Verwaltungsgericht Greifswald Urteil, 07. Apr. 2016 - 3 A 115/14

bei uns veröffentlicht am07.04.2016

Tenor

1. Der Bescheid des Beklagten vom 25.07.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.01.2013 wird aufgehoben.

2. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

3. Das Urteil ist wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

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Die Beteiligten streiten über die Festsetzung von Ausgleichsbeträgen für nicht herzustellende Kraftfahrzeugeinstellplätze (künftig: Stellplatzablöse).

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Der Kläger erhielt von der Landrätin des vormaligen Landkreises Müritz als unterer Bauaufsichtsbehörde am 7. Oktober 2008 eine von ihm beantragte Baugenehmigung zur Errichtung eines Wohn- und Geschäftshauses in der F.-Straße in W. Die Baugenehmigung sah als Auflage unter Nr. 11 vor, dass der Kläger an die Stadt W. einen Geldbetrag für 17 von ihm nicht herzustellende Kraftfahrzeugstellplätze zu zahlen habe. Die Höhe des zu zahlenden Geldbetrages sollte sich nach der einschlägigen Satzung bestimmen; die Ablösung sollte bis zur abschließenden Fertigstellung nachgewiesen werden. Mit einem 1. Nachtrag vom 20. Oktober 2009 zu dieser Baugenehmigung wurde die Anzahl der abzulösenden Stellplätze auf 12 reduziert. Mit Bescheid vom 25. Juli 2013 setzte der Beklagte gegenüber dem Kläger eine Stellplatzablöse in Höhe von 29.040,00 Euro fest und begründete dies damit, dass in Anwendung der Satzungsvorschriften der Stadt W. ein Ablösebetrag von 2.420,00 Euro für jeden der 12 abzulösenden Stellplätze anzusetzen sei. Festsetzungsverjährung sei noch nicht eingetreten, da die Festsetzungsfrist vier Jahre betrage und erst am Ende des Jahres zu laufen beginne, in dem das Vorhaben fertig gestellt werde, hier also im Jahr 2009. Den dagegen gerichteten Widerspruch des Klägers vom 12. August 2013, wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 21. Januar 2014 zurück.

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Am 12. Februar 2014 hat der Kläger Anfechtungsklage erhoben.

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Der Kläger ist der Auffassung, der angefochtenen Bescheid über die Festsetzung der Stellplatzablöse sei rechtswidrig. Bei der Stellplatzablöse handele es sich nicht um eine Abgabe im Sinne des Kommunalabgabengesetzes (KAG M-V), da sie auch keine Abgabe im Sinne von § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) sei und beide Abgabenbegriffe einander entsprächen. Daher richte sich die Verjährung in Ermangelung anderer spezieller Regelungen nach den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB). Die Verjährungsfrist betrage drei Jahre und sei bei Erlass des angefochtenen Bescheides bereits abgelaufen gewesen. Die Verjährung sei aber auch bei Anwendung des Kommunalabgabengesetzes und der Abgabenordnung (AO) bereits eingetreten. Für den Beginn der vierjährigen Festsetzungsverjährungsfrist sei der Erlass der Baugenehmigung vom 7. Oktober 2008 maßgeblich, da diese einen selbständigen Verpflichtungsgrund darstelle. Wegen der eingetretenen Bestandskraft sei auf den Nachtrag zur Baugenehmigung vom 20. Oktober 2009 nicht abzustellen. Keinesfalls sei auf den Nachweis der Fertigstellung der Anlage abzustellen. Die Verjährungsfrist habe damit am 31. Dezember 2012 geendet. Sie sei auch nicht durch ein Schreiben des Klägers vom 27. November 2009, in dem dieser um Gewährung einer Ratenzahlung zur Begleichung der Stellplatzablöse gebeten habe, unterbrochen worden. Letztlich bestünden auch Zweifel an der satzungsmäßigen Grundlage für die Erhebung der Stellplatzablöse, da die vom Beklagten herangezogene Satzung nicht alle nach § 2 KAG M-V erforderlichen Gegenstände regele.

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Der Kläger beantragt,

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den Bescheid des Beklagten über die Festsetzung eines Ausgleichsbetrages für nicht herzustellende Kraftfahrzeugeinstellplätze vom 25. Juli 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Januar 2014 aufzuheben.

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Der Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Er ist der Auffassung, dass auf die Stellplatzablöse die Vorschriften des Kommunalabgabengesetzes anzuwenden seien, da es sich um eine Sonderabgabe handele. Festsetzungsverjährung sei noch nicht eingetreten. Die vierjährige Frist beginne erst mit Fälligkeit der Stellplatzablöse; diese trete mit Fertigstellung der Anlage ein. Das ergebe sich aus der Baugenehmigung, wonach die Ablösung bis zur abschließenden Fertigstellung nachzuweisen sei. Ein Abstellen auf den Erlass der Baugenehmigung komme nicht in Betracht, da die Stellplatzablöse dann verjähren könne, bevor sie überhaupt fällig geworden sei. Selbst wenn auf die Baugenehmigung abzustellen sei, komme allenfalls der Erlass der Änderung vom 20. Oktober 2009 in Betracht, da erst damit die Zahl der abzulösenden Stellplätze endgültig festgesetzt worden sei. Gegen eine Verjährung spreche ferner der Rechtsgedanke des § 231 AO und § 212 BGB. Dass der Kläger selbst um Gewährung einer Ratenzahlung gebeten habe, führe zu einer Unterbrechung beziehungsweise zum Neubeginn der Verjährung. Auch die Anwendung von § 242 BGB spreche dagegen, dass sich der Kläger auf den Eintritt der Verjährung berufen könne.

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Im Verlauf des Verfahrens hat die Stadt W. eine rückwirkend zum 1. Januar 2008 in Kraft getretene Satzung über die Erhebung von Ausgleichsbeträgen erlassen und bekanntgemacht.

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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Verfahrensakte sowie die bei dem Beklagten entstandenen Verwaltungsvorgänge, die dem Gericht vorlagen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.

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Die zulässige Klage ist begründet.

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1. Die Klage ist zulässig. Insbesondere fehlt es dem Kläger trotz der zwischenzeitlich eingetretenen Bestandskraft der die Stellplatzablösepflicht betreffenden Auflage in der Baugenehmigung vom 7. Oktober 2008 nicht am erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis. Es bedarf an diesem Punkt keiner Entscheidung darüber, ob diese Auflage bereits einen eigeständigen Anspruch des Beklagten begründet oder nicht. Denn maßgeblicher Streitgegenstand im hiesigen Klageverfahren ist einzig der angefochtene Festsetzungsbescheid vom 25. Juli 2013, der in jedem Falle eine Festsetzung der Stellplatzablöse der Höhe nach beinhaltet. Selbst wenn der in der Baugenehmigung enthaltene Auflage anspruchsbegründender Charakter zukäme, enthält sie keine Ermächtigung des Beklagten zum Erlass des hier angefochtenen Bescheides.

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2. Der angefochtene Bescheid in Gestalt des Widerspruchsbescheides ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO), da es ihm bereits an einer hinreichenden Ermächtigungsgrundlage fehlt.

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a) Als Rechtsgrundlage für den Erlass des hier streitgegenständlichen Festsetzungsbescheides kommt nur die Satzung der Stadt W. über den Ausgleichsbetrag für nicht herzustellende Kraftfahrzeugeinstellplätze vom 8. April 2014 (ABS 2014) in Betracht.

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aa) Frühere Satzungen, insbesondere die vom Beklagten herangezogene Satzung der Stadt W. über die Erhebung von Ausgleichsbeträgen für nicht herzustellende Kraftfahrzeugeinstellplätze vom 15. April 1998 in der Fassung der letzten Änderung vom 20. November 2006 (ABS 1998) scheiden hingegen als Ermächtigungsgrundlage aus.

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Die Unanwendbarkeit der ABS 1998 folgt schon daraus, dass sie nicht den Anforderungen der Landesbauordnung (LBauO M-V) entspricht. Der Landesgesetzgeber das Recht der Stellplatzablöse einem grundlegenden Systemwechsel unterzogen: Die Landesbauordnung in der Fassung vom 26. April 1994 (GVOBl. M-V 1994, S. 518) sah in § 48 Abs. 6 LBauO M-V (a.F.) noch detailliertere Regelungen zur Erhebung der Stellplatzablöse vor und überließ den Gemeinden ausdrücklich nur die Festsetzung der Höhe des Ablösebetrages durch Satzung. Der Gesetzgeber hatte dort die wesentlichen Fragen des Ablösevorgangs (Zuständigkeit der Baubehörde, Erfordernis der Zustimmung der Gemeinde) selbst getroffen. Nichts anderes gilt für die Vorschrift des § 48 Abs. 6 LBauO M-V in der Fassung vom 6. Mai 1998 (GVOBl. M-V 1998, S. 468). Die Vorschrift unterschied sich von der Vorgängervorschrift lediglich insoweit, als dass sie eine Vergünstigungsregelung für innerstädtische Bereiche und modifizierte Maßgaben für die Mittelverwendung vorsah. Der Landesgesetzgeber hat jedoch mit dem Gesetz zur Neugestaltung der Landesbauordnung und zur Änderung anderer Gesetze dieses Regelungsmodell aufgegeben. Aus den Materialien zum Gesetzgebungsverfahren, insbesondere aus der Begründung zum Gesetzentwurf der Landesregierung (LT-Drs. 4/1810 S. 137) ergibt sich, dass der Gesetzgeber die Regelungsdichte in Bezug auf die Stellplatzablöse verringern wollte und es den Gemeinde - in Form der Schaffung örtlicher Bauvorschriften - überlassen wollte, „die Ablösung der Herstellungspflicht und die Höhe der Ablösungsbeträge, die nach Art der Nutzung und Lage der Anlage unterschiedlich geregelt werden kann“ (siehe LT-Drs. 4/1810, S. 138), auszugestalten. Auch in der Neufassung von § 86 Abs. 1 Nr. 4 LBauO M-V, sollte den Gemeinden lediglich die Ermächtigung zum Erlass örtlicher Bauvorschriften erteilt und „ihnen Abwägungsleitlinien an die Hand gegeben [werden], die beim Erlass solcher örtlicher Bauvorschriften zu beachten sind“ (LT-Drs. 4/1810, S. 185). Diesen den Gemeinden zugewiesenen Regelungsauftrag erfüllt die ABS 1998 bereits deshalb nicht, weil sie - in Anlehnung an die alte Rechtslage - lediglich eine Regelung über die Festsetzung der Höhe der Stellplatzablöse enthält. Damit wird sie zwar der alten Rechtslage gerecht, indem sie die den Gemeinden zur Regelung überlassene Frage der Höhe des Ablösebetrages beantwortet. Allerdings fehlt es hier an der nach der Änderung der Landesbauordnung erforderlichen Vollregelung, die, da sich der Gesetzgeber einer solchen enthalten hat, notwendig auf satzungsrechtlicher Ebene zu erfolgen hat.

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bb) Die Stadt W. hat die ABS 2014 aber zulässigerweise rückwirkend zum 1. Januar 2008, mithin zu einem Zeitpunkt, der vor dem Erlass des hier streitigen Bescheides vom 25. Juli 2013 liegt, in Kraft gesetzt (§ 4 Satz 1 ABS 2014).

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Dabei kann es dahinstehen, ob es sich hier um eine unechte oder eine echte Rückwirkung handelt. Jedenfalls kann sich der Kläger hier nicht auf ein der Rückwirkung entgegenstehendes schützenswertes Vertrauen berufen. Das ergibt sich daraus, dass der Beklagte allein durch die Existenz der ABS 1998 stets dokumentiert hat, die Stellplatzablöse erheben zu wollen. Zudem hat er dies mit der Regelung in § 3 Satz 4 ABS 2014 bekräftigt. Die Regelung bringt nämlich zum Ausdruck, dass auch vor Inkrafttreten der ABS 2014 eine Stellplatzablöse erhoben werden sollte. Soweit dies erfolgt ist, ordnet die Vorschrift an, dass trotz des rückwirkenden Inkrafttretens der ABS 2014 die bereits vorgenommenen Festsetzungen – jedenfalls hinsichtlich der Höhe der festgesetzten Ablösebeträge – unberührt bleiben sollen. Daraus folgt, dass der Kläger zu jedem Zeitpunkt mit der Heranziehung zur Zahlung der Stellplatzablöse rechnen musste und nicht von einer Verschonung ausgehen durfte.

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b) Die ABS 2014 genügt nicht den Anforderungen des Kommunalabgabengesetzes, das auch auf die Erhebung der Stellplatzablöse anzuwenden ist.

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aa) Auf die Stellplatzablöse sind die Vorschriften des Kommunalabgabengesetzes zunächst überhaupt anzuwenden.

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(1) Die Stellplatzablöse ist als verfassungsrechtlich unbedenkliche Sonderabgabe (vgl. BVerfG, Beschl. v. 05.03.2009 - 2 BvR 1824/05 -, juris Rn. 27 ff., sowie OVG Greifswald, Beschl. v. 03.03.2006 - 3 L 226/04 -, juris Rn. 8) eine Abgabe im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 1 KAG M-V. Die Vorschrift erfasst neben Steuern, Beiträgen und Gebühren auch sonstige Abgaben. Der Landesgesetzgeber hat mit der Aufnahme der sonstigen Abgaben klargestellt, dass sich der Anwendungsbereich des Kommunalabgabengesetzes nicht auf die klassischen Abgabentypen - Steuern, Beiträge und Gebühren - beschränken soll. Das Gesetz soll vielmehr auch andere - diesen Kategorien nicht zuzuordnende - Abgaben erfassen, die ihre Grundlage in anderen Gesetzen finden. Dieses Ergebnis lässt sich aus den Materialien zum Gesetzgebungsverfahren entnehmen. Zwar sah der erste Entwurf des Kommunalabgabengesetzes (vgl. LT-Drs. 1/113, S. 17) zunächst nur eine Erwähnung der auf diese Weise verstandenen sonstigen Abgaben in § 1 Abs. 3 in Bezug auf die Anwendbarkeit von Verfahrensvorschriften vor. Jedoch wurden die sonstigen Abgaben, die in Ermangelung entsprechender Hinweise in dem gleichen Sinne verstanden wurden wie in dem ersten Entwurf, in einem geänderten Entwurf (vgl. LT-Drs. 1/2558, S. 19) ausdrücklich in den Klammerzusatz in § 1 Abs. 1 aufgenommen, um die einbezogenen Abgabenarten umfassend darzustellen.

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Der Begriff der Abgabe wiederum meint Geldleistungen, die von öffentlichen Aufgabenträgern auf Grund gesetzlicher Vorschriften in Ausübung öffentlicher Gewalt zur Erzielung von Einnahmen dem Einzelnen auferlegt werden (vgl. Holtbrügge in: Driehaus, Kommunalabgabenrecht, Stand 7/15, § 1 Rn. 32). Diese Merkmale weist auch die hier streitige Stellplatzablöse auf: Sie wird von den Gemeinden als öffentlich-rechtlichen (Gebiets)-Körperschaften (§ 1 Abs. 1 Kommunalverfassung - KV M-V) auf Grundlage der Ermächtigung in § 86 Abs. 1 Nr. 4 LBauO M-V von Einzelnen, nämlich von denjenigen, denen die Pflicht zur Herstellung von Kraftfahrzeugstellplätzen obliegt, erhoben. Die Gemeinden erheben die Stellplatzablöse auch in Ausübung öffentlicher Gewalt. Sie führen die Erhebung als hoheitliche Aufgabe mit den Mitteln des Verwaltungsrechts aus. Das Merkmal der Erhebung in Ausübung öffentlicher Gewalt dient vorrangig der Abgrenzung der Abgaben gegenüber Geldleistungen, die die Gemeinden aus zivilrechtlichen Rechtsverhältnissen erlangen (Mieten, Pachten, Veräußerungserlöse). Bei der Stellplatzablöse handelt es sich eindeutig nicht um solche auf einem zivilrechtlichen Rechtsverhältnis beruhende Geldleistungen; sie werden auch nicht nach den Regeln des Zivil- und Zivilprozessrechts durchgesetzt. Die Erhebung der Stellplatzablöse dient schließlich auch der Einnahmenerzielung. Zweck der Stellplatzablöse ist die Abschöpfung des Vorteils, der dem Bauherrn dadurch entsteht, dass er im Vergleich zu anderen Bauherren von der Pflicht zur Herstellung von Kraftfahrzeugstellplätzen befreit ist (vgl. OVG Greifswald a.a.O. Rn. 9). Die Gemeinde, die die an sich dem Bauherrn obliegende Pflicht zur Herstellung von Kraftfahrzeugstellplätzen sodann anderweitig zu erfüllen hat, ist bei der Verwendung der erhobenen Ausgleichsbeträge an die Verwendungszwecke des § 49 Abs. 2 Nr. 1 und 2 LBauO M-V gebunden. Diese Zweckbindung steht dem Merkmal der Einnahmenerzielung indessen nicht entgegen, da sie sich nur auf die Frage der weiteren Verwendung bezieht. An der Qualität der Einnahme ändert sie nichts.

