Verwaltungsgericht Düsseldorf Beschluss, 03. Nov. 2015 - 27 L 888/15
Tenor
Die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin vom 13. März 2015 (27 K 2032/15) gegen Ziffer 1 des Bescheides der Antragsgegnerin vom 11. Februar 2015 (I-S-5.1-4-8-1/-2, 4 bis 12) zur Zuweisung von 11 UKW-Übertragungskapazitäten an die Beigeladene wird wiederhergestellt.
Die Kosten des Verfahrens tragen die Antragsgegnerin und die Beigeladene jeweils zur Hälfte.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 100.000 Euro festgesetzt.
1
Gründe:
2Der am 13. März 2015 wörtlich gestellte Antrag,
3die aufschiebende Wirkung der Klage vom heutigen Tage gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 11. Februar 2015 anzuordnen,
4ist angesichts der fehlenden gesetzlichen Anordnung des Sofortvollzugs nach § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 1-3 und S. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) und der durch die Antragsgegnerin in Ziffer 5 des Bescheides gemäß § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO erfolgten Anordnung seiner sofortigen Vollziehung als Wiederherstellungsantrag nach §§ 80 Abs. 5 S. 1 2. Alt., 80a Abs. 3 VwGO auszulegen. Der so verstandene Antrag ist zulässig (I.) und begründet (II.).
5I. Der Antrag ist zulässig.
61. Der Antrag nach §§ 80 Abs. 5, 80a Abs. 3 VwGO ist statthaft. Denn bei dem angegriffenen Zuweisungsbescheid handelt es sich um einen Verwaltungsakt mit Doppelwirkung im Sinne der §§ 80 Abs. 1 S. 2, 80a VwGO. Die Zuweisung einer Übertragungskapazität an einen Veranstalter
7– der Bescheid der Antragsgegnerin vom 11. Februar 2015 spricht unter Ziffer 1 insoweit offensichtlich versehentlich von einer Zuordnung statt einer Zuweisung der Übertragungskapazitäten an die Beigeladene –
8enthält für diesen eine Begünstigung, für die erfolglosen Mitbewerber – wie die Antragstellerin – hingegen eine Belastung im Sinne eines rechtlich erheblichen Nachteils, weil das Recht auf chancengleiche Teilhabe an vorhandenen Kapazitäten berührt wird. Die Sicherung dieses Anspruchs kann die Antragstellerin mit dem Antrag nach §§ 80 Abs. 5, 80a Abs. 3 VwGO verfolgen, so dass ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 123 Abs. 5 VwGO ausgeschlossen ist.
9Vgl. ständige Rechtsprechung in medienrechtlichen Konkurrentenstreitverfahren, z.B. OVG Berlin, Beschluss vom 5. Januar 1995 – 8 S 898.94 –, juris (Rn. 2); OVG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 2. Juli 1996 – 3 M 24/96 –, juris (Rn. 43 f.); OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 22. September 1993 – 2 M 8/93 –, LKV 1994, 60; Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 18. April 1996 – 10 M 1162/96 u.a. –, DÖV 1996, 923; VG Düsseldorf, Beschlüsse vom 29. Juli 1997 – 15 L 2902/97 –, ZUM 1998, 508 (512) und 23. August 2001 – 15 L 349/01 –, S. 18 des Entscheidungsabdrucks.
102. Die Antragstellerin ist auch entsprechend § 42 Abs. 2 VwGO antragsbefugt.
11Ihr fehlt die Antragsbefugnis zwar insoweit, als sie sich darauf beruft, dass die der Zuweisung zu Grunde liegende Zuordnung von 13 Übertragungskapazitäten – die streitbefangenen sowie zwei weitere Kapazitäten an den Senderstandorten F. und H. – mit Bescheid der Ministerpräsidentin des Landes Nordrhein-Westfalen vom 2. September 2013 an die Antragsgegnerin wegen Verfassungswidrigkeit der Rechtsgrundlage (Verstoß gegen das Prinzip der Staatsferne durch Zuweisung der Aufgabe der Zuordnung an die Ministerpräsidentin), Rechtsverstößen bei der Bedarfsanmeldung durch die Antragsgegnerin sowie Vorrangs des lokalen Hörfunks rechtswidrig sei. Die Zuordnung von Übertragungskapazitäten nach §§ 10 und 11 des Landesmediengesetzes Nordrhein-Westfalen (LMG NRW) stellt aufgrund ihrer unmittelbaren Rechtswirkung nach außen einen Verwaltungsakt dar. Klagebefugt sind insoweit aber grundsätzlich lediglich die Bedarfsträger, d.h. der betreffende öffentlich-rechtliche Veranstalter einerseits und die Antragsgegnerin andererseits.
12Vgl. Moskob in: Schwartmann/Sporn, Landesmediengesetz Nordrhein-Westfalen – Kommentar, Stand: Oktober 2013, § 11 Rn. 30 ff.
13Es erscheint nicht ausgeschlossen, dass auch ein einzelner privater Rundfunkveranstalter die Rechtswidrigkeit einer Zuordnung von Übertragungskapazitäten an den öffentlich-rechtlichen Rundfunkveranstalter geltend machen kann. Jedenfalls aber ist eine Verletzung eigener Rechte des privaten Rundfunkveranstalters von vornherein ausgeschlossen, wenn die Zuordnung – wie hier – nicht zu Gunsten des konkurrierenden öffentlich-rechtlichen Veranstalters, sondern der Antragsgegnerin erfolgt. Denn die Zuordnung an die Antragsgegnerin wirkt insoweit zu Gunsten und nicht zulasten privater Rundfunkveranstalter. Sie ist nämlich überhaupt Voraussetzung für die Teilnahme eines jeden privaten Rundfunkveranstalters am anschließenden Zuweisungsverfahren.
14Gleiches gilt, soweit die Antragstellerin die Rechtswidrigkeit des Ausschreibungsgegenstandes rügt und insoweit geltend macht, dass es erstens sowohl formell als auch materiell unzulässig gewesen sei, die zwei Übertragungskapazitäten an den Senderstandorten F. und H. nicht für den vor der Zuordnung angemeldeten Bedarf auszuschreiben, zweitens für den ausgeschriebenen landesweiten Hörfunk von vornherein ausreichend Übertragungskapazitäten fehlten und drittens fehlerhaft Frequenzen statt lediglich Übertragungskapazitäten ausgeschrieben und später zugewiesen worden seien. Die Herausnahme von zwei Übertragungskapazitäten an den Senderstandorten F. und H. aus dem der Antragsgegnerin zugeordneten Block von Übertragungskapazitäten für „landesweiten Hörfunk“ wirft zwar jedenfalls Fragen der funktionellen Zuständigkeit auf. Etwaige Rechtsfehler in diesem Bereich berühren aber nicht die Antragstellerin, die in der Hauptsache lediglich die Zuweisung der übrigen Übertragungskapazitäten an die Beigeladene anficht und auch nur insoweit eine Neubescheidung begehrt. Zu den zwei Übertragungskapazitäten an den Senderstandorten F. und H. enthält der Zuweisungsbescheid der Antragsgegnerin vom 11. Februar 2015 keine die Antragstellerin belastende Regelung. Auch wenn der Ausschreibungsgegenstand insoweit ungenau bezeichnet worden sein sollte, als eine landesweite Verbreitung von privatem Hörfunk mit den wenigen streitbefangenen, nicht leistungsstarken Ressourcen nicht realisierbar ist (was tatsächlich in der Ausschreibung selbst unter I. festgestellt wird),
15„Die derzeit der Ausschreibung zu Grunde liegenden 11 terrestrischen Frequenzen ermöglichen eine landesweite flächendeckende Versorgung in Nordrhein-Westfalen nicht. Die LfM sieht hierin einen ersten Schritt zur Realisierung eines landesweit verbreiteten Hörfunkprogramms.“
16und die Nennung konkreter Frequenzen mit Leistungsstärke, Antennenbeschaffenheit und maximal zulässiger effektiver Antennenhöhe in der Ausschreibung und im Zuweisungsbescheid fehlerhaft sein sollte, ist nicht ersichtlich, dass die Antragstellerin hierdurch in eigenen Rechten verletzt sein könnte. Sie hat vielmehr offensichtlich erkannt, was tatsächlich Gegenstand der Ausschreibung und Zuweisung ist, und verfolgt mit dem vorläufigen Rechtsschutzantrag dementsprechend den Schutz ihrer Rechte im Verfahren auf Zuweisung dieser Übertragungskapazitäten. Ein Anspruch auf allgemeine Rechtskontrolle besteht nicht.
17Allerdings ist die Antragstellerin insoweit antragsbefugt, als sie geltend macht, in eigenen Rechten verletzt zu sein, weil sie die der Beigeladenen zugewiesenen Übertragungskapazitäten für sich beansprucht und hierzu vorträgt, infolge von Fehlern im Zuweisungsverfahren sowie bei der Vorrangentscheidung übergangen worden zu sein.
18Vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 22. September 1993 – 2 M 8/93 –, LKV 1994, 60.
19II. Der Antrag ist auch begründet. Die Antragsgegnerin hat die Vollziehungsanordnung im angegriffenen Bescheid vom 11. Februar 2015 zwar gemäß § 80 Abs. 3 S. 1 VwGO ausreichend schriftlich begründet (vgl. die Ausführungen auf S. 81 des Bescheides). Die Vollziehungsanordnung hat aber in materieller Hinsicht keinen Bestand.
20Einen eigenständigen materiell-rechtlichen Maßstab für die Entscheidung des Gerichts enthält § 80a Abs. 3 VwGO nicht. Der Verweisung in § 80a Abs. 3 S. 2 VwGO auf § 80 Abs. 5 VwGO ist allerdings zu entnehmen, dass im Rahmen der Bescheidung eines Antrags auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage des belasteten Dritten gegen einen durch die Behörde für sofort vollziehbar erklärten, einen anderen begünstigenden Verwaltungsakt ebenfalls eine Interessenabwägung vorzunehmen ist. Dabei ist zu berücksichtigen, dass auch bei der Anfechtung solcher Verwaltungsakte mit Doppelwirkung die aufschiebende Wirkung des Rechtsmittels gesetzliche Regel ist (vgl. § 80 Abs. 1 S. 2 i.V.m. S. 1 VwGO). Im Rahmen der Interessenabwägung ist der Gesichtspunkt der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes bzw. der Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache von wesentlicher Bedeutung. In der Regel überwiegt das öffentliche/private Vollziehungsinteresse, wenn sich der angegriffene Verwaltungsakt nach der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren angezeigten summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage als rechtmäßig erweist und der Rechtsbehelf in der Hauptsache ohne Aussicht auf Erfolg sein dürfte. Demgegenüber überwiegt grundsätzlich das private Aussetzungsinteresse, wenn sich der Verwaltungsakt nach diesem Maßstab als rechtswidrig erweist, den belasteten Dritten in seinen Rechten verletzt und der Rechtsbehelf daher in der Hauptsache voraussichtlich Erfolg haben wird; an der Vollziehung eines rechtswidrigen Bescheides besteht grundsätzlich kein schutzwürdiges öffentliches Interesse.
21Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 30. Juli 2015 – 8 B 430/15 –, juris (Rn. 18); OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 17. März 2014 – 1 M 213/13 –, juris (Rn. 19); OVG Berlin, Beschluss vom 5. Januar 1995 – 8 S 898.94 –, juris (Rn. 4).
22Diese Interessenabwägung geht hier zu Gunsten der Antragstellerin aus. Der Zuweisungsbescheid der Antragsgegnerin vom 11. Februar 2015 erweist sich nach summarischer Prüfung als rechtswidrig (1.) und verletzt die Antragstellerin in ihren Rechten (2.). Ein sonstiges überwiegendes Interesse der Öffentlichkeit oder der Beigeladenen an der sofortigen Vollziehung des Zuweisungsbescheides besteht nicht (3.).
231. Der Zuweisungsbescheid vom 11. Februar 2015 entspricht nicht den gesetzlichen Vorgaben des Landesmediengesetzes Nordrhein-Westfalen für die Zuweisung von Übertragungskapazitäten. Dabei findet das LMG NRW aufgrund zwischenzeitlicher Änderungen im Laufe des Zuweisungsverfahrens zeitlich und sachlich in unterschiedlicher Fassung Anwendung: Bis zum Inkrafttreten des Gesetzes vom 18. Dezember 2014
24Gesetz zur Zustimmung zum 16. Rundfunkänderungsstaatsvertrag und zur Änderung des Landesmediengesetzes Nordrhein-Westfalen (GV. NRW. 2015 S. 72 – ZustG zum 16. RFÄndStV)
25am 23. Januar 2015, dem Tag, an dem die Medienkommission der Antragsgegnerin die Zuweisung der streitbefangenen Übertragungskapazitäten an die Beigeladene beschlossen hat, galt für das vorliegende Zuweisungsverfahren, in dem die Ausschreibung am 28. April 2014 endete, das LMG NRW in der Fassung des Gesetzes vom 19. Dezember 2013 (LMG NRW 2013).
26Gesetz zur Änderung des Korruptionsbekämpfungsgesetzes und weiterer Gesetze (GV. NRW. 2013 S. 875 – ÄndG zum KorrBekG).
27Seit dem 23. Januar 2015 gelten für dieses Zuweisungsverfahren nur noch die Vorgaben der Abschnitte 2 bis 4 des LMG NRW 2013, im übrigen jedoch die aktuellen Regelungen des LMG NRW in der Fassung des Gesetzes vom 18. Dezember 2014 (LMG NRW 12/2014). Zwar sah § 128 LMG NRW in der Fassung des 14. Rundfunkänderungsgesetzes vom 4. Juli 2014 (LMG NRW 7/2014),
28Gesetz zur Änderung des Landesmediengesetzes Nordrhein-Westfalen und des Telemedienzuständigkeitsgesetzes (GV. NRW. 2014 S. 387 – 14. RFÄndG),
29mit dem das LMG NRW grundlegend novelliert worden ist, zunächst vor, dass für Verfahren zur Zuweisung von Übertragungskapazitäten, in denen – wie vorliegend – die Ausschreibung vor dem 1. Juli 2014 endete, dieses Gesetz (in Gänze) in der Fassung des Gesetzes vom (1)9. Dezember 2013 gilt. Mit Art. 2 Nr. 6 ZustG zum 16. RFÄndStV ist § 128 LMG NRW jedoch dahingehend korrigiert worden, dass für diese Zuweisungsverfahren nicht „dieses Gesetz“, sondern (nur) die Vorgaben der Abschnitte 2 bis 4 dieses Gesetzes in der Fassung des Gesetzes vom (1)9. Dezember 2013 gelten. Zudem wurde bereits durch § 127 Abs. 1 LMG NRW 7/2014 die (bis) zum 1. Juli 2014 laufende Amtszeit der Medienkommission bis zum 1. März 2015 verlängert. § 127 Abs. 1 S. 2 LMG NRW 12/2014 sieht hierzu ergänzend vor, dass für die bis zum Zusammentritt der neuen Medienkommission amtierende Medienkommission die Vorschriften zur Inkompatibilität und Zusammensetzung in §§ 91 und 93 in der Fassung des LMG NRW 2013 weiterhin Anwendung finden.
30Auf dieser Grundlage ist der Zuweisungsbescheid der Antragsgegnerin vom 11. Februar 2015 zwar formell rechtmäßig (a), materiell jedoch rechtswidrig (b).
31a) In formeller Hinsicht bestehen hinsichtlich des Zuweisungsbescheides selbst keine rechtlichen Bedenken. Insbesondere ergibt sich ein Rechtsverstoß insoweit nicht – wie von der Antragstellerin geltend gemacht – daraus, dass der Direktor der Antragsgegnerin entgegen § 100 Abs. 1 S. 2 LMG NRW 12/2014 nicht die Befähigung zum Richteramt besitzt. Denn diese mit dem 14. RFÄndG eingeführte Anforderung steht systematisch im Zusammenhang mit den Vorschriften zur Wahl des Direktors und führt nicht zum Verlust der Amtsstellung des aktuellen, im März 2010 nach den damaligen Vorschriften von der Medienkommission für sechs Jahre gewählten Direktors, wenn er nicht über diese Befähigung verfügt.
32b) Der Zuweisungsbescheid ist jedoch in materieller Hinsicht rechtswidrig. Denn er vollzieht einen rechtswidrigen Beschluss der Medienkommission.
33Vgl. zur ähnlichen Konstellation im Kommunalrecht: VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 23. Juni 2015 – 8 S 1386/14 –, juris (Rn. 40 und 58); dass., Beschluss vom 25. Februar 2013 – 1 S 2155/12 –, juris (Rn. 9 f.).
34Gemäß § 12 Abs. 1 S. 1 LMG NRW 2013 bedarf derjenige, der nach § 8 (zur Veranstaltung von Rundfunk) zugelassen ist, zur Verbreitung des Rundfunkprogramms durch terrestrische Sender der Zuweisung einer Übertragungskapazität. Nach § 13 LMG NRW 2013 darf eine Übertragungskapazität zur Verbreitung von Rundfunkprogrammen nur solchen Veranstaltern zugewiesen werden, die erwarten lassen, dass sie jederzeit wirtschaftlich und organisatorisch in der Lage sind, die Anforderungen an die antragsgemäße Verbreitung des Programms zu erfüllen. Bestehen keine ausreichenden Übertragungskapazitäten für alle Antragstellenden, die die Voraussetzungen nach § 13 erfüllen, trifft die Antragsgegnerin gemäß § 14 Abs. 1 LMG NRW 2013 eine Vorrangentscheidung und berücksichtigt dabei die Meinungsvielfalt in den Programmen (Programmvielfalt) und die Vielfalt der Programmanbieter (Anbietervielfalt). Die Gesichtspunkte, nach denen die Antragsgegnerin den Beitrag eines Programms zur Programmvielfalt sowie das Bestehen und den Umfang von Anbietervielfalt beurteilt, sind in § 14 Abs. 2 und 3 LMG NRW 2013 dargelegt (u.a. inhaltliche Vielfalt des Programms, Beitrag zur Vielfalt des Gesamtangebots und Beitrag des Antragstellenden zur publizistischen Vielfalt und zur Angebotsvielfalt). §§ 15 f. LMG NRW 2013 regeln Einzelheiten zur Ausschreibung und zum Zuweisungsverfahren, insbesondere zu den Antragserfordernissen. Nach § 17 Abs. 1 S. 1 LMG NRW 2013 erfolgt die Zuweisung einer Übertragungskapazität durch schriftlichen Bescheid der Antragsgegnerin, der das Verbreitungsgebiet, die Verbreitungsart und die zu nutzende Übertragungskapazität bestimmt.
35Eine auf der Grundlage des § 14 LMG NRW 2013 getroffene Vorrangentscheidung zur Zuweisung einer Übertragungskapazität zur Verbreitung eines terrestrischen Rundfunkprogramms unterliegt nur einer beschränkten gerichtlichen Überprüfung. Denn die Vorrangentscheidung ist nach dem Willen des Gesetzgebers (vgl. §§ 94 Abs. 1, 103 LMG NRW 12/2014) durch die pluralistisch besetzte (vgl. § 93 Abs. 1-3 LMG NRW 2013) und aus weisungsunabhängigen Mitgliedern (vgl. § 95 Abs. 1 S. 2 LMG NRW 12/2014) bestehende Medienkommission der Antragsgegnerin aufgrund einer komplexen Abwägung zu treffen, welche die wertende Ausfüllung von unbestimmten Rechtsbegriffen (wie z.B. die Programm- und Anbietervielfalt) verlangt. Das Gericht darf nur die Einhaltung dieses Beurteilungsspielraums überprüfen, nicht jedoch seine Wertungen an die Stelle derjenigen der Medienkommission setzen. Die gerichtliche Kontrolle muss – wie auch in anderen Fällen eines Beurteilungsspielraums – darauf beschränkt bleiben, ob das Verfahren ordnungsgemäß durchgeführt worden ist, die Medienkommission den Sinn der gesetzlichen Auswahlkriterien zutreffend erfasst hat, von einem richtigen und vollständigen Sachverhalt ausgegangen ist, die normativen Maßstäbe fehlerfrei angewandt hat und sich dabei insbesondere nicht von sachfremden und willkürlichen Erwägungen hat leiten lassen.
36Vgl. allgemein: Wolff in: Sodan/Ziekow, Verwaltungsgerichtsordnung – Großkommentar, 4. Aufl., § 114, Rn. 354; speziell zu medienrechtlichen Konkurrentenstreitverfahren: Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 10. Mai 2013 – 10 ME 21/13 –, juris (Rn. 16 f.); OVG Berlin, Beschluss vom 25. September 1996 – 8 S 280.96 –, juris (Rn. 17); OVG NRW, Urteil vom 27. Oktober 1998 – 5 A 1816/97 –, juris (Rn. 14); VG Düsseldorf, Beschlüsse vom 29. Juli 1997 – 15 L 2902/97 –, ZUM 1998, 508 (513) und 23. August 2001 – 15 L 349/01 –, S. 24 des Entscheidungsabdrucks; VG Berlin, Urteil vom 12. November 2010 – 27 K 240.10 –, juris (Rn. 74); zum sogenannten Bewerbungsverfahrensanspruch im beamtenrechtlichen Konkurrentenstreit: BVerwG, Urteil vom 19. Dezember 2002 – 2 C 31.01 –, juris (Rn. 17); OVG NRW, Beschluss vom 2. September 2015 – 6 B 808/15 –, juris (Rn. 4); zum gewerberechtlichen Konkurrentenstreit: OVG NRW, Beschluss vom 2. Juli 2010 – 4 B 643/10 –, juris (Rn. 5); Bayerischer VGH, Urteil vom 22. Juli 2015 – 22 B 15.620 –, juris (Rn. 45).
37Die Medienkommission hat das Zuweisungsverfahren nicht ordnungsgemäß durchgeführt. Der Beschluss der Medienkommission auf ihrer 64. Sitzung vom 23. Januar 2015, mit dem unter dem Tagesordnungspunkt 16
38„Zuweisung von Übertragungskapazitäten gem. §§ 12, 17 LMG NRW –hier: Ausschreibung analoger terrestrischer Übertragungskapazitäten (UKW) – landesweite Kette“
39der Vorlage Nr. V-000/14 des Direktors der Antragsgegnerin zur Zuweisung der 11 streitbefangenen UKW-Übertragungskapazitäten an die Beigeladene gemäß §§ 12 ff. LMG NRW 2013 unter Ablehnung der übrigen Zuweisungsanträge mehrheitlich zugestimmt worden ist, leidet an einem grundlegenden Verfahrensmangel.
40Dabei kann dahingestellt bleiben, ob sich ein Verfahrensmangel bereits daraus ergibt, dass zwei Mitglieder der Medienkommission (K. A. und D. E. ) die 64. Sitzung der Medienkommission am 23. Januar 2015 – wie die Antragsgegnerin in ihrem Schriftsatz vom 19. August 2015 auf eine entsprechende Anfrage des Gerichts eingeräumt hat – speziell und ausschließlich zum fraglichen Tagesordnungspunkt 16 vorübergehend verlassen haben, um der Besorgnis der Befangenheit entgegenzuwirken. Es besteht zwar nach dem Landesmediengesetz keine unmittelbare Pflicht der Mitglieder der Medienkommission zur Teilnahme an jeder Sitzung in voller Länge. Dementsprechend ist die Medienkommission auch bereits dann beschlussfähig, wenn zwei Drittel ihrer Mitglieder anwesend sind (vgl. § 98 Abs. 5 LMG NRW 12/2014). Allerdings ergibt sich aus dem Gesetz, dass für jedes Mitglied zugleich eine Stellvertreterin oder ein Stellvertreter zu bestimmen ist, der im Fall der Verhinderung des ordentlichen Mitglieds an den Sitzungen teilnimmt (§ 93 Abs. 6 LMG NRW 2013). Dem lässt sich entnehmen, dass das Gesetz eine möglichst umfassende Teilnahme der Mitglieder an den Sitzungen der Medienkommission sicherstellen will. Außerdem trifft § 95 Abs. 6 LMG NRW 12/2014 i.V.m. §§ 20 f. des Verwaltungsverfahrensgesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen (VwVfG NRW) eine ausdrückliche Regelung für den hier von der Antragsgegnerin geltend gemachten Fall der Besorgnis der Befangenheit eines einzelnen Mitgliedes. Danach hat das betreffende Mitglied die Vorsitzende oder den Vorsitzenden unverzüglich auf den entsprechenden Grund hinzuweisen und die Medienkommission sodann über das Vorliegen der Besorgnis der Befangenheit zu entscheiden. Jedenfalls Letzteres ist hier nicht geschehen. Eine Umgehung dieser Regelung könnte die vom Gesetz ausdrücklich geforderte größtmögliche Transparenz gegenüber der Öffentlichkeit (vgl. § 88 Abs. 2 S. 1 LMG NRW 12/2014) beeinträchtigen. Dies gilt insbesondere angesichts der knappen, mit einer Mehrheit von nur zwei Stimmen getroffenen Entscheidung der Medienkommission im vorliegenden Verfahren.
41Jedenfalls aber verstößt die in nichtöffentlicher Sitzung erfolgte Beschlussfassung der Medienkommission am 23. Januar 2015 zum Tagesordnungspunkt 16
42– ausweislich der entsprechenden Feststellung auf Seite 11 der Niederschrift über die 64. Sitzung der Medienkommission (Pr.-Nr. MK V-64/15) erfolgte die Beratung ab Tagesordnungspunkt 10 (mit Ausnahme der vorgezogenen Punkte 22 und 23) nichtöffentlich –
43gegen den Grundsatz der Öffentlichkeit ihrer Sitzungen: Dieser Grundsatz galt zu diesem Zeitpunkt auch für das vorliegende Zuweisungsverfahren (aa). Ein wirksamer Ausschluss der Öffentlichkeit fehlt (bb) und ein Ausschluss hätte auch nicht zwingend erfolgen müssen (cc). Dieser Verfahrensfehler ist schließlich nicht unbeachtlich (dd).
44aa) Genau zum Tag der Beschlussfassung der Medienkommission am 23. Januar 2015 zum fraglichen Tagesordnungspunkt 16 hatte der Landesgesetzgeber den mit Art. 1 Nr. 64 a) 14. RFÄndG in § 98 Abs. 2 LMG NRW allgemein zum 17. Juli 2014 eingeführten Öffentlichkeitsgrundsatz auch auf bereits laufende Zuweisungsverfahren erstreckt, indem er mit Art. 2 Nr. 6 ZustG zum 16. RFÄndStV die diesbezügliche Fortgeltung des alten Rechts auf die gesetzlichen Vorgaben zur Zulassung und Zuweisung von Übertragungskapazitäten in den Abschnitten 2 bis 4 beschränkt hat. Die gezielte Erstreckung dieses Grundsatzes auf laufende Zuweisungsverfahren ergibt sich ausdrücklich aus der Begründung des Entwurfs der Landesregierung zum ZustG zum 16. RFÄndStV, in der festgestellt wird, dass „(die) Maßgaben etwa zur Öffentlichkeit der Sitzungen der Medienkommission … von dieser Übergangsregelung unberührt (bleiben) und … unmittelbar Anwendung (finden).“
45LT-Drs. 16/7091, S. 11.
46bb) Ein wirksamer Ausschluss der Öffentlichkeit bei der Behandlung des fraglichen Tagesordnungspunktes 16 der 64. Sitzung der Medienkommission vom 23. Januar 2015 fehlt. § 98 Abs. 2 S. 2 LMG NRW 12/2014 sieht vor, dass die Medienkommission in begründeten Ausnahmefällen mit der Mehrheit der Stimmen ihrer Mitglieder den Ausschluss der Öffentlichkeit, die nach Satz 1 grundsätzlich gegeben ist, beschließen kann. Personalangelegenheiten, die aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes des Personals der Landesmedienanstalt vertraulich sind, sind stets unter Ausschluss der Öffentlichkeit zu behandeln (S. 3). Gemäß Satz 4 kann die Öffentlichkeit durch Satzung für solche Angelegenheiten ausgeschlossen werden, bei denen die Erörterung von Betriebs- oder Geschäftsgeheimnissen Dritter unvermeidlich ist.
47Keine dieser Voraussetzungen ist erfüllt. Der Fall des gesetzlichen Ausschlusses der Öffentlichkeit in Personalangelegenheiten (§ 98 Abs. 2 S. 3 LMG NRW 12/2014) lag insoweit nicht vor. Auch griff kein Ausschluss der Öffentlichkeit durch Satzung gemäß § 98 Abs. 2 S. 4 LMG NRW 12/2014 ein. § 7 Abs. 2 der Hauptsatzung der Antragsgegnerin vom 1. April 2011 (GV. NRW. S. 205 – HauptS) führt lediglich die früheren Vorgaben des § 98 Abs. 2 LMG NRW 2013 zur grundsätzlichen Nichtöffentlichkeit der Sitzung der Medienkommission mit fakultativer Ausnahme an und setzt für eine solche Ausnahme die Zustimmung der Mehrheit der Mitglieder voraus.
48Zwar hat die Antragsgegnerin nach der Revision des Landesmediengesetzes ihre Hauptsatzung mit der 1. Änderungssatzung vom 28. August 2015 (GV. NRW. S. 669) überarbeitet. Die Korrektur betrifft jedoch ausschließlich die funktionelle Zuständigkeit für die Aufgaben der Telemedienaufsicht nach § 59 Abs. 2 des Rundfunkstaatsvertrags (RStV) sowie der Verfolgung und Ahndung bestimmter Ordnungswidrigkeiten. Die Regelungen in der Hauptsatzung zur Nichtöffentlichkeit der Sitzungen der Medienkommission sind dagegen trotz der gesetzgeberischen Korrekturen in diesem Bereich noch unverändert geblieben.
49Schließlich hat die Medienkommission die Öffentlichkeit für diese Sitzung zum Tagesordnungspunkt 16 auch nicht wirksam als begründeten Ausnahmefall nach § 98 Abs. 2 S. 2 LMG NRW 12/2014 ausgeschlossen.
50Eine ausdrückliche Entscheidung der Medienkommission zu dieser Frage mit der Mehrheit ihrer Mitglieder ist insbesondere nicht in der Niederschrift über diese 64. Sitzung der Medienkommission (Pr.-Nr. MK V-00/15) enthalten, obwohl das Justiziariat der Antragsgegnerin in einem internen Vermerk vom 19. Januar 2015 zum Ablauf der Sitzung vom 23. Januar 2015 einen entsprechenden Beschluss ausdrücklich empfohlen hatte.
51Der im Protokoll zum Tagesordnungspunkt 1b) festgestellten einstimmigen Genehmigung der Tagesordnung durch die Medienkommission kommt als solches keine Aussagekraft in Bezug auf einen Ausschluss der Öffentlichkeit zu. Denn die der Niederschrift vorangestellte Tagesordnung enthält keine Feststellung zur Öffentlichkeit oder Nichtöffentlichkeit der Sitzung zu den einzelnen Punkten. Gleiches gilt hinsichtlich der den Mitgliedern der Medienkommission im Vorfeld mit ihrer Einladung mit Schreiben ihres Vorsitzenden vom 9. Januar 2015 übersandten Tagesordnung selbst. Soweit das Einladungsschreiben nach der Mitteilung der Tagesordnung und der Unterschrift in der Art eines Postskriptums den Zusatz enthält, dass die Tagesordnungspunkte 10-21 „voraussichtlich in nicht-öffentlicher Sitzung behandelt (werden)“, ist eine Auflösung dieses Vorbehaltes durch eine entsprechende Mehrheitsentscheidung der Medienkommission gerade nicht ersichtlich.
52Ein Beschluss der Medienkommission zum Ausschluss der Öffentlichkeit lässt sich auch nicht dem Umstand entnehmen, dass die Genehmigung der Tagesordnung „unter Berücksichtigung der Hinweise zum Ausschluss der Öffentlichkeit bei den Tagesordnungspunkten 10 bis 21 sowie 24“ erfolgte. Die Annahme eines entsprechenden konkludenten Beschlusses erscheint bereits grundsätzlich zweifelhaft, weil sie der Bedeutung einer solchen Maßnahme nicht gerecht werden dürfte. Jedenfalls scheitert eine dahingehende Annahme hier daran, dass nicht ersichtlich ist, dass den Mitgliedern der Medienkommission bei dieser Genehmigung der Tagesordnung die Tragweite einer solchen Entscheidung bewusst war, nämlich entgegen den nunmehr ab dem Tag dieser Sitzung auch für den Tagesordnungspunkt 16 geltenden Vorgaben ausnahmsweise die Öffentlichkeit auszuschließen. Die Formulierung der „Berücksichtigung der Hinweise“ erweckt vielmehr den Eindruck, dass die Medienkommission den von anderer Seite festgestellten Ausschluss der Öffentlichkeit lediglich zur Kenntnis nimmt. Hinzu kommt, dass nicht zweifelsfrei ist, um welche Hinweise es sich bei dieser Bezugnahme genau handelt. Angesichts dessen geht aus der Niederschrift auch nicht hervor, aus welchem konkreten Grund der Ausschluss erfolgt sein soll, obwohl dies zur erforderlichen Dokumentation des Ablaufs, jedenfalls aber der Entscheidungen der Medienkommission im Hinblick auf eine spätere rechtliche Überprüfung naheliegt (vgl. allgemein § 11 HauptS). Dies wiegt umso schwerer, als bei einer Auslegung im oben genannte Sinne über den relevanten Tagesordnungspunkt 16 hinaus die Öffentlichkeit für eine Vielzahl von Tagesordnungspunkten ausgeschlossen worden wäre, obgleich die betreffenden Beratungsgegenstände durchaus unterschiedlicher Natur waren: u.a. Zuweisung von Übertragungskapazitäten (TOP 11 und 15), Zulassung privater Rundfunkveranstalter (TOP 17), Beanstandungsverfahren nach § 118 LMG NRW (TOP 12), -B. e.V. (TOP 13), Q. e.V. (TOP 14).
53Vgl. zu diesem Gesichtspunkt hinsichtlich des Kommunalrechts: Hessischer VGH, Urteil vom 6. November 2008 – 8 A 674/08 –, juris (Rn. 32).
54Ein entsprechender Ausschlussgrund wird auch in der Tagesordnung, die den Mitgliedern der Medienkommission mit der Einladung übersandt worden ist, nicht inhaltlich benannt. Der Rückschluss auf einen Ausschlussgrund ließe sich allenfalls aus dem Vermerk des Justiziariats der Antragsgegnerin vom 19. Januar 2015 ziehen, der eine Behandlung auch des Tagesordnungspunktes 16 in nicht-öffentlicher Sitzung empfahl, da es insoweit voraussichtlich um die Erörterung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen gehen werde. Es ist jedoch weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass sämtlichen Mitgliedern der Medienkommission dieser Vermerk mit den Ausschlussgründen überhaupt bekannt war, geschweige denn vorgelegen hat. Hiergegen spricht insbesondere auch, dass einem Mitglied der Medienkommission (erst) auf Nachfrage zum Ausschluss der Öffentlichkeit zu den Tagesordnungspunkten 12 und 13 der vorangegangenen 63. Sitzung vom 12. Dezember 2014 unter vergleichbaren Umständen im wesentlichen der in dem zugehörigen Vermerk des Justiziariats der Antragsgegnerin vom 8. Dezember 2014 benannte Ausschlussgrund mitgeteilt wurde.
55Vgl. auch insoweit Hessischer VGH, a.a.O.
56Vor diesem Hintergrund lässt sich auch der Feststellung in der Niederschrift über die 64. Sitzung vor dem Tagesordnungspunkt 10, dass die folgenden Tagesordnungspunkte – ohne Angabe von Gründen – unter Ausschluss der Öffentlichkeit beraten werden, ein dahingehender Beschluss der Medienkommission mit der erforderlichen Mehrheit ihrer Mitglieder nicht entnehmen.
57cc) Die Medienkommission hätte die Öffentlichkeit bei der Erörterung des Tagesordnungspunktes 16 ihrer 64. Sitzung vom 23. Januar 2015 auch nicht zwingend ausschließen müssen. Unabhängig von der Frage einer entsprechenden Reduzierung ihres nach § 98 Abs. 2 S. 2 LMG NRW 12/2014 insoweit grundsätzlich bestehenden Ermessens spricht Überwiegendes dafür, dass hinsichtlich der Behandlung dieses Tagesordnungspunktes in der 64. Sitzung bereits kein begründeter Ausnahmefall für den Ausschluss der Öffentlichkeit nach dieser Vorschrift vorlag.
58Aus dem Wortlaut dieser Vorschrift und dem in der Gesetzgebungsgeschichte deutlich zu Tage getretenen Zweck dieser Regelung wie auch der allgemeinen Vorschriften über die Landesanstalt für Medien ergibt sich unter Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Vorgaben, dass sie eng auszulegen ist.
59Hinsichtlich des Wortlautes folgt dies bereits aus dem Umstand, dass in § 98 Abs. 2 S. 2 LMG NRW 12/2014 ausdrücklich eine Ausnahme von der gesetzgeberischen Grundentscheidung in Satz 1 zu Gunsten der Öffentlichkeit der Sitzungen der Medienkommission ermöglicht wird.
60Vgl. allgemein hierzu etwa BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 30. April 2015 – 1 BvR 2274/12 –, juris (Rn. 15).
61Hinzu kommt, dass § 98 Abs. 2 S. 2 LMG NRW 12/2014 die Möglichkeit des Ausschlusses der Öffentlichkeit vom Wortlaut her noch weiter dadurch einschränkt, dass nicht lediglich ein Ausnahmefall, sondern einbegründeter Ausnahmefall verlangt wird. Dies soll ersichtlich die Medienkommission dazu veranlassen, sich in jedem Einzelfall genau mit dem Für und Wider eines Ausschlusses auseinander zu setzen und die Öffentlichkeit nur dann auszuschließen, wenn dies aufgrund der besonderen Umstände des betreffenden Verfahrens aus übergeordneten Gesichtspunkten ausnahmsweise geboten ist.
62Nur eine solche enge Auslegung entspricht auch dem Sinn und Zweck der Neufassung des § 98 Abs. 2 LMG NRW im speziellen wie auch der gesamten Neukonzeption der Regelungen zu den Organen der Antragsgegnerin durch das 14. RFÄndG im allgemeinen.
63Bereits im Entwurf der Landesregierung zum 14. RFÄndG ist hinsichtlich der betreffenden Änderung des § 98 Abs. 2 LMG NRW festgestellt worden, dass das Regel-Ausnahmeverhältnis der Öffentlichkeit der Sitzungen der Medienkommission im Sinne von mehr Transparenz umgekehrt werden soll und ein Ausschluss der Öffentlichkeit nur in eng umgrenzten Ausnahmeverhältnissen möglich ist.
64Vgl. LT-Drs. 16/4950, S. 109.
65Dementsprechend ist auch die gesamte Neuregelung der Vorschriften zu den Organen der Antragsgegnerin im Zuge des 14. RFÄndG darauf ausgerichtet, Transparenz, Kommunikation, Akzeptanz, Legitimation und Kontrolle zu stärken. Dies kommt bereits darin im Gesetz selbst zum Ausdruck, dass die Antragsgegnerin durch § 88 Abs. 2 S. 1 LMG NRW 7/2014, d.h. an herausgehobener Stelle zu Beginn der diesbezüglichen allgemeinen Vorschriften programmsatzähnlich dazu verpflichtet wird, für eine größtmögliche Transparenz gegenüber der Öffentlichkeit Sorge zu tragen. Hierzu wird bereits im allgemeinen Teil der Begründung des betreffenden Regierungsentwurfes festgehalten, dass „neben der Stärkung der Medienkommission der LfM als Vertretung der Allgemeinheit … im Gesetz zudem die Grundlage für einen möglichst hohen Grad an Transparenz der Regulierung geschaffen (wird), der zugleich die Voraussetzung für die Einbindung partizipativer Elemente bildet. Mediennutzerinnen und Mediennutzer sollen stärker als bisher in den Diskurs über die Gestaltung der Mediengesellschaft eingebunden werden. … (Die) Festlegung der grundsätzlichen Öffentlichkeit der Sitzungen der Medienkommission und die Veröffentlichung von wesentlichen Dokumenten und Entscheidungen sind Instrumente, Mediennutzerinnen und Mediennutzer stärker als bisher in den Diskurs über die Gestaltung der Mediengesellschaft einzubinden.“
66Vgl. LT-Drs. 16/4950, S. 87 f.
67Speziell zu den einzelnen Vorgaben zur Umsetzung des Transparenzgebotes in § 88 Abs. 2 LMG NRW 7/2014 stellt der Regierungsentwurf fest, dass diese Regelungen geschaffen werden, „um die Transparenz der Gremienarbeit zu verbessern und dadurch mehr Akzeptanz in der Bevölkerung und eine größere Legitimation der gesellschaftlichen Aufsicht zu erreichen“.
68Vgl. LT-Drs. 16/4950, S. 103.
69Daran anknüpfend heißt es sodann, dass speziell die Regelung, „dass die Sitzungen der Medienkommission im Regelfall öffentlich … sein sollen“, dazu dient, „die Transparenz der Gremienarbeit und die Kommunikation der Gremien mit den Mediennutzerinnen und Mediennutzern (zu verbessern), um mehr Akzeptanz in der Bevölkerung und eine größere Legitimation der gesellschaftlichen Aufsicht zu erreichen.
70Vgl. LT-Drs. 16/4950, S. 109.
71Diese Zielrichtung wurde auch im Gesetzgebungsverfahren – über die Parteigrenzen hinweg – positiv hervorgehoben.
72Vgl. aus der 1. Lesung des Gesetzes vom 20. Februar 2014, Plenarprotokoll 00/00, S. 5095 ff.: Redebeiträge der Ministerin für Bundesangelegenheiten, Europa und Medien Dr. B1. T.--wall -E1. sowie der Abgeordneten B2. W. (SPD), U. O. (FDP) und E2. T1. (PIRATEN); aus der 2. Lesung vom 2. Juli 2014, Plenarprotokoll 00/00, S. 6212 ff.: Redebeitrag des Abgeordneten B2. W. (SPD); Stellungnahme der Abgeordneten N. C. (GRÜNE) in der 26. Sitzung des Ausschusses für Kultur und Medien vom 26. Juni 2014, Ausschussprotokoll 16/609, S. 32.
73Eine vergleichbare Zielsetzung liegt auch zahlreichen entsprechenden Regelungen in anderen Rechtsgebieten zugrunde.
