Sozialgericht Speyer Urteil, 24. Okt. 2016 - S 16 R 995/14

ECLI:ECLI:DE:SGSPEYE:2016:1024.S16R995.14.0A
bei uns veröffentlicht am24.10.2016

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Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen ab dem 01.09.2013 im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs.

2

Der am … 1953 geborene Kläger führte am 04.04.2012 ein Beratungsgespräch mit einer Mitarbeiterin der Beklagten bezüglich der Frage, wann und wie er in Rente gehen kann. Zu diesem Zeitpunkt war bei dem Kläger ein Grad der Behinderung (GdB) von 30 anerkannt. Die Wartezeit von 35 Jahren nach § 50 Abs. 4 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) hatte er zu diesem Zeitpunkt bereits erfüllt.

3

Mit einem Bescheid vom 26.05.2014 wurde dem Kläger rückwirkend ab dem 27.06.2012 ein GdB von 50 und somit Schwerbehinderteneigenschaft zuerkannt.

4

Am 05.06.2014 stellte der Kläger einen Antrag auf Gewährung einer Altersrente für schwerbehinderte Menschen bei der Beklagten und teilte hierzu am selben Tag mit, dass er einen Rentenbeginn ab dem 01.09.2013 wünsche. Während der Beratung am 04.04.2012 sei er nicht darauf hingewiesen worden, dass er auf alle Fälle seine Altersrente zum 01.09.2013 beantragen müsse, auch wenn er „nicht die 50 % habe“.

5

Mit Bescheid vom 02.09.2014 bewilligte die Beklagte dem Kläger eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen ab dem 01.04.2014 in Höhe eines monatlichen Zahlbetrags von 756,90 Euro. Die Anspruchsvoraussetzungen seien ab dem 28.08.2013 erfüllt. Die Beklagte berücksichtigte wegen der vorzeitigen Inanspruchnahme der Altersrente einen Zugangsfaktor von 0,913.

6

Hiergegen erhob der Kläger mit Schreiben vom 25.09.2014 (Eingang 29.09.2014) Widerspruch. Zur Begründung trug er vor, dass auf seinen Wunsch, die Rente am 01.09.2013 beginnen zu lassen, nicht eingegangen worden sei.

7

Mit Widerspruchsbescheid vom 20.10.2014 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Der mit dem angefochtenen Bescheid festgestellte Rentenbeginn der Altersrente für schwerbehinderte Menschen sei nicht zu beanstanden. Ein Rentenbeginn zum 01.09.2013 komme nicht in Betracht, da der Antrag auf Gewährung einer Altersrente für schwerbehinderte Menschen erst am 05.06.2014 gestellt worden sei. Damit sei ein Rentenbeginn ab dem 01.09.2013 nach § 99 Abs. 1 SGB VI nicht möglich. Ein früherer Rentenbeginn komme auch nicht im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruches in Betracht. Hinweise auf einen Beratungsmangel bei der Auskunfts- und Beratungsstelle K. dergestalt, dass auf „naheliegende Gestaltungsmöglichkeiten“ nicht hingewiesen worden sei, ergäben sich im Falle des Klägers nicht. Naheliegend in diesem Sinne sei es nicht, bei einem vorliegenden GdB von 30 auf die Möglichkeit der Beantragung einer Altersrente für schwerbehinderte Menschen hinzuweisen, die einen GdB von mindestens 50 voraussetze. Im Zeitpunkt der Vorsprache am 04.04.2012 habe der Kläger noch keinen Verschlechterungsantrag gestellt gehabt. Der Antrag sei erst am 27.06.2012 gestellt worden. Eine Inanspruchnahme der Altersrente bereits ab dem 01.09.2013 würde zu einem Rentenabschlag von 10,8 % führen.

8

Der Kläger hat am 21.11.2014 Klage erhoben. Zur Begründung führt er aus, dass die Beklagte im Rahmen des Gesprächs vom 04.04.2012 pflichtwidrig unterlassen habe, dem Kläger mitzuteilen, dass er die Altersrente für schwerbehinderte Menschen auch schon dann beantragen könne, wenn er nur über einen GdB von 30 verfüge, sein Zustand sich aber in naher Zukunft verschlechtern würde. Entgegen der Rechtsauffassung der Beklagten sei es geboten gewesen, dem Kläger die Möglichkeit einer früheren Antragstellung schon im Beratungsgespräch am 04.04.2012 mitzuteilen, insbesondere auch deshalb, weil der Kläger der Mitarbeiterin der Beklagten in diesem Beratungsgespräch explizit mitgeteilt habe, dass sich sein Gesundheitszustand mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit in naher Zukunft verschlechtern und so zu einem GdB von 50 führen würde. Insofern sei es auch unerheblich, dass der Kläger – was zutreffe – im Zeitpunkt seiner Vorsprache noch keinen Verschlechterungsantrag gestellt habe, sondern erst am 27.06.2012. Als dem Kläger dann der Rentenbeginn ab dem 01.04.2014 mitgeteilt worden sei, habe er sich mit seiner Ehefrau erneut an eine Beraterin der Beklagten gewandt. Diese habe dem Kläger die Auskunft gegeben, dass er seinen Antrag auf Altersrente wegen Schwerbehinderung schon viel früher, nämlich schon zum 01.03.2013 hätte stellen müssen, damit seine Rentenbeginn zum 01.09.2013 hätte festgestellt werden können. Vor diesem Hintergrund sei der Klage auf Grund eines Auskunfts- und Beratungsfehlers der Beklagten vollumfänglich stattzugeben.

9

Der Kläger beantragt,

10

die Beklagte unter Abänderung des Bescheids vom 02.09.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.01.2014 zu verurteilen, dem Kläger eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen bereits ab dem 01.09.2013 zu gewähren.

11

Die Beklagte beantragt,

12

die Klage abzuweisen.

13

Zur Begründung verweist sie auf ihre Ausführungen im Widerspruchsbescheid.

14

Zur weiteren Darstellung des Tatbestands wird auf den Inhalt der Prozessakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten verwiesen. Er war Gegenstand der mündlichen Verhandlung, Beratung und Entscheidungsfindung.

Entscheidungsgründe

I.

15

Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage gem. § 54 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 i.V.m. Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft und auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben. Sie richtet sich gegen den Bescheid vom 02.09.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.10.2014 (§ 95 SGG), soweit hiermit die Gewährung einer Altersrente ab einem früheren Zeitpunkt als dem 01.04.2014 abgelehnt wird.

II.

16

Die Klage ist jedoch nicht begründet. Der Bescheid vom 02.09.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.10.2014 ist nicht zu Lasten des Klägers rechtswidrig, so dass dieser in seinen Rechten nicht verletzt ist. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Altersrente für schwerbehinderte Menschen ab dem 01.09.2013 oder ab einem anderen Zeitpunkt vor dem 01.04.2014.

17

1. Nach § 236a Abs. 1 Satz 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) haben Versicherte, die vor dem 01.01.1964 geboren sind, frühestens Anspruch auf Altersrente für schwerbehinderte Menschen, wenn sie das 63. Lebensjahr vollendet haben, bei Beginn der Altersrente als schwerbehinderte Menschen (§ 2 Abs. 2 Neuntes Buch SozialgesetzbuchSGB IX) anerkannt sind und die Wartezeit von 35 Jahren erfüllt haben. Gemäß § 236 Abs. 1 Satz 2 SGB VI ist die vorzeitige Inanspruchnahme dieser Rente frühestens nach Vollendung des 60. Lebensjahres möglich.

18

Nach § 236a Abs. 2 Satz 1 SGB VI haben Versicherte, die vor dem 01.01.1952 geboren sind, Anspruch auf Altersrente für schwerbehinderte Menschen nach Vollendung des 63. Lebensjahres. Die vorzeitige Inanspruchnahme dieser Rente ist für diesen Personenkreis nach Vollendung des 60. Lebensjahres möglich.

19

Nach § 236a Abs. 2 Satz 2 SGB VI wurde für Versicherte, die nach dem 31.12.1951 geboren sind, die Altersgrenze für den Anspruch auf Altersrente für schwerbehinderte Menschen und die Altersgrenze für die vorzeitige Inanspruchnahme dieser Rente angehoben. Für im Jahr 1953 geborene Versicherte ergibt sich demnach eine Altersgrenze für den Anspruch auf Altersrente für schwerbehinderte Menschen auf 63 Jahre und sieben Monate. Die Altersgrenze für die vorzeitige Inanspruchnahme der Rente liegt für 1953 Geborene bei 60 Jahren und sieben Monaten.

20

Gemäß § 99 Abs. 1 Satz 1 SGB VI wird eine Rente aus eigener Versicherung von dem Kalendermonat an geleistet, zu dessen Beginn die Anspruchsvoraussetzungen für die Rente erfüllt sind, wenn die Rente bis zum Ende des dritten Kalendermonats nach Ablauf des Monats beantragt wird, in dem die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind. Nach § 99 Abs. 1 Satz 2 SGB VI wird eine Rente aus eigener Versicherung bei späterer Antragstellung von dem Kalendermonat an geleistet, in dem die Rente beantragt wird.

21

2. Der Kläger erfüllte unabhängig von der Frage der rechtzeitigen Antragstellung die Anspruchsvoraussetzungen für die Gewährung einer Altersrente für schwerbehinderte Menschen erst ab dem Zeitpunkt der Bekanntgabe des Bescheids über die Zuerkennung der Schwerbehinderteneigenschaft (GdB 50) durch das Landesamt für Soziales, Jugend und Versorgung (LSJV) vom 26.05.2014. Er hatte zwar bereits vor dem 01.09.2013 die Wartezeit von 35 Jahren erfüllt und die für ihn maßgebliche Altersgrenze für die vorzeitige Inanspruchnahme für die Altersrente für schwerbehinderte Menschen von 60 Jahren und sieben Monaten erreicht. Er war jedoch zum Zeitpunkt eines Rentenbeginns am 01.09.2013 bzw. vor dem 01.04.2014 nicht als schwerbehinderter Mensch anerkannt.

22

Die Anspruchsvoraussetzung der Anerkennung als schwerbehinderter Mensch setzt zunächst voraus, dass eine Schwerbehinderung im Sinne des § 2 Abs. 2 SGB IX (GdB von wenigstens 50) durch die Versorgungsverwaltung nach § 69 Abs. 1 SGB IX oder im Falle des § 69 Abs. 2 SGB IX durch eine andere zuständige Stelle festgestellt sein muss (so auchO'Sullivan in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VI, 2. Aufl. 2013, § 236a SGB VI, Rn. 28;Uta Freudenberg in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VI, 2. Aufl. 2013, § 37 SGB VI, Rn. 25). Es besteht also kein Rentenanspruch, wenn die Schwerbehinderteneigenschaft zwar objektiv vorliegt, eine Verwaltungsentscheidung hierüber aber nicht ergangen ist (KassKomm/Gürtner SGB VI § 37 Rn. 5-7, beck-online).

23

Die Anerkennung als schwerbehinderter Mensch muss zum Zeitpunkt des (potenziellen) Rentenbeginns vorliegen. Dies ergibt sich aus dem Wortlaut des § 236a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VI. Hiernach setzt der Anspruch auf Altersrente für schwerbehinderte Menschen u.a. voraus, dass die schwerbehinderten Menschen „bei Beginn der Altersrente als schwerbehinderte Menschen (…) anerkannt sind“. Die Anspruchsvoraussetzung der Anerkennung der Schwerbehinderteneigenschaft selbst wird mit dem Zeitpunkt des Beginns der Rente verknüpft, nicht lediglich das (objektive) Vorliegen der Voraussetzungen für eine Anerkennung als schwerbehinderter Mensch in Verbindung mit einer nachträglichen Anerkennung der Schwerbehinderteneigenschaft.

24

Die entgegenstehende Rechtsauffassung des Bundessozialgerichts (BSG), nach der es für die Anerkennung der Schwerbehinderteneigenschaft nicht auf das Datum des Bescheids ankomme, sondern die Rückwirkung einer späteren Anerkennung ausreiche (BSG, Urteil vom 29.11.2007 – B 13 R 44/07 R –, Rn. 18), ist mit dem Gesetzeswortlaut insbesondere des § 99 Abs. 1 Satz 1 SGB VI nicht vereinbar. Denn nach § 99 Abs. 1 Satz 1 SGB VI wird eine Rente ausdrücklich „von dem Kalendermonat an geleistet, zu dessen Beginn die Anspruchsvoraussetzungen für die Rente erfüllt sind“. Wenn die Schwerbehinderteneigenschaft tatsächlich erst Monate nach dem angestrebten Rentenbeginn (rückwirkend) festgestellt wird, so wäre die Aussage, dass die Anspruchsvoraussetzung der Anerkennung der Schwerbehinderteneigenschaft bereits zum Beginn des Kalendermonats des angestrebten Rentenbeginns erfüllt gewesen sei, schlicht unwahr. Die Rechtsauffassung des BSG würde eine Rechtsnorm voraussetzen, die für den Anspruch aus Altersrente für schwerbehinderte Menschen nur das objektive Vorliegen der Voraussetzungen der Schwerbehinderteneigenschaft sowie eine zumindest rückwirkende Anerkennung durch die zuständige Behörde verlangte. Eine solche Rechtsnorm lässt sich anhand des einschlägigen Gesetzestextes aber nicht konstruieren.

25

Der Wortlaut eines Gesetzes steckt die äußersten Grenzen funktionell vertretbarer und verfassungsrechtlich zulässiger Sinnvarianten ab. Entscheidungen, die den Wortlaut einer Norm offensichtlich überspielen, sind unzulässig (Müller/Christensen, Juristische Methodik, Rn. 310, zum Ganzen Rn. 304 ff., 10. Auflage 2009). Die Bindung der Gerichte an das Gesetz folgt aus Art. 20 Abs. 3 und Art. 97 Abs. 1 Grundgesetz (GG). Dass die Gerichte dabei an den Gesetzestext (im Sinne des amtlichen Wortlauts bzw. Normtextes) gebunden sind, folgt aus dem Umstand, dass nur dieser Gesetzestext Ergebnis des von der Verfassung vorgegebenen parlamentarischen Gesetzgebungsverfahrens ist. Eine Überschreitung der Wortlautgrenze verstößt sowohl gegen das Gesetzesbindungsgebot als auch gegen das Gewaltenteilungsprinzip (vgl. SG Mainz, Urteil vom 25.07.2016 – S 3 KR 428/15 –, Rn. 90). Deshalb verstößt das BSG gegen Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 97 Abs. 1 GG, wenn es entgegen der §§ 99 Abs. 1 Satz 1, 236a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VI behauptet, dass es „(u)nerheblich (sei), dass die bescheidmäßige Anerkennung als schwerbehinderter Mensch nicht bereits im Zeitpunkt des Rentenbeginns (vorgelegen habe)“ (BSG, Urteil vom 29.11.2007 – B 13 R 44/07 R –, Rn. 18).

26

Im Falle des Klägers lag die Anerkennung der Schwerbehinderteneigenschaft weder zum Beginn des Kalendermonats des angestrebten Rentenbeginns ab September 2013 vor, noch zu einem späteren Zeitpunkt bis zum tatsächlichen Rentenbeginn am 01.04.2014. Die Anerkennung erfolgte erst mit Bescheid vom 26.05.2014. Die Voraussetzung des § 236a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB VI war somit zum Zeitpunkt des angestrebten Rentenbeginns noch nicht erfüllt. Der Kläger hat daher keinen Anspruch auf Gewährung einer Altersrente für schwerbehinderte Menschen für Zeiten vor dem 01.04.2014.

27

3. In Folge dessen, dass die materiellen Anspruchsvoraussetzungen für die Gewährung einer Altersrente für schwerbehinderte Menschen für Zeiten vor dem 01.04.2014 nicht erfüllt sind, kommt die Gewährung einer Rente auf Grund eines „sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs“ zur Überwindung einer verspäteten Antragstellung von vornherein nicht in Betracht. Deshalb ist nur ergänzend darauf hinzuweisen, dass die Konstruktion eines richterrechtlichen „sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs“ nach Auffassung der erkennenden Kammer wegen des hiermit notwendig einhergehenden Verstoßes sowohl gegen das Gesetzesbindungsgebot des Art. 20 Abs. 3 GG als auch gegen den Gesetzesvorbehalt des § 31 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) nicht zulässig ist (vgl. auch LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 22.01.2016 – L 4 R 1412/15 –, Rn. 34). Insbesondere sieht das Sozialgesetzbuch keine spezifischen Rechtsfolgen für Beratungsfehler der Sozialleistungsträger vor. Der Betroffene ist vielmehr auf den allgemeinen Amtshaftungsanspruch des § 839 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) in Verbindung mit Art. 34 Satz 1 GG verwiesen. Dieser Anspruch ist jedoch auf Schadenersatz gerichtet und nicht auf Gewährung einer Leistung, für die die Anspruchsvoraussetzungen nicht vorliegen.

28

Vor dem Hintergrund, dass im Falle des Klägers die Anspruchsvoraussetzungen für die Gewährung einer Altersrente für schwerbehinderte Menschen vor dem 01.04.2014 nicht erfüllt waren und die verspätete Antragstellung nicht vermittels eines „sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs“ überwunden werden kann, war vorliegend der Frage nicht weiter nachzugehen, ob im Beratungsgespräch vom 04.04.2012 tatsächlich ein Beratungsfehler unterlaufen ist, der den Kläger zur (vermeintlich) verspäteten Antragstellung bewogen haben könnte.

III.

29

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG. Sie entspricht dem Ausgang des Verfahrens.

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(1) Die Erfüllung der allgemeinen Wartezeit von fünf Jahren ist Voraussetzung für einen Anspruch auf

1.
Regelaltersrente,
2.
Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit und
3.
Rente wegen Todes.
Die allgemeine Wartezeit gilt als erfüllt für einen Anspruch auf
1.
Regelaltersrente, wenn der Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit oder eine Erziehungsrente bezogen hat,
2.
Hinterbliebenenrente, wenn der verstorbene Versicherte bis zum Tod eine Rente bezogen hat.

(2) Die Erfüllung der Wartezeit von 20 Jahren ist Voraussetzung für einen Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung an Versicherte, die die allgemeine Wartezeit vor Eintritt der vollen Erwerbsminderung nicht erfüllt haben.

(3) Die Erfüllung der Wartezeit von 25 Jahren ist Voraussetzung für einen Anspruch auf

1.
Altersrente für langjährig unter Tage beschäftigte Bergleute und
2.
Rente für Bergleute vom 50. Lebensjahr an.

(4) Die Erfüllung der Wartezeit von 35 Jahren ist Voraussetzung für einen Anspruch auf

1.
Altersrente für langjährig Versicherte und
2.
Altersrente für schwerbehinderte Menschen.

(5) Die Erfüllung der Wartezeit von 45 Jahren ist Voraussetzung für einen Anspruch auf Altersrente für besonders langjährig Versicherte.

(1) Eine Rente aus eigener Versicherung wird von dem Kalendermonat an geleistet, zu dessen Beginn die Anspruchsvoraussetzungen für die Rente erfüllt sind, wenn die Rente bis zum Ende des dritten Kalendermonats nach Ablauf des Monats beantragt wird, in dem die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind. Bei späterer Antragstellung wird eine Rente aus eigener Versicherung von dem Kalendermonat an geleistet, in dem die Rente beantragt wird.

(2) Eine Hinterbliebenenrente wird von dem Kalendermonat an geleistet, zu dessen Beginn die Anspruchsvoraussetzungen für die Rente erfüllt sind. Sie wird bereits vom Todestag an geleistet, wenn an den Versicherten eine Rente im Sterbemonat nicht zu leisten ist. Eine Hinterbliebenenrente wird nicht für mehr als zwölf Kalendermonate vor dem Monat, in dem die Rente beantragt wird, geleistet.

Hat ein Vorverfahren stattgefunden, so ist Gegenstand der Klage der ursprüngliche Verwaltungsakt in der Gestalt, die er durch den Widerspruchsbescheid gefunden hat.

(1) Versicherte, die vor dem 1. Januar 1964 geboren sind, haben frühestens Anspruch auf Altersrente für schwerbehinderte Menschen, wenn sie

1.
das 63. Lebensjahr vollendet haben,
2.
bei Beginn der Altersrente als schwerbehinderte Menschen (§ 2 Abs. 2 Neuntes Buch) anerkannt sind und
3.
die Wartezeit von 35 Jahren erfüllt haben.
Die vorzeitige Inanspruchnahme dieser Altersrente ist frühestens nach Vollendung des 60. Lebensjahres möglich.

(2) Versicherte, die vor dem 1. Januar 1952 geboren sind, haben Anspruch auf diese Altersrente nach Vollendung des 63. Lebensjahres; für sie ist die vorzeitige Inanspruchnahme nach Vollendung des 60. Lebensjahres möglich. Für Versicherte, die nach dem 31. Dezember 1951 geboren sind, werden die Altersgrenze von 63 Jahren und die Altersgrenze für die vorzeitige Inanspruchnahme wie folgt angehoben:

Versicherte Geburtsjahr GeburtsmonatAnhebung um Monateauf Altervorzeitige Inanspruchnahme möglich ab Alter
JahrMonatJahrMonat
1952
Januar1631601
Februar2632602
März3633603
April4634604
Mai5635605
Juni – Dezember6636606
19537637607
19548638608
19559639609
19561063106010
19571163116011
195812640610
195914642612
196016644614
196118646616
196220648618
19632264106110.

Für Versicherte, die
1.
am 1. Januar 2007 als schwerbehinderte Menschen (§ 2 Abs. 2 Neuntes Buch) anerkannt waren und
2.
entweder
a)
vor dem 1. Januar 1955 geboren sind und vor dem 1. Januar 2007 Altersteilzeitarbeit im Sinne der §§ 2 und 3 Abs. 1 Nr. 1 des Altersteilzeitgesetzes vereinbart haben
oder
b)
Anpassungsgeld für entlassene Arbeitnehmer des Bergbaus bezogen haben,
werden die Altersgrenzen nicht angehoben.

(3) Versicherte, die vor dem 1. Januar 1951 geboren sind, haben unter den Voraussetzungen nach Absatz 1 Satz 1 Nr. 1 und 3 auch Anspruch auf diese Altersrente, wenn sie bei Beginn der Altersrente berufsunfähig oder erwerbsunfähig nach dem am 31. Dezember 2000 geltenden Recht sind.

(4) Versicherte, die vor dem 17. November 1950 geboren sind und am 16. November 2000 schwerbehindert (§ 2 Abs. 2 Neuntes Buch), berufsunfähig oder erwerbsunfähig nach dem am 31. Dezember 2000 geltenden Recht waren, haben Anspruch auf diese Altersrente, wenn sie

1.
das 60. Lebensjahr vollendet haben,
2.
bei Beginn der Altersrente
a)
als schwerbehinderte Menschen (§ 2 Abs. 2 Neuntes Buch) anerkannt oder
b)
berufsunfähig oder erwerbsunfähig nach dem am 31. Dezember 2000 geltenden Recht sind und
3.
die Wartezeit von 35 Jahren erfüllt haben.

(1) Menschen mit Behinderungen sind Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können. Eine Beeinträchtigung nach Satz 1 liegt vor, wenn der Körper- und Gesundheitszustand von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht. Menschen sind von Behinderung bedroht, wenn eine Beeinträchtigung nach Satz 1 zu erwarten ist.

(2) Menschen sind im Sinne des Teils 3 schwerbehindert, wenn bei ihnen ein Grad der Behinderung von wenigstens 50 vorliegt und sie ihren Wohnsitz, ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder ihre Beschäftigung auf einem Arbeitsplatz im Sinne des § 156 rechtmäßig im Geltungsbereich dieses Gesetzbuches haben.

