Verwaltungsgericht Greifswald Urteil, 06. Apr. 2017 - 5 A 611/14

bei uns veröffentlicht am06.04.2017

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Dem Kläger wird nachgelassen, die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht der Beklagte zuvor seinerseits Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit der Rücknahme eines Bescheides, der die Grundlage für die Auszahlung einer Investitionszulage nach dem Investitionszulagengesetz 1999 (InvZulG 1999) bildet.

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Auf den Antrag des Klägers erteilte der Beklagte am 12.07.2001 eine Bescheinigung nach § 3 Abs. 1 Nr. 4 lit. b) InvZulG 1999 und bestätigte damit, dass das Gebäude H in G-Stadt (Flurstück 61/16, Flur 5, Gemarkung G-Stadt) in der Zeit vom 01.01.2000 bis zum 31.12.2000 in einem Gebiet lag, welches aufgrund der Bebauung der näheren Umgebung einem Kerngebiet i.S.d. § 7 Baunutzungsverordnung (BauNVO) entsprach. Tatsächlich befand sich das Gebäude jedoch im Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. 1 „Wohngebiet G-Stadt West“, der ein allgemeines Wohngebiet festsetzt. Die Bebauung in der näheren Umgebung entsprach dieser Festsetzung. Der Beklagte wies den Kläger mit Schreiben vom 12.04.2001 (Bl. 84 d. Beiakte) auf diesen Umstand hin.

3

Der Kläger war zu dieser Zeit einzelvertretungsberechtigter Gesellschafter der Verwaltungs- und Wohnungsbaugesellschaft mbH G-Stadt. Diese hatte den Erwerb von Grundstücken und die Errichtung von Bauwerken sowie den Handel mit und die Verwaltung von Grundstücken zum Unternehmensgegenstand (siehe historischen Handelsregisterauszug auf Bl. 142 d. GA).

4

Mit Bescheid vom 13.09.2001 gewährte das Finanzamt F-Stadt dem Kläger auf Grundlage der Bescheinigung eine Investitionszulage.

5

Mit Schreiben vom 27.01.2003 teilte das Finanzamt F-Stadt dem Beklagten mit, dass rechtliche Bedenken dahingehend bestünden, ob die ebenfalls vom Beklagten einem Dritten ausgestellten Bescheinigungen hinsichtlich der Gebäude H aa und ab sowie ba und bb in G-Stadt rechtmäßig seien. Unter Bezugnahme auf die „Hinweise für die kommunale Bescheinigungspraxis" des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Wohnungswesen führte das Finanzamt F-Stadt aus, dass ausschließlich die Vorschrift des § 7 BauNVO heranzuziehen und der allein maßgebliche Rechtsbegriff „Kerngebiet" nicht identisch mit umgangssprachlich verwandten Begriffen wie „Stadtmitte", „Ortskern" oder „Altstadt" sei. Das zu beurteilende Gebiet müsse durch die Bebauung der näheren Umgebung des betreffenden Gebäudes die Merkmale eines Kerngebiets aufweisen. Es dürfe lediglich an einer förmlichen Festsetzung durch einen Bebauungsplan fehlen. Ferner bat das Finanzamt F-Stadt um eine Überprüfung aller entsprechenden Bescheinigungen.

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Es folgte sodann eine Beratung in der Bauausschusssitzung des Beklagten. Nach der daraufhin erarbeiteten Beschlussvorlage wurde der Gemeindevertretung empfohlen, die nach dem Investitionszulagengesetz 1999 erteilten Bescheinigungen - u.a. auch die gegenständliche - zurückzunehmen, da sie rechtswidrig seien. Nach dem Protokoll der Gemeindevertretersitzung vom 18.02.2003 zog der Bürgermeister diese Beschlussvorlage zurück. Ferner teilte er mit, dass keine Rücknahme der Bescheide erfolgen solle.

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Mit Schreiben vom 10.02.2002 (gemeint war offensichtlich der 10.02.2003) beauftragte der Beklagte einen Herrn I mit der Erstellung eines Antwortschreibens für das Finanzamt F-Stadt. Mit Schreiben vom 18.02.2003 übersandte Herr I sein Schreiben.

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Der Beklagte antwortete sodann dem Finanzamt F-Stadt mit Schreiben vom 20.02.2003, indem er das Schreiben des Herrn I unverändert übernahm. Darin führte er aus, dass die bau- und raumordnungsrechtlichen Voraussetzungen damals von der Bauamtsleitung sorgfältig überprüft und zum Zeitpunkt der Bescheinigungserteilung als erfüllt angesehen worden seien. Die Bescheinigungen seien erst nach Rücksprache mit dem Finanzamt F-Stadt und aufgrund einer nicht so engen Auslegung des Investitionszulagengesetzes 1999 unter Beachtung eines Artikels in der Monatsschrift des Städte- und Gemeindetages Mecklenburg-Vorpommern ausgestellt worden. Ferner verwies der Beklagte auf den zu beachtenden Vertrauensschutz. Die aus einer möglichen Rücknahme der Bescheide resultierenden Konsequenzen wertete er als unzumutbare Nachteile für die Begünstigten, sodass er deswegen eine Rücknahme prinzipiell ablehnte.

9

Nachdem der Landrat des ehemaligen Landkreises Nordvorpommern den Beklagten mit Schreiben vom 29.01.2007 aufgefordert hatte, die erteilten Bescheinigungen nochmals zu überprüfen, wies der Beklagte den Kläger mit Schreiben vom 24.07.2007 darauf hin, dass die Rechtmäßigkeit der erteilten Grundlagenbescheide geprüft werde. Er bat um Angaben, ob der Kläger von der Bescheinigung Gebrauch gemacht und wenn ja, wann und in welcher Höhe das Finanzamt die Zulage gewährt habe. Eine Antwort hierauf erfolgte nicht. Auf Nachfrage des Beklagten teilte das Finanzamt F-Stadt im Schreiben vom 07.08.2007 mit, dass es dem Kläger für das Bauprojekt H a eine Investitionszulage i.H.v. 5.624,21 € gewährt hat (Bl. 8 und 18 f. d. Beiakte).

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Nach vorheriger Anhörung nahm der Beklagte mit Bescheid vom 22.11.2007 die dem Kläger erteilte Kerngebietsbescheinigung zurück. Zur Begründung führte er aus, dass nach nochmaliger Überprüfung der Sach- und Rechtslage das Fehlen der Erteilungsvoraussetzungen festgestellt worden sei. Die Bebauung der näheren Umgebung habe nicht ansatzweise einem Kerngebiet i.S.d. § 7 BauNVO entsprochen. Es handele sich um einen Ortsteil, welcher überwiegend durch eine Wohnnutzung gekennzeichnet gewesen sei. Das Vertrauen in den Bestand des Bescheides sei nicht schutzwürdig, da zwar Vermögensdispositionen getroffen, die gewährte Leistung aber nicht verbraucht worden sei. Denn es sei davon auszugehen, dass Aufwendungen erspart worden seien, die sonst aus eigenen Mitteln aufzubringen gewesen wären. Da der Kläger von seinem Anhörungsrecht keinen Gebraucht gemacht und somit die Schutzwürdigkeit seines Vertrauens in den Bestand des Bescheides nicht geltend gemacht habe, werde der Bescheid auch für die Vergangenheit zurückgenommen.

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Der Kläger erhob dagegen am 11.12.2007 Widerspruch und führte zur Begründung aus, dass dem Beklagten spätestens mit dem Schreiben des Finanzamtes F-Stadt vom 27.01.2003 die Rechtswidrigkeit des Bescheides bekannt gewesen sei. Nach Erhalt dieses Schreibens habe der Beklagte die Rechtswidrigkeit geprüft und in der Bauausschusssitzung vom 04.02.2003 sowie der Gemeindevertretersitzung vom 18.02.2003 beschlossen, die Bescheide nicht zurückzunehmen. In dem Antwortschreiben vom 20.02.2003 habe der Beklagte gegenüber dem Finanzamt F-Stadt erklärt, die Bescheide seien aufgrund der Schutzwürdigkeit der Begünstigten aufrechtzuerhalten. Bei Anwendung des Urteils des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 05.04.2007 (Az. 8 S 2090/06) sei eine Rücknahme gemäß § 48 Abs. 4 Satz 1 Verwaltungsverfahrens-, Zustellungs- und Vollstreckungsgesetz des Landes Mecklenburg-Vorpommern (VwVfG M-V) nicht mehr möglich, da die im Rücknahmebescheid aufgeführte Faktenlage nachweislich die gleiche wie am 20.02.2003 gewesen sei.

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Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 13.06.2014 zurück und führte zur weiteren Begründung aus, dass die Frist des § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG M-V im Zeitpunkt des Erlasses des Rücknahmebescheides noch nicht abgelaufen gewesen sei. Entsprechend der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts habe die Jahresfrist erst nach der Durchführung des Anhörungsverfahrens, also in diesem Fall spätestens mit dem Ablauf der Anhörungsfrist am 26.10.2007 zu laufen begonnen. Zudem sei eine Schutzwürdigkeit des Vertrauens i.S.v. § 48 Abs. 2 Satz 2 VwVfG M-V nicht zu erkennen, da davon ausgegangen werden müsse, dass die Zulage noch wertmäßig im Vermögen des Klägers enthalten sei. Im Rahmen der Ermessensausübung sei zudem berücksichtigt worden, dass die Investitionszulage aus der Einkommenssteuer finanziert worden und damit das Interesse der öffentlichen Hand an einer vollständigen Einnahmeerhebung zu beachten sei. Ein großzügiger Verzicht auf die Rücknahme rechtswidriger Grundlagenbescheide verbiete sich daher. Schließlich werde die Rücknahme auch zum jetzigen Zeitpunkt für angemessen gehalten.

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Der Kläger hat am 11.07.2014 Klage erhoben.

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Zur Begründung trägt er vor, dass der Verwaltungs- und Wohnungsbaugesellschaft mbH G-Stadt sowie den Zeugen J und E. ebenfalls Kerngebietsbescheinigungen ausgestellt und anschließend Investitionszulagen gewährt worden seien. Er sei zwischen dem 18.02. und 20.02.2003 sowohl als Privatperson als auch als Geschäftsführer der GmbH zusammen mit den Zeugen J und E. zu einem Treffen mit dem damaligen leitenden Verwaltungsbeamten, dem Zeugen F., und dem damaligen Bauamtsleiter, dem Zeugen B., geladen worden.

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Gegenstand der Unterredung seien u.a. die geförderten Bauvorhaben, die Auszahlung der Investitionszulage und das o.g. Schreiben des Finanzamtes F-Stadt vom 27.01.2003 gewesen. Zudem habe der Zeuge F. unmissverständlich kundgetan, dass er nunmehr die erteilten Grundlagenbescheide für rechtswidrig halte. Außerdem habe der Zeuge F. die Rücknahme der bisher erteilten Kerngebietsbescheinigungen unmittelbar beabsichtigt. Er und die Zeugen J und E. hätten ihre Sorge darüber geäußert, dass die Rücknahme zu Rückforderungen seitens des Finanzamtes in nicht unerheblicher Höhe führen werde. So habe er angegeben, zusammen mit der GmbH ca. 100.000,- € zurückzahlen zu müssen. Die Betroffenen hätten zudem darauf hingewiesen, dass sie eine Rückforderung nicht bedienen könnten. Darüber hinaus habe er ausgeführt, dass er ein Pferd und einen Mercedes S-Klasse erworben habe und diese Ausgaben nicht getätigt hätte, wäre die Zulagenzahlung unsicher gewesen. Eine Veräußerung zur Begleichung einer Rückforderung hätte aufgrund des Wertverlustes zudem nur mit erheblichen Einbußen erfolgen können.

16

Der Zeuge F. habe bei dem Treffen die Ansicht geäußert, die er anschließend auch gegenüber dem Finanzamt in seinem Antwortschreiben vertreten habe. Das Treffen sei als Anhörung zu werten und führe demnach zur Verfristung der Rücknahmeentscheidung gem. § 48 Abs. 4 VwVfG M-V. Der Beklagte habe nämlich ab diesem Zeitpunkt alle relevanten Informationen, die für die Rücknahmeentscheidung erforderlich gewesen seien, erhalten. Bereits die Ausführungen des Zeugen F. im Schreiben an das Finanzamt F-Stadt vom 20.02.2003 würden auf die Auseinandersetzung mit den Belangen der Begünstigten hinweisen.

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Zudem werde auf das im Widerspruch benannte Urteil verwiesen, wonach die Frist auch dann zu laufen beginne, wenn die Behörde von den die Rechtswidrigkeit begründenden Tatsachen Kenntnis erlange, aber bewusst keine weiteren Veranlassungen zur Sachverhaltsaufklärung tätige. Ebenfalls komme es lediglich auf die Kenntnis von Tatsachen an, die die Rechtswidrigkeit des zurückgenommenen Verwaltungsaktes begründen, nicht aber auf die Kenntnis der Rechtswidrigkeit selbst.

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Darüber hinaus sei es nicht sachgerecht, wenn die erneute Anhörung die Jahresfrist neu beginnen ließe, solange keine neuen Tatsachen ermittelt werden können. So liege es hier. Zudem sei die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Az. 5 C 6/95) zu beachten, wonach die Jahresfrist bereits dann zu laufen beginne, wenn die Behörde ohne weitere Sachaufklärung objektiv in der Lage sei, unter sachgerechter Ausübung ihres Ermessens über die Rücknahme zu entscheiden.

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Auch sei ihm im Zeitpunkt der Beantragung des Grundlagenbescheides nicht bekannt gewesen, dass die Voraussetzungen für seine Erteilung nicht vorgelegen hätten, so dass er schutzwürdiges Vertrauen habe bilden können. Ein etwaiges Wissen seines Steuerberaters müsse er sich nicht entgegenhalten lassen, da dieser lediglich die Zulage beim Finanzamt, aber nicht den zurückgenommenen Bescheid beantragt habe. Außerdem sei sein Vertrauen in die Rechtmäßigkeit und damit in den Bestand des Bescheides schutzwürdig, da die Erteilung der Grundlagenbescheide durch den Beklagten mit dem Finanzamt und anderen Ämtern abgesprochen worden sei und die Monatsschrift des Städte- und Gemeindetages M-V aus August 2000 eine „großzügige Handhabung“ empfohlen habe.

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Er habe die Zulagen für das hier maßgebliche Gebäude und ein weiteres i.H.v. insgesamt 23.925,- DM bereits im Jahr 2002 vollständig zur Förderung gemeinnütziger Zwecke verbraucht. So habe er am 15.08.2002 ein Dorffest ausgerichtet (3.500,- €) sowie ein Zelt für die freiwillige Feuerwehr (850,- €) und Trainingsanzüge für den ortsansässigen Fußballverein (500,- €) angeschafft. Zusätzlich habe er den örtlichen Reit- und Fahrverein unterstützt (850,- €) und der Musikband „Fon“ bei der Aufnahme einer CD finanziell geholfen (3.500,- €). Zudem habe er in Anbetracht der Förderung das bereits benannte Pferd und den Mercedes erworben.

21

Schließlich sei eine Rücknahmemöglichkeit verwirkt. Das dafür erforderliche Umstandsmoment sei in den Äußerungen des Zeugen F. zu sehen. Hinsichtlich des Zeitmoments sei auf die fast fünfjährige Zeitspanne zwischen Kenntnis der die Rechtswidrigkeit begründenden Tatsachen, die im Schreiben des Finanzamtes mitgeteilt worden seien, und der Rücknahmeentscheidung verwiesen.

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Der Kläger beantragt,

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den Rücknahmebescheid des Beklagten vom 22.11.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.06.2014 aufzuheben.

24

Der Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Er führt aus, dass die Jahresfrist eingehalten worden sei, da sie erst mit der Durchführung der Anhörung zu laufen begonnen habe. Es seien bei der 2007 durchgeführten Anhörung nicht nur Informationen abgefragt worden, die für die Entscheidung unerheblich gewesen seien. Ausdrücklich sei auch nach etwaigen Auswirkungen und Folgen einer Rücknahme gefragt worden. Die Rechtswidrigkeit der konkreten Bescheide sei erst bekannt geworden, nachdem die Rechtsaufsichtsbehörde mit Schreiben vom 29.01.2007 eine Berichterstattung bezüglich jeder einzelnen ausgestellten Bescheinigung verlangt habe. Dieses Verlangen sei mit Schreiben vom 31.05.2007 unter Bezugnahme auf ein Schreiben des Innenministeriums vom 16.05.2007 wiederholt und der Kläger anschließend mit Schreiben vom 24.07.2007 um schriftliche Mitteilung gebeten worden. Auf eine entsprechende Anfrage habe das Finanzamt F-Stadt mitgeteilt, dass eine Investitionszulage in Höhe von 5.624,21 € ausgezahlt worden sei, womit er von der Höhe der Zulagen erstmals Kenntnis erlangt habe. Mit Schreiben vom 11.09.2007 sei der Kläger sodann angehört worden, worauf er nicht geantwortet habe.

27

Die vom Kläger vorgetragene Unterredung mit dem Zeugen F. habe nicht stattgefunden. Es sei vielmehr so gewesen, dass der Kläger am 20.02.2003 gegen 15 Uhr in das Sekretariat des Amtes gekommen sei, um sich Unterlagen bzgl. eines Bebauungsplans abzuholen. Anlässlich dieses Besuches sei sodann die Problematik angesprochen worden. Dabei habe der Zeuge F. die Zeugin A. angewiesen, dem Kläger eine Kopie des Schreibens an das Finanzamt auszuhändigen.

28

Der Zeuge F. habe auch nie beabsichtigt, ein Verwaltungsverfahren hinsichtlich der Rücknahme der Bescheide einzuleiten. Vielmehr habe er von Anfang an eine Meinung vertreten und diese auch gegenüber dem Finanzamt kundgetan, sodass er keine Veranlassung gesehen habe, eine Anhörung der Beteiligten durchzuführen. Außerdem habe er bereits am 11.02.2003 entschieden, die bis 2002 erteilten Grundlagenbescheide nicht zurückzunehmen.

29

Die Gemeindevertretung habe den Amtsvorsteher nicht angewiesen, eine förmliche Anhörung durchzuführen, um anschließend über die Rücknahme der Bescheinigungen zu entscheiden.

30

Außerdem seien die vorgetragenen gemeinnützigen Ausgaben, so der Kläger sie denn überhaupt getätigt habe, nicht geeignet, eine Entreicherung zu begründen. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes müssten Aufwendungen in einem inneren Zusammenhang mit dem Bereicherungsvorgang stehen. Ein solcher sei hier weder in sachlicher noch in zeitlicher Hinsicht zu erkennen.

31

Die Kammer hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen J, E., F., K, A. und C.. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf den Inhalt der Protokollniederschrift verwiesen.

32

Bezüglich des weiteren Sach- und Streitstandes sowie des Vorbringens der Beteiligten im Einzelnen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und den Verwaltungsvorgang (Beiakte I) Bezug genommen. Sie waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist unbegründet. Die angegriffenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in subjektiven Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

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Als Ermächtigungsgrundlage für die Rücknahme des Grundlagenbescheides ist vorliegend § 48 Abs. 1 VwVfG M-V anzusehen. Nach der Norm kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden, soweit nicht die Regelungen der Absätze 2 bis 4 entgegenstehen.

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Der zurückgenommene Bescheid vom 12.07.2001 ist rechtswidrig. Denn anders als in ihm zum Ausdruck gebracht wird, befand sich das Gebäude des Klägers auf dem Grundstück Am Eulenberg 8 in der Zeit vom 01.01.2000 bis zum 31.12.2000 nicht in einem Gebiet, welches aufgrund der Bebauung der näheren Umgebung einem Kerngebiet im Sinne des § 7 BauNVO entsprach. Ein „Entsprechen" in diesem Sinne liegt dabei erst dann vor, wenn die nähere Umgebung wegen ihrer Bebauung als Kerngebiet gem. § 7 BauNVO eingestuft werden kann, ohne dass dies bisher förmlich geschehen wäre (vgl. VG Greifswald, Urteil vom 23. Juni 2010 - 5 A 276/08 -, S. 6 d. Umdr.). Tatsächlich lag das Gebäude jedoch im Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. 1 „Wohngebiet G-Stadt West“ und damit in einem festgesetzten allgemeinen Wohngebiet, dem die Bebauung der näheren Umgebung auch tatsächliche entsprach. Ein kerngebietstypischer Charakter lag demnach nicht vor.

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Die vom Beklagten erteilte Kerngebietsbescheinigung ist gem. § 3 Abs. 1 Nr. 4 lit. b) InvZulG 1999 die Grundlage für die Gewährung einer Investitionszulage und damit ein begünstigender Verwaltungsakt i.S.d. § 48 Abs. 1 Satz 2 VwVfG M-V. Da es sich um einen Verwaltungsakt handelt, der Voraussetzung für die Gewährung einer einmaligen Geldleistung ist, darf dieser gemäß § 48 Abs. 2 Satz 1 VwVfG M-V nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist.

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Der Kläger kann sich nach § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 VwVfG M-V nicht auf Vertrauensschutz berufen. Nach der Vorschrift ist dies einem Begünstigten verwehrt, wenn er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte. Dem Kläger ist hier jedenfalls grob fahrlässige Unkenntnis vorzuwerfen. Von grob fahrlässiger Unkenntnis ist auszugehen, wenn der Betroffene die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt, beispielsweise wenn er einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht anstellt, erkannten Unklarheiten oder bestehenden Zweifeln an der Richtigkeit des Verwaltungsaktes nicht nachgeht oder wenn er grob pflichtwidrig keine kritische Prüfung des Bescheides vornimmt. Bei der insoweit maßgeblichen Parallelwertung in der Laiensphäre sind die individuellen Eigenschaften des Betroffenen zu beachten. Fehlen besondere Umstände, ist grundsätzlich von der Einsichtsfähigkeit eines Durchschnittsbürgers auszugehen (Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Aufl., § 48, Rdnr. 161, 162). Zwar wird man von einem rechtlichen Laien nicht verlangen können, dass er die genauen Voraussetzungen erkennt und subsumiert. Von ihm kann jedoch erwartet werden, dass er sich ein gewisses Bild über die Voraussetzungen der erteilten Bescheinigung und der gewährten Investitionszulage macht. Dabei gilt sogar ein strengerer Maßstab für Adressaten, die im Gegensatz zu Laien eine dem Bereich entsprechende Vorbildung besitzen (OVG Lüneburg, Beschluss vom 17. November 2011 – 2 LA 333/10 –, Rn. 13, juris; Pautsch/Hoffmann, VwVfG, 1. Aufl., § 48 Rn. 56; Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Aufl., § 48, Rdnr. 161, 162). Im vorliegenden Fall waren die die Rechtswidrigkeit begründenden Umstände offensichtlich, sodass sie sich auch dem Kläger hätten aufdrängen müssen. Zudem ist er hier nicht als rechtlicher Laie zu betrachten. Er war nämlich auch schon im maßgeblichen Zeitpunkt Geschäftsführer der Verwaltungs- und Wohnungsbaugesellschaft mbH G-Stadt, deren Unternehmensgegenstand u.a. die Errichtung von Bauwerken war. Daher war der Kläger vor dem Erlass regelmäßig mit bauplanungsrechtlichen Fragestellungen konfrontiert und besaß eine zu berücksichtigende fachliche Vorbildung. Zudem ist der Kläger im Schreiben des Beklagten vom 21.04.2001, also vor Erteilung der Bescheinigung, darauf hingewiesen worden, dass sich das Vorhabengrundstück innerhalb eines festgesetzten Wohngebietes nach § 4 BauNVO befindet. Wegen der evidenten Rechtswidrigkeit und den individuellen Voraussetzungen des Klägers ist auch der Umstand, dass in der Monatsschrift des Städte und Gemeindetages M-V aus August 2000 eine „großzügige Handhabung“ bei der Erteilung von Grundlagenbescheiden empfohlen wurde und der Beklagte sich - was streitig ist - mit dem Finanzamt F-Stadt vor Erteilung der Bescheinigungen abgesprochen habe, ohne Einfluss auf die Wertung.

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Der Beklagte hat die Frist des § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG M-V gewahrt. Der Norm entsprechend ist die Rücknahme nur innerhalb eines Jahres seit dem Zeitpunkt zulässig, an dem die Behörde von Tatsachen Kenntnis erlangt, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes rechtfertigen. Dass die die Rücknahme des Verwaltungsakts rechtfertigenden Tatsachen aktenkundig sind, genügt nicht. Die Behörde erlangt diese positive Kenntnis, wenn der nach der innerbehördlichen Geschäftsverteilung zur Rücknahme des Verwaltungsakts berufene Amtswalter oder ein sonst innerbehördlich zur rechtlichen Überprüfung des Verwaltungsakts berufener Amtswalter die die Rücknahme des Verwaltungsakts rechtfertigenden Tatsachen feststellt. Die Behörde muss insoweit nicht nur die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts erkannt haben, sondern ihr müssen außerdem sämtliche für die Rücknahmeentscheidung erheblichen Tatsachen, sowie die für die Ermessensausübung wesentlichen Umstände vollständig bekannt sein. Hierzu gehören alle Tatsachen, die im Falle des § 48 Abs. 2 VwVfG M-V ein Vertrauen des Begünstigten in den Bestand des Verwaltungsakts entweder als nicht gerechtfertigt oder ein bestehendes Vertrauen als nicht schutzwürdig erscheinen lassen (st. Rspr. seit BVerwG, Beschluss vom 19. Dezember 1984 – GrSen 1/84, GrSen 2GrSen 2/84 –, BVerwGE 70, 356-365, Rn. 19; vgl. zuletzt ausführlich BVerwG, Urteil vom 28. Juni 2012 – 2 C 13/11 –, BVerwGE 143, 230-240, Rn. 27; Oberverwaltungsgericht für das Land Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 16. Oktober 2013 – 3 L 170/10 –, Rn. 41, juris).

39

Erst mit dem Abschluss des Anhörungsverfahrens im Jahr 2007 begann die Jahresfrist zu laufen und wurde folglich durch den Rücknahmebescheid vom 22.11.2007 gewahrt. Vorher konnte der Beklagte keine Kenntnis von den für die Rücknahmeentscheidung erheblichen Umständen, wie z.B. die möglichen Auswirkungen der Rücknahme für den Kläger, erlangen.

40

Die Kammer konnte sich aufgrund der erfolgten Beweisaufnahme keine Überzeugungsgewissheit von der behaupteten persönlichen Anhörung des Klägers zur beabsichtigten Rücknahme der Investitionsbescheinigung bereits im Februar 2003 verschaffen. Der Zeuge M. hat zwar detailreich die Ausführungen des Klägers im Wesentlichen bestätigt. Seine Einlassung steht jedoch im Widerspruch zur Aussage des Zeugen Ma., der angegeben hat, an einem solchen Gespräch nicht teilgenommen und auch sonst keine Kenntnis davon erlangt zu haben. Die Kammer hat keine Anhaltspunkte für eine Falschaussage des Zeugen Ma. finden können, zumal dieser von sich aus angegeben hat, den Zeugen E., der bei dem Gespräch anwesend gewesen sein will, anlässlich der mündlichen Verhandlung erstmalig gesehen zu haben. Der Zeuge E. hat zwar ebenfalls von einem Anhörungstermin im Februar 2003 berichtet. Seine Angabe konnte indes nicht zu einer Überzeugungsbildung der Kammer beitragen, da er keinerlei Einzelheiten zum Inhalt dieses angeblichen Gesprächs mitteilen konnte. Hinzu kommt bei ihm, dass er als Kläger in einem bereits durchgeführten Klageverfahren (5 A 276/08, 3 L 170/10) gegen eine zurückgenommene Investitionsbescheinigung keinerlei Angaben zu der nunmehr behaupteten Anhörung gemacht hat, was die Glaubhaftigkeit seiner jetzigen Aussage zusätzlich mindert. Die Aussage des Zeugen F. war dagegen unergiebig, da er sich nach seiner Einlassung an konkrete Einzelheiten der vom Kläger geschilderten Vorgänge angeblich nicht mehr erinnern konnte.

41

Angesichts der einander widersprechenden Angaben der Zeugen M. und Ma. blieb in der mündlichen Verhandlung letztlich ungeklärt, ob eine Anhörung im Jahr 2003 stattgefunden hat oder nicht. Bei der Bewertung der Aussage des Zeugen M. war zudem sein erkennbares Eigeninteresse zu berücksichtigen. Er selbst ist Kläger in verwaltungsgerichtlichen Verfahren über die Rücknahme von Investitionsbescheinigungen, die gegenwärtig wegen dieses Verfahrens ruhen. Nach seinen Angaben geht es bei ihm um Investitionszulagen i.H.v. ca. 60.000,- €. Die Frage, ob im Februar 2003 eine Anhörung des Klägers und auch seiner Person durch den Beklagten stattgefunden hat, könnte daher auch in seinen eigenen Verfahren bedeutsam werden. Da der Kläger für die von ihm behaupteten Tatsachen beweispflichtig ist, geht die Nichterweislichkeit zu seinen Lasten.

42

Hinzu kommt, dass für die Kammer nicht erkennbar geworden ist, warum der damalige Mitarbeiter des Beklagten, der Zeuge F., im Februar 2003 eine Anhörung hätte durchführen sollen. Der Beklagte gab mit Schreiben vom 10.02.2003 dem Herrn B. den Auftrag, ein Antwortschreiben für das Finanzamt F-Stadt zu entwerfen. Vor der Übersendung dieses Musters bestand kein Bedarf an einer Anhörung, da die konkreten Ausführungen abgewartet werden sollten. Dies ergibt sich nach der Gesprächsnotiz der Zeugin A. vom 11.02.2003 (Bl. 235 d. GA) aus einer entsprechenden Anweisung des Zeugen F.. Auch nach dem Zugang des Schreibens von Herrn B. vom 18.02.2003 ist die Notwendigkeit einer Anhörung nicht erkennbar. Denn der Beklagte übernahm dessen Inhalt unverändert in sein Antwortschreiben an das Finanzamt F-Stadt vom 20.02.2003 und machte sich somit den Inhalt vollumfänglich zu eigen. Danach sah er schon keinen Hinweis auf eine fehlerhafte Bescheidungspraxis, die die Rücknahme hätte rechtfertigen können. Zudem verwies er pauschal auf den Vertrauensschutz und die mit einer Rücknahme als unzumutbar empfundenen Nachteile für die Begünstigten. Deswegen lehnte er eine Rücknahme „prinzipiell“ ab. Auf die individuellen Voraussetzungen einzelner Begünstigter kam es ihm daher offensichtlich nicht mehr an. Da der Beklagte das Musterschreiben des Herr B. unbearbeitet übernommen hat, sind seine Ausführungen im Antwortschreiben an das Finanzamt F-Stadt hinsichtlich der Nachteile für die Betroffenen - anders als der Kläger meint - auch nicht das Ergebnis einer zuvor durchgeführten Anhörung des Klägers sowie der Zeugen M. und E. durch den Zeugen F..

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Soweit sich der Kläger auf eine Entscheidung des VGH Baden-Württemberg beruft (Urteil vom 05. April 2007 – 8 S 2090/06 –, juris), nach der die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 VwVfG M-V zu laufen beginnt, wenn aus der Sicht der Behörde - subjektiv - Entscheidungsreife vorliegt bzw. die Behörde zu erkennen gegeben hat, dass sie eine Rücknahme des rechtswidrigen Verwaltungsakts von vornherein - ohne Klärung konkreter Vertrauensschutzaspekte - für unzulässig hält, folgt die Kammer dieser Auffassung nicht, sondern schließt sich den Ausführungen des Oberverwaltungsgericht für das Land Mecklenburg-Vorpommern in seinem Urteil vom 16. Oktober 2013 (Az. 3 L 170/10, Rn. 45 ff., juris) an, auf die insoweit verwiesen wird. Danach widerspricht die Sichtweise des VGH der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts.

44

Auch das vom Kläger angeführte Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 05. August 1996 (Az. 5 C 6/95) führt zu keiner anderen Betrachtung. Dort wird für erforderlich gehalten, dass die Behörde umfassende Tatsachenkenntnis hat (vgl. Rn. 13 der Entscheidung), was hier - wie dargestellt - vor der schriftlichen Anhörung nicht der Fall war.

45

Darüber hinaus liegt kein Fall der Verwirkung der Rücknahmebefugnis vor. Sie setzt voraus, dass Umstände eingetreten sind, aus denen der die Rechtswidrigkeit kennende Begünstigte berechtigterweise den Schluss ziehen durfte, der Verwaltungsakt werde nicht mehr zurückgenommen, obwohl die Behörde dessen Rücknehmbarkeit erkannt hat. Er muss ferner tatsächlich darauf vertraut haben, dass die Rücknahmebefugnis nicht mehr ausgeübt werde. Zudem müsste er dieses Vertrauen in einer Weise betätigt haben, dass ihm mit der gleichwohl erfolgten Rücknahme ein unzumutbarer Nachteil entstünde (vgl. BVerwG, Urteil vom 20. Dezember 1999 – 7 C 42/98 –, BVerwGE 110, 226-237, Rn. 27; Oberverwaltungsgericht für das Land Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 16. Oktober 2013 – 3 L 170/10 –, Rn. 47, juris). Im vorliegenden Fall fehlte es dem Beklagten schon nach dem Vortrag des Klägers an der Kenntnis, den Grundlagenbescheid zurücknehmen zu können. Er trägt vor, dass eine Verwirkung deswegen eingetreten sei, da der Zeuge F. bei einer Anhörung im Februar 2003 kundgegeben habe, die ausgestellten Grundlagenbescheide nicht zurücknehmen zu wollen. Zur Begründung habe der Zeuge ausgeführt, dass vom Vorliegen eines die Rücknahme hindernden Vertrauensschutzes seitens der Adressaten auszugehen sei. Danach hätte der Beklagte die Rücknehmbarkeit der Kerngebietsbescheinigung gerade nicht erkannt. Im Übrigen ist die Kammer schon nicht davon überzeugt, dass das Treffen überhaupt stattgefunden hat (s.o.). Schließlich ist auch die Entstehung eines unzumutbaren Nachteils auf Seiten des Klägers nicht vorgetragen worden oder aus anderen Umständen zu erkennen.

46

Der Beklagte hat sein Ermessen fehlerfrei ausgeübt, obwohl der Ausgangsbescheid keine Ermessenserwägungen enthält. Im Widerspruchsbescheid hat er Ermessenserwägungen angestellt, was ausreichend ist, vgl. § 114 Satz 2 VwGO. Der Beklagte hat deutlich gemacht, dass er sich des ihm zustehenden Ermessens bewusst ist. So hat er die Finanzierung der Investitionszulage durch die Einkommenssteuer angeführt, die den großzügigen Verzicht auf die Rücknahme verbiete, und darauf hingewiesen, dass mit der Rücknahme der Bescheinigung ein rechtskonformer Zustand wiederhergestellt werde. Ebenfalls führte er aus, dass die Rücknahme der Bescheinigung auch zum jetzigen Zeitpunkt für angemessen gehalten werde.

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Darüber hinausgehende Ermessenserwägungen musste der Beklagte weder bezogen auf den Zeitablauf seit Kenntnis von der Rechtswidrigkeit noch bezogen auf das eigene (Mit-) Verschulden anstellen.

48

Der Zeitablauf ist mit dem Hinweis, dass die Rücknahme der Grundlagenbescheinigung auch zum jetzigen Zeitpunkt für angemessen gehalten werde, zumindest angesprochen und damit berücksichtigt worden. Weitergehende Erwägungen waren nicht erforderlich. Der Zeitablauf seit Kenntnis der Behörde von der Rechtswidrigkeit wird unter den weiteren Voraussetzungen des Vertrauensschutzes, des Ablaufs der Rücknahmefrist oder der Verwirkung berücksichtigt. Eine eigenständige Bedeutung kommt diesem Gesichtspunkt darüber hinaus regelmäßig nicht zu. Soweit das Bundesverwaltungsgericht in seiner Rechtsprechung zum Lastenausgleichsrecht den Zeitablauf seit Kenntnis von der Rechtswidrigkeit als zu berücksichtigenden Ermessensgesichtspunkt genannt hat, handelte es sich um Fälle, in denen eine Ermessensausübung völlig fehlte (vgl. BVerwG, Urteil vom 09. November 1978 – III C 68.77 –, Rn. 28, juris). Darum geht es hier jedoch nicht.

49

Das (Mit-) Verschulden der Behörde an dem Erlass des rechtswidrigen Verwaltungsaktes stellt regelmäßig keinen Ermessensgesichtspunkt dar, der gegen eine Rücknahme sprechen könnte. Wird ein rechtswidriger Verwaltungsakt erlassen, so wird typischerweise ein Verschulden oder Mitverschulden der Behörde vorliegen, es sei denn, es läge ein Fall von arglistiger Täuschung oder unrichtiger oder unvollständiger Angaben des Begünstigten oder eines Dritten vor. Dies gilt insbesondere in Fällen von Rechtsanwendungsfehlern. Typischerweise wird das Verschulden der Behörde umso höher sein, je gravierender der Fehler ist. Ein solcher begründet aber unter dem Gesichtspunkt der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung gerade ein höheres Interesse an einer Rücknahme. Die u.U. gegen eine Rücknahme sprechenden Gesichtspunkte der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes müssen dann eher zurücktreten. Wollte man dies anders sehen, so wäre gerade in krassen Fällen, in denen sehenden Auges rechtswidrige Entscheidungen erlassen worden sind bzw. Fälle von Korruption oder anderer Straftaten vorliegen, die Rückgängigmachung der entsprechenden Entscheidungen und Wiederherstellung rechtmäßiger Zustände erschwert. Diese Wertung erscheint nicht sachgerecht (vgl. auch Oberverwaltungsgericht für das Land Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 16. Oktober 2013 – 3 L 170/10 –, Rn. 52, juris).

50

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

51

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

52

Gründe für die Zulassung der Berufung gem. §§ 124a Abs. 1 Satz 1, 124 Abs. 2 Nr. 3 und Nr. 4 VwGO sind nicht ersichtlich.

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Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 154


(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

Gesetz über den Lastenausgleich


Lastenausgleichsgesetz - LAG

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 113


(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag au

Zivilprozessordnung - ZPO | § 708 Vorläufige Vollstreckbarkeit ohne Sicherheitsleistung


Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:1.Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen;2.Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a;3.Urteile, dur

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 167


(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs. (2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungskl

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 124a


(1) Das Verwaltungsgericht lässt die Berufung in dem Urteil zu, wenn die Gründe des § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 vorliegen. Das Oberverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden. Zu einer Nichtzulassung der Berufung ist das Verwaltungsgericht nic

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 114


Soweit die Verwaltungsbehörde ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, prüft das Gericht auch, ob der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens übersch

Verwaltungsverfahrensgesetz - VwVfG | § 48 Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes


(1) Ein rechtswidriger Verwaltungsakt kann, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erhebliche

Baunutzungsverordnung - BauNVO | § 4 Allgemeine Wohngebiete


(1) Allgemeine Wohngebiete dienen vorwiegend dem Wohnen. (2) Zulässig sind 1. Wohngebäude,2. die der Versorgung des Gebiets dienenden Läden, Schank- und Speisewirtschaften sowie nicht störenden Handwerksbetriebe,3. Anlagen für kirchliche, kulture

Baunutzungsverordnung - BauNVO | § 7 Kerngebiete


(1) Kerngebiete dienen vorwiegend der Unterbringung von Handelsbetrieben sowie der zentralen Einrichtungen der Wirtschaft, der Verwaltung und der Kultur. (2) Zulässig sind 1. Geschäfts- , Büro- und Verwaltungsgebäude,2. Einzelhandelsbetriebe, Sch

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Tenor Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 7. August 2006 - 16 K 2707/05 - geändert. Der Bescheid der Beklagten vom 15. März 2005 und deren Widerspruchsbescheid vom 13. Juli 2005 werden aufgeh

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(1) Kerngebiete dienen vorwiegend der Unterbringung von Handelsbetrieben sowie der zentralen Einrichtungen der Wirtschaft, der Verwaltung und der Kultur.

(2) Zulässig sind

1.
Geschäfts- , Büro- und Verwaltungsgebäude,
2.
Einzelhandelsbetriebe, Schank- und Speisewirtschaften, Betriebe des Beherbergungsgewerbes und Vergnügungsstätten,
3.
sonstige nicht wesentlich störende Gewerbebetriebe,
4.
Anlagen für kirchliche, kulturelle, soziale, gesundheitliche und sportliche Zwecke,
5.
Tankstellen im Zusammenhang mit Parkhäusern und Großgaragen,
6.
Wohnungen für Aufsichts- und Bereitschaftspersonen sowie für Betriebsinhaber und Betriebsleiter,
7.
sonstige Wohnungen nach Maßgabe von Festsetzungen des Bebauungsplans.

(3) Ausnahmsweise können zugelassen werden

1.
Tankstellen, die nicht unter Absatz 2 Nummer 5 fallen,
2.
Wohnungen, die nicht unter Absatz 2 Nummer 6 und 7 fallen.

(4) Für Teile eines Kerngebiets kann, wenn besondere städtebauliche Gründe dies rechtfertigen (§ 9 Absatz 3 des Baugesetzbuchs), festgesetzt werden, dass

1.
oberhalb eines im Bebauungsplan bestimmten Geschosses nur Wohnungen zulässig sind oder
2.
in Gebäuden ein im Bebauungsplan bestimmter Anteil der zulässigen Geschossfläche oder eine bestimmte Größe der Geschossfläche für Wohnungen zu verwenden ist.
Dies gilt auch, wenn durch solche Festsetzungen dieser Teil des Kerngebiets nicht vorwiegend der Unterbringung von Handelsbetrieben sowie der zentralen Einrichtungen der Wirtschaft, der Verwaltung und der Kultur dient.

