Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz Beschluss, 02. Juli 2013 - 1 B 10480/13

ECLI:ECLI:DE:OVGRLP:2013:0702.1B10480.13.0A
bei uns veröffentlicht am02.07.2013

Tenor

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Koblenz vom 04. April 2013 wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 11.250,--€ festgesetzt.

Gründe

I.

1

Die Antragstellerin (Eigentümerin des Grundstücks N…Straße ., … K…) wendet sich mit ihrer Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Koblenz vom 13.02.2013 (1 L 247/13.KO). Gegenstand des Rechtsstreits sind Baugenehmigungen für „eine Wohn- und Dienstleistungsanlage für Menschen mit Behinderung“ in der Nachbarschaft zu der Antragstellerin (im Gemeindegebiet St. S...), die unter dem 10.09.2012 zu Gunsten der Beigeladenen seitens der Antragsgegnerin auf der Grundlage eines vereinfachtes Genehmigungsverfahrens gemäß § 66 LBauO erteilt wurden. Grundlage der Baugenehmigung ist der Bebauungsplan der Ortsgemeinde St. S... „Am K... I“, der die Orte St. S... und K… verbindet und auf einer Größe von ca. 0,54 ha ein Allgemeines Wohngebiet (WA) u.a. mit dem Ziel aufweist „… eine selbstbestimmte W…, K… in St. S... anzusiedeln“.

2

Das Verwaltungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung näher ausgeführt, im Rahmen der Prüfung des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens gemäß § 80 Abs. 5 VwGO sei auszuschließen, dass die angefochtenen Baugenehmigungen bauplanungsrechtliche oder sonstige öffentlich-rechtliche Vorschriften verletzten, die dem Schutz des Antragstellers zu dienen bestimmt seien. Die Genehmigungen seien insbesondere nicht wegen eines Verstoßes gegen einen geltend gemachten Gebietserhaltungsanspruch der Antragstellerin oder gegen das bauplanungsrechtliche Gebot der Rücksichtnahme zu beanstanden. Vor dem Hintergrund der Erfolgsaussichten des Antrags in der Hauptsache sei bei der Interessenabwägung nach § 80 Abs. 5 VwGO der vorläufigen Realisierung der Vorzug zu geben.

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Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Antragstellerin. Sie macht insbesondere geltend, dass die der Beigeladenen erteilten Baugenehmigungen rechtswidrig seien, da zwingend zu beachtende und drittschützende Brandschutzvorschriften bereits im Baugenehmigungsverfahren nicht geprüft und in der Folge nicht umgesetzt worden seien. Dies liege bereits daran, dass die erforderlichen neuen Differenzierungen nach dem Landesgesetz über Wohnformen und Teilhabe (LWTG) vom 22.12.2009 (GVBl. 2009, 399) nicht beachtet worden seien. Insbesondere würden mit dem streitgegenständlichen Bauvorhaben der Beigeladenen entgegen deren Selbstverständnis keine selbstorganisierte Wohngemeinschaften i.S.d. § 6 LWTG entstehen. Bereits aus den Bauanträgen werde deutlich, dass nicht nur eine ambulante Wohn- und Betreuungsform im Sinne von § 5 Nr. 2 LWTG, sondern womöglich sogar eine Wohn- und Betreuungsform nach § 4 Abs. 2 Nr. 4 LWTG angestrebt werde, was im Brandschutz ganz andere Voraussetzungen habe und daher bereits im Genehmigungsverfahren zu berücksichtigen sei. Im Baugenehmigungsverfahren sei es auf dieser Grundlage versäumt worden, die Frage des Brandschutzes entsprechend den Anforderungen des zuständigen Ministeriums zu prüfen, da die Antragsgegnerin vor dem Hintergrund der früher gültigen Differenzierung fälschlicherweise erhöhte Brandschutzanforderungen nur für „Heime“ im bisherigen Rechtssinne für erforderlich gehalten habe. Zudem verstoße die Errichtung von derart umfänglichen Wohn- und Pflegegebäuden mit den entsprechenden Serviceeinrichtungen gegen nachbarschützende Regelungen des maßgeblichen Bebauungsplanes und das Gebot der Rücksichtnahme.

II.

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1. Die zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen die der Beigeladenen am 10.09.2012 erteilten Baugenehmigungen zu Recht abgelehnt. Das Vorbringen der Antragstellerin in der Beschwerdebegründung vermag zwar unter Umständen weitere Ermittlungen im Widerspruchs- und Hauptsacheverfahren zum Brandschutz, nicht jedoch die Anordnung des von dem Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 13.02.2013 abgelehnten Suspensiveffekts zu rechtfertigen. Dies ergibt sich aus den nachfolgenden Erwägungen:

5

2. Das Verwaltungsgericht hat bereits die Grundsätze einer Interessenabwägung im Rahmen der nach §§ 80 a Abs. 3, 80 Abs. 5 VwGO zu treffenden Entscheidung dargelegt. Hierauf kann zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen werden. Für die Beschwerdeinstanz gelten diese Maßstäbe entsprechend, wobei die maßgeblichen Aspekte im Rechtsmittelverfahrens zu berücksichtigen sind (§ 146 Abs. 4, Satz 1, 3 und 6 VwGO). Auch im Anwendungsbereich des § 212a BauGB hat das Gericht eine eigene Ermessensentscheidung unter Abwägung der gegenläufigen Interessen und Beachtung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache zu treffen (vgl. Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB § 212a Rn. 39c), auch wenn der Gesetzgeber der sofortigen Vollziehung im Verfahren zunächst den Vorrang einräumt.

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3. Der Bauantrag der Beigeladenen ist im vereinfachten Genehmigungsverfahren nach Maßgabe von § 66 Abs. 1 Nr. 1 LBauO genehmigt worden. Demnach kommt es im vorliegenden Verfahren darauf an, ob bauplanungsrechtliche oder sonstige öffentlich-rechtliche Vorschriften im Sinne des § 66 Abs. 3 Satz 1 LBauO, die – zumindest auch – dem Schutz der Antragstellerin dienen, verletzt sind. Erhebliche Einwände gegen die Anwendbarkeit dieser Bestimmungen – also derjenigen des vereinfachten Genehmigungsverfahrens – wurden nicht vorgetragen bzw. sind im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens nicht ersichtlich geworden („Wohngebäude der Gebäudeklassen 1 bis 3 einschließlich ihrer Nebengebäude und Nebenanlagen“). Etwas anderes ergibt sich auch noch nicht aus § 50 Abs. 1 S. 1 LBauO, wonach für bauliche Anlagen und Räume besonderer Art oder Nutzung im Einzelfall besondere Anforderungen gestellt werden können, was gemäß § 50 Abs. 2 Nr. 6 LBauO für „Krankenhäuser, Entbindungs- und Säuglingsheime, Heime für behinderte und alte Menschen“ gilt und damit ersichtlich noch nicht auf die Terminologie des LWTG angepasst worden ist. Dies ändert jedoch zunächst nichts an der Anwendbarkeit von § 66 Abs. 1 Nr. 1 LBauO bzw. gibt der Antragstellerin noch kein drittschützendes Recht auf Suspendierung der streitgegenständlichen Baugenehmigungen, was im Übrigen auch bei Anwendung der Heimmindestbauverordnung vom 11.05.1983 (BGBl I 1983, 550) der Fall wäre, solange kein Verstoß gegen nachbarschützende Normen dargelegt worden ist. Erweist sich die Anlage jedoch im weiteren Entstehen und der beabsichtigten Nutzung als bauordnungswidrig wegen unzureichendem Brandschutz, ist ihre Nutzung seitens des Antragsgegners zu untersagen. Betrifft dieser Brandschutz auch Interessen der Nachbarn, steht ihnen ein insofern Antragsrecht auf Einschreiten gegen die Bauaufsichtsbehörde zu. Auf die weiteren Ausführungen zum Brandschutz unter 6.) ist an dieser Stelle zunächst zu verweisen.

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4. Bauplanungsrechtlich hat der Senat hat in dem parallel gelagerten Verfahren des Nachbarn der Antragstellerin (Beschluss vom 14.05.2013 – 1 B 10309/13, Wohnhaus N…Straße …) zu der Frage des Gebietserhaltungsanspruchs Folgendes ausgeführt:

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Zunächst kann der Antragsteller nicht mit seinem Vorbringen zur Vereinbarkeit der genehmigten Bauvorhaben mit den Festsetzungen des Bebauungsplanes „Am K... der Ortsgemeinde St. S... durchdringen. Da sein Grundstück nicht innerhalb dieses Bebauungsplangebietes und nicht einmal in derselben Ortsgemeinde liegt, hat er keinen Anspruch auf Wahrung der im Bebauungsplan festgesetzten Gebietsart. Wollte man dies außer Acht lassen, legt die Beschwerde zudem nicht dar, dass tatsächlich ein Verstoß gegen die planungsrechtlichen Festsetzungen des streitgegenständlichen Bebauungsplans vorliegt. Allein die Ausführungen, dass sich die planerischen Vorstellungen der Gemeinde bei Erlass des Bebauungsplans erst aus der Planbegründung ergäben und die Festsetzungen (sachwidrig) zu einem typischen allgemeinen Wohngebiet nicht differierten, sind für die Annahme einer Abweichung von den Festsetzungen des Bebauungsplanes nicht ausreichend.