74Vgl. etwa im Staatsorganisationsrecht hinsichtlich des Bundestages (Art. 42 Abs. 1 des Grundgesetzes – GG): BverfG, Urteile vom 14. Januar 1986 – 2 BvE 14/83 und 4/84 –, juris (Rn. 123) und 4. Juli 2007 – 2 BvE 1-4/06 –, juris (Rn. 270 und 349 f.); Klein in: Maunz/Dürig, Grundgesetz – Kommentar, Stand: Dezember 2014, Art. 42 Rn. 26 ff.; im Kommunalrecht hinsichtlich des Gemeinderates (§ 48 Abs. 2 der Gemeindeordnung für das Land Nordrhein-Westfalen – GO NRW): OVG NRW, Urteil vom 19. Dezember 1978 – XV A 1031/77 –, OVGE 35, 8 ff.; Faber in: Held/Winkel/Wansleben, Kommunalverfassungsrecht NRW, GO NRW – Kommentar, Stand: Juli 2015, § 48 Erl. 9.1; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 23. Juni 2015 – 8 S 1386/14 –, juris (Rn. 43); im Hochschulrecht hinsichtlich des Senats, der Hochschulwahlversammlung und des Fachbereichsrates (§ 12 Abs. 2 S. 1 des Gesetzes über die Hochschulen des Landes Nordrhein-Westfalen – HG): OVG NRW, Beschluss vom 28. Oktober 2010 – 15 A 3225/08 –, juris (Rn. 7); VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 4. August 2010 – 9 S 2315/09 –, juris (Rn. 30); im Prozessrecht hinsichtlich der Öffentlichkeit der gerichtlichen Verhandlung (§ 169 des Gerichtsverfassungsgesetzes – GVG): Kissel/Mayer, GVG – Kommentar, 7. Aufl., § 169 Rn. 1 ff.
75Die besondere Bedeutung dieser Funktionen von Öffentlichkeit besteht gerade auch im hier betroffenen Bereich der Rundfunkfreiheit, die verfassungsrechtlich in Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG gewährleistet ist und der freien Meinungsbildung dient, die wiederum Voraussetzung sowohl der Persönlichkeitsentfaltung als auch der demokratischen Ordnung ist.
76Vgl. BverfG, Urteil vom 22. Februar 1994 – 1 BvL 30/88 <8. Rundfunkurteil> –, juris (Rn. 140).
77Denn insoweit ist es verfassungsrechtlich geboten, dafür Sorge zu tragen, dass der Staat zur Wahrung der Rundfunkfreiheit auch bei der Vergabe terrestrischer Übertragungskapazitäten an private Bewerber keinen Einfluss auf Auswahl, Inhalt und Gestaltung der Rundfunkprogramme nimmt.
78Vgl. BverfG, Urteil vom 5. Februar 1991 – 1 BvF 1/85 und 1/88 <6. Rundfunkurteil> –, juris (Rn. 472 f.).
79Zum einen legt das Gebot der Staatsferne, das für den Rundfunk allgemein gilt, auch soweit er – was hier streitbefangen ist – privat veranstaltet wird,
80vgl. BverfG, Urteil vom 12. März 2008 – 2 BvF 4/03
es nahe, dass bei einer Berufung staatlicher Mitglieder und staatsnaher politische Akteure, wie sie hinsichtlich der Medienkommission in § 93 Abs. 2 LMG NRW 2013 und LMG NRW 7/2014 vorgesehen war und ist, der Willensbildungsprozess dieses Gremiums hinreichend transparent ausgestaltet wird. Zum anderen ist ein bestimmtes Maß an Transparenz auch von der Art der Aufgabe der Medienkommission her geboten. Die nach dem Landesmediengesetz ihr obliegenden Entscheidungen insbesondere zur Zulassung von Rundfunkveranstaltern und Zuweisung von Übertragungskapazitäten, durch die ihre Mitglieder als Sachwalter der Allgemeinheit insoweit die Meinungs-, Angebots- und Anbietervielfalt des Rundfunks gemäß Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG gewährleisten, sind Aufgaben, deren Wahrnehmung jedenfalls hinsichtlich ihrer Grundentscheidungen die Möglichkeit öffentlicher Anteilnahme erfordert. „Transparenz kann hier heilsame Vorwirkung gegen funktionswidrige Absprachen und Einflussnahmen entfalten und helfen, Tendenzen von Machtmissbrauch oder Vereinnahmungen durch Partikularinteressen frühzeitig entgegenzuwirken. Der Öffentlichkeit kommt insoweit eine wesentliche (…) Kontrollfunktion zu.“
82So zu entsprechenden Regelungen über die Arbeit der ZDF-Aufsichtsgremien: BverfG, Urteil vom 25. März 2014 – 1 BvF 1 und 4/11 –, juris (Rn. 82 ff.).
83Dass der Landesgesetzgeber mit der betreffenden Regelung in § 98 Abs. 2 LMG NRW 12/2014 – wie von der Antragsgegnerin hervorgehoben – über das verfassungsrechtlich gebotene Transparenzminimum hinausgegangen ist, vermag an der gesetzlichen Ausgestaltung und der dahinter stehenden gesetzgeberischen Intention nichts zu ändern. Dementsprechend hat das Bundesverfassungsgericht in seiner zitierten Entscheidung zur Ausgestaltung der ZDF-Aufsichtsgremien festgestellt, dass durch die Verfassung nicht im Einzelnen vorgezeichnet ist, welches Maß an Transparenz für eine funktionsgerechte Aufgabenwahrnehmung sachgerecht ist. Insbesondere liegt es danach in der Entscheidung des Gesetzgebers, ob für die Arbeit der Gremien der Grundsatz der Sitzungsöffentlichkeit gelten soll.
84Vgl. BverfG, Urteil vom 25. März 2014 – 1 BvF 1 und 4/11 –, juris (Rn. 85).
85Diesen Entscheidungsspielraum hat der Landesgesetzgeber wahrgenommen und sich dabei für ein deutliches Mehr als ein Mindestmaß an Transparenz, nämlich für „größtmögliche Transparenz“ entschieden.
86Ausgehend von diesen engen gesetzlichen Maßstäben spricht Überwiegendes gegen die Annahme eines begründeten Ausnahmefalls hinsichtlich der Behandlung des betreffenden Tagesordnungspunktes 16 in der 64. Sitzung der Medienkommission vom 23. Januar 2015.
87Es erscheint zwar im Grundsatz rechtlich unbedenklich, – wie von der Antragsgegnerin dargelegt – im Vorgriff auf eine insoweit noch nicht erfolgte Anpassung der (Haupt-) Satzung im Sinne des § 98 Abs. 2 S. 4 LMG NRW 12/2014 im Einzelfall einen Ausschluss der Öffentlichkeit zur Wahrung von Betriebs- oder Geschäftsgeheimnissen Dritter als begründeten Ausnahmefall nach § 98 Abs. 2 S. 2 LMG NRW 12/2014 zu beschließen. Jedenfalls aber bedarf es hierzu – wie auch von der Antragsgegnerin angenommen – einer Prognose hinsichtlich des zu erwartenden Beratungsverlaufs anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls, die der Medienkommission obliegt und nur eingeschränkt gerichtlich überprüfbar ist.
88Vgl. zur ähnlichen Konstellation im Kommunalrecht bei allerdings unterschiedlichem inhaltlichen Maßstab für die Zulässigkeit des Ausschlusses der Öffentlichkeit (s.u.): Faber in: Held/Winkel/Wansleben, Kommunalverfassungsrecht NRW, GO NRW – Kommentar, Stand: Juli 2015, § 48 Erl. 10.8.
89Nach dieser Prognose muss – anknüpfend an den Wortlaut des § 98 Abs. 2 S. 4 LMG NRW 12/2014 – die Erörterung von Betriebs- und/oder Geschäftsgeheimnissen unvermeidlich, das heißt mehr oder weniger zwingend sein. Für einen unterhalb dieser Schwelle liegenden Ausschluss der Öffentlichkeit nach § 98 Abs. 2 S. 2 LMG NRW 12/2014 zum Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen besteht angesichts dieser gesetzlichen Vorgaben kein Raum.
90Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse in diesem Sinne sind ebenso wie hinsichtlich der identischen Begrifflichkeit in den §§ 6 S. 2 des Informationsfreiheitsgesetzes (IFG) und 9 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 des Umweltinformationsgesetzes (UIG) alle auf ein Unternehmen bezogenen Tatsachen, Umstände und Vorgänge, die nicht offenkundig, sondern nur einem begrenzten Personenkreis zugänglich sind und an deren Nichtverbreitung der Rechtsträger ein berechtigtes Interesse hat, weil die Offenlegung der Information geeignet ist, exklusives technisches Wissen (Betriebsgeheimnisse) oder kaufmännisches Wissen (Geschäftsgeheimnisse) den Marktkonkurrenten zugänglich zu machen und so die Wettbewerbsposition des Unternehmens nachteilig zu beeinflussen.
91Vgl. zum betreffenden Schutzbereich des Grundrechtes der Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG: BverfG, Beschluss vom 14. März 2006 – 1 BvR 2087 und 2111/03 –, juris (Rn. 87); zu § 9 UIG: BverwG, Urteil vom 24. September 2009 – 7 C 2.09 –, juris (Rn. 50); zu § 9 UIG und § 6 IFG: BverwG, Urteil vom 28. Mai 2009 – 7 C 18.08 –, juris (Rn. 12 f. und 18); so auch zur betreffenden Abwägung hinsichtlich des Informationsrechts der Presse nach § 4 des Landespressegesetzes NRW: OVG NRW, Urteil vom 18. Dezember 2013 – 5 A 413/11 –, juris (Rn. 150).
92Eine Prognose der Medienkommission, ob es in ihrer 64. Sitzung hinsichtlich des betreffenden Tagesordnungspunktes 16 zu einer Erörterung von Betriebs- oder Geschäftsgeheimnissen Dritter kommt, liegt nicht vor. Die Sachlage stellte sich in der 64. Sitzung aber auch nicht so dar, dass die Medienkommission zwingend hätte davon ausgehen müssen, dass bei der Behandlung dieses Tagesordnungspunktes Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse Dritter erörtert werden. Dass eine solche Erörterung unvermeidlich war, erschließt sich der Kammer auch bei Auswertung des Inhalts der Verwaltungsvorgänge der Antragsgegnerin und ihres Vorbringens im gerichtlichen Verfahren nicht.
93Der Vermerk des Justiziariats der Antragsgegnerin vom 19. Januar 2015 zur Behandlung des Öffentlichkeitsgrundsatzes in der 64. Sitzung der Medienkommission führt keine Umstände an, die eine solche Prognose hätten begründen können; er beschränkt sich vielmehr auf die bloße Feststellung, dass es auch bei diesem Tagesordnungspunkt voraussichtlich um die Erörterung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen gehen werde.
94Soweit die Antragsgegnerin im vorliegenden Verfahren einwendet, die Prüfung der Voraussetzungen für die Erteilung der streitbefangenen medienrechtlichen Zuweisung einer Übertragungskapazität könne sich grundsätzlich auch auf Umstände beziehen, die ein Betriebs- und/oder Geschäftsgeheimnis des betreffenden Antragstellers darstellten, steht dies außer Frage. Dies mag etwa – wie von der Antragsgegnerin dargelegt – für einzelne Aspekte der als Zuweisungsvoraussetzung nach § 13 LMG NRW 2013 zu prüfenden wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit
95vgl. hierzu § 4 Abs. 2 Nr. 2 lit. a) der Satzung der Antragsgegnerin über die Zuweisungen von terrestrischen Übertragungskapazitäten für Fernseh- und Hörfunkprogramme sowie Mediendienste (Zuweisungssatzung) vom 14. November 2003, wonach zum Nachweis der wirtschaftlichen und organisatorischen Leistungsfähigkeit in Bezug auf die antragsgemäße Verbreitung insbesondere die Vorlage von Wirtschafts-, Finanz- und Stellenplänen notwendig ist, denen Darlegungen zu den finanziellen Planungen in Bezug auf die Verbreitung für die Dauer der beantragten Zuweisung zu entnehmen sein müssen,
96im Sinne eines Geschäftsgeheimnisses und der im Rahmen der Prüfung der Programmvielfalt nach § 14 Abs. 2 LMG NRW 2013 zu beurteilenden geplanten programmlichen Gestaltung im Sinne eines Betriebsgeheimnisses gelten. Soweit die Antragsgegnerin insoweit auch auf die Voraussetzungen für die Zulassung zur Veranstaltung von Rundfunk nach § 5 LMG NRW 2013 abstellt, kann sich daraus für die Zuweisung der Übertragungskapazität kein Ausschlussgrund ergeben. Denn bei der Zulassung zur Veranstaltung von Rundfunk nach §§ 4 ff. LMG NRW 2013 und der Zuweisung einer Übertragungskapazität nach §§ 12 ff. LMG NRW 2013 handelt es sich um zwei voneinander getrennte Verwaltungsakte. Dementsprechend ist die Frage der Zulassung der Beigeladenen zur Rundfunkveranstaltung auch auf der 64. Sitzung der Medienkommission am 23. Januar 2015 unter einem gesonderten Tagesordnungspunkt 17 behandelt worden, für den es eine eigene Vorlage des Direktors der Antragsgegnerin (V-433/15) gab und der ohne weiteres auch hätte vorgezogen werden können, zumal eine solche Reihenfolge auch in der Systematik des Gesetzes angelegt ist: Während die Zulassung im Abschnitt II des LMG NRW 2013 geregelt ist, wird die Zuweisung erst im Abschnitt III geregelt und setzt ausdrücklich die Zulassung voraus (§ 12 Abs. 1 S. 1 LMG NRW 2013).
97Aber auch in Bezug auf die Zuweisung stellt nicht jede Information zur aktuellen wirtschaftlichen Situation des betreffenden Antragstellers, zu den mit seinem konkreten Programmangebot verbundenen Kosten und dem Inhalt dieses Programmangebots ein Betriebs- und/oder Geschäftsgeheimnis dar. Es muss sich vielmehr um exklusive Informationen handeln, deren Offenlegung die Wettbewerbsposition des jeweiligen Antragstellers nachteilig beeinflussen kann. Dies mag insbesondere in Betracht kommen hinsichtlich der von den Antragstellern vorgelegten Wirtschaft-/Finanzpläne, Gewinn- und Verlustrechnungen, Darlehensverträge und Kontoauszüge sowie der Details des geplanten Programmangebotes, deren Entnahme die Mitbewerber dementsprechend vor der Vorlage der Verwaltungsvorgänge an das Gericht veranlasst haben (vgl. Beiakten Hefte 6-13). Es genügt allerdings nicht, dass die Antragsunterlagen einzelne Betriebs- und/oder Geschäftsgeheimnisse enthalten und bei der Prüfung der Erfüllung der Zuweisungsvoraussetzungen theoretisch auch ein solcher geheimhaltungsbedürftiger Umstand von Bedeutung sein könnte. Erforderlich ist vielmehr nach dem Gesetzeswortlaut, dass eine Erörterung eines solchen Geheimnisses – bei der im Zeitpunkt des Ausschlusses der Öffentlichkeit gegebenen Sachlage – unvermeidlich ist.
98Konkrete Umstände des bisherigen Verlaufs des streitbefangenen Zuweisungsverfahrens und des Stands der diesbezüglichen Beratungen, die eine dahingehende Prognose in der 64. Sitzung der Medienkommission in Bezug auf den fraglichen Tagesordnungspunkt 16 nahelegten, sind von der Antragsgegnerin im Laufe des gerichtlichen Verfahrens nicht benannt worden. Ihr Vortrag beschränkt sich insoweit auf abstrakte Feststellungen. So wird ausgeführt, dass diese – nach ihrer Einschätzung tatsächlich erfolgte – prognostische Entscheidung auf der Grundlage der Beschlussvorlage und der zu erwartenden Erörterung habe getroffen werden müssen, hierin einzubeziehen gewesen sei, ob eine kontroverse Erörterung zu erwarten gewesen sei, weil gerade in solchen Diskussionen mit einer kritischen Bezugnahme auf Details der Antragsunterlagen zu rechnen sei. Alle Mitglieder der Medienkommission müssten die Möglichkeit erhalten, sich im Rahmen der Diskussion zu allen Inhalten der Beschlussvorlage und zu allen Kriterien der Vorrangentscheidung, angewendet auf die einzelnen Bewerber, zu äußern, ohne Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse einzelner Bewerber zu verletzen. Dies gelte insbesondere auch für die Fragen im Zusammenhang mit einzelnen Programmkonzepten (vgl. Schriftsatz vom 18. August 2015, S. 3). Auch im Schriftsatz vom 25. August 2015 werden insoweit lediglich Prüfungspunkte vor Erteilung einer medienrechtlichen Zuweisung benannt, bei denen Betriebs- und/oder Geschäftsgeheimnisse eine Rolle spielen können („ darüber hinaus ist keineswegs ausgeschlossen…“, „Vor allem ist es aber möglich…“).
99Die Argumentation der Antragsgegnerin läuft letztlich darauf hinaus, dass in jedem Zuweisungsverfahren unabhängig von den Umständen des Einzelfalls und dem konkreten Verfahrensstand für jede Sitzung der Medienkommission zu diesem Tagesordnungspunkt die Öffentlichkeit ausgeschlossen werden kann oder sogar muss: Denn die Prüfung der wirtschaftlichen und organisatorischen Fähigkeit zur antragsgemäßen Verbreitung des Programms einerseits und des Maßes des Vielfaltsbeitrags des jeweiligen Programmangebotes unter Berücksichtigung seiner wirtschaftlichen Realisierbarkeit andererseits, in deren Rahmen gegebenenfalls auch Geschäfts- und/oder Betriebsgeheimnisse von Bedeutung sein können, ist nach den gesetzlichen Vorgaben Gegenstand eines jeden Zuweisungsverfahrens. Eine solche Vorgehensweise ist jedoch bereits allgemein kaum mit der vom Gesetzgeber deutlich zum Ausdruck gebrachten Intention der Schaffung möglichst umfassender Transparenz in Bezug auf die Medienkommission, insbesondere durch Umkehrung des Regel-Ausnahme-Verhältnisses hinsichtlich der Sitzungsöffentlichkeit zu vereinbaren. Vor allem aber widerspricht es der ausdrücklichen Feststellung im Entwurf der Landesregierung zum ZustG zum 16. RFÄndStV, dass die Maßgaben zur Öffentlichkeit der Sitzungen der Medienkommission speziell in Bezug auf Zuweisungsverfahren, in denen – wie vorliegend – die Ausschreibung vor dem 1. Juli 2014 endete, unmittelbar Anwendung finden.
100Lt-Drs. 16/7091, S. 11.
101Denn dem lässt sich entnehmen, dass bereits im Gesetzgebungsverfahren davon ausgegangen wurde, dass gerade auch die Sitzungen der Medienkommission in derartigen Zuweisungsverfahren fortan grundsätzlich öffentlich sein sollten.
102Gegen die prognostische Einschätzung, dass es konkret bei der 64. Sitzung der Medienkommission unvermeidlich zur Erörterung von Betriebs- oder Geschäftsgeheimnissen Dritter kommen würde, sprach, dass sich die Medienkommission bereits in ihrer 50., 55., 57. Und 59. Sitzung mit der Ausschreibung und den eingegangenen Bewerbungen beschäftigt und nach der Anhörung der Antragsteller und der Erörterung in ihrem Programmausschuss in der vorangegangenen 63. Sitzung die Zuweisung der streitbefangenen Übertragungskapazitäten, insbesondere das geplante Programmangebot schon eingehend diskutiert hatte und die Vertagung vor allem im Hinblick auf den Umfang der Entscheidungsvorlage und der ergänzend erbetenen Zusammenfassung der Anhörung der Antragsteller erfolgte. Dementsprechend hat auch die Antragsgegnerin in ihrem Schriftsatz vom 10. April 2015 (S. 25) geschildert, dass in der 63. Sitzung der Medienkommission am 12. Dezember 2014 in der Medienkommission Stimmen laut geworden seien, dass die Mitglieder der Kommission genügend Zeit benötigten, um sich eine eigene Meinung zu bilden und die ausführliche Vorlage verarbeiten zu können. Vor diesem Hintergrund stand zu erwarten, dass in der 64. Sitzung im wesentlichen lediglich die Entscheidungsfindung erfolgt – so wie es ausweislich der Sitzungsniederschrift dann auch tatsächlich geschah.
103Des weiteren sprach auch der in der entsprechenden Niederschrift wiedergegebene Verlauf der Diskussion in der vorangegangenen 63. Sitzung der Medienkommission am 12. Dezember 2014 gegen die Annahme, dass hinsichtlich dieses Tagesordnungspunktes in der nun anstehenden 64. Sitzung am 23. Januar 2015 eine Erörterung von Betriebs- oder Geschäftsgeheimnissen Dritter unvermeidlich war. Am 12. Dezember 2014 behandelte die Medienkommission im Hinblick auf die zu treffende Auswahlentscheidung insbesondere die Anträge der Beigeladenen und von E3. . Im Vordergrund stand dabei die Erörterung des Angebots der Beigeladenen, seines Wortanteils, seines Integrationsbeitrags auch vor dem Hintergrund des geplanten Sprachverhältnisses (30 % Deutsch, 70 % Türkisch), seines allgemeinen Anspruchs und seiner Zielgruppe. Den diesbezüglichen Feststellungen und Wertungen ließ sich ein Geheimhaltungsbedürfnis und eine entsprechende Wettbewerbsrelevanz nicht entnehmen. Aber auch soweit grundsätzlich sensiblere Bereiche wie die Beteiligungsverhältnisse der Beigeladenen und die Wirtschaftlichkeit des Angebotes angesprochen wurden, war nicht ansatzweise ersichtlich, dass dabei Tatsachen, Umstände oder Vorgänge Erwähnung fanden, die nicht offenkundig waren und an deren Nichtverbreitung die Beigeladene oder ein anderer Antragsteller ein berechtigtes Interesse hatte.
104Zudem dürfte gegen die Prognose einer Unvermeidlichkeit der Erörterung von Betriebs- und/oder Geschäftsgeheimnissen der Bewerber in der 64. Sitzung der Medienkommission der von der Antragsgegnerin in ihrem Schriftsatz vom 10. April 2015 dargelegte damalige Kenntnisstand der Kommissionsmitglieder gesprochen haben. Dabei stellte auch nach Einschätzung der Antragsgegnerin (S. 27 des Schriftsatzes) die Vorlage der Verwaltung zur 63. Und 64. Sitzung der Medienkommission, d.h. im wesentlichen die Vorlage Nr. V-424/14 vom 5. Dezember 2014 die maßgebliche Grundlage für die letztliche Auswahlentscheidung dar. Diese Vorlage entspricht aber fast vollständig der Begründung des späteren Zuweisungsbescheides vom 11. Februar 2015, der jedenfalls allen Bewerbern um die streitbefangenen Übertragungskapazitäten bekannt gegeben wurde und daher offensichtlich keine Betriebs- und/oder Geschäftsgeheimnisse enthielt. Dafür, dass einzelne Mitglieder der Medienkommission weitergehendere Kenntnisse, insbesondere zu den von den übrigen Antragstellern bei Vorlage der Verwaltungsvorgänge geschwärzten und gegebenenfalls geheimhaltungsbedürftigen Umständen hatten, liegen keine Anhaltspunkte vor.
105Schließlich greift der Einwand der Antragsgegnerin, dass sich ein bestimmter Beratungsgegenstand nicht in einen öffentlichen und einen nichtöffentlichen Teil ausspalten lasse, sondern hinsichtlich der Frage der Sitzungsöffentlichkeit einheitlich beurteilt werden müsse, und der diesbezügliche Hinweis auf entsprechende kommunalrechtliche Rechtsprechung nicht durch. Es trifft zwar zu, dass in der kommunalrechtlichen Rechtsprechung angenommen wird, dass der Ausschluss der Öffentlichkeit nicht lediglich auf Teile der Beratung beschränkt werden kann, weil eine derartige atomisierende Betrachtung den Regelungen über den Ausschluss der Öffentlichkeit fremd ist und wegen des thematischen Zusammenhangs der Angelegenheit und der Unvorhersehbarkeit der einzelnen Beiträge auch der Lebenswirklichkeit nicht gerecht wird.
106Vgl. OVG NRW, Urteil vom 2. Mai 2006 – 15 A 817/04 –, juris (Rn. 75); einschränkend insbesondere in Bezug auf Angelegenheiten mit hoher politischer oder wirtschaftlicher Bedeutung: Faber in: Held/Winkel/Wansleben, Kommunalverfassungsrecht NRW, GO NRW – Kommentar, Stand: Juli 2015, § 48 Erl.10.1 a.E.
107Der daran anknüpfende Einwand der Antragsgegnerin berücksichtigt aber nicht, dass der Gesetzgeber in Bezug auf die Medienkommission offensichtlich gezielt deutlich strengere Maßstäbe hinsichtlich der Sitzungsöffentlichkeit gesetzt hat als im Kommunalrecht: Während es im Kommunalrecht nach der Rechtsprechung zur Rechtfertigung eines Ausschlusses der Öffentlichkeit einer Ratssitzung auf der Grundlage der §§ 48 Abs. 2 S. 2 und 3, 30 Abs. 1 der Gemeindeordnung für das Land Nordrhein-Westfalen (GO NRW) genügt, dass eine Offenbarung von Geschäftsgeheimnissen durch eine Behandlung der Angelegenheit in öffentlicher Sitzungmöglich ist,
108vgl. OVG NRW, Urteil vom 2. Mai 2006 – 15 A 817/04 –, juris (Rn. 72); Faber in: Held/Winkel/Wansleben, Kommunalverfassungsrecht NRW, GO NRW – Kommentar, Stand: Juli 2015, § 48 Erl. 10.1.,
109verlangt das Landesmediengesetz wie gesehen die Unvermeidlichkeit der Erörterung von Betriebs- oder Geschäftsgeheimnissen Dritter. Auch dass § 98 Abs. 2 S. 4 LMG NRW 7/2014 insoweit von „Angelegenheiten“ und nicht von Teilen der Beratung spricht, für die die Öffentlichkeit ausgeschlossen werden kann, zwingt entgegen der Einschätzung der Antragsgegnerin nicht zu einer einheitlichen Betrachtung für den gesamten Beratungsgegenstand. Denn der Begriff der „Angelegenheiten“ erfasst nicht zwingend einen gesamten Beratungsgegenstand, sondern kann sich auch nur auf einen Teil eines solchen Gegenstandes beziehen. Angesichts der deutlichen gesetzgeberischen Konzeption zur Schaffung größtmöglicher Transparenz gegenüber der Öffentlichkeit ist die Medienkommission daher dazu gehalten, zu Beginn jeder Sitzung darüber zu befinden, ob hinsichtlich eines bestimmten Tagesordnungspunktes angesichts des Standes der Beratungen und des Verlaufs der vorangegangenen Sitzungen die Erörterung von Betriebs- oder Geschäftsgeheimnissen Dritter unvermeidlich ist. Sie hat diese Prognose im Verlauf der Sitzung gegebenenfalls zu korrigieren und die Öffentlichkeit nunmehr auszuschließen bzw. wieder herzustellen. Speziell für die fragliche Behandlung des Tagesordnungspunktes 16 der 64. Sitzung der Medienkommission am 23. Januar 2015 ergibt sich dieses Erfordernis einer gesonderten Betrachtung der einzelnen Sitzung im Rahmen eines Zuweisungsverfahrens im Übrigen allein daraus, dass für ihn aufgrund des Inkrafttretens des ZustG zum 16. RFÄndStV an diesem Tage erstmals der Grundsatz der Sitzungsöffentlichkeit nach § 98 Abs. 2 S. 1 LMG NRW 12/2014 galt und damit insoweit erstmals Veranlassung bestand, eine Entscheidung zum Ausschluss der Öffentlichkeit zu treffen.
110dd) Dieser grundlegende Verfahrensmangel ist auch im vorliegenden Verfahren der Antragstellerin beachtlich. Insbesondere steht dem nicht die entsprechende Anwendung des § 46 VwVfG NRW entgegen, der vorsieht, dass die Aufhebung eines Verwaltungsaktes, der nicht nach § 44 nichtig ist, nicht allein deshalb beansprucht werden kann, weil er unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren, die Form oder die örtliche Zuständigkeit zu Stande gekommen ist, wenn offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat.
111Es spricht bereits einiges dafür, den hier festgestellten Verstoß gegen die Vorschriften zur Öffentlichkeit der Sitzungen der Medienkommission als absoluten Aufhebungsgrund anzusehen, der eine Anwendung des § 46 VwVfG NRW von vornherein ausschließt.
112Vgl. OVG NRW, Urteil vom 17. Juni 2015 – 13 A 1215/12 –, juris (Rn. 54); dass., Beschluss vom 19. November 2008 – 13 A 2151/06 –, juris (Rn. 19); Sachs in: Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz – Kommentar, 8. Aufl., § 46 Rn. 30; Baumeister in: Obermayer/Funke-Kaiser, Verwaltungsverfahrensgesetz – Kommentar, 4. Aufl., § 46 Rn. 19 ff.
113Jedenfalls aber fehlt es an der für die Unbeachtlichkeit nach § 46 VwVfG NRW erforderlichen offensichtlichen Irrelevanz des Verfahrensfehlers für die Entscheidung in der Sache. Dies setzt voraus, dass offensichtlich sein muss, dass die Behörde bei Vermeidung des Verfahrensfehlers genau dieselbe Entscheidung getroffen hätte. Bezogen auf den hypothetischen Behördenwillen bedeutet das Offensichtlichkeitsurteil, dass die Gerichte nicht in Spekulationen über Entscheidungsabsichten eintreten sollen, sondern nur dann die Kausalität des Verfahrensfehlers verneinen dürfen, wenn der hypothetische Behördenwille ohne Zweifel fest steht. Dabei sind nachträgliche Bekundungen der Behörde ohne ausschlaggebende Bedeutung.
114Sachs in: Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz – Kommentar, 8. Aufl., § 46 Rn. 79 ff.
115Diese strengen Anforderungen an die Offensichtlichkeit sind vorliegend nicht erfüllt. Konkrete Anhaltspunkte für einen entsprechenden hypothetischen Behördenwillen fehlen. Es ist nicht ersichtlich, ob die Medienkommission auch im Falle der Öffentlichkeit ihrer 64. Sitzung vom 23. Januar 2015 in der Sache zur selben Entscheidung gekommen wäre. Dies gilt insbesondere angesichts des Umstandes, dass der fragliche Beschluss über die Zuweisung von Übertragungskapazitäten gemäß § 98 Abs. 7 S. 2 LMG NRW 12/2014 der Zustimmung der Mehrheit der damals insgesamt 28 Mitglieder, d.h. von mindestens 15 Mitgliedern der Medienkommission bedurfte, der streitbefangenen Zuweisung aber lediglich 16 Mitglieder zustimmten, es sich mithin um eine knappe Entscheidung handelte. Hinzu kommt vorliegend, dass der Medienkommission – wie dargelegt – insoweit ein Beurteilungsspielraum zukommt, bei dem nur eine eingeschränkte gerichtliche Kontrolle der Entscheidung in der Sache besteht und sich dementsprechend regelmäßig auch gerichtlicherseits nicht feststellen lässt, dass die Entscheidung auch ohne den Verfahrensfehler offensichtlich genauso getroffen worden wäre.
116Vgl. Sachs in: Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz – Kommentar, 8. Aufl., § 46 Rn. 85; vgl. zu Ermessensentscheidungen insoweit: OVG NRW, Urteil vom 17. Juni 2015 – 13 A 1215/12 –, juris (Rn. 54).
1172. Als Adressatin der sie als Mitbewerberin belastenden und unter Verstoß gegen eine grundlegende Verfahrensvorschrift zustande gekommenen Zuweisung von Übertragungskapazitäten an die Beigeladene, hinsichtlich derer der Medienkommission der Antragsgegnerin ein gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum zukommt, ist die Antragstellerin insoweit auch in eigenen Rechten verletzt. Die Antragstellerin kann wegen des Beurteilungsspielraums keine vollständige gerichtliche Überprüfung der sie belastenden materiellen Entscheidung der Antragsgegnerin beanspruchen. Gerade deswegen hat sie aber einen Anspruch darauf, dass die der gerichtlichen Kontrolle unterworfenen Rahmenbedingungen für diese Entscheidung (ordnungsgemäße Durchführung des Verfahrens, zutreffende Erfassung des Sinns der gesetzlichen Auswahlkriterien, richtige und vollständige Sachverhaltsfeststellung, fehlerfreie Anwendung der normativen Maßstäbe, keine sachfremden und willkürlichen Erwägungen) eingehalten worden sind.
118Vgl. im Ergebnis ebenso für den Fall der verfahrensfehlerhaften Indizierung durch die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften, der ein Entscheidungsvorrang hinsichtlich der sachlichen Berechtigung eines Indizierungsantrags zukommt: BverwG, Urteil vom 26. November 1992 – 7 C 21.92 –, juris (Rn. 17); vgl. hinsichtlich eines entsprechenden „Anspruch(s) auf ein rechtsfehlerfreies Bewerbungsverfahren“ auch Bayerischer VGH, Urteil vom 22. Juli 2015 – 22 B 15.620 –, juris (Rn. 45 f.).
119Dies gilt insbesondere für den hier festgestellten Verstoß gegen den Grundsatz der Öffentlichkeit der Sitzungen der Medienkommission, dem nach dem nordrhein-westfälischen Landesmedienrecht wie beschrieben besondere Bedeutung zukommt und der somit nicht lediglich eine formale Ordnungsvorschrift darstellt, sondern eine Regelung mit eigener Schutzfunktion gerade auch zu Gunsten der Bewerber um bestimmte Übertragungskapazitäten. Denn gerade auch deren verfassungsrechtliche Rechtsposition wird gezielt durch die Gewährleistung von Transparenz und Kontrolle mithilfe der Sitzungsöffentlichkeit geschützt, um einer unzulässigen Einwirkung persönlicher Beziehungen, Einflüsse und Interessen vorzubeugen und bereits den Anschein zu vermeiden, dass hinter verschlossenen Türen unsachgemäße Motive für die getroffene Entscheidung maßgebend gewesen sein könnten.
120Vgl. hinsichtlich des Prinzips der Öffentlichkeit von Gemeinderatssitzungen: VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 23. Juni 2015 – 8 S 1386/14 –, juris (Rn. 43 und 59 ff.); OVG NRW, Urteil vom 19. Dezember 1978 – XV A 1031/77 –, OVGE 35,8 (10).
1213. Ein Vollziehungsinteresse der Öffentlichkeit oder der Beigeladenen, welches das aus dem voraussichtlichen Erfolg der Klage folgende Aussetzungsinteresse der Antragstellerin überwiegt, besteht nicht.
122Insbesondere kann sich die Beigeladene insoweit nicht erfolgreich auf die von Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG geschützte Rundfunkfreiheit berufen. Denn diese schützt letztlich auch die Antragstellerin und wird in Bezug auf die streitbefangenen Übertragungskapazitäten bis heute im Kern von beiden noch nicht ausgeübt.
123Vgl. für den Fall der insoweit bereits seit einigen Monaten aufgenommenen Rundfunkveranstaltung: OVG NRW, Beschluss vom 12. Juni 1991 – 5 B 280/91 –, Seite 5 des Entscheidungsabdrucks.
124Insoweit ist zwar zu Gunsten der Beigeladenen zu berücksichtigen, dass sie im Vertrauen auf den Bestand der Zuweisung der Übertragungskapazitäten nach eigenen Angaben bereits nennenswerte Anfangsinvestitionen für den für Ende des Jahres geplanten Sendestart getätigt hat. Allerdings ist ihre Schutzwürdigkeit wiederrum dadurch eingeschränkt, dass sie diese Investitionen in Kenntnis der fehlenden Bestandskraft und des anhängigen Eilverfahrens und damit auf eigenes Risiko unternommen hat. Zulasten der Beigeladenen und zu Gunsten der Antragstellerin fällt überdies ins Gewicht, dass die Beigeladene ihre Position in Konkurrenz zu den übrigen Antragstellern im Falle einer vorzeitigen Ausnutzung der zugewiesenen Übertragungskapazitäten und anschließender Aufhebung des Zuweisungsbescheides im Hauptsacheverfahren letztlich zu Unrecht verbessern könnte. Ihr allein würde die Möglichkeit eröffnet, ihre Leistungsfähigkeit im Hinblick auf die konkrete Rundfunkveranstaltung unter Beweis zu stellen und ihr Programm im Echtbetrieb zu präsentieren. Dadurch würden einseitig zugunsten der Beigeladenen „Fakten geschaffen“.
125Ein überwiegendes öffentliches Vollziehungsinteresse lässt sich auch nicht mit dem im Falle einer Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung verbundenen „Brachliegen“ der betreffenden Übertragungskapazitäten
126vgl. zu diesem Gesichtspunkt in Bezug auf die Zuweisung einer analogen Übertragungskapazität im Kabelnetz im Rahmen eines Modellversuchs mit digitalem Fernsehen und neuen digitalen Kommunikationsdiensten: OVG NRW, Beschluss vom 8. Januar 1998 – 5 B 964/97 –, Seite 5 des Entscheidungsabdrucks,
127und der damit einhergehenden Verzögerung eines entsprechenden Beitrags zur Förderung der Medienvielfalt in Nordrhein-Westfalen begründen. Insoweit ist zunächst im Hinblick auf das Vorbringen der Beigeladenen darauf hinzuweisen, dass es sich bei diesen 11 Übertragungskapazitäten nicht um in Nordrhein-Westfalen weitestgehend bekannte Frequenzen des Hörfunks der britischen Streitkräfte (C1. ), sondern um solche Kapazitäten handelt, die infolge der Übernahme der tatsächlich jedenfalls früher weithin bekannten C1. -Frequenz 96,5 MHz (Senderstandort M. ) durch das Deutschlandradio frei geworden sind. Gegen die Annahme eines überwiegenden öffentlichen Vollziehungsinteresses wegen des „Brachliegens“ dieser 11 Übertragungskapazitäten spricht bereits, dass die terrestrischen Übertragungskapazitäten im Hörfunkbereich, insbesondere auch im streitgegenständlichen Bereich der Ultrakurzwelle
128die z.B. am Empfänger-Standort E4. den Empfang von bis zu 67 verschiedenen Programmen ermöglichen, vgl. die entsprechende Programmliste unter: http://fmscan.org/main.php?la=de,
129nicht vergleichbar „knapp“ sind wie etwa in Bezug auf das analoge Kabelfernsehen.
130Für diesen Bereich stehen aktuell in Nordrhein-Westfalen lediglich 24 Kanäle zur Verfügung, vgl. die aktuelle analoge Kabelbelegung durch die Antragsgegnerin unter: https://www.lfm-nrw.de/regulierung/fernsehen/analoge-kabelbelegung.html; Anfang des Jahrtausends, d.h. vor dem eigentlichen Beginn der Digitalisierung im Rundfunk in Deutschland waren es etwas mehr als 30 Kanäle, vgl. VG Düsseldorf, Beschluss vom 23. August 2001 – 15 L 349/01 –, Seite 3 des Entscheidungsabdrucks.
131Außerdem hat der Gesichtspunkt der begrenzten Übertragungskapazitäten allgemein durch die fortschreitende Digitalisierung des Rundfunks einschließlich der Mehrfachnutzung von Kanälen (sog. Multiplexing) sowie die verstärkte Nutzung weiterer Übertragungswege (z.B. über Satellit oder Internet) in jüngerer Zeit an Bedeutung verloren. Schließlich ist insoweit zu berücksichtigen, dass das öffentliche Vollziehungsinteresse insoweit geschmälert ist, als fast alle der streitbefangenen Übertragungskapazitäten ausweislich der Verwaltungsvorgänge der Antragsgegnerin jedenfalls bereits seit dem Jahre 2011 zur Verfügung stehen,
132vgl. Mitteilung der Bundesnetzagentur an die Staatskanzlei Nordrhein-Westfalen vom 6. Oktober 2011 unter Bezugnahme auf das Gutachten des Instituts für Rundfunktechnik vom 4. November 2010, Bl. 43 ff. der Beiakte Heft 1, Teilband I-S-5.1-4-1,
133seitdem noch nicht wieder genutzt und erst mit dem streitgegenständlichen Bescheid der Antragsgegnerin vom 11. Februar 2015 der Beigeladenen zugewiesen worden sind. Angesichts dessen fällt eine weitere Verzögerung der Ausschöpfung dieser Übertragungskapazitäten für die Dauer des Hauptsacheverfahrens nicht entscheidend ins Gewicht.
134Zum weiteren Verfahren weist die Kammer auf folgendes hin:
135Die Zuordnung der betreffenden Übertragungskapazitäten für die privaten Veranstalter von Rundfunk ist bestandskräftig. Nach obigen Ausführungen bedarf es auch keiner erneuten Ausschreibung dieser Kapazitäten. Nach summarischer Einschätzung der Kammer ist die Medienkommission bei ihrer Vorrangentscheidung auch nicht von einem fehlerhaften Verständnis des gesetzlichen Wertungsmaßstabes ausgegangen. Die hiergegen erhobenen Einwände der Antragstellerin dürften nicht durchgreifen:
136Die Antragsgegnerin dürfte bei der Beurteilung des Beitrags eines Programms zur Vielfalt des Gesamtangebots im Sinne des § 14 Abs. 2 Nr. 2 LMG NRW 2013 angesichts des Wortlauts der Vorschrift und der „verfassungsrechtlichen Anforderungen gleichgewichtiger Vielfalt (…) im Ergebnis durch das Gesamtangebot aller Veranstalter“
137vgl. BverfG, Urteil vom 5. Februar 1991 – 1 BvF 1/85 und 1/88 <6. Rundfunkurteil Westdeutscher Rundfunk> –, juris (Rn. 403),
138zu Recht das Angebot des öffentlich-rechtlichen Rundfunks mit einbezogen haben.
139Ebenfalls dürfte es nicht zutreffen, dass bei der Auswahlentscheidung – wie von der Antragstellerin gefordert – alle mobil und portabel übertragenen Angebote analoger oder digitaler Art, gegebenenfalls sogar der Radioempfang über Kabel zu berücksichtigen sind. Bereits die Systematik des Landesmediengesetzes legt eine gesonderte Betrachtung der einzelnen Verbreitungswege nahe. Zudem würde eine Einbeziehung insbesondere des Hörfunks über Internet (sog. Internet- oder Webradio), aber auch über Satellit aufgrund der dort deutlich größeren Übertragungskapazitäten und des dementsprechend bereits äußerst vielfältigen Angebots
140allein in Deutschland gibt es aktuell über 2000 Webradioangebote (vgl. http://de.statista.com/statistik/daten/studie/20052/umfrage/entwicklung-der-anzahl-der-webradioangebote-in-deutschland-seit-2006/) und auch über den Satelliten ASTRA 19,2 Grad Ost sind derzeit in Deutschland über 150 Radiosender empfangbar
141eine Prüfung unter Vielfaltsgesichtspunkten praktisch unmöglich machen.
142Schließlich dürfte der Einwand der Antragstellerin, dass bei der angegriffenen Entscheidung entgegen § 14 Abs. 5 S. 1 LMG NRW 2013 vergleichbare Telemedien nicht entsprechend ihres Beitrags zur Angebotsvielfalt berücksichtigt worden sind, nicht durchgreifen. Diese Vorschrift stellt lediglich sicher, dass vergleichbare Telemedien und Teleshoppingskanäle im Rahmen einer Vorrangentscheidung zur Zuweisung von terrestrischen Übertragungskapazitäten berücksichtigt werden können. Um die streitbefangenen Übertragungskapazitäten hat sich aber kein Antragsteller mit einem entsprechenden Telemedien-/Teleshoppingangebot beworben.
143Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 und Abs. 3 1. Hs. VwGO.
144Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 des Gerichtskostengesetzes und orientiert sich an den Ziffern 37.1 und 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung der am 31.05./01.06.2012 und am 18.04.2013 beschlossenen Änderungen.
ra.de-Urteilsbesprechung zu Verwaltungsgericht Düsseldorf Beschluss, 03. Nov. 2015 - 27 L 888/15
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(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a).