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 7. August 2006 - 16 K 2707/05 - geändert. Der Bescheid der Beklagten vom 15. März 2005 und deren Widerspruchsbescheid vom 13. Juli 2005 werden aufgehoben.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

 
Der Kläger wendet sich gegen die Rücknahme einer Bescheinigung nach
§ 7h EStG (in der bis zum 31.12.2003 geltenden Fassung).
Er ist Eigentümer des Wohnbaugrundstücks ... ... (.... ...) in Stuttgart, Gemarkung Zuffenhausen. Dieses Grundstück lag im räumlichen Geltungsbereich des Sanierungsgebiets „Zuffenhausen 3-Zehnthof“; die Sanierungssatzung wurde nach Abschluss der Sanierung am 29.07.1999 aufgehoben.
Auf Antrag des Klägers vom 31.08.1995 wurde mit Bescheid der Beklagten vom 21.12.1995 ein „Anbau und bauliche Änderungen am Wohnhaus“ mit der Nebenbestimmung sanierungsrechtlich genehmigt, dass „Material und Farben der Balkone, des Vordaches der Garagentore und der Pergola sowie die Begrünung des Garagendachs vor Ausführung mit der Stadt abzustimmen“ sind. Am 13.11.1997 erteilte die Beklagte dem Kläger eine Bescheinigung nach § 7h EStG. Darin wird bestätigt, dass das Gebäude ... ... im förmlich festgelegten Sanierungsgebiet liegt und es sich bei dem Anbau und den baulichen Änderungen um Maßnahmen nach § 177 BauGB gehandelt habe, die der Durchführung der Sanierung gedient hätten. Ergänzend dazu bescheinigte die Beklagte dem Kläger mit Schreiben vom 05.07.1999, dass sich die anerkannten Kosten der durchgeführten Baumaßnahmen auf 777.262,93 DM brutto für die Jahre 1995 bis 1998 belaufen hätten.
Mit Schreiben vom 15.03.2002 rügte das Finanzamt Stuttgart III gegenüber der Beklagten, dass die Bescheinigung nach § 7h EStG auf einer unzureichenden Prüfung des Sachverhalts beruhe. Die auf den Anbau entfallenden Kosten seien steuerlich nicht begünstigt; nach der vorläufigen Aufstellung des Architekten entfielen nur 160.000,-- DM auf die Sanierung. Außerdem seien Baumaßnahmen auch dann nicht begünstigt, wenn sie ohne vorherige Abstimmung mit der Fachbehörde oder ohne konkrete vertragliche Vereinbarungen auf freiwilliger Grundlage durchgeführt worden seien; das Finanzamt bitte um Mitteilung, ob und inwieweit die Baumaßnahmen vorher mit der Beklagten abgesprochen und ob sie gemäß diesen Absprachen durchgeführt worden seien. Mit Schreiben vom 22.05.2002 teilte die Beklagte dem Finanzamt Stuttgart III mit, über die Baumaßnahmen sei zwar keine Modernisierungsvereinbarung abgeschlossen worden, sie seien jedoch vor Baubeginn - u.a. auch im Rahmen des Baugenehmigungsverfahrens - mit ihr abgestimmt worden. Da es sich bei dem Anbau um eine untergeordnete Erweiterung der Bestandsfläche handle, könnten auch die hierfür entstandenen Neubaukosten als sanierungsbedingte Modernisierungs- und Instandhaltungskosten anerkannt werden.
Am 01.08.2003 leitete das Finanzamt Stuttgart III gegenüber der Beklagten
- Amt für Stadterneuerung - auf Weisung des Rechnungsprüfungsamts und in Übereinstimmung mit der Oberfinanzdirektion Stuttgart ein Remonstrationsverfahren mit dem Ziel der Rücknahme der Bescheinigung vom 13.11.1997 ein. Zur Begründung wird ausgeführt: Gegenüber dem Kläger sei offenbar kein Modernisierungs- und Instandsetzungsgebot im Sinne des § 177 BauGB ausgesprochen worden. Ausweislich des Schreibens der Beklagten vom 22.05.2002 habe sich der Kläger auch nicht vertraglich gegenüber der Beklagten zur Durchführung solcher Maßnahmen verpflichtet; eine eventuelle Abstimmung im Rahmen des Baugenehmigungsverfahrens sei nicht geeignet, eine förmliche Vereinbarung über bestimmte Modernisierungsmaßnahmen zu ersetzen. Somit lägen die Voraussetzungen für eine Steuerbegünstigung nach § 7h EStG nicht vor; die Bescheinigung vom 13.11.1997 sei unrichtig und von der Beklagten zurückzunehmen.
Die Beklagte - Amt für Stadtplanung und Stadterneuerung - führte mit Schreiben vom 23.09.2003 gegenüber dem Finanzamt Stuttgart III u.a. aus, ein förmliches Modernisierungs- und Instandsetzungsgebot habe ihr Gemeinderat bislang noch nie beschlossen. Vielmehr verpflichte sich der Eigentümer regelmäßig im Rahmen einer einvernehmlichen Modernisierungsabsprache gegenüber der Stadt zur Durchführung bestimmter Maßnahmen im Sinne des § 177 BauGB. Allerdings sei bis zum Erlass der gemeinsamen Bekanntmachung des Wirtschaftsministeriums und des Finanzministeriums vom 11.06.2001 (Bescheinigungsrichtlinie) eine (schriftliche) Modernisierungsvereinbarung nur dann geschlossen worden, wenn der Eigentümer eine Sanierungsforderung in Anspruch genommen habe. Seit Erlass der Bescheinigungsrichtlinie werde eine Modernisierungsvereinbarung auch ohne Inanspruchnahme eines Sanierungszuschusses dann geschlossen, wenn der Eigentümer eine Steuerbegünstigung nach § 7h EStG in Anspruch nehmen wolle. Da es sich hier um einen Altvorgang vor dem Juni 2001 ohne Gewährung eines Zuschusses aus Landesmitteln handle, sei folglich keine Modernisierungsvereinbarung geschlossen worden.
Mit Schreiben vom 08.10.2003 erwiderte das Finanzamt Stuttgart III, die Beklagte könne sich für die Änderung ihrer Praxis im Jahre 2001 nicht auf die damals ergangene Bescheinigungsrichtlinie berufen, die an den gesetzlichen Voraussetzungen für die Steuerbegünstigung nichts geändert habe. Danach habe jedoch stets die Notwendigkeit des Abschlusses einer Vereinbarung vor Beginn der Baumaßnahmen bestanden, wie sich bereits den Einkommenssteuerrichtlinien 1993 in R 83 a Abs. 6 und der Einkommenssteuerkommentierung von Schmidt in der 15. Aufl. (1996) entnehmen lasse. An der Forderung nach Rücknahme der Bescheinigung werde daher festgehalten.
10 
Dies lehnte die Beklagte mit Schreiben vom 28.11.2003 an das Finanzamt Stuttgart III erneut ab. Das Bauvorhaben des Klägers sei, wie in Sanierungsgebieten üblich, vor Baubeginn mit dem Amt für Stadterneuerung abgestimmt worden. Dem Amt für Stadterneuerung seien die Anforderungen der Finanzverwaltung und insbesondere die Notwendigkeit einer konkreten vertraglichen Vereinbarung zwischen Eigentümer und Gemeinde als Voraussetzung für die Begünstigung nach § 7h EStG erst durch die Bekanntmachung der Bescheinigungsrichtlinie vom 11.06.2001 bewusst geworden. Bis dahin seien keine solchen Vereinbarungen geschlossen worden, was auch bei anderen Städten und Gemeinden so üblich gewesen und bis dahin von den Finanzbehörden auch akzeptiert worden sei. Man sehe sich daher außer Stande, die erteilte Bescheinigung zurückzunehmen.
11 
Mit Schreiben vom 21.04.2004 bat das Finanzministerium Baden-Württemberg das Wirtschaftsministerium Baden-Württemberg, die Beklagte zur Rücknahme der Bescheinigung zu veranlassen. Mit Schreiben vom 03.05.2004 teilte das Wirtschaftsministerium dem Regierungspräsidium Stuttgart mit, dass nach Auffassung der Finanzverwaltung die Voraussetzungen der §§ 177 BauGB, 7h EStG für die Erteilung der Bescheinigung nicht vorgelegen hätten und bat um weitere Veranlassung im Rahmen der Fach- und Rechtsaufsicht. Das Regierungspräsidium Stuttgart bat daraufhin die Beklagte mit Schreiben vom 18.08.2004, die dem Kläger erteilte Bescheinigung zurückzunehmen. Mit Schreiben vom 06.09.2004 teilte die Beklagte dem Kläger mit, die Rücknahme der Bescheinigung sei beabsichtigt und gab Gelegenheit zur Stellungnahme innerhalb von vier Wochen.
12 
Nachdem sich der Kläger geäußert hatte, nahm die Beklagte die Bescheinigung vom 13.11.1997 mit Bescheid vom 15.03.2005 mit Wirkung für die Vergangenheit zurück. Die Bescheinigung hätte nur erteilt werden dürfen, wenn die Modernisierungs- und Instandhaltungsmaßnahmen aufgrund einer konkreten vertraglichen Verpflichtung durchgeführt worden wären. Die Rücknahme sei angemessen. Sie sei das „mildeste Mittel“, um die rechtswidrige Bescheinigung zu beseitigen und die Bindung des Finanzamts an dieselbe zu beenden. Das Interesse des Klägers an deren Aufrechterhaltung müsse demgegenüber zurücktreten. Die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 LVwVfG sei noch nicht abgelaufen. Sie sei nicht durch die Aufforderung zur Rücknahme mit Schreiben des Finanzamts Stuttgart III vom 30.07.2003 in Gang gesetzt worden. Denn sie selbst habe noch mit Schreiben vom 28.11.2003 dem Finanzamt mitgeteilt, dass die Bescheinigung für rechtmäßig gehalten werde und sie sich zur Rücknahme außer Stande sehe. Erst durch die Weisung zur Rücknahme mit Schreiben des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 18.08.2004 im laufenden Remonstrationsverfahren habe die Frist zu laufen begonnen. Den hiergegen eingelegten Widerspruch des Klägers wies die Beklagte mit Bescheid vom 13.07.2005 aus den im Ausgangsbescheid genannten Gründen zurück.
13 
Mit seiner am 17.08.2005 beim Verwaltungsgericht Stuttgart erhobenen Klage hat der Kläger beantragt, den Bescheid der Beklagten über die Rücknahme der Bescheinigung nach § 7h EStG und deren Widerspruchsbescheid vom 13.07.2005 aufzuheben. Die Beklagte hat Abweisung der Klage beantragt.
14 
Mit Urteil vom 07.08.2006 - 16 K 2707/05 - hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Der Verwaltungsrechtsweg sei zwar gegeben. Die Klage sei jedoch nicht begründet. Die Rücknahme der Bescheinigung für die Vergangenheit sei rechtmäßig. § 7h Abs.1 EStG 1997 beziehe sich nicht nur auf § 177 Abs. 1 und Abs. 3 Satz 1 BauGB, in denen näher umschrieben werde, was Modernisierungs- und Instandsetzungsmaßnahmen seien, sondern auf die gesamte Vorschrift. Daher setze eine Bescheinigung nach § 7h Abs. 1 EStG voraus, dass steuerlich zu fördernde Maßnahmen auf einem entsprechenden städtebaurechtlichen Gebot der Gemeinde nach § 177 Abs. 1 BauGB beruhten. Da solche Anordnungen in der Praxis nur geringe Bedeutung besäßen, stehe der hoheitlichen Anordnung eines solchen Gebots ein dieses Gebot ersetzender städtebaulicher Vertrag gleich. Solche Verträge bedürften indes der Schriftform. Die hier zwischen dem Kläger und der Beklagten getroffenen mündlichen Absprachen über die Beseitigung von Missständen und Mängeln am Wohngebäude reichten daher nicht aus. Die Beklagte sei im Rahmen des Ermessens auch zutreffend davon ausgegangen, dass das öffentliche (fiskalische) Interesse an der Beseitigung nicht gerechtfertigter Steuerbegünstigungen das Vertrauen des Klägers in deren Fortbestand überwiege. Maßgebend hierfür sei der Umstand, dass die Baumaßnahmen zum Zeitpunkt der Erteilung der Bescheinigung bereits abgeschlossen gewesen seien. Zur Frage der wirtschaftlichen Bedeutung der Rücknahme der Bescheinigung habe der Kläger vor deren Erlass nichts vorgetragen. Im Übrigen gebe es auch keine konkreten Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger die Baumaßnahmen deshalb mit der Beklagten abgesprochen habe, um eine Steuervergünstigung zu erreichen. Dagegen spreche, dass die Beklagte in allen Fällen, in denen die Baumaßnahmen - wie hier - nicht mit Sanierungsmitteln bezuschusst worden seien, die Bescheinigung bis zum Erlass der Richtlinien vom 11.06.2001 nicht davon abhängig gemacht habe, dass ein Gebot oder ein städtebaulicher Vertrag vorgelegen habe. Auch aus den der Baugenehmigung beigefügten Nebenbestimmungen könne nicht hergeleitet werden, dass es eine Absprache gegeben habe. Denn diese Nebenbestimmungen seien ordnungsrechtlicher Natur. Die Jahresfrist für die Rücknahme sei gewahrt. Sie beginne erst zu laufen, wenn die Behörde die Rechtswidrigkeit erkannt habe und ihr die für die Rücknahmeentscheidung erheblichen Tatsachen vollständig bekannt seien. Zu den entscheidungserheblichen Tatsachen gehörten auch alle Umstände, die für die Beurteilung der Frage von Bedeutung seien, ob der Begünstigte in schutzwürdiger Weise auf den Bestand des Verwaltungsakts vertraut habe. Es könne offen bleiben, ob die Jahresfrist danach erst mit Ablauf der dem Kläger mit Schreiben vom 06.09.2004 gesetzten Frist für eine Stellungnahme zur geplanten Rücknahme zu laufen begonnen habe. Denn jedenfalls habe sie frühestens in dem Zeitpunkt begonnen, in dem das Regierungspräsidium Stuttgart als Rechtsaufsichtsbehörde die Beklagte mit Schreiben vom 18.08.2004 zur Rücknahme der Bescheinigung vom 13.11.1997 aufgefordert habe. Somit sei die Rücknahme mit Bescheid vom 15.03.2005 noch innerhalb der Jahresfrist erfolgt. Das Urteil wurde dem Kläger am 15.08.2006 zugestellt.
15 
Am 29.08.2006 hat der Kläger die vom Verwaltungsgericht zugelassene Berufung eingelegt. Er beantragt,
16 
das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 07. August 2006 - 16 K 2707/05 - zu ändern und den Rücknahmebescheid der Stadt Stuttgart vom 15. März 2005 sowie deren Widerspruchsbescheid vom 13. Juli 2005 aufzuheben.
17 
Er trägt zur Begründung vor: Die ihm erteilte Bescheinigung nach § 7h EStG sei nicht rechtswidrig. Der Gesetzgeber verweise in § 7h EStG nicht auf das Modernisierungs- und Instandsetzungsgebot nach § 177 Abs. 1 BauGB, sondern allein auf die in § 177 Abs. 2 und 3 BauGB umschriebenen Instandsetzungs- und Modernisierungsmaßnahmen. Zweck der Verweisung sei die Beschränkung der steuerlichen Begünstigung auf die städtebaulich, sozialpolitisch und denkmalpflegerisch erwünschte Beseitigung von Missständen und Mängeln. Für diese Auslegung spreche auch, dass Gebäudemodernisierungen in Sanierungsgebieten ohnehin stets aufgrund von Absprachen mit den Kommunen erfolgten, welche gemäß §§ 144, 145 BauGB die „Durchführungsverantwortung“ für die Gestaltung des Sanierungsgebiets und seiner Gebäude hätten, und zwar unabhängig davon, ob eine förmliche Modernisierungsvereinbarung getroffen worden sei oder nicht. Solche förmlichen Modernisierungsvereinbarungen seien nur dann notwendig, wenn die Kommune einen Zuschuss zu den Maßnahmen zahle. Auch nach Auffassung der Finanzverwaltung sei die Gewährung der Steuervergünstigung nicht daran geknüpft, dass ein solcher Zuschuss bezahlt worden sei. Aus der Regelung des § 7h Abs. 1 Satz 2 EStG sei nicht zu folgern, dass die Steuerbegünstigung nur im Falle einer vertraglichen Verpflichtung zur Vornahme von Modernisierungsmaßnahmen gegenüber der Gemeinde zu gewähren sei. Denn hier handle es sich um eine Erstreckung der Steuervergünstigung auf denkmalbezogene Maßnahmen, die über Maßnahmen zur Modernisierung hinausgingen und für die schon aus kompetenzrechtlichen Gründen von vornherein kein Modernisierungsgebot nach § 177 Abs. 1 BauGB in Betracht käme. Die hier in Rede stehenden Maßnahmen seien auch in Absprache mit der Beklagten durchgeführt worden. Vertreter des Amtes für Stadterneuerung der Beklagten hätten ihm zunächst die sanierungsrechtlichen Verpflichtungen und Möglichkeiten zur Modernisierung und Instandsetzung seines Wohngebäudes erläutert. Er habe daraufhin seine Bereitschaft hierzu bekundet. Die Vertreter der Beklagten hätten ihn zwar darauf hingewiesen, dass keine Kostenerstattung nach § 177 Abs. 4 BauGB erfolgen werde, hätten ihm indes zugesichert, die Bescheinigung nach § 7h EStG zu erteilen. Er habe die Ergebnisse des Gesprächs in seinem Baugesuch und seinem Antrag auf Erteilung der sanierungsrechtlichen Genehmigung absprachegemäß umgesetzt. Mit Erteilung der Baugenehmigung und der sanierungsrechtlichen Genehmigung habe die Beklagte zumindest konkludent die geplanten Baumaßnahmen gebilligt; zudem habe sie ausdrücklich gefordert, dass „Material und Farben der Balkone, des Vordachs der Garagentore und der Pergola sowie die Begrünung des Garagendaches mit der Stadt abzustimmen“ seien. Sein Antrag und die Bewilligung durch die Beklagte stellten somit der Sache nach eine schriftliche Modernisierungsabsprache dar. In einer gesondert formulierten Modernisierungsabsprache hätte nichts weiter geregelt werden können, zumal keine Kostenerstattung erfolgt sei. Auch vor diesem Hintergrund sei die Bescheinigung nach § 7h EStG zu Recht ergangen. Außerdem sei die Bescheinigung erst nach Ablauf der Jahresfrist zurückgenommen worden. Die Beklagte sei durch das Schreiben des Finanzamts Stuttgart III vom 30.07.2003 auf die Rechtswidrigkeit der Bescheinigung hingewiesen worden, habe diese jedoch erst mit Bescheid vom 15.03.2005 zurückgenommen. Sie könne sich nicht darauf berufen, dass sie diesen Rechtsstandpunkt erst auf der Grundlage der fachaufsichtlichen Weisung des Regierungspräsidiums akzeptiert habe. Denn sie hätte sich innerhalb eines Jahres nach dem Schreiben des Finanzamts Klarheit über die Rechtslage verschaffen müssen. Schließlich hätte die Bescheinigung auch deshalb nicht zurückgenommen werden dürfen, weil er auf deren Fortbestand habe vertrauen dürfen und dieses Vertrauen schutzwürdig gewesen sei. Er habe die Bauinvestitionen in vollem Vertrauen auf die von der Beklagten zugesagten Steuervergünstigungen nach § 7h EStG und in Absprache mit der Beklagten vorgenommen. Das fiskalische Interesse an der Beseitigung der Steuerbegünstigung wiege demgegenüber nicht schwer. Dabei sei zu berücksichtigen, dass bei Kenntnis der Rechtsauffassung der Finanzverwaltung eine förmliche Modernisierungsvereinbarung zwischen ihm und der Beklagten abgeschlossen worden wäre. Für die Jahre 1997 bis 1999 habe er die steuerliche Vergünstigungen erhalten; sie seien jedoch von der Finanzverwaltung wieder „zurückgefordert“ worden. Er habe gegen alle Steuerbescheide seit 1997 Einsprüche eingelegt, über die wegen des vorliegenden Verfahrens noch nicht entscheiden worden sei.
18 
Die Beklagte beantragt,
19 
die Berufung zurückzuweisen.
20 
Sie erwidert: Die dem Kläger erteilte Bescheinigung nach § 7h EStG sei von Anfang an rechtswidrig gewesen. § 7h Abs. 1 Satz 1 EStG verweise nach seinem Wortlaut auf die gesamte Vorschrift des § 177 BauGB und damit auch auf Abs. 1, in dem der Erlass von Modernisierungs- und Instandsetzungsgeboten geregelt sei. Zwar stehe der hoheitlichen Anordnung eines solchen Gebotes eine schriftliche Modernisierungsvereinbarung gleich, in der sich der Eigentümer gegenüber der Gemeinde verpflichte, im einzelnen umschriebene Maßnahmen zur Behebung von Missständen und Mängeln vorzunehmen. Die schriftliche Antragstellung des Klägers und die schriftliche Genehmigung der Baumaßnahmen erfüllten diese Voraussetzungen nicht. Die Jahresfrist habe erst mit Aufforderung des Regierungspräsidiums zur Rücknahme der Bescheinigung mit Schreiben vom 18.08.2004 zu laufen begonnen, weil der Behörde erst zu diesem Zeitpunkt die Rechtswidrigkeit derselben bewusst geworden sei. Das öffentliche Interesse in Gestalt des Interesses an der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und der Beseitigung ungerechtfertigter Steuervergünstigungen überwiege das Vertrauen des Klägers in den Fortbestand der ihm erteilten Bescheinigung. Auch gebe es kein milderes Mittel, um die Bindung der Finanzbehörden an die Bescheinigung als Grundlagenbescheid für die Gewährung der Steuervergünstigung zu beseitigen und rechtmäßige Zustände herzustellen.
21 
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Senatsakten sowie die Akten des Verwaltungsgerichts und der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

 
22 
Die Berufung ist nach Zulassung durch das Verwaltungsgericht statthaft und auch sonst zulässig. Sie ist auch begründet. Das Verwaltungsgericht hätte den Bescheid der Beklagten vom 15.03.2005 über die Rücknahme der dem Kläger nach § 7h Abs. 2 Satz 1 EStG erteilten Bescheinigung und deren Widerspruchsbescheid vom 13.07.2005 aufheben müssen, weil sie rechtswidrig sind und den Kläger in seinen Rechten verletzen (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
23 
Allerdings teilt der Senat die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass die § 7h-Bescheinigung vom 13.11.1997 rechtswidrig ist. Denn sie bestätigt zu Unrecht - mit Bindungswirkung gegenüber dem Finanzamt -, dass die vom Kläger an seinem Gebäude ... ... durchgeführten Modernisierungsmaßnahmen die Voraussetzungen des § 7h Abs. 1 Satz 1 EStG erfüllen. Nach dieser Vorschrift können bei Gebäuden in Sanierungsgebieten erhöhte Absetzungen von den Herstellungskosten für Modernisierungs- und Instandsetzungsmaßnahmen im Sinne des § 177 BauGB vorgenommen werden. Entgegen der Auffassung des Klägers ist § 7h Abs. 1 Satz 1 EStG nicht einschränkend dahingehend auszulegen, dass die Voraussetzungen für die steuerliche Förderung bereits dann gegeben sind, wenn am Gebäude Mängel oder Missstände im Sinne des § 177 Abs. 2 und 3 BauGB vorlagen und diese behoben wurden. Denn § 7h Abs. 1 Satz 1 EStG verweist nach seinem Wortlaut auf die Vorschrift des § 177 BauGB im Ganzen und damit auch auf dessen Absatz 1, der die Gemeinden ermächtigt, die Modernisierung und Instandsetzung von Gebäuden in Sanierungsgebieten durch entsprechende Anordnungen durchzusetzen. Anstelle solcher Gebote schließen die Gemeinden in der Praxis meist städtebauliche Verträge nach § 11 BauGB mit den Eigentümern, in denen diese sich zur Durchführung näher bestimmter Modernisierungs- und Instandsetzungsmaßnahmen verpflichten (vgl. Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 8. Aufl., § 177 Rn. 21). Diese Vorgehensweise trägt dem Kooperationsgedanken Rechnung, von dem das Sanierungsrecht geprägt ist (vgl. § 175 Abs. 1 BauGB), und erfüllt daher ebenfalls die Voraussetzungen für eine steuerliche Förderung (vgl. Einkommenssteuerrichtlinien 2005, BStBl. I Sondernr. 1 R 7h (6); Gemeinsame Bekanntmachung des Wirtschaftsministeriums und des Finanzministeriums vom 11.06.2001 - Bescheinigungsrichtlinie - GABl. 2001, 793, TZ 3.1; vgl. auch BFH, Beschluss vom 06.12.2002 - 9 B 109/02 -, BFH/NV 2003, 469). Demgegenüber stellen freiwillige Modernisierungs- und Instandsetzungsmaßnahmen auch dann keine Maßnahmen im Sinne des § 7h Abs. 1 Satz 1 EStG dar, wenn sie in Absprache mit der Gemeinde erfolgen und der Beseitigung von Mängeln und Missständen im Sinne von § 177 Abs. 2 und 3 BauGB dienen, sondern nur dann, wenn sie auf der Grundlage eines Gebots nach § 177 Abs. 1 BauGB oder einer vertraglichen Verpflichtung gegenüber der Gemeinde durchgeführt wurden. Der Senat schließt sich damit der bislang von der obergerichtlichen Rechtsprechung und Kommentarliteratur vertretenen Auffassung an (vgl. OVG Niedersachsen, Urteil vom 24.04.1997 - 6 L 2067/96 - und OVG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 08.06.2004 - 3 L 64/02 -, NVwZ 2005, 835; Blümich, EStG, Bd. 1, § 7h Rn. 23 f.; Kirchhof, EStG, 2001, § 7h RdNr. 3; Schmidt, EStG, 25. Aufl. § 7h Rn. 3).
24 
Für diese Auffassung spricht neben der uneingeschränkten Verweisung auf § 177 BauGB in § 7h Abs. 1 Satz 1 EStG auch Satz 2 dieser Vorschrift, welcher die steuerliche Förderung auf denkmalbezogene Maßnahmen unter der Voraussetzung erstreckt, dass sich der Eigentümer hierzu gegenüber der Gemeinde verpflichtet hat. Eine entsprechende ausdrückliche Regelung ist hinsichtlich der sanierungsbezogenen Modernisierungs- und Instandsetzungsmaßnahmen entbehrlich, weil deren verpflichtender Charakter bereits durch die umfassende Verweisung auf § 177 BauGB - und damit auch auf dessen Absatz 1 - in § 7h Abs. 1 Satz 1 EStG zur Voraussetzung für die steuerliche Begünstigung gemacht wird. Demgegenüber ermächtigt § 177 BauGB nicht zur Anordnung städtebaulicher Gebote hinsichtlich der in § 7h Abs. 1 Satz 2 EStG genannten denkmalbezogenen Maßnahmen. Dieser Auslegung kann auch nicht entgegen gehalten werden, dass sich freiwillige Modernisierungsmaßnahmen, die in Absprache mit der Gemeinde realisiert werden, nicht von den auf Grundlage vertraglicher Verpflichtungen durchzuführenden Maßnahmen unterscheiden, wie der Kläger meint. Abgesehen davon, dass die Gemeinden keine Möglichkeit haben, mündliche Absprachen über Modernisierungsmaßnahmen gegebenenfalls zwangsweise durchzusetzen, kann vom Eigentümer nur dann verlangt werden, sich vertraglich zur Durchführung im einzelnen bezeichneter Modernisierungsmaßnahmen in einem bestimmten Zeitraum (vgl. § 177 Abs. 1 Satz 3 BauGB) als Ersatz für eine ansonsten mögliche einseitige Anordnung von Geboten nach § 177 Abs. 1 BauGB (vgl. Battis/Krautzberger/Löhr, a.a.O., § 177 Rn. 34) zu verpflichten, wenn gemäß § 175 Abs. 2 BauGB die alsbaldige Durchführung der Maßnahmen aus städtebaulichen Gründen erforderlich ist. Mit der Anknüpfung der steuerlichen Begünstigung an Modernisierungsmaßnahmen verpflichtenden Charakters wird daher zugleich erreicht, dass diese auf Maßnahmen mit städtebaulicher Dringlichkeit beschränkt wird. Hier hat der Kläger die Modernisierungsmaßnahmen nicht aufgrund einer vertraglichen Verpflichtung gegenüber der Beklagten, sondern freiwillig durchgeführt. Daran ändert nichts, dass er sie unter Beachtung mündlicher Absprachen mit Mitarbeitern der Beklagten gemäß der ihm erteilten Baugenehmigung und der darin enthaltenen sanierungsrechtlichen Auflagen realisiert hat. Denn hierzu war der Kläger nicht verpflichtet. Somit ist die ihm erteilte Bescheinigung rechtswidrig.
25 
Die Rücknahme der Bescheinigung mit Bescheid vom 15.03.2005 erfolgte jedoch nicht innerhalb der Rücknahmefrist nach § 48 Abs. 4 LVwVfG und ist daher ihrerseits rechtswidrig.
26 
Nach dieser Vorschrift ist die Rücknahme ab dem Zeitpunkt, in dem die Behörde von Tatsachen Kenntnis erhält, welche die Rücknahme des rechtswidrigen Verwaltungsakts rechtfertigen, nur innerhalb eines Jahres zulässig. Die Jahresfrist beginnt, sobald die Rücknahmebehörde die Rechtswidrigkeit des erlassenen Verwaltungsakts erkannt hat und ihr die für die Rücknahmeentscheidung außerdem erheblichen Tatsachen vollständig bekannt sind. Dazu gehören die Umstände, deren Kenntnis es der Behörde objektiv ermöglicht, ohne weitere Sachaufklärung unter sachgerechter Ausübung ihres Ermessens über die Rücknahme zu entscheiden. Denn § 48 Abs. 4 LVwVfG ist nicht im Sinne einer „Bearbeitungsfrist“ zu verstehen, die mit der Kenntnis der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes zu laufen beginnt und der Behörde ein Jahr Zeit lässt, um hinsichtlich des Vorliegens der weiteren Rücknahmevoraussetzungen Entscheidungsreife herbeizuführen. Eine solche „Bearbeitungsfrist“ wäre nicht sachgerecht, weil es nicht allein vom Willen der Behörde abhängt, ob die Sache in diesem Zeitraum tatsächlich entscheidungsreif gemacht werden kann; vielmehr kann sich die Aufklärung der entscheidungserheblichen Tatsachen aus den unterschiedlichsten Gründen verzögern (zum Beispiel Zeugenvernehmung oder Einholung von Sachverständigengutachten). Nach Sinn und Zweck der Regelung handelt es sich daher um eine „Entscheidungsfrist“, die grundsätzlich mit dem Zeitpunkt des Eintritts der Entscheidungsreife zu laufen beginnt (grundlegend BVerwG Großer Senat, Beschl. vom 19.12.1984 - GrSen 1.84, GrSen 2.84 -, BVerwGE 70, 356; vgl. auch Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 6. Aufl., § 48 Rn. 219 ff.). Hingegen vermag ein auf die weiteren Rücknahmevoraussetzungen bezogener Rechtsirrtum der Behörde - anders als ein Rechtsirrtum in Bezug auf die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts - den Fristbeginn nicht zu hindern. Denn andernfalls wäre die Entscheidungsreife abhängig von der rechtlichen Erkenntnisfähigkeit der handelnden Behörde; je geringer diese ausgeprägt ist, desto großzügiger wäre die zur Verfügung stehende Rücknahmefrist. Eine solche Auslegung wäre nicht vereinbar mit dem Zweck der Jahresfrist, Rechtssicherheit hinsichtlich des Bestandes von Verwaltungsakten herbeizuführen. Sie würde ferner die in § 48 Abs. 4 LVwVfG normierte Beschränkung der Kenntnis auf „Tatsachen“ „ins Leere laufen“ lassen (vgl. BVerwG, Urt. vom 05.08.1996 - 5 C 6.95 -, NWVBl. 1997, 293 unter Hinweis darauf, dass ein Rechtsirrtum über die Erforderlichkeit von Ermessenserwägungen den Beginn der Jahresfrist nicht hinausschiebt mit der Folge, dass ein Rücknahmebescheid, welcher einen fristgerecht erlassenen ersten Rücknahmebescheid ersetzt, verfristet sein kann; vgl. auch BVerwG, Urt. vom 19.12.1995 - 5 C 10.94 -, BVerwGE 100, 199; ebenso mit eingehender Begründung BSG, Urt. vom 27.07.1989 - 11/7 RAr 115/87 -, BSGE 65, 221 und Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 46 Rn. 141). Ausgehend davon wurde die dem Kläger erteilte Bescheinigung nach § 7h EStG erst nach Ablauf der Ausschlussfrist des § 48 Abs. 4 LVwVfG zurückgenommen.
27 
Der Irrtum der Beklagten über die Rechtmäßigkeit ihrer Praxis, Bescheinigungen nach § 7h EStG auch bei freiwilligen Modernisierungsmaßnahmen ohne konkrete vertragliche Verpflichtungen auszustellen, war nach eigenem Bekunden mit Bekanntmachung der verbindlichen Vorgaben zur Auslegung und Anwendung unter anderem des § 7h EStG in der Bescheinigungsrichtlinie des Wirtschafts- und Finanzministeriums vom 11.06.2001 (a.a.O.) behoben. Bezogen auf das vorliegende Verfahren war der entsprechende Rechtsirrtum bei der zuständigen Behörde spätestens im November 2003 entfallen. Denn das Amt für Stadtplanung und Stadterneuerung hat im Rahmen des Remonstrationsverfahrens, das der streitgegenständlichen Rücknahme vorangegangen war, mit Schreiben vom 28.11.2003 gegenüber dem Finanzamt Stuttgart III ausdrücklich angegeben, ihm sei aufgrund der Bescheinigungsrichtlinie bewusst geworden, dass die Begünstigung nach § 7h EStG eine konkrete vertragliche Vereinbarung zwischen Eigentümer und Gemeinde voraussetze. Damit hat die zuständige Behörde zu erkennen gegeben, dass sie nunmehr von der Rechtswidrigkeit ihrer früheren Verwaltungspraxis ausgeht. Zwar hat das Amt für Stadtplanung und Stadterneuerung in diesem Schreiben weiter ausgeführt, dass es sich - gleichwohl - außerstande sehe, die dem Kläger erteilte Bescheinigung zurückzunehmen, weil bis zum Erlass der Bescheinigungsrichtlinie keine konkreten vertraglichen Vereinbarungen zwischen Eigentümer und Stadt abgeschlossen worden seien und diese - auch bei anderen Gemeinden übliche - Vorgehensweise von der Finanzbehörde bis dahin akzeptiert worden sei. Diese Aussage relativiert jedoch nicht die zuvor geäußerte Feststellung zur Rechtswidrigkeit der früheren Verwaltungspraxis in Bezug auf die dem Kläger erteilte Bescheinigung. Denn mit der Bescheinigungsrichtlinie hinsichtlich der Frage der Notwendigkeit konkreter vertraglicher Modernisierungspflichten sind nicht etwa Konsequenzen aus einer Rechtsänderung gezogen worden. Vielmehr ist der steuerrechtliche Begünstigungstatbestand hinsichtlich der umfassenden Verweisung auf § 177 BauGB seit Erteilung der Bescheinigung im November 1997 unverändert geblieben. Damit war für die Beklagte klar, dass auch die Praxis vor Erlass der Bescheinigungsrichtlinie rechtswidrig gewesen war. Ihre Annahme, die dem Kläger erteilte Bescheinigung trotz erkannter Rechtswidrigkeit nicht zurücknehmen zu können, bezieht sich daher auf das Fehlen weiterer Rücknahmevoraussetzungen. Offenbar war sie der Auffassung, dass ein Vertrauenstatbestand vorliege, hinter dem das öffentliche Interesse an der Rücknahme zurücktreten müsse; an dieser Rechtsauffassung hat sie dann in der Folgezeit festgehalten, bis sie vom Regierungspräsidium mit Schreiben vom 18.08.2004 zur Rücknahme der dem Kläger erteilten Bescheinigung angewiesen wurde. Wie ausgeführt, kommt es daher für den Beginn der Rücknahmefrist nicht darauf an, ob die zuständige Behörde hinsichtlich solcher weiterer Rücknahmevoraussetzungen einem Rechtsirrtum unterlegen ist oder nicht.
28 
Im vorliegenden Fall begann nach alledem die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 LVwVfG Ende November 2003 zu laufen, als das Amt für Stadtplanung bezogen auf das konkrete Verfahren (spätestens) Kenntnis von der Rechtswidrigkeit der Bescheinigung erlangt und zugleich angenommen hat, die weiteren Rücknahmevoraussetzungen lägen nicht vor. Dies hat zur Folge, dass die „Entscheidungsfrist“ des § 48 Abs. 4 LVwVfG bei Erlass des Rücknahmebescheids am 15. März 2005 bereits abgelaufen war. Zwar trifft die von der Beklagten zunächst vertretene Auffassung, die vor Erlass der Bescheinigungsrichtlinie rechtswidrig erteilten Bescheinigungen könnten mit Blick auf die damalige, von der Finanzverwaltung akzeptierte Praxis generell nicht zurückgenommen werden, nicht zu; vielmehr war dies von einer einzelfallbezogenen Würdigung insbesondere unter Vertrauensschutzgesichtspunkten abhängig. Auch spricht viel dafür, dass bei zutreffender Anwendung der Rücknahmevoraussetzungen der Sachverhalt im Zeitpunkt der Kenntnis der Rechtswidrigkeit der Bescheinigung noch nicht hinreichend geklärt war. Insbesondere war der zuständigen Behörde damals noch nicht bekannt, ob der Kläger die ihm bereits gewährten Steuervergünstigungen im Sinne des § 48 Abs. 2 Satz 2 LVwVfG verbraucht hat (vgl. BVerwG, Urteil vom 18.04.1997 - 3 C 3.95 -, BVerwGE 104, 289 zur Anwendbarkeit des § 48 Abs. 2 VwVfG auf Verwaltungsakte, die Grundlage für eine bezifferbare Steuerverschonung sind; vgl. BVerwG, Urteil vom 28.01.1993 - 2 C 15.91 -, DVBl. 1993, 947 zum Leistungsverbrauch). Ein solcher Klärungsbedarf hindert jedoch den Fristbeginn hier nicht. Denn mit Blick auf den Zweck der Ausschlussfrist des § 48 Abs. 4 LVwVfG als „Entscheidungsfrist“ kommt es allein darauf an, ob a u s S i c h t d e r B e h ö r d e Entscheidungsreife gegeben ist. Hat diese - wie hier - zu erkennen gegeben, dass sie eine Rücknahme des rechtswidrigen Verwaltungsakts von vornherein - ohne Klärung konkreter Vertrauensschutzaspekte - für unzulässig hält, beginnt die Jahresfrist auch dann zu laufen, wenn diese Rechtsauffassung unzutreffend ist und eine Rücknahme bei hinreichender Aufklärung des Sachverhalts in Betracht kommt. Denn ein auf die weiteren Rücknahmevoraussetzungen bezogener Rechtsirrtum hat - wie oben dargelegt - keine fristhemmende Wirkung. Käme es für die Frage der Entscheidungsreife nicht auf die Rechtsauffassung der Rücknahmebehörde, sondern auf die zutreffende Anwendung der Rücknahmevoraussetzungen an, wäre es von den Rechtskenntnissen der Behörde abhängig, ob und wann sie die zur Herbeiführung der Entscheidungsreife notwendige Sachaufklärung vornimmt. Die zur Verfügung stehende Rücknahmefrist wäre also um so länger bemessen, je geringer die Rechtskenntnisse der jeweiligen Behörde sind. Dies wäre aber mit dem Zweck der Jahresfrist, Rechtssicherheit und Rechtsklarheit im Hinblick auf den Bestand von Verwaltungsakten zu gewährleisten, nicht zu vereinbaren. Im Übrigen läge auch treuwidriges Verhalten vor, wenn sich eine Rücknahmebehörde, die zu erkennen gegeben hatte, dass aus ihrer Sicht Entscheidungsreife vorlag, später hinsichtlich des Fristablaufs auf die Notwendigkeit weiterer Sachaufklärung beriefe. Somit beginnt die Jahresfrist zu laufen, wenn der Behörde alle Tatsachen bekannt sind, die nach ihrer Rechtsauffassung für die Entscheidung über eine Rücknahme des - als rechtswidrig erkannten - Verwaltungsakts erheblich sind. Wie ausgeführt, bestand hier für die Beklagte im Zeitpunkt der Kenntnis der Rechtswidrigkeit der Bescheinigung kein Anlass für weitere Sachaufklärung, weil sie deren Rücknahme unabhängig von den konkreten Einzelfallumständen für unzulässig hielt, so dass die Jahresfrist (spätestens) im November 2003 zu laufen begann.
29 
Die Beklagte ist schließlich auch in der Folgezeit bis zum Ablauf der Jahresfrist davon ausgegangen, dass sie ohne weitere Sachverhaltsaufklärung über die Frage einer Rücknahme der Bescheinigung entscheiden könne. Das Schreiben des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 18.08.2004, mit dem sie zur Rücknahme der dem Kläger erteilten Bescheinigung angewiesen wurde, hat daran nichts geändert. Denn diese Weisung wurde nicht von einer Würdigung der Einzelfallumstände abhängig gemacht, sondern galt unbedingt. Dementsprechend finden sich im Rücknahmebescheid und im Widerspruchsbescheid der Beklagten auch keine auf die konkreten Umstände bezogenen Ermessenserwägungen. Die Anhörung des Klägers mit Schreiben vom 07.09.2004 im Anschluss an die Weisung des Regierungspräsidiums stellt sich vor diesem Hintergrund lediglich als formelle Wahrung des rechtlichen Gehörs dar und war nicht auf weitere Sachaufklärung gerichtet.
30 
Unabhängig davon ist die Rücknahme der Bescheinigung auch wegen fehlender Ermessenserwägungen rechtswidrig. Im Rücknahmebescheid der Beklagten vom 15.03.2005 und in deren Widerspruchsbescheid vom 13.07.2005 wird zwar ausgeführt, dass das Interesse des Klägers an der Aufrechterhaltung der Bescheinigung gegenüber dem Interesse am rechtmäßigen Verwaltungshandeln zurücktreten müsse. Als Begründung wird jedoch lediglich angegeben, dass es kein „milderes Mittel“ gebe, um den rechtswidrigen Bescheid und damit die Bindung des Finanzamts an die Bescheinigung des Vorliegens der Voraussetzungen für die steuerliche Begünstigung zu beseitigen. Für die Rücknahmeentscheidung war demnach allein ausschlaggebend, dass die Bindung der Finanzverwaltung an die Bescheinigung als Grundlagenbescheid für die steuerliche Begünstigung nicht auf andere Weise aufgehoben werden kann; auf eine konkrete Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse am rechtmäßigen Verwaltungshandeln und dem privaten Interesse des Klägers an der Aufrechterhaltung der steuerlichen Begünstigung kam es der Beklagten erkennbar nicht an.
31 
Dieser „Nichtgebrauch“ des Ermessens ist mit § 48 LVwVfG nicht vereinbar. Gemäß § 48 Abs. 2 Satz 1 LVwVfG ist die Vorschrift auch auf solche Verwaltungsakte anzuwenden, die - wie hier die Bescheinigung nach § 7h EStG -Voraussetzung für die Gewährung von Geldleistungen sind. Das Rücknahmeermessen ist demnach nicht erst von der Finanzverwaltung im Rahmen der Entscheidung darüber auszuüben, ob bereits gewährte steuerliche Vergünstigungen zurückgefordert werden sollen. Davon abgesehen stellt die Bescheinigung auch die Grundlage für die Bewilligung noch nicht gewährter steuerlicher Vergünstigungen dar. Hier bestand auch Anlass, den konkreten Sachverhalt im Rahmen der Ermessensausübung zu würdigen. Das gilt einmal mit Blick auf das öffentliche Interesse an der Beseitigung zu Unrecht erlangter Steuerbegünstigungen. Dessen Gewicht hängt u.a. wesentlich davon ab, ob bei Kenntnis der zutreffenden Auslegung des § 7h Abs. 1 Satz 1 EStG eine verpflichtende Modernisierungsvereinbarung über die abgesprochenen und tatsächlich auch ausgeführten baulichen Maßnahmen getroffen worden wäre. In diesem Fall wären die vom Kläger vorgenommenen Modernisierungsmaßnahmen der Sache nach steuerlich förderungswürdig gewesen, was den fehlenden Vertragsschluss im Nachhinein als eher formalen Mangel erscheinen ließe und das Gewicht des fiskalischen Interesses minderte. Ferner hat der Kläger angegeben, dass er die Modernisierungsmaßnahme nur deshalb durchgeführt habe, weil Mitarbeiter der Beklagten ihm die Erteilung der Bescheinigung nach § 7h EStG mündlich zugesichert hätten. Dieser Umstand kann zwar nicht mit den in § 48 Abs. 2 LVwVfG genannten Vertrauenstatbeständen gleichgesetzt werden, welche eine Rücknahme begünstigender Verwaltungsakte ausschließen; für die ermessensgerechte Berücksichtigung des Vertrauensschutzes ist er aber durchaus von Belang. Schließlich war nicht im verwaltungsgerichtlichen Verfahren zu klären, ob die eben genannten ermessensrelevanten Umstände vorliegen. Denn die Beklagte hat diesbezüglich überhaupt keine Ermessenserwägungen angestellt. Das Gericht kann jedoch eine unterbliebene Ermessensausübung nicht anstelle der Behörde nachholen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 14.08.1989 - 4 NB 24.88 -, DVBl. 1989, 1105 m.w.N.).
32 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
33 
Die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
34 
Beschluss
vom 03. April 2007
35 
Der Streitwert wird gemäß § 52 Abs. 1 GKG auf 50.000,-- EUR festgesetzt.
36 
Der Beschluss ist unanfechtbar.

