Verwaltungsgericht Freiburg Urteil, 11. Nov. 2015 - 1 K 2954/14

bei uns veröffentlicht am11.11.2015

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens als Gesamtschuldner.

Tatbestand

Die Kläger begehren die Neufestsetzung der Abwassergebühren für das Jahr 1998.
Mit Bescheid vom 10.02.1999 zog die Beklagte die Kläger für das Jahr 1998 zu einer Abwassergebühr von 1495,26 DM heran. Hiergegen erhoben die Kläger am 21.03.2000 Untätigkeitsklage (1 K 731/00). Mit gerichtlichem Vergleich vom 14.03.2001 verpflichtete sich die Beklagte, diesen Abwassergebührenbescheid zu reduzieren und durch einen neuen Bescheid auf der Grundlage der Änderungssatzung vom 7.11.2000 zu ersetzen. Mit Änderungsbescheid vom 23.04.2001 setzte die Beklagte die Abwassergebühren für das Jahr 1998 auf 1432,08 DM fest.
Unter dem 27.10.2014 beantragten die Kläger, für das Jahr 1998 bis zum 15.11.2014 Änderungsbescheide zu erlassen. Die neue Änderungssatzung vom 23.10.2014 diene explizit der Realisierung des Kostenüberdeckungsverbots. Diese Realisierung eines solchen expliziten Willens des Ortsgesetzgebers könne nicht nach den bisher bekannten Regeln abgehandelt werden.
Am 08.12.2014 haben die Kläger Untätigkeitsklage erhoben. Sie machen geltend: Die Klage sei vor Ablauf der Frist gemäß § 75 VwGO zulässig, da die Beklagte über gestellte Anträge generell nicht entscheide und die der Beklagten gesetzte Frist zum 15.11.2014 erfolglos abgelaufen sei. Der Bescheid vom 10.02.1999 und nachfolgende Änderungsbescheide seien rechtswidrig, weil sich deren satzungsrechtliche Grundlagen auf einen unzulässigen einheitlichen Frischwassermaßstab stützten. Diese Bescheide seien jedoch bestandskräftig. Die Änderungssatzung der Beklagten vom 23.10.2014 habe rückwirkend für das Gebührenjahr 1998 reduzierte Abwassergebühren für Schmutz-und Niederschlagswasser bestimmt. Auch diese Änderungssatzung sei - wie alle vorausgegangenen Gebührensatzregelungen - nichtig. Im Festsetzungsverfahren sei die Beklagte gemäß Art. 20 Abs. 3 GG an die Änderungssatzung vom 23.10.2014 gebunden. Daher sei der begehrte Änderungsbescheid zu erlassen. Auf die Bestandskraft bereits ergangener Abwassergebührenbescheide könne sich die Beklagte nicht berufen, da sie sonst durch Rechtsmissbrauch zum Nachteil der Gebührenschuldner 230.881,82 EUR bei sich behalten könne. Im Hinblick auf die Gesamtzusammenhänge (Rechtsmissbrauch der Beklagten) in Verbindung mit dem Grundsatz der Verlässlichkeit der Rechtsordnung komme es auf die Bestandskraft bereits ergangener Gebührenbescheide nicht an. Schließlich sei auf den Grundsatz von Treu und Glauben zu verweisen.
Die Kläger beantragen,
die Beklagte zu verpflichten, die Abwassergebühren für das Jahr 1998 auf der Grundlage ihrer Änderungssatzung vom 23.10.2014 neu festzusetzen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie meint, die Klage sei bereits unzulässig, da die 3-Monats-Frist seit Beantragung der Gebührenbescheide bei Klageerhebung nicht abgelaufen gewesen sei. Die Klage sei auch unbegründet, weil die Kläger keinen Anspruch auf Erlass eines neuen, die Bestandskraft des Bescheides vom 10.02.1999 durchbrechenden Gebührenbescheides hätten. Die Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 51 VwVfG lägen nicht vor. Entsprechendes gelte für die §§ 130 ff., 172 ff. AO.
10 
Dem Gericht liegen zwei Hefte Akten und eine Gebührenkalkulation (Stand September 2000) der Beklagten sowie die Gerichtsakten des Verfahrens 1 K 731/00 vor. Auf diese Akten und die im vorliegenden Verfahren gewechselten Schriftsätze der Beteiligten - die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind - wird wegen der weiteren Einzelheiten verwiesen.

Entscheidungsgründe

 
11 
Über die Klage entscheidet der Vorsitzende, dem die Kammer den Rechtsstreit zur Entscheidung übertragen hat, als Einzelrichter (§ 6 Abs. 1 VwGO).
12 
I. Die Klage ist als Untätigkeitsklage gemäß § 75 VwGO jedenfalls mittlerweile zulässig geworden. Da die Einhaltung der Drei-Monats-Frist eine Sachurteilsvoraussetzung darstellt, die erst im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts vorliegen muss, heilt der Zeitablauf einen eventuellen Mangel einer vorzeitigen Klageerhebung (vgl. Funke-Kaiser in Bader/Stuhlfaut/Funke-Kaiser/v. Albedyll, Verwaltungsgerichtsordnung, 6. Aufl., § 75 Rn. 7).
13 
II. Die Klage ist jedoch unbegründet. Die Kläger haben keinen Anspruch auf eine Neufestsetzung der Abwassergebühren für das Jahr 1998 (vgl. § 113 Abs. 5 VwGO). Es liegt bereits eine bestandskräftige Gebührenfestsetzung in Gestalt des Bescheids vom 10.02.1999 vor, der aufgrund des gerichtlichen Vergleichs vom 14.03.2001 mit Änderungsbescheid vom 23.04.2001 geändert wurde. Eine Abänderung dieser bestandskräftigen Gebührenfestsetzung wäre nur dann möglich, wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen der §§ 172 ff. AO (i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 4 c KAG) vorliegen würden. Dies ist aber nicht der Fall.
14 
1. Der begehrte Erlass eines Änderungsbescheids lässt sich nicht auf § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO (i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 4 c KAG) stützen. Nach dieser Vorschrift können Abgabenbescheide zu Gunsten des Abgabenpflichtigen u.a. geändert werden, wenn Tatsachen nachträglich bekannt werden, die zu einer niedrigeren Abgabe führen, und den Abgabenpflichtigen kein Verschulden an dem nachträglichen Bekanntwerden trifft. Tatsache ist jeder Lebensvorgang, der insgesamt oder teilweise den gesetzlichen Steuertatbestand oder ein einzelnes Merkmal dieses Tatbestands erfüllt; also Zustände und Vorgänge der Seinswelt, die Eigenschaften der Gegenstände dieser Seinswelt und die gegenseitigen Beziehungen zwischen diesen Gegenständen (Loose in: Tipke/Kruse, AO/FGO, § 173 AO Rn. 1).
15 
Es ist nicht ersichtlich, dass in Bezug auf die Festsetzung der Abwassergebühren für das Jahr 1998 Tatsachen in diesem Sinne nachträglich bekannt geworden sind. Das in den Jahren 2010 und 2014 erfolgte rückwirkende Inkrafttreten einer neuen Satzung stellt jeweils eine Rechtsänderung und keine Tatsache dar (VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 22.04.2013 - 2 S 598/13 - KStZ 2013, 236; Koenig in: Pahlke/Koenig, AO, 2. Aufl., § 173 Rn. 12; von Wedelstädt in: Beermann/Gosch, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, § 173 AO Rn. 9; Loose in: Tipke/Kruse, AO/FGO, § 173 AO Rn. 3).
16 
Bei den subjektiven Vorstellungen des Gemeinderats der Beklagten bei Erlass der Satzung vom 23.10.2014 mag es sich zwar möglicherweise um innere Tatsachen handeln. Sie stellen jedoch offensichtlich keinen Sachverhalt dar, der im Rahmen eines Abgabentatbestandes rechtlich relevant sein könnte. Sie wären daher auch ersichtlich ungeeignet, zu einer niedrigeren Abgabe zu führen. Daher ist der Beweisantrag der Kläger, der darauf zielt, diese subjektiven Vorstellungen des Gemeinderats der Beklagten näher aufzuklären, auf den Beweis einer im Zusammenhang mit der Vorschrift des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO unerheblichen Tatsache gerichtet.
17 
2. Die begehrte Abänderung ist auch nicht von § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO gedeckt. Danach ist ein Steuerbescheid zu ändern, wenn ein Ereignis eintritt, das abgabenrechtliche Wirkung für die Vergangenheit hat. Der rückwirkende Erlass einer neuen Satzung (wie auch die rückwirkende Änderung von Steuergesetzen) stellt jedoch kein rückwirkendes Ereignis im Sinne dieser Vorschrift dar, denn er verändert nur den satzungsrechtlichen Tatbestand rückwirkend, nicht aber den eigentlichen Lebenssachverhalt selbst (vgl. Koenig in: Pahlke/Koenig, AO, 2. Aufl., § 175 Rn. 38; Rüsken in: Klein, AO, 9. Aufl., § 175 Rn. 80; Loose in: Tipke/Kruse, AO/FGO, § 175 AO Rn. 42).
18 
Dies gilt unabhängig von den subjektiven Vorstellungen des Satzungsgebers. Daher ist der in der mündlichen Verhandlung gestellte unbedingte Beweisantrag der Kläger, der darauf gerichtet ist, den subjektiven „Willen“ des Satzungsgebers bei Erlass der Satzung vom 23.10.14 zu ermitteln, auch in diesem Zusammenhang auf den Beweis einer unerheblichen Tatsache gerichtet.
19 
3. Der in § 176 AO gewährte Vertrauensschutz kann von vornherein keinen Anspruch auf Änderung eines bestandskräftigen Abgabenbescheids begründen. § 176 AO schützt in seinem tatbestandlichen Anwendungsbereich allein das Vertrauen in den Bestand eines bestandskräftigen Abgabenbescheids (vgl. Loose in: Tipke/Kruse, AO/FGO, § 176 AO Rn. 3).
20 
4. Entgegen der Ansicht der Kläger ergibt sich der geltend gemachte Anspruch nach alledem auch nicht aus dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben (§ 242 BGB) oder aus sonstigen allgemeinen Billigkeitserwägungen. Hierfür besteht hier schon aus Gründen der Rechtsklarheit, Rechtssicherheit und Nachvollziehbarkeit des Abgabenrechts kein Raum (vgl. zum Erschließungsbeitragsrecht: BVerwG, Urteil vom 24.02.2010 - 9 C 1.09 - BVerwGE 136, 126).
21 
Hoheitliches Handeln ist zwar einerseits durch die Bindung an Gesetz und Recht (Art. 20 Abs. 3 GG) der Rechtsrichtigkeit verpflichtet. Die jederzeitige Abänderbarkeit hoheitlicher Maßnahmen zugunsten der materiellen Richtigkeit wird jedoch durch das Prinzip der Rechtssicherheit eingeschränkt, das - als Anliegen des Rechtsstaatsprinzips - Verlässlichkeit als Gerechtigkeitskriterium postuliert. Entgegen der Auffassung der Kläger besteht dabei kein absoluter Vorrang des Grundsatzes der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung. Beide Belange stehen sich vielmehr gleichwertig gegenüber (vgl. hierzu und zum Folgenden m.w. Nachw.: Koenig, AO, 3. Aufl., Vor §§ 172-177 Rn. 1). Die Abwägung beider Verfassungsprinzipien obliegt grundsätzlich dem Gesetzgeber. Sie hat hier ihren Niederschlag in der ausdifferenzierten Regelung der §§ 172 ff. AO gefunden. Danach wird die Änderung bestandskräftiger Verwaltungsakte zugunsten der materiellen Richtigkeit nur unter bestimmten tatbestandlichen Voraussetzungen zugelassen. In allen anderen Fällen ist deren Rechtswidrigkeit hinzunehmen. Dieses ausdifferenzierte Regelungssystem kann grundsätzlich nicht durch einen Rückgriff auf allgemeine Rechtsgedanken ausgehebelt werden.
22 
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 159 Satz 2 VwGO. Die Zulassung der Berufung kommt entgegen der Auffassung der Kläger nicht in Betracht, da keiner der Gründe des § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder 4 VwGO vorliegt (§ 124a Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Gründe