(2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur
- 1.
bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten, - 2.
bei unaufschiebbaren Anordnungen und Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten, - 3.
in anderen durch Bundesgesetz oder für Landesrecht durch Landesgesetz vorgeschriebenen Fällen, insbesondere für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die Investitionen oder die Schaffung von Arbeitsplätzen betreffen, - 3a.
für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die die Zulassung von Vorhaben betreffend Bundesverkehrswege und Mobilfunknetze zum Gegenstand haben und die nicht unter Nummer 3 fallen, - 4.
in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, besonders angeordnet wird.
(3) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ist das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Einer besonderen Begründung bedarf es nicht, wenn die Behörde bei Gefahr im Verzug, insbesondere bei drohenden Nachteilen für Leben, Gesundheit oder Eigentum vorsorglich eine als solche bezeichnete Notstandsmaßnahme im öffentlichen Interesse trifft.
(4) Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, kann in den Fällen des Absatzes 2 die Vollziehung aussetzen, soweit nicht bundesgesetzlich etwas anderes bestimmt ist. Bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten kann sie die Vollziehung auch gegen Sicherheit aussetzen. Die Aussetzung soll bei öffentlichen Abgaben und Kosten erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.
(5) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 bis 3a ganz oder teilweise anordnen, im Falle des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ganz oder teilweise wiederherstellen. Der Antrag ist schon vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, so kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung kann von der Leistung einer Sicherheit oder von anderen Auflagen abhängig gemacht werden. Sie kann auch befristet werden.
(6) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 ist der Antrag nach Absatz 5 nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn
- 1.
die Behörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder - 2.
eine Vollstreckung droht.
(7) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach Absatz 5 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.
(8) In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.
(1) Auf Antrag kann das Gericht, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, daß durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint.
(2) Für den Erlaß einstweiliger Anordnungen ist das Gericht der Hauptsache zuständig. Dies ist das Gericht des ersten Rechtszugs und, wenn die Hauptsache im Berufungsverfahren anhängig ist, das Berufungsgericht. § 80 Abs. 8 ist entsprechend anzuwenden.
(3) Für den Erlaß einstweiliger Anordnungen gelten §§ 920, 921, 923, 926, 928 bis 932, 938, 939, 941 und 945 der Zivilprozeßordnung entsprechend.
(4) Das Gericht entscheidet durch Beschluß.
(5) Die Vorschriften der Absätze 1 bis 3 gelten nicht für die Fälle der §§ 80 und 80a.
(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts (Anfechtungsklage) sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts (Verpflichtungsklage) begehrt werden.
(2) Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage nur zulässig, wenn der Kläger geltend macht, durch den Verwaltungsakt oder seine Ablehnung oder Unterlassung in seinen Rechten verletzt zu sein.
(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a).
(2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur
- 1.
bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten, - 2.
bei unaufschiebbaren Anordnungen und Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten, - 3.
in anderen durch Bundesgesetz oder für Landesrecht durch Landesgesetz vorgeschriebenen Fällen, insbesondere für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die Investitionen oder die Schaffung von Arbeitsplätzen betreffen, - 3a.
für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die die Zulassung von Vorhaben betreffend Bundesverkehrswege und Mobilfunknetze zum Gegenstand haben und die nicht unter Nummer 3 fallen, - 4.
in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, besonders angeordnet wird.
(3) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ist das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Einer besonderen Begründung bedarf es nicht, wenn die Behörde bei Gefahr im Verzug, insbesondere bei drohenden Nachteilen für Leben, Gesundheit oder Eigentum vorsorglich eine als solche bezeichnete Notstandsmaßnahme im öffentlichen Interesse trifft.
(4) Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, kann in den Fällen des Absatzes 2 die Vollziehung aussetzen, soweit nicht bundesgesetzlich etwas anderes bestimmt ist. Bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten kann sie die Vollziehung auch gegen Sicherheit aussetzen. Die Aussetzung soll bei öffentlichen Abgaben und Kosten erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.
(5) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 bis 3a ganz oder teilweise anordnen, im Falle des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ganz oder teilweise wiederherstellen. Der Antrag ist schon vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, so kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung kann von der Leistung einer Sicherheit oder von anderen Auflagen abhängig gemacht werden. Sie kann auch befristet werden.
(6) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 ist der Antrag nach Absatz 5 nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn
- 1.
die Behörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder - 2.
eine Vollstreckung droht.
(7) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach Absatz 5 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.
(8) In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.
(1) Legt ein Dritter einen Rechtsbehelf gegen den an einen anderen gerichteten, diesen begünstigenden Verwaltungsakt ein, kann die Behörde
- 1.
auf Antrag des Begünstigten nach § 80 Absatz 2 Satz 1 Nummer 4 die sofortige Vollziehung anordnen, - 2.
auf Antrag des Dritten nach § 80 Abs. 4 die Vollziehung aussetzen und einstweilige Maßnahmen zur Sicherung der Rechte des Dritten treffen.
(2) Legt ein Betroffener gegen einen an ihn gerichteten belastenden Verwaltungsakt, der einen Dritten begünstigt, einen Rechtsbehelf ein, kann die Behörde auf Antrag des Dritten nach § 80 Absatz 2 Satz 1 Nummer 4 die sofortige Vollziehung anordnen.
(3) Das Gericht kann auf Antrag Maßnahmen nach den Absätzen 1 und 2 ändern oder aufheben oder solche Maßnahmen treffen. § 80 Abs. 5 bis 8 gilt entsprechend.
(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a).
(2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur
- 1.
bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten, - 2.
bei unaufschiebbaren Anordnungen und Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten, - 3.
in anderen durch Bundesgesetz oder für Landesrecht durch Landesgesetz vorgeschriebenen Fällen, insbesondere für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die Investitionen oder die Schaffung von Arbeitsplätzen betreffen, - 3a.
für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die die Zulassung von Vorhaben betreffend Bundesverkehrswege und Mobilfunknetze zum Gegenstand haben und die nicht unter Nummer 3 fallen, - 4.
in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, besonders angeordnet wird.
(3) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ist das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Einer besonderen Begründung bedarf es nicht, wenn die Behörde bei Gefahr im Verzug, insbesondere bei drohenden Nachteilen für Leben, Gesundheit oder Eigentum vorsorglich eine als solche bezeichnete Notstandsmaßnahme im öffentlichen Interesse trifft.
(4) Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, kann in den Fällen des Absatzes 2 die Vollziehung aussetzen, soweit nicht bundesgesetzlich etwas anderes bestimmt ist. Bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten kann sie die Vollziehung auch gegen Sicherheit aussetzen. Die Aussetzung soll bei öffentlichen Abgaben und Kosten erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.
(5) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 bis 3a ganz oder teilweise anordnen, im Falle des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ganz oder teilweise wiederherstellen. Der Antrag ist schon vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, so kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung kann von der Leistung einer Sicherheit oder von anderen Auflagen abhängig gemacht werden. Sie kann auch befristet werden.
(6) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 ist der Antrag nach Absatz 5 nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn
- 1.
die Behörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder - 2.
eine Vollstreckung droht.
(7) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach Absatz 5 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.
(8) In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.
Tenor
Die Beschwerde der Beigeladenen gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 19. März 2015 wird zurückgewiesen.
Die Beigeladenen tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 7.500 € festgesetzt.
1
G r ü n d e :
2Die Beschwerde der Beigeladenen hat keinen Erfolg.
3Das Beschwerdevorbringen, auf dessen Prüfung der Senat nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, stellt die Entscheidung des Verwaltungsgerichts nicht durchgreifend in Frage. Der Antrag der Antragstellerin, die sofortige Vollziehung der ihr erteilten immissionsschutzrechtlichen Genehmigung des Antragsgegners vom 9. Januar 2014 anzuordnen, ist zulässig (dazu 1.) und - unter Berücksichtigung des Prüfungsmaßstabs - begründet (dazu 2.).
41. Der Antrag auf Anordnung der sofortigen Vollziehung ist zulässig. Nach § 80a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 Satz 1, 3. Alt. VwGO kann das Verwaltungsgericht auf Antrag des Begünstigten die sofortige Vollziehung anordnen, wenn ein Dritter einen Rechtsbehelf gegen den an einen anderen gerichteten, diesen begünstigenden Verwaltungsakt einlegt. Der Antragsgegner hat der Antragstellerin am 9. Januar 2014 die immissionsschutzrechtliche Genehmigung zur Errichtung und zum Betrieb einer Anlage zur Aufzucht und zum Halten von 2.200 Schweinen auf dem Grundstück Gemarkung E. erteilt. Die von den Beigeladenen hiergegen bei dem Verwaltungsgericht Düsseldorf erhobene Klage 3 K 463/14 hat nach § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO aufschiebende Wirkung.
5Eines vorhergehenden Antrags der Antragstellerin bei dem Antragsgegner bedurfte es im vorliegenden Fall nicht (dazu a). Der Antragstellerin fehlt es auch nicht an dem erforderlichen Rechtsschutzinteresse (dazu b).
6a) Ob ein bei Gericht gestellter Antrag auf Anordnung der sofortigen Vollziehung auch dann zulässig ist, wenn er nicht zuvor bei der Behörde gestellt und negativ beschieden worden ist, kann offen bleiben. Eine Auslegung des § 80a Abs. 3 Satz 2 i.V.m. 80 Abs. 6 Satz 1 VwGO dahin, dass ein Antrag auf sofortige Vollziehung, mit dem sich die Behörde - anders als bei einem Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO - noch nicht befasst hat, unmittelbar bei Gericht gestellt werden darf, erscheint zumindest fraglich.
7Vgl. zum Streitstand: Schoch, in: Schoch/Schneider/ Bier, VwGO, Stand: März 2015, § 80a Rn. 78; Kopp/Schenke, VwGO, 21. Auflage 2015, § 80a Rn. 21, § 80 Rn. 136; Puttler, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Auflage 2014, § 80a Rn. 16.
8Gegen sie spricht grundsätzlich der Gewaltenteilungsgrundsatz. Die Verwaltungsgerichte sind dazu berufen, behördliche Entscheidungen über Anträge zu überprüfen, nicht aber - von Ausnahmefällen abgesehen -, solche Entscheidungen unmittelbar selbst zu treffen.
9Vgl. insoweit auch (zur Frage einer zulässigen Klageänderung) BVerwG, Urteil vom 16. Januar 1986 ‑ 5 C 36/84 -, Buchholz 436.0 § 39 BSHG Nr. 5 = juris Rn. 10; OVG NRW, Urteil vom 1. August 1989 ‑ 13 A 1858/88 -, NWVBl 1990, 66.
10Hierauf kommt es aber im Ergebnis nicht an, weil es im vorliegenden Fall jedenfalls nicht eines weiteren (vorherigen) Antrags beim Antragsgegner bedurfte. Der Antragsgegner war mit dem Begehren der Antragstellerin auf Anordnung der sofortigen Vollziehung bereits zuvor befasst. Auf den diesbezüglichen Antrag der Antragstellerin vom 21. November 2011 ordnete der Antragsgegner in seinem Bescheid vom 9. Januar 2014 zunächst die sofortige Vollziehung der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung an. Diese Anordnung hob der Antragsgegner (während des laufenden gerichtlichen Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes) auf Weisung der Bezirksregierung Düsseldorf mit Schreiben vom 18. September 2014 wieder auf. Dass sich in der Folge die Sachlage so weitgehend geändert hat, dass es eines erneuten Antrags bei dem Antragsgegner bedurft hätte, ist nicht ersichtlich.
11b) Dem Antrag fehlt auch nicht das erforderliche Rechtschutzinteresse. Dieses ist nicht gegeben, wenn der jeweilige Antragsteller seine Rechte auf einfachere Weise durchsetzen kann und es somit einer Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes nicht bedarf.
12Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 4. November 1999 ‑ 7 B 1339/99 -, juris Rn. 2; Puttler, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Auflage 2014, § 80a Rn. 21; Kopp/Schenke, VwGO, 21. Auflage 2015, § 80a Rn. 21, § 80 Rn. 136.
13Die Beigeladenen können sich nicht mit Erfolg darauf berufen, ein Rechtsschutzinteresse fehle, weil der Antragsgegner ausweislich seines eigenen Vortrags im gerichtlichen Verfahren die Anordnung der sofortigen Vollziehung befürwortet und die Antragstellerin deshalb zur Durchsetzung ihrer Rechte auf das behördliche Verfahren verwiesen werden kann. Zum einen hat der Antragsgegner die sofortige Vollziehung ‑ entgegen seiner Rechtsauffassung ‑ nicht angeordnet. Zum anderen durfte die Antragstellerin angesichts des bisherigen Verfahrensablaufs davon ausgehen, dass die Beigeladenen gegen eine behördliche Anordnung der sofortigen Vollziehung gerichtlichen Rechtsschutz nach § 80a Abs. 3 Satz 1 VwGO in Anspruch nehmen würden. Dass sie vor diesem Hintergrund, insbesondere auch zum Zwecke der Verfahrensbeschleunigung, selbst gerichtlichen Rechtsschutz sucht, führt angesichts des identischen, vollumfänglichen Maßstabs der behördlichen und der gerichtlichen Prüfung,
14vgl. insoweit Puttler, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Auflage 2014, § 80a Rn. 11; Kopp/Schenke, VwGO, 21. Auflage 2015, § 80a Rn. 23, Funke-Kaiser, in: Bader u.a., VwGO, 6. Auflage 2014, § 80a Rn. 8; Schoch, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand: März 2015, § 80a Rn. 27; Schmidt, in: Eyermann, VwGO, 14. Auflage 2014, § 80a Rn. 5,
15weder zu einer zusätzlichen Inanspruchnahme der Gerichte noch - wie die Beigeladenen meinen - zu einer Verkürzung ihres gerichtlichen Rechtsschutzes. Die Beigeladenen waren - wie durch den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 2. März 2015 erfolgt - nach § 65 Abs. 2 VwGO notwendig beizuladen, so dass nach § 66 VwGO ihren prozessualen Rechte in vollem Umfang gewahrt bleiben.
16Vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 21. Auflage 2015, § 80a Rn. 20; Puttler, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Auflage 2014, § 80a Rn. 22; Sellner, in: FS Lerche, 1993, 815, 820.
17Die Annahme der Beigeladenen, die Antragstellerin bedürfe gerichtlichen Rechtsschutzes nicht, weil sie den - ihr möglichen - Antrag auf Anordnung der sofortigen Vollziehung nicht früher gestellte habe, trifft nicht zu. Ein solcher Antrag muss nicht zum frühestmöglichen Zeitpunkt gestellt werden. Es kann im Gegenteil durchaus angezeigt sein zuzuwarten. Bei der Anordnung der sofortigen Vollziehung berücksichtigen die Behörde und das Gericht im Rahmen der Abwägung der widerstreitenden privaten Interessen auch das Interesse des Begünstigten an einer sofortigen Ausnutzung der Genehmigung. Gerade dieses Interesse kann sich jedoch aufgrund Zeitablaufs intensivieren.
182. Der Antrag ist auch - unter Berücksichtigung des Prüfungsmaßstabs im Verfahren nach § 80a Abs. 3 VwGO - begründet. Die Beigeladenen werden durch die Anordnung der sofortigen Vollziehung nach § 80a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 i. V. m. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO nicht in ihren Rechten verletzt.
19Einen eigenständigen materiell-rechtlichen Maßstab für die Entscheidung des Gerichts enthält § 80a Abs. 3 Satz 1, Abs. 1 Nr. 1 VwGO nicht. Der Verweisung in § 80 Abs. 3 Satz 2 VwGO auf § 80 Abs. 5 VwGO ist allerdings zu entnehmen, dass im Rahmen der Bescheidung eines Antrags auf Anordnung der sofortigen Vollziehung ebenfalls eine Interessenabwägung vorzunehmen ist. Die Entscheidungskriterien ergeben sich - soweit ein besonderes öffentliches Interesse am Sofortvollzug nicht erkennbar ist - aus § 80 Abs. 2 Nr. 4, 2. Alt. VwGO, auf den § 80 Abs. 3 Satz 2 VwGO ebenfalls Bezug nimmt. Ausgangspunkt dieser Interessenabwägung ist der begünstigende Verwaltungsakt mit drittbelastender Wirkung. Maßgeblich ist insoweit, ob der die aufschiebende Wirkung auslösende Rechtsbehelf - hier die Klage der Beigeladenen gegen die der Antragstellerin erteilte immissionsschutzrechtliche Genehmigung - bei der angezeigten summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage voraussichtlich Erfolg haben wird. Dies ist (nur) dann der Fall, wenn die Genehmigung rechtswidrig ist und die Beigeladenen hierdurch in eigenen, gerade ihrem Schutz dienenden Rechtsnormen verletzt sind. Umgekehrt kann ein überwiegendes Interesse des durch den Verwaltungsakt Begünstigten bejaht werden, wenn der von dem belasteten Beteiligten eingelegte Rechtsbehelf mit erheblicher Wahrscheinlichkeit erfolglos bleiben wird und eine Fortdauer der grundsätzlich aufschiebenden Wirkung des Rechtsbehelfs dem Begünstigten gegenüber unbillig wäre. Darüber hinausgehende Rechtsverletzungen verschaffen dem anfechtenden Dritten keine im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigende Rechtsposition, weil ihm ein allgemeiner Gesetzesvollziehungsanspruch nicht zukommt.
20Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 26. September 2008 - 13 B 1169/08 -, PharmR 2008, 607 = juris Rn. 9 ff., vom 31. März 2009 - 13 B 278/09 -, juris Rn. 7 ff., und vom 24. Mai 2012 - 8 B 225/12 -, juris Rn. 9; Bay. VGH, Beschluss vom 23. August 1991 ‑ 14 CS 91.2254 -, BayVBl. 1991, 723, 724; OVG S.‑H., Beschluss vom 22. Februar 1995, 4 M 113/94 -, juris Rn. 2; Puttler, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Auflage 2014, § 80a Rn. 29; vgl. weiterhin BVerfG, Beschluss vom 1. Oktober 2008 - 1 BvR 2466/08 -, BVerfGK 14, 278 = juris Rn. 21 f.
21In Anwendung dieses Maßstabs hat das Verwaltungsgericht zu Recht angenommen, dass die Klage der Beigeladenen 3 K 463/14 voraussichtlich keinen Erfolg haben wird (dazu a) und die Fortdauer der aufschiebenden Wirkung für die Antragstellerin unbillig erscheint (dazu b).
22a) Das Beschwerdevorbringen stellt die entscheidungserhebliche Annahme, die Beigeladenen könnten sich auf eine Verletzung ihrer nachbarlichen Abwehrrechte nicht berufen, weil sie mit ihren Einwendungen gemäß § 10 Abs. 3 Satz 5 BImSchG ausgeschlossen seien, nicht in Frage. Die Beigeladenen haben nicht rechtzeitig (ausreichende) Einwendungen erhoben (dazu aa). Die Präklusionswirkung entfällt auch nicht wegen fehlerhafter Bekanntmachung des Vorhabens (dazu bb).
23aa) Nach § 10 Abs. 3 Satz 2 BImSchG sind der Genehmigungsantrag und die von dem Antragsteller vorgelegten Unterlagen sowie die entscheidungserheblichen Berichte und Empfehlungen nach der Bekanntmachung einen Monat zur Einsicht auszulegen. Gemäß § 10 Abs. 3 Satz 4 BImSchG kann die Öffentlichkeit bis zwei Wochen nach Ablauf der Auslegungsfrist gegenüber der zuständigen Behörde schriftlich Einwendungen erheben. Mit Ablauf der Einwendungsfrist sind nach § 10 Abs. 3 Satz 5 BImSchG alle Einwendungen ausgeschlossen, die nicht auf besonderen privatrechtlichen Titeln beruhen. Der Einwendungsausschluss wirkt dabei nicht nur im weiteren Verwaltungsverfahren. Auch im nachfolgenden gerichtlichen Verfahren sind die Betroffenen hinsichtlich der Geltendmachung solcher Rechtspositionen ausgeschlossen, die nicht Gegenstand rechtzeitiger Einwendungen i. S. d. § 10 Abs. 3 Satz 5 BImSchG waren.
24Vgl. BVerwG, Urteil vom 29. August 1986 - 7 C 52/84 -, NVwZ 1987, 131 = juris Rn. 10; Bay. VGH, Beschluss vom 9. Juni 2011 - 22 ZB 10.2192, 22 ZB 122 ZB 10.2395 -, UPR 2011, 456 = juris Rn. 16; Dietlein, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Band 3, Stand: Januar 2015, § 10 BImSchG Rn. 159; Jarass, BImSchG, 8. Auflage 2010, § 10 Rn. 91; zur Frage der Präklusion vgl. weiterhin: BVerwG, Urteile vom 17. Juli 1980 - 7 C 101/78 -, BVerwGE 60, 297 = juris Rn. 14 ff. (zu § 3 Abs. 1 AtAnlV), und vom 24. Mai 1996 - 4 A 38/95 -, NVwZ 1997, 489 = juris Rn. 15; Beschluss vom 11. Februar 2000 - 4 VR 17/99 -, juris Rn. 20; Urteil vom 30. Januar 2008 - 9 A 27/06 -, NVwZ 2008, 678 = juris Rn. 29 (jeweils zu § 17 Abs. 4 Satz 1 FStrG).
25Durch die Beteiligung der Betroffenen bereits im Verwaltungsverfahren wird ein Teil ihres Rechtsschutzes vorverlagert und ihnen damit die Einflussnahme auf den Inhalt der zu treffenden Entscheidung eröffnet. Dies ermöglicht schon frühzeitig einen Ausgleich der unterschiedlichen Interessen. Einerseits ist es den Betroffenen möglich, ihre Interessen vorzutragen und auf ihre Behandlung zu dringen. Andererseits stärkt die Regelung die Bestandskraft der einmal erteilten Genehmigung gegenüber solchen Drittbetroffenen, die sich am Verwaltungsverfahren nicht oder nicht rechtzeitig beteiligt haben.
26Vgl. BVerfG, Beschluss vom 8. Juli 1982 - 2 BvR 1187/80 -, BVerfGE 61, 82 = juris Rn. 90; BVerwG, Urteil vom 17. Juli 1980 - 7 C 101/78 -, BVerwGE 60, 297 = juris Rn. 18, Beschluss vom 7. Dezember 1983 - 7 B 159/83 -, NVwZ 1984, 234 = juris Rn. 5, und Urteil vom 30. Januar 2008 - 9 A 27/06 -, NVwZ 2008, 678 = juris Rn. 29; Dietlein, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Band 3, Stand: Januar 2015, § 10 BImSchG Rn. 163.
27Der Einwendungsausschluss ist dabei verfassungsrechtlich im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4, 103 Abs. 1 GG sowie die aus den Grundrechten folgende staatliche Schutzpflicht grundsätzlich nicht zu beanstanden. Soweit die Betroffenen der ihnen auferlegten Mitwirkungsobliegenheit genügen, bleiben ihnen nicht nur die fraglichen Rechtspositionen im weiteren Verfahren erhalten. Zudem können sie ihre Bedenken frühzeitig und daher besonders wirkungsvoll in das Verfahren einbringen.
28Vgl. BVerfG, Beschluss vom 8. Juli 1982 - 2 BvR 1187/80 -, BVerfGE 61, 82 = juris Rn. 91; BVerwG, Beschluss vom 7. Dezember 1983 - 7 B 159/83 -, NVwZ 1984, 234 = juris Rn. 5, und Urteile vom 24. Mai 1996 - 4 A 38/95 -, NVwZ 1997, 489 = juris Rn. 18, sowie vom 30. Januar 2008 - 9 A 27/06 -, NVwZ 2008, 678 = juris Rn. 29; Dietlein, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Band 3, Stand: Januar 2015, § 10 BImSchG Rn. 163.
29Einwendungen - hier i. S. d. § 10 Abs. 3 Satz 5 BImSchG - sind sachliches, auf die Verhinderung oder Modifizierung des beantragten Vorhabens abzielendes Gegenvorbringen. Das bloße Nichteinverstandensein im Sinne eines nicht näher spezifizierten Protests stellt keine Einwendung dar. Die Einwendung soll zur sachlichen Bewältigung des Vorhabens durch die Genehmigungsbehörde beitragen und ihr insoweit „die Richtung weisen“. Dies setzt voraus, dass die Behörde erkennen kann, in welcher Weise sie bestimmte Belange einer näheren Betrachtung unterziehen soll.
30Vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Juli 1980 - 7 C 101/78 -, BVerwGE 60, 297 = juris Rn. 10 ff. (zu § 3 Abs. 1 AtAnlV), sowie Beschlüsse vom 30. Januar 1995 ‑ 7 B 20/95 -, juris Rn. 2, und vom 24. Juli 2008 - 7 B 19.08 -, juris Rn. 10; OVG NRW, Beschluss vom 6. März 2006 - 8 B 870/05 -, juris Rn. 14, und Urteil vom 9. Dezember 2009 - 8 D 10/08.AK -, DVBl. 2010, 724 = juris Rn. 130.
31An die eine Präklusion vermeidende Einwendung dürfen jedoch, um dem verfassungsrechtlichen Gebot effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) sowie dem Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) zu genügen, keine allzu hohen Anforderungen gestellt werden. Dies gilt insbesondere für die Substantiierungslast privater Einwender. Eine Einwendung muss zwar erkennen lassen, in welcher Hinsicht aus der Sicht des Einwendenden Bedenken gegen das beabsichtigte Vorhaben bestehen. Insoweit reicht es aber zur Substantiierung aus, wenn aus der Einwendung ersichtlich wird, welches Rechtsgut des Einwendenden wie betroffen sein soll. Der Einwender muss dieses Rechtsgut bezeichnen und die befürchteten Beeinträchtigungen darlegen. Er muss hingegen nicht im Einzelnen vorbringen, weshalb dieses Rechtsgut gefährdet wird; eine Erkennbarkeit in groben Zügen genügt. Dabei ist von dem durchschnittlichen Wissen eines nicht-sachkundigen Bürgers in Bezug auf mögliche Beeinträchtigungen von Leben, Gesundheit und sonstiger geschützter Rechtsgüter auszugehen. Ausführungen, die fachwissenschaftlichen Sachverstand voraussetzen, können regelmäßig nicht erwartet werden. Ebenso kann privaten Einwendern keine rechtliche Einordnung ihrer Einwendungen abverlangt werden.
32Vgl. BVerfG, Beschluss vom 8. Juli 1982 - 2 BvR 1187/80 -, BVerfGE 61, 82 = juris Rn. 95; BVerwG, Urteile vom 17. Juli 1980 - 7 C 101/78 -, BVerwGE 60, 297 = juris Rn. 10 ff., und vom 14. Juli 2011 - 9 A 14/10 -, NVwZ 2012, 180 = juris Rn. 17; OVG NRW, Beschluss vom 6. März 2006 - 8 B 870/05 -, juris Rn. 16; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 16. Juni 1998 ‑ 10 S 909/97 -, NVwZ-RR 1999, 230 = juris Rn. 30; Bay. VGH, Beschlüsse vom 4. Juni 2003 - 22 CS 03.1109 -, NVwZ 2003, 1138 = juris Rn. 11, und vom 9. Juni 2011 - 22 ZB 10.2192, 22 ZB 122 ZB 10.2395 -, UPR 2011, 456 = juris Rn. 16.
33Auf der Grundlage dieser Maßstäbe hat das Verwaltungsgericht das Vorbringen der Beigeladenen zu Recht als nach § 10 Abs. 3 Satz 5 BImSchG präkludiert angesehen.
34Hinsichtlich der Beigeladenen zu 2. hat das Verwaltungsgericht ausgeführt, diese habe innerhalb der Einwendungsfrist gar keine Einwendungen erhoben. Das Einwendungsschreiben vom 10. Mai 2013 weise nur den Beigeladenen zu 1. als Einwender aus und trage allein seine Unterschrift. Hiergegen wendet sich die Beschwerde in der Sache nicht. Vielmehr verweist diese lediglich allgemein darauf, die Beigeladenen seien mit ihren Einwendungen nicht präkludiert. Insoweit bezieht sich die Beschwerde aber sodann ausschließlich auf das Einwendungsschreiben des Beigeladenen zu 1.
35Auch der Beigeladene zu 1. hat keine den vorgenannten Maßstäben genügenden Einwendungen erhoben. Sein Hinweis in dem Schreiben vom 10. Mai 2013, er befürchte „dadurch“ einen erheblichen Mietzinsverlust bei seinen sieben Mietwohnungen, ist nicht hinreichend substantiiert. Dabei kann offen bleiben, ob das betroffene Rechtsgut bzw. das rechtlich geschützte Interesse ausreichend konkret benannt ist. Dem Hinweis ist - wie auch die Beschwerde selbst einräumt - jedenfalls nicht zu entnehmen, in welcher Weise der Beigeladene zu 1. seine Rechtsposition beeinträchtigt sieht. Dies ist auch unter Berücksichtigung der Art des Vorhabens nicht in einer Weise offenkundig, dass von einer solchen Bezeichnung Abstand genommen werden konnte.
36bb) Der Eintritt der Präklusionswirkung ist gegenüber den Beigeladenen auch nicht wegen eines Fehlers bei der Bekanntmachung des Vorhabens ausgeschlossen. Mängel der Bekanntmachung stehen dem Eintritt der Präklusion nach § 10 Abs. 3 Satz 5 BImSchG entgegen, wenn sie geeignet sind, von der fristgerechten Erhebung von Einwendungen abzuhalten, sie zu verhindern oder zu erschweren. Die Präklusion tritt gleichfalls nicht ein, wenn in der öffentlichen Bekanntmachung entgegen § 10 Abs. 4 Nr. 2 BImSchG nicht auf die Rechtsfolge des Einwendungsausschlusses hingewiesen worden ist.
37Vgl. BVerwG, Beschluss vom 11. Februar 2000 ‑ 4 VR 17/99 -, juris Rn. 21 (zu § 17 Abs. 4 Satz 1 FStrG); OVG NRW, Urteil vom 9. Dezember 2009 ‑ 8 D 10/08.AK -, DVBl. 2010, 724 = juris Rn. 125; Bay. VGH, Beschluss vom 4. Juni 2003 - 22 CS 03.1109 -, NVwZ 2003, 1138 = juris Rn. 9; Dietlein, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht, Band 3, Stand: Januar 2015, § 10 BImSchG Rn. 165; vgl. weiterhin BVerwG, Urteile vom 17. Juli 1980 - 7 C 101/78 -, BVerwGE 60, 297 = juris Rn. 36, und vom 24. Mai 1996 - 4 A 38/95 -, NVwZ 1997, 489 = juris Rn. 20 (zu § 17 Abs. 4 Satz 1 FStrG).
38Die streitgegenständliche öffentliche Bekanntmachung leidet nicht an Mängeln, die dem Eintritt der Ausschlusswirkung des § 10 Abs. 3 Satz 5 BImSchG im Verhältnis zu den Beigeladenen entgegen stehen.
39Der Antragsgegner hat in der Bekanntmachung im Amtsblatt vom 13. März 2013 zunächst auf die Notwendigkeit leserlicher Angaben betreffend Name und Anschrift hingewiesen. Der von den Beigeladenen bemängelte - unstreitig nach den gesetzlichen Anforderungen nicht erforderliche - Hinweis, darüber hinaus würden
40„auch nur solche Einwendungen Berücksichtigung finden, die erkennen lassen, welches der Rechtsgüter (z.B. Leib, Leben und Gesundheit oder Eigentum) die Personen, die Einwendungen erhoben haben, als gefährdet ansehen“,
41war entgegen dem Beschwerdevorbringen nicht geeignet, die Beigeladenen an einer Erhebung einer die Präklusion vermeidenden Einwendung zu hindern oder diese zu erschweren. Die Beschwerde macht - zu Recht - nicht geltend, der vorstehende Zusatz in der Bekanntmachung sei bei isolierter Betrachtung falsch. Der Hinweis auf das in der Einwendung zu benennende Rechtsgut steht vielmehr in Übereinstimmung mit der dargelegten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und der Oberverwaltungsgerichte.
42Die Benennung nur einiger Erfordernisse für eine ausreichende Einwendung führt nicht zu einer fehlerhaften Bekanntmachung. Es ist nicht Aufgabe der Bekanntmachung nach § 10 Abs. 4 Nr. 2 BImSchG, dem Betroffenen jede eigene Sorge um die Art seines Vorgehens abzunehmen.
43So ausdrücklich BVerwG, Urteil vom 17. Juli 1980 ‑ 7 C 101/78 -, BVerwGE 60, 297 = juris Rn. 36.
44Eine bloße Aufzählung solcher Voraussetzungen, die nach der Rechtsprechung unbedingt für die mit der Einwendung gewollte Anstoßfunktion im Verwaltungsverfahren und damit für den Ausschluss der Präklusionswirkung nach § 10 Abs. 3 Satz 5 BImSchG notwendig sind, befreit den Betroffenen nicht von der Obliegenheit, sich über die Anforderungen (im Übrigen) zu informieren. Ist ein zusätzlich in die Bekanntmachung aufgenommener, die Erhebung von Einwendungen betreffender Hinweis für sich genommen richtig, ist er nur dann geeignet, einen Betroffenen von der fristgerechten Erhebung von Einwendungen abzuhalten, sie zu verhindern oder zu erschweren, wenn er eine - tatsächlich nicht gegebene - Ausschließlichkeit der genannten Erfordernisse suggeriert und der Betroffene deshalb von der Erhebung von Einwendungen oder der Angabe weiterer Informationen absieht.
45Dies ist hier nicht der Fall. Entgegen dem Beschwerdevorbringen erzeugt der oben zitierte Hinweis in der Bekanntmachung nicht den Eindruck, dass potentielle Einwender nur das aus ihrer Sicht betroffene Rechtsgut benennen müssen und nicht auch die Art der Gefährdung. Dem Hinweis ist zunächst eindeutig zu entnehmen, dass die Bezeichnung des betroffenen Rechtsguts - ebenso wie die Nennung des Namens und der Anschrift des Einwenders - für die Erhebung einer rechtzeitigen Einwendung i. S. d. § 10 Abs. 3 Satz 5 BImSchG unverzichtbar ist. Weder der Wortlaut noch der Kontext erwecken jedoch bei Zugrundelegung eines objektiven Empfängerhorizontes den Eindruck, die Anforderungen an die Einwendung seien damit abschließend aufgezählt. Die Formulierung „der Rechtsgüter, die Personen,…, als gefährdet ansehen“ gibt vielmehr auch einem Laien hinreichenden Anlass zu der Annahme, dass er auch die Umstände darzulegen hat, die ihn dazu bewegen, (gerade) dieses Rechtsgut für gefährdet zu halten.
46Soweit die Beschwerde sich auf den Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshof vom 4. Juni 2003 beruft,
47- 22 CS 03.1109 -, NVwZ 2003, 1138 = juris Rn. 9,
48übersieht sie schon, dass die Bekanntmachung im dortigen Fall durch die Nennung unrichtiger Alternativen der Erhebung von Einwendungen - anders als im vorliegenden Fall - isoliert betrachtet inhaltlich unrichtig war.
49Sind die Beigeladenen wegen Präklusion nach § 10 Abs. 3 Satz 5 BImSchG mit ihren Einwendungen auch im gerichtlichen Verfahren ausgeschlossen, ist auf ihr Beschwerdevorbringen in der Sache nicht mehr einzugehen.
50b) Die Fortdauer der aufschiebenden Wirkung der Klage der Beigeladenen erweist sich gegenüber der Antragstellerin als unbillig. Dabei sind an das besondere Interesse der Antragstellerin angesichts des bei summarischer Prüfung voraussichtlich erfolglosen Rechtsbehelfs in der Hauptsache keine hohen Anforderungen zu stellen. Schon ohne die Berücksichtigung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache sind die sich gegenüberstehenden Rechtspositionen Privater grundsätzlich gleichrangig.
51Vgl. BVerfG, Beschluss vom 1. Oktober 2008 ‑ 1 BvR 2466/08 -, BVerfGK 14, 278 = juris Rn. 21; Sellner, in: FS Lerche, 1993, 815, 824.
52Hat der Rechtsbehelf in der Hauptsache voraussichtlich keinen Erfolg, reichen schon geringe Beeinträchtigungen aus, eine weitere Verzögerung als unbillig erscheinen zu lassen.
53Die Antragstellerin hat ein nachvollziehbares Interesse an der Ausnutzung der erteilten und nur noch durch die Beigeladenen angegriffenen immissionsschutzrechtlichen Genehmigung. Die gegen die Genehmigung durch weitere Nachbarn erhobene Klage (Az. 3 K 1619/14) ist vom Verwaltungsgericht Düsseldorf am 19. Januar 2015 rechtskräftig abgewiesen worden. Eine weitere Verzögerung der Errichtung und Inbetriebnahme der Anlage führt zu Umsatzausfällen für die Antragstellerin, die nicht ohne weiteres auszugleichen sind und - gerade aufgrund des Umfangs der geplanten Erweiterung - einen offensichtlichen, nicht unerheblichen wirtschaftlichen Nachteil darstellen.
54Aufgrund der Entscheidung in der Sache bedarf der zwischenzeitlich gestellte Antrag der Beigeladenen, nach § 149 Abs. 1 Satz 2 VwGO die Vollziehung der angefochtenen Entscheidung einstweilen auszusetzen, keiner Bescheidung mehr.
55Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 und 3 VwGO.
56Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 52 Abs. 1 und 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG. Der Senat orientiert sich dabei an Nr. 19.2 i. V. m. Nr. 2.2.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.
57Abrufbar unter http://www.BVerwG.de/medien/pdf/ streitwertkatalog.pdf.
58Der sich so ergebende Streitwert ist im Verfahren des vorläufigen Rechtschutzes nach Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs um die Hälfte zu reduzieren.
59Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 68 Abs. 2 Satz 6 und 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).
Tenor
Die Beschwerde der Antragsgegner gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Schwerin vom 26. August 2013 – 7 B 62/13 – (Ziffer 1. des Tenors) wird zurückgewiesen.
Die Antragsgegner tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens jeweils zur Hälfte.
Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 7.500,00 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
- 1
Der Antragsteller wendet sich mit seinem Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz zuletzt gegen den wasserverkehrsrechtlichen Bescheid der Antragsgegnerin zu 1. vom 04. Februar 2013 über die nach näheren Maßgaben zu Gunsten des Antragsgegners zu 2. erfolgte Genehmigung über Errichtung und Betrieb eines Fahrgastschiffanlegers mit 22 Sportbootliegeplätzen – davon 19 Gast- und 3 Dauerliegeplätzen – in der Gemarkung Schweriner See, Flur .., Flurstück ….
- 2
Das geplante Vorhaben liegt im Geltungsbereich der Landschaftsschutzgebietsverordnung „Schweriner Innensee und Ziegelaußensee“ vom 05. April 2005 (nachfolgend: LSGVO) sowie innerhalb des Europäischen Vogelschutzgebietes „Schweriner Seen“, DE 2235-402. Mit der durch die Verordnung erfolgten Schutzgebietsausweisung wird ein Teil des Europäischen Vogelschutzgebietes zum Schutzgebiet erklärt und das Vogelschutzgebiet Bestandteil des Europäischen ökologischen Netzes „Natura 2000“ (vgl. § 1 Abs. 3 LSGVO). Die geplante Steganlage soll an der südlichen Seite der Schlossbucht des Schweriner Sees errichtet werden. Der gegenüber dem S. Schloss liegende Stegstandort grenzt östlich an das Vereinsgelände des „B-Stadt e. V.“, der ebenfalls eine Steganlage betreibt, und westlich an eine vorhandene historische Bebauung.
- 3
Auf den Bauantrag des Antragsgegners zu 2. vom 09. Februar 2011 teilte die Antragsgegnerin zu 1. (Untere Wasserbehörde) Ersterem mit Schreiben vom 07. Juni 2011 „nach Maßgabe des § 6 Abs. 1 des Gesetzes über die Nutzung der Gewässer für den Verkehr und die Sicherheit in den Häfen“ (Wasserverkehrs- und Hafensicherheitsgesetz - WVHaSiG M-V) zunächst lediglich eine „Handlungsrichtlinie“ mit. Da es an einem Außenverhältnis der Beteiligten mangele, werde durch die untere Wasserverkehrsbehörde kein Verwaltungsakt erlassen.
- 4
Am 30. März 2012 hat der Antragsteller zunächst beim Verwaltungsgericht Schwerin um einstweiligen Rechtsschutz mit dem Ziel nachgesucht, den Antragsgegnern den Beginn mit Bauarbeiten zu untersagen. Mit Beschluss vom 30. März 2012 – 7 B 174/12 – hat das Verwaltungsgericht der Antragsgegnerin zu 1. mit sofortiger Wirkung vorläufig bis zu einer abschließenden Entscheidung in dem Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes aufgegeben, Bauarbeiten bzw. damit zusammenhängende Vorbereitungsarbeiten für den geplanten Schiffsanleger in der südlichen Schlossbucht des Schweriner Sees einzustellen bzw. – soweit sie von Dritten vorgenommen werden – zu unterbinden.
- 5
Nachdem die Antragsgegner ihre Absicht mitgeteilt hatten, vor Baubeginn eine FFH-Hauptprüfung durchführen zu lassen, und gegenüber dem Antragsteller zugesichert hatten, diesen gemäß der Regelung in § 30 Abs. 2 NatSchAG M-V durch Übersendung der „FFH-Hauptprüfung“ und Einräumung einer mindestens vierwöchigen Stellungnahmefrist zu beteiligen, was auch für alle sonstigen für das Vorhaben bedeutsamen Unterlagen gelte, soweit sie noch nicht übersandt worden waren, hat das Verwaltungsgericht auf Antrag der Beteiligten mit Beschluss vom 25. April 2012 das Ruhen des Verfahrens angeordnet. Es hat dabei zur Klarstellung darauf hingewiesen, dass der Beschluss vom 30. März 2012 nach wie vor Gültigkeit beanspruche.
- 6
Im August 2012 haben die Antragsgegner dem Antragsteller u. a. die FFH-Verträglichkeitsstudie „Schlossbuchtanleger Schwerin“ (Stand: 28.08.2012) und den artenschutzrechtlichen Fachbeitrag „Schlossbuchtanleger 2012“ (Stand: 28.08.2012), jeweils erstellt vom Büro „P.“ B-Stadt, übermittelt; bei den Verwaltungsvorgängen befinden sich diese Unterlagen (nur) mit Stand: 13. bzw. 08. November 2012.
- 7
Mit wasserverkehrsrechtlichem Bescheid vom 04. Februar 2013 hat die Antragsgegnerin zu 1. gestützt auf § 6 Abs. 1 Nr. 1 WVHaSiG nach näheren Maßgaben zu Gunsten des Antragsgegners zu 2. die Genehmigung über Errichtung und Betrieb eines Fahrgastschiffanlegers mit 22 Sportbootliegeplätzen – davon 19 Gast- und 3 Dauerliegeplätzen – in der Gemarkung Schweriner See, Flur …, Flurstück … erteilt und den Bescheid mit näherer Begründung für sofort vollziehbar erklärt. Die Antragsgegnerin zu 1. hat zur Begründung des Bescheides u. a. angenommen, unter Berücksichtigung möglicher Summations-effekte mit anderen Plänen/Projekten seien keine erheblichen Beeinträchtigungen des Natura-2000-Gebietes in seinen für die Erhaltungsziele oder den Schutzzweck maßgeblichen Bestandteilen zu erwarten, weil die vorgesehenen Vermeidungsmaßnahmen inkl. Schadensbegrenzungsmaßnahmen sowie das Risikomanagement geeignet und wirksam seien.
