Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt Beschluss, 25. Juli 2014 - 4 L 94/14

ECLI:ECLI:DE:OVGST:2014:0725.4L94.14.0A
bei uns veröffentlicht am25.07.2014

Gründe

1

Der statthafte Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.

2

1. Die geltend gemachten ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung i. S. d. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestehen nicht.

3

Der Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist immer schon dann erfüllt, wenn im Zulassungsverfahren ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird. Schlüssige Gegenargumente liegen bereits dann vor, wenn mit dem Zulassungsantrag substanziiert rechtliche oder tatsächliche Umstände aufgezeigt werden, aus denen sich die gesicherte Möglichkeit ergibt, dass die erstinstanzliche Entscheidung unrichtig ist (so BVerfG, Beschl. v. 20.12.2010 - 1 BvR 2011/10 -, zit. nach JURIS).

4

Diese Voraussetzung liegt nicht vor.

5

Ohne Erfolg macht die Klägerin geltend, seit dem Inkrafttreten des Spielhallengesetzes Sachsen-Anhalt - SpielhG LSA - am 1. Juli 2012 widerspreche die Bemessungsgrundlage der von der Beklagten erhobenen Vergnügungssteuer Art. 105 Abs. 2 Buchst. a GG, weil eine kalkulatorische Abwälzbarkeit auf die Spieler nicht mehr möglich sei.

6

Eine am Gleichheitssatz ausgerichtete, gerechte Zuteilung der Vergnügungssteuerlast erfordert, dass die Steuer jedenfalls im Ergebnis von demjenigen aufgebracht wird, der den von der Steuer erfassten Vergnügungsaufwand betreibt. Die Steuer muss daher auf den Benutzer der Veranstaltung abwälzbar sein. Sie soll nicht an demjenigen "hängen bleiben", der das steuerpflichtige Vergnügen zum Zwecke der Gewinnerzielung anbietet, sondern aus denjenigen Aufwendungen gedeckt werden, die die Spieler für ihr Spielvergnügen aufbringen. Hierfür genügt die Möglichkeit einer kalkulatorischen Überwälzung in dem Sinne, dass der Steuerpflichtige den von ihm gezahlten Betrag in die Kalkulation seiner Selbstkosten einsetzen und hiernach die zur Aufrechterhaltung der Wirtschaftlichkeit seines Unternehmens geeigneten Maßnahmen - Preiserhöhung, Umsatzsteigerung oder Senkung der sonstigen Kosten - treffen kann. Die rechtliche Gewähr, dass er den von ihm entrichteten Betrag immer von demjenigen erhält, der nach der Konzeption des Gesetzgebers letztlich die Steuer tragen soll, muss dem Steuerschuldner nicht geboten werden. Es reicht aus, wenn die Steuer auf eine Überwälzung der Steuerlast vom Steuerschuldner auf den Steuerträger angelegt ist, auch wenn die Überwälzung nicht in jedem Einzelfall gelingt (so BVerfG, Beschl. v. 4. Februar 2009 - 1 BvL 8/05 -, BVerfGE 123, 1, 22 f. m.w.N; vgl. auch Urt. v. 20. April 2004 - 1 BvR 905/00 -, BVerfGE 110, 274, 295; BVerwG, Beschl. v. 24. Dezember 2012 - 9 B 80.11 -, zit. nach JURIS, m.w.N.; OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 22. August 2013 - 4 K 72/12 -, n.v.; Urt. v. 23. August 2011 - 4 L 34/10 -, zit. nach JURIS).

7

Anhaltspunkte dafür, dass vor diesem rechtlichen Hintergrund seit dem Inkrafttreten des SpielhG LSA eine Abwälzung der von der Beklagten erhobenen Vergnügungssteuer faktisch unmöglich ist, sind nicht ersichtlich und nicht substanziiert geltend gemacht worden.

8

Zwar treffen die von der Klägerin genannten Regelungen zum Sozialkonzept (§ 3 SpielhG LSA), zu dem Jugend- und Spielerschutz (§ 4 SpielhG LSA) sowie zu den Anforderungen an die Gestaltung und Werbung (§ 5 SpielhG LSA) sämtliche Spielhallen, und das gesonderte Erlaubnisverfahren nach § 2 SpielhG LSA mit der Möglichkeit einer Erlaubnisversagung, u.a. wegen eines baulichen Verbundes von Spielhallen (Abs. 4 Nr. 6) und der Unterschreitung von Mindestabständen (Abs. 4 Nr. 5, 7), ist für neue Hallen sofort und für Bestandsspielhallen gem. § 11 Abs. 1 Satz 2 SpielhG nach einer Übergangszeit von fünf Jahren anwendbar.

9

Es ist aber schon fraglich, ob durch diese Regelungen ein Hindernis zur Abwälzung der Steuer geschaffen worden ist. Insoweit wird vertreten, dass die Abwälzung der Steuer über den Preis - die konzeptionell bei der Aufwandsteuer in erster Linie erstrebte Abwälzung - lediglich durch die Spielverordnung begrenzt werde, insbesondere über den langfristigen Kasseninhalt gem. § 12 Abs. 2 Satz 1 Buchst. a Spielverordnung (so OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 18. Februar 2014 - 14 A 2592/13 - zit. nach JURIS zur Unerheblichkeit des Glücksspielstaatsvertrags für die Vergnügungssteuererhebung; vgl. auch Beschl. v. 19. Mai 2014 - 14 A 528/14 -, zit. nach JURIS).

10

Dem muss aber nicht nachgegangen werden. Soweit die Klägerin auf eine (mögliche) Versagung der Erlaubnis nach § 2 SpielhG abstellt, kann eine solche Versagung von vornherein nicht als Beleg einer fehlenden kalkulatorischen Abwälzbarkeit angeführt werden, weil dann die Voraussetzungen für die Steuererhebung an sich fehlen. Soweit sie hinsichtlich der neuen betrieblichen Anforderungen des SpielhG LSA allein geltend macht, sie habe „erhebliche Mehrausgaben, unter anderem durch die zusätzlichen Schulungen von Mitarbeitern, durch die Umsetzung von Sozialkonzepten, die Änderung der Werbeanlagen“, fehlt es - unabhängig von der Frage, ob es dazu nur auf die Klägerin ankommt - schon an einer Substanziierung zur Höhe dieser Aufwendungen. Der bloße Hinweis auf ein insoweit erstelltes Gutachten („Gutachterliche Stellungnahme zur Verfassungsmäßigkeit der kommunalen Vergnügungssteuern auf Geldspielgeräte am Beispiel Berlins“) ist hierfür so wenig ausreichend wie die pauschale Behauptung, die neuen gesetzlichen Regelungen unterbänden die Vornahme von betriebswirtschaftlichen Maßnahmen. Selbst wenn die gewerberechtlichen Rahmenbedingungen den Aufsteller und Betreiber der Geldspielgeräte in seinen unternehmerischen Entscheidungsspielräumen einengen und damit die kalkulatorische Abwälzung erschweren sollten, ist nicht erkennbar, dass eine Abwälzung auf die Spieler durch Preiserhöhung im Rahmen der Spielverordnung, durch Umsatzsteigerung oder Kostensenkung ausgeschlossen ist.

11

Es kann danach ebenfalls offen bleiben, ob nicht schon dann von der Abwälzbarkeit der Vergnügungssteuer auszugehen ist, wenn eine erdrosselnde Wirkung dieser Steuer nicht festgestellt werden kann (so OVG Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 10. Juni 2011 - 14 A 652/11 -; Urt. v. 23. Juni 2010 - 14 A 597/09 -; vgl. auch Urt. v. 8. Mai 2013 - 14 A 1583/09 -, jeweils zit. nach JURIS; wohl a.M.: OVG Schleswig-Holstein, Urt. v. 10. August 2009 - 2 LB 38/08 -, zit. nach JURIS).

12

2. Die Rechtssache weist keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten i.S.d. § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO auf.

13

Die von der Klägerin insoweit allein aufgeführte angebliche Differenz des angegriffenen Urteils zu zwei Literaturstellen hinsichtlich der kalkulatorischen Abwälzbarkeit ist nicht ausreichend für eine Annahme, dass die Rechtssache in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht das normale Maß nicht unerheblich überschreitende Schwierigkeiten verursacht. Die maßgeblichen Kriterien, wann eine Abwälzbarkeit zu bejahen ist, sind - wie oben dargelegt - höchstrichterlich geklärt (vgl. auch OVG Niedersachsen, Beschl. v. 18. Februar 2014 - 9 LA 45/12 -, zit. nach JURIS).

14

3. Eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache i.S.d. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zeigt die Klägerin ebenfalls nicht auf. Eine solche Bedeutung ist nur dann gegeben, wenn die Rechtssache eine rechtliche oder tatsächliche Frage aufwirft, die für die Berufungsinstanz entscheidungserheblich und im Sinne der Rechtseinheit oder zur Fortbildung des Rechts klärungsbedürftig ist (vgl. BVerfG, Beschl. v. 1. Februar 2008 - 2 BvR 2575/07 -; Beschl. v. 29. Juli 2010 - 1 BvR 1634/04 -; jeweils zit. nach JURIS m.w.N.).

15

Die Klägerin formuliert jedoch schon keine grundsätzliche klärungsbedürftige rechtliche oder tatsächliche Frage, sondern stellt lediglich die abstrakten Voraussetzungen für die Annahme einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache dar.

16

4. Selbst wenn man das Vorbringen der Klägerin trotz des Fehlens einer ausdrücklichen Rüge dahingehend auslegt, dass sie auch einen Verfahrensfehler i.S.d. § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO, nämlich eine Verletzung des Amtsermittlungsgrundsatzes (§ 86 Abs. 1 VwGO), geltend machen will, hätte sie keinen Erfolg.

17

Es ist schon fraglich, ob die Klägerin in ausreichender Weise darlegt, welche (weiteren) Aufklärungsmaßnahmen das Gericht hätte durchführen müssen.