 
11 
Über die Klage entscheidet der Vorsitzende, dem die Kammer den Rechtsstreit zur Entscheidung übertragen hat, als Einzelrichter (§ 6 Abs. 1 VwGO).
12 
I. Die Klage ist als Untätigkeitsklage gemäß § 75 VwGO jedenfalls mittlerweile zulässig geworden. Da die Einhaltung der Drei-Monats-Frist eine Sachurteilsvoraussetzung darstellt, die erst im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts vorliegen muss, heilt der Zeitablauf einen eventuellen Mangel einer vorzeitigen Klageerhebung (vgl. Funke-Kaiser in Bader/Stuhlfaut/Funke-Kaiser/v. Albedyll, Verwaltungsgerichtsordnung, 6. Aufl., § 75 Rn. 7).
13 
II. Die Klage ist jedoch unbegründet. Die Kläger haben keinen Anspruch auf eine Neufestsetzung der Abwassergebühren für das Jahr 1998 (vgl. § 113 Abs. 5 VwGO). Es liegt bereits eine bestandskräftige Gebührenfestsetzung in Gestalt des Bescheids vom 10.02.1999 vor, der aufgrund des gerichtlichen Vergleichs vom 14.03.2001 mit Änderungsbescheid vom 23.04.2001 geändert wurde. Eine Abänderung dieser bestandskräftigen Gebührenfestsetzung wäre nur dann möglich, wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen der §§ 172 ff. AO (i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 4 c KAG) vorliegen würden. Dies ist aber nicht der Fall.
14 
1. Der begehrte Erlass eines Änderungsbescheids lässt sich nicht auf § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO (i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 4 c KAG) stützen. Nach dieser Vorschrift können Abgabenbescheide zu Gunsten des Abgabenpflichtigen u.a. geändert werden, wenn Tatsachen nachträglich bekannt werden, die zu einer niedrigeren Abgabe führen, und den Abgabenpflichtigen kein Verschulden an dem nachträglichen Bekanntwerden trifft. Tatsache ist jeder Lebensvorgang, der insgesamt oder teilweise den gesetzlichen Steuertatbestand oder ein einzelnes Merkmal dieses Tatbestands erfüllt; also Zustände und Vorgänge der Seinswelt, die Eigenschaften der Gegenstände dieser Seinswelt und die gegenseitigen Beziehungen zwischen diesen Gegenständen (Loose in: Tipke/Kruse, AO/FGO, § 173 AO Rn. 1).
15 
Es ist nicht ersichtlich, dass in Bezug auf die Festsetzung der Abwassergebühren für das Jahr 1998 Tatsachen in diesem Sinne nachträglich bekannt geworden sind. Das in den Jahren 2010 und 2014 erfolgte rückwirkende Inkrafttreten einer neuen Satzung stellt jeweils eine Rechtsänderung und keine Tatsache dar (VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 22.04.2013 - 2 S 598/13 - KStZ 2013, 236; Koenig in: Pahlke/Koenig, AO, 2. Aufl., § 173 Rn. 12; von Wedelstädt in: Beermann/Gosch, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, § 173 AO Rn. 9; Loose in: Tipke/Kruse, AO/FGO, § 173 AO Rn. 3).
16 
Bei den subjektiven Vorstellungen des Gemeinderats der Beklagten bei Erlass der Satzung vom 23.10.2014 mag es sich zwar möglicherweise um innere Tatsachen handeln. Sie stellen jedoch offensichtlich keinen Sachverhalt dar, der im Rahmen eines Abgabentatbestandes rechtlich relevant sein könnte. Sie wären daher auch ersichtlich ungeeignet, zu einer niedrigeren Abgabe zu führen. Daher ist der Beweisantrag der Kläger, der darauf zielt, diese subjektiven Vorstellungen des Gemeinderats der Beklagten näher aufzuklären, auf den Beweis einer im Zusammenhang mit der Vorschrift des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO unerheblichen Tatsache gerichtet.
17 
2. Die begehrte Abänderung ist auch nicht von § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO gedeckt. Danach ist ein Steuerbescheid zu ändern, wenn ein Ereignis eintritt, das abgabenrechtliche Wirkung für die Vergangenheit hat. Der rückwirkende Erlass einer neuen Satzung (wie auch die rückwirkende Änderung von Steuergesetzen) stellt jedoch kein rückwirkendes Ereignis im Sinne dieser Vorschrift dar, denn er verändert nur den satzungsrechtlichen Tatbestand rückwirkend, nicht aber den eigentlichen Lebenssachverhalt selbst (vgl. Koenig in: Pahlke/Koenig, AO, 2. Aufl., § 175 Rn. 38; Rüsken in: Klein, AO, 9. Aufl., § 175 Rn. 80; Loose in: Tipke/Kruse, AO/FGO, § 175 AO Rn. 42).
18 
Dies gilt unabhängig von den subjektiven Vorstellungen des Satzungsgebers. Daher ist der in der mündlichen Verhandlung gestellte unbedingte Beweisantrag der Kläger, der darauf gerichtet ist, den subjektiven „Willen“ des Satzungsgebers bei Erlass der Satzung vom 23.10.14 zu ermitteln, auch in diesem Zusammenhang auf den Beweis einer unerheblichen Tatsache gerichtet.
19 
3. Der in § 176 AO gewährte Vertrauensschutz kann von vornherein keinen Anspruch auf Änderung eines bestandskräftigen Abgabenbescheids begründen. § 176 AO schützt in seinem tatbestandlichen Anwendungsbereich allein das Vertrauen in den Bestand eines bestandskräftigen Abgabenbescheids (vgl. Loose in: Tipke/Kruse, AO/FGO, § 176 AO Rn. 3).
20 
4. Entgegen der Ansicht der Kläger ergibt sich der geltend gemachte Anspruch nach alledem auch nicht aus dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben (§ 242 BGB) oder aus sonstigen allgemeinen Billigkeitserwägungen. Hierfür besteht hier schon aus Gründen der Rechtsklarheit, Rechtssicherheit und Nachvollziehbarkeit des Abgabenrechts kein Raum (vgl. zum Erschließungsbeitragsrecht: BVerwG, Urteil vom 24.02.2010 - 9 C 1.09 - BVerwGE 136, 126).
21 
Hoheitliches Handeln ist zwar einerseits durch die Bindung an Gesetz und Recht (Art. 20 Abs. 3 GG) der Rechtsrichtigkeit verpflichtet. Die jederzeitige Abänderbarkeit hoheitlicher Maßnahmen zugunsten der materiellen Richtigkeit wird jedoch durch das Prinzip der Rechtssicherheit eingeschränkt, das - als Anliegen des Rechtsstaatsprinzips - Verlässlichkeit als Gerechtigkeitskriterium postuliert. Entgegen der Auffassung der Kläger besteht dabei kein absoluter Vorrang des Grundsatzes der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung. Beide Belange stehen sich vielmehr gleichwertig gegenüber (vgl. hierzu und zum Folgenden m.w. Nachw.: Koenig, AO, 3. Aufl., Vor §§ 172-177 Rn. 1). Die Abwägung beider Verfassungsprinzipien obliegt grundsätzlich dem Gesetzgeber. Sie hat hier ihren Niederschlag in der ausdifferenzierten Regelung der §§ 172 ff. AO gefunden. Danach wird die Änderung bestandskräftiger Verwaltungsakte zugunsten der materiellen Richtigkeit nur unter bestimmten tatbestandlichen Voraussetzungen zugelassen. In allen anderen Fällen ist deren Rechtswidrigkeit hinzunehmen. Dieses ausdifferenzierte Regelungssystem kann grundsätzlich nicht durch einen Rückgriff auf allgemeine Rechtsgedanken ausgehebelt werden.
22 
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 159 Satz 2 VwGO. Die Zulassung der Berufung kommt entgegen der Auffassung der Kläger nicht in Betracht, da keiner der Gründe des § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder 4 VwGO vorliegt (§ 124a Abs. 1 Satz 1 VwGO).

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(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat. (2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der

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Abgabenordnung - AO 1977 | § 176 Vertrauensschutz bei der Aufhebung und Änderung von Steuerbescheiden


(1) Bei der Aufhebung oder Änderung eines Steuerbescheids darf nicht zuungunsten des Steuerpflichtigen berücksichtigt werden, dass1.das Bundesverfassungsgericht die Nichtigkeit eines Gesetzes feststellt, auf dem die bisherige Steuerfestsetzung beruht

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Ist über einen Widerspruch oder über einen Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsakts ohne zureichenden Grund in angemessener Frist sachlich nicht entschieden worden, so ist die Klage abweichend von § 68 zulässig. Die Klage kann nicht vor Ablauf von drei Monaten seit der Einlegung des Widerspruchs oder seit dem Antrag auf Vornahme des Verwaltungsakts erhoben werden, außer wenn wegen besonderer Umstände des Falles eine kürzere Frist geboten ist. Liegt ein zureichender Grund dafür vor, daß über den Widerspruch noch nicht entschieden oder der beantragte Verwaltungsakt noch nicht erlassen ist, so setzt das Gericht das Verfahren bis zum Ablauf einer von ihm bestimmten Frist, die verlängert werden kann, aus. Wird dem Widerspruch innerhalb der vom Gericht gesetzten Frist stattgegeben oder der Verwaltungsakt innerhalb dieser Frist erlassen, so ist die Hauptsache für erledigt zu erklären.