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Es ist dem Kläger auch nicht darin zu folgen, wenn dieser einwendet, dass es sich bei der Stellplatzablöse nicht um eine Abgabe im Sinne des Kommunalabgabengesetzes handele, weil sie keine Abgabe im Sinne von § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO sei. Zutreffend geht der Kläger zwar zunächst davon aus, dass es sich bei der Stellplatzablöse nicht um eine öffentliche Abgabe im Sinne von § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO handelt (vgl. OVG Greifswald, Beschl. v. 12.10.2004 - 3 M 147/03 -, juris - nur Leitsatz). Wenn der Kläger allerdings aus der Verneinung des Abgabenbegriffs aus § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO den weiteren Schluss zieht, dass die Anwendbarkeit des Kommunalabgabengesetzes ausgeschlossen sei, kann dem nicht gefolgt werden. Anders als der Kläger meint, ist der Begriff der Abgaben in beiden Regelungsmaterien nicht identisch (so auch Holtbrügge a.a.O. Rn. 36). Das folgt letztlich schon aus dem unterschiedlichen Regelungszweck. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO zielt mit seinem Abgabenbegriff darauf ab, die Geldleistungen zu erfassen und schnell verfügbar zu machen, die das öffentliche Gemeinwesen zu allgemeinen Finanzierungszwecken, also zur Sicherung seiner Handlungsfähigkeit, benötigt. Der Abgabenbegriff des Kommunalabgabengesetzes ist hingegen von vornherein weiter gefasst und umfasst all die Abgaben, die von den in § 1 Abs. 1 KAG M-V Körperschaften erhoben werden, soweit darüber nicht in anderen Gesetzen Regelungen getroffen werden.

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(2) Für die Anwendbarkeit des Kommunalabgabengesetzes auf die Stellplatzablöse ist es nicht erheblich, dass sich die Ermächtigungsgrundlage für den Erlass der gemeindlichen Satzung in § 86 Abs. 1 Nr. 4 LBauO M-V findet. Die Anwendbarkeit des Kommunalabgabengesetzes folgt nämlich aus § 1 Abs. 4 Satz 1 KAG M-V.

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Danach gelten die Vorschriften des Kommunalabgabengesetzes (ergänzend) auch für andere Abgaben, die von den in den Absätzen 1 und 2 genannten kommunalen Körperschaften im Bereich der Aufgaben des eigenen Wirkungskreises und des übertragenen Wirkungskreises aufgrund anderer Gesetze erhoben werden. Dies erfasst auch die Stellplatzablöse (vgl. für das bayerische Landesrecht Bay. VGH, Urt. v. 29.01.2004 - 2 B 02.1445 -, juris Rn. 14, sowie allgemein Siemers in: Aussprung/Siemers/Holz, Kommunalabgabengesetz M-V, Stand 11/15, § 1 Anm. 2.2.10). Sie wird auf Grund der Vorschriften in § 86 Abs. 1 Nr. 4 LBauO M-V - mithin auf Grund eines anderen Gesetzes als dem KAG M-V - erhoben, wobei die erhebenden Körperschaft eine Gemeinde, also eine solche im Sinne von § 1 Abs. 1 Satz 1 KAG M-V, ist. Die Erhebung der Stellplatzablöse erfolgt zudem gemäß § 86 Abs. 2 LBauO M-V im übertragenen Wirkungskreis auf Grund örtlicher Bauvorschriften.

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Soweit § 1 Abs. 4 Satz 2 KAG M-V eine einschränkende Regelung dahin trifft, dass § 1 Abs. 4 Satz 1 KAG M-V nur insoweit gelte, als dass das Baugesetzbuch oder andere Gesetze keine eigenen Regelungen enthielten, steht dies hier nicht entgegen. Zwar enthält § 86 Abs. 1 Nr. 4 LBauO Regelungen in Bezug auf die Stellplatzablöse, die als Spezialgesetze den Vorschriften des KAG M-V vorgehen. Allerdings erschöpfen sich diese im Ausspruch der grundsätzlichen Berechtigung der Gemeinden zu Erhebung der Stellplatzablöse sowie der Befugnis („kann“ in § 86 Abs. 1 Nr. 4 LBauO M-V) zur Differenzierung der Höhe des Ablösebetrages. Weitergehende Regelungen etwa zur Frage des Abgabenpflichtigen, des Maßstabes, des Satzes, der Entstehung und der Fälligkeit der Stellplatzablöse treffen indessen weder die LBauO M-V noch ein anderes Gesetz. Insofern stellt sich die Vorschrift in § 86 Abs. 1 Nr. 4 LBauO M-V bereits nicht als abschließend dar und bedarf jedenfalls der Ergänzung durch die Vorschriften des Kommunalabgabengesetzes. Die Regelung in § 49 Abs. 2 LBauO M-V ist - soweit es um die Frage der Erhebung der Stellplatzablöse geht - in dem Sinne unergiebig, als dass sie nur die der Abgabenerhebung nachfolgende Verwendung der zugeflossenen Stellplatzablöse durch die Gemeinde betrifft. Die Sperrwirkung des § 1 Abs. 4 Satz 2 KAG M-V schließt die Anwendung des Kommunalabgabengesetzes mithin nicht aus.

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bb) Die ABS 2014 muss wegen der Anwendbarkeit des Kommunalabgabengesetzes den nach § 2 Abs. 1 Satz 2 KAG M-V erforderlichen Mindestinhalt aufweisen. Diesen Anforderungen genügt die ABS 2014 indessen nicht.

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(1) Eine Abgabensatzung muss nach § 2 Abs. 1 Satz 2 KAG M-V mindestens Bestimmungen über den Kreis der Abgabenschuldner, den die Abgabe begründenden Tatbestand, den Maßstab und den Satz der Abgabe sowie den Zeitpunkt ihrer Entstehung und ihrer Fälligkeit enthalten (sog. Mindestinhalt). Verfügt eine Satzung darüber nicht, fehlt es also an einer (rechtmäßigen) Regelung zu auch nur einem dieser Punkte, ist die Abgabensatzung insgesamt nichtig (vgl. m.w.N. VG Greifswald, Urt. v. 11.06.2015 - 3 A 178/13 -, juris Rn. 12).

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(2) Die ABS 2014 trifft zwar noch ausreichende Regelungen zum Abgabenpflichtigen (§ 1 Satz 1 ABS 2014: der zur Herstellung Verpflichtete) und zu dem die Abgabenpflicht auslösenden Tatbestand (§ 1 Satz 1 ABS 2014: ausnahmsweise Nichtherstellung notwendiger Einstellplätze).

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(3) Der Satzung fehlt es allerdings an einer wirksamen Regelung des Abgabenmaßstabes.

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Als Abgabenmaßstab wird die Bemessungsgrundlage, mit der unter Anwendung des Abgabensatzes die Höhe der Abgabe errechnet werden kann, verstanden (vgl. Aussprung in: Aussprung/Siemers/Holz, Kommunalabgabengesetz M-V, Stand 11/15, § 2 Anm. 3.3). Im Hinblick auf die Erwähnung des Abgabenmaßstabes in § 2 Abs. 1 Satz 2 KAG M-V und die damit herausgestellte besondere Bedeutung dieses Regelungsgegenstandes ist erforderlich, dass die Abgabensatzung diesbezüglich eine ausdrückliche Regelung treffen muss; ein „beredtes Schweigen“ reicht insofern offensichtlich nicht aus (vgl. OVG Greifswald, Beschl.v. 03.12.2002 - 1 L 127/02 -, juris Rn. 8).

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Nach dem Wortlaut von § 1 Satz 1 ABS 2014 gilt:

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„Der Geldbetrag, den der zur Herstellung Verpflichtete an die Stadt W. dafür zu zahlen hat, dass er notwendige Einstellplätze ausnahmsweise nicht herzustellen braucht wird 1. für die Zone I auf … Euro, 2. für die Zone II auf … Euro, 3. für die Zone III auf … Euro festgesetzt.“

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Damit kommt zum Ausdruck, dass ohne Rücksicht auf die Zahl der abgelösten Stellplätze stets die gleiche Abgabe entsteht. Dies bestätigt sich durch Verwendung des Plural („Einstellplätze“), der nahelegt, dass die Ablösesummen auch für die Ablösung mehrerer Stellplätze gelten sollen. Es kann dahinstehen, ob damit gar keine Regelung des Maßstabes getroffen wurde oder ob die - jedenfalls nicht ausdrückliche - Regelung dahin geht, dass je Ablösevorgang unabhängig von der Anzahl der jeweils abgelösten Stellplätze der genannte Betrag anfällt. Letzterer Fall wäre jedenfalls mit dem Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG), der zumindest eine ansatzweise Differenzierung nach der Anzahl der abgelösten Stellplätze gebietet, und dem die Stellplatzablöse prägenden Prinzip der Vorteilsabschöpfung, dass auch ein Gebot zur Differenzierung nach dem Umfang des erlangten Vorteils beinhaltet, unvereinbar.

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Die Satzungsbestimmung ist vor diesem Hintergrund auch nicht nur unglücklich formuliert. Ungeachtet des Erfordernisses einer ausdrücklichen Regelung des Abgabensatzes, ist nämlich auch im Wege der Auslegung nicht eindeutig erkennbar, dass der Satzungsgeber etwas anderes gemeint hätte. Der eindeutige Wortlaut der Norm führt zu dem genannten Ergebnis. Weder das Regelungsziel, nämlich die Normierung einer Ablöse für nicht herzustellende Kraftfahrzeugstellplätze, noch die systematische Stellung des § 1 Satz 1 ABS 2014 gebieten etwas anderes. Es ist nicht ersichtlich, dass eine Regelung nur dahin gewollt war, dass die Ablösebeträge als pro abgelösten Stellplatz zu verstehen sind. Auch der - seinem Inhalt nach allenfalls deklaratorische - § 1 Satz 2 ABS 2014, der aussagt, dass Grundlage für die Ablösebeträge

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„die Kalkulation zur Ermittlung der Baukosten für einen Stellplatz einschließlich der durchschnittlichen Grunderwerbskosten vom 04.12.2013“

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sei, führt zu keinem anderen Ergebnis. Zwar wird dort auf die Baukosten für einen Stellplatz Bezug genommen, allerdings sagt dies lediglich, dass offenbar die Kosten für die Herstellung eines Stellplatzes in die Kalkulation der Ablösesumme eingeflossen sind. Wie diese im weiteren Verfahren auf die Ermittlung der Ablösesummen von Einfluss gewesen sind, zeigt sich nicht; eine Aussage über den Abgabenmaßstab ist damit nicht verbunden.

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(4) Der ABS 2014 fehlt es weiterhin an einer rechtmäßigen Regelung des Abgabensatzes.

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Für die rechtmäßige Festlegung des Abgabensatzes ist erforderlich, dass dem Rechtssetzungsorgan - neben der Beschlussvorlage über die Satzung - bei der Beschlussfassung eine Kalkulation über den Abgabensatz vorgelegen hat. Wird dem Vertretungsorgan vor oder bei seiner Beschlussfassung über den Abgabensatz eine solche Kalkulation nicht zur Billigung unterbreitet oder ist die unterbreitete Abgabenkalkulation in einem für die Abgabensatzhöhe wesentlichen Punkt mangelhaft, hat dies die Unwirksamkeit der Bestimmung des Abgabensatzes zur Folge, weil das Vertretungsorgan anderenfalls sein Ermessen nicht fehlerfrei ausüben kann (vgl. m.w.N. OVG Greifswald, Urt. v. 07.10.2015 - 1 K 28/11 -, juris Rn. 23).

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Diese Maßgaben sind auch auf die Stellplatzablöse anzuwenden. Etwas anderes kann allenfalls gelten, wenn dem Ortsgesetzgeber bei der Festlegung des Abgabensatzes von vornherein kein Ermessen zukommt. Das ist hier aber nicht der Fall. Aus § 86 Abs. 1 Nr. 4 LBauO M-V folgt, dass der Landesgesetzgeber es - wie bereits nach den früheren Gesetzesfassungen - den Gemeinden überlassen hat, die Höhe des Ablösebetrages festzulegen. Nähere Vorgaben, wie der Ablösebetrag ermittelt werden soll, sind der Vorschrift hingegen nicht zu entnehmen. Stattdessen hat die Gemeindevertretung darüber zu entscheiden, von welchem Aufwand bei der Ermittlung der Stellplatzablöse auszugehen ist und in welchem Umfang dieser auf die Ablösepflichtigen umzulegen ist. Ausdrücklich in das Ermessen der Gemeinden hat der Landesgesetzgeber auch gestellt, die Höhe der Stellplatzablöse nach Nutzung und Lage der baulichen Anlage zu differenzieren. Der Landesgesetzgeber selbst geht dabei lediglich von sogenannten „Abwägungsleitlinien“ aus, die er den Gemeinden an die Hand geben wollte (vgl. LT-Drs. 4/1810, S. 185). Allein dies erfordert also eine Ermessensbetätigung der Gemeindevertretung. Diese hat sich zu den Fragen der Differenzierung der Höhe des Abgabensatzes nach der Nutzung und Lage der baulichen Anlage zu verhalten. Sie hat nachvollziehbare Erwägungen anzustellen, ob eine solche Differenzierung erfolgen soll oder nicht und in welchem Maße sie sich auf die Festlegung des Abgabensatzes auswirken soll.

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Daran fehlt es hier. Es ist von dem Beklagten weder schriftsätzlich, noch in der mündlichen Verhandlung dargelegt worden, dass die Festsetzung der in § 1 Satz 1 ABS 2014 genannten Beträge auf einer den vorstehenden Maßgaben genügenden Kalkulation beruhen, die auch der Gemeindevertretung bei der Beschlussfassung über die ABS 2014 vorgelegen hat. Dazu hätte der Beklagte aber ausreichend Grund gehabt, da er nach seinem eigenen Vortrag stets von der Anwendbarkeit des Kommunalabgabengesetzes auf die Stellplatzablöse ausgegangen ist. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem allenfalls deklaratorischen § 1 Satz 2 ABS 2014, der aussagt, dass Grundlage für genannten Ablösebeträge die

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„Kalkulation zur Ermittlung der Baukosten für einen Stellplatz einschließlich der durchschnittlichen Grunderwerbskosten vom 04.12.2013“

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sei. Der Beklagte hat diese Kalkulation dem Gericht weder vorgelegt, noch hat er dargelegt, dass diese Gegenstand der Beratung und Beschlussfassung der Gemeindevertretung bei dem Beschluss über die ABS 2014 gewesen ist. Darüber hinaus ist - soweit die Stadt W. eine Einteilung des Stadtgebietes in Zonen vornimmt (§ 1 Satz 1 ABS 2014) - nicht ersichtlich, worauf diese Einteilung beruht, auch dies müsste in nachvollziehbarer Weise dargelegt und der Beschlussfassung zu Grunde gelegt werden. Nichts anderes gilt für die Differenzierung des Abgabensatzes nach der Art der Nutzung der baulichen Anlage. Auch wenn die Gemeinde eine solche Differenzierung nicht vornimmt, bedarf es - um von einer ermessensfehlerfreien Entscheidung über den Abgabensatz ausgehen zu können - einer Darlegung der dem zu Grunde liegenden wesentlichen Erwägungen. All dies ist aber nicht ersichtlich.

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(5) Fehlerhaft ist schließlich die Regelung in § 3 Satz 1 und 2 ABS 2014 zum Entstehen der Abgabenpflicht.

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Zwar ist es unbedenklich, wenn wegen der Entstehung der Abgabenschuld auf die Erteilung der Baugenehmigung abgestellt wird. Insbesondere für den Fall, dass die Stellplatzablöse als Nebenbestimmung in Gestalt einer Bedingung in eine Baugenehmigung aufgenommen wird (vgl. zu diesbezüglichen Bedenken Siemers a.a.O. § 1 Anm. 2.2.10), führt dies dazu, dass die Stellplatzablöse festgesetzt werden kann, die Bedingung eintreten und die Baugenehmigung wirksam werden kann. Stellte man - wie vom Beklagten erwogen - auf die Fertigstellung der Anlage ab, wäre dies ausgeschlossen.

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Fehlerhaft ist allerdings die abweichende Regelung in § 3 Satz 2 ABS 2014, die die Entstehung der Abgabenschuld an eine Änderung der Baugenehmigung anknüpft. Dieser Vorschrift steht bereits entgegen, dass eine einmal entstandene Abgabenschuld nicht ein zweites Mal entstehen kann. Genau dies würde aber mit ihr bewirkt: Die Stellplatzablösepflicht entsteht erstmals (und damit letztmals) mit dem Erlass der eigentlichen Baugenehmigung, da damit die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen nach § 3 Satz 1 ABS 2014 erfüllt sind. Die Stellplatzablösepflicht würde aber bei Erlass einer Änderung nochmals zur Entstehung kommen, da zusätzlich zu den Tatbestandsvoraussetzungen des § 3 Satz 1 ABS 2014 auch noch die des § 3 Satz 2 ABS 2014 erfüllt würden, womit ein neuer Entstehenszeitpunkt maßgeblich werden würde.