18

Jedenfalls trägt die Klägerin nicht substanziiert vor, dass sie bereits in der Vorinstanz, insbesondere in der mündlichen Verhandlung, entweder auf die Vornahme der Sachverhaltsaufklärung, deren Unterbleiben nunmehr gerügt wird, hingewirkt hat oder dass sich dem Gericht die bezeichneten Ermittlungen auch ohne ein solches Hinwirken hätten aufdrängen müssen (OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 13. Juni 2010 - 4 L 162/10 -, zit. nach JURIS; BVerwG, Beschl. v. 15. Januar 2009 - 6 B 78.08 -, zit. nach JURIS zu einer Nichtzulassungsbeschwerde).

19

Darüber hinaus hätte es in der Antragsbegründungsschrift auch Ausführungen dazu bedurft, dass bei einer weiteren Aufklärung des Sachverhaltes voraussichtlich eine im Ergebnis andere, für die Klägerin positive Entscheidung ergangen wäre (vgl. dazu OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 18. April 2012 - 3 L 716/09 -, n.v.)

20

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

21

Die Festsetzung des Streitwertes folgt aus § 52 Abs. 3 GKG.

22

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1, 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).


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(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens. (2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat. (3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, we

Gerichtskostengesetz - GKG 2004 | § 52 Verfahren vor Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit


(1) In Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen.

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 124


(1) Gegen Endurteile einschließlich der Teilurteile nach § 110 und gegen Zwischenurteile nach den §§ 109 und 111 steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie von dem Verwaltungsgericht oder dem Oberverwaltungsgericht zugelassen wird. (2) Die B

Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO | § 86


(1) Das Gericht erforscht den Sachverhalt von Amts wegen; die Beteiligten sind dabei heranzuziehen. Es ist an das Vorbringen und an die Beweisanträge der Beteiligten nicht gebunden. (2) Ein in der mündlichen Verhandlung gestellter Beweisantrag ka

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Bundesverfassungsgericht Stattgebender Kammerbeschluss, 29. Juli 2010 - 1 BvR 1634/04

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Tenor Das Urteil des Verwaltungsgerichts Lüneburg vom 23. Januar 2004 - 3 A 120/02 - und der Beschluss des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 14. Juni 2004 - 11 LA 79/04 - verletze
1 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt Beschluss, 25. Juli 2014 - 4 L 94/14.

Verwaltungsgericht Schwerin Urteil, 22. Juni 2015 - 6 A 1895/13

bei uns veröffentlicht am 22.06.2015

Tenor Das Verfahren wird eingestellt, soweit die Beteiligten es in der Hauptsache für erledigt erklärt haben. Die Klage wird abgewiesen. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar

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(1) Gegen Endurteile einschließlich der Teilurteile nach § 110 und gegen Zwischenurteile nach den §§ 109 und 111 steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie von dem Verwaltungsgericht oder dem Oberverwaltungsgericht zugelassen wird.

(2) Die Berufung ist nur zuzulassen,

1.
wenn ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,
2.
wenn die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,
3.
wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
4.
wenn das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
5.
wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

Tenor

Der Antrag wird abgelehnt.

Die Klägerin trägt die Kosten des Antragsverfahrens.

Der Streitwert für das Antragsverfahren wird auf 12.780,43 Euro festgesetzt.


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(1) Gegen Endurteile einschließlich der Teilurteile nach § 110 und gegen Zwischenurteile nach den §§ 109 und 111 steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie von dem Verwaltungsgericht oder dem Oberverwaltungsgericht zugelassen wird.

(2) Die Berufung ist nur zuzulassen,

1.
wenn ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,
2.
wenn die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,
3.
wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
4.
wenn das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
5.
wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

Tenor

Das Urteil des Verwaltungsgerichts Lüneburg vom 23. Januar 2004 - 3 A 120/02 - und der Beschluss des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 14. Juni 2004 - 11 LA 79/04 - verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 19 Absatz 4 des Grundgesetzes.

Die Entscheidungen werden aufgehoben. Die Sache wird zur Entscheidung an das Verwaltungsgericht Lüneburg zurückverwiesen.

...

Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit im Verfassungsbeschwerdeverfahren wird auf 8.000 Euro festgesetzt.

Gründe

1

Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen verwaltungsgerichtliche Entscheidungen, in denen dem Rechtsschutzbegehren des Beschwerdeführers gegen die Auferlegung von Gebühren für eine polizeiliche Ingewahrsamnahme im Anschluss an eine Versammlung mit der Begründung der Erfolg versagt wird, die inzidente Prüfung der Rechtmäßigkeit der dem Heranziehungsbescheid zugrunde liegenden polizeilichen Ingewahrsamnahme sei den Verwaltungsgerichten verwehrt.

I.

2

1. Dem Ausgangsverfahren liegen folgende Vorschriften des einfachen Rechts zugrunde:

3

a) Aus dem Niedersächsischen Gefahrenabwehrgesetz in der Fassung vom 20. Februar 1998 (GVBl vom 4. März 1998, S. 101 <107> - NGefAG a.F.):

4

§ 17 NGefAG a.F.

5

(Platzverweisung)

6

(1) Die Verwaltungsbehörden und die Polizei können zur Abwehr einer Gefahr jede Person vorübergehend von einem Ort verweisen oder ihr vorübergehend das Betreten eines Ortes verbieten. ...

7

§ 18 NdsGefAG a.F.

8

(Gewahrsam)

9

(1) Die Verwaltungsbehörden und die Polizei können eine Person in Gewahrsam nehmen, wenn dies

...

10

2. unerlässlich ist, um die unmittelbar bevorstehende Begehung oder Fortsetzung

...

11

b) einer Ordnungswidrigkeit von erheblicher Gefahr für die Allgemeinheit

12

zu verhindern, oder

13

3. unerlässlich ist, um eine Platzverweisung nach § 17 durchzusetzen.

14

15

§ 19 NGefAG a.F.

16

(Richterliche Entscheidung)

17

(1) Wird eine Person auf Grund des § 13 Abs. 2 Satz 2, des § 16 Abs. 3 oder des § 18 festgehalten, so haben die Verwaltungsbehörden oder die Polizei unverzüglich eine richterliche Entscheidung über die Zulässigkeit und Fortdauer der Freiheitsbeschränkung herbeizuführen. Der Herbeiführung der richterlichen Entscheidung bedarf es nicht, wenn anzunehmen ist, dass die Entscheidung erst nach Wegfall des Grundes der Maßnahme ergehen wird.

18

(2) Ist die Freiheitsbeschränkung vor Erlass einer gerichtlichen Entscheidung beendet, so kann die festgehaltene Person ... innerhalb eines Monats nach Beendigung der Freiheitsbeschränkung die Feststellung beantragen, dass die Freiheitsbeschränkung rechtswidrig gewesen ist, wenn diese länger als acht Stunden angedauert hat oder für die Feststellung ein sonstiges berechtigtes Interesse besteht. Der Antrag kann bei dem nach Absatz 3 Satz 2 zuständigen Amtsgericht schriftlich oder durch Erklärung zu Protokoll der Geschäftstelle dieses Gerichts gestellt werden. Die Entscheidung des Amtsgerichts ist mit sofortiger Beschwerde anfechtbar. Gegen die Entscheidung des Landgerichts ist die weitere sofortige Beschwerde nur statthaft, wenn das Landgericht sie wegen der grundsätzlichen Bedeutung der zur Entscheidung stehenden Frage zulässt.

19

(3) Für die Entscheidung nach Absatz 1 ist das Amtsgericht zuständig, in dessen Bezirk die Person festgehalten wird. Für die Entscheidung nach Absatz 2 ist das Amtsgericht zuständig, in dessen Bezirk die Person in Gewahrsam genommen wurde. …

20

b) Aus dem Niedersächsischen Verwaltungskostengesetz (GVBl vom 7. Mai 1962, S. 43 ff., geändert durch Art. 5 des Haushaltsbegleitgesetzes 1997 vom 13. Dezember 1996, GVBl vom 20. Dezember 1996, S. 494, in Verbindung mit Art. 11 Abs. 2 des Gesetzes zur Verbesserung der kommunalen Handlungsfähigkeit, GVBl vom 28. Mai 1996, S. 242 <244> - NVwKostG):

21

§ 3

22

(1) Die einzelnen Amtshandlungen, für die Gebühren erhoben werden sollen, und die Höhe der Gebühren sind in Gebührenordnungen zu bestimmen.

23

24

§ 11

25

(1) Kosten, die dadurch entstanden sind, dass die Behörde die Sache unrichtig behandelt hat, sind zu erlassen.

26

27

§ 14

28

(1) Für die Benutzung öffentlicher Einrichtungen und Gegenstände, die sich im Eigentum oder in der Verwaltung des Landes befinden, können Benutzungsgebühren erhoben werden.

29

30

(2) Im übrigen finden die Vorschriften dieses Gesetzes über Kosten entsprechende Anwendung.

31

c) § 1 der Verordnung über die Gebühren und Auslagen für Amtshandlungen und Leistungen vom 5. Juni 1997 (GVBl vom 12. Juni 1997, S. 171 - Allgemeine Gebührenordnung) bestimmt:

32

§ 1

33

(1) Für Amtshandlungen der Landesverwaltung ... sind Gebühren und Pauschbeträge für Auslagen nach dieser Verordnung und dem nachstehenden Kostentarif (Anlage) zu erheben. …

34

Nrn. 67.1 und 67.2 der Anlage zu der Allgemeinen Gebührenordnung lauten (GVBl vom 12. Juni 1997, S. 172 <220>):

35

- Unterbringung im Polizeigewahrsam je angefangener Tag (24 Stunden) 38 DM

36

- Beförderung von in Gewahrsam genommenen oder hilflosen Personen mit Polizeifahrzeugen 70 DM

37

2. Am 3./4. März 2001 fand im Landkreis Lüchow-Dannenberg an einem Bahnübergang in Pisselberg die Versammlung unter dem Motto "Nacht im Gleisbett" gegen den Transport von Atommüll in das Brennelemente-Zwischenlager Gorleben (Castor-Transport) statt. Die Versammlung wurde am Abend des 3. März 2001 wegen der Gefahr eines Verstoßes gegen das Betretungsverbot der Gleise gemäß §§ 62, 63 der Eisenbahn-, Bau- und Betriebsordnung aufgelöst, als sich ein Teil der Demonstranten den Gleisen näherte. In der Folge versuchten mehrere Gruppen von Demonstranten einige hundert Meter von dem Bahnübergang entfernt, die Gleise zu besetzen. Sie wurden mit einem Platzverweis belegt, in Gewahrsam genommen und für eine Identitätsfeststellung zur Polizeiinspektion in Lüchow gebracht. Im Verlauf dieser Geschehnisse wurde auch der Beschwerdeführer nach dem polizeilichen Kurzbericht um 21:40 Uhr in Gewahrsam genommen, gegen 23:55 Uhr mit einem Dienstfahrzeug nach Lüchow transportiert und um 2:34 Uhr des Folgetages wieder entlassen. Eine richterliche Entscheidung über die Zulässigkeit der polizeilichen Maßnahmen wurde nicht herbeigeführt.