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

(1) Die Behörde hat auf Antrag des Betroffenen über die Aufhebung oder Änderung eines unanfechtbaren Verwaltungsaktes zu entscheiden, wenn

1.
sich die dem Verwaltungsakt zugrunde liegende Sach- oder Rechtslage nachträglich zugunsten des Betroffenen geändert hat;
2.
neue Beweismittel vorliegen, die eine dem Betroffenen günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden;
3.
Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 der Zivilprozessordnung gegeben sind.

(2) Der Antrag ist nur zulässig, wenn der Betroffene ohne grobes Verschulden außerstande war, den Grund für das Wiederaufgreifen in dem früheren Verfahren, insbesondere durch Rechtsbehelf, geltend zu machen.

(3) Der Antrag muss binnen drei Monaten gestellt werden. Die Frist beginnt mit dem Tage, an dem der Betroffene von dem Grund für das Wiederaufgreifen Kenntnis erhalten hat.

(4) Über den Antrag entscheidet die nach § 3 zuständige Behörde; dies gilt auch dann, wenn der Verwaltungsakt, dessen Aufhebung oder Änderung begehrt wird, von einer anderen Behörde erlassen worden ist.

(5) Die Vorschriften des § 48 Abs. 1 Satz 1 und des § 49 Abs. 1 bleiben unberührt.

(1) Die Kammer soll in der Regel den Rechtsstreit einem ihrer Mitglieder als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen, wenn

1.
die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und
2.
die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat.
Ein Richter auf Probe darf im ersten Jahr nach seiner Ernennung nicht Einzelrichter sein.

(2) Der Rechtsstreit darf dem Einzelrichter nicht übertragen werden, wenn bereits vor der Kammer mündlich verhandelt worden ist, es sei denn, daß inzwischen ein Vorbehalts-, Teil- oder Zwischenurteil ergangen ist.

(3) Der Einzelrichter kann nach Anhörung der Beteiligten den Rechtsstreit auf die Kammer zurückübertragen, wenn sich aus einer wesentlichen Änderung der Prozeßlage ergibt, daß die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder die Sache besondere Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist. Eine erneute Übertragung auf den Einzelrichter ist ausgeschlossen.

(4) Beschlüsse nach den Absätzen 1 und 3 sind unanfechtbar. Auf eine unterlassene Übertragung kann ein Rechtsbehelf nicht gestützt werden.

Ist über einen Widerspruch oder über einen Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsakts ohne zureichenden Grund in angemessener Frist sachlich nicht entschieden worden, so ist die Klage abweichend von § 68 zulässig. Die Klage kann nicht vor Ablauf von drei Monaten seit der Einlegung des Widerspruchs oder seit dem Antrag auf Vornahme des Verwaltungsakts erhoben werden, außer wenn wegen besonderer Umstände des Falles eine kürzere Frist geboten ist. Liegt ein zureichender Grund dafür vor, daß über den Widerspruch noch nicht entschieden oder der beantragte Verwaltungsakt noch nicht erlassen ist, so setzt das Gericht das Verfahren bis zum Ablauf einer von ihm bestimmten Frist, die verlängert werden kann, aus. Wird dem Widerspruch innerhalb der vom Gericht gesetzten Frist stattgegeben oder der Verwaltungsakt innerhalb dieser Frist erlassen, so ist die Hauptsache für erledigt zu erklären.

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

(1) Steuerbescheide sind aufzuheben oder zu ändern,

1.
soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer höheren Steuer führen,
2.
soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer niedrigeren Steuer führen und den Steuerpflichtigen kein grobes Verschulden daran trifft, dass die Tatsachen oder Beweismittel erst nachträglich bekannt werden. Das Verschulden ist unbeachtlich, wenn die Tatsachen oder Beweismittel in einem unmittelbaren oder mittelbaren Zusammenhang mit Tatsachen oder Beweismitteln im Sinne der Nummer 1 stehen.

(2) Abweichend von Absatz 1 können Steuerbescheide, soweit sie auf Grund einer Außenprüfung ergangen sind, nur aufgehoben oder geändert werden, wenn eine Steuerhinterziehung oder eine leichtfertige Steuerverkürzung vorliegt. Dies gilt auch in den Fällen, in denen eine Mitteilung nach § 202 Abs. 1 Satz 3 ergangen ist.

Tenor

Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 1. März 2013 - 1 K 821/12 - geändert. Der Antrag der Antragstellerin wird abgelehnt.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 287,67 EUR festgesetzt.