- 8
Gegen den Bescheid vom 04. Februar 2013 hat der Antragsteller unter dem 6. Februar 2013 Widerspruch eingelegt und die Aussetzung des Sofortvollzugs beantragt. Den Aussetzungsantrag hat die Antragsgegnerin zu 1. unter dem 13. Februar 2013 zurückgewiesen.
- 9
Mit am 07. Februar 2013 beim Verwaltungsgericht eingegangenem Schriftsatz haben die Antragsgegner dem Verwaltungsgericht den Genehmigungsbescheid vom 04. Februar 2013 übersandt und beantragt,
- 10
die Rechtmäßigkeit der Genehmigung festzustellen und
- 11
den Baueinstellungsbeschluss vom 30. März 2012 aufzuheben.
- 12
Daraufhin hat das Verwaltungsgericht das ruhende Verfahren unter dem Az. 7 B 62/13 wiedereröffnet.
- 13
Mit am 08. März 2013 eingegangenem Schriftsatz hat der Antragsteller beantragt:
- 14
Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers vom 06.02.2013 gegen den wasserverkehrsrechtlichen Bescheid des Antragsgegners zu 1. vom 4.2.2013 – wasserverkehrsrechtlicher Bescheid, hier: Errichtung und Betrieb eines Fahrgastschiffanlegers mit 22 Sportbootliegeplätzen, davon 19 Gastliegeplätze und drei Dauerliegeplätze in Schwerin, F. Weg 19, in der Gemarkung Schweriner See, Flur …, Flurstück … – wird wiederhergestellt.
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Mit dem angefochtenen Beschluss vom 26. August 2013 hat das Verwaltungsgericht den Beschluss vom 30. März 2012 – 7 B 174/12 – klarstellend aufgehoben und die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers vom 06. Februar 2013 gegen den Bescheid der Antragsgegnerin zu 1. vom 04. Februar 2013 wiederhergestellt (Ziffer 1. des Tenors). Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der Antragsteller sei zunächst nach Maßgabe von § 64 Abs. 1 i.V.m. § 63 Abs. 2 Nr. 5 BNatSchG antragsbefugt gemäß § 42 Abs. 2 VwGO, weil er das Ergebnis der Verträglichkeitsstudie bzw. diese selbst beanstande und deshalb geltend mache, es sei nicht mit hinreichender Sicherheit auszuschließen, dass es für die Zulassungsfähigkeit des Vorhabens einer Abweichungsentscheidung nach § 34 Abs. 3 – 5 BNatSchG bedurft hätte. Diese Rüge sei durch sein Beanstandungsrecht gedeckt. Der Antrag sei auch begründet. Das Verwaltungsgericht gehe zunächst davon aus, dass die erteilte Genehmigung mit hoher Wahrscheinlichkeit rechtswidrig sei. Sie leide daran, dass die Antragsgegnerin zu 1. zu Unrecht von einer vollumfänglichen Verwertbarkeit der vom Antragsgegner zu 2. in Auftrag gegebenen Verträglichkeitsstudie vom 13. November 2012 des Büros „P.“ ausgehe. Der Antragsteller habe Mängel der FFH-Verträglichkeitsstudie gerügt, die ihre vollumfängliche Verwertbarkeit zum nach § 34 BNatSchG notwendigen Ausschluss von erheblichen Beeinträchtigungen ausgeschlossen erscheinen ließen. Das gelte auch unter Berücksichtigung der späterhin während des laufenden gerichtlichen Verfahrens von der Antragsgegnerin zu 1. veranlassten Begutachtungen durch das K. Institut, Dr. M.. Dabei könnten sich die Antragsgegner nicht auf die fehlende Notwendigkeit einer FFH-Verträglichkeitsprüfung berufen. Deren Notwendigkeit ergebe sich bereits aus der „Abschätzung der Ergebnisse einer FFH-Vorprüfung hinsichtlich des SPA Schweriner Seen (DE 2235-402)“ vom S.-Kooperationsbüro für Umwelt und Landschaftsplanung, Dr. W. S., mit Stand vom 02. April 2012. Für die Verträglichkeitsprüfung gelte, dass ein Projekt, das zu erheblichen Beeinträchtigungen eines Natura-2000-Gebietes in seinen für die Erhaltungsziele oder den Schutzzweck maßgeblichen Bestandteilen führen kann, unzulässig sei, es sei denn es lägen die Abweichungsvoraussetzungen des § 34 Abs. 3 – 5 BNatSchG vor. Die vorliegend erarbeitete FFH-Verträglichkeitsstudie gebe nur in Teilen verwertbare Antworten auf die Frage einer Beeinträchtigung des Vogelschutzgebietes bei einer Umsetzung des hier in Rede stehenden Projekts. Die Studie übersehe zwar die hohen Vorbelastungen im Schweriner See für die maßgeblichen Erhaltungsziele durch den Bootsverkehr nicht, setze sich aber dann nicht hinreichend mit der für das gesamte Schutzgebiet durch das Vorhaben zu erwartenden Zusatzbelastung auseinander bzw. blende diese ohne nachvollziehbare Begründung aus. Für das Gericht sei – was ausführlich begründet wird – nicht mehr nachvollziehbar, dass nach einer Grundprämisse die Studie im Hinblick auf die sog. betriebsbedingten Wirkfaktoren grundsätzlich davon ausgehe, dass sowohl die 19 neuen sogenannten Gastliegeplätze als auch der Fahrgastschiffanleger, der schon von seiner Begrifflichkeit her für Großschiffe, also auch Seekreuzfahrer bzw. Hotelschiffe mit Übernachtungsmöglichkeit, gedacht sei, lediglich von bereits jetzt im See verkehrenden Wasserfahrzeugen angesteuert werde; denklogisch werde an diese Arbeitshypothesen anknüpfend für die weiteren Betrachtungen der Studie davon ausgegangen, dass durch die Projektverwirklichung kein zusätzlich erzeugter Schiffsverkehr, jedenfalls aber nicht ein Mehr an Schiffen im FFH-Gebiet zu erwarten sei. Dieses Manko der Studie werde auch nicht durch den Umstand egalisiert, dass nach der S.-Studie 2011 der vorhandene Bootsbestand bereits eine immense Vorbelastung darstelle; ebenso wenig lasse sich dieses Manko der Studie durch ein fehlendes Überschreiten der Bagatellgrenze relativieren. Nach gegenwärtigem Erkenntnisstand sei damit davon auszugehen, dass mit dem Vorhaben Auswirkungen bezweckt würden, die zu einer deutlichen Zunahme des Bootsverkehrs und der von diesem zu erwartenden negativen Auswirkungen im Gesamtschutzgebiet führen werde; andere Annahmen wären insoweit – auch unter wirtschaftlicher Betrachtungsweise – eher lebensfremd und von nur geringerer Wahrscheinlichkeit. Unabhängig von diesen Erwägungen müsse im Übrigen bei unterstellt offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens eine reine Interessenabwägung – was näher ausgeführt wird – zu Lasten der Antragsgegner gehen.
II.
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Die von beiden Antragsgegnern fristgemäß eingelegte und gleichermaßen fristgemäß begründete Beschwerde gegen Ziffer 1. des Beschlusses des Verwaltungsgerichts vom 26. August 2013 – 7 B 62/13 – hat keinen Erfolg.
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§ 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO bestimmt, dass die Beschwerde innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung zu begründen ist. Nach § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO muss die Beschwerdebegründung einen bestimmten Antrag enthalten, die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung des Verwaltungsgerichts abzuändern oder aufzuheben ist, und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinander setzen. In Beschwerdeverfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ist der Gegenstand der gerichtlichen Prüfung gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO darauf beschränkt, den angefochtenen Beschluss des Verwaltungsgerichts an Hand derjenigen Gründe nachzuprüfen, die der Beschwerdeführer darlegt.
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Die mit der Beschwerde benannten Gründe rechtfertigen keine Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung. Sie vermögen die Annahme des Verwaltungsgerichts, die erteilte Genehmigung sei derzeit mit hoher Wahrscheinlichkeit rechtswidrig, daraus resultierend werde der Hauptsacherechtsbehelf voraussichtlichen Erfolg haben, nicht zu erschüttern; die Auffassung des Verwaltungsgerichts, der Antragsteller sei mit Blick auf die ihm gesetzlich eingeräumten Beteiligungsrechte antragsbefugt, stellt das Beschwerdevorbringen nicht in Frage.
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Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1, 2. Alt. i. V. m. § 80a Abs. 3 Satz 2 VwGO (vgl. dazu Kopp/Schenke, VwGO, 19. Aufl., § 80a Rn. 17) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung in den Fällen des Abs. 2 Nr. 4 ganz oder teilweise wiederherstellen. Die gerichtliche Entscheidung über den Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz ergeht auf der Grundlage einer Interessenabwägung. Gegenstand der Abwägung sind auf der einen Seite das private Interesse des Antragstellers, vorläufig vom Vollzug des Verwaltungsaktes verschont zu bleiben (Aussetzungsinteresse), und auf der anderen Seite das öffentliche Interesse an der Vollziehung des Verwaltungsaktes (Vollziehungsinteresse) bzw. – im Falle des § 80a VwGO – das entsprechende private Vollziehungsinteresse. Im Rahmen der Interessenabwägung ist der Gesichtspunkt der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes bzw. der Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache zu berücksichtigen. In der Regel überwiegt das öffentliche/private Vollziehungsinteresse, wenn sich der angegriffene Verwaltungsakt nach dem Prüfungsmaßstab des – summarischen – vorläufigen Rechtsschutzverfahrens als rechtmäßig erweist und der Rechtsbehelf in der Hauptsache ohne Aussicht auf Erfolg sein dürfte. Demgegenüber überwiegt grundsätzlich das private Aussetzungsinteresse, wenn sich der Verwaltungsakt nach diesem Maßstab als rechtswidrig erweist und der Rechtsbehelf in der Hauptsache voraussichtlich Erfolg haben wird; an der Vollziehung eines rechtswidrigen Bescheides besteht regelmäßig kein schutzwürdiges öffentliches Interesse. Lässt sich die Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes im vorläufigen Rechtsschutzverfahren nicht in diesem Sinne klären bzw. ist der Ausgang der Hauptsache offen, bedarf es einer Abwägung der (sonstigen) wechselseitigen Interessen.
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Diesen Maßstab hat das Verwaltungsgericht seiner Entscheidung zutreffend zugrunde gelegt. Dass die mit der Beschwerde benannten Gründe keine Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung rechtfertigen, gilt zunächst für das Beschwerdevorbringen, entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts sei nicht mit einer Zunahme des Fahrgastschiffsverkehrs oder – mit Blick auf die Gastliegeplätze – sonstigen Bootsverkehrs zu rechnen, folglich seien in Einklang mit der FFH-Verträglichkeitsstudie, deren Ergebnisse nachvollziehbar seien, sekundäre Beeinträchtigungen der Erhaltungsziele des Schutzgebiets nicht zu besorgen, folglich habe die Genehmigung in rechtmäßiger Weise erteilt werden dürfen.
- 21
Damit vermögen die Antragsgegner nicht durchzudringen.
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Nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BNatSchG sind Projekte vor ihrer Zulassung oder Durchführung auf ihre Verträglichkeit mit den Erhaltungszielen eines Natura 2000-Gebiets zu überprüfen, wenn sie einzeln oder im Zusammenwirken mit anderen Projekten oder Plänen geeignet sind, das Gebiet erheblich zu beeinträchtigen, und nicht unmittelbar der Verwaltung des Gebiets dienen. Durch diese Vorschrift wird Art. 6 Abs. 3 FFH-RL in nationales Recht umgesetzt. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist eine FFH-Verträglichkeitsprüfung erforderlich, wenn und soweit derartige Beeinträchtigungen nicht offensichtlich ausgeschlossen werden können, also zumindest vernünftige Zweifel am Ausbleiben von erheblichen Beeinträchtigungen bestehen. Der eigentlichen Verträglichkeitsprüfung ist eine Vorprüfung bzw. Erheblichkeitseinschätzung (sog. Screening) vorgeschaltet. Die dabei anzulegenden Maßstäbe sind nicht identisch mit den Maßstäben für die Verträglichkeitsprüfung selbst. Bei der Vorprüfung ist nur zu untersuchen, ob erhebliche Beeinträchtigungen des Schutzgebiets ernstlich zu besorgen sind. Erst wenn das zu bejahen ist, schließt sich die Verträglichkeitsprüfung mit ihren Anforderungen an den diese Besorgnis ausräumenden naturschutzfachlichen Gegenbeweis an. Der Ausschluss einer Qualitätseinbuße für das Schutzgebiet setzt voraus, dass hieran aus wissenschaftlicher Sicht kein vernünftiger Zweifel besteht, wofür der Planungsträger beweispflichtig ist. Maßstab für die Erheblichkeit von Gebietsbeeinträchtigungen sind die für das Gebiet maßgeblichen Erhaltungsziele, also die Festlegungen zur Erhaltung oder Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustands der in einem FFH-Gebiet vorkommenden Lebensräume und Arten nach den Anhängen I und II FFH-RL. Die Erhaltungsziele ergeben sich aus der Schutzerklärung bzw. aus den zur Vorbereitung der Gebietsmeldung gefertigten Standard-Datenbögen. Ob ein Projekt ein FFH-Gebiet in seinen für die Erhaltungsziele maßgeblichen Bestandteilen erheblich beeinträchtigen kann, ist anhand seiner Auswirkungen auf den Erhaltungszustand der Gebietsbestandteile zu beurteilen. Unerheblich sind demgegenüber nur Beeinträchtigungen, die kein Erhaltungsziel nachteilig berühren (vgl. zum Ganzen – m. w. N. – OVG Greifswald, Beschl. v. 05.07.2013 – 1 M 144/13 –; Beschl. v. 05.11.2012 – 3 M 143/12 –, NordÖR 2013, 120; Urt. v. 30.06.2010 – 3 K 19/06 –, NuR 2011, 136 – zitiert nach juris).
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Mit Blick auf die Vorbelastung eines Schutzgebietes ist zwar zu berücksichtigen, dass Art. 6 Abs. 3 FFH-RL und § 34 Abs. 1 und 2 BNatSchG einen projektbezogenen Prüfungsansatz fordern; zu beurteilen sind jedoch die Auswirkungen des jeweiligen konkreten Vorhabens. Diese Beurteilung kann aber nicht losgelöst von dem Zustand des zu schützenden Gebietsbestandteils und der Einwirkungen, denen dieser im Übrigen unterliegt, vorgenommen werden. Maßstab für die Erheblichkeit von Gebietsbeeinträchtigungen sind die für das Gebiet maßgeblichen Erhaltungsziele. Eine an den Erhaltungszielen orientierte Prüfung ist jedoch nicht möglich, ohne neben den vorhabenbedingten Einwirkungen auch Einwirkungen in den Blick zu nehmen, denen der geschützte Lebensraum oder die geschützte Art von anderer Seite unterliegt. So kann eine Vorbelastung bereits zu Vorschädigungen führen, die einen verschlechterten Erhaltungszustand zur Folge haben. Sie kann aber auch Auswirkungen nach sich ziehen, die von dem Lebensraum oder der Art noch ungeschädigt verkraftet werden, die jedoch deren Fähigkeit, Zusatzbelastungen zu tolerieren, einschränken oder ausschließen. Daher liegt es auf der Hand, dass für eine am Erhaltungsziel orientierte Beurteilung der projektbedingten Zusatzbelastung die Berücksichtigung der Vorbelastung unverzichtbar ist. Dementsprechend ist der Einwand, bereits die Vorbelastung bewege sich in einem kritischen Bereich, beachtlich; ein aufgrund der Vorbelastung aktuell ungünstiger Erhaltungszustand rechtfertigt keine zusätzliche Beeinträchtigung (vgl. zum Ganzen BVerwG, Beschl. v. 10.11.2009 – 9 B 28/09 –, DVBl. 2010, 176 – zitiert nach juris). Befindet sich ein FFH-Gebiet gegenwärtig ganz oder teilweise in einem ungünstigen Erhaltungszustand, ist es grundsätzlich für jegliche Zusatzbelastung gesperrt (vgl. OVG Greifswald, Urt. v. 30.06.2010 – 3 K 19/06 –, NuR 2011, 136 – zitiert nach juris).
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Kommt es für die Erheblichkeit einer Beeinträchtigung darauf an, ob diese dem Erhaltungsziel zuwiderläuft, so ist grundsätzlich jede Überschreitung eines Wertes, der die Grenze der nach naturschutzfachlicher Einschätzung für das Erhaltungsziel unbedenklichen Auswirkungen bestimmter Art markiert, als erheblich anzusehen. Critical Loads sind als naturwissenschaftlich begründete Belastungsgrenzen in diesem Sinne zu verstehen; sie sollen die Gewähr dafür bieten, dass an dem Schutzgut auch langfristig keine signifikant schädlichen Effekte auftreten. Schöpft bereits die Vorbelastung die Belastungsgrenze aus oder überschreitet sie diese sogar, so folgt daraus, dass prinzipiell jede Zusatzbelastung dem Erhaltungsziel zuwiderläuft und deshalb erheblich ist, weil sie die kritische Grenze überschreitet oder schon mit der Vorbelastung verbundene Schadeffekte verstärkt (vgl. zum Ganzen BVerwG, Beschl. v. 10.11.2009 – 9 B 28/09 –, a. a. O.).
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Unabhängig davon steht auch die festgestellte Zielunverträglichkeit allerdings unter einem Bagatellvorbehalt, der seine Rechtfertigung im gemeinschaftsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (Art. 5 Abs. 3 EG) findet (vgl. BVerwG, Beschl. v. 10.11.2009 – 9 B 28/09 –, a. a. O.; vgl. auch OVG Greifswald, Urt. v. 30.06.2010 – 3 K 19/06 –, NuR 2011, 136 – zitiert nach juris).
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Vor dem Hintergrund dieses rechtlichen Maßstabes ist zunächst festzuhalten, dass die Antragsgegner mit ihrem Beschwerdevorbringen die rechtliche Notwendigkeit einer Verträglichkeitsprüfung – mit ihren Anforderungen an den die Besorgnis einer erheblichen Beeinträchtigung ausräumenden naturschutzfachlichen Gegenbeweis – gemäß § 34 Abs. 1 Satz 1 BNatSchG nicht in Frage stellen (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO); die diesbezüglichen Erwägungen des Verwaltungsgerichts werden nicht angegriffen. An deren Richtigkeit bestehen im Übrigen nach dem Prüfungsmaßstab des summarischen vorläufigen Rechtsschutzverfahrens auch keine durchgreifenden Zweifel (vgl. im Übrigen auch die Antwort der Landesregierung Mecklenburg-Vorpommern auf eine kleine Anfrage zum geplanten Schiffsanleger, Landtagsdrucksache 6/239).
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Ohne dass dies unter dem Eindruck des Beschwerdevorbringens solchen Zweifeln ausgesetzt wäre, durfte das Verwaltungsgericht unter den von ihm benannten zutreffenden Gründen (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO) zudem davon ausgehen, dass die im Genehmigungsverfahren durchgeführte Verträglichkeitsprüfung – auch unter Berücksichtigung der im gerichtlichen Verfahren von Antragsgegnerseite beigebrachten naturschutzfachlichen Bewertungen – im Ergebnis in dem Sinne nicht verwertbar ist, als sie den erforderlichen Nachweis, dass erhebliche Beeinträchtigungen ausgeschlossen werden können, nicht zu erbringen vermag. Demzufolge konnte das Verwaltungsgericht nach aktuellem Erkenntnisstand die zutreffende Schlussfolgerung ziehen, dass die vor Zulassung oder Durchführung des Vorhabens erforderliche Verträglichkeitsprüfung noch nicht in hinreichendem Maße durchgeführt worden ist und folglich eine Genehmigung jedenfalls noch nicht erfolgen durfte.
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Mit dieser vom Verwaltungsgericht als entscheidungstragend herausgestellten Erwägung ist zugleich die Frage nach der verwaltungsgerichtlichen Kontrolldichte in naturschutzrechtlichen Verwaltungsstreitverfahren angesprochen. Auch wenn der Behörde im Rahmen der Verträglichkeitsprüfung im Hinblick auf bestimmte naturschutzfachliche Fragestellungen eine Einschätzungsprärogative zuzubilligen ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 12.03.2008 – 9 A 3.06 –, BVerwGE 130, 299 – zitiert nach juris
), muss sie doch insbesondere den gerichtlich überprüfbaren Anforderungen der Ermittlung der Projekteinwirkungen bzw. Erfassung von Beeinträchtigungen genügen und dazu alle – wissenschaftlichen – Mittel und Quellen ausschöpfen (vgl. BVerwG, Urt. v. 12.03.2008 – 9 A 3.06 –, BVerwGE 130, 299 – zitiert nach juris ). Das Verwaltungsgericht war folglich verpflichtet zu überprüfen, ob im Gesamtergebnis die Verträglichkeitsprüfung sowohl in ihrem methodischen Vorgehen als auch in ihrer Ermittlungstiefe ausreichte, um die Behörde in die Lage zu versetzen, erhebliche Beeinträchtigungen des Schutzgebiets durch das Vorhaben auszuschließen.
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Das Verwaltungsgericht kritisiert insoweit zu Recht die Ermittlungstiefe der vorliegenden FFH-Verträglichkeitsstudie hinsichtlich der sekundären Projekteinwirkungen, wenn es darauf hinweist, dass diese zwar die hohen Vorbelastungen im Schweriner See für die maßgeblichen Erhaltungsziele durch den Bootsverkehr nicht übersehe, sich aber dann nicht hinreichend mit der für das gesamte Schutzgebiet durch das Vorhaben zu erwartenden Zusatzbelastung auseinandersetze bzw. diese ohne nachvollziehbare Begründung ausblende. Es trifft zu, dass die Studie in Ansehung der betriebsbedingten Wirkfaktoren schlicht unterstellt, dass sowohl die 19 neuen sogenannten Gastliegeplätze als auch der Fahrgastschiffanleger lediglich von bereits jetzt im See verkehrenden Wasserfahrzeugen angesteuert werden werde (vgl. auch den artenschutzrechtlichen Fachbeitrag des Büros P. zum Schlossbuchtanleger Schwerin, Stand: 08. November 2012, S. 16). Was die tragfähige bzw. wenigstens plausible Grundlage dieser Annahme sein soll, bleibt offen. In diesem Kontext räumt die Studie (S. 29) im Übrigen selbst „Datenlücken“ ein und führt dazu aus:
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„Die Auswirkungen der tatsächlichen Zunahme von Bootsverkehr und davon resultierenden Störungen auf Vogelarten können nur grob prognostiziert werden, da weder bekannt ist, wie viele Boote welche Bereiche heute befahren noch wie viele Boote welche Bereiche zu welchen Zeiten zukünftig befahren werden. Zu Vorbelastungen in der Schlossbucht wurden Karten mit Angaben von Steganlagen, Angaben der Homepage der „W.“ und mündliche Aussagen von in diesem Bereich aktiven Wassersportlern ausgewertet.“
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Hierzu ist zudem anzumerken, dass in Ansehung der Frage nach einem zu erwartenden Verkehr von Fahrgastschiffen ein Blick auf die Homepage der „W.“ offensichtlich zu kurz greift. Die in Bezug genommenen Quellen und ihr Inhalt sind nicht hinreichend konkret benannt bzw. wiedergegeben und/oder in der Studie oder ihren Anlagen nicht hinreichend dokumentiert. Eine Überprüfung ist deshalb nicht möglich.
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Die vorstehenden Erwägungen treffen im Übrigen auch – worauf bereits das Verwaltungsgericht hingewiesen hat – für die von Antragsgegnerseite im gerichtlichen Verfahren vorgelegte Stellungnahme von Dr. M. vom 10. Juni 2013 zu (vgl. dort S. 8: „Laut vorliegenden Unterlagen kommt es nicht zu einer generellen Zunahme des Bootsverkehrs auf dem Schweriner See“). Jedenfalls in einem gewissen Widerspruch zu der vorerwähnten Annahme der Studie führt diese an anderer Stelle hinsichtlich der zukünftigen Nutzung des geplanten Stegs aus, es werde „neben der voraussichtlichen Nutzung durch eine Flussschifffahrtslinie auch eine häufigere Nutzung durch Fahrgastschifffahrt angenommen“. Ohne nähere Betrachtungen dazu, wie Gastliegeplätze regelmäßig genutzt werden und im Bereich des geplanten Vorhabens voraussichtlich genutzt werden, erscheint es ebenso wenig nachvollziehbar, dass nach Maßgabe der FFH-Studie einerseits die drei neu geplanten Dauerliegeplätze die Stilllegung von vier Dauerliegeplätzen als Kompensation erforderlich machen sollen, um eine Zunahme von Störungen im Schutzgebiet zu vermeiden, andererseits aber 19 Gastliegeplätze keinerlei Kompensationsbedarf begründen können sollen.
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Abgesehen von den bereits vom Verwaltungsgericht gegen die Richtigkeit einer solchen Annahme angeführten Gesichtspunkte belegt der mit dem Bauantrag vorgelegte „Erläuterungsbericht“ der P. D. GmbH zum Vorhaben der Landeshauptstadt B-Stadt „Anleger Schlossbucht Entwurfs- und Genehmigungsplanung“ deutlich, dass das Vorhaben auf die Generierung zusätzlichen Schifffahrts- und Bootstourismus und damit auf zusätzliche Schiffs- und Bootsbewegungen auf dem Schweriner See zielt. Zur „Veranlassung“ des Vorhabens heißt es nämlich:
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„Der Schweriner See bietet besonders in den Sommermonaten vielen Erholungssuchenden aus dem umliegenden Territorium sowie Urlaubern und Touristen die Möglichkeit des aktiven Wassersports und der Erholung. In den vergangenen Jahren verzeichnete der Wassertourismus auch mit Flusskreuzfahrten am Schweriner See einen stetigen Zuwachs. Der Bedarf von Anlagen für Fahrgastschiffe und Wasserwanderer mit gewachsenen Ansprüchen an Qualität und Quantität im Revier ist somit gegeben. …“
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Ebenso wird in der Stellungnahme der Antragsgegnerin zu 1. gegenüber den Fraktionen SPD und Grüne vom 14. Februar 2012 zum „Schiffsanleger in der Schlossbucht“ u. a. auf die Verbesserung der wassertouristischen Infrastruktur und darauf verwiesen, dass „aufgrund der besonders attraktiven Lage … durchaus von einer guten Frequenz ausgegangen werden (kann), u. a. auch bei Rundfahrten die von maritimen Unternehmen und/oder Hotels etc. für ihre Gäste durchgeführt werden, wie z. B. M. Nord oder S. Hotel“. Insbesondere die augenscheinlich von der Antragsgegnerin zu 1. als zukünftig realistisch prognostizierte Nutzung des Schlossbuchtanlegers durch Hotels hat in der FFH-Studie keinerlei Berücksichtigung gefunden.
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Aufgrund der mit dem Beschwerdevorbringen lediglich behaupteten, nicht aber näher substantiierten Planungen und Absichten von einzelnen Fahrgastschiffbetreibern kann jedenfalls weder die Wahrscheinlichkeit einer Zunahme des Schiffsverkehrs verneint noch die Ausgangshypothese der Verträglichkeitsprüfung, der neue Anleger würde nur von auf dem See schon vorhandenen Schiffen genutzt werden, substantiell belegt bzw. den an einen entsprechenden Nachweis zu stellenden Anforderungen hinreichend Rechnung getragen werden. In Widerspruch zu dieser Behauptung steht zudem die Stellungnahme des Amtes 60 der Landeshauptstadt Schwerin zum Schlossbuchtanleger in Schwerin vom 23. Oktober 2012. Abgesehen davon, dass auch hier – was mit Blick auf die dort vorangestellten Ausführungen unmittelbar einleuchtend ist – hervorgehoben wird, ein Anleger sei für die öffentliche Fährlinie, für Charter- und Kreuzfahrten und öffentliche Gastliegeplätze für Bootsurlauber an diesem Standort erforderlich, sind darin – zwar knapp, aber immerhin – auch “Stellungnahmen potentieller Nutzer des Anlegers“ wiedergegeben: So werde vom Schiffseigner der MS M. u. a. darauf hingewiesen, dass seit vielen Jahren die Kreuzfahrt von Schwerin nach Berlin ermöglicht werde. Im Jahr 2011 habe es zwölf ca. zweitägige Aufenthalte in Schwerin gegeben. Die MS M. habe in den vergangenen Jahren nur deshalb in Z-Stadt angelegt, weil es mit der „W.“ zu keiner Einigung über die Modalitäten bezüglich der Anlegemöglichkeit gekommen sei. Der Schlossbuchtanleger, der öffentlich genutzt werden könne, biete auf jeden Fall erheblich größere touristische Entwicklungsmöglichkeiten für Kreuzfahrer wie auch für Chartertouren etc. Auch das Hotel „S.“ unterstütze danach das Projekt, weil man festgestellt habe, dass die Zahl der Wasserwanderer, die das Hotel über dessen Anleger besuchen, in den letzten Jahren zugenommen habe.
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Wenn die Antragsgegner hinsichtlich der Gastliegeplätze zudem behaupten, „das zusätzliche Anlocken von Wassertouristen aus anderen Wassersportgebieten ist nicht realistisch“, stellt sich die mehr als naheliegende Frage, wozu es denn dann des geplanten Anlegers überhaupt bedarf. Ebenso wenig nachvollziehbar ist der Vortrag, die Gastliegeplätze sollten von Booten genutzt werden, die bisher an anderen Stellen im Schweriner See geankert hätten, z. B. in Raben Steinfeld. Auf der Grundlage welcher – aktenmäßig dokumentierten – Erkenntnisse dieser Vortrag fußt und wieso es zu der angeblich angestrebten Zentralisierung des Bootsverkehrs in der Schlossbucht und Beruhigung der weniger zentralen Randbereiche kommen können soll, bleibt im Dunkeln.
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Insoweit folgt der Senat dem Verwaltungsgericht in seiner Schlussfolgerung, dass es Aufgabe der FFH-Studie gewesen wäre, ausgehend von der von ihr selbst zugrunde gelegten Vorbelastung durch Bootsverkehr (vgl. hierzu insbesondere S. 25 und 86; nach S. hätten die derzeit vorhandenen Bootszahlen eine noch verträgliche Schwelle längst überschritten, vgl. insoweit S. 53 der als Anlage 4 zur Studie geführten Brut- und Rastvogelkartierung 2010 Schweriner Innensee und Ziegelaußensee – Endbericht; vgl. auch M. in seiner Stellungnahme vom 10. Juni 2013, S. 2), der als hauptsächliche Störquelle für Wasservögel identifiziert wird (vgl. S. 23 der FFH-Studie), nach wissenschaftlichen Maßstäben insbesondere sekundäre Auswirkungen des Vorhabens in Gestalt einer wahrscheinlichen, nach der Lage der Dinge bezweckten Zunahme des Schiffs- und Bootsverkehrs zu analysieren, um dann ggfs. nachvollziehbar und auf hinreichender Tatsachengrundlage darzulegen, warum eine zusätzliche bzw. erhebliche Belastung bzw. Beeinträchtigung des Schutzgebiets ausgeschlossen werden kann, ggfs. durch welche Kompensationsmaßnahmen. Dazu hätte z. B. mindestens das Touristische Entwicklungskonzept für die Landeshauptstadt Schwerin, auf das sich auch die Begründung des angegriffenen Genehmigungsbescheides bezieht, in eine unabhängige Bewertung einbezogen werden müssen. Die erörterten Defizite der FFH-Verträglichkeitsprüfung sind schließlich nicht recht nachvollziehbar, da in der gutachterlichen Stellungnahme des S.-Kooperationsbüros für Umwelt- und Landschaftsplanung zur „Abschätzung der Ergebnisse einer FFH-Vorprüfung hinsichtlich des SPA Schweriner Seen (DE 2235-402)“ mit Stand: 01. April 2012 gerade im Zusammenhang mit den sekundären Beeinträchtigungen, die von dem Vorhaben ausgehen können, ausgeführt worden ist, diese „sollten daher im Rahmen einer FFH-Verträglichkeitsprüfung gründlich untersucht werden“.
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Nach alledem geht das weitere Beschwerdevorbringen zur Frage der Überschreitung der Belastungsschwelle ins Leere, da seiner Ausgangsprämisse, der Bootsverkehr auf dem Schweriner See steige vorhabenbedingt nicht an, eine belastbare Basis in Gestalt einer insoweit hinreichenden Verträglichkeitsprüfung fehlt. Gleiches gilt für die Frage, ob ausgeschlossen werden kann, dass eine Verbesserung der Situation der Vögel und damit eine Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustandes durch das Vorhaben verhindert wird, ferner für die Frage, ob eine Bagatellgrenze nicht überschritten wird.
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Mit Blick auf die vorstehenden Erwägungen kommt es schon nicht mehr darauf an, ob die im Übrigen vom Verwaltungsgericht unabhängig vorgenommene Interessenabwägung Bedenken begegnet. Sie ist entgegen dem Beschwerdevorbringen aber im Ergebnis auch nicht zu beanstanden.
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Soweit die Antragsgegner geltend machen, ihnen sei im Rahmen der Interessenabwägung zugute zu halten, dass „das Vorhaben mit Augenmaß geplant worden (sei) und sich harmonisch in die nähere Umgebung (einfüge)“, und dies näher erläutern, ist nicht zu erkennen, inwieweit dieser Umstand dazu geeignet sein könnte, die sofortige Vollziehung des angegriffenen Genehmigungsbescheides zu rechtfertigen bzw. gegen ein Abwarten der Hauptsacheentscheidung zu sprechen. Auch begegnet die Auffassung des Verwaltungsgerichts keinen Bedenken, in die Betrachtungen seien ggf. schon von Antragsgegnerseite vorgenommene Investitionen nicht einzubeziehen, weil sie vor der Schaffung von vollziehbarem „Baurecht“ und damit auf eigenes wirtschaftliches Risiko erfolgt seien. Warum – so das Beschwerdevorbringen – diese Überlegung auf private Bauherren zutreffen, aber „nicht ohne weiteres auf öffentliche Bauherren übertragen werden“ können soll, begründen die Antragsgegner nicht überzeugend. Soweit sie als zentrales Argument anführen, hier seien nicht private Bauinteressen gegen öffentliche Naturschutzinteressen abzuwägen, sondern öffentliche Naturschutzinteressen gegen haushalterische Interessen der öffentlichen Hand, liegt dies neben der Sache. Der Erwägung des Verwaltungsgerichts liegt ersichtlich der Gedanke zugrunde, dass vor Ergehen eines Genehmigungsbescheides getätigte Investitionen keinen Vertrauensschutz genießen. Diese Überlegung trifft für private Bauinteressen und im öffentlichen Interesse geplante Bauvorhaben der öffentlichen Hand aber grundsätzlich in gleicher Weise zu. Natürlich kann auch entgegen dem Beschwerdevorbringen einem gewichtigen öffentlichen Interesse gegenüber einem weniger gewichtigen öffentlichen Interesse in der Abwägung ein Vorrang eingeräumt werden. Auch wenn dies an sich keiner Erwähnung bedarf, sind offensichtlich nicht alle öffentlichen Interessen gleichrangig. Dem Rechtsstandpunkt der Antragsgegner, jedenfalls hätte der Bau des Anlegers bis zur Hautsacheentscheidung wegen der dann von der Allgemeinheit zu tragenden Kosten nicht „vollständig“ untersagt werden dürfen, es hätte geprüft werden müssen, ob nicht die Kosten eines ggf. erforderlichen Rückbaus hinter den Kosten zurückblieben, die durch eine jahrelange Bauverzögerung entstünden, wobei auch die fristgebundene Bewilligung von Fördermitteln des Landes zu berücksichtigen sei, ist ebenfalls nicht zu folgen. Diese Argumentation berücksichtigt Folgendes nicht: Dürfte der Anleger bereits vor Abschluss des Hauptsacheverfahrens errichtet werden, obsiegt der Antragsteller aber letztendlich in diesem, würden in die Negativbilanz nicht nur Rückbaukosten einzustellen sein, sondern auch die vorher aufgewandten Baukosten und Bauinvestitionen, die im unmittelbaren Zusammenhang mit der Errichtung des Anlegers stehen. Damit verbunden wäre gleichzeitig ein Totalverlust der von den Antragsgegnern reklamierten Fördermittel des Landes, unabhängig von der Frage, ob diese überhaupt für ein nicht bestandskräftig genehmigtes Vorhaben ausgereicht werden könnten. Hinsichtlich der Fördermittel ist zudem zu beachten, dass diese zwar im Hinblick auf die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers möglicherweise nicht mehr von der Antragsgegnerin zu 2. in Anspruch genommen werden könnten; sie wären jedoch nicht „weg“, anders als in der zuvor beschriebenen Situation. Denn entweder hätten sie dann im öffentlichen Interesse für ein anderes Vorhaben in Anspruch genommen werden können oder wären im Falle des Nichtabrufs jedenfalls im Landeshaushalt verblieben. Diese Erwägungen gelten gleichermaßen für die Zulassung eines weitestgehend funktionslosen Steges; dass die möglicherweise unbedenkliche teilweise Errichtung ausschließlich der Dauerliegeplätze in Betracht käme, ist nicht ersichtlich. Von den Antragsgegnern angesprochene Schadensersatzforderungen sind zum einen nicht substantiiert vorgetragen bzw. glaubhaft gemacht, zum anderen gilt auch insoweit, dass Schadensersatzansprüche auslösende vertragliche Vereinbarungen vor Ergehen des Genehmigungsbescheides keinen Vertrauensschutz genießen können. Dass ebenfalls geltend gemachte, nicht näher konkretisierte Preissteigerungen ein anderes Ergebnis der Interessenabwägung nach sich ziehen könnten, ist nicht ersichtlich. Schließlich kann auch die gesetzgeberische Grundentscheidung, dass Vorhaben vor ihrer Zulassung einer Verträglichkeitsprüfung zu unterziehen sind und der Ausschluss einer Qualitätseinbuße für das Schutzgebiet voraussetzt, dass hieran aus wissenschaftlicher Sicht kein vernünftiger Zweifel besteht, der Vorhabenträger also den entsprechenden Beweis erbringen muss, nicht außer Betracht bleiben. Ist – unterstellt – offen, ob die durchgeführte Verträglichkeitsprüfung den rechtlichen Anforderungen genügt und ob erhebliche Beeinträchtigungen zu befürchten sind, kommt danach vorliegend die Durchführung des Vorhabens noch nicht in Betracht.
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Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 154 Abs. 2, 159 Satz 1 VwGO i. V. m. § 100 ZPO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 47, 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG.
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Hinweis:
- 44
Der Beschluss ist gemäß § 152 Abs. 1 VwGO und § 68 Abs. 1 Satz 5 i. V. m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG unanfechtbar.
Tenor
Auf die Berufungen der Kläger werden die Urteile des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 28. Februar 2014 - 2 K 3238/12 und 2 K 3104/12 - geändert.
Der Bescheid der Beklagten vom 31. August 2011 und die Widerspruchsbescheide des Landratsamts Bodenseekreis vom 17. September 2012 werden aufgehoben.
Die Hinzuziehungen der Bevollmächtigten durch die Kläger im Vorverfahren werden für notwendig erklärt.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
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Tenor
Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 19. Oktober 2012 - 5 K 1969/12 - geändert. Der Antrag des Antragstellers, im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig festzustellen, dass das am 9. Januar 2012 eingereichte Bürgerbegehren zu der Frage "Sind Sie dafür, dass das Gelände des Alten Sportplatzes in Leimen im Eigentum der Stadt verbleibt und die dort befindlichen Bäume erhalten werden?" zulässig ist, wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
Der Streitwert wird auf 5.000.-- EUR festgesetzt.
Gründe
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Tenor
Der angefochtene Beschluss wird geändert.
Dem Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung untersagt, die im November 2013 ausgeschriebenen zehn Beförderungsplanstellen (Fachlehrer an Förderschulen) der Besoldungsgruppe A 10 LBesO mit den Beigeladenen zu besetzen, bis über die Bewerbung der Antragstellerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut entschieden worden ist.
Die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens tragen der Antragsgegner und die Beigeladenen zu 2. und 5. jeweils zu 1/3. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens tragen der Antragsgegner und die Beigeladene zu 2. jeweils zur Hälfte. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 1. bis 10. tragen diese in beiden Rechtszügen jeweils selbst.
Der Streitwert wird unter Abänderung der Streitwertfestsetzung des Verwaltungsgerichts für beide Rechtszüge jeweils auf die Wertstufe bis 13.000 Euro festgesetzt.
1
G r ü n d e :
2Die Beschwerde hat Erfolg.
3Die von der Antragstellerin im Beschwerdeverfahren dargelegten Gründe rechtfertigen es, ihrem mit der Beschwerde weiter verfolgten erstinstanzlichen Antrag zu entsprechen und den angefochtenen Beschluss zu ändern.
4Die Antragstellerin hat entgegen den Ausführungen des Verwaltungsgerichts die tatsächlichen Voraussetzungen eines ihren Antrag stützenden Anordnungsanspruchs glaubhaft gemacht (§ 123 Abs. 1 und 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO). Die Auswahlentscheidung des Antragsgegners zugunsten der Beigeladenen ist rechtswidrig und verletzt den Bewerbungsverfahrensanspruch der Antragstellerin. Sie beruht auf einem rechtsfehlerhaften Qualifikationsvergleich, weil ihre aus Anlass der Bewerbung um die in Rede stehenden Beförderungsplanstellen erstellte Beurteilung vom 15. Juni 2014, auf welche die Entscheidung gestützt ist, zu beanstanden ist.
5Dienstliche Beurteilungen sind von den Verwaltungsgerichten nur beschränkt überprüfbar. Die Rechtmäßigkeitskontrolle hat sich darauf zu beschränken, ob die Verwaltung den anzuwendenden Begriff oder den gesetzlichen Rahmen, in dem sie sich frei bewegen kann, verkannt hat oder ob sie von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen ist, allgemeingültige Wertmaßstäbe nicht beachtet, sachfremde Erwägungen angestellt oder gegen Verfahrensvorschriften verstoßen hat. Soweit der Dienstherr Richtlinien für die Abgabe dienstlicher Beurteilungen erlassen hat, ist vom Gericht auch zu prüfen, ob die Richtlinien eingehalten worden sind und ob sie mit den gesetzlichen Regelungen im Einklang stehen.
6Vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Dezember 2002 - 2 C 31.01 -, NVwZ 2003, 1398.
7Einer Überprüfung nach diesen Maßgaben hält die Anlassbeurteilung der Antragstellerin nicht stand, weil sie nicht im Einklang mit Nr. 4.2 Satz 1 der Richtlinien für die dienstliche Beurteilung der Lehrkräfte sowie der Leiterinnen und Leiter an öffentlichen Schulen und Studienseminaren, RdErl. des Ministeriums für Schule, Jugend und Kinder vom 2. Januar 2003, ABl. NRW. S. 7, BASS 21 - 02 Nr. 2 (im Folgenden: BRL) steht. Danach muss der Zeitraum, auf den sich die Beurteilung bezieht, aus der Beurteilung erkennbar sein. Dafür genügt es, dass aus der Beurteilung der Zeitraum, auf den sich diese bezieht, im Wege der Auslegung zu ermitteln ist.
8Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 15. August 2014 - 6 B 600/14 -, juris, und vom 8. Juni 2012 - 6 B 480/12 -, juris, sowie Urteil vom 16. Mai 2012 - 1 A 499/09 -, mit weiteren Nachweisen.
9Dabei ist ausgehend vom Empfängerhorizont an objektive Anhaltspunkte anzuknüpfen. Nicht entscheidend ist demgegenüber ein gegebenenfalls abweichender, objektiv aber nicht zum Ausdruck gekommener innerer Wille des Beurteilers. Wenn es im Einzelfall an hinreichenden objektiven Anhaltspunkten dazu fehlt, wie der der Beurteilung zugrunde liegende Zeitraum eingegrenzt ist, kann die Auslegungsregel greifen, dass zur Vermeidung einer Beurteilungslücke „im Zweifel" beabsichtigt sein dürfte, unmittelbar an den Zeitraum der letzten Vorbeurteilung anzuknüpfen.
10Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 15. August 2014 - 6 B 600/14 -, juris, vom 23. April 2013 - 6 B 285/13 -, vom 8. Juni 2012 - 6 B 480/12 - und vom 7. Juni 2011 - 6 B 544/11 -, jeweils juris.
11Im Streitfall lässt sich der Anlassbeurteilung der Antragstellerin der Zeitraum, auf den sie sich bezieht, nicht, geschweige denn hinreichend verlässlich entnehmen. Sie enthält keine objektiven Anhaltspunkte, anhand derer der Beurteilungszeitraum eingegrenzt werden könnte. Die Beurteilerin, Schulleiterin Dr. Q. , hat für die Beurteilung das den Beurteilungsrichtlinien als Anlage 2 beigefügte Muster verwandt (vgl. Nr. 4.1 BRL). Entgegen der dortigen Vorgabe hat sie unter Ziff. 2 der Beurteilung das „Datum der letzten Beurteilung“ nicht angegeben, sondern einen waagerechten Strich eingefügt. Auch der weitere Inhalt der Beurteilung ist in Bezug auf den ihr zu Grunde liegenden Zeitraum ohne hinreichenden Aussagewert.
12Dies stellt auch der Antragsgegner nicht in Abrede. Er meint vielmehr, er könne sich auf die genannte Auslegungsregel berufen, so dass die Anlassbeurteilung der Antragstellerin an den Zeitraum der letzten - mithin der aus Anlass des Ablaufs ihrer Probezeit unter dem 26. November 1993 erstellten - Beurteilung anknüpfe. Die Auslegungsregel greift in Anbetracht der vorliegend gegebenen Einzelfallumstände jedoch nicht.
13Gegen die Absicht der Beurteilerin, unmittelbar an den von der Vorbeurteilung erfassten Zeitraum anzuknüpfen, spricht bereits der Umstand, dass sie in der aktuellen Anlassbeurteilung, wie dargestellt, das Datum der Vorbeurteilung nicht angegeben, sondern lediglich einen waagerechten Strich eingefügt hat. Hingegen hat sie in der aktuellen Anlassbeurteilung der Beigeladenen zu 4. vom 5. Juni 2014 das Datum der Vorbeurteilung angeführt. Diese Vorgehensweise deutet darauf hin, dass ihr das Datum der Vorbeurteilung der Antragstellerin und damit auch der ihr zu Grunde liegende Beurteilungszeitraum nicht bekannt waren und sie keine Veranlassung gesehen hat, unmittelbar an den Zeitraum anzuknüpfen, der von der Vorbeurteilung der Antragstellerin abgedeckt war, um so eine „Beurteilungslücke“ zu vermeiden. Insoweit ist auch in den Blick zu nehmen, dass die Beurteilerin erst am 8. Juni 1998 ihre Tätigkeit an der Schule B. M. in C. aufgenommen hat. Da sie aus eigener Anschauung keine Kenntnisse über das Leistungs- und Befähigungsbild der Antragstellerin vor der Übernahme der Schulleitung am 8. Juni 1998 hat, hätte sie, um die Anlassbeurteilung auch auf den vorangegangenen Zeitraum erstrecken zu können, sich in anderer Weise die notwendigen Erkenntnisse über das seinerzeitige Leistungs- und Befähigungsbild der Antragstellerin verschaffen müssen. Dass dies geschehen ist, kann den Darlegungen des Antragsgegners nicht entnommen werden und ist auch sonst nicht erkennbar. Daran ändert auch die im Schriftsatz der Beigeladenen zu 5. vom 29. Juli 2015 angesprochene, in der Beurteilung der Antragstellerin in der Tat erwähnte Fortbildungsmaßnahme vom 12. November 1993 („Orff-Schulwerk Lehrgang ‘Klang und Ausdruck Musik und Bewegung mit hörgeschädigten Kindern‘ “) nichts; das gilt umso mehr, als diese Fortbildung in den Zeitraum der Vorbeurteilung selbst fiel.
14Angemerkt sei, dass die aktuelle Anlassbeurteilung der Antragstellerin auch dann rechtlichen Bedenken begegnete, wenn unterstellt würde, dass sie über den Zeitraum ab dem 8. Juni 1998 hinaus auch den vorangehenden, an die Vorbeurteilung vom 26. November 1993 anknüpfenden Zeitraum erfasst. Denn hinsichtlich des letztgenannten Zeitraums ist - wie bereits dargestellt - nicht ersichtlich, dass die Beurteilerin sich insoweit eine hinreichende Erkenntnisgrundlage verschafft hat.
15Erweist sich die streitgegenständliche Auswahlentscheidung nach alledem als zu Lasten der Antragstellerin rechtsfehlerhaft, weil die ihr zu Grunde gelegte Anlassbeurteilung der Antragstellerin nicht rechtsfehlerfrei erstellt worden ist, sind ihre Aussichten, in einem neuen rechtmäßigen Auswahlverfahren ausgewählt zu werden, offen. Dabei verkennt der Senat nicht, dass bei einer dienstlichen Beurteilung das Schwergewicht regelmäßig auf dem in jüngerer Zeit deutlich gewordenen Leistungs- und Befähigungsbild des zu Beurteilenden beruhen muss und weiter zurückliegende Zeiträume vornehmlich mit Blick auf die Leistungsentwicklung im Beurteilungszeitraum relevant werden dürften. Eine Einschätzung dazu, wie das Ergebnis der Beurteilung der Antragstellerin im Falle der Vermeidung der dargestellten Fehler ausfiele, ist dennoch rein spekulativ und verbietet sich daher.
16Die Antragstellerin hat schließlich auch Umstände glaubhaft gemacht, die einen Anordnungsgrund begründen. Würden die in Rede stehenden Stellen mit den Beigeladenen besetzt, wäre dies nicht ohne Weiteres wieder rückgängig zu machen.
17Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1 und 3, 162 Abs. 3 VwGO.
18Die Streitwertfestsetzung/-änderung beruht auf §§ 47 Abs. 1, 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2, 52 Abs. 1, Abs. 6 Satz 4 i.V.m. Satz 1 Nr. 1, Sätze 2 und 3, 53 Abs. 2 Nr. 1 GKG. Der sich in Anwendung von § 52 Abs. 6 Satz 4 i.V.m. Satz 1 Nr. 1, Sätze 2 und 3 GKG ergebende Betrag ist im Hinblick auf den im Eilrechtsschutz lediglich angestrebten Sicherungszweck um die Hälfte zu reduzieren, so dass sich ein Viertel des Jahresbetrages, also drei Monatsbeträge ergeben. Dieser Wert ist, obwohl die Besetzung von zehn Stellen verhindert werden sollte, nur einfach anzusetzen, weil im Hinblick auf die Stellenbesetzung ein im Wesentlichen einheitliches Verfahren durchgeführt worden ist und die Vergabe der Stellen durch eine einheitliche Auswahlentscheidung erfolgen sollte.
19Vgl. OVG NRW, Senatsbeschluss vom 19. März 2012 - 6 E 162/12 -, NVwZ-RR 2012, 663.
20Ausgangspunkt der vorzunehmenden (fiktiven) Berechnung der Bezüge ist das von der Antragstellerin angestrebte Amt der Besoldungsgruppe A 10 LBesO sowie die von ihr erreichte Erfahrungsstufe 11. Der sich ergebende Monatsbetrag (Grundgehalt + 1/12 der jährlichen Sonderzahlung) ist mit dem Faktor 3 zu multiplizieren und der Streitwert dementsprechend auf die Wertstufe bis 13.000,00 Euro festzusetzen.
21Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).
Gründe
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Aktenzeichen: 22 B 15.620
Im Namen des Volkes
Urteil
vom 22. Juli 2015
(VG Ansbach, Urteil vom 26. August 2014, Az.: AN 4 K 14.386)
22. Senat
Sachgebietsschlüssel: 421
Hauptpunkte: Zulassung zu einem Jahrmarkt; Erschöpfung des Kontingents für eine bestimmte Betriebsart; Auswahlverfahren bei Bewerberüberhang; Verpflichtung des kommunalen Veranstalters zu Neubescheidung; Zulässigkeit der Bescheidungsklage ohne gleichzeitige Anfechtung der Zulassung zumindest eines Konkurrenten; Übergang von der Bescheidungs- zur Fortsetzungsfeststellungsklage; berechtigtes Interesse; Wiederholungsgefahr; beabsichtigte Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen.
Rechtsquellen:
Leitsätze:
In der Verwaltungsstreitsache
...
gegen
Stadt F.,
vertreten durch den Oberbürgermeister, Rechtsamt, S.-Str. ..., F.,
- Beklagte -
wegen Zulassung zu einem Jahrmarkt;
hier: Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Ansbach
erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 22. Senat, durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Dr. Schenk, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Demling, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Dr. Dietz aufgrund mündlicher Verhandlung vom 16. Juli 2015 am 22. Juli 2015 folgendes Urteil:
I.
Die Berufung wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass festgestellt wird, dass die Beklagte verpflichtet war, den Antrag des Klägers auf Zulassung zur Michaelis-Kirchweih 2014 mit seinem Ausschankbetrieb „F.“ unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.
II.
Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Entscheidungsgründe:
Rechtsmittelbelehrung
Gründe
-
I.
- 1
-
Die Verfassungsbeschwerde betrifft eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts, mit der die Tendenzeigenschaft der Beschwerdeführerin im Sinne von § 118 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) verneint wurde.
- 2
-
Die Beteiligten des Ausgangsverfahrens streiten um die Bildung eines Wirtschaftsausschusses nach §§ 106 ff. BetrVG. Die steuerrechtlich als gemeinnützig anerkannte und den internationalen Grundsätzen der Rotkreuz- und Rothalbmond-bewegung verpflichtete Beschwerdeführerin betreibt einen Blutspendedienst. Ihr Unternehmenszweck ist die Förderung des Blutspendewesens und der Trans-fusionsmedizin; dieser Zweck wird insbesondere durch die Entnahme, Sammlung und Aufbereitung von menschlichem Blut und Blutbestandteilen, die Versorgung mit menschlichem Blut und Blutbestandteilen zum Zwecke der Heilung, die Erbringung von transfusionsmedizinischen Labor- und Serviceleistungen sowie die wissenschaftliche Betätigung und Fortentwicklung des Blutspendewesens verwirklicht. Die Blutspenden werden durch die Beschäftigten der Beschwerdeführerin medizinisch getestet, aufbereitet und anschließend entgeltlich an Krankenhäuser oder Ärzte abgegeben.
- 3
-
Das Arbeitsgericht stellte fest, dass die Beschwerdeführerin kein Tendenzunternehmen sei und ein Wirtschaftsausschuss gebildet werden müsse. Die Beschwerdeführerin diene keinen karitativen Bestimmungen im Sinne des § 118 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BetrVG, denn sie erbringe keinen unmittelbaren sozialen Dienst am leidenden Menschen. Die Sicherstellung der allgemeinen Grundversorgung mit Blutpräparaten genüge nicht.
- 4
-
Auf die Beschwerde wies das Landesarbeitsgericht den Antrag des Gesamtbetriebsrats ab. Die Beschwerdeführerin sei ein Tendenzunternehmen, denn sie diene einer karitativen Bestimmung. Sie verfolge freiwillig ausschließlich und unmittelbar gemeinnützige Zwecke. Mit der Förderung des Blutspendewesens und der Transfusionsmedizin habe sie sich in den sozialen Dienst an körperlich leidenden Menschen gestellt. Unerheblich sei, dass dies zugleich der Daseinsfürsorge diene, denn sie leiste gleichwohl Dienst am einzelnen Menschen. Die Beschwerdeführerin beschäftige sich auch nicht lediglich mit der Beschaffung und dem Verkaufen von Blut. Das Blutspendewesen sei vielmehr durch Besonderheiten geprägt; es diene unmittelbar dazu, die medizinische Versorgung von Patienten zu ermöglichen. Unerheblich sei deshalb auch, dass sich zunächst noch Krankenhäuser oder Ärzte der Blutprodukte bedienen müssten, damit sie den Hilfsbedürftigen zukommen könnten.
- 5
-
Das Bundesarbeitsgericht sah die Beschwerdeführerin hingegen nicht als Tendenzunternehmen im Sinne von § 118 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BetrVG an. Ein Unternehmen müsse nach dem Wortlaut der Vorschrift den karitativen Bestimmungen unmittelbar dienen. Das sei nur der Fall, wenn die Hilfe gegenüber den leidenden Menschen direkt erbracht werde. Das tue die Beschwerdeführerin nicht, denn ihre Leistungen seien nicht unmittelbar auf die Heilung, Milderung oder die vorbeugende Abwehr von Nöten Hilfsbedürftiger gerichtet. Es sei insbesondere nicht ausreichend, dass Blutspenden für die Krankenversorgung notwendig seien, denn das gelte für alle Beiträge zu dieser. Die Tätigkeit der Beschwerdeführerin erfordere, dass eine - nicht nur untergeordnete - ärztliche Heilbehandlung hinzutrete.
- 6
-
Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin in erster Linie eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als Willkürverbot durch die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts. Darüber hinaus seien Art. 4 Abs. 1 und 2, Art. 12 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG verletzt.
-
II.
- 7
-
Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen (§ 93a Abs. 2 BVerfGG). Sie ist teilweise unzulässig und im Übrigen unbegründet.
- 8
-
1. Soweit die Beschwerdeführerin eine Verletzung von Art. 4 Abs. 1 und 2 GG mit der Begründung rügt, ihre karitative Betätigung sei weltanschaulich fundiert, ist die Verfassungsbeschwerde nicht den Anforderungen der § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG entsprechend substantiiert.
- 9
-
a) Der Schutz des Art. 4 GG zielt nicht nur auf Religion, sondern auch auf die Weltanschauung. Der grundrechtliche Schutz bezieht sich dabei nicht nur auf die der Kirche oder Weltanschauung zugeordnete Organisation im Sinne einer juristischen Person, sondern erstreckt sich auch auf die von ihr getragenen Einrichtungen, also auf die Funktionseinheit, durch die der je selbst gewählte Auftrag unabhängig von der jeweiligen Rechtsform seine Wirkung entfalten soll (vgl. BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 22. Oktober 2014 - 2 BvR 661/12 -, www.bverfg.de, Rn. 91 f.).
- 10
-
b) Dass die Beschwerdeführerin als Einrichtung einer Religion oder Religionsgemeinschaft tätig würde, behauptet sie selbst nicht; Anhaltspunkte dafür sind auch nicht ersichtlich. Ebenso wenig ist dargelegt, inwieweit das Grundrecht des Art. 4 Abs. 1 GG die Arbeitsgerichte dazu zwingen würde, die Beschwerdeführerin als Weltanschauungsgemeinschaft zu qualifizieren. Der Einsatz für eine ausreichende und qualitativ hochwertige Blutversorgung ist ein bedeutendes humanitäres Anliegen, für das die Beschwerdeführerin erhebliche Leistungen erbringt. Auch orientiert sie sich an den Grundsätzen der internationalen Rotkreuz- und Rothalbmond-bewegung. Diese können eine Weltanschauung und auch eine Religion mit prägen, enthalten jedoch keine insofern spezifische Aussage zur Gesamtheit des menschlichen Lebens, weil weder der Mensch im Kern seiner Persönlichkeit angesprochen noch auf umfassende Weise der Sinn der Welt und des menschlichen Lebens erklärt wird (vgl. BVerfGE 105, 279 <293>). Die Beschwerdeführerin wird vielmehr - wie sie selbst ausführt - von einer übergreifend karitativ-humanitären Bestimmung geleitet; eine religiöse oder weltanschauliche Dimension ist kein bestimmendes Element ihrer Tätigkeit, das sie von anderen Unternehmen unterscheiden würde.
- 11
-
2. Eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als Willkürverbot liegt nicht vor.
- 12
-
a) Gegen den Gleichheitssatz wird nicht bereits dann verstoßen, wenn die angegriffene Rechtsanwendung eines Fachgerichts fehlerhaft ist. Hinzukommen muss vielmehr, dass die Rechtsanwendung unter keinem denkbaren Aspekt mehr rechtlich vertretbar ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass die Entscheidung auf sachfremden und damit willkürlichen Erwägungen beruht (vgl. BVerfGE 83, 82 <84>; stRspr).
- 13
-
b) Danach begegnet die Auslegung des § 118 Abs. 1 BetrVG durch das Bundesarbeitsgericht keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.
- 14
-
aa) Zwar ergibt sich aus dem Grundgesetz kein zwingendes Gebot betrieblicher Mitbestimmung (vgl. BVerfGE 50, 290 <349>; 52, 283 <298>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 15. Dezember 1999 - 1 BvR 729/92 -, juris, Rn. 18). Doch gestaltet der Gesetzgeber mit den Regelungen zur betrieblichen Mitbestimmung das Sozialstaatsprinzip der Art. 20 Abs. 1, Art. 28 Abs. 1 GG aus. Er muss dabei den grundrechtlich geschützten Kernbereich unternehmerischen Handelns (Art. 12 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG) ebenso achten wie die grundrechtlichen Belange der Beschäftigten. Zudem soll die Einschränkung der betrieblichen Mitbestimmung nach § 118 Abs. 1 BetrVG die Grundrechtsentfaltung von Tendenzbetrieben zugunsten unternehmerischer Interessen mit spezifisch grundrechtsgeschützter, geistig-ideeller oder politischer Zielsetzung gewährleisten (Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung, BTDrucks VI/2729, S. 17; vgl. auch BVerfGE 52, 283 <299>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 15. Dezember 1999 - 1 BvR 505/95 -, Rn. 26; stRspr BAG seit BAG, Beschluss vom 22. April 1975 - 1 ABR 604/73 -, juris, Rn. 13; Beschluss vom 14. September 2010 - 1 ABR 29/09 -, juris, Rn. 24). Hinter solchen bereichsspezifischen Grundrechten muss das Sozialstaatsprinzip zurücktreten; der Tendenzschutz ist insoweit eine grundrechtsausgestaltende Regelung (vgl. BVerfGE 52, 283 <299>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 15. Dezember 1999 - 1 BvR 505/95 -, Rn. 26). Daneben werden mit § 118 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BetrVG bestimmte geistig-ideelle Zielsetzungen privilegiert, an denen ein Interesse der Allgemeinheit besteht (BAG, Beschluss vom 31. Januar 1995 - 1 ABR 35/94 -, juris, Rn. 56; Beschluss vom 14. September 2010 - 1 ABR 29/09 -, juris, Rn. 24).
- 15
-
bb) Dies wird vom Bundesarbeitsgericht nicht verkannt. Die enge Auslegung des § 118 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BetrVG folgt anerkannten Grundsätzen, denn die Regelung normiert eine Ausnahme von der gesetzgeberischen Entscheidung zugunsten betrieblicher Mitbestimmung; daraus folgt ganz regelmäßig ein restriktives Verständnis der Norm. Das rechtfertigt die enge Auslegung des Merkmals der karitativen Tätigkeit im Sinne des § 118 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BetrVG (vgl. Fitting, BetrVG, Handkommentar, 27. Aufl. 2014, § 118 Rn. 2; Weber, in: GK-BetrVG, 10. Aufl. 2014, Bd. 2, § 118 Rn. 33 f.; Kania, in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 15. Aufl. 2015, BetrVG, § 118 Rn. 2; zum Ausnahmecharakter: Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung, BTDrucks VI/2729, S. 17). Es ist insofern nicht zu beanstanden, wenn das Bundesarbeitsgericht davon ausgeht, die Ausnahme von der Mitbestimmung greife nur, wenn bei einer karitativen Tätigkeit der Dienst an leidenden Menschen direkt erbracht wird (vgl. BAG, Beschluss vom 31. Januar 1995 - 1 ABR 35/94 -, juris, Rn. 56; Beschluss vom 14. September 2010 - 1 ABR 29/09 -, juris, Rn. 24; Lakies, in: Düwell, BetrVG, 4. Aufl. 2014, § 118 Rn. 2; Lunk, in: Hümmerich/Boecken/Düwell, Arbeitsrecht, 2. Aufl. 2010, § 118 Rn. 2; Weber, in: GK-BetrVG, 10. Aufl. 2014, Bd. 2, § 118, Rn. 21).
- 16
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Die Beschwerdeführerin kann der hohen Gewichtung des Sozialstaatsprinzips auch keine speziellen Freiheitsrechte entgegenhalten, die zu einer Ausnahme von der betrieblichen Mitbestimmung zwingen würden. Nur diejenigen karitativen Betriebe, die durch die Inanspruchnahme des Art. 4 GG geprägt sind, hat der Gesetzgeber in § 118 Abs. 2 BetrVG gänzlich von der Anwendung des Betriebsverfassungsgesetzes ausgenommen. Es ist dann verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, die weitere Ausnahmeregelung des § 118 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BetrVG nur anzuwenden, wenn Betriebe nicht nur allgemein eine ideelle Zielsetzung verfolgen, sondern diese das betriebliche Handeln auch ausnahmsweise ganz unmittelbar prägt.
- 17
-
3. Ein Verstoß gegen Art. 12 Abs. 1 GG liegt nicht vor. Die betriebliche Mitbestimmung beschränkt zwar das Direktionsrecht, die Vertragsfreiheit und die sonstigen unternehmerischen Dispositionen des Arbeitgebers. Die Vorgabe zur Einrichtung eines Wirtschaftsausschusses ist allerdings von geringer Intensität, denn dieser organisiert Mitwirkung, vermittelt aber keinen ausschlaggebenden Einfluss. Die Beschwerdeführerin behält ihr unternehmerisches Letztentscheidungsrecht. Insoweit ist die im Betriebsverfassungsgesetz normierte Mitbestimmung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit Blick auf den sozialen Bezug des Unternehmerberufs, der nur mithilfe anderer ausgeübt werden kann, durch sachgerechte und vernünftige Erwägungen des Gemeinwohls gerechtfertigt (vgl. BVerfGE 50, 290 <365>). Vorliegend fehlen auch jedwede Anhaltspunkte dafür, dass die Tätigkeit der Beschwerdeführerin durch die Bildung eines Wirtschaftsausschusses in unzumutbarer Weise beeinträchtigt würde. Insbesondere ist nicht ersichtlich, inwieweit die geistig-ideelle Zielsetzung der Beschwerdeführerin der Bildung eines Wirtschaftsausschusses entgegenstünde.
- 18
-
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Tenor
Auf die Berufungen der Kläger werden die Urteile des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 28. Februar 2014 - 2 K 3238/12 und 2 K 3104/12 - geändert.
Der Bescheid der Beklagten vom 31. August 2011 und die Widerspruchsbescheide des Landratsamts Bodenseekreis vom 17. September 2012 werden aufgehoben.
Die Hinzuziehungen der Bevollmächtigten durch die Kläger im Vorverfahren werden für notwendig erklärt.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
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Tenor
Artikel 1 Nummer 7 und Artikel 1 Nummer 8 der Ersten Satzung zur Änderung der Grundordnung der Universität Konstanz vom 24. Oktober 2008 werden für unwirksam erklärt.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
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(1) Die Verhandlung vor dem erkennenden Gericht einschließlich der Verkündung der Urteile und Beschlüsse ist öffentlich. Ton- und Fernseh-Rundfunkaufnahmen sowie Ton- und Filmaufnahmen zum Zwecke der öffentlichen Vorführung oder Veröffentlichung ihres Inhalts sind unzulässig. Die Tonübertragung in einen Arbeitsraum für Personen, die für Presse, Hörfunk, Fernsehen oder für andere Medien berichten, kann von dem Gericht zugelassen werden. Die Tonübertragung kann zur Wahrung schutzwürdiger Interessen der Beteiligten oder Dritter oder zur Wahrung eines ordnungsgemäßen Ablaufs des Verfahrens teilweise untersagt werden. Im Übrigen gilt für den in den Arbeitsraum übertragenen Ton Satz 2 entsprechend.
(2) Tonaufnahmen der Verhandlung einschließlich der Verkündung der Urteile und Beschlüsse können zu wissenschaftlichen und historischen Zwecken von dem Gericht zugelassen werden, wenn es sich um ein Verfahren von herausragender zeitgeschichtlicher Bedeutung für die Bundesrepublik Deutschland handelt. Zur Wahrung schutzwürdiger Interessen der Beteiligten oder Dritter oder zur Wahrung eines ordnungsgemäßen Ablaufs des Verfahrens können die Aufnahmen teilweise untersagt werden. Die Aufnahmen sind nicht zu den Akten zu nehmen und dürfen weder herausgegeben noch für Zwecke des aufgenommenen oder eines anderen Verfahrens genutzt oder verwertet werden. Sie sind vom Gericht nach Abschluss des Verfahrens demjenigen zuständigen Bundes- oder Landesarchiv zur Übernahme anzubieten, das nach dem Bundesarchivgesetz oder einem Landesarchivgesetz festzustellen hat, ob den Aufnahmen ein bleibender Wert zukommt. Nimmt das Bundesarchiv oder das jeweilige Landesarchiv die Aufnahmen nicht an, sind die Aufnahmen durch das Gericht zu löschen.
(3) Abweichend von Absatz 1 Satz 2 kann das Gericht für die Verkündung von Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in besonderen Fällen Ton- und Fernseh-Rundfunkaufnahmen sowie Ton- und Filmaufnahmen zum Zwecke der öffentlichen Vorführung oder der Veröffentlichung ihres Inhalts zulassen. Zur Wahrung schutzwürdiger Interessen der Beteiligten oder Dritter sowie eines ordnungsgemäßen Ablaufs des Verfahrens können die Aufnahmen oder deren Übertragung teilweise untersagt oder von der Einhaltung von Auflagen abhängig gemacht werden.
(4) Die Beschlüsse des Gerichts nach den Absätzen 1 bis 3 sind unanfechtbar.
(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.
(2) Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.
(3) Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.
Der Anspruch auf Informationszugang besteht nicht, soweit der Schutz geistigen Eigentums entgegensteht. Zugang zu Betriebs- oder Geschäftsgeheimnissen darf nur gewährt werden, soweit der Betroffene eingewilligt hat.
(1) Alle Deutschen haben das Recht, Beruf, Arbeitsplatz und Ausbildungsstätte frei zu wählen. Die Berufsausübung kann durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes geregelt werden.
(2) Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden, außer im Rahmen einer herkömmlichen allgemeinen, für alle gleichen öffentlichen Dienstleistungspflicht.
(3) Zwangsarbeit ist nur bei einer gerichtlich angeordneten Freiheitsentziehung zulässig.
(1) Soweit
- 1.
durch das Bekanntgeben der Informationen personenbezogene Daten offenbart und dadurch Interessen der Betroffenen erheblich beeinträchtigt würden, - 2.
Rechte am geistigen Eigentum, insbesondere Urheberrechte, durch das Zugänglichmachen von Umweltinformationen verletzt würden oder - 3.
durch das Bekanntgeben Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse zugänglich gemacht würden oder die Informationen dem Steuergeheimnis oder dem Statistikgeheimnis unterliegen,
(2) Umweltinformationen, die private Dritte einer informationspflichtigen Stelle übermittelt haben, ohne rechtlich dazu verpflichtet zu sein oder rechtlich verpflichtet werden zu können, und deren Offenbarung nachteilige Auswirkungen auf die Interessen der Dritten hätte, dürfen ohne deren Einwilligung anderen nicht zugänglich gemacht werden, es sei denn, das öffentliche Interesse an der Bekanntgabe überwiegt. Der Zugang zu Umweltinformationen über Emissionen kann nicht unter Berufung auf die in Satz 1 genannten Gründe abgelehnt werden.
Der Anspruch auf Informationszugang besteht nicht, soweit der Schutz geistigen Eigentums entgegensteht. Zugang zu Betriebs- oder Geschäftsgeheimnissen darf nur gewährt werden, soweit der Betroffene eingewilligt hat.
Die Aufhebung eines Verwaltungsaktes, der nicht nach § 44 nichtig ist, kann nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren, die Form oder die örtliche Zuständigkeit zustande gekommen ist, wenn offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat.
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 20. März 2012 geändert.
Der Bescheid der Beklagten vom 3. Januar 2010 (gemeint 2011) wird zu Ziff. 1 und Ziff. 2 aufgehoben.
Die Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens beider Instanzen trägt die Beklagte.
Die Entscheidung ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
Tatbestand:
2Der Kläger wendet sich gegen eine Beanstandungs- und Untersagungsverfügung der Beklagten nach dem Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV) wegen des von ihm unter der Domain www.media-bloed.de verbreiteten satirischen Angebots. Diese erging im Zusammenhang mit seiner kritischen Auseinandersetzung mit dem Bundeswehreinsatz in Afghanistan und den dabei (jedenfalls im Jahr 2010) gezeigten – mittlerweile nicht mehr aufrufbaren – Bildern. Es handelte sich dabei um fünf in Farbe gezeigte Bilder, die jeweils mit der Überschrift „Bundeswehr Blut stinkt nicht“ versehen waren, linksseitig den Text „Offensive für Kampfeinsätze in Afghanistan“ und unten den Zusatz „Deutsche Soldaten, die schöneren Leichen!“ aufführten. Das erste Bild zeigte ausschnittsweise einen mit Hemd und Hose bekleideten menschlichen Körper mit erheblichen Verletzungen am Oberkörper und einem abgerissenen linken Bein mit überwiegend freiliegendem Oberschenkelknochen. Darunter befand sich der Text:
3„Mach mit bei der Kampagne der Offensive für Kampfeinsätze der Bundeswehr in Afghanistan, mit dem Motto: Deutsche Soldaten - die schöneren Leichen!
4Lange genug haben die anderen Nato Staaten deutsche Kampfeinsätze verschmäht, und warum eigentlich? Ist das Blut deutscher Soldaten etwa nicht gut genug? Mit dieser schäbigen Diskriminierung deutschen Kanonenfutters muß jetzt endlich Schluß sein, fordern nicht nur deutsche Generäle und Politiker, nein, sozusagen in Tateinheit mit den gleichgeschalteten Medien fordert es auch der Souverän, das deutsche Volk, und Luft und Äther füllen sich mit dem Schrei aus Millionen Kehlen: ‚Bundeswehr Blut stinkt nicht!‘
5Und laßt euch bloß nicht von den Weicheiern und Warmduschern verarschen, die darüber klagen, daß deutsche Soldaten sterben werden! Der deutsche Soldat stirbt gern, dafür wurde er schließlich ausgebildet und bezahlt, und das freiwillig, von niemandem gezwungen außer seiner vorbildlichen Aufopferungsbereitschaft für das deutsche Volk einerseits und jeden noch so fragwürdigen Beschluß der Nato andererseits.
6Denn das ist die wahre Tugend des deutschen Soldaten und auch die eines jeden treuen Untertanen der hochdeutschen Verwaltung: Er fragt nicht nach dem Sinn von Verordnungen, sondern befolgt sie und stirbt, wenn es befohlen ist.“
7Nachfolgend wurden vier Bilder ohne weiteren Text gezeigt: Menschliche Beine vor dem Hintergrund einer Plastikplane; das eine Bein war zerfetzt; es fehlten Fleischteile des Oberschenkels, so dass ein Knochen zu sehen war; der Fuß war vom Bein getrennt und unten im Bild gezeigt. Ein Bild zeigte einen Torso; der Kopf war vom Körper getrennt; die Arme waren nicht zu sehen. Ein weiteres Bild zeigte eine mumifizierte Leiche, auf dem Rücken liegend; der Unterkörper war nicht zu sehen. Das letzte Bild zeigte den Kopf und Teile des Oberkörpers einer Brandleiche. Alle Bilder ließen sich durch einen Klick vergrößern (von ca. 8 x 12 cm auf ca. 14 x 20 cm).
8Unter dem 21. Januar 2010 wandte sich jugendschutz.net wegen dieser dort als „tasteless-Bilder“ eingestuften Darstellungen per E-mail an den Kläger und bat unter Hinweis darauf, dass die Organisation einige Bilder unter Jugendschutzgesichtspunkten für besonders bedenklich halte, um Prüfung, ob es weiterhin für erforderlich gehalten werde, diese drastischen Darstellungen zu präsentieren. Der Kläger äußerte sich ablehnend. Die Kommission für Jugendmedienschutz der Landesmedienanstalten (KJM) legte daraufhin die Stellungnahme von jugendschutz.net und eine Bildschirmkamera-Aufzeichnung (Software Camtasia) der am 1. März 2010 durchgeführten Sichtung des Angebots www.media-bloed.de der Beklagten und wies auf die Prüfung in einer der nächsten Präsenzprüfungen der KJM hin. Zum Zeitpunkt der Sichtung war auf der Domain des Klägers Werbung („Google-Anzeigen“) geschaltet.
9Eine Prüfgruppe der KJM für Telemedien bejahte in einer Präsenzprüfung am 21. April 2010 nach Live-Sichtung mit einem Abstimmungsergebnis von 3:2 einen Verstoß gegen § 5 Abs. 1 i. V. m. Abs. 3 und 4 JMStV (entwicklungsbeeinträchtigende Inhalte) sowie mit einem Abstimmungsergebnis von 5:0 einen Verstoß gegen § 7 JMStV (fehlender Jugendschutzbeauftragter).
10Hiervon setzte die Beklagte den Kläger mit Schreiben vom 18. August 2010 in Kenntnis und gab ihm Gelegenheit zur Stellungnahme. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers kündigte eine Stellungnahme bis spätestens zum 30. September 2010 an, die ausblieb. Parallel wurde von der Beklagten ein Ordnungswidrigkeitenverfahren gegen den Kläger eingeleitet, in dem der Kläger Anfang Dezember 2010 eine Stellungnahme abgab.
11Nach weiterer Sichtung des Angebots am 1. Oktober 2010 – auch zu diesem Zeitpunkt war auf www.media-bloed.de Werbung geschaltet – hatte die Beklagte der KJM unter dem 22. Oktober 2010 ihre Beschlussempfehlung vom 13. September 2010 übersandt, das Internetangebot medienrechtlich zu beanstanden und den Verstoß gegen den Jugendmedienschutz-Staatsvertrag zukünftig zu untersagen. Eine erneute Sichtung am 16. November 2010 hatte ergeben, dass die Seite offline gestellt war.
12In der Sitzung vom 15. Dezember 2010 entschied die KJM im Plenum – im Wesentlichen der Beschlussvorlage folgend – einstimmig, es lägen Verstöße gegen § 5 Abs. 1 i. V. m. Abs. 3 und 4 Satz 2 JMStV sowie § 7 Abs. 1 i. V. m. Abs. 3 und 4 JMStV, vor und stellte ferner fest, dass gegenüber dem Anbieter gemäß § 20 Abs. 1 und 4 JMStV sowie § 24 Abs. 1 Nr. 4 JMStV i. V. m. § 59 Abs. 3 RStV eine Beanstandung auszusprechen sei und der Verstoß zukünftig untersagt werde.
13Bei einer weiteren Sichtung des Angebots durch die Beklagte am 28. Dezember 2010 war die Internetseite mit den oben genannten Bildern wieder aufrufbar; Werbung fand sich jedoch nicht mehr.
14Mit Bescheid vom 3. Januar 2010 (gemeint 2011) entschied die Beklagte, (Ziff. 1.) das von dem Kläger verbreitete Angebot www.media-bloed.de verstoße gegen § 5 Abs. 1 i. V. m. Abs. 3 und 4 JMStV und § 7 Abs. 1 i. V. m. Abs. 3 und 4 JMStV. Dies werde medienrechtlich beanstandet (§ 20 Abs. 1 und 4 JMStV i. V. m. § 59 Abs. 3 RStV). Dem Kläger wurde untersagt, das genannte Angebot in dieser Fassung weiter zu verbreiten. Ferner (Ziff. 2.) entschied die Beklagte, dass der Kläger in Zukunft seine Verpflichtungen nach § 5 Abs. 1 JMStV erfülle, wenn er dafür Sorge trage, dass Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren die problematischen Inhalte üblicherweise nicht wahrnähmen. Dies könne gemäß § 5 Abs. 3 und 4 JMStV durch die Begrenzung der Sendezeit oder die Vorschaltung eines technischen oder sonstigen Schutzes geschehen. Darüber hinaus bleibe dem Kläger auch die Möglichkeit, alle entwicklungsbeeinträchtigenden Inhalte von seinem Angebot zu entfernen. Weiter (Ziff. 3.) wurde dem Kläger aufgegeben, für sein Angebot einen Jugendschutzbeauftragten im Sinne von § 7 Abs. 1 i. V. m. Abs. 3 und 4 JMStV zu bestellen. Die Kosten (Gebühren und Auslagen) habe der Kläger zu tragen (Ziff. 4.). Für den Bescheid erhob die Beklagte eine Verwaltungsgebühr in Höhe von insgesamt 1.000,00 Euro. In der Begründung beschrieb die Beklagte u.a. vier der unter der Überschrift „Bundeswehr Blut stinkt nicht“ gezeigten Bilder nebst den zu diesen Bildern führenden Pfaden, legte die Einschätzung zur Entwicklungsbeeinträchtigung dar und führte weiter aus: Angebote der Satire und der Parodie unterfielen dem Schutz der Meinungsfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG. Gemäß Art. 5 Abs. 2 GG finde dieses Recht seine Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutz der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre. Die notwendige Güterabwägung zwischen der Forderung nach umfassendem Grundrechtsschutz und dem verfassungsrechtlich herausgehobenen Interesse an einem effektiven Jugendschutz falle vorliegend zu Lasten der Meinungsfreiheit und somit zu Lasten des Angebots des Klägers aus. Zu beachten sei dabei gewesen, dass die kritische Auseinandersetzung mit dem Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan an sich nicht beanstandet werde. Die Beanstandung richte sich ausschließlich gegen die beschriebenen Darstellungen, welche in ihrer Menge und der Möglichkeit der Vergrößerung nicht notwendig seien, um die satirische Aussage zu verdeutlichen, insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Darstellungen in der vergrößerten Ansicht in keinem Kontext zu den kritischen und satirischen Aussagen stünden. Soweit das Angebot unter den Schutz der Kunstfreiheit des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG falle, finde es seine Schranken in kollidierendem Verfassungsrecht. Der Jugendschutz sei ein verfassungsrechtlich geschütztes Gut. Die Abwägung zwischen den kollidierenden Verfassungsgütern falle ebenfalls zu Lasten der Kunstfreiheit aus. Insbesondere sei die Beanstandung der beschriebenen Darstellung verhältnismäßig. Wie bereits erwähnt, seien die Menge der Bilder sowie die Möglichkeit der Vergrößerung nicht notwendig, um die satirische Aussage zu verdeutlichen. Die Gebührenfestsetzung beruhe auf der gesetzlichen Grundlage des § 35 Abs. 11 Rundfunkstaatsvertrag i. V. m. der entsprechenden Kostensatzung.
15In dem auf dem gleichen Sachverhalt gründenden Ordnungswidrigkeitenverfahren erließ die Beklagte nach Anhörung des Klägers und Entscheidung der KJM im Februar 2011 einen Bußgeldbescheid, in dem sie ein Bußgeld von 3500,00 Euro wegen des Verstoßes gegen § 5 JMStV und von 350,00 Euro für den Verstoß gegen § 7 JMStV gegen den Kläger verhängte. Dieses Ordnungswidrigkeitenverfahren ist nach dem Einspruch des Klägers beim Amtsgericht Düsseldorf wegen Verfolgungsverjährung mittlerweile eingestellt worden.
16Der Kläger hat am 29. Januar 2011 gegen den Bescheid vom 3. Januar 2010 (gemeint 2011) Klage erhoben. Zur Begründung hat er im Wesentlichen vorgetragen: Das Angebot sei nicht geeignet, die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen zu beeinträchtigen. Zunächst komme weder der KJM noch der Beklagten ein Beurteilungsspielraum zu, inwieweit ein Angebot im Sinne von § 5 Abs. 1 JMStV geeignet sei, die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen zu beeinträchtigen. Dies sei vielmehr von den Gerichten uneingeschränkt zu überprüfen. Es liege auf der Hand, dass gerade bei politischen Abbildungen und Texten das Grundrecht der Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG in besonderer Weise zu berücksichtigen sei. Hinzu komme, dass das Grundgesetz in mehrfacher Hinsicht eine Friedenspflicht enthalte. Dem habe der Gesetzgeber u.a. durch das Gesetz über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften und Medieninhalte Rechnung getragen. Bei seiner Veröffentlichung gehe es gerade nicht um die Verherrlichung des Krieges, sondern um die Warnung vor einem solchen. Dabei bediene er sich sowohl einer satirischen Textsprache als auch einer Bebilderung. Sein Werk sei damit sowohl von der Kunstfreiheit des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG als auch durch die Meinungsfreiheit des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG geschützt. Ein Eingriff in diese Rechte bedürfe einer umfassenden Abwägung, die sich den Ausführungen der Beklagten nicht entnehmen lasse. Umgekehrt stelle es sich als jugendgefährdend dar, wenn der Krieg verharmlost werde und in der Öffentlichkeit durch Hochglanzbilder von Soldaten bei Kindern und Jugendlichen ein unzutreffendes Bild vom Krieg vermittelt werde. Gerade Jugendliche würden durch eine derartige Werbung der Bundeswehr angesprochen, da in dieser Gruppe der Nachwuchs rekrutiert werden solle. Erinnert werde in diesem Zusammenhang auch an das Buch „Krieg dem Kriege“ des Pazifisten und Anarchisten Ernst Friedrich. Dieses Buch prangere auf ähnliche Weise wie er den Krieg mit Bildern des Krieges und Untertiteln an. Das Buch sei ohne weiteres im Buchhandel erhältlich und auch Jugendlichen zugänglich. Soweit Anstoß genommen werde an Bildern verbrannter Leichen – die übrigen Bilder seien unschwer als unrealistische Nachbildung erkennbar –, empfehle sich ein Blick in die Schulbücher. Im Hinblick auf den Vulkanausbruch bei Pompeji würden vielfach Bilder auch in Schulbüchern verbreitet, die Opfer des Vulkanausbruchs zeigten und seinen Bildern zum Verwechseln ähnlich seien.