38

3. Mit Heranziehungsbescheid vom 4. September 2001 wurden dem Beschwerdeführer gegenüber gemäß §§ 3 Abs. 1, 14 NVwKostG in Verbindung mit § 1 Abs. 1 AllGO in Verbindung mit Nrn. 67.1. und 67.2. der Anlage zu der Allgemeinen Gebührenordnung Kosten für die Unterbringung in Gewahrsam und die Beförderung in Höhe von insgesamt 108 DM festgesetzt.

39

4. Mit angegriffenem Urteil vom 23. Januar 2004 wies das Verwaltungsgericht die Klage des Beschwerdeführers auf Aufhebung des Heranziehungsbescheides ab. Das Verwaltungsgericht sei nicht zuständig, die Rechtmäßigkeit der Ingewahrsamnahme inzident als Vorfrage im Rahmen der Prüfung des Heranziehungsbescheides zu prüfen. Der Gesetzgeber habe sich wegen der Sach- und Ortsnähe der Amtsgerichte für eine abdrängende Sonderzuweisung nach § 40 Abs. 1 Satz 2 VwGO an die ordentlichen Gerichte entschieden. Mache der Beschwerdeführer von diesen verfahrensrechtlichen Möglichkeiten keinen Gebrauch, liege das in seinem Risikobereich, mit der Folge, dass er wegen der umfassenden Rechtsschutzkonzentration auf die ordentliche Gerichtsbarkeit nicht nachträglich in einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren die Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Ingewahrsamnahme erreichen könne. Ob, wie der Beschwerdeführer vorgetragen habe, dem Richtervorbehalt nicht genüge getan worden sei, ihm gegenüber kein Platzverweis ergangen sei, der seine Ingewahrsamnahme gemäß § 18 Abs. 1 Nr. 3 NGefAG a.F. gerechtfertigt hätte, und seine Ingewahrsamnahme auch nicht unerlässlich im Sinne von § 18 Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe b NGefAG a.F. gewesen sei, dürfe das Verwaltungsgericht nicht prüfen. Zwar könne eine gegen Art. 8 GG verstoßende Maßnahme keine Kostenansprüche begründen. Dies hätten auch die Verwaltungsgerichte bei Überprüfung des Heranziehungsbescheides zu beachten. Allerdings sei das Verwaltungsgericht in dem von dem Veranstalter der Versammlung "Nacht im Gleisbett" angestrengten Verfahren gegen die Auflösung der Versammlung am 3. März 2001 und die anschließende Räumung der Gleise durch die Polizei zu dem Ergebnis gelangt, dass die Auflösung der Versammlung und die Räumung der Gleise rechtmäßig gewesen seien.

40

5. Mit angegriffenem Beschluss vom 14. Juni 2004 lehnte das Oberverwaltungsgericht den Antrag auf Zulassung der Berufung unter Bezugnahme auf eine vorangehende Entscheidung im Prozesskostenhilfeverfahren ab. Für die Beantwortung der Rechtsfrage, ob das Verwaltungsgericht eine behauptete Rechtswidrigkeit der Ingewahrsamnahme als Vorfrage im Rahmen der Kontrolle des Heranziehungsbescheides inzident prüfen müsse, bedürfe es keines Berufungsverfahrens, weil sie durch Auslegung der einschlägigen Vorschriften hinreichend beantwortet werden könne beziehungsweise nicht entscheidungserheblich sei. Es entspreche einer sinnvollen Ordnung der Rechtswege, dass verschiedene Gerichte nicht aufgrund desselben Sachverhalts über dieselbe Rechtsfrage befänden. Für die Verwaltungsgerichte werde innerhalb der Schrittfolge Grundrechtsschutz, Ingewahrsamnahme und Heranziehungsbescheid der Prüfungsrahmen nur hinsichtlich des mittleren Schrittes aufgehoben, nicht jedoch hinsichtlich der beiden anderen Schritte. Entsprechend habe das Verwaltungsgericht mit einbezogen, dass die Räumung der Gleise rechtmäßig gewesen und die Blockade der Gleise nicht durch das Grundrecht der Versammlungsfreiheit gedeckt sei.

41

6. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer unter anderem eine Verletzung seines Grundrechts auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 GG.

42

7. Die Rechtsnachfolgerin der Gegnerin des Ausgangsverfahrens, die Polizeidirektion Lüneburg, hat zu der Verfassungsbeschwerde Stellung genommen. Dagegen hat das Niedersächsische Justizministerium von einer Stellungnahme abgesehen. Die Akte des Ausgangsverfahrens hat dem Bundesverfassungsgericht vorgelegen.

II.

43

Die Verfassungsbeschwerde wird gemäß § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG zur Entscheidung angenommen, weil dies zur Durchsetzung der Grundrechte des Beschwerdeführers angezeigt ist.

44

1. Das Bundesverfassungsgericht hat die maßgeblichen Fragen zur Reichweite der Gewährleistung des Grundrechts auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 GG bereits entschieden und dabei auch die zu berücksichtigenden Grundsätze entwickelt (vgl. BVerfGE 51, 176 <185>; 96, 27 <39>; 101, 106 <122 f.>; 104, 220 <232>; speziell zu § 124 Abs. 2 VwGO: BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 23. Juni 2000 - 1 BvR 830/00 -, NVwZ 2000, S. 1163 <1164>; Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 8. März 2001 - 1 BvR 1653/99 -, NVwZ 2001, S. 552 <553>; BVerfGK 10, 208 <213>; Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 21. Januar 2009 - 1 BvR 2524/06 -, NVwZ 2009, S. 515 <516>; Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 10. September 2009 - 1 BvR 814/09 -, NJW 2009, S. 3642 <3643>).

45

2. Die zulässige Verfassungsbeschwerde ist im Sinne des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG offensichtlich begründet. Die angegriffenen Entscheidungen verletzen den Beschwerdeführer in seinem Anspruch auf effektiven Rechtsschutz gegenüber der öffentlichen Gewalt aus Art. 19 Abs. 4 GG.

46

a) Das Verfahrensgrundrecht des Art. 19 Abs. 4 GG garantiert demjenigen den Rechtsweg, der geltend macht, durch die öffentliche Gewalt in eigenen Rechten verletzt zu sein. Art. 19 Abs. 4 GG gewährleistet auf diese Weise nicht einen bestimmten Rechtsweg. Vielmehr wird dem einzelnen Bürger durch dieses Grundrecht lediglich garantiert, dass ihn beeinträchtigende hoheitliche Maßnahmen in irgendeinem gerichtlichen Verfahren überprüft werden können. In diesem Sinne enthält Art. 19 Abs. 4 GG ein Grundrecht auf effektiven und möglichst lückenlosen richterlichen Rechtsschutz gegen Verletzungen der Individualsphäre durch Eingriffe der öffentlichen Gewalt (vgl. BVerfGE 51, 176 <185>; 67, 43 <58>; 96, 27 <39>; 101, 106 <122 f.>). Dieser Rechtsschutz darf sich dabei nicht in der bloßen Möglichkeit der Anrufung eines Gerichts erschöpfen, sondern muss zu einer wirksamen Kontrolle in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht durch ein mit zureichender Entscheidungsmacht ausgestattetes Gericht führen (vgl. BVerfGE 60, 253 <297>; 67, 43 <58>; 101, 106 <123>).

47

Der Rechtsweg, den Art. 19 Abs. 4 GG dem Einzelnen gewährleistet, bedarf allerdings der gesetzlichen Ausgestaltung. Rechtsschutz ist eine staatliche Leistung, deren Voraussetzungen erst geschaffen, deren Art näher bestimmt und deren Umfang im Einzelnen festgelegt werden müssen. Art. 19 Abs. 4 GG gibt dem Gesetzgeber dabei nur die Zielrichtung und die Grundzüge der Regelung vor, lässt ihm im Übrigen aber einen beträchtlichen Gestaltungsspielraum. Doch darf er die Notwendigkeit einer umfassenden Nachprüfung des Verwaltungshandelns in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht und eine dem Rechtsschutzbegehren angemessene Entscheidungsart und Entscheidungswirkung nicht verfehlen (vgl. BVerfGE 101, 106 <123 f.>).