Gründe

 
Die Beschwerde ist begründet. Das Verwaltungsgericht hat dem Antrag der Antragstellerin auf der Grundlage der mittlerweile gegebenen Sach- und Rechtslage zu Unrecht stattgegeben.
I.
Die Antragstellerin legte gegen die durch die Antragsgegnerin erfolgte Festsetzung einer Abwassergebühr für das Jahr 2000 in Höhe von 6.236,67 EUR Widerspruch ein. Gegenüber dem Landratsamt Schwarzwald-Baar-Kreis als Widerspruchsbehörde erklärte sie das Widerspruchsverfahren unter dem 25.8.2005 für erledigt. Hiervon wurde die Antragsgegnerin weder von der Widerspruchsbehörde noch von der Antragstellerin in Kenntnis gesetzt.
Mit Schreiben vom 12.4.2011 teilte die Antragsgegnerin der Antragstellerin mit, nach der inzwischen in Kraft getretenen neuen Abwassergebührensatzung ergebe sich für das Jahr 2000 eine Abwassergebühr in Höhe von 5.086,-- EUR statt der festgesetzten 6.236,67 EUR. Daraus resultiere eine Erstattung zu Gunsten der Antragstellerin in Höhe von 1.150,67 EUR für das Jahr 2000, die in den nächsten Tagen überwiesen werde.
Mit dem hier streitgegenständlichen „Leistungsbescheid“ vom 3.2.2012 forderte die Antragsgegnerin diesen Erstattungsbetrag zurück, da sie zum Zeitpunkt der Erstattung keine Kenntnis davon gehabt habe, dass das Widerspruchsverfahren bereits erledigt gewesen sei. Hiergegen erhob die Antragstellerin Widerspruch und beantragte - erfolglos - die Aussetzung der Vollziehung.
Auf Antrag der Antragstellerin hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 1.3.2013 die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen den Bescheid vom 3.2.2012 angeordnet. Zur Begründung hat es ausgeführt: Bei dem Schreiben vom 12.4.2011 handele es sich um einen Verwaltungsakt. Mit dem Schreiben habe die Antragsgegnerin eine Neuberechnung der Abwassergebührenschuld vorgenommen und diese Gebühren in Anwendung der neuen Gebührensatzung vom 6.10.2010 konkret berechnet. Ferner habe sie einen konkreten Rückerstattungsbetrag zugunsten der Antragstellerin ermittelt und eine baldige Zahlung angekündigt. Der objektive Erklärungswert sei damit auf die (Neu-)Regelung bzw. Konkretisierung des Abgabenschuldverhältnisses mit daraus folgenden Zahlungs- bzw. Erstattungspflichten gerichtet gewesen. Daran ändere nichts, dass die Antragsgegnerin die übliche äußere Bescheidform ebenso weggelassen habe wie eine Rechtsbehelfsbelehrung. Dass die Antragsgegnerin irrtümlich davon ausgegangen sei, der Widerspruch gegen den ursprünglichen Gebührenbescheid aus dem Jahr 2001 sei noch anhängig, sei ein unbeachtlicher Motivirrtum. Der Verwaltungsakt vom 12.4.2011 sei folglich Rechtsgrund der sich aus der Neufestsetzung der für das Gebührenjahr 2000 geschuldeten Gebühr folgenden Rückerstattung von 1.150,67 EUR gewesen. Im Leistungsbescheid vom 3.2.2012 habe die Antragsgegnerin zwar zugleich „die Erstattung zurückgenommen“. Indessen fehle es an deren Vollziehbarkeit kraft Gesetzes - die Rücknahme der Festsetzung und Erstattung sei zweifelsohne keine Anforderung einer öffentlichen Abgabe - sowie ferner an einer Anordnung des Sofortvollzugs im Einzelfall. Der rechtzeitig von der Antragstellerin erhobene Widerspruch vom 1.3.2012 entfalte deshalb aufschiebende Wirkung gemäß § 80 Abs. 1 VwGO.
Unter dem 15.3.2013 hat die Antragsgegnerin den Sofortvollzug des Bescheids vom 3.2.2012 insoweit angeordnet, als darin eine Rücknahme der mit Schreiben vom 12.4.2011 verfügten Erstattung zu sehen sei.
II.
Unter Berücksichtigung der mittlerweile erfolgten Anordnung des Sofortvollzugs des Bescheids vom 3.2.2012 hat das Verwaltungsgericht dem Antrag der Antragstellerin zu Unrecht stattgegeben.
Nach der maßgeblichen gesetzlichen Regelung in § 80 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. Abs. 4 Satz 3 VwGO hängt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung in abgabenrechtlichen Verfahren davon ab, ob nach dem gegenwärtigen Sach- und Streitstand ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen. Solche Zweifel sind nach der ständigen Rechtsprechung des Senats nur dann anzunehmen, wenn ein Erfolg von Rechtsbehelf oder Klage wahrscheinlicher ist als deren Misserfolg, wobei ein lediglich als offen erscheinender Verfahrensausgang die Anordnung nicht trägt (ausführl.: Beschluss vom 18.8.1997 - 2 S 1518/97 - m.w.N.). Einem Abgabenschuldner ist es bei offenem Verfahrensausgang regelmäßig zuzumuten, die Abgabe zunächst zu begleichen und sein Begehren im Hauptsachverfahren weiterzuverfolgen, falls in seinem Fall nicht ausnahmsweise eine besondere Härte - für deren Vorliegen hier keine Anhaltspunkte bestehen - gegeben ist.
Solche ernstlichen Zweifel bestehen hier nicht (mehr). Es spricht Überwiegendes dafür, dass der Rechtsbehelf der Antragstellerin keinen Erfolg haben wird. Im Einzelnen:
10 
1. Das Verwaltungsgericht ist voraussichtlich zu Recht und mit zutreffender Begründung davon ausgegangen, dass es sich bei dem Schreiben der Antragsgegnerin vom 12.4.2011 um einen Verwaltungsakt i.S.v. § 118 Satz 1 AO (i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 3b KAG) handelt. Trotz der gewählten äußeren Form eines schlichten Anschreibens enthält es insbesondere eine Regelung. Die ursprünglich festgesetzten Abwassergebühren - u.a. für das Jahr 2000 - wurden neu berechnet und festgesetzt; außerdem wurde eine Erstattung des sich hieraus ergebenden Differenzbetrags verbindlich zugesagt. Nach seinem objektiven Erklärungswert stellt das Schreiben daher nicht nur eine bloße unverbindliche Ankündigung dar. Das Schreiben war bei objektiver Würdigung seines Inhalts vielmehr darauf gerichtet, eine Rechtsfolge zu setzen, und stellte somit aus der maßgeblichen Sicht des Empfängers unter Berücksichtigung der ihm erkennbaren Umstände einen Verwaltungsakt dar.
11 
Der Ansicht der Antragsgegnerin, es habe sich bei dem Schreiben vom 12.4.2011 um eine bloße - nicht anfechtbare - Teilabhilfe im Rahmen eines Widerspruchsverfahrens gehandelt, kann schon deshalb nicht gefolgt werden, weil zu diesem Zeitpunkt kein Widerspruchsverfahren mehr anhängig war, nachdem die Antragstellerin bereits im Jahr 2005 ihren Widerspruch für erledigt erklärt hatte. Dabei spielt es in diesem Zusammenhang keine Rolle, dass der Antragsgegnerin die Erledigung des Widerspruchsverfahrens bei Erlass des Schreibens vom 12.4.2011 nicht bekannt gewesen ist, da auf die Sicht des Empfängers des Schreibens abzustellen ist.
12 
2. Weiter ist das Verwaltungsgericht zu Recht davon ausgegangen, dass das als Verwaltungsakt auszulegende Schreiben vom 12.4.2011 (zunächst) dem mit dem angegriffenen Bescheid geltend gemachten Erstattungsanspruch der Antragsgegnerin entgegenstand, da es einen die Vermögensverschiebung rechtfertigenden Grund i.S.v. § 37 Abs. 2 AO (i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 2b KAG) darstellte. Die Auffassung des Antragsgegnerin, hierfür komme es allein auf die materielle Rechtslage und nicht auf den formalen Bestand eines rechtfertigenden Bescheids an, beruht auf einem fehlerhaften Verständnis der materiellen Rechtsgrundtheorie.
13 
Voraussetzung eines jeden Erstattungsanspruchs ist das Fehlen eines die Vermögensverschiebung rechtfertigenden Grundes. § 37 Abs. 2 AO enthält keine ausdrückliche Regelung, wann die Leistung ohne Rechtsgrund erfolgt ist. Nach der materiellen Rechtsgrundtheorie ist der rechtliche Grund allein in der materiellen Rechtslage begründet. Die formelle Rechtsgrundtheorie sieht demgegenüber in der die materiellen Rechtslage konkretisierenden Steuerfestsetzung den Rechtsgrund für die Vermögensverschiebung, auch wenn der Bescheid nicht der materiellen Rechtslage entspricht. Im Ergebnis führen jedoch beide Auffassungen regelmäßig - und auch hier - zum gleichen Ergebnis. Denn auch nach der materiellen Rechtsgrundtheorie ist die Erstattung eines nach materiellem Recht ohne rechtlichen Grund gezahlten Betrages nur dann mit Erfolg durchsetzbar, wenn der Bescheid, der der Zahlung zugrunde gelegen hat, nach formellem Recht aufgehoben oder geändert wird; die formelle Bestandskraft eines Verwaltungsakts überlagert also die materielle Fehlerhaftigkeit (vgl. zum Ganzen: BFH, Urteil vom 29.10.2002 - VII R 2/02 - BeckRS 2002, 24001213; Koenig in: Pahlke/Koenig, AO, 2. Aufl. 2009, § 37 Rn. 29ff.; Drüen in: Tipke/Kruse, AO, § 37 Rn. 27ff., insbes. Rn. 37).
14 
Nach beiden Auffassungen stand das als Verwaltungsakt auszulegende Schreiben der Antragsgegnerin vom 12.4.2011 also zunächst dem Rückforderungsbegehren der Antragsgegnerin entgegen.
15 
3. Allerdings hat die Antragsgegnerin in ihrem Bescheid vom 3.2.2012 nicht nur den aufgrund des Schreibens vom 12.4.2011 erstatteten Betrag von der Antragstellerin zurückgefordert, sondern zugleich auch noch dieses Schreiben als Grundlage der damals erfolgten Erstattung aufgehoben. Zwar hatte der Widerspruch der Antragstellerin gegen die in dem Bescheid vom 3.2.2012 verfügte Aufhebung zunächst aufschiebende Wirkung. Mittlerweile hat die Antragsgegnerin jedoch unter dem 15.3.2013 gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO den Sofortvollzug des Bescheids vom 3.2.2012 insoweit angeordnet, als darin eine Rücknahme der mit Schreiben vom 12.4.2011 verfügten Erstattung zu sehen ist. Damit trifft die tragende Annahme des Verwaltungsgerichts nicht (mehr) zu, es fehle an der Vollziehbarkeit der Rücknahme der Erstattung, weil diese aufgrund des Fehlens einer Anordnung des Sofortvollzugs nicht sofort vollziehbar sei.
16 
Die zeitlich erst nach dem Beschluss des Verwaltungsgerichts ergangene Anordnung des Sofortvollzugs ist im vorliegenden Beschwerdeverfahren zu berücksichtigen. Die Antragsgegnerin kann nicht darauf verwiesen werden, die geänderte Sachlage in einem Abänderungsverfahren nach § 80 Abs. 7 VwGO geltend zu machen. Die Frage, ob und in welchem Umfang ein neuer Vortrag im Beschwerdeverfahren berücksichtigt werden kann, ist zwar umstritten (für eine Berücksichtigung: VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 8.11.2004 - 9 S 1536/04 - NVwZ-RR 2006, 74; Kopp/Schenke, VwGO, 17. Aufl., § 146 Rn. 42; Guckelberger in: Sodan/Ziekow, VwGO, 3. Aufl., § 146 Rn. 82; a.A.: OVG Sachs.-Anh., Beschluss vom 20.12.2004 - 2 M 574/04 - juris; jeweils m.w. Nachw.). Nach Ansicht des Senats ist diese Frage jedoch im Grundsatz zu bejahen.
17 
Zur Klärung der Frage ist vom Zweck der Beschwerde auszugehen. Sie hat ebenso wie die Berufung die Aufgabe einer zweiten Tatsacheninstanz und bezweckt eine Überprüfung der angefochtenen Entscheidung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht. Daher kann es für den Erfolg der Beschwerde nicht entscheidend sein, ob das Ausgangsgericht auf der Grundlage der ihm bekannten Tatsachen richtig entschieden hat, sondern ob die Entscheidung über den Streitgegenstand im Ergebnis richtig ist. Hiervon ausgehend ist es nur folgerichtig, dass das Beschwerdegericht auch neue Tatsachen oder Änderungen der Rechtslage zu berücksichtigen hat, auf die sich der Beschwerdeführer fristgerecht beruft und die nach materiellem Recht im Zeitpunkt der Entscheidung des Rechtsmittelgerichts maßgeblich sind.
18 
4. Die Aufhebung bzw. Änderung des Bescheids vom 12.4.2011 ist voraussichtlich im Ergebnis zu Recht erfolgt. Dieser Bescheid war wohl objektiv rechtswidrig (a), sodass die Antragsgegnerin verpflichtet gewesen sein dürfte, ihn zu ändern (b).
19 
a) Der Bescheid vom 12.4.2011 enthält die Änderung eines Abgabenbescheids, nämlich der Festsetzung der Abwassergebühr für das Jahr 2000. Rechtlicher Maßstab der Änderung sind demnach die §§ 172 ff. AO (i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 4 c KAG). Deren tatbestandliche Voraussetzungen dürften hier aber nicht gegeben sein.
20 
aa) Nach § 172 Abs. 1 Nr. 2a AO (i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 4 c KAG) darf ein Abgabenbescheid zugunsten des Abgabenpflichtigen nur aufgehoben oder geändert werden, wenn dieser vor Ablauf der Widerspruchsfrist (vgl. § 3 Abs. 3 Nr. 4 KAG) zugestimmt oder einen entsprechenden Antrag gestellt hat oder soweit die Behörde einem Rechtsbehelf abhilft. Diese Voraussetzungen sind hier wohl nicht gegeben.
21 
Die zweite Alternative dieser Vorschrift - eine Abhilfe im Rahmen eines anhängigen Rechtsbehelfsverfahrens - ist im vorliegenden Fall ersichtlich nicht erfüllt. Wie bereits dargelegt, handelte es sich bei dem Schreiben vom 12.4.2011 schon deshalb nicht um eine Teilabhilfe im Rahmen eines Widerspruchsverfahrens, weil die Antragstellerin bereits im Jahr 2005 ihren Widerspruch für erledigt erklärt hatte.
22 
Aber auch die Voraussetzungen für eine Änderung auf Antrag oder mit Zustimmung des Abgabenpflichtigen liegen im vorliegenden Fall wohl nicht vor. Zwar ist in der Erhebung des Widerspruchs grundsätzlich eine (stillschweigende) Zustimmung zu einer Änderung des Verwaltungsakts zugunsten des Abgabenpflichtigen zu sehen (Koenig in: Pahlke/Koenig, AO, 2. Aufl., § 172 Rn. 25; Rüsken in: Klein, AO, 9. Aufl., § 172 Rn. 34). Hier hat die Antragstellerin zunächst Widerspruch gegen die Festsetzung der Abwassergebühren für das Jahr 2000 erhoben; sie hat jedoch im Jahr 2005 dessen Erledigung erklärt. Mit dieser Erklärung der Erledigung des Widerspruchs durch die Antragstellerin ist bei sachdienlicher Auslegung zugleich die mit der Einlegung des Widerspruchs erklärte Zustimmung zu einer Änderung des Abwassergebührenbescheids hinfällig geworden. Denn die Abgabe einer Erledigungserklärung kann nach dem objektiven Empfängerhorizont nur so verstanden werden, dass der angefochtene Verwaltungsakt - ggf. in mittlerweile geänderter Form - nunmehr akzeptiert und seine Änderung nicht mehr angestrebt wird.
23 
bb) Der Änderungsbescheid vom 12.4.2011 lässt sich auch nicht auf § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO (i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 4 c KAG) stützen. Nach dieser Vorschrift können Abgabenbescheide auch dann zu Gunsten des Abgabenpflichtigen geändert werden, wenn Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer niedrigeren Abgabe führen, und den Abgabenpflichtigen kein Verschulden an dem nachträglichen Bekanntwerden trifft. Es ist jedoch nicht ersichtlich, dass in Bezug auf die Festsetzung der Abwassergebühren für das Jahr 2000 Tatsachen oder Beweismittel in diesem Sinne nachträglich bekannt geworden sind. Das im Jahr 2010 erfolgte rückwirkende Inkrafttreten einer neuen Satzung stellt eine Rechtsänderung und keine Tatsache in diesem Sinne dar (Koenig in: Pahlke/Koenig, AO, 2. Aufl., § 173 Rn. 12).
24 
Die mit Schreiben vom 12.4.2011 erfolgte Änderung ist schließlich auch nicht von § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO gedeckt. Danach ist ein Steuerbescheid zu ändern, wenn ein Ereignis eintritt, das abgabenrechtliche Wirkung für die Vergangenheit hat. Der rückwirkende Erlass der neuen Satzung stellt indes kein rückwirkendes Ereignis im Sinne dieser Vorschrift dar (Koenig in: Pahlke/Koenig, AO, 2. Aufl., § 175 Rn. 38; Rüsken in: Klein, AO, 9. Aufl., § 175 Rn. 80).
25 
b) Die Antragsgegnerin war wohl verpflichtet, den hiernach mit hoher Wahrscheinlichkeit rechtswidrigen Änderungsbescheid vom 12.4.2011 aufzuheben. Bei diesem Änderungsbescheid handelt es sich seinerseits ebenfalls um einen abgabenrechtlichen Verwaltungsakt, da er einen Abgabenbescheid geändert hat (vgl. BFH, Urteil vom 12.1.1989 - IV R 8/88 - BFHE 156, 4). Demzufolge ist auch seine Rechtmäßigkeit anhand der §§ 172 ff. AO (i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 4 c KAG) zu beurteilen.
26 
Nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO (i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 4 c KAG) sind Abgabenbescheide zu ändern, wenn Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer höheren Abgabe führen. Tatsache im Kontext des § 173 AO ist alles, was Merkmal oder Teilstück eines gesetzlichen Steuertatbestands sein kann, also Zustände, Vorgänge, Beziehungen oder Eigenschaften sowohl materieller als auch immaterieller Art (Koenig in: Pahlke/Koenig, AO, 2. Aufl., § 173 Rn. 7). Liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen der Vorschrift vor, muss der Abgabenbescheid geändert werden, ohne dass der Behörde insoweit ein Ermessen eingeräumt wäre (Loose in: Tipke/Kruse, AO, § 173 Rn. 104).
27 
In der 2005 erfolgten Erklärung der Antragstellerin, ihr gegen den Abwassergebührenbescheid für das Jahr 2000 eingelegter Widerspruch habe sich erledigt, ist voraussichtlich eine relevante Tatsache in diesem Sinne zu sehen. Die Frage, ob noch ein offenes Widerspruchsverfahren anhängig war, ist für die Rechtmäßigkeit des Änderungsbescheids vom 12.4.2011 relevant. Insoweit kann auf die Ausführungen unter II.4.a)aa) Bezug genommen werden.
28 
Diese Tatsache war der Antragsgegnerin bei Erlass des Änderungsbescheids vom 12.4.2011 nicht bekannt. Aus den Formulierungen im Betreff („Widersprüche gegen die Abwassergebühren…“) und in der Begründung („…werden die Gebühren für die Jahre in denen noch Widersprüche offen sind…“) geht eindeutig hervor, dass die Antragsgegnerin von offenen Widerspruchsverfahren ausging und ihr nicht bekannt war, dass diese bereits im Jahr 2005 für erledigt erklärt worden waren. Unschädlich ist in diesem Zusammenhang, dass das Landratsamt als Widerspruchsbehörde über die Erledigungserklärung der Antragstellerin informiert war, denn es ist grundsätzlich auf den Kenntnisstand der für die Erhebung der Abgabe örtlich und sachlich zuständigen Behörde - hier also der Antragsgegnerin - abzustellen (vgl. Loose in: Tipke/Kruse, AO, § 173 Rn. 28).
29 
Schließlich dürfte die erneute Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO (i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 4 c KAG) auch nicht nach dem Grundsatz von Treu und Glauben ausgeschlossen sein (vgl. hierzu: Rüsken in: Klein, AO, 9. Aufl., § 173 Rn. 80 ff.). Zwar wurzelt einerseits die unterbliebene Information der Antragsgegnerin über die Beendigung des Widerspruchsverfahrens durch das Landratsamt als Widerspruchsbehörde letztlich in der Sphäre der Behörden. Dafür erscheint andererseits die Antragstellerin aber auch nicht als besonders schutzwürdig. Sowohl aus dem Anschreiben der Antragsgegnerin vom 11.2.2011 als auch aus dem Bescheid vom 12.4.2011 selbst geht eindeutig hervor, dass die Antragsgegnerin bei Erlass dieses Bescheids von offenen Widerspruchsverfahren ausgegangen ist. Auch wenn man gegenüber der Antragstellerin wohl nicht den Vorwurf der arglistigen Täuschung im Sinne von § 172 Abs. 1 Nr. 2c AO erheben kann, hat sie jedenfalls sehenden Auges einen für sie offenkundigen Irrtum der Behörde ausgenutzt.
30 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren auf den §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit vom 7./8.7.2004 (VBlBW 2004, 467).
31 
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