17In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht hat der Kläger u.a. erklärt, er habe die Bilder im Hinblick auf das Ordnungswidrigkeitsverfahren mittlerweile entfernt. Die früher auf seiner Website über Google geschaltete Werbung habe Google nach Beschwerden über seine Seite entfernt. Ziff. 3. des angefochtenen Bescheides hat die Beklagte daraufhin aufgehoben. Insoweit haben die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt.
18Der Kläger hat beantragt,
19den Bescheid der Beklagten vom 3. Januar 2010 (gemeint 2011) in der Fassung der Erklärung in der mündlichen Verhandlung vom 20. März 2012 aufzuheben.
20Die Beklagte hat beantragt,
21die Klage abzuweisen.
22Das Verwaltungsgericht hat mit Urteil vom 20. März 2012 die Kostenentscheidung und die Gebührenfestsetzung in den Ziff. 4 und 5 des angegriffenen Bescheides aufgehoben und im Übrigen (Ziff. 1 und 2) die Klage abgewiesen. Die in Ziff. 1 des Bescheides erfolgte Beanstandung des Internet-Angebotes des Klägers im Hinblick auf einen Verstoß gegen § 5 Abs. 1 i. V. m. Abs. 3 und Abs. 4 sowie § 7 Abs. 1 i. V. m. Abs. 3 und Abs. 4 JMStV und die Untersagung, das Angebot in dieser Fassung weiter zu verbreiten, seien wie die Vorgabe in Ziff. 2 rechtmäßig. Insbesondere sei die Regelung in Ziff. 1 ausreichend bestimmt im Sinne von § 37 Abs. 1 VwVfG NRW, da sich unpräzise Formulierungen im Verfügungssatz („in dieser Fassung“) unter Berücksichtigung der Ausführungen in der Begründung, die Beanstandung beziehe sich allein auf die im Einzelnen beschriebenen Bilder, in klarer Weise auslegen ließen. Das Verwaltungsgericht hat die inhaltliche Einschätzung der KJM zur Eignung des Angebots des Klägers zur Entwicklungsbeeinträchtigung von Kindern und Jugendlichen unter 16 Jahren, welches es als sachverständige Äußerung ohne Beurteilungsspielraum einordnet, geteilt, weil insbesondere die Gefahr bestehe, dass diese Gruppe von Minderjährigen nicht in der Lage sei, die Bilder als Satire zu erkennen. Der Verweis auf das in Bibliotheken und im Buchhandel frei erhältliche Buch „Krieg dem Kriege“ greife nicht zu Gunsten des Klägers durch, da – ungeachtet der Frage der Vergleichbarkeit der Bilder – der Zugriff durch das Internet deutlich höhere Risiken der Wahrnehmung durch Minderjährige begründe. Die Bezugnahme auf in Schulbüchern vorhandene Abbildungen zur Vulkankatastrophe in Pompeji sei nicht vergleichbar, weil es dort um gefertigte Nachbildungen der Opfer gehe und so der unmittelbare Realitätsbezug fehle. Maßgeblich sei für die Bewertung der Bilder der Eindruck des kindlichen oder jugendlichen Betrachters, weshalb das Vorbringen des Klägers, es handele sich um unschwer erkennbare unrealistische Nachbildungen, unerheblich sei; ein solcher Betrachter werde die Bilder für echt halten. Das Nachrichtenprivileg des § 5 Abs. 6 JMStV lasse den Verstoß nicht entfallen, denn ein rechtliches Interesse gerade an der gewählten Form der Darstellung mit der beanstandeten Menge von unkommentiert aneinandergereihten Bildern und der Möglichkeit der Vergrößerung bestehe nicht. Die Eingriffe in die Grundrechte des Klägers (Meinungsfreiheit, Art. 5 Abs. 1 GG, sowie Kunstfreiheit, Art. 5 Abs. 3 GG) seien durch die Berücksichtigung des Verfassungsgutes Jugendschutz gerechtfertigt, wobei die Regelungen in § 5 Abs. 3 bis Abs. 5 JMStV für den verhältnismäßigen Ausgleich der Verfassungsgüter sorgten; hierdurch bleibe die Ausübung von Meinungsfreiheit und Kunstfreiheit möglich, unter gleichzeitiger Wahrung des Jugendschutzes. Die so erfolgte Einschränkung dieser Grundrechte sei verhältnismäßig und auch ansonsten ermessensfehlerfrei. Die Feststellung eines Verstoßes gegen die Pflicht zur Bestellung eines Jugendschutzbeauftragten nach § 7 JMStV sei zulässig, da der Kläger in der Vergangenheit durch Schaltung von Anzeigen auf der Domain Einkünfte erzielt und damit geschäftsmäßig gehandelt habe. Selbst wenn dies jetzt nicht mehr der Fall sei, sei eine Beanstandung möglich.
23Die Kostenentscheidung und die Gebührenfestsetzung in Ziff. 4 und 5 des angegriffenen Bescheides seien rechtswidrig. § 35 Abs. 11 Rundfunkstaatsvertrag (RStV) i. V. m. der Kostensatzung sei ebenso wenig anwendbar wie § 116 Abs. 2 Landesmediengesetz (LMG) NRW i. V. m. der entsprechenden Gebührensatzung.
24Der Kläger und die Beklagte haben die vom Verwaltungsgericht zugelassene Berufung eingelegt.
25Zur Begründung seiner Berufung macht der Kläger im Wesentlichen geltend: Die im angegriffenen Bescheid getroffenen Regelungen in Ziff. 1 und 2 seien schon nicht hinreichend bestimmt, da die Beanstandung sich auf „das vom Kläger verbreitete Internetangebot www.media-bloed.de“ und die Untersagung auf „das genannte Angebot in dieser Fassung“ sowie Ziff. 2 auf „die problematischen Inhalte“ beziehe. Es sei auch nicht durch Berücksichtigung der Begründung ein bestimmter Inhalt feststellbar, da die beschriebenen Bilder nur als Beispiele angeführt würden und zudem auch durch weitere Passagen der Begründung keine Klarheit geschaffen werde. Es bleibe unklar, ob nur Darstellungen in Bildform oder auch solche mit Text beanstandet würden, sowie ob es ausreiche, die Möglichkeit der Vergrößerung nicht mehr vorzusehen. Damit bleibe unklar, was ihm eigentlich habe verboten werden sollen.
26Weiter stehe der KJM weder ein Beurteilungsspielraum zu noch habe deren Feststellung den Charakter einer sachverständigen Äußerung; dies ergebe sich schon aus den Abstimmungsergebnissen in der Prüfgruppe, die in Bezug auf § 5 JMStV einen Verstoß nur mit 3:2 Stimmen festgestellt habe. Weiter bestehe keine Gefahr der Entwicklungsbeeinträchtigung, da Kinder und Jugendliche die Satire auf der Seite des Klägers eindeutig erkennen könnten. Zudem rechtfertige § 5 Abs. 6 JMStV die Art der konkreten Darstellungen, da gerade diese zur Erreichung der Zwecke des Klägers wichtig seien, um die beabsichtigte abschreckende Wirkung in Bezug auf die Gefahren und Folgen von Kriegen zu erzielen. Ähnlich wie der Pazifist Ernst Friedrich mit dem Buch „Krieg dem Kriege“ habe auch Bertolt Brecht in der von ihm veröffentlichten „Kriegsfibel“ seine Gedichte gegen den Krieg mit Bildern von Kriegsfolgen und Kriegsopfern verknüpft. In vergleichbarer Weise stelle sich das beanstandete Angebot des Klägers dar. Das Urteil des Verwaltungsgerichts beruhe auf einer Verkennung der Reichweite der Gewährleistungen von Art. 5 Abs. 1 und 5 Abs. 3 GG.
27Der Kläger beantragt,
28das Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 20. März 2012 zu ändern und nach dem erstinstanzlichen Klageantrag zu erkennen
29sowie die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
30Die Beklagte beantragt,
31das Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 20. März 2012 zu ändern und die Klage insgesamt abzuweisen
32sowie die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
33Zur Berufung des Klägers führt sie im Wesentlichen aus: Der angegriffene Bescheid sei hinreichend bestimmt, da für den Kläger unter Berücksichtigung des Inhalts des Bescheides und der Nennung der einzelnen Bilder habe klar sein müssen, was beanstandet werde. Der Aufbau des Bescheides und die Technik der Tenorierung sei bisher von nordrhein-westfälischen Verwaltungsgerichten in Bezug auf die Bestimmtheit nicht in Zweifel gezogen worden. Die Feststellung einer Entwicklungsbeeinträchtigung sei vom Gericht nicht mehr zu überprüfen, da der KJM hinsichtlich der Jugendgefährdung ein Beurteilungsspielraum zustehe. Auch ohne einen solchen sei es jedoch eine sachverständige Äußerung, die durch das Vorbringen des Klägers nicht erschüttert sei. Weiter könne die als Ausnahmevorschrift eng auszulegende Regelung in § 5 Abs. 6 JMStV dem Kläger nicht weiterhelfen, da – abgesehen von der zweifelhaften Einordnung als „vergleichbares Angebot“ im Sinne der Vorschrift – kein berechtigtes Interesse gerade an der gewählten Art der Darstellung feststellbar sei. Eine Beschränkung der Untersagung auf die Möglichkeit der Vergrößerung der Bilder sei nicht ausreichend, da diese alleine den Verstoß nicht begründe, sondern verstärke.
34Zur Begründung ihrer eigenen Berufung trägt die Beklagte im Wesentlichen vor: Die vom Verwaltungsgericht aufgehobene Kostenentscheidung sowie die Gebührenfestsetzung gegen den Kläger lasse sich auf § 35 Abs. 11 RStV i. V. m. der RStV-Kostensatzung (Gebührenverzeichnis Ziff. IV.8.) stützen. Die systematische Stellung von § 35 Abs. 11 RStV im III. Abschnitt des Rundfunkstaatsvertrages stehe dem im Ergebnis nicht entgegen. Dies ergebe sich aus der Gesetzgebungsgeschichte sowie der gesetzgeberischen Absicht, welche hinter der Vorschrift stünde. In der Vergangenheit seien Gebühren für Maßnahmen der Landesmedienanstalten in Zusammenarbeit mit der KJM nach dem Jugendmedienschutz-Staatsvertrag gegenüber Anbietern von Telemedien auf der Grundlage von § 14 Abs. 9 JMStV i. V. m. der früheren KJM-Kostensatzung erfolgt. Durch den Zehnten Rundfunkänderungsstaatsvertrag sei § 14 Abs. 9 JMStV jedoch gestrichen worden und § 35 RStV habe seine heutige Gestalt erhalten. Nach der Begründung hierzu aus dem zum Erlass des Änderungsstaatsvertrages führenden Verfahren sollten „die bisherigen Bestimmungen über die Kommission für Jugendmedienschutz in § 14 Abs. 8 bis 10, die die Finanzierung und Personalausstattung sowie den Sitz der KJM betrafen, (…) nunmehr in § 35 des Rundfunkstaatsvertrags enthalten“ sein. Diese Einschätzung werde auch durch die Formulierungen in der RStV-Kostensatzung bestätigt, die z.B. in Ziff. IV.8. des Gebührenverzeichnisses so allgemein gehalten seien, dass sie auch Maßnahmen gegenüber Anbietern von Telemedien umfassen könnten. Unabhängig hiervon könne die Gebührenerhebung auch auf § 116 Abs. 2 LMG NRW i. V. m. der LfM-Gebührensatzung gestützt werden, da Ziff. 11 des Kostenverzeichnisses zu dieser Gebührensatzung mit dort genannten „Maßnahmen gegenüber Anbietern von lokalen, regionalen oder landesweiten Angeboten aufgrund des JMStV“ die Erfassung von bundesweiten Angeboten nicht ausschließe. Selbst wenn man dies anders sehe, sei eine Gebührenfestsetzung aufgrund des Auffangtatbestandes in § 2 Abs. 2 der LfM-Gebührensatzung nicht nach der Rechtsprechung des 9. Senats des Oberverwaltungsgerichts NRW zu dem Auffangtatbestand in der Tarifstelle 30.5 AGT ausgeschlossen, da die Fallkonstellationen nicht vergleichbar seien. Für den Kläger sei es nicht überraschend gewesen, dass er aufgrund des streitgegenständlichen, ihn belastenden Bescheides auch einer Gebührenerhebung ausgesetzt werde.
35Der Kläger verteidigt mit ins Einzelne gehenden Ausführungen zu Wortlaut, Systematik, Gesetzgebungsgeschichte und Absicht des Gesetzgebers die angegriffene Entscheidung zu Ziff. 4 und 5 des Bescheides der Beklagten.
36Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte dieses Verfahrens sowie den beigezogenen Verwaltungsvorgang der Beklagten und die Akte des Amtsgerichts Düsseldorf 302 OWi 204/11 zum Ordnungswidrigkeitenverfahren Bezug genommen. Im Verwaltungsvorgang befinden sich Datenträger, die Bildschirmkamera-Aufzeichnungen zu den bei jugendschutz.net, durch die Prüfgruppe der KJM sowie bei der Beklagten erfolgten Sichtungen der Domain www.media-bloed.de vom 1. März 2010, 21. April 2010, 1. Oktober 2010 und 28. Dezember 2010 enthalten.
37Entscheidungsgründe:
38Die zulässige Berufung des Klägers ist begründet (A.). Die zulässige Berufung der Beklagten ist nicht begründet (B.)
39A. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Unrecht in Bezug auf Ziff. 1 und Ziff. 2 des Bescheides der Beklagten vom 3. Januar 2010 (gemeint 2011) abgewiesen. Die zulässige Anfechtungsklage ist begründet. Diese Regelungen sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
40I. Als Rechtsgrundlage der in Ziff. 1 des angegriffenen Bescheides enthaltenen Feststellung und Beanstandung von Verstößen des vom Kläger verbreiteten Internetangebotes www.media-bloed.de gegen § 5 und § 7 des Staatsvertrages über den Schutz der Menschenwürde und den Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien (Jugendmedienschutz-Staatsvertrag – JMStV), der hieran anknüpfenden Untersagung der künftigen Verbreitung des Internet-Angebots und der in Ziff. 2 getroffenen Maßnahme kommt allein § 20 Abs. 1, Abs. 4 JMStV i. V. m. § 59 Abs. 3 des Staatsvertrages für Rundfunk und Telemedien (Rundfunkstaatsvertrag – RStV) in Betracht. Auf diese Grundlage hat die Beklagte die Maßnahmen im Bescheid auch gestützt.
41Gemäß § 20 Abs. 1 JMStV trifft die zuständige Landesmedienanstalt die erforderlichen Maßnahmen gegenüber dem Anbieter, wenn sie feststellt, dass ein Anbieter gegen die Bestimmungen des Jugendmedienschutz-Staatsvertrages verstoßen hat. Für Anbieter von Telemedien trifft nach § 20 Abs. 4 JMStV die zuständige Landesmedienanstalt die jeweilige Entscheidung durch die Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) entsprechend § 59 Abs. 2 bis 4 RStV unter Beachtung der Regelungen zur Verantwortlichkeit nach den §§ 7 bis 10 Telemediengesetz (TMG).
42Nach § 59 Abs. 3 RStV gilt: Stellt die jeweils zuständige Aufsichtsbehörde einen Verstoß gegen die Bestimmungen fest, trifft sie die zur Beseitigung des Verstoßes erforderlichen Maßnahmen gegenüber dem Anbieter (Satz 1). Sie kann nach Satz 2 insbesondere Angebote untersagen und deren Sperrung anordnen.
43II. Die hier mit Ziff. 1 und Ziff. 2 des Bescheides getroffenen Maßnahmen können dem Grunde nach auf diese Vorschriften gestützt werden. Neben der in § 59 Abs. 3 Satz 2 RStV ausdrücklich geregelten Untersagung von Angeboten gilt dies auch für die Feststellung und Beanstandung eines Verstoßes, was als einheitliche Maßnahme einer Beanstandung zu verstehen ist.
44Die Beanstandung ist – auch wenn sie anders als die Untersagung oder Sperrung von Angeboten weder in § 20 Abs. 1, Abs. 4 JMStV noch in § 59 Abs. 2 bis Abs. 4 RStV ausdrücklich erwähnt ist – im Grundsatz eine nach diesen Vorschriften zulässige und in der Praxis der Medienaufsicht gängige Maßnahme gegenüber Angeboten im Bereich der Telemedien bei Verstößen gegen Vorschriften des Jugendmedienschutzes oder des Rundfunkstaatsvertrages. Auch wenn sie in § 59 Abs. 3 Satz 2 RStV nicht genannt ist, ist die dortige Aufzählung schon nach dem Wortlaut („insbesondere“) nicht abschließend. Es handelt sich bei der Beanstandung um einen feststellenden Verwaltungsakt mit Eingriffscharakter, durch den ein Rechtsverstoß förmlich festgestellt und missbilligt wird.
45Vgl. BVerwG, Beschluss vom 23. Juli 2014 – 6 B 1.14 –, NVwZ 2014, 1594 ff. = juris Rn. 20; Liesching/Schuster, Jugendschutzrecht, 5. Aufl., 2011, § 20 JMStV Rn. 4, 33; Spindler/Schuster, Recht der elektronischen Medien, 3. Aufl., 2015, § 20 JMStV Rn. 22; ohne dies zu problematisieren: OVG Berlin-Bbg., Urteil vom 13. November 2014 – OVG 11 B 10.12 –, juris Rn. 61 f.; Bay. VGH, Urteile vom 19. September 2013 – 7 B 12.2358 –, DVBl. 2014, 108 ff. = juris, und – 7 B 13.196 –, juris; VG Hamburg, Urteil vom 21. August 2013 – 9 K 1879/12 –, juris Rn. 24, 45; VG Gelsenkirchen, Urteil vom 16. Dezember 2009 – 14 K 4086/07 –, juris Rn. 30.
46Eine Beanstandung kann – auch ohne die damit häufig verbundene Untersagung unzulässiger Angebote oder Inhalte – insbesondere im Bereich sich schnell oder häufig verändernder Angebote bzw. nur für kurze Zeit vorhandener und deshalb im Zeitpunkt der Beschlussfassung der KJM bzw. des Erlasses einer Maßnahme durch eine Landesmedienanstalt (LMA) bereits nicht mehr gegebener bzw. beendeter Verstöße (wie sie im Bereich der Telemedien nicht selten sind) sinnvoll sein. Sie ist auch bei in der Vergangenheit liegenden Verstößen – wie hier – möglich, jeweils unter der Voraussetzung, dass ihr Zweck noch erreicht werden kann.
47VG Hamburg, Urteil vom 21. August 2013, a. a. O., Rn. 27, 45; VG Karlsruhe, Urteil vom 25. Juli 2012 – 5 K 3496/10 –, MMR 2013, 134 ff. = juris Rn. 41 f.; VG Neustadt/Weinstraße, Urteil vom 23. April 2007 – 6 K 1243/06.NW –, MMR 2007, 678 f. = juris Rn. 22.
48Ziff. 1 und Ziff. 2. des Bescheides vom 3. Januar 2010 (gemeint 2011) sind hingegen formell (1.) und materiell rechtswidrig (2.).
491. Ziff. 1 und Ziff. 2 des angegriffenen Bescheides sind formell rechtswidrig, weil es an der den Anforderungen des § 17 Abs. 1 Sätze 3 und 4 JMStV entsprechenden Begründung der zu Grunde liegenden Entscheidung der KJM fehlt.
50Gemäß § 17 Abs. 1 Satz 3 JMStV sind die Beschlüsse der KJM zu begründen. In dieser Begründung sind die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gründe mitzuteilen (Satz 4). Die Beschlüsse der KJM sind gegenüber den anderen Organen der zuständigen Landesmedienanstalt bindend und deren Entscheidungen zu Grunde zu legen (Sätze 5 und 6).
51a. Bei der Auslegung dieser Vorschriften und zur Ermittlung der Anforderungen an das Begründungserfordernis nach § 17 Abs. 1 Sätze 3 und 4 JMStV ist das nach dem Jugendmedienschutz-Staatsvertrag spezifisch ausgestaltete Verhältnis der Landesmedienanstalten und der KJM in den Blick zu nehmen. Danach ist bei der Aufsicht über Telemedien-Angebote die inhaltliche Entscheidung über die Vereinbarkeit von Telemedien-Angeboten mit dem Jugendmedienschutz-Staatsvertrag und die bei Verstößen zu treffenden Maßnahmen allein der KJM – als Organ der Landesmedienanstalt – zugewiesen (vgl. §§ 14 Abs. 2 Satz 2, 16 Abs. 1 Satz 1, 20 Abs. 4 JMStV). Die zuständige Landesmedienanstalt organisiert für die inhaltliche Entscheidung der KJM das Verfahren, ermittelt den Sachverhalt und setzt die Entscheidung der KJM, an die sie inhaltlich und nach der Begründung gebunden ist, nach außen gegenüber dem Anbieter um (§ 17 Abs. 1 Sätze 5 und 6 JMStV).
52Zudem sind die hinter dem Erfordernis der Begründung der KJM gemäß § 17 Abs. 1 Sätze 3 und 4 JMStV stehenden Zwecke zu berücksichtigen. Das Begründungserfordernis dient zum einen objektiven Zwecken: Es soll die KJM dazu anhalten, den von ihr zu beurteilenden Sachverhalt sorgfältig zu ermitteln und diesen unter Berücksichtigung des Vorbringens des Anbieters in jugendschutzrechtlicher Hinsicht selbst sachverständig zu bewerten. Weiter dient die Begründung der Klarheit für die anderen Organe der zuständigen Landesmedienanstalt, weil diese an die Beschlüsse der KJM gebunden sind und sie einschließlich der Begründung ihrer Entscheidung zu Grunde zu legen haben. Zugleich dient die Begründung aber auch den Rechten der Anbieter von Telemedien. Das Begründungserfordernis für die KJM wurde ausdrücklich mit Blick auf die (Grund-) Rechte der Betroffenen, die eventuell gegen eine abschließende Entscheidung Rechtsschutz in Anspruch nehmen wollen, in den Jugendmedienschutz-Staatsvertrag aufgenommen. Der Betroffene bedarf der Begründung, da er ohne Kenntnis der Gründe, auf die die KJM ihre Entscheidung stützt, ein gerichtliches Verfahren nicht sinnvoll führen kann. Die Anbieter haben Anspruch darauf, dass die KJM ihren Beschluss nach ausreichender Kenntnisnahme des zu beurteilenden Angebotes unter Bekanntgabe ihrer wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen begründet. Fehlt eine solche Begründung, schlägt dies auf die Rechtmäßigkeit der Entscheidung der zuständigen Landesmedienanstalt durch.
53Vgl. Bay. VGH, Urteil vom 19. September 2013– 7 B 12.2358 –, a. a. O., Rn. 29 ff.
54Unter Berücksichtigung der Bedingungen der Praxis der Medienaufsicht, des vielfach komplexen und umfangreichen Charakters dieser Prüfungsverfahren sowie der Gegebenheiten einer Gremienentscheidung wird einhellig für die Begründung des Beschlusses der KJM als ausreichend angesehen, wenn diese der von der zuständigen Landesmedienanstalt vorgelegten Beschlussvorlage einschließlich einer darin enthaltenen Begründung des vorgeschlagenen Beschlusses durch Bezugnahme zustimmt. Dann müssen eine solche Bezugnahme bzw. Verweisung und der Wille, sich die Begründung der Beschlussvorlage zu eigen zu machen, aus der Niederschrift über den Beschluss der KJM oder aus sonstigen Unterlagen klar und unmissverständlich hervorgehen.
55Vgl. OVG Berlin-Bbg., Urteil vom 13. November 2014, a. a. O., Rn. 83 f.; Bay. VGH, Urteil vom 19. September 2013 – 7 B 12.2358 –, a. a. O., Rn. 26; VG Hannover, Urteil vom 8. Juli 2014– 7 A 4679/12 –, juris Rn. 56.
56Zudem kann nur dann die Bezugnahme der KJM auf eine Beschlussvorlage der Landesmedienanstalt deren eigene Begründung ersetzen, wenn diese Beschlussvorlage überhaupt eine Begründung für den Beschlussvorschlag enthält und diese Begründung ihrerseits klar und unmissverständlich ist. An letzterem Erfordernis kann es dann fehlen, wenn die Beschlussvorlage wiederum auf andere Vorlagen der Landesmedienanstalt, die Prüfempfehlung der Prüfgruppe der KJM oder sonstige Schriftstücke Bezug nimmt. In diesem Fall besteht nämlich die Gefahr, dass nicht mehr hinreichend eindeutig ist, was die Begründung der Entscheidung der KJM sein soll. Deshalb geht eine verbreitete Auffassung davon aus, dass eine Begründung für einen Beschluss der KJM nicht ausreichend ist, wenn sich diese allein im Wege einer „Kettenverweisung“ ermitteln lässt.
57Vgl. OVG Berlin-Bbg., Urteil vom 13. November 2014, a. a. O., Rn. 84; Bay. VGH, Urteil vom 19. September 2013 – 7 B 12.2358 –, a. a. O., Rn. 26; VG Berlin, Urteil vom 3. Mai 2012 – 27 A 341.06 –, juris Rn. 32 f. (fehlende Entscheidung in der Beschlussvorlage); differenzierend VG Hannover, Urteil vom 8. Juli 2014, a. a. O., juris Rn. 58.
58Unter Berücksichtigung der Zwecke einer Begründung des Beschlusses der KJM ist nach Auffassung des Senats eine Bezugnahme auf eine Beschlussvorlage im Grundsatz zulässig, wenn dadurch eine klare und unmissverständliche Begründung des Beschlusses zu Stande kommt. Eine Kettenverweisung wird diesen Maßstäben in der Regel nicht gerecht, weil mehrere Schritte erforderlich sind, um die in Bezug genommene „gemeinte Begründung“ zu ermitteln und hierbei die unmissverständliche Klarheit typischerweise fehlt. Die Bezugnahme muss dem Beschluss der KJM (Plenum oder Prüfausschuss) oder dem diesen enthaltenden Protokoll aber durch eindeutige Formulierungen zu entnehmen sein. Allein der Umstand, dass der Beschluss seinem Inhalt nach der in der Beschlussvorlage vorgeschlagenen Entscheidung entspricht, reicht nicht aus.
59b. Hiervon ausgehend fehlt es bei dem Beschluss (des Plenums) der KJM vom 15. Dezember 2010 in München über die Domain www.media-bloed.de an einer § 17 Abs. 1 Sätze 3 und 4 JMStV genügenden Begründung. Dies macht Ziff. 1 und 2 des Bescheides – einschließlich der Beanstandung eines Verstoßes gegen § 7 JMStV – formell rechtswidrig.
60Auf jenen Beschluss – und nicht die „Entscheidung“ der Prüfgruppe der KJM vom 21. April 2010 – kam es an, weil das Ergebnis der 28. Präsenzprüfung Telemedien durch eine Prüfgruppe am 21. April 2010 in Hannover nicht die zu begründende Entscheidung „der KJM“ im Sinne von § 17 Absatz 1 Sätze 3 und 4 JMStV darstellt. Die Prüfgruppen sind im Jugendmedienschutz-Staatsvertrag überhaupt nicht vorgesehen. Sie haben sich zur Entlastung des Plenums der KJM und der durch den Staatsvertrag in § 14 Abs. 5 JMStV geregelten Prüfausschüsse in der Praxis herausgebildet, sind in § 9 der Geschäfts- und Verfahrensordnung der KJM (GVO-KJM) geregelt und werden als Arbeitseinheit ohne Entscheidungsbefugnis anerkannt. Die Ergebnisse der Prüfgruppen, insbesondere deren sog. Prüfempfehlungen, haben rechtlich keine Bedeutung und binden insbesondere nicht die zuständige Landesmedienanstalt. Von den Prüfgruppen formulierte Begründungen für ihre (Vor-)Ergebnisse sind deshalb für sich genommen keine Begründung für Beschlüsse der KJM gemäß § 17 Abs. 1 Sätze 3 und 4 JMStV.
61Unter Berücksichtigung des Verfahrensablaufs sowie der zuvor dargestellten rechtlichen Maßstäbe liegt keine Begründung des Beschlusses der KJM vom 15. Dezember 2010 im Sinne von § 17 Abs. 1 Sätze 3 und 4 JMStV vor. Mit E-Mail vom 23. Dezember 2010 teilte die KJM-Geschäftsstelle der Beklagten den Beschluss der KJM vom 15. Dezember 2010 auf deren Anfrage als Vorab-Information mit. Diese E-Mail enthielt keine Begründung für den Beschluss, sondern den Hinweis, sobald das Protokoll der 30. KJM-Sitzung vorliege, werde es an die Beklagte weitergeleitet. Das Protokoll ging bei der Beklagten mit Übersendungsschreiben des Vorsitzenden der KJM vom 12. Januar 2011 am 14. Januar 2011 ein und befasst sich mit dem Prüffall www.media-bloed.de auf Seite 7. Es enthält zu Tagesordnungspunkt 6 („Prüffälle“) und Ziff. 1 („media-bloed.de“) ebenfalls keine Begründung des Beschlusses der KJM zum Angebot des Klägers. Dort ist dargestellt, dass eine Mitarbeiterin der KJM-Stabsstelle den Sachverhalt zum Prüffall berichtete. Dazu wird in indirekter Rede die Einschätzung der Prüfgruppe wiedergegeben. Im Folgenden wird über das Verfahren im Prüfausschuss berichtet. Dann heißt es: „Nach kurzer Diskussion fassten die KJM-Mitglieder folgenden Beschluss:“ Nachstehend wird eingerückt in vier Absätzen der Beschluss der KJM zu den zu treffenden Maßnahmen wörtlich wiedergegeben. Der Beschluss selbst sowie der diesen einleitende Satz enthält keinen Hinweis und insbesondere keine Bezugnahme oder Verweisung auf irgendein anderes Dokument, insbesondere weder die Beschlussvorlage der Beklagten für den Prüfausschuss vom 13. September 2010 noch die Empfehlung der Prüfgruppe der KJM vom 21. April 2010. Es fehlt insofern an jeglichem Anhalt dafür, dass sich das Plenum der KJM die Begründung der Beschlussvorlage der Beklagten oder irgendeines anderen Schriftstücks zu eigen machen wollte. Allein ein Beschluss im Sinne einer entsprechenden Vorlage ist nicht ausreichend, um anzunehmen, die KJM habe sich die Begründung der Beschlussvorlage zu eigen machen wollen. Hierfür spricht vorliegend schon auch deshalb nichts, weil der Beschluss vom 15. Dezember 2010 die Beschlussempfehlung der Beklagten vom 13. September 2010 nicht 1 : 1 übernimmt. Zum einen enthält der Beschluss nicht den in der Beschlussvorlage zu Ziff. 4 niedergelegten Inhalt, zum anderen gibt es Abweichungen bei den Verwaltungsgebühren. Da nicht ersichtlich ist, dass es sich bei diesen Unterschieden um Versehen handelt, kann schon deshalb nicht unterstellt werden, dass die KJM, ohne dies durch eine ausdrückliche Bezugnahme oder eine Verweisung deutlich zu machen, die Begründung der Beschlussvorlage übernehmen wollte.
62c. Selbst wenn man eine Übernahme der Begründung der Beschlussvorlage der Beklagten durch den hierauf basierenden Beschluss der KJM annehmen wollte, so läge keine § 17 Absatz 1 Sätze 3 und 4 JMStV entsprechende Begründung des Beschlusses der KJM vor. Die Beschlussvorlage der Beklagten vom 13. September 2010 enthielt ihrerseits keine vollständige Begründung für den empfohlenen Beschluss der KJM, sondern verwies inhaltlich insbesondere auf die von jugendschutz.net stammende Vorlage vom 24. März 2010 für die Prüfgruppe (Anlage 2), die Prüfbegründung mit Prüfempfehlung der Prüfgruppe vom 21. April 2010 (Anlage 3) sowie die letzte Camtasia-Aufzeichnung der Beklagten vom 1. Oktober 2010 mit DENIC-Ausdruck (Anlage 9; Übersicht der Anlagen vgl. Beiakte 1, Bl. 83). Dies entspricht nicht den Anforderungen von § 17 Abs. 1 Sätze 3 und 4 JMStV. Bei der vorliegenden „Kettenverweisung“ fehlt es an der erforderlichen klaren und unmissverständlichen Bezugnahme und damit an der Begründungsklarheit. Hinzu kommt, dass hier besonders strenge Anforderungen gelten, weil der Fall Fragen zum Spannungsverhältnis zwischen dem Jugendmedienschutz einerseits und der Reichweite der Grundrechtsausübung durch den Anbieter (Meinungsfreiheit/Kunstfreiheit) aufwarf. Es war deshalb verfassungsrechtlich geboten, zur Herstellung praktischer Konkordanz zwischen den verfassungsrechtlichen Schutzgütern im Wege der Abwägung einen verhältnismäßigen Ausgleich herbeizuführen.
63Nach dem Jugendmedienschutz-Staatsvertrag ist es aber Sache der KJM, die „abschließende Beurteilung von Angeboten“ vorzunehmen, und ihre Beschlüsse sind den Entscheidungen der Landesmedienanstalt zugrundezulegen. Es fehlt ferner deshalb an der Mitteilung der wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gründe im Sinne des § 17 Abs. 1 Satz 4 JMStV, weil eine Begründung der KJM zur Frage der Eignung des Angebots zur Beeinträchtigung der Entwicklung von Kindern und Jugendlichen unter 16 Jahren, zum Erfordernis eines Jugendschutzbeauftragten gemäß § 7 JMStV sowie zur Abwägung mit kollidierenden Grundrechten des Anbieters fehlt. Es ist nicht erkennbar, ob sich das Plenum der KJM in der Sitzung am 15. Dezember 2010 mit den Grundrechten des Klägers in irgendeiner Weise auseinandergesetzt hat. Es ist nicht ersichtlich, dass der KJM das Spannungsverhältnis von Jugendmedienschutz und Grundrechten des Klägers bei ihrer Entscheidung vor Augen stand sowie ob und in welcher Weise sie diese Verfassungspositionen gegeneinander abgewogen und zu einem verhältnismäßigen Ausgleich gebracht hat. Nach dem System des Jugendmedienschutzes bei Telemedien ist es aber nicht die Aufgabe der Landesmedienanstalt – hier der Beklagten – diese Abwägung vorzunehmen, wie die Beklagte dies im angefochtenen Bescheid getan hat. Die Abwägung ist von dem zur Entscheidung berufenen Organ – bei der Ausübung von Ermessen bzw. schon bei der Feststellung der tatbestandlichen Voraussetzungen – vorzunehmen und kann nicht durch ein unzuständiges Organ bzw. eine unzuständige Stelle ersetzt oder nachgeholt werden.
64d. Abgesehen davon hätte die Beklagte gegen den Grundgedanken ihrer Bindung an die Beschlüsse der KJM sowie deren Begründung gemäß § 17 Absatz 1 JMStV hier auch dann verstoßen, wenn das Protokoll über die Sitzung der KJM am 15. Dezember 2010 eine Begründung zum Beschluss der KJM enthalten hätte und diese der Begründung der Beklagten im Bescheid im Wesentlichen entsprochen hätte. Denn die Beklagte erließ ihren Bescheid vom 3. Januar 2010 (gemeint 2011) auf der Grundlage der E-Mail der KJM-Geschäftsstelle vom 23. Dezember 2010, in der ihr lediglich ein Beschluss-Inhalt der KJM ohne eine Begründung mitgeteilt worden war. Offensichtlich hat die Beklagte unterstellt, dass die KJM, wie es die E-Mail nahelegte, ihrer Vorlage sowohl nach dem Beschlussinhalt als auch nach dessen Begründung gefolgt war. Ein solches Vorgehen widerspricht grundlegend dem im Jugendmedienschutz-Staatsvertrag vorgesehenen Verhältnis von KJM und Landesmedienanstalten.
65e. Eine Heilung des Begründungsmangels nach § 45 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 VwVfG NRW ist nicht erfolgt, weil die KJM die Begründung im Sinne von § 17 Abs. 1 Sätze 3 und 4 JMStV nicht nachgeholt bzw. klargestellt hat. Die Begründung des angegriffenen Bescheides durch die Beklagte oder deren Vorbringen im Gerichtsverfahren können eine Heilung nicht herbeiführen, weil dies nicht die interne Beteiligung der KJM ersetzt.
66Der Begründungsmangel ist auch nicht gemäß § 46 VwVfG NRW unbeachtlich. Zum einen dürfte es sich bei § 17 Abs. 1 Sätze 3 und 4 JMStV um eine Regelung handeln, die nach ihrem Sinn und Zweck keine bloß dienende Funktion hat, sondern unabhängig von der materiellen Richtigkeit der Entscheidung beachtet werden soll – sog. absoluter Verfahrensfehler –; zum anderen ist bei Fehlern im Zusammenhang mit Ermessensentscheidungen regelmäßig nicht offensichtlich, dass die Verletzung der Vorschrift die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat. Nach der Systematik des Jugendmedienschutz-Staatsvertrages ist die abschließende Beurteilung von Angeboten allein der KJM als mit besonderem Sachverstand ausgestattetem Gremium übertragen, so dass nicht nur die Entscheidung, sondern auch die gesetzlich verlangte Begründung hierzu unvertretbar ist; sie fällt damit nicht in den Anwendungsbereich des § 46 VwVfG NRW.
67Vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 15. Aufl., 2014, § 46 Rn. 15, 32 f.; ebenso zu §§ 45, 46 VwVfG VG Berlin, Urteil vom 3. Mai 2012, a. a. O., Rn. 36.
682. Die vom Kläger mit der Berufung angegriffenen Maßnahmen der Beklagten in Ziff. 1 und 2 des streitigen Bescheides sind – ungeachtet der tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Maßnahmen – ferner deshalb rechtswidrig, weil sie gegen das Bestimmtheitsgebot aus § 37 Abs. 1 VwVfG NRW verstoßen.
69Gemäß § 37 Abs. 1 VwVfG NRW muss ein Verwaltungsakt inhaltlich hinreichend bestimmt sein. Diese Voraussetzung ist erfüllt, wenn die durch den Verwaltungsakt getroffene Regelung hinreichend klar, verständlich und in sich widerspruchsfrei ist. Davon ist auszugehen, wenn der Adressat und die mit dem Vollzug befasste Behörde und deren Organe aufgrund der Entscheidungssätze und der Begründung des Verwaltungsakts sowie der sonst für die Betroffenen erkennbaren Umstände ersehen können, was genau durch den Verwaltungsakt gefordert wird und gegebenenfalls zu vollstrecken ist. Im Einzelnen richten sich die Anforderungen an die notwendige Bestimmtheit nach den Besonderheiten des jeweils anzuwendenden materiellen Rechts.
70Vgl. BVerwG, Urteile vom 15. Februar 1990 ‑ 4 C 41.87 –, BVerwGE 84, 335 ff. = juris Rn. 29, und vom 20. April 2005 – 4 C 18.03 –, BVerwGE 123, 261 ff. = juris Rn. 53; OVG NRW, Beschlüsse vom 13. Juli 2010 – 13 B 676/10 –, juris Rn. 39 ff., vom 26. September 2008 – 13 B 1395/08 –, NJW 2008, 3656 = juris Rn. 16 ff., und vom 26. September 2008 ‑ 13 B 1397/08 –, juris Rn. 16 ff.; Kopp/Ramsauer, a. a. O., § 37 Rn. 5 ff., insb. Rn. 12 m. w. N.; U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Aufl., 2014, § 37 Rn. 27 ff. m. w. N.; Ruffert, in: Knack, VwVfG, 9. Aufl., 2010, § 37 Rn. 11 ff. und 30 ff. m. w. N.
71Demnach ist ein Verwaltungsakt nicht schon dann unbestimmt, wenn seine Regelung für eine mit dem jeweiligen Sachbereich nicht vertraute Person nicht ohne weiteres verständlich ist. Entscheidend ist vielmehr, ob der Adressat und die mit dem Vollzug befassten Behörden den Entscheidungsinhalt auf Grund der Gesamtumstände des Einzelfalls zutreffend erfassen und ihr künftiges Verhalten danach ausrichten können.
72Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 8. Dezember 2009 – 13 B 958/09 –, NWVBl. 2010, 321 ff. = juris Rn. 33 f., und vom 8. September 2009 – 13 B 894/09 –, MedR 2010, 273 ff. = juris Rn. 19 f.; U. Stelkens, a. a. O., Rn. 6; BVerwG, Urteil vom 20. April 2005, a. a. O., Rn. 54.
73Bevor eine zur Rechtswidrigkeit – und gegebenenfalls Nichtigkeit nach § 44 VwVfG NRW – führende Unbestimmtheit festgestellt wird, ist der betroffene Verwaltungsakt in seinem Inhalt durch Auslegung zu bestimmen. Entsprechend den zu empfangsbedürftigen Willenserklärungen im Zivilrecht entwickelten Grundsätzen ist bei Verwaltungsakten nicht auf den wirklichen Willen des Erklärenden (sog. natürliche Auslegung), sondern auf die objektive Erklärungsbedeutung, wie sie der Empfänger verstehen musste (sog. normative Auslegung), abzustellen. Bei vermeintlichen Unklarheiten ist vom Adressaten zu erwarten, den wirklichen Willen der Behörde durch Auslegung des Bescheides zu erkennen, ohne am buchstäblichen Ausdruck zu haften. Auf Mehrdeutigkeit beruhende Unklarheiten über den Inhalt des Verwaltungsakts gehen immer zulasten der Behörde, weshalb ein Verwaltungsakt bei Unklarheiten zu Gunsten des Betroffenen auszulegen ist.
74Vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Juni 2012 – 9 C 7.11 –, BVerwGE 143, 222 ff. = juris Rn. 18 m. w. N. zur ständigen Rechtsprechung; Ruffert, in: Knack, a. a. O., § 37 Rn. 14.
75a. Nach diesen Grundsätzen ist die in Ziff. 1 Satz 1 und Satz 2 des Bescheides geregelte Beanstandung von Verstößen des vom Kläger verbreiteten Internetangebotes www.media-bloed.de gegen Vorschriften des Jugendmedienschutz-Staatsvertrages ebenso wie die in Ziff. 1 Satz 3 ausgesprochene Untersagung nicht hinreichend bestimmt.
76Der die Beanstandung enthaltende Verfügungssatz in Ziff. 1 Sätze 1 und 2 des Bescheides, das vom Kläger verbreitete Internetangebot www.media-bloed.de verstoße gegen § 5 JMStV sowie § 7 JMStV und dies werde medienrechtlich beanstandet, scheint unter dem Gesichtspunkt der Bestimmtheit zunächst unproblematisch. Dies lässt sich bei unbefangenem Sprachverständnis so lesen, dass die Beanstandung sich auf das gesamte Internetangebot unter der Domain www.media-bloed.de bezieht. Die Formulierung der Untersagung („das genannte Angebot in dieser Fassung weiter zu verbreiten“) wirkt auf den ersten Blick ebenfalls allumfassend, wobei die Wendung „in dieser Fassung“ üblicherweise auf eine bestimmte Version eines Inhalts hinweist, der im Zeitverlauf Änderungen unterliegt. Eine solche Beanstandung und Untersagung würden hier jedoch gegen das Übermaßverbot verstoßen, da die medienrechtlichen Maßnahmen gemäß § 20 Abs. 1, Abs. 4 JMStV i. V. m. § 59 Abs. 3 RStV gegenüber einem Anbieter von Telemedien auf die Teile des Angebots zu beschränken sind, die tatsächlich gegen Vorschriften des Jugendmedienschutz-Staatsvertrages verstoßen, soweit die Beschränkung nicht aus tatsächlichen Gründen ausgeschlossen oder wegen des damit verbundenen Aufwandes unzumutbar ist.