48

Dabei fordert Art. 19 Abs. 4 GG zwar keinen Instanzenzug (vgl. BVerfGE 78, 88 <99>; 87, 48 <61>). Eröffnet das Prozessrecht aber eine weitere Instanz, so gewährleistet Art. 19 Abs. 4 GG dem Bürger in diesem Rahmen die Effektivität des Rechtsschutzes im Sinne eines Anspruchs auf eine wirksame gerichtliche Kontrolle. Das Rechtsmittelgericht darf ein von der jeweiligen Rechtsordnung eröffnetes Rechtsmittel daher nicht ineffektiv machen und für den Beschwerdeführer "leerlaufen" lassen (vgl. BVerfGE 78, 88 <98 f.>; 96, 27 <39>; 104, 220 <232>). Mit dem Gebot effektiven Rechtsschutzes unvereinbar ist eine den Zugang zu einem Rechtsmittel erschwerende Auslegung und Anwendung der einschlägigen Verfahrensvorschriften, wenn sie sachlich nicht zu rechtfertigen ist, sich damit als objektiv willkürlich erweist und dadurch den Zugang zur nächsten Instanz unzumutbar erschwert (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 4. November 2008 - 1 BvR 2587/06 -, NJW 2009, S. 572 <573>). Das Gleiche gilt, wenn das Prozessrecht - wie hier in den §§ 124, 124a VwGO - den Verfahrensbeteiligten die Möglichkeit gibt, die Zulassung eines Rechtsmittels zu erstreiten. Dieses Gebot wiederum beansprucht Geltung nicht nur hinsichtlich der Anforderungen an die Darlegung der Zulassungsgründe gemäß § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO, sondern in entsprechender Weise ebenso für die Auslegung und Anwendung der Zulassungsgründe selbst (vgl. BVerfGK 10, 208 <213>; Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 10. September 2009 - 1 BvR 814/09 -, NJW 2009, S. 3642).

49

b) Diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen wird die angegriffene Entscheidung des Verwaltungsgerichts nicht gerecht. Die von dem Verwaltungsgericht gefundene Auslegung der maßgeblichen landesrechtlichen Vorschriften ist mit dem Gebot effektiven Rechtsschutzes aus Art. 19 Abs. 4 GG nicht vereinbar. Indem sich das Verwaltungsgericht weigerte, im Rahmen der Kontrolle des Heranziehungsbescheides inzident die Rechtmäßigkeit der polizeilichen Ingewahrsamnahme zu überprüfen, hat es seine Pflicht zu einer in rechtlicher Hinsicht umfassenden Nachprüfung des Verwaltungshandelns verletzt.

50

aa) Der Landesgesetzgeber hat sich mit § 19 Abs. 3 NGefAbwG a.F. dafür entschieden, den Amtsgerichten im Wege der abdrängenden Sonderzuweisung nach § 40 Abs. 1 Satz 2 VwGO den Rechtsschutz unmittelbar gegen die Ingewahrsamnahme anzuvertrauen, dagegen die nachgelagerte Prüfung der Rechtmäßigkeit des auf der Ingewahrsamnahme beruhenden Heranziehungsbescheides und, auf das Versammlungsrecht bezogen, die vorgelagerte Prüfung der Rechtmäßigkeit der Auflösung der Versammlung bei den Verwaltungsgerichten zu belassen. Diese gesetzgeberische Entscheidung führt bei einer Kette von Hoheitsakten im Ergebnis zu einer Rechtswegspaltung. Eine solche Rechtswegspaltung hat indes nicht automatisch zur Folge, dass es einem angerufenen Gericht verwehrt ist, Vorfragen zu prüfen, die, wären sie Hauptfrage, in den Zuständigkeitsbereich eines anderen Gerichts fielen.

51

Gemäß § 17 Abs. 2 Satz 1 GVG, der über § 83 Satz 1 VwGO auf die Verwaltungsgerichtsbarkeit Anwendung findet, gilt der Grundsatz, dass das Gericht des zulässigen Rechtsweges den Rechtsstreit unter allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten entscheidet. Dies bedeutet nach allgemeinem Verständnis, dass das Gericht des zulässigen Rechtsweges auch rechtswegfremde, entscheidungserhebliche Vorfragen prüft und über sie entscheidet (vgl. zur Intention des Gesetzgebers: Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Neuregelung des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens vom 27. April 1990, BTDrucks 11/7030, S. 37; aus der Literatur: Kissel/Mayer, GVG, 5. Aufl. 2008, § 13 Rn. 17; Wittschier, in: Musielak, ZPO und Nebengesetze, 7. Aufl. 2009, § 17 GVG Rn. 1; Reimer, in: Posser/Wolff, Beck`scher Online-Kommentar VwGO, § 40, Rn. 228; Zimmermann, in: Münchener Kommentar, ZPO und Nebengesetze, 3. Aufl. 2008, § 17 GVG Rn. 2).

52

Bei der Frage der Rechtmäßigkeit der polizeilichen Ingewahrsamnahme handelt es sich um eine solche entscheidungserhebliche Vorfrage im Sinne von § 17 Abs. 2 Satz 1 GVG. Sie betrifft die Auslegung und Anwendung des in § 18 NGefAG a.F. geregelten Gewahrsams. Unmittelbarer Prüfungsgegenstand in dem verwaltungsgerichtlichen Ausgangsverfahren ist der gemäß §§ 3 Abs. 1, 14 NVwKostG in Verbindung mit § 1 Abs. 1 AllGO in Verbindung mit Nrn. 67.1 und Nr. 67.2 der Anlage erlassene Heranziehungsbescheid. Im Rahmen der Prüfung der Rechtmäßigkeit des staatlichen Zahlungsanspruchs in Form des Heranziehungsbescheides ist nach § 11 Abs. 1 NVwKostG auch die Rechtmäßigkeit der zugrunde liegenden Amtshandlung zu untersuchen, da die Vorschrift einen Kostenerlass bei "unrichtiger Sachbehandlung" vorsieht. Dieser Kostenerlass gilt auch für rechtswidrige Realakte (vgl. speziell für das niedersächsische Landesrecht: Loeser, NVwKostG, Lfg. 1999, § 1, S. 17, und § 11, S. 2 ff.).

53

Etwas anderes kann das Verwaltungsgericht verfassungsrechtlich tragfähig nicht allein darauf stützen, dass der niedersächsische Landesgesetzgeber mit § 19 Abs. 3 Satz 1 und 2 NGefAbwG a.F. in Verbindung mit § 19 Abs. 1 und 2 NGefAG a.F. neben dem präventiven, gegen die noch andauernde Freiheitsentziehung gerichteten Rechtsschutz auch den nachträglichen, auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Freiheitsbeschränkung abzielenden Rechtsschutz nach deren Beendigung den Amtsgerichten zugewiesen hat. § 19 Abs. 3 Satz 1 und 2 NGefAG a.F. ordnet seinem Wortlaut nach auch nicht andeutungsweise an, dass mit der Zuweisung der Überprüfung des freiheitsbeeinträchtigenden Hoheitsaktes an die Amtsgerichte im Falle eines weiteren daran anknüpfenden Hoheitsaktes, der vor den Verwaltungsgerichten angegriffen werden muss, letzteren ausnahmsweise die inzidente Prüfung des freiheitsbeeinträchtigenden Hoheitsaktes verwehrt sein soll. Aus der Gesetzesbegründung bei Einführung der Regelung ist ein solcher Ausschluss ebenfalls nicht herzuleiten (vgl. Gesetzentwurf der Landesregierung für ein Niedersächsisches Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung vom 16. Oktober 1979, LTDrucks 9/1090, S. 81). Dass der Gesetzgeber die Frage der Rechtmäßigkeit einer Ingewahrsamnahme auch dort, wo sie nur Vorfrage ist, immer einem vorgelagerten eigenen Rechtsschutzverfahren vor den ordentlichen Gerichten vorbehalten wollte und unter dem Gesichtspunkt des Gebots effektiven Rechtsschutzes zumutbar vorbehalten konnte, legt das Verwaltungsgericht auch sonst nicht in einer den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügenden Weise dar. Ohne hinreichenden Grund weicht es somit von dem Gebot, den Rechtsstreit unter allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten zu entscheiden, ab.

54

bb) Soweit das Verwaltungsgericht darauf verweist, dass einer Inzidentprüfung der Rechtmäßigkeit der polizeilichen Ingewahrsamnahme durch die Verwaltungsgerichte Erwägungen der Prozessökonomie entgegenstünden, genügen diese Ausführungen den verfassungsrechtlichen Anforderungen des Art. 19 Abs. 4 GG nicht. Das Verwaltungsgericht sieht dabei das Amtsgericht als das gegenüber den Verwaltungsgerichten insoweit sach- und ortsnähere Gericht an. Es hat dem Beschwerdeführer vorgehalten, dass es in dessen Risikobereich falle, wenn er von der Rechtsschutzmöglichkeit vor den Amtsgerichten nach § 19 Abs. 2 Satz 1 NGefAG a.F. keinen Gebrauch mache. Dieser Einwand greift indes nicht durch.

55

Von einer zurechenbaren Versäumung eigener Rechtsverteidigung kann nur dort gesprochen werden, wo der Regelungsgehalt und die Folgen eines Hoheitsaktes innerhalb der für die Einlegung des Rechtsbehelfs vorgesehenen Frist erkennbar sind (vgl. Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 19 Rn. 239 ). Das einschlägige Landesrecht schließt die Inzidentprüfung der polizeilichen Ingewahrsamnahme durch die Verwaltungsgerichte im Rahmen der Kontrolle nachgelagerter Hoheitsakte weder für den Einzelnen erkennbar aus noch ordnet es - wie in anderen Bereichen für gestuftes behördliches Handeln - auf der Grundlage eines formalisierten Verfahrens eine materielle Präklusion der gegen die Rechtmäßigkeit der Ingewahrsamnahme gerichteten Einwände an. Der Hoheitsakt der polizeilichen Ingewahrsamnahme entfaltet daher für den später erlassenen Heranziehungsbescheid keine wie auch immer geartete Vorwirkung (vgl. § 11 Abs. 1 NVwKostG). Dementsprechend muss sich der betroffene Bürger, wendet er sich gegen den später erlassenen Heranziehungsbescheid, nicht entgegenhalten lassen, dass er zuvor von der Rechtsschutzmöglichkeit gegen die polizeiliche Ingewahrsamnahme keinen Gebrauch gemacht hat.

