Schleswig Holsteinisches Oberverwaltungsgericht Beschluss, 16. Nov. 2017 - 4 MB 79/17
Gericht
Tenor
Die Anhörungsrüge gegen den Beschluss des Senats vom 29. September 2017 (Az. 4 MB 60/17) und der Antrag auf Fortführung des Verfahrens werden zurückgewiesen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
Gründe
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Die Anhörungsrüge und der Antrag auf Fortführung des Verfahrens sind statthaft, bleiben aber ohne Erfolg. Eine entscheidungserhebliche Gehörsverletzung legt der Antragsteller nicht schlüssig dar (§ 152a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 2 Satz 6 VwGO).
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Der Antragsteller ist der Ansicht, der Senat habe das rechtliche Gehör verletzt, weil sein Beschluss vom 29. September 2017 (Az. 4 MB 60/17, veröff. in juris) eine offenkundig unrichtige (Überraschungs-)Entscheidung darstelle, mit der er nicht habe rechnen müssen. Die offenkundige Unrichtigkeit ergebe sich aus einer eklatanten Verkennung des einfachen Rechts, namentlich der Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 BDSG. Eine Anhörungsrüge kann hierauf nicht gestützt werden.
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1. Der in Art. 103 Abs. 1 GG gewährleistete Anspruch auf rechtliches Gehör verbürgt den Beteiligten eines Gerichtsverfahrens vor Erlass einer Entscheidung, die ihre Rechte betrifft, zu Wort zu kommen, um mit ihren Ausführungen und Anträgen Einfluss auf das Verfahren nehmen zu können (BVerfG, Beschl. v. 30.04.2003 - 1 PBvU 1/02 -, BVerfGE 107, 395). Da dies nicht nur durch tatsächliches Vorbringen, sondern auch durch Rechtsausführungen geschehen kann, hat das Gericht auch die Äußerungen zur Rechtslage zur Kenntnis zu nehmen und bei seiner Entscheidung in Erwägung zu ziehen. Allerdings muss das Gericht vor der Entscheidung grundsätzlich nicht auf seine Rechtsauffassung hinweisen. Vielmehr ist es Sache des Verfahrensbeteiligten, alle vertretbaren rechtlichen Gesichtspunkte von sich aus in Betracht ziehen und seinen Vortrag darauf einzustellen. Etwas anderes gilt nur dann, wenn der Verfahrensbeteiligte bei Anwendung der von ihm zu verlangenden Sorgfalt nicht zu erkennen vermag, auf welche Gesichtspunkte es für die Entscheidung ankommen kann oder wenn das Gericht ohne vorherigen Hinweis auf rechtliche Gesichtspunkte abstellt, mit denen auch ein gewissenhafter und kundiger Verfahrensbeteiligter nach dem bisherigen Verlauf selbst unter Berücksichtigung der Vielfalt vertretbarer Rechtsauffassungen nicht zu rechnen brauchte (BVerfG, Kammerbeschl. v. 01.09.1995 - 1 BvR 632/94 -, NJW-RR 1996, 253 ff., juris Rn. 16 m.w.N.).
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Hiervon ausgehend kann von einer Überraschungsentscheidung keine Rede sein. Bei Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist am 25.09.2017 im Verfahren 4 MB 60/17 war dem Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers aus dem Parallelverfahren 4 MB 56/17 durch den am 20.09.2017 per Fax übermittelten Beschluss (veröff. in juris) bereits bekannt, auf welche rechtlichen Gesichtspunkte der Senat in diesem Zusammenhang abstellt. Dieses Wissen muss sich der Antragsteller zurechnen lassen. Dessen ungeachtet liegt es im Rahmen anwaltlicher Sorgfalt, damit zu rechnen, dass im Falle einer streitgegenständlichen Datenübermittlung zwischen öffentlichen Stellen Normen des Bundesdatenschutzgesetzes in Anwendung kommen, sofern das bereichsspezifische Recht keine passenden Rechtsgrundlagen bietet.
