Schleswig Holsteinisches Oberverwaltungsgericht Beschluss, 06. Jan. 2015 - 1 LA 60/14

ECLI:ECLI:DE:OVGSH:2015:0106.1LA60.14.0A
06.01.2015

Tenor

Der Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts - 2. Kammer, Einzelrichterin - vom 30.09.2014 wird abgelehnt.

Die Klägerin trägt die Kosten des Antragsverfahrens.

Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Antragsverfahren auf

15.000,00 Euro

festgesetzt.

Gründe

I.

1

Die Klägerin begehrt bauaufsichtliches Einschreiten der Beklagten gegen einen Wintergartenanbau des Beigeladenen. Das Verwaltungsgericht hat ihre Klage mit Urteil vom 30.09.2014 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, der Anbau unterschreite zwar den vorgeschriebenen Abstand, doch sei das Ermessen der Beklagten nicht auf ein Einschreiten reduziert, da die Unterschreitung mit 8 cm eine kaum spürbare Bagatelle sei. Zudem liege eine unzulässige Rechtsausübung iSd § 242 BGB vor, da die Klägerin einen 1,8 m hohen und 40 m langen Flechtzaun errichtet habe, der den Eindruck einer geschlossenen Wand erzeuge und in den Abstandsflächen wegen gebäudegleicher Wirkungen unzulässig sei.

2

Ihren Antrag auf Zulassung der Berufung stützt die Klägerin auf die Zulassungsgründe nach § 124 Abs. 2 Nr. 1, Nr. 3 und Nr. 5 VwGO.

II.

3

Der Antrag auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe liegen nicht vor.

4

1. Die von der Klägerin dargelegten Gründe lösen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des klagabweisenden Urteils des Verwaltungsgerichts aus.

5

1.1 Die Klägerin geht in ihrem Zulassungsantrag von dem - im erstinstanzlichen Ortstermin durch Messung ermittelten - Abstand zwischen der Wintergarten-Außenwand und dem (grenzständig errichteten) Holz-Flechtzaun von 2,92 m aus, mithin von einer Unterschreitung des nach § 6 Abs. 5 S. 1 LBO gebotenen Abstands um 8 cm; sie meint nur, es sei - zusätzlich - eine Breite von 20 cm im Bereich des Fundaments zu berücksichtigen. Das überzeugt nicht: Nach den von der Klägerin im erstinstanzlichen Termin überreichten Fotos ist das Fundament unterhalb der Grasnarbe nur (undeutlich) zu erkennen; es tritt in keiner Weise nach außen hervor. Ansatzpunkte für eine andere Beurteilung werden im Zulassungsantrag nicht dargelegt. Bei einer Unterschreitung des einzuhaltenden Abstands um 8 cm ist - wie das Verwaltungsgericht überzeugend ausgeführt hat - das Ermessen der Beklagten zum bauaufsichtlichen Einschreiten - sicher - nicht auf Null reduziert. Aus welchen Gründen dies im Hinblick auf die Breite des unter der Grasnarbe liegenden Fundaments anders sein soll, wird im Zulassungsantrag nicht dargelegt; Gründe dafür sind auch nicht ersichtlich.

6

1.2 Soweit die Klägerin die These angreift, sie könne sich nach Treu und Glauben auf einen Verstoß des Beigeladenen gegen § 6 Abs. 5 S. 1 LBO nicht mehr berufen, nachdem ihr Flechtzaun zu Lasten des Beigeladenen in vergleichbarer Weise gegen das Abstandsflächenrecht verstoße (S. 14 f. des Urt.-Abdr.), wird dadurch die erstinstanzliche Klagabweisung schon deshalb nicht in Frage gestellt, weil diese allein und selbständig tragend von den zu 1.1 behandelten Erwägungen gestützt wird.

7

Anzumerken bleibt, dass der 1,8 m bzw. 1,5 m hohe Flechtzaun dazu führt, dass die - geringfügige - Abstandsunterschreitung vom Grundstück der Klägerin aus praktisch nicht mehr wahrnehmbar ist, was - zusätzlich - gegen eine Reduzierung des Einschreitensermessens auf Null spricht. Auf die - von der Beklagten verneinte (Schriftsatz vom 05.01.2014) - Frage, ob der 40 m lange Flechtzaun von der unter dem 23.04.1993 erteilten Genehmigung für einen 32 m langen Flechtzaun gedeckt ist, kommt es entscheidungserheblich nicht an.

8

2. Die Frage, ob ein Einschreitensanspruch unabhängig von tatsächlichen Beeinträchtigungen bzw. ab welchem Maß (der Abstandsunterschreitung) besteht, rechtfertigt keine Berufungszulassung nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO.

9

In der Rechtsprechung - auch - des Senats ist geklärt, dass eine Reduzierung des Einschreitensermessens erst bei mehr als lediglich geringfügigen Verstößen gegen nachbarschützende Baurechtsbestimmungen in Betracht kommt (vgl. zuletzt Beschl. des Senats vom 12.12.2014, 1 LA 57/14, n. v.; vgl. VGH Mannheim, Beschl. v. 13.12.1991, 3 S 2358/91, VBlBW 1992, 148).Die Ermessensentscheidung hat sich an der betroffenen Nachbarrechtsverletzung im Einzelfall zu orientieren. Maßgebend sind insoweit die Zahl und die Art der Verstöße gegen nachbarschützende Vorschriften sowie das konkrete Ausmaß der davon ausgehenden Beeinträchtigungen für das Nachbargrundstück (Urt. des Senats v. 19.04.2012, 1 LB 4/12, NordÖR 2013, 345 [bei Juris Rn. 26]; vgl. auch OVG Lüneburg, Urt. v. 16.02.2012, 1 LB 19/10, BeckRS 2012, 48458, bei juris Tn. 39 m.w.N.). Bei unzumutbaren Beeinträchtigungen wäre die Behörde „in aller Regel zum Einschreiten gegen illegale bauliche Anlagen oder Nutzungen verpflichtet, es sei denn, es stünden ihr sachliche Gründe für eine Untätigkeit zur Seite“ (VGH Mannheim, Beschl. v. 13.12.1991, 3 S 2358/91, VBlBW 1992, 148). Im vorliegenden Fall kann schon - im Ansatz - nicht von unzumutbaren Beeinträchtigungen des Grundstücks der Klägerin oder dessen baulicher Nutzung gesprochen werden.

10

3. Der gem. § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO geltend gemachte Verfahrensfehler rechtfertigt ebenfalls keine Berufungszulassung.

11

Selbst wenn es zutreffen sollte, dass das Verwaltungsgericht - trotz Erörterung der Abstandsproblematik und gerichtlicher „Vermessung“ des Abstandes in der erstinstanzlichen mündlichen Verhandlung - nicht auf einen durch die Errichtung des 1,80 m hohen Flechtzauns der Klägerin bewirkten Abstandsverstoß hingewiesen haben sollte, läge darin kein Gehörsverstoß. Das Verwaltungsgericht ist nicht verpflichtet, die Beteiligten schon in der mündlichen Verhandlung auf seine Rechtsauffassung oder die beabsichtigte Würdigung des Prozessstoffes hinzuweisen und offenzulegen, wie es seine Entscheidung im Einzelnen zu begründen beabsichtigt. Anders ist es nur, wenn das Gericht bei seiner Entscheidung auf einen rechtlichen Gesichtspunkt oder auf eine bestimmte Bewertung des Sachverhalts abstellen will, mit dem bzw. mit der auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nach dem bisherigen Prozessverlauf nicht zu rechnen brauchte (vgl. BVerwG, Beschl. v. 18.06.2012, 5 B 5.12, [Juris Rn. 12]). Das war hier nicht der Fall, zumal dem von der Klägerin geltend gemachten Einschreitensanspruch schon von der Beklagten ein auf § 242 BGB gestützter Einwand entgegengesetzt worden war (S. 4 des Bescheides vom 23.04.2012). Dieser war zwar auf Verwirkung gestützt, deren Vorliegen das Verwaltungsgericht in seinem Urteil (S. 13 u. des Abdr.) hat dahin stehen lassen, doch konnte die Klägerin damit rechnen, dass ihr Begehren auch im Hinblick auf andere, für Abstandskonflikte typische Fallgruppen einer Treuwidrigkeit - wie hier der unzulässigen Rechtsausübung - überprüft werden würde.

12

Unabhängig davon würde die geltend gemachte Gehörsverletzung die erstinstanzliche Entscheidung nur „partiell“ betreffen, weil sie allein die (oben 1.2 behandelte) These betrifft, die Klägerin habe in vergleichbarer Weise wie der Beigeladene gegen das Abstandsflächenrecht verstoßen. Ist das angefochtene Urteil - wie hier - auf mehrere selbständig tragende Begründungen gestützt (kumulative Mehrfachbegründung), kann die Berufung nur zugelassen werden, wenn die geltend gemachte Verletzung des rechtlichen Gehörs das Gesamtergebnis des Verfahrens betrifft. Die Klagabweisung wird - wie ausgeführt - schon durch die (oben 1.1 behandelte) Ablehnung eines Einschreitensanspruchs der Klägerin gestützt, so dass das erstinstanzliche Urteil auf der geltend gemachten Gehörsverletzung - auch wenn sie vorläge - nicht beruhen kann. Ein Hinweis des Verwaltungsgerichts in dem von der Klägerin für richtig erachteten Sinne hätte sich auf das Ergebnis der Entscheidung nicht auswirken können, da die Klagabweisung daneben - tragend - auf die Verneinung eines Einschreitensanspruchs gestützt werden konnte.

13

4. Weitere Zulassungsgründe sind nicht dargelegt worden. Der Zulassungsantrag war deshalb mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Das Urteil des Verwaltungsgerichts ist damit rechtskräftig (§ 124 a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

14

Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen sind gemäß § 162 Abs. 3 VwGO nicht erstattungsfähig, weil er sich nicht am Zulassungsverfahren beteiligt hat.

15

Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 52 Abs. 1 GKG.

16

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 S. 5, 66 Abs. 3 S. 3 GKG).


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Gerichtskostengesetz - GKG 2004 | § 68 Beschwerde gegen die Festsetzung des Streitwerts


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(1) Gegen Endurteile einschließlich der Teilurteile nach § 110 und gegen Zwischenurteile nach den §§ 109 und 111 steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie von dem Verwaltungsgericht oder dem Oberverwaltungsgericht zugelassen wird.

(2) Die Berufung ist nur zuzulassen,

1.
wenn ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,
2.
wenn die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,
3.
wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
4.
wenn das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
5.
wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

Tenor

Der Antrag der Beigeladenen auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts - 8. Kammer, Einzelrichter - vom 16.06.2014 wird abgelehnt.

Die Beigeladene trägt die Kosten des Antragsverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Antragsverfahren auf 15.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

1

Die Beigeladene wendet sich gegen die Verpflichtung zur Beseitigung einer Außentreppenanlage.

2

Die Außentreppenanlage war der Beigeladenen im Zusammenhang mit der Errichtung einer Dachterrasse im vereinfachten Verfahren genehmigt worden. Die nach erfolglosem Widerspruch gegen diese Genehmigung erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht abgewiesen, die Beklagte aber antragsgemäß verpflichtet, im Wege einer Beseitigungsanordnung gegen die Außentreppe einzuschreiten. Die innerhalb der relevanten Abstandsfläche errichtete Treppenanlage sei weder nach § 6 Abs. 6 Nr. 1 LBO SH noch nach § 6 Abs. 6 Nr. 2 LBO SH zulässig. Sie sei weder ein Bauteil von untergeordneter Bedeutung noch ein „Vorbau", der dem Bauwerk funktional untergeordnet sei. Das im Rahmen des § 59 Abs. 2 LBO SH obwaltende Ermessen zum Erlass einer Beseitigungsverfügung sei auf Null reduziert.

3

Ihren Antrag auf Zulassung der Berufung begründet die Beigeladene mit ernstlichen Zweifeln an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils, besonderen tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten und einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache.

II.

4

Der fristgerecht gestellte und begründete Antrag auf Zulassung der Berufung betrifft Ziff. 1 Satz 1 des Tenors des erstinstanzlichen Urteils, also die Verpflichtung der Beklagten, gegenüber der Beigeladenen die Beseitigung der Außentreppenanlage anzuordnen.

5

Der Zulassungsantrag ist unbegründet. Die Beigeladene kann die Berufungszulassung nicht beanspruchen, weil die geltend gemachten Zulassungsgründe nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 - 3 VwGO nicht vorliegen.

6

1. Die dargelegten Gründe lösen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des ernstlichen Urteils aus.

7

1.1 Das Verwaltungsgericht hat zutreffend entschieden, dass die an der östlichen Außenwand des Gebäudes der Beigeladenen errichtete Treppenanlage in der nach § 6 Abs. 1 S. 1, Abs. 5 LBO SH frei zu haltenden Abstandsfläche unzulässig ist. Die Außentreppe kann bei der Bemessung der Abstandsfläche nicht außer Betracht bleiben (1.1.1); sie ist - entgegen der Ansicht der Beigeladenen - weder ein „Bauteil" i. S. d. § 6 Abs. 6 Nr. 1 LBO SH (1.1.2) noch ein „Vorbau" i. S. d. § 6 Abs. 6 Nr. 2 LBO SH (1.1.3).

8

1.1.1 Den nach § 6 Abs. 6 LBO SH bei der Abstandsflächenbemessung „außer Betracht" bleibenden Fällen ist gemeinsam, dass die durch das Abstandsflächenrecht geschützten Belange einer ausreichenden Belichtung, Belüftung und Besonnung sowie der Wahrung von „Privatheit" und Wohnfrieden allenfalls geringfügig beeinträchtigt werden. Das ist bei optisch nicht wesentlich in den Vordergrund tretenden und die Kubatur des Gebäudes nicht verändernden oder verfremdenden unselbständigen Bauteilen oder Vorbauten der Fall, wobei Bezugspunkt der Beurteilung deren Relation zur jeweiligen Außenwand bzw. deren Länge ist. Die Unselbständigkeit zeigt sich auch darin, dass sie dem „Hauptbaukörper" funktional dienen.

9

Im Umkehrschluss kann § 6 Abs. 6 LBO SH nicht (mehr) auf Bauteile angewandt werden, denen eine eigene (neue) Funktion zukommt, die der „Hauptbaukörper" (bisher) nicht hatte oder deren Zweck darin besteht, die Wohn- oder Nutzfläche des „Hauptbaukörpers" zu erweitern oder Wohn- und Nutzflächen außerhalb der Außenwände des Gebäudes zu erschließen. In diesen Fällen stehen die o. g. Schutzgüter des Abstandsflächenrechts nach dem - erkennbaren - Willen des Gesetzgebers einer Inanspruchnahme der Abstandsfläche entgegen.

10

Die von der Beigeladenen errichtete Außentreppe dient der Erschließung der - neu angelegten - Dachterrasse(n) und fügt dem (bisherigen) „Hauptbaukörper“ somit eine neue Funktion zu. Die Außentreppe tritt gegenüber der Außenwand, an der sie montiert ist, bedingt durch ihren Standort, ihre Maße und das Baumaterial optisch deutlich hervor.

11

1.1.2 Entgegen der Ansicht der Beigeladenen ist die Außentreppe nicht als ein vor die Außenwand vortretender „Bauteil“ i. S. d. § 6 Abs. 6 Nr. 1 LBO SH anzusehen.

12

Die im Gesetzestext für ein „Bauteil“ genannten Beispiele („Gesimse“, „Dachüberstände“) belegen, dass der Gesetzgeber insoweit nicht eigenständig benutzbare Teile bzw. Teilbereiche der Außenwand oder des Gebäudes, sondern funktional und baulich untergeordnete Elemente ansprechen wollte (vgl. Domning u. a., Bauordnungsrecht Schleswig-Holstein, Komm., Stand Aug. 2010, § 6 Rn. 76; vgl. auch OVG Greifswald, Urt. v. 04.12.2013, 3 L 143/10, NordÖR 2014, 198 [Ls.]). Die in § 6 Abs. 6 Nr. 1 LBO SH genannten Maßvorgaben begrenzen die bauliche Unterordnung; das Verwaltungsgericht hat - unabhängig davon - eine bauliche Unterordnung verneint, weil die Außentreppe „in ihrer konkreten Ausführung optisch erheblich ins Gewicht fällt“ (Urt.-Abdr., S. 16). Das ist in Anbetracht der bei den Akten befindlichen Fotoaufnahmen schwerlich zu bestreiten. Unabhängig davon fehlt es auch an einer funktionalen Unterordnung der Außentreppe, weil sie die (nachträglich angelegte) Dachterrasse(n) erschließt.