48

Die Regelung verstößt darüber hinaus - jedenfalls in der Zusammenschau mit § 3 Satz 1 ABS - gegen den Bestimmtheitsgrundsatz. Danach ist stets erforderlich, dass eine Norm so bestimmt ist, dass die von der Norm Betroffenen die Rechtslage erkennen und ihr Verhalten danach einrichten können. Sie müssen in zumutbarer Weise feststellen können, ob die tatsächlichen Voraussetzungen für die Rechtsfolge vorliegen (vgl. m.w.N. BVerwG, Beschl. v. 27.05.2015 - 9 B 87/14 -, juris Rn. 5). Aus dem Zusammenwirken von § 3 Satz 1 und 2 ABS 2014 folgt, dass das Entstehen der Abgabenpflicht hier nicht mehr vorhersehbar ist. Insbesondere in Fällen zeitlich verzögerter Änderungen der Baugenehmigung - etwa wegen Rechtsstreitigkeiten oder Verzögerungen oder Veränderung der Bauausführung - ist nicht ersichtlich, wann die Abgabenschuld entsteht. Weder für den von der Abgabenlast betroffenen Bürger, noch für den mit dem Satzungsvollzug betrauten Beklagten oder die mit der Kontrolle der Verwaltungsentscheidung betrauten Verwaltungsgerichte ist aber ersichtlich, ob der Zustand, in dem eine Änderung der Baugenehmigung ausgeschlossen ist, bereits eingetreten ist oder wann er eintreten wird. Mithin ist auch der Zeitpunkt der Entstehung der Abgabenschuld nicht vorhersehbar. Auch nach Erlass einer Baugenehmigung, die von der Herstellung von Kraftfahrzeugeinstellplätzen befreit und damit nach § 3 Satz 1 ABS 2014 die Abgabenschuld entstehen lässt, ist nicht absehbar, ob die Abgabenschuld bereits entstanden ist oder nicht, da diese Rechtsfolge offensichtlich nicht eintreten soll, wenn es später zu einer Änderung der Baugenehmigung kommt. Bei der Änderung der Baugenehmigung handelt es sich indessen um ein ungewisses zukünftiges Ereignis. Tritt es ein, entstände die Abgabenpflicht erst damit, tritt es nicht ein, so ist die Abgabenschuld bereits mit Erlass der ersten Baugenehmigung entstanden.

49

Eine abweichende Anbindung der Entstehung der Abgabenschuld an ein derartiges ungewisses zukünftiges Ereignis scheidet nicht zuletzt wegen des an die Entstehung der Abgabenschuld anknüpfenden Laufs der Festsetzungsverjährungsfrist (§ 12 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 1 KAG M-V i.V.m. § 170 Abs. 1 AO) aus. Die Bestimmungen über die Festsetzungsverjährung sind ihrerseits Ausdruck der verfassungsrechtlichen Gewährleistung von Rechtssicherheit (vgl. BVerfG, Beschl. v. 05.03.2013 - 1 BvR 2457/08 -, juris Rn. 43). Es kommt mithin nicht in Betracht, den Eintritt der der Abgabenfestsetzung entgegenstehenden Festsetzungsverjährung vom Eintritt eines derart ungewissen zukünftigen Ereignisses abhängig zu machen, wie es hier der Fall ist. Ein für den Abgabenschuldner nachteiliges Abweichen von dem in § 3 Satz 1 ABS 2014 niedergelegten Entstehenszeitpunkt ist schon aus diesem Grunde ausgeschlossen.

50

3. Einer Erörterung der Rechtsanwendung durch den Beklagten bedarf es vor diesem Hintergrund nicht mehr.

51

Wegen der umfangreichen Auseinandersetzungen der Beteiligten hierzu, sei im Hinblick auf die Frage der Festsetzungsverjährung lediglich darauf hingewiesen, dass die Festsetzungsfrist bei Anwendung des Kommunalabgabengesetzes gemäß § 12 Abs. 2 Satz 1 KAG M-V vier Jahre beträgt und mit Ablauf des Jahres, in dem die Abgabenschuldentstanden ist, (§ 12 Abs. 1 KAG M-V i.V.m. § 170 Abs. 1 AO) zu laufen beginnt.

52

4. Der wegen des Fehlens einer hinreichenden Ermächtigungsgrundlage insgesamt rechtswidrige Bescheid verletzt den Kläger schließlich in seinen Rechten.

II.

53

Die Kostenentscheidung zu Lasten des Beklagten folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Nebenentscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 1 und 2 VwGO i.V.m. § 709 Zivilprozessordnung (ZPO). Gründe, die die Zulassung der Berufung rechtfertigen (§§ 124a Abs. 1 Satz 1, 124 Abs. 2 VwGO), liegen nicht vor.

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(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag au

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(1) Die Verjährung eines Anspruchs wird unterbrochen durch1.Zahlungsaufschub, Stundung, Aussetzung der Vollziehung, Aussetzung der Verpflichtung des Zollschuldners zur Abgabenentrichtung oder Vollstreckungsaufschub,2.Sicherheitsleistung,3.eine Vollst

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(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a).

(2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur

1.
bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten,
2.
bei unaufschiebbaren Anordnungen und Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten,
3.
in anderen durch Bundesgesetz oder für Landesrecht durch Landesgesetz vorgeschriebenen Fällen, insbesondere für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die Investitionen oder die Schaffung von Arbeitsplätzen betreffen,
3a.
für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die die Zulassung von Vorhaben betreffend Bundesverkehrswege und Mobilfunknetze zum Gegenstand haben und die nicht unter Nummer 3 fallen,
4.
in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, besonders angeordnet wird.
Die Länder können auch bestimmen, daß Rechtsbehelfe keine aufschiebende Wirkung haben, soweit sie sich gegen Maßnahmen richten, die in der Verwaltungsvollstreckung durch die Länder nach Bundesrecht getroffen werden.

(3) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ist das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Einer besonderen Begründung bedarf es nicht, wenn die Behörde bei Gefahr im Verzug, insbesondere bei drohenden Nachteilen für Leben, Gesundheit oder Eigentum vorsorglich eine als solche bezeichnete Notstandsmaßnahme im öffentlichen Interesse trifft.

(4) Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, kann in den Fällen des Absatzes 2 die Vollziehung aussetzen, soweit nicht bundesgesetzlich etwas anderes bestimmt ist. Bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten kann sie die Vollziehung auch gegen Sicherheit aussetzen. Die Aussetzung soll bei öffentlichen Abgaben und Kosten erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.

(5) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 bis 3a ganz oder teilweise anordnen, im Falle des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ganz oder teilweise wiederherstellen. Der Antrag ist schon vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, so kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung kann von der Leistung einer Sicherheit oder von anderen Auflagen abhängig gemacht werden. Sie kann auch befristet werden.

(6) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 ist der Antrag nach Absatz 5 nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn

1.
die Behörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder
2.
eine Vollstreckung droht.

(7) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach Absatz 5 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.

(8) In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.

(1) Die Verjährung eines Anspruchs wird unterbrochen durch

1.
Zahlungsaufschub, Stundung, Aussetzung der Vollziehung, Aussetzung der Verpflichtung des Zollschuldners zur Abgabenentrichtung oder Vollstreckungsaufschub,
2.
Sicherheitsleistung,
3.
eine Vollstreckungsmaßnahme,
4.
Anmeldung im Insolvenzverfahren,
5.
Eintritt des Vollstreckungsverbots nach § 210 oder § 294 Absatz 1 der Insolvenzordnung,
6.
Aufnahme in einen Insolvenzplan oder einen gerichtlichen Schuldenbereinigungsplan,
7.
Ermittlungen der Finanzbehörde nach dem Wohnsitz oder dem Aufenthaltsort des Zahlungspflichtigen und
8.
schriftliche Geltendmachung des Anspruchs.
§ 169 Abs. 1 Satz 3 gilt sinngemäß.

(2) Die Unterbrechung der Verjährung dauert fort

1.
in den Fällen des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 1 bis zum Ablauf der Maßnahme,
2.
im Fall des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 2 bis zum Erlöschen der Sicherheit,
3.
im Fall des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 3 bis zum Erlöschen des Pfändungspfandrechts, der Zwangshypothek oder des sonstigen Vorzugsrechts auf Befriedigung,
4.
im Fall des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 4 bis zur Beendigung des Insolvenzverfahrens,
5.
im Fall des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 5 bis zum Wegfall des Vollstreckungsverbots nach § 210 oder § 294 Absatz 1 der Insolvenzordnung,
6.
in den Fällen des Absatzes 1 Satz 1 Nummer 6, bis der Insolvenzplan oder der gerichtliche Schuldenbereinigungsplan erfüllt oder hinfällig wird.
Wird gegen die Finanzbehörde ein Anspruch geltend gemacht, so endet die hierdurch eingetretene Unterbrechung der Verjährung nicht, bevor über den Anspruch rechtskräftig entschieden worden ist.

(3) Mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Unterbrechung geendet hat, beginnt eine neue Verjährungsfrist.

(4) Die Verjährung wird nur in Höhe des Betrags unterbrochen, auf den sich die Unterbrechungshandlung bezieht.

(1) Die Verjährung beginnt erneut, wenn

1.
der Schuldner dem Gläubiger gegenüber den Anspruch durch Abschlagszahlung, Zinszahlung, Sicherheitsleistung oder in anderer Weise anerkennt oder
2.
eine gerichtliche oder behördliche Vollstreckungshandlung vorgenommen oder beantragt wird.

(2) Der erneute Beginn der Verjährung infolge einer Vollstreckungshandlung gilt als nicht eingetreten, wenn die Vollstreckungshandlung auf Antrag des Gläubigers oder wegen Mangels der gesetzlichen Voraussetzungen aufgehoben wird.

(3) Der erneute Beginn der Verjährung durch den Antrag auf Vornahme einer Vollstreckungshandlung gilt als nicht eingetreten, wenn dem Antrag nicht stattgegeben oder der Antrag vor der Vollstreckungshandlung zurückgenommen oder die erwirkte Vollstreckungshandlung nach Absatz 2 aufgehoben wird.

Der Schuldner ist verpflichtet, die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a).

(2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur

1.
bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten,
2.
bei unaufschiebbaren Anordnungen und Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten,
3.
in anderen durch Bundesgesetz oder für Landesrecht durch Landesgesetz vorgeschriebenen Fällen, insbesondere für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die Investitionen oder die Schaffung von Arbeitsplätzen betreffen,
3a.
für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die die Zulassung von Vorhaben betreffend Bundesverkehrswege und Mobilfunknetze zum Gegenstand haben und die nicht unter Nummer 3 fallen,
4.
in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, besonders angeordnet wird.
Die Länder können auch bestimmen, daß Rechtsbehelfe keine aufschiebende Wirkung haben, soweit sie sich gegen Maßnahmen richten, die in der Verwaltungsvollstreckung durch die Länder nach Bundesrecht getroffen werden.

(3) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ist das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Einer besonderen Begründung bedarf es nicht, wenn die Behörde bei Gefahr im Verzug, insbesondere bei drohenden Nachteilen für Leben, Gesundheit oder Eigentum vorsorglich eine als solche bezeichnete Notstandsmaßnahme im öffentlichen Interesse trifft.

(4) Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, kann in den Fällen des Absatzes 2 die Vollziehung aussetzen, soweit nicht bundesgesetzlich etwas anderes bestimmt ist. Bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten kann sie die Vollziehung auch gegen Sicherheit aussetzen. Die Aussetzung soll bei öffentlichen Abgaben und Kosten erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.

(5) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 bis 3a ganz oder teilweise anordnen, im Falle des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ganz oder teilweise wiederherstellen. Der Antrag ist schon vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, so kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung kann von der Leistung einer Sicherheit oder von anderen Auflagen abhängig gemacht werden. Sie kann auch befristet werden.

(6) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 ist der Antrag nach Absatz 5 nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn

1.
die Behörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder
2.
eine Vollstreckung droht.

(7) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach Absatz 5 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.

(8) In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.

Tenor

1. Die Bescheide des Beklagten vom 26. Oktober 2012 – Nrn. … - in der Gestalt seiner Widerspruchsbescheide vom 13. Februar 2013 werden aufgehoben.

2. Die Kosten des Verfahrens werden dem Beklagten auferlegt.

3. Das Urteil ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar. Dem Beklagten wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der Vollstreckungsschuld abzuwenden, wenn nicht die Klägerin vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Heranziehung zu Fremdenverkehrsabgaben.

2

Klägerin betreibt auf dem Grundstück D.-Straße in H. das Kurhotel H.. Von den im Gebäudekomplex insgesamt vorhandenen 375 Betten sind 124 Betten dem Hotelbetrieb garni zugeordnet. Die restlichen 251 Betten befinden sich in Ferienappartements und sind nicht Gegenstand des Hotelbetriebes.

3

Mit Bescheiden vom 26. Oktober 2012 zog der Beklagte die Klägerin zu Fremdenverkehrsabgaben für das Wirtschaftsjahr 2012 in Höhe von 951,08 EUR (124 Betten/gewerbliche Vermietung mit Frühstück) bzw. 1.540,14 EUR (251 Betten/gewerbliche Vermietung) heran. Die hiergegen gerichteten Widersprüche der Klägerin wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheiden vom 13. Februar 2013 zurück.

4

Am 13. März 2013 hat die Klägerin Anfechtungsklage erhoben. Sie ist der Auffassung, es fehle an einer ordnungsgemäßen Rechtsgrundlage für die Abgabenerhebung, denn die Fremdenverkehrsabgabensatzung sei mangels ordnungsgemäßer Kalkulation der Abgabensätze fehlerhaft. Der in der Kalkulation angestrebte Deckungsgrad sei mit dem in der Fremdenverkehrsabgabesatzung normierten Öffentlichkeitsanteil von 60 v.H. nicht zu vereinbaren.

5

Die Klägerin beantragt,

6

die Bescheide des Beklagten vom 26. Oktober 2012 – Nrn. … – in der Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 13. Februar 2013 aufzuheben.

7

Der Beklagte verteidigt die angegriffenen Bescheide und beantragt,

8

die Klage abzuweisen.

9

Mit Beschluss vom 22. Januar 2015 hat das Gericht den Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Berichterstatter als Einzelrichter übertragen.

10

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze Bezug genommen. Dem Gericht haben bei der Entscheidung die beim Beklagten entstandenen Verwaltungsvorgänge vorgelegen.

Entscheidungsgründe

11

Die zulässige Klage ist begründet. Die streitgegenständlichen Bescheide sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin daher in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Sie können nicht auf eine im Wirtschaftsjahr 2012 geltende wirksame Rechtsgrundlage (vgl. § 2 Abs. 1 Satz 1 Kommunalabgabengesetz – KAG M-V) gestützt werden.

12

1. Die ohne Rückwirkungsanordnung erlassene Satzung der Gemeinde Ostseebad H. über die Erhebung einer Fremdenverkehrsabgabe (Fremdenverkehrsabgabesatzung – FVAS) vom 29. März 2012 (Datum der Beschlussfassung), deren Bekanntmachung im Kaiserbäder-Boten Nr. 09/2012 erfolgte, ist unwirksam. Sie enthält in § 5 Abs. 3 eine unwirksame Fälligkeitsregelung („Fälligkeit mit Anspruchsentstehung“) und weist damit nicht den nach § 2 Abs. 1 Satz 2 KAG M-V erforderlichen Mindestinhalt auf. Dies führt zur Gesamtnichtigkeit der Satzung (VG Greifswald, Urt. v. 22.11.2013 – 3 A 885/12 –, juris Rn. 22/23; Urt. v. 28.03.2014 – 3 A 330/13 –, S. 4 des Entscheidungsumdrucks [n.v.])

13

Die noch vor der Bekanntmachung der Stammsatzung vom 29. März 2012 im Kaiserbäder-Boten Nr. 08/2012 öffentlich bekannt gemachte „Erste Satzung zur Änderung der Satzung der Gemeinde Ostseebad H. über die Erhebung einer Fremdenverkehrsabgabe vom 29. März 2012“ vom 24. August 2012 ordnet in nicht zu beanstandender Weise in Art. I die Rückwirkung der Stammsatzung und in Art. II die Rückwirkung der Änderungssatzung jeweils auf den 1. Januar 2012 an. Da die erste Änderungssatzung aber keine Änderung der Fälligkeitsregelung enthält, verblieb es zunächst bei der Unwirksamkeit der Fremdenverkehrsabgabensatzung vom 29. März 2012.

14

Die „Zweite Satzung zur Änderung der Satzung über die Erhebung einer Fremdenverkehrsabgabe in der Gemeinde Ostseebad H. vom 29. März 2012“ vom 25. April 2013 enthält keine Änderung der Fälligkeitsregelung.

15

Eine geänderte Fälligkeitsregelung wird erst mit der „Dritten Satzung zur Änderung der Satzung der Gemeinde Ostseebad H. über die Erhebung einer Fremdenverkehrsabgabe vom 29. März 2012“ vom 30. Januar 2014 (Kaiserbäder-Bote Nr. 02/2014) ohne Rückwirkung in die Stammsatzung eingefügt. Zwar genügt die geänderte Fälligkeitsregelung den Anforderungen. In Bezug auf die Bestimmung in § 5 Abs. 3 Satz 2 zweiter Halbsatz FVAS („soweit im Bescheid ausdrücklich kein späterer Fälligkeitstermin bestimmt ist“) liegt allenfalls ein Fall der Teilnichtigkeit vor (vgl. OVG Greifswald, Beschl. v. 03.02.2004 – 1 M 222/03 –, juris Rn. 10). Es ist aber zu berücksichtigen, dass die Fremdenverkehrsabgabe gemäß § 5 Abs. 2 Satz 1 FVAS als Jahresabgabe erhoben wird und die Abgabenschuld nach § 5 Abs. 1 Satz 1 FVAS mit Beginn eines jeden Kalenderjahres entsteht, in dem die Abgabenpflicht besteht. Die damit normierte antizipierte Abgabenerhebung ist zulässig. Sie erfordert aber, dass die Rechtsgrundlage der Abgabenerhebung bereits am 1. Januar des betreffenden Wirtschaftsjahres gilt. Wie bereits erwähnt, weist die dritte Änderungssatzung die damit erforderliche Rückwirkungsanordnung nicht auf. Folglich ist eine mit der dritten Änderungssatzung eingetretene Fehlerheilung gemäß § 5 Abs. 4 Satz 4 Kommunalverfassung (KV M-V) i.V.m. § 11 Abs. 2 der Hauptsatzung der Gemeinde Ostseebad H. (HS) vom 5. Juni 2009 i.d.F. der ersten Änderungssatzung vom 15. März 2010 frühestens am Tag nach der am 19. Februar 2014 erfolgten Bekanntmachung der dritten Änderungssatzung erfolgt. Dies erlaubt keine Abgabenerhebung für das Wirtschaftsjahr 2012.