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Ergänzend sei insoweit noch darauf hingewiesen, dass Art. 103 Abs. 1 GG auch keinen Schutz gegen Entscheidungen gewährt, in denen das Gericht dem zur Kenntnis genommenen und in Erwägung gezogenen Vorbringen nicht folgt, sondern das Vorbringen aus Gründen des formellen oder materiellen Rechts unberücksichtigt lässt (BVerwG, Beschl. v. 13.01.2009 - 9 B 64/08 -, NVwZ 2009, 329, LS und Rn. 3; BVerfG, Beschl. v. 19.10.2004 - 2 BvR 779/04 - juris Rn. 20).
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2. Des Weiteren schützt das Grundrecht auf rechtliches Gehör nicht vor einer abweichenden Rechtsauffassung des Gerichts (VerfG Bbg., Beschluss vom 09.09.2016 - 24/16 -, juris Rn. 12). Die inhaltliche Unrichtigkeit einer Entscheidung – unabhängig davon, ob es sich um angeblich nicht zutreffende tatsächliche Feststellungen oder rechtliche Bewertungen handelt – kann deshalb auch nicht im Gewand einer Anhörungsrüge geltend gemacht werden (Rudisile in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand Okt. 2016, § 152a Rn. 18a). Die Anhörungsrüge dient nicht dazu, das Gericht unabhängig von Anhaltspunkten für das Vorliegen eines Gehörsverstoßes zur Überprüfung einer dem Rechtsbehelfsführer ungünstigen Rechtsauffassung zu veranlassen (BVerfG, Nichtannahmebeschl. v. 25.04.2006 - 2 BvR 459/065 -, juris Rn. 2 m.w.N.; VerfG Bbg., Beschl. v. 19.05.2017 - 15/17 -, juris Rn. 16) – auch dann nicht, wenn mit der Anhörungsrüge umfangreich neue rechtliche Argumente vorgebracht werden (vgl. BVerwG, Beschl. v. 28.10.2009 - 1 B 24/09 -, juris Rn. 4). Zweck des Anhörungsrügeverfahrens ist es nicht, eine fehlende Darlegung im Beschwerdeverfahren nach Ablauf der Begründungsfrist (§ 146 Abs. 4 VwGO) nachzuholen oder zu ergänzen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 08.02.2010 - 8 B 126/09 -, juris Rn. 1).
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Entgegen der Auffassung des Antragstellers würde selbst ein offenkundiger Verstoß gegen materielles Recht keine Gehörsverletzung indizieren. Die von ihm als Beleg zitierte und insoweit auch nur aufzufindende Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hat dort, wo im Zusammenhang mit der Rüge einer Gehörsverletzung auf eine „offenkundige Unrichtigkeit“ abgestellt wird, ausschließlich die Handhabung von Verfahrensvorschriften zum Gegenstand (insbesondere Präklusionsvorschriften, aber auch solche zu Form und Fristen), denen wegen ihrer nachteiligen Auswirkungen auf das Bemühen um eine materiell richtige Entscheidung und ihrer einschneidenden Folgen für die betroffene Partei ein strenger Ausnahmecharakter beigemessen wird und die deshalb einer strengeren verfassungsgerichtlichen Kontrolle unterzogen wird, als dies üblicherweise bei der Anwendung einfachen Rechts – mit der Willkürgrenze – geschieht (vgl. nur BVerfG, Beschl. v. 05.05.1987 - 1 BvR 903/85 -, BVerfGE 75, 302 ff., NJW 1987, 2734, juris Rn. 28 f.; Kammerbeschl. v. 19.01.1994 - 1 BvR 1919/92 -, juris Rn. 12; stattg. Kammerbeschl. v. 23.06.2004 - 1 BvR 496/00 -, juris Rn. 8; zuletzt Nichtannahmebeschl. v. 07.10.2016 - 2 BvR 1313/16 -, juris Rn. 9).