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Der Senat hält an seiner bisherigen Rechtsprechung fest, dass ein sog. „gebietsübergreifender Gebietserhaltungsanspruch“ nicht anzuerkennen ist. Ein gebietsübergreifender Schutz des Nachbarn vor (behaupteten) gebietsfremden Nutzungen im lediglich angrenzenden Plangebiet besteht unabhängig von konkreten Beeinträchtigungen nach der Rechtsprechung grundsätzlich nicht (vgl. BVerwG, Beschluss vom 18.12.2007, NVwZ 2008, 427; BayVGH, Beschluss vom 01.07.2009, 14 ZB 07.1727 - juris). Allenfalls bei einem erkennbaren Willen des Satzungsgebers, dass Gebietsausweisungen in einem Bebauungsplan auch dem Schutz der jenseits der Gebietsgrenze liegenden benachbarten Bebauung dienen sollen, kann ein solcher gebietsübergreifender Erhaltungsanspruch eingreifen (OVG RP, Urteil vom 14.01.2000, BauR 2000, 527; BayVGH, Beschluss vom 24.03.2009, 14 Cs 08.3017 - juris). Eine solche Konstellation ist aber hier nicht dargelegt oder sonst offensichtlich, so dass an dieser Stelle nicht näher darauf eingegangen werden muss, dass auch das neue Plangebiet ein allgemeines Wohngebiet (WA) ausweist, wenn auch mit der Möglichkeit, eine Einrichtung zum Wohnen und Behandeln behinderter Menschen dort unterzubringen (vgl. OVG NRW, Urteil vom 09.01.1997, 7 A 2175/95). Es ist damit wie bisher davon auszugehen, dass die Eigentümer von betroffenen Grundstücken nur dann die Einhaltung von bauplanungsrechtlichen Festsetzungen verlangen können, wenn sie denselben rechtlichen Bindungen unterworfen sind (vgl. zuletzt BVerwG, Beschluss vom 22.12.2011 - 4 B 32.11). (…)

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Selbst wenn man aber einen gebietsübergreifenden Gebietserhaltungsanspruchs anerkennen wollte, so käme dies grundsätzlich nur bei einer Abweichung von einem dem Gebietstyp des klagenden Nachbarn gleichartigen Baugebiet in Betracht (vgl. Maschke, Der Gebietserhaltungsanspruchs, Diss. 2009, Seite 162ff,167 m.w.N.), was vorliegend im Hinblick auf die genehmigte Wohnnutzung mit einer Wohnanlage für Behinderte gerade nicht der Fall ist, da es sich hier um eine gemäß § 4 Abs. 2 Nr. 3 BauNVO im allgemeinen Wohngebiet grundsätzlich zulässige Einrichtung handelt (vgl. OVG NRW, Beschluss vom 23.12.1985 – 11 B 1911/85, NJW 1986, 3157; VGH BW, Beschluss vom 15.02.2006 – 8 S 2551/05, BauR 2006, 1278).

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Daran hält der Senat fest. Auch hinsichtlich der Frage, ob dem Bebauungsplan nachbarschützende Vorschriften zu entnehmen seien, hat der Senat bereits im Parallelverfahren Stellung bezogen. Der Antragstellerin kann insbesondere nicht gefolgt werden, dass die Gemeinde entgegen der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts mit der Baugebietsfestsetzung den Zweck verfolgt habe, Nachbarn außerhalb des Baugebiets einen Anspruch auf Gebietserhaltung zu geben. Zutreffend hat die Antragstellerin darauf hingewiesen, dass ein derartiger baugebietsübergreifender Gewährleistungsanspruch in aller Regel davon abhängt, ob sich aus der Begründung des Bebauungsplans ein entsprechender Planungswille der Gemeinde entnehmen lasse. Das Verwaltungsgericht hat hierzu ausgeführt, dass sich eine solche Intention aus dem Bebauungsplan gerade nicht begründen lasse. Wörtlich heißt es im Beschluss vom 13.02.2013:

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Im Gegenteil sind die dort formulierten Ziele, „innerhalb der Rheingemeinden St. S... und K… eine homogene, zusammenhängende Bebauung zu realisieren“ und „gleiche städtebauliche Strukturen“ zu ermöglichen ebenso wie das Planungsziel, durch eine Einschränkung der Zahl der Wohnungen „eine verdichtete Bebauung“ zu vermeiden, rein städtebaulicher Art und dienen somit gerade nicht baugebietsübergreifend dem Nachbarschutz

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Dieser Auffassung des Verwaltungsgerichts schließt sich der Senat im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens ausdrücklich an und verweist zur Vermeidung von Wiederholungen auf die weiteren Ausführungen des Beschlusses der Vorinstanz vom 04.04.2013. Insbesondere kann der Aspekt der "Inklusion" des neu erschlossenen Baugebiets mit den Ortsbereichen St. S... und K…einen solchen Drittschutz nicht begründen. Dementsprechend kommt es insofern auf die weiteren Ausführungen der Antragstellerin hinsichtlich der Nichteinhaltung der bauplanungsrechtlichen Vorgaben durch die besondere Gestaltung (Trennung) der Bauanträge – die nach ihrer Auffassung nicht als getrennte Häuser sondern als einheitliches Gesundheitszentrum anzusehen seien – nicht an, so dass weitere Ausführungen entbehrlich sind.

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5. Hinsichtlich des Gebots der Rücksichtnahme hat die Antragstellerin angenommen, dass unzumutbare Belastungen durch die Anlagen entstehen würden. Im vorherigen Verfahren 1 B 10309/13.OVG hat der Senat hierzu ausgeführt:

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„Im Rahmen der Prüfung des Gebots der Rücksichtnahme kann der Antragsteller zunächst durch die Gebäude der Beigeladenen selbst – darauf hat bereits das Verwaltungsgericht hingewiesen – offensichtlich nicht in unzumutbarer Weise beeinträchtigt werden. Zumindest ist eine entsprechende Darlegung nicht erfolgt. Anhaltspunkte für eine unzumutbare Nutzung der baulichen Anlagen legt auch die Beschwerde nicht da. Der von dem Antragsteller für möglich gehaltene 24-Stunden-Betrieb von Pflegediensten bietet hierfür keinen Anhaltspunkt. Zunächst ist die Pflege innerhalb der Räume – selbst wenn sie "rund um die Uhr" erfolgen sollte – für die Beachtung des Gebots der Rücksichtnahme unerheblich. Insoweit allenfalls erhebliche Störungen durch den An- und Abfahrtsverkehr, der durch die Mitarbeiter der die Bewohner der Anlage betreuenden Pflegedienste verursacht wird, können dabei einer gesonderten Betrachtung im Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben. Es ist derzeit auf der Grundlage der Beschwerde nicht ersichtlich, dass ein "worst-case-Szenario" angenommen werden müsste, bei dem der Betrieb der Beigeladenen schon im Eilverfahren als offensichtlich baurechtlich unzulässig anzusehen wäre. Vielmehr ist davon auszugehen, dass eventuelle Anfahrten zur Nachtzeit über die von dem Grundstück des Antragstellers abgeschirmten Parkplätzen erfolgen.“

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Hieran ist auch im streitgegenständlichen Verfahren festzuhalten. Auch die Antragstellerin hat keine durchgreifenden Gründe genannt, die die Suspendierung der streitgegenständlichen Baugenehmigung wegen eines Verstoßes gegen das Gebot der Rücksichtnahme bzw. § 15 BauNVO schon im vorläufigen Rechtsschutzverfahrens rechtfertigen könnten. Die Befürchtung von Lärmeinwirkungen zulasten der Antragstellerin durch die Anlieferung von Lebensmitteln und sonstigen Versorgungsgütern, Transporten mit Rollstuhlfahrern sowie weitere befürchtete Belastungen durch einen häufigen Wechsel der Parkplatznutzung, – etwa durch Kurse für Menschen mit und ohne Behinderung – legen nicht im Ansatz dar, dass die bereits im Parallelverfahren geäußerten Einschätzung des Senats hinsichtlich der zu erwartenden Lärmbelastung zu revidieren sei. Dort wurde bereits darauf hingewiesen, dass eine nähere Überprüfung gegebenenfalls dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben kann und eine Überschreitung der maßgeblichen Immissionswerte schon im Eilverfahren in keiner Weise feststellbar ist, so dass es bei der dort getroffenen Entscheidung zu bleiben hat.

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6. Auch hinsichtlich der übrigen Rügen – insbesondere dem Verstoß gegen brandschutzrechtliche Bestimmungen – bleibt die Beschwerde ohne Erfolg.

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a. Eine Bauaufsichtsbehörde (hier der Antragsgegner) ist allgemein zum Erlass einer beantragten Baugenehmigung verpflichtet, wenn dem Vorhaben keine baurechtlichen oder sonstigen öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen (§ 70 Abs. 1 Satz 1 LBauO). Die danach umfassende Prüfungspflicht der Behörde ist im vereinfachten Genehmigungsverfahren jedoch dahingehend eingeschränkt, dass lediglich die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens sowie dessen Vereinbarkeit mit sonstigen öffentlich-rechtlichen Vorschriften zu kontrollieren ist. Bauordnungsrechtliche Bestimmungen – und damit auch brandschutzrechtliche Fragen – gehören gemäß § 66 Abs. 3 Satz 1 LBauO hierzu nicht (vgl. OVG RP, Urteil vom 22.10.2008 – 8 A 10942/08, ESOVGRP; Jeromin, LBauO Rh-Pf., 2. Aufl. 2012, § 66 Rn. 49; Rundschreiben des Ministeriums der Finanzen vom 03.02.1999, MinBl. S. 90 zu § 66 Abs. 3 LBauO). Die Zurücknahme der präventiven Kontrolle verfolgt den Zweck der Verfahrenserleichterung bei gleichzeitiger Stärkung der Verantwortung des Bauherrn und seiner qualifizierten Beauftragten (vgl. Gesetzentwurf der Landesregierung zur LBauO 1986, LT-Drucks. 10/1344, S. 90; OVG RP Urteil vom 23.10.2002 – 8 A 10994/02, ESOVGRP; Jeromin, a.a.O., § 66 Rn. 57). Der gesetzlichen Einschränkung der präventiven Kontrolle durch die Bauaufsichtsbehörde korrespondiert ein Anspruch auf Erteilung der Genehmigung bei Vorliegen der entsprechend eingeschränkten Voraussetzungen, d.h. der Vereinbarkeit des Bauvorhabens mit den zum gesetzlichen Prüfungsprogramm gehörenden Vorschriften (OVG RP, Urteil vom 17.07.1996 (AS 26, 227 - LS 3 -, 8. Senat) und vom 26.09.1996 (AS 26, 267 [274 f.], 1. Senat).

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b. Die Bauaufsichtsbehörde ist im vereinfachten Genehmigungsverfahren aber in besonderen Konstellationen nicht gehindert, die in dem Verfahren nach § 66 Abs. 3 LBauO beschränkte Feststellungswirkung einer Baugenehmigung um weitere Feststellungen zur Vereinbarkeit des Vorhabens auch mit bauordnungsrechtlichen Vorschriften zu ergänzen (OVG RP, Urteil vom 22.11.2011 - 8 A 10636/11), sie ist hierzu jedoch grundsätzlich im Hinblick auf die Aufteilung der Verantwortungs- und Risikosphären hierzu nicht verpflichtet (Jeromin, LBauO Rh-Pf., 2. Aufl. 2012, § 66 Rn. 55a), ebenso besteht regelmäßig kein Anspruch Dritter auf Erweiterung des Prüfprogramms im vereinfachten Genehmigungsverfahren.