Gründe

 
22 
Die Berufung ist nach Zulassung durch das Verwaltungsgericht statthaft und auch sonst zulässig. Sie ist auch begründet. Das Verwaltungsgericht hätte den Bescheid der Beklagten vom 15.03.2005 über die Rücknahme der dem Kläger nach § 7h Abs. 2 Satz 1 EStG erteilten Bescheinigung und deren Widerspruchsbescheid vom 13.07.2005 aufheben müssen, weil sie rechtswidrig sind und den Kläger in seinen Rechten verletzen (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
23 
Allerdings teilt der Senat die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass die § 7h-Bescheinigung vom 13.11.1997 rechtswidrig ist. Denn sie bestätigt zu Unrecht - mit Bindungswirkung gegenüber dem Finanzamt -, dass die vom Kläger an seinem Gebäude ... ... durchgeführten Modernisierungsmaßnahmen die Voraussetzungen des § 7h Abs. 1 Satz 1 EStG erfüllen. Nach dieser Vorschrift können bei Gebäuden in Sanierungsgebieten erhöhte Absetzungen von den Herstellungskosten für Modernisierungs- und Instandsetzungsmaßnahmen im Sinne des § 177 BauGB vorgenommen werden. Entgegen der Auffassung des Klägers ist § 7h Abs. 1 Satz 1 EStG nicht einschränkend dahingehend auszulegen, dass die Voraussetzungen für die steuerliche Förderung bereits dann gegeben sind, wenn am Gebäude Mängel oder Missstände im Sinne des § 177 Abs. 2 und 3 BauGB vorlagen und diese behoben wurden. Denn § 7h Abs. 1 Satz 1 EStG verweist nach seinem Wortlaut auf die Vorschrift des § 177 BauGB im Ganzen und damit auch auf dessen Absatz 1, der die Gemeinden ermächtigt, die Modernisierung und Instandsetzung von Gebäuden in Sanierungsgebieten durch entsprechende Anordnungen durchzusetzen. Anstelle solcher Gebote schließen die Gemeinden in der Praxis meist städtebauliche Verträge nach § 11 BauGB mit den Eigentümern, in denen diese sich zur Durchführung näher bestimmter Modernisierungs- und Instandsetzungsmaßnahmen verpflichten (vgl. Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 8. Aufl., § 177 Rn. 21). Diese Vorgehensweise trägt dem Kooperationsgedanken Rechnung, von dem das Sanierungsrecht geprägt ist (vgl. § 175 Abs. 1 BauGB), und erfüllt daher ebenfalls die Voraussetzungen für eine steuerliche Förderung (vgl. Einkommenssteuerrichtlinien 2005, BStBl. I Sondernr. 1 R 7h (6); Gemeinsame Bekanntmachung des Wirtschaftsministeriums und des Finanzministeriums vom 11.06.2001 - Bescheinigungsrichtlinie - GABl. 2001, 793, TZ 3.1; vgl. auch BFH, Beschluss vom 06.12.2002 - 9 B 109/02 -, BFH/NV 2003, 469). Demgegenüber stellen freiwillige Modernisierungs- und Instandsetzungsmaßnahmen auch dann keine Maßnahmen im Sinne des § 7h Abs. 1 Satz 1 EStG dar, wenn sie in Absprache mit der Gemeinde erfolgen und der Beseitigung von Mängeln und Missständen im Sinne von § 177 Abs. 2 und 3 BauGB dienen, sondern nur dann, wenn sie auf der Grundlage eines Gebots nach § 177 Abs. 1 BauGB oder einer vertraglichen Verpflichtung gegenüber der Gemeinde durchgeführt wurden. Der Senat schließt sich damit der bislang von der obergerichtlichen Rechtsprechung und Kommentarliteratur vertretenen Auffassung an (vgl. OVG Niedersachsen, Urteil vom 24.04.1997 - 6 L 2067/96 - und OVG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 08.06.2004 - 3 L 64/02 -, NVwZ 2005, 835; Blümich, EStG, Bd. 1, § 7h Rn. 23 f.; Kirchhof, EStG, 2001, § 7h RdNr. 3; Schmidt, EStG, 25. Aufl. § 7h Rn. 3).
24 
Für diese Auffassung spricht neben der uneingeschränkten Verweisung auf § 177 BauGB in § 7h Abs. 1 Satz 1 EStG auch Satz 2 dieser Vorschrift, welcher die steuerliche Förderung auf denkmalbezogene Maßnahmen unter der Voraussetzung erstreckt, dass sich der Eigentümer hierzu gegenüber der Gemeinde verpflichtet hat. Eine entsprechende ausdrückliche Regelung ist hinsichtlich der sanierungsbezogenen Modernisierungs- und Instandsetzungsmaßnahmen entbehrlich, weil deren verpflichtender Charakter bereits durch die umfassende Verweisung auf § 177 BauGB - und damit auch auf dessen Absatz 1 - in § 7h Abs. 1 Satz 1 EStG zur Voraussetzung für die steuerliche Begünstigung gemacht wird. Demgegenüber ermächtigt § 177 BauGB nicht zur Anordnung städtebaulicher Gebote hinsichtlich der in § 7h Abs. 1 Satz 2 EStG genannten denkmalbezogenen Maßnahmen. Dieser Auslegung kann auch nicht entgegen gehalten werden, dass sich freiwillige Modernisierungsmaßnahmen, die in Absprache mit der Gemeinde realisiert werden, nicht von den auf Grundlage vertraglicher Verpflichtungen durchzuführenden Maßnahmen unterscheiden, wie der Kläger meint. Abgesehen davon, dass die Gemeinden keine Möglichkeit haben, mündliche Absprachen über Modernisierungsmaßnahmen gegebenenfalls zwangsweise durchzusetzen, kann vom Eigentümer nur dann verlangt werden, sich vertraglich zur Durchführung im einzelnen bezeichneter Modernisierungsmaßnahmen in einem bestimmten Zeitraum (vgl. § 177 Abs. 1 Satz 3 BauGB) als Ersatz für eine ansonsten mögliche einseitige Anordnung von Geboten nach § 177 Abs. 1 BauGB (vgl. Battis/Krautzberger/Löhr, a.a.O., § 177 Rn. 34) zu verpflichten, wenn gemäß § 175 Abs. 2 BauGB die alsbaldige Durchführung der Maßnahmen aus städtebaulichen Gründen erforderlich ist. Mit der Anknüpfung der steuerlichen Begünstigung an Modernisierungsmaßnahmen verpflichtenden Charakters wird daher zugleich erreicht, dass diese auf Maßnahmen mit städtebaulicher Dringlichkeit beschränkt wird. Hier hat der Kläger die Modernisierungsmaßnahmen nicht aufgrund einer vertraglichen Verpflichtung gegenüber der Beklagten, sondern freiwillig durchgeführt. Daran ändert nichts, dass er sie unter Beachtung mündlicher Absprachen mit Mitarbeitern der Beklagten gemäß der ihm erteilten Baugenehmigung und der darin enthaltenen sanierungsrechtlichen Auflagen realisiert hat. Denn hierzu war der Kläger nicht verpflichtet. Somit ist die ihm erteilte Bescheinigung rechtswidrig.
25 
Die Rücknahme der Bescheinigung mit Bescheid vom 15.03.2005 erfolgte jedoch nicht innerhalb der Rücknahmefrist nach § 48 Abs. 4 LVwVfG und ist daher ihrerseits rechtswidrig.
26 
Nach dieser Vorschrift ist die Rücknahme ab dem Zeitpunkt, in dem die Behörde von Tatsachen Kenntnis erhält, welche die Rücknahme des rechtswidrigen Verwaltungsakts rechtfertigen, nur innerhalb eines Jahres zulässig. Die Jahresfrist beginnt, sobald die Rücknahmebehörde die Rechtswidrigkeit des erlassenen Verwaltungsakts erkannt hat und ihr die für die Rücknahmeentscheidung außerdem erheblichen Tatsachen vollständig bekannt sind. Dazu gehören die Umstände, deren Kenntnis es der Behörde objektiv ermöglicht, ohne weitere Sachaufklärung unter sachgerechter Ausübung ihres Ermessens über die Rücknahme zu entscheiden. Denn § 48 Abs. 4 LVwVfG ist nicht im Sinne einer „Bearbeitungsfrist“ zu verstehen, die mit der Kenntnis der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes zu laufen beginnt und der Behörde ein Jahr Zeit lässt, um hinsichtlich des Vorliegens der weiteren Rücknahmevoraussetzungen Entscheidungsreife herbeizuführen. Eine solche „Bearbeitungsfrist“ wäre nicht sachgerecht, weil es nicht allein vom Willen der Behörde abhängt, ob die Sache in diesem Zeitraum tatsächlich entscheidungsreif gemacht werden kann; vielmehr kann sich die Aufklärung der entscheidungserheblichen Tatsachen aus den unterschiedlichsten Gründen verzögern (zum Beispiel Zeugenvernehmung oder Einholung von Sachverständigengutachten). Nach Sinn und Zweck der Regelung handelt es sich daher um eine „Entscheidungsfrist“, die grundsätzlich mit dem Zeitpunkt des Eintritts der Entscheidungsreife zu laufen beginnt (grundlegend BVerwG Großer Senat, Beschl. vom 19.12.1984 - GrSen 1.84, GrSen 2.84 -, BVerwGE 70, 356; vgl. auch Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 6. Aufl., § 48 Rn. 219 ff.). Hingegen vermag ein auf die weiteren Rücknahmevoraussetzungen bezogener Rechtsirrtum der Behörde - anders als ein Rechtsirrtum in Bezug auf die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts - den Fristbeginn nicht zu hindern. Denn andernfalls wäre die Entscheidungsreife abhängig von der rechtlichen Erkenntnisfähigkeit der handelnden Behörde; je geringer diese ausgeprägt ist, desto großzügiger wäre die zur Verfügung stehende Rücknahmefrist. Eine solche Auslegung wäre nicht vereinbar mit dem Zweck der Jahresfrist, Rechtssicherheit hinsichtlich des Bestandes von Verwaltungsakten herbeizuführen. Sie würde ferner die in § 48 Abs. 4 LVwVfG normierte Beschränkung der Kenntnis auf „Tatsachen“ „ins Leere laufen“ lassen (vgl. BVerwG, Urt. vom 05.08.1996 - 5 C 6.95 -, NWVBl. 1997, 293 unter Hinweis darauf, dass ein Rechtsirrtum über die Erforderlichkeit von Ermessenserwägungen den Beginn der Jahresfrist nicht hinausschiebt mit der Folge, dass ein Rücknahmebescheid, welcher einen fristgerecht erlassenen ersten Rücknahmebescheid ersetzt, verfristet sein kann; vgl. auch BVerwG, Urt. vom 19.12.1995 - 5 C 10.94 -, BVerwGE 100, 199; ebenso mit eingehender Begründung BSG, Urt. vom 27.07.1989 - 11/7 RAr 115/87 -, BSGE 65, 221 und Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 46 Rn. 141). Ausgehend davon wurde die dem Kläger erteilte Bescheinigung nach § 7h EStG erst nach Ablauf der Ausschlussfrist des § 48 Abs. 4 LVwVfG zurückgenommen.
27 
Der Irrtum der Beklagten über die Rechtmäßigkeit ihrer Praxis, Bescheinigungen nach § 7h EStG auch bei freiwilligen Modernisierungsmaßnahmen ohne konkrete vertragliche Verpflichtungen auszustellen, war nach eigenem Bekunden mit Bekanntmachung der verbindlichen Vorgaben zur Auslegung und Anwendung unter anderem des § 7h EStG in der Bescheinigungsrichtlinie des Wirtschafts- und Finanzministeriums vom 11.06.2001 (a.a.O.) behoben. Bezogen auf das vorliegende Verfahren war der entsprechende Rechtsirrtum bei der zuständigen Behörde spätestens im November 2003 entfallen. Denn das Amt für Stadtplanung und Stadterneuerung hat im Rahmen des Remonstrationsverfahrens, das der streitgegenständlichen Rücknahme vorangegangen war, mit Schreiben vom 28.11.2003 gegenüber dem Finanzamt Stuttgart III ausdrücklich angegeben, ihm sei aufgrund der Bescheinigungsrichtlinie bewusst geworden, dass die Begünstigung nach § 7h EStG eine konkrete vertragliche Vereinbarung zwischen Eigentümer und Gemeinde voraussetze. Damit hat die zuständige Behörde zu erkennen gegeben, dass sie nunmehr von der Rechtswidrigkeit ihrer früheren Verwaltungspraxis ausgeht. Zwar hat das Amt für Stadtplanung und Stadterneuerung in diesem Schreiben weiter ausgeführt, dass es sich - gleichwohl - außerstande sehe, die dem Kläger erteilte Bescheinigung zurückzunehmen, weil bis zum Erlass der Bescheinigungsrichtlinie keine konkreten vertraglichen Vereinbarungen zwischen Eigentümer und Stadt abgeschlossen worden seien und diese - auch bei anderen Gemeinden übliche - Vorgehensweise von der Finanzbehörde bis dahin akzeptiert worden sei. Diese Aussage relativiert jedoch nicht die zuvor geäußerte Feststellung zur Rechtswidrigkeit der früheren Verwaltungspraxis in Bezug auf die dem Kläger erteilte Bescheinigung. Denn mit der Bescheinigungsrichtlinie hinsichtlich der Frage der Notwendigkeit konkreter vertraglicher Modernisierungspflichten sind nicht etwa Konsequenzen aus einer Rechtsänderung gezogen worden. Vielmehr ist der steuerrechtliche Begünstigungstatbestand hinsichtlich der umfassenden Verweisung auf § 177 BauGB seit Erteilung der Bescheinigung im November 1997 unverändert geblieben. Damit war für die Beklagte klar, dass auch die Praxis vor Erlass der Bescheinigungsrichtlinie rechtswidrig gewesen war. Ihre Annahme, die dem Kläger erteilte Bescheinigung trotz erkannter Rechtswidrigkeit nicht zurücknehmen zu können, bezieht sich daher auf das Fehlen weiterer Rücknahmevoraussetzungen. Offenbar war sie der Auffassung, dass ein Vertrauenstatbestand vorliege, hinter dem das öffentliche Interesse an der Rücknahme zurücktreten müsse; an dieser Rechtsauffassung hat sie dann in der Folgezeit festgehalten, bis sie vom Regierungspräsidium mit Schreiben vom 18.08.2004 zur Rücknahme der dem Kläger erteilten Bescheinigung angewiesen wurde. Wie ausgeführt, kommt es daher für den Beginn der Rücknahmefrist nicht darauf an, ob die zuständige Behörde hinsichtlich solcher weiterer Rücknahmevoraussetzungen einem Rechtsirrtum unterlegen ist oder nicht.
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Im vorliegenden Fall begann nach alledem die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 LVwVfG Ende November 2003 zu laufen, als das Amt für Stadtplanung bezogen auf das konkrete Verfahren (spätestens) Kenntnis von der Rechtswidrigkeit der Bescheinigung erlangt und zugleich angenommen hat, die weiteren Rücknahmevoraussetzungen lägen nicht vor. Dies hat zur Folge, dass die „Entscheidungsfrist“ des § 48 Abs. 4 LVwVfG bei Erlass des Rücknahmebescheids am 15. März 2005 bereits abgelaufen war. Zwar trifft die von der Beklagten zunächst vertretene Auffassung, die vor Erlass der Bescheinigungsrichtlinie rechtswidrig erteilten Bescheinigungen könnten mit Blick auf die damalige, von der Finanzverwaltung akzeptierte Praxis generell nicht zurückgenommen werden, nicht zu; vielmehr war dies von einer einzelfallbezogenen Würdigung insbesondere unter Vertrauensschutzgesichtspunkten abhängig. Auch spricht viel dafür, dass bei zutreffender Anwendung der Rücknahmevoraussetzungen der Sachverhalt im Zeitpunkt der Kenntnis der Rechtswidrigkeit der Bescheinigung noch nicht hinreichend geklärt war. Insbesondere war der zuständigen Behörde damals noch nicht bekannt, ob der Kläger die ihm bereits gewährten Steuervergünstigungen im Sinne des § 48 Abs. 2 Satz 2 LVwVfG verbraucht hat (vgl. BVerwG, Urteil vom 18.04.1997 - 3 C 3.95 -, BVerwGE 104, 289 zur Anwendbarkeit des § 48 Abs. 2 VwVfG auf Verwaltungsakte, die Grundlage für eine bezifferbare Steuerverschonung sind; vgl. BVerwG, Urteil vom 28.01.1993 - 2 C 15.91 -, DVBl. 1993, 947 zum Leistungsverbrauch). Ein solcher Klärungsbedarf hindert jedoch den Fristbeginn hier nicht. Denn mit Blick auf den Zweck der Ausschlussfrist des § 48 Abs. 4 LVwVfG als „Entscheidungsfrist“ kommt es allein darauf an, ob a u s S i c h t d e r B e h ö r d e Entscheidungsreife gegeben ist. Hat diese - wie hier - zu erkennen gegeben, dass sie eine Rücknahme des rechtswidrigen Verwaltungsakts von vornherein - ohne Klärung konkreter Vertrauensschutzaspekte - für unzulässig hält, beginnt die Jahresfrist auch dann zu laufen, wenn diese Rechtsauffassung unzutreffend ist und eine Rücknahme bei hinreichender Aufklärung des Sachverhalts in Betracht kommt. Denn ein auf die weiteren Rücknahmevoraussetzungen bezogener Rechtsirrtum hat - wie oben dargelegt - keine fristhemmende Wirkung. Käme es für die Frage der Entscheidungsreife nicht auf die Rechtsauffassung der Rücknahmebehörde, sondern auf die zutreffende Anwendung der Rücknahmevoraussetzungen an, wäre es von den Rechtskenntnissen der Behörde abhängig, ob und wann sie die zur Herbeiführung der Entscheidungsreife notwendige Sachaufklärung vornimmt. Die zur Verfügung stehende Rücknahmefrist wäre also um so länger bemessen, je geringer die Rechtskenntnisse der jeweiligen Behörde sind. Dies wäre aber mit dem Zweck der Jahresfrist, Rechtssicherheit und Rechtsklarheit im Hinblick auf den Bestand von Verwaltungsakten zu gewährleisten, nicht zu vereinbaren. Im Übrigen läge auch treuwidriges Verhalten vor, wenn sich eine Rücknahmebehörde, die zu erkennen gegeben hatte, dass aus ihrer Sicht Entscheidungsreife vorlag, später hinsichtlich des Fristablaufs auf die Notwendigkeit weiterer Sachaufklärung beriefe. Somit beginnt die Jahresfrist zu laufen, wenn der Behörde alle Tatsachen bekannt sind, die nach ihrer Rechtsauffassung für die Entscheidung über eine Rücknahme des - als rechtswidrig erkannten - Verwaltungsakts erheblich sind. Wie ausgeführt, bestand hier für die Beklagte im Zeitpunkt der Kenntnis der Rechtswidrigkeit der Bescheinigung kein Anlass für weitere Sachaufklärung, weil sie deren Rücknahme unabhängig von den konkreten Einzelfallumständen für unzulässig hielt, so dass die Jahresfrist (spätestens) im November 2003 zu laufen begann.
29 
Die Beklagte ist schließlich auch in der Folgezeit bis zum Ablauf der Jahresfrist davon ausgegangen, dass sie ohne weitere Sachverhaltsaufklärung über die Frage einer Rücknahme der Bescheinigung entscheiden könne. Das Schreiben des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 18.08.2004, mit dem sie zur Rücknahme der dem Kläger erteilten Bescheinigung angewiesen wurde, hat daran nichts geändert. Denn diese Weisung wurde nicht von einer Würdigung der Einzelfallumstände abhängig gemacht, sondern galt unbedingt. Dementsprechend finden sich im Rücknahmebescheid und im Widerspruchsbescheid der Beklagten auch keine auf die konkreten Umstände bezogenen Ermessenserwägungen. Die Anhörung des Klägers mit Schreiben vom 07.09.2004 im Anschluss an die Weisung des Regierungspräsidiums stellt sich vor diesem Hintergrund lediglich als formelle Wahrung des rechtlichen Gehörs dar und war nicht auf weitere Sachaufklärung gerichtet.
30 
Unabhängig davon ist die Rücknahme der Bescheinigung auch wegen fehlender Ermessenserwägungen rechtswidrig. Im Rücknahmebescheid der Beklagten vom 15.03.2005 und in deren Widerspruchsbescheid vom 13.07.2005 wird zwar ausgeführt, dass das Interesse des Klägers an der Aufrechterhaltung der Bescheinigung gegenüber dem Interesse am rechtmäßigen Verwaltungshandeln zurücktreten müsse. Als Begründung wird jedoch lediglich angegeben, dass es kein „milderes Mittel“ gebe, um den rechtswidrigen Bescheid und damit die Bindung des Finanzamts an die Bescheinigung des Vorliegens der Voraussetzungen für die steuerliche Begünstigung zu beseitigen. Für die Rücknahmeentscheidung war demnach allein ausschlaggebend, dass die Bindung der Finanzverwaltung an die Bescheinigung als Grundlagenbescheid für die steuerliche Begünstigung nicht auf andere Weise aufgehoben werden kann; auf eine konkrete Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse am rechtmäßigen Verwaltungshandeln und dem privaten Interesse des Klägers an der Aufrechterhaltung der steuerlichen Begünstigung kam es der Beklagten erkennbar nicht an.
31 
Dieser „Nichtgebrauch“ des Ermessens ist mit § 48 LVwVfG nicht vereinbar. Gemäß § 48 Abs. 2 Satz 1 LVwVfG ist die Vorschrift auch auf solche Verwaltungsakte anzuwenden, die - wie hier die Bescheinigung nach § 7h EStG -Voraussetzung für die Gewährung von Geldleistungen sind. Das Rücknahmeermessen ist demnach nicht erst von der Finanzverwaltung im Rahmen der Entscheidung darüber auszuüben, ob bereits gewährte steuerliche Vergünstigungen zurückgefordert werden sollen. Davon abgesehen stellt die Bescheinigung auch die Grundlage für die Bewilligung noch nicht gewährter steuerlicher Vergünstigungen dar. Hier bestand auch Anlass, den konkreten Sachverhalt im Rahmen der Ermessensausübung zu würdigen. Das gilt einmal mit Blick auf das öffentliche Interesse an der Beseitigung zu Unrecht erlangter Steuerbegünstigungen. Dessen Gewicht hängt u.a. wesentlich davon ab, ob bei Kenntnis der zutreffenden Auslegung des § 7h Abs. 1 Satz 1 EStG eine verpflichtende Modernisierungsvereinbarung über die abgesprochenen und tatsächlich auch ausgeführten baulichen Maßnahmen getroffen worden wäre. In diesem Fall wären die vom Kläger vorgenommenen Modernisierungsmaßnahmen der Sache nach steuerlich förderungswürdig gewesen, was den fehlenden Vertragsschluss im Nachhinein als eher formalen Mangel erscheinen ließe und das Gewicht des fiskalischen Interesses minderte. Ferner hat der Kläger angegeben, dass er die Modernisierungsmaßnahme nur deshalb durchgeführt habe, weil Mitarbeiter der Beklagten ihm die Erteilung der Bescheinigung nach § 7h EStG mündlich zugesichert hätten. Dieser Umstand kann zwar nicht mit den in § 48 Abs. 2 LVwVfG genannten Vertrauenstatbeständen gleichgesetzt werden, welche eine Rücknahme begünstigender Verwaltungsakte ausschließen; für die ermessensgerechte Berücksichtigung des Vertrauensschutzes ist er aber durchaus von Belang. Schließlich war nicht im verwaltungsgerichtlichen Verfahren zu klären, ob die eben genannten ermessensrelevanten Umstände vorliegen. Denn die Beklagte hat diesbezüglich überhaupt keine Ermessenserwägungen angestellt. Das Gericht kann jedoch eine unterbliebene Ermessensausübung nicht anstelle der Behörde nachholen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 14.08.1989 - 4 NB 24.88 -, DVBl. 1989, 1105 m.w.N.).
32 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
33 
Die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
34 
Beschluss
vom 03. April 2007
35 
Der Streitwert wird gemäß § 52 Abs. 1 GKG auf 50.000,-- EUR festgesetzt.
36 
Der Beschluss ist unanfechtbar.

(1) Ein rechtswidriger Verwaltungsakt kann, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), darf nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 zurückgenommen werden.

(2) Ein rechtswidriger Verwaltungsakt, der eine einmalige oder laufende Geldleistung oder teilbare Sachleistung gewährt oder hierfür Voraussetzung ist, darf nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte gewährte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nicht berufen, wenn er

1.
den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat;
2.
den Verwaltungsakt durch Angaben erwirkt hat, die in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig waren;
3.
die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte.
In den Fällen des Satzes 3 wird der Verwaltungsakt in der Regel mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen.

(3) Wird ein rechtswidriger Verwaltungsakt, der nicht unter Absatz 2 fällt, zurückgenommen, so hat die Behörde dem Betroffenen auf Antrag den Vermögensnachteil auszugleichen, den dieser dadurch erleidet, dass er auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat, soweit sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse schutzwürdig ist. Absatz 2 Satz 3 ist anzuwenden. Der Vermögensnachteil ist jedoch nicht über den Betrag des Interesses hinaus zu ersetzen, das der Betroffene an dem Bestand des Verwaltungsaktes hat. Der auszugleichende Vermögensnachteil wird durch die Behörde festgesetzt. Der Anspruch kann nur innerhalb eines Jahres geltend gemacht werden; die Frist beginnt, sobald die Behörde den Betroffenen auf sie hingewiesen hat.

(4) Erhält die Behörde von Tatsachen Kenntnis, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes rechtfertigen, so ist die Rücknahme nur innerhalb eines Jahres seit dem Zeitpunkt der Kenntnisnahme zulässig. Dies gilt nicht im Falle des Absatzes 2 Satz 3 Nr. 1.

(5) Über die Rücknahme entscheidet nach Unanfechtbarkeit des Verwaltungsaktes die nach § 3 zuständige Behörde; dies gilt auch dann, wenn der zurückzunehmende Verwaltungsakt von einer anderen Behörde erlassen worden ist.

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

(1) Ein rechtswidriger Verwaltungsakt kann, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), darf nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 zurückgenommen werden.

(2) Ein rechtswidriger Verwaltungsakt, der eine einmalige oder laufende Geldleistung oder teilbare Sachleistung gewährt oder hierfür Voraussetzung ist, darf nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte gewährte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nicht berufen, wenn er

1.
den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat;
2.
den Verwaltungsakt durch Angaben erwirkt hat, die in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig waren;
3.
die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte.
In den Fällen des Satzes 3 wird der Verwaltungsakt in der Regel mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen.

(3) Wird ein rechtswidriger Verwaltungsakt, der nicht unter Absatz 2 fällt, zurückgenommen, so hat die Behörde dem Betroffenen auf Antrag den Vermögensnachteil auszugleichen, den dieser dadurch erleidet, dass er auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat, soweit sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse schutzwürdig ist. Absatz 2 Satz 3 ist anzuwenden. Der Vermögensnachteil ist jedoch nicht über den Betrag des Interesses hinaus zu ersetzen, das der Betroffene an dem Bestand des Verwaltungsaktes hat. Der auszugleichende Vermögensnachteil wird durch die Behörde festgesetzt. Der Anspruch kann nur innerhalb eines Jahres geltend gemacht werden; die Frist beginnt, sobald die Behörde den Betroffenen auf sie hingewiesen hat.

(4) Erhält die Behörde von Tatsachen Kenntnis, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes rechtfertigen, so ist die Rücknahme nur innerhalb eines Jahres seit dem Zeitpunkt der Kenntnisnahme zulässig. Dies gilt nicht im Falle des Absatzes 2 Satz 3 Nr. 1.

(5) Über die Rücknahme entscheidet nach Unanfechtbarkeit des Verwaltungsaktes die nach § 3 zuständige Behörde; dies gilt auch dann, wenn der zurückzunehmende Verwaltungsakt von einer anderen Behörde erlassen worden ist.

(1) Kerngebiete dienen vorwiegend der Unterbringung von Handelsbetrieben sowie der zentralen Einrichtungen der Wirtschaft, der Verwaltung und der Kultur.

(2) Zulässig sind

1.
Geschäfts- , Büro- und Verwaltungsgebäude,
2.
Einzelhandelsbetriebe, Schank- und Speisewirtschaften, Betriebe des Beherbergungsgewerbes und Vergnügungsstätten,
3.
sonstige nicht wesentlich störende Gewerbebetriebe,
4.
Anlagen für kirchliche, kulturelle, soziale, gesundheitliche und sportliche Zwecke,
5.
Tankstellen im Zusammenhang mit Parkhäusern und Großgaragen,
6.
Wohnungen für Aufsichts- und Bereitschaftspersonen sowie für Betriebsinhaber und Betriebsleiter,
7.
sonstige Wohnungen nach Maßgabe von Festsetzungen des Bebauungsplans.

(3) Ausnahmsweise können zugelassen werden

1.
Tankstellen, die nicht unter Absatz 2 Nummer 5 fallen,
2.
Wohnungen, die nicht unter Absatz 2 Nummer 6 und 7 fallen.

(4) Für Teile eines Kerngebiets kann, wenn besondere städtebauliche Gründe dies rechtfertigen (§ 9 Absatz 3 des Baugesetzbuchs), festgesetzt werden, dass

1.
oberhalb eines im Bebauungsplan bestimmten Geschosses nur Wohnungen zulässig sind oder
2.
in Gebäuden ein im Bebauungsplan bestimmter Anteil der zulässigen Geschossfläche oder eine bestimmte Größe der Geschossfläche für Wohnungen zu verwenden ist.
Dies gilt auch, wenn durch solche Festsetzungen dieser Teil des Kerngebiets nicht vorwiegend der Unterbringung von Handelsbetrieben sowie der zentralen Einrichtungen der Wirtschaft, der Verwaltung und der Kultur dient.

(1) Ein rechtswidriger Verwaltungsakt kann, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), darf nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 zurückgenommen werden.

(2) Ein rechtswidriger Verwaltungsakt, der eine einmalige oder laufende Geldleistung oder teilbare Sachleistung gewährt oder hierfür Voraussetzung ist, darf nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte gewährte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nicht berufen, wenn er

1.
den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat;
2.
den Verwaltungsakt durch Angaben erwirkt hat, die in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig waren;
3.
die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte.
In den Fällen des Satzes 3 wird der Verwaltungsakt in der Regel mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen.

(3) Wird ein rechtswidriger Verwaltungsakt, der nicht unter Absatz 2 fällt, zurückgenommen, so hat die Behörde dem Betroffenen auf Antrag den Vermögensnachteil auszugleichen, den dieser dadurch erleidet, dass er auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat, soweit sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse schutzwürdig ist. Absatz 2 Satz 3 ist anzuwenden. Der Vermögensnachteil ist jedoch nicht über den Betrag des Interesses hinaus zu ersetzen, das der Betroffene an dem Bestand des Verwaltungsaktes hat. Der auszugleichende Vermögensnachteil wird durch die Behörde festgesetzt. Der Anspruch kann nur innerhalb eines Jahres geltend gemacht werden; die Frist beginnt, sobald die Behörde den Betroffenen auf sie hingewiesen hat.

(4) Erhält die Behörde von Tatsachen Kenntnis, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes rechtfertigen, so ist die Rücknahme nur innerhalb eines Jahres seit dem Zeitpunkt der Kenntnisnahme zulässig. Dies gilt nicht im Falle des Absatzes 2 Satz 3 Nr. 1.

(5) Über die Rücknahme entscheidet nach Unanfechtbarkeit des Verwaltungsaktes die nach § 3 zuständige Behörde; dies gilt auch dann, wenn der zurückzunehmende Verwaltungsakt von einer anderen Behörde erlassen worden ist.

(1) Allgemeine Wohngebiete dienen vorwiegend dem Wohnen.

(2) Zulässig sind

1.
Wohngebäude,
2.
die der Versorgung des Gebiets dienenden Läden, Schank- und Speisewirtschaften sowie nicht störenden Handwerksbetriebe,
3.
Anlagen für kirchliche, kulturelle, soziale, gesundheitliche und sportliche Zwecke.

(3) Ausnahmsweise können zugelassen werden

1.
Betriebe des Beherbergungsgewerbes,
2.
sonstige nicht störende Gewerbebetriebe,
3.
Anlagen für Verwaltungen,
4.
Gartenbaubetriebe,
5.
Tankstellen.

(1) Ein rechtswidriger Verwaltungsakt kann, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), darf nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 zurückgenommen werden.

(2) Ein rechtswidriger Verwaltungsakt, der eine einmalige oder laufende Geldleistung oder teilbare Sachleistung gewährt oder hierfür Voraussetzung ist, darf nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte gewährte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nicht berufen, wenn er

1.
den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat;
2.
den Verwaltungsakt durch Angaben erwirkt hat, die in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig waren;
3.
die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte.
In den Fällen des Satzes 3 wird der Verwaltungsakt in der Regel mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen.

(3) Wird ein rechtswidriger Verwaltungsakt, der nicht unter Absatz 2 fällt, zurückgenommen, so hat die Behörde dem Betroffenen auf Antrag den Vermögensnachteil auszugleichen, den dieser dadurch erleidet, dass er auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat, soweit sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse schutzwürdig ist. Absatz 2 Satz 3 ist anzuwenden. Der Vermögensnachteil ist jedoch nicht über den Betrag des Interesses hinaus zu ersetzen, das der Betroffene an dem Bestand des Verwaltungsaktes hat. Der auszugleichende Vermögensnachteil wird durch die Behörde festgesetzt. Der Anspruch kann nur innerhalb eines Jahres geltend gemacht werden; die Frist beginnt, sobald die Behörde den Betroffenen auf sie hingewiesen hat.

(4) Erhält die Behörde von Tatsachen Kenntnis, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes rechtfertigen, so ist die Rücknahme nur innerhalb eines Jahres seit dem Zeitpunkt der Kenntnisnahme zulässig. Dies gilt nicht im Falle des Absatzes 2 Satz 3 Nr. 1.

(5) Über die Rücknahme entscheidet nach Unanfechtbarkeit des Verwaltungsaktes die nach § 3 zuständige Behörde; dies gilt auch dann, wenn der zurückzunehmende Verwaltungsakt von einer anderen Behörde erlassen worden ist.

Tatbestand

1

Die 1946 geborene Klägerin war als Bundesbeamtin, zuletzt im Amt einer Fernmeldebetriebsinspektorin, bei der Deutschen Telekom AG (Telekom) beschäftigt. Die Telekom versetzte sie mit Wirkung vom 1. Dezember 2000 wegen Dienstunfähigkeit in den Ruhestand.

2

Durch Bescheid vom 4. Januar 2001 setzte die Telekom das Ruhegehalt der Klägerin fest und bewilligte den Familienzuschlag der Stufe 1, weil der 1979 geborene Sohn in der Wohnung der Klägerin lebte. In der Folgezeit wies die Telekom die Klägerin auf die Bedeutung der Einkommensverhältnisse des Sohnes für die Zuschlagsberechtigung hin und forderte sie mehrfach auf, hierzu Angaben zu machen. Erst im Juli 2004 holte die Klägerin die Angaben nach. Hieraus ergab sich, dass die Eigenmittel des Sohnes aufgrund seines Arbeitseinkommens seit Juli 2002 in insgesamt 23 Monaten die gesetzliche Grenze für die Zuschlagsgewährung überstiegen.

3

Daraufhin hob die Telekom durch Bescheid vom 25. Oktober 2004 die "bisher erteilten Bescheide" auf und forderte die der Klägerin in den 23 Monaten gezahlten Zuschläge von insgesamt 1 585,46 € zurück. Diesen Bescheid hob das Verwaltungsgericht durch Urteil vom 20. Juli 2006 rechtskräftig auf, weil die Begründung nicht erkennen lasse, dass die Telekom Ermessen ausgeübt habe.

4

Durch Bescheid vom 19. September 2006 widerrief die Telekom die Bewilligung des Familienzuschlags der Stufe 1 für die fraglichen Monate und setzte erneut einen Rückforderungsbetrag von 1 585,46 € fest. Zugleich erklärte sie sich bereit, der Klägerin Ratenzahlung zu gewähren.

5

Die nach erfolglosem Widerspruch erhobene Klage ist in beiden Vorinstanzen erfolglos geblieben. In dem Berufungsurteil hat das Oberverwaltungsgericht im Wesentlichen ausgeführt:

6

Die Beklagte könne den festgesetzten Betrag zurückfordern, weil die Klägerin in dieser Höhe den Familienzuschlag der Stufe 1 zu Unrecht erhalten habe. Durch den Bescheid vom 19. September 2006 habe die Telekom die Bewilligung des Zuschlags für die fraglichen Monate innerhalb der hierfür geltenden Jahresfrist des § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG aufgehoben. Nach dem entsprechend anzuwendenden § 53 Abs. 1 VwVfG habe der vom Verwaltungsgericht aufgehobene Bescheid vom 25. Oktober 2004 die Jahresfrist bis zum Ablauf von sechs Monaten nach Einritt der Rechtskraft des Urteils vom 20. Juli 2006 gehemmt. Die Klägerin könne sich nicht darauf berufen, die überzahlten Beträge im Rahmen der Lebensführung verbraucht zu haben. Der Rückforderungsbetrag müsse nicht aus Billigkeitsgründen ermäßigt werden.

7

Hiergegen richtet sich die vom Oberverwaltungsgericht zugelassene Revision der Klägerin. Sie beantragt,

die Urteile des Oberverwaltungsgerichts der Freien Hansestadt Bremen vom 16. Februar 2011 und des Verwaltungsgerichts der Freien Hansestadt Bremen vom 4. Dezember 2008 sowie den Bescheid der Deutschen Telekom AG vom 19. September 2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Juni 2007 aufzuheben.

8

Die in der Revisionsverhandlung nicht vertretene Beklagte hat schriftlich den Antrag angekündigt,

die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

9

Die zulässige Revision der Klägerin ist nicht begründet. Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts steht im Ergebnis mit Bundesrecht im Einklang (§ 137 Abs. 1 Nr. 1, § 144 Abs. 4 VwGO). Der Beklagten stehen Rückforderungsansprüche in der festgesetzten Höhe nach § 52 Abs. 2 Satz 1 bis 3 des Beamtenversorgungsgesetzes - BeamtVG - zu.

10

Die Zuständigkeit der Telekom für die Regelung der Versorgungsbezüge der Klägerin folgt aus § 14 Abs. 1 Satz 1 des Postpersonalrechtsgesetzes - PostPersRG - in der Fassung des Gesetzes vom 14. September 1994 (BGBl I S. 2325). Die Telekom ist nach Art. 143b Abs. 3 Satz 2 GG ermächtigt, die Dienstherrnbefugnisse für die bei ihr beschäftigten Bundesbeamten auszuüben (stRspr; vgl. nur Urteil vom 20. August 1996 - BVerwG 1 D 80.95 - BVerwGE 103, 375 <377 f.> = Buchholz 232 § 54 Satz 3 BBG Nr. 7 S. 20 f.).

11

Nach § 52 Abs. 2 Satz 1 bis 3 BeamtVG steht dem Dienstherrn unter folgenden Voraussetzungen ein Rückforderungsanspruch gegen einen Ruhestandsbeamten zu: Er muss zuviel Versorgungsbezüge gezahlt haben (Satz 1). Hat der Ruhestandsbeamte die zuviel gezahlten Beträge für die Lebensführung verbraucht, schuldet er die Rückzahlung, wenn er erkannt hat oder hätte offensichtlich erkennen müssen, dass ihm das Geld nicht zugestanden hat (Satz 2). Schließlich muss die Rückforderung der Höhe nach der Billigkeit entsprechen (Satz 3).

12

1. Versorgungsbezüge sind zuviel gezahlt im Sinne von § 52 Abs. 2 Satz 1 BeamtVG, wenn die Zahlungen nicht von den Festsetzungen des Versorgungsfestsetzungsbescheids gedeckt sind. Während die Dienstbezüge der aktiven Beamten unmittelbar aufgrund Gesetzes gezahlt werden, werden die Ansprüche der Ruhestandsbeamten und anderer Versorgungsempfänger auf Zahlung der Versorgungsbezüge durch den Versorgungsfestsetzungsbescheid begründet. Nach dem durch § 49 Abs. 1 BeamtVG vorgegebenen Regelungsgehalt ist dieser Bescheid die gesetzlich vorgeschriebene, rechtsverbindliche Mitteilung über die Höhe der Versorgungsbezüge. Er regelt die Versorgungsbezüge in ihrer Gesamtheit (stRspr; vgl. Urteil vom 24. April 1959 - BVerwG 6 C 91.57 - BVerwGE 8, 261 <265 f.> = Buchholz 232 § 87 BBG Nr. 1 S. 10 f.). Hierzu gehört der Familienzuschlag der Stufe 1, weil diese Leistung nach § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BeamtVG Bestandteil der ruhegehaltfähigen Dienstbezüge ist.

13

Der Anspruch auf Zahlung der festgesetzten Versorgungsbezüge monatlich im Voraus (§ 49 Abs. 4 BeamtVG, § 3 Abs. 4 Satz 1 BBesG) besteht unabhängig davon, ob die Festsetzungen den gesetzlichen Vorgaben entsprechen. Daher kann der Dienstherr festgesetzte Versorgungsbezüge erst dann als zuviel gezahlt zurückfordern, wenn und soweit er den Versorgungsfestsetzungsbescheid mit Wirkung für den Zeitraum der Zahlungen aufgehoben hat. § 52 Abs. 2 BeamtVG stellt keine Rechtsgrundlage für die Aufhebung dar, sondern setzt sie voraus (stRspr; vgl. Urteil vom 24. April 1959 a.a.O.).

14

Dementsprechend hat die Telekom in dem angefochtenen Bescheid vom 19. September 2006 nicht nur den Rückforderungsbetrag festgesetzt, sondern zunächst den Versorgungsfestsetzungsbescheid vom 4. Januar 2001 aufgehoben, der die Rechtsgrundlage für die Zahlung des Familienzuschlags der Stufe 1 in den fraglichen Monaten war.

15

2. Da der Versorgungsfestsetzungsbescheid eine laufende Geldleistung gewährt, ist er darauf gerichtet, dauerhaft Rechtswirkungen zu entfalten (sog. Dauerverwaltungsakt). Dies hat zur Folge, dass sich Änderungen der tatsächlichen Verhältnisse, die nach seinem Erlass eintreten, unmittelbar auf die rechtliche Beurteilung auswirken können. Eine bei Erlass rechtmäßige Festsetzung kann nachträglich rechtswidrig werden. Die Aufhebung eines ursprünglich rechtmäßigen Versorgungsfestsetzungsbescheids wegen nachträglich eingetretener Rechtswidrigkeit richtet sich nicht nach den Bestimmungen des § 49 VwVfG über den Widerruf eines rechtmäßigen Verwaltungsakts, wie das Oberverwaltungsgericht angenommen hat, sondern nach den Bestimmungen des § 48 VwVfG über die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsakts (Urteile vom 16. November 1989 - BVerwG 2 C 43.87 - BVerwGE 84, 111 <113 f.> = Buchholz 232 § 87 BBG Nr. 64 S. 2 und vom 16. Juli 2009 - BVerwG 2 C 43.08 - Buchholz 239.1 § 11 BeamtVG Nr. 13 Rn. 15).

16

Nach § 48 Abs. 1 und 2 Satz 1 bis 4 VwVfG ist die Rücknahme einer nach Erlass des Versorgungsfestsetzungsbescheids rechtswidrig gewordenen Festsetzung mit Wirkung für die Vergangenheit regelmäßig geboten, wenn das Vertrauen des Versorgungsempfängers in den Bestand dieser Festsetzung nicht schutzwürdig ist. Genießt der Versorgungsempfänger keinen Vertrauensschutz, ist die Behörde zur Rücknahme verpflichtet, wenn keine atypischen Umstände vorliegen.

17

Nach § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 VwVfG kann sich der Begünstigte auf Vertrauen nicht berufen, wenn er den Verwaltungsakt durch Angaben erwirkt hat, die in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig waren. Er muss objektiv eine Mitursache für den Erlass des rechtswidrigen Verwaltungsakts gesetzt haben. Auf Verschulden kommt es nicht an. Das Unterlassen von Angaben steht unrichtigen Angaben gleich, wenn eine Mitteilungspflicht besteht (Urteile vom 14. August 1986 - BVerwG 3 C 9.85 - BVerwGE 74, 357 <363 f.> = Buchholz 451.90 EWG-Recht Nr. 66 S. 137 f. und vom 19. Dezember 1995 - BVerwG 5 C 10.94 - BVerwGE 100, 199 <201> = Buchholz 435.12 § 45 SGB X Nr. 12 S. 2 f.).

18

Nach dem Zweck des § 48 Abs. 2 VwVfG genießt ein Versorgungsempfänger auch dann keinen Vertrauensschutz, wenn er es versäumt hat, versorgungsrechtlich erhebliche Änderungen der Einkommensverhältnisse mitzuteilen. Er muss durch seine Untätigkeit dazu beigetragen haben, dass die Behörde den Eintritt der Rechtswidrigkeit des Versorgungsfestsetzungsbescheids nicht erkannt und daher die festgesetzte Leistung weiterhin gewährt hat. Zwar ist der Verlust des Vertrauensschutzes nach § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 VwVfG an das Erwirken, d.h. an den Erlass des Verwaltungsakts, durch unrichtige oder unvollständige Angaben geknüpft. Die Regelungen des § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 bis 3 VwVfG legen aber nicht abschließend fest, wann der Vertrauensschutz entfällt. Vielmehr sind die darin zum Ausdruck kommenden Wertungen des Gesetzgebers auch bei der Entscheidung nach § 48 Abs. 2 Satz 1 VwVfG über die Rücknahme eines teilweise rechtswidrig gewordenen Dauerverwaltungsakts zu beachten.

19

Danach ist der angefochtene Bescheid vom 19. September 2006 von § 48 Abs. 2 Satz 1 und 4 VwVfG gedeckt, soweit die Telekom die Bewilligung des Familienzuschlags der Stufe 1 in dem Versorgungsfestsetzungsbescheid vom 4. Januar 2001 für insgesamt 23 Monate aufgehoben hat:

20

In diesem Umfang ist der Versorgungsfestsetzungsbescheid nach seinem Erlass rechtswidrig geworden, weil die Voraussetzungen des § 40 Abs. 1 Nr. 4 BBesG für die Gewährung des Familienzuschlags der Stufe 1 nicht vorlagen. Nach dieser Vorschrift, die nach § 50 Abs. 1 Satz 1 BeamtVG auch auf Ruhestandsbeamte Anwendung findet, erhalten Beamte, die nicht bereits nach § 40 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 BBesG zuschlagsberechtigt sind, den Zuschlag, wenn sie eine unterhaltsberechtigte Person, für deren Unterhalt nicht mindestens Mittel in Höhe des Sechsfachen des Zuschlagsbetrags zur Verfügung stehen, in ihre Wohnung aufgenommen haben. Aufgrund der gesetzlichen Eigenmittelgrenze kann sich die Zuschlagsberechtigung von Monat zu Monat ändern (vgl. Urteil vom 3. November 2005 - BVerwG 2 C 16.04 - Buchholz 240 § 40 BBesG Nr. 35 Rn. 9). Das Oberverwaltungsgericht hat bindend (§ 137 Abs. 2 VwGO) festgestellt, dass die Eigenmittel des Sohnes diese Grenze in denjenigen Monaten überstieg, in denen er Arbeitseinkommen bezog.

21

Die Klägerin genießt keinen Vertrauensschutz, weil sie die Ursache für die gesetzwidrigen Zahlungen gesetzt hat. Sie hat es trotz mehrerer Aufforderungen unterlassen, die erforderlichen Angaben zu den Einkommensverhältnissen ihres Sohnes zu machen. Ohne diese Angaben war es der Telekom nicht möglich, die Zuschlagsberechtigung zu beurteilen.

22

3. Der angefochtene Rücknahmebescheid vom 19. September 2006 ist auch innerhalb der Jahresfrist des § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG ergangen. Allerdings folgt dies nicht aus der entsprechenden Anwendung des § 53 Abs. 1 Satz 1 und 2 VwVfG, wie das Oberverwaltungsgericht angenommen hat, sondern unmittelbar aus § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG. Das vom Oberverwaltungsgericht gefundene Ergebnis erweist sich daher aus anderen Gründen als richtig (§ 144 Abs. 4 VwGO).

23

Nach § 53 Abs. 1 Satz 1 und 2 VwVfG hemmt ein Verwaltungsakt, der zur Feststellung oder Durchsetzung des Anspruchs eines öffentlich-rechtlichen Rechtsträgers erlassen wird, die Verjährung dieses Anspruchs bis zum Eintritt der Unanfechtbarkeit des Verwaltungsakts oder bis zum Ablauf von sechs Monaten nach seiner anderweitigen Erledigung. Nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut ist der Anwendungsbereich des § 53 Abs. 1 Satz 1 und 2 VwVfG auf Verjährungsfristen beschränkt. Er kann nicht im Wege der Analogie auf die Ausschlussfrist des § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG erweitert werden.

24

Die analoge Anwendung der von einer Norm angeordneten Rechtsfolge auf Sachverhalte, die dieser Norm nicht unterfallen, setzt eine planwidrige Regelungslücke voraus. Der Anwendungsbereich der Norm muss wegen eines versehentlichen, mit dem Normzweck unvereinbaren Regelungsversäumnisses des Normgebers unvollständig sein. Eine derartige Lücke darf von den Gerichten im Wege der Analogie geschlossen werden, wenn sich aufgrund der gesamten Umstände feststellen lässt, dass der Normgeber die von ihm angeordnete Rechtsfolge auch auf den nicht erfassten Sachverhalt erstreckt hätte, wenn er diesen bedacht hätte (stRspr; vgl. Urteil vom 13. Dezember 1978 - BVerwG 6 C 46.78 - BVerwGE 57, 183 <186 f.> = Buchholz 235 § 40 BBesG Nr. 1 S. 3 f.; Beschluss vom 7. Juli 1993 - BVerwG 6 P 15.91 - Buchholz 251.2 § 40 BlnPersVG Nr. 1 S. 3 f.).