77Vgl. Bay. VGH, Urteil vom 19. September 2013, a. a. O., juris Rn. 37 ff. (Beanstandung der Seiten 300 – 600 eines Teletext-Angebotes war unverhältnismäßig, weil davon nur 136 Seiten problematisch waren); nachgehend BVerwG, Beschluss vom 23. Juli 2014, a. a. O.
78Da lediglich Teile der Internetseite www.media-bloed.de für einen Verstoß gegen § 5 Abs. 1 JMStV in Betracht kommen, wären eine Beanstandung oder eine Untersagung, die sich auf die gesamte Domain erstrecken, nicht erforderlich und damit rechtswidrig.
79Bei Auslegung unter Berücksichtigung des sonstigen Bescheidinhaltes, besonders der Begründung, sowie des Empfängerhorizontes des Klägers ist allerdings erkennbar, dass die Beanstandung und Untersagung sich nur auf Teile des Angebots www.media-bloed.de bezogen. Es bleibt für den Kläger aber unklar, wie die in Ziff. 1 und 2 enthaltenen Regelungen zu verstehen sind, was genau beanstandet und untersagt wird und wie er sich künftig zur Vermeidung weiterer Rechtsverstöße zu verhalten hat.
80Die Formulierungen „die problematischen Inhalte“ und „alle entwicklungsbeeinträchtigenden Inhalte“ in Ziff. 2 des Bescheids verdeutlichen, dass die Beklagte nicht sämtliche Bestandteile des Angebots des Klägers als entwicklungsbeeinträchtigend und gegen § 5 Abs. 1 JMStV verstoßend ansieht, da ansonsten eine „Möglichkeit, alle entwicklungsbeeinträchtigenden Inhalte von seinem Angebot zu entfernen“, nicht bestünde. Dieser Eindruck, dass die Beklagte nur bestimmte Teile des Angebots als Verstoß gegen § 5 JMStV ansieht und demzufolge beanstandet, wird durch die detaillierte Beschreibung der vier Bilddarstellungen von erheblich verletzten, verstümmelten, verbrannten oder mumifizierten menschlichen Körpern und Körperteilen mit Pfadbeschreibungen und spezifischen Zieladressen (URL) dieser vier Bilder auf S. 3 und 4 des Bescheides verstärkt. Dies spricht dafür, dass genau diese vier Bilder den von der Beklagten beanstandeten Verstoß gegen § 5 JMStV (und mittelbar auch gegen § 7 JMStV, weil allein aufgrund vorhandener entwicklungsbeeinträchtigender Inhalte die Pflicht zur Bestellung eines Jugendschutzbeauftragten entstehen kann) darstellen sollen. In dieser Richtung will auch die Beklagte ihren Bescheid nach ihrem Berufungsvorbringen verstanden wissen. Hiergegen spricht jedoch – neben der deutlich umfassender zu verstehenden Formulierung im Verfügungssatz von Ziff. 1 Sätze 1 und 2 –, dass die vier Bilddarstellungen von der Beklagten auf S. 3 des Bescheides „als Beispiele“ eines Verstoßes gegen § 5 Abs. 1 JMStV im Internetangebot des Klägers genannt werden. „Beispiele“ weisen jedoch auf einen über sie hinausgehenden Bezugsrahmen hin. Das spricht dafür, dass die Beklagte im Angebot www.media-bloed.de Verstöße gegen § 5 JMStV nur teilweise sieht, jedoch nicht im auf die vier angeführten Beispiele beschränkten Umfang. Der über diese Beispiele hinausgehende Umfang der Beanstandung (und ebenso der Untersagung bzw. der in Ziff. 2 aufgeführten Verpflichtungen betreffend die „problematischen Inhalte“ oder „entwicklungsbeeinträchtigenden Inhalte“) ist dann aber nicht hinreichend bestimmt im Sinne von § 37 Abs. 1 VwVfG NRW. Das Vorbringen des Klägers in der ersten Instanz verdeutlicht jedenfalls, dass auch für den Kläger nach seinem konkreten Adressatenhorizont klar war, dass nicht das gesamte Angebot beanstandet oder untersagt wurde, sondern dass es für ihn erkennbar um die Inhalte im Bereich der „Offensive für Kampfeinsätze der Bundeswehr in Afghanistan“ ging.
81Unklarheiten, was durch den Bescheid gefordert wird, ergeben sich auch daraus, dass der streitige Bescheid in der Begründung vielfältig den Begriff der „Darstellungen“ verwendet, ohne dies eindeutig nur auf bildliche Darstellungen zu beschränken. So führt die Beklagte auf S. 4 des Bescheides nach der Beschreibung der vier Bilder menschlicher Körper und Körperteile aus, das Angebot sei als entwicklungsbeeinträchtigend einzustufen, „da es Darstellungen enthält, die geeignet sind (...)“. Nachfolgend zitiert sie den auf der Startseite der Domain des Klägers lesbaren Begrüßungstext und beschreibt die sich darunter befindlichen zwei „Darstellungen“: Den Schriftzug „Das gibt‘s zum kotzen. Mediablöd. Wir sind doch nicht blind!“ sowie die Bildmontage mit Leichendarstellungen und der Überschrift „Mitmachen! Sofort!“. Nach anschließender Verwendung des Begriffs „Darstellung“ sowohl für Text- als auch für Bildinhalte gibt die Beklagte den langen Text auf der Unterseite zur „Offensive für Kampfeinsätze in Afghanistan“ wieder, der mit „Mach mit bei der Kampagne der Offensive für Kampfeinsätze…“ beginnt. Auch im anschließenden Text auf S. 5 des Bescheides verwendet die Beklagte mehrfach den Begriff „Darstellungen“ ohne Unterscheidung zwischen Bild- und Textinhalten. Hierdurch ist der von der Beklagten für ihre Sichtweise, die Beanstandung richte sich allein gegen die vier beschriebenen Bilder menschlicher Leichen oder Leichenteile, angeführte Text auf S. 6, 2. Absatz, des Bescheides („Die Beanstandung richtet sich ausschließlich gegen die oben beschriebenen Darstellungen...“) nicht so eindeutig, wie die Beklagte meint. „Oben beschrieben“ sind auch verschiedene von der Beklagten zitierte Textdarstellungen. Für das Verständnis der Beklagten wiederum spricht die Fortsetzung des eben teilweise wiedergegebenen Satzes („die oben beschriebenen Darstellungen, welche in ihrer Menge und der Möglichkeit der Vergrößerung nicht notwendig sind“). Die Möglichkeit der Vergrößerung weist auf die von der Beklagten beschriebenen vier Bilder hin, da die im Bescheid dargestellten Textstellen oder sonstigen bildlichen Gestaltungselemente soweit ersichtlich keine Möglichkeit der Vergrößerung aufwiesen.
82Selbst wenn man davon ausginge, die Beklagte habe nur die vier im Einzelnen beschriebenen Bilder menschlicher Körper und Körperteile, besonders mit der Möglichkeit der Vergrößerung, für „problematisch“ gehalten, reicht dies für die hinreichende Bestimmtheit im Sinne von § 37 Abs. 1 VwVfG NRW nicht aus. Die Beanstandung (sowie die Untersagung usw.) kann ihren Zweck, künftige Rechtsverstöße durch den Anbieter zu verhindern, nur dann erreichen, wenn für diesen hinreichend bestimmt ist, was er darf oder nicht darf.
83Es bleibt nach dem Bescheid aber unklar, ob es ausreicht, die Möglichkeit der Vergrößerung bei den vier Bildern zu entfernen, oder ob zusätzlich eines, zwei oder etwa alle vier Bilder zu entfernen sind, um dem Angebot den entwicklungsbeeinträchtigenden und damit gegen § 5 Abs. 1 JMStV verstoßenden Charakter zu nehmen und dabei zugleich die Ausübung der Meinungsfreiheit oder Kunstfreiheit des Klägers nach dem Grundgesetz nicht in unverhältnismäßiger Weise zu beschneiden. Da nach der Begründung des Bescheides der potentiell verstörende Charakter dieser Bilder zentral auf die Menge und die Möglichkeit der Vergrößerung dieser Bilddarstellungen gestützt wird, bleibt die Frage offen, wie viele Bilder – neben der Entfernung der Vergrößerungs-Option – entfernt werden müssen, damit keine „verstörende Menge“ an Bildern mehr vorliegt. Zugleich erzeugt der Bescheid nach dem Gesamteindruck aus Verfügungssatz und Begründung den Eindruck, als ob alle vier Bilder mit Vergrößerung-Option beanstandet und infolgedessen auch untersagt werden, bzw. für sie die Verpflichtung gemäß Ziff. 2 des Bescheides auf der Grundlage von § 5 Abs. 3 und 4 JMStV gelten soll. Diese Unklarheit bleibt unauflösbar. Dabei übersehen sowohl der Bescheid wie auch die Begründung des Verwaltungsgerichts den Umstand, dass in dem Teilbereich des Angebots www.media-bloed.de zur „Offensive für Kampfeinsätze der Bundeswehr in Afghanistan“ nicht vier, sondern fünf Bilder von menschlichen Körpern oder Körperteilen vorhanden sind. Noch vor dem mit „Mach mit bei der Kampagne (...)“ eingeleiteten Textblock findet sich das zu der Serie gehörende Bild, welches ausschnittsweise einen mit Hemd und Hose bekleideten menschlichen Körper mit erheblichen Verletzungen am Oberkörper und einem abgerissenen linken Bein mit überwiegend freiliegendem Oberschenkelknochen zeigt. Dessen fehlende Erwähnung im Bescheid führt zu keinem anderen Ergebnis. Hätte die Beklagte beanstanden und untersagen wollen, dass die über dieses Bild hinausgehenden vier Bilder nebst Vergrößerungsmöglichkeit gezeigt werden, und damit erlauben wollen, dieses eine Bild (mit oder ohne Vergrößerung) zu zeigen, hätte sie dies verdeutlichen müssen.
84b. Die dargestellte Unbestimmtheit erstreckt sich auch auf Ziff. 2 des Bescheides, soweit diese überhaupt eine eigenständige Regelung darstellt. Denn auch insofern bleibt offen, was der Kläger darf und was nicht bzw. was er tun soll, um zukünftig seine Verpflichtungen nach § 5 Abs. 1 i. V. m. Abs. 3 und 4 JMStV zu erfüllen. Die Verpflichtung gemäß § 5 Abs. 1, letzter Halbsatz JMStV, dafür Sorge zu tragen, dass Kinder oder Jugendliche (hier: unter 16 Jahren) „die problematischen Inhalte“ üblicherweise nicht wahrnehmen, kann sich jedoch nur auf den Umfang der Untersagung beziehen. Da dieser nach dem Vorstehenden nicht hinreichend bestimmt ist, bleibt auch Ziff. 2 des Bescheides unbestimmt.
85B. Die Berufung der Beklagten war zurückzuweisen. Das Verwaltungsgericht hat der Klage im Ergebnis zu Recht in Bezug auf Ziff. 4 und 5 des angegriffenen Bescheides der Beklagten stattgegeben. Diese Ziffern sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Das ergibt sich schon daraus, dass Ziff. 1 und 2 des angegriffenen Bescheides aufgehoben werden (siehe oben A.) und Ziff. 3 von der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht aufgehoben wurde. Ohne wirksame medienaufsichtliche Maßnahme fehlt es auch an den Voraussetzungen einer Kostenentscheidung sowie einer Gebührenfestsetzung zulasten des Klägers auf der Grundlage der von der Beklagten angeführten (oder einer sonstigen) Ermächtigungsgrundlage (§ 35 Abs. 11 RStV i. V. m. der RStV-Kostensatzung bzw. § 116 Abs. 2 LMG NRW i. V. m. der LfM-Gebührensatzung).
86C. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 154 Abs. 1, 161 Abs. 2 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 1 und Abs. 2 VwGO i. V. m. § 708 Nr. 10, § 711 Satz 1 und 2, § 709 Satz 2 ZPO.
87Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.
Die Aufhebung eines Verwaltungsaktes, der nicht nach § 44 nichtig ist, kann nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren, die Form oder die örtliche Zuständigkeit zustande gekommen ist, wenn offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat.
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 20. März 2012 geändert.
Der Bescheid der Beklagten vom 3. Januar 2010 (gemeint 2011) wird zu Ziff. 1 und Ziff. 2 aufgehoben.
Die Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens beider Instanzen trägt die Beklagte.
Die Entscheidung ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
Tatbestand:
2Der Kläger wendet sich gegen eine Beanstandungs- und Untersagungsverfügung der Beklagten nach dem Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV) wegen des von ihm unter der Domain www.media-bloed.de verbreiteten satirischen Angebots. Diese erging im Zusammenhang mit seiner kritischen Auseinandersetzung mit dem Bundeswehreinsatz in Afghanistan und den dabei (jedenfalls im Jahr 2010) gezeigten – mittlerweile nicht mehr aufrufbaren – Bildern. Es handelte sich dabei um fünf in Farbe gezeigte Bilder, die jeweils mit der Überschrift „Bundeswehr Blut stinkt nicht“ versehen waren, linksseitig den Text „Offensive für Kampfeinsätze in Afghanistan“ und unten den Zusatz „Deutsche Soldaten, die schöneren Leichen!“ aufführten. Das erste Bild zeigte ausschnittsweise einen mit Hemd und Hose bekleideten menschlichen Körper mit erheblichen Verletzungen am Oberkörper und einem abgerissenen linken Bein mit überwiegend freiliegendem Oberschenkelknochen. Darunter befand sich der Text:
3„Mach mit bei der Kampagne der Offensive für Kampfeinsätze der Bundeswehr in Afghanistan, mit dem Motto: Deutsche Soldaten - die schöneren Leichen!
4Lange genug haben die anderen Nato Staaten deutsche Kampfeinsätze verschmäht, und warum eigentlich? Ist das Blut deutscher Soldaten etwa nicht gut genug? Mit dieser schäbigen Diskriminierung deutschen Kanonenfutters muß jetzt endlich Schluß sein, fordern nicht nur deutsche Generäle und Politiker, nein, sozusagen in Tateinheit mit den gleichgeschalteten Medien fordert es auch der Souverän, das deutsche Volk, und Luft und Äther füllen sich mit dem Schrei aus Millionen Kehlen: ‚Bundeswehr Blut stinkt nicht!‘
5Und laßt euch bloß nicht von den Weicheiern und Warmduschern verarschen, die darüber klagen, daß deutsche Soldaten sterben werden! Der deutsche Soldat stirbt gern, dafür wurde er schließlich ausgebildet und bezahlt, und das freiwillig, von niemandem gezwungen außer seiner vorbildlichen Aufopferungsbereitschaft für das deutsche Volk einerseits und jeden noch so fragwürdigen Beschluß der Nato andererseits.
6Denn das ist die wahre Tugend des deutschen Soldaten und auch die eines jeden treuen Untertanen der hochdeutschen Verwaltung: Er fragt nicht nach dem Sinn von Verordnungen, sondern befolgt sie und stirbt, wenn es befohlen ist.“
7Nachfolgend wurden vier Bilder ohne weiteren Text gezeigt: Menschliche Beine vor dem Hintergrund einer Plastikplane; das eine Bein war zerfetzt; es fehlten Fleischteile des Oberschenkels, so dass ein Knochen zu sehen war; der Fuß war vom Bein getrennt und unten im Bild gezeigt. Ein Bild zeigte einen Torso; der Kopf war vom Körper getrennt; die Arme waren nicht zu sehen. Ein weiteres Bild zeigte eine mumifizierte Leiche, auf dem Rücken liegend; der Unterkörper war nicht zu sehen. Das letzte Bild zeigte den Kopf und Teile des Oberkörpers einer Brandleiche. Alle Bilder ließen sich durch einen Klick vergrößern (von ca. 8 x 12 cm auf ca. 14 x 20 cm).
8Unter dem 21. Januar 2010 wandte sich jugendschutz.net wegen dieser dort als „tasteless-Bilder“ eingestuften Darstellungen per E-mail an den Kläger und bat unter Hinweis darauf, dass die Organisation einige Bilder unter Jugendschutzgesichtspunkten für besonders bedenklich halte, um Prüfung, ob es weiterhin für erforderlich gehalten werde, diese drastischen Darstellungen zu präsentieren. Der Kläger äußerte sich ablehnend. Die Kommission für Jugendmedienschutz der Landesmedienanstalten (KJM) legte daraufhin die Stellungnahme von jugendschutz.net und eine Bildschirmkamera-Aufzeichnung (Software Camtasia) der am 1. März 2010 durchgeführten Sichtung des Angebots www.media-bloed.de der Beklagten und wies auf die Prüfung in einer der nächsten Präsenzprüfungen der KJM hin. Zum Zeitpunkt der Sichtung war auf der Domain des Klägers Werbung („Google-Anzeigen“) geschaltet.
9Eine Prüfgruppe der KJM für Telemedien bejahte in einer Präsenzprüfung am 21. April 2010 nach Live-Sichtung mit einem Abstimmungsergebnis von 3:2 einen Verstoß gegen § 5 Abs. 1 i. V. m. Abs. 3 und 4 JMStV (entwicklungsbeeinträchtigende Inhalte) sowie mit einem Abstimmungsergebnis von 5:0 einen Verstoß gegen § 7 JMStV (fehlender Jugendschutzbeauftragter).
10Hiervon setzte die Beklagte den Kläger mit Schreiben vom 18. August 2010 in Kenntnis und gab ihm Gelegenheit zur Stellungnahme. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers kündigte eine Stellungnahme bis spätestens zum 30. September 2010 an, die ausblieb. Parallel wurde von der Beklagten ein Ordnungswidrigkeitenverfahren gegen den Kläger eingeleitet, in dem der Kläger Anfang Dezember 2010 eine Stellungnahme abgab.
11Nach weiterer Sichtung des Angebots am 1. Oktober 2010 – auch zu diesem Zeitpunkt war auf www.media-bloed.de Werbung geschaltet – hatte die Beklagte der KJM unter dem 22. Oktober 2010 ihre Beschlussempfehlung vom 13. September 2010 übersandt, das Internetangebot medienrechtlich zu beanstanden und den Verstoß gegen den Jugendmedienschutz-Staatsvertrag zukünftig zu untersagen. Eine erneute Sichtung am 16. November 2010 hatte ergeben, dass die Seite offline gestellt war.
12In der Sitzung vom 15. Dezember 2010 entschied die KJM im Plenum – im Wesentlichen der Beschlussvorlage folgend – einstimmig, es lägen Verstöße gegen § 5 Abs. 1 i. V. m. Abs. 3 und 4 Satz 2 JMStV sowie § 7 Abs. 1 i. V. m. Abs. 3 und 4 JMStV, vor und stellte ferner fest, dass gegenüber dem Anbieter gemäß § 20 Abs. 1 und 4 JMStV sowie § 24 Abs. 1 Nr. 4 JMStV i. V. m. § 59 Abs. 3 RStV eine Beanstandung auszusprechen sei und der Verstoß zukünftig untersagt werde.
13Bei einer weiteren Sichtung des Angebots durch die Beklagte am 28. Dezember 2010 war die Internetseite mit den oben genannten Bildern wieder aufrufbar; Werbung fand sich jedoch nicht mehr.
14Mit Bescheid vom 3. Januar 2010 (gemeint 2011) entschied die Beklagte, (Ziff. 1.) das von dem Kläger verbreitete Angebot www.media-bloed.de verstoße gegen § 5 Abs. 1 i. V. m. Abs. 3 und 4 JMStV und § 7 Abs. 1 i. V. m. Abs. 3 und 4 JMStV. Dies werde medienrechtlich beanstandet (§ 20 Abs. 1 und 4 JMStV i. V. m. § 59 Abs. 3 RStV). Dem Kläger wurde untersagt, das genannte Angebot in dieser Fassung weiter zu verbreiten. Ferner (Ziff. 2.) entschied die Beklagte, dass der Kläger in Zukunft seine Verpflichtungen nach § 5 Abs. 1 JMStV erfülle, wenn er dafür Sorge trage, dass Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren die problematischen Inhalte üblicherweise nicht wahrnähmen. Dies könne gemäß § 5 Abs. 3 und 4 JMStV durch die Begrenzung der Sendezeit oder die Vorschaltung eines technischen oder sonstigen Schutzes geschehen. Darüber hinaus bleibe dem Kläger auch die Möglichkeit, alle entwicklungsbeeinträchtigenden Inhalte von seinem Angebot zu entfernen. Weiter (Ziff. 3.) wurde dem Kläger aufgegeben, für sein Angebot einen Jugendschutzbeauftragten im Sinne von § 7 Abs. 1 i. V. m. Abs. 3 und 4 JMStV zu bestellen. Die Kosten (Gebühren und Auslagen) habe der Kläger zu tragen (Ziff. 4.). Für den Bescheid erhob die Beklagte eine Verwaltungsgebühr in Höhe von insgesamt 1.000,00 Euro. In der Begründung beschrieb die Beklagte u.a. vier der unter der Überschrift „Bundeswehr Blut stinkt nicht“ gezeigten Bilder nebst den zu diesen Bildern führenden Pfaden, legte die Einschätzung zur Entwicklungsbeeinträchtigung dar und führte weiter aus: Angebote der Satire und der Parodie unterfielen dem Schutz der Meinungsfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG. Gemäß Art. 5 Abs. 2 GG finde dieses Recht seine Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutz der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre. Die notwendige Güterabwägung zwischen der Forderung nach umfassendem Grundrechtsschutz und dem verfassungsrechtlich herausgehobenen Interesse an einem effektiven Jugendschutz falle vorliegend zu Lasten der Meinungsfreiheit und somit zu Lasten des Angebots des Klägers aus. Zu beachten sei dabei gewesen, dass die kritische Auseinandersetzung mit dem Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan an sich nicht beanstandet werde. Die Beanstandung richte sich ausschließlich gegen die beschriebenen Darstellungen, welche in ihrer Menge und der Möglichkeit der Vergrößerung nicht notwendig seien, um die satirische Aussage zu verdeutlichen, insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Darstellungen in der vergrößerten Ansicht in keinem Kontext zu den kritischen und satirischen Aussagen stünden. Soweit das Angebot unter den Schutz der Kunstfreiheit des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG falle, finde es seine Schranken in kollidierendem Verfassungsrecht. Der Jugendschutz sei ein verfassungsrechtlich geschütztes Gut. Die Abwägung zwischen den kollidierenden Verfassungsgütern falle ebenfalls zu Lasten der Kunstfreiheit aus. Insbesondere sei die Beanstandung der beschriebenen Darstellung verhältnismäßig. Wie bereits erwähnt, seien die Menge der Bilder sowie die Möglichkeit der Vergrößerung nicht notwendig, um die satirische Aussage zu verdeutlichen. Die Gebührenfestsetzung beruhe auf der gesetzlichen Grundlage des § 35 Abs. 11 Rundfunkstaatsvertrag i. V. m. der entsprechenden Kostensatzung.
15In dem auf dem gleichen Sachverhalt gründenden Ordnungswidrigkeitenverfahren erließ die Beklagte nach Anhörung des Klägers und Entscheidung der KJM im Februar 2011 einen Bußgeldbescheid, in dem sie ein Bußgeld von 3500,00 Euro wegen des Verstoßes gegen § 5 JMStV und von 350,00 Euro für den Verstoß gegen § 7 JMStV gegen den Kläger verhängte. Dieses Ordnungswidrigkeitenverfahren ist nach dem Einspruch des Klägers beim Amtsgericht Düsseldorf wegen Verfolgungsverjährung mittlerweile eingestellt worden.
16Der Kläger hat am 29. Januar 2011 gegen den Bescheid vom 3. Januar 2010 (gemeint 2011) Klage erhoben. Zur Begründung hat er im Wesentlichen vorgetragen: Das Angebot sei nicht geeignet, die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen zu beeinträchtigen. Zunächst komme weder der KJM noch der Beklagten ein Beurteilungsspielraum zu, inwieweit ein Angebot im Sinne von § 5 Abs. 1 JMStV geeignet sei, die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen zu beeinträchtigen. Dies sei vielmehr von den Gerichten uneingeschränkt zu überprüfen. Es liege auf der Hand, dass gerade bei politischen Abbildungen und Texten das Grundrecht der Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG in besonderer Weise zu berücksichtigen sei. Hinzu komme, dass das Grundgesetz in mehrfacher Hinsicht eine Friedenspflicht enthalte. Dem habe der Gesetzgeber u.a. durch das Gesetz über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften und Medieninhalte Rechnung getragen. Bei seiner Veröffentlichung gehe es gerade nicht um die Verherrlichung des Krieges, sondern um die Warnung vor einem solchen. Dabei bediene er sich sowohl einer satirischen Textsprache als auch einer Bebilderung. Sein Werk sei damit sowohl von der Kunstfreiheit des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG als auch durch die Meinungsfreiheit des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG geschützt. Ein Eingriff in diese Rechte bedürfe einer umfassenden Abwägung, die sich den Ausführungen der Beklagten nicht entnehmen lasse. Umgekehrt stelle es sich als jugendgefährdend dar, wenn der Krieg verharmlost werde und in der Öffentlichkeit durch Hochglanzbilder von Soldaten bei Kindern und Jugendlichen ein unzutreffendes Bild vom Krieg vermittelt werde. Gerade Jugendliche würden durch eine derartige Werbung der Bundeswehr angesprochen, da in dieser Gruppe der Nachwuchs rekrutiert werden solle. Erinnert werde in diesem Zusammenhang auch an das Buch „Krieg dem Kriege“ des Pazifisten und Anarchisten Ernst Friedrich. Dieses Buch prangere auf ähnliche Weise wie er den Krieg mit Bildern des Krieges und Untertiteln an. Das Buch sei ohne weiteres im Buchhandel erhältlich und auch Jugendlichen zugänglich. Soweit Anstoß genommen werde an Bildern verbrannter Leichen – die übrigen Bilder seien unschwer als unrealistische Nachbildung erkennbar –, empfehle sich ein Blick in die Schulbücher. Im Hinblick auf den Vulkanausbruch bei Pompeji würden vielfach Bilder auch in Schulbüchern verbreitet, die Opfer des Vulkanausbruchs zeigten und seinen Bildern zum Verwechseln ähnlich seien.
17In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht hat der Kläger u.a. erklärt, er habe die Bilder im Hinblick auf das Ordnungswidrigkeitsverfahren mittlerweile entfernt. Die früher auf seiner Website über Google geschaltete Werbung habe Google nach Beschwerden über seine Seite entfernt. Ziff. 3. des angefochtenen Bescheides hat die Beklagte daraufhin aufgehoben. Insoweit haben die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt.
18Der Kläger hat beantragt,
19den Bescheid der Beklagten vom 3. Januar 2010 (gemeint 2011) in der Fassung der Erklärung in der mündlichen Verhandlung vom 20. März 2012 aufzuheben.
20Die Beklagte hat beantragt,
21die Klage abzuweisen.
22Das Verwaltungsgericht hat mit Urteil vom 20. März 2012 die Kostenentscheidung und die Gebührenfestsetzung in den Ziff. 4 und 5 des angegriffenen Bescheides aufgehoben und im Übrigen (Ziff. 1 und 2) die Klage abgewiesen. Die in Ziff. 1 des Bescheides erfolgte Beanstandung des Internet-Angebotes des Klägers im Hinblick auf einen Verstoß gegen § 5 Abs. 1 i. V. m. Abs. 3 und Abs. 4 sowie § 7 Abs. 1 i. V. m. Abs. 3 und Abs. 4 JMStV und die Untersagung, das Angebot in dieser Fassung weiter zu verbreiten, seien wie die Vorgabe in Ziff. 2 rechtmäßig. Insbesondere sei die Regelung in Ziff. 1 ausreichend bestimmt im Sinne von § 37 Abs. 1 VwVfG NRW, da sich unpräzise Formulierungen im Verfügungssatz („in dieser Fassung“) unter Berücksichtigung der Ausführungen in der Begründung, die Beanstandung beziehe sich allein auf die im Einzelnen beschriebenen Bilder, in klarer Weise auslegen ließen. Das Verwaltungsgericht hat die inhaltliche Einschätzung der KJM zur Eignung des Angebots des Klägers zur Entwicklungsbeeinträchtigung von Kindern und Jugendlichen unter 16 Jahren, welches es als sachverständige Äußerung ohne Beurteilungsspielraum einordnet, geteilt, weil insbesondere die Gefahr bestehe, dass diese Gruppe von Minderjährigen nicht in der Lage sei, die Bilder als Satire zu erkennen. Der Verweis auf das in Bibliotheken und im Buchhandel frei erhältliche Buch „Krieg dem Kriege“ greife nicht zu Gunsten des Klägers durch, da – ungeachtet der Frage der Vergleichbarkeit der Bilder – der Zugriff durch das Internet deutlich höhere Risiken der Wahrnehmung durch Minderjährige begründe. Die Bezugnahme auf in Schulbüchern vorhandene Abbildungen zur Vulkankatastrophe in Pompeji sei nicht vergleichbar, weil es dort um gefertigte Nachbildungen der Opfer gehe und so der unmittelbare Realitätsbezug fehle. Maßgeblich sei für die Bewertung der Bilder der Eindruck des kindlichen oder jugendlichen Betrachters, weshalb das Vorbringen des Klägers, es handele sich um unschwer erkennbare unrealistische Nachbildungen, unerheblich sei; ein solcher Betrachter werde die Bilder für echt halten. Das Nachrichtenprivileg des § 5 Abs. 6 JMStV lasse den Verstoß nicht entfallen, denn ein rechtliches Interesse gerade an der gewählten Form der Darstellung mit der beanstandeten Menge von unkommentiert aneinandergereihten Bildern und der Möglichkeit der Vergrößerung bestehe nicht. Die Eingriffe in die Grundrechte des Klägers (Meinungsfreiheit, Art. 5 Abs. 1 GG, sowie Kunstfreiheit, Art. 5 Abs. 3 GG) seien durch die Berücksichtigung des Verfassungsgutes Jugendschutz gerechtfertigt, wobei die Regelungen in § 5 Abs. 3 bis Abs. 5 JMStV für den verhältnismäßigen Ausgleich der Verfassungsgüter sorgten; hierdurch bleibe die Ausübung von Meinungsfreiheit und Kunstfreiheit möglich, unter gleichzeitiger Wahrung des Jugendschutzes. Die so erfolgte Einschränkung dieser Grundrechte sei verhältnismäßig und auch ansonsten ermessensfehlerfrei. Die Feststellung eines Verstoßes gegen die Pflicht zur Bestellung eines Jugendschutzbeauftragten nach § 7 JMStV sei zulässig, da der Kläger in der Vergangenheit durch Schaltung von Anzeigen auf der Domain Einkünfte erzielt und damit geschäftsmäßig gehandelt habe. Selbst wenn dies jetzt nicht mehr der Fall sei, sei eine Beanstandung möglich.
23Die Kostenentscheidung und die Gebührenfestsetzung in Ziff. 4 und 5 des angegriffenen Bescheides seien rechtswidrig. § 35 Abs. 11 Rundfunkstaatsvertrag (RStV) i. V. m. der Kostensatzung sei ebenso wenig anwendbar wie § 116 Abs. 2 Landesmediengesetz (LMG) NRW i. V. m. der entsprechenden Gebührensatzung.
24Der Kläger und die Beklagte haben die vom Verwaltungsgericht zugelassene Berufung eingelegt.
25Zur Begründung seiner Berufung macht der Kläger im Wesentlichen geltend: Die im angegriffenen Bescheid getroffenen Regelungen in Ziff. 1 und 2 seien schon nicht hinreichend bestimmt, da die Beanstandung sich auf „das vom Kläger verbreitete Internetangebot www.media-bloed.de“ und die Untersagung auf „das genannte Angebot in dieser Fassung“ sowie Ziff. 2 auf „die problematischen Inhalte“ beziehe. Es sei auch nicht durch Berücksichtigung der Begründung ein bestimmter Inhalt feststellbar, da die beschriebenen Bilder nur als Beispiele angeführt würden und zudem auch durch weitere Passagen der Begründung keine Klarheit geschaffen werde. Es bleibe unklar, ob nur Darstellungen in Bildform oder auch solche mit Text beanstandet würden, sowie ob es ausreiche, die Möglichkeit der Vergrößerung nicht mehr vorzusehen. Damit bleibe unklar, was ihm eigentlich habe verboten werden sollen.
26Weiter stehe der KJM weder ein Beurteilungsspielraum zu noch habe deren Feststellung den Charakter einer sachverständigen Äußerung; dies ergebe sich schon aus den Abstimmungsergebnissen in der Prüfgruppe, die in Bezug auf § 5 JMStV einen Verstoß nur mit 3:2 Stimmen festgestellt habe. Weiter bestehe keine Gefahr der Entwicklungsbeeinträchtigung, da Kinder und Jugendliche die Satire auf der Seite des Klägers eindeutig erkennen könnten. Zudem rechtfertige § 5 Abs. 6 JMStV die Art der konkreten Darstellungen, da gerade diese zur Erreichung der Zwecke des Klägers wichtig seien, um die beabsichtigte abschreckende Wirkung in Bezug auf die Gefahren und Folgen von Kriegen zu erzielen. Ähnlich wie der Pazifist Ernst Friedrich mit dem Buch „Krieg dem Kriege“ habe auch Bertolt Brecht in der von ihm veröffentlichten „Kriegsfibel“ seine Gedichte gegen den Krieg mit Bildern von Kriegsfolgen und Kriegsopfern verknüpft. In vergleichbarer Weise stelle sich das beanstandete Angebot des Klägers dar. Das Urteil des Verwaltungsgerichts beruhe auf einer Verkennung der Reichweite der Gewährleistungen von Art. 5 Abs. 1 und 5 Abs. 3 GG.
27Der Kläger beantragt,
28das Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 20. März 2012 zu ändern und nach dem erstinstanzlichen Klageantrag zu erkennen
29sowie die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
30Die Beklagte beantragt,
31das Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 20. März 2012 zu ändern und die Klage insgesamt abzuweisen
32sowie die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
33Zur Berufung des Klägers führt sie im Wesentlichen aus: Der angegriffene Bescheid sei hinreichend bestimmt, da für den Kläger unter Berücksichtigung des Inhalts des Bescheides und der Nennung der einzelnen Bilder habe klar sein müssen, was beanstandet werde. Der Aufbau des Bescheides und die Technik der Tenorierung sei bisher von nordrhein-westfälischen Verwaltungsgerichten in Bezug auf die Bestimmtheit nicht in Zweifel gezogen worden. Die Feststellung einer Entwicklungsbeeinträchtigung sei vom Gericht nicht mehr zu überprüfen, da der KJM hinsichtlich der Jugendgefährdung ein Beurteilungsspielraum zustehe. Auch ohne einen solchen sei es jedoch eine sachverständige Äußerung, die durch das Vorbringen des Klägers nicht erschüttert sei. Weiter könne die als Ausnahmevorschrift eng auszulegende Regelung in § 5 Abs. 6 JMStV dem Kläger nicht weiterhelfen, da – abgesehen von der zweifelhaften Einordnung als „vergleichbares Angebot“ im Sinne der Vorschrift – kein berechtigtes Interesse gerade an der gewählten Art der Darstellung feststellbar sei. Eine Beschränkung der Untersagung auf die Möglichkeit der Vergrößerung der Bilder sei nicht ausreichend, da diese alleine den Verstoß nicht begründe, sondern verstärke.
34Zur Begründung ihrer eigenen Berufung trägt die Beklagte im Wesentlichen vor: Die vom Verwaltungsgericht aufgehobene Kostenentscheidung sowie die Gebührenfestsetzung gegen den Kläger lasse sich auf § 35 Abs. 11 RStV i. V. m. der RStV-Kostensatzung (Gebührenverzeichnis Ziff. IV.8.) stützen. Die systematische Stellung von § 35 Abs. 11 RStV im III. Abschnitt des Rundfunkstaatsvertrages stehe dem im Ergebnis nicht entgegen. Dies ergebe sich aus der Gesetzgebungsgeschichte sowie der gesetzgeberischen Absicht, welche hinter der Vorschrift stünde. In der Vergangenheit seien Gebühren für Maßnahmen der Landesmedienanstalten in Zusammenarbeit mit der KJM nach dem Jugendmedienschutz-Staatsvertrag gegenüber Anbietern von Telemedien auf der Grundlage von § 14 Abs. 9 JMStV i. V. m. der früheren KJM-Kostensatzung erfolgt. Durch den Zehnten Rundfunkänderungsstaatsvertrag sei § 14 Abs. 9 JMStV jedoch gestrichen worden und § 35 RStV habe seine heutige Gestalt erhalten. Nach der Begründung hierzu aus dem zum Erlass des Änderungsstaatsvertrages führenden Verfahren sollten „die bisherigen Bestimmungen über die Kommission für Jugendmedienschutz in § 14 Abs. 8 bis 10, die die Finanzierung und Personalausstattung sowie den Sitz der KJM betrafen, (…) nunmehr in § 35 des Rundfunkstaatsvertrags enthalten“ sein. Diese Einschätzung werde auch durch die Formulierungen in der RStV-Kostensatzung bestätigt, die z.B. in Ziff. IV.8. des Gebührenverzeichnisses so allgemein gehalten seien, dass sie auch Maßnahmen gegenüber Anbietern von Telemedien umfassen könnten. Unabhängig hiervon könne die Gebührenerhebung auch auf § 116 Abs. 2 LMG NRW i. V. m. der LfM-Gebührensatzung gestützt werden, da Ziff. 11 des Kostenverzeichnisses zu dieser Gebührensatzung mit dort genannten „Maßnahmen gegenüber Anbietern von lokalen, regionalen oder landesweiten Angeboten aufgrund des JMStV“ die Erfassung von bundesweiten Angeboten nicht ausschließe. Selbst wenn man dies anders sehe, sei eine Gebührenfestsetzung aufgrund des Auffangtatbestandes in § 2 Abs. 2 der LfM-Gebührensatzung nicht nach der Rechtsprechung des 9. Senats des Oberverwaltungsgerichts NRW zu dem Auffangtatbestand in der Tarifstelle 30.5 AGT ausgeschlossen, da die Fallkonstellationen nicht vergleichbar seien. Für den Kläger sei es nicht überraschend gewesen, dass er aufgrund des streitgegenständlichen, ihn belastenden Bescheides auch einer Gebührenerhebung ausgesetzt werde.
35Der Kläger verteidigt mit ins Einzelne gehenden Ausführungen zu Wortlaut, Systematik, Gesetzgebungsgeschichte und Absicht des Gesetzgebers die angegriffene Entscheidung zu Ziff. 4 und 5 des Bescheides der Beklagten.
36Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte dieses Verfahrens sowie den beigezogenen Verwaltungsvorgang der Beklagten und die Akte des Amtsgerichts Düsseldorf 302 OWi 204/11 zum Ordnungswidrigkeitenverfahren Bezug genommen. Im Verwaltungsvorgang befinden sich Datenträger, die Bildschirmkamera-Aufzeichnungen zu den bei jugendschutz.net, durch die Prüfgruppe der KJM sowie bei der Beklagten erfolgten Sichtungen der Domain www.media-bloed.de vom 1. März 2010, 21. April 2010, 1. Oktober 2010 und 28. Dezember 2010 enthalten.
37Entscheidungsgründe:
38Die zulässige Berufung des Klägers ist begründet (A.). Die zulässige Berufung der Beklagten ist nicht begründet (B.)
39A. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Unrecht in Bezug auf Ziff. 1 und Ziff. 2 des Bescheides der Beklagten vom 3. Januar 2010 (gemeint 2011) abgewiesen. Die zulässige Anfechtungsklage ist begründet. Diese Regelungen sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
40I. Als Rechtsgrundlage der in Ziff. 1 des angegriffenen Bescheides enthaltenen Feststellung und Beanstandung von Verstößen des vom Kläger verbreiteten Internetangebotes www.media-bloed.de gegen § 5 und § 7 des Staatsvertrages über den Schutz der Menschenwürde und den Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien (Jugendmedienschutz-Staatsvertrag – JMStV), der hieran anknüpfenden Untersagung der künftigen Verbreitung des Internet-Angebots und der in Ziff. 2 getroffenen Maßnahme kommt allein § 20 Abs. 1, Abs. 4 JMStV i. V. m. § 59 Abs. 3 des Staatsvertrages für Rundfunk und Telemedien (Rundfunkstaatsvertrag – RStV) in Betracht. Auf diese Grundlage hat die Beklagte die Maßnahmen im Bescheid auch gestützt.
41Gemäß § 20 Abs. 1 JMStV trifft die zuständige Landesmedienanstalt die erforderlichen Maßnahmen gegenüber dem Anbieter, wenn sie feststellt, dass ein Anbieter gegen die Bestimmungen des Jugendmedienschutz-Staatsvertrages verstoßen hat. Für Anbieter von Telemedien trifft nach § 20 Abs. 4 JMStV die zuständige Landesmedienanstalt die jeweilige Entscheidung durch die Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) entsprechend § 59 Abs. 2 bis 4 RStV unter Beachtung der Regelungen zur Verantwortlichkeit nach den §§ 7 bis 10 Telemediengesetz (TMG).
42Nach § 59 Abs. 3 RStV gilt: Stellt die jeweils zuständige Aufsichtsbehörde einen Verstoß gegen die Bestimmungen fest, trifft sie die zur Beseitigung des Verstoßes erforderlichen Maßnahmen gegenüber dem Anbieter (Satz 1). Sie kann nach Satz 2 insbesondere Angebote untersagen und deren Sperrung anordnen.
43II. Die hier mit Ziff. 1 und Ziff. 2 des Bescheides getroffenen Maßnahmen können dem Grunde nach auf diese Vorschriften gestützt werden. Neben der in § 59 Abs. 3 Satz 2 RStV ausdrücklich geregelten Untersagung von Angeboten gilt dies auch für die Feststellung und Beanstandung eines Verstoßes, was als einheitliche Maßnahme einer Beanstandung zu verstehen ist.
44Die Beanstandung ist – auch wenn sie anders als die Untersagung oder Sperrung von Angeboten weder in § 20 Abs. 1, Abs. 4 JMStV noch in § 59 Abs. 2 bis Abs. 4 RStV ausdrücklich erwähnt ist – im Grundsatz eine nach diesen Vorschriften zulässige und in der Praxis der Medienaufsicht gängige Maßnahme gegenüber Angeboten im Bereich der Telemedien bei Verstößen gegen Vorschriften des Jugendmedienschutzes oder des Rundfunkstaatsvertrages. Auch wenn sie in § 59 Abs. 3 Satz 2 RStV nicht genannt ist, ist die dortige Aufzählung schon nach dem Wortlaut („insbesondere“) nicht abschließend. Es handelt sich bei der Beanstandung um einen feststellenden Verwaltungsakt mit Eingriffscharakter, durch den ein Rechtsverstoß förmlich festgestellt und missbilligt wird.