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c. Dieses Prüfprogramm versucht die Antragstellerin mit ihren umfassenden Ausführungen im Rahmen ihrer Beschwerdebegründung in Frage zu stellen, was jedoch zumindest in diesem vorläufigen Rechtsschutzverfahren ohne Erfolg bleiben muss. Die umfangreiche Argumentation der Antragstellerin läuft zusammengefasst darauf hinaus, dass der Antragsgegner bei der Bewilligung des Bauvorhabens zunächst eine ordnungsgemäße Einordnung des Vorhabens gemäß dem Landesgesetz über Wohnformen und Teilhabe (LWTG) vorzunehmen und sodann verbindlich die brandschutztechnischen Anforderungen an Einrichtungen zum Zwecke der Pflege oder Betreuung nach dem Landesgesetz über Wohnformen und Teilhabe (LWTG) gemäß Rundschreiben des Ministeriums der Finanzen vom 16.04.2012 (13214 – 4535) zu berücksichtigen hatte. Dabei habe er bereits die Einordnung fehlerhaft vorgenommen und daher die Brandschutzbestimmungen unzureichend umgesetzt, wodurch schließlich Rechte Dritter bereits in diesem Genehmigungsverfahren verletzt worden seien.

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Abgesehen von der fehlenden Darlegung der Nichtbeachtung von Voraussetzungen des vereinfachten Genehmigungsverfahrens fehlt es jedenfalls an der Darlegung einer Verletzung drittschützender Vorschriften, so dass eine Suspendierung des Bauvorhabens im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nicht in Betracht kommt. Die Feststellungswirkungen der Baugenehmigung im vereinfachten Genehmigungsverfahren sind beschränkt; der Bau wird nur insoweit freigegeben, als gleichzeitig seine öffentlich-rechtliche Zulässigkeit geprüft und bejaht wird (OVG RP, Beschluss vom 18.11.1991 - 8 B 11955/91.OVG; BVerwG, Urteil vom 09. 12 1983, BRS 40 Nr. 176 - S. 392). Danach entfaltet die Genehmigung vom 10.09.2012 zu Lasten der Antragstellerin hinsichtlich eines möglicherweise unzureichenden Brandschutzkonzepts keine Genehmigungswirkung.

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d. Soweit die Antragstellerin in ihrer Beschwerdeschrift (u.a. Seite 12, Nr. 3" Konsequenzen für den Brandschutz") beschreibt, welche Voraussetzung für eine Wohnform nach § 5 LWTG erfüllt sein müssen und was überhaupt die Voraussetzungen für die Anwendung und Abgrenzung der §§ 4 – 6 LWTG sind, ist dies im Rahmen der Baugenehmigung ohne Bedeutung. Insbesondere die Konsequenzen für den Brandschutz aus der Art der künftigen Wohnnutzung wird der Antragsgegner von Amts zu beachten haben, was sich bereits aus dem Rundschreiben des Ministeriums der Finanzen vom 16.04.2012 ergibt. In 2.1.6 dieser Dienstvorschrift ist geregelt, dass der Träger der Einrichtung (§ 7 LWTG) vor Aufnahme der Nutzung im Einvernehmen mit der Brandschutzdienststelle eine Brandschutzordnung für den Betrieb der jeweiligen Nutzungseinheit unter besonderer Berücksichtigung des Pflegebedarfs der Bewohnerinnen und Bewohner sowie der gebäude- und raumspezifischen Besonderheiten zu erstellen hat, sofern es sich um eine Einrichtung im Sinne des § 5 LWTG handelt. In dieser Brandschutzordnung wären auch die Aufgaben der pflegenden oder betreuenden Personen der Wohngruppe für den Gefahrenfall, Brandschutzverhalten in der Wohngruppe und die Maßnahmen, die zur Rettung der Bewohnerinnen und Bewohner erforderlich sind (Räumungskonzept) festzulegen. Ungeachtet der brandschutztechnischen Stellungnahme der Brandschutzdienststelle des Landkreises vom 04.10.2012 (zuletzt eingereicht mit Schriftsatz der Antragstellerin vom 28.06.2013) war eine solche umfassende Brandschutzordnung nicht Gegenstand der Baugenehmigung im vereinfachten Verfahren und damit nicht Gegenstand dieses vorläufigen Rechtsschutzverfahrens. Gleichwohl sei im Hinblick auf die von der Antragstellerin aufgeworfene Problematik „Brandschutz und Drittbezug“ auf Folgendes hingewiesen:

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e. Allgemein ist bei der Frage des Brandschutzes zunächst § 15 LBauO in den Blick zu nehmen. Neben dem Schutz von in dem Gebäude lebenden Menschen vor Gefahren dienen die Anforderungen des Brandschutzes auch der Bewahrung vor Beschädigung von Sachwerten. Nachbarschützenden Charakter haben die Bestimmungen des vorbeugenden Brandschutzes ohne weiteres, soweit sie sich auf die Stellung von Gebäuden und die Einhaltung von Gebäudeabständen beziehen (Jeromin, Kommentar LBauO, § 15 Rn. 35). Weitere drittschützende Vorschriften im Zusammenhang mit den Anforderungen des Brandschutzes ergeben sich aus einzelnen Bestimmungen der §§ 27ff LBauO, wie etwa § 30 LBauO, hinsichtlich der Herstellung und Ausgestaltung von Brandwänden (vgl. OVG RP, Urteil vom 22.09.1989, Az.: 8 A 29/89). Zusammengefasst ist davon auszugehen, dass gesetzliche Vorschriften über den Brandschutz grundsätzlich eine nachbarschützenden Wirkung entfalten können, sofern durch sie die Ausbreitung von Feuer auf die Nachbargebäude vorgebeugt werden soll (vgl. Simon/Busse Bayer. Bauordnung, Kommentar Art. 71 Rn. 274, 279ff).

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Dementsprechend dürfte in einem etwaigen Verfahren gegen die Antragsgegnerin, das allein die künftige Brandschutzkonzeption der Beigeladenen zum Gegenstand hat, die Argumentation zulässig sein, dass die Einordnung der Anlage nach dem LWTG offensichtlich fehlerhaft und daraus resultierend die Brandschutzmaßnahmen – soweit sie nachbarschützende Bezüge aufweisen – unzureichend seien. Zu diesem Bereich zählt auch der weitere Vortrag der Antragstellerin, dass etwa eine Zufahrt entsprechend § 7 Abs. 2 Satz 1 der LBauO – was Gebäude der Gebäudeklasse 4 voraussetzt - geschaffen werden müsse und allgemein weitere Anforderungen für die Feuerwehr nicht ausreichend berücksichtigt seien, was im vorläufigen Rechtsschutzverfahrens keiner weiteren Ausführungen bedarf. Vor diesem Hintergrund scheidet es in diesem Verfahren auch aus, umfassende Ermittlungen und Erörterungen über den Grad der Selbstständigkeit der Bewohner, das Angebot der Dienstleistungen in den Wohnhäusern bzw. Einrichtungen und die Grenzen der Selbstbestimmung im Hinblick auf umfassende ambulante Dienste nach Maßgabe von §§ 4 – 6 LWTG eingehend zu prüfen. Der Verweis auf die Entscheidung des VG Oldenburg, Urteil vom 21.05.2012, 12 A 1136/11) ist daher nicht zielführend. Dabei ist auch darauf hinzuweisen, dass die Beigeladene – vor der Bestandskraft der Baugenehmigung – auch entsprechend der gesetzlichen Regelung des § 212a BauGB von ihrer Baugenehmigung Gebrauch machen kann. Sollte sich im Nachhinein herausstellen, dass die beabsichtigte Nutzung einen von der Genehmigung nicht umfassten Umfang haben sollte bzw. Anforderungen des Brandschutzes nicht erfüllt, fällt dies in die Risikosphäre der Beigeladenen als Investor. Es ist nicht Sache eines benachbarten Eigentümers einen Investor vor unter Umständen finanziell aufwändigen Nachbesserungen einer Baugenehmigung hinsichtlich des Brandschutzes oder anderer bauordnungsrechtlicher Belangen zu schützen.

25

Nach alledem besteht im Rahmen der Interessenabwägung nach § 80 Abs. 5 VwGO sowie der eingeschränkten Prüfung des vorläufigen Rechtsschutzes im Beschwerdeverfahren (§ 146 Abs. 4 VwGO) kein Anspruch der Antragstellerin darauf, die Baugenehmigungen bis zu einer etwaigen Entscheidung in der Hauptsache zu suspendieren.

26

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 und 2 VwGO.

27

Die Streitwertfestsetzung für das Beschwerdeverfahren beruht auf §§ 63 Abs. 2, 53 Abs. 2, 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Ziffern 1.5 und 9.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit vom Juli 2004.

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Tenor Die Klage wird abgewiesen. Die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen tragen der Kläger zu 1) zu 2/3 und der Kläger zu 2) zu 1/3. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollst

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(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a).

(2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur

1.
bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten,
2.
bei unaufschiebbaren Anordnungen und Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten,
3.
in anderen durch Bundesgesetz oder für Landesrecht durch Landesgesetz vorgeschriebenen Fällen, insbesondere für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die Investitionen oder die Schaffung von Arbeitsplätzen betreffen,
3a.
für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die die Zulassung von Vorhaben betreffend Bundesverkehrswege und Mobilfunknetze zum Gegenstand haben und die nicht unter Nummer 3 fallen,
4.
in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, besonders angeordnet wird.
Die Länder können auch bestimmen, daß Rechtsbehelfe keine aufschiebende Wirkung haben, soweit sie sich gegen Maßnahmen richten, die in der Verwaltungsvollstreckung durch die Länder nach Bundesrecht getroffen werden.

(3) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ist das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Einer besonderen Begründung bedarf es nicht, wenn die Behörde bei Gefahr im Verzug, insbesondere bei drohenden Nachteilen für Leben, Gesundheit oder Eigentum vorsorglich eine als solche bezeichnete Notstandsmaßnahme im öffentlichen Interesse trifft.