(3) Schwerbehinderten Menschen gleichgestellt werden sollen Menschen mit Behinderungen mit einem Grad der Behinderung von weniger als 50, aber wenigstens 30, bei denen die übrigen Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen, wenn sie infolge ihrer Behinderung ohne die Gleichstellung einen geeigneten Arbeitsplatz im Sinne des § 156 nicht erlangen oder nicht behalten können (gleichgestellte behinderte Menschen).

(1) Versicherte, die vor dem 1. Januar 1964 geboren sind, haben frühestens Anspruch auf Altersrente für langjährig Versicherte, wenn sie

1.
das 65. Lebensjahr vollendet und
2.
die Wartezeit von 35 Jahren erfüllt
haben. Die vorzeitige Inanspruchnahme dieser Altersrente ist nach Vollendung des 63. Lebensjahres möglich.

(2) Versicherte, die vor dem 1. Januar 1949 geboren sind, haben Anspruch auf diese Altersrente nach Vollendung des 65. Lebensjahres. Für Versicherte, die nach dem 31. Dezember 1948 geboren sind, wird die Altersgrenze von 65 Jahren wie folgt angehoben:

Versicherte
Geburtsjahr
Geburtsmonat
Anhebung
um Monate
auf Alter
JahrMonat
1949
Januar1651
Februar2652
März – Dezember3653
19504654
19515655
19526656
19537657
19548658
19559659
1956106510
1957116511
195812660
195914662
196016664
196118666
196220668
1963226610.

Für Versicherte, die
1.
vor dem 1. Januar 1955 geboren sind und vor dem 1. Januar 2007 Altersteilzeitarbeit im Sinne der §§ 2 und 3 Abs. 1 Nr. 1 des Altersteilzeitgesetzes vereinbart haben oder
2.
Anpassungsgeld für entlassene Arbeitnehmer des Bergbaus bezogen haben,
wird die Altersgrenze von 65 Jahren nicht angehoben.

(3) Für Versicherte, die

1.
nach dem 31. Dezember 1947 geboren sind und
2.
entweder
a)
vor dem 1. Januar 1955 geboren sind und vor dem 1. Januar 2007 Altersteilzeitarbeit im Sinne der §§ 2 und 3 Abs. 1 Nr. 1 des Altersteilzeitgesetzes vereinbart haben
oder
b)
Anpassungsgeld für entlassene Arbeitnehmer des Bergbaus bezogen haben,
bestimmt sich die Altersgrenze für die vorzeitige Inanspruchnahme wie folgt:
Versicherte
Geburtsjahr
Geburtsmonat
Vorzeitige
Inanspruchnahme
möglich ab Alter
JahrMonat
1948
Januar – Februar6211
März – April6210
Mai – Juni629
Juli – August628
September – Oktober627
November – Dezember626
1949
Januar – Februar625
März – April624
Mai – Juni623
Juli – August622
September – Oktober621
November – Dezember620
1950 – 1963620.

(1) Versicherte, die vor dem 1. Januar 1964 geboren sind, haben frühestens Anspruch auf Altersrente für schwerbehinderte Menschen, wenn sie

1.
das 63. Lebensjahr vollendet haben,
2.
bei Beginn der Altersrente als schwerbehinderte Menschen (§ 2 Abs. 2 Neuntes Buch) anerkannt sind und
3.
die Wartezeit von 35 Jahren erfüllt haben.
Die vorzeitige Inanspruchnahme dieser Altersrente ist frühestens nach Vollendung des 60. Lebensjahres möglich.

(2) Versicherte, die vor dem 1. Januar 1952 geboren sind, haben Anspruch auf diese Altersrente nach Vollendung des 63. Lebensjahres; für sie ist die vorzeitige Inanspruchnahme nach Vollendung des 60. Lebensjahres möglich. Für Versicherte, die nach dem 31. Dezember 1951 geboren sind, werden die Altersgrenze von 63 Jahren und die Altersgrenze für die vorzeitige Inanspruchnahme wie folgt angehoben:

Versicherte Geburtsjahr GeburtsmonatAnhebung um Monateauf Altervorzeitige Inanspruchnahme möglich ab Alter
JahrMonatJahrMonat
1952
Januar1631601
Februar2632602
März3633603
April4634604
Mai5635605
Juni – Dezember6636606
19537637607
19548638608
19559639609
19561063106010
19571163116011
195812640610
195914642612
196016644614
196118646616
196220648618
19632264106110.

Für Versicherte, die
1.
am 1. Januar 2007 als schwerbehinderte Menschen (§ 2 Abs. 2 Neuntes Buch) anerkannt waren und
2.
entweder
a)
vor dem 1. Januar 1955 geboren sind und vor dem 1. Januar 2007 Altersteilzeitarbeit im Sinne der §§ 2 und 3 Abs. 1 Nr. 1 des Altersteilzeitgesetzes vereinbart haben
oder
b)
Anpassungsgeld für entlassene Arbeitnehmer des Bergbaus bezogen haben,
werden die Altersgrenzen nicht angehoben.

(3) Versicherte, die vor dem 1. Januar 1951 geboren sind, haben unter den Voraussetzungen nach Absatz 1 Satz 1 Nr. 1 und 3 auch Anspruch auf diese Altersrente, wenn sie bei Beginn der Altersrente berufsunfähig oder erwerbsunfähig nach dem am 31. Dezember 2000 geltenden Recht sind.

(4) Versicherte, die vor dem 17. November 1950 geboren sind und am 16. November 2000 schwerbehindert (§ 2 Abs. 2 Neuntes Buch), berufsunfähig oder erwerbsunfähig nach dem am 31. Dezember 2000 geltenden Recht waren, haben Anspruch auf diese Altersrente, wenn sie

1.
das 60. Lebensjahr vollendet haben,
2.
bei Beginn der Altersrente
a)
als schwerbehinderte Menschen (§ 2 Abs. 2 Neuntes Buch) anerkannt oder
b)
berufsunfähig oder erwerbsunfähig nach dem am 31. Dezember 2000 geltenden Recht sind und
3.
die Wartezeit von 35 Jahren erfüllt haben.

(1) Eine Rente aus eigener Versicherung wird von dem Kalendermonat an geleistet, zu dessen Beginn die Anspruchsvoraussetzungen für die Rente erfüllt sind, wenn die Rente bis zum Ende des dritten Kalendermonats nach Ablauf des Monats beantragt wird, in dem die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind. Bei späterer Antragstellung wird eine Rente aus eigener Versicherung von dem Kalendermonat an geleistet, in dem die Rente beantragt wird.

(2) Eine Hinterbliebenenrente wird von dem Kalendermonat an geleistet, zu dessen Beginn die Anspruchsvoraussetzungen für die Rente erfüllt sind. Sie wird bereits vom Todestag an geleistet, wenn an den Versicherten eine Rente im Sterbemonat nicht zu leisten ist. Eine Hinterbliebenenrente wird nicht für mehr als zwölf Kalendermonate vor dem Monat, in dem die Rente beantragt wird, geleistet.

(1) Menschen mit Behinderungen sind Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können. Eine Beeinträchtigung nach Satz 1 liegt vor, wenn der Körper- und Gesundheitszustand von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht. Menschen sind von Behinderung bedroht, wenn eine Beeinträchtigung nach Satz 1 zu erwarten ist.

(2) Menschen sind im Sinne des Teils 3 schwerbehindert, wenn bei ihnen ein Grad der Behinderung von wenigstens 50 vorliegt und sie ihren Wohnsitz, ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder ihre Beschäftigung auf einem Arbeitsplatz im Sinne des § 156 rechtmäßig im Geltungsbereich dieses Gesetzbuches haben.

(3) Schwerbehinderten Menschen gleichgestellt werden sollen Menschen mit Behinderungen mit einem Grad der Behinderung von weniger als 50, aber wenigstens 30, bei denen die übrigen Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen, wenn sie infolge ihrer Behinderung ohne die Gleichstellung einen geeigneten Arbeitsplatz im Sinne des § 156 nicht erlangen oder nicht behalten können (gleichgestellte behinderte Menschen).

Haben Leistungsempfänger Krankengeld, Verletztengeld, Versorgungskrankengeld oder Übergangsgeld bezogen und wird im Anschluss daran eine Leistung zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben ausgeführt, so wird bei der Berechnung der diese Leistungen ergänzenden Leistung zum Lebensunterhalt von dem bisher zugrunde gelegten Arbeitsentgelt ausgegangen; es gilt die für den Rehabilitationsträger jeweils geltende Beitragsbemessungsgrenze.

Versicherte haben Anspruch auf Altersrente für schwerbehinderte Menschen, wenn sie

1.
das 65. Lebensjahr vollendet haben,
2.
bei Beginn der Altersrente als schwerbehinderte Menschen (§ 2 Abs. 2 Neuntes Buch) anerkannt sind und
3.
die Wartezeit von 35 Jahren erfüllt haben.
Die vorzeitige Inanspruchnahme dieser Altersrente ist nach Vollendung des 62. Lebensjahres möglich.

(1) Versicherte, die vor dem 1. Januar 1964 geboren sind, haben frühestens Anspruch auf Altersrente für schwerbehinderte Menschen, wenn sie

1.
das 63. Lebensjahr vollendet haben,
2.
bei Beginn der Altersrente als schwerbehinderte Menschen (§ 2 Abs. 2 Neuntes Buch) anerkannt sind und
3.
die Wartezeit von 35 Jahren erfüllt haben.
Die vorzeitige Inanspruchnahme dieser Altersrente ist frühestens nach Vollendung des 60. Lebensjahres möglich.

(2) Versicherte, die vor dem 1. Januar 1952 geboren sind, haben Anspruch auf diese Altersrente nach Vollendung des 63. Lebensjahres; für sie ist die vorzeitige Inanspruchnahme nach Vollendung des 60. Lebensjahres möglich. Für Versicherte, die nach dem 31. Dezember 1951 geboren sind, werden die Altersgrenze von 63 Jahren und die Altersgrenze für die vorzeitige Inanspruchnahme wie folgt angehoben:

Versicherte Geburtsjahr GeburtsmonatAnhebung um Monateauf Altervorzeitige Inanspruchnahme möglich ab Alter
JahrMonatJahrMonat
1952
Januar1631601
Februar2632602
März3633603
April4634604
Mai5635605
Juni – Dezember6636606
19537637607
19548638608
19559639609
19561063106010
19571163116011
195812640610
195914642612
196016644614
196118646616
196220648618
19632264106110.

Für Versicherte, die
1.
am 1. Januar 2007 als schwerbehinderte Menschen (§ 2 Abs. 2 Neuntes Buch) anerkannt waren und
2.
entweder
a)
vor dem 1. Januar 1955 geboren sind und vor dem 1. Januar 2007 Altersteilzeitarbeit im Sinne der §§ 2 und 3 Abs. 1 Nr. 1 des Altersteilzeitgesetzes vereinbart haben
oder
b)
Anpassungsgeld für entlassene Arbeitnehmer des Bergbaus bezogen haben,
werden die Altersgrenzen nicht angehoben.

(3) Versicherte, die vor dem 1. Januar 1951 geboren sind, haben unter den Voraussetzungen nach Absatz 1 Satz 1 Nr. 1 und 3 auch Anspruch auf diese Altersrente, wenn sie bei Beginn der Altersrente berufsunfähig oder erwerbsunfähig nach dem am 31. Dezember 2000 geltenden Recht sind.

(4) Versicherte, die vor dem 17. November 1950 geboren sind und am 16. November 2000 schwerbehindert (§ 2 Abs. 2 Neuntes Buch), berufsunfähig oder erwerbsunfähig nach dem am 31. Dezember 2000 geltenden Recht waren, haben Anspruch auf diese Altersrente, wenn sie

1.
das 60. Lebensjahr vollendet haben,
2.
bei Beginn der Altersrente
a)
als schwerbehinderte Menschen (§ 2 Abs. 2 Neuntes Buch) anerkannt oder
b)
berufsunfähig oder erwerbsunfähig nach dem am 31. Dezember 2000 geltenden Recht sind und
3.
die Wartezeit von 35 Jahren erfüllt haben.

(1) Eine Rente aus eigener Versicherung wird von dem Kalendermonat an geleistet, zu dessen Beginn die Anspruchsvoraussetzungen für die Rente erfüllt sind, wenn die Rente bis zum Ende des dritten Kalendermonats nach Ablauf des Monats beantragt wird, in dem die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind. Bei späterer Antragstellung wird eine Rente aus eigener Versicherung von dem Kalendermonat an geleistet, in dem die Rente beantragt wird.

(2) Eine Hinterbliebenenrente wird von dem Kalendermonat an geleistet, zu dessen Beginn die Anspruchsvoraussetzungen für die Rente erfüllt sind. Sie wird bereits vom Todestag an geleistet, wenn an den Versicherten eine Rente im Sterbemonat nicht zu leisten ist. Eine Hinterbliebenenrente wird nicht für mehr als zwölf Kalendermonate vor dem Monat, in dem die Rente beantragt wird, geleistet.

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Tenor

1. Der Bescheid vom 19.03.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28.07.2015 wird aufgehoben.

2. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger Krankengeld in gesetzlicher Höhe für den Zeitraum vom 14.03.2015 bis zum 22.06.2015 zu zahlen.

3. Die Beklagte hat dem Kläger dessen notwendige außergerichtliche Kosten zu erstatten.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt die Zahlung von Krankengeld für den Zeitraum vom 14.03.2015 bis zum 22.06.2015.

2

Der 1967 geborene Kläger ist bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Er war seit dem 01.11.2011 als Hausmeister beim DRK-Kreisverband B K sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Zum 31.12.2014 endete das Arbeitsverhältnis auf Grund eines Aufhebungsvertrages wegen anhaltender Arbeitsunfähigkeit des Klägers.

3

Seit dem 20.02.2014 war der Kläger arbeitsunfähig erkrankt. Maßgebliche Diagnosen waren Diabetes mellitus Typ 2 mit neurologischen Komplikationen (E11.40 G), diabetische Polyneuropathie (G63.2 G), Läsion des Nervus ulnaris (G56.2 G L) und Neuralgie (M79.23 G L), später auch Zervikalneuralgie (M54.2 G), lumbale Spinalkanalstenose, cervicale Bandscheibendegeneration und C8-Syndrom links.Eine entsprechende erste Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung sowie diverse Folgebescheinigungen und Auszahlscheine wurden durch den Facharzt für Chirurgie Dr. G ausgestellt. Weitere Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen stellten die Allgemeinmedizinerinnen Frau Dr. M (04.03.2014) und Frau Dr. G -A (10.03.2014) aus.

4

Bis zum 02.04.2014 erhielt der Kläger Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall von seinem Arbeitgeber.

5

Mit Schreiben vom 14.04.2014 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass sie ihm Krankengeld in Höhe von 319,12 Euro für die Zeit bis zum 10.04.2014 überwiesen habe. Das Schreiben war mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehen, nach der gegen diesen Bescheid Widerspruch erhoben werden könne. Weitere gleichartige Schreiben und entsprechende Überweisungen erfolgten bis März 2015 in ungefähr monatlichem Rhythmus. Zuletzt teilte die Beklagte mit Schreiben vom 19.03.2015 mit, dass sie für die Zeit bis zum 13.03.2015 einen Betrag von 1.059,50 Euro überwiesen habe.

6

In der Folgezeit stellte Dr. G weitere Bescheinigungen über die Arbeitsunfähigkeit des Klägers aus. Zuletzt bescheinigte er auf einem Auszahlschein vom 17.02.2015 die fortbestehende Arbeitsunfähigkeit voraussichtlich bis zum 13.03.2015. Als maßgebliche Diagnosen nannte er C8-Syndrom links, HWS-Degeneration und diabetische Polyneuropathie.

7

Auf einem weiteren Auszahlschein vom 18.03.2015 attestierte Dr. G erneut Arbeitsunfähigkeit auf Grund der Diagnosen lumbale Spinalkanalstenose, cervicale Bandscheibendegeneration, C8-Syndrom links und diabetische Polyneuropathie voraussichtlich bis zum 15.04.2015.

8

Mit Bescheid vom 19.03.2015 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass er ab dem 20.02.2014 arbeitsunfähig erkrankt sei. Das Beschäftigungsverhältnis des Klägers habe am 31.12.2014 geendet. Durch die Krankengeldzahlung bleibe seine Mitgliedschaft erhalten. Aktuell lägen als Nachweis für die Arbeitsunfähigkeit zwei Auszahlscheine von Dr. G vom 17.02.2015 (Zeitraum 17.02.2015 bis 13.03.2015) und vom 18.03.2015 (Zeitraum 18.03.2015 bis 15.04.2015) vor. Die ärztlich festgestellte Arbeitsunfähigkeit sei Voraussetzung für den Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall und für den Anspruch auf Krankengeld. Der Anspruch auf Krankengeld entstehe nach § 46 SGB V bei Krankenhausbehandlung von ihrem Beginn an bzw. im Übrigen von dem Tag an, der auf den Tag der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit folge. Die Mitgliedschaft nach § 192 SGB V bleibe erhalten, solange Anspruch auf Krankengeld bestehe. Am 17.02.2015 sei der Kläger von der Beklagten darüber informiert worden, dass seine Arbeitsunfähigkeit lückenlos bescheinigt sein müsse, da ansonsten die Mitgliedschaft, die durch die Zahlung von Krankengeld aufrechterhalten werde, ende. Im Falle des Klägers sei durch Dr. G ein Nachweis der Arbeitsunfähigkeit bis zum 13.03.2015 erbracht worden. Erst am 18.03.2015 sei die weitere Arbeitsunfähigkeit durch Dr. G ärztlich festgestellt worden. Hierdurch sei die Arbeitsunfähigkeit nicht lückenlos nachgewiesen. Dies habe zur Folge, dass der Anspruch auf Krankengeld nach § 46 SGB V und die Mitgliedschaft nach § 192 SGB V zum 13.03.2015 geendet hätten. Alleine der Tag der ärztlichen Feststellung sei für die Beurteilung des Anspruchs auf Krankengeld maßgebend. Aus diesen Gründen könne die Krankengeldzahlung bis zum 13.03.2015 erfolgen.

9

Hiergegen erhob der Kläger mit Schreiben vom 24.03.2015 (Eingang 25.03.2015) Widerspruch. Zur Begründung trug er vor, dass er wegen starkem Durchfall nicht habe zum Arzt gehen können. Der Arztbesuch wäre ihm frühestens am Montag, den 16.03.2015 möglich gewesen. Außerdem habe ihm eine Mitarbeiterin der Beklagten mitgeteilt, dass es ausreiche, wenn er sich die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung beim nächsten Arztbesuch am 18.03.2015 ausfüllen lassen würde. Der Kläger legte anlässlich des Widerspruchs eine ärztliche Bescheinigung von Dr. G vor, wonach der Kläger seit dem 20.02.2014 bis zum Datum der Ausstellung der Bescheinigung (26.03.2015) und voraussichtlich bis zum 15.05.2015 durchgehend arbeitsunfähig erkrankt sei.

10

Dr G stellte am 15.04.2015, 08.05.2015 und 29.05.2015 weitere Auszahlscheine bei im Wesentlichen gleichbleibenden Diagnosen aus, zuletzt ohne Angabe einer voraussichtlichen Dauer, aber mit Nennung des nächsten geplanten Praxisbesuchs am 26.06.2015.

11

Mit Bescheid vom 10.06.2015 bewilligte die Bundesagentur für Arbeit – Agentur für Arbeit Mainz – dem Kläger Arbeitslosengeld ab dem 16.04.2015 bis zum 16.01.2016. Am 02.07.2015 wurde der Kläger auf Veranlassung der Agentur für Arbeit sozialmedizinisch untersucht. Der Gutachter Dr. T kam hierbei zu dem Ergebnis, dass im Untersuchungszeitpunkt eine leichte vollschichtige Tätigkeit mit einigen qualitativen Einschränkungen möglich sei. Für die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Hausmeister bestehe „keine vollständige Eignung“. Von einer dauerhaften Leistungseinschränkung sei auszugehen.

12

Mit Widerspruchsbescheid vom 28.07.2015 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers unter Berufung auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zurück. Die BSG-Urteile vom 26.06.2007 (B 1 KR 2/07 R, B 1 KR 8/07 R, B 1 KR 37/06 R), vom 10.05.2012 (B 1 KR 19/11 R) und vom 04.03.2014 (B 1 KR 17/13 R) sagten aus, dass ein Entstehen des Krankengeldanspruchs davon abhänge, ob zum Zeitpunkt des Eintritts der Anspruchsvoraussetzungen eine Versicherung mit Anspruch auf Krankengeld bestehe. Außerdem werde ausgesagt, dass die Voraussetzungen des Anspruchs auf Krankengeld bei befristeter Feststellung der Arbeitsunfähigkeit für jeden Bewilligungsabschnitt erneut festgestellt werden müssten. Es sei nicht nach der Art der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (Erst- oder Folgebescheinigung) zu unterscheiden. Insbesondere im letzten Urteil des BSG werde darauf hingewiesen, dass die weitere Arbeitsunfähigkeit vor Ablauf jedes Krankengeldbewilligungsabschnittes erneut ärztliche festgestellt werden müsse und dafür eventuell der hausärztliche Notdienst in Anspruch zu nehmen wäre. Der Kläger gebe an, dass er am 13.03.2015 wegen starkem Durchfall nicht habe zum Arzt gehen können. Bis dahin sei auch die voraussichtliche Dauer der Arbeitsunfähigkeit bescheinigt worden. Obwohl die Problematik wegen der zunächst vorliegenden Arbeitsunfähigkeitslücke am 17.02.2015 bereits ausführlich mit dem Kläger besprochen worden sei, habe er nicht alles versucht, um die weitere Arbeitsunfähigkeit am 13.03.2015 lückenlos nachzuweisen. Dies hätte zum Beispiel durch einen Hausbesuch seines Hausarztes oder eines Notfallarztes erfolgen können. Somit habe ab dem 18.03.2015 grundsätzlich ein neuer Bewilligungsabschnitt vorgelegen. Nach § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V bleibe die Mitgliedschaft Versicherungspflichtiger solange erhalten, solange Anspruch auf Krankengeld bestehe. Der Anspruch habe mit der Krankmeldung vom 17.02.2015 am 13.03.2015 geendet. Der neue Anspruch auf Krankengeld entstehe am 19.03.2015. Da der Kläger jedoch zu diesem Zeitpunkt kein Mitglied mit Anspruch auf Krankengeld mehr gewesen sei, sei eine Krankengeldzahlung nicht möglich. Ein Anspruch auf Krankengeld nach § 19 SGB V bestehe nicht. Der Kläger sei seit dem 14.03.2015 freiwillig krankenversichert.

13

Der Kläger hat am 31.08.2015 die vorliegende Klage erhoben. Er wendet sich insbesondere gegen den Vorwurf, seine Arbeitsunfähigkeit sei nicht nachgewiesen. Der Kläger habe am Freitag, den 15.03.2015, nicht zum Arzt gehen können, da er unter starkem Durchfall gelitten habe. Er sei insulinpflichtig und müsse Metformin nehmen. Dieses Medikament führe zu akuten Durchfallerkrankungen. Er sei daher gar nicht in der Lage gewesen, vor dem Wochenende oder über das Wochenende zum Arzt zu gehen. Letztlich habe ein Arztbesuch dann am 18.03.2015 stattgefunden. Der Arztbesuch wäre frühestens am Montag, den 16.03.2015 möglich gewesen. Dies sei allerdings verhindert worden durch ein Gespräch mit einer Mitarbeiterin der Beklagten. Unabhängig davon, ob er einen früheren Arzttermin hätte erhalten können, sei die Vorgehensweise ausdrücklich von der Beklagtenseite gestattet worden. Es könne ihm nicht negativ ausgelegt werden, dass er sich an die Rücksprache mit Frau L (Mitarbeiterin der Beklagten) gehalten habe.

14

Der Kläger beantragt,

15

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 19.03.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.07.2015 zu verurteilen, dem Kläger Krankengeld für den Zeitraum vom 14.03.2015 bis zum 22.06.2015 in gesetzlicher Höhe zu zahlen.

16

Die Beklagte beantragt,

17

die Klage abzuweisen.

18

Zur Begründung verweist sie auf ihren Widerspruchsbescheid.

19

Zur weiteren Darstellung des Tatbestands wird auf den Inhalt der Prozessakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten verwiesen. Er war Gegenstand der mündlichen Verhandlung, Beratung und Entscheidungsfindung.

Entscheidungsgründe

I.

20

Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage gemäß § 54 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 i.V.m. Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft und auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben.

21

Die Klage richtet sich gegen den Bescheid vom 19.03.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28.07.2015. Streitgegenstand ist ein Anspruch des Klägers auf Krankengeld für den Zeitraum vom 14.03.2015 bis zum 22.06.2015.

22

Das Gericht konnte gemäß § 130 Abs. 1 Satz 1 SGG zur Leistung dem Grunde nach verurteilen. Nach dieser Regelung ist Voraussetzung für den Erlass eines Grundurteils, dass gemäß § 54 Abs. 4 SGG oder § 54 Abs. 5 SGG eine Leistung in Geld begehrt wird, auf die ein Rechtsanspruch besteht. Diese Voraussetzung ist bei dem streitgegenständlichen Anspruch auf Krankengeld aus § 44 SGB V erfüllt. Da der Kläger im vorliegenden Fall lediglich den Erlass eines Grundurteils beantragt hat, durfte das Gericht hierüber gemäß § 123 SGG nicht hinausgehen (Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, § 130 Rn. 2e, 11. Auflage 2014).

II.

23

Die Klage ist begründet.

24

Der Bescheid vom 19.03.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28.07.2015 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten.

25

Der Kläger hat dem Grunde nach einen Anspruch auf Zahlung von Krankengeld für den Zeitraum vom 14.03.2015 bis zum 22.06.2015 gegen die Beklagte.

26

Der Kläger kann die Zahlung von Krankengeld für den streitigen Zeitraum schon auf Grund einer wirksamen Dauerbewilligung von Krankengeld verlangen. Die unbefristete Dauerbewilligung ist zunächst bestandskräftig geworden und daher zwischen den Beteiligten bindend (1). In Folge der Rechtswidrigkeit des die Aufhebung der Leistungsbewilligung verfügenden Bescheids vom 19.03.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28.07.2015 und der hieraus resultierenden Aufhebung durch das vorliegende Urteil (2) entfaltet die Bewilligungsentscheidung weiterhin Wirksamkeit, so dass der Kläger die Zahlung von Krankengeld für den beantragten Zeitraum vom 14.03.2015 bis zum 22.06.2015 verlangen kann (3).

27

1. In der erstmaligen Auszahlung von Krankengeld an den Kläger durch Überweisung eines Betrags von 319,12 Euro für den Zeitraum vom 03.04.2014 bis zum 10.04.2014 (mitgeteilt mit Schreiben vom 14.04.2014) liegt ein Dauerverwaltungsakt, der die unbefristete Bewilligung von Krankengeld auch für die Folgezeit regelt (vgl. SG Speyer, Urteil vom 30.11.2015 – S 19 KR 160/15 – Rn. 32; alle Entscheidungen zitiert nach juris). Die Leistungsbewilligung ist durch die Leistungsauszahlung konkludent „auf andere Weise“ im Sinne des § 33 Abs. 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) erfolgt.

28

1.1 In Fällen, in denen die Krankenkasse keine förmliche Verwaltungsentscheidung erlassen hat, kommt in der für den Versicherten erkennbaren Auszahlung von Krankengeld zugleich auch dessen Bewilligung durch Verwaltungsakt zum Ausdruck.

29

Nach § 31 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalles auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist.

30

Die Auszahlung erfüllt die Voraussetzungen für einen Verwaltungsakt nach § 31 Satz 1 SGB X (so bereits BSG, Urteil vom 16.09.1986 – 3 RK 37/85 – Rn. 12 ff. unter Aufgabe der überkommenen Rechtsprechung zum „Schalterakt“). Der Auszahlung von Krankengeld geht außer in den Fällen eines behördlichen Versehens eine Entscheidung der Krankenkasse als Behörde (§ 1 Abs. 2 SGB X) voraus, der betroffenen Person Krankengeld zu leisten und hiermit in der Regel in Reaktion auf eine Antragstellung (§ 19 Satz 1 Viertes Buch SozialgesetzbuchSGB IV) – beispielsweise durch Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung – eine Entscheidung zur Regelung eines Einzelfalls zu treffen. Die Verfügung ist insofern auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet, als der betroffenen Person im Wege der Auszahlung die positive Entscheidung über den Anspruch auf Krankengeld mitgeteilt wird, sofern nicht zuvor bereits eine förmliche Mitteilung hierüber erfolgt ist.

31

Mit der Auszahlung bzw. Überweisung des Krankengeldes an den Versicherten erfolgt eine ausreichende Bekanntgabe dieser Entscheidung (§ 37 SGB X). Der Verwaltungsakt wird somit auf andere Weise – durch konkludentes Handeln – erlassen (§ 33 Abs. 2 SGB X; BSG, Urteil vom 16.09.1986 – 3 RK 37/85 – Rn. 15).

32

1.2 Derartige Krankengeldauszahlungen sind entgegen der vom BSG erstmals im Urteil vom 16.09.1986 (3 RK 37/85) vertretenen Auffassung regelmäßig nicht als befristete oder „abschnittsweise“ Bewilligungsentscheidungen auszulegen (vgl. eingehend SG Speyer, Urteil vom 30.11.2015 – S 19 KR 160/15 – Rn. 37 ff.).

33

1.2.1 Nachdem die frühere Rechtsprechung des BSG noch davon ausging, dass die Auszahlung von Krankengeld als solche keinen Verwaltungsakt darstelle (vgl. BSG, Urteil vom 23.11.1966 – 3 KR 86/63 – Rn. 20 ff.), begann das BSG mit dem Urteil vom 16.09.1986, die Krankengeldauszahlung als konkludent verfügten, befristeten Bewilligungsverwaltungsakt auszulegen (BSG, Urteil vom 16.09.1986 – 3 RK 37/85 – Rn. 12 ff.). Hierbei wurde die eigentlich nur für die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall (vgl. § 3 Abs. 1 Satz 1 Lohnfortzahlungsgesetz – LFZG – i.d.F. vom 27.07.1969; § 5 Abs. 1 Satz 1 Entgeltfortzahlungsgesetz – EFZG –) erforderliche ärztliche Prognose der Dauer der Arbeitsunfähigkeit als wesentlicher Bezugspunkt für die Inhaltsbestimmung eines Verwaltungsaktes herangezogen. Das BSG hatte sich dabei an der Praxis der Ausstellung von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen für einen bestimmten Zeitraum orientiert und war davon ausgegangen, dass Krankenkassen in der Regel Krankengeld für einen auf diese Weise bescheinigten Zeitraum zahlen und konkludent bewilligen (vgl. BSG, Urteil vom 16.09.1986 – 3 RK 37/85 – Rn. 18). Das BSG stützte die Interpretation, dass mit der Krankengeldauszahlung die Leistung konkludent nur für eine bestimmte Zeit bewilligt worden sein könnte, darauf, dass der Arzt den Versicherten regelmäßig nur für eine bestimmte Zeit arbeitsunfähig “schreibt“ (BSG, Urteil vom 16.09.1986 – 3 RK 37/85 – Rn. 18).

34

Ungeprüft blieb jedoch in dieser und allen späteren Entscheidung des BSG (BSG, Urteil vom 08.02.2000 – B 1 KR 11/99 R – Rn. 12; Urteil vom 13.07.2004 – B 1 KR 39/02 R – Rn. 15; Urteil vom 22.03.2005 – B 1 KR 22/04 R – Rn. 29; Urteil vom 10.05.2012 – B 1 KR 20/11 R – Rn. 13 f.; Urteil vom 16.12.2014 – B 1 KR 31/13 R – Rn. 10; Urteil vom 16.12.2014 – B 1 KR 35/14 R – Rn. 15 ff., hier insbesondere Rn. 24) die Frage, ob und unter welchen Maßgaben eine Krankenkasse überhaupt berechtigt wäre, die Gewährung von Krankengeld, auf das bei Vorliegen der Voraussetzungen ein Anspruch besteht (§ 38 Erstes Buch SozialgesetzbuchSGB I), mit einer Nebenbestimmung im Sinne einer Befristung zu verbinden (§ 32 Abs. 1 SGB X; darauf hinweisend schon SG Speyer, Urteil vom 30.11.2015 – S 19 KR 160/15 – Rn. 41). Vielmehr unterstellt das BSG, dass die Krankenkassen in der Regel Krankengeld für einen bestimmten (Abrechnungs-) Zeitraum gewähren(BSG, Urteil vom 16.09.1986 – 3 RK 37/85 – Rn. 16). Das BSG belegt diese These in tatsächlicher Hinsicht jedoch nicht. Angesichts der verbreiteten Krankenkassenpraxis, keine schriftlichen Verwaltungsakte zu erlassen, dürfte dies auch kaum möglich gewesen sein.

35

1.2.2 Wenn ein Versicherter bei der Krankenkasse Krankengeld beantragt hat, eine förmliche Entscheidung hierüber zwar nicht ergeht, er aber nach einiger Zeit eine erste Zahlung erhält, kann der Versicherte dem Handeln der Krankenkasse zunächst entnehmen, dass er tatsächlich einen bestimmten Betrag erhalten hat, möglicherweise anhand des Überweisungsträgers auch noch, für welchen Zeitraum die Zahlung erfolgt. Als zu Grunde liegende Entscheidung der Krankenkasse kann er dieser Auszahlung zugleich entnehmen, dass die Krankenkasse seinen Anspruch auf Krankengeld offenbar positiv verbeschieden hat. Hierin liegt die Bewilligung von Krankengeld (SG Speyer, Urteil vom 30.11.2015 – S 19 KR 160/15 – Rn. 43). Bei dem Krankengeld nach dem Fünften Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) handelt es sich materiell-rechtlich um eine in Zeiteinheiten bemessene Leistung (§ 47 Abs. 1 Satz 6 SGB V: „Das Krankengeld wird für Kalendertage gezahlt.“). Aus diesem Grund wäre ein Krankengeld bewilligender Verwaltungsakt nicht hinreichend bestimmt im Sinne des § 33 Abs. 1 SGB X, wenn der Umfang der zeitlichen Geltung unklar bliebe.

36

Um zu bestimmen, welchen Inhalt ein solcher durch schlüssiges Verhalten in Kraft gesetzter Verwaltungsakt hinsichtlich seiner zeitlichen Wirkung hat, muss zunächst untersucht werden, welche Möglichkeiten des Handelns der Behörde rechtlich und tatsächlich zur Verfügung stehen. Rein tatsächlich haben Krankenkassen verschiedene Möglichkeiten, über den Zeitraum der Gewährung von Krankengeld zu entscheiden. Die Krankenkasse kann

37

- Krankengeld ab einem bestimmten Zeitpunkt ohne zeitliche Einschränkung bewilligen (unbefristete Bewilligung),
- Krankengeld ab einem bestimmten Zeitpunkt bis zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Zukunft bewilligen (befristete Bewilligung) oder
- Krankengeld für einen abgeschlossenen Zeitraum in der Vergangenheit bewilligen (befristete oder endgültig abgeschlossene Bewilligung).

38

Die reine Auszahlung von Krankengeld für einen bestimmten Zeitraum, der entweder (beispielsweise im Überweisungsformular) ausdrücklich genannt wird oder sich aus dem überwiesenen Geldbetrag errechnen lässt, kann darüber hinaus entweder so ausgelegt werden, dass eine Leistungsbewilligung nur für einen bestimmten oder bestimmbaren Zeitraum erfolgen sollte, oder dass die Leistungsbewilligung ohne zeitliche Einschränkung erfolgen und auf dieser Bewilligungsentscheidung beruhend lediglich eine abschnittsweise Auszahlung erfolgen sollte.

39

Richtigerweise ist bei der Auslegung einer (nur) konkludenten Bewilligungsentscheidung davon auszugehen, dass die Behörde – sofern möglich – eine rechtlich zulässige Entscheidung getroffen hat, wenn sich nicht mit hinreichender Klarheit etwas Gegenteiliges ergibt. Eine Auslegung, die zu einem rechtlich unzulässigen Inhalt des Bewilligungsbescheides führt, ist im Zweifel, das heißt, wenn eine rechtmäßige Auslegungsalternative besteht, nicht die Richtige (BSG, Urteil vom 28.06.1990 – 4 RA 57/89 – Rn. 31).

40

a) Rechtlich zulässig ist ohne weiteres eine Entscheidung der Krankenkasse, Krankengeld ohne zeitliche Begrenzung zu bewilligen, sofern alle Anspruchsvoraussetzungen im Entscheidungszeitpunkt gegeben sind. Eine solche Entscheidung entspricht der Regelung des § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB V und enthält keine Nebenbestimmung, die den zusätzlichen Anforderungen des § 32 SGB X genügen müsste.

41

b) Regelmäßig rechtswidrig ist hingegen die Befristung der Krankengeldbewilligung im Sinne des § 32 Abs. 2 Nr. 1 SGB X bis zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Zukunft.

42

Die Befristung der Bewilligung von Krankengeld ist nach Maßgabe der anzuwendenden gesetzlichen Regelungen grundsätzlich nicht zulässig. Denn gemäß § 32 Abs. 1 SGB X darf ein Verwaltungsakt, auf den ein Anspruch besteht, mit einer Nebenbestimmung nur versehen werden, wenn diese durch Rechtsvorschrift zugelassen ist, oder wenn sie sicherstellen soll, dass die gesetzlichen Voraussetzungen des Verwaltungsaktes erfüllt werden. Die Gewährung von Krankengeld steht bei Vorliegen der gesetzlichen Tatbestandsvoraussetzungen der §§ 44 ff. SGB V nicht im Ermessen der Krankenkasse, ist also eine gebundene Entscheidung im Sinne des § 38 SGB I. Eine der beiden Alternativen des § 32 Abs. 1 SGB X (Ermächtigung oder Sicherstellungsfunktion) müsste daher erfüllt sein, damit eine Nebenbestimmung zur Krankengeldbewilligung zulässig wäre. In den einschlägigen Vorschriften des SGB V findet sich, anders als in anderen Leistungsgesetzen, die laufende Geldleistungen vorsehen (vgl. etwa § 102 Abs. 2 bis 4 SGB VI, § 41 Abs. 1 Sätze 4 und 5 SGB II, § 44 Abs. 3 Satz 1 SGB XII), keine Rechtsvorschrift im Sinne des § 32 Abs. 1 1. Alt. SGB X, die eine Befristung zuließe. Die Vorschrift des § 48 Abs. 1 SGB V enthält keine gesetzlich vorgesehene Befristungsmöglichkeit im Sinne des § 32 Abs. 1 1. Alt. SGB X, sondern legt die materiell-rechtlich mögliche Leistungshöchstdauer fest. Ein bloßer Hinweis hierauf wäre daher ebenfalls keine Befristung der Leistung, sondern hätte lediglich deklaratorische Wirkung (so schon SG Speyer, Urteil vom 30.11.2015 – S 19 KR 160/15 – Rn. 44).

43

Ob anlässlich der Bewilligung von Krankengeld Nebenbestimmungen denkbar sind, die im Sinne des § 32 Abs. 1 2. Alt. SGB X sicherstellen, dass die gesetzlichen Voraussetzungen des Verwaltungsaktes erfüllt werden, ist äußerst zweifelhaft. § 32 Abs. 1 2. Alt. SGB X räumt die Möglichkeit einer Nebenbestimmung ausdrücklich nur ein, wenn diese sicherstellen soll, dass die gesetzlichen Voraussetzungen des Verwaltungsaktes erfüllt „werden“, nicht jedoch zu dem Zweck, das Fortbestehen der gesetzlichen Voraussetzungen zu überprüfen (oder gar zu beseitigen, worauf das Konstrukt der „abschnittsweisen Bewilligung“ des 1. Senats des BSG hinausläuft). Im Fall einer Krankengeldbewilligung kann jedenfalls eine Befristung erkennbar nicht der Sicherstellung der gesetzlichen Voraussetzungen für den Krankengeldanspruch (in der Regel das Fortbestehen der Arbeitsunfähigkeit) dienen. Ziel und Zweck der Befristung der Krankengeldbewilligung wäre wohl allein die Vermeidung des nach § 48 SGB X vorgesehenen Verfahrens zur Aufhebung der Bewilligungsentscheidung bei Änderung der Verhältnisse und der hiermit verbundenen Beschränkungen des § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X bei rückwirkender Aufhebung. Eine Überprüfung hinsichtlich des weiteren Vorliegens der Voraussetzungen und erforderlichenfalls eine Korrektur der Entscheidung ist jedoch auch in diesem gesetzlich vorgesehenen Verfahren möglich und muss daher nicht durch eine Befristung sichergestellt werden (so bereits SG Speyer, Urteil vom 30.11.2015 – S 19 KR 160/15 – Rn. 45 f.).

44

c) Eine Entscheidung der Krankenkasse, Krankengeld für einen abgeschlossenen Zeitraum in der Vergangenheit zu bewilligen, ist dann rechtmäßig, wenn die Anspruchsvoraussetzungen für die Gewährung von Krankengeld zum Ende des Zeitraums nicht mehr vorgelegen haben. In einem solchen Fall handelt es sich bei der Festlegung des Bewilligungszeitraums um eine Inhaltsbestimmung der Hauptverfügung des Verwaltungsakts (zum Begriff vgl. Korte, NZS 2014, S. 857 f.), nicht um eine Nebenbestimmung, deren Rechtmäßigkeit an § 32 SGB X zu messen wäre.

45

Bewilligt die Krankenkasse hingegen Krankengeld für einen abgeschlossenen Zeitraum in der Vergangenheit, obwohl die Anspruchsvoraussetzungen über den Endzeitpunkt hinaus vorliegen, handelt sie rechtswidrig, unabhängig davon, ob auch hierin eine (unzulässige) Befristung im Sinne des § 32 Abs. 2 Nr. 1 SGB X gesehen werden kann. Denn sofern der gemäß § 19 Satz 1 SGB IV erforderliche Antrag des Versicherten nicht von vornherein auf eine zeitlich begrenzte Leistungsgewährung gerichtet ist, bedeutet die Bewilligung nur eines Teils der beantragten und zustehenden Leistung eine rechtswidrige Ablehnung des Leistungsantrags im Übrigen. Selbst wenn hiermit ausdrücklich oder nach dem Willen der Behörde nur eine vorläufige Begrenzung der Bewilligungsentscheidung vorgenommen werden soll, wäre eine solche Entscheidung rechtswidrig. Denn die Behörde hat gemäß § 8 SGB X das Verwaltungsverfahren grundsätzlich mit einem Verwaltungsakt abzuschließen und ist nicht dazu befugt, das Verfahren vorzeitig oder nur vorläufig zu beenden (vgl. Lang in: Diering/Timme/Waschull, SGB X, § 8 Rn. 18, 3. Auflage 2011). Relevante Umstände hat der Leistungsträger grundsätzlich abschließend festzustellen. Der Amtsermittlungsgrundsatz (§ 20 Abs. 1, Abs. 2 SGB X) zwingt ihn zur vollständigen und abschließenden Sachverhaltsermittlung einschließlich Beweiserhebung und -würdigung (Korte, NZS 2014, S. 856). Wenn die Anspruchsvoraussetzungen für die Gewährung von Krankengeld zum Entscheidungszeitpunkt noch vorliegen, ist die Krankenkasse demnach dazu verpflichtet, Krankengeld unbefristet zu bewilligen.

46

Wenn die Krankenkasse bei der rückwirkenden Bewilligungsentscheidung bis zu einem bestimmten Tag in der Vergangenheit unzutreffend davon ausgeht, dass die Anspruchsvoraussetzungen über diesen Endzeitpunkt hinaus nicht mehr vorliegen, handelt es sich ebenfalls um eine rechtswidrige Ablehnungsentscheidung im Übrigen.

47

d) Vor diesem Hintergrund ist entgegen der Rechtsauffassung des BSG grundsätzlich davon auszugehen, dass mit der Auszahlung eines Krankengeldbetrages ohne vorherige förmliche Bescheidung eine unbefristete Bewilligung von Krankengeld bekanntgegeben wird, weil diese bei Fortbestehen der Anspruchsvoraussetzungen regelmäßig die einzige rechtmäßige Entscheidungsmöglichkeit der Krankenkasse darstellt.

48

Gegen die Unterstellung befristeter Krankengeldbewilligungen spricht zudem, dass Nebenbestimmungen wie eine Befristung oder eine auflösende Bedingung wegen der rechtlichen Konsequenz einer Beendigung der Wirksamkeit durch Erledigung des Verwaltungsaktes – ohne klarstellenden „actus contrarius“ – so bestimmt wie möglich, verständlich und widerspruchsfrei verfügt sein müssten (vgl. Korte, NZS 2014, S. 853; Burkiczak in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, § 32 Rn. 13 m.w.N.), bei einer gebundenen Entscheidung nur ausnahmsweise zulässig sind und ihrerseits eine Ermessensbetätigung der Behörde erfordern (SG Speyer, Urteil vom 30.11.2015 – S 19 KR 160/15 – Rn. 43).

49

1.3 Im vorliegenden Fall erfolgte keine „abschnittsweise“ bzw. befristete Krankengeldbewilligung. Die Bewilligung von Krankengeld nur für einen bestimmten Zeitabschnitt könnte im Einzelfall nur angenommen werden, wenn in der konkreten Bewilligungsentscheidung eine entsprechende Befristung der Leistung auch tatsächlich – zwar rechtswidrig, aber wirksam und ggf. bestandskräftig – erfolgt wäre.

50

Vorliegend fehlt es an einer solchen Entscheidung.Das Schreiben vom 14.04.2014 und ebenso die im Wesentlichen gleichlautenden Mitteilungen der Beklagten in der Folgezeit enthalten eine derartige Befristung nicht. Ein Verfügungssatz über die Bewilligung von Krankengeld ist in den Schreiben nicht enthalten. Es wird lediglich mitgeteilt, dass Krankengeld für einen bestimmten Zeitraum ausgezahlt wurde. Für den Empfänger eines solchen Schreibens ist anhand der verwendeten Formulierung nicht erkennbar, dass hiermit eine Befristung der (konkludenten) Krankengeldbewilligung erfolgt sein könnte (vgl. SG Mainz, Urteil vom 21.03.2016 – S 3 KR 255/14 – Rn. 71).

51

Demnach ist im vorliegenden Fall von einer konkludenten, unbefristeten Bewilligung von Krankengeld durch Auszahlung der Leistung auszugehen, die die Gewährung von Krankengeld für die Folgezeit bis auf weiteres beinhaltet. Diese Bewilligungsentscheidung ist bestandskräftig geworden und daher zwischen den Beteiligten bindend (§ 77 SGG).

52

2. Diese konkludent verfügte Krankengeldbewilligung ist durch den Bescheid vom 19.03.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28.07.2015 nicht rechtmäßig aufgehoben worden.

53

Der angefochtene Bescheid vom 19.03.2015 lässt sich als Aufhebungsverfügung gegenüber der konkludenten Bewilligungsentscheidung interpretieren. Obwohl die Beklagte unzutreffend davon ausging, dass es einer Aufhebungsentscheidung vorliegend nicht bedurfte, hat sie insbesondere mit den Formulierungen: „Dies hat zur Folge, dass Ihr Anspruch auf Krankengeld nach § 46 SGB V und Ihre Mitgliedschaft nach § 192 SGB V zum 13.03.2015 geendet haben“ und „Aus diesen Gründen kann die Krankengeldzahlung bis 13.03.2015 erfolgen“ hinreichend deutlich zum Ausdruck gebracht, dass an der Krankengeldbewilligung ab dem 14.03.2015 nicht mehr festgehalten wird. Der Verwaltungsakt ist in diesem Sinne hinreichend bestimmt (§ 33 Abs. 1 SGB X).

54

Die Aufhebungsentscheidung ist allerdings rechtswidrig, weil die Voraussetzungen für eine Aufhebung der Bewilligungsentscheidung sowohl für die Zukunft (§ 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X) als auch für die Vergangenheit (§ 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X) nicht vorlagen. Offenbleiben kann vor diesem Hintergrund, ob die vor Erlass des Bescheids unterbliebene Anhörung nach § 24 Abs. 1 SGB X im Rahmen des Widerspruchsverfahrens nachgeholt und der Verfahrensfehler somit nach § 41 Abs. 1 Nr. 3 SGB X geheilt wurde.

55

Gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung (2.1) mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei Erlass des Verwaltungsakts vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung (2.2) eintritt. Nach § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X soll der Verwaltungsakt mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit

56

1. die Änderung zugunsten des Betroffenen erfolgt,
2. der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich
oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist,
3. nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde, oder
4. der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist (2.3).

57

2.1 Bei der unbefristeten Bewilligung von Krankengeld handelt es sich um einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung im Sinne des § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X (vgl. zuletzt SG Speyer, Urteil vom 11.07.2016 – S 19 KR 369/14 – Rn. 27 f.).

58

Ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung liegt vor, wenn der Verwaltungsakt in rechtlicher Hinsicht über den Zeitpunkt seiner Bekanntgabe bzw. Bindungswirkung hinaus Wirkungen erzeugt, das heißt, wenn er nicht nur ein einmaliges Ge- oder Verbot oder eine einmalige Gestaltung der Rechtslage regelt, sondern ein auf Dauer berechnetes oder in seinem Bestand vom Verwaltungsakt abhängiges Rechtsverhältnis begründet oder inhaltlich verändert (Brandenburg in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, § 48 SGB X, Rn. 51; BSG, Urteil vom 16.02.1984 – 1 RA 15/83 – Rn. 23).

59

Im Falle der unbefristeten Bewilligung von Krankengeld erstreckt sich die Regelungswirkung des Verwaltungsakts über den Zeitpunkt der Bekanntgabe hinaus, weil der Begünstigte auf Grundlage der Bewilligungsentscheidung weitere Zahlungen von der Krankenkasse verlangen kann, solange der Verwaltungsakt wirksam ist.

60

2.2 Die Voraussetzungen für eine (rückwirkende) Aufhebung der Bewilligungsentscheidung sind vorliegend bereits deshalb nicht erfüllt, weil eine wesentliche Änderung der Sach- und Rechtslage zum 14.03.2015 bzw. zum Zeitpunkt der Bekanntgabe der Aufhebungsverfügung nicht nachgewiesen werden kann. Wesentlich im Sinne des § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X sind alle Änderungen, die dazu führen, dass die Behörde unter den nunmehr objektiv vorliegenden Verhältnissen den Verwaltungsakt nicht hätte erlassen dürfen (BSG, Urteil vom 06.11.1985 – 10 RKg 3/84 – Rn. 11). Maßgeblicher Vergleichszeitpunkt im Hinblick auf den Eintritt der Änderung ist der Zeitpunkt der Bekanntgabe des Ausgangsverwaltungsaktes (vgl. Brandenburg in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, § 48 SGB X, Rn. 65), hier also der Zeitpunkt der Entgegennahme der ersten Krankengeldüberweisung.

61

Soweit die Beklagte die Bewilligungsentscheidung rückwirkend zum 14.03.2015 aufgehoben hat, müsste eine solche Änderung spätestens zu diesem Datum eingetreten sein. Im Hinblick auf die Aufhebungswirkung für die Zukunft müsste die Änderung spätestens zum Zeitpunkt der Bekanntgabe des Bescheids vom 19.03.2015 (ausweislich des Widerspruchsschreibens spätestens am 24.03.2015) eingetreten sein.

62

Eine solche Änderung in den Verhältnissen konnte im vorliegenden Fall nicht nachgewiesen werden. Der Kläger hatte über den 13.03.2015 hinaus und bis zum Ablauf der von der Beklagten mitgeteilten Anspruchshöchstdauer am 22.06.2015 aller Wahrscheinlichkeit nach auch materiell-rechtlich einen Anspruch auf Krankengeld, so dass die Beklagte ab dem 14.03.2015 weiterhin unbefristet (§ 32 Abs. 1 SGB X) Krankengeld hätte bewilligen müssen.

63

Der Kläger war über den 13.03.2015 hinaus im Sinne des § 44 Abs. 1 SGB V versichert (2.2.1), er war aller Wahrscheinlichkeit nach weiterhin arbeitsunfähig (2.2.2) und er gehörte nach wie vor nicht zu den in § 44 Abs. 2 Satz 1 SGB V genannten ausgeschlossenen Versichertengruppen. Die „Lücke“ zwischen den Auszahlscheinen des Dr. G vom 17.02.2015 (voraussichtliche Arbeitsunfähigkeitsdauer bis zum 13.03.2015) und vom 18.03.2015 (voraussichtliche Arbeitsunfähigkeitsdauer bis zum 15.04.2015) hat keine Auswirkungen auf den materiellen Krankengeldanspruch und stellt deshalb keine wesentliche Änderung in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen dar (2.2.3). Eine wesentliche Änderung in den Verhältnissen würde es auch nicht darstellen, wenn der Kläger die Arbeitsunfähigkeit nach dem 13.03.2015 nicht erneut gemeldet hätte (2.2.4). Auch im anschließenden Arbeitslosengeldbezug ab dem 16.04.2015 liegt keine wesentliche Änderung in den rechtlichen oder tatsächlichen Verhältnissen (2.2.5).

64

2.2.1 Der Kläger war über den 13.03.2015 hinaus mit Anspruch auf Krankengeld bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Die Versicherungspflicht ergibt sich aus § 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V, da der Kläger bei Eintritt der Arbeitsunfähigkeit gegen Arbeitsentgelt beschäftigt war. Nach dem Ende der Entgeltfortzahlung durch den Arbeitgeber blieb dieses Versicherungsverhältnis auf Grund des tatsächlichen Bezuges von Krankengeld bzw. durch den Anspruch auf Krankengeld gemäß § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V auch in der hier streitigen Zeit erhalten.

65

Die Aufrechterhaltung der Mitgliedschaft nach § 192 Abs. 1 Nr. 2 SGB V ist zugleich Voraussetzung für die Aufrechterhaltung des Krankengeldanspruchs und Rechtsfolge des Krankengeldanspruchs bzw. des tatsächlichen Krankengeldbezugs. Für die Aufrechterhaltung des Anspruchs auf Krankengeld reicht es demnach aus, wenn der Versicherte zum Zeitpunkt der Entstehung des Anspruchs versicherungspflichtig ist, ohne nach § 44 Abs. 2 Satz 1 SGB V vom Krankengeldanspruch ausgeschlossen zu sein. Zum Zeitpunkt der Entstehung des Krankengeldanspruchs am 21.02.2014, dem Tag nach der Feststellung der Arbeitsunfähigkeit (§ 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V a.F.), war der Kläger gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V versichert.

66

Diesbezüglich hat sich zum 14.03.2015 keine wesentliche Änderung in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen ergeben, da von einem Fortbestehen des materiellen Anspruchs auf Krankengeld über diesen Zeitpunkt hinaus auszugehen ist (siehe sogleich).

67

2.2.2 Es ist davon auszugehen, dass der Kläger über den 13.03.2015 hinaus arbeitsunfähig in Folge von Krankheit war.

68

Der Maßstab für die Arbeitsunfähigkeit richtet sich nach dem Umfang des Versicherungsschutzes im jeweils konkret bestehenden Versicherungsverhältnis. Arbeitsunfähigkeit ist gegeben, wenn der Versicherte seine zuletzt vor Eintritt des Versicherungsfalls konkret ausgeübte Arbeit wegen Krankheit nicht (weiter) verrichten kann (vgl. BSG, Urteil vom 08.02.2000 – B 1 KR 11/99 R). Bei Verlust des Arbeitsplatzes nach Beginn der Arbeitsunfähigkeit ist Maßstab für die Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit abstrakt die Art der zuletzt ausgeübten Beschäftigung (BSG, Urteil vom 14.02.2001 – B 1 KR 30/00 R – Rn. 13 f.).

69

Die Kammer konnte sich keine Überzeugung dahingehend bilden, dass der Kläger am für die rückwirkende Aufhebungsentscheidung maßgeblichen Zeitpunkt, dem 14.03.2015, sowie im gesamten streitgegenständlichen Zeitraum vom 14.03.2015 bis zum 22.06.2015, wieder dazu in der Lage war, die zuvor von ihm ausgeübte Hausmeistertätigkeit wieder aufzunehmen. Dagegen sprechen die vorliegenden medizinischen Befunde, die für den hier streitgegenständlichen Zeitraum keinerlei Hinweis für eine Verbesserung des Gesundheitszustands des Klägers enthalten. Hierbei ist zunächst zu berücksichtigen, dass die Erkrankungen des Klägers ausweislich der von Dr. G ausgestellten Auszahlscheine über den 13.03.2015 hinaus unverändert fortbestanden haben. Auch der Gutachter der Bundesagentur für Arbeit Dr. T kommt im Gutachten vom 02.07.2015 noch zu dem Ergebnis, dass der Kläger seine vormalige Tätigkeit als Hausmeister noch nicht wieder hätte ausüben können. Das Auftreten der so genannten „Bescheinigungslücke“ vom 14.03.2015 bis zum 17.03.2015 hatte seine Ursache erkennbar nicht darin, dass sich der Gesundheitszustand des Klägers in dieser Zeit zum Besseren verändert hätte. Nach den Angaben des Klägers bestand der Grund hierfür im Gegenteil in einer vorübergehenden Verschlechterung des Gesundheitszustands in Folge einer Durchfallerkrankung.

70

Für eine wesentliche Änderung der tatsächlichen Verhältnisse gegenüber dem vorherigen Gesundheitszustand des Klägers zum 14.03.2015 findet sich letztlich kein Anhaltspunkt. Die objektive Beweislast für eine Änderung der tatsächlichen Verhältnisse trifft im Rahmen des § 48 Abs. 1 SGB X die Behörde, vorliegend also die Beklagte. Demzufolge ist hier von einem Fortbestehen des die Arbeitsunfähigkeit bedingenden Gesundheitszustands des Klägers über den 13.03.2015 und über den Zeitpunkt der Bekanntgabe der Aufhebungsentscheidung vom 19.03.2015 spätestens am 24.03.2015 hinaus auszugehen.

71

2.2.3 Eine wesentliche Änderung in den rechtlichen oder tatsächlichen Verhältnissen stellt es auch nicht dar, wenn zwei Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen bzw. Auszahlscheine nicht „lückenlos“ bzw. sogar überlappend aufeinander folgen (in dem Sinne, dass die zweite Bescheinigung nicht spätestens an dem Tag ausgestellt wird, bis zu dem nach der vorangegangenen Bescheinigung die Arbeitsunfähigkeit voraussichtlich andauern sollte), wie dies vorliegend hinsichtlich der Auszahlscheine des Dr. G vom 17.02.2015 (voraussichtliche Arbeitsunfähigkeitsdauer bis zum 13.03.2015) und vom 18.03.2015 (voraussichtliche Arbeitsunfähigkeitsdauer bis zum 15.04.2015) der Fall war.

72

a) Hinsichtlich der rechtlichen Bedeutung von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen für den Anspruch auf Krankengeld nach § 44 Abs. 1 1. Alt. SGB V sind folgende Unterscheidungen zu beachten:

73

aa) Arbeitsunfähigkeit in Folge Krankheit ist in allen Fällen des § 44 Abs. 1 1. Alt. SGB V Voraussetzung für den Anspruch auf Krankengeld. Die Arbeitsunfähigkeit muss im Verwaltungs- oder Gerichtsverfahren über die Bewilligung von Krankengeld objektiv nachgewiesen werden. Hierzu kann jedes geeignete Beweismittel herangezogen werden (§ 21 Abs. 1 Satz 1 SGB X; §§ 103, 106, 118 SGG). Arbeitsunfähigkeit ist ein körperlicher, geistiger oder seelischer Zustand, der unabhängig von seiner Dokumentation besteht.

74

bb) Vom objektiven Vorliegen der Arbeitsunfähigkeit ist die ärztliche Feststellung als Entstehungsvoraussetzung für den Krankengeldanspruch zu unterscheiden. Nur in den Fällen des § 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V (Krankengeldanspruch wegen Arbeitsunfähigkeit, sofern nicht Versicherte nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 SGB V, nach dem Künstlersozialversicherungsgesetz – KSVG – und nach § 44 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB V betroffen sind) ist für die Entstehung des Anspruchs eine einmalige ärztliche Feststellung erforderlich. Im Übrigen genügt für die Entstehung des Anspruchs der tatsächliche Eintritt der Arbeitsunfähigkeit (§ 47b Abs. 1 Satz 2 SGB V), der Beginn einer stationären Behandlung (§ 46 Satz 1 Nr. 1 SGB V) oder der Ablauf einer Karenzzeit gerechnet vom tatsächlichen Beginn der Arbeitsunfähigkeit an (§ 46 Satz 3 SGB V n.F.). Die ärztliche Feststellung in diesem Sinne ist die Schlussfolgerung aus einer persönlichen ärztlichen Untersuchung, also der aus der Wahrnehmung des tatsächlichen Zustands des Patienten durch den Arzt gezogene Schluss auf die Arbeitsunfähigkeit (SG Speyer, Urteil vom 22.05.2015 – S 19 KR 959/13 – Rn. 38). Diese Schlussfolgerung ist eine kognitive Leistung, die ebenso wie die Arbeitsunfähigkeit unabhängig von ihrer Dokumentation ist. Für die Entstehung eines Krankengeldanspruchs muss die ärztliche Feststellung und ihr Zeitpunkt daher nicht schriftlich oder auf andere Weise dokumentiert werden. Die ärztliche Feststellung in diesem Sinne ist daher nicht mit der hierüber ausgestellten Bescheinigung, etwa der „Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung“ oder dem Auszahlschein gleichzusetzen (zur notwendigen Differenzierung vgl. auch BSG, Urteil vom 10.05.2012 – B 1 KR 19/11 R – Rn. 26). Ob ein Arzt Arbeitsunfähigkeit zu einem bestimmten Zeitpunkt festgestellt hat, kann erforderlichenfalls auch noch im Rahmen der gerichtlichen Beweiserhebung durch eine Befragung des Arztes ermittelt werden (SG Speyer, Urteil vom 22.05.2015 – S 19 KR 959/13 – Rn. 39; anders offenbar das LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 21.04.2016 – L 5 KR 217/15 – Rn. 14 und Beschluss vom 02.05.2016 – L 5 KR 64/16 B ER – nicht veröffentlicht –; ähnlich bereits LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 16.10.2014 – L 5 KR 157/14 – Rn. 16, das eine Dokumentation der ärztlichen Feststellung nach außen verlangt, allerdings ohne zu klären, gegenüber wem und in welcher Form die Dokumentation erfolgen muss und ohne Nennung einer Rechtsgrundlage; kritisch hierzu bereits SG Speyer, Urteil vom 30.11.2015 – S 19 KR 160/15 – Rn. 71).

75

cc) Von der tatsächlichen ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit ist die Prognose des Arztes über deren voraussichtliche Dauer zu unterscheiden (anders LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 02.10.2014 – L 5 KR 30/14 – nicht veröffentlicht, unter Berufung auf Brandts in: KassKomm/ SGB V § 46 Rn. 12: Feststellung der AU für die Zukunft sei stets eine ärztliche Prognose; vgl. auch die insofern paradoxe Formulierung des BSG im Urteil vom 16.12.2014 – B 1 KR 25/14 R – Rn. 13: der Arzt habe sich „Gewissheit“ zu verschaffen, (…) wie lange die AU „voraussichtlich“ noch andauern wird; vgl. SG Speyer, Urteil vom 22.05.2015 – S 19 KR 959/13 – Rn. 41). Die Angabe eines Arztes in einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, der Patient sei voraussichtlich bis zu einem bestimmten Datum arbeitsunfähig, ist keine „Feststellung“ im Sinne des § 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V. Im Regelfall dürfte ein Arzt nicht in der Lage sein „festzustellen“, bis wann eine Arbeitsunfähigkeit dauern wird. Er kann nur feststellen, dass sie im Zeitpunkt der Untersuchung besteht. Die Angabe einer voraussichtlichen Dauer ist lediglich eine Prognose im Sinne einer ärztlichen Vorhersage des vermuteten Krankheitsverlaufs. Anders als in § 5 Abs. 1 Satz 1 EFZG ist für einen Anspruch auf Krankengeld nach den Vorschriften des SGB V eine Bescheinigung über die voraussichtliche Dauer der Arbeitsunfähigkeit im Sinne einer ärztlichen Prognose nicht erforderlich (SG Speyer, Urteil vom 22.05.2015 – S 19 KR 959/13 – Rn. 41).

76

dd) Von der ärztlichen Feststellung als solcher zu unterscheiden ist die in der Praxis übliche Dokumentation der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit, des Vorliegens von Arbeitsunfähigkeit und ihrer voraussichtlichen Dauer auf formularmäßigen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen. Dass diese meistens verwendet werden, ist lediglich eine tatsächliche Nebenfolge der Vorschriften zum arbeitsrechtlichen Entgeltfortzahlungsanspruch. Soweit an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmende Ärzte gemäß § 73 Abs. 2 Satz 1 Nr. 9 SGB V zur Ausstellung von Bescheinigungen über die Arbeitsunfähigkeit verpflichtet sind und dies auch in den Regelungen der §§ 74, 275 Abs. 1a Satz 1, 277 Abs. 2 Satz 1, § 295 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB V Niederschlag findet, hat dies keine Auswirkungen auf den Begriff der ärztlichen Feststellung im Sinne des § 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V. Diese Regelungen gehören nicht zur für den Anspruch auf Krankengeld einschlägigen Normtextmenge, da sie nicht die Rechtsposition des Versicherten gegen die Krankenkasse betreffen. Dasselbe gilt für die Vorschrift des § 275 Abs. 1a Satz 2 SGB V, wonach eine Prüfung durch den MDK unverzüglich „nach Vorlage der ärztlichen Feststellung über die Arbeitsunfähigkeit“ zu erfolgen hat. Die Verkörperung der ärztlichen Feststellung wird hier zwar semantisch vorausgesetzt, da nur ein körperlicher Gegenstand „vorgelegt“ werden kann, jedoch nicht als Anspruchsvoraussetzung für die Gewährung von Krankengeld normiert (SG Mainz, Urteil vom 31.08.2015 – S 3 KR 405/13 – Rn. 59). Entsprechendes gilt für die von den Krankenkassen und Ärzten regelmäßig verwendeten Auszahlscheine, die zum Nachweis der Arbeitsunfähigkeit und zur Abwicklung der Leistungsfälle dienen, deren Vorliegen aber gleichfalls keine Anspruchsvoraussetzung darstellt.

77

ee) Von der ärztlichen Feststellung und den verschiedenen Bescheinigungsformen ist wiederum die Meldung der Arbeitsunfähigkeit (§ 49 Abs. 1 Nr. 5 SGB V) zu unterscheiden. Die Meldung der Arbeitsunfähigkeit ist eine Tatsachenmitteilung, die der Krankenkasse zugehen muss. Hierfür ist weder eine bestimmte Form vorgeschrieben, noch muss die Meldung durch eine bestimmte Person erfolgen (so bereits BSG, Urteil vom 12.11.1985 – 3 RK 35/84 – Rn. 12 bezüglich der Vorgängerregelung des § 216 Abs. 3 RVO). Erforderlich ist lediglich, dass die Identität des Versicherten erkennbar ist und die Arbeitsunfähigkeit dieses Versicherten behauptet wird. Nicht erforderlich ist ein Hinweis auf die ärztliche Feststellung der Arbeitsunfähigkeit (a. A. BSG, Urteil vom 12.11.1985 – 3 RK 35/84 – Rn. 12). Diese stellt lediglich eine Tatbestandsvoraussetzung für den Anspruch auf Krankengeld dar, deren Vorliegen von der Krankenkasse nach Antragstellung von Amts wegen zu ermitteln ist (SG Mainz, Urteil vom 31.08.2015 – S 3 KR 405/13 – Rn. 172). Das Fehlen der Meldung führt nach näherer Maßgabe des § 49 Abs. 1 Nr. 5 SGB V zum Ruhen des Anspruchs, so dass die Meldung eine Anspruchsvoraussetzung lediglich für die Zahlung von Krankengeld ist. In der Meldung der Arbeitsunfähigkeit durch den Versicherten gegenüber der Krankenkasse ist regelmäßig auch der erforderliche Antrag auf Krankengeld (§ 19 Satz 1 SGB IV) zu sehen. Eine rückwirkende Antragstellung ist möglich.

78

b) In § 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V wird neben dem Vorliegen der Arbeitsunfähigkeit (§ 44 Abs. 1 1. Alt. SGB V) für die Entstehung des Anspruchs zusätzlich eine ärztliche Feststellung der Arbeitsunfähigkeit vorausgesetzt. Zudem war in § 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V in der vorliegend noch maßgeblichen, bis zum 22.07.2015 gültigen Fassung ein so genannter „Karenztag“ normiert. In den von der Norm erfassten Fällen entsteht der Anspruch daher erst einen Tag nach der ärztlichen Feststellung.

79

Der materielle Anspruch des Klägers auf Krankengeld ist somit am Tag nach der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit am 20.02.2014 entstanden und hätte erst mit Wiedereintritt der Arbeitsfähigkeit oder mit Eintritt eines anderen Ausschlussgrundes geendet (vgl. zur Fortdauer des Krankengeldanspruchs insgesamt SG Speyer, Urteil vom 22.05.2015 – S 19 KR 959/13 – Rn. 37 ff.; SG Mainz, Urteil vom 31.08.2015 – S 3 KR 405/13 –Rn. 61 ff. und sogleich). Letztendlich endete der materiell-rechtliche Anspruch des Klägers auf Krankengeld spätestens mit dem Ablauf der Anspruchshöchstdauer nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB V am 22.06.2015.

80

Insofern hat sich weder zum 14.03.2015 noch bis zum Zeitpunkt des Erlasses des Bescheids vom 19.03.2015 eine Änderung in den Verhältnissen im Sinne des § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ergeben.

81

c) Für die Aufrechterhaltung des materiellen Krankengeldanspruchs bis zum Ende der Anspruchshöchstdauer (§ 48 Abs. 1 SGB V) oder bis zum Ausschluss (§ 50 Abs. 1 Satz 1 SGB V) bzw. Wegfall (§ 51 Abs. 3 Satz 1 SGB V) des Anspruchs genügt es im Übrigen auch in den Fällen des § 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V (alte oder neue Fassung), dass die Arbeitsunfähigkeit tatsächlich seit Entstehung des Anspruchs fortbesteht.

82

§ 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V regelt nur den Beginn des Krankengeldanspruchs (so bereits LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 02.11.1999 – L 4 KR 10/98 – Rn. 27; LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 27.08.2002 – L 4 KR 144/00 – Rn. 36). Wenn auf dem Formular, auf dem die ärztliche Feststellung dokumentiert ist, zugleich eine Prognose für ein voraussichtliches Ende der Arbeitsunfähigkeit getroffen wird, folgt hieraus – entgegen der Auffassung des 1. Senats des BSG (zuletzt mit Urteilen vom 16.12.2014 – B 1 KR 31/14 R; B 1 KR 35/14 R; B 1 KR 37/14 R) und des 5. Senats des LSG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 16.10.2014 – L 5 KR 157/14 – Rn. 15; Urteil vom 21.04.2016 – L 5 KR 217/15 – Rn. 13; Urteil vom 04.02.2016 – L 5 KR 65/15 – Rn. 21; so auch die nicht veröffentlichten Urteile und Beschlüsse vom 09.01.2014 – L 5 KR 108/13 –, vom 20.03.2014 – L 5 KR 214/13 –, vom 30.04.2014 – L 5 KR 201/13 –, vom 02.10.2014 – L 5 KR 30/14 –, vom 06.11.2014 – L 5 KR 83/14 –, vom 20.11.2014 – L 5 KR 149/13 –, vom 04.12.2014 – L 5 KR 105/14 –, vom 18.06.2015 – L 5 KR 230/14 –, vom 02.07.2015 – L 5 KR 165/14 –, vom 05.11.2015 – L 5 KR 74/15 und L 5 KR 98/15 –, vom 19.11.2015 – L 5 KR 221/14 –, vom 18.02.2016 – L 5 KR 180/15 –, vom 17.03.2016 – L 5 KR 167/15 –, vom 02.06.2016 – L 5 KR 207/15 –, vom 07.07.2016 – L 5 KR 179/15 –, vom 09.09.2014 – L 5 KR 158/14 B ER –, vom 01.10.2014 – L 5 KR 192/14 B ER –, vom 02.05.2016 – L 5 KR 64/16 B ER –, vom 07.05.2015 – L 5 KR 50/15 B ER – und vom 06.07.2016 – L 5 KR 144/16 B ER) – keine zeitliche Begrenzung des Krankengeldanspruchs (SG Trier, Urteil vom 24.04.2013 – S 5 KR 77/12 – Rn. 21 ff.; SG Mainz, Urteil vom 24.09.2013 – S 17 KR 247/12 – Rn. 32 ff., SG Speyer, Urteile vom 22.11.2013 – S 19 KR 600/11 – Rn. 39 ff. und vom 07.04.2014 – S 19 KR 10/13 – Rn. 43 ff.; SG Mainz, Urteil vom 04.06.2014 – S 3 KR 298/12 – Rn. 48 ff.; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteile vom 17.07.2014 – L 16 KR 146/14 – Rn. 22 ff., L 16 KR 429/13 – Rn. 26 ff., L 16 KR 160/13 – Rn. 25 ff., L 16 KR 208/13 – Rn. 24 ff.; SG Speyer, Beschlüsse vom 08.09.2014 – S 19 KR 519/14 ER – Rn. 31 ff. und vom 03.03.2015 – S 19 KR 10/15 ER – Rn. 33 ff.; SG Speyer, Urteil vom 22.05.2015 – S 19 KR 959/13 – Rn. 41 ff.; SG Mainz, Urteil vom 31.08.2015 – S 3 KR 405/13 – Rn. 61 ff.; SG Speyer, Urteil vom 30.11.2015 – S 19 KR 409/14 – Rn. 56 ff.;SG Mainz, Urteil vom 21.03.2016 – S 3 KR 255/14 – Rn. 88 ff.; Knispel, NZS 2014, S. 561 ff.; Schröder, ASR 2015, S. 160 f.).

83

Dies folgt zwingend aus einer semantischen Auslegung des Gesetzestextes unter Berücksichtigung der auf dem Gesetzesbindungsgebot beruhenden Grenzfunktion des Gesetzeswortlauts.

84

§ 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V in der bis zum 22.07.2015 gültigen Fassung lautet:

85

"Der Anspruch auf Krankengeld entsteht (…) im übrigen von dem Tag an, der auf den Tag der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit folgt."

86

Demzufolge markiert der Tag der ärztlichen Feststellung – abgesehen von den Fällen des § 47b Abs. 1 Satz 2 SGB V, des § 46 Satz 1 Nr. 1 SGB V und des § 46 Satz 3 SGB V n.F. – den Entstehungszeitpunkt des Krankengeldanspruchs für den folgenden Tag. Ab dem Folgetag besteht ein Anspruch auf Krankengeld, soweit und solange die sonstigen Leistungsvoraussetzungen erfüllt sind. Maßgeblich für die Entstehung des Krankengeldanspruchs ist (bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen) mithin nur, dass am Vortag ein Arzt die Arbeitsunfähigkeit festgestellt hat. Nicht relevant ist, welche Angaben der Arzt hinsichtlich einer möglichen Dauer oder ggf. im Hinblick auf einen früheren Beginn der Arbeitsunfähigkeit gemacht hat. Über das Ende des Krankengeldanspruchs enthält § 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V a.F. keine Aussage. In § 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V a.F. ist auch nicht von mehreren „Arbeitsunfähigkeiten“ oder „Feststellungen von Arbeitsunfähigkeit“ die Rede; die Begriffe werden im Singular verwendet. Stattdessen ist in § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB V ausdrücklich geregelt, dass Versicherte Krankengeld ohne zeitliche Begrenzung erhalten, für den Fall der Arbeitsunfähigkeit wegen derselben Krankheit jedoch für längstens 78 Wochen innerhalb von je drei Jahren, gerechnet vom Tage des Beginns der Arbeitsunfähigkeit an.

87

Aus § 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V a.F. geht des Weiteren nicht hervor, dass sich die „ärztliche Feststellung“ auf einen bestimmten Zeitraum beziehen kann oder muss. Dass der Vertragsarzt eine Prognose über die voraussichtliche Dauer der Arbeitsunfähigkeit abzugeben hat, ergibt sich lediglich aus der auf Grund von § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 7 SGB V vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) erlassenen Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie (AU-Richtlinie) sowie im Verhältnis zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber aus § 5 Abs. 1 Satz 2 EFZG (vgl. SG Speyer, Urteil vom 22.11.2013 – S 19 KR 600/11 – Rn. 37). In § 1 Abs. 1 der AU-Richtlinie wird terminologisch zwischen der Feststellung der Arbeitsunfähigkeit und der Bescheinigung über ihre voraussichtliche Dauer differenziert. Diese Differenzierung steht im Einklang mit der gesetzlichen Regelung des § 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V a.F. und entspricht der Sachlogik. Ein Arzt kann zu einem bestimmten Zeitpunkt feststellen, dass Arbeitsunfähigkeit vorliegt; im Hinblick auf die Zukunft kann er anhand eines gegenwärtigen Zustands nur Aussagen über die Wahrscheinlichkeit treffen, dass noch Arbeitsunfähigkeit vorliegen wird, d.h. eine Prognose abgeben. Ob eine Prognose sich als zutreffend erweist, kann nur im Nachhinein festgestellt werden.

88

Es ist begrifflich mithin streng zu unterscheiden zwischen der von § 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V a.F. geforderten „ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit“, der nach § 5 Abs. 1 Satz 2 EFZG geforderten Prognose der Dauer der Arbeitsunfähigkeit und einer ärztlichen Bescheinigung sowohl über das Datum der Feststellung als auch über die voraussichtliche Dauer der Arbeitsunfähigkeit (s.o. unter 2.2.3 a). Dass ein Vertragsarzt gemäß § 73 Abs. 2 Satz 1 Nr. 9 SGB V dazu verpflichtet ist, eine Bescheinigung über die Feststellung der Arbeitsunfähigkeit auszustellen, berührt die Entstehung des Krankengeldanspruchs nach § 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V a.F. nicht. Die ärztliche Feststellung der Arbeitsunfähigkeit ist nicht mit der hierüber ausgestellten Bescheinigung (Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung oder Auszahlschein) gleichzusetzen (SG Speyer, Urteil vom 22.05.2015 – S 19 KR 959/13 – Rn. 39). Eine ärztliche Bescheinigung ist – anders als beim Anspruch auf Entgeltfortzahlung gegen den Arbeitgeber (§ 5 Abs. 1 EFZG) – demnach weder eine Voraussetzung für die Entstehung noch für den Fortbestand des Anspruchs auf Krankengeld nach dem SGB V. Demzufolge ist auch die auf den formularmäßigen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vorgesehene Abgabe einer Prognose über die voraussichtliche Dauer der Arbeitsunfähigkeit für den Anspruch auf Krankengeld nach dem SGB V gänzlich irrelevant (vgl. ausführlich SG Speyer, Urteil vom 22.05.2015 – S 19 KR 959/13 – Rn. 41 m.w.N.).

89

Aus dem Wortlaut des § 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V a.F. ergibt sich somit ausschließlich eine Regelung für den Entstehungszeitpunkt des Krankengeldanspruchs, nicht für dessen zeitliche Begrenzung. Weitere materielle Wirkungen der ärztlichen Feststellung lassen sich anhand des Gesetzes nicht begründen.

90

Der Wortlaut eines Gesetzes steckt die äußersten Grenzen funktionell vertretbarer und verfassungsrechtlich zulässiger Sinnvarianten ab. Entscheidungen, die den Wortlaut einer Norm offensichtlich überspielen, sind unzulässig (Müller/Christensen, Juristische Methodik, Rn. 310, zum Ganzen Rn. 304 ff., 10. Auflage 2009). Die Bindung der Gerichte an das Gesetz folgt aus Art. 20 Abs. 3 und Art. 97 Abs. 1 GG. Dass die Gerichte dabei an den Gesetzestext (im Sinne des amtlichen Wortlauts bzw. Normtextes) gebunden sind, folgt aus dem Umstand, dass nur dieser Gesetzestext Ergebnis des von der Verfassung vorgegebenen parlamentarischen Gesetzgebungsverfahrens ist. Eine Überschreitung der Wortlautgrenze verstößt sowohl gegen das Gesetzesbindungsgebot als auch gegen das Gewaltenteilungsprinzip. Deshalb verstößt das BSG gegen Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 97 Abs. 1 GG, wenn es seine Rechtsauffassung auf eine „ergänzende Auslegung des Gesetzes“ stützt (BSG, Urteil vom 16.12.2014 – B 1 KR 37/14 R – Rn. 15) und postuliert, dass „das SGB V die Tatbestände der Beendigung eines Krg-Anspruchs nicht ausdrücklich vollständig in allen denkmöglichen Verästelungen“ regle und diese „geringere Normdichte (…) ihren sachlichen Grund in der Vielgestaltigkeit der Möglichkeiten der Beendigung“ habe (BSG, Urteil vom 16.12.2014 – B 1 KR 37/14 R – Rn. 13).

91

Aus den gleichen Gründen scheitert auch Dreher (jurisPR-SozR 3/2015 Anm. 2 zum Urteil des BSG vom 04.03.2014 – B 1 KR 17/13 R) mit dem Versuch, für die Rechtsauffassung des BSG eine kohärente Begründung zu entwickeln. Er räumt zunächst ein, dass der Gesetzeswortlaut das Erfordernis einer ärztlichen Feststellung auf den Fall der Entstehung des Krankengeldanspruchs beschränkt und § 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V a.F. zum Anspruchsende oder -wegfall keine eigene Aussage trifft. Dennoch vertritt er die Auffassung, dass der Krankengeldanspruch von vornherein – gegen den Wortlaut des § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB V – zeitlich begrenzt entstehe, wenn und soweit das ihn begründende „Beweissicherungsverfahren“ (gemeint ist der in § 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V a.F. vorausgesetzte „Gang zum Arzt“) nur eine zeitlich begrenzte Aussage ermögliche. Damit werde nicht die Entscheidungsbefugnis über den Anspruch auf den Arzt übertragen, sondern lediglich die Beweissicherung „dem Gesetzeswortlaut entsprechend“ in vollem Umfang dem Versicherten überantwortet. Die nach und nach entstehenden zeitlich begrenzten Ansprüche seien als Teile eines einheitlichen, aber „gestückelten“ Anspruchs aufzufassen.

92

Für diese Theorie fehlt es an jeglichem Anhaltspunkt im Gesetzestext des SGB V. Zeitliche Beschränkungen des Krankengeldanspruchs ergeben sich ausschließlich aus § 48 SGB V. Soweit Dreher meint, diese Einschränkung mittels einer Auslegung des Begriffs des „Entstehens“ begründen zu können, ist dies abwegig. Das Wort „entstehen“ hat in keiner denkbaren Verwendungsweise die Bedeutung von „Begrenzung“, „Untergang“ oder „Wegfall“. Es bedeutet schlicht das Gegenteil. Dass die Beweissicherung „dem Gesetzeswortlaut entsprechend“ dem Versicherten überantwortet werde, ist daher eine unsinnige Behauptung, die deshalb auch ohne Bezugnahme auf einen konkreten Gesetzeswortlaut auskommen muss.

93

Ebenso haltlos ist die nicht weiter begründete These des LSG Rheinland-Pfalz im Urteil vom 02.10.2014 (L 5 KR 30/14 – nicht veröffentlicht), es sei mit dem Wortlaut des Gesetzes ohne weiteres vereinbar, dass nicht nur die Entstehung, sondern auch der Fortbestand des Anspruchs auf Krankengeld von der vorherigen ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit abhängig sei. Gerade hierfür gibt es nicht den geringsten Anhaltspunkt im Gesetzeswortlaut des § 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V a.F.

94

Soweit das BSG sogar meint, der Gesetzeswortlaut des § 46 SGB V (a.F.) trage die Auffassung nicht, dass die ärztliche Feststellung der Arbeitsunfähigkeit nur für die Entstehung des Krankengeldanspruchs Bedeutung habe (BSG, Urteil vom 16.12.2014 – B 1 KR 37/14 R – Rn. 13), trifft dies offensichtlich nicht zu. Diese für jedermann erkennbar falsche Behauptung ist umso erstaunlicher, als eine unbefangene Gesetzeslektüre genügt, um sie zu widerlegen. Die entsprechende Vorschrift regelt ausdrücklich nichts anderes, als die Entstehung des Anspruchs.

95

Die Annahme, dass das Fortbestehen eines Krankengeldanspruchs nach Ablauf eines „Bewilligungsabschnitts“ oder nach Ablauf des auf einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung angegebenen voraussichtlichen Enddatums einer erneuten ärztlichen Feststellung spätestens am letzten Tag vor Ablauf bedürfe, verstößt gegen das Gesetzesbindungsgebot und ist deshalb unter Geltung des § 46 Satz 1 Nr. 2 SGB V sowohl in der bis zum 22.07.2015 geltenden als auch in der neuen Fassung keine rechtswissenschaftlich vertretbare Position.

96

Darüber hinaus wird die hier vertretene Auffassung gestützt durch die Gesetzessystematik (vgl. ausführlich SG Mainz, Urteil vom 31.08.2015 – S 3 KR 405/13 – Rn. 75 ff.) und durch den Auslegungsgrundsatz der möglichst weitgehenden Verwirklichung sozialer Rechte (vgl. ausführlich SG Mainz, Urteil vom 31.08.2015 – S 3 KR 405/13 – Rn. 81 ff.). Sie wird zudem bestätigt durch die historische Entwicklung des Gesetzes (vgl. ausführlich SG Mainz, Urteil vom 31.08.2015 – S 3 KR 405/13 – Rn. 86 ff.) und die Gesetzesbegründung (vgl. SG Mainz, Urteil vom 31.08.2015 – S 3 KR 405/13 – Rn. 90 ff.). Auf hiervon unabhängige Erwägungen zu „Sinn und Zweck“ der Regelung kommt es daher nicht an, wobei auch anhand dieses Maßstabs keine Argumente für die Auffassung des 1. Senats des BSG sprechen (vgl. SG Mainz, Urteil vom 31.08.2015 – S 3 KR 405/13 – Rn. 94 ff.). Letztere resultiert aus einer fehlerbehafteten Entwicklung der Rechtsdogmatik und führt zu abwegigen Ergebnissen (vgl. ausführlich SG Mainz, Urteil vom 31.08.2015 – S 3 KR 405/13 – Rn. 98 ff.). Durch die Neuregelung des § 46 Satz 2 SGB V mit dem Gesetz zur Stärkung der Versorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Versorgungsstärkungsgesetz – GKV-VSG) mit Wirkung zum 23.07.2015 hat sich diesbezüglich weder für die Zukunft noch für die Vergangenheit Wesentliches geändert (vgl. ausführlich SG Mainz, Urteil vom 31.08.2015 – S 3 KR 405/13 – Rn. 153 ff.;SG Speyer, Urteil vom 30.11.2015 – S 19 KR 409/14 – Rn. 75 ff.).

97

2.2.4 Die Arbeitsunfähigkeit wurde der Beklagten fristgerecht gemeldet, sodass der Anspruch seit dem 14.03.2015 nicht gemäß § 49 Abs. 1 Nr. 5 SGB V ruhte.

98

Nach § 49 Abs. 1 Nr. 5 Halbsatz 1 SGB V ruht der Anspruch auf Krankengeld, solange die Arbeitsunfähigkeit der Krankenkasse nicht gemeldet wird. Dies gilt nach dem zweiten Halbsatz der Regelung nicht, wenn die Meldung (s.o. unter 2.2.4 a) ee)) innerhalb einer Woche nach Beginn der Arbeitsunfähigkeit erfolgt.

99

Die Arbeitsunfähigkeit ist der Beklagten lange vor dem vorliegend streitgegenständlichen Zeitraum durch Vorlage der Erstbescheinigung und zahlreicher weiterer Bescheinigungen gemeldet worden. Da davon auszugehen ist, dass seit dem 20.02.2014 durchgehend Arbeitsunfähigkeit vorgelegen hat, war anschließend keine weitere Meldung der Arbeitsunfähigkeit mehr notwendig, um das Eintreten des Ruhens nach § 49 Abs. 1 Nr. 5 SGB V zu verhindern (so bereits LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 02.11.1999 – L 4 KR 10/98 – Rn. 30; SG Mainz, Urteil vom 24.09.2013 – S 17 KR 247/12 – Rn. 45 ff.; SG Speyer, Urteil vom 22.11.2013 – S 19 KR 600/11 – Rn. 42 ff.;SG Trier, Urteil vom 21.11.2013 – S 1 KR 44/13 – Rn. 29).

100

Das BSG vertritt demgegenüber die Rechtsauffassung, dass die Arbeitsunfähigkeit der Krankenkasse vor jeder erneuten Inanspruchnahme des Krankengelds erneut gemeldet werden muss, auch wenn die Arbeitsunfähigkeit seit ihrem Beginn ununterbrochen bestanden hat (BSG, Urteil vom 08.02.2000 – B 1 KR 11/99 R – Rn. 17; BSG, Urteil vom 10.05.2012 – B 1 KR 20/11 R – Rn. 18; offen gelassen noch BSG, Urteil vom 20.04.1999 – B 1 KR 15/98 R – Rn. 14). Diese Auffassung widerspricht dem Wortlaut des § 49 Abs. 1 Nr. 5 Halbsatz 2 SGB V, in dem nur der Beginn der Arbeitsunfähigkeit als Bezugspunkt für die Meldeobliegenheit genannt wird, nicht der Beginn eines „Krankengeldbewilligungsabschnitts“ oder eines „Feststellungszeitraumes“. Dass hier zu Lasten der Versicherten über den Wortlaut hinweggegangen wird, deutet das BSG selbst in der Begründung zum Urteil vom 08.02.2000 an: "Anders als es der Wortlaut des § 49 Abs.1 Nr 5 Halbs 2 SGB V nahezulegen scheint (...)" (BSG, Urteil vom 08.02.2000 – B 1 KR 11/99 R – Rn. 17). Eine Überschreitung der Wortlautgrenze verstößt sowohl gegen das Gesetzesbindungsgebot als auch gegen das Gewaltenteilungsprinzip, so dass der Auffassung des BSG nicht gefolgt werden darf. Unausgesprochen vollzieht das BSG hier einen Analogieschluss, dessen Voraussetzungen jedoch nicht gegeben sind und vom BSG auch nicht dargelegt werden (vgl. bereits SG Mainz, Urteil vom 24.09.2013 – S 17 KR 247/12 – Rn. 45 ff.). Auch vor dem Hintergrund des Optimierungsgebots des § 2 Abs. 2 SGB I und des Gesetzesvorbehalts des § 31 SGB I ist die durch das BSG vorgenommene Vervielfältigung der Meldeobliegenheit des § 49 Abs. 1 Nr. 5 SGB V rechtswissenschaftlich nicht vertretbar (SG Speyer, Urteil vom 22.11.2013 – S 19 KR 600/11 – Rn. 42 ff.).

101

Im Übrigen hat sich diesbezüglich keine Änderung in den Verhältnissen zum 14.03.2015 im Sinne des § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ergeben.

102

2.2.5 Der Anspruch auf Krankengeld ruhte auch nicht auf Grund tatsächlichen Bezugs von Arbeitslosengeld durch den Kläger ab dem 16.04.2015.

103

Nach § 49 Abs. 1 Nr. 3a SGB V ruht der Anspruch auf Krankengeld (u.a.) solange Versicherte Arbeitslosengeld beziehen. Diese Ruhensvorschrift greift jedoch nur im Falle des Bezugs von Arbeitslosengeld in der Form der Leistungsfortzahlung im Krankheitsfall nach § 146 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) (Siefert in: Mutschler/Schmidt-De Caluwe/Coseriu, SGB III, § 156 Rn. 36, 5. Auflage 2013; BSG, Urteil vom 10.03.1987 - 3 RK 31/86 - Rn. 10ff.; BSG, Urteil vom 03.06.2004 - B 11 AL 55/03 R). Denn nur auf diese Weise ist das Konkurrenzverhältnis zwischen der Ruhensvorschrift des § 49 Abs. 1 Nr. 3a SGB V und derjenigen des § 156 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB III, die ihrerseits regelt, dass der Arbeitslosengeldanspruch bei Zuerkennung eines Anspruchs auf Krankengeld ruht, widerspruchsfrei aufzulösen (vgl. BSG, Urteil vom 14.12.2006 – B 1 KR 6/06 R – Rn. 22 m.w.N.; Brinkhoff in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 3. Aufl. 2016, § 49 SGB V, Rn. 35). Diese aus systematischen Gründen zwingende enge Auslegung des § 49 Abs. 1 Nr. 3a SGB V ist mit dem Wortlaut der Regelung vereinbar. Die Formulierung, dass der Anspruch ruht, "solange" Arbeitslosengeld bezogen wird, lässt die Interpretation zu, dass nur solche Fälle erfasst sind, in denen während des laufenden Arbeitslosengeldbezugs die Arbeitsunfähigkeit und damit die Leistungsvoraussetzung für den Krankengeldanspruch eintritt, d.h. solange der bereits begonnene Arbeitslosengeldbezug noch andauert (SG Mainz, Urteil vom 04.06.2014 – S 3 KR 298/12 – Rn. 85 ff.).

104

Bei dem Arbeitslosengeldbezug des Klägers ab dem 16.04.2015 handelte es sich nicht um einen Fall der Leistungsfortzahlung im Krankheitsfall im Sinne des § 146 Abs. 1 Satz 1 SGB III, da der Kläger nicht erst während des Bezugs von Arbeitslosengeld arbeitsunfähig erkrankt ist. Der Anspruch auf Krankengeld ruhte demzufolge nicht.

105

Im Übrigen würde selbst für den Fall, dass der Arbeitslosengeldbezug ab dem 16.04.2015 materiell-rechtlich zum Ruhen des Krankengeldanspruchs führen würde, eine wesentliche Änderung der Verhältnisse im Sinne des § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X erst ab diesem Zeitpunkt anzunehmen sein. Eine wesentliche Änderung in den Verhältnissen, die erst nach Erlass des Aufhebungsbescheides eintritt, macht den Aufhebungsbescheid aber nicht rechtmäßig.

106

2.2.6 Der Kläger hatte demnach auch über den 13.03.2015 hinaus aller Wahrscheinlichkeit nach einen materiell-rechtlichen Anspruch auf Krankengeld, so dass eine wesentliche Änderung in den rechtlichen oder tatsächlichen Verhältnissen zum 14.03.2015 oder zu einem früheren Zeitpunkt nicht nachgewiesen werden kann. Die Voraussetzung für eine Aufhebung der Bewilligung von Krankengeld zum 14.03.2015 gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X lagen demnach nicht vor.

107

2.3 Darüber hinaus liegen auch die weiteren Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X nicht vor. Da bereits nicht nachzuweisen ist, dass sich hinsichtlich der Arbeitsunfähigkeit des Klägers zum 14.03.2015 oder zu einem früheren Zeitpunkt eine Änderung ergeben hat, liegt erst recht kein Anhaltspunkt dafür vor, dass der Kläger selbst Kenntnis (oder grob fahrlässige Unkenntnis) von einer Wiedererlangung der Arbeitsfähigkeit und damit vom Wegfall des materiell-rechtlichen Anspruchs auf Krankengeld gehabt haben könnte. Die „nicht fristgerechte“ Erstellung einer „Folgebescheinigung“ der Arbeitsunfähigkeit bzw. die „Lückenlosigkeit“ von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen oder Auszahlscheinen ist wiederum kein Ausschlussgrund für den Anspruch auf Krankengeld (s.o. unter 2.2.3 c), so dass es vorliegend nicht darauf ankommt, ob der Kläger über die diesbezügliche Rechtsauffassung der Beklagten bzw. des BSG informiert war.

108

2.4 Der Bescheid vom 19.03.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28.07.2015 ist daher rechtswidrig und war aufzuheben.

109

3. Die Beklagte war gemäß § 54 Abs. 4 SGG antragsgemäß (vgl. § 123 SGG) dem Grunde nach zur Zahlung von Krankengeld für den Zeitraum vom 14.03.2015 bis zum 22.06.2015 zu verurteilen. Der Kläger hat seinen Antrag auf das Ende der Anspruchshöchstdauer nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB V begrenzt.

110

Der Anspruch auf Krankengeld ist nicht gemäß § 107 Abs. 1 SGB X teilweise für den Zeitraum vom 16.04.2015 bis zum 22.06.2015 in Folge der Zahlung von Arbeitslosengeld durch die Bundesagentur für Arbeit erloschen. Nach dieser Regelung gilt der Anspruch des Berechtigten gegen den zur Leistung verpflichteten Leistungsträger als erfüllt, soweit ein Erstattungsanspruch zwischen den Leistungsträgern nach §§ 102 bis 105 SGB X besteht.

111

3.1 Die Bundesagentur für Arbeit hat nicht vorläufig geleistet (§ 102 SGB X). Der Bewilligungsbescheid vom 10.06.2015 enthält keinen Vorläufigkeitsvorbehalt.

112

3.2 Die Leistungsverpflichtung der Bundesagentur für Arbeit ist auch nicht nachträglich entfallen (§ 103 SGB X). Soweit der Arbeitslosengeldanspruch gemäß § 156 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB III auf Grund des Krankengeldanspruchs ruhte, war dies von vornherein der Fall, da dem Kläger Krankengeld mit der konkludenten Bewilligungsentscheidung bereits vor der Zeit der Arbeitslosengeldbewilligung zuerkannt war. Durch die noch andauernde aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Klägers vom 25.03.2015 (§ 86a Abs. 1 Satz 1 SGG) galt dies trotz der Aufhebungsentscheidung der Beklagten vom 19.03.2015. Die Leistungsverpflichtung der Bundesagentur für Arbeit bestand daher ab dem 16.04.2015 von vornherein nicht, so dass ein Erstattungsanspruch nach § 103 SGB X nicht gegeben ist.

113

3.3 Aus demselben Grund besteht auch kein Erstattungsanspruch aus § 104 SGB X. Nachrangig verpflichtet ist ein Leistungsträger gemäß § 104 Abs. 1 Satz 2 SGB X nur, soweit dieser bei rechtzeitiger Erfüllung der Leistungsverpflichtung eines anderen Leistungsträgers selbst nicht zur Leistung verpflichtet gewesen wäre. In Folge der Krankengeldbewilligung durch die Beklagte war die Bundesagentur für Arbeit von vornherein nicht verpflichtet, dem Kläger Arbeitslosengeld zu zahlen, da ein Anspruch auf Arbeitslosengeld nach § 156 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB III bereits auf Grund der Zuerkennung eines Anspruchs auf Krankengeld ruht und nicht etwa nur in Fällen der tatsächlichen Zahlung von Krankengeld.

114

3.4 Die Bundesagentur für Arbeit hat auch keinen Erstattungsanspruch aus § 105 SGB X. Nach dieser Vorschrift ist der zuständige oder zuständig gewesene Leistungsträger erstattungspflichtig, wenn ein unzuständiger Leistungsträger Sozialleistungen erbracht hat, ohne dass die Voraussetzungen des § 102 SGB X vorlagen. Es muss ein (sachlich und/oder örtlich und/oder funktional) unzuständiger Leistungsträger gehandelt haben. Von § 105 SGB X wird nur der Fall erfasst, dass unter Verstoß gegen die sachliche und/oder örtliche und/oder funktionale Zuständigkeit geleistet worden ist. Dies impliziert, dass es sich um eine Leistung handeln muss, die abstrakt-generell in den Zuständigkeitsbereich des leistenden Leistungsträgers fällt (Prange in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, § 105 SGB X, Rn. 33). Im vorliegenden Fall hat aber die Bundesagentur für Arbeit nicht unter Verstoß gegen die Zuständigkeitsvorschriften Krankengeld geleistet, sondern entsprechend ihrer Zuständigkeit Arbeitslosengeld geleistet. Dass die Leistungsbewilligung auf Grund des Ruhens des Anspruchs nach § 156 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB III rechtswidrig war, ändert nichts an der Tatsache, dass die Bundesagentur für Arbeit im Rahmen ihrer Zuständigkeit gehandelt hat.

115

Die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von Krankengeld war daher nicht in Folge einer teilweisen Erfüllung des Anspruchs durch andere Leistungsträger zu begrenzen.

116

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG. Sie entspricht dem Ausgang des Verfahrens.

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

(1) Die Richter sind unabhängig und nur dem Gesetze unterworfen.

(2) Die hauptamtlich und planmäßig endgültig angestellten Richter können wider ihren Willen nur kraft richterlicher Entscheidung und nur aus Gründen und unter den Formen, welche die Gesetze bestimmen, vor Ablauf ihrer Amtszeit entlassen oder dauernd oder zeitweise ihres Amtes enthoben oder an eine andere Stelle oder in den Ruhestand versetzt werden. Die Gesetzgebung kann Altersgrenzen festsetzen, bei deren Erreichung auf Lebenszeit angestellte Richter in den Ruhestand treten. Bei Veränderung der Einrichtung der Gerichte oder ihrer Bezirke können Richter an ein anderes Gericht versetzt oder aus dem Amte entfernt werden, jedoch nur unter Belassung des vollen Gehaltes.

(1) Eine Rente aus eigener Versicherung wird von dem Kalendermonat an geleistet, zu dessen Beginn die Anspruchsvoraussetzungen für die Rente erfüllt sind, wenn die Rente bis zum Ende des dritten Kalendermonats nach Ablauf des Monats beantragt wird, in dem die Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind. Bei späterer Antragstellung wird eine Rente aus eigener Versicherung von dem Kalendermonat an geleistet, in dem die Rente beantragt wird.

(2) Eine Hinterbliebenenrente wird von dem Kalendermonat an geleistet, zu dessen Beginn die Anspruchsvoraussetzungen für die Rente erfüllt sind. Sie wird bereits vom Todestag an geleistet, wenn an den Versicherten eine Rente im Sterbemonat nicht zu leisten ist. Eine Hinterbliebenenrente wird nicht für mehr als zwölf Kalendermonate vor dem Monat, in dem die Rente beantragt wird, geleistet.

(1) Versicherte, die vor dem 1. Januar 1964 geboren sind, haben frühestens Anspruch auf Altersrente für schwerbehinderte Menschen, wenn sie

1.
das 63. Lebensjahr vollendet haben,
2.
bei Beginn der Altersrente als schwerbehinderte Menschen (§ 2 Abs. 2 Neuntes Buch) anerkannt sind und
3.
die Wartezeit von 35 Jahren erfüllt haben.
Die vorzeitige Inanspruchnahme dieser Altersrente ist frühestens nach Vollendung des 60. Lebensjahres möglich.

(2) Versicherte, die vor dem 1. Januar 1952 geboren sind, haben Anspruch auf diese Altersrente nach Vollendung des 63. Lebensjahres; für sie ist die vorzeitige Inanspruchnahme nach Vollendung des 60. Lebensjahres möglich. Für Versicherte, die nach dem 31. Dezember 1951 geboren sind, werden die Altersgrenze von 63 Jahren und die Altersgrenze für die vorzeitige Inanspruchnahme wie folgt angehoben:

Versicherte Geburtsjahr GeburtsmonatAnhebung um Monateauf Altervorzeitige Inanspruchnahme möglich ab Alter
JahrMonatJahrMonat
1952
Januar1631601
Februar2632602
März3633603
April4634604
Mai5635605
Juni – Dezember6636606
19537637607
19548638608
19559639609
19561063106010
19571163116011
195812640610
195914642612
196016644614
196118646616
196220648618
19632264106110.

Für Versicherte, die
1.
am 1. Januar 2007 als schwerbehinderte Menschen (§ 2 Abs. 2 Neuntes Buch) anerkannt waren und
2.
entweder
a)
vor dem 1. Januar 1955 geboren sind und vor dem 1. Januar 2007 Altersteilzeitarbeit im Sinne der §§ 2 und 3 Abs. 1 Nr. 1 des Altersteilzeitgesetzes vereinbart haben
oder
b)
Anpassungsgeld für entlassene Arbeitnehmer des Bergbaus bezogen haben,
werden die Altersgrenzen nicht angehoben.

(3) Versicherte, die vor dem 1. Januar 1951 geboren sind, haben unter den Voraussetzungen nach Absatz 1 Satz 1 Nr. 1 und 3 auch Anspruch auf diese Altersrente, wenn sie bei Beginn der Altersrente berufsunfähig oder erwerbsunfähig nach dem am 31. Dezember 2000 geltenden Recht sind.

(4) Versicherte, die vor dem 17. November 1950 geboren sind und am 16. November 2000 schwerbehindert (§ 2 Abs. 2 Neuntes Buch), berufsunfähig oder erwerbsunfähig nach dem am 31. Dezember 2000 geltenden Recht waren, haben Anspruch auf diese Altersrente, wenn sie

1.
das 60. Lebensjahr vollendet haben,
2.
bei Beginn der Altersrente
a)
als schwerbehinderte Menschen (§ 2 Abs. 2 Neuntes Buch) anerkannt oder
b)
berufsunfähig oder erwerbsunfähig nach dem am 31. Dezember 2000 geltenden Recht sind und
3.
die Wartezeit von 35 Jahren erfüllt haben.

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.

(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.

Rechte und Pflichten in den Sozialleistungsbereichen dieses Gesetzbuchs dürfen nur begründet, festgestellt, geändert oder aufgehoben werden, soweit ein Gesetz es vorschreibt oder zuläßt.

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 21. November 2014 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.

Tatbestand

 
Die Beteiligten streiten, ob der Kläger Anspruch auf Verzinsung eines Rentennachzahlungsbetrages hat, der ihm für September 2009 bis August 2012 aufgrund eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruches gewährt worden ist.
Der Kläger ist am 1949 geboren und bei der Beklagten rentenversichert. Er beantragte am 16. Mai 2012, bei der Beklagten am 22. Mai 2012 eingegangen, Altersrente für schwerbehinderte Menschen ab dem 1. September 2012. Mit Schreiben vom 5. Juli 2012 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass bei Prüfung des Rentenanspruchs festgestellt worden sei, dass nach Aktenlage der Anspruch auf eine höhere Altersrente für schwerbehinderte Menschen schon ab dem 1. September 2009 ohne Abschläge bestehen würde. Da der Kläger jedoch keinerlei Informationen von ihr über die vorzeitige Altersrente mit/ohne Abschläge erhalten habe, sei davon auszugehen, dass die nicht erteilte Auskunft kausal die rechtzeitige Rentenantragstellung verhindert habe. Die Verletzung der sich aus § 115 Abs. 6 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) ergebenden Hinweispflicht könne im Einzelfall zu einem sozialrechtlichen Herstellungsanspruch führen. Nach Prüfung des Sachverhaltes sei beim Kläger ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch gegeben. Sie bat den Kläger um Mitteilung, ob er die Altersrente für schwerbehinderte Menschen bereits ab dem 1. September 2009 oder wie ursprünglich beantragt ab dem 1. September 2012 beziehen möchte.
Der Kläger teilte daraufhin der Beklagten am 17. Juli 2012 mit, die Altersrente für schwerbehinderte Menschen bereits ab dem 1. September 2009 beziehen zu wollen. Die Beklagte bewilligte dem Kläger daraufhin mit Bescheid vom 19. Juli 2012 auf „Ihren Antrag vom 13.08.2009“ Altersrente für schwerbehinderte Menschen ab dem 1. September 2009. Der Nachzahlungsbetrag für die Zeit vom 1. September 2009 bis zum 31. August 2012 wurde auf EUR 18.855,64 festgesetzt. Über den Nachzahlungsbetrag, der aufgrund einer Erstattungsforderung des Jobcenters R.-N.-Kreis in Höhe von EUR 12.005,64 auf EUR 6.850,18 gemindert wurde, konnte der Kläger Ende August 2012 verfügen.
Am 10. August 2012 beantragte der Kläger die Verzinsung der Rentennachzahlung. Die Beklagte lehnte diesen Antrag mit Bescheid vom 15. August 2012 ab. Die Verzinsung beginne frühestens nach Ablauf von sechs Kalendermonaten nach Eingang des vollständigen Leistungsantrages beim zuständigen Leistungsträger. Der Antrag auf Altersrente für schwerbehinderte Menschen sei am 16. Mai 2012 gestellt und am 22. Mai 2012 bei ihr eingegangen. Die Frist von sechs Kalendermonaten beginne somit am 1. Juni 2012 und ende am 30. November 2012. Da sechs Monate seit Eingang des Rentenantrags bei ihr noch nicht abgelaufen seien, könne eine Verzinsung nicht erfolgen.
Hiergegen erhob der Kläger am 23. August 2012 Widerspruch. Im Hinblick auf die fehlerhafte Bearbeitung der Rentenansprüche sei eine Verzinsung vorzunehmen. Die Regelung, nach der eine Verzinsung sechs Monate nach Eingang des Rentenantrages anfallen würde, sei nicht anzuwenden, da durch ein fehlerhaftes Verhalten der Beklagten eine rückwirkende Rentenzahlung festgesetzt worden sei.
Die Widerspruchsstelle der Beklagten wies den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 11. Oktober 2012 zurück. Die Verzinsung beginne frühestens nach Ablauf von sechs Kalendermonaten nach Eingang des vollständigen Leistungsantrages beim zuständigen Leistungsträger. Ein vollständiger Leistungsantrag liege nur vor, wenn die entsprechenden Antragsformulare eingesandt, die für die Feststellung und Zahlung der Geldleistung erheblichen Fragen in den Vordrucken beantwortet, die Formulare unterschrieben und die erforderlichen Unterlagen vom Antragsteller beigefügt worden seien. Der Antrag auf Altersrente für schwerbehinderte Menschen sei am 22. Mai 2012 bei ihr eingegangen, so dass die Frist von sechs Kalendermonaten erst am 1. Juni 2012 beginne. Die Verletzung der Hinweispflicht nach § 115 Abs. 6 SGB VI führe nicht zu einer Nichtbeachtung der in § 44 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) genannten Fristen.
Mit seiner am 2. November 2012 beim Sozialgericht Mannheim (SG) erhobenen Klage verfolgte der Kläger sein Begehren weiter. Da die Rentenleistung aufgrund eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruches rückwirkend gewährt worden sei und somit ein Verschulden der Beklagten wegen Verletzung der Hinweispflicht vorliege, sei die Rentennachzahlung zu verzinsen. Die Berufung der Beklagten auf die Frist des § 44 Abs. 2 SGB I widerspreche der Natur des sozialrechtlichen Herstellungsanspruches, wonach der Versicherte den Antrag früher gestellt hätte, wenn der Rentenversicherungsträger die vom Gesetzgeber geforderte Hinweisverpflichtung sachgerecht wahrgenommen und keine fehlerhafte Auskunft erteilt hätte. Die im Rahmen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs entwickelten Grundsätze gingen davon aus, dass der von einer Pflichtverletzung der Behörde betroffene Versicherte so zu stellen sei, als habe er fristgerecht alle Antragsformalitäten, die zur Vornahme einer Amtshandlung zur Herbeiführung eines Zustandes gehörten, erfüllt. Somit sei davon auszugehen, dass er zum Zeitpunkt der Vollendung des 60. Lebensjahres und damit zum Rentenbeginn am 1. September 2009 alle anspruchsbegründenden Formalitäten vorgenommen habe. Seien mit dem durch den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch hergestellten gesetzeskonformen Zustand die Zahlung einer Geldleistung verbunden, so sei der Leistungsempfänger so zu stellen, als habe er die Geldleistung fristgerecht erhalten. Zwar habe das Bundessozialgericht (BSG) zu Recht die Unverzinslichkeit des Anspruchs auf die Vornahme einer Amtshandlung klargestellt, hieraus könne jedoch nicht gefolgert werden, dass das Ergebnis dieser Amtshandlung nicht zu verzinsen sei, wenn der Zugang der Geldleistung länger als sechs Monate nach Vorlage des fiktiven Antrages auf sich warten lasse.
Die Beklagte trat der Klage entgegen. Ein vollständiger Leistungsantrag für die gewährte Altersrente für schwerbehinderte Menschen habe erst seit dem 22. Mai 2012 vorgelegen. Der nach § 115 Abs. 6 SGB VI fingierte Leistungsantrag wirke nur hinsichtlich des Rentenbeginns der Altersrente, nicht jedoch hinsichtlich des Verzinsungsanspruchs für die Rentennachzahlung. Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch richte sich nur auf die Herstellung des Zustandes, der ohne das rechtswidrige Verhalten des Versicherungsträgers bestehen würde. Nach den Urteilen des BSG vom 1. März 1984 (4 RJ 55/83 und 4 RJ 104/82 – beide juris) werde ein auf Verzinsung gerichteter Herstellungsanspruch durch § 44 SGB I als lex spezialis verdrängt. Den Schaden, den ein Versicherter dadurch erleide, dass er auf die Erfüllung eines fälligen Anspruches länger als zumutbar warten müsse, wolle das Gesetz gerade und nur durch die Bewilligung eines Zinsanspruches nach § 44 SGB I ausgleichen. In seinem Urteil vom 9. September 1982 (5 B RJ 68/81 – juris) habe das BSG einen früheren Beginn des Zinsanspruchs im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruches abgelehnt, weil der sozialrechtliche Herstellungsanspruch ausdrücklich nicht auf Schadensersatz in Form von finanzieller Entschädigung abziele, sondern auf die Vornahme einer Amtshandlung zur Herbeiführung eines Zustandes, der bestehen würde, wenn der Versicherungsträger sich rechtmäßig verhalten hätte. Wenn aber die Behörde den Bescheid zu einem früheren Zeitpunkt erlassen hätte, wäre der geltend gemachte Zinsanspruch ohnehin entfallen. Unter der Prämisse, im Rahmen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruches wäre für die Verzinsung nach § 44 SGB I der Eingang eines (fiktiven) vollständigen Leistungsantrages am 31. August 2009 zu unterstellen, könne und dürfe nicht davon ausgegangen werden, dass sie im vorliegenden Fall rund 36 Monate (September 2009 bis August 2012) für die abschließende Vorgangsbearbeitung und Auszahlung der Nachzahlung für die Zeit von September 2009 bis August 2012 benötigt hätte, wenn die tatsächlich hierfür benötigte Zeit vier Monate (Mai 2012 bis August 2012) umfasst habe. Die tatsächliche Bearbeitungszeit vom Eingang des echten vollständigen Leistungsantrages bis zur tatsächlichen Auszahlung der Nachzahlung müsse auf den Zeitpunkt der fiktiven Antragstellung projiziert werden. Außerdem könne die Heilung der durch den jeweiligen Rentenversicherungsträger zu verantwortenden Verletzung der Hinweispflicht nach § 115 Abs. 6 SGB VI im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruches durch Vorverlegung des tatsächlich (verspätet) gestellten Rentenantrages auf einen lediglich angenommenen früheren Zeitpunkt – sogenannter fiktiver Rentenantrag – nur auf den Beginn der Zahlung der Rente im Sinne des § 99 SGB VI wirken, nicht aber – weder mittelbar noch unmittelbar – auf den Beginn der Verzinsung. Denn hierfür komme es im Gegensatz zu § 99 SGB VI nicht nur auf die Antragstellung durch den Berechtigten an sich an, sondern auf den Eingang des vollständigen Leistungsantrages beim zuständigen Leistungsträger. Soweit es allein um die Bestimmung des maßgeblichen Rentenbeginnes gehe, sei die bloße, gegebenenfalls sogar formlose Antragstellung ausreichend. Wann ein Leistungsantrag vollständig im Sinne des § 44 SGB I sei, könne und solle nicht anhand von Annahmen beurteilt werden. Erst wenn der tatsächliche Leistungsantrag vorliege und vollständig sei, könne der Leistungsträger den geltend gemachten Anspruch prüfen und im Rahmen des Amtsermittlungsprinzips gegebenenfalls entsprechende Sachermittlungen einleiten. Hierfür sei den Trägern vom Gesetzgeber die sechsmonatige Frist eingeräumt worden. Würde diese Frist bereits von einem fiktiven Antragsdatum zu laufen beginnen, wäre dem Träger damit jede Möglichkeit genommen, tatsächlich entsprechende Ermittlungen zeitnah einzuleiten und abzuschließen. Hierdurch würde aber eine Art Verschuldensprinzip in die Vorschrift des § 44 SGB I hinein interpretiert, was nach dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers gerade nicht der Fall sein solle.
Das SG hob mit Urteil vom 21. November 2014 den Bescheid der Beklagten vom 15. August 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Oktober 2012 auf und verpflichtete die Beklagte, den dem Kläger für die Monate September 2009 bis August 2012 zuerkannten Rentennachzahlungsbetrag in Höhe von EUR 6.850,18 in Anwendung des § 44 SGB I für die Zeit von März 2010 bis Juli 2012 zu verzinsen. Monatliche Rentenzahlungsansprüche, die aufgrund des sozialrechtlichen Herstellungsanspruches für Zeiten vor Antragstellung rückwirkend entstanden seien, seien gemäß den Vorgaben des § 44 SGB I zu verzinsen. Zwar könnten über den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch Zinsansprüche als sekundäre Ansprüche/Nebenforderungen nicht unmittelbar begründet werden. Allerdings gelte dies nicht für sozialrechtlich hergestellte Primäransprüche, die verspätet gezahlt würden. Über den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch werde der Betroffene so gestellt, als hätte die Behörde die rechtmäßige Rechtsgestaltung richtig und rechtzeitig vorgenommen. Zu berücksichtigen sei auch, dass seitens der Beklagten in dem Bescheid vom 19. Juli 2012 Altersrente auf den „Antrag vom 13.08.2009“ gewährt worden sei. Werde der Kläger über das Rechtsinstitut des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs so gestellt, als hätte er den für die bewilligte Rentenleistung (bereits ab 1. September 2009) erforderlichen Rentenantrag rechtzeitig gestellt, müsse dieser Zeitpunkt der Antragstellung auch für die Verzinsung der nach sozialrechtlicher Herstellung nicht rechtzeitig bewirkten Zahlungen im Rahmen des § 44 Abs. 2 SGB I maßgeblich sein. Dass die Wirkung des sozialrechtlichen Herstellungsanspruches auch auf die Verzinsung des Anspruches durchschlage, sei zwangsläufige Konsequenz der Anwendung des sozialrechtlichen Herstellungsanspruches. Dies gelte umso mehr, als dass Rechtsgrundlage für den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch Art. 20 Grundgesetz (GG) und § 2 SGB I seien, also die umfassende Verwirklichung der sozialen Rechte vom Gesetzgeber gefordert werde und § 44 SGB I die Abwendung von Nachteilen angesichts verspäteter Bewirkung der Leistungen an die Berechtigten bezwecke.
10 
Gegen die Nichtzulassung der Berufung in dem ihr am 11. Dezember 2014 zugestellten Urteil hat die Beklagte am 8. Januar 2015 Beschwerde eingelegt. Der Senat hat die Berufung gegen das Urteil des SG mit Beschluss vom 8. April 2015 wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen. Die Beklagte verfolgt ihr Begehren nun mit der Berufung weiter. Sie wiederholt im Wesentlichen ihr Vorbringen aus dem erstinstanzlichen Verfahren.
11 
Die Beklagte beantragt,
12 
das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 21. November 2014 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
13 
Der Kläger beantragt,
14 
die Berufung zurückzuweisen.
15 
Der Kläger ist der Ansicht, dass es nicht darauf ankomme, ob die Fiktion eines vollständigen Antrages aufgrund eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruches abgeleitet werde, da die Beklagte in ihrem Bescheid vom 19. Juli 2012 selbst festgestellt habe, dass ein vollständiger Antrag am 13. August 2009 vorgelegen habe.
16 
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
17 
Zu den weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie die beigezogene Akte der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

 
18 
1. Die gemäß § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und vom Senat gemäß § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG zugelassene Berufung der Beklagten, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden konnte (§ 124 Abs. 2 SGG), ist auch im Übrigen zulässig. Sie ist insbesondere form- und fristgerecht eingelegt, da das Beschwerdeverfahren gemäß § 145 Abs. 5 Satz 1 SGG als Berufungsverfahren fortgesetzt wurde.
19 
2. Die Berufung ist begründet. Das SG hat zu Unrecht den Bescheid der Beklagten vom 15. August 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Oktober 2012 aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, den dem Kläger für die Monate September 2009 bis August 2012 zuerkannten Rentennachzahlungsbetrag in Höhe von EUR 6.850,18 in Anwendung des § 44 SGB I für die Zeit von März 2010 bis Juli 2012 zu verzinsen. Denn der Bescheid der Beklagten vom 15. August 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Oktober 2012 ist rechtmäßig. Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Verzinsung der Rentenzahlung für September 2009 bis August 2012.
20 
a) (1) Gemäß § 44 Abs. 1 SGB I sind Ansprüche auf Geldleistungen nach Ablauf eines Kalendermonats nach dem Eintritt ihrer Fälligkeit bis zum Ablauf des Kalendermonats vor der Zahlung mit 4 v.H. zu verzinsen. Nach Abs. 2 dieser Vorschrift beginnt die Verzinsung frühestens nach Ablauf von sechs Kalendermonaten nach Eingang des vollständigen Leistungsantrags beim zuständigen Leistungsträger, beim Fehlen eines Antrags nach Ablauf eines Kalendermonats nach der Bekanntgabe der Entscheidung über die Leistung.
21 
Ein vollständiger Leistungsantrag liegt vor, wenn der zuständige Leistungsträger durch ihn in die Lage versetzt wird, den geltend gemachten Anspruch nach Grund und Höhe zu überprüfen, d.h. die von Amts wegen durchzuführende (§ 20 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch [SGB X]) Ermittlung des Sachverhalts zügig aufzunehmen und die ggf. noch erforderlichen tatsächlichen Feststellungen zu treffen und die begehrte Leistung zu bewilligen (hierzu und zum Folgenden BSG, Urteil vom 22. Juni 1989 – 4 RA 44/88 – juris, Rn. 17 f. m.w.N.). Wenn ein Leistungsträger Antragsvordrucke (§ 17 Abs. 1 Nr. 3 SGB I) herausgegeben hat, liegt ein vollständiger Leistungsantrag spätestens vor, sobald der Antragsteller den Vordruck für den Antrag auf die begehrte Leistung vollständig ausgefüllt und auch die darin als beizubringend bezeichneten (§ 60 Abs. 1 Nr. 3 SGB I) Unterlagen eingereicht hat. Dies gilt auch dann, wenn der Antragsteller über den Antragsvordruck hinaus durch weitere erhebliche Angaben (§ 60 Abs. 1 Nr. 1 und 2 SGB I), Erklärungen (§ 60 Abs. 1 Nr. 1 und 3 SGB I) oder die Vorlage weiterer Beweisurkunden (§ 60 Abs. 1 Nr. 3 SGB I) bei der Bearbeitung des Antrags mitzuwirken hat (§ 65 Abs. 1 und 3 SGB I). Das Gesetz nimmt im Interesse der Berechtigten an einem möglichst einfach gestalteten Zugang zu den Sozialleistungen die mit einem notwendig typisierenden Vordruck unvermeidbar verbundene Pauschalierung der Anforderungen an einen „vollständigen“ Leistungsantrag in Kauf. Andererseits legt es dem Antragsteller für den Einzelfall – abgesehen vor der Pflicht zur Benutzung des Vordrucks – keine über die §§ 60, 65 SGB I hinausgehenden Mitwirkungspflichten beim Antrag auf. Daher ist er auch bei Benutzung eines in genereller Betrachtung ermessensfehlerfrei ausgestalteten Antragsvordrucks nicht zu Angaben oder zur Vorlage von Beweisurkunden verpflichtet, soweit dies für die Leistung nicht erheblich (§ 60 Abs. 1 SGB I), unangemessen (§ 65 Abs. 1 Nr. 1 SGB I) oder unzumutbar (§ 60 Abs. 1 Nr. 2 SGB I) ist oder der Leistungsträger sich durch geringeren Aufwand als er die erforderlichen Kenntnisse selbst beschaffen kann (§ 65 Abs. 1 Nr. 3 SGB I) oder ein Verweigerungsrecht (§ 65 Abs. 3 SGB I) besteht. Ein Antrag kann also „vollständig“ sein, obwohl der Antragsvordruck „unvollständig“ ausgefüllt ist oder darin angeforderte Unterlagen nicht eingereicht worden sind, wenn im Einzelfall im Blick hierauf keine Mitwirkungspflicht im Sinne der §§ 60, 65 SGB I bestanden hat (BSG, Urteil vom 22. Juni 1989 – 4 RA 44/88 – juris, Rn. 19; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 21. Juni 2012 – L 7 R 923/11 – juris, Rn. 21).
22 
(2) Ein vollständiger Leistungsantrag lag frühestens am 22. Mai 2012 vor, als der Antrag des Klägers auf Gewährung von Altersrente für schwerbehinderte Menschen (für die Zeit ab dem 1. September 2012) bei der Beklagten einging. Die Frist des § 44 Abs. 2 SGB I begann damit frühestens am 1. Dezember 2012 zu laufen. Die Beklagte hatte über den Antrag des Klägers indes bereits mit Bescheid vom 19. Juli 2012 entschieden, so dass insofern ein Verzinsungsanspruch nach § 44 SGB I ausscheidet.
23 
Der Umstand, dass die Beklagte in ihrem Bescheid vom 19. Juli 2012 davon spricht, dass die Altersrente auf den „Antrag vom 13.08.2009“ gewährt werde, ändert hieran nichts. Für die Frage des Leistungsantrages im Sinne des § 44 Abs. 2 SGB I ist entscheidend, ob ein solcher Leistungsantrag objektiv vorlag, nicht ob in einem Bescheid ein Antrag als an einem bestimmten Tag gestellt erwähnt wird.
24 
b) Aus dem Institut des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs folgt nichts anderes. Weder hält der sozialrechtliche Herstellungsanspruch selbst einen Verzinsungsanspruch als Rechtsfolge bereit noch kann hierdurch ein vollständiger Leistungsantrag im Sinne des § 44 Abs. 2 SGB I fingiert werden.
25 
(1) Das Institut des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs hält auf der Rechtsfolgenseite keinen Zinsanspruch bereit. Dem steht schon entgegen, dass der sozialrechtliche Herstellungsanspruch auf Vornahme einer Amtshandlung zur Herbeiführung eines Zustandes, der bestehen würde, wenn der Versicherungsträger sich rechtmäßig verhalten hätte, nicht aber auf finanzielle Entschädigung gerichtet ist (BSG, Urteil vom 9. September 1982 – 5b RJ 68/81 – juris, Rn. 13), jedenfalls aber, dass er für Verzinsungsansprüche durch § 44 SGB I als lex specialis verdrängt wird (BSG, Urteil vom 1. März 1984 – 4 RJ 104/82 – juris, Rn. 18). Die Nachteile, die ein Versicherter dadurch erleidet, dass ein fälliger Anspruch nicht unverzüglich erfüllt wird, will das Gesetz ausschließlich durch die Bewilligung eines Zinsanspruches nach § 44 SGB I ausgleichen, während für Schadensersatzansprüche aus anderen Rechtsgrundlagen der Rechtsweg zu den Sozialgerichten nicht gegeben ist (BSG, Urteil vom 1. März 1984 – 4 RJ 55/83 – juris, Rn. 14).
26 
Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch setzt nach ständiger Rechtsprechung des BSG auf der Tatbestandsseite eine dem zuständigen Sozialleistungsträger zuzurechnende Pflichtverletzung voraus, durch welche dem Berechtigten ein sozialrechtlicher Nachteil oder Schaden entstanden ist (etwa BSG, Urteil vom 16. Dezember 2014 – B 1 KR 19/14 R – juris, Rn. 16; BSG, Urteil vom 11. Dezember 2014 – B 11 AL 2/14 R – juris, Rn. 39 m.w.N.; BSG, Urteil vom 4. September 2013 – B 12 AL 2/12 R – juris, Rn. 19). Rechtsfolge des Bestehens eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruches ist der Anspruch gegen die Behörde auf Vornahme einer rechtlich zulässigen Amtshandlung, durch den der Zustand wiederhergestellt werden könnte, der bestehen würde, wenn die Pflichtverletzung nicht erfolgt wäre (etwa BSG, Urteil vom 11. Dezember 2014 – B 11 AL 2/14 R – juris, Rn. 39; BSG, Urteil vom 3. April 2014 – B 5 R 5/13 R – juris, Rn. 37; BSG, Urteil vom 11. März 2004 – B 13 RJ 16/03 R – juris, Rn. 24).
27 
Der geltend gemachte Zinsanspruch kann daher nicht Rechtsfolge eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs sein. Denn durch die Zinszahlung würde nicht der Zustand hergestellt, der bestehen würde, wenn die Beklagte dem Kläger gegenüber keine Pflichtverletzung begangen hätte; ob eine solche Pflichtverletzung vorliegt, kann der Senat daher auch dahinstehen lassen. Hätte die Beklagte den Kläger rechtzeitig über die Möglichkeit, eine Altersrente wegen Schwerbehinderung bereits ab dem 1. September 2009 zu beantragen, informiert, hätte der Kläger dann die Rente rechtzeitig beantragt und die Beklagte zeitnah bewilligt, hätte der Kläger gerade keinen Anspruch auf Zinszahlungen gehabt (vgl. BSG, Urteil vom 9. September 1982 – 5b RJ 68/81 – juris, Rn. 13). Der Kläger will also im vorliegenden Verfahren gar nicht die Herstellung des Zustandes, der ohne (unterstellte) Pflichtverletzung bestanden hätte, sondern sein Begehren ist der Sache nach auf einen darüber hinaus gehenden Schadensersatz gerichtet. Auch das BSG hat betont, dass ein Schadensersatzanspruch im Wege der Amtshaftung geltend zu machen ist und dass sich § 44 SGB I nur auf Fälle bezieht, in denen die Verwaltung trotz vollständig vorliegenden Leistungsantrages eine Leistung nicht innerhalb von sechs Monaten ausgezahlt hat, die Norm aber nicht aber zum Zwecke von Verfolgungsschäden ausgedehnt werden darf (BSG, Urteil vom 8. September 1983 – 5b RJ 28/82 – juris, Rn. 15).
28 
(2) Von der soeben erörterten Frage, ob ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch auf der Rechtsfolgenseite einen Zinsanspruch generieren kann, zu unterscheiden ist die Frage, ob und welchen Voraussetzungen Leistungen, die aufgrund eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs rückwirkend gewährt wurden, nach § 44 Abs. 1 SGB I zu verzinsen sind, ob also der für den Hauptanspruch fingierte Antrag auch einen Antrag im Sinne des § 44 Abs. 1 SGB I darstellt (so Sozialgericht Berlin, Urteil vom 20. Mai 2010 – S 97 R 4899/07 – juris, Rn. 16). Sie ist zu verneinen (a.A. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 4. Dezember 2012 – L 11 R 3594/11 – juris, Rn. 28; aus anderen Gründen aufgehoben durch BSG, Urteil vom 27. Mai 2014 – B 5 RE 6/14 R – juris). Auch dies folgt aus dem Charakter des sozialrechtlichen Herstellungsanspruches und seiner – siehe oben – Rechtsfolgen, die ansonsten unzulässig erweitert würden.
29 
Dahinstehen kann dabei, ob die Beklagte mit ihrem Argument durchdringen kann, sie habe vor dem 22. Mai 2012 den Antrag gar nicht bearbeiten können und daher auch die sechsmonatige Bearbeitungsfrist – gemessen ab dem Zeitpunkt der fiktiven Antragstellung am 31. August 2009 – nicht einhalten können. Dagegen dürfte sprechen, dass der Verzinsungsanspruch des § 44 Abs. 1 SGB I nach der Rechtsprechung des BSG kein Verschulden voraussetzt, weswegen der Leistungsträger den Beginn der Verzinsung nicht mit der Begründung hinausschieben kann, er habe die Bearbeitung des vollständigen Leistungsantrages erst zu einem späteren Zeitpunkt beginnen können (so BSG, Urteil vom 28. Februar 1990 – 2 RU 41/89 – juris, Rn. 22). Andererseits hat das BSG in einem anderen Urteil betont, dass dem Versicherungsträger in jedem Fall sechs Monate Bearbeitungszeit zur Verfügung stehen muss, bevor die Verzinsungspflicht beginnt (BSG, Urteil vom 13. Oktober 1983 – 11 RA 49/82 – juris, Rn. 15).
30 
Das BSG hat den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch aus einer vertragsähnlichen Nebenpflicht nach dem auch im öffentlichen Recht geltenden Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 Bürgerliches Gesetzbuch [BGB]) abgeleitet (so unter dem Topos „sozialrechtlicher Herstellungsanspruch“ zuerst wohl BSG, Urteil vom 18. Dezember 1975 – 12 RJ 88/75 – juris, Rn. 11; zuvor als „Folgenbeseitigungsanspruch“ diskutiert, aber offen gelassen von BSG, Urteil vom 23. März 1972 – 5 RJ 63/70 – juris, Rn. 14; der Sache bereits ähnlich diskutiert etwa bei BSG, Urteil vom 14. Juni 1962 – 4 RJ 75/60 – juris, Rn. 15; BSG, Urteil vom 29. Oktober 1968 – 4 RJ 553/64 – juris, Rn. 16 m.w.N.; BSG, Urteil vom 17. November 1970 – 1 RA 233/68 – juris, Rn. 20; siehe auch Köhler, ZFSH/SGB 2015, 181 [189]).
31 
Es hat dabei zugleich die Notwendigkeit gesehen, die Rechtsfolge des sozialrechtlichen Herstellungsanspruch von Schadensersatzansprüchen in Geld abzugrenzen, die nach § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG der Zuständigkeit der ordentlichen Gerichtsbarkeit zugewiesen sind (BSG, Urteil vom 18. Dezember 1975 – 12 RJ 88/75 – juris, Rn. 11). Die Abgrenzung zum Schadensersatzanspruch hat sicherzustellen, dass der Herstellungsanspruch keine verkappte Verurteilung zum Schadensersatz in Geld ermöglicht (BSG, Urteil vom 18. August 1983 – 11 RA 60/82 – juris, Rn. 18). Ein Schadensersatzanspruch im Hinblick auf eine verspätete Auszahlung eines Nachzahlungsbetrages ist daher allein vor den Gerichten der ordentlichen Gerichtsbarkeit zu verfolgen (BSG, Urteil vom 9. September 1982 – 5b RJ 68/81 – juris, Rn. 14). Bedenkt man zugleich, dass es dem BSG bei Kreierung des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs um die „Schließung einer Lücke im Schadensersatzrecht“ (BSG, Urteil vom 27. März 2007 – B 13 R 58/06 R – juris, Rn. 14) ging, folgt daraus, dass eine Geldleistung jedenfalls dann nicht im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs begehrt werden kann, wenn diese Geldleistung auch im Wege eines Amtshaftungsanspruch geltend gemacht werden könnte.
32 
So verhält es sich aber bei Schadensersatzansprüchen, die der Kläger der Sache nach geltend macht und die gerade Gegenstand eines Amtshaftungsanspruchs sein können. Eine Lücke im Schadensersatzrecht, die zu schließen wäre, besteht daher von vorneherein nicht.
33 
Dieses Ergebnis liegt im Übrigen in Übereinstimmung mit einem Urteil des BSG zur Umdeutung eine Antrages auf Leistungen zur Rehabilitation gemäß § 116 Abs. 2 SGB VI in einen Rentenantrag: Das BSG hat hier betont, dass die Fiktion des § 116 Abs. 2 SGB VI zwar bewirkt, dass der Rentenantrag im Sinne des § 99 SGB VI (als zum Zeitpunkt des Rehabilitationsantrages) wirksam gestellt gilt, dass die Regelung jedoch keinen vollständigen Antrag auch im Sinne des § 44 Abs. 2 SGB I fingiert (BSG, Urteil vom 31. Januar 2008 – B 13 R 17/07 R – juris, Rn. 13). In dem selben Urteil hat sich das BSG zudem gegen die Vermengung von Gesichtspunkten, die im Rahmen einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs erheblich sein können, mit den Tatbestandsvoraussetzungen des § 44 Abs. 2 SGB I gewandt (BSG, Urteil vom 31. Januar 2008 – B 13 R 17/07 R – juris, Rn. 16).
34 
(3) Schließlich streitet auch die Entwicklung des einfachen Rechts wie auch des Verfassungsrechts für einen engen Anwendungsbereich des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs. Dieses Rechtsinstitut ist lediglich richterrechtlich entwickelt worden. Zwar geht die Rechtsprechung auch des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) davon aus, dass richterliche Rechtsfortbildung grundsätzlich zulässig ist (BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 14. Februar 1973 – 1 BvR 112/65 – juris, Rn. 38 ff.; BVerfG, Beschluss vom 12. November 1997 – 1 BvR 479/92, 1 BvR 31 BvR 307/94 – juris, Rn. 50 ff.; zur Problematik des Richterrechts bzw. den Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung siehe m.w.N. etwa Hillgruber, JZ 2008, 745 ff.; Kriele, ZRP 2008, 51 ff.; Möllers, JZ 2009, 668 ff.; Pieroth/Aubel, JZ 2003, 504 ff.; Rüthers, Die unbegrenzte Auslegung, 1968, S. 457 ff.; Rüthers, NJW 2011, 1856 ff.; Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, 8. Aufl. 2015, Rn. 878 ff., 936 ff.; Steiner, in: Müller/Osterloh/Stein [Hrsg.], Festschrift Hirsch, 2008, S. 611 ff.). Sie bedarf aber stets der kritischen Überprüfung, nicht zuletzt im Hinblick auf die Entscheidungen des Gesetzgebers selbst. Insofern ist von Bedeutung, dass § 31 SGB I anordnet, dass Rechte und Pflichten in den Sozialleistungsbereich des Sozialgesetzbuches nur begründet, festgestellt, geändert oder aufgehoben werden, soweit ein Gesetz es vorschreibt oder zulässt. Diese einfachrechtliche Kodifizierung des Vorbehaltes des Gesetzes ist verfassungsrechtlich fundiert. Während seit jeher klar ist, dass unter der Herrschaft des Grundgesetzes die Verwaltung in Rechtspositionen des Bürgers nur auf Grundlage eines parlamentarischen Gesetzes kann (siehe etwa BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 28. Oktober 1975 – 2 BvR 883/73 u.a. – juris, Rn. 34), ist mittlerweile die Geltung des Vorbehaltes des Gesetzes auch im Bereich der Leistungsverwaltung anerkannt (BVerfG, Urteil vom 9. Februar 2010 – 1 BvL 1/09, 1 BvL 31 BvL 3/09, 1 BvL 41 BvL 4/09 – juris, Rn. 136; vgl. dazu auch Aubel, in: Emmenegger/Wiedmann [Hrsg.], Linien der Rechtsprechung des BVerfG – erörtert von den wissenschaftlichen Mitarbeitern, Band 2, 2011, S. 273 [287 f.]; Bittner, German Law Journal 2011, 1941 [1956]; Gärditz, BRJ 2010, 4 [7 f.]; in der Literatur zuvor etwa schon Henke, AöR 101 [1976], S. 576 [587]; ders., DÖV 1977, 41 [44 ff.]). Das Gebot strikter Gesetzlichkeit und das Verbot von Analogiebildungen sind aus objektiv-rechtsstaatlichen und demokratischen Gründen auch dann zu beachten, wenn sie sich zum Nachteil des einzelnen leistungsbegehrenden Bürgers auswirken (Gärditz, in: Friauf/Höfling [Hrsg.], Berliner Kommentar zum GG, Art. 20 [6. Teil] Rn. 164 [Januar 2011]).
35 
Mit diesem Vorbehalt des Gesetzes konfligiert tendenziell die Etablierung des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs als allein richterrechtliche Anspruchsgrundlage. Sie erklärt sich historisch daraus, dass der sozialrechtliche Herstellungsanspruch bereits seit den 1960er Jahren entwickelt wurde (siehe oben), das SGB I und mit ihm § 31 SGB I jedoch erst am 1. Januar 1976 (Gesetz vom 11. Dezember 1975, BGBl. I S. 3015) in Kraft getreten ist. Der Senat muss nicht entscheiden, welche Folgerungen hieraus und aus der späteren Rechtsentwicklung generell zu ziehen sind. Für das vorliegende Verfahren reicht die Feststellung aus, dass der Umstand, dass bereits nach der allgemeinen Auffassung zum sozialrechtlichen Herstellungsanspruch der vom Kläger geltend gemachte Zinszahlungsanspruch nicht besteht, auch durch die übergreifenden Rechtsentwicklungen, die eine restriktive Anwendung des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs gebieten, gestützt wird.
36 
c) Ob der Kläger gegen die Beklagte einen Anspruch aufgrund einer Amtshaftung hat, hat der Senat im vorliegenden Verfahren nicht zu prüfen, weil insoweit die Gerichte der Zivilgerichtsbarkeit ausschließlich zuständig sind. Eine Teilverweisung dieses Rechtsstreits insoweit ist nicht zulässig (z.B. BSG, Beschluss vom 30. Juli 2014 – B 14 AS 8/14 B – juris, Rn. 5; Urteil des Senats vom 27. Januar 2012 – L 4 R 1296/11 – juris, Rn. 35, jeweils m.w.N.).
37 
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG.
38 
4. Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe hierfür (vgl. § 160 Abs. 2 SGG) nicht vorliegen. Zwar hat der Senat seinerzeit die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG) zugelassen. Bei der im Berufungsverfahren erfolgten umfassenden Prüfung der Sach- und Rechtslage hat sich aber – wie dargestellt – herausgestellt, dass die maßgeblichen Fragen bereits vom BSG entschieden worden sind. Aus diesem Grund hätte die Berufung seinerzeit zugelassen werden müssen, weil das Urteil des SG von Entscheidungen des BSG abweicht und auf dieser Abweichung beruht (§ 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG).

Gründe

 
18 
1. Die gemäß § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und vom Senat gemäß § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG zugelassene Berufung der Beklagten, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden konnte (§ 124 Abs. 2 SGG), ist auch im Übrigen zulässig. Sie ist insbesondere form- und fristgerecht eingelegt, da das Beschwerdeverfahren gemäß § 145 Abs. 5 Satz 1 SGG als Berufungsverfahren fortgesetzt wurde.
19 
2. Die Berufung ist begründet. Das SG hat zu Unrecht den Bescheid der Beklagten vom 15. August 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Oktober 2012 aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, den dem Kläger für die Monate September 2009 bis August 2012 zuerkannten Rentennachzahlungsbetrag in Höhe von EUR 6.850,18 in Anwendung des § 44 SGB I für die Zeit von März 2010 bis Juli 2012 zu verzinsen. Denn der Bescheid der Beklagten vom 15. August 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Oktober 2012 ist rechtmäßig. Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Verzinsung der Rentenzahlung für September 2009 bis August 2012.
20 
a) (1) Gemäß § 44 Abs. 1 SGB I sind Ansprüche auf Geldleistungen nach Ablauf eines Kalendermonats nach dem Eintritt ihrer Fälligkeit bis zum Ablauf des Kalendermonats vor der Zahlung mit 4 v.H. zu verzinsen. Nach Abs. 2 dieser Vorschrift beginnt die Verzinsung frühestens nach Ablauf von sechs Kalendermonaten nach Eingang des vollständigen Leistungsantrags beim zuständigen Leistungsträger, beim Fehlen eines Antrags nach Ablauf eines Kalendermonats nach der Bekanntgabe der Entscheidung über die Leistung.
21 
Ein vollständiger Leistungsantrag liegt vor, wenn der zuständige Leistungsträger durch ihn in die Lage versetzt wird, den geltend gemachten Anspruch nach Grund und Höhe zu überprüfen, d.h. die von Amts wegen durchzuführende (§ 20 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch [SGB X]) Ermittlung des Sachverhalts zügig aufzunehmen und die ggf. noch erforderlichen tatsächlichen Feststellungen zu treffen und die begehrte Leistung zu bewilligen (hierzu und zum Folgenden BSG, Urteil vom 22. Juni 1989 – 4 RA 44/88 – juris, Rn. 17 f. m.w.N.). Wenn ein Leistungsträger Antragsvordrucke (§ 17 Abs. 1 Nr. 3 SGB I) herausgegeben hat, liegt ein vollständiger Leistungsantrag spätestens vor, sobald der Antragsteller den Vordruck für den Antrag auf die begehrte Leistung vollständig ausgefüllt und auch die darin als beizubringend bezeichneten (§ 60 Abs. 1 Nr. 3 SGB I) Unterlagen eingereicht hat. Dies gilt auch dann, wenn der Antragsteller über den Antragsvordruck hinaus durch weitere erhebliche Angaben (§ 60 Abs. 1 Nr. 1 und 2 SGB I), Erklärungen (§ 60 Abs. 1 Nr. 1 und 3 SGB I) oder die Vorlage weiterer Beweisurkunden (§ 60 Abs. 1 Nr. 3 SGB I) bei der Bearbeitung des Antrags mitzuwirken hat (§ 65 Abs. 1 und 3 SGB I). Das Gesetz nimmt im Interesse der Berechtigten an einem möglichst einfach gestalteten Zugang zu den Sozialleistungen die mit einem notwendig typisierenden Vordruck unvermeidbar verbundene Pauschalierung der Anforderungen an einen „vollständigen“ Leistungsantrag in Kauf. Andererseits legt es dem Antragsteller für den Einzelfall – abgesehen vor der Pflicht zur Benutzung des Vordrucks – keine über die §§ 60, 65 SGB I hinausgehenden Mitwirkungspflichten beim Antrag auf. Daher ist er auch bei Benutzung eines in genereller Betrachtung ermessensfehlerfrei ausgestalteten Antragsvordrucks nicht zu Angaben oder zur Vorlage von Beweisurkunden verpflichtet, soweit dies für die Leistung nicht erheblich (§ 60 Abs. 1 SGB I), unangemessen (§ 65 Abs. 1 Nr. 1 SGB I) oder unzumutbar (§ 60 Abs. 1 Nr. 2 SGB I) ist oder der Leistungsträger sich durch geringeren Aufwand als er die erforderlichen Kenntnisse selbst beschaffen kann (§ 65 Abs. 1 Nr. 3 SGB I) oder ein Verweigerungsrecht (§ 65 Abs. 3 SGB I) besteht. Ein Antrag kann also „vollständig“ sein, obwohl der Antragsvordruck „unvollständig“ ausgefüllt ist oder darin angeforderte Unterlagen nicht eingereicht worden sind, wenn im Einzelfall im Blick hierauf keine Mitwirkungspflicht im Sinne der §§ 60, 65 SGB I bestanden hat (BSG, Urteil vom 22. Juni 1989 – 4 RA 44/88 – juris, Rn. 19; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 21. Juni 2012 – L 7 R 923/11 – juris, Rn. 21).
22 
(2) Ein vollständiger Leistungsantrag lag frühestens am 22. Mai 2012 vor, als der Antrag des Klägers auf Gewährung von Altersrente für schwerbehinderte Menschen (für die Zeit ab dem 1. September 2012) bei der Beklagten einging. Die Frist des § 44 Abs. 2 SGB I begann damit frühestens am 1. Dezember 2012 zu laufen. Die Beklagte hatte über den Antrag des Klägers indes bereits mit Bescheid vom 19. Juli 2012 entschieden, so dass insofern ein Verzinsungsanspruch nach § 44 SGB I ausscheidet.
23 
Der Umstand, dass die Beklagte in ihrem Bescheid vom 19. Juli 2012 davon spricht, dass die Altersrente auf den „Antrag vom 13.08.2009“ gewährt werde, ändert hieran nichts. Für die Frage des Leistungsantrages im Sinne des § 44 Abs. 2 SGB I ist entscheidend, ob ein solcher Leistungsantrag objektiv vorlag, nicht ob in einem Bescheid ein Antrag als an einem bestimmten Tag gestellt erwähnt wird.
24 
b) Aus dem Institut des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs folgt nichts anderes. Weder hält der sozialrechtliche Herstellungsanspruch selbst einen Verzinsungsanspruch als Rechtsfolge bereit noch kann hierdurch ein vollständiger Leistungsantrag im Sinne des § 44 Abs. 2 SGB I fingiert werden.
25 
(1) Das Institut des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs hält auf der Rechtsfolgenseite keinen Zinsanspruch bereit. Dem steht schon entgegen, dass der sozialrechtliche Herstellungsanspruch auf Vornahme einer Amtshandlung zur Herbeiführung eines Zustandes, der bestehen würde, wenn der Versicherungsträger sich rechtmäßig verhalten hätte, nicht aber auf finanzielle Entschädigung gerichtet ist (BSG, Urteil vom 9. September 1982 – 5b RJ 68/81 – juris, Rn. 13), jedenfalls aber, dass er für Verzinsungsansprüche durch § 44 SGB I als lex specialis verdrängt wird (BSG, Urteil vom 1. März 1984 – 4 RJ 104/82 – juris, Rn. 18). Die Nachteile, die ein Versicherter dadurch erleidet, dass ein fälliger Anspruch nicht unverzüglich erfüllt wird, will das Gesetz ausschließlich durch die Bewilligung eines Zinsanspruches nach § 44 SGB I ausgleichen, während für Schadensersatzansprüche aus anderen Rechtsgrundlagen der Rechtsweg zu den Sozialgerichten nicht gegeben ist (BSG, Urteil vom 1. März 1984 – 4 RJ 55/83 – juris, Rn. 14).
26 
Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch setzt nach ständiger Rechtsprechung des BSG auf der Tatbestandsseite eine dem zuständigen Sozialleistungsträger zuzurechnende Pflichtverletzung voraus, durch welche dem Berechtigten ein sozialrechtlicher Nachteil oder Schaden entstanden ist (etwa BSG, Urteil vom 16. Dezember 2014 – B 1 KR 19/14 R – juris, Rn. 16; BSG, Urteil vom 11. Dezember 2014 – B 11 AL 2/14 R – juris, Rn. 39 m.w.N.; BSG, Urteil vom 4. September 2013 – B 12 AL 2/12 R – juris, Rn. 19). Rechtsfolge des Bestehens eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruches ist der Anspruch gegen die Behörde auf Vornahme einer rechtlich zulässigen Amtshandlung, durch den der Zustand wiederhergestellt werden könnte, der bestehen würde, wenn die Pflichtverletzung nicht erfolgt wäre (etwa BSG, Urteil vom 11. Dezember 2014 – B 11 AL 2/14 R – juris, Rn. 39; BSG, Urteil vom 3. April 2014 – B 5 R 5/13 R – juris, Rn. 37; BSG, Urteil vom 11. März 2004 – B 13 RJ 16/03 R – juris, Rn. 24).
27 
Der geltend gemachte Zinsanspruch kann daher nicht Rechtsfolge eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs sein. Denn durch die Zinszahlung würde nicht der Zustand hergestellt, der bestehen würde, wenn die Beklagte dem Kläger gegenüber keine Pflichtverletzung begangen hätte; ob eine solche Pflichtverletzung vorliegt, kann der Senat daher auch dahinstehen lassen. Hätte die Beklagte den Kläger rechtzeitig über die Möglichkeit, eine Altersrente wegen Schwerbehinderung bereits ab dem 1. September 2009 zu beantragen, informiert, hätte der Kläger dann die Rente rechtzeitig beantragt und die Beklagte zeitnah bewilligt, hätte der Kläger gerade keinen Anspruch auf Zinszahlungen gehabt (vgl. BSG, Urteil vom 9. September 1982 – 5b RJ 68/81 – juris, Rn. 13). Der Kläger will also im vorliegenden Verfahren gar nicht die Herstellung des Zustandes, der ohne (unterstellte) Pflichtverletzung bestanden hätte, sondern sein Begehren ist der Sache nach auf einen darüber hinaus gehenden Schadensersatz gerichtet. Auch das BSG hat betont, dass ein Schadensersatzanspruch im Wege der Amtshaftung geltend zu machen ist und dass sich § 44 SGB I nur auf Fälle bezieht, in denen die Verwaltung trotz vollständig vorliegenden Leistungsantrages eine Leistung nicht innerhalb von sechs Monaten ausgezahlt hat, die Norm aber nicht aber zum Zwecke von Verfolgungsschäden ausgedehnt werden darf (BSG, Urteil vom 8. September 1983 – 5b RJ 28/82 – juris, Rn. 15).
28 
(2) Von der soeben erörterten Frage, ob ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch auf der Rechtsfolgenseite einen Zinsanspruch generieren kann, zu unterscheiden ist die Frage, ob und welchen Voraussetzungen Leistungen, die aufgrund eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs rückwirkend gewährt wurden, nach § 44 Abs. 1 SGB I zu verzinsen sind, ob also der für den Hauptanspruch fingierte Antrag auch einen Antrag im Sinne des § 44 Abs. 1 SGB I darstellt (so Sozialgericht Berlin, Urteil vom 20. Mai 2010 – S 97 R 4899/07 – juris, Rn. 16). Sie ist zu verneinen (a.A. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 4. Dezember 2012 – L 11 R 3594/11 – juris, Rn. 28; aus anderen Gründen aufgehoben durch BSG, Urteil vom 27. Mai 2014 – B 5 RE 6/14 R – juris). Auch dies folgt aus dem Charakter des sozialrechtlichen Herstellungsanspruches und seiner – siehe oben – Rechtsfolgen, die ansonsten unzulässig erweitert würden.
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Dahinstehen kann dabei, ob die Beklagte mit ihrem Argument durchdringen kann, sie habe vor dem 22. Mai 2012 den Antrag gar nicht bearbeiten können und daher auch die sechsmonatige Bearbeitungsfrist – gemessen ab dem Zeitpunkt der fiktiven Antragstellung am 31. August 2009 – nicht einhalten können. Dagegen dürfte sprechen, dass der Verzinsungsanspruch des § 44 Abs. 1 SGB I nach der Rechtsprechung des BSG kein Verschulden voraussetzt, weswegen der Leistungsträger den Beginn der Verzinsung nicht mit der Begründung hinausschieben kann, er habe die Bearbeitung des vollständigen Leistungsantrages erst zu einem späteren Zeitpunkt beginnen können (so BSG, Urteil vom 28. Februar 1990 – 2 RU 41/89 – juris, Rn. 22). Andererseits hat das BSG in einem anderen Urteil betont, dass dem Versicherungsträger in jedem Fall sechs Monate Bearbeitungszeit zur Verfügung stehen muss, bevor die Verzinsungspflicht beginnt (BSG, Urteil vom 13. Oktober 1983 – 11 RA 49/82 – juris, Rn. 15).
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Das BSG hat den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch aus einer vertragsähnlichen Nebenpflicht nach dem auch im öffentlichen Recht geltenden Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 Bürgerliches Gesetzbuch [BGB]) abgeleitet (so unter dem Topos „sozialrechtlicher Herstellungsanspruch“ zuerst wohl BSG, Urteil vom 18. Dezember 1975 – 12 RJ 88/75 – juris, Rn. 11; zuvor als „Folgenbeseitigungsanspruch“ diskutiert, aber offen gelassen von BSG, Urteil vom 23. März 1972 – 5 RJ 63/70 – juris, Rn. 14; der Sache bereits ähnlich diskutiert etwa bei BSG, Urteil vom 14. Juni 1962 – 4 RJ 75/60 – juris, Rn. 15; BSG, Urteil vom 29. Oktober 1968 – 4 RJ 553/64 – juris, Rn. 16 m.w.N.; BSG, Urteil vom 17. November 1970 – 1 RA 233/68 – juris, Rn. 20; siehe auch Köhler, ZFSH/SGB 2015, 181 [189]).
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Es hat dabei zugleich die Notwendigkeit gesehen, die Rechtsfolge des sozialrechtlichen Herstellungsanspruch von Schadensersatzansprüchen in Geld abzugrenzen, die nach § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG der Zuständigkeit der ordentlichen Gerichtsbarkeit zugewiesen sind (BSG, Urteil vom 18. Dezember 1975 – 12 RJ 88/75 – juris, Rn. 11). Die Abgrenzung zum Schadensersatzanspruch hat sicherzustellen, dass der Herstellungsanspruch keine verkappte Verurteilung zum Schadensersatz in Geld ermöglicht (BSG, Urteil vom 18. August 1983 – 11 RA 60/82 – juris, Rn. 18). Ein Schadensersatzanspruch im Hinblick auf eine verspätete Auszahlung eines Nachzahlungsbetrages ist daher allein vor den Gerichten der ordentlichen Gerichtsbarkeit zu verfolgen (BSG, Urteil vom 9. September 1982 – 5b RJ 68/81 – juris, Rn. 14). Bedenkt man zugleich, dass es dem BSG bei Kreierung des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs um die „Schließung einer Lücke im Schadensersatzrecht“ (BSG, Urteil vom 27. März 2007 – B 13 R 58/06 R – juris, Rn. 14) ging, folgt daraus, dass eine Geldleistung jedenfalls dann nicht im Wege des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs begehrt werden kann, wenn diese Geldleistung auch im Wege eines Amtshaftungsanspruch geltend gemacht werden könnte.
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So verhält es sich aber bei Schadensersatzansprüchen, die der Kläger der Sache nach geltend macht und die gerade Gegenstand eines Amtshaftungsanspruchs sein können. Eine Lücke im Schadensersatzrecht, die zu schließen wäre, besteht daher von vorneherein nicht.
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Dieses Ergebnis liegt im Übrigen in Übereinstimmung mit einem Urteil des BSG zur Umdeutung eine Antrages auf Leistungen zur Rehabilitation gemäß § 116 Abs. 2 SGB VI in einen Rentenantrag: Das BSG hat hier betont, dass die Fiktion des § 116 Abs. 2 SGB VI zwar bewirkt, dass der Rentenantrag im Sinne des § 99 SGB VI (als zum Zeitpunkt des Rehabilitationsantrages) wirksam gestellt gilt, dass die Regelung jedoch keinen vollständigen Antrag auch im Sinne des § 44 Abs. 2 SGB I fingiert (BSG, Urteil vom 31. Januar 2008 – B 13 R 17/07 R – juris, Rn. 13). In dem selben Urteil hat sich das BSG zudem gegen die Vermengung von Gesichtspunkten, die im Rahmen einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs erheblich sein können, mit den Tatbestandsvoraussetzungen des § 44 Abs. 2 SGB I gewandt (BSG, Urteil vom 31. Januar 2008 – B 13 R 17/07 R – juris, Rn. 16).
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(3) Schließlich streitet auch die Entwicklung des einfachen Rechts wie auch des Verfassungsrechts für einen engen Anwendungsbereich des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs. Dieses Rechtsinstitut ist lediglich richterrechtlich entwickelt worden. Zwar geht die Rechtsprechung auch des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) davon aus, dass richterliche Rechtsfortbildung grundsätzlich zulässig ist (BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 14. Februar 1973 – 1 BvR 112/65 – juris, Rn. 38 ff.; BVerfG, Beschluss vom 12. November 1997 – 1 BvR 479/92, 1 BvR 31 BvR 307/94 – juris, Rn. 50 ff.; zur Problematik des Richterrechts bzw. den Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung siehe m.w.N. etwa Hillgruber, JZ 2008, 745 ff.; Kriele, ZRP 2008, 51 ff.; Möllers, JZ 2009, 668 ff.; Pieroth/Aubel, JZ 2003, 504 ff.; Rüthers, Die unbegrenzte Auslegung, 1968, S. 457 ff.; Rüthers, NJW 2011, 1856 ff.; Rüthers/Fischer/Birk, Rechtstheorie, 8. Aufl. 2015, Rn. 878 ff., 936 ff.; Steiner, in: Müller/Osterloh/Stein [Hrsg.], Festschrift Hirsch, 2008, S. 611 ff.). Sie bedarf aber stets der kritischen Überprüfung, nicht zuletzt im Hinblick auf die Entscheidungen des Gesetzgebers selbst. Insofern ist von Bedeutung, dass § 31 SGB I anordnet, dass Rechte und Pflichten in den Sozialleistungsbereich des Sozialgesetzbuches nur begründet, festgestellt, geändert oder aufgehoben werden, soweit ein Gesetz es vorschreibt oder zulässt. Diese einfachrechtliche Kodifizierung des Vorbehaltes des Gesetzes ist verfassungsrechtlich fundiert. Während seit jeher klar ist, dass unter der Herrschaft des Grundgesetzes die Verwaltung in Rechtspositionen des Bürgers nur auf Grundlage eines parlamentarischen Gesetzes kann (siehe etwa BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 28. Oktober 1975 – 2 BvR 883/73 u.a. – juris, Rn. 34), ist mittlerweile die Geltung des Vorbehaltes des Gesetzes auch im Bereich der Leistungsverwaltung anerkannt (BVerfG, Urteil vom 9. Februar 2010 – 1 BvL 1/09, 1 BvL 31 BvL 3/09, 1 BvL 41 BvL 4/09 – juris, Rn. 136; vgl. dazu auch Aubel, in: Emmenegger/Wiedmann [Hrsg.], Linien der Rechtsprechung des BVerfG – erörtert von den wissenschaftlichen Mitarbeitern, Band 2, 2011, S. 273 [287 f.]; Bittner, German Law Journal 2011, 1941 [1956]; Gärditz, BRJ 2010, 4 [7 f.]; in der Literatur zuvor etwa schon Henke, AöR 101 [1976], S. 576 [587]; ders., DÖV 1977, 41 [44 ff.]). Das Gebot strikter Gesetzlichkeit und das Verbot von Analogiebildungen sind aus objektiv-rechtsstaatlichen und demokratischen Gründen auch dann zu beachten, wenn sie sich zum Nachteil des einzelnen leistungsbegehrenden Bürgers auswirken (Gärditz, in: Friauf/Höfling [Hrsg.], Berliner Kommentar zum GG, Art. 20 [6. Teil] Rn. 164 [Januar 2011]).
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Mit diesem Vorbehalt des Gesetzes konfligiert tendenziell die Etablierung des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs als allein richterrechtliche Anspruchsgrundlage. Sie erklärt sich historisch daraus, dass der sozialrechtliche Herstellungsanspruch bereits seit den 1960er Jahren entwickelt wurde (siehe oben), das SGB I und mit ihm § 31 SGB I jedoch erst am 1. Januar 1976 (Gesetz vom 11. Dezember 1975, BGBl. I S. 3015) in Kraft getreten ist. Der Senat muss nicht entscheiden, welche Folgerungen hieraus und aus der späteren Rechtsentwicklung generell zu ziehen sind. Für das vorliegende Verfahren reicht die Feststellung aus, dass der Umstand, dass bereits nach der allgemeinen Auffassung zum sozialrechtlichen Herstellungsanspruch der vom Kläger geltend gemachte Zinszahlungsanspruch nicht besteht, auch durch die übergreifenden Rechtsentwicklungen, die eine restriktive Anwendung des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs gebieten, gestützt wird.
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c) Ob der Kläger gegen die Beklagte einen Anspruch aufgrund einer Amtshaftung hat, hat der Senat im vorliegenden Verfahren nicht zu prüfen, weil insoweit die Gerichte der Zivilgerichtsbarkeit ausschließlich zuständig sind. Eine Teilverweisung dieses Rechtsstreits insoweit ist nicht zulässig (z.B. BSG, Beschluss vom 30. Juli 2014 – B 14 AS 8/14 B – juris, Rn. 5; Urteil des Senats vom 27. Januar 2012 – L 4 R 1296/11 – juris, Rn. 35, jeweils m.w.N.).
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG.
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4. Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe hierfür (vgl. § 160 Abs. 2 SGG) nicht vorliegen. Zwar hat der Senat seinerzeit die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG) zugelassen. Bei der im Berufungsverfahren erfolgten umfassenden Prüfung der Sach- und Rechtslage hat sich aber – wie dargestellt – herausgestellt, dass die maßgeblichen Fragen bereits vom BSG entschieden worden sind. Aus diesem Grund hätte die Berufung seinerzeit zugelassen werden müssen, weil das Urteil des SG von Entscheidungen des BSG abweicht und auf dieser Abweichung beruht (§ 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG).

(1) Verletzt ein Beamter vorsätzlich oder fahrlässig die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht, so hat er dem Dritten den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen. Fällt dem Beamten nur Fahrlässigkeit zur Last, so kann er nur dann in Anspruch genommen werden, wenn der Verletzte nicht auf andere Weise Ersatz zu erlangen vermag.

(2) Verletzt ein Beamter bei dem Urteil in einer Rechtssache seine Amtspflicht, so ist er für den daraus entstehenden Schaden nur dann verantwortlich, wenn die Pflichtverletzung in einer Straftat besteht. Auf eine pflichtwidrige Verweigerung oder Verzögerung der Ausübung des Amts findet diese Vorschrift keine Anwendung.

(3) Die Ersatzpflicht tritt nicht ein, wenn der Verletzte vorsätzlich oder fahrlässig unterlassen hat, den Schaden durch Gebrauch eines Rechtsmittels abzuwenden.

Verletzt jemand in Ausübung eines ihm anvertrauten öffentlichen Amtes die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht, so trifft die Verantwortlichkeit grundsätzlich den Staat oder die Körperschaft, in deren Dienst er steht. Bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit bleibt der Rückgriff vorbehalten. Für den Anspruch auf Schadensersatz und für den Rückgriff darf der ordentliche Rechtsweg nicht ausgeschlossen werden.

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.