56

Im Übrigen hat das Verwaltungsgericht auch nicht geprüft, ob dem Beschwerdeführer nach der damals geltenden gesetzlichen Ausgestaltung des Rechtswegs diese Rechtsschutzmöglichkeit tatsächlich offen stand. Die Vorschrift des § 19 Abs. 2 Satz 1 NGefAG a.F. eröffnete den Rechtsweg zu den Amtsgerichten nur für den Fall, dass die Freiheitsbeschränkung entweder länger als acht Stunden andauerte oder für die Feststellung ein "sonstiges berechtigtes Interesse" bestand. Innerhalb der Monatsfrist kam ein solcher Feststellungsantrag jedoch nicht in Betracht, weil der Beschwerdeführer die hierfür gesetzlich speziell ausgeformte Sachentscheidungsvoraussetzung des Rechtsschutzbedürfnisses nicht erfüllte (vgl. zu den Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit dieser speziellen Anforderungen: OLG Celle, Beschluss vom 13. Januar 2003 - 17 W 40/02 - unter Berufung auf: BVerfGE 104, 220 <235>; im Anschluss daran: Gesetzentwurf der Landesregierung für ein Niedersächsisches Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung vom 16. Oktober 1979, LTDrucks 9/1090, S. 81). Weder dauerte die polizeiliche Ingewahrsamnahme des Beschwerdeführers länger als acht Stunden, noch legt das Verwaltungsgericht näher dar, dass der Beschwerdeführer ein gesichertes "sonstiges berechtigtes Interesse" im Sinne der Vorschrift des § 19 Abs. 2 Satz 1 NGefAG a.F. an einer gerichtlichen Feststellung hätte geltend machen können. Der Hinweis des Verwaltungsgerichts auf eine seiner Ansicht nach vorrangige Entscheidung der Amtsgerichte geht damit ins Leere.

57

cc) Die weiteren Erwägungen des Verwaltungsgerichts erweisen sich verfassungsrechtlich ebenfalls als nicht tragfähig. Da Rechtsschutz nach § 19 Abs. 2 Satz 1 NGefAG a.F nicht in Betracht kam, greift dementsprechend der vom Verwaltungsgericht geltend gemachte Einwand bezüglich der - gegenüber den Verwaltungsgerichten herausgehobenen - Sach- und Ortsnähe der Amtsgerichte nicht durch. Auch der von dem Verwaltungsgericht in der Sache vertretene Standpunkt, dem Grundrechtsschutz werde dadurch Genüge getan, dass zwar nicht die Rechtmäßigkeit der Ingewahrsamnahme, wohl aber die Rechtmäßigkeit der Auflösung der Versammlung, die der Ingewahrsamnahme vorausging, geprüft werde, trägt nicht. Die Prüfung, ob die Auflösung der Versammlung gemäß dem Versammlungsgesetz des Bundes rechtmäßig war, vermag den Verzicht auf die Prüfung, ob die Ingewahrsamnahme nach niedersächsischem Polizeirecht rechtmäßig war, nicht zu kompensieren. Beide Maßnahmen unterfallen jeweils unterschiedlichen Regelungsregimen, die sich gegenseitig ausschließen. Das Versammlungsgesetz geht in seinem Anwendungsbereich als Spezialgesetz dem allgemeinen Polizeirecht vor (vgl. BVerfGK 4, 154 <158>). Auch decken sich die Tatbestandsvoraussetzungen für die Auflösung nicht annähernd mit denjenigen für die Ingewahrsamnahme. Diese setzt in formeller Hinsicht voraus, dass entweder nach § 19 Abs. 1 Satz 1 NGefAG a.F unverzüglich eine richterliche Entscheidung über die Zulässigkeit und Fortdauer der Freiheitsentziehung herbeigeführt wird beziehungsweise dass nach § 19 Abs. 1 Satz 2 NGefAG a.F ausnahmsweise auf die Einhaltung des Richtervorbehalts verzichtet werden kann. In materieller Hinsicht ist für eine rechtmäßige Ingewahrsamnahme erforderlich, dass sie gemäß § 18 Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe b NGefAG a.F unerlässlich ist, um die unmittelbar bevorstehende Begehung oder Fortsetzung einer Ordnungswidrigkeit von erheblicher Gefahr für die Allgemeinheit zu verhindern, oder dass sie gemäß § 18 Abs. 1 Nr. 3 NGefAG a.F unerlässlich ist, um eine Platzverweisung nach § 17 NGefAG a.F durchzusetzen. Schließlich ist eine Verhältnismäßigkeitsprüfung, insbesondere im Hinblick auf die Dauer der Maßnahme, vorzunehmen (vgl. 4 Abs. 3 NGefAG a.F).

58

c) Auch die angegriffene Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts genügt den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht. Das Oberverwaltungsgericht hat den Zugang des Beschwerdeführers zum Berufungsrechtszug dadurch in unzumutbarer Weise erschwert, dass es die Zulassung der Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO in sachlich nicht zu rechtfertigender und damit willkürlicher Art und Weise abgelehnt hat.

59

Von grundsätzlicher Bedeutung gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO ist eine Rechtssache immer dann, wenn es maßgebend auf eine konkrete, über den Einzelfall hinausgehende Rechtsfrage ankommt, deren Klärung im Interesse der Einheit oder der Fortbildung des Rechts geboten erscheint.

60

Ausgehend hiervon hat das Oberverwaltungsgericht die grundsätzliche Bedeutung der Rechtsfrage zum Zeitpunkt der Entscheidung in sachlich nicht zu rechtfertigender Weise verneint. Insbesondere durfte es die Klärungsbedürftigkeit der Rechtsfrage nicht, worauf es seine Entscheidung maßgeblich stützt, unter Verweis auf den (eigenen) im Prozesskostenhilfeverfahren unter anderen Verfahrensbeteiligten ergangenen Beschluss vom 21. November 2003 - 11 PA 345/03 - (NVwZ 2004, S. 760 <760 f.>) verneinen. Aufgrund seines lediglich summarischen Charakters darf das Prozesskostenhilfeverfahren nicht dazu benutzt werden, über ungeklärte Rechtsfragen abschließend vorweg zu entscheiden. Ein Fachgericht, das § 114 Satz 1 ZPO dahin auslegt, dass auch schwierige, noch nicht geklärte Rechtsfragen im Prozesskostenhilfe-Verfahren "durchentschieden" werden können, verkennt die Bedeutung der in Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG verbürgten Rechtsschutzgleichheit (vgl. BVerfGE 81, 347 <358 f.>).

61

Die von dem Oberverwaltungsgericht in dem Prozesskostenhilfebeschluss als Referenz herangezogene Rechtsprechung belegt auch nicht, dass die Rechtsfrage anderweitig einer gerichtlichen Klärung zugeführt worden wäre. Der zitierte Beschluss aus der Zivilgerichtsbarkeit (vgl. OLG Schl.-H., Beschluss vom 25. April 2001 - 2 W 29/01 -, NVwZ Beilage Nr. I 3 2002, S. 47) stellt lediglich in Bezug auf die nicht eindeutig formulierte Vorschrift des § 13 Abs. 2 FrhEntzG a.F. klar, dass die Amtsgerichte die Prüfungskompetenz für den auf nachträgliche Feststellung der Rechtswidrigkeit der erledigten Freiheitsentziehung abzielenden Rechtsschutz besitzen. Zu der hier maßgeblichen, weitergehenden Rechtsfrage, ob den Verwaltungsgerichten im Rahmen der Kontrolle eines Heranziehungsbescheides die inzidente Prüfung der Rechtmäßigkeit der polizeilichen Ingewahrsamnahme verwehrt ist, äußert sich der Beschluss indes nicht. Gleiches gilt für das als Referenz aufgeführte Urteil des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. BVerwGE 62, 317 <321 ff.>), in welchem lediglich dem Rechtsschutz nach § 13 Abs. 2 a.F. FrhEntzG der Vorrang vor den (parallelen) Rechtsschutzmöglichkeiten nach der Verwaltungsgerichtsordnung eingeräumt wird. Zu der hier maßgeblichen, weitergehenden Rechtsfrage verhält sich das Urteil ebenfalls nicht.

62

Das Oberverwaltungsgericht konnte sich auch nicht darauf stützen, dass die Rechtsfrage sich ohne Weiteres aus Anwendung anerkannter Auslegungsmethoden ergab, da der von dem Verwaltungsgericht - unter Berücksichtigung des genannten Prozesskostenhilfebeschlusses seines Obergerichts - vertretene Rechtsstandpunkt, wie sich aus den vorstehenden Ausführungen ergibt, zu den gesetzlichen Vorgaben und auch sonst anerkannten Auslegungsmethoden in Widerspruch stand.

63

Nach alledem durfte das Oberverwaltungsgericht die Rechtsfrage mit dieser Argumentation nicht als geklärt ansehen und den Antrag des Beschwerdeführers auf Zulassung der Berufung ablehnen. Mit der angegriffenen Entscheidung hat das Oberverwaltungsgericht den vom Gesetzgeber für Fragen von grundsätzlicher Bedeutung vorgesehenen Rechtsschutz im Berufungsverfahren in sachlich nicht zu rechtfertigender und damit willkürlicher Weise verkürzt.

64

d) Die verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen beruhen auf den festgestellten Verfassungsverstößen. Es ist nicht auszuschließen, dass die Gerichte bei Beachtung der verfassungsrechtlichen Anforderungen zu einer anderen für den Beschwerdeführer günstigeren Entscheidung gelangen werden.

65

3. Auf die vom Beschwerdeführer behaupteten Verstöße gegen weitere Grundrechte kommt es demnach nicht mehr an.

66

4. Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers folgt aus § 34a Abs. 2 BVerfGG.

67

5. Die Festsetzung des Gegenstandswerts beruht auf § 37 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 Satz 1 RVG.

68

Diese Entscheidung ist nach § 93d Abs. 1 Satz 2 BVerfGG unanfechtbar.

(1) Gegen Endurteile einschließlich der Teilurteile nach § 110 und gegen Zwischenurteile nach den §§ 109 und 111 steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie von dem Verwaltungsgericht oder dem Oberverwaltungsgericht zugelassen wird.

(2) Die Berufung ist nur zuzulassen,

1.
wenn ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,
2.
wenn die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,
3.
wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
4.
wenn das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
5.
wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(1) Das Gericht erforscht den Sachverhalt von Amts wegen; die Beteiligten sind dabei heranzuziehen. Es ist an das Vorbringen und an die Beweisanträge der Beteiligten nicht gebunden.