(4) Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, kann in den Fällen des Absatzes 2 die Vollziehung aussetzen, soweit nicht bundesgesetzlich etwas anderes bestimmt ist. Bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten kann sie die Vollziehung auch gegen Sicherheit aussetzen. Die Aussetzung soll bei öffentlichen Abgaben und Kosten erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.

(5) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 bis 3a ganz oder teilweise anordnen, im Falle des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ganz oder teilweise wiederherstellen. Der Antrag ist schon vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, so kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung kann von der Leistung einer Sicherheit oder von anderen Auflagen abhängig gemacht werden. Sie kann auch befristet werden.

(6) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 ist der Antrag nach Absatz 5 nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn

1.
die Behörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder
2.
eine Vollstreckung droht.

(7) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach Absatz 5 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.

(8) In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.

(1) Gegen die Entscheidungen des Verwaltungsgerichts, des Vorsitzenden oder des Berichterstatters, die nicht Urteile oder Gerichtsbescheide sind, steht den Beteiligten und den sonst von der Entscheidung Betroffenen die Beschwerde an das Oberverwaltungsgericht zu, soweit nicht in diesem Gesetz etwas anderes bestimmt ist.

(2) Prozeßleitende Verfügungen, Aufklärungsanordnungen, Beschlüsse über eine Vertagung oder die Bestimmung einer Frist, Beweisbeschlüsse, Beschlüsse über Ablehnung von Beweisanträgen, über Verbindung und Trennung von Verfahren und Ansprüchen und über die Ablehnung von Gerichtspersonen sowie Beschlüsse über die Ablehnung der Prozesskostenhilfe, wenn das Gericht ausschließlich die persönlichen oder wirtschaftlichen Voraussetzungen der Prozesskostenhilfe verneint, können nicht mit der Beschwerde angefochten werden.

(3) Außerdem ist vorbehaltlich einer gesetzlich vorgesehenen Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision die Beschwerde nicht gegeben in Streitigkeiten über Kosten, Gebühren und Auslagen, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands zweihundert Euro nicht übersteigt.

(4) Die Beschwerde gegen Beschlüsse des Verwaltungsgerichts in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes (§§ 80, 80a und 123) ist innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht bereits mit der Beschwerde vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Sie muss einen bestimmten Antrag enthalten, die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist, und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinander setzen. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, ist die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen. Das Verwaltungsgericht legt die Beschwerde unverzüglich vor; § 148 Abs. 1 findet keine Anwendung. Das Oberverwaltungsgericht prüft nur die dargelegten Gründe.

(5) u. (6) (weggefallen)

(1) Widerspruch und Anfechtungsklage eines Dritten gegen die bauaufsichtliche Zulassung eines Vorhabens haben keine aufschiebende Wirkung.

(2) Widerspruch und Anfechtungsklage gegen die Geltendmachung des Kostenerstattungsbetrags nach § 135a Absatz 3 sowie des Ausgleichsbetrags nach § 154 durch die Gemeinde haben keine aufschiebende Wirkung.

(1) Allgemeine Wohngebiete dienen vorwiegend dem Wohnen.

(2) Zulässig sind

1.
Wohngebäude,
2.
die der Versorgung des Gebiets dienenden Läden, Schank- und Speisewirtschaften sowie nicht störenden Handwerksbetriebe,
3.
Anlagen für kirchliche, kulturelle, soziale, gesundheitliche und sportliche Zwecke.

(3) Ausnahmsweise können zugelassen werden

1.
Betriebe des Beherbergungsgewerbes,
2.
sonstige nicht störende Gewerbebetriebe,
3.
Anlagen für Verwaltungen,
4.
Gartenbaubetriebe,
5.
Tankstellen.

Tenor

Die Beschwerden der Antragsteller gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 24. November 2005 - 13 K 3147/05 - werden zurückgewiesen.

Die Antragsteller 1, 2 und 4 sowie die untereinander als Gesamtschuldner haftenden Antragsteller 3 tragen je ein Viertel der Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf EUR 30.000,-- festgesetzt.

Gründe

 
Die - zulässigen - Beschwerden haben keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat es zu Recht abgelehnt, den Widersprüchen der Antragsteller gegen die dem Beigeladenen unter dem 30.8.2005 erteilte Baugenehmigung für die Errichtung eines Fachpflegeheims entgegen § 212 a Abs. 1 BauGB aufschiebende Wirkung beizumessen, weil das genehmigte Bauvorhaben mit überwiegender Wahrscheinlichkeit gegen keine nachbarschützenden Vorschriften verstoße. Die Beschwerdebegründung, auf deren Prüfung der Senat beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), gibt keinen Anlass für eine abweichende Entscheidung.
Die Antragsteller rügen darin zum einen, mit der genehmigten Bebauung werde der Gebietscharakter verändert, weil dadurch die "Nicht-Wohnnutzung" in dem als Allgemeines Wohngebiet einzustufenden Umgebungsbereich ein Übergewicht erhalte und somit eine Verfremdung des Gebiets eingeleitet werde. Dem vermag der Senat aber nicht zu folgen. Insbesondere trifft der Ausgangspunkt der Argumentation der Antragsteller nicht zu, durch das genehmigte Vorhaben werde in einer Zusammenschau mit der vorhandenen und sich baulich unmittelbar anschließenden Schule (für 35 Schüler) das "Regel-Ausnahmeverhältnis" zulasten der Regelnutzung Wohnen verlassen. Denn auf der Grundlage des heutigen Planungsrechts, das durch den am 14.4.2005 beschlossenen Bebauungsplan "Heubergstraße Stgt. 134" geprägt wird, der als Art der baulichen Nutzung ein allgemeines Wohngebiet vorschreibt, gibt es ein solches "Regel-Ausnahmeverhältnis" nicht. Vielmehr sind sowohl die (betreuten) Wohnbereiche - nach § 3 Abs. 4 BauNVO - als auch die weiteren Förder- und Betreuungsbereiche - nach § 4 Abs. 2 Nr. 3 BauNVO - allgemein zulässig, ohne dass es einer Entscheidung bedarf, ob der Schulbereich in die Betrachtung mit einbezogen werden muss, wie die Antragsteller meinen. Geht man dagegen mit ihnen von der Unwirksamkeit des Bebauungsplans aus, so würde die Gebietsart durch den Ortsbauplan 1940/3 aus den Jahren 1939/1940 in Verbindung mit der Ortsbausatzung der Antragsgegnerin vom 25.6.1935 (OBS) bestimmt. Dieser Plan ordnet den hier maßgeblichen Bereich an der Heubergstraße und dem Albuchweg der Baustaffel 7 zu, in der - wie das Verwaltungsgericht zu Recht ausgeführt hat - die selbst in "höherwertigen" Landhausgebieten (Staffel 8 bis 9) nach § 7 Abs. 2 OBS zulassungsfähigen Gebäude, die der Bildung und der Krankenpflege dienen, mindestens ausnahmsweise genehmigt werden können. Da dieser Bereich der Baustaffel 7 sich aber von der Schwarenbergstraße im Süden bis zur Schellbergstraße im Norden erstreckt, gibt es keinen Grund für die Annahme, dass durch die Zulassung einer "Nicht-Wohnnutzung" der Gebietscharakter im Sinne der Ausführungen der Antragsteller "kippen" könnte.
Die Antragsteller machen ferner geltend, die genehmigte Bebauung verstoße im Hinblick auf das Maß der baulichen Nutzung zu ihren Lasten gegen das Gebot der Rücksichtnahme, weil statt der plangemäßen offenen Bauweise (§ 22 Abs. 2 BauNVO, § 34 OBS) bzw. aufgelockerten Bebauung mit Einzelhäusern ein knapp 85 m langer, dreigeschossiger Baukomplex entstehe, hinsichtlich dessen Dachgestaltung darüber hinaus zahlreiche Befreiungen erteilt worden seien. Auch insoweit vermag ihnen der Senat nicht zu folgen. Alle angesprochenen Festsetzungen entfalten aus sich selbst keine nachbarschützende Wirkung (VGH Bad.-Württ., Urteil vom 29.1.1999 - 3 S 2662/98 - VBlBW 1999, 310; Beschluss vom 1.3.1999 - 5 S 49/99 - VBlBW 1999, 270; Beschluss des Senats vom 16.12.2002 - 8 S 2660/02 - BRS 65 Nr. 119). Die Beanstandungen der Antragsteller könnten deshalb nur dann Erfolg haben, wenn das etwa in § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO und § 56 Abs. 5 LBO verankerte Gebot der Rücksichtnahme auf ihre nachbarlichen Belange verletzt wäre. Das wäre nur dann der Fall, wenn das Bauvorhaben des Beigeladenen die Antragsteller unzumutbar in städtebaulich erheblichen Belangen beeinträchtigen würde, wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat. Davon kann aber im Hinblick auf die Bauweise und die Dachgestaltung keine Rede sein. Denn der Vorhalt der Antragsteller trifft nicht zu, dass mit der genehmigten Bebauung ein knapp 85 m langer, geschlossener und dreigeschossig in Erscheinung tretender Gebäudekomplex entstehen werde, der komplett über ihre Grundstücke reiche und sich diesen wie eine Grenzwand präsentiere. Vielmehr wird aus der Sicht des Wohnhauses der Antragstellerin 1 lediglich das Gebäude des Förder- und Betreuungsbereiches mit einer Wandlänge von etwa 18,75 m in Erscheinung treten. Angesichts der Entfernung von gut 12 m kann dieses zudem nordwärts gelegene Haus zu keiner unzumutbaren Belastung für die Antragstellerin 1 führen. Ähnliches gilt für das der Antragstellerin 2 gehörende Wohnhaus, das selbst eine Länge von etwa 20 m aufweist. Denn ihm wird - zudem in einer Entfernung von mindestens 20 m - lediglich die in einem Winkel von etwa 45° abgeknickte Südwestfassade des Pflegeheims mit einer Gesamtlänge von etwa 26 m gegenüberstehen. Auch die Antragsteller 3 werden vor ihrem Wohnhaus nicht mit einer geschlossenen Wand von der angegebenen Länge konfrontiert. Vielmehr blicken sie auf die ebenfalls abgewinkelte West- und Nordwestfassade des Pflegeheims, die insgesamt eine Länge von etwa 32 m aufweist. Auch bei ihnen ist wegen der gegebenen Entfernung von mindestens 17 m von keinen unzumutbaren Beeinträchtigungen auszugehen. Was schließlich die Belange der Antragstellerin 4 betrifft, so ist festzustellen, dass sie sich bereits heute - allerdings in einer Entfernung von etwa 33 m - der etwa 47 m langen Gebäudefront des bestehenden Hauskomplexes Heubergstraße 16 und 18 gegenübersehen und für sie dessen durch den Anbau des Pflegeheims eintretende Verlängerung um etwa 14 m angesichts der gegebenen Entfernung von über 40 m kaum wahrnehmbar sein wird. Es kommt im Hinblick auf die Betroffenheit aller Antragsteller hinzu, dass die Fassadenabwicklung des Gesamtkomplexes reich gegliedert ist und schon deshalb nicht der Eindruck einer kompletten Abriegelung des Albuchweges entstehen kann, wie die Antragsteller meinen. Soweit ihr Vorbringen die zugelassene Abweichung von der vorgeschriebenen Dachneigung betrifft, ist es kaum nachvollziehbar, denn dies wirkt sich - wenn überhaupt - zu ihren Gunsten aus, weil durch den zugelassenen geringeren Neigungswinkel die Gebäudehöhe gerade abgesenkt wird. Soweit eine Befreiung von der örtlichen Bauvorschrift erteilt wurde, wonach Dachaufbauten insgesamt höchstens die Hälfte der Gebäudelänge einnehmen dürfen, kann dies die Antragsteller schon deshalb nicht negativ betreffen, weil davon die Gebäudesilhouette nicht berührt wird. Im Übrigen tragen diese Dachaufbauten (Gaupen) zur Fassadengliederung und damit auch zur optischen Auflockerung der Bebauung bei.
Schließlich beanstanden die Antragsteller, das Verwaltungsgericht habe die von dem ihren Häusern zugewandten Wohntrakt und insbesondere von den Balkonen ausgehenden Lärmbelästigungen nicht hinreichend gewürdigt, indem es nur darauf abgestellt habe, dass der Tagesablauf der betreuten Bewohner stark strukturiert sei. Denn an Wochenenden und Feiertagen sei dies gerade nicht der Fall. Damit werden sie aber - wie der Beigeladene zu Recht vorträgt - der Argumentation des Verwaltungsgerichts nicht gerecht. Denn es hat zum einen zutreffend darauf hingewiesen, dass Lebensäußerungen  von  Behinderten  nicht  als  Belästigungen  im  Sinne  von  § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO angesehen werden können (OVG NRW, Beschluss vom 23.12.1985 - 11 B 1911/85 - UPR 1987, 144; VG Braunschweig, Urteil vom 16.3.2005 - 2 A 388/04 - DWW 2005, 383). Zum anderen hat es zu Recht auf die erheblichen Abstände zwischen dem Pflegeheim und den Wohngebäuden der Antragsteller abgestellt. Ferner hat der Beigeladene im Schreiben vom 1.9.2005 an die Antragsgegnerin klargestellt, dass auch an Wochenenden der Tagesablauf klar gegliedert sei und selbstverständlich eine Mittagsruhe sowie eine abendliche Bettgehzeit (ca. 19.30 Uhr) umfasse. In diesem Schreiben wird ferner darauf hingewiesen, dass die Lebensäußerungen behinderter Menschen auch nicht lauter seien als geräuschvolle Tätigkeiten in und um Familienwohnungen. Nach allem gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass von dem Pflegeheim, insbesondere von den vier Balkonen, den Antragstellern nicht zumutbare Geräusche ausgehen könnten.
Nach allem sind die Beschwerden mit der Kostenfolge aus den §§ 154 Abs. 2, 159 Sätze 1 und 2 VwGO, § 100 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen. Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen sind gemäß § 162 Abs. 3 VwGO für erstattungsfähig zu erklären. Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 63 Abs. 2, 53 Abs. 3 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG. Ebenso wie das Verwaltungsgericht orientiert sich der Senat dabei an Nr. 9.7.1 des Streitwertkatalogs 2004 (VBlBW 2004, 467, 469).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 4, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