16

Auch die im Kaiserbäder-Boten Nr. 01/2015 bekannt gemachte „Vierte Satzung zur Änderung der Satzung der Gemeinde Ostseebad H. über die Erhebung einer Fremdenverkehrsabgabe vom 29. März 2012“ vom 27. November 2014 führt nicht dazu, dass die Fremdenverkehrsabgabesatzung vom 29. März 2012 rückwirkend zum 1. Januar 2012 in Kraft getreten ist. Zwar weist Art. II der vierten Änderungsatzung – die Formulierung ist identisch mit Art. 1 Abs. 2 der dritten Änderungssatzung vom 30. Januar 2014 – eine ordnungsgemäße Fälligkeitsregelung auf. Auch enthält Art. III der vierten Änderungssatzung eine Rückwirkungsanordnung bezogen auf den 1. Januar 2012. Allerdings geht die Rückwirkungsanordnung ins Leere, denn sie bezieht sich nicht auf die vierte Änderungssatzung, sondern auf die (zu ändernde) Stammsatzung vom 29. März 2012.

17

Dies ergibt sich aus folgenden Erwägungen: Art. III der vierten Änderungssatzung enthält zutreffend die Wendung „Diese Satzung tritt rückwirkend am 1. Januar 2012 in Kraft“. Darunter wird der Beginn der Außenwirkung verstanden. Das bedeutet, dass die einzelnen Änderungsbefehle wirksam werden, sich im Stammgesetz (hier: in der Stammsatzung) vollziehen und damit gegenstandslos werden. Der Text der Stammsatzung erhält von diesem Zeitpunkt an seine neue geänderte Fassung (vgl. zum Ganzen: Bundesministerium der Justiz [Hrsg.], Handbuch der Rechtsförmlichkeit, 3. Auflage 2008, Rn. 710). Vorliegend ist aber zu beachten, dass der Wendung „Diese Satzung tritt rückwirkend am 1. Januar 2012 in Kraft“ die Wendung „§ 10 der Satzung enthält folgende Fassung:“ vorangestellt ist. Damit hat der Ortsgesetzgeber klargestellt, dass sich der Regelungsbefehl des Art. III nicht auf die vierte Änderungssatzung, sondern auf § 10 der Stammsatzung vom 29. März 2012 bezieht. Ist aber das Bezugsobjekt des Regelungsbefehls nicht die vierte Änderungssatzung, so kann sich auch die Rückwirkungsanordnung nicht auf sie beziehen. Damit gelten für das Inkrafttreten der vierten Änderungssatzung die allgemeinen gesetzlichen Bestimmungen: Sie ist am Tage nach ihrer am 21. Januar 2015 erfolgten Bekanntmachung im amtlichen Bekanntmachungsblatt des Beklagten, dem Kaiserbäder-Boten Nr. 01/2015, in Kraft getreten und erlaubt daher keine Abgabenerhebung für das Wirtschaftsjahr 2012.

18

Hiergegen kann nicht eingewandt werden, dass die Regelung des Art. III der vierten Änderungssatzung bei dieser Auslegung wenig Sinn ergibt, weil bereits die Fremdenverkehrsabgabensatzung vom 29. März 2012 i.d.F. der ersten Änderung vom 24. August 2012 rückwirkend zum 1. Januar 2012 in Kraft treten sollte. Dies mag zwar sein. Es ist aber zu beachten, dass Rückwirkungsanordnungen regelmäßig den rechtsstaatlichen Grundsatz des Vertrauensschutzes berühren. Daraus folgen hohe Anforderungen an die Normklarheit. Unklarheiten bei der Formulierung gehen damit regelmäßig zu Lasten des (Orts-)Gesetzgebers.

19

2. Die Fremdenverkehrsabgabesatzung ist zudem unwirksam und scheidet daher auch aus diesem Grund als Rechtsgrundlage für eine Abgabenerhebung aus. Die in § 4 Abs. 4 FVAS normierten Abgabesätze beruhen auf einer fehlerhaften Kalkulation und sind unwirksam. Die Satzung weist damit nicht den nach § 2 Abs. 1 Satz 2 KAG M-V erforderlichen Mindestinhalt auf, was zur Gesamtnichtigkeit der Satzung führt. Dies ergibt sich aus folgenden Erwägungen:

20

Nach § 1 Abs. 2 FVAS bleibt bei der Kalkulation der Fremdenverkehrsabgabe von den Aufwendungen der Gemeinde Ostseebad H. für die in Abs. 1 Satz 2 genannten Zwecke ein dem allgemeinen Nutzen für die Einwohner der Gemeinde Ostseebad H. entsprechender Anteil von 60 Prozent außer Ansatz. Daraus folgt, dass die Kalkulation der Fremdenverkehrsabgabe einen Deckungsgrad von maximal 40 v.H. anstreben darf. Diese Maßgabe wird von der Kalkulation 2012 vom 20. September 2012 nicht beachtet. Multipliziert man nämlich die Summe der Vorteilseinheiten (12.500) mit der „erhobenen Gebühr je Vorteilseinheit“ von 15,34 EUR, so ergibt dies angestrebte Einnahmen i.H.v. 191.750,00 EUR. Da die Kalkulation von „gebührenfähigen Kosten“ i.H.v. 343.500,00 EUR ausgeht, folgt aus den angestrebten Einnahmen ein Deckungsgrad von 55,82 v.H. Der nach § 1 Abs. 2 FVAS zulässige Deckungsgrad wird damit deutlich überschritten.

21

Auf die übrigen Einwände der Klägerin gegen die Kalkulation kommt es nach alledem entscheidungserheblich nicht mehr an. Daher kann dahin stehen, ob – wie von der Klägerin unter Hinweis auf die Vergütungsbestimmungen in der von der Gemeinde A-Stadt mit der K.-GmbH geschlossene Vereinbarung vom 27. März 2012 dargelegt – nicht ansatzfähige Kosten der Zimmervermittlung aufwandserhöhend berücksichtigt worden sind.

22

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Nebenentscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 Zivilprozessordnung (ZPO). Gründe für eine Zulassung der Berufung sind nicht ersichtlich.

Tatbestand

5

Die Beteiligten streiten um die Wirksamkeit einer Niederschlagswassergebührensatzung.

6

Der Antragsteller ist Eigentümer eines Grundstücks in der Stadt B-Stadt. Die Antragsgegnerin betreibt in ihrem Stadtgebiet eine öffentliche Einrichtung zur zentralen Niederschlagswasserbeseitigung. Das Grundstück des Antragstellers ist an diese Anlage angeschlossen. Der Antragsteller wurde im Zeitraum von 2006 bis 2014 von der Antragsgegnerin zu Niederschlagswassergebühren veranlagt. Wegen der Bescheide für die Erhebungsjahre 2010 bis 2012 legte der Antragsteller Widersprüche ein; nach deren Zurückweisung erhob er Klage zum Verwaltungsgericht Schwerin (Aktenzeichen 4 A 820/11), über die bisher nicht entschieden ist.

7

Die Stadtvertretung der Antragsgegnerin beschloss am 4. November 2010 die Satzung über die Erhebung von Gebühren für die Niederschlagswasserbeseitigung in der Stadt G (nachfolgend: Niederschlagswassergebührensatzung 2010). Die Satzung wurde am 4. November 2010 ausgefertigt und am 17. November 2010 im amtlichen Bekanntmachungsblatt der Antragsgegnerin „Heimatbote“ öffentlich bekanntgemacht. Sie trat rückwirkend zum 1. Januar 2006 in Kraft.

8

Am 19. September 2011 hat der Antragsteller einen Normenkontrollantrag gegen die Niederschlagswassergebührensatzung 2010 gestellt.

9

Am 13. Dezember 2012 beschloss die Stadtvertretung der Antragsgegnerin die 1. Satzung zur Änderung der Satzung über die Erhebung von Gebühren für die Niederschlagswasserbeseitigung in der Stadt Goldberg. Die Änderungssatzung wurde am 13. Dezember 2012 ausgefertigt und am 11. Januar 2013 öffentlich bekanntgemacht. Sie trat rückwirkend zum 1. Januar 2013 in Kraft.

10

Zur Begründung seines Antrags wendet sich der Antragsteller im Wesentlichen gegen die Bestimmungen zu den Gebührensätzen. Die in § 4 Abs. 2 Buchst. b der angefochtenen Satzung zum 1. Januar 2010 vorgenommene Erhöhung der Zusatzgebühr von 0,02 Euro auf 0,58 Euro je gebührenpflichtigen Quadratmeter verstoße gegen das Rückwirkungsverbot und sei nicht gerechtfertigt. Ein Unterdeckungsausgleich habe erst in dem auf die Kalkulation folgenden Jahr, also zum 1. Januar 2011 vorgenommen werden dürfen. Methodische Fehler in der vorangegangenen Kalkulation dürften ohnehin nicht im Wege des Kostenunterdeckungsausgleichs korrigiert werden. So liege es hier. In die Flächenermittlung zur Kalkulation der Gebührensätze der Satzung über die Erhebung von Beiträgen und Gebühren für die Niederschlagswasserbeseitigung in der Stadt G vom 4. Oktober 2005 seien erheblich mehr Gebühreneinheiten eingestellt worden als bei der Kalkulation der angefochtenen Satzung. Das deute auf einen methodischen Fehler hin.

11

Auch die aktuelle Kalkulation sei auf der Kostenseite fehlerhaft. Die Herstellungswerte der Anlage, die über die vorgenommenen Abschreibungen gebührenwirksam geworden seien, seien unrichtig berechnet worden. Die Ermittlung des Mischzinssatzes berücksichtige zu Unrecht Kredite, die sich nicht der Herstellung der abgerechneten Anlage zuordnen ließen. Auch die Berechnung der kalkulatorischen Zinsen nach der Auflösungs-Restwertmethode sei vorliegend zu Lasten der Gebührenpflichtigen fehlerhaft erfolgt.

12

Der Antragsteller beantragt,

13

die Satzung über die Erhebung von Gebühren für die Niederschlagswasserbeseitigung in der Stadt Goldberg vom 4. November 2010 mit Ausnahme des § 10 für unwirksam zu erklären, soweit sie Geltung für den Zeitraum vom 1. Januar 2010 bis zum 31. Dezember 2012 beansprucht.

14

Die Antragsgegnerin beantragt,

15

den Antrag abzulehnen.

16

Sie verteidigt die angegriffene Satzung und tritt der Antragsbegründung im Einzelnen entgegen.

17

Der rückwirkend festgesetzte und vergleichsweise geringe Satz der Zusatzgebühr für den Veranlagungszeitraum 2006 bis 2009 beruhe auf dem Schlechterstellungsverbot. Die Stadtvertretung habe keine rückwirkende Gebührenerhöhung beschließen und die Gebührensätze aus der vorangegangenen Satzung nicht überschreiten dürfen. Die Kalkulation aus dem Jahre 2005, die zu diesen Gebührensätzen geführt habe, habe keine „politische Gebühr“ zum Ergebnis gehabt, mit der eine Kostenunterdeckung bewusst in Kauf genommen worden wäre. Das gelte auch für die dortige Flächenermittlung, die die damaligen Katasterunterlagen und eine Einwohnerbefragung zur Grundlage gehabt habe. Daher sei die tatsächlich eingetretene Kostenunterdeckung in den folgenden drei Jahren von 2010 bis 2012 auszugleichen gewesen. Das Defizit sei überwiegend im Bereich der variablen Kosten entstanden und deshalb allein bei der Zusatzgebühr kostenerhöhend angesetzt worden. Die invariablen Kosten seien im Wesentlichen durch die Grundgebühr gedeckt worden. Ab 2013 sei mit einem Absinken der Gebührensätze zu rechnen gewesen. Mit der 1. Änderungssatzung seien dementsprechend zum 1. Januar 2013 auch niedrigere Gebührensätze festgesetzt worden.

18

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der übersandten Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

19

Der Normenkontrollantrag ist zulässig (1.) und begründet (2.). Die Satzung über die Erhebung von Gebühren für die Niederschlagswasserbeseitigung in der Stadt B vom 4. November 2010 ist im Umfang des gestellten Antrags unwirksam.

20

1. Der Antrag ist gemäß § 47 Abs. 1 Nr. 2 VwGO i.V.m. § 13 AGGerStrG M-V statthaft und auch im Übrigen zulässig. Er ist rechtzeitig innerhalb eines Jahres nach Bekanntmachung der streitbefangenen Satzung gestellt worden (§ 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO). Der Antragsteller ist gemäß § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO antragsbefugt. Er kann als Gebührenschuldner nach § 5 Abs. 1 Satz 1 Niederschlagswassergebührensatzung 2010 geltend machen, durch die Rechtsvorschrift oder deren Anwendung in seinen Rechten verletzt zu sein. Dem Antragsteller steht im Umfang der Antragstellung auch ein Rechtsschutzbedürfnis zur Seite. Da die gegen ihn ergangenen Bescheide über die Erhebung einer Niederschlagswasserbeseitigungsgebühr insoweit noch nicht bestandskräftig geworden sind, stellt die Feststellung der Unwirksamkeit der streitgegenständlichen Satzung den Antragsteller im Anfechtungsprozess rechtlich besser (vgl. OVG Greifswald, Urt. v. 03.07.2002 – 4 K 35/01 –, juris Rn. 11).

21

2. Der Normenkontrollantrag ist auch begründet. Die Satzung über die Erhebung von Gebühren für die Niederschlagswasserbeseitigung in der Stadt B-Stadt vom 4. November 2010 verstößt, soweit sie Gegenstand dieses Verfahrens geworden ist, gegen höherrangiges Recht, das der Prüfung des Oberverwaltungsgerichts unterliegt. Im Ergebnis ist die Satzung nicht nur hinsichtlich einzelner Bestimmungen, sondern insgesamt unwirksam. Sie ist deshalb im beantragten Umfang gemäß § 47 Abs. 5 Satz 2 VwGO für unwirksam zu erklären.

22

Die streitbefangene Niederschlagswassergebührensatzung weist nicht den durch § 2 Abs. 1 Satz 2 KAG M-V vorgeschriebenen Mindestinhalt einer Abgabensatzung auf. Sie enthält für die Veranlagungsjahre 2010 bis 2012 keine wirksame Bestimmung der Abgabensätze. Die Regelung des Gebührensatzes für die Zusatzgebühr in den Jahren 2010 bis 2012 in § 4 Abs. 2 Buchst. b Niederschlagswassergebührensatzung 2010, wonach die jährliche Zusatzgebühr für die Inanspruchnahme der Einrichtung zur zentralen Niederschlagswasserbeseitigung ab dem 1. Januar 2010 0,58 Euro je Quadratmeter zusatzgebührenpflichtiger Fläche beträgt, beruht auf einer methodisch fehlerhaften Kalkulation und ist daher unwirksam (a). Das führt mangels einer Teilbarkeit der Satzung zur Unwirksamkeit auch der Bestimmung über den Satz der Grundgebühr und damit zur Gesamtunwirksamkeit der Gebührensatzung für den genannten Zeitraum (b). Auf die sonstigen Einwendungen des Antragstellers gegen die Wirksamkeit der Satzung kommt es deshalb nicht mehr an.

23

a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichts muss dem Rechtssetzungsorgan – neben der Beschlussvorlage über die Satzung – bei der Beschlussfassung eine Kalkulation über den Abgabensatz vorliegen. Wird dem Vertretungsorgan vor oder bei seiner Beschlussfassung über den Abgabensatz eine solche Kalkulation nicht zur Billigung unterbreitet oder ist die unterbreitete Abgabenkalkulation in einem für die Abgabensatzhöhe wesentlichen Punkt mangelhaft, hat dies die Unwirksamkeit der Bestimmung des Abgabensatzes zur Folge, weil das Vertretungsorgan anderenfalls sein Ermessen nicht fehlerfrei ausüben kann (vgl. zuletzt OVG Greifswald, Urt. v. 21.04.2015 – 1 K 46/11 –, juris Rn. 67 unter Hinweis auf OVG Greifswald, Urt. v. 02.06.2004 – 4 K 38/02 –, juris Rn. 63, 142, m.w.N.; grundlegend OVG Greifswald, Urt. V. 25.02.1998 – 4 K 8/97, 4 K 18/97 –, juris).

24

Die Gebührenkalkulation für die Veranlagungsjahre 2010 bis 2012 war in einem für die Gebührensatzhöhe wesentlichen Punkt mangelhaft. Sie berücksichtigte für diesen Zeitraum bei der Zusatzgebühr methodisch fehlerhaft einen Kostenunterdeckungsausgleich.

25

Der vorgenommene Unterdeckungsausgleich findet im Gesetz keine Stütze. Nach § 6 Abs. 2d Satz 2 KAG M-V in der bei Satzungserlass maßgeblichen Fassung der Bekanntmachung vom 12. April 2005 (GVOBl. M-V S. 146) – KAG M-V a.F. – sollen Kostenunterdeckungen innerhalb von drei Jahren nach Ende des abgeschlossenen Kalkulationszeitraums ausgeglichen werden, wenn am Ende des Kalkulationszeitraums die tatsächlichen von den kalkulierten Kosten abweichen.