(1) Steuerbescheide sind aufzuheben oder zu ändern,

1.
soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer höheren Steuer führen,
2.
soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer niedrigeren Steuer führen und den Steuerpflichtigen kein grobes Verschulden daran trifft, dass die Tatsachen oder Beweismittel erst nachträglich bekannt werden. Das Verschulden ist unbeachtlich, wenn die Tatsachen oder Beweismittel in einem unmittelbaren oder mittelbaren Zusammenhang mit Tatsachen oder Beweismitteln im Sinne der Nummer 1 stehen.

(2) Abweichend von Absatz 1 können Steuerbescheide, soweit sie auf Grund einer Außenprüfung ergangen sind, nur aufgehoben oder geändert werden, wenn eine Steuerhinterziehung oder eine leichtfertige Steuerverkürzung vorliegt. Dies gilt auch in den Fällen, in denen eine Mitteilung nach § 202 Abs. 1 Satz 3 ergangen ist.

(1) Ein Steuerbescheid ist zu erlassen, aufzuheben oder zu ändern,

1.
soweit ein Grundlagenbescheid (§ 171 Abs. 10), dem Bindungswirkung für diesen Steuerbescheid zukommt, erlassen, aufgehoben oder geändert wird,
2.
soweit ein Ereignis eintritt, das steuerliche Wirkung für die Vergangenheit hat (rückwirkendes Ereignis).
In den Fällen des Satzes 1 Nr. 2 beginnt die Festsetzungsfrist mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem das Ereignis eintritt.

(2) Als rückwirkendes Ereignis gilt auch der Wegfall einer Voraussetzung für eine Steuervergünstigung, wenn gesetzlich bestimmt ist, dass diese Voraussetzung für eine bestimmte Zeit gegeben sein muss, oder wenn durch Verwaltungsakt festgestellt worden ist, dass sie die Grundlage für die Gewährung der Steuervergünstigung bildet. Die nachträgliche Erteilung oder Vorlage einer Bescheinigung oder Bestätigung gilt nicht als rückwirkendes Ereignis.

(1) Bei der Aufhebung oder Änderung eines Steuerbescheids darf nicht zuungunsten des Steuerpflichtigen berücksichtigt werden, dass

1.
das Bundesverfassungsgericht die Nichtigkeit eines Gesetzes feststellt, auf dem die bisherige Steuerfestsetzung beruht,
2.
ein oberster Gerichtshof des Bundes eine Norm, auf der die bisherige Steuerfestsetzung beruht, nicht anwendet, weil er sie für verfassungswidrig hält,
3.
sich die Rechtsprechung eines obersten Gerichtshofes des Bundes geändert hat, die bei der bisherigen Steuerfestsetzung von der Finanzbehörde angewandt worden ist.
Ist die bisherige Rechtsprechung bereits in einer Steuererklärung oder einer Steueranmeldung berücksichtigt worden, ohne dass das für die Finanzbehörde erkennbar war, so gilt Nummer 3 nur, wenn anzunehmen ist, dass die Finanzbehörde bei Kenntnis der Umstände die bisherige Rechtsprechung angewandt hätte.

(2) Bei der Aufhebung oder Änderung eines Steuerbescheids darf nicht zuungunsten des Steuerpflichtigen berücksichtigt werden, dass eine allgemeine Verwaltungsvorschrift der Bundesregierung, einer obersten Bundes- oder Landesbehörde von einem obersten Gerichtshof des Bundes als nicht mit dem geltenden Recht in Einklang stehend bezeichnet worden ist.

Der Schuldner ist verpflichtet, die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Gegen Endurteile einschließlich der Teilurteile nach § 110 und gegen Zwischenurteile nach den §§ 109 und 111 steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie von dem Verwaltungsgericht oder dem Oberverwaltungsgericht zugelassen wird.

(2) Die Berufung ist nur zuzulassen,

1.
wenn ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,
2.
wenn die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,
3.
wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
4.
wenn das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
5.
wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(1) Das Verwaltungsgericht lässt die Berufung in dem Urteil zu, wenn die Gründe des § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 vorliegen. Das Oberverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden. Zu einer Nichtzulassung der Berufung ist das Verwaltungsgericht nicht befugt.

(2) Die Berufung ist, wenn sie von dem Verwaltungsgericht zugelassen worden ist, innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils bei dem Verwaltungsgericht einzulegen. Die Berufung muss das angefochtene Urteil bezeichnen.

(3) Die Berufung ist in den Fällen des Absatzes 2 innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht zugleich mit der Einlegung der Berufung erfolgt, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden des Senats verlängert werden. Die Begründung muss einen bestimmten Antrag enthalten sowie die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe). Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung unzulässig.

(4) Wird die Berufung nicht in dem Urteil des Verwaltungsgerichts zugelassen, so ist die Zulassung innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils zu beantragen. Der Antrag ist bei dem Verwaltungsgericht zu stellen. Er muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Die Stellung des Antrags hemmt die Rechtskraft des Urteils.

(5) Über den Antrag entscheidet das Oberverwaltungsgericht durch Beschluss. Die Berufung ist zuzulassen, wenn einer der Gründe des § 124 Abs. 2 dargelegt ist und vorliegt. Der Beschluss soll kurz begründet werden. Mit der Ablehnung des Antrags wird das Urteil rechtskräftig. Lässt das Oberverwaltungsgericht die Berufung zu, wird das Antragsverfahren als Berufungsverfahren fortgesetzt; der Einlegung einer Berufung bedarf es nicht.

(6) Die Berufung ist in den Fällen des Absatzes 5 innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Berufung zu begründen. Die Begründung ist bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Absatz 3 Satz 3 bis 5 gilt entsprechend.

(1) Die Kammer soll in der Regel den Rechtsstreit einem ihrer Mitglieder als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen, wenn

1.
die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und
2.
die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat.
Ein Richter auf Probe darf im ersten Jahr nach seiner Ernennung nicht Einzelrichter sein.

(2) Der Rechtsstreit darf dem Einzelrichter nicht übertragen werden, wenn bereits vor der Kammer mündlich verhandelt worden ist, es sei denn, daß inzwischen ein Vorbehalts-, Teil- oder Zwischenurteil ergangen ist.

(3) Der Einzelrichter kann nach Anhörung der Beteiligten den Rechtsstreit auf die Kammer zurückübertragen, wenn sich aus einer wesentlichen Änderung der Prozeßlage ergibt, daß die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder die Sache besondere Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist. Eine erneute Übertragung auf den Einzelrichter ist ausgeschlossen.

(4) Beschlüsse nach den Absätzen 1 und 3 sind unanfechtbar. Auf eine unterlassene Übertragung kann ein Rechtsbehelf nicht gestützt werden.

Ist über einen Widerspruch oder über einen Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsakts ohne zureichenden Grund in angemessener Frist sachlich nicht entschieden worden, so ist die Klage abweichend von § 68 zulässig. Die Klage kann nicht vor Ablauf von drei Monaten seit der Einlegung des Widerspruchs oder seit dem Antrag auf Vornahme des Verwaltungsakts erhoben werden, außer wenn wegen besonderer Umstände des Falles eine kürzere Frist geboten ist. Liegt ein zureichender Grund dafür vor, daß über den Widerspruch noch nicht entschieden oder der beantragte Verwaltungsakt noch nicht erlassen ist, so setzt das Gericht das Verfahren bis zum Ablauf einer von ihm bestimmten Frist, die verlängert werden kann, aus. Wird dem Widerspruch innerhalb der vom Gericht gesetzten Frist stattgegeben oder der Verwaltungsakt innerhalb dieser Frist erlassen, so ist die Hauptsache für erledigt zu erklären.

(1) Soweit der Verwaltungsakt rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, hebt das Gericht den Verwaltungsakt und den etwaigen Widerspruchsbescheid auf. Ist der Verwaltungsakt schon vollzogen, so kann das Gericht auf Antrag auch aussprechen, daß und wie die Verwaltungsbehörde die Vollziehung rückgängig zu machen hat. Dieser Ausspruch ist nur zulässig, wenn die Behörde dazu in der Lage und diese Frage spruchreif ist. Hat sich der Verwaltungsakt vorher durch Zurücknahme oder anders erledigt, so spricht das Gericht auf Antrag durch Urteil aus, daß der Verwaltungsakt rechtswidrig gewesen ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat.

(2) Begehrt der Kläger die Änderung eines Verwaltungsakts, der einen Geldbetrag festsetzt oder eine darauf bezogene Feststellung trifft, kann das Gericht den Betrag in anderer Höhe festsetzen oder die Feststellung durch eine andere ersetzen. Erfordert die Ermittlung des festzusetzenden oder festzustellenden Betrags einen nicht unerheblichen Aufwand, kann das Gericht die Änderung des Verwaltungsakts durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse so bestimmen, daß die Behörde den Betrag auf Grund der Entscheidung errechnen kann. Die Behörde teilt den Beteiligten das Ergebnis der Neuberechnung unverzüglich formlos mit; nach Rechtskraft der Entscheidung ist der Verwaltungsakt mit dem geänderten Inhalt neu bekanntzugeben.

(3) Hält das Gericht eine weitere Sachaufklärung für erforderlich, kann es, ohne in der Sache selbst zu entscheiden, den Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit nach Art oder Umfang die noch erforderlichen Ermittlungen erheblich sind und die Aufhebung auch unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten sachdienlich ist. Auf Antrag kann das Gericht bis zum Erlaß des neuen Verwaltungsakts eine einstweilige Regelung treffen, insbesondere bestimmen, daß Sicherheiten geleistet werden oder ganz oder zum Teil bestehen bleiben und Leistungen zunächst nicht zurückgewährt werden müssen. Der Beschluß kann jederzeit geändert oder aufgehoben werden. Eine Entscheidung nach Satz 1 kann nur binnen sechs Monaten seit Eingang der Akten der Behörde bei Gericht ergehen.

(4) Kann neben der Aufhebung eines Verwaltungsakts eine Leistung verlangt werden, so ist im gleichen Verfahren auch die Verurteilung zur Leistung zulässig.

(5) Soweit die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsakts rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, spricht das Gericht die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde aus, die beantragte Amtshandlung vorzunehmen, wenn die Sache spruchreif ist. Andernfalls spricht es die Verpflichtung aus, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

(1) Steuerbescheide sind aufzuheben oder zu ändern,

1.
soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer höheren Steuer führen,
2.
soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer niedrigeren Steuer führen und den Steuerpflichtigen kein grobes Verschulden daran trifft, dass die Tatsachen oder Beweismittel erst nachträglich bekannt werden. Das Verschulden ist unbeachtlich, wenn die Tatsachen oder Beweismittel in einem unmittelbaren oder mittelbaren Zusammenhang mit Tatsachen oder Beweismitteln im Sinne der Nummer 1 stehen.

(2) Abweichend von Absatz 1 können Steuerbescheide, soweit sie auf Grund einer Außenprüfung ergangen sind, nur aufgehoben oder geändert werden, wenn eine Steuerhinterziehung oder eine leichtfertige Steuerverkürzung vorliegt. Dies gilt auch in den Fällen, in denen eine Mitteilung nach § 202 Abs. 1 Satz 3 ergangen ist.

Tenor

Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Freiburg vom 1. März 2013 - 1 K 821/12 - geändert. Der Antrag der Antragstellerin wird abgelehnt.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 287,67 EUR festgesetzt.

Gründe

 
Die Beschwerde ist begründet. Das Verwaltungsgericht hat dem Antrag der Antragstellerin auf der Grundlage der mittlerweile gegebenen Sach- und Rechtslage zu Unrecht stattgegeben.
I.
Die Antragstellerin legte gegen die durch die Antragsgegnerin erfolgte Festsetzung einer Abwassergebühr für das Jahr 2000 in Höhe von 6.236,67 EUR Widerspruch ein. Gegenüber dem Landratsamt Schwarzwald-Baar-Kreis als Widerspruchsbehörde erklärte sie das Widerspruchsverfahren unter dem 25.8.2005 für erledigt. Hiervon wurde die Antragsgegnerin weder von der Widerspruchsbehörde noch von der Antragstellerin in Kenntnis gesetzt.
Mit Schreiben vom 12.4.2011 teilte die Antragsgegnerin der Antragstellerin mit, nach der inzwischen in Kraft getretenen neuen Abwassergebührensatzung ergebe sich für das Jahr 2000 eine Abwassergebühr in Höhe von 5.086,-- EUR statt der festgesetzten 6.236,67 EUR. Daraus resultiere eine Erstattung zu Gunsten der Antragstellerin in Höhe von 1.150,67 EUR für das Jahr 2000, die in den nächsten Tagen überwiesen werde.
Mit dem hier streitgegenständlichen „Leistungsbescheid“ vom 3.2.2012 forderte die Antragsgegnerin diesen Erstattungsbetrag zurück, da sie zum Zeitpunkt der Erstattung keine Kenntnis davon gehabt habe, dass das Widerspruchsverfahren bereits erledigt gewesen sei. Hiergegen erhob die Antragstellerin Widerspruch und beantragte - erfolglos - die Aussetzung der Vollziehung.
Auf Antrag der Antragstellerin hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 1.3.2013 die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Antragstellerin gegen den Bescheid vom 3.2.2012 angeordnet. Zur Begründung hat es ausgeführt: Bei dem Schreiben vom 12.4.2011 handele es sich um einen Verwaltungsakt. Mit dem Schreiben habe die Antragsgegnerin eine Neuberechnung der Abwassergebührenschuld vorgenommen und diese Gebühren in Anwendung der neuen Gebührensatzung vom 6.10.2010 konkret berechnet. Ferner habe sie einen konkreten Rückerstattungsbetrag zugunsten der Antragstellerin ermittelt und eine baldige Zahlung angekündigt. Der objektive Erklärungswert sei damit auf die (Neu-)Regelung bzw. Konkretisierung des Abgabenschuldverhältnisses mit daraus folgenden Zahlungs- bzw. Erstattungspflichten gerichtet gewesen. Daran ändere nichts, dass die Antragsgegnerin die übliche äußere Bescheidform ebenso weggelassen habe wie eine Rechtsbehelfsbelehrung. Dass die Antragsgegnerin irrtümlich davon ausgegangen sei, der Widerspruch gegen den ursprünglichen Gebührenbescheid aus dem Jahr 2001 sei noch anhängig, sei ein unbeachtlicher Motivirrtum. Der Verwaltungsakt vom 12.4.2011 sei folglich Rechtsgrund der sich aus der Neufestsetzung der für das Gebührenjahr 2000 geschuldeten Gebühr folgenden Rückerstattung von 1.150,67 EUR gewesen. Im Leistungsbescheid vom 3.2.2012 habe die Antragsgegnerin zwar zugleich „die Erstattung zurückgenommen“. Indessen fehle es an deren Vollziehbarkeit kraft Gesetzes - die Rücknahme der Festsetzung und Erstattung sei zweifelsohne keine Anforderung einer öffentlichen Abgabe - sowie ferner an einer Anordnung des Sofortvollzugs im Einzelfall. Der rechtzeitig von der Antragstellerin erhobene Widerspruch vom 1.3.2012 entfalte deshalb aufschiebende Wirkung gemäß § 80 Abs. 1 VwGO.
Unter dem 15.3.2013 hat die Antragsgegnerin den Sofortvollzug des Bescheids vom 3.2.2012 insoweit angeordnet, als darin eine Rücknahme der mit Schreiben vom 12.4.2011 verfügten Erstattung zu sehen sei.
II.
Unter Berücksichtigung der mittlerweile erfolgten Anordnung des Sofortvollzugs des Bescheids vom 3.2.2012 hat das Verwaltungsgericht dem Antrag der Antragstellerin zu Unrecht stattgegeben.
Nach der maßgeblichen gesetzlichen Regelung in § 80 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. Abs. 4 Satz 3 VwGO hängt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung in abgabenrechtlichen Verfahren davon ab, ob nach dem gegenwärtigen Sach- und Streitstand ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen. Solche Zweifel sind nach der ständigen Rechtsprechung des Senats nur dann anzunehmen, wenn ein Erfolg von Rechtsbehelf oder Klage wahrscheinlicher ist als deren Misserfolg, wobei ein lediglich als offen erscheinender Verfahrensausgang die Anordnung nicht trägt (ausführl.: Beschluss vom 18.8.1997 - 2 S 1518/97 - m.w.N.). Einem Abgabenschuldner ist es bei offenem Verfahrensausgang regelmäßig zuzumuten, die Abgabe zunächst zu begleichen und sein Begehren im Hauptsachverfahren weiterzuverfolgen, falls in seinem Fall nicht ausnahmsweise eine besondere Härte - für deren Vorliegen hier keine Anhaltspunkte bestehen - gegeben ist.
Solche ernstlichen Zweifel bestehen hier nicht (mehr). Es spricht Überwiegendes dafür, dass der Rechtsbehelf der Antragstellerin keinen Erfolg haben wird. Im Einzelnen:
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1. Das Verwaltungsgericht ist voraussichtlich zu Recht und mit zutreffender Begründung davon ausgegangen, dass es sich bei dem Schreiben der Antragsgegnerin vom 12.4.2011 um einen Verwaltungsakt i.S.v. § 118 Satz 1 AO (i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 3b KAG) handelt. Trotz der gewählten äußeren Form eines schlichten Anschreibens enthält es insbesondere eine Regelung. Die ursprünglich festgesetzten Abwassergebühren - u.a. für das Jahr 2000 - wurden neu berechnet und festgesetzt; außerdem wurde eine Erstattung des sich hieraus ergebenden Differenzbetrags verbindlich zugesagt. Nach seinem objektiven Erklärungswert stellt das Schreiben daher nicht nur eine bloße unverbindliche Ankündigung dar. Das Schreiben war bei objektiver Würdigung seines Inhalts vielmehr darauf gerichtet, eine Rechtsfolge zu setzen, und stellte somit aus der maßgeblichen Sicht des Empfängers unter Berücksichtigung der ihm erkennbaren Umstände einen Verwaltungsakt dar.
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Der Ansicht der Antragsgegnerin, es habe sich bei dem Schreiben vom 12.4.2011 um eine bloße - nicht anfechtbare - Teilabhilfe im Rahmen eines Widerspruchsverfahrens gehandelt, kann schon deshalb nicht gefolgt werden, weil zu diesem Zeitpunkt kein Widerspruchsverfahren mehr anhängig war, nachdem die Antragstellerin bereits im Jahr 2005 ihren Widerspruch für erledigt erklärt hatte. Dabei spielt es in diesem Zusammenhang keine Rolle, dass der Antragsgegnerin die Erledigung des Widerspruchsverfahrens bei Erlass des Schreibens vom 12.4.2011 nicht bekannt gewesen ist, da auf die Sicht des Empfängers des Schreibens abzustellen ist.
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2. Weiter ist das Verwaltungsgericht zu Recht davon ausgegangen, dass das als Verwaltungsakt auszulegende Schreiben vom 12.4.2011 (zunächst) dem mit dem angegriffenen Bescheid geltend gemachten Erstattungsanspruch der Antragsgegnerin entgegenstand, da es einen die Vermögensverschiebung rechtfertigenden Grund i.S.v. § 37 Abs. 2 AO (i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 2b KAG) darstellte. Die Auffassung des Antragsgegnerin, hierfür komme es allein auf die materielle Rechtslage und nicht auf den formalen Bestand eines rechtfertigenden Bescheids an, beruht auf einem fehlerhaften Verständnis der materiellen Rechtsgrundtheorie.
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Voraussetzung eines jeden Erstattungsanspruchs ist das Fehlen eines die Vermögensverschiebung rechtfertigenden Grundes. § 37 Abs. 2 AO enthält keine ausdrückliche Regelung, wann die Leistung ohne Rechtsgrund erfolgt ist. Nach der materiellen Rechtsgrundtheorie ist der rechtliche Grund allein in der materiellen Rechtslage begründet. Die formelle Rechtsgrundtheorie sieht demgegenüber in der die materiellen Rechtslage konkretisierenden Steuerfestsetzung den Rechtsgrund für die Vermögensverschiebung, auch wenn der Bescheid nicht der materiellen Rechtslage entspricht. Im Ergebnis führen jedoch beide Auffassungen regelmäßig - und auch hier - zum gleichen Ergebnis. Denn auch nach der materiellen Rechtsgrundtheorie ist die Erstattung eines nach materiellem Recht ohne rechtlichen Grund gezahlten Betrages nur dann mit Erfolg durchsetzbar, wenn der Bescheid, der der Zahlung zugrunde gelegen hat, nach formellem Recht aufgehoben oder geändert wird; die formelle Bestandskraft eines Verwaltungsakts überlagert also die materielle Fehlerhaftigkeit (vgl. zum Ganzen: BFH, Urteil vom 29.10.2002 - VII R 2/02 - BeckRS 2002, 24001213; Koenig in: Pahlke/Koenig, AO, 2. Aufl. 2009, § 37 Rn. 29ff.; Drüen in: Tipke/Kruse, AO, § 37 Rn. 27ff., insbes. Rn. 37).
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Nach beiden Auffassungen stand das als Verwaltungsakt auszulegende Schreiben der Antragsgegnerin vom 12.4.2011 also zunächst dem Rückforderungsbegehren der Antragsgegnerin entgegen.
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3. Allerdings hat die Antragsgegnerin in ihrem Bescheid vom 3.2.2012 nicht nur den aufgrund des Schreibens vom 12.4.2011 erstatteten Betrag von der Antragstellerin zurückgefordert, sondern zugleich auch noch dieses Schreiben als Grundlage der damals erfolgten Erstattung aufgehoben. Zwar hatte der Widerspruch der Antragstellerin gegen die in dem Bescheid vom 3.2.2012 verfügte Aufhebung zunächst aufschiebende Wirkung. Mittlerweile hat die Antragsgegnerin jedoch unter dem 15.3.2013 gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO den Sofortvollzug des Bescheids vom 3.2.2012 insoweit angeordnet, als darin eine Rücknahme der mit Schreiben vom 12.4.2011 verfügten Erstattung zu sehen ist. Damit trifft die tragende Annahme des Verwaltungsgerichts nicht (mehr) zu, es fehle an der Vollziehbarkeit der Rücknahme der Erstattung, weil diese aufgrund des Fehlens einer Anordnung des Sofortvollzugs nicht sofort vollziehbar sei.
16 
Die zeitlich erst nach dem Beschluss des Verwaltungsgerichts ergangene Anordnung des Sofortvollzugs ist im vorliegenden Beschwerdeverfahren zu berücksichtigen. Die Antragsgegnerin kann nicht darauf verwiesen werden, die geänderte Sachlage in einem Abänderungsverfahren nach § 80 Abs. 7 VwGO geltend zu machen. Die Frage, ob und in welchem Umfang ein neuer Vortrag im Beschwerdeverfahren berücksichtigt werden kann, ist zwar umstritten (für eine Berücksichtigung: VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 8.11.2004 - 9 S 1536/04 - NVwZ-RR 2006, 74; Kopp/Schenke, VwGO, 17. Aufl., § 146 Rn. 42; Guckelberger in: Sodan/Ziekow, VwGO, 3. Aufl., § 146 Rn. 82; a.A.: OVG Sachs.-Anh., Beschluss vom 20.12.2004 - 2 M 574/04 - juris; jeweils m.w. Nachw.). Nach Ansicht des Senats ist diese Frage jedoch im Grundsatz zu bejahen.
17 
Zur Klärung der Frage ist vom Zweck der Beschwerde auszugehen. Sie hat ebenso wie die Berufung die Aufgabe einer zweiten Tatsacheninstanz und bezweckt eine Überprüfung der angefochtenen Entscheidung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht. Daher kann es für den Erfolg der Beschwerde nicht entscheidend sein, ob das Ausgangsgericht auf der Grundlage der ihm bekannten Tatsachen richtig entschieden hat, sondern ob die Entscheidung über den Streitgegenstand im Ergebnis richtig ist. Hiervon ausgehend ist es nur folgerichtig, dass das Beschwerdegericht auch neue Tatsachen oder Änderungen der Rechtslage zu berücksichtigen hat, auf die sich der Beschwerdeführer fristgerecht beruft und die nach materiellem Recht im Zeitpunkt der Entscheidung des Rechtsmittelgerichts maßgeblich sind.
18 
4. Die Aufhebung bzw. Änderung des Bescheids vom 12.4.2011 ist voraussichtlich im Ergebnis zu Recht erfolgt. Dieser Bescheid war wohl objektiv rechtswidrig (a), sodass die Antragsgegnerin verpflichtet gewesen sein dürfte, ihn zu ändern (b).
19 
a) Der Bescheid vom 12.4.2011 enthält die Änderung eines Abgabenbescheids, nämlich der Festsetzung der Abwassergebühr für das Jahr 2000. Rechtlicher Maßstab der Änderung sind demnach die §§ 172 ff. AO (i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 4 c KAG). Deren tatbestandliche Voraussetzungen dürften hier aber nicht gegeben sein.
20 
aa) Nach § 172 Abs. 1 Nr. 2a AO (i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 4 c KAG) darf ein Abgabenbescheid zugunsten des Abgabenpflichtigen nur aufgehoben oder geändert werden, wenn dieser vor Ablauf der Widerspruchsfrist (vgl. § 3 Abs. 3 Nr. 4 KAG) zugestimmt oder einen entsprechenden Antrag gestellt hat oder soweit die Behörde einem Rechtsbehelf abhilft. Diese Voraussetzungen sind hier wohl nicht gegeben.
21 
Die zweite Alternative dieser Vorschrift - eine Abhilfe im Rahmen eines anhängigen Rechtsbehelfsverfahrens - ist im vorliegenden Fall ersichtlich nicht erfüllt. Wie bereits dargelegt, handelte es sich bei dem Schreiben vom 12.4.2011 schon deshalb nicht um eine Teilabhilfe im Rahmen eines Widerspruchsverfahrens, weil die Antragstellerin bereits im Jahr 2005 ihren Widerspruch für erledigt erklärt hatte.
22 
Aber auch die Voraussetzungen für eine Änderung auf Antrag oder mit Zustimmung des Abgabenpflichtigen liegen im vorliegenden Fall wohl nicht vor. Zwar ist in der Erhebung des Widerspruchs grundsätzlich eine (stillschweigende) Zustimmung zu einer Änderung des Verwaltungsakts zugunsten des Abgabenpflichtigen zu sehen (Koenig in: Pahlke/Koenig, AO, 2. Aufl., § 172 Rn. 25; Rüsken in: Klein, AO, 9. Aufl., § 172 Rn. 34). Hier hat die Antragstellerin zunächst Widerspruch gegen die Festsetzung der Abwassergebühren für das Jahr 2000 erhoben; sie hat jedoch im Jahr 2005 dessen Erledigung erklärt. Mit dieser Erklärung der Erledigung des Widerspruchs durch die Antragstellerin ist bei sachdienlicher Auslegung zugleich die mit der Einlegung des Widerspruchs erklärte Zustimmung zu einer Änderung des Abwassergebührenbescheids hinfällig geworden. Denn die Abgabe einer Erledigungserklärung kann nach dem objektiven Empfängerhorizont nur so verstanden werden, dass der angefochtene Verwaltungsakt - ggf. in mittlerweile geänderter Form - nunmehr akzeptiert und seine Änderung nicht mehr angestrebt wird.
23 
bb) Der Änderungsbescheid vom 12.4.2011 lässt sich auch nicht auf § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO (i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 4 c KAG) stützen. Nach dieser Vorschrift können Abgabenbescheide auch dann zu Gunsten des Abgabenpflichtigen geändert werden, wenn Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer niedrigeren Abgabe führen, und den Abgabenpflichtigen kein Verschulden an dem nachträglichen Bekanntwerden trifft. Es ist jedoch nicht ersichtlich, dass in Bezug auf die Festsetzung der Abwassergebühren für das Jahr 2000 Tatsachen oder Beweismittel in diesem Sinne nachträglich bekannt geworden sind. Das im Jahr 2010 erfolgte rückwirkende Inkrafttreten einer neuen Satzung stellt eine Rechtsänderung und keine Tatsache in diesem Sinne dar (Koenig in: Pahlke/Koenig, AO, 2. Aufl., § 173 Rn. 12).
24 
Die mit Schreiben vom 12.4.2011 erfolgte Änderung ist schließlich auch nicht von § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO gedeckt. Danach ist ein Steuerbescheid zu ändern, wenn ein Ereignis eintritt, das abgabenrechtliche Wirkung für die Vergangenheit hat. Der rückwirkende Erlass der neuen Satzung stellt indes kein rückwirkendes Ereignis im Sinne dieser Vorschrift dar (Koenig in: Pahlke/Koenig, AO, 2. Aufl., § 175 Rn. 38; Rüsken in: Klein, AO, 9. Aufl., § 175 Rn. 80).
25 
b) Die Antragsgegnerin war wohl verpflichtet, den hiernach mit hoher Wahrscheinlichkeit rechtswidrigen Änderungsbescheid vom 12.4.2011 aufzuheben. Bei diesem Änderungsbescheid handelt es sich seinerseits ebenfalls um einen abgabenrechtlichen Verwaltungsakt, da er einen Abgabenbescheid geändert hat (vgl. BFH, Urteil vom 12.1.1989 - IV R 8/88 - BFHE 156, 4). Demzufolge ist auch seine Rechtmäßigkeit anhand der §§ 172 ff. AO (i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 4 c KAG) zu beurteilen.
26 
Nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO (i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 4 c KAG) sind Abgabenbescheide zu ändern, wenn Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer höheren Abgabe führen. Tatsache im Kontext des § 173 AO ist alles, was Merkmal oder Teilstück eines gesetzlichen Steuertatbestands sein kann, also Zustände, Vorgänge, Beziehungen oder Eigenschaften sowohl materieller als auch immaterieller Art (Koenig in: Pahlke/Koenig, AO, 2. Aufl., § 173 Rn. 7). Liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen der Vorschrift vor, muss der Abgabenbescheid geändert werden, ohne dass der Behörde insoweit ein Ermessen eingeräumt wäre (Loose in: Tipke/Kruse, AO, § 173 Rn. 104).
27 
In der 2005 erfolgten Erklärung der Antragstellerin, ihr gegen den Abwassergebührenbescheid für das Jahr 2000 eingelegter Widerspruch habe sich erledigt, ist voraussichtlich eine relevante Tatsache in diesem Sinne zu sehen. Die Frage, ob noch ein offenes Widerspruchsverfahren anhängig war, ist für die Rechtmäßigkeit des Änderungsbescheids vom 12.4.2011 relevant. Insoweit kann auf die Ausführungen unter II.4.a)aa) Bezug genommen werden.
28 
Diese Tatsache war der Antragsgegnerin bei Erlass des Änderungsbescheids vom 12.4.2011 nicht bekannt. Aus den Formulierungen im Betreff („Widersprüche gegen die Abwassergebühren…“) und in der Begründung („…werden die Gebühren für die Jahre in denen noch Widersprüche offen sind…“) geht eindeutig hervor, dass die Antragsgegnerin von offenen Widerspruchsverfahren ausging und ihr nicht bekannt war, dass diese bereits im Jahr 2005 für erledigt erklärt worden waren. Unschädlich ist in diesem Zusammenhang, dass das Landratsamt als Widerspruchsbehörde über die Erledigungserklärung der Antragstellerin informiert war, denn es ist grundsätzlich auf den Kenntnisstand der für die Erhebung der Abgabe örtlich und sachlich zuständigen Behörde - hier also der Antragsgegnerin - abzustellen (vgl. Loose in: Tipke/Kruse, AO, § 173 Rn. 28).
29 
Schließlich dürfte die erneute Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO (i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 4 c KAG) auch nicht nach dem Grundsatz von Treu und Glauben ausgeschlossen sein (vgl. hierzu: Rüsken in: Klein, AO, 9. Aufl., § 173 Rn. 80 ff.). Zwar wurzelt einerseits die unterbliebene Information der Antragsgegnerin über die Beendigung des Widerspruchsverfahrens durch das Landratsamt als Widerspruchsbehörde letztlich in der Sphäre der Behörden. Dafür erscheint andererseits die Antragstellerin aber auch nicht als besonders schutzwürdig. Sowohl aus dem Anschreiben der Antragsgegnerin vom 11.2.2011 als auch aus dem Bescheid vom 12.4.2011 selbst geht eindeutig hervor, dass die Antragsgegnerin bei Erlass dieses Bescheids von offenen Widerspruchsverfahren ausgegangen ist. Auch wenn man gegenüber der Antragstellerin wohl nicht den Vorwurf der arglistigen Täuschung im Sinne von § 172 Abs. 1 Nr. 2c AO erheben kann, hat sie jedenfalls sehenden Auges einen für sie offenkundigen Irrtum der Behörde ausgenutzt.
30 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Festsetzung des Streitwerts für das Beschwerdeverfahren auf den §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit vom 7./8.7.2004 (VBlBW 2004, 467).
31 
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