(1) Die in den §§ 2 bis 14 aufgeführten baulichen und sonstigen Anlagen sind im Einzelfall unzulässig, wenn sie nach Anzahl, Lage, Umfang oder Zweckbestimmung der Eigenart des Baugebiets widersprechen. Sie sind auch unzulässig, wenn von ihnen Belästigungen oder Störungen ausgehen können, die nach der Eigenart des Baugebiets im Baugebiet selbst oder in dessen Umgebung unzumutbar sind, oder wenn sie solchen Belästigungen oder Störungen ausgesetzt werden.

(2) Die Anwendung des Absatzes 1 hat nach den städtebaulichen Zielen und Grundsätzen des § 1 Absatz 5 des Baugesetzbuchs zu erfolgen.

(3) Die Zulässigkeit der Anlagen in den Baugebieten ist nicht allein nach den verfahrensrechtlichen Einordnungen des Bundes-Immissionsschutzgesetzes und der auf seiner Grundlage erlassenen Verordnungen zu beurteilen.



Tenor

Unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Neustadt an der Weinstraße vom 11. Juni 2008 wird die Beklagte unter Abänderung des Bescheids vom 6. Oktober 2006 und des Widerspruchsbescheides vom 9. Januar 2008 verpflichtet, der Klägerin die Baugenehmigung zur Anbringung der beiden inneren Werbeanlagen am Gebäude Bubenpfad ... in L. zu erteilen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Von den Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge haben die Klägerin 1/4 und die Beklagte 3/4 zu tragen.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des festzusetzenden Betrages abwenden, wenn nicht der Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt die nach den Regeln des vereinfachten Genehmigungsverfahrens zu erteilende Baugenehmigung für die Errichtung zweier Werbeanlagen, die ihr wegen Verletzung des bauordnungsrechtlichen Verunstaltungsverbots versagt wurde.

2

Mit Antrag vom 14. Juni 2006 begehrte sie die Genehmigung für vier beleuchtete Werbeanlagen im sogenannten Euro-Format (3,80 m x 2,70 m) an der Rückseite des Gebäudes Am Bubenpfad ..., die der Straße Kaiserwörthdamm zugewandt ist. Hierbei handelt es sich um eine Ein- und Ausfahrtstraße in die Stadt L., die in beiden Richtungen zweispurig ausgebaut ist. In der näheren Umgebung befinden sich eine Mercedes-Benz-Niederlassung, zwei Tankstellen und eine ATU-Werkstatt. Der Antragseingang wurde am 19. Juni 2006 unter dem Vorbehalt einer Vollständigkeitsüberprüfung der Bauunterlagen bestätigt. Anlässlich einer Ortsbesichtigung Ende September 2006 wurde festgestellt, dass die Werbetafeln sämtlich bereits angebracht wurden. Mit Bescheid vom 6. Oktober 2006 wurde die Befestigung der beiden äußeren Werbetafeln genehmigt. Für die beiden inneren Werbetafeln wurde die Genehmigung im Wesentlichen aus Gründen der Stadtbildpflege untersagt, weil sie unsensibel in das Fensterband einschnitten und damit die gesamte Gebäudefassade verunstalteten.

3

Den dagegen eingelegten Widerspruch wies der Stadtrechtsausschuss mit Widerspruchsbescheid vom 9. Januar 2008 zurück: Entgegen der Auffassung der Klägerin sei eine Genehmigungsfiktion nach § 66 Abs. 4 LBauO deshalb nicht eingetreten, weil die Bearbeitungsfrist erst nach Bestätigung der Vollständigkeit der Bauunterlagen in Lauf gesetzt werde und eine solche Bestätigung hier nicht erfolgt sei. In der Sache sei die Baugenehmigung deshalb abzulehnen, weil mit den beiden inneren Werbeanlagen eine störende Häufung solcher Anlagen auftrete. Das Erscheinungsbild der klar gegliederten Fassade werde empfindlich gestört.

4

Die daraufhin erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht nach Durchführung einer Ortsbesichtigung mit Urteil vom 11. Juni 2008 abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Die bauordnungsrechtliche Frage der verunstaltenden Wirkung der beiden Werbeanlagen sei zu Recht ausschließlicher Streit und Prüfungsgegenstand des Verfahrens. Zwar unterlägen Werbeanlagen dem vereinfachten Genehmigungsverfahren, so dass bauordnungsrechtliche Gesichtspunkte grundsätzlich nicht zu berücksichtigen seien. Dennoch dürfte die Bauaufsichtsbehörde auch in einem solchen Verfahren einzelne bauordnungsrechtliche Fragen behandeln, die sich ihr zur Prüfung aufdrängten. Dies leite sich aus ihrer in § 59 Abs. 1 Satz 1 LBauO niedergelegten Verpflichtung ab, auf die Einhaltung bauordnungsrechtlicher Vorschriften hinzuwirken. Aufgrund der Entscheidung der Behörde werde der von Gesetzes wegen beschränkte Umfang des vereinfachten Genehmigungsverfahrens partiell bauordnungsrechtlich angereichert, was sich auch auf den Streitgegenstand der Verpflichtungsklage erstrecke. In der Sache folge die Kammer der Einschätzung der Beklagten, dass die straßenseitige Front der Fassade des Gebäudes Am Bubenpfad ... durch das waagerecht verlaufende Fensterband geprägt und strukturiert werde. Dieses klare Erscheinungsbild werde durch die beiden vor dem Fensterband angebrachten großflächigen Werbeanlagen empfindlich gestört, und zwar derart, dass ein hässlicher, das ästhetische Empfinden des Betrachters verletzender Zustand entstehe.