26

Bereits aus dem Wortlaut der Vorschrift, die ein Abweichen der tatsächlichen von den kalkulierten Kosten und einen abgeschlossenen Kalkulationszeitraum voraussetzt, ergibt sich, dass die Berücksichtigung einer Kostenunterdeckung von vornherein ausscheiden muss, soweit sie in einem Zeitraum entstanden ist, für den es an einer Vorauskalkulation überhaupt fehlt. So liegt es hier für das Veranlagungsjahr 2009, das von der Kalkulation der Gebührensätze in der Satzung der Antragsgegnerin vom 4. Oktober 2005 nicht mehr erfasst wurde. Gleichwohl ist in der hier zu prüfenden Kalkulation eine Unterdeckung für diesen Zeitraum im Wege der Nachkalkulation ermittelt und für das Veranlagungsjahr 2012 kostenerhöhend in die Kalkulation des Zusatzgebührensatzes eingestellt worden.

27

Dass ein Unterdeckungsausgleich für das Jahr 2009 nicht in Betracht kommt, ergibt sich auch aus Sinn und Zweck des § 6 Abs. 2d Satz 2 KAG M-V a.F.. Die Vorschrift durchbricht den gebührenrechtlichen Grundsatz der Periodengerechtigkeit. Dieser hat zum Inhalt, dass die Gebührenpflichtigen nur mit denjenigen Kosten belastet werden dürfen, die den Nutzungen in der betreffenden Kalkulationsperiode entsprechen. Der Grundsatz der Periodengerechtigkeit stellt sich damit als Ausprägung des Äquivalenzprinzips und der Leistungsproportionalität in zeitlicher Hinsicht dar (Brüning, in: Driehaus, Kommunalabgabenrecht, Stand September 2014, § 6, Rn. 92). Der Gebührenschuldner soll grundsätzlich nur solche Kosten tragen müssen, die im Veranlagungszeitraum durch die Inanspruchnahme der Leistung entstanden sind.

28

Die in § 6 Abs. 2d Satz 2 KAG M-V a.F. normierte Ausnahme von diesem Grundsatz findet ihre Rechtfertigung in dem Umstand, dass die Kalkulation eines Gebührensatzes als Vorauskalkulation notwendigerweise auf einer Prognose der Kosten für den Betrieb der öffentlichen Einrichtung und der Inanspruchnahme der Einrichtung durch die Gebührenschuldner im Kalkulationszeitraum beruhen muss. Eine Prognoseentscheidung ist notwendigerweise mit Unsicherheiten verbunden. Dem trägt eine Ausgleichsregelung im Sinne einer Risikoverteilung Rechnung. Sie erlaubt dem Aufgabenträger, eine von der Prognose abweichende Entwicklung der Kosten und der Gebühreneinheiten – insoweit ist die Vorschrift entsprechend anzuwenden – nach Ende des Kalkulationszeitraums auszugleichen (vgl. OVG Bautzen, Urt. v. 12.01.2015 – 5 A 597/09 –, juris Rn. 25 f. und OVG Münster, Urt. v. 20.01.2010 – 9 A 1469/08 –, juris Rn. 29; zur entsprechenden Anwendung der Vorschrift auf die Entwicklung der Gebühreneinheiten VG Greifswald, Urt. v. 23.01.2014 – 3 A 1372/12 –, juris Rn. 21, und Driehaus, in: Driehaus, Kommunalabgabenrecht, Stand September 2014, § 6, Rn. 102). Eine eingetretene Kostenunterdeckung darf gemäß § 6 Abs. 2d Satz 2 KAG M-V a.F. in den folgenden drei Jahren zu Lasten der Gebührenschuldner ausgeglichen werden. Die Regelung erfasst folgerichtig auch den umgekehrten Fall; eine eingetretene Kostenüberdeckung muss in diesem Zeitraum zu Gunsten der Gebührenschuldner ausgeglichen werden.

29

Daraus folgt zugleich, dass der Anwendungsbereich von § 6 Abs. 2d Satz 2 KAG M-V a.F. als Ausnahmevorschrift vom gebührenrechtlichen Äquivalenzprinzip zu beschränken ist. Die Norm ist kein Instrument, um methodische Fehler einer vorangegangenen Kalkulation auszugleichen. Diese sind nicht Ausdruck der unvermeidbaren Prognoseunsicherheit bei der Vorausschau von Kosten und Gebühreneinheiten. Auch sind die Ergebnisse einer bewussten Kostenunterdeckung (etwa durch einen „politischer Gebührensatz“) nicht über einen Kostenunterdeckungsausgleich zu korrigieren (vgl. Siemers, in: Aussprung/Siemers/Holz/Seppelt, KAG M-V, Stand Juli 2014, § 6, Anm. 6.2.5).

30

Durch die Bildung eines durchschnittlichen Gebührensatzes für den Kalkulationszeitraum 2010 bis 2012 wirkt sich der methodische Fehler der Berücksichtigung eines Kostenunterdeckungsausgleichs auf die Festsetzung des Zusatzgebührensatzes in § 4 Abs. 2 Buchst. b Niederschlagswassergebührensatzung 2010 für den gesamten Regelungszeitraum aus.

31

Der Senat musste nach alledem nicht mehr entscheiden, ob die Voraussetzungen für den Unterdeckungsausgleich schon wegen einer bewusst herbeigeführten Kostenunterdeckung nicht vorlagen, da die Niederschlagswassergebührensatzung 2010 hier rückwirkend zum 1. Januar 2006 und für den Zeitraum bis zum 31. Dezember 2009 mit den (nicht kostendeckenden) Zusatzgebührensätzen aus der Satzung über die Erhebung von Beiträgen und Gebühren für die Niederschlagswasserbeseitigung in der Stadt B-Stadt vom 4. Oktober 2005 in Kraft gesetzt worden war. In Rechtsprechung und Literatur wird vertreten, dass im Falle der Rückwirkung einer Gebührensatzung für die Berechnung des Gebührensatzes keine Vorauskalkulation mehr in Betracht komme und vielmehr in vollem Umfang von den für die maßgebliche Abrechnungsperiode bekannten tatsächlichen Kosten auszugehen sei. Das schließe das Entstehen einer Kostenunterdeckung aus, weil keine Prognoseunsicherheit bestehen könne (vgl. OVG Münster, Urt. v. 20.01.2010 – 9 A 1469/08 –, juris Rn. 38; OVG Magdeburg, Urt. v. 27.07.2006 – 4 K 253/05 –, juris Rn. 40; VGH München, Urt. v. 02.04.2004 – 4 N 00.1645 –, juris Rn. 22; Siemers, in: Aussprung/Siemers/Holz/Seppelt, KAG M-V, Stand Juli 2014, § 6, Anm. 7.3.3.3 m.w.N.).

32

Dagegen ließe sich möglicherweise einwenden, dass eine Nacherhebung von Gebühren für den abgelaufenen Kalkulationszeitraum dann nicht in Betracht kommt, wenn eine Schlechterstellung der Gebührenschuldner aus verfassungsrechtlichen Gründen ausscheidet (vgl. zu den Voraussetzungen der rückwirkenden Schlechterstellung eines Abgabenschuldners BVerwG, Beschl. v. 29.01.2015 – 9 B 51/14 –, juris Rn. 7, m.w.N.). Das ist in der Rechtsprechung für den Fall angenommen worden, dass bei der rückwirkenden Ersetzung einer wegen einer fehlerhaften Maßstabsregel unwirksamen Gebührensatzung eine unabhängig davon eingetretene Kostenunterdeckung durch erhöhte Gebührensätze beseitigt werden sollte (VG Karlsruhe, Urt. v. 30.01.2014 – 2 K 2233/13 –, juris Rn. 50 ff.).

33

b) Die Nichtigkeit der Satzungsregel zur Höhe des Zusatzgebührensatzes führt auch zur Nichtigkeit der Regelung über den Satz der Grundgebühr für den Veranlagungszeitraum 2010 bis 2012 und damit mangels einer Bestimmung des Abgabensatzes zur Gesamtnichtigkeit der Niederschlagswassergebührensatzung 2010 im beantragten Umfang. Eine auf die Bestimmung des Zusatzgebührensatzes beschränkte Teilnichtigkeit der Satzung scheidet aus. Die Teilnichtigkeit einer Abgabensatzung ist anzunehmen, wenn die Norm auch ohne den nichtigen Teil sinnvoll bleibt, insbesondere der Restbestand der Bestimmung den von § 2 Abs. 1 KAG M-V erforderten Mindestinhalt umfasst und anzunehmen ist, dass der Satzungsgeber die Vorschrift auch ohne den nichtigen Teil erlassen hätte (OVG Greifswald, Urt. v. 14.09.2010 – 4 K 12/07 –, juris Rn. 71). Es ist nicht anzunehmen, dass der Satzungsgeber, der ersichtlich eine Kostendeckung des Anlagenbetriebs durch ein System aus Grundgebühr und Zusatzgebühr angestrebt hat, die Satzung auch mit nur einer nicht kostendeckenden Grundgebühr beschlossen und auf die Erhebung von Zusatzgebühren ganz verzichtet hätte (vgl. in diesem Sinne auch OVG Lüneburg, Urt. v. 10.11.2014 – 9 KN 33/14 –, juris Rn. 91 und OVG Weimar, Urt. v. 12.12.2001 – 4 N 595/94 –, juris Rn. 106).

34

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Grundlage der Ausspruchs über die vorläufige Vollstreckbarkeit ist § 167 VwGO i.V.m. § 709 ZPO. Die Revision war nicht zuzulassen, da keiner der Gründe des § 132 Abs. 2 VwGO vorliegt.

Gründe

1

Die auf den Revisionszulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und einen Verfahrensmangel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) gestützte Beschwerde bleibt ohne Erfolg.

2

1. Die Beschwerde bezeichnet folgende Fragen als grundsätzlich bedeutsam:

"Ist Art. 20 Abs. 3 GG mit dem darin verankerten (abgabenrechtlichen) Bestimmtheitsgebot dahingehend auszulegen, dass Beitragssatzungen, die hinsichtlich des Entstehens der sachlichen Beitragspflicht auf den Beginn einer (Ausbau-)Maßnahme abstellen, wirksam sind?"

"Ist Art. 3 Abs. 1 GG mit dem darin verankerten Gleichheitsgebot und Willkürverbot dahingehend auszulegen, dass Beitragssatzungen, die hinsichtlich des Entstehens der sachlichen Beitragspflicht auf den Beginn einer (Ausbau-)Maßnahme abstellen, während andere Beitragssatzungen und Kommunalabgabengesetze der Länder an die Beendigung der Ausbaumaßnahme abstellen, wirksam sind?"

3

Diese Fragen vermögen die Revisionszulassung nicht zu rechtfertigen.

4

Bei ihrer ersten Frage übersehen die Kläger, dass es im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde nicht genügt, die Auslegung und Anwendung einfachen Rechts durch das Berufungsgericht als nicht grundgesetzkonform zu rügen. Vielmehr muss dargelegt werden, dass der verfassungsrechtliche Maßstab selbst einen die Zulassung der Revision rechtfertigenden Klärungsbedarf aufweist (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 30. Juni 2003 - 4 B 35.03 - Buchholz 310 § 108 Abs. 1 VwGO Nr. 26 S. 20 m.w.N.). Daran fehlt es hier.

5

Das Bestimmtheitsgebot zwingt den Gesetzgeber nicht, den Tatbestand einer Norm mit genau erfassbaren Maßstäben zu umschreiben. Dass ein Gesetz unbestimmte, der Auslegung und Konkretisierung bedürftige Begriffe verwendet, verstößt allein noch nicht gegen den rechtsstaatlichen Grundsatz der Normklarheit und Justitiabilität. Das Gesetz muss nur so bestimmt sein, wie dies nach der Eigenart der zu ordnenden Lebenssachverhalte mit Rücksicht auf den Normzweck möglich ist. Unvermeidbare Auslegungsschwierigkeiten in Randbereichen sind dann von Verfassungs wegen hinzunehmen. Erforderlich ist allerdings stets, dass die von der Norm Betroffenen die Rechtslage erkennen und ihr Verhalten danach einrichten können. Sie müssen in zumutbarer Weise feststellen können, ob die tatsächlichen Voraussetzungen für die Rechtsfolge vorliegen (BVerfG, Beschluss vom 7. Mai 2001 - 2 BvK 1/00 - BVerfGE 103, 332 <384>; BVerwG, Urteil vom 31. Juli 2013 - 6 C 9.12 - BVerwGE 147, 292 Rn. 19 f.). Welchen über diese Grundsätze und Maßstäbe hinausgehenden Klärungsbedarf der vorliegende Fall aufzeigen soll, legt die Beschwerde nicht dar.

6

Die auf den Gleichbehandlungsgrundsatz abzielende zweite Frage rechtfertigt die Durchführung eines Revisionsverfahrens ebenfalls nicht. Auch insoweit gilt, dass die Rüge, das maßgebliche Landesrecht und dessen Auslegung verstoße gegen Bundesrecht, die Zulassung der Revision nur rechtfertigt, wenn sie auf eine klärungsbedürftige Frage des Bundesrechts führt. Mit bloßen Angriffen gegen die Rechtsauffassung der Vorinstanz, die ihrer Entscheidung ausschließlich nicht revisibles Landesrecht zugrunde gelegt hat, kann die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache selbst dann nicht dargelegt werden, wenn der Kläger zur Begründung seiner abweichenden Rechtsauffassung verfassungsrechtliche Erwägungen anführt (BVerwG, Beschluss vom 30. Juni 2003 - 4 B 35.03 - Buchholz 310 § 108 Abs. 1 VwGO Nr. 26 S. 20 m.w.N.). Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht; sie beschränkt sich darauf, die Auslegung des Landesrechts durch das Oberverwaltungsgericht unter Hinweis auf die Rechtsprechung eines anderen Oberverwaltungsgerichts als willkürlich zu kritisieren, ohne den bundesverfassungsrechtlichen Klärungsbedarf hinsichtlich des als korrigierender Maßstab angeführten Gleichbehandlungsgebotes zu bezeichnen.

7

Im Übrigen lässt sich die Frage ohne Weiteres auf der Grundlage der vorhandenen Rechtsprechung beantworten. Danach steht der Gemeinde als ortsrechtlicher Normgeberin aufgrund ihrer Satzungs- und Abgabenhoheit bei der Ausgestaltung ihrer Abgabensatzungen ein - gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbarer - weiter Gestaltungsspielraum zu (vgl. BVerfG, Beschluss vom 25. Juni 2014 - 1 BvR 668/10, 1 BvR 21 BvR 2104/10 - NVwZ 2014, 1448 Rn. 49; BVerwG, Beschluss vom 3. September 2014 - 9 B 46.14 - juris Rn. 4). Es unterliegt keinen Zweifeln, dass dieser Spielraum hinsichtlich des Entstehens der Beitragspflicht die Wahl unterschiedlicher Anknüpfungspunkte wie den Beginn einer Ausbaumaßnahme oder deren Beendigung zulässt.

8

2. Der von der Beschwerde geltend gemachte Verfahrensverstoß liegt nicht vor. Die Beschwerde macht als Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör geltend, das Oberverwaltungsgericht habe nicht zur Kenntnis genommen, dass sich die Kläger in der Widerspruchsbegründung, die in dem mit Schriftsatz vom 12. März 2009 vorgelegten Anlagenkonvolut K 4 enthalten gewesen sei, auch auf Festsetzungsverjährung berufen hätten. Ein Gehörsverstoß ist jedoch in dieser Hinsicht zu verneinen. Der Grundsatz rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) verlangt vom Gericht, die Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Das Gericht ist aber nicht gehalten, das gesamte Vorbringen in den Entscheidungsgründen wiederzugeben und zu jedem einzelnen Gesichtspunkt Stellung zu nehmen (vgl. § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO). Aus einem Schweigen der Urteilsgründe zu einem bestimmten Vorbringen eines Beteiligten kann noch nicht geschlossen werden, das Gericht habe dieses nicht zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen (vgl. nur BVerwG, Beschluss vom 5. Februar 1999 - 9 B 797.98 - Buchholz 310 § 108 Abs. 2 VwGO Nr. 4 S. 3).

9

Hiernach rechtfertigt der Umstand, dass im Urteil des Oberverwaltungsgerichts Ausführungen zur Festsetzungsverjährung fehlen, nicht die Annahme eines Gehörsverstoßes. Mit der Beschwerde wird lediglich vorgebracht, dass die Frage der Festsetzungsverjährung in der ersten Instanz aufgeworfen worden sei. Dass die Kläger auf diesen rechtlichen Aspekt in der Berufungsinstanz vor dem Oberverwaltungsgericht zurückgekommen wären, behauptet die Beschwerde dagegen nicht. Angesichts dessen durfte das Oberverwaltungsgericht davon ausgehen, dass sich die Kläger auf diesen rechtlichen Gesichtspunkt nicht mehr berufen wollten. Dies lag umso näher, als während des Berufungsverfahrens in Reaktion auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 5. März 2013 (- 1 BvR 2457/08 - BVerfGE 133, 143) die Festsetzungsverjährung durch den mit Gesetz vom 28. November 2013 (SächsGVBl. S. 822, 840) in das Sächsische Kommunalabgabengesetz eingefügten § 3a mit Wirkung zum 1. Januar 2014 dahingehend neu geregelt worden ist, dass die Festsetzungsfrist für Straßenausbaubeiträge 20 Jahre beträgt.