25

Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass es der Gesetzgeber versehentlich unterlassen hat, die Regelungen des § 53 Abs. 1 Satz 1 und 2 VwVfG über die Hemmung von Verjährungsfristen auf die Ausschlussfrist des § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG zu erstrecken. Die Annahme eines derartigen Versäumnisses liegt bereits aufgrund der gesetzlichen Systematik fern. Die Vorschrift des § 53 VwVfG steht in dem besonderen, nur sie umfassenden Abschnitt 3 des Teils III "Verwaltungsakt" des Verwaltungsverfahrensgesetzes mit der Abschnittsüberschrift "Verjährungsrechtliche Wirkungen des Verwaltungsaktes". Es ist nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber den Begriff "Verjährung" zweimal nur versehentlich gebraucht, eigentlich aber neben Verjährungsfristen auch gesetzliche Ausschlussfristen gemeint hat.

26

Darüber hinaus fehlt es an einer planwidrigen Regelungslücke, weil sich Beginn und Lauf der Ausschlussfrist durch Auslegung des § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG abschließend bestimmen lassen.

27

Nach § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG ist die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsakts nur innerhalb eines Jahres seit dem Zeitpunkt zulässig, in dem die Behörde Kenntnis von Tatsachen erhält, welche die Rücknahme rechtfertigen. Diese Jahresfrist kann weder verlängert werden noch ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand möglich (Ausschlussfrist). Nach dem Normzweck handelt es sich nicht um eine Bearbeitungs-, sondern um eine Entscheidungsfrist. Der zuständigen Behörde wird ein Jahr Zeit eingeräumt, um die Entscheidung über die Rücknahme des Verwaltungsakts zu treffen. Daraus folgt, dass die Frist erst bei vollständiger behördlicher Kenntnis der für die Rücknahme maßgebenden Sach- und Rechtslage zu laufen beginnt. Erst wenn die Behörde auf der Grundlage aller entscheidungserheblichen Tatsachen den zutreffenden rechtlichen Schluss gezogen hat, dass ihr die Rücknahmebefugnis zusteht, muss sie innerhalb eines Jahres entscheiden, ob sie davon Gebrauch macht (Beschluss des Großen Senats des Bundesverwaltungsgerichts vom 19. Dezember 1984 - BVerwG Gr. Sen. 1.84 und 2.84 - BVerwGE 70, 356 <358 ff.> = Buchholz 316 § 48 VwVfG Nr. 33 S. 16 ff.).

28

Daher setzt der Fristbeginn zum einen voraus, dass sich die zuständige Behörde über die Rechtswidrigkeit des begünstigenden Verwaltungsakts im Klaren ist. Sie muss zu der Erkenntnis gelangt sein, dass sie den Verwaltungsakt bislang zu Unrecht für rechtmäßig gehalten hat. Es ist unerheblich, ob sie sich zuvor in einem Irrtum über den entscheidungserheblichen Sachverhalt (Tatsachenirrtum) oder über dessen rechtliche Beurteilung (Rechtsirrtum) befunden hat. Auch wenn der Erlass des begünstigenden Verwaltungsakts darauf beruht, dass die Behörde den ihr vollständig bekannten Sachverhalt rechtsfehlerhaft gewürdigt oder das anzuwendende Recht verkannt hat, beginnt die Jahresfrist erst mit der Kenntnis des Rechtsfehlers zu laufen (Beschluss vom 19. Dezember 1984 a.a.O.; Urteile vom 19. Dezember 1995 - BVerwG 5 C 10.94 - BVerwGE 100, 199 <201 f.> = Buchholz 435.12 § 45 SGB X Nr. 12 S. 3 f. und vom 24. Januar 2001 - BVerwG 8 C 8.00 - BVerwGE 112, 360 <361 ff.> = Buchholz 316 § 49 VwVfG Nr. 40 S. 4 ff.).

29

Zum anderen setzt der Fristbeginn voraus, dass sich die zuständige Behörde darüber im Klaren ist, dass sich aus der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts die Befugnis zu dessen Rücknahme ergibt. Sie muss zu der Erkenntnis gelangt sein, dass die weiteren Rücknahmevoraussetzungen des § 48 VwVfG gegeben sind. Dies ist anzunehmen, wenn die Behörde ohne weitere Sachaufklärung imstande ist, diese Voraussetzungen des § 48 VwVfG, d.h. vor allem die Schutzwürdigkeit des Vertrauens des Begünstigten in den Bestand des Verwaltungsakts, zutreffend zu beurteilen und daraus die richtigen rechtlichen Schlüsse zieht (Beschluss vom 19. Dezember 1984 a.a.O. S. 358 bzw. S. 16; Urteile vom 19. Dezember 1995 a.a.O. S. 202 bzw. S. 3 und vom 24. Januar 2001 a.a.O. S. 363 bzw. S. 6).

30

Nach diesen Grundsätzen ist der Beginn des Laufs der Jahresfrist auch dann zu bestimmen, wenn ein erster Rücknahmebescheid im Widerspruchs- oder Klageverfahren aufgehoben wird. In diesen Fällen läuft die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG ab dem Zeitpunkt der Unanfechtbarkeit der aufhebenden Entscheidung. Dies gilt unabhängig davon, ob die Aufhebung auf tatsächlichen oder rechtlichen Erwägungen beruht. Die Gründe, auf denen die aufhebende Entscheidung beruht, verschaffen der Rücknahmebehörde die Kenntnis, welcher Tatsachen- oder Rechtsirrtum ihr angelastet wird. Erst dieses Wissen versetzt sie in die Lage, auf vollständiger tatsächlicher und rechtlicher Grundlage über die Ausübung der Rücknahmebefugnis zu entscheiden. Die der Aufhebung des ersten Rücknahmebescheids zugrunde liegende Rechtsauffassung ist maßgebend, weil Widerspruchsbehörde und Verwaltungsgericht die Aufhebungsbefugnis zusteht (§ 68 Abs. 1, § 113 Abs. 1 VwGO).

31

Wird der erste Rücknahmebescheid im Widerspruchs- oder Klageverfahren aufgehoben, weil die Behörde bei Erlass dieses Bescheids nach Auffassung von Widerspruchsbehörde oder Verwaltungsgericht bestimmte Tatsachen nicht berücksichtigt hat, die ihr - aus welchen Gründen auch immer - nicht bekannt waren, erlangt die Behörde erst mit Kenntnis dieser Auffassung die für den Fristbeginn erforderliche vollständige Kenntnis des entscheidungserheblichen Sachverhalts (Beschluss vom 20. Mai 1988 - BVerwG 7 B 79.88 - Buchholz 316 § 48 VwVfG Nr. 56 S. 5 = NVwZ 1988, 822).

32

Nichts anderes gilt, wenn der erste Rücknahmebescheid im Widerspruchs- oder Klageverfahren aufgehoben wird, weil die Behörde nach Auffassung von Widerspruchsbehörde oder Verwaltungsgericht den vollständig aufgeklärten Sachverhalt rechtsfehlerhaft gewürdigt oder das anzuwendende Recht verkannt hat. Dies ist auch anzunehmen, wenn die Behörde bestimmte, ihr bekannte Tatsachen aus Rechtsgründen für unerheblich gehalten hat. Auch in diesen Fällen erlangt die Behörde erst mit Kenntnis dieser Rechtsauffassung die für den Fristbeginn erforderlichen Rechtserkenntnisse.

33

Dies gilt unabhängig davon, ob der der Behörde angelastete Rechtsanwendungsfehler die Rechtswidrigkeit des begünstigenden Verwaltungsakts oder eine weitere gesetzliche Rücknahmevoraussetzung betrifft. Die einheitliche Behandlung der beiden Fehlerarten ist die zwingende Folge des Verständnisses der Jahresfrist als reiner Entscheidungsfrist, das der Große Senat des Bundesverwaltungsgerichts vor allem aus dem Normzweck hergeleitet hat (Beschluss vom 19. Dezember 1984 a.a.O. S. 359 f. bzw. S. 17 f.). Auch der Wortlaut des § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG legt diese Annahme nahe. Danach bezieht sich die den Fristbeginn auslösende Kenntnis der Behörde nicht auf die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts, sondern auf die Rechtfertigung seiner Rücknahme.

34

Zwar hat der 5. Senat des Bundesverwaltungsgerichts entschieden, dass nur ein Rechtsirrtum über die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts, nicht aber über eine weitere Rücknahmevoraussetzung dem Beginn des Laufs der Jahresfrist nach § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X entgegen steht (Urteil vom 19. Dezember 1995 a.a.O. S. 202 f. bzw. S. 3 f.). In Anbetracht des Beschlusses des Großen Senats vom 19. Dezember 1984 (a.a.O.) kann diese Rechtsprechung aber nicht auf § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG übertragen werden. Hinzu kommt, dass die Regelungen der §§ 44 f. SGB X die Befugnis zur Rücknahme rechtswidriger Verwaltungsakte, die Sozialleistungen gewähren, gegenüber § 48 VwVfG deutlich einschränkt. So ist etwa die Rücknahme rechtswidriger Leistungsbescheide für die Vergangenheit und damit die Rückforderung der Leistungen nach § 45 Abs. 4 Satz 1 SGB X bei unrichtigen oder unvollständigen Angaben des Begünstigten nur möglich, wenn ihm Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit zur Last fällt.

35

Danach hat im vorliegenden Fall die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG ungeachtet der tragenden Erwägungen des Verwaltungsgerichts und deren Richtigkeit erst mit Rechtskraft des Urteils vom 20. Juli 2006 zu laufen begonnen. Demnach hat die Telekom durch den angefochtenen Bescheid vom 19. September 2006 den Versorgungsfestsetzungsbescheid vom 4. Januar 2001 in Bezug auf die Bewilligung des Familienzuschlags der Stufe 1 mit Wirkung für die fraglichen Monate rechtzeitig zurückgenommen, sodass die Klägerin für diese Zeit im Umfang der Rücknahme zuviel Versorgungsbezüge erhalten hat.

36

4. Der Klägerin kommt nicht zugute, dass sie die ungerechtfertigten Zuschlagszahlungen für ihre Lebensführung verbraucht hat. Ruhestandsbeamte sind nach § 52 Abs. 2 Satz 2 BeamtVG zur Rückzahlung der zuviel gezahlten Beträge verpflichtet, wenn sie den offensichtlichen Mangel der Zahlung hätten erkennen müssen. Dies ist anzunehmen, wenn der Empfänger die Überzahlung nur deshalb nicht bemerkt hat, weil er die erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlich hohem Maße außer Acht gelassen hat (stRspr; vgl. zuletzt Urteil vom 26. April 2012 - BVerwG 2 C 15.10 - juris Rn. 16 ).

37

Ein derartiger Pflichtenverstoß ist der Klägerin anzulasten. Nach den tatsächlichen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts wusste sie, dass ihr Sohn Arbeitseinkommen bezog. Auch musste ihr aufgrund der Hinweise und Belehrungen der Telekom klar sein, dass diese Mittel ihre Zuschlagsberechtigung für den jeweiligen Monat entfallen ließen.

38

Schließlich kommt eine Ermäßigung des Rückforderungsbetrags nicht in Betracht, weil die Klägerin die Überzahlungen allein zu verantworten hat (vgl. Urteil vom 26. April 2012 a.a.O. Rn. 25 f.). Diese hatten ihre Ursache ausschließlich darin, dass die Klägerin trotz mehrerer Aufforderungen die Einkommensverhältnisse ihres Sohnes nicht mitgeteilt hat. Die Telekom war auf diese Angaben angewiesen, um Überschreitungen der gesetzlichen Eigenmittelgrenze festzustellen.

Tenor

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Greifswald vom 23. Juni 2010 geändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Kläger können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des Vollstreckungsbetrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Kläger wenden sich gegen die Rücknahme einer sogenannten Kerngebietsbescheinigung, eines Grundlagenbescheides für die Gewährung einer Investitionszulage.

2

Diese betrifft die Doppelhaushälfte E-Straße in B-Stadt. Der Bereich ist in dem Bebauungsplan F als Allgemeines Wohngebiet festgesetzt. Die gegenüberliegende Straßenseite ist unbebaut. In etwa 150 m Entfernung beginnt auf der gegenüberliegenden Straßenseite der Ortskern von B-Stadt. Dort befinden sich eine Schule, das Amtsgebäude und einige Gewerbebetriebe.

3

Mit Datum vom 28.03.2002 erteilte der Beklagte auf den Antrag der Kläger eine Bescheinigung nach § 3 Abs. 1 Nr. 4b InvZulG 1999, mit der bescheinigt wurde, dass das Gebäude in einem Gebiet liegt, das auf Grund der Bebauung der näheren Umgebung einem Gebiet entspricht, welches durch Bebauungsplan als Kerngebiet im Sinne des § 7 BauNVO festgesetzt ist. Auf der Grundlage dieser Bescheinigung wurde eine Investitionszulage in Höhe von 5.460,09 EUR an die Kläger ausgezahlt.

4

Mit Schreiben vom 27.01.2003 wies das Finanzamt Stralsund bezogen auf andere Gebäude E-Straße auf rechtliche Zweifel an der Richtigkeit der Bescheinigungen hin, die für Bauvorhaben "auf der grünen Wiese" ausgestellt worden seien, und verwies auf die "Hinweise für die kommunale Bescheinigungspraxis..." des Bundesbauministeriums. Das Finanzamt bat um Überprüfung aller vom Beklagten in der Vergangenheit bereits erteilten Investitionszulagenbescheinigungen und ggf. Rücknahme der entsprechenden Bescheide, einschließlich eines Hinweises "auf die Möglichkeit einer straf- oder bußgeldrechtlichen Würdigung bei bestehendem Verdacht einer falsch ausgestellten Bescheinigung".

5

Der Beklagte antwortete hierauf mit Schreiben vom 20.02.2003. Eine Rücknahme ausgestellter Bescheinigungen werde abgelehnt, weil die Voraussetzungen jeweils von der Bauamtsleitung des Amtes sorgfältig überprüft und zum Zeitpunkt der Bescheinigungserstellung als erfüllt angesehen worden seien. Dies sei auf der Grundlage entsprechender Ausführungen in der Zeitschrift des Städte- und Gemeindetages erfolgt. Ergänzend sei mit dem Finanzamt Rücksprache gehalten worden, worüber ein Telefonvermerk existiere. Erst im November 2002 sei eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts Greifswald bekannt geworden, auf Grund derer der Städte- und Gemeindetag seine bisherige Empfehlung einer großzügigen Auslegung des InvZulG zurück gezogen habe. Ebenfalls erst zu diesem Zeitpunkt habe das Innenministerium M-V Hinweise und Merkblätter zur Investitionszulage nach dem InvZulG 1999 versandt. Der Beklagte verwies auf den Vertrauensschutz der Begünstigten, die die Planung und Finanzierung ihrer Bauvorhaben auf die Förderbarkeit nach dem InvZulG aufgebaut hätten. Die aus einer möglichen Rücknahme der Verwaltungsakte resultierenden Konsequenzen seien als unzumutbare Nachteile für die Betroffenen zu werten und würden auf Grund dessen vom Amt prinzipiell abgelehnt.

6

In der Beschlussvorlage für die Sitzung der Gemeindevertretung B-Stadt am 18.02.2003 erläuterte die Amtsverwaltung, weshalb die Kerngebietsbescheinigungen für das Gemeindegebiet nicht rechtmäßig erteilt worden seien, und empfohlen, diese zurückzunehmen. Im Protokoll heißt es hierzu: "Die Beschlussvorlage wird durch den Bürgermeister zurückgezogen. Es erfolgt die Information, dass die Grundlagenbescheide durch die Gemeinde B-Stadt vor der Änderung der rechtlichen Auslegung nicht zurückgezogen werden sollen. Neue Bescheinigungen werden indes nicht mehr ausgestellt."

7

Unter dem 07.01.2003 beantragten die Kläger für die andere Doppelhaushälfte E-Straße in B-Stadt ebenfalls einen Grundlagenbescheid nach dem Investitionszulagengesetz. Diesen Antrag lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 27.02.2003 mit der Begründung ab, die Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 Nr. 4 InvZulG 1999 lägen nicht vor. Den Widerspruch der Kläger wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 02.04.2003 als unbegründet zurück.

8

Mit Schreiben des Landrates des Landkreises Nordvorpommern als untere Rechtsaufsichtsbehörde vom 12.11.2007 wurden die Amtsverwaltungen aufgefordert, in allen Fällen fehlerhafter Investitionsbescheinigungen Rücknahmebescheide zu erlassen und bis zum 30.11.2007 über den Erlass der Rücknahmebescheide zu berichten. Die Kommunalabteilung des Innenministeriums habe darauf hingewiesen, dass grundsätzlich in allen diesen Fällen Rücknahmebescheide zu erlassen seien. Dabei stehe der Aspekt im Vordergrund, dass nur mittels einer generellen "Fehlerkorrektur" das Vertrauen in die öffentliche Verwaltung herzustellen sei. Auf einen Vertrauensschutz könnten sich die Begünstigten regelmäßig nicht berufen. Zwar hätten diese eine Vermögensdisposition vorgenommen, aber der geldwerte Vorteil stecke quasi in der Liegenschaft und sei damit als Gegenstand der Bereicherung noch vorhanden. Das Finanzministerium habe angekündigt, die Kommunen, falls sie der Aufforderung der Rechtsaufsichtsbehörde zur Rücknahme der Bescheinigungen nicht nachkämen, in die Haftung nehmen zu wollen.

9

Mit Schreiben vom 25.07. und 11.09.2007 hörte der Beklagte die Kläger zu der beabsichtigten Rücknahme an. Die Kläger äußerten sich nicht.

10

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 20.11.2007 nahm der Beklagte den Grundlagenbescheid vom 28.03.2002 mit Wirkung für die Vergangenheit zurück und führte zur Begründung aus: Im Rahmen einer nochmaligen Prüfung der Sach- und Rechtslage sei festgestellt worden, dass die bescheinigten Voraussetzungen nicht gegeben seien. Die konkrete örtliche Situation biete keine Anhaltspunkte für das Vorhandensein eines Kerngebietes iSv § 7 BauNVO. Auch die Bebauung der näheren Umgebung entspreche nicht ansatzweise einem solchen Kerngebiet. Zwar lägen im Ortsteil Einrichtungen, die auch in einem Kerngebiet zulässig seien, wie die Grundschule, ein Hotel und andere Gewerbebetriebe, dennoch handele es sich um einen Ortsteil, der überwiegend durch eine Wohnbebauung gekennzeichnet sei. Ein Dorfkern stelle regelmäßig kein Kerngebiet iSd § 3 Abs. 1 Nr. 4b InvZulG 1999 dar. Das Vertrauen der Kläger sei nicht wegen Verbrauchs gewährter Leistungen schutzwürdig, weil die Kläger Aufwendungen erspart hätten, die sonst aus eigenen Mitteln aufzubringen gewesen wären. Im Rahmen der Anhörung hätten die Kläger auch kein schutzwürdiges Vertrauen geltend gemacht.

11

Den Widerspruch der Kläger wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 30.01.2008 als unbegründet zurück. Die Jahresfrist für die Rücknahme sei gewahrt. Die Frist habe nicht bereits im Jahr 2003 zu laufen begonnen, weil damals – wie im einzelnen näher ausgeführt wird - keine Sicherheit über die Rechtswidrigkeit der erteilten Grundlagenbescheide bestanden habe. Eine Einzelfallprüfung hinsichtlich einer Rücknahme sei nicht durchgeführt worden. Man habe vergebens auf eine Rückäußerung des Finanzamtes gewartet. Da die Kläger die Doppelhaushälfte zu einem Preis von etwa 138.000 EUR veräußert hätten, seien sie nicht entreichert; die Verwendung des Geldes stehe - unter dem Gesichtspunkt eines schutzwürdigen Vertrauens, § 48 Abs. 2 VwVfG M-V - der Rücknahme nicht entgegen. Bei der Ermessensentscheidung über die Rücknahme sei der Grundsatz der sparsamen und wirtschaftlichen Verwendung der Haushaltsmittel zu beachten, der den großzügigen Verzicht auf die Rücknahme verbiete. Angesichts des mangelnden Vertrauensschutzes überwiege das öffentliche Interesse an der Wiederherstellung eines rechtskonformen Zustandes gegenüber dem privaten Interesse an der Aufrechterhaltung des rechtswidrigen Bescheides.

12

Die Kläger haben am 27.02.2008 Klage erhoben. Sie haben vorgetragen: Die Rücknahme sei nicht gemäß § 48 Abs. 4 VwVfG M-V fristgerecht innerhalb eines Jahres nach Kenntnis der die Rücknahme rechtfertigenden Tatsachen erfolgt. Daraus dass der Beklagte die Erteilung einer Investitionszulagenbescheinigung für das zweite Grundstück der Kläger bereits Anfang des Jahres 2003 abgelehnt habe, ergebe sich, dass die Rechtswidrigkeit des zurück genommenen Bescheides ihm bereits zu diesem Zeitpunkt bekannt gewesen sei. Auch das Finanzamt Stralsund, das Bauministerium M-V und das Finanzministerium M-V hätten bereits zu diesem Zeitpunkt Kenntnis von der Rechtswidrigkeit der ausgestellten Grundlagenbescheide gehabt. Für das Finanzministerium M-V gelte dies bereits seit April 2001. In der 2007 erteilten Weisung des Landkreises Nordvorpommern, Grundlagenbescheide aus früheren Jahren zurück zu nehmen, sei die Rücknahme nicht von einer Würdigung der Einzelfallumstände abhängig gemacht worden. Das anschließende Anhörungsschreiben an die Kläger vom 11.09.2007 sei nicht auf weitere Sachverhaltsaufklärung gerichtet gewesen; es stelle sich lediglich als formelle Wahrung des rechtlichen Gehörs dar. Die Kläger haben sich auf die Entscheidung des VGH Mannheim vom 05.04.2007 - 8 S 2090/06 - berufen, nach der die Jahresfrist zur Rücknahme zu laufen beginnt, wenn aus der Sicht der Behörde Entscheidungsreife gegeben ist.

13

Die Kläger haben beantragt,

14

den Rücknahmebescheid des Beklagten vom 20.11.2007 und dessen Widerspruchsbescheid vom 30.01.2008 aufzuheben.

15

Der Beklagte hat beantragt,

16

die Klage abzuweisen.

17

Er hat vorgetragen, die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 VwVfG M-V stehe der Rücknahme nicht entgegen, weil diese erst mit Kenntnis der Behörde von allen für die zu treffende Ermessensentscheidung relevanten Tatsachen beginne. Diese habe erst im Juli 2007 vorgelegen.

18

In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht hat der Kläger zu 2. erklärt, als er die Investitionszulage erhalten habe, sei das Gebäude bereits errichtet gewesen. Weitere Investitionsmaßnahmen habe er danach nicht getätigt. Über die Voraussetzungen, unter denen eine Investitionszulage gewährt werde, habe er sich seinerzeit überhaupt keine Gedanken gemacht. Diese sei von seinem Steuerberater beantragt worden.

19

Das Verwaltungsgericht hat mit Urteil des Berichterstatters vom 23.06.2010 der Klage stattgegeben und den angefochtenen Rücknahmebescheid aufgehoben. Zur Begründung hat das Verwaltungsgericht ausgeführt: Die zurück genommene Kerngebietsbescheinigung sei rechtswidrig. Die Rücknahme sei gemäß § 48 Abs. 2 VwVfG M-V nicht durch Vertrauensschutzgesichtspunkte gehindert, weil von einer grob fahrlässigen Unkenntnis bei den Klägern bzw. dem Steuerberater als ihrem Vertreter auszugehen sei. Die Rücknahme sei jedoch nicht innerhalb der Jahresfrist des § 48 Abs. 4 VwVfG M-V erfolgt. Der zuständige Sachbearbeiter des Beklagten habe spätestens im Februar 2003 die Rechtswidrigkeit der Kerngebietsbescheinigung erkannt. Soweit grundsätzlich auch die vollständige Kenntnis der Behörde über den für die Entscheidung über die Rücknahme erheblichen Sachverhalt Voraussetzung für den Fristlauf sei, insbesondere einschließlich Vertrauensschutzaspekten und Ermessensgesichtspunkten, gelte dies nicht, wenn die Behörde zu erkennen gegeben habe, dass sie von vornherein - ohne Klärung dieser Gesichtspunkte - eine Rücknahme für unzulässig halte. Es komme also - wie der VGH Mannheim in der von Klägerseite angeführten Entscheidung zu Recht dargelegt habe - allein auf den Zeitpunkt der Entscheidungsreife aus Sicht der Behörde an. Dies sei hier der Zeitpunkt im Februar 2003 gewesen, in dem der Beklagte erklärt habe, eine Rücknahme werde abgelehnt.

20

Im übrigen sei die Rücknahme ermessensfehlerhaft. Allerdings begründeten die Haushaltsgrundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit sowie die fehlende Schutzwürdigkeit des Vertrauens der Kläger ein intendiertes Ermessen. Der Beklagte habe aber berücksichtigen müssen, dass ihn ein erhebliches Mitverschulden an der rechtswidrigen Erteilung der Bescheinigung treffe. Auch bei einer weiten Auslegung des § 3 Abs. 1 Nr. 4b InvZulG 1999 sei offensichtlich gewesen, dass die Voraussetzungen für die Erteilung der Bescheinigung nicht vorgelegen hätten. Bei lebensnaher Betrachtung könne daher davon ausgegangen werden, dass er die Bescheinigung in Kenntnis der Rechtswidrigkeit erteilt habe oder zumindest den sich aufdrängenden Zweifeln an deren Rechtmäßigkeit nicht nachgegangen sei. Auch der fehlende Vertrauensschutz zu Gunsten der Kläger hindere eine Berücksichtigung des Mitverschuldens der Behörde nicht. Im übrigen habe der Beklagte auch den Zeitablauf seit Kenntnis der Rechtswidrigkeit bei der Ermessensentscheidung berücksichtigen müssen. Es habe näherer Darlegung bedurft, weshalb auch vier Jahre später noch das öffentliche Interesse an der Rücknahme der Bescheinigung gegenüber dem Interesse der Kläger überwiege.

21

Gegen das am 03.08.2010 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 30.08.2010 die Zulassung der Berufung beantragt und den Antrag am Montag, den 04.10.2010 begründet. Der Senat hat mit Beschluss vom 18.01.2013, zugestellt am 23.01.2013, die Berufung zugelassen. Der Beklagte hat daraufhin am 22.02.2013 die Berufung begründet.

22

Er trägt vor: Die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 VwVfG M-V sei im Zeitpunkt der Entscheidung noch nicht abgelaufen gewesen. Das Amt habe erst im Jahre 2007 Kenntnis von der Rechtswidrigkeit der erteilten Investitionsbescheinigungen gehabt. Bis dahin sei zur Frage der Rechtmäßigkeit eine differenzierte Auffassung vertreten worden. Die Richtlinien des Innenministeriums vom 05.11.2002 hätten lediglich die künftige Bescheinigungspraxis geregelt, sich zu den bereits zuvor erlassenen Bescheinigungen aber nicht geäußert. Dies ergebe sich bereits aus dem Widerspruchsbescheid.

23

Es treffe auch nicht zu, dass er - der Beklagte - bereits im Jahr 2003 zu erkennen gegeben habe, dass eine Rücknahme für unzulässig gehalten werde. Dies ergebe sich insbesondere nicht aus dem Protokoll der Gemeindevertretersitzung vom 18.02.2003. In dieser Sitzung sei die Gemeindevertretung lediglich informiert worden, habe aber keine Beschlüsse gefasst. Der informierende Bürgermeister - der im übrigen für die Entscheidung über die Rücknahme nicht zuständig gewesen sei - habe die Auffassung vertreten, dass die Bescheide im Zeitpunkt ihres Erlasses rechtmäßig gewesen seien. Entsprechend habe sich der Amtsvorsteher in dem Schreiben an das Finanzamt Stralsund vom 20.02.2003 geäußert. Allerdings habe dieser in dem genannten Schreiben die Rücknahme auch aus Vertrauensschutzgründen "prinzipiell abgelehnt". Aus der anschließenden Bekundung des Interesses an einer informellen Klärung ergebe sich jedoch, dass dies eher als Absichtserklärung denn als Entscheidung gemeint gewesen sei. Eine endgültige Entscheidungsreife, wie sie der VGH Mannheim in seiner Entscheidung vom 05.04.2007 fordere, habe zu diesem Zeitpunkt noch nicht vorgelegen.

24

Im übrigen weiche die genannte Entscheidung des VGH Mannheim von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ab, nach der die Jahresfrist erst zu laufen beginne, wenn der Behörde sämtliche für die Rücknahmeentscheidung erheblichen Tatsachen vollständig bekannt seien, wozu auch alle Tatsachen gehörten, die für die Beurteilung eines Vertrauensschutzes nach § 48 Abs. 2 VwVfG M-V sowie für die Ermessensausübung relevant seien. Der VGH Mannheim lege die subjektive Perspektive der Behörde zu Grunde, während das Bundesverwaltungsgericht einen objektiven Maßstab anlege. Objektiv sei die Sachaufklärung jedoch erst nach Anhörung der Betroffenen abgeschlossen.

25

Ein Mitverschulden sei entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts bei der Ermessensausübung nicht zu berücksichtigen. Es sei nicht nachvollziehbar, dass derjenige, der gemäß § 48 Abs. 2 Nr. 3 VwVfG M-V keinen Vertrauensschutz in Anspruch nehmen könne, über die Anwendung von Verschuldensgrundsätzen letztlich doch wieder geschützt werden solle. Weshalb der Zeitablauf im Rahmen der Ermessensentscheidung hätte berücksichtigt werden müssen, sei ebenfalls nicht erkennbar. Insbesondere bestünden keine Anhaltspunkte für einen Wegfall des öffentlichen Interesses daran, fehlerhaft bewilligte Fördermittel, die durch das Steueraufkommen finanziert würden, zurück zu verlangen. Allenfalls könne der Zeitablauf zu einer Verwirkung der Rücknahmebefugnis führen.

26

Der Beklagte beantragt,

27

das Urteil des Verwaltungsgerichts Greifswald vom 23. Juni 2010 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

28

Die Kläger beantragen,

29

die Berufung zurückzuweisen.

30

Das Verwaltungsgericht habe zu Recht angenommen, dass der Rücknahmebescheid rechtswidrig sei, weil die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG M-V bereits abgelaufen gewesen sei. Für den Fristbeginn sei - wie der VGH Mannheim zu Recht entschieden habe - die Entscheidungsreife aus der Sicht der Behörde maßgeblich. Diese habe bereits zum Zeitpunkt der Sitzung der Gemeindevertretung am 18.02.2003 vorgelegen. Ebenso ergebe sie sich aus dem Schreiben des Beklagten an das Finanzamt Stralsund vom 28.03.2002, in dem eine Rücknahme der Bescheinigung ausdrücklich abgelehnt werde. Die Kläger berufen sich auf eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, nach der ein Fehler in der Rechtsanwendung vorliegt, der den Beginn der Jahresfrist nicht hinauszuschieben vermag, wenn die Behörde umfassende Kenntnis der die Rücknahme rechtfertigenden Tatsachen hatte und sich lediglich über die Erforderlichkeit ausdrücklicher Ermessenserwägungen geirrt hat. Ebenso berufen sie sich auf eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, nach der es auf die subjektive Fähigkeit der Rücknahmebehörde, die Reichweite und die rechtlichen Anforderungen der Rücknahmeermächtigung richtig zu erkennen, nicht ankomme, und Rechtsirrtümer, die der Behörde insoweit trotz umfassender Tatsachenkenntnisse unterlaufen, zu ihren Lasten gingen. Die Kläger tragen vor, durch eine nachgeschobene Anhörung der Betroffenen könne der Behörde nicht eine Art "Wiedereinsetzung in den vorigen Stand" gewährt werden. Dies würde dem auf Rechtssicherheit zielenden Zweck der Rücknahmefrist zuwider laufen. Die Anforderung, dass die Entscheidungsreife nicht von der rechtlichen Erkenntnisfähigkeit der Behörde abhängig gemacht werden dürfe, würde konterkariert werden. Auch nach der Entscheidung des Großen Senats des Bundesverwaltungsgerichts vom 19.12.1984 könne der Zeitpunkt der Entscheidungsreife mit dem Zeitpunkt zusammen fallen, in dem die Behörde die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes erkenne.

31

Sie - die Kläger - könnten sich gemäß § 48 Abs. 2 VwVfG M-V auf Vertrauensschutz berufen. Ihnen bzw. ihrem Steuerberater sei jedenfalls nicht bekannt oder grob fahrlässig unbekannt gewesen, dass die Voraussetzungen für die Gewährung einer Investitionszulage von vornherein nicht vorgelegen hätten. Es sei davon auszugehen, dass der Steuerberater auf Grund der damaligen großzügigen kommunalen Bescheinigungspraxis angenommen habe, dass zu den förderungswürdigen Bauvorhaben auch solche gehörten, die auf Grund der Bebauung in näherer Umgebung eines Kerngebietes lagen. Eine andere Bewertung habe sich ihnen zum Zeitpunkt der Antragstellung jedenfalls nicht ohne weiteres aufdrängen müssen. Im übrigen sei die Rücknahme auch ermessensfehlerhaft, weil der Beklagte sein eigenes Mitverschulden nicht berücksichtigt habe.

32

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

33

Die Berufung ist zulässig und begründet. Die Klage ist unter Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils abzuweisen, weil sie zulässig, aber unbegründet ist. Der angefochtene Rücknahmebescheid des Beklagten vom 20.11.2007 und dessen Widerspruchsbescheid vom 30.01.2008 sind rechtmäßig und verletzen die Kläger nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

34

Rechtsgrundlage für die Rücknahme ist § 48 VwVfG M-V. Nach § 48 Abs. 1 VwVfG M-V kann ein rechtswidriger Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden (Satz 1); ein Verwaltungsakt der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), darf nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 zurückgenommen werden (Satz 2).

35

1. Bei der unanfechtbar gewordenen Bescheinigung vom 28.03.2002, mit der nach § 3 Abs. 1 Nr. 4b InvZulG 1999 bescheinigt wurde, dass das Gebäude E-Straße in B-Stadt in einem Gebiet liegt, das auf Grund der Bebauung der näheren Umgebung einem Gebiet entspricht, welches durch Bebauungsplan als Kerngebiet im Sinne des § 7 BauNVO festgesetzt ist, handelt es sich um einen rechtswidrigen Verwaltungsakt. Tatsächlich liegt das Gebäude in einem Gebiet, das durch Bebauungsplan als Allgemeines Wohngebiet gemäß § 4 BauNVO festgesetzt ist und auch tatsächlich so genutzt wird.

36

Auf die Frage, ob die Bescheinigung nichtig ist, weil sie an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dieser bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offensichtlich ist (§ 44 Abs. 1 VwVfG M-V), kommt es nicht an. Auch ein nichtiger Verwaltungsakt kann zurückgenommen werden. Die Behörde ist nicht auf die Feststellung nach § 44 Abs. 5 VwVfG M-V beschränkt (vgl. BSG U. v. 23.02.1989 - 11/7 RAr 103/87 - NVwZ 1989, 902 = Juris Rn. 17; Kopp/Ramsauer VwVfG 13. Aufl. 2012 § 48 Rn. 18; Sachs in Stelkens ua VwVfG § 48 Rn. 67; jew. mwN).

37

2. Die von der zuständigen Gemeindebehörde erteilte Investitionsbescheinigung ist gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 4b InvZulG 1999 die Grundlage für die Gewährung einer Investitionszulage und damit ein begünstigender Verwaltungsakt iSd § 48 Abs. 1 Satz 2 VwVfG M-V. Da es sich um einen Verwaltungsakt handelt, der Voraussetzung für die Gewährung einer einmaligen Geldleistung ist, darf dieser gemäß § 48 Abs. 2 VwVfG M-V nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist (Satz 1); das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte gewährte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann (Satz 2). Dabei finden die Grundsätze Anwendung, die zum Umfang des Bereicherungsanspruchs (§ 818 BGB) entwickelt worden sind. Danach ist eine Geldleistung nicht im Sinne des § 48 Abs. 2 Satz 2 VwVfG M-V verbraucht, wenn sie zur Schuldentilgung oder für Anschaffungen verwendet worden ist, die wertmäßig im Vermögen des Begünstigten noch vorhanden sind (BVerwG U. v. 28.01.1993 - 2 C 15.91 - NVwZ-RR 1994, 32 = Juris Rn. 11 f.).

38

Nach diesen Maßstäben kommt ein Vertrauensschutz hier nicht in Betracht und wird von den Klägern auch nicht geltend gemacht. Der durch die Gewährung der Investitionszulage bei den Klägern eingetretene Vermögenszuwachs – durch Schuldentilgung bzw. Investition in das errichtete Gebäude, für das sodann ein entsprechender Kaufpreis erzielt wurde – ist wertmäßig noch vorhanden. Ein „Wegfall der Bereicherung“ ist nicht eingetreten. Es bestehen im übrigen auch keine Anhaltspunkte dafür, dass die Kläger die Gesamtinvestition nur im Hinblick auf die erwartete Investitionszulage getätigt hätten oder mit der Zulage bestimmte weitere Maßnahmen finanziert hätten, die ansonsten unterblieben wären. Denn sie haben in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht angegeben, das Gebäude sei bereits errichtet gewesen, als sie die Investitionszulage erhalten hätten; weitere Investitionsmaßnahmen wie z.B. Modernisierungen seien nach Erhalt der Investitionszulage nicht vorgenommen worden.

39

Auf die Frage, ob sich die Kläger – wie das Verwaltungsgericht angenommen hat - auf Vertrauensschutz auch deshalb nicht berufen können, weil sie die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannten oder in Folge grober Fahrlässigkeit nicht kannten bzw. ihnen das Verschulden ihres Steuerberaters zuzurechnen ist (§ 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 VwVfG M-V), kommt es daher nicht mehr an.

40

3. Erhält die Behörde von Tatsachen Kenntnis, die die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes rechtfertigen, so ist die Rücknahme nur innerhalb eines Jahres seit dem Zeitpunkt der Kenntnisnahme zulässig, § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG M-V. Diese Frist ist hier gewahrt.

41

Die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG wird in Lauf gesetzt, wenn die Behörde positive Kenntnis von den Tatsachen erhalten hat, die die Rücknahme des Verwaltungsakts rechtfertigen. Dass die die Rücknahme des Verwaltungsakts rechtfertigenden Tatsachen aktenkundig sind, genügt nicht. Die Behörde erlangt diese positive Kenntnis, wenn der nach der innerbehördlichen Geschäftsverteilung zur Rücknahme des Verwaltungsakts berufene Amtswalter oder ein sonst innerbehördlich zur rechtlichen Überprüfung des Verwaltungsakts berufener Amtswalter die die Rücknahme des Verwaltungsakts rechtfertigenden Tatsachen feststellt. Die Behörde muss insoweit nicht nur die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts erkannt haben, sondern ihr müssen außerdem sämtliche für die Rücknahmeentscheidung erheblichen Tatsachen vollständig bekannt sein, wozu auch alle Tatsachen gehören, die im Falle des § 48 Abs. 2 VwVfG M-V ein Vertrauen des Begünstigten in den Bestand des Verwaltungsakts entweder nicht rechtfertigen oder ein bestehendes Vertrauen als nicht schutzwürdig erscheinen lassen, sowie die für die Ermessensausübung wesentlichen Umstände (st. Rspr. seit BVerwG, B. v. 19.12.1984 - Gr.Sen.1,2.84 - NJW 1985, 819, 820 f. = Juris Rn. 17 ff.; vgl. zuletzt ausführlich BVerwG U. v. 28.06.2012 - 2 C 13.11 - BVerwGE 143, 230 = Juris Rn. 27 ff.).

42

Bereits der Wortlaut des § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG M-V fordert die Kenntnis von Tatsachen, die die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsakts "rechtfertigen", und stellt damit klar, daß die Erkenntnis der Rechtswidrigkeit für sich allein den Fristlauf nicht auszulösen vermag, sondern hierzu die vollständige Kenntnis des für die Entscheidung über die Rücknahme des Verwaltungsakts erheblichen Sachverhalts nötig ist. Hierzu gehören auch alle Tatsachen, die im Falle des § 48 Abs. 2 VwVfG M-V ein Vertrauen des Begünstigten in den Bestand des Verwaltungsakts entweder nicht rechtfertigen oder ein bestehendes Vertrauen als nicht schutzwürdig erscheinen lassen, sowie die für die Ermessensausübung wesentlichen Umstände. Die Frist beginnt demgemäß zu laufen, wenn die Behörde ohne weitere Sachaufklärung objektiv in der Lage ist, unter sachgerechter Ausübung ihres Ermessens über die Rücknahme des Verwaltungsakts zu entscheiden. Das entspricht dem Zweck der Jahresfrist als einer Entscheidungsfrist, die sinnvollerweise erst anlaufen kann, wenn der zuständigen Behörde alle für die Rücknahmeentscheidung bedeutsamen Tatsachen bekannt sind. Die Behörde soll nicht durch den drohenden Fristablauf zu einer Entscheidung gezwungen werden, obwohl ihr diese mangels vollständiger Kenntnis des insofern erheblichen Sachverhalts noch nicht möglich ist. Ein entsprechendes Verständnis der Jahresfrist als einer Bearbeitungsfrist für die Behörde würde dem Wortlaut der Vorschrift widersprechen und von ihrem Sinn und Zweck nicht getragen sein (vgl. BVerwG B. v. 19.12.1984 - Gr.Sen.1,2.84 – aaO; zum Charakter der Frist als Entscheidungs- und nicht Bearbeitungsfrist vgl. zuletzt BVerwG U. v. 28.06.2012 – 2 C 13.11 – aaO Rn. 33).

43

Das Bundesverwaltungsgericht hat in Fortentwicklung dieser Rechtsprechung auch entschieden, dass zur Herstellung der Entscheidungsreife, mit deren Eintritt die Entscheidungsfrist des § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG erst zu laufen beginnen kann, regelmäßig das Anhörungsverfahren gehört, das der Wahrung des in einem rechtsstaatlichen Verwaltungsverfahren gebotenen rechtlichen Gehörs dient, und zwar unabhängig vom Ergebnis der Anhörung. Denn die Einwände des Anzuhörenden können nur dann ernstlich zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen werden, wenn sich die Behörde ihre Entscheidung bis zum Abschluss des Anhörungsverfahrens offen hält. Das gilt auch und gerade, wenn es sich bei der zu treffenden Entscheidung um eine Ermessensentscheidung handelt, bei der die für die Ermessensbetätigung maßgeblichen Umstände auch in der Sphäre des anzuhörenden Betroffenen liegen. Es liegt in der Konsequenz der Ausgestaltung der Rücknahmefrist als Entscheidungsfrist, dass es die Behörde in der Hand hat, den Beginn der Frist durch eine Verzögerung des Anhörungsverfahrens hinauszuschieben. Ein solches Verhalten kann allerdings zur Verwirkung des Rechts auf Rücknahme führen (vgl. BVerwG, U. v. 20.09.2001 - 7 C 6.01 - NVwZ 2002, 485 mwN; BVerwG B. v. 04.12.2008 - 2 B 60.08 - Juris Rn. 7).

44

Nach diesen Maßstäben war eine Anhörung der Kläger hier zur Herstellung der Entscheidungsreife erforderlich, um zu klären, ob die Kläger in schutzwürdiger Weise auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hatten, § 48 Abs. 2 VwVfG M-V. Mit dem Abschluss des Anhörungsverfahrens im Jahr 2007 begann die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG M-V zu laufen; sie wurde folglich durch den Rücknahmebescheid vom 20.11.2007 gewahrt.

45

Soweit die Kläger sich auf eine – ebenfalls die Rücknahme einer Investitionsbescheinigung betreffende - Entscheidung des VGH Mannheim berufen (U. v. 05.04.2007 - 8 S 2090/06 - VBlBW 2007, 347), nach der die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 VwVfG M-V zu laufen beginnt, wenn aus der Sicht der Behörde - subjektiv - Entscheidungsreife vorliegt bzw. die Behörde zu erkennen gegeben hat, dass sie eine Rücknahme des rechtswidrigen Verwaltungsakts von vornherein - ohne Klärung konkreter Vertrauensschutzaspekte - für unzulässig hält, folgt der Senat dieser Auffassung nicht. Der VGH Mannheim hat ausgeführt, die Jahresfrist zur Rücknahme habe in dem Moment zu laufen begonnen, in dem die Behörde die Rechtswidrigkeit der erteilten Bescheinigung erkannt, aber offenbar angenommen habe, die weiteren Rücknahmevoraussetzungen lägen nicht vor. Mit Blick auf den Zweck der Ausschlussfrist als Entscheidungsfrist komme es allein darauf an, ob aus Sicht der Behörde Entscheidungsreife gegeben sei. Habe diese zu erkennen gegeben, dass sie eine Rücknahme des rechtswidrigen Verwaltungsakts von vornherein - ohne Klärung konkreter Vertrauensschutzaspekte - für unzulässig halte, beginne die Jahresfrist auch dann zu laufen, wenn diese Rechtsauffassung unzutreffend sei und eine Rücknahme bei hinreichender Aufklärung des Sachverhalts in Betracht komme. Denn ein auf die weiteren Rücknahmevoraussetzungen bezogener Rechtsirrtum habe keine fristhemmende Wirkung. Käme es für die Frage der Entscheidungsreife nicht auf die Rechtsauffassung der Rücknahmebehörde, sondern auf die zutreffende Anwendung der Rücknahmevoraussetzungen an, wäre es von den Rechtskenntnissen der Behörde abhängig, ob und wann sie die zur Herbeiführung der Entscheidungsreife notwendige Sachaufklärung vornehme. Die zur Verfügung stehende Rücknahmefrist wäre also um so länger bemessen, je geringer die Rechtskenntnisse der jeweiligen Behörde sind. Dies wäre aber mit dem Zweck der Jahresfrist, Rechtssicherheit und Rechtsklarheit im Hinblick auf den Bestand von Verwaltungsakten zu gewährleisten, nicht zu vereinbaren. Im Übrigen läge auch treuwidriges Verhalten vor, wenn sich eine Rücknahmebehörde, die zu erkennen gegeben hatte, dass aus ihrer Sicht Entscheidungsreife vorlag, später hinsichtlich des Fristablaufs auf die Notwendigkeit weiterer Sachaufklärung beriefe.