5

Die Klägerin führt zur Begründung der vom Senat zugelassenen Berufung im Wesentlichen aus: Zunächst habe sie einen Anspruch darauf, den Eintritt der Genehmigungsfiktion nach § 66 Abs. 4 LBauO festzustellen. Die dreimonatige Entscheidungsfrist sei auch ohne Vollständigkeitsfeststellung der Behörde in Lauf gesetzt worden, weil diese es pflichtwidrig unterlassen habe, diese Feststellung innerhalb der vorgegebenen 10-Tage-Frist zu erklären. Es sei eine weit verbreitete Praxis der Baubehörden des Landes Rheinland-Pfalz, von dieser Vollständigkeitsfeststellung abzusehen, um den Eintritt der Genehmigungsfiktion zu verhindern. Um dieses Verhalten effektiv zu sanktionieren, komme die entsprechende Anwendung von § 162 Abs. 1 BGB (Verhinderung des Bedingungseintritts) in Betracht. Jedenfalls sei aber der Hilfsantrag begründet. Sie habe einen Anspruch auf Erteilung der Baugenehmigung nach § 66 LBauO, da ihr Vorhaben mit bauplanungsrechtlichen Vorschriften vereinbar sei. Bauordnungsrecht sei nicht Gegenstand der Prüfung im vereinfachten Genehmigungsverfahren. Die Einhaltung dieser Bestimmungen obliege der Eigenverantwortung des Bauherrn. Ob bauordnungsrechtliche Vorschriften entgegenstünden, müsse zum Zeitpunkt der Errichtung der Anlage entschieden werden. Insofern könnten sich die Umstände im Laufe der Gültigkeit der Baugenehmigung durchaus auch zugunsten des Bauherrn ändern, weshalb er ein berechtigtes Interesse an der vorherigen Feststellung der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit des Vorhabens habe. Es stelle einen rechtswidrigen Kunstgriff dar, wenn die Bauaufsichtsbehörde das Prüfungsprogramm um das Bauordnungsrecht erweitern dürfe. Die dahingehende Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz stehe insofern im Kreis der übrigen verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung allein. Auch das Abstellen auf ein fehlendes Sachbescheidungsinteresse für den Bauantrag bzw. auf ein fehlendes Rechtsschutzinteresse für eine entsprechende Verpflichtungsklage stelle eine unzulässige Umgehung der mit dem vereinfachten Genehmigungsverfahren bezweckten Einschränkung des präventiven Prüfungsprogramms dar.

6

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

7

unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Neustadt an der Weinstraße vom 11. Juni 2008

8

1. festzustellen, dass die Baugenehmigung für die beiden inneren Werbeanlagen am Gebäude Bubenpfad ... in L. als erteilt gilt ,

9

hilfsweise,

10

2. die Beklagte unter Abänderung des Bescheids vom 6. Oktober 2006 und des Widerspruchsbescheids vom 9. Januar 2008 zu verpflichten, ihr die Baugenehmigung zur Anbringung der beiden inneren Werbeanlagen am Gebäude Bubenpfad ... in L. zu erteilen.

11

Die Beklagte beantragt,

12

die Berufung zurückzuweisen.

13

Zur Begründung führt sie aus, dass die Genehmigungsfiktion aus den im Widerspruchsbescheid dargelegten Gründen nicht eingetreten sei. Hinsichtlich des Verpflichtungsbegehrens sei es unter dem Gesichtspunkt des Sachbescheidungsinteresses zulässig, auch bauordnungsrechtliche Vorschriften zu prüfen. Hier liege ein offensichtlicher Verstoß gegen das Verunstaltungsverbot vor. Die Ausdehnung des Prüfungsprogramms sei gerade bei Werbeanlagen sinnvoll, weil die Verlagerung bauordnungsrechtlicher Fragen in das repressive baubehördliche Verfahren dem Betreiber ungerechtfertigte Vorteile einer zwischenzeitlichen Nutzungsmöglichkeit verleihe.

14

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Beteiligten sowie auf die beigezogenen Behördenakten, die sämtlich Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, verwiesen.

Entscheidungsgründe

15

Die Berufung hat hinsichtlich des hilfsweise erhobenen Verpflichtungsbegehrens Erfolg.

I.

16

Der Hauptantrag ist zwar zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet.

17

Bei dem erst im Berufungsverfahren gestellten Antrag auf Feststellung des Eintritts der Genehmigungsfiktion für die beiden inneren Werbeanlagen handelt es sich um eine Klageerweiterung, die jedoch nach § 91 Abs. 1 VwGO wegen der Einwilligung des Beklagten zulässig ist.

18

Der Antrag ist indes nicht begründet. Die Voraussetzungen für den Eintritt der Genehmigungsfiktion nach § 66 Abs. 4 Satz 5 LBauO liegen nicht vor. Nach dieser Vorschrift gilt die Baugenehmigung als erteilt, wenn über den Bauantrag nicht innerhalb der nach den Sätzen 2 und 3 maßgeblichen Frist entschieden worden ist. Der Beginn der hiernach maßgeblichen Bearbeitungsfrist ist in § 66 Abs. 4 Satz 2 eindeutig dahin geregelt, dass die Frist erst „nach Feststellung der Vollständigkeit“ in Lauf gesetzt wird, was aufgrund des systematischen Zusammenhangs dahin zu verstehen ist, dass es sich - entsprechend § 66 Abs. 4 Satz 1 LBauO - um eine schriftliche Feststellung der Vollständigkeit handeln muss (vgl. die Urteile des Senats vom 20. Februar 2002, DVBl. 2002, 724 und vom 4. Juli 2007, BauR 2007, 1718; zuletzt: Beschluss des Senats vom 5. September 2008 - 8 A 10701/08.OVG -). Nach dem eindeutigen Wortlaut der Regelung reicht es nicht aus, dass die Behörde nach § 65 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 LBauO verpflichtet gewesen wäre, die Vollständigkeit innerhalb der dort vorgesehenen Prüfpflicht „binnen 10 Werktagen“ festzustellen. Denn der Gesetzgeber hat diese 10-Werktage-Frist ausdrücklich nicht „fiktionsbewehrt“ ausgestaltet (vgl. das Urteil vom 20. Februar 2002, a.a.O.). Hat der Gesetzgeber aber lediglich an das Verstreichen der Entscheidungsfrist nach § 66 Abs. 4 LBauO eine Fiktionswirkung geknüpft, nicht aber an das Verstreichen der Prüffrist für die Vollständigkeit des Bauantrags, kommt ein Rückgriff auf den Rechtsgedanken des § 162 Abs. 1 BGB (Vereitelung des Bedingungseintritts) entgegen der Auffassung des Klägers von vornherein nicht in Betracht. Dies bedeutet nicht, dass das gesetzwidrige Unterlassen der Vollständigkeitsprüfung und -bestätigung sanktionslos bleibt. So kann die pflichtwidrige Unterlassung der Vollständigkeitserklärung Amtshaftungsansprüche wegen verspäteter Erteilung der Baugenehmigung auslösen (vgl. das Urteil des Senats vom 20. Februar 2002, a.a.O.). Im Übrigen ist es Sache des Gesetzgebers, auch die 10-Werktage-Frist nach § 65 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 LBauO um eine Fiktionswirkung zu ergänzen, sollte er den Eindruck gewinnen, die in § 66 Abs. 4 LBauO angeordnete Entscheidungsfrist werde von den Baubehörden durch pflichtwidriges Unterlassen der Vollständigkeitserklärung in großem Umfang unterlaufen, wie von dem Bevollmächtigten der Klägerin vorgetragen wird, wofür dem Senat indes bislang ausreichende Anhaltspunkte fehlen.

II.

19

Mit dem Hilfsantrag hat die Klage indessen Erfolg.

20

Das Verpflichtungsbegehren ist zulässig, insbesondere kann der Klägerin das Rechtsschutzinteresse an der Erteilung der eingeschränkten Baugenehmigung nach § 66 LBauO nicht abgesprochen werden. Der Verpflichtungsantrag ist auch begründet, weil die eingeschränkten Anspruchsvoraussetzungen für die Erteilung einer Baugenehmigung im vereinfachten Genehmigungsverfahren vorliegen (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).

21

1. Zum Prüfungsprogramm für die Verpflichtungsklage auf Erteilung einer nach den Regeln des vereinfachten Genehmigungsverfahrens zu erlassenden Baugenehmigung führt der Senat zunächst aus:

22

Streitgegenstand der Verpflichtungsklage ist die Rechtsbehauptung des Klägers, dass die beantragte Genehmigung im Hinblick auf die gesetzliche Anspruchsgrundlage zu Unrecht verweigert worden ist, mithin nach den gesetzlichen Voraussetzungen ein Anspruch auf den begehrten Verwaltungsakt besteht (vgl. Eyermann/Rennert, VwGO, 12. Aufl. 2006, § 121 Rn. 28).

23

Der Beklagte ist zum Erlass der beantragten Baugenehmigung verpflichtet, wenn dem Vorhaben keine baurechtlichen oder sonstigen öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen (§ 70 Abs. 1 Satz 1 LBauO). Die danach umfassende Prüfungspflicht der Behörde ist im vereinfachten Genehmigungsverfahren dahingehend eingeschränkt, dass lediglich die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens sowie dessen Vereinbarkeit mit sonstigen öffentlich-rechtlichen Vorschriften zu kontrollieren ist (§ 66 Abs. 3 Satz 1 LBauO); bauordnungsrechtliche Bestimmungen gehören nicht hierzu (vgl. Rundschreiben des Ministeriums der Finanzen vom 3. Februar 1999, MinBl. S. 90 zu § 66 Abs. 3). Werbeanlagen unterfallen nach § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 9 LBauO dem vereinfachten Genehmigungsverfahren. Die Zurücknahme der präventiven Kontrolle verfolgt den Zweck der Verfahrenserleichterung bei gleichzeitiger Stärkung der Verantwortung des Bauherrn und seiner qualifizierten Beauftragten (vgl. Gesetzentwurf der Landesregierung zur LBauO 1986, LT-Drucks. 10/1344, S. 90; das Urteil des Senats vom 23. Oktober 2002 - 8 A 10994/02.OVG -, S. 7 d.U., ESOVGRP; Jeromin, LBauO, 2. Aufl. 2008, § 66 Rn. 57).

24

Der gesetzlichen Einschränkung der präventiven Kontrolle durch die Bauaufsichtsbehörde korrespondiert ein Anspruch auf Erteilung der Genehmigung bei Vorliegen der entsprechend eingeschränkten Voraussetzungen, d.h. der Vereinbarkeit des Bauvorhabens mit den zum gesetzlichen Prüfungsprogramm gehörenden Vorschriften. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts ist die Bauaufsichtsbehörde nicht befugt, das ihr gesetzlich vorgegebene Prüfungsprogramm und damit die gesetzlichen Anspruchsvoraussetzungen für im vereinfachten Genehmigungsverfahren zu erteilende Baugenehmigungen zu erweitern. Dies hat zur Folge, dass Rechtmäßigkeit der Baugenehmigung nach § 66 LBauO und Rechtmäßigkeit des Bauvorhabens auseinanderfallen können. Diese Konsequenz der Einführung des vereinfachten Genehmigungsverfahrens haben die mit Bausachen befassten Senate des erkennenden Gerichts bereits in den Urteilen vom 17. Juli 1996 (AS 26, 227 - LS 3 -, 8. Senat) und vom 26. September 1996 (AS 26, 267 [274 f.], 1. Senat) näher erläutert.