(1) Steuerbescheide sind aufzuheben oder zu ändern,

1.
soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer höheren Steuer führen,
2.
soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer niedrigeren Steuer führen und den Steuerpflichtigen kein grobes Verschulden daran trifft, dass die Tatsachen oder Beweismittel erst nachträglich bekannt werden. Das Verschulden ist unbeachtlich, wenn die Tatsachen oder Beweismittel in einem unmittelbaren oder mittelbaren Zusammenhang mit Tatsachen oder Beweismitteln im Sinne der Nummer 1 stehen.

(2) Abweichend von Absatz 1 können Steuerbescheide, soweit sie auf Grund einer Außenprüfung ergangen sind, nur aufgehoben oder geändert werden, wenn eine Steuerhinterziehung oder eine leichtfertige Steuerverkürzung vorliegt. Dies gilt auch in den Fällen, in denen eine Mitteilung nach § 202 Abs. 1 Satz 3 ergangen ist.

(1) Ein Steuerbescheid ist zu erlassen, aufzuheben oder zu ändern,

1.
soweit ein Grundlagenbescheid (§ 171 Abs. 10), dem Bindungswirkung für diesen Steuerbescheid zukommt, erlassen, aufgehoben oder geändert wird,
2.
soweit ein Ereignis eintritt, das steuerliche Wirkung für die Vergangenheit hat (rückwirkendes Ereignis).
In den Fällen des Satzes 1 Nr. 2 beginnt die Festsetzungsfrist mit Ablauf des Kalenderjahrs, in dem das Ereignis eintritt.

(2) Als rückwirkendes Ereignis gilt auch der Wegfall einer Voraussetzung für eine Steuervergünstigung, wenn gesetzlich bestimmt ist, dass diese Voraussetzung für eine bestimmte Zeit gegeben sein muss, oder wenn durch Verwaltungsakt festgestellt worden ist, dass sie die Grundlage für die Gewährung der Steuervergünstigung bildet. Die nachträgliche Erteilung oder Vorlage einer Bescheinigung oder Bestätigung gilt nicht als rückwirkendes Ereignis.

(1) Bei der Aufhebung oder Änderung eines Steuerbescheids darf nicht zuungunsten des Steuerpflichtigen berücksichtigt werden, dass

1.
das Bundesverfassungsgericht die Nichtigkeit eines Gesetzes feststellt, auf dem die bisherige Steuerfestsetzung beruht,
2.
ein oberster Gerichtshof des Bundes eine Norm, auf der die bisherige Steuerfestsetzung beruht, nicht anwendet, weil er sie für verfassungswidrig hält,
3.
sich die Rechtsprechung eines obersten Gerichtshofes des Bundes geändert hat, die bei der bisherigen Steuerfestsetzung von der Finanzbehörde angewandt worden ist.
Ist die bisherige Rechtsprechung bereits in einer Steuererklärung oder einer Steueranmeldung berücksichtigt worden, ohne dass das für die Finanzbehörde erkennbar war, so gilt Nummer 3 nur, wenn anzunehmen ist, dass die Finanzbehörde bei Kenntnis der Umstände die bisherige Rechtsprechung angewandt hätte.

(2) Bei der Aufhebung oder Änderung eines Steuerbescheids darf nicht zuungunsten des Steuerpflichtigen berücksichtigt werden, dass eine allgemeine Verwaltungsvorschrift der Bundesregierung, einer obersten Bundes- oder Landesbehörde von einem obersten Gerichtshof des Bundes als nicht mit dem geltenden Recht in Einklang stehend bezeichnet worden ist.

Der Schuldner ist verpflichtet, die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Gegen Endurteile einschließlich der Teilurteile nach § 110 und gegen Zwischenurteile nach den §§ 109 und 111 steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie von dem Verwaltungsgericht oder dem Oberverwaltungsgericht zugelassen wird.

(2) Die Berufung ist nur zuzulassen,

1.
wenn ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,
2.
wenn die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,
3.
wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
4.
wenn das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
5.
wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(1) Das Verwaltungsgericht lässt die Berufung in dem Urteil zu, wenn die Gründe des § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 vorliegen. Das Oberverwaltungsgericht ist an die Zulassung gebunden. Zu einer Nichtzulassung der Berufung ist das Verwaltungsgericht nicht befugt.

(2) Die Berufung ist, wenn sie von dem Verwaltungsgericht zugelassen worden ist, innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils bei dem Verwaltungsgericht einzulegen. Die Berufung muss das angefochtene Urteil bezeichnen.

(3) Die Berufung ist in den Fällen des Absatzes 2 innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht zugleich mit der Einlegung der Berufung erfolgt, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden des Senats verlängert werden. Die Begründung muss einen bestimmten Antrag enthalten sowie die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe). Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung unzulässig.

(4) Wird die Berufung nicht in dem Urteil des Verwaltungsgerichts zugelassen, so ist die Zulassung innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils zu beantragen. Der Antrag ist bei dem Verwaltungsgericht zu stellen. Er muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Die Stellung des Antrags hemmt die Rechtskraft des Urteils.

(5) Über den Antrag entscheidet das Oberverwaltungsgericht durch Beschluss. Die Berufung ist zuzulassen, wenn einer der Gründe des § 124 Abs. 2 dargelegt ist und vorliegt. Der Beschluss soll kurz begründet werden. Mit der Ablehnung des Antrags wird das Urteil rechtskräftig. Lässt das Oberverwaltungsgericht die Berufung zu, wird das Antragsverfahren als Berufungsverfahren fortgesetzt; der Einlegung einer Berufung bedarf es nicht.

(6) Die Berufung ist in den Fällen des Absatzes 5 innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses über die Zulassung der Berufung zu begründen. Die Begründung ist bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Absatz 3 Satz 3 bis 5 gilt entsprechend.