10

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 159 Satz 1 VwGO, § 100 Abs. 1 ZPO, die Festsetzung des Streitwertes auf § 47 Abs. 1 und 3 VwGO, § 52 Abs. 3 GKG.

(1) Die Festsetzungsfrist beginnt mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Steuer entstanden ist oder eine bedingt entstandene Steuer unbedingt geworden ist.

(2) Abweichend von Absatz 1 beginnt die Festsetzungsfrist, wenn

1.
eine Steuererklärung oder eine Steueranmeldung einzureichen oder eine Anzeige zu erstatten ist, mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Steuererklärung, die Steueranmeldung oder die Anzeige eingereicht wird, spätestens jedoch mit Ablauf des dritten Kalenderjahrs, das auf das Kalenderjahr folgt, in dem die Steuer entstanden ist, es sei denn, dass die Festsetzungsfrist nach Absatz 1 später beginnt,
2.
eine Steuer durch Verwendung von Steuerzeichen oder Steuerstemplern zu zahlen ist, mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem für den Steuerfall Steuerzeichen oder Steuerstempler verwendet worden sind, spätestens jedoch mit Ablauf des dritten Kalenderjahrs, das auf das Kalenderjahr folgt, in dem die Steuerzeichen oder Steuerstempler hätten verwendet werden müssen.
Dies gilt nicht für Verbrauchsteuern, ausgenommen die Energiesteuer auf Erdgas und die Stromsteuer.

(3) Wird eine Steuer oder eine Steuervergütung nur auf Antrag festgesetzt, so beginnt die Frist für die Aufhebung oder Änderung dieser Festsetzung oder ihrer Berichtigung nach § 129 nicht vor Ablauf des Kalenderjahrs, in dem der Antrag gestellt wird.

(4) Wird durch Anwendung des Absatzes 2 Nr. 1 auf die Vermögensteuer oder die Grundsteuer der Beginn der Festsetzungsfrist hinausgeschoben, so wird der Beginn der Festsetzungsfrist für die folgenden Kalenderjahre des Hauptveranlagungszeitraums jeweils um die gleiche Zeit hinausgeschoben.

(5) Für die Erbschaftsteuer (Schenkungsteuer) beginnt die Festsetzungsfrist nach den Absätzen 1 oder 2

1.
bei einem Erwerb von Todes wegen nicht vor Ablauf des Kalenderjahrs, in dem der Erwerber Kenntnis von dem Erwerb erlangt hat,
2.
bei einer Schenkung nicht vor Ablauf des Kalenderjahrs, in dem der Schenker gestorben ist oder die Finanzbehörde von der vollzogenen Schenkung Kenntnis erlangt hat,
3.
bei einer Zweckzuwendung unter Lebenden nicht vor Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Verpflichtung erfüllt worden ist.

(6) Für die Steuer, die auf Kapitalerträge entfällt, die

1.
aus Staaten oder Territorien stammen, die nicht Mitglieder der Europäischen Union oder der Europäischen Freihandelsassoziation sind, und
2.
nicht nach Verträgen im Sinne des § 2 Absatz 1 oder hierauf beruhenden Vereinbarungen automatisch mitgeteilt werden,
beginnt die Festsetzungsfrist frühestens mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem diese Kapitalerträge der Finanzbehörde durch Erklärung des Steuerpflichtigen oder in sonstiger Weise bekannt geworden sind, spätestens jedoch zehn Jahre nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden ist.

(7) Für Steuern auf Einkünfte oder Erträge, die in Zusammenhang stehen mit Beziehungen zu einer Drittstaat-Gesellschaft im Sinne des § 138 Absatz 3, auf die der Steuerpflichtige allein oder zusammen mit nahestehenden Personen im Sinne des § 1 Absatz 2 des Außensteuergesetzes unmittelbar oder mittelbar einen beherrschenden oder bestimmenden Einfluss ausüben kann, beginnt die Festsetzungsfrist frühestens mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem diese Beziehungen durch Mitteilung des Steuerpflichtigen oder auf andere Weise bekannt geworden sind, spätestens jedoch zehn Jahre nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden ist.

Tenor

1. Artikel 13 Absatz 1 Nummer 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 des Bayerischen Kommunalabgabengesetzes in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes vom 28. Dezember 1992 (Bayerisches Gesetz- und Verordnungsblatt Seite 775) ist mit Artikel 2 Absatz 1 des Grundgesetzes in Verbindung mit dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Rechtssicherheit (Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes) unvereinbar. Ersetzt der Gesetzgeber Artikel 13 Absatz 1 Nummer 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 des Bayerischen Kommunalabgabengesetzes nicht bis zum 1. April 2014 durch eine verfassungsgemäße Neuregelung, tritt Nichtigkeit der Vorschrift ein.

2. Der Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 16. Mai 2008 - 20 ZB 08.903 - und das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 28. Februar 2008 - M 10 K 06.2850 - verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 1 des Grundgesetzes in Verbindung mit dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Rechtssicherheit (Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes). Der Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs wird aufgehoben und die Sache an ihn zurückverwiesen.

3. ...

Gründe

A.

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Frage, ob die Regelung des Beginns der Festsetzungsfrist in Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 des Bayerischen Kommunalabgabengesetzes (BayKAG) in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes vom 28. Dezember 1992 (GVBI S. 775) mit den in Art. 20 Abs. 3 GG verankerten Verfassungsgrundsätzen der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes vereinbar ist.

I.

2

1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs setzt das Entstehen einer Beitragspflicht für den Anschluss an leitungsgebundene Einrichtungen neben dem Erschlossensein des Grundstücks durch eine insgesamt betriebsfertige Einrichtung (sogenannte Vorteilslage) zwingend das Vorliegen einer gültigen Beitragssatzung voraus (vgl. BayVGH, Urteil vom 14. April 2011 - 20 BV 11.133 -, BayVBl 2012, S. 45 <46>; Urteil vom 29. April 2010 - 20 BV 09.2010 -, BayVBl 2011, S. 240; Urteil vom 31. August 1984 - 23 B 82 A.461 -, juris). Eine wirksame Satzung ist somit Beitragsentstehungsvoraussetzung. Die Satzung muss nach Art. 5 Abs. 8 BayKAG nicht bereits im Zeitpunkt des Entstehens der Vorteilslage in Kraft sein. Es genügt vielmehr, wenn sie nach deren Entstehung in Kraft tritt.

3

2. Der Eintritt der Festsetzungsverjährung führt nach Art. 13 Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe b BayKAG in Verbindung mit § 47 der Abgabenordnung (AO) zum Erlöschen der Ansprüche aus dem Abgabenschuldverhältnis. Die Festsetzungsfrist, nach deren Ablauf der Erlass eines Beitragsbescheids unzulässig ist, beträgt nach Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe bb Spiegelstrich 2 BayKAG in Verbindung mit § 169 Abs. 2 Satz 1 AO einheitlich vier Jahre.

4

3. Durch das am 31. Dezember 1992 verkündete Gesetz zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes vom 28. Dezember 1992 (GVBI S. 775) wurde der Beginn der Festsetzungsfrist mit Wirkung zum 1. Januar 1993 neu geregelt. Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc BayKAG erhielt folgende Fassung:

5

Art. 13

Anwendung von Vorschriften der Abgabenordnung (AO 1977)

(1) Soweit gesetzlich nicht anders bestimmt, sind in ihrer jeweils geltenden Fassung vorbehaltlich Absatz 6 folgende Bestimmungen der Abgabenordnung entsprechend anzuwenden:

(…)

4. aus dem Vierten Teil - Durchführung der Besteuerung -

(…)

b) über das Festsetzungs- und Feststellungsverfahren:

(…)

cc) § 170 Abs. 1 mit der Maßgabe,

- dass die Festsetzungsfrist dann, wenn die Forderung im Zeitpunkt des Entstehens aus tatsächlichen Gründen noch nicht berechnet werden kann, erst mit Ablauf des Kalenderjahres beginnt, in dem die Berechnung möglich ist und

- dass im Fall der Ungültigkeit einer Satzung die Festsetzungsfrist erst mit Ablauf des Kalenderjahres zu laufen beginnt, in dem die gültige Satzung bekanntgemacht worden ist, (…).

6

Die in Bezug genommene Vorschrift des § 170 Abs. 1 AO lautet:

7

Die Festsetzungsfrist beginnt mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Steuer entstanden ist oder eine bedingt entstandene Steuer unbedingt geworden ist.

8

Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 1 BayKAG entspricht der bis dahin geltenden Regelung des Beginns der Festsetzungsfrist gemäß Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b BayKAG vom 26. März 1974 (GVBl S. 109, ber. 252) in der Fassung vom 4. Februar 1977 (GVBl S. 82). Mit dem Gesetz zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes vom 28. Dezember 1992 wurde Spiegelstrich 2 neu in die gesetzliche Regelung eingefügt.

9

4. Der Gesetzgeber beabsichtigte hiermit ausweislich der Begründung des Gesetzentwurfs eine gesetzliche Klarstellung (LTDrucks 12/8082, S. 13). Bisher sei es in der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs umstritten gewesen, ob in den Fällen, in denen eine nichtige Satzung rückwirkend durch eine gültige Satzung ersetzt werde, die Festsetzungsfrist mit dem Zeitpunkt des rückwirkenden Inkrafttretens der Satzung (so BayVGH 6. Senat, Urteil vom 26. März 1984 - 6 B 82 A.1075 -, BayGT 1985, S. 60) oder erst mit Ablauf des Jahres zu laufen beginne, in dem die rückwirkende Satzung bekanntgemacht worden sei (so BayVGH 23. Senat, Urteil vom 30. März 1984 - 23 B 81 A.1967 -, BayVBl 1985, S. 656 <658>). Mit der Einfügung einer weiteren Maßgabe in Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b BayKAG werde die den Bedürfnissen der Praxis entgegen kommende Auffassung des 23. Senats des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs gesetzlich klargestellt. Nach der gegenteiligen Ansicht könne nämlich eine rückwirkend entstandene Forderung gleichzeitig festsetzungsverjährt sein, wenn sich die Rückwirkungsfrist über die Verjährungsfrist hinaus erstrecke.

II.

10

1. Der Beschwerdeführer war von 1992 bis 1996 Eigentümer eines bereits an die öffentliche Entwässerungseinrichtung angeschlossenen bebauten Grundstücks. Bei einer Ortsbesichtigung im Jahr 1992 stellte die Beklagte des Ausgangsverfahrens, die Gemeinde, in der das Grundstück gelegen ist (im Folgenden: Beklagte), fest, dass das Dachgeschoss des Gebäudes ausgebaut worden war.

11

Mit Bescheid vom 5. April 2004 zog sie den Beschwerdeführer erstmals auf der Grundlage ihrer Beitrags- und Gebührensatzung zur Entwässerungssatzung vom 5. Mai 2000 zu einem Kanalherstellungsbeitrag in Höhe von 1.197,32 € heran. Der Herstellungsbeitrag wurde gemäß § 5 Abs. 1 dieser Beitrags- und Gebührensatzung nach der Grundstücks- und Geschossfläche berechnet. Die Satzung war zur Heilung einer als nichtig beurteilten Vorgängersatzung rückwirkend zum 1. April 1995 in Kraft gesetzt worden.

12

Während des Widerspruchsverfahrens erwies sich auch die Beitrags- und Gebührensatzung vom 5. Mai 2000 als unwirksam. Die Beklagte erließ daraufhin die Beitrags- und Gebührensatzung zur Entwässerungssatzung vom 18. April 2005 und setzte sie rückwirkend zum 1. April 1995 in Kraft. Diese Satzung wurde am 26. April 2005 im Amtsblatt der Beklagten bekannt gemacht.

13

2. Die vom Beschwerdeführer gegen den Bescheid und den Widerspruchsbescheid erhobene Klage wies das Verwaltungsgericht ab. Zwar seien die Beitrags- und Gebührensatzung vom 5. Mai 2000, auf die der Bescheid gestützt worden sei, sowie auch sämtliche Vorgängersatzungen aus den Jahren 1995, 1992, 1987, 1980, 1973 und 1960 in den Beitragsteilen nichtig gewesen. Eine wirksame Rechtsgrundlage für den Bescheid sei aber mit der Beitrags- und Gebührensatzung vom 18. April 2005 geschaffen worden. Auf der Grundlage dieser Satzung sei die Beitragsschuld für die bislang nicht veranlagte Geschossflächenmehrung erstmals am 1. April 1995 entstanden. Der Beschwerdeführer sei als zu diesem Zeitpunkt ins Grundbuch eingetragener Grundstückseigentümer Beitragsschuldner. Eine Verjährung der Beitragsforderung sei nicht eingetreten, da nach Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG in Verbindung mit § 170 Abs. 1 AO im Fall der Ungültigkeit einer Satzung die vierjährige Festsetzungsfrist erst mit Ablauf des Kalenderjahres zu laufen beginne, in dem die gültige Satzung bekannt gemacht worden sei.

14

Der Beschwerdeführer könne hiergegen nicht mit Erfolg einwenden, diese Regelung verstoße gegen die Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes und müsse daher, insbesondere im Fall eines zwischenzeitlichen Eigentümerwechsels, abweichend von ihrem Wortlaut einschränkend ausgelegt werden. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs bestünden gegen Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken. Ersichtliches Ziel des Gesetzgebers sei es gewesen, die Gemeinden im Falle nichtigen Satzungsrechts vor Beitragsausfällen infolge Verjährungseintritts zu bewahren. Im Übrigen sei keiner der jetzigen oder ehemaligen Grundstückseigentümer in seiner Erwartung geschützt, von der Nichtigkeit früheren Satzungsrechts profitieren zu können; denn ein abgeschlossener Beitragstatbestand liege nicht vor. Welchen der Eigentümer die Beitragspflicht treffe, hänge von der Bestimmung des Zeitpunkts der Rückwirkung ab. Sei dieser - wie im vorliegenden Fall - ohne Verstoß gegen das Willkürverbot gewählt, bestehe kein Grund für eine rechtliche Beanstandung.

15

3. Der Verwaltungsgerichtshof lehnte den Antrag des Beschwerdeführers auf Zulassung der Berufung ab. Das Verwaltungsgericht sei zutreffend davon ausgegangen, dass der Beitragsanspruch zum Zeitpunkt des Erlasses des streitgegenständlichen Bescheids nicht verjährt gewesen sei. Die Vorschrift des Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG sei verfassungsrechtlich unbedenklich. Der Gesetzgeber habe hiermit eine Regelung getroffen, die der bis dahin ständigen Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs entsprochen habe (Hinweis auf BayVGH, Urteil vom 30. März 1984 - 23 B 81 A.1967 -, BayVBl 1985, S. 656 <658>). Die Norm enthalte nach Inhalt, Zweck und Ausmaß eine klare Aussage über den Lauf der Festsetzungsfrist, gegen die durchgreifende verfassungsrechtliche Bedenken nicht bestünden. Eine unzulässige echte Rückwirkung liege schon deshalb nicht vor, weil kein abgeschlossener Beitragstatbestand gegeben sei. Denn bei leitungsgebundenen Einrichtungen setze die Entstehung einer Beitragspflicht nach ständiger Rechtsprechung das Vorhandensein einer gültigen Abgabensatzung voraus. Eine wirksame Abgabensatzung habe erstmals im Jahr 2005 vorgelegen. Soweit der Beschwerdeführer geltend mache, die rückwirkende Inkraftsetzung einer Abgabensatzung müsse wenigstens zeitlich auf die einschlägigen Verjährungsvorschriften beschränkt werden, lasse er außer Acht, dass nur eine bereits entstandene Beitragsforderung verjähren könne. Bei fehlgeschlagenem Satzungsrecht müsse ein bisher nicht veranlagter Beitragspflichtiger damit rechnen, zu einem späteren Zeitpunkt herangezogen zu werden. Er könne sich nicht auf Vertrauensschutz berufen.

III.

16

Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer die Verletzung seiner Rechte aus Art. 20 Abs. 3 und Art. 103 Abs. 1 GG.

17

1. Die in den angegriffenen Entscheidungen vorgenommene uneingeschränkte Anwendung des Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG auf rückwirkend in Kraft gesetzte Satzungen verstoße wegen der damit verbundenen echten Rückwirkung gegen die aus Art. 20 Abs. 3 GG herzuleitenden Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit. Es sei geboten, die Rückwirkung einer Satzung durch Festsetzungsfristen zu begrenzen. Der Eintritt der Festsetzungsverjährung dürfe nicht beliebig hinausgeschoben werden. Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG sei im Fall des rückwirkenden Inkraftsetzens einer Satzung entweder nicht anzuwenden oder verfassungskonform dahingehend auszulegen, dass die Verjährung rückwirkend zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Satzung beginne.

18

2. Die Ausgangsgerichte hätten Art. 103 Abs. 1 GG verletzt, weil sie ihm nicht hinreichend rechtliches Gehör gewährt hätten. Er habe mit der verwaltungsgerichtlichen Klage geltend gemacht, dass der Beitragsanspruch wegen Eintritts der Festsetzungsverjährung erloschen sei. Nach der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte beginne die Festsetzungsfrist nur zu laufen, wenn eine wirksame Beitragssatzung vorliege. Die Beklagte und die Gerichte in den angegriffenen Entscheidungen hätten sich darauf berufen, dass sämtliche Satzungen, die der Beitrags- und Gebührensatzung vom 18. April 2005 vorausgingen, nichtig gewesen seien, was durch diverse Entscheidungen der Verwaltungsgerichte bereits geklärt worden sei. Er habe deshalb die Vorlage dieser Entscheidungen außergerichtlich und schließlich auch vor dem Verwaltungsgericht begehrt. Die maßgeblichen Entscheidungen seien ihm jedoch nicht vollständig zugänglich gemacht worden. Ihm sei es deshalb nicht möglich gewesen, zur Frage der Nichtigkeit sämtlicher Satzungen ausreichend Stellung zu nehmen.