46

Die Auffassung des VGH Mannheim, dass die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 VwVfG M-V zu laufen beginnt, wenn aus der Sicht der Behörde - subjektiv - Entscheidungsreife vorliegt bzw. die Behörde zu erkennen gegeben hat, dass sie eine Rücknahme des rechtswidrigen Verwaltungsakts von vornherein - ohne Klärung konkreter Vertrauensschutzaspekte - für unzulässig hält, ist mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht vereinbar. Allerdings mögen Besonderheiten des Einzelfalles eine Abweichung von dem regelmäßigen Beginn der Jahresfrist rechtfertigen können (vgl. BVerwG B. v. 09.01.2007 - 8 B 36.06 - Juris Rn. 5). Der VGH Mannheim berücksichtigt jedoch nicht Besonderheiten des Einzelfalles, sondern stellt Rechtsgrundsätze auf, die von denen des Bundesverwaltungsgerichts abweichen. Dass der Lauf der Rücknahmefrist von den Rechtskenntnissen der Behörde abhängt, liegt in der Konsequenz der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts. Denn danach reicht bereits die Kenntnis der Behörde von denjenigen Tatsachen, aus denen sich die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes ergibt, nicht aus um die Jahresfrist in Lauf zu setzen; vielmehr muss hinzu kommen, dass die Behörde auch die zutreffende Schlussfolgerung auf die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes gezogen hat (BVerwG B. v. 19.12.1984 - GrSen 1, 2.84 - aaO). Wann diese Schlussfolgerung gezogen wird, hängt von den Rechtskenntnissen ab. Soweit der Gesichtspunkt von Treu und Glauben herangezogen wird um zu begründen, dass die Behörde, aus deren Sicht bereits Entscheidungsreife vorgelegen hatte, sich nicht später hinsichtlich des Fristablaufs auf die Notwendigkeit weiterer Sachaufklärung berufen könne, bleibt unberücksichtigt, dass das Bundesverwaltungsgericht im Falle einer Verzögerung der Sachaufklärung den - engeren bzw. konkreteren - Maßstab der Verwirkung anwendet. Dass ein Verstoß gegen Treu und Glauben an die "subjektive Entscheidungsreife" aus Sicht der Behörde anknüpfen soll, erscheint auch deshalb nicht plausibel, weil diese nicht notwendig nach außen deutlich geworden ist, sondern vielmehr typischerweise behördenintern geblieben bzw. - wie in dem vom VGH Mannheim entschiedenen ebenso wie in dem hier vorliegenden Fall - nur gegenüber einer anderen Behörde erkennbar geworden ist, nicht aber gegenüber dem Rücknahmeadressaten. Die Kriterien der Verwirkung berücksichtigen demgegenüber zu Recht die Perspektive des Adressaten der Erklärung bzw. Entscheidung.

47

4. Ein Fall der Verwirkung der Rücknahmebefugnis liegt nicht vor. Die Verwirkung setzt voraus, dass Umstände eingetreten sind, aus denen der die Rechtswidrigkeit kennende Begünstigte berechtigterweise den Schluss ziehen durfte, der Verwaltungsakt werde nicht mehr zurückgenommen, obwohl die Behörde dessen Rücknehmbarkeit erkannt hat, der Begünstigte ferner tatsächlich darauf vertraut hat, dass die Rücknahmebefugnis nicht mehr ausgeübt werde und dieses Vertrauen in einer Weise betätigt hat, dass ihm mit der sodann gleichwohl erfolgten Rücknahme ein unzumutbarer Nachteil entstünde (vgl. BVerwG, U. v. 20.12.1999 - 7 C 42.98 - NJW 2000, 1512, 1514). Im vorliegenden Fall fehlt es bereits an der Vertrauensgrundlage als der ersten dieser Voraussetzungen. Die bloße Untätigkeit des Beklagten nach Versagung der Investitionsbescheinigung für die zweite Doppelhaushälfte Am E. 14a reicht insoweit nicht aus. Das Verhalten der Gemeindevertretung ist nicht relevant, weil diese für die Entscheidung über die Rücknahme nicht zuständig war und die Entscheidung sie im rechtlichen Sinne auch sonst "nichts anging". Dass die Korrespondenz des Beklagten mit dem Finanzamt Stralsund den Klägern bekannt gewesen wäre, ist weder vorgetragen worden noch ersichtlich. Erst recht fehlt es an einer Vertrauensbetätigung in dem Sinne, dass den Klägern aus der gleichwohl erfolgenden Rücknahme ein unzumutbarer Nachteil entstünde.

48

5. Der Beklagte hat entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts sein Ermessen fehlerfrei ausgeübt. Allerdings enthält der Ausgangsbescheid keine Ermessenserwägungen. Dort heißt es lediglich, da die Kläger von ihrem Anhörungsrecht keinen Gebrauch gemacht und somit auch die Schutzwürdigkeit ihres Vertrauens nicht geltend gemacht hätten, werde die rechtswidrig erteilte Bescheinigung auch für die Vergangenheit zurückgenommen. Im Widerspruchsbescheid hat die Behörde jedoch deutlich gemacht, dass sie sich des ihr zustehenden Ermessens bewusst ist. Sie hat den "Grundsatz einer sparsamen und wirtschaftlichen Verwendung der Landeshaushaltsmittel" angeführt, der den großzügigen Verzicht auf die Rücknahme verbiete, und darauf hingewiesen, dass mit der Rücknahme der Bescheinigung ein rechtskonformer Zustand wiederhergestellt werde. Angesichts des mangelnden Vertrauensschutzes überwiege das entsprechende öffentliche Interesse gegenüber dem privaten Interesse an der Aufrechterhaltung des rechtswidrigen Bescheides. Die Rücknahme der Bescheinigung auch zum jetzigen Zeitpunkt werde für angemessen gehalten.

49

Weiter gehende Ermessenserwägungen musste der Beklagte weder bezogen auf den Zeitablauf seit Kenntnis von der Rechtswidrigkeit noch bezogen auf das eigene (Mit-)verschulden anstellen.

50

a) Der Zeitablauf ist in der Begründung der Ermessensentscheidung mit dem Satz: "Die Rücknahme der Grundlagenbescheinigung auch zum jetzigen Zeitpunkt halte ich für sachgerecht und angemessen." zumindest angesprochen. Weitergehende Erwägungen waren nicht erforderlich. Der Zeitablauf seit Kenntnis der Behörde von der Rechtswidrigkeit wird unter den weiteren Voraussetzungen des Vertrauensschutzes, des Ablaufs der Rücknahmefrist oder der Verwirkung berücksichtigt. Eine eigenständige Bedeutung kommt diesem Gesichtspunkt darüber hinaus regelmäßig nicht zu.

51

Soweit das Bundesverwaltungsgericht in seiner Rechtsprechung zum Lastenausgleichsrecht den Zeitablauf seit Kenntnis von der Rechtswidrigkeit als zu berücksichtigenden Ermessensgesichtspunkt genannt hat, handelte es sich um Fälle, in denen eine Ermessensausübung völlig fehlte (BVerwG U. v. 09.11.1978 - 3 C 68.77 - Buchholz 427.3 § 335a LAG Nr. 63 = Juris Rn. 28; U. v. 08.10.1981 - 3 C 36.81 – Buchholz 427.3 § 335a LAG Nr. 70). Darum geht es hier jedoch nicht. Ebenso liegt kein Sonderfall etwa deshalb vor, weil ein Zeitraum von mehr als 30 Jahren verstrichen wäre, nach dessen Ablauf in weiten Teilen der Rechtsordnung spätestens eine Verjährung eintritt (vgl. OVG Münster U. v. 08.11.2012 - 11 A 1548/11 - NVwZ-RR 2013, 250; ebenfalls zum Lastenausgleichsrecht, betreffend einen Zeitraum von 52 Jahren).

52

b) Das (Mit-)Verschulden der Behörde an dem Erlass des rechtswidrigen Verwaltungsaktes stellt regelmäßig keinen Ermessensgesichtspunkt dar, der gegen eine Rücknahme sprechen könnte. Wird ein rechtswidriger Verwaltungsakt erlassen, so wird - mit Ausnahme der Fälle arglistiger Täuschung oder unrichtiger oder unvollständiger Angaben des Begünstigten oder eines Dritten - typischerweise ein Verschulden oder Mitverschulden der Behörde vorliegen. Dies gilt insbesondere in Fällen von Rechtsanwendungsfehlern. Typischerweise wird das Verschulden der Behörde um so höher sein, je "schlimmer" der Fehler ist. Ein "schlimmer" Fehler begründet aber unter dem Gesichtspunkt der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung gerade ein höheres Interesse an einer Rücknahme, dem gegenüber die ggf. gegen eine Rücknahme sprechenden Gesichtspunkte der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes eher zurück treten. Wollte man dies anders sehen, so würde gerade in krassen Fällen, in denen sehenden Auges rechtswidrige Entscheidungen erlassen worden sind bzw. Fälle von Korruption oder anderer Straftaten vorliegen, die Rückgängigmachung der entsprechenden Entscheidungen und Wiederherstellung rechtmäßiger Zustände erschwert. Diese Wertung erscheint nicht sachgerecht.

53

Soweit in der Rechtsprechung die Berücksichtigung eines Mitverschuldens der Behörde bei der Ermessensentscheidung über die Rücknahme verlangt worden ist, ging es typischerweise um Fälle aus dem Bereich des Sozialrechts, in denen ein Vertrauensschutz des Betroffenen nicht bereits mangels Vorliegens eines Vertrauenstatbestandes ausschied, sondern mangels Schutzwürdigkeit des Vertrauens, wobei die entsprechende Bewertung an ein Verschulden des Betroffenen anknüpfte (vgl. OVG Münster U. v. 11.08.1994 - 24 A 646/92 – zur Sozialhilfe; U. v. 23.01.1990 - 16 A 2836/88 – zum BAföG; VG Sigmaringen U. v. 29.11.2006 - 5 K 1225/06 – Juris). In solchen Fällen das Verschulden des Betroffenen in eine Relation zum Verschulden der Behörde zu setzen, leuchtet ein. Entsprechendes gilt, soweit das Mitverschulden der Behörde berücksichtigt wird, um die Schutzwürdigkeit eines Vertrauens des Begünstigten ("unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rückforderung") zu begründen (vgl. VGH Kassel, U. v. 09.09.1991 - 8 UE 1097/85 - Juris Rn. 38). Auch in dem vom Bundesverwaltungsgericht entschiedenen subventionsrechtlichen Fall, in dem eine Berücksichtigung des Mitverschuldens der Behörde entsprechend den Grundsätzen des § 242 BGB wegen unzulässiger Rechtsausübung für möglich gehalten wurde (vgl. BVerwG, U. v. 14.08.1986 - 3 C 9.85 - NVwZ 1987, 44) war ein Vertrauensschutz des Betroffenen nicht bereits mangels Vorliegens eines Vertrauenstatbestandes ausgeschieden, sondern mangels Schutzwürdigkeit des Vertrauens, nämlich wegen unrichtiger Angaben (vgl. § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 VwVfG M-V).

54

Soweit im übrigen in der Rechtsprechung allgemeiner die Berücksichtigung der Verantwortung bzw. des Fehlverhaltens der Behörde verlangt worden ist (vgl. BVerwG U. v. 09.11.1978 - 3 C 68.77 - Buchholz 427.3 § 335a LAG Nr. 63 = Juris Rn. 28; U. v. 08.10.1981 - 3 C 36.81 – Buchholz 427.3 § 335a LAG Nr. 70; jeweils zum Lastenausgleichsrecht), handelte es sich um Fälle, in denen eine Ermessensausübung gänzlich unterblieben war, und gesagt sein sollte, dass unter den genannten Umständen auch bei fehlendem Vertrauensschutz eine Ermessensausübung nicht etwa gänzlich entbehrlich ist. Lässt die Entscheidung über die Rücknahme aber - wie hier - erkennen, dass die Behörde das ihr zustehende Ermessen gesehen hat, so bedarf es für eine ordnungsgemäße Ermessensausübung nicht der ausdrücklichen Erwähnung ihres eigenen (Mit-)Verschuldens.

55

c) Dass in der Begründung der Ermessensentscheidung von "Landeshaushaltsmitteln" die Rede ist, begründet schließlich ebenfalls keinen Ermessensfehler. Allerdings stehen die Einnahmen aus der Einkommensteuer, aus denen die Investitionszulage finanziert wird (vgl. § 6 Abs. 3 InvZulG 1999), Bund, Ländern und Gemeinden gemeinsam zu (vgl. Art. 106 Abs. 3 und Abs. 5 GG). Der Grundsatz der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit gemäß § 34 Abs. 2 Satz 1 LHO ist nicht anwendbar. Bei dem hier in Rede stehenden Interesse der öffentlichen Hand an der vollständigen Einnahmeerhebung (das u.a. in § 34 Abs. 1 LHO zum Ausdruck kommt), geht es jedoch um dasselbe Ziel. Dieses trägt neben dem ausdrücklich angesprochenen Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung (Art. 20 Abs. 3 GG; vgl. auch § 85 AO) die angefochtene Rücknahmeentscheidung.

56

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

57

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO iVm §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

58

Die Revision ist nicht zuzulassen, da keiner der Gründe des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 7. August 2006 - 16 K 2707/05 - geändert. Der Bescheid der Beklagten vom 15. März 2005 und deren Widerspruchsbescheid vom 13. Juli 2005 werden aufgehoben.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

 
Der Kläger wendet sich gegen die Rücknahme einer Bescheinigung nach
§ 7h EStG (in der bis zum 31.12.2003 geltenden Fassung).
Er ist Eigentümer des Wohnbaugrundstücks ... ... (.... ...) in Stuttgart, Gemarkung Zuffenhausen. Dieses Grundstück lag im räumlichen Geltungsbereich des Sanierungsgebiets „Zuffenhausen 3-Zehnthof“; die Sanierungssatzung wurde nach Abschluss der Sanierung am 29.07.1999 aufgehoben.
Auf Antrag des Klägers vom 31.08.1995 wurde mit Bescheid der Beklagten vom 21.12.1995 ein „Anbau und bauliche Änderungen am Wohnhaus“ mit der Nebenbestimmung sanierungsrechtlich genehmigt, dass „Material und Farben der Balkone, des Vordaches der Garagentore und der Pergola sowie die Begrünung des Garagendachs vor Ausführung mit der Stadt abzustimmen“ sind. Am 13.11.1997 erteilte die Beklagte dem Kläger eine Bescheinigung nach § 7h EStG. Darin wird bestätigt, dass das Gebäude ... ... im förmlich festgelegten Sanierungsgebiet liegt und es sich bei dem Anbau und den baulichen Änderungen um Maßnahmen nach § 177 BauGB gehandelt habe, die der Durchführung der Sanierung gedient hätten. Ergänzend dazu bescheinigte die Beklagte dem Kläger mit Schreiben vom 05.07.1999, dass sich die anerkannten Kosten der durchgeführten Baumaßnahmen auf 777.262,93 DM brutto für die Jahre 1995 bis 1998 belaufen hätten.
Mit Schreiben vom 15.03.2002 rügte das Finanzamt Stuttgart III gegenüber der Beklagten, dass die Bescheinigung nach § 7h EStG auf einer unzureichenden Prüfung des Sachverhalts beruhe. Die auf den Anbau entfallenden Kosten seien steuerlich nicht begünstigt; nach der vorläufigen Aufstellung des Architekten entfielen nur 160.000,-- DM auf die Sanierung. Außerdem seien Baumaßnahmen auch dann nicht begünstigt, wenn sie ohne vorherige Abstimmung mit der Fachbehörde oder ohne konkrete vertragliche Vereinbarungen auf freiwilliger Grundlage durchgeführt worden seien; das Finanzamt bitte um Mitteilung, ob und inwieweit die Baumaßnahmen vorher mit der Beklagten abgesprochen und ob sie gemäß diesen Absprachen durchgeführt worden seien. Mit Schreiben vom 22.05.2002 teilte die Beklagte dem Finanzamt Stuttgart III mit, über die Baumaßnahmen sei zwar keine Modernisierungsvereinbarung abgeschlossen worden, sie seien jedoch vor Baubeginn - u.a. auch im Rahmen des Baugenehmigungsverfahrens - mit ihr abgestimmt worden. Da es sich bei dem Anbau um eine untergeordnete Erweiterung der Bestandsfläche handle, könnten auch die hierfür entstandenen Neubaukosten als sanierungsbedingte Modernisierungs- und Instandhaltungskosten anerkannt werden.
Am 01.08.2003 leitete das Finanzamt Stuttgart III gegenüber der Beklagten
- Amt für Stadterneuerung - auf Weisung des Rechnungsprüfungsamts und in Übereinstimmung mit der Oberfinanzdirektion Stuttgart ein Remonstrationsverfahren mit dem Ziel der Rücknahme der Bescheinigung vom 13.11.1997 ein. Zur Begründung wird ausgeführt: Gegenüber dem Kläger sei offenbar kein Modernisierungs- und Instandsetzungsgebot im Sinne des § 177 BauGB ausgesprochen worden. Ausweislich des Schreibens der Beklagten vom 22.05.2002 habe sich der Kläger auch nicht vertraglich gegenüber der Beklagten zur Durchführung solcher Maßnahmen verpflichtet; eine eventuelle Abstimmung im Rahmen des Baugenehmigungsverfahrens sei nicht geeignet, eine förmliche Vereinbarung über bestimmte Modernisierungsmaßnahmen zu ersetzen. Somit lägen die Voraussetzungen für eine Steuerbegünstigung nach § 7h EStG nicht vor; die Bescheinigung vom 13.11.1997 sei unrichtig und von der Beklagten zurückzunehmen.
Die Beklagte - Amt für Stadtplanung und Stadterneuerung - führte mit Schreiben vom 23.09.2003 gegenüber dem Finanzamt Stuttgart III u.a. aus, ein förmliches Modernisierungs- und Instandsetzungsgebot habe ihr Gemeinderat bislang noch nie beschlossen. Vielmehr verpflichte sich der Eigentümer regelmäßig im Rahmen einer einvernehmlichen Modernisierungsabsprache gegenüber der Stadt zur Durchführung bestimmter Maßnahmen im Sinne des § 177 BauGB. Allerdings sei bis zum Erlass der gemeinsamen Bekanntmachung des Wirtschaftsministeriums und des Finanzministeriums vom 11.06.2001 (Bescheinigungsrichtlinie) eine (schriftliche) Modernisierungsvereinbarung nur dann geschlossen worden, wenn der Eigentümer eine Sanierungsforderung in Anspruch genommen habe. Seit Erlass der Bescheinigungsrichtlinie werde eine Modernisierungsvereinbarung auch ohne Inanspruchnahme eines Sanierungszuschusses dann geschlossen, wenn der Eigentümer eine Steuerbegünstigung nach § 7h EStG in Anspruch nehmen wolle. Da es sich hier um einen Altvorgang vor dem Juni 2001 ohne Gewährung eines Zuschusses aus Landesmitteln handle, sei folglich keine Modernisierungsvereinbarung geschlossen worden.
Mit Schreiben vom 08.10.2003 erwiderte das Finanzamt Stuttgart III, die Beklagte könne sich für die Änderung ihrer Praxis im Jahre 2001 nicht auf die damals ergangene Bescheinigungsrichtlinie berufen, die an den gesetzlichen Voraussetzungen für die Steuerbegünstigung nichts geändert habe. Danach habe jedoch stets die Notwendigkeit des Abschlusses einer Vereinbarung vor Beginn der Baumaßnahmen bestanden, wie sich bereits den Einkommenssteuerrichtlinien 1993 in R 83 a Abs. 6 und der Einkommenssteuerkommentierung von Schmidt in der 15. Aufl. (1996) entnehmen lasse. An der Forderung nach Rücknahme der Bescheinigung werde daher festgehalten.
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Dies lehnte die Beklagte mit Schreiben vom 28.11.2003 an das Finanzamt Stuttgart III erneut ab. Das Bauvorhaben des Klägers sei, wie in Sanierungsgebieten üblich, vor Baubeginn mit dem Amt für Stadterneuerung abgestimmt worden. Dem Amt für Stadterneuerung seien die Anforderungen der Finanzverwaltung und insbesondere die Notwendigkeit einer konkreten vertraglichen Vereinbarung zwischen Eigentümer und Gemeinde als Voraussetzung für die Begünstigung nach § 7h EStG erst durch die Bekanntmachung der Bescheinigungsrichtlinie vom 11.06.2001 bewusst geworden. Bis dahin seien keine solchen Vereinbarungen geschlossen worden, was auch bei anderen Städten und Gemeinden so üblich gewesen und bis dahin von den Finanzbehörden auch akzeptiert worden sei. Man sehe sich daher außer Stande, die erteilte Bescheinigung zurückzunehmen.
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Mit Schreiben vom 21.04.2004 bat das Finanzministerium Baden-Württemberg das Wirtschaftsministerium Baden-Württemberg, die Beklagte zur Rücknahme der Bescheinigung zu veranlassen. Mit Schreiben vom 03.05.2004 teilte das Wirtschaftsministerium dem Regierungspräsidium Stuttgart mit, dass nach Auffassung der Finanzverwaltung die Voraussetzungen der §§ 177 BauGB, 7h EStG für die Erteilung der Bescheinigung nicht vorgelegen hätten und bat um weitere Veranlassung im Rahmen der Fach- und Rechtsaufsicht. Das Regierungspräsidium Stuttgart bat daraufhin die Beklagte mit Schreiben vom 18.08.2004, die dem Kläger erteilte Bescheinigung zurückzunehmen. Mit Schreiben vom 06.09.2004 teilte die Beklagte dem Kläger mit, die Rücknahme der Bescheinigung sei beabsichtigt und gab Gelegenheit zur Stellungnahme innerhalb von vier Wochen.
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Nachdem sich der Kläger geäußert hatte, nahm die Beklagte die Bescheinigung vom 13.11.1997 mit Bescheid vom 15.03.2005 mit Wirkung für die Vergangenheit zurück. Die Bescheinigung hätte nur erteilt werden dürfen, wenn die Modernisierungs- und Instandhaltungsmaßnahmen aufgrund einer konkreten vertraglichen Verpflichtung durchgeführt worden wären. Die Rücknahme sei angemessen. Sie sei das „mildeste Mittel“, um die rechtswidrige Bescheinigung zu beseitigen und die Bindung des Finanzamts an dieselbe zu beenden. Das Interesse des Klägers an deren Aufrechterhaltung müsse demgegenüber zurücktreten. Die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 LVwVfG sei noch nicht abgelaufen. Sie sei nicht durch die Aufforderung zur Rücknahme mit Schreiben des Finanzamts Stuttgart III vom 30.07.2003 in Gang gesetzt worden. Denn sie selbst habe noch mit Schreiben vom 28.11.2003 dem Finanzamt mitgeteilt, dass die Bescheinigung für rechtmäßig gehalten werde und sie sich zur Rücknahme außer Stande sehe. Erst durch die Weisung zur Rücknahme mit Schreiben des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 18.08.2004 im laufenden Remonstrationsverfahren habe die Frist zu laufen begonnen. Den hiergegen eingelegten Widerspruch des Klägers wies die Beklagte mit Bescheid vom 13.07.2005 aus den im Ausgangsbescheid genannten Gründen zurück.
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Mit seiner am 17.08.2005 beim Verwaltungsgericht Stuttgart erhobenen Klage hat der Kläger beantragt, den Bescheid der Beklagten über die Rücknahme der Bescheinigung nach § 7h EStG und deren Widerspruchsbescheid vom 13.07.2005 aufzuheben. Die Beklagte hat Abweisung der Klage beantragt.
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Mit Urteil vom 07.08.2006 - 16 K 2707/05 - hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Der Verwaltungsrechtsweg sei zwar gegeben. Die Klage sei jedoch nicht begründet. Die Rücknahme der Bescheinigung für die Vergangenheit sei rechtmäßig. § 7h Abs.1 EStG 1997 beziehe sich nicht nur auf § 177 Abs. 1 und Abs. 3 Satz 1 BauGB, in denen näher umschrieben werde, was Modernisierungs- und Instandsetzungsmaßnahmen seien, sondern auf die gesamte Vorschrift. Daher setze eine Bescheinigung nach § 7h Abs. 1 EStG voraus, dass steuerlich zu fördernde Maßnahmen auf einem entsprechenden städtebaurechtlichen Gebot der Gemeinde nach § 177 Abs. 1 BauGB beruhten. Da solche Anordnungen in der Praxis nur geringe Bedeutung besäßen, stehe der hoheitlichen Anordnung eines solchen Gebots ein dieses Gebot ersetzender städtebaulicher Vertrag gleich. Solche Verträge bedürften indes der Schriftform. Die hier zwischen dem Kläger und der Beklagten getroffenen mündlichen Absprachen über die Beseitigung von Missständen und Mängeln am Wohngebäude reichten daher nicht aus. Die Beklagte sei im Rahmen des Ermessens auch zutreffend davon ausgegangen, dass das öffentliche (fiskalische) Interesse an der Beseitigung nicht gerechtfertigter Steuerbegünstigungen das Vertrauen des Klägers in deren Fortbestand überwiege. Maßgebend hierfür sei der Umstand, dass die Baumaßnahmen zum Zeitpunkt der Erteilung der Bescheinigung bereits abgeschlossen gewesen seien. Zur Frage der wirtschaftlichen Bedeutung der Rücknahme der Bescheinigung habe der Kläger vor deren Erlass nichts vorgetragen. Im Übrigen gebe es auch keine konkreten Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger die Baumaßnahmen deshalb mit der Beklagten abgesprochen habe, um eine Steuervergünstigung zu erreichen. Dagegen spreche, dass die Beklagte in allen Fällen, in denen die Baumaßnahmen - wie hier - nicht mit Sanierungsmitteln bezuschusst worden seien, die Bescheinigung bis zum Erlass der Richtlinien vom 11.06.2001 nicht davon abhängig gemacht habe, dass ein Gebot oder ein städtebaulicher Vertrag vorgelegen habe. Auch aus den der Baugenehmigung beigefügten Nebenbestimmungen könne nicht hergeleitet werden, dass es eine Absprache gegeben habe. Denn diese Nebenbestimmungen seien ordnungsrechtlicher Natur. Die Jahresfrist für die Rücknahme sei gewahrt. Sie beginne erst zu laufen, wenn die Behörde die Rechtswidrigkeit erkannt habe und ihr die für die Rücknahmeentscheidung erheblichen Tatsachen vollständig bekannt seien. Zu den entscheidungserheblichen Tatsachen gehörten auch alle Umstände, die für die Beurteilung der Frage von Bedeutung seien, ob der Begünstigte in schutzwürdiger Weise auf den Bestand des Verwaltungsakts vertraut habe. Es könne offen bleiben, ob die Jahresfrist danach erst mit Ablauf der dem Kläger mit Schreiben vom 06.09.2004 gesetzten Frist für eine Stellungnahme zur geplanten Rücknahme zu laufen begonnen habe. Denn jedenfalls habe sie frühestens in dem Zeitpunkt begonnen, in dem das Regierungspräsidium Stuttgart als Rechtsaufsichtsbehörde die Beklagte mit Schreiben vom 18.08.2004 zur Rücknahme der Bescheinigung vom 13.11.1997 aufgefordert habe. Somit sei die Rücknahme mit Bescheid vom 15.03.2005 noch innerhalb der Jahresfrist erfolgt. Das Urteil wurde dem Kläger am 15.08.2006 zugestellt.
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Am 29.08.2006 hat der Kläger die vom Verwaltungsgericht zugelassene Berufung eingelegt. Er beantragt,
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das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 07. August 2006 - 16 K 2707/05 - zu ändern und den Rücknahmebescheid der Stadt Stuttgart vom 15. März 2005 sowie deren Widerspruchsbescheid vom 13. Juli 2005 aufzuheben.
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Er trägt zur Begründung vor: Die ihm erteilte Bescheinigung nach § 7h EStG sei nicht rechtswidrig. Der Gesetzgeber verweise in § 7h EStG nicht auf das Modernisierungs- und Instandsetzungsgebot nach § 177 Abs. 1 BauGB, sondern allein auf die in § 177 Abs. 2 und 3 BauGB umschriebenen Instandsetzungs- und Modernisierungsmaßnahmen. Zweck der Verweisung sei die Beschränkung der steuerlichen Begünstigung auf die städtebaulich, sozialpolitisch und denkmalpflegerisch erwünschte Beseitigung von Missständen und Mängeln. Für diese Auslegung spreche auch, dass Gebäudemodernisierungen in Sanierungsgebieten ohnehin stets aufgrund von Absprachen mit den Kommunen erfolgten, welche gemäß §§ 144, 145 BauGB die „Durchführungsverantwortung“ für die Gestaltung des Sanierungsgebiets und seiner Gebäude hätten, und zwar unabhängig davon, ob eine förmliche Modernisierungsvereinbarung getroffen worden sei oder nicht. Solche förmlichen Modernisierungsvereinbarungen seien nur dann notwendig, wenn die Kommune einen Zuschuss zu den Maßnahmen zahle. Auch nach Auffassung der Finanzverwaltung sei die Gewährung der Steuervergünstigung nicht daran geknüpft, dass ein solcher Zuschuss bezahlt worden sei. Aus der Regelung des § 7h Abs. 1 Satz 2 EStG sei nicht zu folgern, dass die Steuerbegünstigung nur im Falle einer vertraglichen Verpflichtung zur Vornahme von Modernisierungsmaßnahmen gegenüber der Gemeinde zu gewähren sei. Denn hier handle es sich um eine Erstreckung der Steuervergünstigung auf denkmalbezogene Maßnahmen, die über Maßnahmen zur Modernisierung hinausgingen und für die schon aus kompetenzrechtlichen Gründen von vornherein kein Modernisierungsgebot nach § 177 Abs. 1 BauGB in Betracht käme. Die hier in Rede stehenden Maßnahmen seien auch in Absprache mit der Beklagten durchgeführt worden. Vertreter des Amtes für Stadterneuerung der Beklagten hätten ihm zunächst die sanierungsrechtlichen Verpflichtungen und Möglichkeiten zur Modernisierung und Instandsetzung seines Wohngebäudes erläutert. Er habe daraufhin seine Bereitschaft hierzu bekundet. Die Vertreter der Beklagten hätten ihn zwar darauf hingewiesen, dass keine Kostenerstattung nach § 177 Abs. 4 BauGB erfolgen werde, hätten ihm indes zugesichert, die Bescheinigung nach § 7h EStG zu erteilen. Er habe die Ergebnisse des Gesprächs in seinem Baugesuch und seinem Antrag auf Erteilung der sanierungsrechtlichen Genehmigung absprachegemäß umgesetzt. Mit Erteilung der Baugenehmigung und der sanierungsrechtlichen Genehmigung habe die Beklagte zumindest konkludent die geplanten Baumaßnahmen gebilligt; zudem habe sie ausdrücklich gefordert, dass „Material und Farben der Balkone, des Vordachs der Garagentore und der Pergola sowie die Begrünung des Garagendaches mit der Stadt abzustimmen“ seien. Sein Antrag und die Bewilligung durch die Beklagte stellten somit der Sache nach eine schriftliche Modernisierungsabsprache dar. In einer gesondert formulierten Modernisierungsabsprache hätte nichts weiter geregelt werden können, zumal keine Kostenerstattung erfolgt sei. Auch vor diesem Hintergrund sei die Bescheinigung nach § 7h EStG zu Recht ergangen. Außerdem sei die Bescheinigung erst nach Ablauf der Jahresfrist zurückgenommen worden. Die Beklagte sei durch das Schreiben des Finanzamts Stuttgart III vom 30.07.2003 auf die Rechtswidrigkeit der Bescheinigung hingewiesen worden, habe diese jedoch erst mit Bescheid vom 15.03.2005 zurückgenommen. Sie könne sich nicht darauf berufen, dass sie diesen Rechtsstandpunkt erst auf der Grundlage der fachaufsichtlichen Weisung des Regierungspräsidiums akzeptiert habe. Denn sie hätte sich innerhalb eines Jahres nach dem Schreiben des Finanzamts Klarheit über die Rechtslage verschaffen müssen. Schließlich hätte die Bescheinigung auch deshalb nicht zurückgenommen werden dürfen, weil er auf deren Fortbestand habe vertrauen dürfen und dieses Vertrauen schutzwürdig gewesen sei. Er habe die Bauinvestitionen in vollem Vertrauen auf die von der Beklagten zugesagten Steuervergünstigungen nach § 7h EStG und in Absprache mit der Beklagten vorgenommen. Das fiskalische Interesse an der Beseitigung der Steuerbegünstigung wiege demgegenüber nicht schwer. Dabei sei zu berücksichtigen, dass bei Kenntnis der Rechtsauffassung der Finanzverwaltung eine förmliche Modernisierungsvereinbarung zwischen ihm und der Beklagten abgeschlossen worden wäre. Für die Jahre 1997 bis 1999 habe er die steuerliche Vergünstigungen erhalten; sie seien jedoch von der Finanzverwaltung wieder „zurückgefordert“ worden. Er habe gegen alle Steuerbescheide seit 1997 Einsprüche eingelegt, über die wegen des vorliegenden Verfahrens noch nicht entscheiden worden sei.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie erwidert: Die dem Kläger erteilte Bescheinigung nach § 7h EStG sei von Anfang an rechtswidrig gewesen. § 7h Abs. 1 Satz 1 EStG verweise nach seinem Wortlaut auf die gesamte Vorschrift des § 177 BauGB und damit auch auf Abs. 1, in dem der Erlass von Modernisierungs- und Instandsetzungsgeboten geregelt sei. Zwar stehe der hoheitlichen Anordnung eines solchen Gebotes eine schriftliche Modernisierungsvereinbarung gleich, in der sich der Eigentümer gegenüber der Gemeinde verpflichte, im einzelnen umschriebene Maßnahmen zur Behebung von Missständen und Mängeln vorzunehmen. Die schriftliche Antragstellung des Klägers und die schriftliche Genehmigung der Baumaßnahmen erfüllten diese Voraussetzungen nicht. Die Jahresfrist habe erst mit Aufforderung des Regierungspräsidiums zur Rücknahme der Bescheinigung mit Schreiben vom 18.08.2004 zu laufen begonnen, weil der Behörde erst zu diesem Zeitpunkt die Rechtswidrigkeit derselben bewusst geworden sei. Das öffentliche Interesse in Gestalt des Interesses an der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und der Beseitigung ungerechtfertigter Steuervergünstigungen überwiege das Vertrauen des Klägers in den Fortbestand der ihm erteilten Bescheinigung. Auch gebe es kein milderes Mittel, um die Bindung der Finanzbehörden an die Bescheinigung als Grundlagenbescheid für die Gewährung der Steuervergünstigung zu beseitigen und rechtmäßige Zustände herzustellen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Senatsakten sowie die Akten des Verwaltungsgerichts und der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