(2) Ein in der mündlichen Verhandlung gestellter Beweisantrag kann nur durch einen Gerichtsbeschluß, der zu begründen ist, abgelehnt werden.

(3) Der Vorsitzende hat darauf hinzuwirken, daß Formfehler beseitigt, unklare Anträge erläutert, sachdienliche Anträge gestellt, ungenügende tatsächliche Angaben ergänzt, ferner alle für die Feststellung und Beurteilung des Sachverhalts wesentlichen Erklärungen abgegeben werden.

(4) Die Beteiligten sollen zur Vorbereitung der mündlichen Verhandlung Schriftsätze einreichen. Hierzu kann sie der Vorsitzende unter Fristsetzung auffordern. Die Schriftsätze sind den Beteiligten von Amts wegen zu übermitteln.

(5) Den Schriftsätzen sind die Urkunden oder elektronischen Dokumente, auf die Bezug genommen wird, in Abschrift ganz oder im Auszug beizufügen. Sind die Urkunden dem Gegner bereits bekannt oder sehr umfangreich, so genügt die genaue Bezeichnung mit dem Anerbieten, Einsicht bei Gericht zu gewähren.

Gründe

1

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.

2

Das Vorbringen des Klägers begründet keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO; denn mit der Zulassungsschrift wird weder ein die angefochtene Entscheidung tragender Rechtssatz noch eine für die Entscheidung erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt (vgl. hierzu BVerfG, Beschl. v. 21.01.2009 - 1 BvR 2524/06 -; BVerfG, Beschl. v. 23.06.2000 - 1 BvR 830/00 -, beide zit. nach JURIS).

3

1. Nicht durchgreifend ist zunächst der klägerische Einwand, im Hinblick auf die Regelung der „Vorverteilung“ des umlagefähigen Aufwandes in Sonderfällen bilde die Anwendung des § 6 Abs. 1 der Straßenausbaubeitragssatzung - SBS - der Beklagten keinen hinreichenden Beitragsmaßstab, weil für die vorliegende Ausbaumaßnahme die satzungsmäßige Vorverteilung des beitragsfähigen Aufwands nach Frontlängen und nicht nach der „Gesamtfläche der vorgenannten Grundstücke (355.076,24 m²)“ nicht vorteilsgerecht sei.

4

Grundsätzlich ist in Rechtsprechung und Literatur allgemein anerkannt, dass im Straßenbaubeitragsrecht eine Satzungsbestimmung zulässig ist, nach der die den Eigentümern von Außenbereichsgrundstücken durch die Inanspruchnahmemöglichkeit einer ausgebauten Innerortsstraße gebotenen Vorteile dann, wenn an diese Straße sowohl baulich und/oder gewerblich als auch nur landwirtschaftlich nutzbare Grundstücke angrenzen, nur halb so hoch zu bemessen sind wie die den Eigentümern der baulich und/oder gewerblich nutzbaren Grundstücke gebotenen Vorteile (NdsOVG Urt. v. 25.03.1981 - 9 A 87/80 -, zit. nach JURIS; OVG LSA, Beschl. v. 27.11.2009 - 4 L 83/09 -; Driehaus, Kommunalabgabenrecht, § 8 Rdnr. 480a). Die von dem Kläger ausgesprochene allgemeine Kritik, eine Vorverteilung des umlagefähigen Aufwandes im Verhältnis der Frontlängen führe dazu, dass der straßenausbaubeitragsrechtlich relevante Vorteil für die Außenbereichsgrundstücke zu niedrig und für die Innenbereichsgrundstücke zu hoch bemessen werde, kann allerdings nicht dazu führen, Vorverteilungsregelungen der genannten Art allgemein, also ohne Rücksicht auf eine Bewertung ihrer beitragsrechtlichen Folgen im konkreten Abrechnungsfall, als schlechthin ungeeignetes Instrument zur sachgerechten Verteilung des umlagefähigen Aufwands zwischen Innen- und Außenbereichsgrundstücken anzusehen. Unter Beachtung des straßenausbaubeitragsrechtlichen Grundsatzes der regionalen Teilbarkeit muss vielmehr speziell im Blick auf die jeweilige Abrechnung geprüft werden, ob ein Abstellen auf die Frontlängen im Einzelfall zu einer vorteilsgerechten Aufwandsverteilung führt oder ob eine andere Verteilung (z. B. Bildung von Nutzungsfaktoren auch für Außenbereichsgrundstücke) die gesetzlichen Vorgaben des § 6 Abs. 5 Satz 1 KAG LSA vorteilsgerechter zu erfüllen vermag (vgl. auch NdsOVG, Beschl. v. 11.09.2003 - 9 ME 120/03 -, zit. nach JURIS, Driehaus, a. a. O.).

5

Der Kläger zeigt indes auch in seinem Zulassungsantrag nicht substanziiert auf, dass die nach § 6 Abs. 1 SBS anzuwendende herkömmliche Vorverteilungsregelung im konkreten Fall zu einer vorteilswidrigen Aufwandsverteilung führt.

6

Die Grundstückssituation an dem abgerechneten Abschnitt der Verkehrsanlage „N-Weg“ wird dadurch geprägt, dass sich auf der gesamten Nordseite und bis zur Einmündung der Verkehrsanlage „Am (...)“ überwiegend bebaute Innenbereichsgrundstücke befinden, während sich ausweislich eines Ausdrucks aus der Liegenschaftskarte des Landesamts für Vermessung und Geoinformation Sachsen-Anhalt vom 13. November 2008 (Bl. 465 der Beiakte A) östlich der Straße „Am (...)“ zwei an den „N-Weg“ angrenzende Außenbereichsgrundstücke (Flurstücke 95/25 und 368; vgl. Bl. 458 der Beiakte) anschließen, die sich - wie das Verwaltungsgericht zutreffend feststellt - über eine Ausbaulänge von ca. 130 m erstrecken und landwirtschaftlich genutzt werden. Die Vorverteilung nach Frontmetern führt dazu, dass etwa 95% des umlagefähigen Aufwands des abgerechneten Straßenabschnitts auf die bebauten Innenbereichsgrundstücke und die restlichen 5% auf die südöstlich gelegenen Außenbereichsgrundstücke entfallen. Anhaltspunkte dafür, dass diese Verteilung ungeeignet ist, den Umfang der ganzjährigen Inanspruchnahme der ausgebauten Straße von den bebauten Innenbereichsgrundstücken her bzw. den (saisonbedingten) gelegentlichen Anliegerverkehr, der von den Außenbereichsgrundstücken ausgeht, vorteilsgerecht wiederzuspiegeln, werden von dem Kläger nicht substanziiert aufgezeigt und sind auch bei Berücksichtigung der Aktenlage nicht erkennbar. Soweit der Kläger von einer berücksichtigungsfähigen Frontlänge von 200 m ausgeht, lässt sich diese Frontlänge anhand der vorliegenden Liegenschaftskarte nicht berechnen, zumal der Kläger nicht detailliert aufzeigt, wo der von ihm zugrunde gelegte Straßenabschnitt endet. Andererseits hat die Beklagte entgegen der Auffassung der Klägerin ausweislich der Liegenschaftskarte die Frontlänge ab der Einmündung der Verkehrsanlage „Am (...)“ gerechnet. Unabhängig davon würde selbst eine Ausbaulänge von 200 m im Außenbereich allein nicht ausreichen, aufzuzeigen, dass die Verteilung nach Frontlängen ungeeignet ist, den Umfang der Inanspruchnahme der ausgebauten Straße vorteilsgerecht wiederzugeben. Die von dem Kläger angeregte Verteilung nach der Gesamtfläche der beitragsfähigen Grundstücke gibt die wahrscheinlichen Vorteile vom Ausbau des „N-Weges“ schon deswegen nicht sachgerecht wieder, weil sie die unterschiedliche Nutzung der Grundstücke gänzlich außer Betracht lässt.

7

Soweit der Kläger in diesem Zusammenhang einen Verstoß gegen die Sachverhaltsaufklärungspflicht gemäß § 86 Abs. 1 VwGO (nicht § 84 Abs. 1 Satz 1 VwGO) geltend macht (§ 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO), den er darin erblickt, dass das Verwaltungsgericht nicht anhand der Verwaltungsakte die seiner Auffassung nach unzutreffende Darstellung der Vorverteilungsregelung geprüft habe, hat sein Zulassungsantrag schon deswegen keinen Erfolg, weil sein Vorbringen nicht den Anforderungen genügt, die nach § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO an die Darlegung eines Verstoßes gegen die Aufklärungspflicht zu stellen sind. Insoweit muss insbesondere vorgetragen werden, dass entweder bereits im erstinstanzlichen Verfahren in der mündlichen Verhandlung auf eine vermisste Sachverhaltsaufklärung hingewirkt worden ist oder inwiefern sich eine weitere Sachverhaltsaufklärung dem Gericht von sich aus hätte aufdrängen müssen. Die Aufklärungsrüge stellt kein Mittel dar, um Versäumnisse eines Betroffenen in der Tatsacheninstanz, insbesondere das Unterlassen von Beweisanträgen, zu kompensieren (st. Rspr. des BVerwG, Beschl. v. 15.01.2009 - BVerwG 6 B 78.08 -, zit. nach JURIS).

8

2. Ohne Erfolg wendet der Kläger ein (vgl. Seite 6 seiner Zulassungsschrift vom 16. Juli 2010), der „N-Weg“ teile sich in zwei selbständige Anlagen, wobei die erste Anlage von der Einmündung „An der G.“ bis zur „R-Straße“ und die zweite Anlage von der „R-Straße“ bis zum „S-Berg“ reiche.