IV.

19

Die Beklagte, die Bayerische Staatsregierung und der Deutsche Städte- und Gemeindebund haben ebenso wie das Bundesverwaltungsgericht zu der Verfassungsbeschwerde Stellung genommen.

20

1. Die Beklagte ist der Auffassung, die Verfassungsbeschwerde sei unzulässig. Der Beschwerdeführer habe eine Verletzung rechtlichen Gehörs nicht hinreichend dargelegt. Darüber hinaus sei der Rechtsweg nicht erschöpft, weil der Beschwerdeführer keine Anhörungsrüge erhoben habe.

21

Die Verfassungsbeschwerde sei im Übrigen nicht begründet. Der Beschwerdeführer könne sich nicht auf Vertrauensschutz berufen. Denn ein Vertrauen darauf, dass eine als nichtig erkannte Regelung aufrechterhalten bleibe und nicht durch eine neue, rückwirkende Satzung ersetzt werde, sei nicht schützenswert. Der Umstand, dass der Beschwerdeführer sein Grundstück veräußert habe, bedeute nicht, dass dadurch ein für seine Beitragspflicht maßgeblicher Tatbestand abgeschlossen sei und er in der Folge nicht mehr zur Beitragszahlung herangezogen werden dürfe. Er habe vielmehr den für die Entstehung der Beitragspflicht maßgeblichen Vorteil der Möglichkeit der Anschlussnahme entgegengenommen und mit dem Grundstücksverkauf nicht verloren. Dieser Vorteil habe den Wert seines Grundstücks erhöht mit der Folge, dass er für das Grundstück einen höheren Kaufpreis habe erzielen können.

22

2. Die Bayerische Staatsregierung hält Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG für verfassungsgemäß. Die Ersetzung einer als nichtig erkannten durch eine wirksame Beitragssatzung stelle keinen Fall einer echten, sondern allenfalls einer unechten Rückwirkung dar. Es sei kein abgeschlossener Lebenssachverhalt gegeben, in den nachträglich eingegriffen worden sei. Denn die Beitragsentstehung setze das Vorliegen einer gültigen Beitragssatzung voraus. Ohne diese sei eine Berechnung des Beitrags in Ermangelung eines Beitragsmaßstabs nicht möglich.

23

Das Vertrauen des Beschwerdeführers wäre selbst bei Annahme einer echten Rückwirkung nicht schutzwürdig, weil er damit habe rechnen müssen, dass eine vorhandene, aber als nichtig erkannte Satzung durch eine gültige Satzung ersetzt werde, mit der die von Anfang an von der Gemeinde angestrebte Beitragspflicht herbeigeführt werde. Es seien keine Umstände erkennbar, die ein Vertrauen darauf rechtfertigten, dass die Gemeinde es bei einer nichtigen Beitragssatzung belassen und auf eine Beitragserhebung verzichten würde.

24

Eine zeitliche Beschränkung der Rückwirkung auf die Festsetzungsfristen sei aus Gründen des Vertrauensschutzes nicht geboten. Der bayerische Gesetzgeber habe mit Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG eine Lösung gewählt, die sowohl die Gemeinden vor Beitragsausfällen aufgrund des Eintritts der Festsetzungsverjährung bewahre als auch dem Vorteilsgedanken Rechnung trage. Die Gemeinden würden nach Erlass der gültigen Satzung erstmals in die Lage versetzt, Beiträge nach den Maßstäben dieser gültigen Satzung korrekt festzusetzen und die öffentliche Einrichtung auf der Grundlage rechtsstaatlicher Regelungen zu refinanzieren. Bei Abwägung des öffentlichen Interesses mit den privaten Interessen der betroffenen Beitragspflichtigen überwiege das öffentliche Interesse. Ein Grundstückseigentümer müsse damit rechnen, zu einem Beitrag herangezogen zu werden. Sein Vertrauen darauf, dass eine nichtige Satzung nicht durch eine gültige Satzung ersetzt werde, sei nicht schutzwürdig. Verjährungsvorschriften dienten der Rechtssicherheit und dem Rechtsfrieden. Im vorliegenden Fall liege kein Vorgang vor, auf dessen Abschluss der Bürger sich einstellen und auf dessen Ende er vertrauen könne. Da dem Beitragspflichtigen kein schützenswertes Vertrauen zur Seite stehe, komme dem öffentlichen Interesse an der Beitragserhebung das entscheidende Gewicht zu.

25

3. Das Bundesverwaltungsgericht teilt mit, es sei mit der Frage nach dem Lauf der Festsetzungsfrist bei der rückwirkenden "Reparatur" nichtiger Abgabennormen bisher nur am Rande befasst gewesen. Nach seiner gefestigten Rechtsprechung sei es allerdings mit dem im Rechtsstaatsprinzip verankerten Grundsatz des Vertrauensschutzes vereinbar, kommunale Anschluss- und Erschließungsbeitragssatzungen rückwirkend in Kraft zu setzen, um früher erlassene, auf eine nichtige Vorgängersatzung gestützte Beitragsbescheide zu heilen (Hinweis auf BVerwGE 50, 2 <7 f.>; 67, 129 <130 ff.>; BVerwG, Beschluss vom 7. Februar 1996 - BVerwG 8 B 13.96 -, Buchholz 401.9 Beiträge Nr. 36, S. 3 <4>). Werde eine ungültige durch eine gültige Satzung ersetzt, liege darin keine echte Rückwirkung, da eine Beitragspflicht frühestens mit dem Inkrafttreten der rechtswirksamen Beitragssatzung entstehen könne und diese Satzung somit nicht in einen bereits abgeschlossenen Tatbestand eingreife (Hinweis auf BVerwG, Beschluss vom 22. Januar 1986 - BVerwG 8 B 123.84 -, NVwZ 1986, S. 483 <484>).

26

Die Festsetzungsverjährung sei im Abgabenrecht der Länder geregelt (Hinweis auf BVerwG, Urteil vom 21. Januar 1977 - BVerwG IV C 84-92.74 -, Buchholz 406.11 § 131 BBauG Nr. 20, S. 20<25> sowie NJW 1977, S. 1740 <1741>). Die Anknüpfung der Verjährung an die rückwirkende Entstehung der Beitragspflicht stehe mit Bundesrecht in Einklang. Die Frage der bundesrechtlichen Unbedenklichkeit einer Anknüpfung an die Verkündung der neuen Satzung sei in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht weiter problematisiert worden.

27

Gegen die in Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG getroffene Regelung bestünden keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken. Das rückwirkende Inkrafttreten der neuen Satzung habe zwar zur Folge, dass bereits zu einem zurückliegenden Zeitpunkt (frühestens zum Zeitpunkt des rückwirkenden Inkrafttretens) die Beitragsvoraussetzungen erfüllt sein könnten. Es sei aber kein verfassungsrechtlicher Grundsatz ersichtlich, der dazu zwinge, die Festsetzungsverjährung in Rückwirkungsfällen an das Entstehen der Beitragsforderung anzuknüpfen. Da die Behörde erst mit der Verkündung der neuen Satzung in den Stand versetzt werde, einen rechtlich tragfähigen Beitragsbescheid zu erlassen, beziehungsweise erst mit der Verkündung ein auf die frühere nichtige Satzung gestützter Beitragsbescheid geheilt werde, sprächen Sachgründe für den im Bayerischen Kommunalabgabengesetz gewählten zeitlichen Anknüpfungspunkt der Festsetzungsverjährung. Die Regelung verstoße daher nicht gegen das Willkürverbot.

28

Mit den aus dem Rechtsstaatsprinzip ableitbaren Grundsätzen der Rechtssicherheit und der Verhältnismäßigkeit dürfte die Regelung gleichfalls in Einklang stehen. Das Institut der Festsetzungsverjährung diene dem Rechtsfrieden und der Rechtssicherheit (Hinweis auf BFH, Urteil vom 15. Juni 1988 - I R 68/86 -, BFH/NV 1990, S. 128). Die Anknüpfung des Verjährungsbeginns an die Verkündung der neuen Satzung führe zwar dazu, dass ein sehr langer Zeitraum zwischen dem die Beitragsforderung begründenden Sachverhalt und dem Ablauf der Verjährungsfrist liegen könne. Es sei aber zu bedenken, dass die mit der Festsetzungsverjährung verfolgten Ziele in einem Spannungsverhältnis zu dem Belang materieller Gerechtigkeit und dem fiskalischen Interesse an der Durchsetzung des Abgabenanspruchs stünden. Für die Aufgabe, zwischen den Polen in diesem Spannungsverhältnis einen verhältnismäßigen Ausgleich zu schaffen, sei dem Gesetzgeber ein Gestaltungsspielraum zuzubilligen. Gehe man mit der bisherigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts davon aus, dass der Beitragspflichtige sich gegenüber dem rückwirkenden Inkraftsetzen einer neuen Beitragssatzung nicht auf Vertrauensschutz berufen könne, und berücksichtige man zusätzlich die besondere Fehleranfälligkeit kommunaler Beitragssatzungen und das daraus resultierende gesteigerte Interesse an einer effektiven Nutzbarkeit der Heilungsmöglichkeiten, dürfte sich die Verjährungsregelung des Bayerischen Kommunalabgabengesetzes innerhalb dieses Gestaltungsspielraums halten.

29

4. Der Deutsche Städte- und Gemeindebund weist darauf hin, dass der rückwirkende Erlass einer Satzung, welche die "Reparatur" einer unwirksamen Satzung bezwecke, eine Ausnahme darstelle und im vorliegenden Fall verwaltungspraktische Gründe gehabt habe. Die auf der Grundlage der Beitrags- und Gebührensatzung vom 5. Mai 2000 erlassenen Bescheide wären sonst im Fall eines Eigentümerwechsels bei einem Teil der früheren Eigentümer bestandskräftig geworden und hätten bei nicht bestandskräftigen Bescheiden aufgehoben und gegenüber dem neuen Eigentümer neu erlassen werden müssen. Dadurch wäre es zu Ungleichbehandlungen gekommen. Der rückwirkende Erlass einer Satzung sei in der Praxis auch dann erforderlich, wenn andernfalls die Einbringung von Forderungen, zum Beispiel wegen Insolvenz oder Zwangsversteigerungsverfahren, gefährdet wäre. Eine Rückwirkung erstrecke sich üblicherweise nicht auf einen Zeitraum von zehn Jahren. Dieser lange Zeitraum ergebe sich im vorliegenden Fall daraus, dass die Beitrags- und Gebührensatzung vom 18. April 2005 den in der Vorgängersatzung normierten Rückwirkungszeitpunkt beibehalten habe, was einen atypischen, sozusagen "verdoppelten" Rückwirkungszeitraum zur Folge gehabt habe.

B.

30

Die mit der Verfassungsbeschwerde vorgebrachten Rügen sind nur teilweise zulässig.

I.

31

Soweit der Beschwerdeführer eine Verletzung seines grundrechtsgleichen Rechts auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG geltend macht, ist die Verfassungsbeschwerde unzulässig, da sie nicht hinreichend begründet wurde (§ 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG). Der Beschwerdeführer hat insoweit die Möglichkeit eines Verstoßes gegen Art. 103 Abs. 1 GG nicht substantiiert dargelegt (vgl. BVerfGE 7, 95 <99>; 60, 313 <318>; 86, 133 <147>).

II.

32

Soweit die Verfassungsbeschwerde einen Verstoß gegen die aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG herzuleitenden rechtsstaatlichen Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes betrifft, ist sie zulässig.

33

Der Beschwerdeführer war - trotz Rüge der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG - nicht gehalten, zur Erschöpfung des Rechtswegs gemäß § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG eine Anhörungsrüge nach § 152a VwGO zu erheben. Wird im fachgerichtlichen Rechtsmittelverfahren die Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör geltend gemacht und bestätigt das Rechtsmittelgericht die angefochtene Entscheidung, so muss die Entscheidung des Rechtsmittelgerichts - sofern kein eigenständiger neuer Gehörsverstoß durch das Rechtsmittelgericht geltend gemacht wird - nicht mit der Anhörungsrüge angegriffen werden, um dem Erfordernis der Rechtswegerschöpfung des § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG zu genügen (vgl. BVerfGE 107, 395 <410 f.>).

C.

34

Soweit die Verfassungsbeschwerde zulässig ist, ist sie auch begründet. Die mittelbar angegriffene Regelung des Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes vom 28. Dezember 1992 (GVBl S. 775) sowie die hierauf beruhenden, unmittelbar angegriffenen gerichtlichen Entscheidungen verstoßen gegen Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit dem in Art. 20 Abs. 3 GG verankerten verfassungsrechtlichen Grundsatz der Rechtssicherheit in seiner Ausprägung als Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit.

I.

35

1. Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG verletzt im vorliegenden Fall nicht die verfassungsrechtlichen Vorgaben für die Zulässigkeit rückwirkender Gesetze.

36

Der rechtsstaatliche Vertrauensschutz begrenzt die Befugnis des Gesetzgebers, Rechtsänderungen vorzunehmen, die in einen in der Vergangenheit begonnenen, aber noch nicht abgeschlossenen Sachverhalt eingreifen (vgl. BVerfGE 95, 64 <86 f.>; 101, 239 <263>; 126, 369 <393>).

37

Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG selbst entfaltet dem Beschwerdeführer gegenüber keine Rückwirkung. Die Vorschrift regelt den Beginn der Verjährungsfrist für die Festsetzung von Beiträgen, die auf Abgabensatzungen gestützt sind, welche eine frühere unwirksame Satzung wirksam heilen. Bei ihrem Inkrafttreten zum 1. Januar 1993 lag eine solche wirksam heilende Satzung im Fall des Beschwerdeführers noch nicht vor und wurde auch später nicht rückwirkend zum oder vor dem 1. Januar 1993 in Kraft gesetzt, so dass die Verjährungsfrist unabhängig von der Neuregelung noch nicht zu laufen begonnen hatte. Solange der Lauf der Verjährungsfrist mangels gültiger Satzung nicht begonnen hat, betrifft die gesetzliche Neuregelung des Beginns der Verjährung mit der Wirkung einer Verjährungsverlängerung jedoch noch nicht einmal einen in der Vergangenheit begonnenen und nicht abgeschlossenen Sachverhalt.

38

Die vor dem Inkrafttreten der Neuregelung bereits bestehende Vorteilslage begründet für den Beschwerdeführer ebenfalls keinen bereits begonnenen Sachverhalt, in den die Neuregelung des Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG im Wege einer Rückwirkung eingegriffen hätte. Denn die Neuregelung beschränkt sich auf das Hinausschieben des Beginns der Verjährung. Eine solche konnte ohne wirksame Satzung aber nicht zu laufen beginnen.

39

2. Sollte der Beschwerdeführer mit Rücksicht auf die unwirksame Satzung auf den Schein eines Verjährungslaufs vertraut haben, so kann dahinstehen, ob und in welchem Zusammenhang das Vertrauen in den scheinbaren Beginn der Festsetzungsfrist verfassungsrechtlichen Schutz verdient. Nach den Feststellungen der Ausgangsgerichte hätte die Festsetzungsfrist selbst bei Wirksamkeit der unwirksamen Satzung frühestens mit Ablauf des Jahres 1992 begonnen. Das Gesetz zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes wurde aber bereits am 31. Dezember 1992 und damit sogar noch vor dem scheinbaren Beginn der Festsetzungsfrist verkündet.

II.

40

Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG verstößt jedoch gegen Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Gebot der Rechtssicherheit als wesentlichem Bestandteil des in Art. 20 Abs. 3 GG verankerten Rechtsstaatsprinzips (vgl. BVerfGE 30, 392 <403>; 43, 242 <286>; 60, 253 <267>). Er erlaubt, Beiträge zeitlich unbegrenzt nach dem Eintritt der Vorteilslage festzusetzen. Der Gesetzgeber hat damit den Ausgleich zwischen der Erwartung der Beitragspflichtigen auf den Eintritt der Festsetzungsverjährung und dem berechtigten öffentlichen Interesse an einem finanziellen Beitrag für die Erlangung individueller Vorteile aus dem Anschluss an die Entwässerungsanlage verfehlt und in verfassungsrechtlich nicht mehr hinnehmbarer Weise einseitig zu Lasten der Beitragsschuldner entschieden.

41

1. Rechtssicherheit und Vertrauensschutz gewährleisten im Zusammenwirken mit den Grundrechten die Verlässlichkeit der Rechtsordnung als wesentliche Voraussetzung für die Selbstbestimmung über den eigenen Lebensentwurf und seinen Vollzug (vgl. BVerfGE 60, 253 <267 f.>; 63, 343 <357>; BVerfG, Beschluss vom 10. Oktober 2012 - 1 BvL 6/07 -, DStR 2012, S. 2322 <2325>). Die Bürgerinnen und Bürger sollen die ihnen gegenüber möglichen staatlichen Eingriffe voraussehen und sich dementsprechend einrichten können (vgl. BVerfGE 13, 261 <271>; 63, 215 <223>). Dabei knüpft der Grundsatz des Vertrauensschutzes an ihr berechtigtes Vertrauen in bestimmte Regelungen an. Er besagt, dass sie sich auf die Fortwirkung bestimmter Regelungen in gewissem Umfang verlassen dürfen. Das Rechtsstaatsprinzip gewährleistet darüber hinaus aber unter bestimmten Umständen Rechtssicherheit auch dann, wenn keine Regelungen bestehen, die Anlass zu spezifischem Vertrauen geben, oder wenn Umstände einem solchen Vertrauen sogar entgegenstehen. Es schützt in seiner Ausprägung als Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit davor, dass lange zurückliegende, in tatsächlicher Hinsicht abgeschlossene Vorgänge unbegrenzt zur Anknüpfung neuer Lasten herangezogen werden können. Als Elemente des Rechtsstaatsprinzips sind Rechtssicherheit und Vertrauensschutz eng miteinander verbunden, da sie gleichermaßen die Verlässlichkeit der Rechtsordnung gewährleisten.