 
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Die Berufung ist nach Zulassung durch das Verwaltungsgericht statthaft und auch sonst zulässig. Sie ist auch begründet. Das Verwaltungsgericht hätte den Bescheid der Beklagten vom 15.03.2005 über die Rücknahme der dem Kläger nach § 7h Abs. 2 Satz 1 EStG erteilten Bescheinigung und deren Widerspruchsbescheid vom 13.07.2005 aufheben müssen, weil sie rechtswidrig sind und den Kläger in seinen Rechten verletzen (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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Allerdings teilt der Senat die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass die § 7h-Bescheinigung vom 13.11.1997 rechtswidrig ist. Denn sie bestätigt zu Unrecht - mit Bindungswirkung gegenüber dem Finanzamt -, dass die vom Kläger an seinem Gebäude ... ... durchgeführten Modernisierungsmaßnahmen die Voraussetzungen des § 7h Abs. 1 Satz 1 EStG erfüllen. Nach dieser Vorschrift können bei Gebäuden in Sanierungsgebieten erhöhte Absetzungen von den Herstellungskosten für Modernisierungs- und Instandsetzungsmaßnahmen im Sinne des § 177 BauGB vorgenommen werden. Entgegen der Auffassung des Klägers ist § 7h Abs. 1 Satz 1 EStG nicht einschränkend dahingehend auszulegen, dass die Voraussetzungen für die steuerliche Förderung bereits dann gegeben sind, wenn am Gebäude Mängel oder Missstände im Sinne des § 177 Abs. 2 und 3 BauGB vorlagen und diese behoben wurden. Denn § 7h Abs. 1 Satz 1 EStG verweist nach seinem Wortlaut auf die Vorschrift des § 177 BauGB im Ganzen und damit auch auf dessen Absatz 1, der die Gemeinden ermächtigt, die Modernisierung und Instandsetzung von Gebäuden in Sanierungsgebieten durch entsprechende Anordnungen durchzusetzen. Anstelle solcher Gebote schließen die Gemeinden in der Praxis meist städtebauliche Verträge nach § 11 BauGB mit den Eigentümern, in denen diese sich zur Durchführung näher bestimmter Modernisierungs- und Instandsetzungsmaßnahmen verpflichten (vgl. Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 8. Aufl., § 177 Rn. 21). Diese Vorgehensweise trägt dem Kooperationsgedanken Rechnung, von dem das Sanierungsrecht geprägt ist (vgl. § 175 Abs. 1 BauGB), und erfüllt daher ebenfalls die Voraussetzungen für eine steuerliche Förderung (vgl. Einkommenssteuerrichtlinien 2005, BStBl. I Sondernr. 1 R 7h (6); Gemeinsame Bekanntmachung des Wirtschaftsministeriums und des Finanzministeriums vom 11.06.2001 - Bescheinigungsrichtlinie - GABl. 2001, 793, TZ 3.1; vgl. auch BFH, Beschluss vom 06.12.2002 - 9 B 109/02 -, BFH/NV 2003, 469). Demgegenüber stellen freiwillige Modernisierungs- und Instandsetzungsmaßnahmen auch dann keine Maßnahmen im Sinne des § 7h Abs. 1 Satz 1 EStG dar, wenn sie in Absprache mit der Gemeinde erfolgen und der Beseitigung von Mängeln und Missständen im Sinne von § 177 Abs. 2 und 3 BauGB dienen, sondern nur dann, wenn sie auf der Grundlage eines Gebots nach § 177 Abs. 1 BauGB oder einer vertraglichen Verpflichtung gegenüber der Gemeinde durchgeführt wurden. Der Senat schließt sich damit der bislang von der obergerichtlichen Rechtsprechung und Kommentarliteratur vertretenen Auffassung an (vgl. OVG Niedersachsen, Urteil vom 24.04.1997 - 6 L 2067/96 - und OVG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 08.06.2004 - 3 L 64/02 -, NVwZ 2005, 835; Blümich, EStG, Bd. 1, § 7h Rn. 23 f.; Kirchhof, EStG, 2001, § 7h RdNr. 3; Schmidt, EStG, 25. Aufl. § 7h Rn. 3).
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Für diese Auffassung spricht neben der uneingeschränkten Verweisung auf § 177 BauGB in § 7h Abs. 1 Satz 1 EStG auch Satz 2 dieser Vorschrift, welcher die steuerliche Förderung auf denkmalbezogene Maßnahmen unter der Voraussetzung erstreckt, dass sich der Eigentümer hierzu gegenüber der Gemeinde verpflichtet hat. Eine entsprechende ausdrückliche Regelung ist hinsichtlich der sanierungsbezogenen Modernisierungs- und Instandsetzungsmaßnahmen entbehrlich, weil deren verpflichtender Charakter bereits durch die umfassende Verweisung auf § 177 BauGB - und damit auch auf dessen Absatz 1 - in § 7h Abs. 1 Satz 1 EStG zur Voraussetzung für die steuerliche Begünstigung gemacht wird. Demgegenüber ermächtigt § 177 BauGB nicht zur Anordnung städtebaulicher Gebote hinsichtlich der in § 7h Abs. 1 Satz 2 EStG genannten denkmalbezogenen Maßnahmen. Dieser Auslegung kann auch nicht entgegen gehalten werden, dass sich freiwillige Modernisierungsmaßnahmen, die in Absprache mit der Gemeinde realisiert werden, nicht von den auf Grundlage vertraglicher Verpflichtungen durchzuführenden Maßnahmen unterscheiden, wie der Kläger meint. Abgesehen davon, dass die Gemeinden keine Möglichkeit haben, mündliche Absprachen über Modernisierungsmaßnahmen gegebenenfalls zwangsweise durchzusetzen, kann vom Eigentümer nur dann verlangt werden, sich vertraglich zur Durchführung im einzelnen bezeichneter Modernisierungsmaßnahmen in einem bestimmten Zeitraum (vgl. § 177 Abs. 1 Satz 3 BauGB) als Ersatz für eine ansonsten mögliche einseitige Anordnung von Geboten nach § 177 Abs. 1 BauGB (vgl. Battis/Krautzberger/Löhr, a.a.O., § 177 Rn. 34) zu verpflichten, wenn gemäß § 175 Abs. 2 BauGB die alsbaldige Durchführung der Maßnahmen aus städtebaulichen Gründen erforderlich ist. Mit der Anknüpfung der steuerlichen Begünstigung an Modernisierungsmaßnahmen verpflichtenden Charakters wird daher zugleich erreicht, dass diese auf Maßnahmen mit städtebaulicher Dringlichkeit beschränkt wird. Hier hat der Kläger die Modernisierungsmaßnahmen nicht aufgrund einer vertraglichen Verpflichtung gegenüber der Beklagten, sondern freiwillig durchgeführt. Daran ändert nichts, dass er sie unter Beachtung mündlicher Absprachen mit Mitarbeitern der Beklagten gemäß der ihm erteilten Baugenehmigung und der darin enthaltenen sanierungsrechtlichen Auflagen realisiert hat. Denn hierzu war der Kläger nicht verpflichtet. Somit ist die ihm erteilte Bescheinigung rechtswidrig.
25 
Die Rücknahme der Bescheinigung mit Bescheid vom 15.03.2005 erfolgte jedoch nicht innerhalb der Rücknahmefrist nach § 48 Abs. 4 LVwVfG und ist daher ihrerseits rechtswidrig.
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Nach dieser Vorschrift ist die Rücknahme ab dem Zeitpunkt, in dem die Behörde von Tatsachen Kenntnis erhält, welche die Rücknahme des rechtswidrigen Verwaltungsakts rechtfertigen, nur innerhalb eines Jahres zulässig. Die Jahresfrist beginnt, sobald die Rücknahmebehörde die Rechtswidrigkeit des erlassenen Verwaltungsakts erkannt hat und ihr die für die Rücknahmeentscheidung außerdem erheblichen Tatsachen vollständig bekannt sind. Dazu gehören die Umstände, deren Kenntnis es der Behörde objektiv ermöglicht, ohne weitere Sachaufklärung unter sachgerechter Ausübung ihres Ermessens über die Rücknahme zu entscheiden. Denn § 48 Abs. 4 LVwVfG ist nicht im Sinne einer „Bearbeitungsfrist“ zu verstehen, die mit der Kenntnis der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes zu laufen beginnt und der Behörde ein Jahr Zeit lässt, um hinsichtlich des Vorliegens der weiteren Rücknahmevoraussetzungen Entscheidungsreife herbeizuführen. Eine solche „Bearbeitungsfrist“ wäre nicht sachgerecht, weil es nicht allein vom Willen der Behörde abhängt, ob die Sache in diesem Zeitraum tatsächlich entscheidungsreif gemacht werden kann; vielmehr kann sich die Aufklärung der entscheidungserheblichen Tatsachen aus den unterschiedlichsten Gründen verzögern (zum Beispiel Zeugenvernehmung oder Einholung von Sachverständigengutachten). Nach Sinn und Zweck der Regelung handelt es sich daher um eine „Entscheidungsfrist“, die grundsätzlich mit dem Zeitpunkt des Eintritts der Entscheidungsreife zu laufen beginnt (grundlegend BVerwG Großer Senat, Beschl. vom 19.12.1984 - GrSen 1.84, GrSen 2.84 -, BVerwGE 70, 356; vgl. auch Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 6. Aufl., § 48 Rn. 219 ff.). Hingegen vermag ein auf die weiteren Rücknahmevoraussetzungen bezogener Rechtsirrtum der Behörde - anders als ein Rechtsirrtum in Bezug auf die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts - den Fristbeginn nicht zu hindern. Denn andernfalls wäre die Entscheidungsreife abhängig von der rechtlichen Erkenntnisfähigkeit der handelnden Behörde; je geringer diese ausgeprägt ist, desto großzügiger wäre die zur Verfügung stehende Rücknahmefrist. Eine solche Auslegung wäre nicht vereinbar mit dem Zweck der Jahresfrist, Rechtssicherheit hinsichtlich des Bestandes von Verwaltungsakten herbeizuführen. Sie würde ferner die in § 48 Abs. 4 LVwVfG normierte Beschränkung der Kenntnis auf „Tatsachen“ „ins Leere laufen“ lassen (vgl. BVerwG, Urt. vom 05.08.1996 - 5 C 6.95 -, NWVBl. 1997, 293 unter Hinweis darauf, dass ein Rechtsirrtum über die Erforderlichkeit von Ermessenserwägungen den Beginn der Jahresfrist nicht hinausschiebt mit der Folge, dass ein Rücknahmebescheid, welcher einen fristgerecht erlassenen ersten Rücknahmebescheid ersetzt, verfristet sein kann; vgl. auch BVerwG, Urt. vom 19.12.1995 - 5 C 10.94 -, BVerwGE 100, 199; ebenso mit eingehender Begründung BSG, Urt. vom 27.07.1989 - 11/7 RAr 115/87 -, BSGE 65, 221 und Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 46 Rn. 141). Ausgehend davon wurde die dem Kläger erteilte Bescheinigung nach § 7h EStG erst nach Ablauf der Ausschlussfrist des § 48 Abs. 4 LVwVfG zurückgenommen.
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Der Irrtum der Beklagten über die Rechtmäßigkeit ihrer Praxis, Bescheinigungen nach § 7h EStG auch bei freiwilligen Modernisierungsmaßnahmen ohne konkrete vertragliche Verpflichtungen auszustellen, war nach eigenem Bekunden mit Bekanntmachung der verbindlichen Vorgaben zur Auslegung und Anwendung unter anderem des § 7h EStG in der Bescheinigungsrichtlinie des Wirtschafts- und Finanzministeriums vom 11.06.2001 (a.a.O.) behoben. Bezogen auf das vorliegende Verfahren war der entsprechende Rechtsirrtum bei der zuständigen Behörde spätestens im November 2003 entfallen. Denn das Amt für Stadtplanung und Stadterneuerung hat im Rahmen des Remonstrationsverfahrens, das der streitgegenständlichen Rücknahme vorangegangen war, mit Schreiben vom 28.11.2003 gegenüber dem Finanzamt Stuttgart III ausdrücklich angegeben, ihm sei aufgrund der Bescheinigungsrichtlinie bewusst geworden, dass die Begünstigung nach § 7h EStG eine konkrete vertragliche Vereinbarung zwischen Eigentümer und Gemeinde voraussetze. Damit hat die zuständige Behörde zu erkennen gegeben, dass sie nunmehr von der Rechtswidrigkeit ihrer früheren Verwaltungspraxis ausgeht. Zwar hat das Amt für Stadtplanung und Stadterneuerung in diesem Schreiben weiter ausgeführt, dass es sich - gleichwohl - außerstande sehe, die dem Kläger erteilte Bescheinigung zurückzunehmen, weil bis zum Erlass der Bescheinigungsrichtlinie keine konkreten vertraglichen Vereinbarungen zwischen Eigentümer und Stadt abgeschlossen worden seien und diese - auch bei anderen Gemeinden übliche - Vorgehensweise von der Finanzbehörde bis dahin akzeptiert worden sei. Diese Aussage relativiert jedoch nicht die zuvor geäußerte Feststellung zur Rechtswidrigkeit der früheren Verwaltungspraxis in Bezug auf die dem Kläger erteilte Bescheinigung. Denn mit der Bescheinigungsrichtlinie hinsichtlich der Frage der Notwendigkeit konkreter vertraglicher Modernisierungspflichten sind nicht etwa Konsequenzen aus einer Rechtsänderung gezogen worden. Vielmehr ist der steuerrechtliche Begünstigungstatbestand hinsichtlich der umfassenden Verweisung auf § 177 BauGB seit Erteilung der Bescheinigung im November 1997 unverändert geblieben. Damit war für die Beklagte klar, dass auch die Praxis vor Erlass der Bescheinigungsrichtlinie rechtswidrig gewesen war. Ihre Annahme, die dem Kläger erteilte Bescheinigung trotz erkannter Rechtswidrigkeit nicht zurücknehmen zu können, bezieht sich daher auf das Fehlen weiterer Rücknahmevoraussetzungen. Offenbar war sie der Auffassung, dass ein Vertrauenstatbestand vorliege, hinter dem das öffentliche Interesse an der Rücknahme zurücktreten müsse; an dieser Rechtsauffassung hat sie dann in der Folgezeit festgehalten, bis sie vom Regierungspräsidium mit Schreiben vom 18.08.2004 zur Rücknahme der dem Kläger erteilten Bescheinigung angewiesen wurde. Wie ausgeführt, kommt es daher für den Beginn der Rücknahmefrist nicht darauf an, ob die zuständige Behörde hinsichtlich solcher weiterer Rücknahmevoraussetzungen einem Rechtsirrtum unterlegen ist oder nicht.
28 
Im vorliegenden Fall begann nach alledem die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 LVwVfG Ende November 2003 zu laufen, als das Amt für Stadtplanung bezogen auf das konkrete Verfahren (spätestens) Kenntnis von der Rechtswidrigkeit der Bescheinigung erlangt und zugleich angenommen hat, die weiteren Rücknahmevoraussetzungen lägen nicht vor. Dies hat zur Folge, dass die „Entscheidungsfrist“ des § 48 Abs. 4 LVwVfG bei Erlass des Rücknahmebescheids am 15. März 2005 bereits abgelaufen war. Zwar trifft die von der Beklagten zunächst vertretene Auffassung, die vor Erlass der Bescheinigungsrichtlinie rechtswidrig erteilten Bescheinigungen könnten mit Blick auf die damalige, von der Finanzverwaltung akzeptierte Praxis generell nicht zurückgenommen werden, nicht zu; vielmehr war dies von einer einzelfallbezogenen Würdigung insbesondere unter Vertrauensschutzgesichtspunkten abhängig. Auch spricht viel dafür, dass bei zutreffender Anwendung der Rücknahmevoraussetzungen der Sachverhalt im Zeitpunkt der Kenntnis der Rechtswidrigkeit der Bescheinigung noch nicht hinreichend geklärt war. Insbesondere war der zuständigen Behörde damals noch nicht bekannt, ob der Kläger die ihm bereits gewährten Steuervergünstigungen im Sinne des § 48 Abs. 2 Satz 2 LVwVfG verbraucht hat (vgl. BVerwG, Urteil vom 18.04.1997 - 3 C 3.95 -, BVerwGE 104, 289 zur Anwendbarkeit des § 48 Abs. 2 VwVfG auf Verwaltungsakte, die Grundlage für eine bezifferbare Steuerverschonung sind; vgl. BVerwG, Urteil vom 28.01.1993 - 2 C 15.91 -, DVBl. 1993, 947 zum Leistungsverbrauch). Ein solcher Klärungsbedarf hindert jedoch den Fristbeginn hier nicht. Denn mit Blick auf den Zweck der Ausschlussfrist des § 48 Abs. 4 LVwVfG als „Entscheidungsfrist“ kommt es allein darauf an, ob a u s S i c h t d e r B e h ö r d e Entscheidungsreife gegeben ist. Hat diese - wie hier - zu erkennen gegeben, dass sie eine Rücknahme des rechtswidrigen Verwaltungsakts von vornherein - ohne Klärung konkreter Vertrauensschutzaspekte - für unzulässig hält, beginnt die Jahresfrist auch dann zu laufen, wenn diese Rechtsauffassung unzutreffend ist und eine Rücknahme bei hinreichender Aufklärung des Sachverhalts in Betracht kommt. Denn ein auf die weiteren Rücknahmevoraussetzungen bezogener Rechtsirrtum hat - wie oben dargelegt - keine fristhemmende Wirkung. Käme es für die Frage der Entscheidungsreife nicht auf die Rechtsauffassung der Rücknahmebehörde, sondern auf die zutreffende Anwendung der Rücknahmevoraussetzungen an, wäre es von den Rechtskenntnissen der Behörde abhängig, ob und wann sie die zur Herbeiführung der Entscheidungsreife notwendige Sachaufklärung vornimmt. Die zur Verfügung stehende Rücknahmefrist wäre also um so länger bemessen, je geringer die Rechtskenntnisse der jeweiligen Behörde sind. Dies wäre aber mit dem Zweck der Jahresfrist, Rechtssicherheit und Rechtsklarheit im Hinblick auf den Bestand von Verwaltungsakten zu gewährleisten, nicht zu vereinbaren. Im Übrigen läge auch treuwidriges Verhalten vor, wenn sich eine Rücknahmebehörde, die zu erkennen gegeben hatte, dass aus ihrer Sicht Entscheidungsreife vorlag, später hinsichtlich des Fristablaufs auf die Notwendigkeit weiterer Sachaufklärung beriefe. Somit beginnt die Jahresfrist zu laufen, wenn der Behörde alle Tatsachen bekannt sind, die nach ihrer Rechtsauffassung für die Entscheidung über eine Rücknahme des - als rechtswidrig erkannten - Verwaltungsakts erheblich sind. Wie ausgeführt, bestand hier für die Beklagte im Zeitpunkt der Kenntnis der Rechtswidrigkeit der Bescheinigung kein Anlass für weitere Sachaufklärung, weil sie deren Rücknahme unabhängig von den konkreten Einzelfallumständen für unzulässig hielt, so dass die Jahresfrist (spätestens) im November 2003 zu laufen begann.
29 
Die Beklagte ist schließlich auch in der Folgezeit bis zum Ablauf der Jahresfrist davon ausgegangen, dass sie ohne weitere Sachverhaltsaufklärung über die Frage einer Rücknahme der Bescheinigung entscheiden könne. Das Schreiben des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 18.08.2004, mit dem sie zur Rücknahme der dem Kläger erteilten Bescheinigung angewiesen wurde, hat daran nichts geändert. Denn diese Weisung wurde nicht von einer Würdigung der Einzelfallumstände abhängig gemacht, sondern galt unbedingt. Dementsprechend finden sich im Rücknahmebescheid und im Widerspruchsbescheid der Beklagten auch keine auf die konkreten Umstände bezogenen Ermessenserwägungen. Die Anhörung des Klägers mit Schreiben vom 07.09.2004 im Anschluss an die Weisung des Regierungspräsidiums stellt sich vor diesem Hintergrund lediglich als formelle Wahrung des rechtlichen Gehörs dar und war nicht auf weitere Sachaufklärung gerichtet.
30 
Unabhängig davon ist die Rücknahme der Bescheinigung auch wegen fehlender Ermessenserwägungen rechtswidrig. Im Rücknahmebescheid der Beklagten vom 15.03.2005 und in deren Widerspruchsbescheid vom 13.07.2005 wird zwar ausgeführt, dass das Interesse des Klägers an der Aufrechterhaltung der Bescheinigung gegenüber dem Interesse am rechtmäßigen Verwaltungshandeln zurücktreten müsse. Als Begründung wird jedoch lediglich angegeben, dass es kein „milderes Mittel“ gebe, um den rechtswidrigen Bescheid und damit die Bindung des Finanzamts an die Bescheinigung des Vorliegens der Voraussetzungen für die steuerliche Begünstigung zu beseitigen. Für die Rücknahmeentscheidung war demnach allein ausschlaggebend, dass die Bindung der Finanzverwaltung an die Bescheinigung als Grundlagenbescheid für die steuerliche Begünstigung nicht auf andere Weise aufgehoben werden kann; auf eine konkrete Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse am rechtmäßigen Verwaltungshandeln und dem privaten Interesse des Klägers an der Aufrechterhaltung der steuerlichen Begünstigung kam es der Beklagten erkennbar nicht an.
31 
Dieser „Nichtgebrauch“ des Ermessens ist mit § 48 LVwVfG nicht vereinbar. Gemäß § 48 Abs. 2 Satz 1 LVwVfG ist die Vorschrift auch auf solche Verwaltungsakte anzuwenden, die - wie hier die Bescheinigung nach § 7h EStG -Voraussetzung für die Gewährung von Geldleistungen sind. Das Rücknahmeermessen ist demnach nicht erst von der Finanzverwaltung im Rahmen der Entscheidung darüber auszuüben, ob bereits gewährte steuerliche Vergünstigungen zurückgefordert werden sollen. Davon abgesehen stellt die Bescheinigung auch die Grundlage für die Bewilligung noch nicht gewährter steuerlicher Vergünstigungen dar. Hier bestand auch Anlass, den konkreten Sachverhalt im Rahmen der Ermessensausübung zu würdigen. Das gilt einmal mit Blick auf das öffentliche Interesse an der Beseitigung zu Unrecht erlangter Steuerbegünstigungen. Dessen Gewicht hängt u.a. wesentlich davon ab, ob bei Kenntnis der zutreffenden Auslegung des § 7h Abs. 1 Satz 1 EStG eine verpflichtende Modernisierungsvereinbarung über die abgesprochenen und tatsächlich auch ausgeführten baulichen Maßnahmen getroffen worden wäre. In diesem Fall wären die vom Kläger vorgenommenen Modernisierungsmaßnahmen der Sache nach steuerlich förderungswürdig gewesen, was den fehlenden Vertragsschluss im Nachhinein als eher formalen Mangel erscheinen ließe und das Gewicht des fiskalischen Interesses minderte. Ferner hat der Kläger angegeben, dass er die Modernisierungsmaßnahme nur deshalb durchgeführt habe, weil Mitarbeiter der Beklagten ihm die Erteilung der Bescheinigung nach § 7h EStG mündlich zugesichert hätten. Dieser Umstand kann zwar nicht mit den in § 48 Abs. 2 LVwVfG genannten Vertrauenstatbeständen gleichgesetzt werden, welche eine Rücknahme begünstigender Verwaltungsakte ausschließen; für die ermessensgerechte Berücksichtigung des Vertrauensschutzes ist er aber durchaus von Belang. Schließlich war nicht im verwaltungsgerichtlichen Verfahren zu klären, ob die eben genannten ermessensrelevanten Umstände vorliegen. Denn die Beklagte hat diesbezüglich überhaupt keine Ermessenserwägungen angestellt. Das Gericht kann jedoch eine unterbliebene Ermessensausübung nicht anstelle der Behörde nachholen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 14.08.1989 - 4 NB 24.88 -, DVBl. 1989, 1105 m.w.N.).
32 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
33 
Die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
34 
Beschluss
vom 03. April 2007
35 
Der Streitwert wird gemäß § 52 Abs. 1 GKG auf 50.000,-- EUR festgesetzt.
36 
Der Beschluss ist unanfechtbar.

Gründe

 
22 
Die Berufung ist nach Zulassung durch das Verwaltungsgericht statthaft und auch sonst zulässig. Sie ist auch begründet. Das Verwaltungsgericht hätte den Bescheid der Beklagten vom 15.03.2005 über die Rücknahme der dem Kläger nach § 7h Abs. 2 Satz 1 EStG erteilten Bescheinigung und deren Widerspruchsbescheid vom 13.07.2005 aufheben müssen, weil sie rechtswidrig sind und den Kläger in seinen Rechten verletzen (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
23 
Allerdings teilt der Senat die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass die § 7h-Bescheinigung vom 13.11.1997 rechtswidrig ist. Denn sie bestätigt zu Unrecht - mit Bindungswirkung gegenüber dem Finanzamt -, dass die vom Kläger an seinem Gebäude ... ... durchgeführten Modernisierungsmaßnahmen die Voraussetzungen des § 7h Abs. 1 Satz 1 EStG erfüllen. Nach dieser Vorschrift können bei Gebäuden in Sanierungsgebieten erhöhte Absetzungen von den Herstellungskosten für Modernisierungs- und Instandsetzungsmaßnahmen im Sinne des § 177 BauGB vorgenommen werden. Entgegen der Auffassung des Klägers ist § 7h Abs. 1 Satz 1 EStG nicht einschränkend dahingehend auszulegen, dass die Voraussetzungen für die steuerliche Förderung bereits dann gegeben sind, wenn am Gebäude Mängel oder Missstände im Sinne des § 177 Abs. 2 und 3 BauGB vorlagen und diese behoben wurden. Denn § 7h Abs. 1 Satz 1 EStG verweist nach seinem Wortlaut auf die Vorschrift des § 177 BauGB im Ganzen und damit auch auf dessen Absatz 1, der die Gemeinden ermächtigt, die Modernisierung und Instandsetzung von Gebäuden in Sanierungsgebieten durch entsprechende Anordnungen durchzusetzen. Anstelle solcher Gebote schließen die Gemeinden in der Praxis meist städtebauliche Verträge nach § 11 BauGB mit den Eigentümern, in denen diese sich zur Durchführung näher bestimmter Modernisierungs- und Instandsetzungsmaßnahmen verpflichten (vgl. Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 8. Aufl., § 177 Rn. 21). Diese Vorgehensweise trägt dem Kooperationsgedanken Rechnung, von dem das Sanierungsrecht geprägt ist (vgl. § 175 Abs. 1 BauGB), und erfüllt daher ebenfalls die Voraussetzungen für eine steuerliche Förderung (vgl. Einkommenssteuerrichtlinien 2005, BStBl. I Sondernr. 1 R 7h (6); Gemeinsame Bekanntmachung des Wirtschaftsministeriums und des Finanzministeriums vom 11.06.2001 - Bescheinigungsrichtlinie - GABl. 2001, 793, TZ 3.1; vgl. auch BFH, Beschluss vom 06.12.2002 - 9 B 109/02 -, BFH/NV 2003, 469). Demgegenüber stellen freiwillige Modernisierungs- und Instandsetzungsmaßnahmen auch dann keine Maßnahmen im Sinne des § 7h Abs. 1 Satz 1 EStG dar, wenn sie in Absprache mit der Gemeinde erfolgen und der Beseitigung von Mängeln und Missständen im Sinne von § 177 Abs. 2 und 3 BauGB dienen, sondern nur dann, wenn sie auf der Grundlage eines Gebots nach § 177 Abs. 1 BauGB oder einer vertraglichen Verpflichtung gegenüber der Gemeinde durchgeführt wurden. Der Senat schließt sich damit der bislang von der obergerichtlichen Rechtsprechung und Kommentarliteratur vertretenen Auffassung an (vgl. OVG Niedersachsen, Urteil vom 24.04.1997 - 6 L 2067/96 - und OVG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 08.06.2004 - 3 L 64/02 -, NVwZ 2005, 835; Blümich, EStG, Bd. 1, § 7h Rn. 23 f.; Kirchhof, EStG, 2001, § 7h RdNr. 3; Schmidt, EStG, 25. Aufl. § 7h Rn. 3).
24 
Für diese Auffassung spricht neben der uneingeschränkten Verweisung auf § 177 BauGB in § 7h Abs. 1 Satz 1 EStG auch Satz 2 dieser Vorschrift, welcher die steuerliche Förderung auf denkmalbezogene Maßnahmen unter der Voraussetzung erstreckt, dass sich der Eigentümer hierzu gegenüber der Gemeinde verpflichtet hat. Eine entsprechende ausdrückliche Regelung ist hinsichtlich der sanierungsbezogenen Modernisierungs- und Instandsetzungsmaßnahmen entbehrlich, weil deren verpflichtender Charakter bereits durch die umfassende Verweisung auf § 177 BauGB - und damit auch auf dessen Absatz 1 - in § 7h Abs. 1 Satz 1 EStG zur Voraussetzung für die steuerliche Begünstigung gemacht wird. Demgegenüber ermächtigt § 177 BauGB nicht zur Anordnung städtebaulicher Gebote hinsichtlich der in § 7h Abs. 1 Satz 2 EStG genannten denkmalbezogenen Maßnahmen. Dieser Auslegung kann auch nicht entgegen gehalten werden, dass sich freiwillige Modernisierungsmaßnahmen, die in Absprache mit der Gemeinde realisiert werden, nicht von den auf Grundlage vertraglicher Verpflichtungen durchzuführenden Maßnahmen unterscheiden, wie der Kläger meint. Abgesehen davon, dass die Gemeinden keine Möglichkeit haben, mündliche Absprachen über Modernisierungsmaßnahmen gegebenenfalls zwangsweise durchzusetzen, kann vom Eigentümer nur dann verlangt werden, sich vertraglich zur Durchführung im einzelnen bezeichneter Modernisierungsmaßnahmen in einem bestimmten Zeitraum (vgl. § 177 Abs. 1 Satz 3 BauGB) als Ersatz für eine ansonsten mögliche einseitige Anordnung von Geboten nach § 177 Abs. 1 BauGB (vgl. Battis/Krautzberger/Löhr, a.a.O., § 177 Rn. 34) zu verpflichten, wenn gemäß § 175 Abs. 2 BauGB die alsbaldige Durchführung der Maßnahmen aus städtebaulichen Gründen erforderlich ist. Mit der Anknüpfung der steuerlichen Begünstigung an Modernisierungsmaßnahmen verpflichtenden Charakters wird daher zugleich erreicht, dass diese auf Maßnahmen mit städtebaulicher Dringlichkeit beschränkt wird. Hier hat der Kläger die Modernisierungsmaßnahmen nicht aufgrund einer vertraglichen Verpflichtung gegenüber der Beklagten, sondern freiwillig durchgeführt. Daran ändert nichts, dass er sie unter Beachtung mündlicher Absprachen mit Mitarbeitern der Beklagten gemäß der ihm erteilten Baugenehmigung und der darin enthaltenen sanierungsrechtlichen Auflagen realisiert hat. Denn hierzu war der Kläger nicht verpflichtet. Somit ist die ihm erteilte Bescheinigung rechtswidrig.
25 
Die Rücknahme der Bescheinigung mit Bescheid vom 15.03.2005 erfolgte jedoch nicht innerhalb der Rücknahmefrist nach § 48 Abs. 4 LVwVfG und ist daher ihrerseits rechtswidrig.
26 
Nach dieser Vorschrift ist die Rücknahme ab dem Zeitpunkt, in dem die Behörde von Tatsachen Kenntnis erhält, welche die Rücknahme des rechtswidrigen Verwaltungsakts rechtfertigen, nur innerhalb eines Jahres zulässig. Die Jahresfrist beginnt, sobald die Rücknahmebehörde die Rechtswidrigkeit des erlassenen Verwaltungsakts erkannt hat und ihr die für die Rücknahmeentscheidung außerdem erheblichen Tatsachen vollständig bekannt sind. Dazu gehören die Umstände, deren Kenntnis es der Behörde objektiv ermöglicht, ohne weitere Sachaufklärung unter sachgerechter Ausübung ihres Ermessens über die Rücknahme zu entscheiden. Denn § 48 Abs. 4 LVwVfG ist nicht im Sinne einer „Bearbeitungsfrist“ zu verstehen, die mit der Kenntnis der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes zu laufen beginnt und der Behörde ein Jahr Zeit lässt, um hinsichtlich des Vorliegens der weiteren Rücknahmevoraussetzungen Entscheidungsreife herbeizuführen. Eine solche „Bearbeitungsfrist“ wäre nicht sachgerecht, weil es nicht allein vom Willen der Behörde abhängt, ob die Sache in diesem Zeitraum tatsächlich entscheidungsreif gemacht werden kann; vielmehr kann sich die Aufklärung der entscheidungserheblichen Tatsachen aus den unterschiedlichsten Gründen verzögern (zum Beispiel Zeugenvernehmung oder Einholung von Sachverständigengutachten). Nach Sinn und Zweck der Regelung handelt es sich daher um eine „Entscheidungsfrist“, die grundsätzlich mit dem Zeitpunkt des Eintritts der Entscheidungsreife zu laufen beginnt (grundlegend BVerwG Großer Senat, Beschl. vom 19.12.1984 - GrSen 1.84, GrSen 2.84 -, BVerwGE 70, 356; vgl. auch Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 6. Aufl., § 48 Rn. 219 ff.). Hingegen vermag ein auf die weiteren Rücknahmevoraussetzungen bezogener Rechtsirrtum der Behörde - anders als ein Rechtsirrtum in Bezug auf die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts - den Fristbeginn nicht zu hindern. Denn andernfalls wäre die Entscheidungsreife abhängig von der rechtlichen Erkenntnisfähigkeit der handelnden Behörde; je geringer diese ausgeprägt ist, desto großzügiger wäre die zur Verfügung stehende Rücknahmefrist. Eine solche Auslegung wäre nicht vereinbar mit dem Zweck der Jahresfrist, Rechtssicherheit hinsichtlich des Bestandes von Verwaltungsakten herbeizuführen. Sie würde ferner die in § 48 Abs. 4 LVwVfG normierte Beschränkung der Kenntnis auf „Tatsachen“ „ins Leere laufen“ lassen (vgl. BVerwG, Urt. vom 05.08.1996 - 5 C 6.95 -, NWVBl. 1997, 293 unter Hinweis darauf, dass ein Rechtsirrtum über die Erforderlichkeit von Ermessenserwägungen den Beginn der Jahresfrist nicht hinausschiebt mit der Folge, dass ein Rücknahmebescheid, welcher einen fristgerecht erlassenen ersten Rücknahmebescheid ersetzt, verfristet sein kann; vgl. auch BVerwG, Urt. vom 19.12.1995 - 5 C 10.94 -, BVerwGE 100, 199; ebenso mit eingehender Begründung BSG, Urt. vom 27.07.1989 - 11/7 RAr 115/87 -, BSGE 65, 221 und Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 46 Rn. 141). Ausgehend davon wurde die dem Kläger erteilte Bescheinigung nach § 7h EStG erst nach Ablauf der Ausschlussfrist des § 48 Abs. 4 LVwVfG zurückgenommen.
27 
Der Irrtum der Beklagten über die Rechtmäßigkeit ihrer Praxis, Bescheinigungen nach § 7h EStG auch bei freiwilligen Modernisierungsmaßnahmen ohne konkrete vertragliche Verpflichtungen auszustellen, war nach eigenem Bekunden mit Bekanntmachung der verbindlichen Vorgaben zur Auslegung und Anwendung unter anderem des § 7h EStG in der Bescheinigungsrichtlinie des Wirtschafts- und Finanzministeriums vom 11.06.2001 (a.a.O.) behoben. Bezogen auf das vorliegende Verfahren war der entsprechende Rechtsirrtum bei der zuständigen Behörde spätestens im November 2003 entfallen. Denn das Amt für Stadtplanung und Stadterneuerung hat im Rahmen des Remonstrationsverfahrens, das der streitgegenständlichen Rücknahme vorangegangen war, mit Schreiben vom 28.11.2003 gegenüber dem Finanzamt Stuttgart III ausdrücklich angegeben, ihm sei aufgrund der Bescheinigungsrichtlinie bewusst geworden, dass die Begünstigung nach § 7h EStG eine konkrete vertragliche Vereinbarung zwischen Eigentümer und Gemeinde voraussetze. Damit hat die zuständige Behörde zu erkennen gegeben, dass sie nunmehr von der Rechtswidrigkeit ihrer früheren Verwaltungspraxis ausgeht. Zwar hat das Amt für Stadtplanung und Stadterneuerung in diesem Schreiben weiter ausgeführt, dass es sich - gleichwohl - außerstande sehe, die dem Kläger erteilte Bescheinigung zurückzunehmen, weil bis zum Erlass der Bescheinigungsrichtlinie keine konkreten vertraglichen Vereinbarungen zwischen Eigentümer und Stadt abgeschlossen worden seien und diese - auch bei anderen Gemeinden übliche - Vorgehensweise von der Finanzbehörde bis dahin akzeptiert worden sei. Diese Aussage relativiert jedoch nicht die zuvor geäußerte Feststellung zur Rechtswidrigkeit der früheren Verwaltungspraxis in Bezug auf die dem Kläger erteilte Bescheinigung. Denn mit der Bescheinigungsrichtlinie hinsichtlich der Frage der Notwendigkeit konkreter vertraglicher Modernisierungspflichten sind nicht etwa Konsequenzen aus einer Rechtsänderung gezogen worden. Vielmehr ist der steuerrechtliche Begünstigungstatbestand hinsichtlich der umfassenden Verweisung auf § 177 BauGB seit Erteilung der Bescheinigung im November 1997 unverändert geblieben. Damit war für die Beklagte klar, dass auch die Praxis vor Erlass der Bescheinigungsrichtlinie rechtswidrig gewesen war. Ihre Annahme, die dem Kläger erteilte Bescheinigung trotz erkannter Rechtswidrigkeit nicht zurücknehmen zu können, bezieht sich daher auf das Fehlen weiterer Rücknahmevoraussetzungen. Offenbar war sie der Auffassung, dass ein Vertrauenstatbestand vorliege, hinter dem das öffentliche Interesse an der Rücknahme zurücktreten müsse; an dieser Rechtsauffassung hat sie dann in der Folgezeit festgehalten, bis sie vom Regierungspräsidium mit Schreiben vom 18.08.2004 zur Rücknahme der dem Kläger erteilten Bescheinigung angewiesen wurde. Wie ausgeführt, kommt es daher für den Beginn der Rücknahmefrist nicht darauf an, ob die zuständige Behörde hinsichtlich solcher weiterer Rücknahmevoraussetzungen einem Rechtsirrtum unterlegen ist oder nicht.
28 
Im vorliegenden Fall begann nach alledem die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 LVwVfG Ende November 2003 zu laufen, als das Amt für Stadtplanung bezogen auf das konkrete Verfahren (spätestens) Kenntnis von der Rechtswidrigkeit der Bescheinigung erlangt und zugleich angenommen hat, die weiteren Rücknahmevoraussetzungen lägen nicht vor. Dies hat zur Folge, dass die „Entscheidungsfrist“ des § 48 Abs. 4 LVwVfG bei Erlass des Rücknahmebescheids am 15. März 2005 bereits abgelaufen war. Zwar trifft die von der Beklagten zunächst vertretene Auffassung, die vor Erlass der Bescheinigungsrichtlinie rechtswidrig erteilten Bescheinigungen könnten mit Blick auf die damalige, von der Finanzverwaltung akzeptierte Praxis generell nicht zurückgenommen werden, nicht zu; vielmehr war dies von einer einzelfallbezogenen Würdigung insbesondere unter Vertrauensschutzgesichtspunkten abhängig. Auch spricht viel dafür, dass bei zutreffender Anwendung der Rücknahmevoraussetzungen der Sachverhalt im Zeitpunkt der Kenntnis der Rechtswidrigkeit der Bescheinigung noch nicht hinreichend geklärt war. Insbesondere war der zuständigen Behörde damals noch nicht bekannt, ob der Kläger die ihm bereits gewährten Steuervergünstigungen im Sinne des § 48 Abs. 2 Satz 2 LVwVfG verbraucht hat (vgl. BVerwG, Urteil vom 18.04.1997 - 3 C 3.95 -, BVerwGE 104, 289 zur Anwendbarkeit des § 48 Abs. 2 VwVfG auf Verwaltungsakte, die Grundlage für eine bezifferbare Steuerverschonung sind; vgl. BVerwG, Urteil vom 28.01.1993 - 2 C 15.91 -, DVBl. 1993, 947 zum Leistungsverbrauch). Ein solcher Klärungsbedarf hindert jedoch den Fristbeginn hier nicht. Denn mit Blick auf den Zweck der Ausschlussfrist des § 48 Abs. 4 LVwVfG als „Entscheidungsfrist“ kommt es allein darauf an, ob a u s S i c h t d e r B e h ö r d e Entscheidungsreife gegeben ist. Hat diese - wie hier - zu erkennen gegeben, dass sie eine Rücknahme des rechtswidrigen Verwaltungsakts von vornherein - ohne Klärung konkreter Vertrauensschutzaspekte - für unzulässig hält, beginnt die Jahresfrist auch dann zu laufen, wenn diese Rechtsauffassung unzutreffend ist und eine Rücknahme bei hinreichender Aufklärung des Sachverhalts in Betracht kommt. Denn ein auf die weiteren Rücknahmevoraussetzungen bezogener Rechtsirrtum hat - wie oben dargelegt - keine fristhemmende Wirkung. Käme es für die Frage der Entscheidungsreife nicht auf die Rechtsauffassung der Rücknahmebehörde, sondern auf die zutreffende Anwendung der Rücknahmevoraussetzungen an, wäre es von den Rechtskenntnissen der Behörde abhängig, ob und wann sie die zur Herbeiführung der Entscheidungsreife notwendige Sachaufklärung vornimmt. Die zur Verfügung stehende Rücknahmefrist wäre also um so länger bemessen, je geringer die Rechtskenntnisse der jeweiligen Behörde sind. Dies wäre aber mit dem Zweck der Jahresfrist, Rechtssicherheit und Rechtsklarheit im Hinblick auf den Bestand von Verwaltungsakten zu gewährleisten, nicht zu vereinbaren. Im Übrigen läge auch treuwidriges Verhalten vor, wenn sich eine Rücknahmebehörde, die zu erkennen gegeben hatte, dass aus ihrer Sicht Entscheidungsreife vorlag, später hinsichtlich des Fristablaufs auf die Notwendigkeit weiterer Sachaufklärung beriefe. Somit beginnt die Jahresfrist zu laufen, wenn der Behörde alle Tatsachen bekannt sind, die nach ihrer Rechtsauffassung für die Entscheidung über eine Rücknahme des - als rechtswidrig erkannten - Verwaltungsakts erheblich sind. Wie ausgeführt, bestand hier für die Beklagte im Zeitpunkt der Kenntnis der Rechtswidrigkeit der Bescheinigung kein Anlass für weitere Sachaufklärung, weil sie deren Rücknahme unabhängig von den konkreten Einzelfallumständen für unzulässig hielt, so dass die Jahresfrist (spätestens) im November 2003 zu laufen begann.
29 
Die Beklagte ist schließlich auch in der Folgezeit bis zum Ablauf der Jahresfrist davon ausgegangen, dass sie ohne weitere Sachverhaltsaufklärung über die Frage einer Rücknahme der Bescheinigung entscheiden könne. Das Schreiben des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 18.08.2004, mit dem sie zur Rücknahme der dem Kläger erteilten Bescheinigung angewiesen wurde, hat daran nichts geändert. Denn diese Weisung wurde nicht von einer Würdigung der Einzelfallumstände abhängig gemacht, sondern galt unbedingt. Dementsprechend finden sich im Rücknahmebescheid und im Widerspruchsbescheid der Beklagten auch keine auf die konkreten Umstände bezogenen Ermessenserwägungen. Die Anhörung des Klägers mit Schreiben vom 07.09.2004 im Anschluss an die Weisung des Regierungspräsidiums stellt sich vor diesem Hintergrund lediglich als formelle Wahrung des rechtlichen Gehörs dar und war nicht auf weitere Sachaufklärung gerichtet.
30 
Unabhängig davon ist die Rücknahme der Bescheinigung auch wegen fehlender Ermessenserwägungen rechtswidrig. Im Rücknahmebescheid der Beklagten vom 15.03.2005 und in deren Widerspruchsbescheid vom 13.07.2005 wird zwar ausgeführt, dass das Interesse des Klägers an der Aufrechterhaltung der Bescheinigung gegenüber dem Interesse am rechtmäßigen Verwaltungshandeln zurücktreten müsse. Als Begründung wird jedoch lediglich angegeben, dass es kein „milderes Mittel“ gebe, um den rechtswidrigen Bescheid und damit die Bindung des Finanzamts an die Bescheinigung des Vorliegens der Voraussetzungen für die steuerliche Begünstigung zu beseitigen. Für die Rücknahmeentscheidung war demnach allein ausschlaggebend, dass die Bindung der Finanzverwaltung an die Bescheinigung als Grundlagenbescheid für die steuerliche Begünstigung nicht auf andere Weise aufgehoben werden kann; auf eine konkrete Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse am rechtmäßigen Verwaltungshandeln und dem privaten Interesse des Klägers an der Aufrechterhaltung der steuerlichen Begünstigung kam es der Beklagten erkennbar nicht an.
31 
Dieser „Nichtgebrauch“ des Ermessens ist mit § 48 LVwVfG nicht vereinbar. Gemäß § 48 Abs. 2 Satz 1 LVwVfG ist die Vorschrift auch auf solche Verwaltungsakte anzuwenden, die - wie hier die Bescheinigung nach § 7h EStG -Voraussetzung für die Gewährung von Geldleistungen sind. Das Rücknahmeermessen ist demnach nicht erst von der Finanzverwaltung im Rahmen der Entscheidung darüber auszuüben, ob bereits gewährte steuerliche Vergünstigungen zurückgefordert werden sollen. Davon abgesehen stellt die Bescheinigung auch die Grundlage für die Bewilligung noch nicht gewährter steuerlicher Vergünstigungen dar. Hier bestand auch Anlass, den konkreten Sachverhalt im Rahmen der Ermessensausübung zu würdigen. Das gilt einmal mit Blick auf das öffentliche Interesse an der Beseitigung zu Unrecht erlangter Steuerbegünstigungen. Dessen Gewicht hängt u.a. wesentlich davon ab, ob bei Kenntnis der zutreffenden Auslegung des § 7h Abs. 1 Satz 1 EStG eine verpflichtende Modernisierungsvereinbarung über die abgesprochenen und tatsächlich auch ausgeführten baulichen Maßnahmen getroffen worden wäre. In diesem Fall wären die vom Kläger vorgenommenen Modernisierungsmaßnahmen der Sache nach steuerlich förderungswürdig gewesen, was den fehlenden Vertragsschluss im Nachhinein als eher formalen Mangel erscheinen ließe und das Gewicht des fiskalischen Interesses minderte. Ferner hat der Kläger angegeben, dass er die Modernisierungsmaßnahme nur deshalb durchgeführt habe, weil Mitarbeiter der Beklagten ihm die Erteilung der Bescheinigung nach § 7h EStG mündlich zugesichert hätten. Dieser Umstand kann zwar nicht mit den in § 48 Abs. 2 LVwVfG genannten Vertrauenstatbeständen gleichgesetzt werden, welche eine Rücknahme begünstigender Verwaltungsakte ausschließen; für die ermessensgerechte Berücksichtigung des Vertrauensschutzes ist er aber durchaus von Belang. Schließlich war nicht im verwaltungsgerichtlichen Verfahren zu klären, ob die eben genannten ermessensrelevanten Umstände vorliegen. Denn die Beklagte hat diesbezüglich überhaupt keine Ermessenserwägungen angestellt. Das Gericht kann jedoch eine unterbliebene Ermessensausübung nicht anstelle der Behörde nachholen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 14.08.1989 - 4 NB 24.88 -, DVBl. 1989, 1105 m.w.N.).
32 
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
33 
Die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
34 
Beschluss
vom 03. April 2007
35 
Der Streitwert wird gemäß § 52 Abs. 1 GKG auf 50.000,-- EUR festgesetzt.
36 
Der Beschluss ist unanfechtbar.

(1) Ein rechtswidriger Verwaltungsakt kann, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), darf nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 zurückgenommen werden.

(2) Ein rechtswidriger Verwaltungsakt, der eine einmalige oder laufende Geldleistung oder teilbare Sachleistung gewährt oder hierfür Voraussetzung ist, darf nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte gewährte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Auf Vertrauen kann sich der Begünstigte nicht berufen, wenn er

1.
den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat;
2.
den Verwaltungsakt durch Angaben erwirkt hat, die in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig waren;
3.
die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte.
In den Fällen des Satzes 3 wird der Verwaltungsakt in der Regel mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen.

(3) Wird ein rechtswidriger Verwaltungsakt, der nicht unter Absatz 2 fällt, zurückgenommen, so hat die Behörde dem Betroffenen auf Antrag den Vermögensnachteil auszugleichen, den dieser dadurch erleidet, dass er auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat, soweit sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse schutzwürdig ist. Absatz 2 Satz 3 ist anzuwenden. Der Vermögensnachteil ist jedoch nicht über den Betrag des Interesses hinaus zu ersetzen, das der Betroffene an dem Bestand des Verwaltungsaktes hat. Der auszugleichende Vermögensnachteil wird durch die Behörde festgesetzt. Der Anspruch kann nur innerhalb eines Jahres geltend gemacht werden; die Frist beginnt, sobald die Behörde den Betroffenen auf sie hingewiesen hat.

(4) Erhält die Behörde von Tatsachen Kenntnis, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes rechtfertigen, so ist die Rücknahme nur innerhalb eines Jahres seit dem Zeitpunkt der Kenntnisnahme zulässig. Dies gilt nicht im Falle des Absatzes 2 Satz 3 Nr. 1.

(5) Über die Rücknahme entscheidet nach Unanfechtbarkeit des Verwaltungsaktes die nach § 3 zuständige Behörde; dies gilt auch dann, wenn der zurückzunehmende Verwaltungsakt von einer anderen Behörde erlassen worden ist.

Tenor

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Greifswald vom 23. Juni 2010 geändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Kläger können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des Vollstreckungsbetrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Kläger wenden sich gegen die Rücknahme einer sogenannten Kerngebietsbescheinigung, eines Grundlagenbescheides für die Gewährung einer Investitionszulage.

2

Diese betrifft die Doppelhaushälfte E-Straße in B-Stadt. Der Bereich ist in dem Bebauungsplan F als Allgemeines Wohngebiet festgesetzt. Die gegenüberliegende Straßenseite ist unbebaut. In etwa 150 m Entfernung beginnt auf der gegenüberliegenden Straßenseite der Ortskern von B-Stadt. Dort befinden sich eine Schule, das Amtsgebäude und einige Gewerbebetriebe.

3

Mit Datum vom 28.03.2002 erteilte der Beklagte auf den Antrag der Kläger eine Bescheinigung nach § 3 Abs. 1 Nr. 4b InvZulG 1999, mit der bescheinigt wurde, dass das Gebäude in einem Gebiet liegt, das auf Grund der Bebauung der näheren Umgebung einem Gebiet entspricht, welches durch Bebauungsplan als Kerngebiet im Sinne des § 7 BauNVO festgesetzt ist. Auf der Grundlage dieser Bescheinigung wurde eine Investitionszulage in Höhe von 5.460,09 EUR an die Kläger ausgezahlt.

4

Mit Schreiben vom 27.01.2003 wies das Finanzamt Stralsund bezogen auf andere Gebäude E-Straße auf rechtliche Zweifel an der Richtigkeit der Bescheinigungen hin, die für Bauvorhaben "auf der grünen Wiese" ausgestellt worden seien, und verwies auf die "Hinweise für die kommunale Bescheinigungspraxis..." des Bundesbauministeriums. Das Finanzamt bat um Überprüfung aller vom Beklagten in der Vergangenheit bereits erteilten Investitionszulagenbescheinigungen und ggf. Rücknahme der entsprechenden Bescheide, einschließlich eines Hinweises "auf die Möglichkeit einer straf- oder bußgeldrechtlichen Würdigung bei bestehendem Verdacht einer falsch ausgestellten Bescheinigung".

5

Der Beklagte antwortete hierauf mit Schreiben vom 20.02.2003. Eine Rücknahme ausgestellter Bescheinigungen werde abgelehnt, weil die Voraussetzungen jeweils von der Bauamtsleitung des Amtes sorgfältig überprüft und zum Zeitpunkt der Bescheinigungserstellung als erfüllt angesehen worden seien. Dies sei auf der Grundlage entsprechender Ausführungen in der Zeitschrift des Städte- und Gemeindetages erfolgt. Ergänzend sei mit dem Finanzamt Rücksprache gehalten worden, worüber ein Telefonvermerk existiere. Erst im November 2002 sei eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts Greifswald bekannt geworden, auf Grund derer der Städte- und Gemeindetag seine bisherige Empfehlung einer großzügigen Auslegung des InvZulG zurück gezogen habe. Ebenfalls erst zu diesem Zeitpunkt habe das Innenministerium M-V Hinweise und Merkblätter zur Investitionszulage nach dem InvZulG 1999 versandt. Der Beklagte verwies auf den Vertrauensschutz der Begünstigten, die die Planung und Finanzierung ihrer Bauvorhaben auf die Förderbarkeit nach dem InvZulG aufgebaut hätten. Die aus einer möglichen Rücknahme der Verwaltungsakte resultierenden Konsequenzen seien als unzumutbare Nachteile für die Betroffenen zu werten und würden auf Grund dessen vom Amt prinzipiell abgelehnt.

6

In der Beschlussvorlage für die Sitzung der Gemeindevertretung B-Stadt am 18.02.2003 erläuterte die Amtsverwaltung, weshalb die Kerngebietsbescheinigungen für das Gemeindegebiet nicht rechtmäßig erteilt worden seien, und empfohlen, diese zurückzunehmen. Im Protokoll heißt es hierzu: "Die Beschlussvorlage wird durch den Bürgermeister zurückgezogen. Es erfolgt die Information, dass die Grundlagenbescheide durch die Gemeinde B-Stadt vor der Änderung der rechtlichen Auslegung nicht zurückgezogen werden sollen. Neue Bescheinigungen werden indes nicht mehr ausgestellt."

7

Unter dem 07.01.2003 beantragten die Kläger für die andere Doppelhaushälfte E-Straße in B-Stadt ebenfalls einen Grundlagenbescheid nach dem Investitionszulagengesetz. Diesen Antrag lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 27.02.2003 mit der Begründung ab, die Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 Nr. 4 InvZulG 1999 lägen nicht vor. Den Widerspruch der Kläger wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 02.04.2003 als unbegründet zurück.

8

Mit Schreiben des Landrates des Landkreises Nordvorpommern als untere Rechtsaufsichtsbehörde vom 12.11.2007 wurden die Amtsverwaltungen aufgefordert, in allen Fällen fehlerhafter Investitionsbescheinigungen Rücknahmebescheide zu erlassen und bis zum 30.11.2007 über den Erlass der Rücknahmebescheide zu berichten. Die Kommunalabteilung des Innenministeriums habe darauf hingewiesen, dass grundsätzlich in allen diesen Fällen Rücknahmebescheide zu erlassen seien. Dabei stehe der Aspekt im Vordergrund, dass nur mittels einer generellen "Fehlerkorrektur" das Vertrauen in die öffentliche Verwaltung herzustellen sei. Auf einen Vertrauensschutz könnten sich die Begünstigten regelmäßig nicht berufen. Zwar hätten diese eine Vermögensdisposition vorgenommen, aber der geldwerte Vorteil stecke quasi in der Liegenschaft und sei damit als Gegenstand der Bereicherung noch vorhanden. Das Finanzministerium habe angekündigt, die Kommunen, falls sie der Aufforderung der Rechtsaufsichtsbehörde zur Rücknahme der Bescheinigungen nicht nachkämen, in die Haftung nehmen zu wollen.

9

Mit Schreiben vom 25.07. und 11.09.2007 hörte der Beklagte die Kläger zu der beabsichtigten Rücknahme an. Die Kläger äußerten sich nicht.