13

Der Ansicht der Beigeladenen, eine funktionale oder bauliche Unterordnung des „Bauteils“ i. S. d. § 6 Abs. 6 Nr. 1 LBO SH sei rechtlich nicht erforderlich, ist nicht zu folgen. Aus dem Wortlaut des Gesetzes ergibt sich das Gegenteil (s. o. 1.1.1); weder aus der Entstehungsgeschichte der Norm noch aus der sog. „Musterbauordnung“ oder aus einem Vergleich zu den Bauordnungen anderer Bundesländer lässt sich etwas für die Ansicht der Beigeladenen gewinnen. Der Regelung in § 6 Abs. 6 Nr. 1 LBO SH vorausgegangen ist § 6 Abs. 7 LBO SH in der Fassung vom 10.01.2000; für diese Vorschrift war - ebenfalls - anerkannt, dass sie nur für untergeordnete Bauteile gilt (vgl. Witt, in: Arndt u. a.; Handkomm. LBO SH, 2001, § 6 Rn. 94, 95; Möller/Suttkus, LBO SH 2000 Kurzkommentierung, 2000, zu § 6, S. 40). Aus der sog. „Musterbauordnung“ (dort: § 6 Abs. 6), die die Novellierung der Landesbauordnung Schleswig-Holstein vom 22.01.2009 beeinflusst hat (vgl. Niere, NordÖR 2009, 273 ff.), ergibt sich nichts anderes. Das Bauordnungsrecht anderer Bundesländer ist für die Auslegung des Landesrechts Schleswig-Holstein nicht heranzuziehen; unabhängig davon gelten - auch - dort dem § 6 Abs. 6 Nr. 1 LBO SH vergleichbare Regelungen für baulich und funktional untergeordnete Bauteile (zu Niedersachsen: vgl. Breyer, in: Große-Suchsdorf, NBauO, 2013, § 5 Rn. 107). Einer „gesetzesrechtlichen“ Verankerung des Erfordernisses der baulichen und funktionalen Unterordnung bedurfte es entgegen der Ansicht der Beigeladenen nicht; das Erfordernis war und ist aus dem Wortlaut des Gesetzes ohne Weiteres abzuleiten.

14

1.1.3 Ob die Außentreppe der Maßvorgabe nach § 6 Abs. 6 Nr. 2 a LBO SH entsprechend weniger als ein Drittel der Wandlänge in Anspruch nimmt (s. S. 17/18 des erstinstanzl. Urt.-Abdr.), kann dahinstehen. Sie ist entgegen der Ansicht der Beigeladenen nicht als ein „Vorbau“ i. S. d. § 6 Abs. 6 Nr. 2 LBO SH einzuordnen. Als solcher wäre nur ein Bauteil anzusehen, das - in begrenztem Umfang - aus funktionalen oder gestalterischen Gründen aus der Außenwand hervorspringt. Davon zu unterscheiden ist ein Bauwerk, das dazu dient, weitere Wohn- oder Nutzflächen zu erschließen. Dafür steht die abstandsflächenrechtliche Privilegierung nicht zur Verfügung (vgl. OVG Münster, Beschl. v. 29.11.1985, 7 B 2402/85, BRS 44 Nr. 101 [S. 246]).

15

Es kommt hinzu, dass - entgegen der Ansicht der Beigeladenen - auch für einen „Vorbau“ i. S. d. § 6 Abs. 6 Nr. 2 LBO SH das Erfordernis der baulichen und funktionalen Unterordnung gilt; die abstandsflächenrechtliche Privilegierung erfordert, dass das Erscheinungsbild der Außenwand weiterhin dominiert (vgl. VGH Mannheim, Beschl. v. 09.07.2014, 8 S 827/14, DöV 2014, 849 [Ls.]). Soweit die Beigeladene meint, das Erfordernis einer Unterordnung im genannten Sinne bestehe nicht (mehr), findet dies in der Kommentierung zu § 6 Abs. 6 Nr. 2 LBO SH (vgl. Domning u. a., a.a.O., § 6 Rn. 80 f.; Möller/Suttkus, LBO SH 2009, Erl. § 6 LBO SH [S. 149]) keine Bestätigung. Aus den Maßgrenzen für Vorbauten, dem Regelungszusammenhang und dem Sinn und Zweck der Regelungen in § 6 Abs. 6 LBO SH ist vielmehr zu entnehmen, dass nur solche "Vorbauten" abstandsflächenrechtlich privilegiert sein sollen, die sich sowohl quantitativ, also ihrem baulichen Umfang nach, als auch funktional der jeweils betroffenen Außenwand deutlich unterordnen. Nur bei einer solchen Unterordnung bleibt der der Abstandsregelung zugedachte Schutzzweck (s. o. 1.1.1) gewahrt und eine (dann) geringfügige Minderung des Wohnfriedens ggf. gerechtfertigt (vgl. OVG Berlin, Urt. v. 22.05.1992, 2 B 22.90, NVwZ 1993, 593 [bei Juris Rn. 28] sowie Beschl. v. 25.03.1993, 2 S 4.93, Juris; OVG Koblenz, Beschl. v. 21.05.1996, 8 B 11166/96, NVwZ-RR 1997, 668/669). Von einer funktionalen Unterordnung kann - insbesondere - dann keine Rede mehr sein, wenn die Außentreppe - wie hier - dazu dient, eine Nutzung der Dachterrasse(n) überhaupt erst zu ermöglichen (vgl. OVG Münster, Urt. v. 17.01.2008, 7 A 2761/06, Juris [Rn. 31 f.]).

16

1.2 Die im erstinstanzlichen Urteil zu „Lasten" der Beigeladenen angenommene Reduzierung des Einschreitensermessens der Beklagten auf Null ist keinen Richtigkeitszweifeln ausgesetzt.

17

Bei einer materiellen und zugleich nachbarrechtsrelevanten Unzulässigkeit der Treppenanlage der Beigeladenen haben die klagenden Nachbarn einen Rechtsanspruch auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung zum Einschreiten der beklagten Bauaufsichtsbehörde (BVerwG, Urt. v. 18.08.1960, I C 42.59, BVerwGE 11, 95 ff.). Aus bundesrechtlicher Sicht führen allerdings Verstöße gegen nachbarschützende Vorschriften allein nicht zu einer Ermessensreduzierung auf Null; maßgeblich ist insoweit das Landesrecht (BVerwG, Beschl. v. 24.05.1988, 4 B 93.88, NVwZ 1988, 824).

18

1.2.1 Das nach § 59 Abs. 2 Nr. 3 LBO SH obwaltende Ermessen der Beklagten bleibt unbeeinflusst von der im vereinfachten Genehmigungsverfahren erteilten Baugenehmigung für die Außentreppe. Da in diesem Verfahren nur bauplanungsrechtliche Vorschriften geprüft werden (§ 69 Abs. 1 LBO SH), kann die Bauaufsichtsbehörde gegen bauordnungsrechtliche Verstöße vorgehen, ohne die erteilte Baugenehmigung zuvor aufheben zu müssen.

19

Ob infolge der - im vereinfachten Genehmigungsverfahren entfallenen - präventiven Kontrolle von Bauordnungsverstößen ggf. eine verschärfte Einschreitenspflicht - mit entsprechend geringeren Anforderungen an eine Ermessensreduzierung - gilt (so VGH Mannheim, Beschl. v. 26.10.1994, 8 S 2763/94, NVwZ-RR 1995, 490/491 sowie VGH Kassel, Urt. v. 25.11.1999, 4 UE 2222/92, BauR 2000, 873/877 [bei Juris Rn. 77] oder ob die Bauaufsichtsbehörde den betroffenen Nachbarn wegen der - gesetzgeberisch gewollten - Entlastungswirkung des vereinfachten Genehmigungsverfahrens bei bauordnungsrechtlichen Verstößen bei nur geringfügiger Beeinträchtigung auf zivilrechtliche Ansprüche gegen den Bauherrn „verweisen" darf (vgl. OVG Lüneburg, Beschl. v. 22.10.2008, 1 ME 134/08, BauR 2009, 639 [bei Juris Rn. 15] sowie Beschl. v. 28.03.2014, 1 LA 216/12, NordÖR 2014, 390; kritisch: Mehde/Hansen, NVwZ 2010, 14/16 sowie Mampel, UPR 1997, 267 f.), bedarf im vorliegenden Fall keiner Entscheidung, da - auch - nach der für die Beigeladenen „günstigeren" (zweiten) Auffassung der hier gegebene Verstoß gegen § 6 Abs. 6 LBO SH mehr als lediglich geringfügig ist und eine Ermessensreduzierung begründet (vgl. VGH Mannheim, Beschl. v. 13.12.1991, 3 S 2358/91, VBlBW 1992, 148). Im erstinstanzlichen Urteil (S. 21) werden die für die betroffenen Kläger unzumutbaren Auswirkungen der rechtswidrig in der Abstandsfläche errichteten Außentreppe - nachvollziehbar - benannt: Die Treppenanlage liegt im direkten „Blickfeld“ von wichtigen Aufenthaltsräumen des Wohnhauses der Kläger und entfaltet aufgrund ihrer Abmessung und Bauausführung auch im Außenwohnbereich eine - durch die bei den Akten befindlichen Fotos eindrucksvoll dokumentierte - spürbare Wirkung. Diese kann in Anbetracht der dichten Bebauungsstruktur im Gebiet an der Straße „Reling“ nicht als lediglich „geringfügig“ angesehen werden.

20

1.2.2 Soweit die Beigeladene die Ansicht vertritt, eine Einschreitenspflicht der Beklagten könne erst bei „unmittelbaren, auf andere Weise nicht zu beseitigenden Gefahren für hochrangige Rechtsgüter, wie Leben oder Gesundheit“ oder zur Abwehr „sonst unzumutbarer Belästigungen“ in Betracht, ist dem nicht zu folgen. Die Ermessensentscheidung hat sich an der betroffenen Nachbarrechtsverletzung zu orientieren. Auch die in der Begründung des Zulassungsantrags der Beigeladenen angegebenen Entscheidungen stellen darauf ab, welche Auswirkungen der Verstoß gegen die nachbarschützenden Vorschriften hat (OVG Lüneburg, Beschl. v. 06.03.2003, 1 LA 197/02, NordÖR 2003, 202); bei unzumutbaren Beeinträchtigungen ist die Behörde „in aller Regel zum Einschreiten gegen illegale bauliche Anlagen oder Nutzungen verpflichtet, es sei denn, es stünden ihr sachliche Gründe für eine Untätigkeit zur Seite“ (VGH Mannheim, Beschl. v. 13.12.1991, 3 S 2358/91, VBlBW 1992, 148).

21

Bei nachbarschützenden Vorschriften wird - allerdings - die Frage, inwieweit die Einschreitenspflicht der Behörde vom Gewicht eines Baurechtsverstoßes abhängt, unterschiedlich beantwortet (vgl. Otto, ZfBR 2012, 15/16 m. w. N.). Während - z. T. - vertreten wird, dass die Verletzung eines Nachbarrechts nicht nur notwendige, sondern auch zureichende Voraussetzung für einen Einschreitensanspruch des Nachbarn ist (VGH Kassel, Urt. v. 26.05.2008, 4 UE 1626/06, BauR 2009, 1126 [bei Juris Rn. 24], OVG Münster, Urt. v. 15.04.2005, 7 A 19/03, BRS 69 Nr. 135, Urt. v. 22.01.1996, 10 A 1464/92, BRS 58 Nr. 115 sowie Urt. v. 19.05.1983, 11 A 1128/82, BRS 40 Nr. 122; OVG Saarlouis, Urt. v. 23.04.2002, 2 R 7/01, BRS 65 Nr. 118 sowie Urt. v. 17.06.2010, 2 A 425/08, Juris), fordern andere einen „erheblich ins Gewicht fallenden“ Nachbarrechtsverstoß bzw. eine spürbare Beeinträchtigung des Nachbarn (VGH München, Beschl. v. 02.03.2006, 15 ZB 05.2726, Juris und Beschl. vom 16.11.2005, 14 ZB 05.2018, Juris; OVG Lüneburg, Beschluss vom 06.03.2003 [a.a.O.] und Urt. v. 29.10.1993, 6 L 3295/91, BRS 55 Nr. 196; OVG Magdeburg, Beschl. v. 10.10.2006, 2 L 680/04, Juris).

22

Vorliegend ist ein gewichtiger und für die Nachbarn spürbarer Nachbarrechtsverstoß gegeben. Auf oben 1.2.1 wird verwiesen.

23

Die Beigeladenen beschränken sich in ihrer Antragsbegründung (S. 8) darauf, der Außentreppe eine störende Wirkung bzw. „hoch intensive" Störung abzusprechen. Damit wird der für die Ermessensreduzierung anzulegende Maßstab verkannt, denn die tatbestandliche Verletzung der Abstandsvorschriften in § 6 Abs. 6 LBO SH indiziert die Beeinträchtigung der Nachbarn in Belangen, deren Schutz die Abstandsvorschriften dienen. Es kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass diese Beeinträchtigung allein „ideell" (ästhetisch) oder optisch wirke, denn die Kläger haben - nachvollziehbar - auf die den Wohnfrieden beeinträchtigende Wirkung der - direkt gegenüber ihrem Esszimmer montierten - Außentreppe verwiesen. Die Nutzung der Treppe eröffnet bisher nicht vorhandene Einsichtsmöglichkeiten auf das Nachbargrundstück. Auch diese - von § 6 Abs. 6 LBO SH geschützten - Wirkungen sind nicht (mehr) als geringfügig anzusehen.

24

1.2.3 Für eine Einschreitenspflicht der Beklagten spricht - darüber hinaus - auch der aus den Akten abzulesende Ablauf des Genehmigungsverfahrens. Zwar hatte die Beklagte im vereinfachten Verfahren gem. § 69 Abs. 1 LBO SH das Abstandsflächenrecht nicht zu prüfen (s. S. 10 des erstinstanzl. Urt.-Abdr.). Aus dem Schreiben der Kläger vom 23.11.2012 (Beiakte A, Bl. 21 ff.) ergibt sich aber, dass sie schon frühzeitig vor Genehmigungserteilung gegenüber der Beklagten auf ihre Bedenken hingewiesen hatten. Der Beigeladenen waren diese Einwände (schon 2010) bekannt. Sie ist nicht davor geschützt, dass die Bauaufsichtsbehörde zugleich mit oder nach „vereinfachter" Erteilung einer Baugenehmigung die Einhaltung der an sich eigenverantwortlich zu beachtenden Vorschriften überwacht und - insbesondere - bei Verstößen gegen das Abstandsflächenrecht repressiv tätig wird (vgl. OVG Saarlouis, Beschl. v. 08.12.2010, 2 B 308/10, Juris). Den Klägern kann vorliegend nicht vorgehalten werden, dass sie die Baumaßnahme der Beigeladenen untätig haben „geschehen lassen"; sie haben - im Gegenteil - frühzeitig und unmissverständlich auf ihre nachbarlichen Rechte hingewiesen. Wenn die Beigeladene ungeachtet dessen gebaut hat, ist dies auf eigenes Risiko geschehen; dem Einschreitensanspruch der Kläger steht die bauliche Realisierung nicht entgegen.

25

1.3 Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Verpflichtungsurteils (Ziff. 1 Satz 1 des Tenors) sind nach alledem nicht gegeben.

26

2. Besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten der Rechtssache liegen nicht vor.

27

2.1 Die Frage, ob sich die Außentreppe der Außenwand des Gebäudes der

28

Beigeladenen baulich und funktional unterordnet und welchen Umfang die beeinträchtigende Wirkung der Treppenanlage hat, lässt sich anhand der im erstinstanzlichen Urteilstatbestand abgedruckten Zeichnungen, der - weiteren - bei den (Bei-)Akten befindlichen Zeichnungen sowie der Fotoaufnahmen, die die Kläger im Verwaltungsverfahren eingereicht haben bzw. die das Verwaltungsgericht im Ortstermin am 16.06.2014 gefertigt hat, ausreichend beurteilen. Besondere tatsächliche Schwierigkeiten bestehen insoweit nicht.

29

2.2 Besondere rechtliche Schwierigkeiten sind mit der Auslegung und Anwendung der in § 6 Abs. 6 Nr. 1 bzw. Nr. 2 LBO SH geregelten Fälle („Bauteile“, „Vorbauten“) nicht verbunden. Das Erfordernis einer baulichen und funktionalen Unterordnung von „Bauteilen“ bzw. „Vorbauten“ ergibt sich ohne Weiteres aus § 6 Abs. 6 Nr. 1 bzw. Nr. 2 LBO SH sowie aus dem systematischen Zusammenhang, in dem die Regelung steht. Bezugspunkt der Unterordnung ist - aus dem Gesetzestext ersichtlich - die jeweilige Außenwand bzw. Wandlänge, also nicht das gesamte Gebäude. Auf die Ausführungen zu oben 1.1.1 bis 1.1.3 wird verwiesen.

30

3. Die Frage, ob die „abstandsflächenrechtliche Privilegierung einer baulichen Anlage als ,vortretendes Bauteil‘ i. S. d. § 6 Abs. 6 Nr. 1 LBO SH bzw. als ,Vorbau“ i. S. d. § 6 Abs. 6 Nr. 2 LBO SH deren bauliche und/oder funktionale Unterordnung voraussetzt“, wirft keinen grundsatzbedeutsamen Klärungsbedarf auf. Insoweit gelten die o. a. Gründe zu 2.2 entsprechend. Ob ein „Bauteil“ bzw. ein „Vorbau“ baulich und/oder funktional der Außenwand bzw. der Länge der Außenwand untergeordnet ist, ist im Einzelfall anhand der tatsächlichen Gegebenheiten und ihrer Würdigung zu entscheiden.

31

4. Andere Zulassungsgründe sind nicht dargelegt. Der Zulassungsantrag ist damit mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzulehnen. Das Urteil des Verwaltungsgerichts ist damit rechtskräftig (§ 124 a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

32

Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 52 Abs. 1 GKG.

33

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 S. 5, 66 Abs. 3 S. 3 GKG).


Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts - Einzelrichterin der 8. Kammer - vom 06. Dezember 2011 geändert:

Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 04. Februar 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Mai 2010 verpflichtet, gegen die auf dem Grundstück … (Flurstück …, Flur …, Gemarkung …) im Jahre 2007 errichtete Baulichkeit unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts weitergehend bauaufsichtlich einzuschreiten.

Die Kosten des Verfahrens haben die Beklagte und der Beigeladene je zur Hälfte zu tragen. Ihre außergerichtlichen Kosten tragen sie selbst.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Dem jeweiligen Kostenschuldner wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der jeweils erstattungsfähigen Kosten abzuwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Der Kläger und der Beigeladene sind Nachbarn. Der Beigeladene hat auf seinem Grundstück - … in Kiel - eine Doppelgarage errichtet. Der Kläger verlangt von der Beklagten, dagegen bauaufsichtlich einzuschreiten.

2

Der Beigeladene hat nach Kauf seines Grundstücks im Jahre 1986 im Jahre 1991/92 eine Garage an der Grenze zum Nachbargrundstück gebaut. Das Gebäude hatte eine Länge von 11,50 m und eine Breite von 3,20 m. Der damalige Grundstücksnachbar hatte der Errichtung dieser Garage zugestimmt.

3

Diese Garage ist abgebrannt.

4

Ab Mitte 2007 begann der Beigeladene mit dem Neubau einer Doppelgarage. Das an der Grenze zum Grundstück des Klägers errichtete Gebäude hat eine Länge von 8,765 m und eine Breite von 6,500 m und ist mit einem Satteldach mit 45° Neigung ausgestattet, wobei das Dach auf der dem Grundstücks des Klägers zugewandten Seite einen 1 m breiten Traufüberstand hat. In Traufrichtung weist das Gebäude inklusive Dachüberstand und Regenrinne eine Länge von 9,335 m auf. Die an der Grenze zum Grundstück des Klägers errichtete Wand weist nach den Feststellungen der Beklagten auf dem Grundstück des Klägers eine Höhe von 2,80 m - gemessen von der vorgefundenen Geländeoberfläche bis zum Schnittpunkt der Wand mit der Dachhaut - auf; die Wandhöhe beträgt ausgehend von dem Geländeverlauf auf dem benachbarten Grundstück des Klägers zwischen 3,05 m und 3,13 m. Die Garage weist zum Grundstück des Klägers hin keinerlei Fenster- oder Türöffnungen auf. An der westlichen (dem Grundstück des Beigeladenen zugewandten) Traufseite ist im Erdgeschoss eine Tür mit zwei Fenstern eingebaut, außerdem befinden sich in der Dachfläche zwei Dachflächenfenster. Im Nordgiebel ist im Erdgeschoss eine Tür und im Dachgeschoss eine weitere Tür mit zwei Fenstern eingebaut worden; dort war der Bau einer Außentreppe vorgesehen.

5

Mit Schreiben vom 20. Juni 2007 beantragte der Kläger ein baubehördliches Einschreiten der Beklagten, da die für eine Grenzgarage zulässige mittlere Wandhöhe von 2,75 m überschritten werde. Die Beklagte erließ zunächst eine Baueinstellungsverfügung, die auf den Widerspruch des Beigeladenen und nach Einschaltung des Innenministeriums (Fachaufsicht) wieder aufgehoben wurde. Mit Bescheid vom 04. Januar 2008 wurde ein baubehördliches Einschreiten abgelehnt. Nach Widerspruch und Untätigkeitsklage wurde in einem Ortstermin des Verwaltungsgerichts vom 31. Oktober 2008 festgestellt, dass die östliche Wandhöhe der Garage eine Höhe von 3,10 m - gemessen vom Grundstück des Kläger aus - aufweise und die Länge auf Grund der Dachkonstruktion mehr als 9 m betrage. Die Beklagte gab darauf die Erklärung zu Protokoll, gegen das streitbefangene Bauvorhaben auf dem Grundstück des Beigeladenen einzuschreiten.

6

Der Rechtsstreit wurde daraufhin in der Hauptsache für erledigt erklärt und das Verfahren eingestellt.

7

Durch bauaufsichtliche Anordnung vom 04. Februar 2009 gab die Beklagte dem Beigeladenen auf, (1) im Dachgeschoss die Fenster bis auf zwei sowie die Tür zurückzubauen, (2) die Querbalkenlage auf eine Höhe von maximal 2 m zu reduzieren und (3) die gesamte Dachlänge auf 9 m zu reduzieren; zugleich wurde ein Zwangsgeld angedroht.

8

Den Widerspruch des Beigeladenen gegen diese Verfügung wies die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 19. Mai 2010 "teilweise" zurück und führte in den Gründen aus, die "verbleibende mittlere Wandhöhe von 3,10 m" (zum Grundstück des Klägers) werde geduldet, da davon keine besondere Störung des Nachbargrundstückes ausgehe. Der Widerspruch gegen die Reduzierung der Dachlänge werde zurückgewiesen und die Forderung, die Querbalkenlage auf eine Höhe von maximal 2 m zu reduzieren, werde nach Einzug einer vom Beigeladenen beabsichtigten Zwischendecke nicht mehr aufrecht erhalten. Das gleiche gelte für die Forderung, die Fenster im Dachgeschoss sowie die Türen zurückzubauen. Eine zu der Tür im Giebel führende Treppenanlage samt Podest sei genehmigungspflichtig und in den einzuhaltenden Abstandsflächen unzulässig.

9

Die dagegen gerichtete Klage des Beigeladenen blieb erfolglos (Urteil des Verwaltungsgerichts vom 06.12.2011, - 8 A 120/10 -).

10

Der Widerspruch des Klägers gegen die Verfügung vom 04. Februar 2009 wurde mit Widerspruchsbescheid vom 19. Mai 2010 mit der Begründung zurückgewiesen, ein weitergehendes Einschreiten könne der Kläger nicht beanspruchen.

11

Der Kläger hat dagegen am 27. Mai 2010 Klage erhoben, die das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 06. Dezember 2011 abgewiesen hat. Wegen der Einzelheiten wird auf das erstinstanzliche Urteil Bezug genommen.

12

Gegen das am 27. Dezember 2011 zugestellte Urteil hat der Kläger am 04. Januar 2012 die Zulassung der Berufung beantragt. Diesem Antrag hat der Senat mit Beschluss vom 01. März 2012 entsprochen.

13

Der Kläger ist der Ansicht, er könne ein weitergehendes bauaufsichtliches Einschreiten beanspruchen. Die Beklagte habe dies im vorangegangenen Verwaltungsrechtsstreit durch die zu Protokoll abgegebene Erklärung, gegen das Bauvorhaben einschreiten zu wollen, verfahrenswirksam zugesichert. Diese Zusicherung schließe die Höhe der grenzständigen Wand der Garage ein. Die grenzständige Garage beeinträchtige nachbarliche Belange erheblich. Die Höhenüberschreitung sei nicht nur geringfügig und wirke sich - zusammen mit dem Satteldach mit 45° Dachneigung - dahingehend aus, dass der Garage eine "einfamilienhausgleiche" Größe und Massivität und eine bedrängende oder gar erdrückende Wirkung zukomme. Das optische Erscheinungsbild führe dazu, dass die Baulichkeit begrifflich keine Garage mehr sei und folglich auch abstandsflächenrechtlich nicht mehr privilegiert sei. Die Dimensionierung und die Ausgestaltung des Dachgeschosses als Aufenthaltsraum mit mehreren Fenstern sei mit einer Garage nicht vereinbar.

14

Der Kläger beantragt,

15

das erstinstanzliche Urteil vom 06. Dezember 2011 abzuändern und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 04. Februar 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19. Mai 2010 zu verpflichten, gegen die auf dem Grundstück … (Flurstück …, Flur …, Gemarkung …) im Jahre 2007 errichtete Baulichkeit bauaufsichtlich einzuschreiten,

16

hilfsweise,

17

den Beklagten zu einem Einschreiten unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu verpflichten.

18

Die Beklagte und der Beigeladene beantragen,

19

die Berufung zurückzuweisen.

20

Die Beklagte ist der Ansicht, der Kläger könne ein weitergehendes Einschreiten gegen das Bauvorhaben des Beigeladenen nicht beanspruchen. Der im Vorprozess abgegebenen Zusicherung sei mit den angefochtenen Bescheiden hinreichend entsprochen worden; der Wortlaut der Zusicherung führe zu keiner Verpflichtung zur Vornahme ganz konkreter Maßnahmen. Auch bei einer Ermessensreduzierung bleibe ein Spielraum hinsichtlich der anzuwendenden Mittel. Selbst bei einer mittleren Wandhöhe der Garage von 3,10 m seien für den Kläger angesichts der Entfernung von 8 - 10 m zu seinem Haus keine spürbaren Beeinträchtigungen erkennbar. Belichtung, Besonnung und Belüftung seien nicht betroffen. Von der Garage gehe auch keine bedrängende oder erdrückende Wirkung aus. Einen Anspruch auf eine bestimmte Dachform oder einen bestimmten Anblick habe der Kläger nicht. Ein Anspruch auf Einschreiten folge auch nicht aus der Gefahr einer zweckentfremdeten Nutzung der Garage oder deren "einfamilienhausgleicher" Größe. Bei einer rechtswidrigen Nutzung könne diese untersagt werden, was hier aber nicht streitgegenständlich sei. Das Bauwerk entspreche dem Typus einer "Garage", wie sich aus dessen Position auf den Grundstück und dem Umstand ergebe, dass es ein Ersatzbau für eine vorher abgebrannte Garage errichtet worden sei. Die Fenster und die Dämmung im Dachgeschoss dienten - schlüssig - dem Zweck, dort im Winter Pflanzen zu lagern.

21

Der Beigeladene hält die Grenzgarage für zulässig. Sie sei an die Stelle der 1991/92 (seinerzeit) mit Zustimmung des Nachbarn genehmigten Garage auf der Höhe der damals hergestellten Fundamentplatte errichtet worden. Die Höhe sei allenfalls geringfügig durch eine neue Betonschüttung zur Herstellung der Fundamentplatte verändert worden.

22

Der Berichterstatter hat am 03. April 2012 einen Ortstermin durchgeführt und die Örtlichkeit in Augenschein genommen.

23

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die eingereichten Schriftsätze - nebst Anlagen - sowie die Verwaltungsvorgänge der Beklagte, die vorgelegen habe und Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

24

Die zugelassene Berufung des Klägers ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Die angefochtenen Bescheide des Beklagten vom 04. Februar 2009 und vom 19. Mai 2010 schöpfen den Anspruch des Klägers auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung über das Begehren, gegen das Bauvorhaben des Beigeladenen bauaufsichtlich einzuschreiten, nicht aus. Die Beklagte ist deshalb verpflichtet, darüber eine erneute Entscheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats zu treffen.

25

Das vom Beigeladenen errichtete Gebäude wäre als Garage gemäß § 69 Abs. 1 Nr. 1 a LBO 2000 bzw. § 63 Abs. 1 Nr. 1 b LBO 2009 genehmigungs-/anzeigefrei bzw. verfahrensfrei, wenn es sich dabei um eine notwendige Garage nach § 6 Abs. 10 LBO 2000 bzw. 6 Abs. 7 LB 2009 handelte. Nach den zuletzt genannten Vorschriften sind auf dem Baugrundstück Garagen in den Abstandsflächen und ohne eigene Abstandsflächen zulässig, sofern sie an keiner der jeweiligen Grundstücksgrenze eine größere Gesamtlänge als 9 m aufweisen und keine mittlere Wandhöhe von mehr als 2,75 m über der an der Grundstücksgrenze festgelegten Geländeoberfläche haben (§ 6 Abs. 10 Satz 2 LBO 2000, § 6 Abs. 7 Satz 2 LBO 2009). Eine "Garage" im Sinne der genannten Bestimmungen liegt auch dann vor, wenn das Gebäude nicht ausschließlich zur Unterbringung von Kraftfahrzeugen dient, sondern auch Nebenräume aufweist, die (nur) als Abstellraum genutzt werden können. Solche Nebenräume sind mit dem Hauptzweck "Garage" verträglich, wenn und soweit sie für die Nutzung des Gebäudes - insgesamt - nicht prägend und die Räume nicht zum dauernden Aufenthalt von Menschen geeignet sind (vgl. Domning/Möller/Suttkus, LBO, Stand: August 2010, § 6 Rn. 100, OVG Bautzen, Beschl. v. 22.08.2007, 1 B 862/06, LKV 2009, 32; VGH München, Beschl. v. 07.03.2006, 15 ZB 06.300, juris, Tn. 6). Für die in einem Garagengebäude untergebrachten Nebenräume, die auch im Keller oder im Dachraum liegen können, ist zu fordern, dass sie der prägenden Garagennutzung deutlich untergeordnet bleiben, so dass das gesamte Grenzgebäude gegenüber dem (Haupt-)Haus auch optisch noch als bloßes Nebengebäude in Erscheinung tritt. Insbesondere dürfen die Nebenräume nach ihrer Größe und Gestaltung den Rahmen eines unselbstständigen Teils der Garage nicht sprengen (vgl. VGH München, Beschl. v. 28.03.2007, 14 B 04.3492, juris, Tn. 16 m.w.N.).

26

Ein Gebäude, das den dargestellten Anforderungen entspricht, ist vom Nachbarn hinzunehmen. Es kann in aller Regel auch nicht als (planungsrechtlich) rücksichtslos eingeordnet werden. Für eine Grenzgarage, auf die ein 45°-Satteldach aufgebracht ist, gilt grundsätzlich nichts anderes. Dagegen verliert eine Grenzgarage, die sich nicht (mehr) im Rahmen der o.g. Vorgaben hält, ihre "Privilegierung" als ein Gebäude, das in den Abstandsflächen zulässigerweise errichtet werden kann. Daraus resultiert die Befugnis der Bauaufsichtsbehörde, zu Gunsten eines Nachbarn gegen die im Widerspruch zu den Vorschriften über den Grenzabstand errichtete Garage vorzugehen. Diese Befugnis steht im Ermessen der Bauaufsichtsbehörde, so dass der Nachbar ihre Ausübung nur beanspruchen kann, wenn das Ermessen auf Grund der Umstände im Einzelfall auf Null reduziert ist. Das Ermessen wird beeinflusst - einerseits - durch Zahl und Art der Verstöße gegen nachbarschützende Vorschriften und - andererseits - durch das Ausmaß der davon ausgehenden Beeinträchtigungen für das Nachbargrundstück (vgl. OVG Lüneburg, Urt. v. 16.02.2012, 1 LB 19/10, BeckRS 2012, 48458, bei juris Tn. 39 m.w.N.). Im Hinblick darauf, dass der Gesetzgeber (ausschließlich) solche Gebäude in den Abstandsflächen privilegiert, die über keine Aufenthaltsräume (§ 2 Abs. 7, § 51 LBO 2000; § 2 Abs. 5, § 48 Abs. 1 LBO 2009) verfügen, gewinnt das zu Gunsten des Nachbarn ausschlagende Ermessen der Bauaufsichtsbehörde in dem Maße an Gewicht, in dem das errichtete Gebäude objektiv zur Aufnahme von Aufenthaltsräumen geeignet ist. Ebenso, wie ein Nachbar ein bauaufsichtliches Einschreiten gegen einen "isolierten" Aufenthaltsraum in den Abstandsflächen beanspruchen könnte, wird dies auch regelmäßig der Fall sein, wenn einer - ansonsten - privilegierten Grenzgarage ein zur Aufenthaltszecken geeigneter Raum hinzugefügt wird.

27

Die Beklagte hat zwar ihr Einschreitensermessen erkannt, bei ihrer Ermessensentscheidung aber die mit dem Bauvorhaben des Beigeladenen verbundenen Baurechtsverstöße nicht mit dem ihnen zukommenden Gewicht in ihre Entscheidung eingestellt.

28

Entgegen der Ansicht des Klägers war die Beklagte insoweit allerdings nicht in einem bestimmten Sinne an die im Vorprozess (am 31.10.2008) abgegebene Zusicherung, gegen den Bau des Beigeladenen einschreiten zu wollen, gebunden. Die Zusicherung war zwar veranlasst durch die seinerzeit im Ortstermin getroffenen Feststellungen, die der Kläger in der mündlichen Verhandlung zusammenfassend als "Mängelliste" bezeichnet hat. Sie war aber nicht auf einen bestimmten, später zu erlassenden Verwaltungsakt gerichtet. Die Beklagte hat das "Ob" des Einschreitens entschieden, das "Wie" aber einer weiteren Prüfung überantwortet.

29

Die Beklagte ist - danach - eingeschritten: Sie fordert einen Rückbau des Daches auf 9 m Länge. Ihre Forderung, im Dachraum die Querbalkenlage auf maximal 2 m Höhe zu reduzieren, hat sie im Widerspruchsbescheid insoweit modifiziert, als sie diese nicht mehr aufrecht erhalten wird, wenn der Beigeladene eine Zwischendecke eingezogen hat. Die Forderung, das Dachgeschoss bis auf zwei Fenster und die Tür zurückzubauen, hat die Beklagte im Widerspruchsbescheid fallen gelassen.

30

Die damit umrissenen Entscheidungen werden den - nachbarrelevanten - Baurechtsverstößen durch das vom Beigeladenen errichtete Gebäude nicht hinreichend gerecht. Zwar ist nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung hinsichtlich der einzuhaltenden Wandhöhe (§ 6 Abs. 7 Satz 2 Nr. 2 LBO 2009/§ 6 Abs. 10 Satz 2 Nr. 2 LBO 2000) kein Einschreiten zu beanspruchen. Demgegenüber erfordert aber die Gestaltung des Dachraums über der Garage ein weitergehendes Einschreiten.

31

Was die Höhe der "Grenzwand" zum Grundstück des Klägers betrifft, kommt es auf die auf der Grundstücksseite des Beigeladenen festgestellte Wandhöhe an, nicht auf diejenige Höhe, die sich ausgehend von der Geländeoberfläche des Grundstücks des Klägers ergibt. Die Wandhöhe beträgt nach dem - insoweit beanstandungsfrei festgestellten - Aufmaß der Beklagten vom 16. April 2012 im Mittel 2,80 m, gemessen von der Geländeoberfläche auf dem Grundstück des Beigeladenen bis zum Schnittpunkt der Wand mit der Dachhaut (§ 6 Abs. 4 Satz 2 LBO 2000 = LBO 2009). Soweit der Kläger dagegen einwendet, das Messergebnis sei zu korrigieren, weil die Geländeoberfläche durch eine Aufschüttung verändert worden sei und die Traufhöhe (Dachrinne) höher liege als der Schnittpunkt Wand/Dachhaut, ist dem nicht zu folgen. Eine Veränderung der Geländeoberfläche ist im Zusammenhang mit der jetzt errichteten Garage nach Überzeugung des Gerichts allenfalls in geringem Umfange erfolgt, soweit die Fundamentplatte der alten (abgebrannten) Garage mit einer neuen Betonschicht übergossen worden ist. Im Übrigen ist - wie auch die Ortsbesichtigung ergeben hat - das Gelände auf dem Grundstück des Beigeladenen unverändert geblieben. In der mündlichen Verhandlung ist die Möglichkeit erörtert worden, dass die Geländeoberfläche im Zusammenhang mit dem Bau der alten Garage (1991/92) verändert worden ist. Dieser Bau ist seinerzeit mit Zustimmung des Nachbarn - des Rechtsvorgängers des Klägers - erfolgt; eine solche Zustimmung umfasst auch die Höhenlage des Baus. Die vom Kläger festgestellte Differenz der Geländehöhenpunkte zur Höhe des Sohlenfundaments der alten Garage (vgl. Anlage K5 zur Klageschrift, Schreiben v. 16.08.2007) mag eine Höhenveränderung im Zusammenhang mit dem Bau der alten Garage belegen, als Rechtsnachfolger des damaligen Grundstückseigentümers hat der Kläger diese jedoch hinzunehmen; die damals verwirklichte Geländehöhe ist dem Grundstück gleichsam "angewachsen" und das Recht des Klägers, auch gegen diese Aufschüttung vorzugehen, ist verwirkt. Damit ist die Beklagte von einem korrekten (unteren) Bezugspunkt für die Feststellung der Wandhöhe ausgegangen. In Bezug auf den oberen Bezugspunkt ist die Wandhöhe unabhängig von der Lage der Dachrinne (Traufe) von der Beklagten korrekt bestimmt worden. Der Beigeladene hat - damit - die zulässige Wandhöhe von 2,75 m um ca. 5 cm überschritten. Allein eine solche Überschreitung verpflichtet die Beklagte nicht zu einem bauaufsichtlichen Einschreiten, denn sie ist als eine Bagatelle einzustufen. Die Überschreitung des zulässigen Maßes ist derart geringfügig, dass weder öffentliche noch private nachbarliche Belange ernsthaft berührt werden; auch die dadurch bedingten Auswirkungen auf die Besonnung des Grundstücks des Klägers sind kaum spürbar (vgl. OVG Lüneburg, Urt. v. 16.02.2012, a.a.O., Tn. 46).

32

Demgegenüber weicht das Bauvorhaben hinsichtlich des Dachraumes in einem Maße von den Privilegierungsvoraussetzungen in § 6 Abs. 10 LBO 2000 / § 6 Abs. 7 LBO 2009 ab, dass die Beklagte insoweit weitergehend einzuschreiten verpflichtet ist.

33

Der Kläger hat in Frage gestellt, ob das - von ihm als "einfamilienhausgleich" bezeichnete - Gebäude überhaupt noch als eine privilegierte Garage im Sinne der genannten Vorschriften angesehen werden kann, weil das Gebäude von seinem Dachgeschoss geprägt werde, das nach seinen Ausmaßen und seiner Gestaltung einen wärmegedämmten Ausbau zulasse sowie mit Fenstern und Türen sowie (Außen)Treppe ausgeführt werde; dies vermittle die "Anmutung" einer "hochwertigen" Nutzung. Die Frage, ob und ggf. inwieweit der Beigeladene - anstelle der (auch) in der mündlichen Verhandlung angegebenen Nutzung des Dachraumes als Abstellraum für Pflanzen - eine andere, insbesondere unzulässige Nutzung zu Aufenthaltszwecken beabsichtigt oder beabsichtigt hat, mag Spekulationen überlassen bleiben. Für die baurechtliche Beurteilung kommt es nicht darauf, sondern auf das objektive Erscheinungsbild und die Frage an, ob der als "Abstellraum" ausgewiesene Raum der prägenden Garagennutzung noch deutlich untergeordnet ist.  Das kann in Anbetracht der Gegebenheiten nicht mehr angenommen werden, und zwar auch dann nicht, wenn die (verbliebenen) Anordnungen der Beklagten (Dachlängenverkürzung, Zwischendecke) befolgt werden.

34

Der Dachgeschossraum wird nach seiner Größe, seiner Bauausführung (u.a. Isolierung) seiner Höhe und seiner Belichtung objektiv nicht mehr durch die Nutzung oder Funktion der darunter liegenden Garage (mit-)geprägt. Die Bodenfläche des Dachraums ist durch den 1 m breiten Dachüberstand auf der Westseite 7,50 breit, was bei 45° Dachneigung zu einer (zum Grundstück des Klägers zwar zurückversetzen, aber) höheren Firsthöhe führt. Im Inneren entsteht dadurch ein - größeres, geräumiges - Dachraumvolumen. Die Höhenlage der Querbalken (Kehlbalken) führt dazu, dass eine für Aufenthaltsräume erforderliche Höhe ohne Weiteres erreicht werden kann. Das Format der auf der Westseite angebrachten beiden Dachflächenfenster sowie der im Nordgiebel eingebauten zwei Fenster und der Tür führen dazu, dass der Dachraum objektiv für eine andere bzw. weitergehende Nutzung geeignet ist, als sie einem einfachen Neben- oder Abstellraum zuzuordnen ist.

35

Unter diesen Umständen ist die Beklagte unzureichend gegen das Bauvorhaben des Beigeladenen eingeschritten. Sie hat nicht hinreichend berücksichtigt, dass ein der Garage nicht mehr untergeordneter Dachraum die Privilegierung der Grenzgarage insgesamt in Frage stellt und dazu führt, dass der Nachbar dieses Gebäude - als "aliud" zu einer Grenzgarage - in den Abstandsflächen nicht mehr dulden muss.

36

Die Forderung nach Reduzierung der Dachlänge auf 9 m (wie in § 6 Abs. 10 S. 2 Nr. 1 LBO 2000 bzw. § 6 Abs. 7 S. 2 Nr. 1 LBO 2009 gefordert) ist für die erforderliche optische und funktionale Unterordnung des Dachraums unter den Zweck des Grenzgebäudes (Garage) wenig ergiebig. Das wäre hinsichtlich der im Dachraum herzustellenden Raumhöhe schon eher der Fall, weil die Raumhöhe die künftigen Nutzungsmöglichkeiten maßgeblich bestimmt. Insoweit hat die Beklagte allerdings die Klarheit der im Ausgangsbescheid verlangten Reduzierung der Querbalkenlage auf max. 2 m Höhe getrübt, indem sie im Widerspruchsbescheid ausgeführt hat, diese Forderung werde nicht mehr aufrecht erhalten, nachdem der Beigeladene eine Zwischendecke eingezogen haben wird. Unklar bleibt, in welcher Höhe die Zwischendecke eingezogen werden soll. Der vom Beigeladenen (im Ortstermin) geäußerte Wunsch, die Zwischendecke so einzuziehen, dass dadurch der Lichtraum der Dachflächenfenster nicht beeinträchtigt wird, deutet darauf hin, dass er eine größere Höhe als (nur) 2 m herstellen möchte. Die (Oberkante der) Dachflächenfenster kann indes als selbst geschaffener "Zwangspunkt" für die Festlegung der Höhe einer - die untergeordnete Raumnutzung gewährleistende - Zwischendecke nicht maßgeblich sein.

37

Eine hinreichende - optische und funktionale - Unterordnung des Dachraumes unter die Hauptnutzung des Gebäudes als Doppelgarage kann erst angenommen werden, wenn diese auf Dauer und verlässlich durch die bauliche Gestaltung des Dachraums zum Ausdruck kommt. Vorkehrungen, die (zunächst) eingebaut, später aber ohne größeren Aufwand wieder entfernt werden könnten, genügen insoweit nicht.

38

Die Beklagte wird insoweit erneut zu entscheiden haben, in welcher Weise eine dauerhafte und verlässliche untergeordnete Ausgestaltung des Dachraumes als Nebenraum zur Doppelgarage sichergestellt werden kann. Dazu kann die Beklagte zwischen mehreren in Betracht kommenden Maßnahmen auswählen, die entweder als solche oder in ihrer Kombination dem geforderten Ziel dienen. So läge es im Rahmen des Ermessens, dem Umstand der Breite des Dachbodens von 7,50 m dadurch Rechnung zu tragen, dass die Dachneigung soweit reduziert wird, dass eine geringere Raumhöhe entsteht. Zur Vermeidung des mit einer solchen Anordnung verbundenen Aufwandes kommen auch andere Maßnahmen in Betracht, wenn deren effektive Wirksamkeit in Bezug auf das o. g. Ziel vergleichbar ist. Dazu zählen die - höhenmäßig genau definierte - Anordnung des Einbaus einer Zwischendecke in einer soliden Weise, die nicht ohne Weiteres wieder zu entfernen ist, weiter die Anordnung des Entfernens von Dachflächenfenstern bzw. der Tür und Fensteröffnungen im Nordgiebel. Auch die Zugänglichkeit des Dachraums kann zur geforderten funktionalen und optischen Unterordnung beitragen; ein Abstellraum bedarf weder einer Außentreppe noch einer den Anforderungen des § 35 Abs. 1 LBO genügenden Innentreppe, da ein solcher Raum nur für eine gelegentliche, nicht alltägliche Nutzung vorgesehen ist. Dafür genügen einschiebbare Treppen, Stiegen oder - etwa zum Lastentransport - Luken.

39

Der von dem Beigeladenen angegebene Nutzungszweck des Dachraumes zur Überwinterung von Pflanzen würde demjenigen eines Abstellraumes entsprechen, erfordert indes weder eine bestimmte Raumhöhe noch eine bestimmte Belichtung noch einen "normalen" Treppenaufgang. Überwinternde Pflanzen können in Behältnissen transportiert werden, die auch über eine Auszugstreppe, eine Leiter oder eine Luke zu befördern sind. Lichtzufuhr ist während der Überwinterung nicht für alle Pflanzenarten erforderlich, manche Pflanzenarten vertragen sogar leichten Frost, andere können im Pflanzbehälter gegen Kälte isoliert werden.

40

Ein Einschreiten der Beklagten, das - unter Beachtung der vorstehend umrissenden Rechtsauffassung des Senats - dauerhaft und verlässlich sicherstellt, dass der Dachraum über der Doppelgarage nur als untergeordneter Abstellraum gestaltet ist, sorgt zugleich dafür, dass damit ein Nebenraum zur Garage vorliegt und damit die Privilegierung der Grenzgarage nach § 6 Abs. 10 LBO 2000 / § 6 Abs. 7 LBO 2009 gerechtfertigt ist. Ein Dachraum, der objektiv als Aufenthaltsraum i.S.d. § 2 Abs. 5, § 48 LBO geeignet ist, erfüllt diese Anforderung nicht.

41

Die Beklagte war nach alledem zu einem weitergehenden bauaufsichtlichen Einschreiten gegenüber dem Beigeladenen zu verpflichten.

42

Die Kostenentscheidung folgt aus § 143 Abs. 1, § 159 VwGO, § 100 Abs. 1 ZPO.

43

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 10, 711 ZPO.

44

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen nach §§ 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.


Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts - 1. Kammer - vom 18. November 2009 geändert:

Der Bescheid des Beklagten vom 13. September 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Dezember 2007 wird aufgehoben. Der Beklagte wird verpflichtet, den Muschelfischereibetrieben der Beigeladenen das Einbringen von importierten Miesmuscheln in den Nationalpark "Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer" zu untersagen.

Die Kosten des gesamten Verfahrens haben der Beklagte zu 1/2 und die Beigeladenen jeweils zu 1/8 zu tragen.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Den Kostenschuldnern wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung abzuwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Der Kläger, ein vom Land anerkannter (Naturschutz-) Verein, will mit seiner Klage erreichen, dass der Beklagte den Beigeladenen untersagt, importierte Miesmuscheln (nebst Begleitarten) in die zum Nationalpark "Schleswig-Holsteinischen Wattenmeer" gehörenden Küstengewässer einzubringen. Die Bereiche, in denen die Beigeladenen die importierten Miesmuscheln (nur) aussetzen, liegen in der Schutzzone 2 des Nationalparks. Sie gehören zum FFH-Gebiet DE-0916-391 ("Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer und angrenzende Küstengebiete").

2

Durch Bescheid vom 08. November 2005 hatte das damals zuständige Amt für ländliche Räume Kiel (als obere Fischereibehörde) den Beigeladenen auf der Grundlage des § 40 Abs. 5 LFischG eine Befreiung von der Bestimmung des § 40 Abs. 4 S. 1 Nr. 1 LFischG erteilt, die es verbietet, Muscheln, die aus Gebieten außerhalb der schleswig-holsteinischen Küstengewässer stammen, in schleswig-holsteinische Gewässer einzubringen, und ihnen gestattet, Miesmuscheln (Mytilus edulis) aus englischen Küstengewässern in die schleswig-holsteinischen Küstengewässer der Nordsee auszusetzen. Die Befreiung war befristet bis zum 31. März 2006. Durch Bescheid vom 03. Januar 2007 erteilte das Amt eine weitere - bis zum 31. Dezember 2007 befristete - Befreiung für das Einbringen von aus Großbritannien und Irland stammenden Miesmuscheln. Während des gerichtlichen Verfahrens - durch Bescheide vom 30. Juni 2008 und 31. August 2011 - haben das Amt bzw. sein Rechtsnachfolger, das Landesamt für Landwirtschaft , Umwelt und ländliche Räume (Abteilung Fischerei) weitere Befreiungen für das Einbringen von Miesmuscheln aus Großbritannien und Irland, zunächst befristet bis zum 30. Juni 2011, dann verlängert bis zum 31. Dezember 2016, erteilt. Begründet wurde das Erfordernis der Befreiungen damit, dass es in den schleswig-holsteinischen Küstengewässern, vermutlich wegen des Ausbleibens strengerer Winter, seit Jahren kaum noch zur Aussaat junger Miesmuscheln komme und die Betriebe der Beigeladenen daher ohne den Import ausländischer Muscheln zur Regeneration der Bestände wirtschaftlich nicht überleben könnten. Die Befreiungen seien zu erteilen gewesen, weil es in britischen und irischen Küstengewässern keine frei lebenden Organismen gebe, die als neue Muschelschädlinge oder Verursacher seuchenartiger Krankheiten eingeschleppt werden könnten.

3

Den (Befreiungs-) Bescheiden waren bzw. sind - außer den Befristungen - weitere Nebenbestimmungen beigefügt, u.a. die Auflage, die importierten Miesmuscheln vor dem Ausbringen auf die Kulturen mindestens 2 Stunden mit Süßwasser bedeckt zu halten, den vom 03. Januar 2007, 30. Juni 2008 und 31. August 2011 ferner die Auflage, ein sog. Monitoring durch Entnahme von Stichproben aus den importierten Muscheln durchzuführen, um bei Feststellung einer exotischen, invasiven Art ggf. die Befreiung widerrufen zu können.

4

Im Hinblick auf die Lage der Ausbringungsflächen im FFH-Gebiet DE-0916-391 wurden vor der Erteilung der Befreiungen sog. Verträglichkeitsprüfungen durchgeführt. Diese kommen zu dem Ergebnis, dass eine erhebliche Beeinträchtigung der Erhaltungsziele des FFH-Gebiets durch das Einbringen aus britischen und irischen Küstengewässern importierter Miesmuscheln nicht zu erwarten sei. Das wird - zusammengefasst - z.B. in der Verträglichkeitsprüfung vom 24. Juni 2008 wie folgt begründet:

5

"In den britischen und irischen Küstengewässern gibt es nach Auswertung der aktuellen Artenlisten 36 exotische Arten, für die ein Nachweis in deutschen Küstengewässern fehlt. Für keine der Arten kann mit absoluter Sicherheit ausgeschlossen werden, dass durch Muschelimporte Individuen dieser Arten vital in die deutschen Küstengewässer eingebracht werden und dort auch Populationen ausbilden. Für die meisten der Arten stellen die Muschelimporte aber keinen primären Vektor dar. Von den Arten, für die angenommen werden muss, dass die Muschelimporte einen wesentlichen anthropogenen Vektor darstellen, besteht in 2 bzw. 6 Fällen eine etwas erhöhte Wahrscheinlichkeit, dass sich Populationen dieser Arten in der deutschen Bucht etablieren werden. In den Monitoringproben des Jahres 2007 war eine dieser Arten (Tricellaria inopinata) enthalten. Für keine dieser Arten ist ein invasives Verhalten oder negative Auswirkungen auf menschliche Gesundheit oder die Wirtschaft bekannt."

6

Mit Schreiben vom 31. Mai 2007 beantragte u.a. der Kläger beim Rechtsvorgänger des Beklagten, dem Landesamt für den "Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer", im Wege behördlichen Einschreitens umgehend das weitere naturschutzrechtlich genehmigungsbedürftige, aber nicht genehmigte Ausbringen von Miesmuscheln zu verhindern und auf der Grundlage des § 34 Abs. 5 LNatSchG 2007 anzuordnen, dass die naturschutzrechtlich ungenehmigt bereits angesiedelten oder ausgesetzten Muscheln wieder beseitigt würden. Diese Anträge lehnte das Landesamt durch Bescheid vom 13. September 2007 ab. Zur Begründung führte es aus: Es lägen keine Erkenntnisse dafür vor, dass andere Miesmuschelarten als die Mytilus edulis ausgesetzt und angesiedelt worden seien. Da diese Miesmuschelart im schleswig-holsteinischen Wattenmeer heimisch sei, seien weder Befreiungen nach dem Nationalparkgesetz noch nach dem Landesnaturschutzgesetz erforderlich. Das Einbringen importierter Miesmuscheln dieser Art sei eine im Nationalpark zulässige Nutzung. Zudem seien die den Beigeladenen erteilten fischereirechtlichen Erlaubnisse und Befreiungen bestandskräftig und deshalb auch für das Landesamt bindend.

7

Den Widerspruch des Klägers wies das Landesamt durch Bescheid vom 21. Dezember 2007 zurück. Zur Begründung wiederholte es im Wesentlichen seine Ausführungen aus dem Bescheid vom 13. September 2007 und betonte nochmals, dass Beteiligungsrechte des Klägers, aus denen er seinen Anspruch auf Einschreiten nur herleiten könnte, angesichts der nicht erforderlichen Befreiung von den Verboten des Nationalparkgesetzes und der nicht erforderlichen artenschutzrechtlichen Genehmigung nach § 34 LNatSchG 2007 nicht verletzt seien.

8

Am 28. Dezember 2007 hat der Kläger Klage erhoben.

9

Er hat beantragt,

10

den Beklagten unter Aufhebung der Bescheide (seines Rechtsvorgängers) vom 13. September 2007 und 21. Dezember 2007 zu verpflichten, den Muschelfischereibetrieben der Beigeladenen das Einbringen der importierten Miesmuscheln einschließlich der Begleitarten in den Nationalpark "Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer" zu untersagen.

11

Der Beklagte und die Beigeladenen haben beantragt,

12

die Klage abzuweisen.

13

Wegen der erstinstanzlich von den Beteiligten zur Begründung dieser Anträge vorgebrachten Argumente nimmt der Senat gem. § 130 b S. 1 VwGO Bezug auf die entsprechenden Passagen im Tatbestand des Urteils des Verwaltungsgerichts vom 18. November 2009, die er sich zu Eigen macht.

14

Mit diesem Urteil hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Die Klage sei unzulässig; denn Mitwirkungs- und Beteiligungsrechte des Klägers als anerkannter Naturschutzverein seien nicht verletzt worden. In den Verfahren, die zur Erteilung der Befreiungen nach § 40 Abs. 5 LFischG geführt hätten, sei er nicht zu beteiligen gewesen. Außerdem habe diese Befreiungen nicht der Beklagte erteilt, sondern das Amt für ländliche Räume Kiel als obere Fischereibehörde. Der Beklagte selbst (bzw. sein Rechtsvorgänger) habe keine Befreiungen von Verboten zum Schutz des Nationalparks und von Verboten und Geboten zum Schutz des FFH-Gebiets erteilt. Er habe auch nicht Projekte oder Pläne nach § 30 Abs. 4 und 5 LNatSchG 2007 zugelassen, bei denen die Verträglichkeitsprüfung ergeben habe, dass sie zu erheblichen Beeinträchtigungen des FFH-Gebiets führten. Allerdings könne ein anerkannter Naturschutzverein, wenn ein naturschutzrechtliches Befreiungsverfahren, an dem er zu beteiligen gewesen wäre, nicht durchgeführt werde, beanspruchen, dass die zuständige Behörde alle Maßnahmen unterbinde, die ohne das an sich erforderliche Befreiungsverfahren durchgeführt würden. Diesen Anspruch könne der Kläger jedoch nicht geltend machen, weil der Beklagte ein Verfahren zur Erteilung einer Befreiung von dem Verbot des § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 NPG, das die Einbringung standortfremder Pflanzen und gebietsfremder Tiere untersage, zu Recht nicht durchgeführt habe. Eine Befreiung von diesem Verbot sei nicht erforderlich gewesen, weil das Aussetzen von aus Großbritannien und Irland importierten Miesmuscheln Muschelfischerei im Sinne des § 6 Abs. 3 Nr. 2 NPG sei und es sich deshalb um eine im Nationalpark nach dieser Vorschrift zulässige Nutzung handele. Abgesehen davon, würden mit der Aussetzung der importierten Miesmuscheln keine gebietsfremden Arten angesiedelt. Die bloß mögliche, nicht gewollte Einbringung von an den importierten Miesmuscheln anhaftenden gebietsfremden Arten oder von Miesmuscheln anderer Arten - wenn es solche anderen Arten überhaupt gebe - verstoße nach der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 04. Dezember 2008 nicht gegen das Einbringungs- und Aussetzungsverbot des § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 NPG und entsprechender allgemeiner artenschutzrechtlicher Vorschriften.

15

Das Urteil wurde dem Kläger am 19. April 2010 zugestellt. Am 10. Mai 2010 hat er einen Antrag auf Zulassung der Berufung gestellt, am 21. Juni 2010, einem Montag, hat er den Antrag begründet. Der Senat hat diesem Antrag durch Beschluss vom 05. November 2010 auf der Grundlage des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO entsprochen. Mit Schriftsatz vom 09. Dezember 2010 - eingegangen innerhalb der vom Vorsitzenden verlängerten Berufungsbegründungsfrist am 22. Dezember 2010 - begründet der Kläger seine Berufung zusammengefasst wie folgt: Seine Mitwirkungs- bzw. Beteiligungsrechte aus § 59 Nr. 5 LNatSchG a.F. seien dadurch verletzt bzw. umgangen worden, dass eine Befreiung von dem Verbot des § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 NPG, Pflanzen standortfremder Arten einzubringen oder Tiere solcher Arten auszusetzen, die im Nationalpark nicht ihren Lebensraum hätten, nicht erteilt worden sei. Eine solche Befreiung sei entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts hier erforderlich gewesen. Dass mit den aus britischen und irischen Küstengewässern importierten Miesmuscheln standortfremde, nicht heimische Arten in den Nationalpark eingebracht würden, sei nach den Ergebnissen der untersuchten Stichproben nicht zweifelhaft. Dabei gehe es nicht nur um die sog. Begleitarten und andere Miesmuschelarten als die der Art Mytilus edulis, sondern auch die aus britischen und irischen Küstengewässern stammende Miesmuschel der Art Mytilus edulis sei eine biologisch und geographisch abgrenzbare Teilpopulation und damit eine Art, die im Nationalpark nicht ihren Lebensraum habe. Schon gar nicht gebe es eine nordostatlantische Artengemeinschaft in dem Sinne, dass alle Arten, die in diesem geographischen Bereich an irgendeiner Stelle vorkämen, in dem gesamten Bereich nicht standortfremd seien. Angesichts dessen, dass aufgrund der untersuchten Stichproben feststehe, dass mit den importierten Miesmuscheln standortfremde Arten ins Wattenmeer eingebracht würden, könne auch nicht davon ausgegangen werden, dass das unabsichtlich, bloß fahrlässig, geschehe. Das Urteil des EuGH vom 04. Dezember 2008, auf das sich die anderen Verfahrensbeteiligten und das Verwaltungsgericht zur Stützung ihrer gegenteiligen Auffassung beriefen, sei nicht einschlägig. Das Einbringen importierter Miesmuscheln sei auch keine im Nationalpark ausdrücklich zugelassene Maßnahme oder Nutzung. Es sei insbesondere keine nach § 6 Abs. 3 Nr. 2 NPG zulässige Muschelfischerei nach Maßgabe der §§ 40 und 41 LFischG. Das ergebe sich zum einen aus der Begriffsbestimmung der Fischerei in § 3 LFischG, zum anderen aus den Vorschriften des Nationalparkgesetzes selbst, die zwischen dem Einbringen bzw. Aussetzen und der Fischerei unterschieden (§ 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 / § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 7). Gegen die Annahme, dass mit einer Befreiung nach § 40 Abs. 5 LFischG vom Verbot des § 40 Abs. 4 S. 1 Nr. 1 LFischG auch das Verbot des § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 NPG überwunden werde, spreche ferner, dass die Verbotstatbestände nicht identisch seien und vor allem artenschutzrechtliche Aspekte bei der Prüfung, ob eine Befreiung nach der genannten fischereirechtlichen Vorschrift zu erteilen sei, keine Rolle spielten und spielen dürften. Auch eine Beteiligung der obersten Naturschutzbehörde - wie im Falle der Erlaubnis nach § 40 Abs. 1 LFischG - oder anderer Naturschutzbehörden oder -verbände sei nicht vorgesehen. Des Weiteren sei auch der Verbotstatbestand des § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 7, 2. Alternative, NPG erfüllt, und auch dieser Verstoß werde nicht über § 6 Abs. 3 Nr. 2 NPG "sanktioniert". Der eben dargelegten Auffassung, dass das - artenschutzrechtliche - Verbot des § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 NPG nicht über § 6 Abs. 3 Nr. 2 NPG durch die - fischereirechtliche - Befreiung nach § 40 Abs. 5 LFischG verdrängt werde, stehe auch nicht die sog. Unberührtheitsklausel des § 39 Abs. 2 BNatSchG a.F. entgegen. Entsprechendes gelte für den - durch das Einbringen importierter Miesmuscheln gegebenen - Verstoß gegen das allgemeine artenschutzrechtliche Verschlechterungsverbot aus § 34 Abs. 4 S. 1 LNatSchG a.F. .

16

Der Kläger verweist zur Begründung dafür, dass seine Mitwirkungsrechte verletzt seien, ferner auf das beim Verwaltungsgericht anhängige Verfahren mit dem Az. 7 A 114/10, in dem er zunächst die Aufhebung des Befreiungsbescheids vom 30. Juni 2008 beantragt hatte und nunmehr die Aufhebung des Befreiungsbescheids vom 31. August 2011 beantragt: Die im Rahmen der Befreiungsentscheidungen durchgeführten Verträglichkeitsprüfungen seien zu dem Ergebnis gekommen, dass eine erhebliche Beeinträchtigung der Erhaltungsziele des FFH-Gebiets nicht zu besorgen sei. Das sei falsch, weil die - spezialgesetzlich - im Nationalparkgesetz enthaltenen Schutzzwecke bzw. Erhaltungsziele, vor allem die bezüglich des Artenschutzes, bei den Prüfungen "außer Blick" geraten seien. Hätte man richtigerweise eine erhebliche Beeinträchtigung angenommen, hätte nach § 30 Abs. 4 LNatSchG a.F. geprüft werden müssen, ob das Einbringen importierter Miesmuscheln unter den in dieser Vorschrift genannten Voraussetzungen dennoch hätte zugelassen werden können. An diesem Verfahren wäre er, der Kläger, zu beteiligen gewesen.

17

Der Kläger beantragt,

18

das angefochtene Urteil zu ändern und nach dem Klagantrag zu erkennen,

19

hilfsweise, durch Einholung von Sachverständigengutachten Beweis über die Fragen zu erheben,

20

a) ob es sich bei den aus Großbritannien und Irland eingeführten Muscheln der Art Mytilus edulis um eine biologisch oder geographisch abgrenzbare Teilpopulation und damit um eine Art handelt, die im Nationalpark nicht ihren Lebensraum hat,

21

b) mit welchem Grad an Wahrscheinlichkeit beim Import von Muscheln der Art Mytilus edulis aus Großbritannien und Irland unvermeidbar auch Exemplare der Mittelmeermiesmuschel (Mytilus galloprovincialis) eingeführt werden.

22

Der Beklagte und die Beigeladenen beantragen,

23

die Berufung zurückzuweisen.

24

Sie verteidigen das angefochtene Urteil und wiederholen und vertiefen ihr erstinstanzliches Vorbringen.

25

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Berufungsverfahren wird auf die eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen, die beigezogenen Verwaltungsvorgänge sowie die Gerichtsakte des Verfahrens 7 A 114/10 (nebst Beiakten) verwiesen. Deren Inhalt ist - soweit erforderlich - Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe

26

Die (zulässige) Berufung ist begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Der Bescheid vom 13. September 2007 und der ihn bestätigende Widerspruchsbescheid vom 21. Dezember 2007 sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten. Er kann beanspruchen, dass der Beklagte den Beigeladenen das Einbringen aus britischen und irischen Küstengewässern importierter Miesmuscheln in den Nationalpark "Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer" untersagt.

27

Grundlage dieses Anspruchs ist die Verletzung der Mitwirkungs- bzw. Beteiligungsrechte des Klägers, eines anerkannten Naturschutzvereins im Sinne des § 58 LNatSchG (vom 06.03.2007 = a.F.), § 3 des Umweltrechtsbehelfsgesetzes (URG): Wird ein naturschutzrechtliches Befreiungsverfahren, an dem ein solcher anerkannter Naturschutzverein zu beteiligen gewesen wäre, rechtswidrigerweise nicht durchgeführt, kann der Verein beanspruchen, dass die zuständige Behörde die Maßnahmen oder Handlungen unterbindet, für die die erforderliche Befreiung nicht eingeholt und bezüglich derer sein Beteiligungsrecht somit vereitelt worden ist; denn die Vereitelung dieses Rechts darf nicht sanktionslos bleiben, das behördliche Eingriffsermessen ist insoweit auf Null reduziert (Niedersächsisches OVG, Beschl. v. 15.12.2008 - 4 ME 315/08 -, NuR 2009, 130 m.w.N.; OVG des Landes Sachsen-Anhalt, Beschl. v. 06.11.2006 - 2 M 311/06 -, NuR 2007, 208; Thüringer OVG, Urt. v. 02.07.2003 - 1 KO 289/02 -, NuR 2004,325; vgl. auch BVerwG, Urt. v. 14.05.1997 - 11 A 43.96 -, BVerwGE 104, 367 ff, 373). Die Voraussetzungen für diesen Anspruch sind hier gegeben.

28

Für das Aus- bzw. Einbringen aus britischen und irischen Küstengewässern importierter Miesmuscheln in die Gewässer des Nationalparks "Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer" bedurfte es nach § 6 Abs. 4 S. 2 NPG einer Befreiung von der Schutzbestimmung des § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 NPG, nach der es nicht zulässig ist, in den Nationalpark Pflanzen standortfremder Arten einzubringen oder Tiere solcher Arten auszusetzen, die dort nicht ihren Lebensraum haben. Diese Befreiung ist nicht beantragt und erteilt worden, so dass der Kläger um sein Mitwirkungs- bzw. Beteiligungsrecht aus § 59 Nr. 5 LNatSchG a.F. (vgl. jetzt: § 63 Abs. 2 Nr. 5 BNatSchG in der Fassung vom 29.07.2009 = BNatSchG n.F.) "gebracht" worden ist. Nach dieser Bestimmung ist anerkannten Naturschutzvereinigungen vor der Erteilung von Befreiungen von Geboten und Verboten zum Schutz (u.a.) von Nationalparken Gelegenheit zur Stellungnahme und zur Einsicht in die einschlägigen Sachverständigengutachten zu geben.

29

Gegen das Erfordernis einer Befreiung von der Schutzbestimmung des § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 NPG wenden der Beklagte und die Beigeladenen ein, das Aus- bzw. Einbringen der importierten Miesmuscheln in den Nationalpark sei aufgrund der dafür erteilten Befreiungen nach § 40 Abs. 5 LFischG (von dem Verbot des § 40 Abs. 4 S. 1 Nr. 1 LFischG) eine "ausdrücklich zugelassene Maßnahme und Nutzung" im Sinne des § 5 Abs. 1 S. 1 NPG, nämlich Muschelfischerei nach Maßgabe der §§ 40 und 41 LFischG (§ 6 Abs. 3 Nr. 2 NPG), und deshalb bedürfe es keiner - zusätzlichen - Befreiung von der Schutzbestimmung des § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 NPG. Diese Einwendung schlägt nicht durch.

30

Es erscheint schon zweifelhaft, ob das Aus- bzw. Einbringen importierter Miesmuscheln in die zum Nationalpark gehörenden Küstengewässer (Muschel-) "Fischerei" ist. Zwar gehört nach der Begriffsbestimmung in § 3 Abs. 1 LFischG zur Fischerei nicht nur das Fangen und das Sich-Aneignen von Fischen und Muscheln (vgl. § 2 Abs. 1 LFischG), sondern auch die Hege. Diese umfasst u.a. den Aufbau und die Erhaltung eines artenreichen, heimischen und gesunden Fisch- und Muschelbestands. Jedoch liegt es angesichts dessen, dass das Aus- bzw. Einbringen importierter Muscheln wegen der damit verbundenen Gefahr des Einschleppens von seuchenartigen Krankheiten und Muschelschädlingen nach § 40 Abs. 4 S. 1 Nr. 1 LFischG im Grundsatz verboten ist, eher fern, dieses als Hegemaßnahme einzuordnen und zu bewerten. Der oben dargestellten Argumentation des Beklagten und der Beigeladenen könnte daher allenfalls dann nähergetreten werden, wenn sich der Gesetzgeber im § 6 Abs. 3 Nr. 2 NPG durch die darin enthaltene Bezugnahme auf die §§ 40 und 41 LFischG von der - allgemeinen - Begriffsbestimmung der Fischerei in § 3 Abs. 1 LFischG gelöst hätte. Das ist bezüglich der Muschelzucht der Fall. Zwar wird in § 40 Abs. 1 S. 1 LFischG noch zwischen Muschelfischerei und Muschelzucht unterschieden. Dass der Begriff der Muschelfischerei in § 6 Abs. 3 Nr. 2 NPG aber auch die Muschelzucht umfassen soll, ergibt sich aus der Bezugnahme auf § 41 LFischG, in dem die Anlage von Muschelkulturen in den Küstengewässern geregelt wird. Das Aus- bzw. Einbringen importierter Muscheln ist allerdings - entgegen der Auffassung des Beklagten - keine Muschelzucht und damit unter diesem Gesichtspunkt keine Muschelfischerei im Sinne des § 6 Abs. 3 Nr. 2 NPG. Der Begriff "Zucht" beinhaltet mehr als das bloße Aussetzen und das sich anschließende Sich-Selbst-Überlassen, um das es hier geht. Er erfordert eine gewisse Kontrolle über die ausgesetzten Muscheln, wie das - beispielsweise - bei Aquakulturen der Fall ist, und eine gewisse Zielrichtung, die über die bloße "wilde", unkontrollierte Vermehrung hinausgeht (eine Zielrichtung, wie sie beispielsweise von der Erzeugerorganisation der schleswig-holsteinischen Muschelzüchter mit dem Projekt "Forschungsprojekt zur Aufzucht und Gewinnung von Miesmuschelsaat" in der Salzwasserlagune des Beltringharder Koogs verfolgt worden ist, vgl. dazu den Beschluss des Senats vom 01.11.2010 - 1 LA 31/10 -). Ob die Abkehr von der - allgemeinen - Begriffsbestimmung der Fischerei nicht nur bezüglich der Muschelzucht, sondern auch bezüglich des (von ihr somit nicht umfassten) Aus- bzw. Einbringens importierter Muscheln durch die pauschale - nicht, wie in § 6 Abs. 2 Nr. 2 NPG, auf den ersten Absatz beschränkte - Bezugnahme auf § 40 LFischG erfolgen sollte, kann hier jedoch letztlich dahingestellt bleiben; denn die obige Einwendung des Beklagten und der Beigeladenen griffe auch dann nicht durch, wenn man das unterstellte:

31

Eine "ausdrücklich zugelassene Maßnahme und Nutzung" im Sinne des § 5 Abs. 1 S. 1 NPG kann zur Überzeugung des Senats keine Maßnahme oder Nutzung sein, die - wie hier das Aus- bzw. Einbringen importierter Muscheln nach § 40 Abs. 4 S. 1 Nr. 1 LFischG - ausdrücklich verboten und nur über eine Befreiung nach § 40 Abs. 5 LFischG im betreffenden Einzelfall zugelassen worden ist. Das ergibt sich aus der Gesetzessystematik. Die ausdrücklich zugelassenen Maßnahmen und Nutzungen sind in den Absätzen 1 bis 3 des § 6 NPG enumerativ und abschließend - generalisierend - aufgeführt. Soweit sich eine generell zugelassene Maßnahme / Nutzung im Rahmen einer erteilten Erlaubnis zu halten hat und durch diese beschränkt wird, wird das ausdrücklich erwähnt (vgl. § 6 Abs. 2 Nr. 2 NPG). Entsprechendes findet sich bezeichnenderweise für - von bloßen Erlaubnissen zu unterscheidende - Befreiungen nicht in dem "Katalog" des § 6 Abs. 1 - 3 NPG (etwa des Inhalts: "im Rahmen einer Befreiung nach § 40 Abs. 5 LFischG"). Soweit eine Maßnahme / Nutzung über den generell zugelassenen Rahmen hinausgehen soll, wird das Erfordernis einer gesonderten - im Einzelfall zu erteilenden - Genehmigung durch die für den Nationalpark zuständige Behörde, also den Beklagten, besonders hervorgehoben (vgl. § 6 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3 Nr. 4 NPG; vgl. auch § 6 Abs. 2 Nr. 3 NPG: Einvernehmen der für den Nationalpark zuständigen Behörde erforderlich). Wenn jedoch bereits für das bloße Überschreiten des Rahmens einer generell zulässigen Maßnahme / Nutzung eine Genehmigung der für den Nationalpark zuständigen Behörde oder zumindestens ihr Einvernehmen erforderlich ist, verbietet sich die Annahme, dass für eine Befreiung von einem in einer in Bezug genommenen Vorschrift enthaltenen Verbot für eine bestimmte Maßnahme / Nutzung keine Genehmigung der für den Nationalpark zuständigen Behörde eingeholt werden muss.

32

Ein anderes Ergebnis - keine zusätzliche Befreiung von dem Verbot des § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 NPG neben der Befreiung nach § 40 Abs. 5 LFischG von dem Verbot des § 40 Abs. 4 S. 1 Nr. 1 LFischG erforderlich - ließe sich allenfalls dann rechtfertigen, wenn mit den von der oberen Fischereibehörde erteilten Befreiungen von dem Verbot des § 40 Abs. 4 S. 1 Nr. 1 LFischG auch der Verbotstatbestand des § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 NPG mit "abgedeckt" würde. Das ist jedoch nicht der Fall. Die genannten Verbotstatbestände unterscheiden sich sowohl von ihrem Inhalt bzw. ihrer Reichweite als auch hinsichtlich ihrer Zielsetzung:

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Nach § 40 Abs. 4 S. 1 Nr. 1 LFischG ist es verboten, Muscheln, die aus Gebieten außerhalb der schleswig-holsteinischen Küstengewässer stammen, in schleswig-holsteinische Gewässer auszubringen. Das können Muscheln sein, die im Nationalpark nicht ihren Lebensraum haben - insoweit wäre zugleich der Verbotstatbestand des § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 NPG betroffen -, ferner solche, die zwar im Nationalpark ihren Lebensraum haben, wie Miesmuscheln der Art Mytilus edulis, die aber nicht aus schleswig-holsteinischen, sondern beispielsweise aus hamburgischen oder niedersächsischen Küstengewässern stammen; insoweit wäre der Verbotstatbestand des § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 NPG nicht gleichzeitig einschlägig. Allerdings ist auch der umgekehrte Fall möglich: Das Aus- bzw. Einbringen von Muscheln in den Nationalpark, die zwar aus schleswig-holsteinischen Küstengewässern stammen, z.B. denen an der Ostseeküste, die aber im Nationalpark nicht ihren Lebensraum haben, ist nach § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 NPG verboten, nach § 40 Abs. 4 S. 1 Nr. 1 LFischG dagegen nicht. Diese Unterschiede bezüglich des Anwendungsbereichs der Verbotstatbestände resultieren aus den unterschiedlichen Zielen und Zwecken, die mit diesen Verboten verfolgt werden und die im vorliegenden Zusammenhang entscheidende Bedeutung gewinnen: Das Verbot des § 40 Abs. 4 S. 1 Nr. 1 LFischG knüpft ausschließlich an die Herkunft der Muscheln aus Gebieten außerhalb der schleswig-holsteinischen Küstengewässer an. Sein Zweck ist es, das Einschleppen von seuchenartigen Krankheiten und Muschelschädlingen zu verhindern. Das ist ein (fischerei-) wirtschaftlicher Zweck. Es geht darum, die Muschelwirtschaft vor den - wirtschaftlichen - Schäden durch eingeschleppte Seuchen und Muschelschädlinge zu bewahren, nicht dagegen um die Wahrung der Belange des Artenschutzes, d.h. den Schutz der im Nationalpark natürlich vorkommenden Tierarten vor der "Konkurrenz" durch dort nicht heimische Arten und vor der Störung und der Veränderung ihrer natürlichen Lebensstätten und Lebensbedingungen (vgl. § 2 Abs. 1 NPG, § 39 Abs. 1 BNatSchG vom 25.03.2002 = a.F., § 37 Abs. 1 BNatSchG n.F., Art. 22 Buchstabe b der FFH-Richtlinie). Dementsprechend kann und darf die Ablehnung eines Antrags auf Befreiung von dem Verbot des § 40 Abs. 4 S. 1 Nr. 1 LFischG nicht darauf gestützt werden, dass durch das Aus- bzw. Einbringen importierter Muscheln artenschutzrechtliche Belange beeinträchtigt werden, sondern - tragend - nur darauf, dass dadurch seuchenartige Krankheiten und Muschelschädlinge eingeschleppt werden und wirtschaftliche Schäden entstehen könnten. Dass das Verbot des § 40 Abs. 4 S. 1 Nr. 1 LFischG einen ausschließlich (fischerei-) wirtschaftlichen Zweck und Hintergrund hat, wird auch daraus deutlich, dass für die Befreiung von diesem Verbot auf der Grundlage des § 40 Abs. 5 LFischG - anders als bei der Erteilung der Erlaubnis nach § 40 Abs. 1 S. 1 LFischG (vgl. Abs. 1 S. 4) - nicht das Einvernehmen der obersten oder anderer Naturschutzbehörden vorgeschrieben ist. Das alles ist beim Verbot des § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 NPG anders: Es dient, indem es an die Gebiets- bzw. Standortfremdheit der eingebrachten bzw. ausgesetzten Arten anknüpft und diese zum maßgebenden Kriterium macht, ausschließlich dem Artenschutz. Das bedeutet (zusammengefasst), dass - abgesehen davon, dass für die Befreiungen verschiedene Behörden zuständig sind - eine Befreiung nach § 40 Abs. 5 LFischG auch der Sache nach nicht gleichzeitig eine Befreiung von dem Verbot des § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 NPG beinhalten kann.

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Das Erfordernis, eine zusätzliche Befreiung von dem Verbot des § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 NPG - unter Beteiligung des Klägers - einzuholen, entfällt auch nicht aufgrund der sog. Unberührtheitsklausel des § 39 Abs. 2 S. 1 BNatSchG a.F. / 37 Abs. 2 S. 1 BNatSchG n.F.. Danach bleiben u.a. die Vorschriften des Fischereirechts von den in dem betreffenden Abschnitt bzw. Kapitel des Bundesnaturschutzgesetzes und den aufgrund dieses Abschnitts bzw. Kapitels erlassenen Rechtsvorschriften unberührt. Diese Klausel greift hier schon deshalb nicht ein, weil sie nach dem eindeutigen Wortlaut der genannten Bestimmungen nur das Verhältnis des Fischereirechts zu den bundesrechtlichen artenschutzrechtlichen Bestimmungen des Abschnitts / Kapitels 5 des Bundesnaturschutzgesetzes und den aufgrund dieses Abschnitts / Kapitels erlassenen artenschutzrechtlichen Rechtsvorschriften regelt (Gellermann, in: Landmann / Rohmer, Umweltrecht, Komm., § 37 BNatSchG, Rn. 11). Zu letzteren gehört § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 NPG nicht. Selbst wenn man das aber anders sähe, änderte das im Ergebnis nichts: Nach § 39 Abs. 2 S. 2 BNatSchG a.F. / 37 Abs. 2 S. 2 BNatSchG n.F. verbleibt es - vorbehaltlich der Rechte der Fischereiberechtigten - bei der Anwendung der Vorschriften des Abschnitts / Kapitels 5 des Bundesnaturschutzgesetzes und den auf deren Grundlage erlassenen artenschutzrechtlichen Vorschriften, soweit die fischereirechtlichen Vorschriften keine besonderen Bestimmungen zum Schutz der betreffenden Arten enthalten. Diese Voraussetzungen liegen hier vor: Das Landesfischereigesetz enthält - wie dargelegt - keine Bestimmungen, die es ermöglichten oder forderten, bei der Erteilung einer Befreiung von dem Verbot des § 40 Abs. 4 S. 1 Nr. 1 LFischG artenschutzrechtliche Belange zu berücksichtigen. Es gibt auch keine Rechte der Fischereiberechtigten, die den artenschutzrechtlichen Belangen vorgingen. Solche Rechte können die Beigeladenen insbesondere nicht aus den erteilten Befreiungen nach § 40 Abs. 5 LFischG herleiten. Ob die derzeit noch aktuelle Befreiung vom 31. August 2011 zu Recht erteilt worden ist und ob diese ausreicht oder es daneben noch einer Befreiung von dem Verbot des § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 NPG bedarf, ist ja gerade Gegenstand des beim Verwaltungsgericht unter dem Az. 7 A 114/10 anhängigen und dieses Verfahrens. Schließlich ist auf die Vorschriften der §§ 41 Abs. 2 S. 2, S. 4 Nr. 3 BNatSchG a.F., § 34 Abs. 4 S. 1, S. 3 Nr. 2 und Nr. 3 LNatSchG a.F., § 40 Abs. 4 S. 1, S. 4 Nr. 3 BNatSchG n.F. hinzuweisen. Auch danach ist das Aussetzen, Ausbringen oder Ansiedeln von Pflanzen und Tieren gebietsfremder Arten ohne Genehmigung der zuständigen Naturschutzbehörde verboten. Das gilt ausdrücklich auch für das Ansiedeln solcher Tiere, die dem Jagd- oder Fischereirecht unterliegen.

35

Entgegen der Auffassung des Beklagten, der Beigeladenen und des Verwaltungsgerichts verstößt das Aus- bzw. Einbringen aus britischen und irischen Küstengewässern importierter Miesmuscheln gegen das Verbot des § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 NPG. Es werden damit (auch) Tiere solcher Arten ausgesetzt, die im Nationalpark nicht ihren Lebensraum haben.

36

Dabei kann dahingestellt bleiben, ob die aus britischen und irischen Küstengewässern stammende Miesmuschel der Art Mytilus edulis - nur das Einbringen dieser Art wird mit den erteilten Befreiungen nach § 40 Abs. 5 LFischG gestattet - eine abgrenzbare Teilpopulation dieser Art und damit eine eigene Art ist, die im Nationalpark nicht ihren Lebensraum hat; denn selbst wenn man das verneinte, wäre der Verbotstatbestand des § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 NPG erfüllt. Mit den Miesmuscheln (der Art Mytilus edulis) gelangen andere Arten in die Gewässer des Nationalparks, die dort nicht ihren Lebensraum haben. Das ist auch als "Aussetzen" im Sinne dieses Verbotstatbestands zu werten.

37

Dass mit den "einige tausend Tonnen" (Verträglichkeitsprüfung vom 28. Dezember 2006, Ziff. 3.1; nach den Angaben der Beigeladenen in der mündlichen Verhandlung ca. 2000 bis 3000 t/Jahr) aus britischen und irischen Küstengewässern importierter Miesmuscheln auch sog. Begleitarten in das schleswig-holsteinische Wattenmeer und damit in den Nationalpark gelangen, ist unbestritten. Begleitarten sind Tiere und Pflanzen bzw. deren Fortpflanzungsstadien, die entweder lose zwischen den Muscheln liegen, in dem mit ihnen entnommenen Sediment, oder an diesen haften oder sich in der (Muschel-) Mantelhülle befinden oder sich als Parasiten in das Muschelgewebe "eingenistet" haben (Verträglichkeitsprüfung vom 28. Dezember 2006, Ziff. 3.3.1). Es gibt keine Methode - auch nicht die angeordnete zweistündige Bedeckung der Muscheln mit Süßwasser -, mit der gänzlich ausgeschlossen werden kann, dass die Begleitarten mit in das Wattenmeer und damit in den Nationalpark gelangen (Verträglichkeitsprüfung vom 28. Dezember 2006, Ziff. 3.1). Darunter sind auch Arten, die im Nationalpark (bisher) nicht ihren Lebensraum haben. Das steht aufgrund der Verträglichkeitsprüfungen und der Ergebnisse der Untersuchungen der Monitoring-Stichproben fest. In der im Tatbestand zitierten "Zusammenfassung" der Verträglichkeitsprüfung vom 24. Juni 2008 heißt es, dass in den Monitoring-Stichproben des Jahres 2007 von den 2 bis 6 exotischen Arten, bei denen die Muschelimporte einen wesentlichen anthropogenen Vektor darstellten und bei denen eine etwas erhöhte Wahrscheinlichkeit bestehe, dass sie sich in der Deutschen Bucht - und damit im Nationalpark - etablieren würden, eine dieser Arten (Tricellaria inopinata) enthalten gewesen sei. In Ziff. 4.4.2 derselben Verträglichkeitsprüfung wird - nicht völlig übereinstimmend mit der eben wiedergegebenen "Zusammenfassung" - als Ergebnis des begleitenden Monitorings berichtet, dass in 7 Miesmuschelproben insgesamt 4 Arten festgestellt worden seien, die im schleswig-holsteinischen Wattenmeer bisher noch nicht nachgewiesen seien. Es handele sich um das Moostierchen Tricellaria inopinata (3 Einbringungsvorgänge), das Moostierchen Anguinella palmata (4 Einbringungsvorgänge), die Muschel Mercenaria mercenaria (Einzelfund) und die Assel Ciatura carinata (2 Einbringungsvorgänge). 2 dieser Arten (Tricellaria und Mercenaria) seien aufgrund der Verhältnisse in Großbritannien und Irland erwartet worden, die beiden anderen Arten würden nicht als exotische, sondern als der nordostatlantischen Artengemeinschaft zugehörig eingeordnet (vgl. die Untersuchungen von Lackschewitz zur Artenzusammensetzung von Proben, die aus aus dem Mündungsgebiet der Themse stammenden Miesmuschellieferungen gezogen wurden, vom 28. Februar 2007 und 19. April 2007 [Bl. 121 ff. und 151 ff. der Verwaltungsvorgänge]). Wenn die - auf beachtliche Gründe gestützte - Kritik des Klägers an der Art und Weise der Durchführung des begleitenden Monitorings und der dabei erfolgten "Artdiagnose" nur teilweise berechtigt wäre (vgl. die "Naturschutzfachliche Stellungnahme zu den Schriftsätzen von MLUR vom 26.05.2008 und der Beigeladenen vom 27.06.2008" = Anlage K 8, S. 6 ff.), würde sich die Zahl der mit den importierten Miesmuscheln in den Nationalpark gelangten, dort bisher nicht nachgewiesenen (Begleit-) Arten aller Voraussicht nach noch - über die 4 positiv festgestellten hinaus - erhöhen.

38

Angesichts dessen, dass somit festgestellt worden ist, dass mit den importierten Miesmuscheln - mindestens - 2 exotische Arten in das nicht zu ihrem Lebensraum gehörende schleswig-holsteinische Wattenmeer und damit in den Nationalpark gelangt sind (von denen eine - wie dargelegt - sogar das Potential hat, sich dort dauerhaft anzusiedeln), bedarf es keiner Auseinandersetzung mit den Versuchen des Beklagten und der Beigeladenen, über den Begriff der nordostatlantischen Artengemeinschaft die Zahl der im Nationalpark heimischen Arten auszudehnen - auf solche, die, wie z.B. das Moostierchen Anguinella palmata und die Assel Ciatura carinata, im Nationalpark bisher nicht nachgewiesen sind, aber zu dieser Artengemeinschaft gehören sollen. Trotzdem sei dazu - weil nicht entscheidungserheblich: in der gebotenen Kürze - Folgendes angemerkt: Die Artengemeinschaft der nordostatlantischen Küstengewässer, zu denen die Atlantikküste Frankreichs, die Küsten Großbritanniens, Irlands, der Färöer Inseln, aller Nordseeanlieger und des Baltikums gezählt werden und zu der alle Arten gehören sollen, für die kein anthropogener Eintrag in diese Gewässer bekannt ist (Verträglichkeitsprüfung vom 24. Juni 2008, Ziff. 3.2.3.2.1), gibt es nach Auffassung des Senats (derzeit noch) nicht. Zur Begründung verweist er auf die schon erwähnte "Naturschutzfachliche Stellungnahme zu den Schriftsätzen von MLUR vom 26.05.2008 und der Beigeladenen vom 27.06.2008" (Anlage K 8, S. 2 f.) sowie die "Naturschutzfachliche Stellungnahme zu der Genehmigung des Imports von Miesmuscheln in den Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer bis zum 30. Juni 2011" (Anlage zur Widerspruchsbegründung, Ziff. 1, S. 1 bis 4). Die darin enthaltenen Ausführungen sind überzeugend, der Senat macht sie sich daher zu Eigen. Vergeblich berufen sich der Beklagte und die Beigeladenen auch auf die Begriffsbestimmungen der Verordnung (EG) Nr. 708/2007 vom 11. Juni 2007 über die Verwendung nicht heimischer und gebietsfremder Arten in der Aquakultur. Zum einen ist diese Verordnung auf den hier zu beurteilenden - anderen - Sachverhalt nicht anwendbar. Zum anderen - und das vor allem - ist nicht entscheidend, dass nach dieser Verordnung für die Klassifizierung einer Art als heimisch bereits ausreicht, wenn der Bereich, in dem sie ausgebracht wird, zu ihrem "potentiell" natürlichen Verbreitungsgebiet gehört und sie auch nicht aus biogeographischen Gründen gehindert ist, dieses Gebiet zu erreichen (vgl. Art. 3 Ziff. 6 Buchstabe a und Ziff. 7). Vielmehr ist maßgeblich, wie die hier in Rede stehende Schutzbestimmung des § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 NPG diese Begriffe definiert. Danach ist für die Klassifizierung einer Art als standortfremd oder heimisch darauf abzustellen, ob sie im Nationalpark ihren Lebensraum "hat" oder nicht, nicht dagegen darauf, ob sie ihn dort "haben könnte" oder "nicht haben könnte". Auch nach der Begriffsbestimmung im Bundesnaturschutzgesetz (§ 10 Abs. 2 Nr. 6 a.F., 7 Abs. 2 Nr. 8 n.F.) ist für die Klassifizierung maßgebend, ob die Art in dem betreffenden Gebiet in freier Natur vorkommt oder nicht, und nicht, ob sie dort vorkommen oder nicht vorkommen könnte. Im Übrigen spricht Erhebliches dafür, dass sich auch bei Zugrundelegung der Begriffsbestimmungen der Verordnung (EG) Nr. 708/2007 kein anderes Ergebnis ergäbe. Der Senat nimmt insoweit Bezug auf die Ausführungen in der "Vorläufigen naturschutzfachlichen Auswertung des begleitenden Monitorings zum Saatmuschelimport 2007" vom 22. Januar 2008 (durch die Nationalparkbehörde). Dort heißt es auf S. 3:

39

"… Da das europäische Wattenmeer eine gut abgrenzbare biogeographische Einheit ist, deren Lebensgemeinschaft sich von anderen biogeographischen Einheiten unterscheidet, ist dies die Gebietseinheit, die für eine Bewertung zugrunde gelegt werden kann. Arten, die im Wattenmeer nicht vorkommen, haben hier nicht ihren natürlichen Lebensbereich und unter den gegenwärtigen Bedingungen auch nicht ihr potentielles Verbreitungsgebiet, da das Wattenmeer ein offenes System ist. Wäre ein natürlicher Übertragungsvektor vorhanden (z.B. Meeresströmungen für pelagische Larvalstadien) und wären die Standortbedingungen geeignet, wären die Arten aus anderen Gebieten auch im Wattenmeer vorhanden. Arten, die im Wattenmeer nicht vorkommen, sind demnach hier auch nicht heimisch …"

40

Angemerkt sei ferner, dass der Senat davon ausgeht, dass mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit mit den Muschelimporten auch die sog. Mittelmeermiesmuschel (Mytilus galloprovincialis), die im Verhältnis zur Nordseemiesmuschel (Mytilus edulis) nach der Begriffsbestimmung in § 10 Abs. 2 Nr. 3 BNatSchG a.F. / 7 Abs. 2 Nr. 3 BNatSchG n.F. eine eigene Art ist, in den Nationalpark gelangt. Sie ist bisher dort nicht nachgewiesen und hat damit dort nicht ihren Lebensraum. Ihre Einordnung durch die Fischereibehörden als nicht standortfremd beruht auf der Prämisse, dass es eine nordostatlantische Artengemeinschaft gibt und sie zu dieser gehört (vgl. den Vermerk vom 16.04.2008 über das Arbeitsgespräch der Abteilungen 2 und 4 des MLUR zu den Anträgen auf Muschelimporte ab 01.07.2008, S. 3), eine Prämisse, die der Senat - wie dargelegt - nicht teilt. Davon, dass die Mittelmeermiesmuschel mit den Muschelimporten in den Nationalpark gelangt, ist deshalb auszugehen, weil es in britischen, vor allem aber in irischen Küstengewässern, also den Herkunftsgebieten der Muschelimporte, erhebliche Bestände der Mittelmeermiesmuschel und von fertilen, d.h. fortpflanzungsfähigen Miesmuschelhybriden gibt. Zur weiteren Begründung verweist der Senat auf den in den Verwaltungsvorgängen befindlichen Aktenvermerk über den "Import von Miesmuscheln aus irischen und britischen Gewässern in den Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer" (Stand: 13.07.2007) und die "Naturschutzfachliche Stellungnahme zu der Genehmigung des Imports von Miesmuscheln in den Nationalpark Schleswig-Holsteinisches Wattenmeer bis zum 30. Juni 2011" (Anlage zur Widerspruchsbegründung) sowie die darin zitierten Quellen. Der in dem Aktenvermerk enthaltene Hinweis auf die Widersprüchlichkeit zweier Studien ändert nichts an dem grundsätzlichen Befund, dass in britischen und irischen Küstengewässern die Mittelmeermiesmuschel und Hybridformen nicht nur vereinzelt vorkommen: Die "total" unterschiedlichen Ergebnisse - einerseits: Mittelmeermiesmuscheln und Hybridformen dominieren, andererseits: praktisch keine Mittelmeermiesmuscheln festgestellt - betrafen nach ergänzenden Recherchen lediglich eine Probestelle (bei Wexford / Irland), bei zwei anderen identischen Probestellen gab es dagegen nur geringfügige Unterschiede (S. 2). Als Fazit zitiert der Verfasser des Vermerks dementsprechend einen der Begutachter der Proben mit der Aussage, dass - wenn man Muscheln aus Irland importiere - klar sei, dass man höchstwahrscheinlich auch einige Mytilus galloprovincialis mit "hereinnehmen" werde (S. 2). Auch die Biologin (Dr. …), die im Rahmen des begleitenden Monitoring Proben aus englischen Saatmuschellieferungen untersucht hat, schließt es aufgrund des Vorkommens der Mytilus galloprovincialis in englischen Küstengewässern nicht aus, dass diese Art in das schleswig-holsteinische Wattenmeer eingetragen werden könnte (Bericht vom 28.02. 2007, S. 7 u.). Dass sie sich so vorsichtig und zurückhaltend ausdrückt, beruht - wohl (nur) - darauf, dass sie die genetischen Untersuchungen, mit denen sie das Vorhandensein bzw. Nicht-Vorhandensein dieser Art sicher hätte feststellen können, nicht durchgeführt hat. Dazu hatte sie auch keinen Auftrag. Weitere Proben sind gleichfalls nicht darauf untersucht worden, ob sie Exemplare der Mytilus galloprovincialis enthielten. Auch der neueste auf der Grundlage des § 40 Abs. 5 LFischG erteilte Befreiungsbescheid vom 31. August 2011 schreibt eine solche Untersuchung nicht vor. Offenbar nehmen es die Fischereibehörden aufgrund dessen, dass sie die Mytilus galloprovincialis der nordostatlantischen Artengemeinschaft zurechnen und sie sie daher - nach Auffassung des Senats zu Unrecht - als eine Art einordnen, die im Nationalpark ihren Lebensraum hat, bewusst in Kauf, dass sie mit den Muschelimporten dorthin gelangt.

41

Die Art und Weise, wie die 2 festgestellten exotischen Begleitarten (und die mindestens 2 weiteren nicht exotischen Begleitarten und höchstwahrscheinlich auch die Mytilus galloprovincialis, die - wenn man davon ausgeht, dass es die nordostatlantische Artengemeinschaft nicht gibt - im Nationalpark ebenfalls nicht ihren Lebensraum haben) in den Nationalpark gelangt sind und gelangen - zusammen mit den importierten Miesmuscheln der Art Mytilus edulis -, ist "Aussetzen" im Sinne des § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 NPG. Die vom Beklagten, den Beigeladenen und dem Verwaltungsgericht unter Berufung auf das Urteil des EuGH vom 04. Dezember 2008 - C 249/07 - und Art. 3 Ziff. 10 der Verordnung (EG) Nr. 708/2007 vertretene Auffassung, unter den Begriff des "Aussetzens" falle nur das absichtliche, zielgerichtete Aus- bzw. Einbringen von Arten, hier also das Aus- bzw. Einbringen der aus britischen und irischen Küstengewässern importierten Miesmuscheln der Art Mytilus edulis, nicht dagegen das Einbringen von Begleitarten (oder Miesmuscheln der Art Mytilus galloprovincialis), überzeugt nicht. Zwar erklärt der EuGH in diesem Urteil, in dem es um die Auslegung des Begriffs der "absichtlichen Ansiedlung" nicht heimischer Arten im Sinne des Art. 22 Buchstabe b der FFH-Richtlinie geht, seine Rechtsprechung zur Auslegung des Begriffs der "absichtlichen Tötung" im Sinne des Art. 12 Abs. 1 Buchstabe a der FFH-Richtlinie nicht für übertragbar. Nach dieser Rechtsprechung reicht es für die Verwirklichung des Merkmals "Absicht" bereits aus, wenn der Handelnde die Tötung eines Exemplars einer geschützten Tierart in Kauf nimmt. Das soll für das absichtliche Ansiedeln nicht heimischer Arten im Sinne des Art. 22 Buchstabe b der FFH-Richtlinie nicht gleichermaßen gelten. Wenn sich bei der Umsetzung nicht standort- bzw. nicht gebietsfremder Muscheln lediglich das - bekannte - Risiko verwirklicht, dass z.B. an den Muscheln haftende Exoten, also nicht heimische Arten, an den betreffenden Orten eingebracht werden, soll das kein absichtliches Ansiedeln im Sinne des Art. 22 Buchstabe b der FFH-Richtlinie sein (Rn. 34 bis 37 des UA). Dieser - letztere - Rechtssatz ist jedoch wiederum auf den vorliegenden Fall nicht übertragbar. Zum einen ist der Begriff des "Aussetzens" im Sinne des § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 NPG nicht identisch mit dem Begriff der "absichtlichen Ansiedlung" im Sinne des Art. 22 Buchstabe b der FFH-Richtlinie: In § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 NPG fehlt bereits der Zusatz "absichtlich". Außerdem wird mit "Ansiedlung" - auch schon ohne, aber erst recht mit dem Zusatz "absichtlich" - das planmäßige menschliche Vorgehen zum Aus- und Einbringen einer Art mit dem Ziel bezeichnet, dieser Art am betreffenden Ort eine neue Lebensstätte zu schaffen (Meßerschmidt, Bundesnaturschutzrecht, Komm., § 41 BNatSchG, Rn. 24; Lorz/Müller/Stöckel, Naturschutzrecht, Komm., 2. Aufl. 2003, § 41 BNatSchG, Rn. 20; Gassner/Bendomir-Kahlo/Schmidt-Räntsch, Komm. zum BNatSchG, 2. Aufl. 2003, § 41 Rn. 13). Diese Zielrichtung beinhaltet der Begriff "Aussetzen" nicht. Ein "Aussetzen" ist bereits gegeben, wenn eine Art in die Natur "entlassen" und dann sich selbst überlassen wird (Gassner u.a., a.a.O., 1. Aufl. 1996, § 20 d Rn. 9). Zum anderen unterscheidet sich der Fall des EuGH in tatsächlicher Hinsicht - entscheidend - von dem vorliegenden: Das Risiko, dass mit den umgesetzten Muscheln auch exotische Begleitarten eingebracht werden könnten, war im Fall des EuGH zwar bekannt (Rn. 37). Wie hoch dieses Risiko war, hatte der in jenem Fall beklagte Staat, die Niederlande, jedoch nicht nachgewiesen. Die von ihm vorgelegte Untersuchung reichte dem EuGH nicht aus, um "die sichere Bestimmung des Vorhandenseins oder des Umfangs des Risikos" einzuschätzen (Rn. 51). Diese Ausführungen lassen den Schluss zu, dass der EuGH - wenn die Niederlande durch geeignete Untersuchungen bzw. Gutachten nachgewiesen hätten, dass die Gefahr, dass sich das Risiko verwirklicht, sehr hoch ist - wohl ein absichtliches Ansiedeln bzw. - diesen Begriff verwendet der EuGH - eine absichtliche Einführung im Sinne eines In-Kauf-Nehmens der an den Muscheln haftenden Begleitarten angenommen hätte. Im vorliegenden Fall steht dagegen aufgrund der Untersuchungen der Stichproben im Rahmen des begleitenden Monitorings und der u.a. darauf gestützten Verträglichkeitsprüfungen fest, dass sich das Risiko, dass mit den importierten Miesmuscheln standortfremde Begleitarten in das Wattenmeer und damit in den Nationalpark gelangen, bereits verwirklicht hatte und dass somit auch das Risiko, dass das erneut geschieht, außerordentlich hoch ist. Diese dargelegten Unterschiede zum Urteil des EuGH und auch zur Definition des Begriffs der "Einführung" in Art. 3 Ziff. 10 der Verordnung (EG) Nr. 708/2007 (als das absichtliche Verbringen einer nicht heimischen Art in ein Milieu außerhalb ihres natürlichen Lebensbereichs) rechtfertigen es, im Falle des § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 NPG den Tatbestand des "Aussetzens" bereits dann als erfüllt anzusehen, wenn sich die handelnden Personen beim Einbringen der aus britischen und irischen Küstengewässern importierten Miesmuscheln des - hohen - Risikos bewusst sind, dass damit auch standortfremde Begleitarten (oder auch Miesmuscheln der Art Mytilus galloprovincialis) in den Nationalpark gelangen, sie sich aber - um anderer Ziele Willen - damit abfinden bzw. das in Kauf nehmen. Dass die Beigeladenen beim Einbringen der importierten Miesmuscheln mit diesem bedingten Vorsatz, dem sog. dolus eventualis (vgl. dazu Lackner, Komm. zum StGB, 19. Aufl. § 15 Rn. 23 f.), spätestens seit dem Zeitpunkt handeln, seit dem sie die Ergebnisse des begleitenden Monitorings kennen, ist nicht zweifelhaft. Mit dieser Interpretation des Begriffs des "Aussetzens" befindet sich der Senat in Übereinstimmung mit der Interpretation des - oben erwähnten - Tötungstatbestands aus Art. 12 Abs. 1 Buchstabe a der FFH-Richtlinie / § 42 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG a.F. / 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG n.F. durch das Bundesverwaltungsgericht: Dieses bejaht dessen - vorsätzliche - Verwirklichung z.B. durch eine Straßenbaumaßnahme dann, wenn sich dadurch das Tötungsrisiko für die betroffenen geschützten Tierarten in signifikanter Weise erhöht (u.a. Urt. v. 09.07.2008 - 9 A 14.07 - BVerwGE 131, 274 ff., Rn. 91). Auch durch das Einbringen aus britischen und irischen Küstengewässern importierter Miesmuscheln erhöht sich - wie dargelegt - das Risiko, dass Arten in den Nationalpark gelangen, die dort nicht ihren Lebensraum haben, in signifikanter Weise. Abschließend sei zu diesem Komplex angemerkt, dass es für die Erfüllung des Verbotstatbestands des § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 NPG keine Rolle spielt, ob die in den im Rahmen des Monitorings gezogenen Stichproben festgestellten standortfremden Arten ein invasives Verhalten zeigen oder ob negative Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit oder auf die im Nationalpark erlaubten wirtschaftlichen Betätigungen durch sie zu erwarten sind.

42

Nach allem steht fest, dass es für das Aus- bzw. Einbringen aus britischen und irischen Küstengewässern importierter Miesmuscheln in den Nationalpark neben der Befreiung nach § 40 Abs. 5 LFischG zusätzlich einer Befreiung von dem Verbot des § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 NPG bedarf und das Mitwirkungs- bzw. Beteiligungsrecht des Klägers dadurch verletzt worden ist, dass dieses Befreiungsverfahren nicht durchgeführt worden ist. Angesichts dessen kann es dahingestellt bleiben, ob Mitwirkungs- bzw. Beteiligungsrechte des Klägers auch deshalb verletzt sind, weil das - nach seiner Auffassung zusätzlich erforderliche - "Abweichungsverfahren" nach § 30 Abs. 4 LNatSchG a.F. / 34 Abs. 3 BNatSchG n.F., an dem er zu beteiligen gewesen wäre (§ 59 Nr. 6 LNatSchG a.F., § 40 Abs. 2 LNatSchG n.F.), nicht durchgeführt worden ist.

43

Schließlich sind auch die vom Beklagten geäußerten Bedenken an seiner Passivlegitimation nicht berechtigt: Er war und ist als für den Nationalpark zuständige untere Naturschutzbehörde im Sinne des § 50 Abs. 1 Nr. 3 LNatSchG a.F. / § 2 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 LNatSchG n.F. zuständig für das Einschreiten gegen Maßnahmen und Nutzungen, die - wie hier das Einbringen aus britischen und irischen Küstengewässern importierter Miesmuscheln - gegen Bestimmungen zum Schutz des Nationalparks, hier das Verbot des § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 2, verstoßen (§ 7 Abs. 2 NPG i.V.m. § 52 Abs. 1 LNatSchG a.F. / § 2 Abs. 1 S. 2, Abs. 5 S. 1 LNatSchG n.F. unter Verweis auf § 3 Abs. 2 BNatSchG n.F.).

44

Die Kosten des Verfahrens haben der Beklagte und die Beigeladenen - anteilig - zu tragen, weil sie unterlegen sind (§ 154 Abs. 1 VwGO). Die Zulässigkeit, auch die Beigeladenen mit einem Teil der Verfahrenskosten zu belasten, ergibt sich aus § 154 Abs. 3 VwGO: Die Beigeladenen haben - wie dafür vorausgesetzt - Anträge gestellt.

45

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

46

Gründe, die die Zulassung der Revision rechtfertigten (vgl. § 132 Abs. 2 VwGO), liegen nicht vor.


(1) Gegen Endurteile einschließlich der Teilurteile nach § 110 und gegen Zwischenurteile nach den §§ 109 und 111 steht den Beteiligten die Berufung zu, wenn sie von dem Verwaltungsgericht oder dem Oberverwaltungsgericht zugelassen wird.

(2) Die Berufung ist nur zuzulassen,

1.
wenn ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,
2.
wenn die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,
3.
wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
4.
wenn das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
5.
wenn ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

Der Schuldner ist verpflichtet, die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern.

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Kosten sind die Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) und die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten einschließlich der Kosten des Vorverfahrens.

(2) Die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwalts oder eines Rechtsbeistands, in den in § 67 Absatz 2 Satz 2 Nummer 3 und 3a genannten Angelegenheiten auch einer der dort genannten Personen, sind stets erstattungsfähig. Soweit ein Vorverfahren geschwebt hat, sind Gebühren und Auslagen erstattungsfähig, wenn das Gericht die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig erklärt. Juristische Personen des öffentlichen Rechts und Behörden können an Stelle ihrer tatsächlichen notwendigen Aufwendungen für Post- und Telekommunikationsdienstleistungen den in Nummer 7002 der Anlage 1 zum Rechtsanwaltsvergütungsgesetz bestimmten Höchstsatz der Pauschale fordern.

(3) Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen sind nur erstattungsfähig, wenn sie das Gericht aus Billigkeit der unterliegenden Partei oder der Staatskasse auferlegt.

(1) In Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit ist, soweit nichts anderes bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen.

(2) Bietet der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, ist ein Streitwert von 5 000 Euro anzunehmen.

(3) Betrifft der Antrag des Klägers eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf bezogenen Verwaltungsakt, ist deren Höhe maßgebend. Hat der Antrag des Klägers offensichtlich absehbare Auswirkungen auf künftige Geldleistungen oder auf noch zu erlassende, auf derartige Geldleistungen bezogene Verwaltungsakte, ist die Höhe des sich aus Satz 1 ergebenden Streitwerts um den Betrag der offensichtlich absehbaren zukünftigen Auswirkungen für den Kläger anzuheben, wobei die Summe das Dreifache des Werts nach Satz 1 nicht übersteigen darf. In Verfahren in Kindergeldangelegenheiten vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit ist § 42 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 3 entsprechend anzuwenden; an die Stelle des dreifachen Jahresbetrags tritt der einfache Jahresbetrag.

(4) In Verfahren

1.
vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit, mit Ausnahme der Verfahren nach § 155 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung und der Verfahren in Kindergeldangelegenheiten, darf der Streitwert nicht unter 1 500 Euro,
2.
vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit und bei Rechtsstreitigkeiten nach dem Krankenhausfinanzierungsgesetz nicht über 2 500 000 Euro,
3.
vor den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit über Ansprüche nach dem Vermögensgesetz nicht über 500 000 Euro und
4.
bei Rechtsstreitigkeiten nach § 36 Absatz 6 Satz 1 des Pflegeberufegesetzes nicht über 1 500 000 Euro
angenommen werden.

(5) Solange in Verfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit der Wert nicht festgesetzt ist und sich der nach den Absätzen 3 und 4 Nummer 1 maßgebende Wert auch nicht unmittelbar aus den gerichtlichen Verfahrensakten ergibt, sind die Gebühren vorläufig nach dem in Absatz 4 Nummer 1 bestimmten Mindestwert zu bemessen.

(6) In Verfahren, die die Begründung, die Umwandlung, das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Beendigung eines besoldeten öffentlich-rechtlichen Dienst- oder Amtsverhältnisses betreffen, ist Streitwert

1.
die Summe der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen, wenn Gegenstand des Verfahrens ein Dienst- oder Amtsverhältnis auf Lebenszeit ist,
2.
im Übrigen die Hälfte der für ein Kalenderjahr zu zahlenden Bezüge mit Ausnahme nicht ruhegehaltsfähiger Zulagen.
Maßgebend für die Berechnung ist das laufende Kalenderjahr. Bezügebestandteile, die vom Familienstand oder von Unterhaltsverpflichtungen abhängig sind, bleiben außer Betracht. Betrifft das Verfahren die Verleihung eines anderen Amts oder den Zeitpunkt einer Versetzung in den Ruhestand, ist Streitwert die Hälfte des sich nach den Sätzen 1 bis 3 ergebenden Betrags.

(7) Ist mit einem in Verfahren nach Absatz 6 verfolgten Klagebegehren ein aus ihm hergeleiteter vermögensrechtlicher Anspruch verbunden, ist nur ein Klagebegehren, und zwar das wertmäßig höhere, maßgebend.

(8) Dem Kläger steht gleich, wer sonst das Verfahren des ersten Rechtszugs beantragt hat.

(1) Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts können vorbehaltlich des § 99 Abs. 2 und des § 133 Abs. 1 dieses Gesetzes sowie des § 17a Abs. 4 Satz 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes nicht mit der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht angefochten werden.

(2) Im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gilt für Entscheidungen des beauftragten oder ersuchten Richters oder des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle § 151 entsprechend.

(1) Gegen den Beschluss, durch den der Wert für die Gerichtsgebühren festgesetzt worden ist (§ 63 Absatz 2), findet die Beschwerde statt, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands 200 Euro übersteigt. Die Beschwerde findet auch statt, wenn sie das Gericht, das die angefochtene Entscheidung erlassen hat, wegen der grundsätzlichen Bedeutung der zur Entscheidung stehenden Frage in dem Beschluss zulässt. Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn sie innerhalb der in § 63 Absatz 3 Satz 2 bestimmten Frist eingelegt wird; ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann sie noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden. Im Fall der formlosen Mitteilung gilt der Beschluss mit dem dritten Tage nach Aufgabe zur Post als bekannt gemacht. § 66 Absatz 3, 4, 5 Satz 1, 2 und 5 sowie Absatz 6 ist entsprechend anzuwenden. Die weitere Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Zustellung der Entscheidung des Beschwerdegerichts einzulegen.

(2) War der Beschwerdeführer ohne sein Verschulden verhindert, die Frist einzuhalten, ist ihm auf Antrag von dem Gericht, das über die Beschwerde zu entscheiden hat, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn er die Beschwerde binnen zwei Wochen nach der Beseitigung des Hindernisses einlegt und die Tatsachen, welche die Wiedereinsetzung begründen, glaubhaft macht. Ein Fehlen des Verschuldens wird vermutet, wenn eine Rechtsbehelfsbelehrung unterblieben oder fehlerhaft ist. Nach Ablauf eines Jahres, von dem Ende der versäumten Frist an gerechnet, kann die Wiedereinsetzung nicht mehr beantragt werden. Gegen die Ablehnung der Wiedereinsetzung findet die Beschwerde statt. Sie ist nur zulässig, wenn sie innerhalb von zwei Wochen eingelegt wird. Die Frist beginnt mit der Zustellung der Entscheidung. § 66 Absatz 3 Satz 1 bis 3, Absatz 5 Satz 1, 2 und 5 sowie Absatz 6 ist entsprechend anzuwenden.

(3) Die Verfahren sind gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.