45Vgl. BVerwG, Beschluss vom 23. Juli 2014 – 6 B 1.14 –, NVwZ 2014, 1594 ff. = juris Rn. 20; Liesching/Schuster, Jugendschutzrecht, 5. Aufl., 2011, § 20 JMStV Rn. 4, 33; Spindler/Schuster, Recht der elektronischen Medien, 3. Aufl., 2015, § 20 JMStV Rn. 22; ohne dies zu problematisieren: OVG Berlin-Bbg., Urteil vom 13. November 2014 – OVG 11 B 10.12 –, juris Rn. 61 f.; Bay. VGH, Urteile vom 19. September 2013 – 7 B 12.2358 –, DVBl. 2014, 108 ff. = juris, und – 7 B 13.196 –, juris; VG Hamburg, Urteil vom 21. August 2013 – 9 K 1879/12 –, juris Rn. 24, 45; VG Gelsenkirchen, Urteil vom 16. Dezember 2009 – 14 K 4086/07 –, juris Rn. 30.
46Eine Beanstandung kann – auch ohne die damit häufig verbundene Untersagung unzulässiger Angebote oder Inhalte – insbesondere im Bereich sich schnell oder häufig verändernder Angebote bzw. nur für kurze Zeit vorhandener und deshalb im Zeitpunkt der Beschlussfassung der KJM bzw. des Erlasses einer Maßnahme durch eine Landesmedienanstalt (LMA) bereits nicht mehr gegebener bzw. beendeter Verstöße (wie sie im Bereich der Telemedien nicht selten sind) sinnvoll sein. Sie ist auch bei in der Vergangenheit liegenden Verstößen – wie hier – möglich, jeweils unter der Voraussetzung, dass ihr Zweck noch erreicht werden kann.
47VG Hamburg, Urteil vom 21. August 2013, a. a. O., Rn. 27, 45; VG Karlsruhe, Urteil vom 25. Juli 2012 – 5 K 3496/10 –, MMR 2013, 134 ff. = juris Rn. 41 f.; VG Neustadt/Weinstraße, Urteil vom 23. April 2007 – 6 K 1243/06.NW –, MMR 2007, 678 f. = juris Rn. 22.
48Ziff. 1 und Ziff. 2. des Bescheides vom 3. Januar 2010 (gemeint 2011) sind hingegen formell (1.) und materiell rechtswidrig (2.).
491. Ziff. 1 und Ziff. 2 des angegriffenen Bescheides sind formell rechtswidrig, weil es an der den Anforderungen des § 17 Abs. 1 Sätze 3 und 4 JMStV entsprechenden Begründung der zu Grunde liegenden Entscheidung der KJM fehlt.
50Gemäß § 17 Abs. 1 Satz 3 JMStV sind die Beschlüsse der KJM zu begründen. In dieser Begründung sind die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gründe mitzuteilen (Satz 4). Die Beschlüsse der KJM sind gegenüber den anderen Organen der zuständigen Landesmedienanstalt bindend und deren Entscheidungen zu Grunde zu legen (Sätze 5 und 6).
51a. Bei der Auslegung dieser Vorschriften und zur Ermittlung der Anforderungen an das Begründungserfordernis nach § 17 Abs. 1 Sätze 3 und 4 JMStV ist das nach dem Jugendmedienschutz-Staatsvertrag spezifisch ausgestaltete Verhältnis der Landesmedienanstalten und der KJM in den Blick zu nehmen. Danach ist bei der Aufsicht über Telemedien-Angebote die inhaltliche Entscheidung über die Vereinbarkeit von Telemedien-Angeboten mit dem Jugendmedienschutz-Staatsvertrag und die bei Verstößen zu treffenden Maßnahmen allein der KJM – als Organ der Landesmedienanstalt – zugewiesen (vgl. §§ 14 Abs. 2 Satz 2, 16 Abs. 1 Satz 1, 20 Abs. 4 JMStV). Die zuständige Landesmedienanstalt organisiert für die inhaltliche Entscheidung der KJM das Verfahren, ermittelt den Sachverhalt und setzt die Entscheidung der KJM, an die sie inhaltlich und nach der Begründung gebunden ist, nach außen gegenüber dem Anbieter um (§ 17 Abs. 1 Sätze 5 und 6 JMStV).
52Zudem sind die hinter dem Erfordernis der Begründung der KJM gemäß § 17 Abs. 1 Sätze 3 und 4 JMStV stehenden Zwecke zu berücksichtigen. Das Begründungserfordernis dient zum einen objektiven Zwecken: Es soll die KJM dazu anhalten, den von ihr zu beurteilenden Sachverhalt sorgfältig zu ermitteln und diesen unter Berücksichtigung des Vorbringens des Anbieters in jugendschutzrechtlicher Hinsicht selbst sachverständig zu bewerten. Weiter dient die Begründung der Klarheit für die anderen Organe der zuständigen Landesmedienanstalt, weil diese an die Beschlüsse der KJM gebunden sind und sie einschließlich der Begründung ihrer Entscheidung zu Grunde zu legen haben. Zugleich dient die Begründung aber auch den Rechten der Anbieter von Telemedien. Das Begründungserfordernis für die KJM wurde ausdrücklich mit Blick auf die (Grund-) Rechte der Betroffenen, die eventuell gegen eine abschließende Entscheidung Rechtsschutz in Anspruch nehmen wollen, in den Jugendmedienschutz-Staatsvertrag aufgenommen. Der Betroffene bedarf der Begründung, da er ohne Kenntnis der Gründe, auf die die KJM ihre Entscheidung stützt, ein gerichtliches Verfahren nicht sinnvoll führen kann. Die Anbieter haben Anspruch darauf, dass die KJM ihren Beschluss nach ausreichender Kenntnisnahme des zu beurteilenden Angebotes unter Bekanntgabe ihrer wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen begründet. Fehlt eine solche Begründung, schlägt dies auf die Rechtmäßigkeit der Entscheidung der zuständigen Landesmedienanstalt durch.
53Vgl. Bay. VGH, Urteil vom 19. September 2013– 7 B 12.2358 –, a. a. O., Rn. 29 ff.
54Unter Berücksichtigung der Bedingungen der Praxis der Medienaufsicht, des vielfach komplexen und umfangreichen Charakters dieser Prüfungsverfahren sowie der Gegebenheiten einer Gremienentscheidung wird einhellig für die Begründung des Beschlusses der KJM als ausreichend angesehen, wenn diese der von der zuständigen Landesmedienanstalt vorgelegten Beschlussvorlage einschließlich einer darin enthaltenen Begründung des vorgeschlagenen Beschlusses durch Bezugnahme zustimmt. Dann müssen eine solche Bezugnahme bzw. Verweisung und der Wille, sich die Begründung der Beschlussvorlage zu eigen zu machen, aus der Niederschrift über den Beschluss der KJM oder aus sonstigen Unterlagen klar und unmissverständlich hervorgehen.
55Vgl. OVG Berlin-Bbg., Urteil vom 13. November 2014, a. a. O., Rn. 83 f.; Bay. VGH, Urteil vom 19. September 2013 – 7 B 12.2358 –, a. a. O., Rn. 26; VG Hannover, Urteil vom 8. Juli 2014– 7 A 4679/12 –, juris Rn. 56.
56Zudem kann nur dann die Bezugnahme der KJM auf eine Beschlussvorlage der Landesmedienanstalt deren eigene Begründung ersetzen, wenn diese Beschlussvorlage überhaupt eine Begründung für den Beschlussvorschlag enthält und diese Begründung ihrerseits klar und unmissverständlich ist. An letzterem Erfordernis kann es dann fehlen, wenn die Beschlussvorlage wiederum auf andere Vorlagen der Landesmedienanstalt, die Prüfempfehlung der Prüfgruppe der KJM oder sonstige Schriftstücke Bezug nimmt. In diesem Fall besteht nämlich die Gefahr, dass nicht mehr hinreichend eindeutig ist, was die Begründung der Entscheidung der KJM sein soll. Deshalb geht eine verbreitete Auffassung davon aus, dass eine Begründung für einen Beschluss der KJM nicht ausreichend ist, wenn sich diese allein im Wege einer „Kettenverweisung“ ermitteln lässt.
57Vgl. OVG Berlin-Bbg., Urteil vom 13. November 2014, a. a. O., Rn. 84; Bay. VGH, Urteil vom 19. September 2013 – 7 B 12.2358 –, a. a. O., Rn. 26; VG Berlin, Urteil vom 3. Mai 2012 – 27 A 341.06 –, juris Rn. 32 f. (fehlende Entscheidung in der Beschlussvorlage); differenzierend VG Hannover, Urteil vom 8. Juli 2014, a. a. O., juris Rn. 58.
58Unter Berücksichtigung der Zwecke einer Begründung des Beschlusses der KJM ist nach Auffassung des Senats eine Bezugnahme auf eine Beschlussvorlage im Grundsatz zulässig, wenn dadurch eine klare und unmissverständliche Begründung des Beschlusses zu Stande kommt. Eine Kettenverweisung wird diesen Maßstäben in der Regel nicht gerecht, weil mehrere Schritte erforderlich sind, um die in Bezug genommene „gemeinte Begründung“ zu ermitteln und hierbei die unmissverständliche Klarheit typischerweise fehlt. Die Bezugnahme muss dem Beschluss der KJM (Plenum oder Prüfausschuss) oder dem diesen enthaltenden Protokoll aber durch eindeutige Formulierungen zu entnehmen sein. Allein der Umstand, dass der Beschluss seinem Inhalt nach der in der Beschlussvorlage vorgeschlagenen Entscheidung entspricht, reicht nicht aus.
59b. Hiervon ausgehend fehlt es bei dem Beschluss (des Plenums) der KJM vom 15. Dezember 2010 in München über die Domain www.media-bloed.de an einer § 17 Abs. 1 Sätze 3 und 4 JMStV genügenden Begründung. Dies macht Ziff. 1 und 2 des Bescheides – einschließlich der Beanstandung eines Verstoßes gegen § 7 JMStV – formell rechtswidrig.
60Auf jenen Beschluss – und nicht die „Entscheidung“ der Prüfgruppe der KJM vom 21. April 2010 – kam es an, weil das Ergebnis der 28. Präsenzprüfung Telemedien durch eine Prüfgruppe am 21. April 2010 in Hannover nicht die zu begründende Entscheidung „der KJM“ im Sinne von § 17 Absatz 1 Sätze 3 und 4 JMStV darstellt. Die Prüfgruppen sind im Jugendmedienschutz-Staatsvertrag überhaupt nicht vorgesehen. Sie haben sich zur Entlastung des Plenums der KJM und der durch den Staatsvertrag in § 14 Abs. 5 JMStV geregelten Prüfausschüsse in der Praxis herausgebildet, sind in § 9 der Geschäfts- und Verfahrensordnung der KJM (GVO-KJM) geregelt und werden als Arbeitseinheit ohne Entscheidungsbefugnis anerkannt. Die Ergebnisse der Prüfgruppen, insbesondere deren sog. Prüfempfehlungen, haben rechtlich keine Bedeutung und binden insbesondere nicht die zuständige Landesmedienanstalt. Von den Prüfgruppen formulierte Begründungen für ihre (Vor-)Ergebnisse sind deshalb für sich genommen keine Begründung für Beschlüsse der KJM gemäß § 17 Abs. 1 Sätze 3 und 4 JMStV.
61Unter Berücksichtigung des Verfahrensablaufs sowie der zuvor dargestellten rechtlichen Maßstäbe liegt keine Begründung des Beschlusses der KJM vom 15. Dezember 2010 im Sinne von § 17 Abs. 1 Sätze 3 und 4 JMStV vor. Mit E-Mail vom 23. Dezember 2010 teilte die KJM-Geschäftsstelle der Beklagten den Beschluss der KJM vom 15. Dezember 2010 auf deren Anfrage als Vorab-Information mit. Diese E-Mail enthielt keine Begründung für den Beschluss, sondern den Hinweis, sobald das Protokoll der 30. KJM-Sitzung vorliege, werde es an die Beklagte weitergeleitet. Das Protokoll ging bei der Beklagten mit Übersendungsschreiben des Vorsitzenden der KJM vom 12. Januar 2011 am 14. Januar 2011 ein und befasst sich mit dem Prüffall www.media-bloed.de auf Seite 7. Es enthält zu Tagesordnungspunkt 6 („Prüffälle“) und Ziff. 1 („media-bloed.de“) ebenfalls keine Begründung des Beschlusses der KJM zum Angebot des Klägers. Dort ist dargestellt, dass eine Mitarbeiterin der KJM-Stabsstelle den Sachverhalt zum Prüffall berichtete. Dazu wird in indirekter Rede die Einschätzung der Prüfgruppe wiedergegeben. Im Folgenden wird über das Verfahren im Prüfausschuss berichtet. Dann heißt es: „Nach kurzer Diskussion fassten die KJM-Mitglieder folgenden Beschluss:“ Nachstehend wird eingerückt in vier Absätzen der Beschluss der KJM zu den zu treffenden Maßnahmen wörtlich wiedergegeben. Der Beschluss selbst sowie der diesen einleitende Satz enthält keinen Hinweis und insbesondere keine Bezugnahme oder Verweisung auf irgendein anderes Dokument, insbesondere weder die Beschlussvorlage der Beklagten für den Prüfausschuss vom 13. September 2010 noch die Empfehlung der Prüfgruppe der KJM vom 21. April 2010. Es fehlt insofern an jeglichem Anhalt dafür, dass sich das Plenum der KJM die Begründung der Beschlussvorlage der Beklagten oder irgendeines anderen Schriftstücks zu eigen machen wollte. Allein ein Beschluss im Sinne einer entsprechenden Vorlage ist nicht ausreichend, um anzunehmen, die KJM habe sich die Begründung der Beschlussvorlage zu eigen machen wollen. Hierfür spricht vorliegend schon auch deshalb nichts, weil der Beschluss vom 15. Dezember 2010 die Beschlussempfehlung der Beklagten vom 13. September 2010 nicht 1 : 1 übernimmt. Zum einen enthält der Beschluss nicht den in der Beschlussvorlage zu Ziff. 4 niedergelegten Inhalt, zum anderen gibt es Abweichungen bei den Verwaltungsgebühren. Da nicht ersichtlich ist, dass es sich bei diesen Unterschieden um Versehen handelt, kann schon deshalb nicht unterstellt werden, dass die KJM, ohne dies durch eine ausdrückliche Bezugnahme oder eine Verweisung deutlich zu machen, die Begründung der Beschlussvorlage übernehmen wollte.
62c. Selbst wenn man eine Übernahme der Begründung der Beschlussvorlage der Beklagten durch den hierauf basierenden Beschluss der KJM annehmen wollte, so läge keine § 17 Absatz 1 Sätze 3 und 4 JMStV entsprechende Begründung des Beschlusses der KJM vor. Die Beschlussvorlage der Beklagten vom 13. September 2010 enthielt ihrerseits keine vollständige Begründung für den empfohlenen Beschluss der KJM, sondern verwies inhaltlich insbesondere auf die von jugendschutz.net stammende Vorlage vom 24. März 2010 für die Prüfgruppe (Anlage 2), die Prüfbegründung mit Prüfempfehlung der Prüfgruppe vom 21. April 2010 (Anlage 3) sowie die letzte Camtasia-Aufzeichnung der Beklagten vom 1. Oktober 2010 mit DENIC-Ausdruck (Anlage 9; Übersicht der Anlagen vgl. Beiakte 1, Bl. 83). Dies entspricht nicht den Anforderungen von § 17 Abs. 1 Sätze 3 und 4 JMStV. Bei der vorliegenden „Kettenverweisung“ fehlt es an der erforderlichen klaren und unmissverständlichen Bezugnahme und damit an der Begründungsklarheit. Hinzu kommt, dass hier besonders strenge Anforderungen gelten, weil der Fall Fragen zum Spannungsverhältnis zwischen dem Jugendmedienschutz einerseits und der Reichweite der Grundrechtsausübung durch den Anbieter (Meinungsfreiheit/Kunstfreiheit) aufwarf. Es war deshalb verfassungsrechtlich geboten, zur Herstellung praktischer Konkordanz zwischen den verfassungsrechtlichen Schutzgütern im Wege der Abwägung einen verhältnismäßigen Ausgleich herbeizuführen.
63Nach dem Jugendmedienschutz-Staatsvertrag ist es aber Sache der KJM, die „abschließende Beurteilung von Angeboten“ vorzunehmen, und ihre Beschlüsse sind den Entscheidungen der Landesmedienanstalt zugrundezulegen. Es fehlt ferner deshalb an der Mitteilung der wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gründe im Sinne des § 17 Abs. 1 Satz 4 JMStV, weil eine Begründung der KJM zur Frage der Eignung des Angebots zur Beeinträchtigung der Entwicklung von Kindern und Jugendlichen unter 16 Jahren, zum Erfordernis eines Jugendschutzbeauftragten gemäß § 7 JMStV sowie zur Abwägung mit kollidierenden Grundrechten des Anbieters fehlt. Es ist nicht erkennbar, ob sich das Plenum der KJM in der Sitzung am 15. Dezember 2010 mit den Grundrechten des Klägers in irgendeiner Weise auseinandergesetzt hat. Es ist nicht ersichtlich, dass der KJM das Spannungsverhältnis von Jugendmedienschutz und Grundrechten des Klägers bei ihrer Entscheidung vor Augen stand sowie ob und in welcher Weise sie diese Verfassungspositionen gegeneinander abgewogen und zu einem verhältnismäßigen Ausgleich gebracht hat. Nach dem System des Jugendmedienschutzes bei Telemedien ist es aber nicht die Aufgabe der Landesmedienanstalt – hier der Beklagten – diese Abwägung vorzunehmen, wie die Beklagte dies im angefochtenen Bescheid getan hat. Die Abwägung ist von dem zur Entscheidung berufenen Organ – bei der Ausübung von Ermessen bzw. schon bei der Feststellung der tatbestandlichen Voraussetzungen – vorzunehmen und kann nicht durch ein unzuständiges Organ bzw. eine unzuständige Stelle ersetzt oder nachgeholt werden.
64d. Abgesehen davon hätte die Beklagte gegen den Grundgedanken ihrer Bindung an die Beschlüsse der KJM sowie deren Begründung gemäß § 17 Absatz 1 JMStV hier auch dann verstoßen, wenn das Protokoll über die Sitzung der KJM am 15. Dezember 2010 eine Begründung zum Beschluss der KJM enthalten hätte und diese der Begründung der Beklagten im Bescheid im Wesentlichen entsprochen hätte. Denn die Beklagte erließ ihren Bescheid vom 3. Januar 2010 (gemeint 2011) auf der Grundlage der E-Mail der KJM-Geschäftsstelle vom 23. Dezember 2010, in der ihr lediglich ein Beschluss-Inhalt der KJM ohne eine Begründung mitgeteilt worden war. Offensichtlich hat die Beklagte unterstellt, dass die KJM, wie es die E-Mail nahelegte, ihrer Vorlage sowohl nach dem Beschlussinhalt als auch nach dessen Begründung gefolgt war. Ein solches Vorgehen widerspricht grundlegend dem im Jugendmedienschutz-Staatsvertrag vorgesehenen Verhältnis von KJM und Landesmedienanstalten.
65e. Eine Heilung des Begründungsmangels nach § 45 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 VwVfG NRW ist nicht erfolgt, weil die KJM die Begründung im Sinne von § 17 Abs. 1 Sätze 3 und 4 JMStV nicht nachgeholt bzw. klargestellt hat. Die Begründung des angegriffenen Bescheides durch die Beklagte oder deren Vorbringen im Gerichtsverfahren können eine Heilung nicht herbeiführen, weil dies nicht die interne Beteiligung der KJM ersetzt.
66Der Begründungsmangel ist auch nicht gemäß § 46 VwVfG NRW unbeachtlich. Zum einen dürfte es sich bei § 17 Abs. 1 Sätze 3 und 4 JMStV um eine Regelung handeln, die nach ihrem Sinn und Zweck keine bloß dienende Funktion hat, sondern unabhängig von der materiellen Richtigkeit der Entscheidung beachtet werden soll – sog. absoluter Verfahrensfehler –; zum anderen ist bei Fehlern im Zusammenhang mit Ermessensentscheidungen regelmäßig nicht offensichtlich, dass die Verletzung der Vorschrift die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat. Nach der Systematik des Jugendmedienschutz-Staatsvertrages ist die abschließende Beurteilung von Angeboten allein der KJM als mit besonderem Sachverstand ausgestattetem Gremium übertragen, so dass nicht nur die Entscheidung, sondern auch die gesetzlich verlangte Begründung hierzu unvertretbar ist; sie fällt damit nicht in den Anwendungsbereich des § 46 VwVfG NRW.
67Vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG, 15. Aufl., 2014, § 46 Rn. 15, 32 f.; ebenso zu §§ 45, 46 VwVfG VG Berlin, Urteil vom 3. Mai 2012, a. a. O., Rn. 36.
682. Die vom Kläger mit der Berufung angegriffenen Maßnahmen der Beklagten in Ziff. 1 und 2 des streitigen Bescheides sind – ungeachtet der tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Maßnahmen – ferner deshalb rechtswidrig, weil sie gegen das Bestimmtheitsgebot aus § 37 Abs. 1 VwVfG NRW verstoßen.
69Gemäß § 37 Abs. 1 VwVfG NRW muss ein Verwaltungsakt inhaltlich hinreichend bestimmt sein. Diese Voraussetzung ist erfüllt, wenn die durch den Verwaltungsakt getroffene Regelung hinreichend klar, verständlich und in sich widerspruchsfrei ist. Davon ist auszugehen, wenn der Adressat und die mit dem Vollzug befasste Behörde und deren Organe aufgrund der Entscheidungssätze und der Begründung des Verwaltungsakts sowie der sonst für die Betroffenen erkennbaren Umstände ersehen können, was genau durch den Verwaltungsakt gefordert wird und gegebenenfalls zu vollstrecken ist. Im Einzelnen richten sich die Anforderungen an die notwendige Bestimmtheit nach den Besonderheiten des jeweils anzuwendenden materiellen Rechts.
70Vgl. BVerwG, Urteile vom 15. Februar 1990 ‑ 4 C 41.87 –, BVerwGE 84, 335 ff. = juris Rn. 29, und vom 20. April 2005 – 4 C 18.03 –, BVerwGE 123, 261 ff. = juris Rn. 53; OVG NRW, Beschlüsse vom 13. Juli 2010 – 13 B 676/10 –, juris Rn. 39 ff., vom 26. September 2008 – 13 B 1395/08 –, NJW 2008, 3656 = juris Rn. 16 ff., und vom 26. September 2008 ‑ 13 B 1397/08 –, juris Rn. 16 ff.; Kopp/Ramsauer, a. a. O., § 37 Rn. 5 ff., insb. Rn. 12 m. w. N.; U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Aufl., 2014, § 37 Rn. 27 ff. m. w. N.; Ruffert, in: Knack, VwVfG, 9. Aufl., 2010, § 37 Rn. 11 ff. und 30 ff. m. w. N.
71Demnach ist ein Verwaltungsakt nicht schon dann unbestimmt, wenn seine Regelung für eine mit dem jeweiligen Sachbereich nicht vertraute Person nicht ohne weiteres verständlich ist. Entscheidend ist vielmehr, ob der Adressat und die mit dem Vollzug befassten Behörden den Entscheidungsinhalt auf Grund der Gesamtumstände des Einzelfalls zutreffend erfassen und ihr künftiges Verhalten danach ausrichten können.
72Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 8. Dezember 2009 – 13 B 958/09 –, NWVBl. 2010, 321 ff. = juris Rn. 33 f., und vom 8. September 2009 – 13 B 894/09 –, MedR 2010, 273 ff. = juris Rn. 19 f.; U. Stelkens, a. a. O., Rn. 6; BVerwG, Urteil vom 20. April 2005, a. a. O., Rn. 54.
73Bevor eine zur Rechtswidrigkeit – und gegebenenfalls Nichtigkeit nach § 44 VwVfG NRW – führende Unbestimmtheit festgestellt wird, ist der betroffene Verwaltungsakt in seinem Inhalt durch Auslegung zu bestimmen. Entsprechend den zu empfangsbedürftigen Willenserklärungen im Zivilrecht entwickelten Grundsätzen ist bei Verwaltungsakten nicht auf den wirklichen Willen des Erklärenden (sog. natürliche Auslegung), sondern auf die objektive Erklärungsbedeutung, wie sie der Empfänger verstehen musste (sog. normative Auslegung), abzustellen. Bei vermeintlichen Unklarheiten ist vom Adressaten zu erwarten, den wirklichen Willen der Behörde durch Auslegung des Bescheides zu erkennen, ohne am buchstäblichen Ausdruck zu haften. Auf Mehrdeutigkeit beruhende Unklarheiten über den Inhalt des Verwaltungsakts gehen immer zulasten der Behörde, weshalb ein Verwaltungsakt bei Unklarheiten zu Gunsten des Betroffenen auszulegen ist.
74Vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Juni 2012 – 9 C 7.11 –, BVerwGE 143, 222 ff. = juris Rn. 18 m. w. N. zur ständigen Rechtsprechung; Ruffert, in: Knack, a. a. O., § 37 Rn. 14.
75a. Nach diesen Grundsätzen ist die in Ziff. 1 Satz 1 und Satz 2 des Bescheides geregelte Beanstandung von Verstößen des vom Kläger verbreiteten Internetangebotes www.media-bloed.de gegen Vorschriften des Jugendmedienschutz-Staatsvertrages ebenso wie die in Ziff. 1 Satz 3 ausgesprochene Untersagung nicht hinreichend bestimmt.
76Der die Beanstandung enthaltende Verfügungssatz in Ziff. 1 Sätze 1 und 2 des Bescheides, das vom Kläger verbreitete Internetangebot www.media-bloed.de verstoße gegen § 5 JMStV sowie § 7 JMStV und dies werde medienrechtlich beanstandet, scheint unter dem Gesichtspunkt der Bestimmtheit zunächst unproblematisch. Dies lässt sich bei unbefangenem Sprachverständnis so lesen, dass die Beanstandung sich auf das gesamte Internetangebot unter der Domain www.media-bloed.de bezieht. Die Formulierung der Untersagung („das genannte Angebot in dieser Fassung weiter zu verbreiten“) wirkt auf den ersten Blick ebenfalls allumfassend, wobei die Wendung „in dieser Fassung“ üblicherweise auf eine bestimmte Version eines Inhalts hinweist, der im Zeitverlauf Änderungen unterliegt. Eine solche Beanstandung und Untersagung würden hier jedoch gegen das Übermaßverbot verstoßen, da die medienrechtlichen Maßnahmen gemäß § 20 Abs. 1, Abs. 4 JMStV i. V. m. § 59 Abs. 3 RStV gegenüber einem Anbieter von Telemedien auf die Teile des Angebots zu beschränken sind, die tatsächlich gegen Vorschriften des Jugendmedienschutz-Staatsvertrages verstoßen, soweit die Beschränkung nicht aus tatsächlichen Gründen ausgeschlossen oder wegen des damit verbundenen Aufwandes unzumutbar ist.
77Vgl. Bay. VGH, Urteil vom 19. September 2013, a. a. O., juris Rn. 37 ff. (Beanstandung der Seiten 300 – 600 eines Teletext-Angebotes war unverhältnismäßig, weil davon nur 136 Seiten problematisch waren); nachgehend BVerwG, Beschluss vom 23. Juli 2014, a. a. O.
78Da lediglich Teile der Internetseite www.media-bloed.de für einen Verstoß gegen § 5 Abs. 1 JMStV in Betracht kommen, wären eine Beanstandung oder eine Untersagung, die sich auf die gesamte Domain erstrecken, nicht erforderlich und damit rechtswidrig.
79Bei Auslegung unter Berücksichtigung des sonstigen Bescheidinhaltes, besonders der Begründung, sowie des Empfängerhorizontes des Klägers ist allerdings erkennbar, dass die Beanstandung und Untersagung sich nur auf Teile des Angebots www.media-bloed.de bezogen. Es bleibt für den Kläger aber unklar, wie die in Ziff. 1 und 2 enthaltenen Regelungen zu verstehen sind, was genau beanstandet und untersagt wird und wie er sich künftig zur Vermeidung weiterer Rechtsverstöße zu verhalten hat.
80Die Formulierungen „die problematischen Inhalte“ und „alle entwicklungsbeeinträchtigenden Inhalte“ in Ziff. 2 des Bescheids verdeutlichen, dass die Beklagte nicht sämtliche Bestandteile des Angebots des Klägers als entwicklungsbeeinträchtigend und gegen § 5 Abs. 1 JMStV verstoßend ansieht, da ansonsten eine „Möglichkeit, alle entwicklungsbeeinträchtigenden Inhalte von seinem Angebot zu entfernen“, nicht bestünde. Dieser Eindruck, dass die Beklagte nur bestimmte Teile des Angebots als Verstoß gegen § 5 JMStV ansieht und demzufolge beanstandet, wird durch die detaillierte Beschreibung der vier Bilddarstellungen von erheblich verletzten, verstümmelten, verbrannten oder mumifizierten menschlichen Körpern und Körperteilen mit Pfadbeschreibungen und spezifischen Zieladressen (URL) dieser vier Bilder auf S. 3 und 4 des Bescheides verstärkt. Dies spricht dafür, dass genau diese vier Bilder den von der Beklagten beanstandeten Verstoß gegen § 5 JMStV (und mittelbar auch gegen § 7 JMStV, weil allein aufgrund vorhandener entwicklungsbeeinträchtigender Inhalte die Pflicht zur Bestellung eines Jugendschutzbeauftragten entstehen kann) darstellen sollen. In dieser Richtung will auch die Beklagte ihren Bescheid nach ihrem Berufungsvorbringen verstanden wissen. Hiergegen spricht jedoch – neben der deutlich umfassender zu verstehenden Formulierung im Verfügungssatz von Ziff. 1 Sätze 1 und 2 –, dass die vier Bilddarstellungen von der Beklagten auf S. 3 des Bescheides „als Beispiele“ eines Verstoßes gegen § 5 Abs. 1 JMStV im Internetangebot des Klägers genannt werden. „Beispiele“ weisen jedoch auf einen über sie hinausgehenden Bezugsrahmen hin. Das spricht dafür, dass die Beklagte im Angebot www.media-bloed.de Verstöße gegen § 5 JMStV nur teilweise sieht, jedoch nicht im auf die vier angeführten Beispiele beschränkten Umfang. Der über diese Beispiele hinausgehende Umfang der Beanstandung (und ebenso der Untersagung bzw. der in Ziff. 2 aufgeführten Verpflichtungen betreffend die „problematischen Inhalte“ oder „entwicklungsbeeinträchtigenden Inhalte“) ist dann aber nicht hinreichend bestimmt im Sinne von § 37 Abs. 1 VwVfG NRW. Das Vorbringen des Klägers in der ersten Instanz verdeutlicht jedenfalls, dass auch für den Kläger nach seinem konkreten Adressatenhorizont klar war, dass nicht das gesamte Angebot beanstandet oder untersagt wurde, sondern dass es für ihn erkennbar um die Inhalte im Bereich der „Offensive für Kampfeinsätze der Bundeswehr in Afghanistan“ ging.
81Unklarheiten, was durch den Bescheid gefordert wird, ergeben sich auch daraus, dass der streitige Bescheid in der Begründung vielfältig den Begriff der „Darstellungen“ verwendet, ohne dies eindeutig nur auf bildliche Darstellungen zu beschränken. So führt die Beklagte auf S. 4 des Bescheides nach der Beschreibung der vier Bilder menschlicher Körper und Körperteile aus, das Angebot sei als entwicklungsbeeinträchtigend einzustufen, „da es Darstellungen enthält, die geeignet sind (...)“. Nachfolgend zitiert sie den auf der Startseite der Domain des Klägers lesbaren Begrüßungstext und beschreibt die sich darunter befindlichen zwei „Darstellungen“: Den Schriftzug „Das gibt‘s zum kotzen. Mediablöd. Wir sind doch nicht blind!“ sowie die Bildmontage mit Leichendarstellungen und der Überschrift „Mitmachen! Sofort!“. Nach anschließender Verwendung des Begriffs „Darstellung“ sowohl für Text- als auch für Bildinhalte gibt die Beklagte den langen Text auf der Unterseite zur „Offensive für Kampfeinsätze in Afghanistan“ wieder, der mit „Mach mit bei der Kampagne der Offensive für Kampfeinsätze…“ beginnt. Auch im anschließenden Text auf S. 5 des Bescheides verwendet die Beklagte mehrfach den Begriff „Darstellungen“ ohne Unterscheidung zwischen Bild- und Textinhalten. Hierdurch ist der von der Beklagten für ihre Sichtweise, die Beanstandung richte sich allein gegen die vier beschriebenen Bilder menschlicher Leichen oder Leichenteile, angeführte Text auf S. 6, 2. Absatz, des Bescheides („Die Beanstandung richtet sich ausschließlich gegen die oben beschriebenen Darstellungen...“) nicht so eindeutig, wie die Beklagte meint. „Oben beschrieben“ sind auch verschiedene von der Beklagten zitierte Textdarstellungen. Für das Verständnis der Beklagten wiederum spricht die Fortsetzung des eben teilweise wiedergegebenen Satzes („die oben beschriebenen Darstellungen, welche in ihrer Menge und der Möglichkeit der Vergrößerung nicht notwendig sind“). Die Möglichkeit der Vergrößerung weist auf die von der Beklagten beschriebenen vier Bilder hin, da die im Bescheid dargestellten Textstellen oder sonstigen bildlichen Gestaltungselemente soweit ersichtlich keine Möglichkeit der Vergrößerung aufwiesen.
82Selbst wenn man davon ausginge, die Beklagte habe nur die vier im Einzelnen beschriebenen Bilder menschlicher Körper und Körperteile, besonders mit der Möglichkeit der Vergrößerung, für „problematisch“ gehalten, reicht dies für die hinreichende Bestimmtheit im Sinne von § 37 Abs. 1 VwVfG NRW nicht aus. Die Beanstandung (sowie die Untersagung usw.) kann ihren Zweck, künftige Rechtsverstöße durch den Anbieter zu verhindern, nur dann erreichen, wenn für diesen hinreichend bestimmt ist, was er darf oder nicht darf.
83Es bleibt nach dem Bescheid aber unklar, ob es ausreicht, die Möglichkeit der Vergrößerung bei den vier Bildern zu entfernen, oder ob zusätzlich eines, zwei oder etwa alle vier Bilder zu entfernen sind, um dem Angebot den entwicklungsbeeinträchtigenden und damit gegen § 5 Abs. 1 JMStV verstoßenden Charakter zu nehmen und dabei zugleich die Ausübung der Meinungsfreiheit oder Kunstfreiheit des Klägers nach dem Grundgesetz nicht in unverhältnismäßiger Weise zu beschneiden. Da nach der Begründung des Bescheides der potentiell verstörende Charakter dieser Bilder zentral auf die Menge und die Möglichkeit der Vergrößerung dieser Bilddarstellungen gestützt wird, bleibt die Frage offen, wie viele Bilder – neben der Entfernung der Vergrößerungs-Option – entfernt werden müssen, damit keine „verstörende Menge“ an Bildern mehr vorliegt. Zugleich erzeugt der Bescheid nach dem Gesamteindruck aus Verfügungssatz und Begründung den Eindruck, als ob alle vier Bilder mit Vergrößerung-Option beanstandet und infolgedessen auch untersagt werden, bzw. für sie die Verpflichtung gemäß Ziff. 2 des Bescheides auf der Grundlage von § 5 Abs. 3 und 4 JMStV gelten soll. Diese Unklarheit bleibt unauflösbar. Dabei übersehen sowohl der Bescheid wie auch die Begründung des Verwaltungsgerichts den Umstand, dass in dem Teilbereich des Angebots www.media-bloed.de zur „Offensive für Kampfeinsätze der Bundeswehr in Afghanistan“ nicht vier, sondern fünf Bilder von menschlichen Körpern oder Körperteilen vorhanden sind. Noch vor dem mit „Mach mit bei der Kampagne (...)“ eingeleiteten Textblock findet sich das zu der Serie gehörende Bild, welches ausschnittsweise einen mit Hemd und Hose bekleideten menschlichen Körper mit erheblichen Verletzungen am Oberkörper und einem abgerissenen linken Bein mit überwiegend freiliegendem Oberschenkelknochen zeigt. Dessen fehlende Erwähnung im Bescheid führt zu keinem anderen Ergebnis. Hätte die Beklagte beanstanden und untersagen wollen, dass die über dieses Bild hinausgehenden vier Bilder nebst Vergrößerungsmöglichkeit gezeigt werden, und damit erlauben wollen, dieses eine Bild (mit oder ohne Vergrößerung) zu zeigen, hätte sie dies verdeutlichen müssen.
84b. Die dargestellte Unbestimmtheit erstreckt sich auch auf Ziff. 2 des Bescheides, soweit diese überhaupt eine eigenständige Regelung darstellt. Denn auch insofern bleibt offen, was der Kläger darf und was nicht bzw. was er tun soll, um zukünftig seine Verpflichtungen nach § 5 Abs. 1 i. V. m. Abs. 3 und 4 JMStV zu erfüllen. Die Verpflichtung gemäß § 5 Abs. 1, letzter Halbsatz JMStV, dafür Sorge zu tragen, dass Kinder oder Jugendliche (hier: unter 16 Jahren) „die problematischen Inhalte“ üblicherweise nicht wahrnehmen, kann sich jedoch nur auf den Umfang der Untersagung beziehen. Da dieser nach dem Vorstehenden nicht hinreichend bestimmt ist, bleibt auch Ziff. 2 des Bescheides unbestimmt.
85B. Die Berufung der Beklagten war zurückzuweisen. Das Verwaltungsgericht hat der Klage im Ergebnis zu Recht in Bezug auf Ziff. 4 und 5 des angegriffenen Bescheides der Beklagten stattgegeben. Diese Ziffern sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Das ergibt sich schon daraus, dass Ziff. 1 und 2 des angegriffenen Bescheides aufgehoben werden (siehe oben A.) und Ziff. 3 von der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht aufgehoben wurde. Ohne wirksame medienaufsichtliche Maßnahme fehlt es auch an den Voraussetzungen einer Kostenentscheidung sowie einer Gebührenfestsetzung zulasten des Klägers auf der Grundlage der von der Beklagten angeführten (oder einer sonstigen) Ermächtigungsgrundlage (§ 35 Abs. 11 RStV i. V. m. der RStV-Kostensatzung bzw. § 116 Abs. 2 LMG NRW i. V. m. der LfM-Gebührensatzung).
86C. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 154 Abs. 1, 161 Abs. 2 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 1 und Abs. 2 VwGO i. V. m. § 708 Nr. 10, § 711 Satz 1 und 2, § 709 Satz 2 ZPO.
87Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.
Gründe
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof
Aktenzeichen: 22 B 15.620
Im Namen des Volkes
Urteil
vom 22. Juli 2015
(VG Ansbach, Urteil vom 26. August 2014, Az.: AN 4 K 14.386)
22. Senat
Sachgebietsschlüssel: 421
Hauptpunkte: Zulassung zu einem Jahrmarkt; Erschöpfung des Kontingents für eine bestimmte Betriebsart; Auswahlverfahren bei Bewerberüberhang; Verpflichtung des kommunalen Veranstalters zu Neubescheidung; Zulässigkeit der Bescheidungsklage ohne gleichzeitige Anfechtung der Zulassung zumindest eines Konkurrenten; Übergang von der Bescheidungs- zur Fortsetzungsfeststellungsklage; berechtigtes Interesse; Wiederholungsgefahr; beabsichtigte Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen.
Rechtsquellen:
Leitsätze:
In der Verwaltungsstreitsache
...
gegen
Stadt F.,
vertreten durch den Oberbürgermeister, Rechtsamt, S.-Str. ..., F.,
- Beklagte -
wegen Zulassung zu einem Jahrmarkt;
hier: Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Ansbach
erlässt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, 22. Senat, durch den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgerichtshof Dr. Schenk, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Demling, den Richter am Verwaltungsgerichtshof Dr. Dietz aufgrund mündlicher Verhandlung vom 16. Juli 2015 am 22. Juli 2015 folgendes Urteil:
I.
Die Berufung wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass festgestellt wird, dass die Beklagte verpflichtet war, den Antrag des Klägers auf Zulassung zur Michaelis-Kirchweih 2014 mit seinem Ausschankbetrieb „F.“ unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.
II.
Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
III.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Entscheidungsgründe:
Rechtsmittelbelehrung
Tenor
Auf die Berufungen der Kläger werden die Urteile des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 28. Februar 2014 - 2 K 3238/12 und 2 K 3104/12 - geändert.
Der Bescheid der Beklagten vom 31. August 2011 und die Widerspruchsbescheide des Landratsamts Bodenseekreis vom 17. September 2012 werden aufgehoben.
Die Hinzuziehungen der Bevollmächtigten durch die Kläger im Vorverfahren werden für notwendig erklärt.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
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(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.
(2) Diese Rechte finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre.
(3) Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei. Die Freiheit der Lehre entbindet nicht von der Treue zur Verfassung.
(1) In folgenden Verfahren bestimmt sich der Wert nach § 3 der Zivilprozessordnung:
- 1.
über die Anordnung eines Arrests, zur Erwirkung eines Europäischen Beschlusses zur vorläufigen Kontenpfändung, wenn keine Festgebühren bestimmt sind, und auf Erlass einer einstweiligen Verfügung sowie im Verfahren über die Aufhebung, den Widerruf oder die Abänderung der genannten Entscheidungen, - 2.
über den Antrag auf Zulassung der Vollziehung einer vorläufigen oder sichernden Maßnahme des Schiedsgerichts, - 3.
auf Aufhebung oder Abänderung einer Entscheidung auf Zulassung der Vollziehung (§ 1041 der Zivilprozessordnung), - 4.
nach § 47 Absatz 5 des Energiewirtschaftsgesetzes über gerügte Rechtsverletzungen, der Wert beträgt höchstens 100 000 Euro, und - 5.
nach § 148 Absatz 1 und 2 des Aktiengesetzes; er darf jedoch ein Zehntel des Grundkapitals oder Stammkapitals des übertragenden oder formwechselnden Rechtsträgers oder, falls der übertragende oder formwechselnde Rechtsträger ein Grundkapital oder Stammkapital nicht hat, ein Zehntel des Vermögens dieses Rechtsträgers, höchstens jedoch 500 000 Euro, nur insoweit übersteigen, als die Bedeutung der Sache für die Parteien höher zu bewerten ist.
(2) In folgenden Verfahren bestimmt sich der Wert nach § 52 Absatz 1 und 2:
- 1.
über einen Antrag auf Erlass, Abänderung oder Aufhebung einer einstweiligen Anordnung nach § 123 der Verwaltungsgerichtsordnung oder § 114 der Finanzgerichtsordnung, - 2.
nach § 47 Absatz 6, § 80 Absatz 5 bis 8, § 80a Absatz 3 oder § 80b Absatz 2 und 3 der Verwaltungsgerichtsordnung, - 3.
nach § 69 Absatz 3, 5 der Finanzgerichtsordnung, - 4.
nach § 86b des Sozialgerichtsgesetzes und - 5.
nach § 50 Absatz 3 bis 5 des Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetzes.