Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt Beschluss, 30. Apr. 2015 - 4 M 41/15

ECLI:ECLI:DE:OVGST:2015:0430.4M41.15.0A
bei uns veröffentlicht am30.04.2015

Gründe

1

Soweit das Beschwerdeverfahren durch die übereinstimmenden Erledigungserklärungen der Beteiligten hinsichtlich des Zeitraum 22. bis 26. April 2015 in der Hauptsache erledigt ist, ist es in entsprechender Anwendung des § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen.

2

Im Übrigen hat die zulässige Beschwerde der Antragstellerin gegen die Entscheidung des Verwaltungsgerichts nach den von ihr erhobenen Einwänden, auf deren Prüfung der Senat beschränkt ist (vgl. § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), keinen Erfolg.

3

Der Antrag der Antragstellerin auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gem. § 123 Abs. 1 VwGO ist nach der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren allein möglichen summarischen Prüfung unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat im Ergebnis zu Recht festgestellt, dass sie einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht hat.

4

Das Begehren der am (…) 2013 geborenen Antragstellerin richtet sich auf die Verpflichtung des Antragsgegners, ihr „ab sofort einen zumutbaren Platz zur frühkindlichen Förderung entsprechend ihrem individuellen Bedarf“ im Zuständigkeitsbereich der in Sachsen gelegenen Beigeladenen „nachzuweisen“.

5

Gemäß § 24 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII hat ein Kind, das das erste Lebensjahr vollendet hat, bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres Anspruch auf frühkindliche Förderung in einer Tageseinrichtung oder in Kindertagespflege. Nach § 3 Abs. 1 Kinderförderungsgesetz Sachsen-Anhalt in der ab 1. August 2013 geltenden Fassung - KiFöG LSA -, der gem. § 24 Abs. 6 SGB VIII als weitergehendes Landesrecht unberührt bleibt, hat jedes Kind mit gewöhnlichem Aufenthalt im Land Sachsen-Anhalt bis zur Versetzung in den 7. Schuljahrgang Anspruch auf einen ganztägigen Platz in einer Tageseinrichtung.

6

Der Anspruch richtet sich gem. § 3 Abs. 4 KiFöG LSA gegen den örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe, in dessen Gebiet das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Dies ist hier der Antragsgegner, da die Antragstellerin mit ihrer Mutter - wie der Prozessbevollmächtigte der Antragstellerin hinreichend klargestellt hat - gegenwärtig noch in dessen Zuständigkeitsbereich wohnt.

7

Der Anspruch nach § 3 Abs. 1 und 2 KiFöG LSA gilt gem. § 3 Abs. 5 KiFöG LSA als erfüllt, wenn ein Platz in einer für Kinder zumutbar erreichbaren Tageseinrichtung oder unter den Voraussetzungen des § 24 Abs. 2 bis 4 des SGB VIII in einer Tagespflegestelle angeboten wird. Die Leistungsberechtigten nach § 3 KiFöG LSA haben das Recht, im Rahmen freier Kapazitäten zwischen den verschiedenen Tageseinrichtungen am Ort ihres gewöhnlichen Aufenthaltes oder an einem anderen Ort zu wählen, und sie sind von der Leistungsverpflichteten auf dieses Recht hinzuweisen (§ 3b Abs. 1 Satz 1 und 2 KiFöG LSA); der Wahl soll entsprochen werden, sofern dies nicht mit unverhältnismäßigen Mehrkosten verbunden ist (§ 3b Abs. 2 KiFöG LSA).

8

Es kann offen bleiben, ob der Antragsgegner seiner unstreitig nach § 3 Abs. 1 und 4 KiFöG LSA bestehenden Verpflichtung nicht schon in ausreichender Weise i.S.d. § 3 Abs. 5 KiFöG LSA dadurch nachgekommen ist, dass er zur Verfügung stehende Betreuungsplätze für die Antragstellerin in der Stadt A-Stadt benannt hat. Ebenfalls offen bleiben kann, ob sich der Anspruch eines Kindes auf einen Platz in einer Tageseinrichtung überhaupt darauf beziehen kann, den zuständigen örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe dazu zu verpflichten, einen Platz in einer bestimmten Einrichtung oder in einer Einrichtung in einem bestimmten örtlichen Bereich zu beschaffen.

9

Jedenfalls könnte sich ein derartiger Anspruch gegen den örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe, in dessen Gebiet das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, nicht auf die Beschaffung einer Betreuungsmöglichkeit in einer Einrichtung außerhalb seines örtlichen Zuständigkeitsbereiches richten.

10

Die Träger der öffentlichen Jugendhilfe haben gem. § 79 Abs. 1 SGB VIII für die Erfüllung der Aufgaben nach dem SGB VIII eine Gesamtverantwortung einschließlich der Planungsverantwortung. Dazu sollen sie nach § 79 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB VIII gewährleisten, dass u.a. die erforderlichen und geeigneten Einrichtungen den verschiedenen Grundrichtungen der Erziehung entsprechend rechtzeitig und ausreichend zur Verfügung stehen. Dementsprechend sieht § 10 Abs. 1 KiFöG LSA vor, dass die örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe verantwortlich sind für die Vorhaltung einer an den Bedürfnissen von Familien und Kindern orientierten, konzeptionell vielfältigen, leistungsfähigen, zahlenmäßig ausreichenden und wirtschaftlichen Struktur von Tageseinrichtungen und dass sie dazu eine Bedarfsplanung aufzustellen habe. Die Gesamtverantwortung des örtlichen Trägers der öffentlichen Jugendhilfe, die auch dessen mögliche Verpflichtung zur Beschaffung eines bestimmten Platzes begrenzen würde, besteht danach aber nur innerhalb seines örtlichen Zuständigkeitsbereiches. Allein soweit reichen seine rechtlichen Einflussmöglichkeiten, z.B. durch den Abschluss von Vereinbarungen über den Betrieb der Tageseinrichtungen nach den §§ 78b bis 78e SGB VIII, die er nach § 11a Abs. 1 KiFöG LSA ausdrücklich nur mit den Trägern von Tageseinrichtungen für seinen Zuständigkeitsbereich schließt. Auch § 86c Abs. 1 Satz 1 SGB VIII, wonach bei einem Wechsel der örtlichen Zuständigkeit für eine Leistung der bisher zuständige örtliche Träger so lange zur Gewährung der Leistung verpflichtet bleibt, bis der nunmehr zuständige örtliche Träger die Leistung fortsetzt, führt zu keinem anderen Ergebnis. Die Antragstellerin macht insoweit sogar selbst geltend, dass der Antragsgegner die erforderliche Amtshandlung aus rechtlichen Gründen selbst nicht durchführen könne.

11

Die Regelungen über die Gewährung von Amtshilfe nach § 3 SGB X sind im Gegensatz zur Auffassung der Antragstellerin von vornherein nicht anwendbar. Amtshilfe ist nach § 3 Abs. 1 SGB X ausdrücklich nur eine ergänzende Hilfe, also umfasst gerade nicht die vollständige Übernahme der Verwaltungsaufgabe (vgl. von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. A., § 3 Rdnr. 10; Hauck/Noftz, SGB X, § 3 Rdnr. 22; Jahn, SGB X, § 3 Rdnr. 22; vgl. auch BVerfG, Beschl. v. 13. Juli 2011 - 2 BvR 742/10 -, zit. nach JURIS). Im Hinblick darauf handelt es sich aber bei der letztlich erforderlichen Übernahme der Beschaffung einer Betreuungsmöglichkeit für die Antragstellerin in einer Kindertageseinrichtung in ihrem Zuständigkeitsbereich schon nicht um eine ergänzende Hilfe der Beigeladenen.

12

Dass allein der örtliche Träger der öffentlichen Jugendhilfe, in dessen Gebiet das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, die Zustimmung zur Ausübung des in § 3b Abs. 1 KiFöG LSA vorgesehenen Wahlrechts erteilen muss und dies auch dann gilt, wenn das Kind in einer Tageseinrichtung oder einer Tagespflegestelle außerhalb des Zuständigkeitsbereiches dieses örtlichen Trägers der öffentlichen Jugendhilfe betreut werden soll (vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 16. September 2014 - 4 M 120/14 -, zit. nach JURIS), führt zu keinem anderen Ergebnis. Es kann offen bleiben, ob und inwieweit ein solches Zustimmungserfordernis und eine an die Zustimmung geknüpfte Kostenerstattungsverpflichtung des örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe, in dessen Gebiet das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, besteht, wenn es um die Betreuung des Kindes in einem anderen Bundesland geht. Hier steht nicht die Zustimmung des Antragsgegners zu einer Betreuung der Antragstellerin in einer Kindertageseinrichtung im Zuständigkeitsbereich der Beigeladenen und damit die Ausübung des Wahlrechts der Antragstellerin in Streit, sondern dessen Verpflichtung, eine solche Betreuung erst zu ermöglichen.

13

Auch die von der Antragstellerin genannte Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 19. Oktober 2011 (- 5 C 25.10 -, zit. nach JURIS) bezieht sich allein auf die Frage der Zuständigkeit eines örtlichen Trägers der Jugendhilfe im Hinblick auf eine Kostenerstattung.

14

Nicht ausgeschlossen ist danach allerdings, dass der örtliche Träger der öffentlichen Jugendhilfe durch das Angebot eines die Vorgabe des § 3 Abs. 5 KiFöG LSA erfüllenden Platzes in einer außerhalb seines örtlichen Zuständigkeitsbereiches liegenden Einrichtung seine Verpflichtung nach § 3 Abs. 1 und 2 KiFöG LSA erfüllt.

15

Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 154 Abs. 2, 161 Abs. 2 Satz 1, 162 Abs. 3, 188 Satz 2 VwGO. Soweit das Beschwerdeverfahren teilweise eingestellt worden ist, entspricht es billigem Ermessen im Sinne von § 161 Abs. 2 VwGO, die Verfahrenskosten der Antragstellerin aufzuerlegen, da sie insoweit ebenfalls unterlägen wäre.

16

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1, 158 Abs. 2, 92 Abs. 3 Satz 2 VwGO).


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(1) Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts können vorbehaltlich des § 99 Abs. 2 und des § 133 Abs. 1 dieses Gesetzes sowie des § 17a Abs. 4 Satz 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes nicht mit der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht angefochte

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(1) Wird die Leistung ganz oder teilweise in einer Einrichtung erbracht, so ist der Träger der öffentlichen Jugendhilfe zur Übernahme des Entgelts gegenüber dem Leistungsberechtigten verpflichtet, wenn mit dem Träger der Einrichtung oder seinem Verba

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(1) Wechselt die örtliche Zuständigkeit für eine Leistung, so bleibt der bisher zuständige örtliche Träger so lange zur Gewährung der Leistung verpflichtet, bis der nunmehr zuständige örtliche Träger die Leistung fortsetzt. Dieser hat dafür Sorge zu

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(1) Der Kläger kann bis zur Rechtskraft des Urteils seine Klage zurücknehmen. Die Zurücknahme nach Stellung der Anträge in der mündlichen Verhandlung setzt die Einwilligung des Beklagten und, wenn ein Vertreter des öffentlichen Interesses an der mündlichen Verhandlung teilgenommen hat, auch seine Einwilligung voraus. Die Einwilligung gilt als erteilt, wenn der Klagerücknahme nicht innerhalb von zwei Wochen seit Zustellung des die Rücknahme enthaltenden Schriftsatzes widersprochen wird; das Gericht hat auf diese Folge hinzuweisen.

(2) Die Klage gilt als zurückgenommen, wenn der Kläger das Verfahren trotz Aufforderung des Gerichts länger als zwei Monate nicht betreibt. Absatz 1 Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Der Kläger ist in der Aufforderung auf die sich aus Satz 1 und § 155 Abs. 2 ergebenden Rechtsfolgen hinzuweisen. Das Gericht stellt durch Beschluß fest, daß die Klage als zurückgenommen gilt.

(3) Ist die Klage zurückgenommen oder gilt sie als zurückgenommen, so stellt das Gericht das Verfahren durch Beschluß ein und spricht die sich nach diesem Gesetz ergebenden Rechtsfolgen der Zurücknahme aus. Der Beschluß ist unanfechtbar.

(1) Gegen die Entscheidungen des Verwaltungsgerichts, des Vorsitzenden oder des Berichterstatters, die nicht Urteile oder Gerichtsbescheide sind, steht den Beteiligten und den sonst von der Entscheidung Betroffenen die Beschwerde an das Oberverwaltungsgericht zu, soweit nicht in diesem Gesetz etwas anderes bestimmt ist.

(2) Prozeßleitende Verfügungen, Aufklärungsanordnungen, Beschlüsse über eine Vertagung oder die Bestimmung einer Frist, Beweisbeschlüsse, Beschlüsse über Ablehnung von Beweisanträgen, über Verbindung und Trennung von Verfahren und Ansprüchen und über die Ablehnung von Gerichtspersonen sowie Beschlüsse über die Ablehnung der Prozesskostenhilfe, wenn das Gericht ausschließlich die persönlichen oder wirtschaftlichen Voraussetzungen der Prozesskostenhilfe verneint, können nicht mit der Beschwerde angefochten werden.

(3) Außerdem ist vorbehaltlich einer gesetzlich vorgesehenen Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision die Beschwerde nicht gegeben in Streitigkeiten über Kosten, Gebühren und Auslagen, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands zweihundert Euro nicht übersteigt.

(4) Die Beschwerde gegen Beschlüsse des Verwaltungsgerichts in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes (§§ 80, 80a und 123) ist innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht bereits mit der Beschwerde vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Sie muss einen bestimmten Antrag enthalten, die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist, und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinander setzen. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, ist die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen. Das Verwaltungsgericht legt die Beschwerde unverzüglich vor; § 148 Abs. 1 findet keine Anwendung. Das Oberverwaltungsgericht prüft nur die dargelegten Gründe.

(5) u. (6) (weggefallen)

(1) Auf Antrag kann das Gericht, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, daß durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint.

(2) Für den Erlaß einstweiliger Anordnungen ist das Gericht der Hauptsache zuständig. Dies ist das Gericht des ersten Rechtszugs und, wenn die Hauptsache im Berufungsverfahren anhängig ist, das Berufungsgericht. § 80 Abs. 8 ist entsprechend anzuwenden.

(3) Für den Erlaß einstweiliger Anordnungen gelten §§ 920, 921, 923, 926, 928 bis 932, 938, 939, 941 und 945 der Zivilprozeßordnung entsprechend.

(4) Das Gericht entscheidet durch Beschluß.

(5) Die Vorschriften der Absätze 1 bis 3 gelten nicht für die Fälle der §§ 80 und 80a.

(1) Ein Kind, das das erste Lebensjahr noch nicht vollendet hat, ist in einer Einrichtung oder in Kindertagespflege zu fördern, wenn

1.
diese Leistung für seine Entwicklung zu einer selbstbestimmten, eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit geboten ist oder
2.
die Erziehungsberechtigten
a)
einer Erwerbstätigkeit nachgehen, eine Erwerbstätigkeit aufnehmen oder Arbeit suchend sind,
b)
sich in einer beruflichen Bildungsmaßnahme, in der Schulausbildung oder Hochschulausbildung befinden oder
c)
Leistungen zur Eingliederung in Arbeit im Sinne des Zweiten Buches erhalten.
Lebt das Kind nur mit einem Erziehungsberechtigten zusammen, so tritt diese Person an die Stelle der Erziehungsberechtigten. Der Umfang der täglichen Förderung richtet sich nach dem individuellen Bedarf.

(2) Ein Kind, das das erste Lebensjahr vollendet hat, hat bis zur Vollendung des dritten Lebensjahres Anspruch auf frühkindliche Förderung in einer Tageseinrichtung oder in Kindertagespflege. Absatz 1 Satz 3 gilt entsprechend.

(3) Ein Kind, das das dritte Lebensjahr vollendet hat, hat bis zum Schuleintritt Anspruch auf Förderung in einer Tageseinrichtung. Die Träger der öffentlichen Jugendhilfe haben darauf hinzuwirken, dass für diese Altersgruppe ein bedarfsgerechtes Angebot an Ganztagsplätzen zur Verfügung steht. Das Kind kann bei besonderem Bedarf oder ergänzend auch in Kindertagespflege gefördert werden.

(4) Für Kinder im schulpflichtigen Alter ist ein bedarfsgerechtes Angebot in Tageseinrichtungen vorzuhalten. Absatz 1 Satz 3 und Absatz 3 Satz 3 gelten entsprechend.

(5) Die Träger der öffentlichen Jugendhilfe oder die von ihnen beauftragten Stellen sind verpflichtet, Eltern oder Elternteile, die Leistungen nach den Absätzen 1 bis 4 in Anspruch nehmen wollen, über das Platzangebot im örtlichen Einzugsbereich und die pädagogische Konzeption der Einrichtungen zu informieren und sie bei der Auswahl zu beraten. Landesrecht kann bestimmen, dass die erziehungsberechtigten Personen den zuständigen Träger der öffentlichen Jugendhilfe oder die beauftragte Stelle innerhalb einer bestimmten Frist vor der beabsichtigten Inanspruchnahme der Leistung in Kenntnis setzen.

(6) Weitergehendes Landesrecht bleibt unberührt.

(1) Die Träger der öffentlichen Jugendhilfe haben für die Erfüllung der Aufgaben nach diesem Buch die Gesamtverantwortung einschließlich der Planungsverantwortung.

(2) Die Träger der öffentlichen Jugendhilfe sollen gewährleisten, dass zur Erfüllung der Aufgaben nach diesem Buch

1.
die erforderlichen und geeigneten Einrichtungen, Dienste und Veranstaltungen den verschiedenen Grundrichtungen der Erziehung entsprechend rechtzeitig und ausreichend zur Verfügung stehen; hierzu zählen insbesondere auch Pfleger, Vormünder und Pflegepersonen;
2.
die nach Nummer 1 vorgehaltenen Einrichtungen, Dienste und Veranstaltungen dem nach § 80 Absatz 1 Nummer 2 ermittelten Bedarf entsprechend zusammenwirken und hierfür verbindliche Strukturen der Zusammenarbeit aufgebaut und weiterentwickelt werden;
3.
eine kontinuierliche Qualitätsentwicklung nach Maßgabe von § 79a erfolgt.
Von den für die Jugendhilfe bereitgestellten Mitteln haben sie einen angemessenen Anteil für die Jugendarbeit zu verwenden.

(3) Die Träger der öffentlichen Jugendhilfe haben für eine ausreichende Ausstattung der Jugendämter und der Landesjugendämter einschließlich der Möglichkeit der Nutzung digitaler Geräte zu sorgen; hierzu gehört auch eine dem Bedarf entsprechende Zahl von Fachkräften. Zur Planung und Bereitstellung einer bedarfsgerechten Personalausstattung ist ein Verfahren zur Personalbemessung zu nutzen.

(1) Wechselt die örtliche Zuständigkeit für eine Leistung, so bleibt der bisher zuständige örtliche Träger so lange zur Gewährung der Leistung verpflichtet, bis der nunmehr zuständige örtliche Träger die Leistung fortsetzt. Dieser hat dafür Sorge zu tragen, dass der Hilfeprozess und die im Rahmen der Hilfeplanung vereinbarten Hilfeziele durch den Zuständigkeitswechsel nicht gefährdet werden.

(2) Der örtliche Träger, der von den Umständen Kenntnis erhält, die den Wechsel der Zuständigkeit begründen, hat den anderen davon unverzüglich zu unterrichten. Der bisher zuständige örtliche Träger hat dem nunmehr zuständigen örtlichen Träger unverzüglich die für die Hilfegewährung sowie den Zuständigkeitswechsel maßgeblichen Sozialdaten zu übermitteln. Bei der Fortsetzung von Leistungen, die der Hilfeplanung nach § 36 Absatz 2 unterliegen, ist die Fallverantwortung im Rahmen eines Gespräches zu übergeben. Die Personensorgeberechtigten und das Kind oder der Jugendliche sowie der junge Volljährige oder der Leistungsberechtigte nach § 19 sind an der Übergabe angemessen zu beteiligen.

(1) Jede Behörde leistet anderen Behörden auf Ersuchen ergänzende Hilfe (Amtshilfe).

(2) Amtshilfe liegt nicht vor, wenn

1.
Behörden einander innerhalb eines bestehenden Weisungsverhältnisses Hilfe leisten,
2.
die Hilfeleistung in Handlungen besteht, die der ersuchten Behörde als eigene Aufgabe obliegen.

Tenor

1. Die Beschlüsse des Amtsgerichts Hamburg vom 14. August 2009 - 219j XIV 41031/09 -, des Landgerichts Hamburg vom 22. September 2009 - 329 T 52/09 - und des Hanseatischen Oberlandesgerichts vom 24. Februar 2010 - 2 Wx 111/09 - verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 in Verbindung mit Artikel 104 Absatz 1 Satz 1 des Grundgesetzes, soweit sie die Haftantragstellung durch die Hamburger Ausländerbehörde betreffen.

2. Der Beschluss des Hanseatischen Oberlandesgerichts wird aufgehoben und die Sache an das Hanseatische Oberlandesgericht zurückverwiesen.

3. Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.

4. Die Freie und Hansestadt Hamburg hat dem Beschwerdeführer drei Viertel seiner notwendigen Auslagen zu erstatten.

5. Der Wert des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit wird für das Verfassungsbeschwerdeverfahren auf 8.000 € (in Worten: achttausend Euro) festgesetzt.

Gründe

A.

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Reichweite des in Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG verankerten Gebots zur Beachtung der Formvorschriften in Freiheitsentziehungsverfahren.

I.

2

1. Der Beschwerdeführer ist türkischer Staatsangehöriger. Nach einem erfolglosen Asylantrag und einer Zurückschiebung nach Dänemark im Jahre 2002 reiste er 2009 erneut nach Deutschland ein. Am 27. Juli 2009 wurde er in Hamburg vorläufig festgenommen. Wegen des Verdachts der unerlaubten Einreise und des unerlaubten Aufenthalts wurde gegen ihn ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren eingeleitet, in welchem am 28. Juli 2009 Haftbefehl erging.

3

2. Die aufgrund des früheren Asylantrages des Beschwerdeführers zuständige Ausländerbehörde des Kreises U. bat die Hamburger Ausländerbehörde mit Schreiben vom 3. August 2009, "die Abschiebung des Betroffenen in Amtshilfe zu organisieren, ggf. die Haft zur Sicherung der Abschiebung zu beantragen und wenn notwendig die Passersatzpapierbeschaffung einzuleiten". Auf Antrag der Hamburger Ausländerbehörde ordnete das Amtsgericht Hamburg gegen den Beschwerdeführer daraufhin mit Beschluss vom 14. August 2009 die Sicherungshaft nach § 62 Abs. 2 AufenthG an.

4

3. Gegen die Anordnung der Sicherungshaft legte der Beschwerdeführer sofortige Beschwerde ein, in welcher er unter anderem die Zuständigkeit der Hamburger Ausländerbehörde für die Stellung des Haftantrages in Frage stellte und eine an Verfahrensmängeln leidende Anhörung durch das Amtsgericht bemängelte. Auch rügte er, das Amtsgericht habe die Ausländerakten nicht beigezogen und daher den Sachverhalt nicht ausreichend aufgeklärt. Die sofortige Beschwerde blieb ohne Erfolg. Das Landgericht hielt die Hamburger Ausländerbehörde aufgrund des Amtshilfeersuchens für die Antragstellung für zuständig, ohne dazu Näheres auszuführen. Die Ausländerakten lagen dem Landgericht bei seiner Entscheidung vor.

5

4. Die sofortige weitere Beschwerde, mit der der Beschwerdeführer die Feststellung der Rechtswidrigkeit der am 18. Dezember 2009 erledigten Freiheitsentziehung begehrte, wies das Oberlandesgericht mit Beschluss vom 24. Februar 2010 zurück. Die Stellung des Haftantrages durch die Hamburger Ausländerbehörde im Wege der Amtshilfe begegne keinen rechtlichen Bedenken. Art. 35 Abs. 1 GG hebe die Verpflichtung zur Amtshilfe hervor; die nähere gesetzliche Ausgestaltung der Amtshilfe in §§ 4 ff. des Hamburgischen Verwaltungsverfahrensgesetzes ergebe keine Unzulässigkeit der Amtshilfe. Diese sei unter anderem dann möglich, wenn die ersuchende Behörde die Handlung nur mit wesentlich größerem Aufwand vornehmen könnte als die ersuchte Behörde. Diese Voraussetzung sei hier erfüllt gewesen, weil sich der Beschwerdeführer in Hamburg in Haft befunden habe. Die Organisation der Abschiebung in Nordrhein-Westfalen einschließlich einer Verlegung des Beschwerdeführers dorthin hätte das Verfahren mit großer Wahrscheinlichkeit verzögert. Umgekehrt hätte die zuständige Ausländerbehörde in U. eine Abschiebung über den Flughafen Hamburg nur mit unvertretbarem organisatorischen, personellen und ökonomischen Aufwand durchführen können, weil ein Beamter nach Hamburg hätte anreisen müssen, um dort die erforderlichen Verfahrenshandlungen vorzunehmen. Das Verfahren vor dem Amtsgericht leide auch nicht an formellen Fehlern. Die unterlassene Beiziehung der Ausländerakte durch das Amtsgericht sei nur dann beachtlich, wenn sich aus den Akten Tatsachen oder Anhaltspunkte ergäben, die gegen das Vorliegen der Voraussetzungen der beantragten Haft sprechen; dies sei hier nicht der Fall gewesen. Im Übrigen sei ein Verstoß jedenfalls geheilt, nachdem das Landgericht die Akten vor seiner Entscheidung beigezogen habe. Bei der Beiziehung von Verfahrensakten handele es sich anders als bei der Anhörung des Betroffenen nicht um einen nicht mehr heilbaren Formverstoß.

II.

6

Mit der Verfassungsbeschwerde macht der Beschwerdeführer geltend, Zuständigkeitsnormen komme bei freiheitsentziehenden Maßnahmen eine grundrechtssichernde Funktion zu; Art. 104 Abs. 1 GG erhebe die in einem freiheitsbeschränkenden Gesetz enthaltenen Formvorschriften zum Verfassungsgebot. Der Haftantrag sei durch die örtlich unzuständige Behörde gestellt worden, und die Voraussetzungen für eine Amtshilfe hätten in formeller und materieller Hinsicht nicht vorgelegen. Es sei zweifelhaft, ob der Kreis U. ein hinreichend bestimmtes Amtshilfeersuchen gestellt habe, weil er die Entscheidung über die Stellung eines Haftantrages der Hamburger Ausländerbehörde überlassen habe. Die Amtshilfe dürfe sich außerdem nur auf Hilfstätigkeiten erstrecken und könne nicht, wie hier, die gänzliche Übernahme eines Falles betreffen. Darüber hinaus wäre die Antragstellung der Ausländerbehörde U. ohne zusätzlichen Aufwand selbst möglich gewesen, indem sie den Haftantrag und die zugehörigen Unterlagen übersandt hätte. Auf die Erwägungen des Oberlandesgerichts bezüglich anderer Verfahrenshandlungen als der Antragstellung komme es insoweit nicht an.

7

Ferner rügt der Beschwerdeführer die unterlassene Beiziehung der Ausländerakte durch das Amtsgericht. Es gehöre zur unverzichtbaren Voraussetzung eines rechtsstaatlichen Verfahrens, dass Entscheidungen über den Entzug der persönlichen Freiheit sich auf eine zureichende Sachverhaltsgrundlage stützen; zur gebotenen Sachverhaltsaufklärung sei dabei regelmäßig die Ausländerakte beizuziehen. Die relevanten Unterlagen seien dem Amtsgericht auch nicht unabhängig von der Ausländerakte bekannt gewesen.

III.

8

Zur Verfassungsbeschwerde sind folgende Stellungnahmen eingegangen: Die Behörde für Inneres und Sport der Freien und Hansestadt Hamburg hat sich der Rechtsauffassung des Hanseatischen Oberlandesgerichts angeschlossen. Der Kreis U. hat im Wesentlichen ausgeführt, eine Zuständigkeit der Hamburger Ausländerbehörde sei nach Nr. 71.1.4.2 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz (AufenthG-VwV) begründet, weil der Beschwerdeführer in Hamburg aufgegriffen worden sei; des Amtshilfeersuchens habe es daher nicht bedurft. Der Präsident des Bundesgerichtshofs hat eine Äußerung des Vorsitzenden des V. Zivilsenats übermittelt. Dieser hält es bereits für zweifelhaft, ob es sich bei dem Schreiben des Kreises U. vom 3. August 2009 um ein Amtshilfeersuchen handele, weil Amtshilfe begrifflich die auf ein Ersuchen geleistete ergänzende Hilfe zwischen Behörden sei, während das Ersuchen hier mehrere Teilakte umfasse. Zudem seien jedenfalls die Voraussetzungen für eine Amtshilfe nicht erfüllt, insbesondere weil die Haftantragstellung, auf die es hier allein ankomme, für den Kreis U. nicht mit einem unverhältnismäßigen Aufwand verbunden gewesen wäre (§ 5 Abs. 1 Nr. 5 HmbVwVfG). Eine originäre Zuständigkeit der Hamburger Ausländerbehörde sei nach den insoweit einschlägigen Vorschriften des Hamburgischen Verwaltungsverfahrensgesetzes nicht gegeben.

9

Die Ausländerakte sowie die Akte des Ausgangsverfahrens sind beigezogen worden.

B.

10

Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig und offensichtlich begründet im Sinne von § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG, soweit sie die Haftantragstellung durch die Hamburger Ausländerbehörde rügt. Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde insoweit zur Entscheidung an und gibt ihr statt, weil dies zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte des Beschwerdeführers angezeigt ist (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Das Bundesverfassungsgericht hat die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen bereits entschieden (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG). Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen (§ 93b Satz 1 BVerfGG).

I.

11

Soweit der Beschwerdeführer rügt, das Amtsgericht habe die Ausländerakten nicht beigezogen, sind die Annahmevoraussetzungen nicht erfüllt. Insoweit ist die Verfassungsbeschwerde unzulässig, weil sie nicht hinreichend substantiiert ist (§ 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG).

12

1. Die freiheitssichernde Funktion des Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG setzt auch Maßstäbe für die Aufklärung des Sachverhalts und damit für Anforderungen in Bezug auf die tatsächliche Grundlage der richterlichen Entscheidungen (BVerfGE 70, 297 <308>). Um den Anforderungen aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 GG zu genügen, sind bei einer Entscheidung über eine Haftanordnung regelmäßig die Akten der Ausländerbehörde beizuziehen (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 10. Dezember 2007 - 2 BvR 1033/06 -, NVwZ 2008, S. 304 f.). Angesichts des hohen Ranges des Freiheitsgrundrechts gilt dies in gleichem Maße, wenn die nachträgliche Feststellung der Rechtswidrigkeit einer freiheitsentziehenden Maßnahme in Rede steht (BVerfGK 7, 87 <100>).

13

2. Inwiefern diese Maßstäbe hier dadurch verletzt worden sein können, dass das Amtsgericht die Ausländerakten nicht beigezogen hat, ist nicht hinreichend dargelegt. Insbesondere ist nicht dargetan, welche Informationen in der Ausländerakte enthalten waren, aufgrund derer das Amtsgericht zu einer abweichenden Beurteilung der Haftfrage hätte gelangen müssen. Von einer weiteren Begründung wird insoweit abgesehen (§ 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG).

II.

14

Im Übrigen ist die Verfassungsbeschwerde zulässig und begründet. Die angegriffenen Beschlüsse verletzen den Beschwerdeführer in seinem Recht auf Freiheit der Person aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 GG.

15

1. a) Die Freiheit der Person (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG) ist ein besonders hohes Rechtsgut, in das nur aus wichtigen Gründen eingegriffen werden darf (vgl. BVerfGE 10, 302 <322>; 29, 312 <316>). Geschützt wird die im Rahmen der geltenden allgemeinen Rechtsordnung gegebene tatsächliche körperliche Bewegungsfreiheit vor Eingriffen wie Verhaftung, Festnahme und ähnlichen Maßnahmen des unmittelbaren Zwangs (vgl. BVerfGE 22, 21 <26>; 94, 166 <198>; 96, 10 <21>). Nach Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG darf die in Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG gewährleistete Freiheit der Person nur auf Grund eines förmlichen Gesetzes und nur unter Beachtung der darin vorgeschriebenen Formen beschränkt werden. Die formellen Gewährleistungen des Art. 104 GG stehen mit der materiellen Freiheitsgarantie des Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG in unlösbarem Zusammenhang (vgl. BVerfGE 10, 302 <322>; 58, 208 <220>). Art. 104 Abs. 1 GG nimmt den schon in Art. 2 Abs. 2 Satz 3 GG enthaltenen Gesetzesvorbehalt auf und verstärkt ihn für alle Freiheitsbeschränkungen, indem er neben der Forderung nach einem förmlichen Gesetz die Pflicht, die sich aus diesem Gesetz ergebenden freiheitsschützenden Formvorschriften zu beachten, zum Verfassungsgebot erhebt (vgl. BVerfGE 10, 302 <323>; 29, 183 <195 f.>; 58, 208 <220>).

16

b) Inhalt und Reichweite der Formvorschriften, deren Beachtung über Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG zum Verfassungsgebot erhoben ist, sind von den Fachgerichten so auszulegen, dass sie eine der Bedeutung des Grundrechts angemessene Wirkung entfalten können. Jenseits der Grenze der Aushöhlung und Entwertung des Grundrechts über das Verfahrensrecht verbleibt den Fachgerichten aber Raum, sich zwischen mehreren möglichen Deutungen des Gesetzes zu entscheiden. Es bleibt in erster Linie Aufgabe der Fachgerichte, den Sinn des Gesetzesrechts mit Hilfe der anerkannten Methoden der Rechtsfindung zu ergründen. Das Bundesverfassungsgericht greift erst dann korrigierend ein, wenn das fachgerichtliche Auslegungsergebnis über die vom Grundgesetz gezogenen Grenzen hinausgreift, insbesondere wenn es mit Bedeutung und Tragweite des Grundrechts auf persönliche Freiheit nicht zu vereinbaren ist oder wenn es sachlich schlechthin unhaltbar und somit willkürlich ist (BVerfGE 65, 317 <322 f.>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 25. Februar 2009 - 2 BvR 1537/08 -, juris, Rn. 14).

17

2. Mit diesen verfassungsrechtlichen Maßstäben stehen die angegriffenen Entscheidungen nicht im Einklang.

18

a) Das Verfahren bei Freiheitsentziehungen richtete sich zu dem maßgeblichen Zeitpunkt gemäß § 106 Abs. 2 Satz 1 AufenthG in der bis zum 31. August 2009 geltenden Fassung nach dem Gesetz über das gerichtliche Verfahren bei Freiheitsentziehungen (FreihEntzG). Nach dessen § 3 Satz 1 konnte die Freiheitsentziehung nur das Amtsgericht auf Antrag der zuständigen Verwaltungsbehörde anordnen. § 3 Satz 1 FreihEntzG gehörte mit seiner Bestimmung, dass ein Haftantrag von der zuständigen Behörde zu stellen ist, zu den Formvorschriften, deren Beachtung durch Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG zum Verfassungsgebot erhoben ist (BVerfG, Beschlüsse der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 25. Februar 2009 - 2 BvR 1537/08 -, juris, Rn. 16, und vom 4. Oktober 2010 - 2 BvR 1825/08 -, juris, Rn. 36).

19

b) Die Gerichte haben, indem sie eine Zuständigkeit der Hamburger Ausländerbehörde für die Stellung des Haftantrages angenommen haben, § 3 Satz 1 FreihEntzG in einer Weise angewendet, die unter keinem rechtlichen Aspekt vertretbar ist.

20

aa) Das Amtsgericht hat sich mit der Frage der Zuständigkeit der Ausländerbehörde nicht auseinandergesetzt. Das Landgericht hat ohne weitere Begründung eine zulässige Antragstellung im Wege der Amtshilfe angenommen. Das Oberlandesgericht ist ebenfalls der Auffassung, die Ausländerbehörde in Hamburg sei nach den Vorschriften des Hamburgischen Verwaltungsverfahrensgesetzes über die Amtshilfe zur Stellung des Antrages befugt gewesen. Diese Rechtsauffassung verfehlt den Gehalt der herangezogenen Bestimmungen in verfassungsrechtlich erheblicher Weise.

21

(1) Dabei kann dahinstehen, ob die Vorschriften über die Amtshilfe in Abschiebungshaftsachen überhaupt eine von der ersuchenden Behörde abgeleitete Zuständigkeit der ersuchten Behörde begründen können (umstr.; verneinend OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 13. November 1998 - 20 W 442/98 -; ebenso OLG München, Beschluss vom 28. September 2006 - 34 Wx 115/06 -; jeweils zitiert nach Winkelmann, Online-Kommentar Migrationsrecht.net, Freiheitsentziehungs- und Haftrecht, S. 35 <38> bzw. S. 9 <13>; offen gelassen in OLG Karlsruhe, Beschluss vom 15. Mai 2008 - 14 Wx 10/08 -; OLG Köln, Beschluss vom 15. Oktober 2008 - 16 Wx 215/08; KG, Beschluss vom 25. August 2006 - 25 W 70/05 -; jeweils zitiert nach Winkelmann, a.a.O., S. 21 <24 f.>, S. 17 <19> bzw. S. 30 <34>).

22

(2) Jedenfalls sind die Voraussetzungen einer Amtshilfe hier in mehrfacher Hinsicht nicht erfüllt.

23

(a) Die Amtshilfe umfasst, was der Vorsitzende des V. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs in seiner Stellungnahme zutreffend hervorhebt, nur eine auf Ersuchen einer anderen Behörde geleistete ergänzende Hilfe (vgl. die Legaldefinition des § 4 Abs. 1 des Hamburgischen Verwaltungsverfahrensgesetzes in der bis zum 27. Dezember 2009 gültigen Fassung - HmbVwVfG 2009). Daraus ergibt sich, dass Amtshilfe notwendig auf bestimmte Teilakte eines Verwaltungsverfahrens begrenzt ist und nicht mit einer vollständigen Übernahme von Verwaltungsaufgaben einhergehen darf. Auch aus verfassungsrechtlicher Sicht geht die dem Grundsatz nach in Art. 35 Abs. 1 GG normierte Amtshilfe nicht über eine Aushilfe im Einzelfall hinaus (vgl. BVerfGE 63, 1 <32>). Amtshilfe besteht demnach in dem lediglich ergänzenden Beistand, den eine Behörde einer anderen leistet, um dieser die Durchführung ihrer öffentlichen Aufgaben zu ermöglichen oder zu erleichtern (vgl. Bauer, in: Dreier, GG, Bd. 2, 1998, Art. 35 Rn. 11). Sie beschränkt sich auf ein punktuelles Zusammenwirken mit Ausnahmecharakter (vgl. Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG für die Bundesrepublik Deutschland, 10. Aufl. 2009, Art. 35 Rn. 4).

24

(b) Demnach handelte es sich - ungeachtet der Verwendung der Bezeichnung "Amtshilfe" durch beide beteiligten Behörden - bei dem Haftantrag der Hamburger Ausländerbehörde nicht um eine von § 4 Abs. 1 HmbVwVfG 2009 erfasste Amtshilfehandlung. Dies ergibt sich bereits aus dem Schreiben des Kreises U. vom 3. August 2009, welches sich nicht darauf beschränkt, die Hamburger Ausländerbehörde um eine einzelne Unterstützungshandlung zu ersuchen. Vielmehr beinhaltet das Schreiben die Bitte, "die Abschiebung des Betroffenen in Amtshilfe zu organisieren, ggf. die Haft zur Sicherung der Abschiebung zu beantragen und wenn notwendig die Passersatzpapierbeschaffung einzuleiten". Der Kreis U. gab damit das weitere Verfahren der Abschiebung aus der Hand und legte es in die Verantwortung der Hamburger Ausländerbehörde. Eigene weitere Maßnahmen seitens des Kreises U. zum Zwecke der erstrebten Abschiebung waren nicht vorgesehen und wären angesichts der gewählten Vorgehensweise auch nicht mehr möglich gewesen, zumal sich der Kreis U. offensichtlich keine Kontroll- oder Einflussmöglichkeiten auf künftige Verfahrensschritte vorbehalten hatte. Dieses Vorgehen übersteigt die Grenzen eines Amtshilfeersuchens und kommt einer Abgabe des Verfahrens gleich.

25

Eine dem entsprechende Übernahmeabsicht offenbart sich in dem Haftantrag der Hamburger Ausländerbehörde vom 12. August 2009, worin diese erklärt, den Beschwerdeführer im Anschluss an das gegen ihn geführte Strafverfahren aus der Haft heraus in die Türkei abschieben zu wollen. Hierhin liegt ersichtlich eine über eine Hilfeleistung bei einzelnen Verfahrenshandlungen hinausgehende Übernahme des Verfahrens in Bezug auf alle für die erstrebte Abschiebung erforderlichen Verfahrenshandlungen. Die Hamburger Ausländerbehörde brachte in dem Haftantrag zum Ausdruck, dass sie die Verantwortung für die gesamte weitere Durchführung des Abschiebungsverfahrens und der damit verbundenen Schritte bei sich sieht.

26

(c) Darüber hinaus wären auch die Voraussetzungen für ein Tätigwerden in Amtshilfe offensichtlich nicht erfüllt. Das Oberlandesgericht legt seiner Entscheidung - ohne die Vorschrift zu nennen - § 5 Abs. 1 Nr. 5 HmbVwVfG 2009 zu Grunde, wonach eine Behörde insbesondere dann um Amtshilfe ersuchen kann, wenn sie die Amtshandlung nur mit wesentlich größerem Aufwand vornehmen könnte als die ersuchte Behörde. Dieses Erfordernis sieht das Oberlandesgericht als erfüllt an und stellt unter anderem darauf ab, dass der Beschwerdeführer in Hamburg aufgegriffen worden war und sich dort in Untersuchungshaft befand. Daher sei es zweckmäßig gewesen, die Abschiebung einschließlich der Stellung eines Haftantrages durch die Hamburger Ausländerbehörde zu organisieren. Eine Überstellung des Beschwerdeführers in den Zuständigkeitsbereich des Kreises U. sei demgegenüber ebenso untunlich wie eine Durchführung der Abschiebung von Hamburg aus durch die Ausländerbehörde U..

27

Diese Erwägungen sind nicht geeignet, eine zur Amtshilfe berechtigende und verpflichtende Situation im Sinne des § 5 Abs. 1 Nr. 5 HmbVwVfG 2009 zu begründen. Ausgehend von der Qualifizierung der Amtshilfe als ergänzende Unterstützung wäre im Rahmen des § 5 Abs. 1 Nr. 5 HmbVwVfG 2009 für die Ermittlung des Aufwandes nicht auf das gesamte Verwaltungsverfahren, sondern nur auf den Teilakt abzustellen gewesen, für den die Erforderlichkeit einer Amtshilfe festgestellt werden soll. Dies betraf hier allein die Stellung des Haftantrages. Auf die Frage, ob die zuständige Behörde auch für weitere Verfahrensschritte Amtshilfe in Anspruch nehmen kann, kommt es demgegenüber nicht an (vgl. nur OLG Köln, Beschluss vom 15. Oktober 2008 - 16 Wx 215/08 -, juris, Rn. 8 f.).

28

Es ist nichts dafür ersichtlich, dass es für die Ausländerbehörde des Kreises U. einen unverhältnismäßigen Aufwand bedeutet hätte, selbst den Haftantrag zu stellen. Die Übermittlung des schriftlichen Haftantrages an das Amtsgericht Hamburg - etwa per Telefax - wäre für sie nicht mit größerem Aufwand verbunden gewesen als für die Hamburger Ausländerbehörde. Davon getrennt zu beantworten wäre die Frage gewesen, ob etwa für die Wahrnehmung des Anhörungstermins vor dem Amtsgericht oder andere Verfahrensschritte eine Amtshilfe zulässig gewesen wäre.

29

bb) Es lässt sich auch nicht feststellen, dass die Gerichte im Ergebnis aus anderen, ohne weiteres erkennbaren Gründen zu Recht die Zuständigkeit der Hamburger Ausländerbehörde angenommen haben (vgl. BVerfGE 90, 22 <25 f.>). Das Landgericht und das Oberlandesgericht sind vielmehr zu Recht von einer originären örtlichen Zuständigkeit nur des Kreises U. ausgegangen. Eine originäre örtliche Zuständigkeit der Hamburger Ausländerbehörde ergibt sich aus der mangels Regelung im Aufenthaltsgesetz einschlägigen landesrechtlichen Bestimmung des § 3 HmbVwVfG 2009 nicht. Insbesondere fehlen für einen die Zuständigkeit begründenden gewöhnlichen Aufenthalt im Sinne des § 3 Abs. 2 Nr. 3a HmbVwVfG 2009 zum Zeitpunkt der Haftantragstellung zureichende Anhaltspunkte dafür, dass der erst kurz zuvor in das Bundesgebiet eingereiste Beschwerdeführer bereits zum damaligen Zeitpunkt beabsichtigte, sich nicht nur vorübergehend in Hamburg aufzuhalten (vgl. die Legaldefinition des gewöhnlichen Aufenthalts in § 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I). Die gegen den Beschwerdeführer angeordnete Untersuchungshaft ist angesichts deren vorläufigen Charakters ebenfalls nicht geeignet, einen gewöhnlichen Aufenthalt zu begründen. Für eine Eilzuständigkeit der Hamburger Ausländerbehörde nach § 3 Abs. 5 Satz 1 HmbVwVfG 2009 wegen Gefahr im Verzug besteht bereits angesichts des zwischen der Kenntniserlangung der Behörde von der Festnahme des Beschwerdeführers und der Stellung des Haftantrages liegenden Zeitraumes von über einer Woche kein Anhaltspunkt.

30

Soweit der Kreis U. in seiner Stellungnahme auf die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz (AufenthG-VwV) Bezug nimmt - hier in Betracht zu ziehen wäre allenfalls eine Bezugnahme auf die zum Zeitpunkt der Haftantragstellung geltenden Vorläufigen Anwendungshinweise des Bundesministeriums des Innern zum Aufenthaltsgesetz und zum Freizügigkeitsgesetz/EU vom 22. Dezember 2004 -, ist daran zu erinnern, dass Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG bei Freiheitsbeschränkungen auch Zuständigkeitsfragen in den Vorbehalt des Gesetzes einbezieht (vgl. BVerfGE 105, 239 <247>) und Verwaltungsvorschriften insoweit eine Abweichung von der gesetzlichen Zuständigkeitsordnung nicht rechtfertigen können (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 4. Oktober 2010, a.a.O., Rn. 43).

C.

31

Die Kammer hebt nach § 93c Abs. 2 in Verbindung mit § 95 Abs. 2 BVerfGG den Beschluss des Hanseatischen Oberlandesgerichts vom 24. Februar 2010 auf und verweist die Sache an das Hanseatische Oberlandesgericht zurück.

32

Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2, Abs. 3 BVerfGG.

Gründe

1

Die zulässige Beschwerde der Antragsgegnerin gegen die Entscheidung des Verwaltungsgerichts hat nach den von ihr erhobenen Einwänden, auf deren Prüfung der Senat beschränkt ist (vgl. § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), Erfolg.

2

Der Antrag der am 25. September 2013 geborenen Antragstellerin und ihm folgend der angegriffene Beschluss beziehen sich auf die Verpflichtung der Antragsgegnerin, vorläufig eine Zustimmung nach dem Kinderförderungsgesetz Sachsen-Anhalt hinsichtlich der Betreuung der in einer anderen Gemeinde lebenden Antragstellerin in einer integrativen Kindertagesstätte in dem Zuständigkeitsbereich der Antragsgegnerin ab dem 1. August 2014 zu erteilen. Streitgegenständlich ist dagegen nicht die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung zu der Betriebserlaubnis (§ 45 SGB VIII), welche die Antragsgegnerin dem Träger dieser Kindertagesstätte erteilt hat und die möglicherweise für die Aufnahme der Antragstellerin notwendig ist.

3

Der Antrag der Antragstellerin auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gem. § 123 Abs. 1 VwGO hat keinen Erfolg. Wie die Antragsgegnerin zu Recht geltend macht, bedarf die Betreuung eines Kindes in einer Tageseinrichtung an einem anderen Ort als dem seines gewöhnlichen Aufenthalts nach dem Kinderförderungsgesetz Sachsen-Anhalt in der ab 1. August 2013 geltenden Fassung - KiFöG LSA - nicht der Zustimmung des örtlichen Trägers der öffentlichen Jugendhilfe (die Verwendung des Begriffes „Träger der öffentlichen Einrichtung“ in dem angegriffenen Beschluss beruht wohl auf einem Versehen), in dessen Zuständigkeitsbereich die Tageseinrichtung liegt.

4

Gemäß § 3 Abs. 1 KiFöG LSA hat jedes Kind mit gewöhnlichem Aufenthalt im Land Sachsen-Anhalt bis zur Versetzung in den 7. Schuljahrgang Anspruch auf einen ganztägigen Platz in einer Tageseinrichtung. Der Anspruch richtet sich nach § 3 Abs. 4 KiFöG LSA gegen den örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe, in dessen Gebiet das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat. Das ist hier der Landkreis Börde. Die Leistungsberechtigten nach § 3 KiFöG LSA haben dabei das Recht, im Rahmen freier Kapazitäten zwischen den verschiedenen Tageseinrichtungen am Ort ihres gewöhnlichen Aufenthaltes oder an einem anderen Ort zu wählen, und sie sind von der Leistungsverpflichteten auf dieses Recht hinzuweisen (§ 3b Abs. 1 Satz 1 und 2 KiFöG LSA); der Wahl soll entsprochen werden, sofern dies nicht mit unverhältnismäßigen Mehrkosten verbunden ist (§ 3b Abs. 2 KiFöG LSA).