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In Bezug auf die Frage, ob der Beschluss vom 29. September 2017, wie der Antragsteller meint, eine Überraschungsentscheidung darstellt, weil die Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 BDSG „eklatant verkannt“ wurden, teilt der Senat zwar die Zweifel der Antragsgegnerin, doch bedarf es insoweit keiner weiteren Befassung.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152a Abs. 4 Satz 3 VwGO).
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Annotations
(1) Auf die Rüge eines durch eine gerichtliche Entscheidung beschwerten Beteiligten ist das Verfahren fortzuführen, wenn
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ein Rechtsmittel oder ein anderer Rechtsbehelf gegen die Entscheidung nicht gegeben ist und - 2.
das Gericht den Anspruch dieses Beteiligten auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat.
(2) Die Rüge ist innerhalb von zwei Wochen nach Kenntnis von der Verletzung des rechtlichen Gehörs zu erheben; der Zeitpunkt der Kenntniserlangung ist glaubhaft zu machen. Nach Ablauf eines Jahres seit Bekanntgabe der angegriffenen Entscheidung kann die Rüge nicht mehr erhoben werden. Formlos mitgeteilte Entscheidungen gelten mit dem dritten Tage nach Aufgabe zur Post als bekannt gegeben. Die Rüge ist schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle bei dem Gericht zu erheben, dessen Entscheidung angegriffen wird. § 67 Abs. 4 bleibt unberührt. Die Rüge muss die angegriffene Entscheidung bezeichnen und das Vorliegen der in Absatz 1 Satz 1 Nr. 2 genannten Voraussetzungen darlegen.
(3) Den übrigen Beteiligten ist, soweit erforderlich, Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.
(4) Ist die Rüge nicht statthaft oder nicht in der gesetzlichen Form oder Frist erhoben, so ist sie als unzulässig zu verwerfen. Ist die Rüge unbegründet, weist das Gericht sie zurück. Die Entscheidung ergeht durch unanfechtbaren Beschluss. Der Beschluss soll kurz begründet werden.
(5) Ist die Rüge begründet, so hilft ihr das Gericht ab, indem es das Verfahren fortführt, soweit dies aufgrund der Rüge geboten ist. Das Verfahren wird in die Lage zurückversetzt, in der es sich vor dem Schluss der mündlichen Verhandlung befand. In schriftlichen Verfahren tritt an die Stelle des Schlusses der mündlichen Verhandlung der Zeitpunkt, bis zu dem Schriftsätze eingereicht werden können. Für den Ausspruch des Gerichts ist § 343 der Zivilprozessordnung entsprechend anzuwenden.
(6) § 149 Abs. 1 Satz 2 ist entsprechend anzuwenden.
Die oder der Bundesbeauftragte erstellt einen Jahresbericht über ihre oder seine Tätigkeit, der eine Liste der Arten der gemeldeten Verstöße und der Arten der getroffenen Maßnahmen, einschließlich der verhängten Sanktionen und der Maßnahmen nach Artikel 58 Absatz 2 der Verordnung (EU) 2016/679, enthalten kann. Die oder der Bundesbeauftragte übermittelt den Bericht dem Deutschen Bundestag, dem Bundesrat und der Bundesregierung und macht ihn der Öffentlichkeit, der Europäischen Kommission und dem Europäischen Datenschutzausschuss zugänglich.
(1) Gegen die Entscheidungen des Verwaltungsgerichts, des Vorsitzenden oder des Berichterstatters, die nicht Urteile oder Gerichtsbescheide sind, steht den Beteiligten und den sonst von der Entscheidung Betroffenen die Beschwerde an das Oberverwaltungsgericht zu, soweit nicht in diesem Gesetz etwas anderes bestimmt ist.
(2) Prozeßleitende Verfügungen, Aufklärungsanordnungen, Beschlüsse über eine Vertagung oder die Bestimmung einer Frist, Beweisbeschlüsse, Beschlüsse über Ablehnung von Beweisanträgen, über Verbindung und Trennung von Verfahren und Ansprüchen und über die Ablehnung von Gerichtspersonen sowie Beschlüsse über die Ablehnung der Prozesskostenhilfe, wenn das Gericht ausschließlich die persönlichen oder wirtschaftlichen Voraussetzungen der Prozesskostenhilfe verneint, können nicht mit der Beschwerde angefochten werden.