10

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 20.11.2007 nahm der Beklagte den Grundlagenbescheid vom 28.03.2002 mit Wirkung für die Vergangenheit zurück und führte zur Begründung aus: Im Rahmen einer nochmaligen Prüfung der Sach- und Rechtslage sei festgestellt worden, dass die bescheinigten Voraussetzungen nicht gegeben seien. Die konkrete örtliche Situation biete keine Anhaltspunkte für das Vorhandensein eines Kerngebietes iSv § 7 BauNVO. Auch die Bebauung der näheren Umgebung entspreche nicht ansatzweise einem solchen Kerngebiet. Zwar lägen im Ortsteil Einrichtungen, die auch in einem Kerngebiet zulässig seien, wie die Grundschule, ein Hotel und andere Gewerbebetriebe, dennoch handele es sich um einen Ortsteil, der überwiegend durch eine Wohnbebauung gekennzeichnet sei. Ein Dorfkern stelle regelmäßig kein Kerngebiet iSd § 3 Abs. 1 Nr. 4b InvZulG 1999 dar. Das Vertrauen der Kläger sei nicht wegen Verbrauchs gewährter Leistungen schutzwürdig, weil die Kläger Aufwendungen erspart hätten, die sonst aus eigenen Mitteln aufzubringen gewesen wären. Im Rahmen der Anhörung hätten die Kläger auch kein schutzwürdiges Vertrauen geltend gemacht.

11

Den Widerspruch der Kläger wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 30.01.2008 als unbegründet zurück. Die Jahresfrist für die Rücknahme sei gewahrt. Die Frist habe nicht bereits im Jahr 2003 zu laufen begonnen, weil damals – wie im einzelnen näher ausgeführt wird - keine Sicherheit über die Rechtswidrigkeit der erteilten Grundlagenbescheide bestanden habe. Eine Einzelfallprüfung hinsichtlich einer Rücknahme sei nicht durchgeführt worden. Man habe vergebens auf eine Rückäußerung des Finanzamtes gewartet. Da die Kläger die Doppelhaushälfte zu einem Preis von etwa 138.000 EUR veräußert hätten, seien sie nicht entreichert; die Verwendung des Geldes stehe - unter dem Gesichtspunkt eines schutzwürdigen Vertrauens, § 48 Abs. 2 VwVfG M-V - der Rücknahme nicht entgegen. Bei der Ermessensentscheidung über die Rücknahme sei der Grundsatz der sparsamen und wirtschaftlichen Verwendung der Haushaltsmittel zu beachten, der den großzügigen Verzicht auf die Rücknahme verbiete. Angesichts des mangelnden Vertrauensschutzes überwiege das öffentliche Interesse an der Wiederherstellung eines rechtskonformen Zustandes gegenüber dem privaten Interesse an der Aufrechterhaltung des rechtswidrigen Bescheides.

12

Die Kläger haben am 27.02.2008 Klage erhoben. Sie haben vorgetragen: Die Rücknahme sei nicht gemäß § 48 Abs. 4 VwVfG M-V fristgerecht innerhalb eines Jahres nach Kenntnis der die Rücknahme rechtfertigenden Tatsachen erfolgt. Daraus dass der Beklagte die Erteilung einer Investitionszulagenbescheinigung für das zweite Grundstück der Kläger bereits Anfang des Jahres 2003 abgelehnt habe, ergebe sich, dass die Rechtswidrigkeit des zurück genommenen Bescheides ihm bereits zu diesem Zeitpunkt bekannt gewesen sei. Auch das Finanzamt Stralsund, das Bauministerium M-V und das Finanzministerium M-V hätten bereits zu diesem Zeitpunkt Kenntnis von der Rechtswidrigkeit der ausgestellten Grundlagenbescheide gehabt. Für das Finanzministerium M-V gelte dies bereits seit April 2001. In der 2007 erteilten Weisung des Landkreises Nordvorpommern, Grundlagenbescheide aus früheren Jahren zurück zu nehmen, sei die Rücknahme nicht von einer Würdigung der Einzelfallumstände abhängig gemacht worden. Das anschließende Anhörungsschreiben an die Kläger vom 11.09.2007 sei nicht auf weitere Sachverhaltsaufklärung gerichtet gewesen; es stelle sich lediglich als formelle Wahrung des rechtlichen Gehörs dar. Die Kläger haben sich auf die Entscheidung des VGH Mannheim vom 05.04.2007 - 8 S 2090/06 - berufen, nach der die Jahresfrist zur Rücknahme zu laufen beginnt, wenn aus der Sicht der Behörde Entscheidungsreife gegeben ist.

13

Die Kläger haben beantragt,

14

den Rücknahmebescheid des Beklagten vom 20.11.2007 und dessen Widerspruchsbescheid vom 30.01.2008 aufzuheben.

15

Der Beklagte hat beantragt,

16

die Klage abzuweisen.

17

Er hat vorgetragen, die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 VwVfG M-V stehe der Rücknahme nicht entgegen, weil diese erst mit Kenntnis der Behörde von allen für die zu treffende Ermessensentscheidung relevanten Tatsachen beginne. Diese habe erst im Juli 2007 vorgelegen.

18

In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht hat der Kläger zu 2. erklärt, als er die Investitionszulage erhalten habe, sei das Gebäude bereits errichtet gewesen. Weitere Investitionsmaßnahmen habe er danach nicht getätigt. Über die Voraussetzungen, unter denen eine Investitionszulage gewährt werde, habe er sich seinerzeit überhaupt keine Gedanken gemacht. Diese sei von seinem Steuerberater beantragt worden.

19

Das Verwaltungsgericht hat mit Urteil des Berichterstatters vom 23.06.2010 der Klage stattgegeben und den angefochtenen Rücknahmebescheid aufgehoben. Zur Begründung hat das Verwaltungsgericht ausgeführt: Die zurück genommene Kerngebietsbescheinigung sei rechtswidrig. Die Rücknahme sei gemäß § 48 Abs. 2 VwVfG M-V nicht durch Vertrauensschutzgesichtspunkte gehindert, weil von einer grob fahrlässigen Unkenntnis bei den Klägern bzw. dem Steuerberater als ihrem Vertreter auszugehen sei. Die Rücknahme sei jedoch nicht innerhalb der Jahresfrist des § 48 Abs. 4 VwVfG M-V erfolgt. Der zuständige Sachbearbeiter des Beklagten habe spätestens im Februar 2003 die Rechtswidrigkeit der Kerngebietsbescheinigung erkannt. Soweit grundsätzlich auch die vollständige Kenntnis der Behörde über den für die Entscheidung über die Rücknahme erheblichen Sachverhalt Voraussetzung für den Fristlauf sei, insbesondere einschließlich Vertrauensschutzaspekten und Ermessensgesichtspunkten, gelte dies nicht, wenn die Behörde zu erkennen gegeben habe, dass sie von vornherein - ohne Klärung dieser Gesichtspunkte - eine Rücknahme für unzulässig halte. Es komme also - wie der VGH Mannheim in der von Klägerseite angeführten Entscheidung zu Recht dargelegt habe - allein auf den Zeitpunkt der Entscheidungsreife aus Sicht der Behörde an. Dies sei hier der Zeitpunkt im Februar 2003 gewesen, in dem der Beklagte erklärt habe, eine Rücknahme werde abgelehnt.

20

Im übrigen sei die Rücknahme ermessensfehlerhaft. Allerdings begründeten die Haushaltsgrundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit sowie die fehlende Schutzwürdigkeit des Vertrauens der Kläger ein intendiertes Ermessen. Der Beklagte habe aber berücksichtigen müssen, dass ihn ein erhebliches Mitverschulden an der rechtswidrigen Erteilung der Bescheinigung treffe. Auch bei einer weiten Auslegung des § 3 Abs. 1 Nr. 4b InvZulG 1999 sei offensichtlich gewesen, dass die Voraussetzungen für die Erteilung der Bescheinigung nicht vorgelegen hätten. Bei lebensnaher Betrachtung könne daher davon ausgegangen werden, dass er die Bescheinigung in Kenntnis der Rechtswidrigkeit erteilt habe oder zumindest den sich aufdrängenden Zweifeln an deren Rechtmäßigkeit nicht nachgegangen sei. Auch der fehlende Vertrauensschutz zu Gunsten der Kläger hindere eine Berücksichtigung des Mitverschuldens der Behörde nicht. Im übrigen habe der Beklagte auch den Zeitablauf seit Kenntnis der Rechtswidrigkeit bei der Ermessensentscheidung berücksichtigen müssen. Es habe näherer Darlegung bedurft, weshalb auch vier Jahre später noch das öffentliche Interesse an der Rücknahme der Bescheinigung gegenüber dem Interesse der Kläger überwiege.

21

Gegen das am 03.08.2010 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 30.08.2010 die Zulassung der Berufung beantragt und den Antrag am Montag, den 04.10.2010 begründet. Der Senat hat mit Beschluss vom 18.01.2013, zugestellt am 23.01.2013, die Berufung zugelassen. Der Beklagte hat daraufhin am 22.02.2013 die Berufung begründet.

22

Er trägt vor: Die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 VwVfG M-V sei im Zeitpunkt der Entscheidung noch nicht abgelaufen gewesen. Das Amt habe erst im Jahre 2007 Kenntnis von der Rechtswidrigkeit der erteilten Investitionsbescheinigungen gehabt. Bis dahin sei zur Frage der Rechtmäßigkeit eine differenzierte Auffassung vertreten worden. Die Richtlinien des Innenministeriums vom 05.11.2002 hätten lediglich die künftige Bescheinigungspraxis geregelt, sich zu den bereits zuvor erlassenen Bescheinigungen aber nicht geäußert. Dies ergebe sich bereits aus dem Widerspruchsbescheid.

23

Es treffe auch nicht zu, dass er - der Beklagte - bereits im Jahr 2003 zu erkennen gegeben habe, dass eine Rücknahme für unzulässig gehalten werde. Dies ergebe sich insbesondere nicht aus dem Protokoll der Gemeindevertretersitzung vom 18.02.2003. In dieser Sitzung sei die Gemeindevertretung lediglich informiert worden, habe aber keine Beschlüsse gefasst. Der informierende Bürgermeister - der im übrigen für die Entscheidung über die Rücknahme nicht zuständig gewesen sei - habe die Auffassung vertreten, dass die Bescheide im Zeitpunkt ihres Erlasses rechtmäßig gewesen seien. Entsprechend habe sich der Amtsvorsteher in dem Schreiben an das Finanzamt Stralsund vom 20.02.2003 geäußert. Allerdings habe dieser in dem genannten Schreiben die Rücknahme auch aus Vertrauensschutzgründen "prinzipiell abgelehnt". Aus der anschließenden Bekundung des Interesses an einer informellen Klärung ergebe sich jedoch, dass dies eher als Absichtserklärung denn als Entscheidung gemeint gewesen sei. Eine endgültige Entscheidungsreife, wie sie der VGH Mannheim in seiner Entscheidung vom 05.04.2007 fordere, habe zu diesem Zeitpunkt noch nicht vorgelegen.

24

Im übrigen weiche die genannte Entscheidung des VGH Mannheim von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ab, nach der die Jahresfrist erst zu laufen beginne, wenn der Behörde sämtliche für die Rücknahmeentscheidung erheblichen Tatsachen vollständig bekannt seien, wozu auch alle Tatsachen gehörten, die für die Beurteilung eines Vertrauensschutzes nach § 48 Abs. 2 VwVfG M-V sowie für die Ermessensausübung relevant seien. Der VGH Mannheim lege die subjektive Perspektive der Behörde zu Grunde, während das Bundesverwaltungsgericht einen objektiven Maßstab anlege. Objektiv sei die Sachaufklärung jedoch erst nach Anhörung der Betroffenen abgeschlossen.

25

Ein Mitverschulden sei entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts bei der Ermessensausübung nicht zu berücksichtigen. Es sei nicht nachvollziehbar, dass derjenige, der gemäß § 48 Abs. 2 Nr. 3 VwVfG M-V keinen Vertrauensschutz in Anspruch nehmen könne, über die Anwendung von Verschuldensgrundsätzen letztlich doch wieder geschützt werden solle. Weshalb der Zeitablauf im Rahmen der Ermessensentscheidung hätte berücksichtigt werden müssen, sei ebenfalls nicht erkennbar. Insbesondere bestünden keine Anhaltspunkte für einen Wegfall des öffentlichen Interesses daran, fehlerhaft bewilligte Fördermittel, die durch das Steueraufkommen finanziert würden, zurück zu verlangen. Allenfalls könne der Zeitablauf zu einer Verwirkung der Rücknahmebefugnis führen.

26

Der Beklagte beantragt,

27

das Urteil des Verwaltungsgerichts Greifswald vom 23. Juni 2010 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

28

Die Kläger beantragen,

29

die Berufung zurückzuweisen.

30

Das Verwaltungsgericht habe zu Recht angenommen, dass der Rücknahmebescheid rechtswidrig sei, weil die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG M-V bereits abgelaufen gewesen sei. Für den Fristbeginn sei - wie der VGH Mannheim zu Recht entschieden habe - die Entscheidungsreife aus der Sicht der Behörde maßgeblich. Diese habe bereits zum Zeitpunkt der Sitzung der Gemeindevertretung am 18.02.2003 vorgelegen. Ebenso ergebe sie sich aus dem Schreiben des Beklagten an das Finanzamt Stralsund vom 28.03.2002, in dem eine Rücknahme der Bescheinigung ausdrücklich abgelehnt werde. Die Kläger berufen sich auf eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, nach der ein Fehler in der Rechtsanwendung vorliegt, der den Beginn der Jahresfrist nicht hinauszuschieben vermag, wenn die Behörde umfassende Kenntnis der die Rücknahme rechtfertigenden Tatsachen hatte und sich lediglich über die Erforderlichkeit ausdrücklicher Ermessenserwägungen geirrt hat. Ebenso berufen sie sich auf eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, nach der es auf die subjektive Fähigkeit der Rücknahmebehörde, die Reichweite und die rechtlichen Anforderungen der Rücknahmeermächtigung richtig zu erkennen, nicht ankomme, und Rechtsirrtümer, die der Behörde insoweit trotz umfassender Tatsachenkenntnisse unterlaufen, zu ihren Lasten gingen. Die Kläger tragen vor, durch eine nachgeschobene Anhörung der Betroffenen könne der Behörde nicht eine Art "Wiedereinsetzung in den vorigen Stand" gewährt werden. Dies würde dem auf Rechtssicherheit zielenden Zweck der Rücknahmefrist zuwider laufen. Die Anforderung, dass die Entscheidungsreife nicht von der rechtlichen Erkenntnisfähigkeit der Behörde abhängig gemacht werden dürfe, würde konterkariert werden. Auch nach der Entscheidung des Großen Senats des Bundesverwaltungsgerichts vom 19.12.1984 könne der Zeitpunkt der Entscheidungsreife mit dem Zeitpunkt zusammen fallen, in dem die Behörde die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes erkenne.

31

Sie - die Kläger - könnten sich gemäß § 48 Abs. 2 VwVfG M-V auf Vertrauensschutz berufen. Ihnen bzw. ihrem Steuerberater sei jedenfalls nicht bekannt oder grob fahrlässig unbekannt gewesen, dass die Voraussetzungen für die Gewährung einer Investitionszulage von vornherein nicht vorgelegen hätten. Es sei davon auszugehen, dass der Steuerberater auf Grund der damaligen großzügigen kommunalen Bescheinigungspraxis angenommen habe, dass zu den förderungswürdigen Bauvorhaben auch solche gehörten, die auf Grund der Bebauung in näherer Umgebung eines Kerngebietes lagen. Eine andere Bewertung habe sich ihnen zum Zeitpunkt der Antragstellung jedenfalls nicht ohne weiteres aufdrängen müssen. Im übrigen sei die Rücknahme auch ermessensfehlerhaft, weil der Beklagte sein eigenes Mitverschulden nicht berücksichtigt habe.

32

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

33

Die Berufung ist zulässig und begründet. Die Klage ist unter Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils abzuweisen, weil sie zulässig, aber unbegründet ist. Der angefochtene Rücknahmebescheid des Beklagten vom 20.11.2007 und dessen Widerspruchsbescheid vom 30.01.2008 sind rechtmäßig und verletzen die Kläger nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

34

Rechtsgrundlage für die Rücknahme ist § 48 VwVfG M-V. Nach § 48 Abs. 1 VwVfG M-V kann ein rechtswidriger Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden (Satz 1); ein Verwaltungsakt der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), darf nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 zurückgenommen werden (Satz 2).

35

1. Bei der unanfechtbar gewordenen Bescheinigung vom 28.03.2002, mit der nach § 3 Abs. 1 Nr. 4b InvZulG 1999 bescheinigt wurde, dass das Gebäude E-Straße in B-Stadt in einem Gebiet liegt, das auf Grund der Bebauung der näheren Umgebung einem Gebiet entspricht, welches durch Bebauungsplan als Kerngebiet im Sinne des § 7 BauNVO festgesetzt ist, handelt es sich um einen rechtswidrigen Verwaltungsakt. Tatsächlich liegt das Gebäude in einem Gebiet, das durch Bebauungsplan als Allgemeines Wohngebiet gemäß § 4 BauNVO festgesetzt ist und auch tatsächlich so genutzt wird.

36

Auf die Frage, ob die Bescheinigung nichtig ist, weil sie an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dieser bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offensichtlich ist (§ 44 Abs. 1 VwVfG M-V), kommt es nicht an. Auch ein nichtiger Verwaltungsakt kann zurückgenommen werden. Die Behörde ist nicht auf die Feststellung nach § 44 Abs. 5 VwVfG M-V beschränkt (vgl. BSG U. v. 23.02.1989 - 11/7 RAr 103/87 - NVwZ 1989, 902 = Juris Rn. 17; Kopp/Ramsauer VwVfG 13. Aufl. 2012 § 48 Rn. 18; Sachs in Stelkens ua VwVfG § 48 Rn. 67; jew. mwN).

37

2. Die von der zuständigen Gemeindebehörde erteilte Investitionsbescheinigung ist gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 4b InvZulG 1999 die Grundlage für die Gewährung einer Investitionszulage und damit ein begünstigender Verwaltungsakt iSd § 48 Abs. 1 Satz 2 VwVfG M-V. Da es sich um einen Verwaltungsakt handelt, der Voraussetzung für die Gewährung einer einmaligen Geldleistung ist, darf dieser gemäß § 48 Abs. 2 VwVfG M-V nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist (Satz 1); das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte gewährte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann (Satz 2). Dabei finden die Grundsätze Anwendung, die zum Umfang des Bereicherungsanspruchs (§ 818 BGB) entwickelt worden sind. Danach ist eine Geldleistung nicht im Sinne des § 48 Abs. 2 Satz 2 VwVfG M-V verbraucht, wenn sie zur Schuldentilgung oder für Anschaffungen verwendet worden ist, die wertmäßig im Vermögen des Begünstigten noch vorhanden sind (BVerwG U. v. 28.01.1993 - 2 C 15.91 - NVwZ-RR 1994, 32 = Juris Rn. 11 f.).

38

Nach diesen Maßstäben kommt ein Vertrauensschutz hier nicht in Betracht und wird von den Klägern auch nicht geltend gemacht. Der durch die Gewährung der Investitionszulage bei den Klägern eingetretene Vermögenszuwachs – durch Schuldentilgung bzw. Investition in das errichtete Gebäude, für das sodann ein entsprechender Kaufpreis erzielt wurde – ist wertmäßig noch vorhanden. Ein „Wegfall der Bereicherung“ ist nicht eingetreten. Es bestehen im übrigen auch keine Anhaltspunkte dafür, dass die Kläger die Gesamtinvestition nur im Hinblick auf die erwartete Investitionszulage getätigt hätten oder mit der Zulage bestimmte weitere Maßnahmen finanziert hätten, die ansonsten unterblieben wären. Denn sie haben in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht angegeben, das Gebäude sei bereits errichtet gewesen, als sie die Investitionszulage erhalten hätten; weitere Investitionsmaßnahmen wie z.B. Modernisierungen seien nach Erhalt der Investitionszulage nicht vorgenommen worden.

39

Auf die Frage, ob sich die Kläger – wie das Verwaltungsgericht angenommen hat - auf Vertrauensschutz auch deshalb nicht berufen können, weil sie die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannten oder in Folge grober Fahrlässigkeit nicht kannten bzw. ihnen das Verschulden ihres Steuerberaters zuzurechnen ist (§ 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 VwVfG M-V), kommt es daher nicht mehr an.

40

3. Erhält die Behörde von Tatsachen Kenntnis, die die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes rechtfertigen, so ist die Rücknahme nur innerhalb eines Jahres seit dem Zeitpunkt der Kenntnisnahme zulässig, § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG M-V. Diese Frist ist hier gewahrt.

41

Die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG wird in Lauf gesetzt, wenn die Behörde positive Kenntnis von den Tatsachen erhalten hat, die die Rücknahme des Verwaltungsakts rechtfertigen. Dass die die Rücknahme des Verwaltungsakts rechtfertigenden Tatsachen aktenkundig sind, genügt nicht. Die Behörde erlangt diese positive Kenntnis, wenn der nach der innerbehördlichen Geschäftsverteilung zur Rücknahme des Verwaltungsakts berufene Amtswalter oder ein sonst innerbehördlich zur rechtlichen Überprüfung des Verwaltungsakts berufener Amtswalter die die Rücknahme des Verwaltungsakts rechtfertigenden Tatsachen feststellt. Die Behörde muss insoweit nicht nur die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts erkannt haben, sondern ihr müssen außerdem sämtliche für die Rücknahmeentscheidung erheblichen Tatsachen vollständig bekannt sein, wozu auch alle Tatsachen gehören, die im Falle des § 48 Abs. 2 VwVfG M-V ein Vertrauen des Begünstigten in den Bestand des Verwaltungsakts entweder nicht rechtfertigen oder ein bestehendes Vertrauen als nicht schutzwürdig erscheinen lassen, sowie die für die Ermessensausübung wesentlichen Umstände (st. Rspr. seit BVerwG, B. v. 19.12.1984 - Gr.Sen.1,2.84 - NJW 1985, 819, 820 f. = Juris Rn. 17 ff.; vgl. zuletzt ausführlich BVerwG U. v. 28.06.2012 - 2 C 13.11 - BVerwGE 143, 230 = Juris Rn. 27 ff.).

42

Bereits der Wortlaut des § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG M-V fordert die Kenntnis von Tatsachen, die die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsakts "rechtfertigen", und stellt damit klar, daß die Erkenntnis der Rechtswidrigkeit für sich allein den Fristlauf nicht auszulösen vermag, sondern hierzu die vollständige Kenntnis des für die Entscheidung über die Rücknahme des Verwaltungsakts erheblichen Sachverhalts nötig ist. Hierzu gehören auch alle Tatsachen, die im Falle des § 48 Abs. 2 VwVfG M-V ein Vertrauen des Begünstigten in den Bestand des Verwaltungsakts entweder nicht rechtfertigen oder ein bestehendes Vertrauen als nicht schutzwürdig erscheinen lassen, sowie die für die Ermessensausübung wesentlichen Umstände. Die Frist beginnt demgemäß zu laufen, wenn die Behörde ohne weitere Sachaufklärung objektiv in der Lage ist, unter sachgerechter Ausübung ihres Ermessens über die Rücknahme des Verwaltungsakts zu entscheiden. Das entspricht dem Zweck der Jahresfrist als einer Entscheidungsfrist, die sinnvollerweise erst anlaufen kann, wenn der zuständigen Behörde alle für die Rücknahmeentscheidung bedeutsamen Tatsachen bekannt sind. Die Behörde soll nicht durch den drohenden Fristablauf zu einer Entscheidung gezwungen werden, obwohl ihr diese mangels vollständiger Kenntnis des insofern erheblichen Sachverhalts noch nicht möglich ist. Ein entsprechendes Verständnis der Jahresfrist als einer Bearbeitungsfrist für die Behörde würde dem Wortlaut der Vorschrift widersprechen und von ihrem Sinn und Zweck nicht getragen sein (vgl. BVerwG B. v. 19.12.1984 - Gr.Sen.1,2.84 – aaO; zum Charakter der Frist als Entscheidungs- und nicht Bearbeitungsfrist vgl. zuletzt BVerwG U. v. 28.06.2012 – 2 C 13.11 – aaO Rn. 33).

43

Das Bundesverwaltungsgericht hat in Fortentwicklung dieser Rechtsprechung auch entschieden, dass zur Herstellung der Entscheidungsreife, mit deren Eintritt die Entscheidungsfrist des § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG erst zu laufen beginnen kann, regelmäßig das Anhörungsverfahren gehört, das der Wahrung des in einem rechtsstaatlichen Verwaltungsverfahren gebotenen rechtlichen Gehörs dient, und zwar unabhängig vom Ergebnis der Anhörung. Denn die Einwände des Anzuhörenden können nur dann ernstlich zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen werden, wenn sich die Behörde ihre Entscheidung bis zum Abschluss des Anhörungsverfahrens offen hält. Das gilt auch und gerade, wenn es sich bei der zu treffenden Entscheidung um eine Ermessensentscheidung handelt, bei der die für die Ermessensbetätigung maßgeblichen Umstände auch in der Sphäre des anzuhörenden Betroffenen liegen. Es liegt in der Konsequenz der Ausgestaltung der Rücknahmefrist als Entscheidungsfrist, dass es die Behörde in der Hand hat, den Beginn der Frist durch eine Verzögerung des Anhörungsverfahrens hinauszuschieben. Ein solches Verhalten kann allerdings zur Verwirkung des Rechts auf Rücknahme führen (vgl. BVerwG, U. v. 20.09.2001 - 7 C 6.01 - NVwZ 2002, 485 mwN; BVerwG B. v. 04.12.2008 - 2 B 60.08 - Juris Rn. 7).

44

Nach diesen Maßstäben war eine Anhörung der Kläger hier zur Herstellung der Entscheidungsreife erforderlich, um zu klären, ob die Kläger in schutzwürdiger Weise auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hatten, § 48 Abs. 2 VwVfG M-V. Mit dem Abschluss des Anhörungsverfahrens im Jahr 2007 begann die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG M-V zu laufen; sie wurde folglich durch den Rücknahmebescheid vom 20.11.2007 gewahrt.

45

Soweit die Kläger sich auf eine – ebenfalls die Rücknahme einer Investitionsbescheinigung betreffende - Entscheidung des VGH Mannheim berufen (U. v. 05.04.2007 - 8 S 2090/06 - VBlBW 2007, 347), nach der die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 VwVfG M-V zu laufen beginnt, wenn aus der Sicht der Behörde - subjektiv - Entscheidungsreife vorliegt bzw. die Behörde zu erkennen gegeben hat, dass sie eine Rücknahme des rechtswidrigen Verwaltungsakts von vornherein - ohne Klärung konkreter Vertrauensschutzaspekte - für unzulässig hält, folgt der Senat dieser Auffassung nicht. Der VGH Mannheim hat ausgeführt, die Jahresfrist zur Rücknahme habe in dem Moment zu laufen begonnen, in dem die Behörde die Rechtswidrigkeit der erteilten Bescheinigung erkannt, aber offenbar angenommen habe, die weiteren Rücknahmevoraussetzungen lägen nicht vor. Mit Blick auf den Zweck der Ausschlussfrist als Entscheidungsfrist komme es allein darauf an, ob aus Sicht der Behörde Entscheidungsreife gegeben sei. Habe diese zu erkennen gegeben, dass sie eine Rücknahme des rechtswidrigen Verwaltungsakts von vornherein - ohne Klärung konkreter Vertrauensschutzaspekte - für unzulässig halte, beginne die Jahresfrist auch dann zu laufen, wenn diese Rechtsauffassung unzutreffend sei und eine Rücknahme bei hinreichender Aufklärung des Sachverhalts in Betracht komme. Denn ein auf die weiteren Rücknahmevoraussetzungen bezogener Rechtsirrtum habe keine fristhemmende Wirkung. Käme es für die Frage der Entscheidungsreife nicht auf die Rechtsauffassung der Rücknahmebehörde, sondern auf die zutreffende Anwendung der Rücknahmevoraussetzungen an, wäre es von den Rechtskenntnissen der Behörde abhängig, ob und wann sie die zur Herbeiführung der Entscheidungsreife notwendige Sachaufklärung vornehme. Die zur Verfügung stehende Rücknahmefrist wäre also um so länger bemessen, je geringer die Rechtskenntnisse der jeweiligen Behörde sind. Dies wäre aber mit dem Zweck der Jahresfrist, Rechtssicherheit und Rechtsklarheit im Hinblick auf den Bestand von Verwaltungsakten zu gewährleisten, nicht zu vereinbaren. Im Übrigen läge auch treuwidriges Verhalten vor, wenn sich eine Rücknahmebehörde, die zu erkennen gegeben hatte, dass aus ihrer Sicht Entscheidungsreife vorlag, später hinsichtlich des Fristablaufs auf die Notwendigkeit weiterer Sachaufklärung beriefe.

46

Die Auffassung des VGH Mannheim, dass die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 VwVfG M-V zu laufen beginnt, wenn aus der Sicht der Behörde - subjektiv - Entscheidungsreife vorliegt bzw. die Behörde zu erkennen gegeben hat, dass sie eine Rücknahme des rechtswidrigen Verwaltungsakts von vornherein - ohne Klärung konkreter Vertrauensschutzaspekte - für unzulässig hält, ist mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht vereinbar. Allerdings mögen Besonderheiten des Einzelfalles eine Abweichung von dem regelmäßigen Beginn der Jahresfrist rechtfertigen können (vgl. BVerwG B. v. 09.01.2007 - 8 B 36.06 - Juris Rn. 5). Der VGH Mannheim berücksichtigt jedoch nicht Besonderheiten des Einzelfalles, sondern stellt Rechtsgrundsätze auf, die von denen des Bundesverwaltungsgerichts abweichen. Dass der Lauf der Rücknahmefrist von den Rechtskenntnissen der Behörde abhängt, liegt in der Konsequenz der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts. Denn danach reicht bereits die Kenntnis der Behörde von denjenigen Tatsachen, aus denen sich die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes ergibt, nicht aus um die Jahresfrist in Lauf zu setzen; vielmehr muss hinzu kommen, dass die Behörde auch die zutreffende Schlussfolgerung auf die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes gezogen hat (BVerwG B. v. 19.12.1984 - GrSen 1, 2.84 - aaO). Wann diese Schlussfolgerung gezogen wird, hängt von den Rechtskenntnissen ab. Soweit der Gesichtspunkt von Treu und Glauben herangezogen wird um zu begründen, dass die Behörde, aus deren Sicht bereits Entscheidungsreife vorgelegen hatte, sich nicht später hinsichtlich des Fristablaufs auf die Notwendigkeit weiterer Sachaufklärung berufen könne, bleibt unberücksichtigt, dass das Bundesverwaltungsgericht im Falle einer Verzögerung der Sachaufklärung den - engeren bzw. konkreteren - Maßstab der Verwirkung anwendet. Dass ein Verstoß gegen Treu und Glauben an die "subjektive Entscheidungsreife" aus Sicht der Behörde anknüpfen soll, erscheint auch deshalb nicht plausibel, weil diese nicht notwendig nach außen deutlich geworden ist, sondern vielmehr typischerweise behördenintern geblieben bzw. - wie in dem vom VGH Mannheim entschiedenen ebenso wie in dem hier vorliegenden Fall - nur gegenüber einer anderen Behörde erkennbar geworden ist, nicht aber gegenüber dem Rücknahmeadressaten. Die Kriterien der Verwirkung berücksichtigen demgegenüber zu Recht die Perspektive des Adressaten der Erklärung bzw. Entscheidung.

47

4. Ein Fall der Verwirkung der Rücknahmebefugnis liegt nicht vor. Die Verwirkung setzt voraus, dass Umstände eingetreten sind, aus denen der die Rechtswidrigkeit kennende Begünstigte berechtigterweise den Schluss ziehen durfte, der Verwaltungsakt werde nicht mehr zurückgenommen, obwohl die Behörde dessen Rücknehmbarkeit erkannt hat, der Begünstigte ferner tatsächlich darauf vertraut hat, dass die Rücknahmebefugnis nicht mehr ausgeübt werde und dieses Vertrauen in einer Weise betätigt hat, dass ihm mit der sodann gleichwohl erfolgten Rücknahme ein unzumutbarer Nachteil entstünde (vgl. BVerwG, U. v. 20.12.1999 - 7 C 42.98 - NJW 2000, 1512, 1514). Im vorliegenden Fall fehlt es bereits an der Vertrauensgrundlage als der ersten dieser Voraussetzungen. Die bloße Untätigkeit des Beklagten nach Versagung der Investitionsbescheinigung für die zweite Doppelhaushälfte Am E. 14a reicht insoweit nicht aus. Das Verhalten der Gemeindevertretung ist nicht relevant, weil diese für die Entscheidung über die Rücknahme nicht zuständig war und die Entscheidung sie im rechtlichen Sinne auch sonst "nichts anging". Dass die Korrespondenz des Beklagten mit dem Finanzamt Stralsund den Klägern bekannt gewesen wäre, ist weder vorgetragen worden noch ersichtlich. Erst recht fehlt es an einer Vertrauensbetätigung in dem Sinne, dass den Klägern aus der gleichwohl erfolgenden Rücknahme ein unzumutbarer Nachteil entstünde.

48

5. Der Beklagte hat entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts sein Ermessen fehlerfrei ausgeübt. Allerdings enthält der Ausgangsbescheid keine Ermessenserwägungen. Dort heißt es lediglich, da die Kläger von ihrem Anhörungsrecht keinen Gebrauch gemacht und somit auch die Schutzwürdigkeit ihres Vertrauens nicht geltend gemacht hätten, werde die rechtswidrig erteilte Bescheinigung auch für die Vergangenheit zurückgenommen. Im Widerspruchsbescheid hat die Behörde jedoch deutlich gemacht, dass sie sich des ihr zustehenden Ermessens bewusst ist. Sie hat den "Grundsatz einer sparsamen und wirtschaftlichen Verwendung der Landeshaushaltsmittel" angeführt, der den großzügigen Verzicht auf die Rücknahme verbiete, und darauf hingewiesen, dass mit der Rücknahme der Bescheinigung ein rechtskonformer Zustand wiederhergestellt werde. Angesichts des mangelnden Vertrauensschutzes überwiege das entsprechende öffentliche Interesse gegenüber dem privaten Interesse an der Aufrechterhaltung des rechtswidrigen Bescheides. Die Rücknahme der Bescheinigung auch zum jetzigen Zeitpunkt werde für angemessen gehalten.

49

Weiter gehende Ermessenserwägungen musste der Beklagte weder bezogen auf den Zeitablauf seit Kenntnis von der Rechtswidrigkeit noch bezogen auf das eigene (Mit-)verschulden anstellen.

50

a) Der Zeitablauf ist in der Begründung der Ermessensentscheidung mit dem Satz: "Die Rücknahme der Grundlagenbescheinigung auch zum jetzigen Zeitpunkt halte ich für sachgerecht und angemessen." zumindest angesprochen. Weitergehende Erwägungen waren nicht erforderlich. Der Zeitablauf seit Kenntnis der Behörde von der Rechtswidrigkeit wird unter den weiteren Voraussetzungen des Vertrauensschutzes, des Ablaufs der Rücknahmefrist oder der Verwirkung berücksichtigt. Eine eigenständige Bedeutung kommt diesem Gesichtspunkt darüber hinaus regelmäßig nicht zu.

51

Soweit das Bundesverwaltungsgericht in seiner Rechtsprechung zum Lastenausgleichsrecht den Zeitablauf seit Kenntnis von der Rechtswidrigkeit als zu berücksichtigenden Ermessensgesichtspunkt genannt hat, handelte es sich um Fälle, in denen eine Ermessensausübung völlig fehlte (BVerwG U. v. 09.11.1978 - 3 C 68.77 - Buchholz 427.3 § 335a LAG Nr. 63 = Juris Rn. 28; U. v. 08.10.1981 - 3 C 36.81 – Buchholz 427.3 § 335a LAG Nr. 70). Darum geht es hier jedoch nicht. Ebenso liegt kein Sonderfall etwa deshalb vor, weil ein Zeitraum von mehr als 30 Jahren verstrichen wäre, nach dessen Ablauf in weiten Teilen der Rechtsordnung spätestens eine Verjährung eintritt (vgl. OVG Münster U. v. 08.11.2012 - 11 A 1548/11 - NVwZ-RR 2013, 250; ebenfalls zum Lastenausgleichsrecht, betreffend einen Zeitraum von 52 Jahren).

52

b) Das (Mit-)Verschulden der Behörde an dem Erlass des rechtswidrigen Verwaltungsaktes stellt regelmäßig keinen Ermessensgesichtspunkt dar, der gegen eine Rücknahme sprechen könnte. Wird ein rechtswidriger Verwaltungsakt erlassen, so wird - mit Ausnahme der Fälle arglistiger Täuschung oder unrichtiger oder unvollständiger Angaben des Begünstigten oder eines Dritten - typischerweise ein Verschulden oder Mitverschulden der Behörde vorliegen. Dies gilt insbesondere in Fällen von Rechtsanwendungsfehlern. Typischerweise wird das Verschulden der Behörde um so höher sein, je "schlimmer" der Fehler ist. Ein "schlimmer" Fehler begründet aber unter dem Gesichtspunkt der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung gerade ein höheres Interesse an einer Rücknahme, dem gegenüber die ggf. gegen eine Rücknahme sprechenden Gesichtspunkte der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes eher zurück treten. Wollte man dies anders sehen, so würde gerade in krassen Fällen, in denen sehenden Auges rechtswidrige Entscheidungen erlassen worden sind bzw. Fälle von Korruption oder anderer Straftaten vorliegen, die Rückgängigmachung der entsprechenden Entscheidungen und Wiederherstellung rechtmäßiger Zustände erschwert. Diese Wertung erscheint nicht sachgerecht.

53

Soweit in der Rechtsprechung die Berücksichtigung eines Mitverschuldens der Behörde bei der Ermessensentscheidung über die Rücknahme verlangt worden ist, ging es typischerweise um Fälle aus dem Bereich des Sozialrechts, in denen ein Vertrauensschutz des Betroffenen nicht bereits mangels Vorliegens eines Vertrauenstatbestandes ausschied, sondern mangels Schutzwürdigkeit des Vertrauens, wobei die entsprechende Bewertung an ein Verschulden des Betroffenen anknüpfte (vgl. OVG Münster U. v. 11.08.1994 - 24 A 646/92 – zur Sozialhilfe; U. v. 23.01.1990 - 16 A 2836/88 – zum BAföG; VG Sigmaringen U. v. 29.11.2006 - 5 K 1225/06 – Juris). In solchen Fällen das Verschulden des Betroffenen in eine Relation zum Verschulden der Behörde zu setzen, leuchtet ein. Entsprechendes gilt, soweit das Mitverschulden der Behörde berücksichtigt wird, um die Schutzwürdigkeit eines Vertrauens des Begünstigten ("unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rückforderung") zu begründen (vgl. VGH Kassel, U. v. 09.09.1991 - 8 UE 1097/85 - Juris Rn. 38). Auch in dem vom Bundesverwaltungsgericht entschiedenen subventionsrechtlichen Fall, in dem eine Berücksichtigung des Mitverschuldens der Behörde entsprechend den Grundsätzen des § 242 BGB wegen unzulässiger Rechtsausübung für möglich gehalten wurde (vgl. BVerwG, U. v. 14.08.1986 - 3 C 9.85 - NVwZ 1987, 44) war ein Vertrauensschutz des Betroffenen nicht bereits mangels Vorliegens eines Vertrauenstatbestandes ausgeschieden, sondern mangels Schutzwürdigkeit des Vertrauens, nämlich wegen unrichtiger Angaben (vgl. § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 VwVfG M-V).

54

Soweit im übrigen in der Rechtsprechung allgemeiner die Berücksichtigung der Verantwortung bzw. des Fehlverhaltens der Behörde verlangt worden ist (vgl. BVerwG U. v. 09.11.1978 - 3 C 68.77 - Buchholz 427.3 § 335a LAG Nr. 63 = Juris Rn. 28; U. v. 08.10.1981 - 3 C 36.81 – Buchholz 427.3 § 335a LAG Nr. 70; jeweils zum Lastenausgleichsrecht), handelte es sich um Fälle, in denen eine Ermessensausübung gänzlich unterblieben war, und gesagt sein sollte, dass unter den genannten Umständen auch bei fehlendem Vertrauensschutz eine Ermessensausübung nicht etwa gänzlich entbehrlich ist. Lässt die Entscheidung über die Rücknahme aber - wie hier - erkennen, dass die Behörde das ihr zustehende Ermessen gesehen hat, so bedarf es für eine ordnungsgemäße Ermessensausübung nicht der ausdrücklichen Erwähnung ihres eigenen (Mit-)Verschuldens.

55

c) Dass in der Begründung der Ermessensentscheidung von "Landeshaushaltsmitteln" die Rede ist, begründet schließlich ebenfalls keinen Ermessensfehler. Allerdings stehen die Einnahmen aus der Einkommensteuer, aus denen die Investitionszulage finanziert wird (vgl. § 6 Abs. 3 InvZulG 1999), Bund, Ländern und Gemeinden gemeinsam zu (vgl. Art. 106 Abs. 3 und Abs. 5 GG). Der Grundsatz der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit gemäß § 34 Abs. 2 Satz 1 LHO ist nicht anwendbar. Bei dem hier in Rede stehenden Interesse der öffentlichen Hand an der vollständigen Einnahmeerhebung (das u.a. in § 34 Abs. 1 LHO zum Ausdruck kommt), geht es jedoch um dasselbe Ziel. Dieses trägt neben dem ausdrücklich angesprochenen Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung (Art. 20 Abs. 3 GG; vgl. auch § 85 AO) die angefochtene Rücknahmeentscheidung.

56

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

57

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO iVm §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

58

Die Revision ist nicht zuzulassen, da keiner der Gründe des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.

Soweit die Verwaltungsbehörde ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, prüft das Gericht auch, ob der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist. Die Verwaltungsbehörde kann ihre Ermessenserwägungen hinsichtlich des Verwaltungsaktes auch noch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ergänzen.

Tenor

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Greifswald vom 23. Juni 2010 geändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Kläger können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des Vollstreckungsbetrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Kläger wenden sich gegen die Rücknahme einer sogenannten Kerngebietsbescheinigung, eines Grundlagenbescheides für die Gewährung einer Investitionszulage.

2

Diese betrifft die Doppelhaushälfte E-Straße in B-Stadt. Der Bereich ist in dem Bebauungsplan F als Allgemeines Wohngebiet festgesetzt. Die gegenüberliegende Straßenseite ist unbebaut. In etwa 150 m Entfernung beginnt auf der gegenüberliegenden Straßenseite der Ortskern von B-Stadt. Dort befinden sich eine Schule, das Amtsgebäude und einige Gewerbebetriebe.

3

Mit Datum vom 28.03.2002 erteilte der Beklagte auf den Antrag der Kläger eine Bescheinigung nach § 3 Abs. 1 Nr. 4b InvZulG 1999, mit der bescheinigt wurde, dass das Gebäude in einem Gebiet liegt, das auf Grund der Bebauung der näheren Umgebung einem Gebiet entspricht, welches durch Bebauungsplan als Kerngebiet im Sinne des § 7 BauNVO festgesetzt ist. Auf der Grundlage dieser Bescheinigung wurde eine Investitionszulage in Höhe von 5.460,09 EUR an die Kläger ausgezahlt.

4

Mit Schreiben vom 27.01.2003 wies das Finanzamt Stralsund bezogen auf andere Gebäude E-Straße auf rechtliche Zweifel an der Richtigkeit der Bescheinigungen hin, die für Bauvorhaben "auf der grünen Wiese" ausgestellt worden seien, und verwies auf die "Hinweise für die kommunale Bescheinigungspraxis..." des Bundesbauministeriums. Das Finanzamt bat um Überprüfung aller vom Beklagten in der Vergangenheit bereits erteilten Investitionszulagenbescheinigungen und ggf. Rücknahme der entsprechenden Bescheide, einschließlich eines Hinweises "auf die Möglichkeit einer straf- oder bußgeldrechtlichen Würdigung bei bestehendem Verdacht einer falsch ausgestellten Bescheinigung".

5

Der Beklagte antwortete hierauf mit Schreiben vom 20.02.2003. Eine Rücknahme ausgestellter Bescheinigungen werde abgelehnt, weil die Voraussetzungen jeweils von der Bauamtsleitung des Amtes sorgfältig überprüft und zum Zeitpunkt der Bescheinigungserstellung als erfüllt angesehen worden seien. Dies sei auf der Grundlage entsprechender Ausführungen in der Zeitschrift des Städte- und Gemeindetages erfolgt. Ergänzend sei mit dem Finanzamt Rücksprache gehalten worden, worüber ein Telefonvermerk existiere. Erst im November 2002 sei eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts Greifswald bekannt geworden, auf Grund derer der Städte- und Gemeindetag seine bisherige Empfehlung einer großzügigen Auslegung des InvZulG zurück gezogen habe. Ebenfalls erst zu diesem Zeitpunkt habe das Innenministerium M-V Hinweise und Merkblätter zur Investitionszulage nach dem InvZulG 1999 versandt. Der Beklagte verwies auf den Vertrauensschutz der Begünstigten, die die Planung und Finanzierung ihrer Bauvorhaben auf die Förderbarkeit nach dem InvZulG aufgebaut hätten. Die aus einer möglichen Rücknahme der Verwaltungsakte resultierenden Konsequenzen seien als unzumutbare Nachteile für die Betroffenen zu werten und würden auf Grund dessen vom Amt prinzipiell abgelehnt.

6

In der Beschlussvorlage für die Sitzung der Gemeindevertretung B-Stadt am 18.02.2003 erläuterte die Amtsverwaltung, weshalb die Kerngebietsbescheinigungen für das Gemeindegebiet nicht rechtmäßig erteilt worden seien, und empfohlen, diese zurückzunehmen. Im Protokoll heißt es hierzu: "Die Beschlussvorlage wird durch den Bürgermeister zurückgezogen. Es erfolgt die Information, dass die Grundlagenbescheide durch die Gemeinde B-Stadt vor der Änderung der rechtlichen Auslegung nicht zurückgezogen werden sollen. Neue Bescheinigungen werden indes nicht mehr ausgestellt."