9

Ob ein Straßenzug nach einem geplanten Ausbau als eine einzelne Verkehrsanlage zu qualifizieren ist oder aus mehreren Anlagen besteht, beurteilt sich - wie das Verwaltungsgericht zutreffend festgestellt hat - vom Ansatz her zunächst nach dem Gesamteindruck, den die zu beurteilende Anlage nach den tatsächlichen Verhältnissen vermittelt (BVerwG, Urt. v. 22.03.1996 - BVerwG 8 C 17.94 -, zit. nach JURIS). Maßgebend ist insoweit das durch die tatsächlichen Gegebenheiten wie Straßenführung, Straßenlänge, Straßenbreite und Straßenausstattung geprägte Erscheinungsbild, d. h. der Gesamteindruck, den die jeweiligen tatsächlichen Verhältnisse einem unbefangenen Beobachter vermitteln (st. Rspr., vgl. zuletzt OVG LSA, Urt. v. 07.07.2011 - 4 L 400/08 u.a. -, zit. nach JURIS). Das Verwaltungsgericht ist unter Berücksichtigung der vorliegenden Fotodokumentation und des Lageplans aufgrund des „schnurgeraden Verlaufs“ und des sich nicht deutlich unterscheidenden Ausbauzustands des „N-Weges“ von einer einheitlichen Verkehrsanlage ausgegangen. Diese Einschätzung wird weder durch die unterschiedliche Fahrbahnbreite (4 bzw. 6 m) noch die einspurige Verkehrslenkung durch das Einbahnstraßenschild schlüssig in Frage gestellt; insbesondere vermag eine den Verkehrsfluss lediglich lenkende straßenverkehrsrechtliche Beschilderung - hier durch das Zeichen 220 StVO - den Gesamteindruck einer einheitlichen Verkehrsanlage nicht zu beeinträchtigen (so auch BayVGH, Beschl. v. 20.07.2007 - 6 ZB 04.465 -, zit. nach juris).

10

Vom Vorliegen von zwei selbständigen Verkehrsanlagen kann entgegen der Auffassung des Klägers auch nicht deswegen ausgegangen werden, weil der „N-Weg“ aufgrund seiner unterschiedlichen Gestaltung keine einheitliche Verkehrsfunktion habe.

11

Ob ein Straßenzug nach einem geplanten Ausbau als eine einzelne Verkehrsanlage zu qualifizieren ist oder aus mehreren Anlagen besteht, beurteilt sich - wie das Verwaltungsgericht zutreffend festgestellt hat - vom Ansatz her zunächst nach dem Gesamteindruck, den die zu beurteilende Anlage nach den tatsächlichen Verhältnissen vermittelt (BVerwG, Urt. v. 22.03.1996 - BVerwG 8 C 17.94 -, zit. nach JURIS). Eine davon abweichende Bewertung ist jedoch vorzunehmen, wenn die einzelnen Teile eines nach seinem Erscheinungsbild einheitlichen Straßenzugs unterschiedlichen Verkehrsfunktionen dienen. Wie noch auszuführen sein wird (vgl. unten 4.), hat der Kläger nicht mit schlüssigen Gegenargumenten den Ansatz der Vorinstanz in Frage gestellt, dass dem „N-Weg“ insgesamt die Funktion einer Anliegerstraße zukommt; insbesondere spielt die von dem Kläger aufgezeigte Ausbauqualität des „N-Weges“ keine entscheidende Rolle für die Entscheidung, ob der gesamte Bereich eine einheitliche Verkehrsanlage darstellt, d. h. weder die unterschiedlichen Ausbaubreiten oder die unterschiedliche Gestaltung des Verkehrsraums (Fahrbahn, Fuß- und Radweg) noch die Befahrbarkeit einer Verkehrsanlage in eine oder beide Richtungen sagen für sich genommen etwas über die der Verkehrsanlage zugewiesene Verkehrsbedeutung bzw. den Straßentyp aus.

12

3. Entgegen der Auffassung des Klägers hat die Vorinstanz auch zu Recht erkannt, dass die vom Stadtrat der Beklagten am 3. April 2008 beschlossene Abschnittsbildung, die die Strecke von der Einmündung der Straße „An der G.“ bis zur Einmündung der Verkehrsanlage „P-Straße“ erfasst, rechtsfehlerfrei erfolgt ist.

13

3.1. Zwar ist die Abschnittsbildung - worauf der Kläger zutreffend hinweist - ein Vorfinanzierungsinstitut und setzt voraus, dass die gesamte Straße gleichartig erneuert oder verbessert werden soll, jedoch aus Kostengründen ein abschnittsweiser Ausbau und eine abschnittsweise Abrechnung erfolgt, damit die Gemeinde nicht den Ausbau der Gesamtanlage vorzufinanzieren hat. Indes muss der Gesamtausbau der gesamten Straßenstrecke nicht zwingend schon zeitlich genau bestimmt sein oder in absehbarer kurzer Zeit erfolgen. Der Gesamtausbau muss nur überhaupt irgendwann konkret beabsichtigt sein. Nur dann, wenn von vornherein und offensichtlich eine Weiterführung der Straßenbauarbeiten nicht beabsichtigt und ein weiterer Teilstreckenausbau in keiner Weise absehbar ist, ist eine Abschnittsbildung willkürlich und unwirksam (OVG SH, Urt. v. 17.08.2005 - 2 LB 38/04 -, zit. nach JURIS; Driehaus, a. a. O., § 8 Rdnr. 289i und 289k).

14

Entgegen der Auffassung des Klägers lässt sich dem Verwaltungsvorgang der Beklagten durchaus entnehmen, dass auch der Ausbau des „N-Weges“ zwischen der Einmündung „P-Straße“ bis zur Einmündung „S-Berg“ beabsichtigt war; denn zum einen geht die Beklagte in ihrem Verwaltungsvorgang immer vom Ausbau „des N-Weges“ aus und zum anderen war dem ursprünglichen Abschnittsbildungsbeschluss des Stadtrates vom 13. Oktober 2005 als Anlage 3 zum Beschluss „Abschnittsbildung zur Beitragserhebung für Maßnahmen in C-Stadt, N-Weg Abschnitt 3“ ein Lageplan (Bl. 480 der Beiakte A) beigefügt, aus dem sich ergibt, dass der Ausbau des „N-Weges“ bis zur Einmündung in die Straße „S-Berg“ jedenfalls auch geplant war. Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte von einem Ausbau der Reststrecke abgesehen hat - weil dort etwa ein Erneuerungs- oder Verbesserungsbedarf nicht gegeben ist - fehlen. Dass der tatsächliche Ausbau des abgerechneten Straßenabschnitts bereits im Jahre 1997 abgeschlossen war, ist in diesem Zusammenhang unschädlich. Es kann jedenfalls nicht davon ausgegangen werden, dass im Zeitpunkt der Beschlussfassung über die Abschnittsbildung eine Weiterführung der Straßenbauarbeiten von vornherein und offensichtlich nicht beabsichtigt war.

15

3.2. Entgegen der Auffassung des Klägers ist der Teilstreckenausbau zwischen der Einmündung „An der G.“ bis zur Einmündung „P-Straße“ schon deswegen nicht beitragsfähig, weil nach der Rechtsprechung des Senats (vgl. nur OVG LSA, Urt. v. 15.05.2007 - 4 L 512/07 -) beitragsfähige Verkehrsanlage im landesrechtlichen Straßenausbaubeitragsrecht (§ 6 Abs. 1 Satz 1 KAG LSA) - wie im Erschließungsbeitragsrecht - die Straße in ihrer gesamten Ausdehnung ist. Allein der Ausbau einer Teilstrecke einer insgesamt einheitlichen Verkehrsanlage reicht mithin nicht aus, um von einer eigenständigen Straße im Sinne des straßenausbau- und erschließungsbeitragsrechtlichen Anlagebegriffs auszugehen.

16

3.3. Schließlich erfüllt der verbleibende (zweite) Abschnitt zwischen der Einmündung „P-Straße“ bis Einmündung „S-Berg“ ebenso wie der bereits ausgebaute (erste) Straßenabschnitt das Merkmal der selbständigen Nutzbarkeit i. S. des § 6 Abs. 4 KAG LSA. Um eine Teilstrecke einer Anbaustraße als Abschnitt für die Aufwandsermittlung i.S. der genannten Vorschrift zu verselbständigen, muss die Teilstrecke eine gewisse selbständige Bedeutung als Verkehrsanlage haben; sie muss von ihrem Umfang her - gleichsam stellvertretend - „Straße“ sein können (vgl. auch OVG LSA, Beschl. v. 21.12.2009 - 4 L 137/09 -, zit. nach JURIS; Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, § 14 Rdnr. 24 m. w. N.). Diese Voraussetzungen für eine Abschnittsbildung liegen vor; denn beide Straßenabschnitte sind aufgrund ihrer Ausdehnung von 200 m bzw. 1000 m und ihrer Erschließungsfunktion für zahlreiche Anliegergrundstücke selbständig als „Straße“ nutzbar. Die Abschnittsbildung selbst orientiert sich an einem örtlich erkennbaren Merkmal, nämlich der Einmündung der P-Straße.

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3.4. Liegt mithin kein beitragsfähiger Teilstreckenausbau vor und war die Abschnittsbildung zur Abrechnung des streitgegenständlichen Straßenabschnitts des N-Weges insoweit rechtmäßig, so folgt entgegen der Auffassung des Klägers daraus, dass die sachliche Beitragspflicht erst mit dem Abschnittsbildungsbeschluss des Stadtrates vom 3. April 2008 entstanden ist und der Beitragsanspruch mithin bei Erlass des angefochtenen Beitragsbescheides noch nicht verjährt war. Im Übrigen war der Beitragsanspruch nach den Feststellungen der Vorinstanz auch deswegen nicht verjährt, weil sachliche Beitragspflichten vorliegend erst mit der ersten wirksamen Beitragssatzung in der Fassung der 4. Änderungssatzung vom 26. Juni 2008 entstehen konnten. Mit diesen einer Verjährung des Beitragsanspruchs zusätzlich entgegenstehenden Erwägungen setzt sich die Zulassungsschrift indes nicht auseinander.

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4. Das Verwaltungsgericht hat schließlich zu Recht den streitbefangenen „N-Weg“ als Anliegerstraße eingestuft.