(3) Außerdem ist vorbehaltlich einer gesetzlich vorgesehenen Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision die Beschwerde nicht gegeben in Streitigkeiten über Kosten, Gebühren und Auslagen, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands zweihundert Euro nicht übersteigt.
(4) Die Beschwerde gegen Beschlüsse des Verwaltungsgerichts in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes (§§ 80, 80a und 123) ist innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht bereits mit der Beschwerde vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Sie muss einen bestimmten Antrag enthalten, die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist, und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinander setzen. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, ist die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen. Das Verwaltungsgericht legt die Beschwerde unverzüglich vor; § 148 Abs. 1 findet keine Anwendung. Das Oberverwaltungsgericht prüft nur die dargelegten Gründe.
(5) u. (6) (weggefallen)
Die oder der Bundesbeauftragte erstellt einen Jahresbericht über ihre oder seine Tätigkeit, der eine Liste der Arten der gemeldeten Verstöße und der Arten der getroffenen Maßnahmen, einschließlich der verhängten Sanktionen und der Maßnahmen nach Artikel 58 Absatz 2 der Verordnung (EU) 2016/679, enthalten kann. Die oder der Bundesbeauftragte übermittelt den Bericht dem Deutschen Bundestag, dem Bundesrat und der Bundesregierung und macht ihn der Öffentlichkeit, der Europäischen Kommission und dem Europäischen Datenschutzausschuss zugänglich.
(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.
(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.
(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.
(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.
(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.
(1) Auf die Rüge eines durch eine gerichtliche Entscheidung beschwerten Beteiligten ist das Verfahren fortzuführen, wenn
- 1.
ein Rechtsmittel oder ein anderer Rechtsbehelf gegen die Entscheidung nicht gegeben ist und - 2.
das Gericht den Anspruch dieses Beteiligten auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt hat.
(2) Die Rüge ist innerhalb von zwei Wochen nach Kenntnis von der Verletzung des rechtlichen Gehörs zu erheben; der Zeitpunkt der Kenntniserlangung ist glaubhaft zu machen. Nach Ablauf eines Jahres seit Bekanntgabe der angegriffenen Entscheidung kann die Rüge nicht mehr erhoben werden. Formlos mitgeteilte Entscheidungen gelten mit dem dritten Tage nach Aufgabe zur Post als bekannt gegeben. Die Rüge ist schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle bei dem Gericht zu erheben, dessen Entscheidung angegriffen wird. § 67 Abs. 4 bleibt unberührt. Die Rüge muss die angegriffene Entscheidung bezeichnen und das Vorliegen der in Absatz 1 Satz 1 Nr. 2 genannten Voraussetzungen darlegen.
(3) Den übrigen Beteiligten ist, soweit erforderlich, Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.
(4) Ist die Rüge nicht statthaft oder nicht in der gesetzlichen Form oder Frist erhoben, so ist sie als unzulässig zu verwerfen. Ist die Rüge unbegründet, weist das Gericht sie zurück. Die Entscheidung ergeht durch unanfechtbaren Beschluss. Der Beschluss soll kurz begründet werden.
(5) Ist die Rüge begründet, so hilft ihr das Gericht ab, indem es das Verfahren fortführt, soweit dies aufgrund der Rüge geboten ist. Das Verfahren wird in die Lage zurückversetzt, in der es sich vor dem Schluss der mündlichen Verhandlung befand. In schriftlichen Verfahren tritt an die Stelle des Schlusses der mündlichen Verhandlung der Zeitpunkt, bis zu dem Schriftsätze eingereicht werden können. Für den Ausspruch des Gerichts ist § 343 der Zivilprozessordnung entsprechend anzuwenden.
(6) § 149 Abs. 1 Satz 2 ist entsprechend anzuwenden.