7

Unter dem 07.01.2003 beantragten die Kläger für die andere Doppelhaushälfte E-Straße in B-Stadt ebenfalls einen Grundlagenbescheid nach dem Investitionszulagengesetz. Diesen Antrag lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 27.02.2003 mit der Begründung ab, die Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 Nr. 4 InvZulG 1999 lägen nicht vor. Den Widerspruch der Kläger wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 02.04.2003 als unbegründet zurück.

8

Mit Schreiben des Landrates des Landkreises Nordvorpommern als untere Rechtsaufsichtsbehörde vom 12.11.2007 wurden die Amtsverwaltungen aufgefordert, in allen Fällen fehlerhafter Investitionsbescheinigungen Rücknahmebescheide zu erlassen und bis zum 30.11.2007 über den Erlass der Rücknahmebescheide zu berichten. Die Kommunalabteilung des Innenministeriums habe darauf hingewiesen, dass grundsätzlich in allen diesen Fällen Rücknahmebescheide zu erlassen seien. Dabei stehe der Aspekt im Vordergrund, dass nur mittels einer generellen "Fehlerkorrektur" das Vertrauen in die öffentliche Verwaltung herzustellen sei. Auf einen Vertrauensschutz könnten sich die Begünstigten regelmäßig nicht berufen. Zwar hätten diese eine Vermögensdisposition vorgenommen, aber der geldwerte Vorteil stecke quasi in der Liegenschaft und sei damit als Gegenstand der Bereicherung noch vorhanden. Das Finanzministerium habe angekündigt, die Kommunen, falls sie der Aufforderung der Rechtsaufsichtsbehörde zur Rücknahme der Bescheinigungen nicht nachkämen, in die Haftung nehmen zu wollen.

9

Mit Schreiben vom 25.07. und 11.09.2007 hörte der Beklagte die Kläger zu der beabsichtigten Rücknahme an. Die Kläger äußerten sich nicht.

10

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 20.11.2007 nahm der Beklagte den Grundlagenbescheid vom 28.03.2002 mit Wirkung für die Vergangenheit zurück und führte zur Begründung aus: Im Rahmen einer nochmaligen Prüfung der Sach- und Rechtslage sei festgestellt worden, dass die bescheinigten Voraussetzungen nicht gegeben seien. Die konkrete örtliche Situation biete keine Anhaltspunkte für das Vorhandensein eines Kerngebietes iSv § 7 BauNVO. Auch die Bebauung der näheren Umgebung entspreche nicht ansatzweise einem solchen Kerngebiet. Zwar lägen im Ortsteil Einrichtungen, die auch in einem Kerngebiet zulässig seien, wie die Grundschule, ein Hotel und andere Gewerbebetriebe, dennoch handele es sich um einen Ortsteil, der überwiegend durch eine Wohnbebauung gekennzeichnet sei. Ein Dorfkern stelle regelmäßig kein Kerngebiet iSd § 3 Abs. 1 Nr. 4b InvZulG 1999 dar. Das Vertrauen der Kläger sei nicht wegen Verbrauchs gewährter Leistungen schutzwürdig, weil die Kläger Aufwendungen erspart hätten, die sonst aus eigenen Mitteln aufzubringen gewesen wären. Im Rahmen der Anhörung hätten die Kläger auch kein schutzwürdiges Vertrauen geltend gemacht.

11

Den Widerspruch der Kläger wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 30.01.2008 als unbegründet zurück. Die Jahresfrist für die Rücknahme sei gewahrt. Die Frist habe nicht bereits im Jahr 2003 zu laufen begonnen, weil damals – wie im einzelnen näher ausgeführt wird - keine Sicherheit über die Rechtswidrigkeit der erteilten Grundlagenbescheide bestanden habe. Eine Einzelfallprüfung hinsichtlich einer Rücknahme sei nicht durchgeführt worden. Man habe vergebens auf eine Rückäußerung des Finanzamtes gewartet. Da die Kläger die Doppelhaushälfte zu einem Preis von etwa 138.000 EUR veräußert hätten, seien sie nicht entreichert; die Verwendung des Geldes stehe - unter dem Gesichtspunkt eines schutzwürdigen Vertrauens, § 48 Abs. 2 VwVfG M-V - der Rücknahme nicht entgegen. Bei der Ermessensentscheidung über die Rücknahme sei der Grundsatz der sparsamen und wirtschaftlichen Verwendung der Haushaltsmittel zu beachten, der den großzügigen Verzicht auf die Rücknahme verbiete. Angesichts des mangelnden Vertrauensschutzes überwiege das öffentliche Interesse an der Wiederherstellung eines rechtskonformen Zustandes gegenüber dem privaten Interesse an der Aufrechterhaltung des rechtswidrigen Bescheides.

12

Die Kläger haben am 27.02.2008 Klage erhoben. Sie haben vorgetragen: Die Rücknahme sei nicht gemäß § 48 Abs. 4 VwVfG M-V fristgerecht innerhalb eines Jahres nach Kenntnis der die Rücknahme rechtfertigenden Tatsachen erfolgt. Daraus dass der Beklagte die Erteilung einer Investitionszulagenbescheinigung für das zweite Grundstück der Kläger bereits Anfang des Jahres 2003 abgelehnt habe, ergebe sich, dass die Rechtswidrigkeit des zurück genommenen Bescheides ihm bereits zu diesem Zeitpunkt bekannt gewesen sei. Auch das Finanzamt Stralsund, das Bauministerium M-V und das Finanzministerium M-V hätten bereits zu diesem Zeitpunkt Kenntnis von der Rechtswidrigkeit der ausgestellten Grundlagenbescheide gehabt. Für das Finanzministerium M-V gelte dies bereits seit April 2001. In der 2007 erteilten Weisung des Landkreises Nordvorpommern, Grundlagenbescheide aus früheren Jahren zurück zu nehmen, sei die Rücknahme nicht von einer Würdigung der Einzelfallumstände abhängig gemacht worden. Das anschließende Anhörungsschreiben an die Kläger vom 11.09.2007 sei nicht auf weitere Sachverhaltsaufklärung gerichtet gewesen; es stelle sich lediglich als formelle Wahrung des rechtlichen Gehörs dar. Die Kläger haben sich auf die Entscheidung des VGH Mannheim vom 05.04.2007 - 8 S 2090/06 - berufen, nach der die Jahresfrist zur Rücknahme zu laufen beginnt, wenn aus der Sicht der Behörde Entscheidungsreife gegeben ist.

13

Die Kläger haben beantragt,

14

den Rücknahmebescheid des Beklagten vom 20.11.2007 und dessen Widerspruchsbescheid vom 30.01.2008 aufzuheben.

15

Der Beklagte hat beantragt,

16

die Klage abzuweisen.

17

Er hat vorgetragen, die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 VwVfG M-V stehe der Rücknahme nicht entgegen, weil diese erst mit Kenntnis der Behörde von allen für die zu treffende Ermessensentscheidung relevanten Tatsachen beginne. Diese habe erst im Juli 2007 vorgelegen.

18

In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht hat der Kläger zu 2. erklärt, als er die Investitionszulage erhalten habe, sei das Gebäude bereits errichtet gewesen. Weitere Investitionsmaßnahmen habe er danach nicht getätigt. Über die Voraussetzungen, unter denen eine Investitionszulage gewährt werde, habe er sich seinerzeit überhaupt keine Gedanken gemacht. Diese sei von seinem Steuerberater beantragt worden.

19

Das Verwaltungsgericht hat mit Urteil des Berichterstatters vom 23.06.2010 der Klage stattgegeben und den angefochtenen Rücknahmebescheid aufgehoben. Zur Begründung hat das Verwaltungsgericht ausgeführt: Die zurück genommene Kerngebietsbescheinigung sei rechtswidrig. Die Rücknahme sei gemäß § 48 Abs. 2 VwVfG M-V nicht durch Vertrauensschutzgesichtspunkte gehindert, weil von einer grob fahrlässigen Unkenntnis bei den Klägern bzw. dem Steuerberater als ihrem Vertreter auszugehen sei. Die Rücknahme sei jedoch nicht innerhalb der Jahresfrist des § 48 Abs. 4 VwVfG M-V erfolgt. Der zuständige Sachbearbeiter des Beklagten habe spätestens im Februar 2003 die Rechtswidrigkeit der Kerngebietsbescheinigung erkannt. Soweit grundsätzlich auch die vollständige Kenntnis der Behörde über den für die Entscheidung über die Rücknahme erheblichen Sachverhalt Voraussetzung für den Fristlauf sei, insbesondere einschließlich Vertrauensschutzaspekten und Ermessensgesichtspunkten, gelte dies nicht, wenn die Behörde zu erkennen gegeben habe, dass sie von vornherein - ohne Klärung dieser Gesichtspunkte - eine Rücknahme für unzulässig halte. Es komme also - wie der VGH Mannheim in der von Klägerseite angeführten Entscheidung zu Recht dargelegt habe - allein auf den Zeitpunkt der Entscheidungsreife aus Sicht der Behörde an. Dies sei hier der Zeitpunkt im Februar 2003 gewesen, in dem der Beklagte erklärt habe, eine Rücknahme werde abgelehnt.

20

Im übrigen sei die Rücknahme ermessensfehlerhaft. Allerdings begründeten die Haushaltsgrundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit sowie die fehlende Schutzwürdigkeit des Vertrauens der Kläger ein intendiertes Ermessen. Der Beklagte habe aber berücksichtigen müssen, dass ihn ein erhebliches Mitverschulden an der rechtswidrigen Erteilung der Bescheinigung treffe. Auch bei einer weiten Auslegung des § 3 Abs. 1 Nr. 4b InvZulG 1999 sei offensichtlich gewesen, dass die Voraussetzungen für die Erteilung der Bescheinigung nicht vorgelegen hätten. Bei lebensnaher Betrachtung könne daher davon ausgegangen werden, dass er die Bescheinigung in Kenntnis der Rechtswidrigkeit erteilt habe oder zumindest den sich aufdrängenden Zweifeln an deren Rechtmäßigkeit nicht nachgegangen sei. Auch der fehlende Vertrauensschutz zu Gunsten der Kläger hindere eine Berücksichtigung des Mitverschuldens der Behörde nicht. Im übrigen habe der Beklagte auch den Zeitablauf seit Kenntnis der Rechtswidrigkeit bei der Ermessensentscheidung berücksichtigen müssen. Es habe näherer Darlegung bedurft, weshalb auch vier Jahre später noch das öffentliche Interesse an der Rücknahme der Bescheinigung gegenüber dem Interesse der Kläger überwiege.

21

Gegen das am 03.08.2010 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 30.08.2010 die Zulassung der Berufung beantragt und den Antrag am Montag, den 04.10.2010 begründet. Der Senat hat mit Beschluss vom 18.01.2013, zugestellt am 23.01.2013, die Berufung zugelassen. Der Beklagte hat daraufhin am 22.02.2013 die Berufung begründet.

22

Er trägt vor: Die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 VwVfG M-V sei im Zeitpunkt der Entscheidung noch nicht abgelaufen gewesen. Das Amt habe erst im Jahre 2007 Kenntnis von der Rechtswidrigkeit der erteilten Investitionsbescheinigungen gehabt. Bis dahin sei zur Frage der Rechtmäßigkeit eine differenzierte Auffassung vertreten worden. Die Richtlinien des Innenministeriums vom 05.11.2002 hätten lediglich die künftige Bescheinigungspraxis geregelt, sich zu den bereits zuvor erlassenen Bescheinigungen aber nicht geäußert. Dies ergebe sich bereits aus dem Widerspruchsbescheid.

23

Es treffe auch nicht zu, dass er - der Beklagte - bereits im Jahr 2003 zu erkennen gegeben habe, dass eine Rücknahme für unzulässig gehalten werde. Dies ergebe sich insbesondere nicht aus dem Protokoll der Gemeindevertretersitzung vom 18.02.2003. In dieser Sitzung sei die Gemeindevertretung lediglich informiert worden, habe aber keine Beschlüsse gefasst. Der informierende Bürgermeister - der im übrigen für die Entscheidung über die Rücknahme nicht zuständig gewesen sei - habe die Auffassung vertreten, dass die Bescheide im Zeitpunkt ihres Erlasses rechtmäßig gewesen seien. Entsprechend habe sich der Amtsvorsteher in dem Schreiben an das Finanzamt Stralsund vom 20.02.2003 geäußert. Allerdings habe dieser in dem genannten Schreiben die Rücknahme auch aus Vertrauensschutzgründen "prinzipiell abgelehnt". Aus der anschließenden Bekundung des Interesses an einer informellen Klärung ergebe sich jedoch, dass dies eher als Absichtserklärung denn als Entscheidung gemeint gewesen sei. Eine endgültige Entscheidungsreife, wie sie der VGH Mannheim in seiner Entscheidung vom 05.04.2007 fordere, habe zu diesem Zeitpunkt noch nicht vorgelegen.

24

Im übrigen weiche die genannte Entscheidung des VGH Mannheim von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ab, nach der die Jahresfrist erst zu laufen beginne, wenn der Behörde sämtliche für die Rücknahmeentscheidung erheblichen Tatsachen vollständig bekannt seien, wozu auch alle Tatsachen gehörten, die für die Beurteilung eines Vertrauensschutzes nach § 48 Abs. 2 VwVfG M-V sowie für die Ermessensausübung relevant seien. Der VGH Mannheim lege die subjektive Perspektive der Behörde zu Grunde, während das Bundesverwaltungsgericht einen objektiven Maßstab anlege. Objektiv sei die Sachaufklärung jedoch erst nach Anhörung der Betroffenen abgeschlossen.

25

Ein Mitverschulden sei entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts bei der Ermessensausübung nicht zu berücksichtigen. Es sei nicht nachvollziehbar, dass derjenige, der gemäß § 48 Abs. 2 Nr. 3 VwVfG M-V keinen Vertrauensschutz in Anspruch nehmen könne, über die Anwendung von Verschuldensgrundsätzen letztlich doch wieder geschützt werden solle. Weshalb der Zeitablauf im Rahmen der Ermessensentscheidung hätte berücksichtigt werden müssen, sei ebenfalls nicht erkennbar. Insbesondere bestünden keine Anhaltspunkte für einen Wegfall des öffentlichen Interesses daran, fehlerhaft bewilligte Fördermittel, die durch das Steueraufkommen finanziert würden, zurück zu verlangen. Allenfalls könne der Zeitablauf zu einer Verwirkung der Rücknahmebefugnis führen.

26

Der Beklagte beantragt,

27

das Urteil des Verwaltungsgerichts Greifswald vom 23. Juni 2010 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

28

Die Kläger beantragen,

29

die Berufung zurückzuweisen.

30

Das Verwaltungsgericht habe zu Recht angenommen, dass der Rücknahmebescheid rechtswidrig sei, weil die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG M-V bereits abgelaufen gewesen sei. Für den Fristbeginn sei - wie der VGH Mannheim zu Recht entschieden habe - die Entscheidungsreife aus der Sicht der Behörde maßgeblich. Diese habe bereits zum Zeitpunkt der Sitzung der Gemeindevertretung am 18.02.2003 vorgelegen. Ebenso ergebe sie sich aus dem Schreiben des Beklagten an das Finanzamt Stralsund vom 28.03.2002, in dem eine Rücknahme der Bescheinigung ausdrücklich abgelehnt werde. Die Kläger berufen sich auf eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, nach der ein Fehler in der Rechtsanwendung vorliegt, der den Beginn der Jahresfrist nicht hinauszuschieben vermag, wenn die Behörde umfassende Kenntnis der die Rücknahme rechtfertigenden Tatsachen hatte und sich lediglich über die Erforderlichkeit ausdrücklicher Ermessenserwägungen geirrt hat. Ebenso berufen sie sich auf eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, nach der es auf die subjektive Fähigkeit der Rücknahmebehörde, die Reichweite und die rechtlichen Anforderungen der Rücknahmeermächtigung richtig zu erkennen, nicht ankomme, und Rechtsirrtümer, die der Behörde insoweit trotz umfassender Tatsachenkenntnisse unterlaufen, zu ihren Lasten gingen. Die Kläger tragen vor, durch eine nachgeschobene Anhörung der Betroffenen könne der Behörde nicht eine Art "Wiedereinsetzung in den vorigen Stand" gewährt werden. Dies würde dem auf Rechtssicherheit zielenden Zweck der Rücknahmefrist zuwider laufen. Die Anforderung, dass die Entscheidungsreife nicht von der rechtlichen Erkenntnisfähigkeit der Behörde abhängig gemacht werden dürfe, würde konterkariert werden. Auch nach der Entscheidung des Großen Senats des Bundesverwaltungsgerichts vom 19.12.1984 könne der Zeitpunkt der Entscheidungsreife mit dem Zeitpunkt zusammen fallen, in dem die Behörde die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes erkenne.

31

Sie - die Kläger - könnten sich gemäß § 48 Abs. 2 VwVfG M-V auf Vertrauensschutz berufen. Ihnen bzw. ihrem Steuerberater sei jedenfalls nicht bekannt oder grob fahrlässig unbekannt gewesen, dass die Voraussetzungen für die Gewährung einer Investitionszulage von vornherein nicht vorgelegen hätten. Es sei davon auszugehen, dass der Steuerberater auf Grund der damaligen großzügigen kommunalen Bescheinigungspraxis angenommen habe, dass zu den förderungswürdigen Bauvorhaben auch solche gehörten, die auf Grund der Bebauung in näherer Umgebung eines Kerngebietes lagen. Eine andere Bewertung habe sich ihnen zum Zeitpunkt der Antragstellung jedenfalls nicht ohne weiteres aufdrängen müssen. Im übrigen sei die Rücknahme auch ermessensfehlerhaft, weil der Beklagte sein eigenes Mitverschulden nicht berücksichtigt habe.

32

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

33

Die Berufung ist zulässig und begründet. Die Klage ist unter Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils abzuweisen, weil sie zulässig, aber unbegründet ist. Der angefochtene Rücknahmebescheid des Beklagten vom 20.11.2007 und dessen Widerspruchsbescheid vom 30.01.2008 sind rechtmäßig und verletzen die Kläger nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

34

Rechtsgrundlage für die Rücknahme ist § 48 VwVfG M-V. Nach § 48 Abs. 1 VwVfG M-V kann ein rechtswidriger Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden (Satz 1); ein Verwaltungsakt der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), darf nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 zurückgenommen werden (Satz 2).

35

1. Bei der unanfechtbar gewordenen Bescheinigung vom 28.03.2002, mit der nach § 3 Abs. 1 Nr. 4b InvZulG 1999 bescheinigt wurde, dass das Gebäude E-Straße in B-Stadt in einem Gebiet liegt, das auf Grund der Bebauung der näheren Umgebung einem Gebiet entspricht, welches durch Bebauungsplan als Kerngebiet im Sinne des § 7 BauNVO festgesetzt ist, handelt es sich um einen rechtswidrigen Verwaltungsakt. Tatsächlich liegt das Gebäude in einem Gebiet, das durch Bebauungsplan als Allgemeines Wohngebiet gemäß § 4 BauNVO festgesetzt ist und auch tatsächlich so genutzt wird.

36

Auf die Frage, ob die Bescheinigung nichtig ist, weil sie an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dieser bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offensichtlich ist (§ 44 Abs. 1 VwVfG M-V), kommt es nicht an. Auch ein nichtiger Verwaltungsakt kann zurückgenommen werden. Die Behörde ist nicht auf die Feststellung nach § 44 Abs. 5 VwVfG M-V beschränkt (vgl. BSG U. v. 23.02.1989 - 11/7 RAr 103/87 - NVwZ 1989, 902 = Juris Rn. 17; Kopp/Ramsauer VwVfG 13. Aufl. 2012 § 48 Rn. 18; Sachs in Stelkens ua VwVfG § 48 Rn. 67; jew. mwN).

37

2. Die von der zuständigen Gemeindebehörde erteilte Investitionsbescheinigung ist gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 4b InvZulG 1999 die Grundlage für die Gewährung einer Investitionszulage und damit ein begünstigender Verwaltungsakt iSd § 48 Abs. 1 Satz 2 VwVfG M-V. Da es sich um einen Verwaltungsakt handelt, der Voraussetzung für die Gewährung einer einmaligen Geldleistung ist, darf dieser gemäß § 48 Abs. 2 VwVfG M-V nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist (Satz 1); das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte gewährte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann (Satz 2). Dabei finden die Grundsätze Anwendung, die zum Umfang des Bereicherungsanspruchs (§ 818 BGB) entwickelt worden sind. Danach ist eine Geldleistung nicht im Sinne des § 48 Abs. 2 Satz 2 VwVfG M-V verbraucht, wenn sie zur Schuldentilgung oder für Anschaffungen verwendet worden ist, die wertmäßig im Vermögen des Begünstigten noch vorhanden sind (BVerwG U. v. 28.01.1993 - 2 C 15.91 - NVwZ-RR 1994, 32 = Juris Rn. 11 f.).

38

Nach diesen Maßstäben kommt ein Vertrauensschutz hier nicht in Betracht und wird von den Klägern auch nicht geltend gemacht. Der durch die Gewährung der Investitionszulage bei den Klägern eingetretene Vermögenszuwachs – durch Schuldentilgung bzw. Investition in das errichtete Gebäude, für das sodann ein entsprechender Kaufpreis erzielt wurde – ist wertmäßig noch vorhanden. Ein „Wegfall der Bereicherung“ ist nicht eingetreten. Es bestehen im übrigen auch keine Anhaltspunkte dafür, dass die Kläger die Gesamtinvestition nur im Hinblick auf die erwartete Investitionszulage getätigt hätten oder mit der Zulage bestimmte weitere Maßnahmen finanziert hätten, die ansonsten unterblieben wären. Denn sie haben in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht angegeben, das Gebäude sei bereits errichtet gewesen, als sie die Investitionszulage erhalten hätten; weitere Investitionsmaßnahmen wie z.B. Modernisierungen seien nach Erhalt der Investitionszulage nicht vorgenommen worden.

39

Auf die Frage, ob sich die Kläger – wie das Verwaltungsgericht angenommen hat - auf Vertrauensschutz auch deshalb nicht berufen können, weil sie die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannten oder in Folge grober Fahrlässigkeit nicht kannten bzw. ihnen das Verschulden ihres Steuerberaters zuzurechnen ist (§ 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 VwVfG M-V), kommt es daher nicht mehr an.

40

3. Erhält die Behörde von Tatsachen Kenntnis, die die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes rechtfertigen, so ist die Rücknahme nur innerhalb eines Jahres seit dem Zeitpunkt der Kenntnisnahme zulässig, § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG M-V. Diese Frist ist hier gewahrt.

41

Die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG wird in Lauf gesetzt, wenn die Behörde positive Kenntnis von den Tatsachen erhalten hat, die die Rücknahme des Verwaltungsakts rechtfertigen. Dass die die Rücknahme des Verwaltungsakts rechtfertigenden Tatsachen aktenkundig sind, genügt nicht. Die Behörde erlangt diese positive Kenntnis, wenn der nach der innerbehördlichen Geschäftsverteilung zur Rücknahme des Verwaltungsakts berufene Amtswalter oder ein sonst innerbehördlich zur rechtlichen Überprüfung des Verwaltungsakts berufener Amtswalter die die Rücknahme des Verwaltungsakts rechtfertigenden Tatsachen feststellt. Die Behörde muss insoweit nicht nur die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts erkannt haben, sondern ihr müssen außerdem sämtliche für die Rücknahmeentscheidung erheblichen Tatsachen vollständig bekannt sein, wozu auch alle Tatsachen gehören, die im Falle des § 48 Abs. 2 VwVfG M-V ein Vertrauen des Begünstigten in den Bestand des Verwaltungsakts entweder nicht rechtfertigen oder ein bestehendes Vertrauen als nicht schutzwürdig erscheinen lassen, sowie die für die Ermessensausübung wesentlichen Umstände (st. Rspr. seit BVerwG, B. v. 19.12.1984 - Gr.Sen.1,2.84 - NJW 1985, 819, 820 f. = Juris Rn. 17 ff.; vgl. zuletzt ausführlich BVerwG U. v. 28.06.2012 - 2 C 13.11 - BVerwGE 143, 230 = Juris Rn. 27 ff.).

42

Bereits der Wortlaut des § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG M-V fordert die Kenntnis von Tatsachen, die die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsakts "rechtfertigen", und stellt damit klar, daß die Erkenntnis der Rechtswidrigkeit für sich allein den Fristlauf nicht auszulösen vermag, sondern hierzu die vollständige Kenntnis des für die Entscheidung über die Rücknahme des Verwaltungsakts erheblichen Sachverhalts nötig ist. Hierzu gehören auch alle Tatsachen, die im Falle des § 48 Abs. 2 VwVfG M-V ein Vertrauen des Begünstigten in den Bestand des Verwaltungsakts entweder nicht rechtfertigen oder ein bestehendes Vertrauen als nicht schutzwürdig erscheinen lassen, sowie die für die Ermessensausübung wesentlichen Umstände. Die Frist beginnt demgemäß zu laufen, wenn die Behörde ohne weitere Sachaufklärung objektiv in der Lage ist, unter sachgerechter Ausübung ihres Ermessens über die Rücknahme des Verwaltungsakts zu entscheiden. Das entspricht dem Zweck der Jahresfrist als einer Entscheidungsfrist, die sinnvollerweise erst anlaufen kann, wenn der zuständigen Behörde alle für die Rücknahmeentscheidung bedeutsamen Tatsachen bekannt sind. Die Behörde soll nicht durch den drohenden Fristablauf zu einer Entscheidung gezwungen werden, obwohl ihr diese mangels vollständiger Kenntnis des insofern erheblichen Sachverhalts noch nicht möglich ist. Ein entsprechendes Verständnis der Jahresfrist als einer Bearbeitungsfrist für die Behörde würde dem Wortlaut der Vorschrift widersprechen und von ihrem Sinn und Zweck nicht getragen sein (vgl. BVerwG B. v. 19.12.1984 - Gr.Sen.1,2.84 – aaO; zum Charakter der Frist als Entscheidungs- und nicht Bearbeitungsfrist vgl. zuletzt BVerwG U. v. 28.06.2012 – 2 C 13.11 – aaO Rn. 33).

43

Das Bundesverwaltungsgericht hat in Fortentwicklung dieser Rechtsprechung auch entschieden, dass zur Herstellung der Entscheidungsreife, mit deren Eintritt die Entscheidungsfrist des § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG erst zu laufen beginnen kann, regelmäßig das Anhörungsverfahren gehört, das der Wahrung des in einem rechtsstaatlichen Verwaltungsverfahren gebotenen rechtlichen Gehörs dient, und zwar unabhängig vom Ergebnis der Anhörung. Denn die Einwände des Anzuhörenden können nur dann ernstlich zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen werden, wenn sich die Behörde ihre Entscheidung bis zum Abschluss des Anhörungsverfahrens offen hält. Das gilt auch und gerade, wenn es sich bei der zu treffenden Entscheidung um eine Ermessensentscheidung handelt, bei der die für die Ermessensbetätigung maßgeblichen Umstände auch in der Sphäre des anzuhörenden Betroffenen liegen. Es liegt in der Konsequenz der Ausgestaltung der Rücknahmefrist als Entscheidungsfrist, dass es die Behörde in der Hand hat, den Beginn der Frist durch eine Verzögerung des Anhörungsverfahrens hinauszuschieben. Ein solches Verhalten kann allerdings zur Verwirkung des Rechts auf Rücknahme führen (vgl. BVerwG, U. v. 20.09.2001 - 7 C 6.01 - NVwZ 2002, 485 mwN; BVerwG B. v. 04.12.2008 - 2 B 60.08 - Juris Rn. 7).

44

Nach diesen Maßstäben war eine Anhörung der Kläger hier zur Herstellung der Entscheidungsreife erforderlich, um zu klären, ob die Kläger in schutzwürdiger Weise auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hatten, § 48 Abs. 2 VwVfG M-V. Mit dem Abschluss des Anhörungsverfahrens im Jahr 2007 begann die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 Satz 1 VwVfG M-V zu laufen; sie wurde folglich durch den Rücknahmebescheid vom 20.11.2007 gewahrt.

45

Soweit die Kläger sich auf eine – ebenfalls die Rücknahme einer Investitionsbescheinigung betreffende - Entscheidung des VGH Mannheim berufen (U. v. 05.04.2007 - 8 S 2090/06 - VBlBW 2007, 347), nach der die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 VwVfG M-V zu laufen beginnt, wenn aus der Sicht der Behörde - subjektiv - Entscheidungsreife vorliegt bzw. die Behörde zu erkennen gegeben hat, dass sie eine Rücknahme des rechtswidrigen Verwaltungsakts von vornherein - ohne Klärung konkreter Vertrauensschutzaspekte - für unzulässig hält, folgt der Senat dieser Auffassung nicht. Der VGH Mannheim hat ausgeführt, die Jahresfrist zur Rücknahme habe in dem Moment zu laufen begonnen, in dem die Behörde die Rechtswidrigkeit der erteilten Bescheinigung erkannt, aber offenbar angenommen habe, die weiteren Rücknahmevoraussetzungen lägen nicht vor. Mit Blick auf den Zweck der Ausschlussfrist als Entscheidungsfrist komme es allein darauf an, ob aus Sicht der Behörde Entscheidungsreife gegeben sei. Habe diese zu erkennen gegeben, dass sie eine Rücknahme des rechtswidrigen Verwaltungsakts von vornherein - ohne Klärung konkreter Vertrauensschutzaspekte - für unzulässig halte, beginne die Jahresfrist auch dann zu laufen, wenn diese Rechtsauffassung unzutreffend sei und eine Rücknahme bei hinreichender Aufklärung des Sachverhalts in Betracht komme. Denn ein auf die weiteren Rücknahmevoraussetzungen bezogener Rechtsirrtum habe keine fristhemmende Wirkung. Käme es für die Frage der Entscheidungsreife nicht auf die Rechtsauffassung der Rücknahmebehörde, sondern auf die zutreffende Anwendung der Rücknahmevoraussetzungen an, wäre es von den Rechtskenntnissen der Behörde abhängig, ob und wann sie die zur Herbeiführung der Entscheidungsreife notwendige Sachaufklärung vornehme. Die zur Verfügung stehende Rücknahmefrist wäre also um so länger bemessen, je geringer die Rechtskenntnisse der jeweiligen Behörde sind. Dies wäre aber mit dem Zweck der Jahresfrist, Rechtssicherheit und Rechtsklarheit im Hinblick auf den Bestand von Verwaltungsakten zu gewährleisten, nicht zu vereinbaren. Im Übrigen läge auch treuwidriges Verhalten vor, wenn sich eine Rücknahmebehörde, die zu erkennen gegeben hatte, dass aus ihrer Sicht Entscheidungsreife vorlag, später hinsichtlich des Fristablaufs auf die Notwendigkeit weiterer Sachaufklärung beriefe.

46

Die Auffassung des VGH Mannheim, dass die Jahresfrist des § 48 Abs. 4 VwVfG M-V zu laufen beginnt, wenn aus der Sicht der Behörde - subjektiv - Entscheidungsreife vorliegt bzw. die Behörde zu erkennen gegeben hat, dass sie eine Rücknahme des rechtswidrigen Verwaltungsakts von vornherein - ohne Klärung konkreter Vertrauensschutzaspekte - für unzulässig hält, ist mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht vereinbar. Allerdings mögen Besonderheiten des Einzelfalles eine Abweichung von dem regelmäßigen Beginn der Jahresfrist rechtfertigen können (vgl. BVerwG B. v. 09.01.2007 - 8 B 36.06 - Juris Rn. 5). Der VGH Mannheim berücksichtigt jedoch nicht Besonderheiten des Einzelfalles, sondern stellt Rechtsgrundsätze auf, die von denen des Bundesverwaltungsgerichts abweichen. Dass der Lauf der Rücknahmefrist von den Rechtskenntnissen der Behörde abhängt, liegt in der Konsequenz der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts. Denn danach reicht bereits die Kenntnis der Behörde von denjenigen Tatsachen, aus denen sich die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes ergibt, nicht aus um die Jahresfrist in Lauf zu setzen; vielmehr muss hinzu kommen, dass die Behörde auch die zutreffende Schlussfolgerung auf die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes gezogen hat (BVerwG B. v. 19.12.1984 - GrSen 1, 2.84 - aaO). Wann diese Schlussfolgerung gezogen wird, hängt von den Rechtskenntnissen ab. Soweit der Gesichtspunkt von Treu und Glauben herangezogen wird um zu begründen, dass die Behörde, aus deren Sicht bereits Entscheidungsreife vorgelegen hatte, sich nicht später hinsichtlich des Fristablaufs auf die Notwendigkeit weiterer Sachaufklärung berufen könne, bleibt unberücksichtigt, dass das Bundesverwaltungsgericht im Falle einer Verzögerung der Sachaufklärung den - engeren bzw. konkreteren - Maßstab der Verwirkung anwendet. Dass ein Verstoß gegen Treu und Glauben an die "subjektive Entscheidungsreife" aus Sicht der Behörde anknüpfen soll, erscheint auch deshalb nicht plausibel, weil diese nicht notwendig nach außen deutlich geworden ist, sondern vielmehr typischerweise behördenintern geblieben bzw. - wie in dem vom VGH Mannheim entschiedenen ebenso wie in dem hier vorliegenden Fall - nur gegenüber einer anderen Behörde erkennbar geworden ist, nicht aber gegenüber dem Rücknahmeadressaten. Die Kriterien der Verwirkung berücksichtigen demgegenüber zu Recht die Perspektive des Adressaten der Erklärung bzw. Entscheidung.

47

4. Ein Fall der Verwirkung der Rücknahmebefugnis liegt nicht vor. Die Verwirkung setzt voraus, dass Umstände eingetreten sind, aus denen der die Rechtswidrigkeit kennende Begünstigte berechtigterweise den Schluss ziehen durfte, der Verwaltungsakt werde nicht mehr zurückgenommen, obwohl die Behörde dessen Rücknehmbarkeit erkannt hat, der Begünstigte ferner tatsächlich darauf vertraut hat, dass die Rücknahmebefugnis nicht mehr ausgeübt werde und dieses Vertrauen in einer Weise betätigt hat, dass ihm mit der sodann gleichwohl erfolgten Rücknahme ein unzumutbarer Nachteil entstünde (vgl. BVerwG, U. v. 20.12.1999 - 7 C 42.98 - NJW 2000, 1512, 1514). Im vorliegenden Fall fehlt es bereits an der Vertrauensgrundlage als der ersten dieser Voraussetzungen. Die bloße Untätigkeit des Beklagten nach Versagung der Investitionsbescheinigung für die zweite Doppelhaushälfte Am E. 14a reicht insoweit nicht aus. Das Verhalten der Gemeindevertretung ist nicht relevant, weil diese für die Entscheidung über die Rücknahme nicht zuständig war und die Entscheidung sie im rechtlichen Sinne auch sonst "nichts anging". Dass die Korrespondenz des Beklagten mit dem Finanzamt Stralsund den Klägern bekannt gewesen wäre, ist weder vorgetragen worden noch ersichtlich. Erst recht fehlt es an einer Vertrauensbetätigung in dem Sinne, dass den Klägern aus der gleichwohl erfolgenden Rücknahme ein unzumutbarer Nachteil entstünde.

48

5. Der Beklagte hat entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts sein Ermessen fehlerfrei ausgeübt. Allerdings enthält der Ausgangsbescheid keine Ermessenserwägungen. Dort heißt es lediglich, da die Kläger von ihrem Anhörungsrecht keinen Gebrauch gemacht und somit auch die Schutzwürdigkeit ihres Vertrauens nicht geltend gemacht hätten, werde die rechtswidrig erteilte Bescheinigung auch für die Vergangenheit zurückgenommen. Im Widerspruchsbescheid hat die Behörde jedoch deutlich gemacht, dass sie sich des ihr zustehenden Ermessens bewusst ist. Sie hat den "Grundsatz einer sparsamen und wirtschaftlichen Verwendung der Landeshaushaltsmittel" angeführt, der den großzügigen Verzicht auf die Rücknahme verbiete, und darauf hingewiesen, dass mit der Rücknahme der Bescheinigung ein rechtskonformer Zustand wiederhergestellt werde. Angesichts des mangelnden Vertrauensschutzes überwiege das entsprechende öffentliche Interesse gegenüber dem privaten Interesse an der Aufrechterhaltung des rechtswidrigen Bescheides. Die Rücknahme der Bescheinigung auch zum jetzigen Zeitpunkt werde für angemessen gehalten.

49

Weiter gehende Ermessenserwägungen musste der Beklagte weder bezogen auf den Zeitablauf seit Kenntnis von der Rechtswidrigkeit noch bezogen auf das eigene (Mit-)verschulden anstellen.

50

a) Der Zeitablauf ist in der Begründung der Ermessensentscheidung mit dem Satz: "Die Rücknahme der Grundlagenbescheinigung auch zum jetzigen Zeitpunkt halte ich für sachgerecht und angemessen." zumindest angesprochen. Weitergehende Erwägungen waren nicht erforderlich. Der Zeitablauf seit Kenntnis der Behörde von der Rechtswidrigkeit wird unter den weiteren Voraussetzungen des Vertrauensschutzes, des Ablaufs der Rücknahmefrist oder der Verwirkung berücksichtigt. Eine eigenständige Bedeutung kommt diesem Gesichtspunkt darüber hinaus regelmäßig nicht zu.

51

Soweit das Bundesverwaltungsgericht in seiner Rechtsprechung zum Lastenausgleichsrecht den Zeitablauf seit Kenntnis von der Rechtswidrigkeit als zu berücksichtigenden Ermessensgesichtspunkt genannt hat, handelte es sich um Fälle, in denen eine Ermessensausübung völlig fehlte (BVerwG U. v. 09.11.1978 - 3 C 68.77 - Buchholz 427.3 § 335a LAG Nr. 63 = Juris Rn. 28; U. v. 08.10.1981 - 3 C 36.81 – Buchholz 427.3 § 335a LAG Nr. 70). Darum geht es hier jedoch nicht. Ebenso liegt kein Sonderfall etwa deshalb vor, weil ein Zeitraum von mehr als 30 Jahren verstrichen wäre, nach dessen Ablauf in weiten Teilen der Rechtsordnung spätestens eine Verjährung eintritt (vgl. OVG Münster U. v. 08.11.2012 - 11 A 1548/11 - NVwZ-RR 2013, 250; ebenfalls zum Lastenausgleichsrecht, betreffend einen Zeitraum von 52 Jahren).

52

b) Das (Mit-)Verschulden der Behörde an dem Erlass des rechtswidrigen Verwaltungsaktes stellt regelmäßig keinen Ermessensgesichtspunkt dar, der gegen eine Rücknahme sprechen könnte. Wird ein rechtswidriger Verwaltungsakt erlassen, so wird - mit Ausnahme der Fälle arglistiger Täuschung oder unrichtiger oder unvollständiger Angaben des Begünstigten oder eines Dritten - typischerweise ein Verschulden oder Mitverschulden der Behörde vorliegen. Dies gilt insbesondere in Fällen von Rechtsanwendungsfehlern. Typischerweise wird das Verschulden der Behörde um so höher sein, je "schlimmer" der Fehler ist. Ein "schlimmer" Fehler begründet aber unter dem Gesichtspunkt der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung gerade ein höheres Interesse an einer Rücknahme, dem gegenüber die ggf. gegen eine Rücknahme sprechenden Gesichtspunkte der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes eher zurück treten. Wollte man dies anders sehen, so würde gerade in krassen Fällen, in denen sehenden Auges rechtswidrige Entscheidungen erlassen worden sind bzw. Fälle von Korruption oder anderer Straftaten vorliegen, die Rückgängigmachung der entsprechenden Entscheidungen und Wiederherstellung rechtmäßiger Zustände erschwert. Diese Wertung erscheint nicht sachgerecht.

53

Soweit in der Rechtsprechung die Berücksichtigung eines Mitverschuldens der Behörde bei der Ermessensentscheidung über die Rücknahme verlangt worden ist, ging es typischerweise um Fälle aus dem Bereich des Sozialrechts, in denen ein Vertrauensschutz des Betroffenen nicht bereits mangels Vorliegens eines Vertrauenstatbestandes ausschied, sondern mangels Schutzwürdigkeit des Vertrauens, wobei die entsprechende Bewertung an ein Verschulden des Betroffenen anknüpfte (vgl. OVG Münster U. v. 11.08.1994 - 24 A 646/92 – zur Sozialhilfe; U. v. 23.01.1990 - 16 A 2836/88 – zum BAföG; VG Sigmaringen U. v. 29.11.2006 - 5 K 1225/06 – Juris). In solchen Fällen das Verschulden des Betroffenen in eine Relation zum Verschulden der Behörde zu setzen, leuchtet ein. Entsprechendes gilt, soweit das Mitverschulden der Behörde berücksichtigt wird, um die Schutzwürdigkeit eines Vertrauens des Begünstigten ("unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rückforderung") zu begründen (vgl. VGH Kassel, U. v. 09.09.1991 - 8 UE 1097/85 - Juris Rn. 38). Auch in dem vom Bundesverwaltungsgericht entschiedenen subventionsrechtlichen Fall, in dem eine Berücksichtigung des Mitverschuldens der Behörde entsprechend den Grundsätzen des § 242 BGB wegen unzulässiger Rechtsausübung für möglich gehalten wurde (vgl. BVerwG, U. v. 14.08.1986 - 3 C 9.85 - NVwZ 1987, 44) war ein Vertrauensschutz des Betroffenen nicht bereits mangels Vorliegens eines Vertrauenstatbestandes ausgeschieden, sondern mangels Schutzwürdigkeit des Vertrauens, nämlich wegen unrichtiger Angaben (vgl. § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 VwVfG M-V).

54

Soweit im übrigen in der Rechtsprechung allgemeiner die Berücksichtigung der Verantwortung bzw. des Fehlverhaltens der Behörde verlangt worden ist (vgl. BVerwG U. v. 09.11.1978 - 3 C 68.77 - Buchholz 427.3 § 335a LAG Nr. 63 = Juris Rn. 28; U. v. 08.10.1981 - 3 C 36.81 – Buchholz 427.3 § 335a LAG Nr. 70; jeweils zum Lastenausgleichsrecht), handelte es sich um Fälle, in denen eine Ermessensausübung gänzlich unterblieben war, und gesagt sein sollte, dass unter den genannten Umständen auch bei fehlendem Vertrauensschutz eine Ermessensausübung nicht etwa gänzlich entbehrlich ist. Lässt die Entscheidung über die Rücknahme aber - wie hier - erkennen, dass die Behörde das ihr zustehende Ermessen gesehen hat, so bedarf es für eine ordnungsgemäße Ermessensausübung nicht der ausdrücklichen Erwähnung ihres eigenen (Mit-)Verschuldens.

55

c) Dass in der Begründung der Ermessensentscheidung von "Landeshaushaltsmitteln" die Rede ist, begründet schließlich ebenfalls keinen Ermessensfehler. Allerdings stehen die Einnahmen aus der Einkommensteuer, aus denen die Investitionszulage finanziert wird (vgl. § 6 Abs. 3 InvZulG 1999), Bund, Ländern und Gemeinden gemeinsam zu (vgl. Art. 106 Abs. 3 und Abs. 5 GG). Der Grundsatz der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit gemäß § 34 Abs. 2 Satz 1 LHO ist nicht anwendbar. Bei dem hier in Rede stehenden Interesse der öffentlichen Hand an der vollständigen Einnahmeerhebung (das u.a. in § 34 Abs. 1 LHO zum Ausdruck kommt), geht es jedoch um dasselbe Ziel. Dieses trägt neben dem ausdrücklich angesprochenen Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung (Art. 20 Abs. 3 GG; vgl. auch § 85 AO) die angefochtene Rücknahmeentscheidung.

56

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

57

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO iVm §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

58

Die Revision ist nicht zuzulassen, da keiner der Gründe des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.

(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.

Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:

1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen;
2.
Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a;
3.
Urteile, durch die gemäß § 341 der Einspruch als unzulässig verworfen wird;
4.
Urteile, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen werden;
5.
Urteile, die ein Vorbehaltsurteil, das im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen wurde, für vorbehaltlos erklären;
6.
Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt oder aufgehoben werden;
7.
Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen;
8.
Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht;
9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung;
10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist;
11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.

(1) Das Verwaltungsgericht lässt die Berufung in dem Urteil zu, wenn die Gründe des § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 vorliegen. Das Oberverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden. Zu einer Nichtzulassung der Berufung ist das Verwaltungsgericht nicht befugt.

(2) Die Berufung ist, wenn sie von dem Verwaltungsgericht zugelassen worden ist, innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils bei dem Verwaltungsgericht einzulegen. Die Berufung muss das angefochtene Urteil bezeichnen.

(3) Die Berufung ist in den Fällen des Absatzes 2 innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht zugleich mit der Einlegung der Berufung erfolgt, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden des Senats verlängert werden. Die Begründung muss einen bestimmten Antrag enthalten sowie die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe). Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung unzulässig.

(4) Wird die Berufung nicht in dem Urteil des Verwaltungsgerichts zugelassen, so ist die Zulassung innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils zu beantragen. Der Antrag ist bei dem Verwaltungsgericht zu stellen. Er muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Die Stellung des Antrags hemmt die Rechtskraft des Urteils.

(5) Über den Antrag entscheidet das Oberverwaltungsgericht durch Beschluss. Die Berufung ist zuzulassen, wenn einer der Gründe des § 124 Abs. 2 dargelegt ist und vorliegt. Der Beschluss soll kurz begründet werden. Mit der Ablehnung des Antrags wird das Urteil rechtskräftig. Lässt das Oberverwaltungsgericht die Berufung zu, wird das Antragsverfahren als Berufungsverfahren fortgesetzt; der Einlegung einer Berufung bedarf es nicht.

(6) Die Berufung ist in den Fällen des Absatzes 5 innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Berufung zu begründen. Die Begründung ist bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Absatz 3 Satz 3 bis 5 gilt entsprechend.