42

2. Für die Auferlegung einer Beitragspflicht zum Vorteilsausgleich in Anknüpfung an zurückliegende Tatbestände ist die Regelung einer Verjährung als abschließende Zeitgrenze, bis zu der Beiträge geltend gemacht werden können, verfassungsrechtlich geboten. Dem Gesetzgeber obliegt es, einen Ausgleich zu schaffen zwischen dem Interesse der Allgemeinheit an Beiträgen für solche Vorteile einerseits und dem Interesse des Beitragsschuldners andererseits, irgendwann Klarheit zu erlangen, ob und in welchem Umfang er zu einem Beitrag herangezogen werden kann.

43

a) Ausdruck der Gewährleistung von Rechtssicherheit sind auch Verjährungsregelungen. Sie sollen sicherstellen, dass Einzelne nach Ablauf einer bestimmten Frist nicht mehr mit Forderungen überzogen werden. Die Verjährung von Geldleistungsansprüchen der öffentlichen Hand soll einen gerechten Ausgleich zwischen dem berechtigten Anliegen der Allgemeinheit an der umfassenden und vollständigen Realisierung dieser Ansprüche auf der einen Seite und dem schutzwürdigen Interesse der Bürgerinnen und Bürger auf der anderen Seite bewirken, irgendwann nicht mehr mit einer Inanspruchnahme rechnen zu müssen und entsprechend disponieren zu können. Während das staatliche Interesse an der vollständigen Durchsetzung von Geldleistungspflichten vornehmlich von den Grundsätzen der richtigen Rechtsanwendung und der materiellen Gerechtigkeit (Belastungsgleichheit) sowie von fiskalischen Erwägungen getragen wird, steht dem auf Seiten der Bürger das Prinzip der Rechtssicherheit gegenüber.

44

Dabei ist es den Verjährungsregelungen eigen, dass sie ohne individuell nachweisbares oder typischerweise vermutetes, insbesondere ohne betätigtes Vertrauen greifen. Sie schöpfen ihre Berechtigung und ihre Notwendigkeit vielmehr aus dem Grundsatz der Rechtssicherheit, demzufolge Einzelne auch gegenüber dem Staat die Erwartung hegen dürfen, irgendwann nicht mehr mit einer Geldforderung überzogen zu werden, wenn der berechtigte Hoheitsträger über einen längeren Zeitraum seine Befugnis nicht wahrgenommen hat.

45

b) Auch für die Erhebung von Beiträgen, die einen einmaligen Ausgleich für die Erlangung eines Vorteils durch Anschluss an eine Einrichtung schaffen sollen, ist der Gesetzgeber verpflichtet, Verjährungsregelungen zu treffen oder jedenfalls im Ergebnis sicherzustellen, dass diese nicht unbegrenzt nach Erlangung des Vorteils festgesetzt werden können. Die Legitimation von Beiträgen liegt - unabhängig von der gesetzlichen Ausgestaltung ihres Wirksamwerdens - in der Abgeltung eines Vorteils, der den Betreffenden zu einem bestimmten Zeitpunkt zugekommen ist (vgl. BVerfGE 49, 343 <352 f.>; 93, 319 <344>). Je weiter dieser Zeitpunkt bei der Beitragserhebung zurückliegt, desto mehr verflüchtigt sich die Legitimation zur Erhebung solcher Beiträge. Zwar können dabei die Vorteile auch in der Zukunft weiter fortwirken und tragen nicht zuletzt deshalb eine Beitragserhebung auch noch relativ lange Zeit nach Anschluss an die entsprechende Einrichtung. Jedoch verliert der Zeitpunkt des Anschlusses, zu dem der Vorteil, um dessen einmalige Abgeltung es geht, dem Beitragspflichtigen zugewendet wurde, deshalb nicht völlig an Bedeutung. Der Bürger würde sonst hinsichtlich eines immer weiter in die Vergangenheit rückenden Vorgangs dauerhaft im Unklaren gelassen, ob er noch mit Belastungen rechnen muss. Dies ist ihm im Lauf der Zeit immer weniger zumutbar. Der Grundsatz der Rechtssicherheit gebietet vielmehr, dass ein Vorteilsempfänger in zumutbarer Zeit Klarheit darüber gewinnen kann, ob und in welchem Umfang er die erlangten Vorteile durch Beiträge ausgleichen muss.

46

c) Es ist Aufgabe des Gesetzgebers, die berechtigten Interessen der Allgemeinheit am Vorteilsausgleich und der Einzelnen an Rechtssicherheit durch entsprechende Gestaltung von Verjährungsbestimmungen zu einem angemessenen Ausgleich zu bringen. Dabei steht ihm ein weiter Gestaltungsspielraum zu. Der Grundsatz der Rechtssicherheit verbietet es dem Gesetzgeber jedoch, die berechtigten Interessen des Bürgers völlig unberücksichtigt zu lassen und ganz von einer Regelung abzusehen, die der Erhebung der Abgabe eine bestimmte zeitliche Grenze setzt.

47

3. Der Gesetzgeber hat in Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG den erforderlichen Ausgleich zwischen Rechtssicherheit auf der einen Seite und Rechtsrichtigkeit und Fiskalinteresse auf der anderen Seite verfehlt. Dadurch, dass Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG den Verjährungsbeginn bei der Heilung ungültiger Abgabensatzungen ohne zeitliche Obergrenze auf den Ablauf des Kalenderjahres festlegt, in dem die gültige Satzung bekannt gemacht worden ist, löst der Gesetzgeber den Interessenkonflikt einseitig zu Lasten des Bürgers. Zwar schließt er damit die Verjährung von Beitragsansprüchen nicht völlig aus. Indem er den Verjährungsbeginn jedoch ohne zeitliche Obergrenze nach hinten verschiebt, lässt er die berechtigte Erwartung des Bürgers darauf, geraume Zeit nach Entstehen der Vorteilslage nicht mehr mit der Festsetzung des Beitrags rechnen zu müssen, gänzlich unberücksichtigt. Die Verjährung kann so unter Umständen erst Jahrzehnte nach dem Eintritt einer beitragspflichtigen Vorteilslage beginnen.

48

Der Beitragspflicht können die Bürgerinnen und Bürger im Regelfall nicht durch den Einwand der Verwirkung entgehen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. BVerwG, Beschluss vom 17. August 2011 - BVerwG 3 B 36.11 -, BeckRS 2011, 53777; Beschluss vom 12. Januar 2004 - BVerwG 3 B 101.03 -, NVwZ-RR 2004, S. 314) und des Bundesfinanzhofs (vgl. BFH, Urteil vom 8. Oktober 1986 - II R 167/84 -, BFHE 147, 409 <412>) erfordert Verwirkung nicht nur, dass seit der Möglichkeit der Geltendmachung eines Rechts längere Zeit verstrichen ist. Es müssen vielmehr besondere Umstände hinzutreten, welche die verspätete Geltendmachung als treuwidrig erscheinen lassen. Diese Voraussetzung dürfte selbst in den Fällen der Beitragserhebung nach scheinbarem Ablauf der Festsetzungsfrist regelmäßig nicht erfüllt sein.

D.

I.

49

Die Verfassungswidrigkeit einer gesetzlichen Vorschrift führt in der Regel zu ihrer Nichtigkeit (§ 95 Abs. 3 Satz 2 BVerfGG). Hier kommt zunächst jedoch nur eine Unvereinbarkeitserklärung in Betracht, da dem Gesetzgeber mehrere Möglichkeiten zur Verfügung stehen, den verfassungswidrigen Zustand zu beseitigen (vgl. BVerfGE 130, 240 <260 f.>; stRspr).

50

Es bleibt ihm überlassen, wie er eine bestimmbare zeitliche Obergrenze für die Inanspruchnahme der Beitragsschuldner gewährleistet, die nach Maßgabe der Grundsätze dieses Beschlusses der Rechtssicherheit genügt. So könnte er etwa eine Verjährungshöchstfrist vorsehen, wonach der Beitragsanspruch nach Ablauf einer auf den Eintritt der Vorteilslage bezogenen, für den Beitragsschuldner konkret bestimmbaren Frist verjährt. Er könnte auch das Entstehen der Beitragspflicht an die Verwirklichung der Vorteilslage anknüpfen oder den Satzungsgeber verpflichten, die zur Heilung des Rechtsmangels erlassene wirksame Satzung rückwirkend auf den Zeitpunkt des vorgesehenen Inkrafttretens der ursprünglichen nichtigen Satzung in Kraft zu setzen, sofern der Lauf der Festsetzungsverjährung damit beginnt (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 18. Mai 1999 - 15 A 2880/96 -, NVwZ-RR 2000, S. 535 <536 f.>). Er kann dies mit einer Verlängerung der Festsetzungsfrist, Regelungen der Verjährungshemmung oder der Ermächtigung zur Erhebung von Vorauszahlungen auch in Fällen unwirksamer Satzungen verbinden (zur derzeitigen Rechtslage gemäß Art. 5 Abs. 5 BayKAG vgl. BayVGH, Urteil vom 31. August 1984 - 23 B 82 A.461 -, BayVBl 1985, S. 211; Driehaus, in: Driehaus, Kommunalabgabenrecht, § 8 Rn. 128 ).

II.

51

Der angegriffene Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs ist gemäß § 95 Abs. 2 BVerfGG aufzuheben. Die Sache ist an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zurückzuverweisen. Die Unvereinbarkeitserklärung führt dazu, dass Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG von Gerichten und Verwaltungsbehörden nicht mehr angewendet werden darf (vgl. BVerfGE 111, 115 <146>). Laufende Gerichts- und Verwaltungsverfahren, in denen Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchstabe b Doppelbuchstabe cc Spiegelstrich 2 BayKAG entscheidungserheblich ist, bleiben bis zu einer gesetzlichen Neuregelung, längstens aber bis zum 1. April 2014, ausgesetzt oder sind auszusetzen.

52

Die Aussetzung gibt dem Gesetzgeber Gelegenheit zu einer verfassungsgemäßen Neuregelung. Verzichtet er auf eine Sonderregelung des Beginns der Festsetzungsfrist, tritt zum 1. April 2014 Nichtigkeit ein. Dann wäre es Aufgabe der Verwaltungsgerichte, das Landesrecht entsprechend verfassungskonform auszulegen (vgl. etwa für den Fall des rückwirkenden Inkraftsetzens heilender Satzungen BayVGH 6. Senat, Urteil vom 26. März 1984 - 6 B 82 A.1075 -, BayGT 1985, S. 60).

III.

53

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.

(1) Die Festsetzungsfrist beginnt mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Steuer entstanden ist oder eine bedingt entstandene Steuer unbedingt geworden ist.

(2) Abweichend von Absatz 1 beginnt die Festsetzungsfrist, wenn

1.
eine Steuererklärung oder eine Steueranmeldung einzureichen oder eine Anzeige zu erstatten ist, mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Steuererklärung, die Steueranmeldung oder die Anzeige eingereicht wird, spätestens jedoch mit Ablauf des dritten Kalenderjahrs, das auf das Kalenderjahr folgt, in dem die Steuer entstanden ist, es sei denn, dass die Festsetzungsfrist nach Absatz 1 später beginnt,
2.
eine Steuer durch Verwendung von Steuerzeichen oder Steuerstemplern zu zahlen ist, mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem für den Steuerfall Steuerzeichen oder Steuerstempler verwendet worden sind, spätestens jedoch mit Ablauf des dritten Kalenderjahrs, das auf das Kalenderjahr folgt, in dem die Steuerzeichen oder Steuerstempler hätten verwendet werden müssen.
Dies gilt nicht für Verbrauchsteuern, ausgenommen die Energiesteuer auf Erdgas und die Stromsteuer.

(3) Wird eine Steuer oder eine Steuervergütung nur auf Antrag festgesetzt, so beginnt die Frist für die Aufhebung oder Änderung dieser Festsetzung oder ihrer Berichtigung nach § 129 nicht vor Ablauf des Kalenderjahrs, in dem der Antrag gestellt wird.

(4) Wird durch Anwendung des Absatzes 2 Nr. 1 auf die Vermögensteuer oder die Grundsteuer der Beginn der Festsetzungsfrist hinausgeschoben, so wird der Beginn der Festsetzungsfrist für die folgenden Kalenderjahre des Hauptveranlagungszeitraums jeweils um die gleiche Zeit hinausgeschoben.

(5) Für die Erbschaftsteuer (Schenkungsteuer) beginnt die Festsetzungsfrist nach den Absätzen 1 oder 2

1.
bei einem Erwerb von Todes wegen nicht vor Ablauf des Kalenderjahrs, in dem der Erwerber Kenntnis von dem Erwerb erlangt hat,
2.
bei einer Schenkung nicht vor Ablauf des Kalenderjahrs, in dem der Schenker gestorben ist oder die Finanzbehörde von der vollzogenen Schenkung Kenntnis erlangt hat,
3.
bei einer Zweckzuwendung unter Lebenden nicht vor Ablauf des Kalenderjahrs, in dem die Verpflichtung erfüllt worden ist.

(6) Für die Steuer, die auf Kapitalerträge entfällt, die

1.
aus Staaten oder Territorien stammen, die nicht Mitglieder der Europäischen Union oder der Europäischen Freihandelsassoziation sind, und
2.
nicht nach Verträgen im Sinne des § 2 Absatz 1 oder hierauf beruhenden Vereinbarungen automatisch mitgeteilt werden,
beginnt die Festsetzungsfrist frühestens mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem diese Kapitalerträge der Finanzbehörde durch Erklärung des Steuerpflichtigen oder in sonstiger Weise bekannt geworden sind, spätestens jedoch zehn Jahre nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden ist.

(7) Für Steuern auf Einkünfte oder Erträge, die in Zusammenhang stehen mit Beziehungen zu einer Drittstaat-Gesellschaft im Sinne des § 138 Absatz 3, auf die der Steuerpflichtige allein oder zusammen mit nahestehenden Personen im Sinne des § 1 Absatz 2 des Außensteuergesetzes unmittelbar oder mittelbar einen beherrschenden oder bestimmenden Einfluss ausüben kann, beginnt die Festsetzungsfrist frühestens mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem diese Beziehungen durch Mitteilung des Steuerpflichtigen oder auf andere Weise bekannt geworden sind, spätestens jedoch zehn Jahre nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden ist.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Soweit sich aus diesem Gesetz nichts anderes ergibt, gilt für die Vollstreckung das Achte Buch der Zivilprozeßordnung entsprechend. Vollstreckungsgericht ist das Gericht des ersten Rechtszugs.

(2) Urteile auf Anfechtungs- und Verpflichtungsklagen können nur wegen der Kosten für vorläufig vollstreckbar erklärt werden.

Andere Urteile sind gegen eine der Höhe nach zu bestimmende Sicherheit für vorläufig vollstreckbar zu erklären. Soweit wegen einer Geldforderung zu vollstrecken ist, genügt es, wenn die Höhe der Sicherheitsleistung in einem bestimmten Verhältnis zur Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages angegeben wird. Handelt es sich um ein Urteil, das ein Versäumnisurteil aufrechterhält, so ist auszusprechen, dass die Vollstreckung aus dem Versäumnisurteil nur gegen Leistung der Sicherheit fortgesetzt werden darf.

(1) Das Verwaltungsgericht lässt die Berufung in dem Urteil zu, wenn die Gründe des § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 vorliegen. Das Oberverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden. Zu einer Nichtzulassung der Berufung ist das Verwaltungsgericht nicht befugt.

(2) Die Berufung ist, wenn sie von dem Verwaltungsgericht zugelassen worden ist, innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils bei dem Verwaltungsgericht einzulegen. Die Berufung muss das angefochtene Urteil bezeichnen.

(3) Die Berufung ist in den Fällen des Absatzes 2 innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht zugleich mit der Einlegung der Berufung erfolgt, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden des Senats verlängert werden. Die Begründung muss einen bestimmten Antrag enthalten sowie die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe). Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung unzulässig.

(4) Wird die Berufung nicht in dem Urteil des Verwaltungsgerichts zugelassen, so ist die Zulassung innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils zu beantragen. Der Antrag ist bei dem Verwaltungsgericht zu stellen. Er muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Die Stellung des Antrags hemmt die Rechtskraft des Urteils.

(5) Über den Antrag entscheidet das Oberverwaltungsgericht durch Beschluss. Die Berufung ist zuzulassen, wenn einer der Gründe des § 124 Abs. 2 dargelegt ist und vorliegt. Der Beschluss soll kurz begründet werden. Mit der Ablehnung des Antrags wird das Urteil rechtskräftig. Lässt das Oberverwaltungsgericht die Berufung zu, wird das Antragsverfahren als Berufungsverfahren fortgesetzt; der Einlegung einer Berufung bedarf es nicht.

(6) Die Berufung ist in den Fällen des Absatzes 5 innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Berufung zu begründen. Die Begründung ist bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Absatz 3 Satz 3 bis 5 gilt entsprechend.