25

Die vom Verwaltungsgericht angenommene Erweiterung des Regelungsgehalts der - ablehnenden - Behördenentscheidung mit entsprechender Erweiterung des Streitgegenstandes der Verpflichtungsklage im anschließenden Verwaltungsprozess findet im Gesetz keine Stütze. Vielmehr kann der Bauherr die Erteilung der Genehmigung verlangen, sofern die im Gesetz geregelten Anspruchsvoraussetzungen vorliegen und nicht ausnahmsweise das Sachbescheidungsinteresse zu verneinen ist.

26

Lediglich im umgekehrten Fall der Erteilung der Baugenehmigung nach § 66 LBauO ist es denkbar, dass die Behörde die - entsprechend dem eingeschränkten Prüfungsprogramm - beschränkte Feststellungswirkung des Bescheids um weitere Feststellungen zur Vereinbarkeit des Vorhabens auch mit bauordnungsrechtlichen Vorschriften ergänzt, und zwar mit entsprechenden Auswirkungen auf den Streitgegenstand des anschließenden Verwaltungsprozesses. Denn die in diesem Fall in Betracht kommende Anfechtungsklage eines Nachbarn hat sämtliche Regelungsteile (Feststellungswirkungen) der Baugenehmigung zum Gegenstand. Der Nachbar ist in einem solchen Fall auch gehalten, die Baugenehmigung in vollem Umfang anzugreifen, um zu verhindern, dass hinsichtlich der bauordnungsrechtlichen Feststellungen Bestandskraft eintritt. Auf diese prozessuale Folgewirkung hat der Senat in dem vom Verwaltungsgericht zitierten Urteil vom 23. Oktober 2002 hingewiesen und ergänzend ausgeführt, dass eine solche Verfahrensweise der Behörde aus Gründen der Verfahrensvereinfachung gerechtfertigt sein kann, wenn bereits im vereinfachten Genehmigungsverfahren Einwendungen des Nachbarn hinsichtlich der bauordnungsrechtlichen Zulässigkeit des Vorhabens vorliegen und die Behörde deshalb ohnehin gehalten ist, sich mit einem Begehren auf bauaufsichtsbehördliches Einschreiten zu befassen (vgl. a.a.O., S. 7 f. d.U.).

27

Erkennt die Behörde im Rahmen des vereinfachten Genehmigungsverfahrens hingegen Umstände, die für eine Unvereinbarkeit des Vorhabens mit Bauordnungsrecht sprechen, so ist ihr aus den oben dargelegten Gründen zwar eine Erweiterung der gesetzlichen Anspruchsvoraussetzungen untersagt. Entgegen der Auffassung der Klägerin ist sie deshalb jedoch nicht verpflichtet, diese bauordnungsrechtlichen Fragen im vereinfachten Genehmigungsverfahren gänzlich auszublenden. So entspricht es ihrer allgemeinen Aufgabe zur Überwachung der Einhaltung der baurechtlichen und sonstigen öffentlich-rechtlichen Vorschriften (§ 59 Abs. 1 LBauO), wenn sie die Baugenehmigung nach § 66 LBauO um Hinweise zu möglichen Verletzungen bauordnungsrechtlicher Vorschriften ergänzt (vgl. bereits den Beschluss des Senats vom 18. November 1991, AS 23, 321 [323]; auch: BayVGH, Beschluss vom 6. Juni 2002, BauR 2003, 683 - zusätzliche Anordnungen, die mit der Baugenehmigung verbunden werden können -).

28

Darüber hinaus entspricht es langjähriger Rechtsprechung der beiden Bausenate des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz, dass die Erteilung einer Baugenehmigung im vereinfachten Genehmigungsverfahren abgelehnt werden kann, wenn das Bauvorhaben offensichtlich gegen bauordnungsrechtliche Vorschriften verstößt. Grundlage hierfür ist nicht die Erweiterung des gesetzlichen Prüfungsprogramms und der gesetzlichen Anspruchsvoraussetzungen für die Baugenehmigung, sondern die davon zu trennende verfahrensrechtliche Anforderung des Sachbescheidungsinteresses, dem im gerichtlichen Verfahren das Rechtsschutzinteresse entspricht. Der Bauherr hat nämlich kein schutzwürdiges Interesse an der Genehmigung eines Vorhabens, von dem ausgeschlossen ist, dass er es legal verwirklichen kann (vgl. OVG RP, Urteil vom 17. Juli 1996, a.a.O., LS 1; Urteil vom 26. September 1996, a.a.O., S. 275; Urteil vom 23. Oktober 2002, a.a.O., S. 8 d.U.; auch bereits: Urteil vom 9. Juni 1993 - 8 A 10876/92.OVG -, S. 10 d.U.; ferner: Rundschreiben des Ministeriums der Finanzen vom 3. Februar 1999, a.a.O.). Die Berücksichtigung von Anforderungen an das Bauvorhaben außerhalb des gesetzlichen Prüfungsprogramms der Bauaufsichtsbehörde im Rahmen der Beurteilung des Sachbescheidungsinteresses ist ein allgemeiner verfahrensrechtlicher Grundsatz, der nicht auf das vereinfachte Genehmigungsverfahren beschränkt ist, sondern ebenso etwa bei der eingeschränkten Prüfungsbefugnis der Bauaufsichtsbehörde wegen paralleler Genehmigungsvorbehalte zugunsten anderer Behörden Anwendung findet (vgl. § 65 Abs. 1 Satz 2 LBauO). Dass die Bauaufsichtsbehörde die Baugenehmigung unter dem Gesichtspunkt fehlenden Sachbescheidungsinteresses versagen kann, wenn das Bauvorhaben in Widerspruch zu Anforderungen steht, die nicht Gegenstand des eingeschränkten Prüfungsprogramms sind, entspricht entgegen der Auffassung der Klägerin der ganz überwiegenden Meinung in Rechtsprechung und Literatur einschließlich der von ihr selbst vorgelegten Urteile (vgl. Jäde, BayVBl. 2005, 301 m.w.N.; Schretter/Schenk, in: Reichel/Schulte, Handbuch Bauordnungsrecht, 2004, 14. Kapitel, Rn. 24 m.w.N.; BayVGH, Urteil vom 23. März 2006, BayVBl. 2006, 537 und juris Rn. 18; BayVGH, Beschluss vom 3. September 2007 – 1 ZB 07.151 -, juris Rn. 14; VG Gießen, Urteil vom 31. März 2008 - 1 K 99/08.Gi - S. 8 d.U.).

29

Fehlendes Sachbescheidungsinteresse kann freilich nur dann angenommen werden, wenn ohne eine ins Einzelne gehende Prüfung erkennbar ist, dass das nach § 66 LBauO zu genehmigende Vorhaben wegen entgegenstehender sonstiger Vorschriften offensichtlich nicht verwirklicht werden darf (vgl. BayVGH, Urteil vom 23. März 2006, a.a.O., Rn. 18). Weil die Anwendung der sonstigen Vorschriften nicht zum Prüfungsprogramm der Behörde gehört, ist deren Berücksichtigung im Rahmen der Prüfung des Sachbescheidungsinteresses auf eine Evidenzkontrolle beschränkt.

30

2. Nach dem so vorgegebenen Prüfungsrahmen hat die Klägerin mit ihrem Verpflichtungsbegehren Erfolg.

31

a) Zunächst ist der Verpflichtungsantrag zulässig. Entgegen der Auffassung der Beklagten kann der Klägerin das hierfür erforderliche Rechtsschutzinteresse nicht abgesprochen werden.

32

Das Rechtsschutzinteresse an der Verpflichtung zur Erteilung der eingeschränkten Baugenehmigung nach § 66 LBauO würde fehlen, wenn ausgeschlossen wäre, dass die Klägerin mit dieser Baugenehmigung etwas anfangen könnte. Dies wäre dann der Fall, wenn das Bauvorhaben aus anderen als den zum Prüfungsprogramm des vereinfachten Genehmigungsverfahrens gehörenden Gründen dauerhaft nicht verwirklicht werden dürfte. Dies haben die Beklagte und das Verwaltungsgericht hier mit der Begründung bejaht, dass die beiden inneren Werbeanlagen auf die Straßenfront des Gebäudes Am Bubenpfad ... verunstaltend wirkten und damit bauordnungsrechtlich unzulässig seien. Dem vermag sich der Senat nicht anzuschließen.

33

Werbeanlagen sind nach § 5 Abs. 2 Satz 1/§ 52 Abs. 2 Satz 1 LBauO mit ihrer Umgebung so in Einklang zu bringen, dass sie benachbarte bauliche Anlagen sowie das Straßen-, Orts- oder Landschaftsbild nicht verunstalten. Als Sondertatbestand einer Verunstaltung verbietet § 52 Abs. 2 Satz 2 LBauO die störende Häufung von Werbeanlagen.

34

Verunstaltung bedeutet nicht bereits jede Störung der architektonischen Harmonie, also nicht jede Unschönheit, sondern nur einen hässlichen, das ästhetische Empfinden des Beschauers nicht nur beeinträchtigenden, sondern verletzenden Zustand. Maßgeblich ist dabei, ob der Anblick bei einem nicht unbeträchtlichen, in durchschnittlichem Maße für ästhetische Eindrücke aufgeschlossenen Teil der Betrachter nachhaltigen Protest auslöst (vgl. BVerwG, Beschluss vom 13. April 1995, NJW 1995, 2648). Das Verunstaltungsverbot bezweckt, krasse Gegensätzlichkeiten und Widersprüche im Erscheinungsbild bebauter Gebiete durch das Hinzutreten störender baulicher Anlagen abzuwehren (vgl. BVerwG, a.a.O.). Ob eine Werbeanlage in diesem Sinne verunstaltend wirkt und welcher Umgriff dabei mit einzubeziehen ist, ist aufgrund der örtlichen Gegebenheiten, insbesondere des Standorts der Anlage, der Art und Struktur der in der näheren Umgebung vorhandenen Gebäude, Straßenzüge und Landschaftsteile zu beurteilen (vgl. BayVGH, Urteil vom 15. März 2007 - 26 B 05.3020 -, juris, Rn. 11).