5

Auch aus einer Zusammenschau der §§ 3 Abs. 4 und § 3b Abs. 1 KiFöG LSA ergibt sich im Gegensatz zur Auffassung des Verwaltungsgerichts nicht, dass ein anderer als der örtliche Träger der öffentlichen Jugendhilfe, in dessen Gebiet das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, seine Zustimmung zur Ausübung des in § 3b Abs. 1 KiFöG LSA vorgesehenen Wahlrechts erteilen muss. In § 3 Abs. 4 KiFöG LSA wird vielmehr allein dieser Träger als Leistungsverpflichteter genannt, den dementsprechend gem. § 3b Abs. 1 Satz 2 KiFöG LSA auch das Hinweisrecht trifft. § 3b Abs. 2 KiFöG LSA trifft zu der Bestimmung des Trägers, welcher der Wahlentscheidung der Leistungsberechtigten nachzukommen hat, keine abweichende Regelung. Das alleinige Zustimmungserfordernis dieses Trägers folgt darüber hinaus aus § 12c KiFöG LSA. Wird ein Kind in einer Tageseinrichtung oder einer Tagespflegestelle außerhalb des Zuständigkeitsbereiches des örtlichen Trägers der öffentlichen Jugendhilfe, in dem das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, mit dessen Zustimmung betreut, regeln danach der aufnehmende und der abgebende örtliche Träger der öffentlichen Jugendhilfe die Kostentragung in einer Vereinbarung. Diese Regelung stellt gerade nicht auf die Zustimmung eines anderen Trägers ab.

6

Dass nach § 12c KiFöG LSA der aufnehmende und der abgebende örtliche Träger die Kostentragung in einer Vereinbarung regeln und in dem Gesetz nicht mehr - wie noch in § 11 Abs. 5 Satz 1 Kinderförderungsgesetz Sachsen-Anhalt in der vom 31. Januar bis 31. Juli 2013 geltenden Fassung (KiFöG LSA a.F.) - eine ausdrückliche Verpflichtung zur Kostenerstattung durch den Leistungsverpflichteten des gewöhnlichen Aufenthaltes des Kindes an den aufnehmenden Leistungsverpflichteten enthalten ist, steht dem nicht entgegen. Zwar richten sich die Zuweisung des Landes gem. § 12 Abs. 1 KiFöG LSA und die finanzielle Beteiligung des örtlichen Trägers der öffentlichen Jugendhilfe gem. 12a Abs. 1 Satz 2 KiFöG LSA nach der Zahl der im Zuständigkeitsbereich des örtlichen Trägers der öffentlichen Jugendhilfe betreuten Kinder. Daher erfolgt die finanzielle Beteiligung gem. 12a Abs. 1 Satz 2 KiFöG LSA bei einer auswärtigen Betreuung (zunächst) durch den aufnehmenden örtlichen Träger der öffentlichen Jugendhilfe. Durch die Neufassung des KiFöG LSA sollte aber die bisherige Kostenausgleichsregelung „dem Kern nach beibehalten“ werden (so die Begründung zum Gesetzentwurf, LT-Drs 6/1285 v. 4. Juli 2012, S. 26). Selbst wenn man dieser Einschätzung nicht folgt, ergibt sich aus dem Fehlen einer ausdrücklichen Verpflichtung zur Kostenerstattung angesichts des Regelungsgehalts der §§ 3 Abs. 4, 3b Abs. 2 und 12c KiFöG LSA keine abweichende Bestimmung hinsichtlich des Zustimmungserfordernisses zur Ausübung des in § 3b KiFöG LSA vorgesehenen Wahlrechts.

7

Auch die Vorgabe des Bestehens „freier Kapazitäten“ in § 3b Abs. 1 Satz 1 KiFöG LSA knüpft die Ausübung des Wahlrechts nicht an eine Zustimmung des örtlichen Trägers der öffentlichen Jugendhilfe, in dessen Zuständigkeitsbereich die Tageseinrichtung liegt. Damit wird - wie schon in dem wortgleichen § 3b Abs. 1 Satz 1 KiFöG LSA a.F. - allein darauf abgestellt, ob die gewünschte Tageseinrichtung objektiv noch einen freien Platz zur Verfügung hat.

8

Soweit die Antragsgegnerin gegenüber dem Einrichtungsträger mit E-Mail-Nachricht vom 10. März 2014 und gegenüber der Antragstellerin mit einem Schreiben aus April 2014 eine Zustimmung zu der Betreuung der Antragstellerin verweigert hat, führt dies von vornherein nicht zur Annahme einer Zustimmungsbedürftigkeit durch die Antragsgegnerin. Dazu ist eine gesetzliche Grundlage erforderlich.

9

Zudem hat die Antragsgegnerin noch im erstinstanzlichen Verfahren mit Schriftsatz vom 18. Juli 2014 klargestellt, dass in den Schreiben kein (ablehnender) Verwaltungsakt zu sehen sei und das KiFöG LSA nach ihrer Auffassung „keine Zustimmung der aufnehmenden Gemeinde für ein auswärts in einer Tageseinrichtung betreutes Kind“ vorsehe. Aus den im Beschwerdeverfahren eingereichten Schriftsätzen ergibt sich nichts anderes. Soweit die Antragsgegnerin zur Nutzung des Internet-Kita-Portals bei der Reservierung für ein auswärtiges Kind in einer Magdeburger Tageseinrichtung vorträgt, ihr Jugendamt müsse dem „Ticket-Antrag“ der Eltern zustimmen, ist dieses Vorbringen nach ihren vorherigen Ausführungen und den zusätzlichen Hinweisen auf dem Portal dahingehend zu verstehen, dass Voraussetzung dafür lediglich das Vorliegen einer Zustimmung und Kostenübernahmeerklärung durch den örtlichen Jugendhilfeträger ist.

10

Es muss danach nicht entschieden werden, ob das Begehren der Antragstellerin nicht auch unbegründet ist, weil der Träger der Kindertageseinrichtung anscheinend elektronisch bei der Antragsgegnerin am 4. August 2014 einen Antrag auf Erteilung einer Ausnahmegenehmigung gestellt hat. Sollte der Antrag auf die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung von der in der Betriebserlaubnis festgesetzten Zahl von Betreuungsplätzen gerichtet gewesen sein, könnte daraus folgen, dass eigentlich kein freier Platz in der Einrichtung für die Antragstellerin zur Verfügung stand,

11

Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 154 Abs. 1, 188 Satz 2 VwGO.

12

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).


(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Das Gericht hat im Urteil oder, wenn das Verfahren in anderer Weise beendet worden ist, durch Beschluß über die Kosten zu entscheiden.

(2) Ist der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt, so entscheidet das Gericht außer in den Fällen des § 113 Abs. 1 Satz 4 nach billigem Ermessen über die Kosten des Verfahrens durch Beschluß; der bisherige Sach- und Streitstand ist zu berücksichtigen. Der Rechtsstreit ist auch in der Hauptsache erledigt, wenn der Beklagte der Erledigungserklärung des Klägers nicht innerhalb von zwei Wochen seit Zustellung des die Erledigungserklärung enthaltenden Schriftsatzes widerspricht und er vom Gericht auf diese Folge hingewiesen worden ist.

(3) In den Fällen des § 75 fallen die Kosten stets dem Beklagten zur Last, wenn der Kläger mit seiner Bescheidung vor Klageerhebung rechnen durfte.

(1) Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts können vorbehaltlich des § 99 Abs. 2 und des § 133 Abs. 1 dieses Gesetzes sowie des § 17a Abs. 4 Satz 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes nicht mit der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht angefochten werden.

(2) Im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gilt für Entscheidungen des beauftragten oder ersuchten Richters oder des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle § 151 entsprechend.