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Nach der ständigen Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts des Landes Sachsen-Anhalt kommt es für die Frage, ob eine Straße als Anliegerstraße zu qualifizieren ist, in erster Linie auf die der Straße nach der gemeindlichen Verkehrsplanung objektiv zugewiesene Funktion im gemeindlichen Verkehrsnetz, den aufgrund solcher Planung verwirklichten Ausbauzustand, die straßenverkehrsrechtliche Einordnung und die tatsächlichen Verkehrsverhältnisse an (vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 21. Dezember 2009 - 4 L 137/09 -; Beschl. v. 22.02.2011 - 4 L 207/11 -; zit. nach JURIS). Bei einer überwiegend dem Anliegerverkehr dienenden Straße (sog. Anliegerstraße) handelt es sich um eine Straße, die überwiegend der Erschließung der angrenzenden oder durch eine Zuwegung mit ihr verbundenen Grundstücke dient. Als Anliegerverkehr ist derjenige Verkehr anzusehen, der zu diesen Grundstücken hinführt und von ihnen ausgeht.

20

Diesen Grundsätzen folgend hat das Verwaltungsgericht eine Gesamtbewertung vorgenommen und entscheidungstragend darauf abgestellt, dass dem N-Weg aufgrund seiner Lage am Stadtrand, seiner südöstlich nur einseitig vorhandenen Bebauung und seinem weiteren Verlauf im Außenbereich sowie seiner Funktion im Straßennetz und dem Verkehrskonzept der Gemeinde nicht die Bedeutung einer Haupterschließungsstraße bzw. einer Straße mit starkem innerörtlichen Verkehr zukomme, sondern sie dem Anliegerverkehr dienen solle. Diese Planungskonzeption komme auch in dem Ausbauzustand dieser Straße sowie der Geschwindigkeitsbegrenzung auf 30 km/h zum Ausdruck.

21

4.1. Soweit der Kläger dem entgegenhält, das Verwaltungsgericht habe sich auf „vorliegende Pläne“, das „Verkehrskonzept“ und ein „Bauprogramm“ berufen, die sich in den Akten der Beklagten nicht wiederfänden, reicht eine derartige Rüge für sich genommen zur Geltendmachung ernstlicher Zweifel i. S. d. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht aus, da der Kläger im Rahmen dieses Zulassungsgrundes gehalten ist, die für die Entscheidung erhebliche Tatsachenfeststellung der Vorinstanz mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage zu stellen. Auch ist nicht ersichtlich, dass das Verwaltungsgericht - trotz der unzutreffenden geographischen Zuordnung (südwestlich/südöstlich) - die Bebauungssituation fehlerhaft bewertet hat (vgl. insoweit die zutreffende Zuordnung auf Seite 6, 2. Absatz, des angefochtenen Urteils).

22

4.2. Auch vermag der Kläger mit seinem Hinweis auf die „bemerkenswerte“ Konzentration von Einrichtungen (zwei Schulen, die Vereinten Altenpflegeheime C. (DRK), Autohaus, zwei Kindereinrichtungen, Wohnheim für behinderte Menschen sowie die Heilpädagogische Hilfe, ehemaliges Amtsgericht mit Grundbuchamt), die einen hohen Ziel- und Quellverkehr auslösten, die Gesamtbewertung der Vorinstanz nicht in Zweifel zu ziehen, da auch dieser Ziel- und Quellverkehr Anliegerverkehr ist (OVG LSA, Beschl. v. 24.03.2004 - 2 L 129/02 -; zit. nach JURIS; vgl. Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 9. Aufl., § 34 Rdnr. 32).

23

4.3. Soweit der Kläger die Funktion des „N-Weges“ als Haupterschließungsstraße damit begründet, dass in den Weg unmittelbar Straßen einmünden sowie eine Fußweganbindung an die Mehrzweckhalle der Stadt, an das Klinikum sowie an das große Gewerbegebiet im Westen vorhanden seien, zeigt er ebenfalls eine solche Funktion des „N-Weges“ im Straßennetz nicht in hinreichender Weise auf. Denn er beschränkt sich darauf, die Straßen namentlich zu benennen und darzulegen, dass diese in den „N-Weg“ einmündeten bzw. über den Weg eine weitere Anbindung an das Straßennetz bzw. eine fußläufige Verbindung zu weiter gelegenen Einrichtungen erhielten. Dieser Hinweis allein ohne eine detaillierte Darstellung des gemeindlichen Verkehrsnetzes ist aber nicht ausreichend, um aufzuzeigen, dass der „N-Weg“ neben dem Anliegerverkehr in erheblichem Maße dem Verkehr innerhalb des Stadtgebietes dient. Darüber hinaus haben jedenfalls die nördlich des „N-Weges“ gelegenen Straßen entweder selbst oder über andere Straßen eine direkte Verbindung zum übrigen Straßennetz der Beklagten. Auch für die südlich gelegenen Straßen kann dem „N-Weg“ schon aufgrund der teilweise eingerichteten Einbahnstraßenregelung keine Sammelfunktion zum gesamten Straßennetz zukommen.

24

4.4. Soweit der Kläger auch auf den tatsächlichen Verkehr aus den von ihm benannten Straßen sowie auf den Fußgängerverkehr zur Mehrzweckhalle, zum Klinikum sowie zum Gewerbegebiet abstellt, kommt es darauf nicht an. Ob und in welchem Umfang die ausgebaute Anlage tatsächlich von Durchgangsverkehr z. B. zur Merseburger Straße genutzt wird, ist angesichts der vom Verwaltungsgericht als erheblich angesehenen Umstände für die Einstufung der Straße nicht von Relevanz. Denn Anhaltspunkte dafür, dass eine überwiegende Nutzung der Straße vom Durchgangsverkehr von der Beklagten geplant war, bestehen angesichts der in Teilbereichen vorhandenen Einbahnstraßenregelung, der Einrichtung einer Tempo-30-Zone und der verkehrsberuhigenden Maßnahmen (Verkehrsinseln bzw. Ausbuchtungen) nicht und sind auch nicht geltend gemacht.

25

5. Dass das Verwaltungsgericht die Einstufung des „N-Weges“ ohne Vorortbesichtigung lediglich anhand von vier Fotos und vier Bauabschnittszeichnungen vorgenommen hat, stellt keine Verletzung der Amtsermittlungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) dar. Da der Kläger insoweit keinen Beweisantrag in der mündlichen Verhandlung gestellt hatte (vgl. § 86 Abs. 2 VwGO), läge ein Verfahrensfehler nur vor, wenn sich dem Verwaltungsgericht eine entsprechende Sachverhaltsaufklärung hätte aufdrängen müssen. Dies ist angesichts der vorgelegten Fotodokumentation und dem insoweit vom Verwaltungsgericht zutreffend gewählten Ausgangspunkt der „natürlichen Betrachtungsweise“ allerdings nicht ersichtlich und auch nicht substanziiert vorgetragen worden.

26

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwertes folgt aus § 52 Abs. 3 GKG.

27

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).


(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) In Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen.

(2) Bietet der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, ist ein Streitwert von 5 000 Euro anzunehmen.

(3) Betrifft der Antrag des Klägers eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf bezogenen Verwaltungsakt, ist deren Höhe maßgebend. Hat der Antrag des Klägers offensichtlich absehbare Auswirkungen auf künftige Geldleistungen oder auf noch zu erlassende, auf derartige Geldleistungen bezogene Verwaltungsakte, ist die Höhe des sich aus Satz 1 ergebenden Streitwerts um den Betrag der offensichtlich absehbaren zukünftigen Auswirkungen für den Kläger anzuheben, wobei die Summe das Dreifache des Werts nach Satz 1 nicht übersteigen darf. In Verfahren in Kindergeldangelegenheiten vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit ist § 42 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 3 entsprechend anzuwenden; an die Stelle des dreifachen Jahresbetrags tritt der einfache Jahresbetrag.

(4) In Verfahren

1.
vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit, mit Ausnahme der Verfahren nach § 155 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung und der Verfahren in Kindergeldangelegenheiten, darf der Streitwert nicht unter 1 500 Euro,
2.
vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit und bei Rechtsstreitigkeiten nach dem Krankenhausfinanzierungsgesetz nicht über 2 500 000 Euro,
3.
vor den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit über Ansprüche nach dem Vermögensgesetz nicht über 500 000 Euro und
4.
bei Rechtsstreitigkeiten nach § 36 Absatz 6 Satz 1 des Pflegeberufegesetzes nicht über 1 500 000 Euro
angenommen werden.

(5) Solange in Verfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit der Wert nicht festgesetzt ist und sich der nach den Absätzen 3 und 4 Nummer 1 maßgebende Wert auch nicht unmittelbar aus den gerichtlichen Verfahrensakten ergibt, sind die Gebühren vorläufig nach dem in Absatz 4 Nummer 1 bestimmten Mindestwert zu bemessen.

(6) In Verfahren, die die Begründung, die Umwandlung, das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Beendigung eines besoldeten öffentlich-rechtlichen Dienst- oder Amtsverhältnisses betreffen, ist Streitwert

1.
die Summe der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen, wenn Gegenstand des Verfahrens ein Dienst- oder Amtsverhältnis auf Lebenszeit ist,
2.
im Übrigen die Hälfte der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen.
Maßgebend für die Berechnung ist das laufende Kalenderjahr. Bezügebestandteile, die vom Familienstand oder von Unterhaltsverpflichtungen abhängig sind, bleiben außer Betracht. Betrifft das Verfahren die Verleihung eines anderen Amts oder den Zeitpunkt einer Versetzung in den Ruhestand, ist Streitwert die Hälfte des sich nach den Sätzen 1 bis 3 ergebenden Betrags.

(7) Ist mit einem in Verfahren nach Absatz 6 verfolgten Klagebegehren ein aus ihm hergeleiteter vermögensrechtlicher Anspruch verbunden, ist nur ein Klagebegehren, und zwar das wertmäßig höhere, maßgebend.

(8) Dem Kläger steht gleich, wer sonst das Verfahren des ersten Rechtszugs beantragt hat.