Zusammenarbeit zwischen den kommunalen Organen nicht möglich sei.
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Die Einbehaltung von 50 % der Dienstbezüge sei ermessensgerecht. Aufgrund der Einwohnerzahl der Stadt A-Stadt werde der Antragsteller nach der Besoldungsgruppe B 2 Landesbesoldungsgesetz LSA besoldet. Selbst bei einer Einhaltung von 50 % werde der zu wahrende Abstand vom Regelsatz der Sozialhilfe eingehalten. Einer existenzgefährdenden wirtschaftlichen Beeinträchtigung oder der Gefahr nicht wiedergutzumachender Nachteile sei der Antragsteller daher nicht ausgesetzt. Denn die ihm verbleibenden Dienstbezüge seien noch oberhalb der Besoldungsgruppe A 12 Landesbesoldungsgesetz anzusiedeln.
II.
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Der zulässige Antrag nach § 61 Abs. 2 DG LSA ist unbegründet. Die vom Disziplinargericht vorzunehmende Prüfung ergibt, dass die vorläufige disziplinarrechtliche Dienstenthebung nicht aufzuheben ist. Denn zur Überzeugung des Disziplinargerichts bestehen keine ernstlichen Zweifel an ihrer Rechtmäßigkeit.
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1.) Nach § 38 Abs. 1 Satz 1 DG LSA kann die für die Erhebung der Disziplinarklage zuständige Behörde einen Beamten gleichzeitig mit oder nach der Einleitung des Disziplinarverfahrens vorläufig des Dienstes entheben, wenn im Disziplinarverfahren voraussichtlich auf Entfernung aus dem Beamtenverhältnis erkannt wird. Ferner kann die vorläufige Dienstenthebung ausgesprochen werden, wenn durch ein Verbleiben des Beamten im Dienst der Dienstbetrieb oder die Ermittlungen wesentlich beeinträchtigt würden und die vorläufige Dienstenthebung nicht unverhältnismäßig ist (§ 38 Abs. 1 Satz 2 DG LSA).
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Bei der Anordnung der Suspendierung handelt es sich nicht um eine Disziplinarmaßnahme im Sinne des Maßnahmenkataloges, sondern um eine beamtenrechtliche Maßnahme des Disziplinarrechts (Hummel/Köhler/Mayer, BDG, 5. Auflage 2012, § 38 Rz. 1). Ihre Berechtigung ergibt sich aus dem funktionalen Bedürfnis, noch vor der endgültigen Klärung des Vorliegens eines Dienstvergehens und der abschließenden Entscheidung über die angemessene Maßregelung des Beamten eine den Verwaltungsaufgaben und dem Dienstbetrieb dienende vorübergehende Sicherungsregel zu treffen.
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Eine auf § 38 Abs. 1 Satz 1 DG LSA gestützte Verfügung über die vorläufige Dienstenthebung muss pflichtgemäßem Ermessen der Einleitungsbehörde entsprechen. Den Beamten auch nur vorläufig vom Dienst zu entheben, setzt voraus, dass ein Verbleiben des Beamten im Dienst schlechthin untragbar wäre. Für die konkrete Entscheidung im Einzelfall sind grundsätzlich das dienstliche Bedürfnis an der einstweiligen Fernhaltung des Beschuldigten vom Dienst und dessen Recht auf amtsentsprechende dienstliche Beschäftigung abzuwägen (vgl. dazu nur: VG Magdeburg zuletzt: Beschluss v. 11.02.2015, 8 B 19/14 m. w. Nachw.; juris).
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2.) Nach § 61 Abs. 2 DG LSA ist die vorläufige Dienstenthebung dann aufzuheben, wenn ernstliche Zweifel an ihrer Rechtmäßigkeit bestehen. Ernstliche Zweifel sind schon dann anzunehmen, wenn im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts offen ist, ob die Anordnung nach § 38 Abs. 1 DG LSA rechtmäßig oder rechtswidrig ist (vgl. nur: Bay. VGH, Beschl. v. 11.04.2012, 16b DC 11.985; OVG Lüneburg Beschluss vom 13.5.2005, 3 ZD 1/05; alle juris). Neben der formellen Rechtmäßigkeit der Anordnung ist somit zu prüfen, ob die in der Anordnung liegende Prognose gerechtfertigt ist, der Beamte werde im Disziplinarverfahren voraussichtlich aus dem Dienst entfernt werden.
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Diese Prognose trägt nur dann, wenn nach dem Kenntnisstand eines Eilverfahrens die Möglichkeit des Ausspruchs der disziplinarrechtlichen Höchstmaßnahme überwiegend wahrscheinlich ist. Ist es dagegen zumindest ebenso wahrscheinlich, dass eine Entfernung des Beamten aus dem Beamtenverhältnis im Disziplinarverfahren nicht erfolgen wird, sind ernstliche Zweifel durch das Gericht zu bejahen (BVerwG, Besch. v. 16.07.2009, 2 AV 4.09; BayVGH, Beschl. v. 20.04.2011, 16b DS 10.1120; Sächs. OVG, B. 19.08.2010, D 6 B115/10 mit Verweis auf Beschluss vom 08.07.2010, D6A116/10; alle juris; Müller, Grundzüge des Beamtendisziplinarrechts, § 38 Abs. 1 BDG, 2010, Rz. 370 m. w. N.; GKÖD, Disziplinarrecht des Bundes und der Länder, § 38 BDG, Rz. 51). Anders gewendet, es müssen hinreichend gewichtige Gründe dafür sprechen, dass die Entfernung aus dem Dienst im Ergebnis des - noch durchzuführenden - Disziplinarverfahrens nicht in Betracht kommt. Dies beinhaltet eine vom Gericht vorzunehmende summarische Prüfung des zurzeit bekannten Sachverhaltes und eine daran orientierte Wahrscheinlichkeitsprognose. Hinsichtlich des zur Last gelegten Dienstvergehens genügt die Feststellung, dass der Beamte dieses Dienstvergehen mit einem hinreichenden Grad an Wahrscheinlichkeit begangen hat; nicht erforderlich ist, dass das Dienstvergehen bereits in vollem Umfang nachgewiesen ist (vgl. BVerwG, Beschl. v. 29.09.1997, 2 WDB 3.97; OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 22.09.2009, 83 DB 1.09; OVG des Saarlandes, Beschl. v. 17.06.2009, 6 B 289/09; alle juris).
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Die Beurteilung im Verfahren nach § 61 DG LSA erfordert keine gesonderten Beweiserhebungen, sondern ist in der Lage, in der sich das Disziplinarverfahren jeweils befindet, anhand der bis dahin zu Tage getretenen Tatsachen zu treffen. Für eine vorläufige Dienstenthebung können u. U. selbst durch Aktenvermerke untermauerte Erkenntnisse ausreichen (vgl. Müller a. a. O.). Dabei ist auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abzustellen (BVerwG, Beschl. v. 22.07.2002, 2 WDB 1.02; OVG Berlin-Brandenburg; Beschl. v. 18.08.2005, 80 SN 1.05; Bay VGH, Beschl. v. 11.04.2012, 16b DCV 11.985; alle juris). Jedoch muss für die gerichtliche Überprüfung der vorläufigen Dienstenthebung maßgeblich auf die von dem Dienstherrn in dem Bescheid herangezogenen Gründe der Pflichtenverletzung abgestellt werden.
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Ähnlich wie bei der Bestimmtheit des Tatvorwurfs als inhaltliche Anforderung an die - spätere - Disziplinarklageschrift, müssen die Sachverhalte, aus denen das Dienstvergehen hergeleitet wird, aus sich heraus verständlich und nachvollziehbar geschildert werden. Ort und Zeit der einzelnen Handlungen müssen möglichst genau angegeben, die Geschehensabläufe nachvollziehbar beschrieben werden (vgl. nur: BVerwG, Urteile v. 23.11.2006, 1 D 1.06, v. 25.01.2007, 2 A 3.05; Beschlüsse v. 13.03.2006, 1 D 3.06, v. 18.11.2008, 2 B 63.08 und v. 21.04.2010, 2 B 101.09; alle juris). Nur diese können durch das Disziplinargericht im Rahmen der Würdigung durch Akteninhalte und sonstige - evtl. auch später, im Laufe des Verfahrens nach § 61 DG LSA hinzutretende - Erkenntnisse untermauert werden, um so die Prognoseentscheidung, das heißt die Ausübung des ordnungsgemäßen Ermessens durch den Dienstherrn, zu überprüfen (VG Magdeburg, Beschl. v. 12.06.2012, 8 B 5/12, juris). Hingegen ist es dem Disziplinargericht verwehrt, anstelle der Disziplinarbehörde eine eigene Ermessenserwägung anzustellen (OVG Saarland, Beschluss v. 18.05.2011, 6 B 211/11; juris).
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Welche Disziplinarmaßnahme im Einzelfall erforderlich ist, richtet sich gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 und 3 DG LSA nach der Schwere des Dienstvergehens und des unter Berücksichtigung der Persönlichkeit des Beamten eingetretenen Umfangs der durch das Dienstvergehen herbeigeführten Vertrauensbeeinträchtigung. § 13 Abs. 2 DG LSA bestimmt, dass ein Beamter, der durch ein schweres Dienstvergehen das Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit endgültig verloren hat, aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen ist (Satz 1). Die Feststellung des verloren gegangenen Vertrauens ist verwaltungsgerichtlich voll inhaltlich nachprüfbar (Satz 2).
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Demnach ist maßgebendes Bemessungskriterium für die Bestimmung der Disziplinarmaßnahme die Schwere des Dienstvergehens. Sie beurteilt sich zum einen nach der Eigenart und Bedeutung der verletzten Dienstpflichten, Dauer und Häufigkeit der Pflichtenverstöße und den Umständen der Tatbegehung (objektive Handlungsmerkmale) und zum anderen nach Form und Gewicht des Verschuldens und den Beweggründen des Beamten für sein pflichtwidriges Verhalten (subjektive Handlungsmerkmale) sowie nach den unmittelbaren Folgen der Pflichtenverstöße für den dienstlichen Betrieb und für Dritte (vgl. zum gleichlautenden § 13 BDG, BVerwG, Urt. v. 20.10.2005, 2 C 12.04; Urt. v. 03.05.2007, 2 C 9.06; B. v. 10.09.2010, 2 B 97/09; VGH Baden-Württemberg, U. v. 16.09.2010, DL 16 S 579/10; alle juris).
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Erst bei Würdigung der Gesamtpersönlichkeit des Beamten lässt sich mit der gebotenen Sicherheit beurteilen, ob der Beamte aus disziplinarrechtlicher Sicht noch erziehbar erscheint oder ob hierfür eine bestimmte Disziplinarmaßnahme als notwendig, aber auch als ausreichend erscheint, oder ob der Beamte für die Allgemeinheit und den Dienstherrn untragbar geworden ist und deshalb seine Entfernung aus dem Beamtenverhältnis geboten ist (vgl. nur: VG Magdeburg, U. v. 04.11.2009, 8 A 19/08 m. w. N.; juris).
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Eine objektive und ausgewogene Zumessungsentscheidung setzt demnach voraus, dass die gegen den Beamten ausgesprochene Disziplinarmaßnahme unter Berücksichtigung der belastenden und entlastenden Umstände des Einzelfalls in einem gerechten Verhältnis zur Schwere des Dienstvergehens und zum Verschulden des Beamten steht und gewisse Besonderheiten des Einzelfalls mildernd zu berücksichtigen sind (vgl. BVerfG, Beschl. v. 08.12.2004, 2 BvR 52/02; BVerwG, U. v. 14.02.2007, 1 D 12.05 mit Verweis auf Urteil vom 20.10.2005, 2 C 12.04; OVG Lüneburg, U. v. 20.11.2009, 6 LD 1/09; VGH Bad.-Württ., U. v. 16.09.2010, DL 16 S 579/10; VG Saarland, U. v. 17.09.2010, 7 K 238/09; alle juris).
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3.) Unter diesen rechtlichen Prüfungsvoraussetzungen folgt die Disziplinarkammer nach dem derzeitigen, sich aus der Begründung der Suspendierung, dem Aktenmaterial und dem Vorbringen der Beteiligten ergebenden Sach- und Rechtsstand der von dem Antragsgegner angestellten Prognoseentscheidung. Danach ist gegenwärtig mit der überwiegenden Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass der Antragsteller ein schwerwiegendes innerdienstliches Dienstvergehen begangen hat, welches aufgrund der Schwere die Prognose rechtfertigt, dass im Anschluss an die disziplinarrechtlichen Ermittlungen und bei Erhebung der Disziplinarklage auf die Entfernung aus dem Dienst erkannt werden wird.
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a.) Als Bürgermeister war und ist der Antragsteller "(hauptamtlicher) Beamter auf Zeit" und unterliegt den beamten- und disziplinarrechtlichen Regelungen (§ 6 BeamtStG; § 7 LBG LSA; §§ 57 Abs. 1 Satz 2, 65 Abs. 1 GO LSA, § 60 Abs. 1 KVG LSA, 1 Abs. 1 DG LSA; vergleiche: VG Magdeburg, Urteil vom 06.11.2013, 8 A 9/12 MD mit weiteren Nachweisen auch zu ehrenamtlichen Bürgermeistern; juris).
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b.) Verfahrensfehler in behördlichen Disziplinarverfahren, welche auch auf die streitbefangene Suspendierungsverfügung und die Einbehaltung von Teilen der Dienstbezüge durchschlagen würden, sind nicht ersichtlich.
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a. a.) Die vom Antragsteller gerügten Fehler bei der Heranziehung des behördlichen Disziplinarverfahrens durch die Kommunalaufsicht und letztendlich den Antragsgegner liegen nicht vor. Dabei ist zunächst entscheidend, dass der Landkreis ...als zuständige Kommunalaufsichtsbehörde das behördliche Disziplinarverfahren nach § 76 Abs. 2 DG LSA – und nicht nach § 76 Abs. 1 DG LSA – rechtmäßig an sich gezogen hat. Diese Zuständigkeit ist - anders als nach § 76 Abs. 1 DG LSA - an keine Frist gebunden. Als Voraussetzung sieht § 76 Abs. 2 DG LSA vielmehr vor, dass es der zuständige Dienstvorgesetzte unterlassen hat oder außerstande ist, die angezeigte disziplinarrechtliche Maßnahme zu treffen. Diese tatbestandlichen Voraussetzungen lagen vor. Denn der Stadtrat der Stadt A-Stadt lehnte mit Beschluss vom 26.03.2015 die Bestellung eines Ermittlungsführers ab. Bereits zuvor hatte der Stadtrat die Kommunalaufsicht gebeten, einen Verfahrensführer zu benennen oder das Verfahren zu übernehmen. Der Stadtrat der Stadt A-Stadt ist zwar zugleich Dienstvorgesetzter, höherer Dienstvorgesetzter und oberste Dienstbehörde (§ 45 Abs. 5 KVG LSA) gegenüber dem Bürgermeister und zur Einleitung des Disziplinarverfahrens gegen den Bürgermeister nach § 17 Abs. 1 DG LSA berufen. Von dieser Einleitungsbefugnis unabhängig ist aber das Anziehungsrecht der Kommunalaufsicht nach § 76 Abs. 2 DG LSA zu sehen. Danach ist die Kommunalaufsichtsbehörde berechtigt, ein bereits eingeleitetes Disziplinarverfahren zu übernehmen oder ein Disziplinarverfahren selbst einzuleiten und durchzuführen, wenn der Dienstherr - im Gegensatz zum Fall des Absatzes 1 – nicht (weiter) tätig geworden ist (vgl. Gesetzesbegründung zu § 76 Abs. 2 DG LSA LT-Drs. 4/2364, S. 120). Die Benachrichtigungen darüber an den Dienstvorgesetzen und den Beamten nach § 76 Abs. 3 DG LSA sind geschehen. Dementsprechend ist die Entscheidung des Landkreises S… zur Übernahme des behördlichen Disziplinarverfahrens rechtmäßig ergangen.
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Da sich aber auch der Landkreis ...als untere Kommunalaufsichtsbehörde personell außerstande sah, das Verfahren mit der gebotenen Dringlichkeit zu führen, wurde der Antragsgegner als obere Kommunalaufsichtsbehörde um Heranziehung gem. § 17 Abs. 1 DG LSA gebeten. Mit Verfügung vom 22.04.2015 kam der Antragsgegner dem nach. Diese nunmehr nach § 17 Abs. 1 Satz 2 DG LSA vorgenommene Heranziehung ist ebenso rechtlich nicht zu beanstanden. Denn danach kann die oberste Dienstbehörde das – bereits eingeleitete - Disziplinarverfahren jederzeit an sich ziehen, eine Disziplinarmaßnahme selbst erlassen oder die Disziplinarverfolgung aufnehmen (§ 17 Abs. 1 Satz 2 2. Halbsatz DG LSA). Der Landkreis ist durch die Heranziehung des Verfahrens Dienstvorgesetzter des Antragstellers geworden. In den Fällen des § 76 Abs. 2 Satz 1 DG LSA tritt an die Stelle des höheren Dienstvorgesetzten und der obersten Dienstbehörde (vgl. § 17 Abs. 1 Satz 2 DG LSA) die obere Kommunalaufsichtsbehörde (§ 76 Abs. 4 DG LSA), mithin der Antragsgegner. Damit durfte der Antragsgegner nach § 17 Abs. 1 Satz 2; 2. HS DG LSA auch im Rahmen des § 38 Abs. 1 Satz 1 DG LSA als für die Erhebung der Disziplinarklage nach § 34 Abs. 2 Satz 1 DG LSA zuständige Behörde tätig werden.
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b. b.) Ebenso liegt die vom Antragsteller vorgetragene fehlerhafte Vorgehensweise bei der Sachverhaltsaufklärung beziehungsweise der Bestellung geeigneter Bediensteter nach § 21 Abs. 1 DG LSA nicht vor. Soweit der Antragsteller diesbezüglich von Befangenheit bzw. Vorbefassung spricht, ist fraglich, ob dies im Verfahren zur vorläufigen Dienstenthebung überhaupt beanstandet werden kann (vgl. zur Befangenheit des Ermittlungsführers: VG Magdeburg, Urteil vom 13.12.2012, 8 A 7/11; BDiG Frankfurt, Beschluss vom 06.09.1983, VII BK 15/83; bei der juris). Denn diesbezüglich ist von Bedeutung, dass das behördliche Disziplinarverfahren noch nicht abgeschlossen ist und gerade noch keine abschließende disziplinarrechtliche Entscheidung vorliegt. Dies dahingestellt, macht der Antragsteller eine Befangenheit auch nicht glaubhaft. Nach § 21 Abs. 1 DG LSA ist im Sinne eines fairen Verfahrens entscheidend, dass es sich um "geeignete Bedienstete" handeln muss. Grundlegend ist dabei zu beachten, dass es sich um ein faires Disziplinarverfahren handeln muss. Dem steht vorliegend nicht entgegen, dass die mit der Durchführung der Ermittlungen beauftragten Personen bereits seit dem 17.04.2014 der Arbeitsgruppe "… A-Stadt Gesellschaft" im Landesverwaltungsamt angehören. Besteht diese Mitgliedschaft daher bereits vor der Einleitung der disziplinarrechtlichen Ermittlungen, so ist gegen diese Personenauswahl auch im Disziplinarverfahren gleichwohl nichts einzuwenden. Denn insoweit ist von Bedeutung, dass der Aufgabenbereich dieser Arbeitsgruppe auch Teil des disziplinarrechtlichen Vorwurfes ist und insoweit gerade von einer Sachkunde der Personen ausgegangen werden kann. Es wäre gerade unökonomisch diese besondere Sachkunde nicht zu berücksichtigen. Daher ist nichts dagegen einzuwenden, dass aufgrund der langjährigen Verwaltungs- und Berufserfahrungen, des Umfangs der Ermittlungen und unter dem Aspekt des Beschleunigungsgrundsatzes weiterhin die Mitglieder der Arbeitsgruppe A-Stadt, Herr B… und Frau D…z als auch Herr W… als geeignete Bedienstete mit der Aufklärung des erforderlichen Sachverhaltes in dem Disziplinarverfahren betraut wurden. Darüber hinaus wurde auch Herr Kriminaloberrat U… vom Landeskriminalamt als geeigneter Bediensteter betraut. Da § 21 Abs. 1 Satz 1 DG LSA ausdrücklich den Plural benutzt, ist gegen eine aus mehreren geeigneten Bediensteten bestehende Arbeitsgruppe – entgegen dem früher unter der Disziplinarordnung verwendeten Begriffs des singulären Ermittlungsführers – nichts einzuwenden.
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c.) Materiell-rechtlich betrachtet hat der Antragsteller im Zusammenhang mit den beiden Grundstücksgeschäften mit den Erwerbern Frau J…t und Herrn Z… ein schweres Dienstvergehen verwirklicht, da er hierbei schuldhaft die ihm obliegenden Pflichten verletzte.
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Mit notariellem Kaufvertrag vom 13.01.2012 erfolgte die Veräußerung der insgesamt rund 2.800 m² großen Anteile an den Flurstücken 130/2 und 130/4 (nach Vermessung Nrn. 1875 und 1884) an Frau F… und Herrn C…, welche beruflich selbst als Projektentwickler bzw. Grundstücksverkäufer tätig waren. Hierzu wurde in der Beschlussvorlage vom 11.10.2011 für die Sitzung des Stadtrates am 27.10.2011 durch den Antragsteller ohne Einholung eines Verkehrswertgutachtens ein Verkaufspreis in Höhe von 35,00 € je m² vorgeschlagen, welchen dieser damit begründete, dass vor einer Bebauung noch umfassende Erschließungsarbeiten erforderlich seien. Der Stadtrat folgte dem Vorschlag. Tatsächlich wies die Bodenrichtwertkarte vom 31.12.2010 für die betroffenen Grundstücke einen Bodenrichtwert in Höhe von 50,00 € je m² aus. Anstatt eines Verkaufserlöses in Höhe von 140.000,00 € wurde so nur 98.000,00 € erzielt.
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Denselben Erwerbern wurde zudem ein zweites, die Flurstücke 1883, 1876 und 1878 umfassendes Grundstück mit einer Gesamtfläche von 957 m² verkauft. Als Verkaufspreis legte der Antragsteller in der Beschlussvorlage 5,50 € je m², mithin 5.263,50 € fest. Auch diesbezüglich holte der Antragsteller kein Verkehrswertgutachten ein. Der Antragsteller qualifizierte das Grundstück als Gartengrundstück. Ein erheblicher Anteil des Grundstückes (870 m² für die Flurstücke 1883 und 1876) entstand jedoch überhaupt nur deshalb, weil dieser entgegen dem Stadtratsbeschluss zum 1. Grundstücksverkauf nicht in vorbezeichneten Kaufvertrag einbezogen wurde. Wäre dies bei – zumindest und lediglich insofern - rechtmäßiger Vorgehensweise geschehen, so wäre auch hierfür ein zwar nicht dem Bodenrichtwert entsprechender, aber doch noch signifikant höherer Verkaufspreis erzielt worden, nämlich wiederum in Höhe von 35,00 € je m². Die Differenz zu Lasten der Stadt A-Stadt beträgt also – mindestens - 25.665,00 €. Geht man entsprechend dem ursprünglichen Bodenrichtwert von einem Quadratmeterpreis in Höhe von 50,00 € je m² aus, so liegt die Differenz sogar bei 38.715,00 €.
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Zudem bereitete er die Beschlussfassungen des Stadtrates entgegen §§ 62, 63 GO LSA
nicht pflichtgemäß vor. Nach §§ 90 Abs. 2, 105 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 GO LSA dürfen Grundstücksverkäufe nur zum vollen Wert erfolgen und setzen die Durchführung eines transparenten Bieterverfahrens mit zumindest einer Wertermittlung nach den Vorschriften der §§ 192 ff. Baugesetzbuch (BauGB) voraus. Davon darf nur abgewichen werden, wenn eine ausdrückliche gesetzliche Verpflichtung oder Beeinträchtigung zum Ansatz eines geringeren Wertes besteht oder die Veräußerung unterhalb des vollen Wertes durch ein besonderes öffentliches Interesse gerechtfertigt werden kann, welches sich wiederum aus der Aufgabenstellung der Kommune und dem Gesamtzusammenhang des Kommunalverfassungsgesetzes ableiten lassen muss. Zudem muss die Veräußerung unterhalb des vollen Wertes willkürfrei erfolgen und für Dritte nachvollziehbar begründet sein (vergleiche insoweit auch die interne Verwaltungsanweisung der Stadt A-Stadt beim Verkauf von Grundstücken).
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Bei dem damals aktuellen Bodenrichtwert hätte bei beiden Grundstücksgeschäften über insgesamt 3.757 m² ein Verkaufspreis von 187.850,00 € erzielt werden können. Weiter räumte der Antragsteller den Erwerbern eine nach dem Vertrag ausgeschlossene Kaufpreisminderung ein. Im notariellen Kaufvertrag war vereinbart, dass die Stadt A-Stadt gegenüber den Erwerbern nur für die Bebaubarkeit nach öffentlich-rechtlichen Vorschriften haftet; nicht jedoch für eine bestimmte Art der Bebauung. Diesbezüglich wurde den Erwerbern ein Rücktrittsrecht eingeräumt; eine Kaufpreisminderung sowie Schadensersatz wurden ausdrücklich ausgeschlossen. In der Folge des Grundstücksverkaufes traten die Erwerber mit einem Minderungsbegehren an die Stadt heran und begründeten dies damit, dass auf dem 1.566 m² großen Teilstück des Flurstücks 130/4 ein Starkstromkabel des Energieversorgers im Erdreich verlegt sei und damit eine Bebaubarkeit nur eingeschränkt gegeben sei. Daraufhin stimmte der Antragsteller einer Kaufpreisminderung für das betroffene Flurstück auf nunmehr 5,50 € je m² zu. Auf Veranlassung des Antragstellers hin wurde durch notarielle Zusatzvereinbarung vom 04.04.2012 ein Kaufpreis in Höhe von 51.832,00 € vereinbart. Eine Beschlussfassung des Stadtrates hierüber führte der Antragsteller nicht herbei.
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Somit ist zusammenfassend disziplinarrechtlich festzustellen, dass der Antragsteller als Bürgermeister der Stadt A-Stadt die entsprechenden Stadtratsbeschlüsse pflichtwidrig nicht ordnungsgemäß vorbereitete und den Stadtrat als Entscheidungsträger nicht hinreichend informierte. So führte er über die eigenmächtig mit den Grundstückserwerbern vereinbarte Kaufpreisminderung keine Beschlussfassung des Stadtrates herbei. Auch lag dem Verkauf kein Wertermittlungsgutachten zugrunde. Soweit der Antragsteller dies im Nachhinein und nach dem Beginn der disziplinarrechtlichen Ermittlungen in Auftrag gab, kann ihn dies nicht entlasten. Denn insoweit führt der Antragsgegner zu Recht aus, dass die Annahme des Gutachters bezüglich der Verkehrswertminderung aufgrund der Lage des Starkstromkabels sowie dem Vorhandensein einer alten Silo-Mauer zumindest als fragwürdig angesehen werden kann und die Wertermittlung fehlerhaft erscheint. Entscheidend ist jedenfalls, dass die Wertermittlung nicht vor der Beschlussfassung durch den Rat erfolgte und somit dieser nicht hinreichend informiert wurde. Dadurch hat er als Bürgermeister zugleich die ihm gegenüber der Stadt A-Stadt obliegende Pflicht, fremde Vermögensinteressen wahrzunehmen, verletzt und dadurch der Stadt A-Stadt treuwidrig einen Schaden zugefügt. Dies geschah zumindest fahrlässig.
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Milderungs- und Entlastungsgründe, wonach zum jetzigen Zeitpunkt die spätere Entfernung nicht prognostiziert werden könnte, sind gegenwärtig nicht erkennbar. Der Antragsteller kann sich nicht dadurch entlasten, dass er mangels eigener juristischer Kenntnisse anwaltliche Hilfe in Anspruch genommen hätte. Zwar bestand zwischen der Stadt A-Stadt und der Rechtsanwaltskanzlei D… seit dem 14.02.2005 ein "Vertrag über laufende Rechtsberatung" (Bl. A 155, Beiakte O). Jedoch wird dem Vortrag des Antragsgegners (Antragserwiderung vom 15.12.2015, Seite 16; GA Blatt 87) nicht widersprochen, dass bezüglich der vorgehaltenen Grundstücksgeschäfte diese anwaltliche Beratung gerade nicht in Anspruch genommen wurde. Die Ausführungen im Schriftsatz vom 10.05.2016 (GA Bl. 172 ff) beschränken sich allein auf den Vorwurf der unerlaubten Nebentätigkeit des Bediensteten H... und eine diesbezüglich eingeholte Rechtseinschätzung vom 16.07.2013. Ebenso ist nichts bekannt über die Inanspruchnahme einer rechtlichen Hilfe durch die Kommunalaufsicht. Demnach kann erschwerend angenommen werden, dass der Antragsteller gerade und trotz bestehender juristischer Unterstützung, diese bei den Grundstücksgeschäften der Gemeinde nicht wahrgenommen hat. Zudem hatte sich der Antragsteller gegenüber der Kommunalaufsicht gegen die Kündigung des Beratungsvertrages ausgesprochen (Bl. A 54, Beiakte O).
- 45
Dem Antragsgegner ist auch darin zu folgen, dass gerade aufgrund der Begründung des Antragstellers, wegen etwaiger Mängel und der Grundstückssituation die Bodenrichtwertkarte nicht anwendbar gewesen sei, ein Verkehrswertgutachten hätte eingeholt werden müssen. Ebenso gilt es zu berücksichtigen, dass aufgrund des Baubeginns die Erschließung gesichert gewesen sein muss und eine Baugenehmigung vorgelegen haben muss. Soweit sodann erst die verlegte Starkstromleitung gefunden wurde, wäre weiter zu prüfen gewesen, ob die Verlegung der Starkstromleitung durch den Versorger hätte vorgenommen werden müssen bzw. wer die Kosten dafür übernimmt. Dies wäre zwischen den Beteiligten zu klären gewesen und eventuell gegenüber dem Versorger hätte geltend gemacht werden müssen. Einer Einstandspflicht im Sinne einer Minderung des Kaufpreises durch die Stadt A-Stadt vermag dies zunächst nicht offensichtlich zu begründen, zumal die Minderung im Kaufvertrag ausdrücklich ausgeschlossen war.
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d.) Inwieweit die weiteren in der Suspendierungsverfügung vorgetragenen Pflichtenverletzungen vorliegen und tragend sind, mag dahinstehen. Denn insgesamt kommt es zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt des Gerichtes hinsichtlich der Prognoseentscheidung der späteren Disziplinarmaßnahme auf diese weiteren vorgehaltenen Dienstpflichtverletzungen nicht an. Denn zur Überzeugung des Disziplinargerichts sind – nach augenblicklichem Kenntnisstand - die Vorgänge um die Grundstücksgeschäfte und der daraus resultierende potentiell hohe finanzielle Schaden für die Stadt A-Stadt und damit die öffentliche Kasse als entscheidungserheblich für die Wahrscheinlichkeit des Ausspruchs der Höchstmaßnahme maßgeblich.
- 47
e.) Halten daher die für die Suspendierung nach § 38 Abs. 1 Satz 1 DG LSA angegeben Gründe der rechtlichen Überprüfung stand, kommt es nicht darauf an, ob die zusätzlich auf § 38 Abs. 1 Satz 2 DG LSA vorgetragene Gründe rechtlich zutreffen. Die vorläufige Dienstenthebung nach § 38 Abs. 1 Satz 2 DG LSA erweist sich dann als ermessensgerecht und verhältnismäßig, wenn ohne diesen Eingriff der Dienstbetrieb oder die ordnungsgemäße Tätigkeit der Verwaltung durch die Anwesenheit des Beamten empfindlich gestört oder in besonderem Maße gefährdet wäre (vgl. BVerwG, Beschl. v. 01.09.2000, 1 DB 16.00; Beschl. v. 04.01.1996, 1 DB 16.95; Hummel/Köhler/Mayer, BDG, 5. Auflage 2012, § 38 Rz. 4). Eine wesentliche Beeinträchtigung des Dienstbetriebes ist vor allem dann zu besorgen, wenn auf Grund von Umständen, die mit dem mutmaßlich begangenen Dienstvergehen in Zusammenhang stehen, eine gedeihliche, der Dienstverrichtung dienende Zusammenarbeit mit dem Beamten gefährdet ist und herunter die Aufgabenerledigung ernsthaft leiden kann. Anhaltspunkte hierfür können sich aus den bereits eingetretenen Folgen des mutmaßlichen Dienstvergehens ergeben. Auswirkungen auf den Dienstbetrieb sind weiterhin zu befürchten, wenn aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte mit einer Fortsetzung der Begehung des Dienstvergehens zu rechnen ist (OVG Lüneburg, Beschl. v. 25.03.2013, 19 ZD 4/13, juris). Ob diese Voraussetzungen tatsächlich bereits aufgrund der Vorkommnisse um den Stadtratsbeschluss vom 25.06.2015 bezüglich der Anschaffung einer bestimmten Feuerwehr-Drehleiter vorliegen, mag bezweifelt werden. Denn insoweit muss die Einlassung des Antragstellers berücksichtigt und gewürdigt werden, dass es sich bei dem Feuerwehrfahrzeug um ein Modell handele, für welches lediglich eine Firma Drehleitern herstelle. Entscheidend wäre, dass der Antragsteller durch sein Verhalten zu erkennen geben würde, sich wiederholt und fortgesetzt nicht an seine dienstlichen Pflichten halten zu wollen. Dazu dürfte dieses Vorkommnis nicht genügen (vgl. zu den Voraussetzungen: VG Magdeburg, Beschluss v. 11.02.2015, 8 B 19/14 m. w. Nachw.; juris).
- 48
4.) Wegen der prognostizierten Entfernung aus dem Beamtenverhältnis erweist sich auch die Einbehaltung von Teilen der Dienstbezüge nach § 38 Abs. 2 DG LSA als rechtmäßig. Bezüglich der Bestimmung der Höhe des Einbehaltungssatzes hat der Antragsgegner sein Ermessen gesehen und ausgeübt. Dabei muss die Dienstbehörde berücksichtigen, dass die vorläufige Einbehaltung von Dienstbezügen keinen Strafcharakter hat, sondern mit Rücksicht auf die fortbestehende Alimentationspflicht des Dienstherrn allein auf die wirtschaftlichen Verhältnisse des Beamten abzustellen ist. Der vorläufig des Dienstes enthobene Beamte muss gewisse Einschränkungen in seiner Lebenshaltung hinnehmen. Jedoch darf die Einbehaltung wegen ihres vorläufigen Charakters nicht zu einer existenzgefährdenden wirtschaftlichen Beeinträchtigung führen (vgl. zusammenfassend: BVerwG, U. v. 13.08.1979, 1 DB 14.79; VG Berlin, B. v. 02.02.2007, 80 Dn 59.06; VG Magdeburg, B. v. 27.11.2006, 8 A 17/06 und v. 19.05.2009, 8 B 7/09; Beschluss v. 25.02.2015, 8 B 20/14, Beschluss v. 17.09.2015, 8 B 10/15; alle juris). Dass diese Voraussetzungen nicht eingehalten worden wären, ist nicht ersichtlich und wird vom Antragsteller auch nicht substantiiert vorgetragen.
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5.) Aufgrund dessen das Disziplinargericht in der Suspendierungsverfügung nach § 38 Abs. 1 Satz 1 DG LSA und der vorläufigen Einbehaltung von Teilen der Dienstbezügen keine ernstlichen Zweifel im Sinne der Prüfung nach § 61 Abs. 2 DG LSA sieht, vermag es auch nicht die übrigen Regelungen der streitbefangenen Verfügung, nämlich das Hausverbot sowie die Abgabe des Dienstausweises sowie sonstiger dienstlicher Berechtigungen und Schlüssel aufzuheben. Zwar ist festzustellen, dass diesbezüglich keine spezielle Rechtsgrundlage im Disziplinargesetz bzw. Disziplinarrecht ersichtlich ist. Jedoch muss es dem Dienstherrn im Rahmen seiner allgemeinen organisationsrechtlichen Befugnis erlaubt sein, derartige mit der Suspendierungsverfügung verbundenen Nebenentscheidungen zu regeln. Denn auch bei der Suspendierungsverfügung selbst handelt es sich um eine beamtenrechtliche Maßnahme des Disziplinarrechts. Dementsprechend muss es dem Dienstherrn erlaubt sein in einer disziplinarrechtlichen Entscheidung die notwendigen Nebenentscheidungen zu treffen.
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Urteil einreichenVerwaltungsgericht Magdeburg Beschluss, 26. Mai 2016 - 15 B 8/16 zitiert oder wird zitiert von 9 Urteil(en).
Dem Abschluss von Verträgen über Lieferungen und Leistungen muss eine Öffentliche Ausschreibung oder eine Beschränkte Ausschreibung mit Teilnahmewettbewerb vorausgehen, sofern nicht die Natur des Geschäfts oder besondere Umstände eine Ausnahme rechtfertigen. Teilnahmewettbewerb ist ein Verfahren, bei dem der öffentliche Auftraggeber nach vorheriger öffentlicher Aufforderung zur Teilnahme eine beschränkte Anzahl von geeigneten Unternehmen nach objektiven, transparenten und nichtdiskriminierenden Kriterien auswählt und zur Abgabe von Angeboten auffordert.
Gründe
- 1
I. Der Antragsteller ist Regierungsoberamtsrat bei dem Antragsgegner. Gegen ihn läuft ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren wegen des Verstoßes gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz und des Besitzes kinderpornografischer Schriften.
- 2
Im Rahmen einer Hausdurchsuchung wurde bei dem Antragsteller jedenfalls ein Verschlusskopf für ein Sturmgewehr G3 sowie eine Bilddatei mit dem Verdacht kinderpornografischer Abbildungen gefunden. Die nachfolgende Durchsuchung der Diensträume des Antragstellers am 03.04.2014wurde mit Beschluss des Amtgerichts Hannover vom 03.04.2014 damit begründet, dass nach kriminalistischer Erfahrung zu erwarten sei, dass der Beschuldigte nach weiteren Bezugsmöglichkeiten kinderpornografischen Materials im Internet gesucht habe. Der (Dienst-)Rechner wurde sichergestellt und der persönliche Speicher auf dem Server gespiegelt.
- 3
Am 04.04.2014 leitete der Antragsgegner ein Disziplinarverfahren gegen den Antragsteller ein und enthob ihn gleichzeitig mit sofortiger Wirkung gemäß § 38 Abs. 1 des Disziplinargesetzes Sachsen-Anhalt (DG LSA) vorläufig vom Dienst, da ein Verbleiben im Dienst den Dienstbetrieb wesentlich beeinträchtigen würde. Den dagegen eingelegten Widerspruch wies der Antragsgegner mit Bescheid vom 01.09.2014 als unzulässig zurück und verfügte mit sofortiger Wirkung die Einbehaltung von 50 % der Dienstbezüge des Antragstellers. Ihm werde zur Last gelegt, gegen die „Dienstleistungspflicht“ und die Pflicht zu achtungswürdigen und vertrauensgerechten Verhalten verstoßen zu haben. Es bestehe der hinreichend begründete Verdacht eines Dienstvergehens, das mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu disziplinarischen Höchstmaßnahme führen werde. Bereits der Besitz kinderpornografischer Darstellungen sei im Regelfall als schweres Dienstvergehen zu qualifizieren. Ebenso sei der Verstoß gegen das Waffen- und Kriegswaffenkontrollgesetz mit den Grundsätzen des Beamtentums nicht vereinbar. Zudem sei eine Störung des Dienstbetriebes zu besorgen, wozu ausgeführt wird:
- 4
„Zwar tritt in meinem Hause kaum Publikumsverkehr auf. Gleichwohl handelt es sich um eine oberste Dienstbehörde. Als Ministerium stehen meine Bediensteten und ich besonders im Focus der Öffentlichkeit. Diese hat besonders hohe Erwartungen an die Verfassungs- und Gesetzestreue der Bediensteten meines Hauses. Insoweit erwarte ich und setze ich voraus, dass sich gerade meine Bediensteten besonders genau an die Verfassung und an die Gesetze halten. Unter anderem auch, weil auch in meinem Hause Gesetzesentwürfe erarbeitet werden.
- 5
Bereits das Bekanntwerden des Verdachts der Verletzung von Strafnormen durch einen Bediensteten meines Hauses würde den Hausfrieden erheblich stören: Meine Bediensteten würden Maßnahmen erwarten und für ein Verbleiben des Beamten im Dienst kein Verständnis aufbringen. Eine normale Zusammenarbeit ihres Mandanten mit seinen Kollegen sehe ich daher derzeit als nicht realisierbar an. Denn trotz aller Vorsichtsmaßnahmen hat sich die Durchsuchung der Diensträume unter meinen Bediensteten herumgesprochen. Zudem betreffen die Vorwürfe einen besonders sensiblen Bereich: den Schutz der Kinder und den Schutz vor unberechtigtem Einsatz von Waffen. Hier fühlt sich jeder meiner Bediensteten betroffen.
- 6
Die Angelegenheit ist außerdem geeignet, besonderes Aufsehen in der Öffentlichkeit zu erregen. Auch um diesem Vorzubeugen sehe ich keine andere Möglichkeit, als Ihren Mandanten vorläufig des Dienstes zu suspendieren. Hierbei kommt es nicht darauf an, dass er dienstlich grundsätzlich weder mit Kindern noch mit Waffen in Kontakt kommt. Es ist allein darauf abzustellen, dass er Bediensteter einer obersten Landesbehörde ist und die Vorwürfe einen besonders sensiblen Lebensbereich betreffen.
- 7
Diese Problematik würde auch nicht dadurch gemildert werden, dass Ihr Mandant Heimarbeit ausübt. Auch im Rahmen der Heimarbeit würde Ihr Mandant für mich tätig sein und nach Außen für mein Haus – und sei es auch nur gegenüber anderen Behörden und Institutionen – auftreten. Außerdem entfällt dadurch nicht die Zusammenarbeit mit den Kollegen und der Umgang mit den Dienstvorgesetzten.
- 8
Letztendlich bitte ich zugleich auch den damit verbundenen Schutz Ihres Mandanten zu sehen, da ich auch bei Heimarbeit Ihrs Mandanten Reaktionen meiner Bediensteten auf den bestehenden Verdacht nicht verhindern kann.“
- 9
II.) Der zulässige Antrag nach § 61 Abs. 2 Disziplinargesetz Sachsen-Anhalt (DG LSA) ist begründet.
- 10
Nach § 38 Abs. 1 Satz 1 DG LSA kann die für die Erhebung der Disziplinarklage zuständige Behörde einen Beamten gleichzeitig mit oder nach der Einleitung des Disziplinarverfahrens vorläufig des Dienstes entheben, wenn im Disziplinarverfahren voraussichtlich auf Entfernung aus dem Beamtenverhältnis erkannt wird. Ferner kann die vorläufige Dienstenthebung ausgesprochen werden, wenn durch ein Verbleiben des Beamten im Dienst der Dienstbetrieb oder die Ermittlungen wesentlich beeinträchtigt würden und die vorläufige Dienstenthebung nicht unverhältnismäßig ist (§ 38 Abs. 1 Satz 2 DG LSA). Zudem kann sie nach § 38 Abs. 2 DG LSA mit oder nach der vorläufigen Dienstenthebung anordnen, dass dem Beamten bis zu 50 v. H. der monatlichen Dienstbezüge einbehalten werden, wenn im Disziplinarverfahren voraussichtlich auf Entfernung aus dem Beamtenverhältnis erkannt werden wird.
- 11
Die vorläufige Dienstenthebung in der Gestalt des Bescheides vom 01.09.2014 stützt der Antragsgegner auf § 38 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 DG LSA.
- 12
Bei der Anordnung der Suspendierung handelt es sich nicht um eine Disziplinarmaßnahme im Sinne des Maßnahmenkataloges, sondern um eine beamtenrechtliche Maßnahme des Disziplinarrechts (Hummel/Köhler/Mayer, BDG, 5. Auflage 2012, § 38 Rz. 1). Ihre Berechtigung ergibt sich aus dem funktionalen Bedürfnis, noch vor der endgültigen Klärung des Vorliegens eines Dienstvergehens und der abschließenden Entscheidung über die angemessene Maßregelung des Beamten eine den Verwaltungsaufgaben und dem Dienstbetrieb dienende vorübergehende Sicherungsregel zu treffen.
- 13
1.) Die nach § 61 Abs. 2 DG LSA vom Disziplinargericht vorzunehmende Prüfung ergibt, dass die vorläufige Dienstenthebung sowie die Einbehaltung der Dienstbezüge aufzuheben sind. Denn zur Überzeugung des Disziplinargerichts bestehen ernstliche Zweifel an ihrer Rechtmäßigkeit.
- 14
a.) Eine auf § 38 Abs. 1Satz 1 DG LSA gestützte Verfügung über die vorläufige Dienstenthebung muss pflichtgemäßem Ermessen der Einleitungsbehörde entsprechen. Den Beamten auch nur vorläufig vom Dienst zu entheben, setzt voraus, dass ein Verbleiben des Beamten im Dienst schlechthin untragbar wäre. Dabei handelt es sich um die denkbar schwerste Sanktion für dienstliche Verfehlungen, welche nach der Rechtsprechung besondere Umstände voraussetzt. Für die konkrete Entscheidung im Einzelfall sind grundsätzlich das dienstliche Bedürfnis an der einstweiligen Fernhaltung des Beschuldigten vom Dienst und dessen Recht auf amtsentsprechende dienstliche Beschäftigung abzuwägen (vgl. dazu: Köhler/Ratz, BDO, 2. Aufl., § 91 Rz. 10: vgl. zum Ganzen: VG Magdeburg, Beschl. v. 10.02.2007, 8 B 22/06; Beschl. v. 03.03.2010, 8 B 21/09; zuletzt: Beschl. v. 31.03.2014, 8 B 2/14 und v. 26.08.2013, 8 B 13/13; Beschl. v. 27.08.2014, 8 B 13/14; OVG Lüneburg, Beschluss v. 25.03.2013, 19 ZD 4/13; alle juris).
- 15
Nach § 61 Abs. 2 DG LSA ist die vorläufige Dienstenthebung dann aufzuheben, wenn ernstliche Zweifel an ihrer Rechtmäßigkeit bestehen. Ernstliche Zweifel sind schon dann anzunehmen, wenn im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts offen ist, ob die Anordnung nach § 38 Abs. 1 DG LSA rechtmäßig oder rechtswidrig ist (vgl. nur: Bay. VGH, Beschl. v. 11.04.2012, 16b DC 11.985; OVG Lüneburg Beschluss vom 13.5.2005, 3 ZD 1/05; alle juris). Neben der formellen Rechtmäßigkeit der Anordnung ist somit zu prüfen, ob die in der Anordnung liegende Prognose gerechtfertigt ist, der Beamte werde im Disziplinarverfahren voraussichtlich aus dem Dienst entfernt werden.
- 16
Diese Prognose trägt nur dann, wenn nach dem Kenntnisstand eines Eilverfahrens die Möglichkeit des Ausspruchs der disziplinarrechtlichen Höchstmaßnahme überwiegend wahrscheinlich ist. Ist es dagegen zumindest ebenso wahrscheinlich, dass eine Entfernung des Beamten aus dem Beamtenverhältnis im Disziplinarverfahren nicht erfolgen wird, sind ernstliche Zweifel durch das Gericht zu bejahen (BVerwG, Besch. v. 16.07.2009, 2 AV 4.09; BayVGH, Beschl. v. 20.04.2011, 16b DS 10.1120;Sächs. OVG, B. 19.08.2010, D 6 B115/10 mit Verweis auf Beschluss vom 08.07.2010, D6A116/10; alle juris; Müller, Grundzüge des Beamtendisziplinarrechts, § 38 Abs. 1 BDG, 2010, Rz. 370 m. w. N.; GKÖD, Disziplinarrecht des Bundes und der Länder, § 38 BDG, Rz. 51). Anders gewendet, es müssen hinreichend gewichtige Gründe dafür sprechen, dass die Entfernung aus dem Dienst im Ergebnis des - noch durchzuführenden - Disziplinarverfahrens nicht in Betracht kommt. Dies beinhaltet eine vom Gericht vorzunehmende summarische Prüfung des zurzeit bekannten Sachverhaltes und eine daran orientierte Wahrscheinlichkeitsprognose. Hinsichtlich des zur Last gelegten Dienstvergehens genügt die Feststellung, dass der Beamte dieses Dienstvergehen mit einem hinreichenden Grad an Wahrscheinlichkeit begangen hat; nicht erforderlich ist, dass das Dienstvergehen bereits in vollem Umfang nachgewiesen ist (vgl. BVerwG, Beschl. v. 29.09.1997, 2 WDB 3.97; OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 22.09.2009, 83 DB 1.09; OVG des Saarlandes, Beschl. v. 17.06.2009, 6 B 289/09; alle juris).
- 17
Die Beurteilung im Verfahren nach § 61 DG LSA erfordert keine gesonderten Beweiserhebungen, sondern ist in der Lage, in der sich das Disziplinarverfahren jeweils befindet, anhand der bis dahin zu Tage getretenen Tatsachen zu treffen. Für eine vorläufige Dienstenthebung können u. U. selbst durch Aktenvermerke untermauerte Erkenntnisse ausreichen (vgl. Müller a. a. O.). Dabei ist auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abzustellen (BVerwG, Beschl. v. 22.07.2002, 2 WDB 1.02; OVG Berlin-Brandenburg; Beschl. v. 18.08.2005, 80 SN 1.05; Bay VGH, Beschl. v. 11.04.2012, 16b DCV 11.985; alle juris). Jedoch muss für die gerichtliche Überprüfung der vorläufigen Dienstenthebung maßgeblich auf die von dem Dienstherrn in dem Bescheid herangezogenen Gründe der Pflichtenverletzung abgestellt werden. Ähnlich wie bei der Bestimmtheit des Tatvorwurfs als inhaltliche Anforderung an die - spätere - Disziplinarklageschrift, müssen die Sachverhalte, aus denen das Dienstvergehen hergeleitet wird, aus sich heraus verständlich und nachvollziehbar geschildert werden. Ort und Zeit der einzelnen Handlungen müssen möglichst genau angegeben, die Geschehensabläufe nachvollziehbar beschrieben werden (vgl. nur: BVerwG, Urteile v. 23.11.2006, 1 D 1.06, v. 25.01.2007, 2 A 3.05; Beschlüsse v. 13.03.2006, 1 D 3.06, v. 18.11.2008, 2 B 63.08 und v. 21.04.2010, 2 B 101.09; alle juris). Nur diese können durch das Disziplinargericht im Rahmen der Würdigung durch Akteninhalte und sonstige - evtl. auch später, im Laufe des Verfahrens nach § 61 DG LSA hinzutretende - Erkenntnisse untermauert werden, um so die Prognoseentscheidung, das heißt die Ausübung des ordnungsgemäßen Ermessens durch den Dienstherrn, zu überprüfen (VG Magdeburg, Beschl. v. 12.06.2012, 8 B 5/12, juris). Hingegen ist es dem Disziplinargericht verwehrt, anstelle der Disziplinarbehörde eine eigene Ermessenserwägung anzustellen (OVG Saarland, Beschluss v. 18.05.2011, 6 B 211/11; juris).
- 18
a. a.) Welche Disziplinarmaßnahme im Einzelfall erforderlich ist, richtet sich gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 und 3 DG LSA nach derSchwere des Dienstvergehens und des unter Berücksichtigung der Persönlichkeit des Beamten eingetretenen Umfangs der durch das Dienstvergehen herbeigeführten Vertrauensbeeinträchtigung. § 13 Abs. 2 DG LSA bestimmt, dass ein Beamter, der durch ein schweres Dienstvergehen das Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit endgültig verloren hat, aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen ist (Satz 1). Die Feststellung des verloren gegangenen Vertrauens ist verwaltungsgerichtlich voll inhaltlich nachprüfbar (Satz 2).
- 19
Demnach ist maßgebendes Bemessungskriterium für die Bestimmung der Disziplinarmaßnahme die Schwere des Dienstvergehens. Sie beurteilt sich zum einen nach der Eigenart und Bedeutung der verletzten Dienstpflichten, Dauer und Häufigkeit der Pflichtenverstöße und den Umständen der Tatbegehung (objektive Handlungsmerkmale) und zum anderen nach Form und Gewicht des Verschuldens und den Beweggründen des Beamten für sein pflichtwidriges Verhalten (subjektive Handlungsmerkmale) sowie nach den unmittelbaren Folgen der Pflichtenverstöße für den dienstlichen Betrieb und für Dritte (vgl. zum gleichlautenden § 13 BDG, BVerwG, Urt. v. 20.10.2005, 2 C 12.04; Urt. v. 03.05.2007, 2 C 9.06; B. v. 10.09.2010, 2 B 97/09; VGH Baden-Württemberg, U. v. 16.09.2010, DL 16 S 579/10; alle juris).
- 20
Erst bei Würdigung der Gesamtpersönlichkeit des Beamten lässt sich mit der gebotenen Sicherheit beurteilen, ob der Beamte aus disziplinarrechtlicher Sicht noch erziehbar erscheint oder ob hierfür eine bestimmte Disziplinarmaßnahme als notwendig, aber auch als ausreichend erscheint, oder ob der Beamte für die Allgemeinheit und den Dienstherrn untragbar geworden ist und deshalb seine Entfernung aus dem Beamtenverhältnis geboten ist (vgl. nur: VG Magdeburg, U. v. 04.11.2009, 8 A 19/08 m. w. N.; juris).
- 21
Eine objektive und ausgewogene Zumessungsentscheidung setzt demnach voraus, dass die gegen den Beamten ausgesprochene Disziplinarmaßnahme unter Berücksichtigung der belastenden und entlastenden Umstände des Einzelfalls in einem gerechten Verhältnis zur Schwere des Dienstvergehens und zum Verschulden des Beamten steht und gewisse Besonderheiten des Einzelfalls mildernd zu berücksichtigen sind (vgl. BVerfG, Beschl. v. 08.004, 2 BvR 52/02; BVerwG, U. v. 14.02.2007, 1 D 12.05 mit Verweis auf Urteil vom 20.10.2005, 2 C 12.04; OVG Lüneburg, U. v. 20.11.2009, 6 LD 1/09; VGH Bad.-Württ., U. v. 16.09.2010, DL 16 S 579/10; VG Saarland, U. v. 17.09.2010, 7 K 238/09; alle juris).
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b. b.) Unter diesen rechtlichen Prüfungsvoraussetzungen folgt die Disziplinarkammer nach dem derzeitigen, sich aus der Begründung der Suspendierung, dem Aktenmaterial und dem Vorbringen der Beteiligten ergebenden Sach- und Rechtsstand nicht der von dem Antragsgegner angestellten Prognoseentscheidung. Danach ist gegenwärtig nicht mit der überwiegenden Wahrscheinlichkeit davon auszugehen ist, dass prognostiziert werden kann, bei sich bei Fortgang der Ermittlungen ergibt, dass der Antragsteller ein derart schweres Dienstvergehen begangen hat, welches aufgrund des damit einhergehenden Verlustes des Vertrauens des Dienstherrn oder der Allgemeinheit zu seiner Entfernung aus dem Dienst führt.
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Der Antragsgegner stützt die vorläufige Dienstenthebung maßgeblich darauf, dass der Antragsteller gegen die „Dienstleistungspflicht und die Pflicht zum achtungswürdigen und vertrauensgerechten Verhalten“ verstoßen habe. Ist „Dienstleistungspflicht“ eher in Bezug auf das Erscheinen zum Dienst und die ordnungsgemäße äußere Dienstausübung anzusehen, meint der Antragsgegner wohl die beamtenrechtlichen Grundpflichten nach § 34 Satz 3 Beamtenstatusgesetz (BeamtStG), wonach das Verhalten des Beamten der Achtung und dem Vertrauen gerecht werden muss, die der Beruf erfordert (Wohlverhaltenpflicht). Diese Pflicht ist generell verletzt, wenn der Beamte strafrechtlich in Erscheinung tritt. Ob diese beamtenrechtliche Pflichtverletzung zugleich notwendig zur Entfernung aus dem Dienst führt, hängt maßgeblich von dem strafrechtlichen Unrechtsgehalt der verwirklichten Straftatbestände und dem Umstand ab, ob es sich um inner- oder außerdienstliche Dienstvergehen handelt. Dabei ist nach der Rechtsprechung unter anderem auf den Strafrahmen abzustellen, welcher nach § 22a Abs. 1 Nr. 3 Kriegswaffenkontrollgesetz bis zu 5 Jahren und im Fall des Absatz 3 bis zu 3 Jahren beträgt. Verbreitung, Erwerb und Besitz kinderpornografischer Schriften ist nach § 184b StGB mit bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe belegt.
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c. c.) Dem Disziplinargericht erscheint es auch vor diesem Hintergrund der durchaus im Raum stehenden schweren Dienstpflichtverletzungen nach augenblicklichem Kenntnisstand jedoch nicht hinreichend ausermittelt, dass der Antragsteller diese Straftatbestände auch tatsächlich verwirklicht bzw. die daraus resultierenden Dienstpflichten verletzt hat um mit der notwendigen – eingangs beschriebenen – Wahrscheinlichkeit die verlässliche Prognose der Entfernung aus dem Dienst stellen zu können. Vorliegend hat der Antragsgegner bereits tags nach der Durchsuchung der Diensträume und dem Bekanntwerden des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens das Disziplinarverfahren eingeleitet und die streitbefangene Verfügung erlassen, wobei diese isoliert betrachtet, nicht hinreichend begründet erscheint und gerade keine Abwägung und Prognose beinhaltet. Nur durch die hinzutretenden Ausführungen in dem späteren Bescheid vom 01.09.2014 ist eine hinreichende Begründung gegeben. Während es für die Einleitung eines Disziplinarverfahrens nach § 17 DG LSA ausreicht, dass Tatsachen bekannt werden, die den Verdacht eines Dienstvergehens rechtfertigen (vgl. VG Magdeburg, Urteil v. 13.012, 8 A 7/11; juris) reicht dieser Anfangsverdacht für die nach § 38 DG LSA verhängten Maßnahmen der vorläufigen Dienstenthebung und der Einbehaltung von Bezügen gerade nicht aus. Je weniger der den Verdacht begründende Sachverhalt in seinen Einzelheiten bekannt ist, desto mehr muss mit dem Vorliegen von Ausnahmeumständen gerechnet werden (Hummel/Köhler/Mayer, BDG, 5. Auflage 2012, § 38 Rz. 3). Diese unterschiedlichen Zielrichtungen übersieht der Antragsgegner. Auch wenn er in dem Schriftsatz vom 10.02.2015 ausführt, dass ein Durchsuchungsbeschluss aufgrund einer richterlichen Anordnung ergeht und der Richter den Tatverdacht anhand der Aktenlage prüft und tatsächliche Anhaltspunkte für die Begehung einer Straftat vorliegen müssen, ändert dies nichts an dem andersartigen disziplinarrechtlichen Prognosemaßstab zur Wahrscheinlichkeit des späteren Ausspruchs der Entfernung aus dem Dienst. Anderenfalls könnte gleichsam mit der Einleitung strafrechtlicher Ermittlungen stets die Suspendierung ausgesprochen werden. Gerade dies sieht das Disziplinarrecht nicht vor.
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Der Antragsgegner führt selbst noch in der Antragserwiderung vom (wohl) 19.014 aus, dass man sich bemüht habe, weitere umfangreichere Auskünfte von den Ermittlungsbeamten zu erhalten. Dem Vorschlag der Kriminalpolizei eine schriftliche Anfrage an die Staatsanwaltschaft Hannover zu stellen, wurde unter dem 24.06.2014 gefolgt. Eine Antwort steht aus und der Antragsgegner führt aus, dass er davon ausgehen musste, dass vor Abschluss der Ermittlungen keine Auskünfte erteilt werden. Die sodann vom Antragsgegner gezogene Schlussfolgerung, dass „gleichwohl […] ein weiteres Zuwarten nicht zumutbar [war]“ (Schriftsatz vom 19.014, S. 5 unten), lässt die Abwägung hinsichtlich der Auswirkungen des durch die nach § 38 DG LSA dem Beamten gegenüber vorgenommenen Eingriffe nicht hinreichend erkennen. Denn auch diese im Zeitpunkt des gerichtlichen Verfahrens vorgenommene Abwägung beruht auf Mutmaßungen bzw. nicht belastbaren, weil unreflektiert gegebenen Informationen der Ermittlungsorgane. Der Antragsgegner wertet diese zudem nicht ausreichend und bewegt sich überwiegend im Rahmen der Spekulation. So bezieht sich der Antragsgegner auf eine E-Mail der Kriminalpolizei A-Stadt vom 04.04.2014 (Beiakte A, Bl. 11, f,), wonach im Rahmen der Hausdurchsuchung „eine Vielzahl von Kriegswaffen sichergestellt“ worden seien. Der Kriminalbeamte führt aber weiter aus: „Eine abschließende rechtliche Würdigung dieser Waffen kann erst nach gutachterlicher Stellungnahme erfolgen, da es sich vermutlich ehemals um Dekorationswaffen, bzw. zivile Ausführungen, gehandelt hat. […] Bei den sichergestellten Waffen wurden diese Rückbauten zumindest in Teilbereichen revisioniert – durch Herrn A. -, so dass es wieder zu Teilfunktionen gekommen ist. Ob es wieder zu einer Vollfunktion gekommen ist, bleibt den Gutachtern vorbehalten. Aber auch eine rechtliche Einstufung als Kriegswaffe, trotz Funktionseinschränkungen, wäre denkbar.“ Diese entscheidenden weiteren Ausführungen zu dem Abwarten der Ermittlungs- und Gutachterergebnissen lässt der Antragsgegner vollständig unberücksichtigt. Verwertbar steht bislang allein fest, dass der Antragsteller bei dem Waffenhändler in Essen ein Verschlussteil für ein Maschinengewehr erworben hat. Auch in der E-Mail vom 23.06.2014 (Beiakte A, Bl. 108) geht die PI A-Stadt davon aus, dass erst noch Untersuchungsaufträge erteilt werden müssen. Nach deren Ergebnis hat der Antragsgegner nicht erkundigt.
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Gleiches gilt für den Vorhalt des Verstoßes nach § 184b StGB. Fest steht, dass bei dem Antragsteller im Rahmen eines Zufallsfundes „eine Bilddatei“ mit kinderpornografischen Inhalt gefunden wurde und daraufhin weiter ermittelt wird. Auch hier liegen noch keine Ermittlungsergebnisse vor. Gleichwohl wird in dem Bescheid vom 01.09.2014 ausgeführt, dass auf Nachfrage bei dem Ermittlungsbeamten mitgeteilt worden sei, dass die Auswertung der Datenträger noch andauere, man sich nun mittlerweile in einem „mittleren vierstelligen Bereich bewegen“ würde. Allein der Hinweis darauf, dass der Antragsgegner Kenntnis davon erlangte, das gegen den Antragsteller wegen Kinderpornografie ermittelt wird, reicht als Tatsachengrundlage für eine sachgerechte Prognose, welche Disziplinarmaßnahme zu erwarten ist, gerade nicht aus. Denn dazu müssen Anzahl der Bilder, die Häufigkeit des Herunterladens sowie die in den Bilden und Videos hinsichtlich ihrer Ausführungsart dargestellten sexuellen Handlungen ausgewertet werden (BVerwG, Urteil v. 19.08.2010, 2 C 13.10; vgl. zu einem einmaligen innerdienstlichen Herunterladen kinderpornografischer Inhalte; BayVGH, Urteil v. 17.11.2011, 16a D 10.2504; zusammenfassend: VG Magdeburg, Urteil v. 05.06.2013, 8 A 10/12, alle juris). Allein die Information in der E-Mail der PI A-Stadt vom 23.06.2014 (Beiakte A, Bl. 108) dahingehend, „die Auswertung der Datenträger dauert an; i. S. Kinderpornografie bewegen wir uns mittlerweile im vierstelligen Bereich“ trägt nicht zur Erhellung des im Raume stehenden Vorwurfs bei.
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b.) Die ebenso auf § 38 Abs. 1Satz 2 DG LSA gestützte Suspendierung hält der Überprüfung nach § 61 Abs. 2 DG LSA nicht stand. Auch insoweit bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit. Die vom Antragsgegner angeführten Gründe sind nicht geeignet zu verdeutlichen, dass durch ein Verbleiben des Antragstellers im Dienst der Dienstbetrieb wesentlich beeinträchtig wäre. Die Maßnahme darf mit Blick auf die Bedeutung der Sache und zu erwartende Disziplinarmaßnahme nicht außer Verhältnis stehen. Die pauschale Begründung, die Dienstenthebung rechtfertige sich aus der zu erwartenden Höchstmaßnahme oder eine Weiterbeschäftigung komme bis zum rechtskräftigen Abschluss des Disziplinarverfahrens nicht in Betracht, um eine Gefährdung oder Störung dienstlicher Belange zu vermeiden, genügt nicht. Es bedarf der Darlegung der besonderen Umstände für die Störung des Dienstbetriebes. Die vorläufige Dienstenthebung erweist sich dann als ermessensgerecht und verhältnismäßig, wenn ohne diesen Eingriff der Dienstbetrieb oder die ordnungsgemäße Tätigkeit der Verwaltung durch die Anwesenheit des Beamtenempfindlich gestört oder in besonderem Maße gefährdet wäre (vgl. BVerwG, Beschl. v. 01.09.2000, 1 DB 16.00; Beschl. v. 04.01.1996, 1 DB 16.95; Hummel/Köhler/Mayer, BDG, 5. Auflage 2012, § 38 Rz. 4).
- 28
Vorliegend macht der Antragsgegner zwar diesbezüglich umfassende – oben unter I, wiedergegebene – Ausführungen; gleichwohl tragen diese zur Überzeugung des Gerichts nicht. Denn der Antragsgegner argumentiert pauschal, dass der dem Antragsteller vorgehaltene Unrechtsgehalt der strafrechtlichen Delikte zur Störung des Dienstbetriebes führe. Er unterlässt jedwede konkrete Subsumtion zu den gegebenen Besonderheiten und dem Stadium des Verfahrens, dass konkrete und belastende Ermittlungsergebnisse gerade noch nicht vorliegen.
- 29
Eine wesentliche Beeinträchtigung des Dienstbetriebes ist vor allem dann zu besorgen, wenn auf Grund von Umständen, die mit dem mutmaßlich begangenen Dienstvergehen in Zusammenhang stehen, eine gedeihliche, der Dienstverrichtung dienende Zusammenarbeit mit dem Beamten gefährdet ist und herunter die Aufgabenerledigung ernsthaft leiden kann. Anhaltspunkte hierfür können sich aus den bereits eingetretenen Folgen des mutmaßlichen Dienstvergehens ergeben. Auswirkungen auf den Dienstbetrieb sind weiterhin zu befürchten, wenn aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte mit einer Fortsetzung der Begehung des Dienstvergehens zu rechnen ist (OVG Lüneburg, Beschl. v. 25.03.2013, 19 ZD 4/13, juris).
- 30
So wäre für ein notwendiges Fernhalten des Antragstellers vom Dienst von Belang, ob er mit dem dienstlichen Inventar oder aus den dienstlichen Räumen heraus die vorgehaltenen Straftaten begangen hat. Gleiches gilt, wenn zu befürchten ist, dass der Beamte im Dienst aufgrund der ihm dienstlich zur Verfügung stehenden Mittel erneut auffällig wird. Der Antraggegner geht insoweit von dem Idealfall aus, dass die Taten bewiesen sind und damit zur Stigmatisierung führen. Er berücksichtigt nicht, dass jedwede bekanntgewordenen straf- oder disziplinarrechtlichen Ermittlungen gegen einen Beamten die Gefahr bedeuten, dass diese Tatsachen negative Auswirkungen auf den Dienstbetrieb auch und gerade eines Ministeriums haben. Es ist zwar nicht ausgeschlossen, dass es Fälle gibt, in denen aufgrund der Natur und des Gewichts des vorgeworfenen Dienstvergehens sowie des vom Beamten bekleideten Amtes zugleich ohne weitere Darlegungen eine wesentliche Beeinträchtigung des Dienstbetriebes ersichtlich ist. Diese allgemeine abstrakte Befürchtung ist aber mit dem Tatbestand des § 38 Abs. 1 Satz 2 DG LSA nicht gemeint. Denn ansonsten würden jedwede (strafrechtliche) Ermittlungen die Suspendierung rechtfertigen.
- 31
Hinzu kommt, dass der Antragsgegner die Tatsche der vom Antragsteller vorgenommenen Heimarbeit nicht hinreichend würdigt. Ausweislich des ärztlichen Attestes vom 04.07.2013 befindet sich der Antragsteller wohl für den Zeitraum von zwei Jahren in der Wiedereingliederung mit zwei Präsenstagen in der Woche am Dienstort in B-Stadt und an drei Tagen in Heimarbeit. Danach kann man die Präsenz am Dienstort vernachlässigen. Denn nur in Bezug darauf kann die Störung des Dienstbetriebes ernsthaft gesehen, geprüft und abgewogen werden. Der Antragsgegner argumentiert vielmehr damit, dass der Antragsteller auch in Heimarbeit für ihn tätig werde und gegenüber anderen Stellen auftrete. Diese Argumentation zielt aber darauf, sich vor einem Ansehensverlustes zu schützen, was aber nicht mit der „Störung des Dienstbetriebes“ ohne weiteres gleichzusetzen ist.
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Schließlich berücksichtigt der Antragsgegner nicht hinreichend die weitere Tatbestandsvoraussetzung nach § 38 Abs. 1 Satz 2 DG LSA, nämlich dass die vorläufige Dienstenthebung zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Disziplinarmaßnahme nicht außer Verhältnis steht. Diese Verhältnismäßigkeit kann aber nach den Ausführungen zu § 38 Abs. 1 Satz 1 DG LSA gerade nicht angenommen werden. Denn aufgrund des derzeit offenen und nicht hinreichend bekannten Ergebnisses des Ermittlungsverfahrens, kann der Ausspruch der disziplinarrechtlichen Höchstmaßnahme bei Fortgang der Ermittlungen derzeit gerade nicht mit der notwendigen Wahrscheinlichkeit prognostiziert werden.
- 33
2.) Aufgrund der derzeit fehlenden Wahrscheinlichkeit zum späteren Ausspruch der Entfernung aus dem Dienst, bestehen auch hinsichtlich der nach § 38 Abs. 2 DG LSA verfügten Einbehaltung der Dienstbezüge ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit im Sinne des § 61 Abs. 2 DG LSA, was zur Aufhebung führt. Dazu darf bemerkt werden, dass die Ausschöpfung der vom Gesetz vorgegeben Obergrenze von 50 % auch unter Beachtung der fehlenden Mitwirkung des Beamten zur Offenlegung seiner finanziellen Situation unter Gründen der Verhältnismäßigkeit als grenzwertig anzusehen ist. Denn der Einbehaltung darf kein Strafcharakter zukommen.
- 34
3.) Abschließend weist das Gericht darauf hin, dass der Dienstherr den durch die Einleitung des Disziplinarverfahren zur Kenntnis gelangten Lebenssachverhalt stetig unter Kontrolle zu halten, das Disziplinarverfahren daher zügig zu betreiben und abzuschließen oder wegen der strafrechtlichen Ermittlungen auszusetzen und auch die Voraussetzungen der vorläufigen Dienstenthebung und Einbehaltung der Dienstbezüge aktuell zu prüfen hat (vgl. § 38 Abs. 4 DG LSA). Dies bedeutet gerade, dass es bei Fortgang der Ermittlungen und Bekanntgabe deren Ergebnisse nicht ausgeschlossen erscheint, die sodann verlässliche Prognose der Voraussetzungen nach § 38 Abs. 1 DG LSA zu stellen und eine erneute Verfügung zu erlassen.
(1) Die für die Erhebung der Disziplinarklage zuständige Behörde kann einen Beamten gleichzeitig mit oder nach der Einleitung des Disziplinarverfahrens vorläufig des Dienstes entheben, wenn im Disziplinarverfahren voraussichtlich auf Entfernung aus dem Beamtenverhältnis oder auf Aberkennung des Ruhegehalts erkannt werden wird oder wenn bei einem Beamten auf Probe oder einem Beamten auf Widerruf voraussichtlich eine Entlassung nach § 5 Abs. 3 Satz 2 dieses Gesetzes in Verbindung mit § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 oder § 37 Abs. 1 Satz 1 des Bundesbeamtengesetzes erfolgen wird. Sie kann den Beamten außerdem vorläufig des Dienstes entheben, wenn durch sein Verbleiben im Dienst der Dienstbetrieb oder die Ermittlungen wesentlich beeinträchtigt würden und die vorläufige Dienstenthebung zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Disziplinarmaßnahme nicht außer Verhältnis steht.
(2) Die für die Erhebung der Disziplinarklage zuständige Behörde kann gleichzeitig mit oder nach der vorläufigen Dienstenthebung anordnen, dass dem Beamten bis zu 50 Prozent der monatlichen Dienst- oder Anwärterbezüge einbehalten werden, wenn im Disziplinarverfahren voraussichtlich auf Entfernung aus dem Beamtenverhältnis oder auf Aberkennung des Ruhegehalts erkannt werden wird. Das Gleiche gilt, wenn der Beamte im Beamtenverhältnis auf Probe oder auf Widerruf voraussichtlich nach § 5 Abs. 3 Satz 2 dieses Gesetzes in Verbindung mit § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 oder § 37 Abs. 1 Satz 1 des Bundesbeamtengesetzes entlassen werden wird.
(3) Die für die Erhebung der Disziplinarklage zuständige Behörde kann gleichzeitig mit oder nach der Einleitung des Disziplinarverfahrens anordnen, dass dem Ruhestandsbeamten bis zu 30 Prozent des Ruhegehalts einbehalten werden, wenn im Disziplinarverfahren voraussichtlich auf Aberkennung des Ruhegehalts erkannt werden wird.
(4) Die für die Erhebung der Disziplinarklage zuständige Behörde kann die vorläufige Dienstenthebung, die Einbehaltung von Dienst- oder Anwärterbezügen sowie die Einbehaltung von Ruhegehalt jederzeit ganz oder teilweise aufheben.
Tenor
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 6. März 2009 - 7 L 23/09 - wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragstellerin.
Gründe
zur Maßgeblichkeit des Zeitpunkts der gerichtlichen Entscheidung vgl. BayVGH, Beschluss vom 13.11.2008 - 16b DS 08.704 - zitiert nach Juris
vgl. BVerwG, Beschluss vom 24.10.2002 - 1 DB 10/02 - zitiert nach Juris; BayVGH, Beschluss vom 15.3.2007 - 16 DS 06.3292 - zitiert nach Juris und OVG des Saarlandes, Beschluss vom 6.9.2007 - 7 B 346/07 -.
vgl. zum gleichlautenden § 13 BDG: BVerwG, Urteil vom 20.10.2005 - 2 C 12.04 -, BVerwGE 124 252ff., BVerwG, Urteil vom 3.5.2007 - 2 C 9/06 -, zitiert nach Juris.
vgl. dazu allgemein BVerwG, Urteil vom 22.10.2005, a.a.O.,
vgl. BVerwG, Urteil vom 20.10.2005, a.a.O., BVerwG, Urteil vom 10.1.2007 - 1 D 15.05 -, ZBR 2009, 160 f., BVerwG, Urteil vom 3.5.2007 a.a.O..
vgl. BVerwG, Urteil vom 3.5.2007, a.a.O..
BVerwG, Urteil vom 10.1.2007, a.a.O. und BVerwG, Urteil vom 3.5.2007, a.a.O..
BVerwG, Urteil vom 10.1.2007, a.a.O..
BVerwG, Urteil vom 10.1.2007, a.a.O..
vgl. nur BVerwG, Urteil vom 10.1.2007, a.a.O..
Gründe
- 1
Der zulässige Antrag ist begründet.
- 2
Nach § 38 Abs. 1 Satz 1 DG LSA kann die für die Erhebung der Disziplinarklage zuständige Behörde einen Beamten gleichzeitig mit oder nach der Einleitung des Disziplinarverfahrens vorläufig des Dienstes entheben, wenn im Disziplinarverfahren voraussichtlich auf Entfernung aus dem Beamtenverhältnis erkannt wird. Ferner kann die vorläufige Dienstenthebung ausgesprochen werden, wenn durch ein Verbleiben des Beamten im Dienst der Dienstbetrieb oder die Ermittlungen wesentlich beeinträchtigt würden und die vorläufige Dienstenthebung nicht unverhältnismäßig ist (§ 38 Abs. 1 Satz 2 DG LSA). Die Antragsgegnerin stützt sich erkennbar nicht auf letztgenannte Norm, sondern (nur) auf § 38 Abs. 1Satz 1 DG LSA, da ihrer Meinung nach im Disziplinarverfahren voraussichtlich auf Entfernung aus dem Beamtenverhältnis erkannt werden wird.
- 3
Bei der Anordnung der Suspendierung handelt es sich nicht um eine Disziplinarmaßnahme (OVG LSA, B. v. 07.05.2010, 10 M 2/10; juris). Ihre Berechtigung ergibt sich aus dem funktionalen Bedürfnis, noch vor der endgültigen Klärung des Vorliegens eines Dienstvergehens und der abschließenden Entscheidung über die angemessene Maßregelung des Beamten eine den Verwaltungsaufgaben und dem Dienstbetrieb dienende vorübergehende Sicherungsregelung zu treffen.
- 4
1.) Die nach § 61 Abs. 2 DG LSA vom Disziplinargericht vorzunehmende Prüfung ergibt hier, dass die vorläufige Dienstenthebung und die Einbehaltung der Dienstbezüge aufzuheben sind, weil ernstliche Zweifel an ihrer Rechtmäßigkeit bestehen.
- 5
a.) Die auf § 38 Abs. 1 Satz 1 DG LSA gestützte Verfügung über die vorläufige Dienstenthebung muss pflichtgemäßem Ermessen der Einleitungsbehörde entsprechen. Den Beamten auch nur vorläufig vom Dienst zu entheben setzt voraus, dass ein Verbleiben des Beamten im Dienst schlechthin untragbar wäre. Dabei handelt es sich um die denkbar schwerste Sanktion für dienstliche Verfehlungen, welche nach der Rechtsprechung besondere Umstände voraussetzt. Für die konkrete Entscheidung im Einzelfall sind grundsätzlich das dienstliche Bedürfnis an der einstweiligen Fernhaltung des Beschuldigten vom Dienst und dessen Recht auf amtsentsprechende dienstliche Beschäftigung abzuwägen (vgl. dazu. Köhler/Ratz, BDO, 2. Aufl., § 91 Rz. 10: vgl. zum Ganzen: VG Magdeburg, Beschl. v. 10.02.2007, 8 B 22/06; Beschl. v. 03.03.2010, 8 B 21/09; juris).
- 6
Nach § 61 Abs. 2 DG LSA ist die vorläufige Dienstenthebung dann aufzuheben, wenn ernstliche Zweifel an ihrer Rechtmäßigkeit bestehen. Ernstliche Zweifel sind schon dann anzunehmen, wenn im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts offen ist, ob die Anordnung nach § 38 Abs. 1 DG LSA rechtmäßig oder rechtswidrig ist (vgl. nur: Bay. VGH, Beschl. v. 11.04.2012, 16b DC 11.985; OVG Lüneburg Beschluss vom 13.5.2005, 3 ZD 1/05; alle juris). Neben der formellen Rechtmäßigkeit der Anordnung ist somit zu prüfen, ob die in der Anordnung liegende Prognose gerechtfertigt ist, der Beamte werde im Disziplinarverfahren voraussichtlich aus dem Dienst entfernt werden. Diese Prognose kann demnach nur dann gestellt werden, wenn nach dem Kenntnisstand im Eilverfahren die Möglichkeit der Höchstmaßnahme überwiegend wahrscheinlich ist. Ist es dagegen zumindest ebenso wahrscheinlich, dass eine Entfernung des Beamten aus dem Beamtenverhältnis im Disziplinarverfahren nicht erfolgen wird, sind ernstliche Zweifel durch das Gericht zu bejahen (BVerwG, Besch. v. 16.07.2009, 2 AV 4.09; BayVGH, Beschl. v. 20.04.2011, 16b DS 10.1120;Sächs. OVG, B. 19.08.2010, D 6 B115/10 mit Verweis auf Beschluss vom 08.07.2010, D6A116/10; alle juris; Müller, Grundzüge des Beamtendisziplinarrechts, § 38 Abs. 1 BDG, 2010, Rz. 370 m. w. N.; GKÖD, Disziplinarrecht des Bundes und der Länder, § 38 BDG, Rz. 51). Diese Prognoseentscheidung beinhaltet eine vom Gericht vorzunehmende summarische Prüfung des zurzeit bekannten Sachverhaltes und eine daran orientierte Wahrscheinlichkeitsprognose. Hinsichtlich des zur Last gelegten Dienstvergehens genügt, dass der Beamte dieses Dienstvergehen mit einem hinreichenden Grad an Wahrscheinlichkeit begangen hat; nicht erforderlich ist, dass das Dienstvergehen bereits in vollem Umfang nachgewiesen ist (vgl. BVerwG, Beschl. v. 29.09.1997, 2 WDB 3.97; OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 22.09.2009, 83 DB 1.09; OVG des Saarlandes, Beschl. v. 17.06.2009, 6 B 289/09; alle juris). Die Beurteilung im Verfahren nach § 61 DG LSA erfordert keine gesonderten Beweiserhebungen, sondern ist in der Lage, in der sich das Disziplinarverfahren jeweils befindet, anhand der bis dahin zu Tage getretenen Tatsachen zu treffen. Insoweit können u. U. selbst durch Aktenvermerke untermauerte Erkenntnisse ausreichen (vgl. Müller a. a. O). Dabei ist auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abzustellen (BVerwG, Besch. v. 22.07.2002, 2 WDB 1.02; OVG Berlin-Brandenburg; Beschl. v. 18.08.2005, 80 SN 1.05; Bay VGH, Beschl. v. 11.04.2012, 16b DCV 11.985; alle juris). Jedoch muss für die gerichtliche Überprüfung der vorläufigen Dienstenthebung maßgeblich auf die von dem Dienstherrn in dem Bescheid herangezogenen Pflichtenverletzungen abgestellt werden. Diese können durch das Disziplinargericht im Rahmen der Würdigung durch Akteninhalte und sonstige - evtl. auch später, im Laufe des Verfahrens nach § 61 DG LSA hinzutretende - Erkenntnisse untermauert werden, um anhand dessen die Rechtsmäßigkeit der Prognoseentscheidung zu beurteilen.
- 7
b.) Welche Disziplinarmaßnahme im Einzelfall erforderlich ist, richtet sich gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 und 3 DG LSA nach derSchwere des Dienstvergehens und des unter Berücksichtigung der Persönlichkeit des Beamten eingetretenen Umfangs der durch das Dienstvergehen herbeigeführten Vertrauensbeeinträchtigung. § 13 Abs. 2 DG LSA bestimmt, dass ein Beamter, der durch ein schweres Dienstvergehen das Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit endgültig verloren hat, aus dem Beamtenverhältnis zu entfernenist (Satz 1). Die Feststellung des verloren gegangenen Vertrauens ist verwaltungsgerichtlich voll inhaltlich nachprüfbar (Satz 2).
- 8
Demnach ist maßgebendes Bemessungskriterium für die Bestimmung der Disziplinarmaßnahme die Schwere des Dienstvergehens. Sie beurteilt sich zum einen nach der Eigenart und Bedeutung der verletzten Dienstpflichten, Dauer und Häufigkeit der Pflichtenverstöße und den Umständen der Tatbegehung (objektive Handlungsmerkmale) und zum anderen nach Form und Gewicht des Verschuldens und den Beweggründen des Beamten für sein pflichtwidriges Verhalten (subjektive Handlungsmerkmale) sowie nach den unmittelbaren Folgen der Pflichtenverstöße für den dienstlichen Betrieb und für Dritte (vgl. zum gleichlautenden § 13 BDG, BVerwG, Urt. v. 20.10.2005, 2 C 12.04; Urt. v. 03.05.2007, 2 C 9.06; B. v. 10.09.2010, 2 B 97/09; VGH Baden-Württemberg, U. v. 16.09.2010, DL 16 S 579/10; alle juris).
- 9
Erst bei Würdigung der Gesamtpersönlichkeit des Beamten lässt sich mit der gebotenen Sicherheit beurteilen, ob der Beamte aus disziplinarrechtlicher Sicht noch erziehbar erscheint oder ob hierfür eine bestimmte Disziplinarmaßnahme als notwendig, aber auch als ausreichend erscheint, oder ob der Beamte für die Allgemeinheit und den Dienstherrn untragbar geworden ist und deshalb seine Entfernung aus dem Beamtenverhältnis geboten ist (VG Magdeburg, U. v. 04.11.2009, 8 A 19/08 m. w. N.; juris).
- 10
Eine objektive und ausgewogene Zumessungsentscheidung setzt demnach voraus, dass die gegen den Beamten ausgesprochene Disziplinarmaßnahme unter Berücksichtigung der belastenden und entlastenden Umstände des Einzelfalls in einem gerechten Verhältnis zur Schwere des Dienstvergehens und zum Verschulden des Beamten steht und gewisse Besonderheiten des Einzelfalls mildernd zu berücksichtigen sind (vgl. BVerfG, Beschl. v. 08.12.2004, 2 BvR 52/02; BVerwG, U. v. 14.02.2007, 1 D 12.05 mit Verweis auf Urteil vom 20.10.2005, 2 C 12.04; OVG Lüneburg, U. v. 20.11.2009, 6 LD 1/09; VGH Bad.-Württ., U. v. 16.09.2010, DL 16 S 579/10; VG Saarland, U. v. 17.09.2010, 7 K 238/09; alle juris).
- 11
2.) Unter diesen rechtlichen Prüfungsvoraussetzungen vermag die Disziplinarkammer nach dem derzeitigen sich aus der Begründung der Suspendierung, dem Aktenmaterial und dem Vorbringen der Beteiligten ergebenden Sach- und Rechtsstand nicht mit der gebotenen Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass der Antragsteller ein derart schweres Dienstvergehen begangen hat, welches dazu geführt hat, dass das Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit endgültig verloren ist.
- 12
a.) Die Antragsgegnerin stützt die vorläufige Dienstenthebung maßgeblich darauf, dass der Antragsteller gegen die ihm obliegende beamtenrechtliche Pflicht zu einem achtungs- und vertrauensvollen Verhalten (§ 34 Satz 3 Beamtenstatusgesetz [BeamtStG]) verstoßen habe. Der Antragsteller habe dem Polizeiarzt gegenüber im Jahr 2008 angegeben, regelmäßig Cannabis geraucht zu haben. Die damals erstellten Laborbefunde hätten diese Aussage bestätigt. Nach der letztmaligen Vorstellung im Polizeiärztlichen Zentrum am 29.12.2008 seien die Laborbefunde des Antragstellers hinsichtlich des Gebrauchs illegaler Drogen nicht mehr auffällig gewesen. Am 15.09.2011 habe es beim Antragsteller dagegen einen positiven Screeningbefund auf Cannabinoide und auf Benzodiazepin gegeben. Dies habe sich unter dem 20.10.2011 bestätigt.
- 13
Daraus schlussfolgert die Antragsgegnerin, um illegale Drogen zu konsumieren, müssten diese zunächst erworben werden. Der unerlaubte Erwerb von Betäubungsmitteln sei nach § 29 Abs. 1 Ziff. 1 Betäubungsmittelgesetz (BtMG) strafbar. Ein Polizeibeamter, der unerlaubt Betäubungsmittel erwerbe, um diese zu konsumieren, zerstöre regelmäßig das Vertrauensverhältnis, welches für die ordnungsgemäße Aufgabenerfüllung unerlässlich sei. Allein die Umstände der Drogenbeschaffung, die ohne Kontakte in die einschlägige Szene nicht möglich seien, begründen den Verdacht, dass das außerdienstliche Verhalten des Antragstellers in besonderem Maße geeignet sei, das Vertrauen in eine für das Amt eines Polizeibeamten bedeutsamen Weise zu beeinträchtigen. Der Polizeibeamte habe für die Einhaltung der Gesetze einzustehen. Ein derartiges Versagen im Kernbereich beamtenrechtlicher Dienstpflichten sei daher geeignet, die für eine weitere Zusammenarbeit mit dem Beamten erforderliche Vertrauensgrundlage völlig zu zerstören. Deshalb bestehe eine hinreichende Wahrscheinlichkeit, dass der Antragsteller aus dem Beamtenverhältnis entfernt werde. Aus diesen Gründen sei der Antragsteller vorläufig des Dienstes zu entheben.
- 14
Die sodann unter dem 19.03.2012 verfügte teilweise Einbehaltung der Dienstbezüge nach § 38 Abs. 2 DG LSA wird mit der vorläufigen Dienstenthebung vom 29.02.2012 begründet. Angesichts der bei der Durchsuchungsmaßnahme in den Wohnräumen des Antragstellers beschlagnahmten Sachen und Gegenstände sei die Verneinung eines kriminellen Milieus nicht zu begründen. Es folgt sodann eine Berechnung des finanziellen monatlichen Bedarfs. Dafür notwendige Belege habe der Antragsteller nicht vorgelegt.
- 15
Am 11.08.2011 fand auf den Beschluss des Amtsgerichts Quedlinburg am 04.08.2011 die Durchsuchung der Wohnung des Antragstellers statt. Dabei wurden u. a. eine sog. Indoorplantage mit 8 Cannabispflanzen und diverse Produkte vorgefunden, die unter das Betäubungsmittelgesetz fallen. Wegen des genauen Umfangs der beschlagnahmten Sachen wird auf den Inhalt der Beiakte A verwiesen. Der Antragsteller weist die darauf beruhenden Vorwürfe von sich; sein Mitbewohner, Herr E., erklärte insoweit bei seiner Beschuldigtenvernehmung, der Antragsteller habe sein Handeln lediglich toleriert. Am 03.04.2012 hat die Staatsanwaltschaft Magdeburg beim Amtsgericht Quedlinburg die Zulassung und Eröffnung des Hauptverfahrens wegen unerlaubten gemeinschaftlichen Anbau und unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln erhoben.
- 16
b.) Im Fall eines Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz geht die disziplinarrechtliche Rechtsprechung bei der Bemessung der Disziplinarmaßnahme davon aus, dass der Beamte, der an den staatlichen Zielen, den Auswirkungen des zunehmenden Rauschgiftkonsums vorzubeugen und so unabsehbare Gefahren für den Einzelnen und die Allgemeinheit abzuwehren, zuwiderhandelt, eine grob rücksichtslose Haltung gegenüber der Allgemeinheit offenbart. Angesichts der Variationsbreite möglicher Verwirklichungsformen pflichtwidrigen Verhaltens in diesem Bereich wird jedoch das disziplinarrechtliche Gewicht des Dienstvergehens von den besonderen Umständen des Einzelfalls abhängig gemacht (vgl. BVerwG, U. v. 14.12.2000, 1 D 40.99; Urteile vom 07.05.1996, 1 D 82.95 und vom 29.04.1986, 1 D 141.85; vom 25.10.1983, 1 D 37.83, Urteile vom 24.07.2008, DB 16 S 4.07 und vom 06.08.2009, DL 16 S 2974/08; VGH Baden-Württemberg, U. v. 25.02.2010, DL 16 S 2597/09; VG Berlin, U. 22.11.2011, 85 K 11.10 OB; alle juris). Demnach werden in schweren Fällen durchaus die disziplinarrechtlichen Höchstmaßnahmen der Degradierung und die Entfernung aus dem Dienst auszusprechen sein, ohne dass diese jedoch Regelmaßnahme für jedwedes strafbares Handeln nach dem Betäubungsmittelgesetzt (§ 29 BtMG) wären.
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Bei der Bemessung der Disziplinarmaßnahme ist jedoch neben dem objektiven Gehalt des Strafvorwurfes auch zu berücksichtigen, dass der Polizeibeamte wegen seines besonderen Auftrags zur Abwehr von Gefahren und zur Verfolgung von Straftaten einer strengeren Verpflichtung unterliegt. Mit dieser Verpflichtung ist es durchweg unvereinbar, wenn ein Polizeibeamter - auch außerhalb des Dienstes - gegen Strafvorschriften verstößt, die wichtige Gemeinschaftsbelange schützen sollen und damit einem besonderen staatlichen Anliegen dienen. Das Vertrauen des Dienstherrn in seinen Beamten, der die Aufgabe, Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz wegen der genannten Gefahren abzuwenden und zu verhindern, nicht nur nicht erfüllt, sondern im Gegenteil mit seinem Verhalten Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz fördert und somit die abzuwehrenden Gefahren steigert, ist empfindlich, wenn nicht gar endgültig zerstört (vgl.: OVG NRW, U. v. 16.12.1998, 6 d 4674/97.O; juris).
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c.) Der Dienstherr rechtfertigt hier - wie oben dargelegt - die vorläufige Dienstenthebung nach § 38 Abs. 1 Satz 1 DG LSA allein damit, dass ihm der zur Entfernung führende unerlaubte, weil strafbare,Erwerb von Betäubungsmitteln vorzuhalten sei. Die diesem pauschalen Vorwurf zugrunde liegenden Erkenntnisse vermögen nach den dargestellten Gründen und der Problematik der Vielschichtigkeit der möglichen Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz bislang die Entfernung aus dem Dienst nicht zwangsläufig zu tragen.
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Die Antragsgegnerin bezieht ihre Kenntnisse maßgeblich aus den Angaben des Antragstellers gegenüber dem Polizeiarzt, wonach der Antragsteller regelmäßigen Cannabiskonsum im Jahr 2008 angegeben habe und im Jahre 2011 positive Screeningbefunde vorgelegen hätten. Dies allein begründet jedoch für sich genommen nicht perse ein schweres Dienstvergehen, zumal die vom Antragsteller konsumierte Menge, die Konsumdauer und das Konsumverhalten nicht einmal bekannt sind. Zwar ist u. a. der unerlaubte Anbau und Erwerb mit Strafe beschwert (§ 29 Abs. 1 bis 3 BtMG). Der individuelle Unrechts- und Schuldgehalt einer solchen Tat ist jedoch von den Umständen des Einzelfalles abhängig und kann zum Absehen von Strafe bzw. der Verfolgung (§§ 29 Abs. 5, 31a Abs. 1 BtMG) führen (vgl. dazu Richtlinie zur Anwendung des § 31a Abs. 1 Betäubungsmittelgesetzt und zur Bearbeitung von Ermittlungsverfahren in Strafsachen gegen Betäubungsmittelkonsumenten, JMBl. LSA 2008, S. 245). Der Antragsgegnerin kann auch nicht vollends darin gefolgt werden, dass dem Konsum stets eine illegale Beschaffung der Substanzen im kriminellen Milieu vorangegangen sein muss. Dazu ist bereits das Tatbestandsmerkmal der „Beschaffung“ etwa in § 29 Abs. 1 Nr. 1 und 3 BtMG zu vielschichtig. So mag - unabhängig von der strafrechtlichen Relevanz - ein Konsum auch im Freundeskreis oder auf sonstigem Wege möglich sein, woraus sich nicht unmittelbar und unabdingbar ein kriminelles Milieu ergibt. Gerade diese Begleitumstände, also die Variationsbreite der Verstöße gegen das Betäubungsmittelrecht gilt es im Disziplinarverfahren aufzuklären und zu würdigen. Jedenfalls - und das ist entscheidend - lassen sich die diesbezüglichen Vorwürfe auch nicht mit den aufgrund der strafrechtlichen Ermittlungen gewonnenen Erkenntnissen untermauern. Die Antragsgegnerin stützt die vorläufige Dienstenthebung auch nicht darauf. Die beiden streitbefangenen Verfügungen sind insoweit äußerst begründungsarm. So ist die vorläufige Dienstenthebung nicht etwa auf das dem Beamten gegenüber geführte anhängige strafrechtliche Ermittlungsverfahren, welches in der Folgezeit zur Beantragung der Zulassung der Anklage vor dem Amtsgericht Quedlinburg geführt hat, gestützt. Zwar findet sich in der Verfügung zur Einbehaltung der Dienstbezüge vom 19.03.2012 ein Hinweis auf die bei der Durchsuchungsmaßnahme in den Wohnräumen des Beamten beschlagnahmten Sachen und Gegenstände, woraus sich das „kriminelle Milieu“ ergeben würde. Das Disziplinargericht hat zwar keinen Zweifel daran, dass die Feststellungen im Rahmen der Durchsuchung der gemeinsam mit einem weiteren Angeschuldigten genutzten Wohnung disziplinarrechtlich ebenso beachtlich wie die zwischenzeitlich erhobene Anklage sind. Aber auch unter Berücksichtigung dieser, über die Begründung der Verfügung der vorläufigen Dienstenthebung hinausgehenden Erkenntnisse, die eine weitere Qualität im Sinne der Variationsbreite des disziplinarrechtlich zu wertenden Pflichtenverstoßes darstellen, vermag das Disziplinargericht nicht mit der erforderlichen hinreichenden Wahrscheinlichkeit von einer Entfernung aus dem Beamtenverhältnis auszugehen.
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Denn die in der Rechtsprechung zu findenden Fallgestaltungen hinsichtlich der Variationsbreite der Schwere der Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz rechtfertigen eine vorläufige Dienstenthebung bzw. die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis etwa (erst) dann, wenn es sich um den Konsum „harter“ Drogen (VG Berlin, Urteil v. 22.11.2011, 85 K 11.10 OB; OVG Berlin, Beschluss v. 16.04.1992, 4 S 11.92; beide juris) handelt und/oder der Beamte eine beachtliche Drogenkarriere zurückgelegt hat, der Beamte etwa in die Beschaffungskriminalität abgleitet oder sich als Dealer betätigt (BVerwG, Urteil v. 13.07.1999, 2 WD 4.99; OVG Rheinl.-Pfalz, Urteil v. 30.06.2003, 3 A 10767/03; VG Berlin, Urteil v. 04.10.2011, 80 K 6.11 OL; alle juris) oder aufgrund der Einheitlichkeit des Dienstvergehens weitere Pflichtenverstöße hinzugetreten sind (OVG Lüneburg, Urteil v. 22.06.2010, 20 LD 7/08; VG Berlin, Urteil v. 13.02.2006, 80 A 27.05; alle juris). Die Vergleichbarkeit mit diesen Fallgestaltungen ist vorliegend nicht gegeben. Es gilt die weiteren Ermittlungen bzw. das Strafverfahren im weiter anhängigen behördlichen Disziplinarverfahren abzuwarten. Insoweit steht es dem Dienstherrn frei, bei einer veränderten Erkenntnislage eine erneute Suspendierung auszusprechen (vgl. § 122 Abs. 1, 121 VwGO).
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3.) Dementsprechend ist mangels rechtlicher Voraussetzungen nach § 38 Abs. 2 DG LSA auch die Einhaltung der Dienstbezüge abzuheben.
Tenor
Unter Abänderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts des Saarlandes vom 8. März 2011 - 7 L 29/11 - wird die Anordnung der vorläufigen Dienstenthebung des Antragstellers und Einbehaltung von 50 % seiner monatlichen Dienstbezüge durch den Bescheid vom 20.12.2010 ausgesetzt.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsgegner.
Gründe
(1) Die Entscheidung über eine Disziplinarmaßnahme ergeht nach pflichtgemäßem Ermessen. Die Disziplinarmaßnahme ist nach der Schwere des Dienstvergehens zu bemessen. Das Persönlichkeitsbild des Beamten ist angemessen zu berücksichtigen. Ferner soll berücksichtigt werden, in welchem Umfang der Beamte das Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit beeinträchtigt hat.
(2) Ein Beamter, der durch ein schweres Dienstvergehen das Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit endgültig verloren hat, ist aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen. Dem Ruhestandsbeamten wird das Ruhegehalt aberkannt, wenn er als noch im Dienst befindlicher Beamter aus dem Beamtenverhältnis hätte entfernt werden müssen.
Gründe
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Die Beschwerde des Beklagten hat mit der Maßgabe Erfolg, dass der Rechtsstreit gemäß § 133 Abs. 6 VwGO, § 69 BDG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückzuverweisen ist. Die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO liegen vor, weil das Berufungsurteil auf der vom Beklagten geltend gemachten Verletzung seines Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs gemäß Art. 103 Abs. 1 GG beruht.
- 2
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Der Beklagte, ein Bundesbahnobersekretär, wurde im Jahr 1999 wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr und im Jahr 2001 wegen Urkundenfälschung in Tateinheit mit versuchtem Betrug jeweils zu einer Geldstrafe verurteilt. Im Jahr 2003 wurde gegen den Beklagten wegen Urkundenfälschung in Tatmehrheit mit 13 sachlich zusammenhängenden Fällen des Missbrauchs von Scheck- und Kreditkarten eine Gesamtfreiheitsstrafe von acht Monaten verhängt, die zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die jeweils sachgleichen Disziplinarverfahren wurden eingestellt (§ 27 BDO und § 32 Abs. 1 Nr. 3 BDG). Im November 2006 wurde der Beklagte wegen versuchten Betrugs in zwei Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit Urkundenfälschung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 11 Monaten verurteilt, die nicht zur Bewährung ausgesetzt wurde. Auf die sachgleiche Disziplinarklage erkannte das Verwaltungsgericht wegen eines außerdienstlichen Dienstvergehens auf Entfernung aus dem Beamtenverhältnis. Der Verwaltungsgerichtshof hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen.
- 3
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1. Art. 103 Abs. 1 GG gewährleistet den Verfahrensbeteiligten das Recht, sich nicht nur zu dem der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt, sondern auch zur Rechtslage zu äußern, und verpflichtet das Gericht, den Vortrag der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Dabei kann es in besonderen Fällen auch geboten sein, die Verfahrensbeteiligten auf eine Rechtsauffassung hinzuweisen, die das Gericht der Entscheidung zugrunde legen will. Es kann im Ergebnis der Verhinderung eines Vortrags zur Rechtslage gleichkommen, wenn das Gericht ohne vorherigen Hinweis auf einen rechtlichen Gesichtspunkt abstellt, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter selbst unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen nicht zu rechnen brauchte. Allerdings ist zu beachten, dass das Gericht grundsätzlich weder zu einem Rechtsgespräch noch zu einem Hinweis auf seine Rechtsauffassung verpflichtet ist. Auch wenn die Rechtslage umstritten oder problematisch ist, müssen daher die Verfahrensbeteiligten grundsätzlich alle vertretbaren rechtlichen Gesichtspunkte von sich aus in Betracht ziehen und ihren Vortrag darauf einstellen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. Mai 1992 - 1 BvR 986/91 - BVerfGE 86, 133 <144 f.> und Urteil vom 14. Juli 1998 - 1 BvR 1640/97 - BVerfGE 98, 218 <263> jeweils m.w.N.).
- 4
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Nach diesen Grundsätzen war das Berufungsgericht verpflichtet, vor seiner Entscheidung über die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts diesen darauf hinzuweisen, dass es aufgrund der gegen den Beklagten ausgesprochenen Freiheitsstrafe von 11 Monaten bei einem außerdienstlichen Dienstvergehen von der Entfernung aus dem Beamtenverhältnis quasi als Regelmaßnahme ausgehen würde, von der nur bei Vorliegen besonderer, gewichtiger Milderungsgründe abgewichen werden kann. Wie die Ausführungen auf Seite 13 des Berufungsurteils belegen, ist der Verwaltungsgerichtshof der Sache nach davon ausgegangen, dass die Verhängung einer Freiheitsstrafe im Strafverfahren, die nur wenig unterhalb der sich aus § 48 Satz 1 Nr. 1 BBG a.F. (§ 41 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BBG) ergebenden Grenze liegt, für das Disziplinarverfahren ohne Weiteres die Dienstentfernung nach sich zieht. Diese Rechtsansicht widerspricht der Rechtsprechung des Disziplinarsenats des Bundesverwaltungsgerichts zur Bedeutung einer im Strafverfahren verhängten Freiheitsstrafe für die Bemessung der Disziplinarmaßnahme im sachgleichen Disziplinarverfahren. Der Disziplinarsenat hat in dem im Berufungsurteil genannten Urteil vom 8. März 2005 (BVerwG 1 D 15.04 - Buchholz 232 § 77 BBG Nr. 24 S. 16) festgestellt, dass wegen der Eigenständigkeit des Disziplinarrechts der strafrechtlichen Einstufung des Falles durch das Strafmaß im eigentlichen Sinne keine präjudizielle Bedeutung für die Bemessung der Disziplinarmaßnahme zukommt. Demnach ist es ausgeschlossen, vom Ausspruch einer Freiheitsstrafe von weniger als einem Jahr zwingend auf die Dienstentfernung zu schließen, ohne weitere bemessungsrelevante Umstände i.S.d. § 13 Abs. 1 BDG in den Blick zu nehmen. Dies gilt zumal in Betrugsfällen, in denen stets eine Abwägung der fallbezogenen erschwerenden und entlastenden Umstände stattzufinden hat, wobei der Höhe des Schadens besondere Bedeutung zukommt (vgl. unten S. 5 f.).
- 5
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Ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter muss auch unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen nicht damit rechnen, dass ein Gericht ohne Hinweis in einer für den Ausgang des Verfahrens entscheidenden Frage von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abweicht. Ausweislich der dem Senat vorliegenden Gerichtsakten bot der Ablauf des gerichtlichen Verfahrens aus Sicht des Beklagten bis zur Zustellung des Berufungsurteils auch keine Veranlassung, die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Bedeutung der im sachgleichen Strafverfahren verhängten Freiheitsstrafe für die Bemessung der Disziplinarmaßnahme anzusprechen und vorsorglich einer Abweichung von diesen Grundsätzen entgegenzutreten. Der Beklagte ist davon überrascht worden, dass das Berufungsgericht die Dienstentfernung in Abweichung von der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ausschließlich auf die verhängte Freiheitsstrafe gestützt hat.
- 6
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Das Berufungsurteil beruht auch auf dem Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht bei Berücksichtigung des Vorbringens, das der Beklagte in der Beschwerdebegründung dargelegt hat, zu einer ihm günstigeren Entscheidung gelangt wäre (vgl. BVerfG, Beschluss vom 8. Februar 1994 - 1 BvR 765, 766/89 - BVerfGE 89, 381 <392 f.>). Hätte das Berufungsgericht den Beklagten vor dem Urteil über seine Erwägungen zur Bedeutung einer Freiheitsstrafe für die Bemessung der Disziplinarmaßnahme in Kenntnis gesetzt, so hätte der Beklagte seinerseits darauf verweisen können, dass diese mit den Grundsätzen des Bundesverwaltungsgerichts zum Verhältnis von Freiheitsstrafe und Bemessung einer Disziplinarmaßnahme gerade nicht in Einklang stehen. Dies hätte dazu führen können, dass das Berufungsgericht seinen Bemessungserwägungen eine mildere Disziplinarmaßnahme als die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis zugrunde gelegt hätte.
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2. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf Folgendes hin:
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Nach der Grundsatzentscheidung des Disziplinarsenats vom 30. August 2000 - BVerwG 1 D 37.99 (BVerwGE 112, 19), die das Leitbild des Beamten als Vorbild für den Rest der Bevölkerung in allen Lebenslagen verabschiedet hat, hat der Senat im Urteil vom 25. März 2010 - BVerwG 2 C 83.08 (zur Veröffentlichung in BVerwGE bestimmt) zwar zur Auslegung gesetzlicher Begriffe wie "besondere Eignung zur Vertrauensbeeinträchtigung" auf das Strafrecht abgestellt. Er hat aber auch in dieser Entscheidung hervorgehoben, dass nur vorsätzlich begangene schwerwiegende Straftaten, die mit einer Freiheitsstrafe geahndet worden sind, auch ohne Bezug auf das konkrete Amt zu einer Ansehensschädigung führen. Wie schwerwiegend eine außerdienstliche Straftat ist, hängt unter anderen von den Umständen des konkreten Einzelfalles (hier versuchter Betrug) und vom Strafrahmen für die verwirklichten Delikte (hier: 5 Jahre im Höchstmaß) ab. Der Senat hat deshalb lediglich für den Ausnahmefall des außerdienstlichen sexuellen Missbrauch eines Kindes gemäß § 176 Abs. 1 StGB (Rn. 18 und LS, a.a.O.) entschieden, dass aufgrund der Schwere eines solchen Dienstvergehens gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 BDG als Richtschnur für die Maßnahmebemessung die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis bzw. die Aberkennung des Ruhegehalts zugrunde gelegt werden kann.
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Bei einem außerdienstlich begangenen Betrug ist die Variationsbreite, in der gegen fremdes Vermögen gerichtete Verfehlungen denkbar sind, zu groß, als dass sie einheitlichen Regeln unterliegen und in ihren Auswirkungen auf Achtung und Vertrauen gleichermaßen eingestuft werden können. Stets sind die besonderen Umstände des Einzelfalls maßgebend. In Fällen des innerdienstlichen Betrugs zum Nachteil des Dienstherrn ist der Beamte in der Regel aus dem Dienst zu entfernen, wenn im Einzelfall Erschwerungsgründe vorliegen, denen keine Milderungsgründe von solchem Gewicht gegenüberstehen, dass eine Gesamtbetrachtung nicht den Schluss rechtfertigt, der Beamte habe das Vertrauen endgültig verloren. Je gravierender die Erschwerungsgründe in ihrer Gesamtheit zu Buche schlagen, desto gewichtiger müssen die Milderungsgründe sein, um davon ausgehen zu können, dass noch ein Rest an Vertrauen zum Beamten vorhanden ist. Erschwerungsgründe können sich z.B. aus Anzahl und Häufigkeit der Betrugshandlungen, der Höhe des Gesamtschadens, der missbräuchlichen Ausnutzung der dienstlichen Stellung oder dienstlich erworbener Kenntnisse sowie daraus ergeben, dass die Betrugshandlung im Zusammenhang mit weiteren Verfehlungen von erheblichem disziplinarischen Eigengewicht, z.B. mit Urkundenfälschungen stehen (Urteile vom 28. November 2000 - BVerwG 1 D 56.99 - Buchholz 232 § 54 Satz 2 BBG Nr. 23; vom 26. September 2001 - BVerwG 1 D 32.00 - Buchholz 232 § 77 BBG Nr. 18 und vom 22. Februar 2005 a.a.O.; Beschluss vom 14. Juni 2005 - BVerwG 2 B 108.04 - NVwZ 2005, 1199 <1200>). Aus der Senatsrechtsprechung lässt sich der Grundsatz ableiten, dass beim einem Gesamtschaden von über 5 000 € die Entfernung aus dem Dienst ohne Hinzutreten weiterer Erschwerungsgründe gerechtfertigt sein kann (Beschluss vom 24. Februar 2005 - BVerwG 1 D 1.05 - juris m.w.N.). Derartige Bemessungsgrundsätze gelten auch für außerdienstliche Betrugsfälle und Veruntreuungen (Urteil vom 24. November 1998 - BVerwG 1 D 36.97 - Buchholz 232 § 54 Satz 3 BBG Nr. 16; Beschluss vom 3. Juli 2007 - BVerwG 2 B 18.07 - Buchholz 235.1 § 69 BDG Nr. 1 Rn. 12).
- 9
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Für die Zumessungsentscheidung müssen weiter die in § 13 Abs. 1 Satz 2 bis 4 BDG genannten Bemessungskriterien ermittelt und mit dem ihnen zukommenden Gewicht eingestellt werden. Insoweit kann von Bedeutung sein, dass der Beklagte nach den tatsächlichen Feststellungen im Berufungsurteil in dem relativ kurzen Zeitraum von der Erhebung der Disziplinarklage vor dem Verwaltungsgericht (Ende Juli 2007) bis zum Berufungsurteil (27. Mai 2009) seinen Schuldenstand von 25 000 € immerhin um 10 000 € reduzieren konnte. Auch sind die Gründe einzubeziehen, die für die Einstellung der früheren Disziplinarverfahren maßgebend waren.
Tenor
Die Berufung der Beamtin gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart - Disziplinarkammer - vom 04. Februar 2010 - ... - wird zurückgewiesen.
Die Beamtin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Gründe
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Für die Rechtsverhältnisse der Beamtinnen auf Zeit und Beamten auf Zeit gelten die Vorschriften für Beamtinnen auf Lebenszeit und Beamte auf Lebenszeit entsprechend, soweit durch Landesrecht nichts anderes bestimmt ist.
Kommt eine Abfindung in Land in Betracht, können die in den Ländern tätigen gemeinnützigen Siedlungsunternehmen im Sinne des Reichssiedlungsgesetzes mit der Beschaffung des Ersatzlands und der Durchführung der Umsiedlung beauftragt werden.
Tatbestand
- 1
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit einer Disziplinarverfügung, womit gegen den Kläger wegen eines Dienstvergehens die Kürzung seiner Dienstbezüge in Höhe von einem Zehntel für die Dauer von sechs Monaten verhängt wurde.
- 2
Der Kläger ist Volljurist und seit dem 01.09.2008 Kanzler der … Universität in C-Stadt (BesGr. B 2 BBesO). Nach § 71 Abs. 3 Hochschulgesetz Sachsen-Anhalt (HSG LSA) wird der Kanzler für die Dauer von acht Jahren zum Beamten auf Zeit ernannt. Die während des Disziplinarverfahrens vom Dienstherrn betriebene beamtenrechtliche Abordnung und Versetzung des Klägers wurde letztendlich gerichtlich aufgehoben (vgl. VG Magdeburg, Urteil v. 13.12.2011, 5 A 56/11 MD und 5 B 26/11 MD, Beschluss des OVG LSA vom 24.04.2012, 1 L 31/12, juris).
- 3
Mit der streitbefangenen Disziplinarverfügung vom 16.03.2011 des Kultusministeriums wird dem Kläger vorgeworfen, dadurch ein Dienstvergehen begangen zu haben, dass er am 13.03., 08.05., 27.10. und 02./03.12.2009 Dienstfahrzeuge der Universität zu privaten Zwecken genutzt habe. Dadurch habe er gegen seine Pflichten aus §§ 34, 35 Satz 2 Beamtenstatutsgesetz (BeamtStG) und § 42 Satz 2 der Landeshaushaltsordnung (LHO) i. V. m. den einschlägigen Richtlinien über die Haltung und Benutzung von Dienstkraftfahrzeugen (Kraftfahrzeugrichtlinien-KfzR) und den dazu ergangenen universitären Festlegungen (Fuhrparkordnung, Rundschreiben) verstoßen. Den Pflichtenverstoß habe er vorsätzlich begangen. Denn als Volljurist und in seiner Funktion als Kanzler und Beauftragter für den Haushalt der Universität sei ihm hinlänglich bekannt, dass Dienstkraftfahrzeuge grundsätzlich nur zur Durchführung dienstlicher Zwecke genutzt werden dürften.
- 4
Weiter wird dem Kläger vorgehalten, Mitarbeiterinnen gemobbt, verbal und sexuell belästigt zu haben. Dadurch habe er gegen seine Pflicht zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten nach § 34 Satz 3 BeamtStG vorsätzlich und schuldhaft verstoßen. Er habe sich der Zeugin D. über einen längeren Zeitraum hinweg körperlich genähert, sie verbal belästigt und unmittelbar deren Umsetzung auf einen anderen Arbeitsplatz betrieben, als sie dem vom Kläger bei einem gemeinsamen Mittagessen am 02.03.2010 geäußerten Wunsch nach „mehr persönlicher Nähe“ nicht entsprochen habe. Auch die Zeugin E. habe bestätigt, dass der Kläger sich ihr ähnlich genähert und sie belästigt habe. Die Grenze zur Pflichtwidrigkeit sei überschritten, wenn ein Beamter gegenüber weiblichen Bediensteten trotz deren eindeutig ablehnender Haltung aus sexuellen Gründen zudringlich werde. Der Kläger habe bewusst während des Dienstes körperlichen Kontakt zu den genannten Zeuginnen gesucht und sie wiederholt umarmt sowie bewusst durch Bemerkungen sexuellen Inhalts belästigt. Gegenüber der Zeugin D. habe der Kläger geschlechtsbezogene Äußerungen und Anspielungen in Bezug auf deren Kleidung getätigt. Dieses Verhalten sei von den Zeuginnen für den Kläger eindeutig erkennbar ausdrücklich verbal und durch Körpersprache abgelehnt und von ihnen als verletzend empfunden worden. Insbesondere die Zeugin D. habe psychisch gelitten. Ein Beamter, der innerhalb des Dienstes Mitarbeiterinnen sexuell belästige, beeinträchtige erheblich sein Ansehen und das der Beamtenschaft, störe erheblich den Dienstfrieden und verletze in schwerwiegender Weise die Würde und Ehre der Betroffenen.
- 5
Den gegen die Disziplinarverfügung eingelegten Widerspruch wies das vormals zuständige Kultusministerium mit Widerspruchsbescheid vom 19.04.2011 mit den Gründen des Ausgangsbescheides als unbegründet zurück.
- 6
Mit der dagegen fristgerecht erhobenen Klage wendet sich der Kläger weiter gegen die Disziplinarverfügung. Das Disziplinarverfahren sei bereits verfahrensfehlerhaft durchgeführt worden. Neben der gegen den Kläger betriebenen beamtenrechtlichen Abordnung und Versetzung sei das Disziplinarverfahren Teil der Mobbing-Kampagne gegen den Kläger, so dass ein objektives, faires und vor allem gesetzeskonformes Disziplinarverfahren nicht geführt worden sei.
- 7
Dem Kläger sei keine vollständige Akteneinsicht durch den Ermittlungsführer gewährt worden. Der am 09.06.2010 zur Akteneinsicht übersandte Disziplinarvorgang sei unvollständig gewesen. Es habe dort die gesamte Korrespondenz zwischen dem AL 4 des Beklagten, Dr. … und dem Bevollmächtigten des Klägers im Zeitraum vom 01.04.2010 bis etwa zum 18.05.2010 und insbesondere das Protokoll über die Besprechung am 15.04.2010 gefehlt. Aufgrund fehlender nachvollziehbarer Unterlagen sei nicht feststellbar, auf welcher Tatsachengrundlage das Disziplinarverfahren eingeleitet worden sei. Es sei insbesondere nicht erkennbar, welche Informationen für die Einleitungsverfügung vom 26.05.2010 ursächlich gewesen seien. Aufgrund des Vermerkes des späteren Ermittlungsführers von etwa Mitte April 2010, wonach „die Gewissheit“ für Dienstvergehen, begründe sich die Befangenheit des Ermittlungsführers, so dass dieser als ungeeignet anzusehen sei und gar nicht zum Ermittlungsführer hätte bestellt werden dürfen. Zudem habe der Ermittlungsführer weitere Verfahrensfehler begangen. In den Zeugenladungen seien das Beweisthema nicht angegeben worden. Dem Kläger und seinem Bevollmächtigten seien die Teilnahme an der Zeugenvernehmung nicht gestattet worden. Das Anwesenheits- und Fragerecht nach § 24 Abs. 4 Disziplinargesetz Sachsen-Anhalt (DG LSA) könne nicht gegen ein nachträgliches Anhörungsrecht nach § 30 DG LSA ausgehebelt werden. Beide Rechte hätten unterschiedliche Zielsetzungen. Dem Wunsch des Bevollmächtigten nicht zu entsprechen, die Zeugenvernehmungen an einem Tag wegen der Anreise aus A-Stadt vorzunehmen, sei eine bewusste Schikane. Die Zeugin D. und der Zeuge Z. seien zum sog. IKAM-Projekt befragt worden, obwohl dies nicht Gegenstand des Disziplinarverfahrens gewesen sei. Schließlich würden die Protokolle über die vom Ermittlungsführer vernommenen Zeugenaussagen nicht den gesetzlichen Anforderungen des § 28 DG LSA genügen. Es fehle an den zwingend in § 168 a Abs. 1 StPO vorgeschriebenen Angaben, so dass die stereotypische Angabe „Auf Frage“ nicht genüge.
- 8
Diese auf der Befangenheit des Ermittlungsführers beruhenden Verfahrensfehler führten zur Rechtswidrigkeit der Disziplinarverfügung. Auch der Widerspruchsbescheid habe diese Verfahrensfehler nicht geheilt. Zudem habe der Staatssekretär im Kultusministerium als Widerspruchsbehörde seinen eigenen Ausgangsbescheid überprüft.
- 9
Die fehlerhaften Beweiserhebungen könnten auch nicht im Gerichtsverfahren geheilt werden. Denn das Recht auf Beweisteilhabe nach § 24 Abs. 4 DG LSA gehe inhaltlich weit über den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs im Verwaltungsverfahren hinaus. Die zwingend notwendig gewesene Teilnahme des Klägers an den Zeugenvernehmungen im behördlichen Verfahren könnten im Gerichtsverfahren nicht nachgeholt werden.
- 10
Hinsichtlich der vorgehaltenen Nutzung der Dienstkraftfahrzeuge zu privaten Zwecken sei festzustellen, dass dies in zahllosen Fällen auch bei anderen Mitgliedern der Universität genau so gewesen sei und der Dienstherr nur bei dem Kläger die Kostenerstattung und eine disziplinarrechtliche Ahndung vornehme. Die vorgeworfenen Fahrten ließen die seinerzeit bei dem Kläger bestandenen persönlichen und beruflichen Umstände außer Betracht. Der als Kanzler viel beschäftigte Kläger sei aus wirtschaftlichen und persönlichen Gründen gezwungen gewesen, in A-Stadt und C-Stadt neue Wohnungen zu finden. Insoweit habe er sich in seinen Mittagspausen zu einem Wohnungsbesichtigungstermin fahren lassen, um seine Dienstgeschäfte nicht unnötig lange unterbrechen zu müssen. Er sei auch auf das Angebot zurückgekommen, ein Schlafsofa von A-Stadt nach C-Stadt transportieren zu lassen. Die Nutzung des Dienstfahrzeuges zu einem Termin als ehrenamtlicher Richter des Landesozialgerichts A-Stadt-B. sei rechtmäßig gewesen. Denn der Kläger habe die Fahrt zugleich für ein Personalvorstellungsgespräch mit einer ehemaligen Kollegin der Filmhochschule Babelsberg genutzt. Die Filmhochschule liege nur wenige hundert Meter vom Gerichtsgebäude entfernt. Die Nutzung der Bahn sei nicht möglich gewesen, da am selben Abend ein Termin der Staatskanzlei stattgefunden habe.
- 11
Die Vorwürfe des Mobbing und der sexuellen Belästigung der Zeuginnen D. und E. beruhten auf Unterstellungen und den bereits gerügten formellen Fehlern. In der Disziplinarverfügung sei nicht hinreichend herausgearbeitet, welches konkrete Verhalten des Klägers zu der in § 3 Abs. 4 AGG definierten sexuellen Belästigung geführt hätten. Der Kläger bestreite mit Nachdruck jedwedes Mobbing und jedwede sexuelle Belästigung der Zeuginnen D. und E., welche nach immerhin eineinhalbjähriger Zusammenarbeit erfolgt sein sollten. Hingegen hätten dienstliche Spannungen ohne jedweden sexuellen Bezug vorgelegen.
- 12
Neben dem Zeitfaktor und der unbeanstandeten eineinhalbjährigen Zusammenarbeit und der plötzlichen Erhebung der Vorwürfe während der unfallbedingten Dienstunfähigkeit des Klägers, sei festzustellen, dass die Verhaltensweisen des Klägers bei Besprechungen und bei einer Fortbildungsveranstaltung in Gegenwart von Dritten vorgenommen seien. Diese Dritten seien jedoch nicht erwähnt oder vernommen worden.
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Die Zeugin D. sei unglaubwürdig und wolle dem Kläger schaden. Dies werde auch dadurch ersichtlich, dass sie in der Zeugenvernehmung, obwohl nicht Gegenstand des Disziplinarverfahrens, zu dem sog. IKAM-Projekt ausgesagt habe.
- 14
Der Kläger beantragt,
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die Disziplinarverfügung des Beklagten vom 16.03.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.04.2011 aufzuheben.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen
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und verteidigt als nach dem 19.04.2011 zuständige Behörde die Disziplinarverfügung und die darin vorgehaltenen Pflichtenverstöße.
- 19
Die vom Kläger bemängelten Verfahrensfehler seien nicht gegeben. Die Akteneinsicht sei vollständig gewährt worden. Die Korrespondenz mit dem AL 4, Dr...., sei kein Bestandteil der Disziplinarakte gewesen. Zudem habe der Kläger diese Korrespondenz selbst geführt. Eine Voreingenommenheit des Ermittlungsführers sei nicht ersichtlich. Der Vermerk des Ermittlungsführers über die Einleitung eines Disziplinarverfahrens sei der damaligen summarischen Prüfung geschuldet gewesen. Der Ermittlungsführer habe den Klägervertreter mit Schreiben vom 26.07.2010 die Protokolle über die Vernehmungen der Zeugen übersandt. Ein eventueller Verstoß gegen die Beweisteilhabe sei somit nach den Grundsätzen der Rechtsprechung jedenfalls geheilt. Denn der Kläger habe somit Gelegenheit gehabt, dazu Stellung zu nehmen und ergänzende Beweisanträge zu stellen, wovon er jedoch keinen Gebrauch gemacht habe. Nach § 24 Satz 2 DG LSA könne der Beamte von der Teilnahme an der Beweiserhebung ausgeschlossen werden, soweit dies aus wichtigen Gründen, insbesondere mit Rücksicht auf den Zweck der Ermittlungen oder zum Schutz der Rechte Dritter erforderlich sei. Diese Gefahr habe vorliegend bestanden. Denn Gegenstand der Zeuginnenvernehmungen sei insbesondere das Verhalten des Klägers als Vorgesetzter ihnen gegenüber gewesen. Dies habe der Ermittlungsführer nachvollziehbar begründet und dem Klagevertreter mitgeteilt. Aus der tatsächlichen Vornahme der Zeugenvernehmungen an mehreren Tagen könne keine Schikane dem Kläger oder seinem Vertreter gegenüber gesehen werden. Von der Zeugenvernehmung P. sei der Kläger nicht ausgeschlossen worden. Richtig seien die Vorgänge zum sog. IKAM-Projekt nicht Gegenstand des Disziplinarverfahrens. Wenn jedoch einzelne Zeugen von sich aus darauf zu sprechen kämen um das Verhalten des Klägers in bestimmten Situationen zu illustrieren oder Persönlichkeitsaspekte zu verdeutlichen, sei dies als Teil der Zeugenaussage zu protokollieren. Schließlich sei die Protokollierung der Zeugenaussagen gem. § 28 DG LSA i. V. m. § 168 a StPO nicht zu beanstanden. Die Angabe in Protokollen „Auf Frage“ sei allgemein üblich und auch nicht zu beanstanden.
- 20
Der Kläger erwidert: Der Ausschluss des Klägers von der Zeugenvernehmung der Zeuginnen D. und E. mit der Begründung diese zu schützen, sei nicht nachvollziehbar. Denn diese hätten durchaus nach Alter und Persönlichkeit und ihrer beruflichen Stellung die Situation verkraften können. Sogar Opfern von Kapitalverbrechern werde zugemutet, in der gerichtlichen Hauptverhandlung in Anwesenheit des Angeklagten auszusagen. Die Zeugin D. werde als „ausgesprochen belastbar und außerordentlich fähige Mitarbeiterin“ sowie als „selbstbewusste Kollegin“ beschrieben. Eine Zeugin mit einem derartigen Persönlichkeitsbild werde mit Sicherheit „nicht psychischen Auswirkungen“ bei einer Zeugenvernehmung in Anwesenheit des Klägers ausgesetzt sein.
- 21
Eine Heilung der fehlerhaften Beweisaufnahme durch Übersendung der Vernehmungsprotokolle sei so der Rechtsprechung nicht zu entnehmen. Der rechtswidrige Ausschluss des Beamten von seinem Anwesenheits- und Fragerecht bei der Zeugenvernehmung im Verwaltungsverfahren sei nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 15.12.2005 (2 A 4/04) allenfalls heilbar im Klageverfahren durch Teilnahme des Beamten an der Beweisaufnahme des Gerichtes (so auch BVerwG, U. v. 27.01.2011, 2 A 5/09 ).
- 22
Das Gericht hat durch Vernehmung der Zeuginnen D. und E. in der mündlichen Verhandlung über das dem Kläger vorgeworfenen Verhalten ihnen gegenüber und durch Vernehmung des Zeugen G. über die Umstände der Nutzung dienstlicher Personenkraftwagen Beweis erhoben. Zum Ergebnis der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll verwiesen.
- 23
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte dieses Verfahrens sowie den der Verfahren 5 B 26/11, 5 A 56/11 und 1 L 31/12 und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge verwiesen. Diese Unterlagen waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidungsfindung.
Entscheidungsgründe
- 24
Die zulässige Klage ist unbegründet. Die streitbefangene Disziplinarverfügung in Gestalt des Widerspruchsbescheides ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 3 DG LSA; § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
- 25
1.) Die Disziplinarverfügung ist nicht bereits aufgrund der vom Kläger gerügten Verfahrensfehler aufzuheben. Denn diese liegen nicht vor bzw. sind geheilt oder sind als reine Ordnungsvorschriften unerheblich. Es liegt kein Verstoß gegen die Grundsätze eines fairen Verfahrens vor.
- 26
Ein schwerer Mangel des behördlichen Disziplinarverfahrens liegt vor, wenn gegen eine Verfahrensvorschrift verstoßen worden ist, deren Verletzung schwerwiegend und für den Ausgang des Verfahrens (noch) von Bedeutung ist. Ein schwerwiegender Verstoß gegen eine Verfahrensvorschrift ist regelmäßig dann gegeben, wenn die Rechte eines Verfahrensbeteiligten wesentlich beeinträchtigt worden sind oder wenn der Verfahrensverstoß den Zweck einer Formvorschrift wesentlich vereitelt; wenn eine vom Gesetzgeber als zwingend ausgestaltete Verfahrensvorschrift, d. h. nicht nur eine reine Ordnungsvorschrift, nicht beachtet wurde. Das Gericht darf eine solche zwingende Vorschrift nicht dadurch "leerlaufen" lassen, dass es ihre Nichtbeachtung als für das Ergebnis des gerichtlichen Disziplinarverfahrens unerheblich einstuft. Vielmehr ist es Aufgabe des Gerichts, die Nachholung einer unterbliebenen Verfahrenshandlung, soweit es das Verfahrensrecht zulässt, herbeizuführen (vgl. BVerwG, Beschluss v. 31.01.2012, 2 WD 4.11; Urteil v. 29.07.2010, 2 A 4.09; Urteil v. 20.10.2005, 2 C 12.04; Beschluss v. 18.11.2008, 2 B 63.08; alle juris).
- 27
Ein Mangel des behördlichen Disziplinarverfahrens ist wesentlich, wenn sich nicht mit hinreichender Sicherheit ausschließen lässt, dass er sich auf das Ergebnis des Disziplinarverfahrens ausgewirkt haben kann (BVerwG, Urteil v. 24.06.2010, 2 C 15.09; juris).
- 28
a.) Soweit der Kläger rügt, dass in der Disziplinarakte nicht die gesamte Korrespondenz zwischen dem AL 4 und dem Bevollmächtigten des Klägers vorhanden sei, führt dies nicht zu einer Verletzung des Rechts auf Akteneinsicht nach § 20 Abs. 4 DG LSA. Die Disziplinarakte ist nicht etwa unvollständig. Denn diese Korrespondenz wurde vom Kläger selbst geführt, so dass bereits nicht ersichtlich ist, weshalb Rechte des Klägers verletzt sein sollten. Soweit der Kläger anscheinend darauf anspielt, dass diese Korrespondenz, die auf Vermeidung eines Disziplinarverfahrens und einer gütlichen Beilegung gerichtet war, deswegen nicht in den Disziplinarvorgang aufgenommen worden sei, um sich von einer Einleitung des Disziplinarverfahrens nicht abhalten zu lassen, ist dies nicht hinreichend nachvollziehbar. Damit ist jedenfalls kein Recht auf Akteneinsicht verletzt. Es geht in diesem Zusammenhang auch nicht darum, dass Geheimakten geführt oder die Einsicht darin verweigert wurde (vgl. zu einem ähnlichen Fall: BVerwG, Urteil v. 29.07.2010, 2 A 4.09; juris).
- 29
b.) Das behördliche Disziplinarverfahren ist formgerecht eingeleitet worden. Entscheidend und gerichtlich nachprüfbar hinsichtlich des behördlichen Disziplinarverfahrens ist nur, ob die Einleitung disziplinarrechtlicher Ermittlungen im Sinne des Disziplinargesetzes angezeigt war und vermerkt wurde. Dies ist durch die Verfügung vom 19.05.2010 und der Mitteilung der Einleitung eines Disziplinarverfahrens an den Kläger unter dem 26.05.2010 rechtsfehlerfrei geschehen.
- 30
Zuständig für die Einleitung ist gem. § 17 Abs. 1 Satz 1 DG der Dienstvorgesetzte des Beamten. Gemäß § 17 Abs. 1 Satz 3 DG LSA ist die Einleitung aktenkundig zu machen. Nach § 20 Abs. 1 Satz 1 DG LSA ist der Beamte über die Einleitung des Disziplinarverfahrens unverzüglich zu unterrichten. Da auch keine gesetzlichen Formerfordernisse für den Aktenvermerk bestehen, ist es erforderlich, aber auch ausreichend, dass der zuständige Dienstvorgesetzte in der Disziplinarakte vermerkt, wenn er die Entscheidung über die Einleitung getroffen hat. Aus den Vermerken müssen sich die inhaltlich unmissverständliche Entscheidung und die Verantwortlichkeit des Dienstvorgesetzten hierfür ergeben. Dieser muss sich den Einleitungsvermerk jedenfalls zu Eigen gemacht haben (BVerwG, Beschluss v. 18.11.2008, 2 B 63.08; juris). Dies hat Staatssekretär … durch Abzeichnung mit Rotstift und ausweislich des Vermerkes des Ermittlungsführers … vom 21.05.2010 unzweifelhaft getan (Beiakte A, Bl. 65).
- 31
Die Vorschrift setzt am Legalitätsprinzip an (BVerwG, Urteil v. 29.07.2010, 2 A 4.09; juris). Danach muss der Verdacht eines Dienstvergehens hinreichend konkret sein und bloße Vermutungen sind nicht ausreichend. Dadurch soll die Sachaufklärung sichergestellt werden. Ermittlungen nach § 17 DG LSA dürfen nur eingeleitet werden, wenn Tatsachen bekannt werden, die den Verdacht eines Dienstvergehens rechtfertigen. Das schließt Ermittlungen aus, durch die erst festgestellt werden soll, ob solche Tatsachen vorliegen. Es genügen also nicht bloße Vermutungen, Gerüchte oder ähnliches (zweifelhaft: anonyme Anzeige). Hinreichende Tatsachen können sich ergeben aus Hinweisen von Verwaltungsangehörigen, Aktenvorgängen, aber auch aus schriftlichen oder mündlichen Mitteilungen von Verwaltungsfremden. Die dem Dienstvorgesetzten bekannt gewordenen Tatsachen müssen den Verdacht eines Dienstvergehens rechtfertigen, d. h., dass eine schuldhafte Pflichtverletzung vorliegen würde, wenn sich die verdächtigten Tatsachen als wahr erweisen würden. Der Verdacht bezieht sich zunächst also nur auf das Vorliegen einschlägiger Tatsachen, über die Rechtsfrage, ob die verdächtigte Tat auch den Tatbestand eines Dienstvergehens erfüllt, muss Gewissheit bestehen (vgl. Thüringer OVG, Urteil v. 06.11.2008, 8 DO 584/07; juris; zusammenfassend: Hummel/Köhler/Mayer, BDG, 4. Auflage 2009, § 17, Rz. 5).
- 32
Richtig verweist der Kläger auf einen undatierten Vermerk des späteren Ermittlungsführers … (Bl. 18, Beiakte A). Daraus ist ersichtlich, dass ein Anfangsverdacht im Sinne des § 17 DG LSA vorgelegen hat. Auch wenn dort nicht explizit genannt ist, aus welchen „bislang vom MK übermittelten Unterlagen i. V. m. der Erörterung vom 25.03.2010“ sich der Verdacht eines Dienstvergehens ergibt, so ist in dem Vermerk doch hinreichend zum Ausdruck gebracht, was dem Kläger zur Last gelegt wird; nämlich die Nutzung des Dienstkraftfahrzeuges und die sexuelle Belästigung von Mitarbeiterinnen. Aufgrund der aus den Akten und dem übereinstimmenden Vorbringen der Beteiligten ersichtlichen zeitlichen Geschehnisse im März 2010, ergeben sich die Tatsachen, die den Verdacht des Dienstvergehens rechtfertigten. Im Anschluss an das Mittagessen zwischen dem Kläger und seiner Mitarbeiterin, der Zeugin D., am 02.03.2010 betrieb der Kläger jedenfalls deren arbeitsplatzmäßige Umsetzung mit der Begründung ihrer Schlechtleistung. Darauf fand am 04.03.2010 ein als Moderation bezeichnetes Gespräch zwischen dem Kläger, der Zeugin D., Herrn …. und Frau … statt. Schließlich nahmen die Dezernenten die unter Teilnahme des Klägers und den Zeuginnen stattgefundene Dezernententagung am 11./12.03.2010 zum Anlass in einem gemeinsamen Brief an den Rektor die Zusammenarbeit mit dem Kläger zu problematisieren, ja aufzukündigen. Nachdem sich Rektor … in einer „Mail“ an den Kläger vom 12.03.2010 „entsetzt“ über die Vorkommnisse zeigte, eröffnete er dem Kläger während des Gesprächs am 15.03.2010 die mögliche Einleitung eines Disziplinarverfahrens aufgrund der Vorkommnisse. Schließlich fand am 18.03.2010 ein Gespräch mit der Konflikt- und Mobbingbeauftragten der Universität statt. Demnach zeigten sich „zureichende tatsächliche Anhaltspunkte“ hinsichtlich des Verdachtes eines Dienstvergehens, die dem Kläger auch bekannt waren.
- 33
Die Voraussetzungen der Nichteinleitung eines Disziplinarverfahrens aufgrund Verjährung oder eines Maßnahmeverbotes (§§ 14, 15 DG LSA) lagen ebenso nicht vor (§ 17 Abs. 2 DG LSA).
- 34
c.) Weder aus § 168 a StPO noch aus sonstigen Verfahrensvorschriften ergibt sich, dass die „Frage“ im Protokoll aufzunehmen ist.
- 35
d.) Zutreffend ist der klägerische Vorwurf, dass der Ermittlungsführer in den ihm übermittelten Ladungen zu den Zeugenvernehmungen zwar die Namen der Zeugen aber nicht das Beweisthema angegeben hat. Nach § 24 Abs. 4 DG LSA ist dem Beamten Gelegenheit zu geben, an der Vernehmung von Zeugen und Sachverständigen sowie an der Einnahme des Augenscheins teilzunehmen und hierbei sachdienliche Fragen zu stellen (Rechte auf Beweisteilhabe). Der Beamte kann das ihm ausdrücklich eingeräumte Fragerecht aber nur dann sachdienlich wahrnehmen, wenn er sich auf die Vernehmung vorbereiten kann. Dies setzt voraus, dass er rechtzeitig erfährt, worum es in der Beweisaufnahme voraussichtlich geht. Hierfür müssen ihm rechtzeitig vor einer Zeugenvernehmung die Namen der Zeugen und die Beweisthemen genannt werden. Dies fordert auch der Anspruch des Beamten auf ein faires Disziplinarverfahren (BVerwG, U. v. 15.12.2005, 2 A 4.04; B. v. 18.11.2008, 2 B 63.08; beide juris).
- 36
Es mag dahinstehen, ob dieser mögliche Verfahrensfehler tatsächlich besteht. Denn dem Kläger war durch die Einleitungsverfügung hinlänglich bekannt, welche Disziplinarvorwürfe ihm gemacht werden und welche Personen diesbezügliche zeugenschaftliche Aussagen machen können, sodass die Angabe des Beweisthemas überflüssig erscheinen mag.
- 37
Den Ausschluss des Beamten von der Anwesenheit während der Zeugenvernehmung aus wichtigen Gründen, insbesondere mit Rücksicht auf den Zweck der Ermittlungen oder zum Schutz der Rechte Dritter, sieht § 24 Abs. 4 Satz 2 DG LSA ausdrücklich vor.
- 38
Die Ausschlussgründe sind aktenkundig zu machen (§ 24 Abs. 4 Satz 3 DG LSA). Dies ist mit Verweis auf die persönliche Betroffenheit der Zeuginnen D. und E. geschehen. Entscheidend ist, dass dem Bevollmächtigten des Klägers nicht die Teilnahme verweigert wurde und die Ermessensentscheidung des Ermittlungsführers über den Ausschluss des Klägers nachvollziehbar ist.
- 39
Abgesehen davon - und dies ist entscheidend - hatte der Ermittlungsführer den - etwaigen - Verstoß gegen das Recht auf Beweisteilhabe unter Angabe des Beweisthemas im behördlichen Disziplinarverfahren geheilt. Denn er hat dem Bevollmächtigten des Klägers die Vernehmungsniederschriften übersandt. Dadurch erhielt der Kläger die Gelegenheit zu den Aussagen der Zeuginnen Stellung zu nehmen und ergänzende Beweisanträge zu stellen. Dann hätte der Ermittlungsführer wohl möglich Zeugen erneut vernehmen müssen (vgl. BVerwG, U. v. 15.12.2005, 2 A 4.04 und B. v. 18.11.2008, 2 B 63.08; beide juris). Der Kläger hat diese Möglichkeit jedoch nicht wahrgenommen. Dementsprechend ist der Kläger – zu diesem Zeitpunkt – im Verfahren gerade nicht nur auf die letztendliche Schlussanhörung nach Abschluss der Ermittlungen (§ 30 DG LSA) angewiesen.
- 40
e.) Die Terminsverlegung der Beweisaufnahme ist im Disziplinargesetz Sachsen-Anhalt selbst nicht geregelt. Über § 3 DG LSA gilt das Verwaltungsverfahrensgesetz und die Verwaltungsgerichtsordnung bzw. die Strafprozessordnung. Nach § 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 227 Abs. 1 Satz 1 ZPO kann ein Termin aus erheblichen Gründen aufgehoben oder verlegt werden. Die Rechtsprechung sieht nur solche Gründe als erheblich an, die zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs eine Zurückstellung des Beschleunigungs- und Konzentrationsgebots erfordern. Wobei die Gründe glaubhaft zu machen sind. Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs liegt nur dann vor, wenn einem Beteiligten trotz zumutbaren eigenen Bemühens die Möglichkeit zur Äußerung verweigert oder abgeschnitten wird. Deshalb begründet allein die Unmöglichkeit an einem Termin teilzunehmen, nicht einen Anspruch auf Aufhebung oder Verlegung. Vielmehr muss sich ein Prozessbevollmächtigter im Rahmen seiner Mitwirkungspflichten bemühen, einen solchen Hinderungsgrund selbst in zumutbarere Weise zu beseitigen (vgl. statt vieler nur: Bay.VGH, Beschluss v. 15.01.2009, 7 ZB 06.3284; m. w. Nachw.; juris).
- 41
All dies ist hinsichtlich der entscheidungsrelevanten Vernehmungen der Zeuginnen D. und E. nicht erkennbar. Der Klägerbevollmächtigte beantragte nur die Verlegung des Termins zur Vernehmung des Zeugen Prof. … wegen eines Termins am Verwaltungsgericht A-Stadt. Der Klägerbevollmächtigte führte aus, dass es sich „hart an der Grenze zur Schikane [bewegt], wenn Sie in Kenntnis des Wohnorts meines Mandanten und meines Kanzleisitzes in A-Stadt an drei aufeinanderfolgenden Tagen die Vernehmung der drei geladenen Zeugen terminieren und damit entweder eine dreimalige Anreise oder zwei Übernachtungen in C-Stadt mit entsprechendem Zeit- und Kostenaufwand verursachen wollen.“ Ähnlich formulierte er unter dem 08.06.2010 die Anhörungen an einem Tag durchzuführen. Einen generellen, unbedingten und eindeutigen Verlegungsantrag kann dem nicht entnommen werden. Dem Verlegungsantrag zur Vernehmung des Zeugen … am 28.07.2010 vom 20.07.2010 (Fax) beantwortete der Ermittlungsführer mit Fax vom 26.07.2010 dahingehend: „Sofern Sie nach Vorstehenden [Protokollübersendung] daran festhalten wollen, der Zeugenanhörung … beizuwohnen, sehe ich Ihrem Hinweis entgegen, damit kurzfristig ein anderer Termin ins Auge gefasst werden kann.“ Der Klägerbevollmächtigt erwiderte mit Fax vom 28.07.2010:„[…] habe ich […] um die Verlegung des Termins […] gebeten, um daran teilnehmen zu können, anderenfalls hätte es bei dem Vernehmungstermin am 28.07.2010 verbleiben können. Ein neuer Termin in meiner Anwesenheit setzt allerdings voraus, dass das Anwesenheits- und Fragerecht meines Mandanten gewahrt wird [….]“. Professor … wurde dann am 28.07.2010 vernommen.
- 42
Der Verlegungsantrag zur Vernehmung des Zeugen … wurde demnach wohl nicht beschieden. Unterstellt, dies hätte „aus wichtigem Grund“ geschehen müssen, liegt gleichfalls keine Verletzung rechtlichen Gehörs vor. Denn ähnlich wie in der Rechtsprechung zu gerichtlichen Verlegungsterminen vertreten, muss dies auch im behördlichen Verfahren gelten. Wird danach ein Antrag auf (gerichtliche) Terminsverlegung nicht beschieden, hat sich der Kläger rechtzeitig durch Rückfrage über die Entscheidung seines Antrages zu informieren. Solange ihm eine Terminsaufhebung nicht mitgeteilt worden ist, muss er davon ausgehen, dass die mündliche Verhandlung stattfindet (BFH, Beschluss v. 20.09.2010, V B 105/09; juris).
- 43
Letztendlich ist auch hier bedeutsam, dass das Protokoll übersandt wurde, was zur, vom Bundesverwaltungsgericht vertretenen, nachträglichen Heilung führt.
- 44
f.) Schließlich und letztendlich hat das Disziplinargericht etwaige Fehler bei der behördlichen Beweisaufnahme durch die eigene gerichtliche Beweisaufnahme geheilt (vgl. zu dieser Möglichkeit ausführlich m. w. Nachw.: VG Magdeburg, Urteil v. 04.11.2009, 8 A 19/08;]; im Ergebnis wohl auch: OVG LSA, Urteil v. 02.12.2010, 10 L 1/10;, beide juris).
- 45
g.) Es ist nicht zu beanstanden, dass der Staatssekretär … im Ausgangs- und im Widerspruchsverfahren entschieden hat.
- 46
Die ausgesprochene Gehaltskürzung nach § 8 DG LSA kann aufgrund § 33 Abs. 3 Nr. 1 DG LSA die oberste Dienstbehörde bis zum Höchstmaß festsetzen. Dienstvorgesetzter des Hochschulkanzlers war bis zum Ressortwechsel im Mai 2011der Kultusminister, danach der Beklagte (§ 110 Abs. 2 HSG LSA in der bis zum 26.07.2010 geltenden Fassung; danach § 46 Abs. 10 HSG LSA). In dem Disziplinarbescheid vom 16.03.2011 handelte der Kultus-Staatssekretär. Daran ist nichts zu erinnern. Denn insoweit ist für die Ausübung der Disziplinarbefugnis entscheidend, dass das Disziplinargesetz in § 33 Abs. 3 Nr. 1 von der „obersten Dienstbehörde“ und nicht wie an anderen Stellen (z. B. §§ 33 Abs. 2; 34 Abs. 2 Satz 1, Alt. 2; 17 Abs. 1 DG LSA) von dem „Dienstvorgesetzten“ spricht. Wer innerhalb der Behörde im Einzelfall zuständig ist, ergibt sich aus dem Disziplinargesetz nicht, so dass auf allgemeine Rechtgrundsätze zurückzugreifen ist (VG Düsseldorf, Beschluss v. 08.03.2006, 38 K 3451/05.BDG; juris). Nach § 7 Abs. 1 Satz 2 des Beschlusses der Landesregierung über die Gemeinsame Geschäftsordnung der Ministerien – Allgemeiner Teil – (GGO LSA) v. 15.03.2005 i. V. m. § 7 Abs. 1 Satz 1 Geschäftsordnung der Landesregierung (GOLReg) und dem Beschluss der Landesregierung über die gegenseitige Vertretung der Minister ist der Staatssekretär der ständige Vertreter des Ministers. Entscheidend ist demnach, dass der Disziplinarbescheid von der Leitungsebene des Ministeriums erlassen wurde (vgl. OVG NRW, Beschluss v. 22.08.2007, 21d A 1624/06.BDG, wonach sogar Mitarbeiter des Personalreferats zeichnungsbefugt seien). Auch bei Unterzeichnung durch den Staatssekretär ergeht die Entscheidung durch den Minister (BVerwG, Beschluss v. 29.01.2008, 1 WB 4.07; Beschluss v. 15.08.1972, 1 DB 10.72; beide juris). Hier kommt hinzu, dass das Verfahren stets auf der Leitungsebene geführt wurde und die Ministerin ausweislich der von ihr mit Grünstift zahlreich vorgenommen Änderungen in die Entscheidung involviert war (Beiakte A).
- 47
Dass der Staatssekretär sodann auch über den Widerspruch entscheidet ist systemkonform. Denn nach § 42 Abs. 1 Satz 1 DG LSA entscheidet über das nach § 41 DG LSA grundsätzlich vorgesehene Vorverfahren die oberste Dienstbehörde, also der Staatssekretär auch über den Ausgangsbescheid. Dies ist gesetzeskonform und auch in anderen Fällen wie z. B. der gemeindlichen Selbstverwaltung systemimmanent.
- 48
h.) Das Studium der Unterlagen legt die Vermutung nahe, dass der Umgang mit den Verlegungsanträgen einem Missverständnis zugrunde lag. Wie aus den oben wiedergegebenen Textpassagen ersichtlich ist, ging der Ermittlungsführer – fehlerhaft – davon aus, dass der Bevollmächtigte sowieso wegen des Ausschlusses des Klägers nicht kommen wollte. Bei der Vernehmung … war der Kläger aber nicht ausgeschlossen und schließlich ist der Bevollmächtigte zu keiner Zeugenvernehmung erschienen.
- 49
Die diesbezügliche - fehlerhafte - Vorgehensweise des Ermittlungsführers leitet vielmehr zu der Frage über – und das meint der Kläger auch im Kern – ob kein faires Disziplinarverfahren geführt wurde bzw. der Ermittlungsführer befangen war.
- 50
a. a.) § 21 Abs. 1 DG LSA spricht davon, dass der Ermittlungsführer ein „geeigneter Bediensteter“ sein müsse.
- 51
Der Ermittlungsführer … steht im Rang eines Ministerialrates im Hause des Kultusministeriums Sachsen-Anhalt. Die generelle Ungeeignetheit des Ermittlungsführers ist nicht erkennbar. Soweit das OVG LSA in dem Urteil vom 02.12.2010 (10 L 1/10; juris) aufgrund der statusrechtlichen Gleichrangigkeit des Ermittlungsführers mit der damaligen beschuldigten Beamtin die Ungeeignetheit bzw. dann auch wieder nur „Zweifel“ an der Geeignetheit konstruiert, folgt dem das Disziplinargericht in dieser Bestimmtheit nicht. Üblicherweise sei es zur Vermeidung des Anscheins eines persönlichen (Konkurrenz-)Interesses – Voraussetzung für die Bestellung eines Ermittlungsführers, dass dieser ein höheres statusrechtliches Amt habe. Diese aus Gründen der Chancengleichheit bei Beförderungen resultierende Sichtweise, ist vorliegend offensichtlich nicht notwendig.
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Die Vorwürfe des Klägers gegen den Ermittlungsführer resultieren aus seiner (rechtlichen) Bewertung der Tätigkeit des Ermittlungsführers, belegen aber gleichsam nicht, die unfairen Ermittlungen gegen den Kläger. Auch das Bundesverwaltungsgericht führt in dem Beschluss vom 18.11.2008 (2 B 63.08; juris) aus, dass der Ermittlungsführer in dem dortigen Fall nicht wegen Besorgnis der Befangenheit von seiner Tätigkeit entbunden werden musste. Denn der Verstoß des Ermittlungsführers gegen die Beweiserhebungsvorschriften – alternativ hier: Verlegungsvorschriften – konnte diese Besorgnis nicht begründen. Lagen dem damals auch andere rechtliche Normen zugrunde, wonach die Auffassung der Nichtmitteilung des Beweisthemas vertretbar gewesen sei, ist der Sachverhalt vergleichbar. Entscheidend für die Nichtannahme der Besorgnis der Befangenheit ist, dass die vom Ermittlungsführer gemachten „Fehler“ nicht als willkürlich begangen oder im Sinne einer Voreingenommenheit oder eines unfairen Verfahrens gegenüber dem Kläger anzusehen sind (vgl. ähnlich: BVerwG, Urteil v. 29.07.2010, 2 A 4.09; juris). Auch von einer „Schikane“ kann bei objektiver Betrachtung nicht ausgegangen werden.
- 53
Demnach durfte die unter dem 23.08.2010 vom Kläger gestellte und mit den oben genannten Verfahrensfehlern begründete „Dienstaufsichtsbeschwerde und die Ablehnungsgründe gegen den Ermittlungsführer“, wenn auch ohne weitere Begründung, zurückgewiesen werden (Bl. 251, Beiakte A).
- 54
b. b.) Das Gericht hat auch keine greifbaren Anhaltspunkte dafür, dass das Disziplinarverfahren gegen den Kläger aus sachfremden Erwägungen, also als Mobbing gegen den Kläger geführt wurde. Zwar hatte die 5. Kammer des Verwaltungsgerichts C-Stadt im Urteil vom 13.12.2011 (5 A 56/11) in dem beamtenrechtlichen Verfahren des Klägers ausgeführt, dass sich die Bemühungen des MK vorrangig auf die Herauslösung des Klägers aus der Universität konzentrierten, ohne dass ein Bemühen um eine Aufklärung und Beilegung des Konfliktes durch das MK zu erkennen gewesen wäre. Dies widerspreche den Grundsätzen eines fairen Verfahrens. Der Kläger habe an der Fortdauer der Spannungen nicht vorwerfbar mitgewirkt. Er habe sich vielmehr immer gesprächs- und aufklärungsbereit gezeigt. Die Universität habe ein Mediationsverfahren abgelehnt. In dem Beschluss zur Nichtzulassung der Berufung vom 24.04.2012 (1 L 31/12; juris) teilt das OVG LSA die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass die „Verschuldensfrage“ durch die Universität nicht aufgeklärt worden sei. So mag es auch und sogar sein, dass sich der Kläger bei den Dezernenten wegen der Aufdeckung von „Fehlern“ unbeliebt gemacht hat.
- 55
Gleichwohl belegt dieses etwaige unfaire beamtenrechtliche Verfahren nicht gleichsam das unfaire Disziplinarverfahren. Denn – wie bereits oben ausgeführt – war die Einleitung des Disziplinarverfahrens geboten. Dass die zum Disziplinarverfahren geführten Vorkommnisse gleichsam willkommener Anlass für die beamtenrechtlichen Maßnahmen gegen den Kläger waren, berührt das Disziplinarverfahren nicht. Es ist nicht ersichtlich, dass das Disziplinarverfahren als Vorwand für die beamtenrechtlichen Verfahren benutzt wurde oder wird. Denn dann wäre davon auszugehen, dass Disziplinarklage mit dem Ziel der Entfernung aus dem Dienst erhoben worden wäre, wobei der Ausspruch der Höchstmaßnahme wegen der Vorwürfe nicht gänzlich von der Hand zu weisen wäre.
- 56
Mag der Vorhalt des Klägers sogar zutreffend sein, dass die Zeuginnen D. und E. zur Niederschrift ihrer Beobachtungen durch Dritte aufgefordert worden seien, ist dieses Vorgehen allein den Ermittlungen geschuldet und macht das Disziplinarverfahren nicht zu einem einseitig unfair geführten Verfahren. Der Kläger übersieht auch hier die oben dargestellten tatsächlichen hinreichenden Anhaltspunkte für die Einleitung eines Disziplinarverfahrens nach § 17 DG LSA. Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass die Zeuginnen etwa unter Druck gesetzt oder zu einem bestimmten Aussageverhalten aufgefordert wurden. Darüber hinaus ist nicht das Aussageverhalten der Zeuginnen im behördlichen, sondern im gerichtlichen Verfahren maßgeblich und die Würdigung obliegt dem Gericht (BVerwG, Urteil v. 29.07.2010, 2 A 4.09; juris). Aus diesem Grunde muss die Kammer den in der mündlichen Verhandlung hilfsweise gestellten (Beweis-)Antrag zur Vernehmung der Herren … und … zu der Frage, ob Dritte das Verhalten der Zeuginnen initiiert bzw. gefordert hätten, nicht nachgehen.
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2.) Die Disziplinarverfügung ist auch materiell-rechtlich nicht zu beanstanden. Zur Überzeugung des Disziplinargerichts steht fest, dass der Kläger die ihm zur Last gelegten Pflichtenverstöße und damit ein - innerdienstliches - Dienstvergehen (§ 47 Abs. 1 Satz 1 BeamtStG) begangen hat. Dabei liegt der Schwerpunkt der Verfehlungen auf dem Vorwurf des Verstoßes gegen die allgemeine beamtenrechtliche Wohlverhaltenspflicht nach § 34 Satz 3 BeamtStG innerhalb des Dienstes aufgrund seines Verhaltens gegenüber den Zeuginnen D. und E. (a.). Der Vorwurf, Dienstfahrzeuge pflichtwidrig zu privaten Zwecken genutzt zu haben, ist wegen der Umstände des Einzelfalls und der daraus resultierenden Milderungsgründe nahezu unbedeutend (b.). Die ausgesprochene Disziplinarmaßnahme in Form der Gehaltskürzung (§ 8 DG LSA) ist verhältnismäßig, den Pflichtenverstößen angemessen und auch nach § 59 Abs. 3 DG LSA zweckmäßig (c.).
- 58
a.) Hinsichtlich des Disziplinarvorwurfs der Übergriffe gegenüber den Zeuginnen D. und E. geht das Disziplinargericht von Folgendem aus:
- 59
a. a.) Sexuelle Belästigung ist kein Straftatbestand. In besonderen Fällen kann die einschlägige Handlung gleichzeitig als Beleidigung (mit sexuellem Hintergrund) gem. § 185 StGB strafbar sein. Ob sich der Belästigte subjektiv beleidigt fühlt oder nicht, ist dabei nicht entscheidend. Da § 185 StGB kein Auffangtatbestand ist, fallen sexualbezogene Handlungen nur dann unter diese Vorschrift, wenn besondere Umstände einen selbstständigen beleidigenden Charakter erkennen lassen.
- 60
Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz ist eine Benachteiligung im Sinne des allgemeinen Gleichstellungsgesetzes (AGG). In § 3 Abs. 4 AGG wird sie definiert als
- 61
„ein unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten, wozu auch unerwünschte sexuelle Handlungen und Aufforderungen zu diesen, sexuell bestimmte körperliche Berührungen, Bemerkungen sexuellen Inhalts sowie unerwünschtes Zeigen und sichtbares Anbringen von pornografischen Darstellungen gehören, bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird, insbesondere wenn ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird“.
- 62
Nach §§ 7 Abs. 3 und 24 Nr. 1 AGG gilt das Verbot der sexuellen Belästigung nach § 3 Abs. 4 AGG auch im öffentlichen Dienstrecht und wird damit eine Beamtenpflicht.
- 63
Es mag dahinstehen, ob das Verhalten des Klägers gegenüber den Zeuginnen den Tatbestand der sexuellen Belästigung nach § 3 Abs. 4 AGG erfüllt. Denn dem Disziplinargericht drängt sich aufgrund der nach § 13 DG LSA notwendigen Gesamtbetrachtung der Persönlichkeit des Klägers der Eindruck auf, dass das von ihm im Umgang mit den unmittelbaren Mitarbeiterinnen gezeigte Verhalten, seiner Persönlichkeit entspricht ohne das er dadurch die weiblichen Bediensteten verletzend sexuell belästigen wollte bzw. ihm die diesbezügliche objektive Bewertung überhaupt bewusst war. Denn der Kläger führte in der mündlichen Verhandlung nachvollziehbar und überzeugend aus, dass für ihn in seinem unmittelbaren beruflichen Umfeld, eine Vertrautheit und damit eine gewisse menschliche Wärme unverzichtbar erschienen. Danach mögen gewisse Verhaltensweisen von ihm, wie der Wunsch mit „Lieber Herr A.“ angesprochen zu werden, die Mitarbeiterinnen zu duzen, über die Wochenend- und Freizeitaktivitäten „seiner“ engsten Mitarbeiterinnen informiert zu werden oder das überschwängliche in den Arm nehmen, seinem einseitigen Bedürfnis nach mehr Vertrautheit im dienstlichen Umgang geschuldet gewesen sein. So hieß es im behördlichen Verfahren auch, dass der Kläger durch Rückfragen bei den Damen stets um Anerkennung bemüht gewesen sei und diese sich in eine „Mutterrolle“ gedrängt fühlten.
- 64
b. b.) Auf die Subsumtion des Verhaltens des Klägers unter den Tatbestand der sexuellen Belästigung kommt es indes auch nicht an. Denn unabhängig davon, ist im Einzelfall jede ungebührliche, gegen die allgemeinen Regeln des Anstands und der guten Sitten im gesellschaftlichen, menschlichen Umgang untereinander verstoßende Handlung im Dienstbetrieb geeignet, einen Verstoß gegen die allgemeine innerdienstliche Wohlverhaltenspflicht nach § 34 Satz 3 BeamtStG darzustellen (so auch: BVerwG, Urteil v. 29.07.2010, 2 A 4.09; juris). Eine disziplinarrechtlich relevante, die Achtung und Wahrung des Berufsbeamtentums schädigende Handlung liegt insbesondere dann vor, wenn die Übergriffe durch einen Vorgesetzten gegenüber ihm dienstlich unterstellte Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen begangen wird.
- 65
Die vom Disziplinargericht in der mündlichen Verhandlung durch die Vernehmung der Zeuginnen D. und E. durchgeführte Beweisaufnahme hat ergeben, dass der Kläger gegenüber den Zeuginnen gegen seine allgemeine innerdienstliche Wohlverhaltenspflicht verstoßen hat.
- 66
Zur Überzeugung des Gerichts haben die Zeuginnen wahrheitsgemäß ausgesagt. Die Zeuginnen sind glaubwürdig und ihre Aussagen sind glaubhaft. Die den Zeuginnen vom Kläger unterstellte Tendenz zur Mehrbelastung sieht das Gericht nicht. Für die Kammer ist nicht erkennbar, dass die Zeuginnen den Kläger durch eine bewusste Falschaussage belasten oder schädigen wollten. Zudem ist keine Motivation der Zeuginnen für eine derartige Belastungstendenz ersichtlich. Die Zeuginnen neigten bei ihren Schilderungen nicht zu verbalen Übertreibungen, besonderen sprachlichen Ausschmückungen oder Verschärfungen hinsichtlich der Art, Intensität oder Dauer der vorgeworfenen Handlungen. Vielmehr sind die Aussagen detailreich, lassen deutlich den Bezug zu einem eigenen Erleben erkennen und decken sich mit ihren bereits im behördlichen Verfahren gemachten Angaben. Zudem sind die Aussagen der Zeuginnen im Kernbereich übereinstimmend, ohne dass Gründe für eine Absprache ersichtlich sind.
- 67
Die Zeugin D. gab an, dass der Kläger anlässlich eines Essens zum Ausdruck brachte, dass er über die dienstliche Zusammenarbeit hinaus von ihr mehr Nähe erwartet. Der Kläger suchte beispielsweise in Dienstberatungen insistierenden Blickkontakt und schaute auf ihre Beine. Schließlich ist es auch zu körperlichen Berührungen gekommen. Der Kläger strich ihr über die Haare bzw. wuschelte diese mit der Bemerkung, „bitte noch einmal angucken.“ Am Schreibtisch sitzend strich der Kläger ihr zwei bis dreimal über den Rücken, wobei sie durch ihre Haltung (Hohlkreuz) versuchte auszuweichen. Ein anderes Mal trat der Kläger von hinten so nahe an die Zeugin heran, dass sich ihre Wangen berührten. Auch das völlig unpassende mehrfache Zuwerfen von sog. Kussmunden empfand die Zeugin als unangenehm.
- 68
Die sich durch musternde Blicke und dem Zuwerfen von Kussmunden ausdrückende Zuneigung des Klägers gegenüber Frau D. wurde von der Zeugin E. bestätigt. Darüber hinaus sagte die Zeugin E. aus, dass der Kläger auch ihr gegenüber körperliche Annäherungen vornahm. Es ist oft vorgekommen – auf Nachfrage durch das Gericht – fast alltäglich, dass der Kläger der Zeugin E. über den Rücken strich. Mit der Zeit nahm die Intensität dieser Berührungen zu. Bei einem Diktat hat die Zeugin den Mund bzw. den Atem des Klägers stark in der Nähe ihres Kopfes gespürt.
- 69
Für die Glaubhaftigkeit der Aussagen der Zeuginnen spricht auch, dass sie nicht generell alle körperlichen Kontakte ablehnten, sondern diese bei bestimmten Anlässen, wie Geburtstagen durchaus vorkamen und als angemessen angesehen wurden. Auch wurde der Kontakt mit dem Kläger von den Zeuginnen nicht generell als unangenehm bezeichnet. Eher waren ab dem letzten Quartal des Jahres 2009 Steigerungen in der Suche nach den zudringlichen Körperkontakten zu verzeichnen.
- 70
Ein Beamter, der innerhalb des Dienstes Mitarbeiterinnen (körperlich) belästigt, beeinträchtigt erheblich sein Ansehen und das der Beamtenschaft, stört den Dienstfrieden und verletzt in schwerwiegender Weise die Würde und Ehre der Betroffenen. Vor allem weibliche Bedienstete müssen im Dienst vor jedweden Belästigungen seitens ihrer Vorgesetzten und Kollegen sicher sein (BVerwG, B. v. 16.07.2009, 2 AV 4.09; juris).
- 71
b.) Hinsichtlich des zur Last gelegten Pflichtenverstoßes der unzulässigen Nutzung der Dienstkraftfahrzeuge der Universität zu privaten Zwecken ist soviel festzustellen, dass dieser Tatbestand vorliegt und vom Kläger wohl auch eingeräumt wird. Das Problem dabei ist vielmehr, wieweit dem Kläger hier ein Verschulden vorzuwerfen ist. Denn er verteidigt sich damit, dass es in der …-Universität üblich sei, dass auch andere Bedienstete die Dienstkraftfahrzeuge zu privaten Zwecken genutzt hätten und nur er im Rahmen der gegen ihn geführten Mobbing-Kampagne disziplinarrechtlich herangezogen werde.
- 72
Nach der gerichtlichen Beweisaufnahme durch die Vernehmung des Zeugen G. und der Auswertung der vom Gericht angeforderten Stellungnahme der Universität sowie unter Zugrundelegung der bezeichneten rechtlichen Gegebenheiten, ist das Disziplinargericht davon überzeugt, dass die Bereitstellung der Dienstfahrzeuge durch die Universität nicht an den zugrunde gelegten Vorschriften orientiert war.
- 73
Nach Nr. 7.1 der Richtlinien über die Haltung und Benutzung von Dienstkraftfahrzeugen (Kraftfahrzeugrichtlinien – KfzR; - RdErl. des MF v. 08.11.2002 – 22.02500-1) und den Regelungen der Universität dürfen Dienstkraftfahrzeug grundsätzlich nur für dienstliche Zwecke, namentlich für Einsatzfahrten, Arbeitseinsätzen sowie Dienstreisen und Dienstgängen im Sinne von § 2 des Bundesreisekostengesetzes benutzt werden. Die hier einschlägige Regelung der Universität vom 06.09.2000 besagt nichts zu einer Genehmigung, sondern enthält nur den grundsätzlichen Hinweis auf die Benutzung für dienstliche Zwecke. Die Fuhrparkordnung der Universität vom 03.06.2005 regelt unter Nr. 5.2, dass Fahrzeuganforderungen entsprechend Vordruck nach entsprechender Genehmigung als Fahrauftrag gelten. Nach Nr. 7.2 der Richtlinie ist die Zustimmung des Dienststellenleiters bzw. nach Nr. 1.1 der Regelungen der Universität vom 28.01.2010 ab dem 01.02.2010 {hier also nicht einschlägig} des „Genehmigenden“ erforderlich. Nach Nr. 3.1 der Richtlinie der Universität ab 01.02.2010 bedarf die Benutzung eines Dienstfahrzeuges eins schriftlichen Fahrantrages. Die Genehmigung von Fahranträgen obliegt dem Leiter der Fahrbereitschaft, der den Einsatz der Dienstkraftfahrzeuge koordiniert.
- 74
Den in den Akten befindlichen und im Übrigen von Frau E. unterschriebenen Fahraufträgen zu den vorgeworfenen Terminen ist allesamt zu entnehmen, dass diese bei „gehöriger Prüfung“ den privaten Charakter der Fahrt ohne Probleme erkennen lassen (13.03.2009; Termin zur Wohnungsbesichtigung; 08.05.2009; Abholung und Transport in A-Stadt; 27.10.2009; Transport …straße; 02./03.12.2009; Termin beim Landessozialgericht A-Stadt-B.). Somit hat der Kläger nicht etwa eine Dienstfahrt vorgegeben, sondern wahrheitsgemäß den - privaten - Zweck der Fahrt angegeben. Diese hätten dann unter Zugrundelegung der rechtlichen Gegebenheiten nicht „genehmigt“ werden dürften. Denn wenn - wie hier - der Dienstherr ein „Genehmigungs-, Prüf- oder Überwachungsverfahren“ unter Verwendung „amtlicher“ AntragsVordrucke vorschreibt oder auch nur vorhält, muss er sich selbst auch an diese Gepflogenheiten halten und die ordnungsgemäße Prüfung des Antrages vornehmen. Daran hat es die Universität fehlen lassen. Der Zeuge G. führte aus, dass er als Leiter der Fahrbereitschaft stets aufgrund eines bloßen unterschriebenen Fahrantrages ein Fahrzeug zur Verfügung stellte. Seine „Genehmigungsprüfung“ beschränkte sich demnach lediglich auf das Vorhandensein eines Fahrzeuges. Demnach hat das Gericht keine Zweifel daran, dass der Vorhalt des Klägers zutreffend ist, dass auch andere Bedienstete der Universität vergleichsweise privat veranlasste Fahrten unternahmen. Soweit die Universität in diesem Zusammenhang dem Gericht gegenüber ausführt, dass derartige Fahrten nicht bekannt seien, ist dies wenig nachvollziehbar.
- 75
Trifft die Universität somit ein erhebliches Mitverschulden, ist der Kläger gleichwohl nicht vom Verstoß gegen seine beamtenrechtliche Pflicht zur Uneigennützigkeit (§ 34 Satz 2 BeamtStG) unter der Befolgung der einschlägigen Vorschriften vollständig freizusprechen. Denn insoweit ist zutreffend, dass der Kläger als Volljurist und Kanzler der Universität und somit als Verwaltungschef und Beauftragter für den universitären Haushalt um die Problematik der Fahrten wusste. Zudem hat er selbst an der Neuregelung im Jahre 2010 mitgewirkt. Auch wird ihm bewusst gewesen sein, dass der von ihm als Kanzler über Frau E. in Auftrag gegebene Fahrauftrag durch Herrn G. oder einer sonstigen - ihm dienstlich unterstellten - Person nicht abgelehnt werden wird.
- 76
c.) Bei der disziplinarrechtlichen Bewertung der Pflichtenverstöße geht das Gericht davon aus, dass der Schwerpunkt des (einheitlichen) Dienstvergehens auf dem Verstoß gegen die Wohlverhaltenspflicht im Dienst beruht.
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Bei körperlicher Belästigung am Arbeitsplatz ist eine Regeleinstufung nicht angezeigt. Die Variationsbreite derartiger Zudringlichkeiten im Dienst ist zu groß, als dass sie einheitlichen Regeln unterliegen und in ihren Auswirkungen auf Achtung und Vertrauen gleichermaßen eingestuft werden könnten. Stets sind die besonderen Umstände des Einzelfalls maßgebend. In schweren Fällen innerdienstlicher (sexueller) Belästigung weiblicher oder männlicher Mitarbeiter, insbesondere wenn der Beamte unter Ausnutzung seiner Vorgesetzteneigenschaft versagt und dadurch nicht nur seine Integrität in der Dienststelle weitgehend eingebüßt, sondern auch sein Vertrauensverhältnis zum Dienstherrn schwer erschüttert ist, kann sich grundsätzlich die Frage seiner weiteren Tragbarkeit im öffentlichen Dienst stellen, während in minderschweren Fällen eine mildere Disziplinarmaßnahme verhängt werden kann (BVerwG, U. v. 29.07.2010, 2 A 4.09; Bayr. VGH, U. v. 13.07.2011, 16 a D 10.565; beide juris). Erhebliches Gewicht kommt derartigen Verfehlungen durch die Häufigkeit, Anzahl der betroffenen Kolleginnen und deren Dauer zu. Zudem wird der Betriebsfrieden massiv gestört.
- 78
Unter Zugrundelegung dessen, spricht gegen den Kläger, dass er als Vorgesetzter gegenüber den Zeuginnen die körperlichen und verbalen Übergriffe über einen längeren Zeitraum unternahm. Gleichwohl muss die eingangs vom Gericht erwähnte Persönlichkeitsstruktur des Klägers berücksichtigt werden, die die Handlungen in einem milderen Licht erscheinen lassen bzw. als weniger sexuell motiviert erklären, wobei das Gericht keinen Zweifel daran lässt, dass der Kläger schuldhaft handelte. Der Kläger hat permanent und über einen längeren Zeitraum die körperliche Integrität seiner beiden engsten Mitarbeiterinnen, der Zeuginnen D. und E., missachtet und sie damit am Arbeitsplatz gegen ihren erkennbaren Willen belästigt. Damit hat er die Grenzen des moralischen und sittlichen Anstandes am Arbeitsplatz überschritten. Schließlich hat er die Zurückweisung „nach mehr Nähe“ durch die Zeugin D. anlässlich des Gespräches beim Italiener auch dazu genutzt, ihre dienstliche Versetzung aus plötzlichen Gründen der Schlechtleistung zu betreiben.
- 79
Aufgrund der bei dem Pflichtenverstoß hinsichtlich der privaten Benutzung der Dienstfahrzeuge bestehende Entlastungsmöglichkeit, hält das Gericht die vom Beklagten aufgrund seiner Disziplinarbefugnis ausgesprochene Disziplinarmaßnahme insgesamt für verhältnismäßig, weil der Tat angemessen und als erzieherischen Maßnahme auch erforderlich und schließlich zweckmäßig (§ 59 Abs. 3 DG LSA).
- 80
3.) Die Kostenentscheidung folgt aus § 72 Abs. 4 DG LSA i. V. m. § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 3 DG LSA, § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Gründe
- 1
I. Der Antragsteller ist Regierungsoberamtsrat bei dem Antragsgegner. Gegen ihn läuft ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren wegen des Verstoßes gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz und des Besitzes kinderpornografischer Schriften.
- 2
Im Rahmen einer Hausdurchsuchung wurde bei dem Antragsteller jedenfalls ein Verschlusskopf für ein Sturmgewehr G3 sowie eine Bilddatei mit dem Verdacht kinderpornografischer Abbildungen gefunden. Die nachfolgende Durchsuchung der Diensträume des Antragstellers am 03.04.2014wurde mit Beschluss des Amtgerichts Hannover vom 03.04.2014 damit begründet, dass nach kriminalistischer Erfahrung zu erwarten sei, dass der Beschuldigte nach weiteren Bezugsmöglichkeiten kinderpornografischen Materials im Internet gesucht habe. Der (Dienst-)Rechner wurde sichergestellt und der persönliche Speicher auf dem Server gespiegelt.
- 3
Am 04.04.2014 leitete der Antragsgegner ein Disziplinarverfahren gegen den Antragsteller ein und enthob ihn gleichzeitig mit sofortiger Wirkung gemäß § 38 Abs. 1 des Disziplinargesetzes Sachsen-Anhalt (DG LSA) vorläufig vom Dienst, da ein Verbleiben im Dienst den Dienstbetrieb wesentlich beeinträchtigen würde. Den dagegen eingelegten Widerspruch wies der Antragsgegner mit Bescheid vom 01.09.2014 als unzulässig zurück und verfügte mit sofortiger Wirkung die Einbehaltung von 50 % der Dienstbezüge des Antragstellers. Ihm werde zur Last gelegt, gegen die „Dienstleistungspflicht“ und die Pflicht zu achtungswürdigen und vertrauensgerechten Verhalten verstoßen zu haben. Es bestehe der hinreichend begründete Verdacht eines Dienstvergehens, das mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu disziplinarischen Höchstmaßnahme führen werde. Bereits der Besitz kinderpornografischer Darstellungen sei im Regelfall als schweres Dienstvergehen zu qualifizieren. Ebenso sei der Verstoß gegen das Waffen- und Kriegswaffenkontrollgesetz mit den Grundsätzen des Beamtentums nicht vereinbar. Zudem sei eine Störung des Dienstbetriebes zu besorgen, wozu ausgeführt wird:
- 4
„Zwar tritt in meinem Hause kaum Publikumsverkehr auf. Gleichwohl handelt es sich um eine oberste Dienstbehörde. Als Ministerium stehen meine Bediensteten und ich besonders im Focus der Öffentlichkeit. Diese hat besonders hohe Erwartungen an die Verfassungs- und Gesetzestreue der Bediensteten meines Hauses. Insoweit erwarte ich und setze ich voraus, dass sich gerade meine Bediensteten besonders genau an die Verfassung und an die Gesetze halten. Unter anderem auch, weil auch in meinem Hause Gesetzesentwürfe erarbeitet werden.
- 5
Bereits das Bekanntwerden des Verdachts der Verletzung von Strafnormen durch einen Bediensteten meines Hauses würde den Hausfrieden erheblich stören: Meine Bediensteten würden Maßnahmen erwarten und für ein Verbleiben des Beamten im Dienst kein Verständnis aufbringen. Eine normale Zusammenarbeit ihres Mandanten mit seinen Kollegen sehe ich daher derzeit als nicht realisierbar an. Denn trotz aller Vorsichtsmaßnahmen hat sich die Durchsuchung der Diensträume unter meinen Bediensteten herumgesprochen. Zudem betreffen die Vorwürfe einen besonders sensiblen Bereich: den Schutz der Kinder und den Schutz vor unberechtigtem Einsatz von Waffen. Hier fühlt sich jeder meiner Bediensteten betroffen.
- 6
Die Angelegenheit ist außerdem geeignet, besonderes Aufsehen in der Öffentlichkeit zu erregen. Auch um diesem Vorzubeugen sehe ich keine andere Möglichkeit, als Ihren Mandanten vorläufig des Dienstes zu suspendieren. Hierbei kommt es nicht darauf an, dass er dienstlich grundsätzlich weder mit Kindern noch mit Waffen in Kontakt kommt. Es ist allein darauf abzustellen, dass er Bediensteter einer obersten Landesbehörde ist und die Vorwürfe einen besonders sensiblen Lebensbereich betreffen.
- 7
Diese Problematik würde auch nicht dadurch gemildert werden, dass Ihr Mandant Heimarbeit ausübt. Auch im Rahmen der Heimarbeit würde Ihr Mandant für mich tätig sein und nach Außen für mein Haus – und sei es auch nur gegenüber anderen Behörden und Institutionen – auftreten. Außerdem entfällt dadurch nicht die Zusammenarbeit mit den Kollegen und der Umgang mit den Dienstvorgesetzten.
- 8
Letztendlich bitte ich zugleich auch den damit verbundenen Schutz Ihres Mandanten zu sehen, da ich auch bei Heimarbeit Ihrs Mandanten Reaktionen meiner Bediensteten auf den bestehenden Verdacht nicht verhindern kann.“
- 9
II.) Der zulässige Antrag nach § 61 Abs. 2 Disziplinargesetz Sachsen-Anhalt (DG LSA) ist begründet.
- 10
Nach § 38 Abs. 1 Satz 1 DG LSA kann die für die Erhebung der Disziplinarklage zuständige Behörde einen Beamten gleichzeitig mit oder nach der Einleitung des Disziplinarverfahrens vorläufig des Dienstes entheben, wenn im Disziplinarverfahren voraussichtlich auf Entfernung aus dem Beamtenverhältnis erkannt wird. Ferner kann die vorläufige Dienstenthebung ausgesprochen werden, wenn durch ein Verbleiben des Beamten im Dienst der Dienstbetrieb oder die Ermittlungen wesentlich beeinträchtigt würden und die vorläufige Dienstenthebung nicht unverhältnismäßig ist (§ 38 Abs. 1 Satz 2 DG LSA). Zudem kann sie nach § 38 Abs. 2 DG LSA mit oder nach der vorläufigen Dienstenthebung anordnen, dass dem Beamten bis zu 50 v. H. der monatlichen Dienstbezüge einbehalten werden, wenn im Disziplinarverfahren voraussichtlich auf Entfernung aus dem Beamtenverhältnis erkannt werden wird.
- 11
Die vorläufige Dienstenthebung in der Gestalt des Bescheides vom 01.09.2014 stützt der Antragsgegner auf § 38 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 DG LSA.
- 12
Bei der Anordnung der Suspendierung handelt es sich nicht um eine Disziplinarmaßnahme im Sinne des Maßnahmenkataloges, sondern um eine beamtenrechtliche Maßnahme des Disziplinarrechts (Hummel/Köhler/Mayer, BDG, 5. Auflage 2012, § 38 Rz. 1). Ihre Berechtigung ergibt sich aus dem funktionalen Bedürfnis, noch vor der endgültigen Klärung des Vorliegens eines Dienstvergehens und der abschließenden Entscheidung über die angemessene Maßregelung des Beamten eine den Verwaltungsaufgaben und dem Dienstbetrieb dienende vorübergehende Sicherungsregel zu treffen.
- 13
1.) Die nach § 61 Abs. 2 DG LSA vom Disziplinargericht vorzunehmende Prüfung ergibt, dass die vorläufige Dienstenthebung sowie die Einbehaltung der Dienstbezüge aufzuheben sind. Denn zur Überzeugung des Disziplinargerichts bestehen ernstliche Zweifel an ihrer Rechtmäßigkeit.
- 14
a.) Eine auf § 38 Abs. 1Satz 1 DG LSA gestützte Verfügung über die vorläufige Dienstenthebung muss pflichtgemäßem Ermessen der Einleitungsbehörde entsprechen. Den Beamten auch nur vorläufig vom Dienst zu entheben, setzt voraus, dass ein Verbleiben des Beamten im Dienst schlechthin untragbar wäre. Dabei handelt es sich um die denkbar schwerste Sanktion für dienstliche Verfehlungen, welche nach der Rechtsprechung besondere Umstände voraussetzt. Für die konkrete Entscheidung im Einzelfall sind grundsätzlich das dienstliche Bedürfnis an der einstweiligen Fernhaltung des Beschuldigten vom Dienst und dessen Recht auf amtsentsprechende dienstliche Beschäftigung abzuwägen (vgl. dazu: Köhler/Ratz, BDO, 2. Aufl., § 91 Rz. 10: vgl. zum Ganzen: VG Magdeburg, Beschl. v. 10.02.2007, 8 B 22/06; Beschl. v. 03.03.2010, 8 B 21/09; zuletzt: Beschl. v. 31.03.2014, 8 B 2/14 und v. 26.08.2013, 8 B 13/13; Beschl. v. 27.08.2014, 8 B 13/14; OVG Lüneburg, Beschluss v. 25.03.2013, 19 ZD 4/13; alle juris).
- 15
Nach § 61 Abs. 2 DG LSA ist die vorläufige Dienstenthebung dann aufzuheben, wenn ernstliche Zweifel an ihrer Rechtmäßigkeit bestehen. Ernstliche Zweifel sind schon dann anzunehmen, wenn im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts offen ist, ob die Anordnung nach § 38 Abs. 1 DG LSA rechtmäßig oder rechtswidrig ist (vgl. nur: Bay. VGH, Beschl. v. 11.04.2012, 16b DC 11.985; OVG Lüneburg Beschluss vom 13.5.2005, 3 ZD 1/05; alle juris). Neben der formellen Rechtmäßigkeit der Anordnung ist somit zu prüfen, ob die in der Anordnung liegende Prognose gerechtfertigt ist, der Beamte werde im Disziplinarverfahren voraussichtlich aus dem Dienst entfernt werden.
- 16
Diese Prognose trägt nur dann, wenn nach dem Kenntnisstand eines Eilverfahrens die Möglichkeit des Ausspruchs der disziplinarrechtlichen Höchstmaßnahme überwiegend wahrscheinlich ist. Ist es dagegen zumindest ebenso wahrscheinlich, dass eine Entfernung des Beamten aus dem Beamtenverhältnis im Disziplinarverfahren nicht erfolgen wird, sind ernstliche Zweifel durch das Gericht zu bejahen (BVerwG, Besch. v. 16.07.2009, 2 AV 4.09; BayVGH, Beschl. v. 20.04.2011, 16b DS 10.1120;Sächs. OVG, B. 19.08.2010, D 6 B115/10 mit Verweis auf Beschluss vom 08.07.2010, D6A116/10; alle juris; Müller, Grundzüge des Beamtendisziplinarrechts, § 38 Abs. 1 BDG, 2010, Rz. 370 m. w. N.; GKÖD, Disziplinarrecht des Bundes und der Länder, § 38 BDG, Rz. 51). Anders gewendet, es müssen hinreichend gewichtige Gründe dafür sprechen, dass die Entfernung aus dem Dienst im Ergebnis des - noch durchzuführenden - Disziplinarverfahrens nicht in Betracht kommt. Dies beinhaltet eine vom Gericht vorzunehmende summarische Prüfung des zurzeit bekannten Sachverhaltes und eine daran orientierte Wahrscheinlichkeitsprognose. Hinsichtlich des zur Last gelegten Dienstvergehens genügt die Feststellung, dass der Beamte dieses Dienstvergehen mit einem hinreichenden Grad an Wahrscheinlichkeit begangen hat; nicht erforderlich ist, dass das Dienstvergehen bereits in vollem Umfang nachgewiesen ist (vgl. BVerwG, Beschl. v. 29.09.1997, 2 WDB 3.97; OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 22.09.2009, 83 DB 1.09; OVG des Saarlandes, Beschl. v. 17.06.2009, 6 B 289/09; alle juris).
- 17
Die Beurteilung im Verfahren nach § 61 DG LSA erfordert keine gesonderten Beweiserhebungen, sondern ist in der Lage, in der sich das Disziplinarverfahren jeweils befindet, anhand der bis dahin zu Tage getretenen Tatsachen zu treffen. Für eine vorläufige Dienstenthebung können u. U. selbst durch Aktenvermerke untermauerte Erkenntnisse ausreichen (vgl. Müller a. a. O.). Dabei ist auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abzustellen (BVerwG, Beschl. v. 22.07.2002, 2 WDB 1.02; OVG Berlin-Brandenburg; Beschl. v. 18.08.2005, 80 SN 1.05; Bay VGH, Beschl. v. 11.04.2012, 16b DCV 11.985; alle juris). Jedoch muss für die gerichtliche Überprüfung der vorläufigen Dienstenthebung maßgeblich auf die von dem Dienstherrn in dem Bescheid herangezogenen Gründe der Pflichtenverletzung abgestellt werden. Ähnlich wie bei der Bestimmtheit des Tatvorwurfs als inhaltliche Anforderung an die - spätere - Disziplinarklageschrift, müssen die Sachverhalte, aus denen das Dienstvergehen hergeleitet wird, aus sich heraus verständlich und nachvollziehbar geschildert werden. Ort und Zeit der einzelnen Handlungen müssen möglichst genau angegeben, die Geschehensabläufe nachvollziehbar beschrieben werden (vgl. nur: BVerwG, Urteile v. 23.11.2006, 1 D 1.06, v. 25.01.2007, 2 A 3.05; Beschlüsse v. 13.03.2006, 1 D 3.06, v. 18.11.2008, 2 B 63.08 und v. 21.04.2010, 2 B 101.09; alle juris). Nur diese können durch das Disziplinargericht im Rahmen der Würdigung durch Akteninhalte und sonstige - evtl. auch später, im Laufe des Verfahrens nach § 61 DG LSA hinzutretende - Erkenntnisse untermauert werden, um so die Prognoseentscheidung, das heißt die Ausübung des ordnungsgemäßen Ermessens durch den Dienstherrn, zu überprüfen (VG Magdeburg, Beschl. v. 12.06.2012, 8 B 5/12, juris). Hingegen ist es dem Disziplinargericht verwehrt, anstelle der Disziplinarbehörde eine eigene Ermessenserwägung anzustellen (OVG Saarland, Beschluss v. 18.05.2011, 6 B 211/11; juris).
- 18
a. a.) Welche Disziplinarmaßnahme im Einzelfall erforderlich ist, richtet sich gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 und 3 DG LSA nach derSchwere des Dienstvergehens und des unter Berücksichtigung der Persönlichkeit des Beamten eingetretenen Umfangs der durch das Dienstvergehen herbeigeführten Vertrauensbeeinträchtigung. § 13 Abs. 2 DG LSA bestimmt, dass ein Beamter, der durch ein schweres Dienstvergehen das Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit endgültig verloren hat, aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen ist (Satz 1). Die Feststellung des verloren gegangenen Vertrauens ist verwaltungsgerichtlich voll inhaltlich nachprüfbar (Satz 2).
- 19
Demnach ist maßgebendes Bemessungskriterium für die Bestimmung der Disziplinarmaßnahme die Schwere des Dienstvergehens. Sie beurteilt sich zum einen nach der Eigenart und Bedeutung der verletzten Dienstpflichten, Dauer und Häufigkeit der Pflichtenverstöße und den Umständen der Tatbegehung (objektive Handlungsmerkmale) und zum anderen nach Form und Gewicht des Verschuldens und den Beweggründen des Beamten für sein pflichtwidriges Verhalten (subjektive Handlungsmerkmale) sowie nach den unmittelbaren Folgen der Pflichtenverstöße für den dienstlichen Betrieb und für Dritte (vgl. zum gleichlautenden § 13 BDG, BVerwG, Urt. v. 20.10.2005, 2 C 12.04; Urt. v. 03.05.2007, 2 C 9.06; B. v. 10.09.2010, 2 B 97/09; VGH Baden-Württemberg, U. v. 16.09.2010, DL 16 S 579/10; alle juris).
- 20
Erst bei Würdigung der Gesamtpersönlichkeit des Beamten lässt sich mit der gebotenen Sicherheit beurteilen, ob der Beamte aus disziplinarrechtlicher Sicht noch erziehbar erscheint oder ob hierfür eine bestimmte Disziplinarmaßnahme als notwendig, aber auch als ausreichend erscheint, oder ob der Beamte für die Allgemeinheit und den Dienstherrn untragbar geworden ist und deshalb seine Entfernung aus dem Beamtenverhältnis geboten ist (vgl. nur: VG Magdeburg, U. v. 04.11.2009, 8 A 19/08 m. w. N.; juris).
- 21
Eine objektive und ausgewogene Zumessungsentscheidung setzt demnach voraus, dass die gegen den Beamten ausgesprochene Disziplinarmaßnahme unter Berücksichtigung der belastenden und entlastenden Umstände des Einzelfalls in einem gerechten Verhältnis zur Schwere des Dienstvergehens und zum Verschulden des Beamten steht und gewisse Besonderheiten des Einzelfalls mildernd zu berücksichtigen sind (vgl. BVerfG, Beschl. v. 08.004, 2 BvR 52/02; BVerwG, U. v. 14.02.2007, 1 D 12.05 mit Verweis auf Urteil vom 20.10.2005, 2 C 12.04; OVG Lüneburg, U. v. 20.11.2009, 6 LD 1/09; VGH Bad.-Württ., U. v. 16.09.2010, DL 16 S 579/10; VG Saarland, U. v. 17.09.2010, 7 K 238/09; alle juris).
- 22
b. b.) Unter diesen rechtlichen Prüfungsvoraussetzungen folgt die Disziplinarkammer nach dem derzeitigen, sich aus der Begründung der Suspendierung, dem Aktenmaterial und dem Vorbringen der Beteiligten ergebenden Sach- und Rechtsstand nicht der von dem Antragsgegner angestellten Prognoseentscheidung. Danach ist gegenwärtig nicht mit der überwiegenden Wahrscheinlichkeit davon auszugehen ist, dass prognostiziert werden kann, bei sich bei Fortgang der Ermittlungen ergibt, dass der Antragsteller ein derart schweres Dienstvergehen begangen hat, welches aufgrund des damit einhergehenden Verlustes des Vertrauens des Dienstherrn oder der Allgemeinheit zu seiner Entfernung aus dem Dienst führt.
- 23
Der Antragsgegner stützt die vorläufige Dienstenthebung maßgeblich darauf, dass der Antragsteller gegen die „Dienstleistungspflicht und die Pflicht zum achtungswürdigen und vertrauensgerechten Verhalten“ verstoßen habe. Ist „Dienstleistungspflicht“ eher in Bezug auf das Erscheinen zum Dienst und die ordnungsgemäße äußere Dienstausübung anzusehen, meint der Antragsgegner wohl die beamtenrechtlichen Grundpflichten nach § 34 Satz 3 Beamtenstatusgesetz (BeamtStG), wonach das Verhalten des Beamten der Achtung und dem Vertrauen gerecht werden muss, die der Beruf erfordert (Wohlverhaltenpflicht). Diese Pflicht ist generell verletzt, wenn der Beamte strafrechtlich in Erscheinung tritt. Ob diese beamtenrechtliche Pflichtverletzung zugleich notwendig zur Entfernung aus dem Dienst führt, hängt maßgeblich von dem strafrechtlichen Unrechtsgehalt der verwirklichten Straftatbestände und dem Umstand ab, ob es sich um inner- oder außerdienstliche Dienstvergehen handelt. Dabei ist nach der Rechtsprechung unter anderem auf den Strafrahmen abzustellen, welcher nach § 22a Abs. 1 Nr. 3 Kriegswaffenkontrollgesetz bis zu 5 Jahren und im Fall des Absatz 3 bis zu 3 Jahren beträgt. Verbreitung, Erwerb und Besitz kinderpornografischer Schriften ist nach § 184b StGB mit bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe belegt.
- 24
c. c.) Dem Disziplinargericht erscheint es auch vor diesem Hintergrund der durchaus im Raum stehenden schweren Dienstpflichtverletzungen nach augenblicklichem Kenntnisstand jedoch nicht hinreichend ausermittelt, dass der Antragsteller diese Straftatbestände auch tatsächlich verwirklicht bzw. die daraus resultierenden Dienstpflichten verletzt hat um mit der notwendigen – eingangs beschriebenen – Wahrscheinlichkeit die verlässliche Prognose der Entfernung aus dem Dienst stellen zu können. Vorliegend hat der Antragsgegner bereits tags nach der Durchsuchung der Diensträume und dem Bekanntwerden des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens das Disziplinarverfahren eingeleitet und die streitbefangene Verfügung erlassen, wobei diese isoliert betrachtet, nicht hinreichend begründet erscheint und gerade keine Abwägung und Prognose beinhaltet. Nur durch die hinzutretenden Ausführungen in dem späteren Bescheid vom 01.09.2014 ist eine hinreichende Begründung gegeben. Während es für die Einleitung eines Disziplinarverfahrens nach § 17 DG LSA ausreicht, dass Tatsachen bekannt werden, die den Verdacht eines Dienstvergehens rechtfertigen (vgl. VG Magdeburg, Urteil v. 13.012, 8 A 7/11; juris) reicht dieser Anfangsverdacht für die nach § 38 DG LSA verhängten Maßnahmen der vorläufigen Dienstenthebung und der Einbehaltung von Bezügen gerade nicht aus. Je weniger der den Verdacht begründende Sachverhalt in seinen Einzelheiten bekannt ist, desto mehr muss mit dem Vorliegen von Ausnahmeumständen gerechnet werden (Hummel/Köhler/Mayer, BDG, 5. Auflage 2012, § 38 Rz. 3). Diese unterschiedlichen Zielrichtungen übersieht der Antragsgegner. Auch wenn er in dem Schriftsatz vom 10.02.2015 ausführt, dass ein Durchsuchungsbeschluss aufgrund einer richterlichen Anordnung ergeht und der Richter den Tatverdacht anhand der Aktenlage prüft und tatsächliche Anhaltspunkte für die Begehung einer Straftat vorliegen müssen, ändert dies nichts an dem andersartigen disziplinarrechtlichen Prognosemaßstab zur Wahrscheinlichkeit des späteren Ausspruchs der Entfernung aus dem Dienst. Anderenfalls könnte gleichsam mit der Einleitung strafrechtlicher Ermittlungen stets die Suspendierung ausgesprochen werden. Gerade dies sieht das Disziplinarrecht nicht vor.
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Der Antragsgegner führt selbst noch in der Antragserwiderung vom (wohl) 19.014 aus, dass man sich bemüht habe, weitere umfangreichere Auskünfte von den Ermittlungsbeamten zu erhalten. Dem Vorschlag der Kriminalpolizei eine schriftliche Anfrage an die Staatsanwaltschaft Hannover zu stellen, wurde unter dem 24.06.2014 gefolgt. Eine Antwort steht aus und der Antragsgegner führt aus, dass er davon ausgehen musste, dass vor Abschluss der Ermittlungen keine Auskünfte erteilt werden. Die sodann vom Antragsgegner gezogene Schlussfolgerung, dass „gleichwohl […] ein weiteres Zuwarten nicht zumutbar [war]“ (Schriftsatz vom 19.014, S. 5 unten), lässt die Abwägung hinsichtlich der Auswirkungen des durch die nach § 38 DG LSA dem Beamten gegenüber vorgenommenen Eingriffe nicht hinreichend erkennen. Denn auch diese im Zeitpunkt des gerichtlichen Verfahrens vorgenommene Abwägung beruht auf Mutmaßungen bzw. nicht belastbaren, weil unreflektiert gegebenen Informationen der Ermittlungsorgane. Der Antragsgegner wertet diese zudem nicht ausreichend und bewegt sich überwiegend im Rahmen der Spekulation. So bezieht sich der Antragsgegner auf eine E-Mail der Kriminalpolizei A-Stadt vom 04.04.2014 (Beiakte A, Bl. 11, f,), wonach im Rahmen der Hausdurchsuchung „eine Vielzahl von Kriegswaffen sichergestellt“ worden seien. Der Kriminalbeamte führt aber weiter aus: „Eine abschließende rechtliche Würdigung dieser Waffen kann erst nach gutachterlicher Stellungnahme erfolgen, da es sich vermutlich ehemals um Dekorationswaffen, bzw. zivile Ausführungen, gehandelt hat. […] Bei den sichergestellten Waffen wurden diese Rückbauten zumindest in Teilbereichen revisioniert – durch Herrn A. -, so dass es wieder zu Teilfunktionen gekommen ist. Ob es wieder zu einer Vollfunktion gekommen ist, bleibt den Gutachtern vorbehalten. Aber auch eine rechtliche Einstufung als Kriegswaffe, trotz Funktionseinschränkungen, wäre denkbar.“ Diese entscheidenden weiteren Ausführungen zu dem Abwarten der Ermittlungs- und Gutachterergebnissen lässt der Antragsgegner vollständig unberücksichtigt. Verwertbar steht bislang allein fest, dass der Antragsteller bei dem Waffenhändler in Essen ein Verschlussteil für ein Maschinengewehr erworben hat. Auch in der E-Mail vom 23.06.2014 (Beiakte A, Bl. 108) geht die PI A-Stadt davon aus, dass erst noch Untersuchungsaufträge erteilt werden müssen. Nach deren Ergebnis hat der Antragsgegner nicht erkundigt.
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Gleiches gilt für den Vorhalt des Verstoßes nach § 184b StGB. Fest steht, dass bei dem Antragsteller im Rahmen eines Zufallsfundes „eine Bilddatei“ mit kinderpornografischen Inhalt gefunden wurde und daraufhin weiter ermittelt wird. Auch hier liegen noch keine Ermittlungsergebnisse vor. Gleichwohl wird in dem Bescheid vom 01.09.2014 ausgeführt, dass auf Nachfrage bei dem Ermittlungsbeamten mitgeteilt worden sei, dass die Auswertung der Datenträger noch andauere, man sich nun mittlerweile in einem „mittleren vierstelligen Bereich bewegen“ würde. Allein der Hinweis darauf, dass der Antragsgegner Kenntnis davon erlangte, das gegen den Antragsteller wegen Kinderpornografie ermittelt wird, reicht als Tatsachengrundlage für eine sachgerechte Prognose, welche Disziplinarmaßnahme zu erwarten ist, gerade nicht aus. Denn dazu müssen Anzahl der Bilder, die Häufigkeit des Herunterladens sowie die in den Bilden und Videos hinsichtlich ihrer Ausführungsart dargestellten sexuellen Handlungen ausgewertet werden (BVerwG, Urteil v. 19.08.2010, 2 C 13.10; vgl. zu einem einmaligen innerdienstlichen Herunterladen kinderpornografischer Inhalte; BayVGH, Urteil v. 17.11.2011, 16a D 10.2504; zusammenfassend: VG Magdeburg, Urteil v. 05.06.2013, 8 A 10/12, alle juris). Allein die Information in der E-Mail der PI A-Stadt vom 23.06.2014 (Beiakte A, Bl. 108) dahingehend, „die Auswertung der Datenträger dauert an; i. S. Kinderpornografie bewegen wir uns mittlerweile im vierstelligen Bereich“ trägt nicht zur Erhellung des im Raume stehenden Vorwurfs bei.
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b.) Die ebenso auf § 38 Abs. 1Satz 2 DG LSA gestützte Suspendierung hält der Überprüfung nach § 61 Abs. 2 DG LSA nicht stand. Auch insoweit bestehen ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit. Die vom Antragsgegner angeführten Gründe sind nicht geeignet zu verdeutlichen, dass durch ein Verbleiben des Antragstellers im Dienst der Dienstbetrieb wesentlich beeinträchtig wäre. Die Maßnahme darf mit Blick auf die Bedeutung der Sache und zu erwartende Disziplinarmaßnahme nicht außer Verhältnis stehen. Die pauschale Begründung, die Dienstenthebung rechtfertige sich aus der zu erwartenden Höchstmaßnahme oder eine Weiterbeschäftigung komme bis zum rechtskräftigen Abschluss des Disziplinarverfahrens nicht in Betracht, um eine Gefährdung oder Störung dienstlicher Belange zu vermeiden, genügt nicht. Es bedarf der Darlegung der besonderen Umstände für die Störung des Dienstbetriebes. Die vorläufige Dienstenthebung erweist sich dann als ermessensgerecht und verhältnismäßig, wenn ohne diesen Eingriff der Dienstbetrieb oder die ordnungsgemäße Tätigkeit der Verwaltung durch die Anwesenheit des Beamtenempfindlich gestört oder in besonderem Maße gefährdet wäre (vgl. BVerwG, Beschl. v. 01.09.2000, 1 DB 16.00; Beschl. v. 04.01.1996, 1 DB 16.95; Hummel/Köhler/Mayer, BDG, 5. Auflage 2012, § 38 Rz. 4).
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Vorliegend macht der Antragsgegner zwar diesbezüglich umfassende – oben unter I, wiedergegebene – Ausführungen; gleichwohl tragen diese zur Überzeugung des Gerichts nicht. Denn der Antragsgegner argumentiert pauschal, dass der dem Antragsteller vorgehaltene Unrechtsgehalt der strafrechtlichen Delikte zur Störung des Dienstbetriebes führe. Er unterlässt jedwede konkrete Subsumtion zu den gegebenen Besonderheiten und dem Stadium des Verfahrens, dass konkrete und belastende Ermittlungsergebnisse gerade noch nicht vorliegen.
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Eine wesentliche Beeinträchtigung des Dienstbetriebes ist vor allem dann zu besorgen, wenn auf Grund von Umständen, die mit dem mutmaßlich begangenen Dienstvergehen in Zusammenhang stehen, eine gedeihliche, der Dienstverrichtung dienende Zusammenarbeit mit dem Beamten gefährdet ist und herunter die Aufgabenerledigung ernsthaft leiden kann. Anhaltspunkte hierfür können sich aus den bereits eingetretenen Folgen des mutmaßlichen Dienstvergehens ergeben. Auswirkungen auf den Dienstbetrieb sind weiterhin zu befürchten, wenn aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte mit einer Fortsetzung der Begehung des Dienstvergehens zu rechnen ist (OVG Lüneburg, Beschl. v. 25.03.2013, 19 ZD 4/13, juris).
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So wäre für ein notwendiges Fernhalten des Antragstellers vom Dienst von Belang, ob er mit dem dienstlichen Inventar oder aus den dienstlichen Räumen heraus die vorgehaltenen Straftaten begangen hat. Gleiches gilt, wenn zu befürchten ist, dass der Beamte im Dienst aufgrund der ihm dienstlich zur Verfügung stehenden Mittel erneut auffällig wird. Der Antraggegner geht insoweit von dem Idealfall aus, dass die Taten bewiesen sind und damit zur Stigmatisierung führen. Er berücksichtigt nicht, dass jedwede bekanntgewordenen straf- oder disziplinarrechtlichen Ermittlungen gegen einen Beamten die Gefahr bedeuten, dass diese Tatsachen negative Auswirkungen auf den Dienstbetrieb auch und gerade eines Ministeriums haben. Es ist zwar nicht ausgeschlossen, dass es Fälle gibt, in denen aufgrund der Natur und des Gewichts des vorgeworfenen Dienstvergehens sowie des vom Beamten bekleideten Amtes zugleich ohne weitere Darlegungen eine wesentliche Beeinträchtigung des Dienstbetriebes ersichtlich ist. Diese allgemeine abstrakte Befürchtung ist aber mit dem Tatbestand des § 38 Abs. 1 Satz 2 DG LSA nicht gemeint. Denn ansonsten würden jedwede (strafrechtliche) Ermittlungen die Suspendierung rechtfertigen.
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Hinzu kommt, dass der Antragsgegner die Tatsche der vom Antragsteller vorgenommenen Heimarbeit nicht hinreichend würdigt. Ausweislich des ärztlichen Attestes vom 04.07.2013 befindet sich der Antragsteller wohl für den Zeitraum von zwei Jahren in der Wiedereingliederung mit zwei Präsenstagen in der Woche am Dienstort in B-Stadt und an drei Tagen in Heimarbeit. Danach kann man die Präsenz am Dienstort vernachlässigen. Denn nur in Bezug darauf kann die Störung des Dienstbetriebes ernsthaft gesehen, geprüft und abgewogen werden. Der Antragsgegner argumentiert vielmehr damit, dass der Antragsteller auch in Heimarbeit für ihn tätig werde und gegenüber anderen Stellen auftrete. Diese Argumentation zielt aber darauf, sich vor einem Ansehensverlustes zu schützen, was aber nicht mit der „Störung des Dienstbetriebes“ ohne weiteres gleichzusetzen ist.
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Schließlich berücksichtigt der Antragsgegner nicht hinreichend die weitere Tatbestandsvoraussetzung nach § 38 Abs. 1 Satz 2 DG LSA, nämlich dass die vorläufige Dienstenthebung zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Disziplinarmaßnahme nicht außer Verhältnis steht. Diese Verhältnismäßigkeit kann aber nach den Ausführungen zu § 38 Abs. 1 Satz 1 DG LSA gerade nicht angenommen werden. Denn aufgrund des derzeit offenen und nicht hinreichend bekannten Ergebnisses des Ermittlungsverfahrens, kann der Ausspruch der disziplinarrechtlichen Höchstmaßnahme bei Fortgang der Ermittlungen derzeit gerade nicht mit der notwendigen Wahrscheinlichkeit prognostiziert werden.
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2.) Aufgrund der derzeit fehlenden Wahrscheinlichkeit zum späteren Ausspruch der Entfernung aus dem Dienst, bestehen auch hinsichtlich der nach § 38 Abs. 2 DG LSA verfügten Einbehaltung der Dienstbezüge ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit im Sinne des § 61 Abs. 2 DG LSA, was zur Aufhebung führt. Dazu darf bemerkt werden, dass die Ausschöpfung der vom Gesetz vorgegeben Obergrenze von 50 % auch unter Beachtung der fehlenden Mitwirkung des Beamten zur Offenlegung seiner finanziellen Situation unter Gründen der Verhältnismäßigkeit als grenzwertig anzusehen ist. Denn der Einbehaltung darf kein Strafcharakter zukommen.
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3.) Abschließend weist das Gericht darauf hin, dass der Dienstherr den durch die Einleitung des Disziplinarverfahren zur Kenntnis gelangten Lebenssachverhalt stetig unter Kontrolle zu halten, das Disziplinarverfahren daher zügig zu betreiben und abzuschließen oder wegen der strafrechtlichen Ermittlungen auszusetzen und auch die Voraussetzungen der vorläufigen Dienstenthebung und Einbehaltung der Dienstbezüge aktuell zu prüfen hat (vgl. § 38 Abs. 4 DG LSA). Dies bedeutet gerade, dass es bei Fortgang der Ermittlungen und Bekanntgabe deren Ergebnisse nicht ausgeschlossen erscheint, die sodann verlässliche Prognose der Voraussetzungen nach § 38 Abs. 1 DG LSA zu stellen und eine erneute Verfügung zu erlassen.
Gründe
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I.) Die Antragstellerin ist Polizeivollzugsbeamtin im Rang einer Kriminalkommissarin und wendet sich gegen die von der Antragsgegnerin mit Bescheid vom 24.09.2014 ausgesprochene teilweise Einbehaltung der Dienstbezüge in Höhe von 31 %. Zuvor wurde die Beamtin mit Bescheid vom 11.08.2014 vorläufig des Dienstes enthoben. Den dagegen bei dem Disziplinargericht gestellten Antrag nach § 61 Abs. 1 Disziplinargesetz Sachsen-Anhalt - DG LSA - (8 B 17/14) hat sie zurückgenommen. Die vorläufige Dienstenthebung führt aus, dass die Beamtin ein schwerwiegendes Dienstvergehen begangen habe. Denn aufgrund der rechtskräftigen Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten auf Bewährung durch das Landgericht A-Stadt vom 12.11.2013 wegen falscher uneidlicher Aussage in Tateinheit mit versuchter Strafvereitelung sei damit zu rechnen, dass die Beamtin im Fortgang des Disziplinarverfahrens aus dem Dienst entfernt werde. Die Antragstellerin wendet sich mit ihrem Antrag gegen die Berechnung und die Höhe des Kürzungsteils.
- 2
II.) Der zulässige Antrag nach § 61 Abs. 2 DG LSA ist unbegründet.
- 3
Nach § 38 Abs. 2 DG LSA kann die für die Erhebung der Disziplinarklage zuständige Behörde gleichzeitig mit oder nach der vorläufigen Dienstenthebung anordnen, dass dem Beamten bis zu 50 v. H. der monatlichen Dienstbezüge einbehalten werden, wenn im Disziplinarverfahren voraussichtlich auf Entfernung aus dem Beamtenverhältnis erkannt werden wird.
- 4
Die nach § 61 Abs. 2 DG LSA vom Disziplinargericht vorzunehmende Prüfung ergibt, dass die Einbehaltung von 31 % der Dienstbezüge nicht aufzuheben ist. Ernstliche Zweifel an ihrer Rechtmäßigkeit bestehen nicht.
- 5
Nach § 61 Abs. 2 DG LSA ist die Einbehaltung von Dienstbezügen dann aufzuheben, wenn ernstliche Zweifel an ihrer Rechtmäßigkeit bestehen. Dies ist dann der Fall, wenn sich die Ermessensentscheidung des Dienstherrn hinsichtlich der Höhe des Einbehaltungsanteils nicht an dem Grundsatz der angemessenen Alimentation des Beamten ausrichtet, aber auch dann, wenn der Dienstherr die Prognose, dass im Disziplinarverfahren voraussichtlich auf Entfernung aus dem Beamtenverhältnis erkannt werden wird, nicht oder nicht hinreichend stellt.
- 6
1.) Vorliegend führt die Antragsgegnerin in dem streitbefangenen Bescheid aus, dass die Beamtin vorläufig des Dienstes enthoben wurde und bei summarischer Prüfung überwiegend wahrscheinlich sei, dass als disziplinarrechtliche Maßnahme die Entfernung aus dem Dienst folgen werde. In der Antragserwiderung vom 01.12.2014 verweist die Antragstellerin auf die Begründung der vorläufigen Dienstenthebung.
- 7
Das Disziplinargericht weist darauf hin, dass die notwendige Prüfung und Prognoseentscheidung zum voraussichtlichen Ausgang des anhängigen Disziplinarverfahrens als Tatbestandsvoraussetzung der Rechtmäßigkeit der Kürzung nach § 38 Abs. 2 DG LSA genauso sorgfältig zu erfolgen hat, wie in der Entscheidung über die vorläufige Dienstenthebung nach § 38 Abs. 1 DG LSA selbst. Dabei darf aber nicht übersehen werden, dass die Einbehaltung von Teilen der Dienstbezüge meistens gleichzeitig mit der Entscheidung über die vorläufige Dienstenthebung verbunden wird, wie dies auch vom Gesetz als zulässig angesehen wird. Eine Verweisung auf die Gründe der Suspendierungsverfügung muss daher grundsätzlich aus Effektivitätsgründen als zulässig angesehen werden. Dementsprechend sieht das Disziplinargericht die vorliegende Anlehnung an die Gründe der Suspendierung in dem streitbefangenen Bescheid und schließlich die Verweisung darauf in der Antragserwiderung als noch ausreichend an.
- 8
Diese Ausführungen zum Dienstvergehen und insbesondere zur Schwere des Dienstvergehens tragen die von der Antragsgegnerin angestellte Prognoseentscheidung, dass bei Fortgang des Disziplinarverfahrens der Ausspruch der disziplinarrechtlichen Höchstmaßnahme überwiegend wahrscheinlich ist. Letztendlich wendet sich die Antragstellerin auch nicht gegen diese Prognoseentscheidung.
- 9
Diese Prognose trägt nur dann, wenn nach dem Kenntnisstand eines Eilverfahrens die Möglichkeit des Ausspruchs der disziplinarrechtlichen Höchstmaßnahme überwiegend wahrscheinlich ist. Ist es dagegen zumindest ebenso wahrscheinlich, dass eine Entfernung des Beamten aus dem Beamtenverhältnis im Disziplinarverfahren nicht erfolgen wird, sind ernstliche Zweifel durch das Gericht zu bejahen (BVerwG, Besch. v. 16.07.2009, 2 AV 4.09; BayVGH, Beschl. v. 20.04.2011, 16b DS 10.1120;Sächs. OVG, B. 19.08.2010, D 6 B115/10 mit Verweis auf Beschluss vom 08.07.2010, D6A116/10; alle juris; Müller, Grundzüge des Beamtendisziplinarrechts, § 38 Abs. 1 BDG, 2010, Rz. 370 m. w. N.; GKÖD, Disziplinarrecht des Bundes und der Länder, § 38 BDG, Rz. 51). Anders gewendet, es müssen hinreichend gewichtige Gründe dafür sprechen, dass die Entfernung aus dem Dienst im Ergebnis des - noch durchzuführenden - Disziplinarverfahrens nicht in Betracht kommt. Dies beinhaltet eine vom Gericht vorzunehmende summarische Prüfung des zurzeit bekannten Sachverhaltes und eine daran orientierte Wahrscheinlichkeitsprognose. Hinsichtlich des zur Last gelegten Dienstvergehens genügt die Feststellung, dass der Beamte dieses Dienstvergehen mit einem hinreichenden Grad an Wahrscheinlichkeit begangen hat; nicht erforderlich ist, dass das Dienstvergehen bereits in vollem Umfang nachgewiesen ist (vgl. BVerwG, Beschl. v. 29.09.1997, 2 WDB 3.97; OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 22.09.2009, 83 DB 1.09; OVG des Saarlandes, Beschl. v. 17.06.2009, 6 B 289/09; alle juris).
- 10
Die Beurteilung im Verfahren nach § 61 DG LSA erfordert keine gesonderten Beweiserhebungen, sondern ist in der Lage, in der sich das Disziplinarverfahren jeweils befindet, anhand der bis dahin zu Tage getretenen Tatsachen zu treffen. Für eine vorläufige Dienstenthebung können u. U. selbst durch Aktenvermerke untermauerte Erkenntnisse ausreichen (vgl. Müller a. a. O.). Dabei ist auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abzustellen (BVerwG, Beschl. v. 22.07.2002, 2 WDB 1.02; OVG Berlin-Brandenburg; Beschl. v. 18.08.2005, 80 SN 1.05; Bay VGH, Beschl. v. 11.04.2012, 16b DCV 11.985; alle juris). Jedoch muss für die gerichtliche Überprüfung der vorläufigen Dienstenthebung maßgeblich auf die von dem Dienstherrn in dem Bescheid herangezogenen Gründe der Pflichtenverletzung abgestellt werden. Ähnlich wie bei der Bestimmtheit des Tatvorwurfs als inhaltliche Anforderung an die - spätere - Disziplinarklageschrift, müssen die Sachverhalte, aus denen das Dienstvergehen hergeleitet wird, aus sich heraus verständlich und nachvollziehbar geschildert werden. Ort und Zeit der einzelnen Handlungen müssen möglichst genau angegeben, die Geschehensabläufe nachvollziehbar beschrieben werden (vgl. nur: BVerwG, Urteile v. 23.11.2006, 1 D 1.06, v. 25.01.2007, 2 A 3.05; Beschlüsse v. 13.03.2006, 1 D 3.06, v. 18.11.2008, 2 B 63.08 und v. 21.04.2010, 2 B 101.09; alle juris). Nur diese können durch das Disziplinargericht im Rahmen der Würdigung durch Akteninhalte und sonstige - evtl. auch später, im Laufe des Verfahrens nach § 61 DG LSA hinzutretende - Erkenntnisse untermauert werden, um so die Prognoseentscheidung, das heißt die Ausübung des ordnungsgemäßen Ermessens durch den Dienstherrn, zu überprüfen (VG Magdeburg, Beschl. v. 12.06.2012, 8 B 5/12, juris). Hingegen ist es dem Disziplinargericht verwehrt, anstelle der Disziplinarbehörde eine eigene Ermessenserwägung anzustellen (OVG Saarland, Beschluss v. 18.05.2011, 6 B 211/11; juris).
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Vorliegend wird die Schwere des Dienstvergehens zutreffend darin gesehen, dass die Beamtin rechtskräftig wegen falscher uneidlicher Aussage in Tateinheit mit versuchter Strafvereitelung zu einer Freiheitsstrafe von 6 Monaten zur Bewährung verurteilt wurde. Zutreffend wertet die Antragsgegnerin diese außerdienstlich begangene Straftat als in besonderem Maße geeignet, das Vertrauen in einer für das Amt bedeutsamen Weise zu beeinträchtigen und welche zu einem schweren Ansehensverlust in der Öffentlichkeit führt. Von einer Polizeibeamtin muss und darf erwartet werden, dass sie Straftaten verhindert und nicht selbst begeht. Dies gilt gerade für solche der vorliegenden Art. Denn wie auch das Strafgericht ausgeführt hat, war der Antragstellerin als Polizeibeamtin bekannt, dass Zeugenaussagen dieser Personen- und Berufsgruppe vor Gericht eine besondere Bedeutung zukommt, so dass das Landgericht den Strafausspruch verschärfte.
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2.) Die Berechnung und Festlegung des Kürzungsteils ist nicht zu beanstanden. Dabei muss die Dienstbehörde berücksichtigen, dass die vorläufige Einbehaltung von Dienstbezügen keinen Strafcharakter hat, sondern mit Rücksicht auf die fortbestehende Alimentationspflicht des Dienstherrn allein auf die wirtschaftlichen Verhältnisse des Beamten abzustellen ist. Der vorläufig des Dienstes enthobene Beamte muss gewisse Einschränkungen in seiner Lebenshaltung hinnehmen. Jedoch darf die Einbehaltung wegen ihres vorläufigen Charakters nicht zu einer existenzgefährdenden wirtschaftlichen Beeinträchtigung führen (vgl. zusammenfassend: BVerwG, U. v. 13.08.1979, 1 DB 14.79; VG Berlin, B. v. 02.02.2007, 80 Dn 59.06; VG Magdeburg, B. v. 27.11.2006, 8 A 17/06 und v. 19.05.2009, 8 B 7/09; alle juris).
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Gemessen daran, ist das Ermessen der Einleitungsbehörde fehlerfrei ausgeübt worden. Denn bei der Berechnung der wirtschaftlichen Verhältnisse der Antragstellerin als Grundlage für den prozentualen Kürzungsanteil durfte sich die Behörde zu Recht an den Sozialhilfegrundsätzen orientieren. Dabei hat sie berücksichtigt, dass der Regelsatz der Sozialhilfe aufgrund des Alimentationsgrundsatzes angemessen zu erhöhen ist. Diese pauschale Erhöhung von 10 % ist nicht zu beanstanden. Zudem wurde ihr als Alleinerziehende mit zwei Kindern ein 36%iger Mehrbedarf zugesprochen. Dementsprechend ist das Kindergeld zutreffend als Einkommen berücksichtigt worden. Denn auch dieses gilt als Einkommen der Beamtin und nicht etwa als Einkommen Dritter oder einer Bedarfsgemeinschaft (Sächs. OVG, Beschluss v. 02.02.2013, D 6 B 147/12 mit Verweis auf: BVerwG, Urteil v. 17.06.2004,2 C 34.02; juris). Dem weiteren Vortrag der Antragstellerin, dass die Kürzungen es ihr nicht ermöglichen, notwendige Ausgaben für die Kinder zu tätigen, kann deshalb nicht gefolgt werden. Mit der Antragsgegnerin geht die Kammer davon aus, dass der Sozialhilfesatz zuzüglich der Zuschläge die notwendigen Ausgaben gewährleistet. Die von der Antragsgegnerin nicht anerkannten Ausgaben werden nicht bestritten. Das Gericht folgt demnach der Berechnung der Antragsgegnerin in dem Bescheid und der Antragserwiderung vom 01.12.2014 und darf zur weiteren Begründung darauf verweisen (§ 3 DG LSA; 117 Abs. 5 VwGO).
Gründe
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Die Klägerin begehrt die Feststellung der Rechtswidrigkeit einer glücksspielrechtlichen Untersagungsverfügung. Das Regierungspräsidium Karlsruhe untersagte ihr mit sofort vollziehbarem Bescheid vom 4. Juli 2006 unter Androhung eines Zwangsgeldes, in Baden-Württemberg Sportwetten zu veranstalten, zu vermitteln und dafür zu werben. Das Zwangsgeld wurde festgesetzt, aber nicht mehr beigetrieben, nachdem die im Eilverfahren unterlegene Klägerin die Sportwettenvermittlung eingestellt hatte. Ihre Klage gegen die Untersagungsverfügung hat das Verwaltungsgericht Karlsruhe abgewiesen. Ein Staatshaftungsprozess vor dem Landgericht Karlsruhe wurde bis zur rechtskräftigen Entscheidung im Verwaltungsrechtsstreit ausgesetzt. Soweit dieser den Zeitraum seit Inkrafttreten des Glücksspieländerungsstaatsvertrages zum 1. Juli 2012, die beidseits für erledigt erklärte Anfechtung der Untersagungsverfügung in Ansehung ihrer Vollziehung sowie eine Gebührenfestsetzung betraf, hat der Verwaltungsgerichtshof das Verfahren unter dem Aktenzeichen 6 S 397/14 abgetrennt. Bezüglich des Fortsetzungsfeststellungsbegehrens betreffend die Untersagung in der Zeit vom 4. Juli 2006 bis zum 30. Juni 2012 hat er die Berufung zurückgewiesen und die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen.
- 2
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Die dagegen erhobene, allein auf Verfahrensrügen gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Verfahrensmängel liegen nicht vor.
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1. Das angegriffene Urteil verletzt nicht das Recht der Klägerin auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO. Ein Verstoß gegen diese Gewährleistung ist teils nicht prozessordnungsgemäß nach § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO dargetan und liegt im Übrigen nicht vor. Der Verwaltungsgerichtshof hat weder klägerisches Vorbringen verfahrensfehlerhaft übergangen noch gerichtliche Erörterungs- oder Hinweispflichten verletzt; er hat auch keine unzulässige Überraschungsentscheidung getroffen.
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a) Der Vorwurf, das Berufungsurteil lasse den Kern des klägerischen Vortrags außer Acht, ist nicht berechtigt. Die Gewährleistung rechtlichen Gehörs gebietet, das Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und zu berücksichtigen. Daraus folgt allerdings nicht, dass in der Entscheidung sämtliche von den Beteiligten vorgetragenen oder für wesentlich gehaltenen Gesichtspunkte zu behandeln wären. Nur wenn nach der materiell-rechtlichen Rechtsauffassung des Gerichts entscheidungserhebliches tatsächliches oder rechtliches Vorbringen unerwähnt bleibt, lässt das darauf schließen, dass dieses Vorbringen nicht berücksichtigt wurde (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. Mai 1992 - 1 BvR 986/91 - BVerfGE 86, 133; BVerwG, Urteil vom 20. November 1995 - 4 C 10.95 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 267 S. 22 f.; Beschluss vom 29. Juli 2010 - 8 B 106.09 - juris Rn. 33
§ 3 vermg nr. 77 nicht abgedruckt> m.w.N.). Ein Übergehen solchen Vorbringens ist der Beschwerdebegründung nicht zu entnehmen.
- 5
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Auf den Vortrag zur fiskalischen Zielsetzung des Sportwettenmonopols und seiner exekutiven Durchsetzung sowie auf den Vortrag zur Erkennbarkeit dieser Zielsetzung für die im Untersagungsverfahren tätig gewordenen Amtswalter musste die Vorinstanz nicht ausdrücklich eingehen, weil es darauf nach ihrer materiell-rechtlichen Rechtsauffassung nicht ankam. Der Verwaltungsgerichtshof hat angenommen, für die Zeit vor Ergehen der einschlägigen Urteile des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 8. September 2010 sei das in § 839 BGB vorausgesetzte Verschulden unabhängig von den geltend gemachten rechtswidrigen Zielen des Monopols und seiner Durchsetzung zu verneinen, da rechtskundige Kollegialgerichte seinerzeit das Monopol und dessen Durchsetzung mit Untersagungsverfügungen für rechtmäßig gehalten hätten und ihre Urteile - auch in Ansehung der bis zu diesem Zeitpunkt ergangenen unionsgerichtlichen Rechtsprechung - nicht bereits im Ansatz verfehlt gewesen seien. Für den genannten Zeitraum fehle es mangels eindeutiger Rechtsprechung auch an einem hinreichend qualifizierten Unionsrechtsverstoß. Legt man diese materiell-rechtliche Sicht zugrunde, kam es weder auf die Zielsetzung des Monopols oder seiner Durchsetzung im betreffenden Zeitraum noch darauf an, ob die Amtswalter von ihr Kenntnis hatten oder hätten haben müssen. Für den übrigen verfahrensgegenständlichen Zeitraum bis zum 30. Juni 2012 waren diese Umstände nach der materiell-rechtlichen Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichtshofs ebenfalls nicht erheblich, weil danach jedenfalls eine Kausalität der möglichen schuldhaften Rechtsverletzung für einen etwa entstandenen Schaden fehlte. Die Richtigkeit der materiell-rechtlichen Rechtsauffassung kann nicht mit der Verfahrensrüge angegriffen werden. Das gilt auch für die berufungsgerichtliche Interpretation der in der unionsgerichtlichen Rechtsprechung entwickelten Anforderungen an glücksspielrechtliche Beschränkungen der Dienstleistungsfreiheit, die unter dem Stichwort der "Zenatti-Bemerkung" kritisiert wird.
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Der Vorwurf, der Verwaltungsgerichtshof gehe auf den detaillierten Vortrag der Klägerin zur Sportwettenvermittlung insbesondere im Schriftsatz vom 16. Januar 2015 (S. 20 bis 28) mit keinem Wort ein, genügt nicht den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO, weil er die Entscheidungserheblichkeit des Vortrags aus der materiell-rechtlichen Sicht des Berufungsgerichts nicht darlegt.
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Mit dem Vortrag, ein Staatshaftungsanspruch der Klägerin könne sich aus direkter oder entsprechender Anwendung des § 55 Abs. 1 des Polizeigesetzes des Landes Baden-Württemberg (PolG BW) ergeben, und den wesentlichen dafür angeführten Argumenten der Klägerin setzt sich das Berufungsurteil auf Seite 19 f. auseinander. Sein Hinweis, die Klägerin sei nicht als Nichtstörerin, sondern gegebenenfalls rechtswidrig als Störerin in Anspruch genommen worden, lässt deutlich erkennen, dass es für die Inanspruchnahme "als" Nichtstörer allein auf die Zielrichtung der Maßnahme abstellt und die Auffassung der Klägerin, rechtswidrig "als" Störer in Anspruch genommene Personen seien ebenfalls Nichtstörer oder jedenfalls wie diese zu behandeln, nicht teilt. Dazu verweist es auf den Zusammenhang von § 55 Abs. 1 und § 9 Abs. 1 PolG BW, der einen polizeilichen Notstand voraussetzt. Dass die Klägerin bei Erlass der Untersagungsverfügung als Störerin angesehen wurde, ergab sich schon aus dem angegriffenen Bescheid. Das Berufungsurteil verneint auch die materiell-rechtlichen Voraussetzungen einer Analogie.
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b) Die geltend gemachten Verstöße gegen Hinweis- oder Erörterungspflichten aus Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor. Der Vorwurf einer Überraschungsentscheidung ist ebenfalls nicht begründet.
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Das Recht auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO gewährleistet, dass die Beteiligten sich zu allen entscheidungserheblichen tatsächlichen und rechtlichen Fragen äußern können. Er verbietet, eine Gerichtsentscheidung ohne vorherigen Hinweis auf einen rechtlichen Gesichtspunkt zu stützen, mit dem ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem Prozessverlauf nicht rechnen musste. Das Gericht ist danach nicht grundsätzlich verpflichtet, vor der Entscheidung auf seine Rechtsauffassung hinzuweisen. Ein Hinweis ist nur erforderlich, wenn ein Beteiligter bei Anwendung der von ihm zu verlangenden Sorgfalt nicht zu erkennen vermag, auf welchen Vortrag es für die Entscheidung ankommen kann. Das ist nicht der Fall, wenn ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens damit rechnen musste, dass ein rechtlicher Gesichtspunkt für die Entscheidung erheblich sein könnte (vgl. BVerfG, Beschluss vom 29. Mai 1991 - 1 BvR 1383/90 - BVerfGE 84, 188 <190>; Urteil vom 8. Juli 1997 - 1 BvR 1934/93 - BVerfGE 96, 189 <204> und Plenumsbeschluss vom 30. April 2003 - 1 PBvU 1/02 [ECLI:DE:BVerfG:2003:up20030430.1pbvu000102] - BVerfGE 107, 395 <409>; BVerwG, Beschluss vom 1. März 2010 - 8 C 48.09 <8 C 12.08> - ZOV 2010, 148). Erübrigt sich danach ein Hinweis, besteht auch keine Pflicht, unabhängig vom Vortrag der Beteiligten auf eine Erörterung der entsprechenden Gesichtspunkte hinzuwirken oder zur Diskussion einer bestimmten in Betracht zu ziehenden Rechtsauffassung aufzufordern.
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Danach musste der Verwaltungsgerichtshof nicht auf seine - vorläufige - Rechtsauffassung zu § 55 Abs. 1 PolG BW hinweisen, weil ein kundiger Prozessbeteiligter bei gewissenhafter Vorbereitung auch ohne einen solchen Hinweis damit rechnen musste, dass die Literatur zu § 55 Abs. 1 PolG BW herangezogen und die dort vertretene Auffassung der Berufungsentscheidung zugrunde gelegt werden könnte.
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Es konnte einen solchen Prozessbeteiligten auch nicht überraschen, dass der Verwaltungsgerichtshof sich wegen der in seinem Urteil (S. 11 f.) zitierten, zwischenzeitlich ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht mehr durch die vorherige Aussetzung des zivilgerichtlichen Verfahrens gehindert sah, ein Präjudizinteresse der Klägerin zu verneinen. Die von ihm zitierte Rechtsprechung klärte Grundsatzfragen zur Staatshaftung für glücksspielrechtliche Untersagungen unter dem Lotteriestaatsvertrag und dem Glücksspielstaatsvertrag 2008 sowie zu den Voraussetzungen eines Präjudizinteresses für entsprechende Fortsetzungsfeststellungsklagen. Daher war nicht auszuschließen, dass der Verwaltungsgerichtshof die Aussetzung für überholt halten und davon ausgehen könnte, sie stehe einer Entscheidung auf der Grundlage der aktuellen höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht entgegen (zur Rüge des Verstoßes gegen § 148 ZPO, § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO sogleich unten Rn. 14 f.). Eine gegenteilige Einschätzung ist nicht auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 7. Dezember 1965 - 2 C 226.62 - (Buchholz 310 § 113 VwGO Nr. 23 S. 42) zu stützen. Dieses Urteil betrifft einen Fall, in dem die Prozesslage unverändert geblieben war. Zur Frage, ob die Aussetzung dem Verneinen eines Präjudizinteresses auch bei nachträglicher Klärung dafür höchstrichterlicher erheblicher Rechtsfragen entgegensteht, ist ihm nichts zu entnehmen. Daher liegt auch die von der Klägerin sinngemäß gerügte, wenngleich nicht substantiiert dargelegte Divergenz im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO nicht vor.
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Ein Verstoß gegen Hinweis- und Erörterungspflichten ergibt sich nicht aus dem Vortrag der Klägerin, der Verwaltungsgerichtshof sei überraschend und trotz ihres Bestreitens davon ausgegangen, in der Zeit nach Ergehen der unionsgerichtlichen Urteile vom 8. September 2010 sei in Baden-Württemberg ein Erlaubnisverfahren eröffnet worden und die Erteilung einer Erlaubnis sowie effektiver Rechtsschutz zur Durchsetzung der Erlaubniserteilung möglich gewesen. Diese Tatsachen waren nach der Darstellung der Klägerin umstritten; ihre Erheblichkeit ergab sich bereits aus der zwischenzeitlich ergangenen, im Verfahren diskutierten Rechtsprechung. Die Klägerin hatte daher Gelegenheit, ihren Standpunkt darzulegen und gegebenenfalls weitere Sachaufklärung einzufordern; andernfalls musste sie damit rechnen, dass die Vorinstanz die umstrittenen Tatsachen aufgrund der Aktenlage, des Ergebnisses der Berufungsverhandlung, sonstiger gerichtskundiger Tatsachen oder allgemeinkundiger Tatsachen feststellen könnte. Außerdem übersieht die Klägerin, dass die Vorinstanz nicht maßgeblich auf eine damalige Bereitschaft des Beklagten abstellt, antragsgemäß Erlaubnisse zu erteilen, sondern, unter Hinweis auf die bundesverwaltungsgerichtliche Rechtsprechung (BVerwG, Urteil vom 16. Mai 2013 - 8 C 14.12 - BVerwGE 146, 303 Rn. 57), auf die gerichtliche Durchsetzbarkeit etwaiger Erlaubnisansprüche. Da die zitierte Entscheidung unter anderem darauf abstellte, dass gegen rechtswidrige Ablehnungsentscheidungen effektiver Rechtsschutz zur Verfügung stand, hatte die Klägerin auch ohne gerichtlichen Hinweis Anlass, Bedenken gegen die Effektivität wegen der Aussetzung des Hauptsacheverfahrens vorzutragen. Auf die damalige berufungsgerichtliche Rechtsprechung musste nicht hingewiesen werden, weil sie jedem kundigen Prozessbeteiligten bekannt war. Im Übrigen war der Rechtsweg mit ihr noch nicht erschöpft. Eine Umdeutung der Einwände in eine Aufklärungsrüge (§ 86 VwGO) oder eine Rüge der Verletzung des Überzeugungsgrundsatzes (§ 108 Abs. 1 VwGO) kann nicht zur Revisionszulassung führen, weil die Darlegungsanforderungen gemäß § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO nicht erfüllt sind. Der Beschwerdebegründung ist weder zu entnehmen, welche Aufklärungsmaßnahmen sich der Vorinstanz auch ohne förmlichen Beweisantrag hätten aufdrängen müssen, noch legt sie einen Verstoß gegen Denkgesetze substantiiert dar.
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Ein kundiger Beteiligter musste schließlich damit rechnen, dass der Verwaltungsgerichtshof im Einklang mit der von ihm zitierten, zwischenzeitlich ergangenen Rechtsprechung annehmen würde, eine Ermessensreduzierung auf Null zugunsten der Klägerin setze die offensichtlich materielle Erlaubnisfähigkeit ihrer Tätigkeit voraus, und dass er die Klägerin insoweit für darlegungs- und beweisbelastet halten würde. Die berufungsgerichtliche Feststellung, der Beklagte sei nicht zur Duldung rechtswidriger Sportwettenvermittlung bereit gewesen, konnte ebenfalls nicht überraschen, weil die Klägerin selbst die strenge Durchsetzung des Erlaubnisvorbehalts beklagte.
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2. Unbegründet ist auch die weitere Rüge, das Berufungsurteil verletze § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO, weil es völlig überzogene Anforderungen an ein Präjudizinteresse stelle und die fortbestehende Aussetzung des Staatshaftungsprozesses nach § 148 ZPO missachte.
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Der Verwaltungsgerichtshof hat weder verkannt, dass ein Präjudizinteresse bei offensichtlicher Aussichtslosigkeit der Geltendmachung staatshaftungsrechtlicher Ansprüche zu verneinen ist, noch hat er das Kriterium offensichtlicher Aussichtslosigkeit fehlerhaft konkretisiert. Er ist zutreffend davon ausgegangen, dass es nur erfüllt ist, wenn der geltend gemachte Anspruch unter keinem denkbaren rechtlichen Gesichtspunkt besteht und dies sich ohne eine ins Einzelne gehende Würdigung aufdrängt (vgl. BVerwG, Urteile vom 14. Januar 1980 - 7 C 92.79 - Buchholz 310 § 113 VwGO Nr. 95 S. 27, vom 29. April 1992 - 4 C 29.90 - Buchholz 310 § 113 VwGO Nr. 247 S. 90, vom 8. Dezember 1995 - 8 C 37.93 - BVerwGE 100, 83 <92> und vom 16. Mai 2013 - 8 C 14.12 - BVerwGE 146, 303 Rn. 44). Das bejaht das Berufungsurteil unter Heranziehung der aktuellen höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Staatshaftung für glücksspielrechtliche Untersagungsverfügungen unter dem Lotteriestaatsvertrag und unter dem Glücksspielstaatsvertrag 2008 für den verfahrensgegenständlichen Zeitraum bis zum 30. Juni 2012. Die Beschwerdebegründung erhebt keine Einwände gegen die berufungsgerichtliche Definition eines Präjudizinteresses oder gegen die Konkretisierung seiner Voraussetzungen. Sie wendet sich vielmehr gegen die Annahme des Verwaltungsgerichtshofs, die anhängige Staatshaftungsklage sei offensichtlich aussichtslos. Einerseits macht sie geltend, der Verwaltungsgerichtshof sei schon wegen der fortdauernden Aussetzung des zivilgerichtlichen Verfahrens gemäß § 148 ZPO gehindert gewesen, ein Präjudizinteresse zu verneinen. Andererseits wendet sie sich gegen die Annahme, die von der Klägerin geltend gemachten Staatshaftungsansprüche seien nach jeder denkbaren rechtlichen Betrachtung offensichtlich unbegründet. Der erste Einwand trifft nicht zu; der zweite zeigt keinen Verfahrensmangel auf.
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a) Der Aussetzungsbeschluss des Landgerichts Karlsruhe vom 11. August 2011 - 2 O 51/11 - hinderte den Verwaltungsgerichtshof nicht, unter Berufung auf die zwischenzeitliche höchstrichterliche Klärung entscheidungserheblicher Rechtsfragen der Staatshaftung für glücksspielrechtliche Untersagungsverfügungen unter dem Lotteriestaatsvertrag und dem Glücksspielstaatsvertrag 2008 von der offensichtlichen Aussichtslosigkeit des Staatshaftungsprozesses auszugehen. Die Aussetzung gemäß § 148 ZPO ist eine prozessleitende Maßnahme, die der Prozessökonomie und dem Vermeiden einander widersprechender Entscheidungen dient. Ihre Rechtsfolge ist der Stillstand des ausgesetzten Verfahrens nach Maßgabe des § 249 Abs. 1 und 2 ZPO (Reichold, in: Thomas/Putzo, ZPO, 36. Aufl. 2015, § 148 Rn. 2 und 12; § 249 Rn. 1 und 9). Eine materielle Bindungswirkung des Aussetzungsbeschlusses für die Entscheidung im vorgreiflichen Verfahren ist den zivilprozessrechtlichen Vorschriften nicht zu entnehmen. Sie ist hier auch nicht aus § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO herzuleiten. Allerdings darf ein Präjudizinteresse, wenn der Staatshaftungsprozess wegen Vorgreiflichkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der staatlichen Maßnahme ausgesetzt wurde, nicht pauschal mit der Begründung verneint werden, die verwaltungsgerichtliche Entscheidung sei für den Ausgang des zivilgerichtlichen Verfahrens unter jedem verständigerweise zu berücksichtigenden Gesichtspunkt unerheblich (BVerwG, Urteil vom 7. Dezember 1965 - 2 C 226.62 - Buchholz 310 § 113 VwGO Nr. 23 S. 42). Ob es danach bei unveränderten Bedingungen stets ausgeschlossen ist, den ausgesetzten Staatshaftungsprozess für offensichtlich aussichtslos zu halten, kann hier dahinstehen. Jedenfalls ist das Verwaltungsgericht nicht gehindert, für die Erfolgsaussichten relevante zwischenzeitliche Veränderungen der Prozesslage sowie zwischenzeitliche Klärungen seines Erachtens entscheidungserheblicher Rechtsfragen zu berücksichtigen. Das ergibt sich schon aus seiner verwaltungsprozessrechtlichen Pflicht, die Sachentscheidungsvoraussetzungen bezogen auf den Zeitpunkt seiner Entscheidung - und nicht auf den der zivilgerichtlichen Aussetzungsentscheidung - zu prüfen. Wäre es dagegen verpflichtet, ein Präjudizinteresse allein wegen der früheren Aussetzung zu bejahen oder das Aufnehmen des Zivilprozesses abzuwarten, würde dem Aussetzungsbeschluss wahlweise eine Bindungs- oder Sperrwirkung zugeschrieben, die im Prozessrecht keine Stütze findet.
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Entgegen der Darstellung der Beschwerdebegründung greift das Verneinen eines Präjudizinteresses nicht in die Sachentscheidungskompetenz des Zivilgerichts ein. Dieses bleibt sowohl in der Prozessgestaltung als auch in seiner Sachentscheidung frei. Es ist insbesondere nicht gehindert, der Staatshaftungsklage aufgrund eigener, von der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung abweichender Beurteilung der Erfolgsaussichten stattzugeben. Die Einwände der Klägerin gegen die Übertragbarkeit der Rechtsprechung zu bayerischen Untersagungen zeigen keinen Verfahrensmangel auf. Soweit sie die Vergleichbarkeit der rechtlichen Maßstäbe und der landesrechtlichen Staatshaftung zum Gegenstand haben, betreffen sie materiell-rechtliche Annahmen der Vorinstanz, die nicht mit der Verfahrensrüge angegriffen werden können. Soweit sie die Verschiedenheit der tatsächlichen Situation geltend machen, wenden sie sich gegen die tatrichterliche Sachverhaltsfeststellung und -würdigung, ohne nach § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO wirksame Verfahrensrügen zu erheben. Das gilt nicht nur für Gehörsrügen (dazu oben unter 1.), sondern auch für sonst in Betracht kommende Rügen. Aufklärungsmängel (§ 86 Abs. 1 VwGO) oder als Verfahrensmängel einzuordnende Verstöße gegen den Überzeugungsgrundsatz (§ 108 Abs. 1 VwGO) werden nicht substantiiert dargetan. Die Beschwerdebegründung zeigt nicht auf, dass sich die weitere Aufklärung bestimmter, aus der Sicht des Berufungsgerichts erheblicher Tatsachen auch ohne förmlichen Beweisantrag hätte aufdrängen müssen, und legt keinen Verstoß gegen die Denkgesetze dar.
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b) Die Annahme des Verwaltungsgerichtshofs, der von der Klägerin geltend gemachte Staatshaftungsanspruch bestehe offensichtlich unter keinem denkbaren rechtlichen Gesichtspunkt, ist auch im Übrigen nicht verfahrensfehlerhaft. Ein Verstoß gegen § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO ist nicht mit der Kritik an der Auslegung und Anwendung von Staatshaftungsnormen dargetan. Das gilt für den Vortrag, das Berufungsgericht habe zu Unrecht die unmittelbare oder analoge Anwendbarkeit des § 55 PolG BW für ausgeschlossen gehalten, ebenso wie für die Rüge, es habe ein Eingreifen des § 839 BGB oder des unionsrechtlichen Staatshaftungsanspruchs aufgrund fehlerhafter Erwägungen zum individuellen Verschulden und zur Kausalität verneint. Damit und mit dem Vortrag zur unionsrechtlichen Unzulässigkeit der Anwendung des glücksspielrechtlichen Erlaubnisvorbehalts bis Ende Juni 2012 sowie zur Unzulässigkeit eines Aufrechterhaltens der Untersagung nach Einstellung der Wettvermittlung unter dem Druck drohender Vollziehung werden jeweils materiell-rechtliche Mängel geltend gemacht, die nicht mit der Verfahrensrüge anzugreifen sind. Bei der Prüfung von Verfahrensmängeln ist stets von der materiell-rechtlichen Rechtsauffassung der Vorinstanz auszugehen, selbst wenn deren Standpunkt verfehlt sein sollte. Das gilt auch, soweit materiell-rechtliche Fragen als Vorfragen verfahrensrechtlicher Fragen zu beantworten sind (BVerwG, Beschlüsse vom 21. Januar 1993 - 4 B 206.92 - NVwZ 1993, 884 <885>, vom 23. Januar 1996 - 11 B 150.95 - Buchholz 424.5 GrdstVG Nr. 1 S. 1 f. und vom 8. Juni 2009 - 4 BN 9.09 - BRS 74, 255 <256 f.>; Pietzner/Buchheister, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand: März 2015, § 132 Rn. 93 m.w.N.). Daher kann das Verneinen eines Präjudizinteresses § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO nur verletzen, wenn das Berufungsgericht die prozessrechtliche Norm selbst unzutreffend ausgelegt und ihre Anforderungen überspannt hat. Das ist hier nicht dargelegt. Der Verwaltungsgerichtshof hat diese Anforderungen und die Voraussetzungen, unter denen danach ein Präjudizinteresse fehlt, zutreffend definiert (vgl. oben Rn. 15). Aus der Beschwerdebegründung ergibt sich auch nicht, dass er diese Voraussetzungen aufgrund seiner für die Prüfung von Verfahrensfehlern maßgeblichen materiell-rechtlichen Rechtsauffassung unzutreffend angewandt hätte. Der Verwaltungsgerichtshof ist nach seiner materiell-rechtlichen Rechtsauffassung ohne eine ins Einzelne gehende Prüfung zur Überzeugung gelangt, dass der Klägerin die geltend gemachten Staatshaftungsansprüche nach keiner aus seiner Sicht vertretbaren Rechtsauffassung zustehen können. Soweit die Klägerin die Richtigkeit der materiell-rechtlichen Beurteilung - auch der Evidenz- oder der Tatsachengrundlage in Frage stellt, zeigt sie keinen Verfahrensfehler auf. Dies gilt auch, soweit sie die berufungsgerichtlichen Feststellungen zur Möglichkeit einer Erlaubniserteilung und effektiven Rechtsschutzes seit dem Herbst 2010 und zum Fehlen einer Duldungsbereitschaft des Beklagten angreift. Insoweit hat sie weder eine wirksame Rüge der Verletzung des Rechts auf rechtliches Gehör noch sonstige wirksame Verfahrensrügen erhoben (dazu vgl. oben Rn. 10 ff.).
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Prozessrechtliche Gründe, aus denen es ausnahmsweise nicht auf die materiell-rechtliche Rechtsauffassung des Berufungsgerichts ankäme oder diese als verfahrensfehlerhaftes Überspannen der Zulässigkeitsanforderungen zu beurteilen wäre, zeigt die Beschwerdebegründung nicht auf.
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Entgegen ihrer Auffassung folgt aus dem Prozessrecht nicht, dass die Annahme offensichtlicher Aussichtslosigkeit nur dann auf eine materiell-rechtliche Rechtsauffassung gestützt werden dürfte, wenn diese bereits durch eine gefestigte Rechtsprechung zur herangezogenen Norm bestätigt worden wäre. Eine entscheidungserhebliche materiell-rechtliche Frage kann auch ohne einschlägige Rechtsprechung bereits anhand der anerkannten Auslegungsmethoden ohne Weiteres eindeutig aus dem Gesetz zu beantworten sein. Aus den dagegen angeführten Urteilen des Bundesverwaltungsgerichts zur Staatshaftung für rheinland-pfälzische glücksspielrechtliche Untersagungsverfügungen (BVerwG, Urteile vom 20. Juni 2013 - 8 C 46.12 - BVerwGE 147, 81 Rn. 21 und - 8 C 47.12 - juris) ergibt sich nichts anderes. Sie betonten gerade, dass die allgemein anerkannten Auslegungsmethoden bei § 68 des Polizei- und Ordnungsbehördengesetzes des Landes Rheinland-Pfalz (POG RP) nicht zu einem eindeutigen Ergebnis führten, und lehnten es deshalb ab, diese irrevisible landesrechtliche Norm ohne eine Stütze in der einschlägigen Rechtsprechung revisionsgerichtlich für offensichtlich unanwendbar zu erklären. Ein unbedingtes Erfordernis zivilgerichtlicher Vorklärung ist daraus nicht herzuleiten.
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Ob ein Verkennen des Offensichtlichkeitsmaßstabs stets vorliegt, wenn einzelne Entscheidungen anderer Instanzgerichte die materiell-rechtliche Frage anders beurteilen als das angegriffene Urteil, kann dahinstehen. Der Hinweis der Klägerin auf eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Stuttgart zu § 55 PolG BW zeigt jedenfalls noch keine uneinheitliche Rechtsprechung auf, weil er nicht darlegt, dass diese Entscheidung einen Rechtssatz aufstellt, der den Anwendungsbereich der Vorschrift auf rechtswidrig in Anspruch genommene Störer ausdehnte. Hinweise auf die Rechtsprechung zu anderen Haftungstatbeständen, etwa auf das Urteil des Oberlandesgerichts Koblenz vom 22. August 2013 - 1 U 551/12 - (ZfWG 2014, 65) zu § 68 POG RP, können keinen Verfahrensmangel wegen möglichen Bestehens eines Anspruchs nach § 55 PolG BW dartun.
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Die materiell-rechtliche Rechtsauffassung des Berufungsgerichts scheidet schließlich nicht etwa deshalb als Grundlage der verfahrensrechtlichen Prüfung aus, weil sie - wie die Klägerin meint - der Stellungnahme der Europäischen Kommission in der Rechtssache Ince - EuGH C-336/14 - vom 6. November 2014 widerspräche. Die Auslegung der unionsrechtlichen Anforderungen an einen mitgliedstaatlichen Erlaubnisvorbehalt und dessen Anwendung kann ebenso wie jede andere materiell-rechtliche Auffassung weder unmittelbar noch mittelbar Gegenstand einer Verfahrensrüge sein. Die Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) gebietet keine andere Auslegung des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO, weil materiell-rechtliche Fragen mittels Grundsatz- oder Divergenzrüge einer Überprüfung in einem Revisionsverfahren zugeführt werden können.
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Unabhängig davon wäre selbst, wenn sich ein Verfahrensmangel aus einem Verkennen der unionsrechtlichen materiellen Rechtslage ergeben könnte, mit den Ausführungen der Beschwerdebegründung kein solcher Mangel dargetan. Soweit die Stellungnahme der Europäischen Kommission sich (in Rn. 20 ff.) zum hier betroffenen Zeitraum bis zum 30. Juni 2012 äußert, geht sie auf der Grundlage des Vorlagebeschlusses des Amtsgerichts Sonthofen (dazu a.a.O. Rn. 8 ff.) von tatsächlichen Voraussetzungen aus, die der Verwaltungsgerichtshof nicht festgestellt hat, insbesondere vom rechtlichen oder faktischen Ausschluss jeder Erlaubniserteilung und von einer dauerhaften Untersagung unerlaubter Vermittlung und Veranstaltung von Sportwetten auf der Grundlage unionsrechtswidriger Gesetze. Zum anderen lässt sich den rechtlichen Ausführungen der Kommission nicht entnehmen, dass die Erkenntnis der Unionsrechtswidrigkeit einer Monopolregelung es ausschlösse, eine unerlaubte Sportwettenvermittlung auf der Grundlage eines verfassungs- und unionsrechtskonform interpretierten Erlaubnisvorbehalts im Zeitraum bis zur Ablösung der rechtswidrigen Monopolregelung zu untersagen (zu dieser Möglichkeit vgl. EuGH, Urteil vom 24. Januar 2013 - C-186/11 [ECLI:EU:C:2013:33] u.a., Stanleybet Int. Ldt. u.a. - NVwZ 2013, 785 Rn. 38 f., 44, 46 ff.; BVerwG, Urteil vom 16. Mai 2013 - 8 C 14.12 - BVerwGE 146, 303 Rn. 56 f.). Die Kommission hält vielmehr daran fest, dass Mitgliedstaaten die Veranstaltung und Vermittlung von Sportwetten grundsätzlich von einer nationalen Erlaubnis abhängig machen dürfen, und betont lediglich, dass dieses System auf objektiven, nicht diskriminierenden und im Voraus bekannten Kriterien beruhen muss (a.a.O. Rn. 21).
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Das weitere Beschwerdevorbringen mit Schriftsatz vom 6. August 2015 und die mit Schriftsatz vom 12. November 2015 nachgereichten Ausführungen zu den Schlussanträgen des Generalanwalts Szpunar vom 22. Oktober 2015 in der Rechtssache - EuGH C-336/14, Ince - können der Beschwerde ebenfalls nicht zum Erfolg verhelfen. Soweit sie neues Vorbringen enthalten, sind sie wegen des Ablaufs der Beschwerdebegründungsfrist (§ 133 Abs. 3 Satz 1 VwGO) am 7. April 2015 nicht mehr zu berücksichtigen. Soweit sie sich als Vertiefung des früheren Vorbringens darstellen, rechtfertigen sie keine der Klägerin günstigere Beurteilung. Für die Schlussanträge des Generalanwalts gilt ebenso wie für die Stellungnahme der Kommission, dass sie von anderen Tatsachen ausgehen als denen, die der Verwaltungsgerichtshof verfahrensfehlerfrei festgestellt hat. Auch materiell-rechtlich hat er lediglich vertreten, dass Unionsrecht einer übergangsweisen weiteren Anwendung des verfassungs- und unionsrechtskonform interpretierten Erlaubnisvorbehalts bis zur Ablösung der rechtswidrigen Monopolregelung unter dem Glücksspielstaatsvertrag 2008 nicht entgegenstand. Er rechtfertigt also keine dauerhafte Untersagung einer unerlaubten Wettvermittlung auf der Grundlage unionsrechtswidriger Gesetze. Die Frage der Unionsrechtmäßigkeit der Rechtslage und Praxis seit Inkrafttreten der Neuregelung zum 1. Juli 2012 war nicht Gegenstand der Berufungsentscheidung.
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Eine Umdeutung der materiell-rechtlichen Einwände der Klägerin in eine Grundsatz- oder Divergenzrüge kann nicht zur Zulassung der Revision führen, da die Anforderungen an eine substantiierte Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO und an die Darlegung einer Abweichung im Sinne der Nr. 2 der Vorschrift nicht erfüllt sind.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
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Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.