35

Gemessen an diesen Grundsätzen ist hier nach Auffassung des Senats noch nicht von einer verunstaltenden Wirkung der streitgegenständlichen beiden inneren Werbeanlagen auf das Orts- und Straßenbild auszugehen . Hiergegen spricht zunächst die Lage des Gebäudes Am Bubenpfad ... in einem faktischen Gewerbegebiet. In einem solchen Gebiet sind Werbeanlagen grundsätzlich allgemein zulässig und entfalten auch nur ausnahmsweise störende Wirkung. Eine solche Ausnahme mit verunstaltender Wirkung ist hier auch nicht im Hinblick auf den Anbringungsort der Anlagen gegeben. Wie sich aus den zu den Akten gereichten Fotografien ohne weiteres ergibt, ist die nähere Umgebung des Gebäudes Am Bubenpfad ... nicht bereits durch sonstige Werbeanlagen überfrachtet. Auch das Erscheinungsbild der Straßenfront des Gebäudes wird durch die beiden zusätzlichen Werbeanlagen nicht in einem Maße beeinträchtigt, dass von einem hässlichen, das ästhetische Empfinden des Beschauers verletzenden Zustand gesprochen werden könnte. Dabei erkennt auch der Senat wie bereits die Beklagte und das Verwaltungsgericht, dass die mit dem Fensterband bewirkte Strukturierung der Fassade und die damit verfolgte architektonische Harmonie durch die davor angebrachten Werbetafeln gestört wird. Indes genügt dies noch nicht, um eine verunstaltende Wirkung anzunehmen. Gemessen am gesamten Erscheinungsbild der Straßenfront des Gebäudes Am Bubenpfad ... erweist sich die konkrete Platzierung der beiden inneren Werbeanlagen nach Auffassung des Senats noch nicht als in krassem Sinne störend.

36

b) Der Verpflichtungsantrag ist auch begründet.

37

Der Kläger hat einen Anspruch auf Erteilung der Baugenehmigung nach §§ 70 Abs. 1 Satz 1 und 66 Abs. 3 Satz 1 LBauO.

38

Die beiden Werbeanlagen sind nach § 34 Abs. 1 und Abs. 2 BauGB i.V.m. § 8 BauNVO bauplanungsrechtlich zulässig. Wie der Stadtrechtsausschuss bereits zutreffend ausgeführt hat, sind solche gewerblichen Anlagen in einer als Gewerbegebiet zu qualifizierenden Umgebung allgemein zulässig. Von ihnen gehen auch keine unzumutbaren Störungen im Sinne von § 15 Abs. 1 BauNVO aus. Aus den oben dargelegten Gründen führen sie auch nicht zu einer Beeinträchtigung des Ortsbildes im Sinne von § 34 Abs. 1 Satz 2 BauGB, zumal insofern ohnehin auf einen größeren maßstabbildenden Bereich abgestellt werden muss (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 11. Mai 2000, NVwZ 2000, 1169). Die Verletzung sonstiger zum Prüfungsprogramm der Genehmigung nach § 66 LBauO gehörender öffentlich-rechtlicher Vorschriften sind weder geltend gemacht noch ersichtlich.

39

Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

40

Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils wegen der Kosten beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.

41

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor.

42

Beschluss

43

Der Wert des Streitgegenstandes für das Berufungsverfahren wird auf 10.000,-- € festgesetzt, wobei sich die Klageerweiterung wegen des mit dem Verpflichtungsbegehren identischen wirtschaftlichen Interesse nicht streitwerterhöhend ausgewirkt hat (§§ 47, 52 Abs. 1 GKG).


Tenor

Auf die Berufung der Kläger wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Neustadt an der Weinstraße vom 17. November 2010 abgeändert und die Änderungsbaugenehmigung vom 21. Juni 2007 und der Widerspruchsbescheid vom 5. Juni 2008 aufgehoben.

Die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge haben der Beklagte und die Beigeladene jeweils zur Hälfte zu tragen.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Beklagter und Beigeladene dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des festzusetzenden Betrages abwenden, wenn nicht die Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Kläger wenden sich gegen eine der Beigeladenen erteilte Änderungsbaugenehmigung, mit der die abstandsflächenrechtliche Zulässigkeit des geänderten Vorhabens festgestellt wird.

2

Sie sind zusammen mit der Beigeladenen Miteigentümer des unbebauten Wegegrundstücks (Fahrweg) Flurstück-Nr. … in H. Dieser Fahrweg dient sowohl dem Wohngrundstück der Beigeladenen (F.straße …) als auch dem im Miteigentum der Kläger stehenden und östlich an den Fahrweg angrenzenden Wohngrundstück F.straße … als Zuwegung.

3

Die Beigeladene beantragte im Januar 2006 die Erteilung einer Baugenehmigung für den Umbau und die Erweiterung ihres Wohnhauses F.straße … . Der zweigeschossige, ca. 13 m lange Anbau an den vorhandenen Baubestand verläuft in seinem ersten Teil mit einer Länge von 1,25 m noch parallel zu der Wegeparzelle, die dann aber endet, so dass der weitere Teil des Anbaus wegen des dann breiteren Baugrundstücks abstandsflächenrechtlich keine Probleme aufwirft. Nach den vorgelegten Plänen sollte im Erdgeschoss des Wohnhausanbaus zum Fahrweg hin ein Kinderzimmer und im Obergeschoss ein Esszimmer errichtet werden.

4

Der Beklagte erteilte der Beigeladenen am 31. Januar 2006 die beantragte Baugenehmigung im vereinfachten Genehmigungsverfahren.

5

Nachdem der Vater der Kläger als damaliger Miteigentümer des Fahrwegs Verletzungen des erforderlichen Grenzabstandes im Bereich des Kinder-/Esszimmers geltend gemacht hatte, zur Bewilligung einer Abstandsflächenbaulast auf der Wegefläche allerdings nicht bereit war, reichte die Beigeladene im Mai 2007 eine Tektur bei dem Beklagten des Inhalts ein, dass für das ursprünglich im Erdgeschoss des Wohnhausanbaus geplante Kinderzimmer nunmehr eine Nutzung als Abstellraum geplant sei. Nach dem vorgelegten Plan soll dieser Raum sowohl einen eigenen Eingang von dem Fahrweg aus als auch – wie bisher – eine Tür zum Flur des Wohnhauses aufweisen. Im Obergeschoss soll die Außenwand des dortigen Esszimmers derart zurückgebaut werden, dass in dem Bereich parallel des Fahrwegs ein Grenzabstand von 3 m eingehalten wird.

6

Mit Bescheid vom 21. Juni 2007 erteilte der Beklagte der Beigeladenen antragsgemäß die entsprechende Änderungsbaugenehmigung. Der dagegen eingelegte Widerspruch wurde – nach zwischenzeitlichem Scheitern von Vergleichsverhandlungen – durch Widerspruchsbescheid vom 5. Juni 2008 zurückgewiesen. Zur Begründung wurde ausgeführt, die Genehmigung sei rechtmäßig. Insbesondere könne die Beigeladene für den geplanten Abstellraum das Abstandsflächenprivileg nach § 8 Abs. 9 LBauO in Anspruch nehmen.

7

Zur Begründung ihrer dagegen erhobenen Klage haben die Kläger im Wesentlichen geltend gemacht, bei dem Abstellraum im Erdgeschoss handele es sich nicht um ein eigenständiges Gebäude, was jedoch Voraussetzung zur Anwendung des § 8 Abs. 9 LBauO sei.

8

Nach dem neuerlichen Scheitern von Einigungsbemühungen zwischen den Klägern und der Beigeladenen hat das Verwaltungsgericht die Klage durch das aufgrund mündlicher Verhandlung vom 17. November 2010 ergangene Urteil abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Die Klage stelle sich als rechtsmissbräuchlich dar, weil für das geltend gemachte Rückbaubegehren bezüglich des lediglich auf einer Länge von ca. 1,25 m vorliegenden Abstandsflächenverstoßes kein nachvollziehbarer sachlicher Grund erkennbar sei, ein faktisch wahrnehmbarer Vorteil für die Kläger als Nachbarn durch einen Rückbau des Erdgeschossraumes nicht entstünde und sie ganz offensichtlich die Klage als Druckmittel benutzten, um von einer Abstandsflächeneinhaltung völlig losgelöste Ziele zu verfolgen. Die Treuwidrigkeit sei umso mehr deshalb anzunehmen, weil der Abstandsflächenverstoß nur gering sei und für das Bauvorhaben eine Abweichung gemäß § 69 LBauO erteilt werden könnte. Den Klägern gehe es letztlich gar nicht um die Einhaltung der notwendigen Abstandsfläche des Vorhabens der Beigeladenen zu dem Fahrweg, sondern um die Einräumung von – ansonsten in einem separaten Zivilrechtsstreit gegen die Beigeladene zu verfolgenden – Sonderrechten an dem Fahrweg in Form der Einrichtung eines Stellplatzes und der Bewilligung eines Leitungsrechts.

9

Der Kläger trägt zur Begründung der vom Senat zugelassenen Berufung im Wesentlichen vor: Ihr Klagebegehren sei nicht rechtsmissbräuchlich. Der jetzige Streit sei Teil eines bereits Jahrzehnte schwelenden, unter den Rechtsvorgängern der jetzigen Parteien begonnenen Nachbarrechtsstreits. Es sei nicht treuwidrig, wenn im Rahmen der Erörterung einer einvernehmlichen Lösung des jetzigen Rechtsstreits für ein Nachgeben zusätzliche Forderungen erhoben würden. Dass sie sich auf solche Vergleichsgespräche eingelassen hätten, dürfe nicht zu ihren Lasten gewertet werden.

10

Die Kläger beantragen,

11

das Urteil des Verwaltungsgerichts Neustadt an der Weinstraße vom 17. November 2010 abzuändern und die Änderungsbaugenehmigung vom 21. Juni 2007 und den Widerspruchsbescheid vom 5. Juni 2008 aufzuheben.

12

Der Beklagte beantragt,

13

die Berufung zurückzuweisen.

14

Nach seiner Auffassung habe das Verwaltungsgericht zu Recht darauf abgestellt, dass die Voraussetzungen zur Erteilung einer Abweichung vom Abstandsflächengebot vorlägen. Ob die Geltendmachung der Abstandsflächenverletzung darüber hinaus rechtsmissbräuchlich erfolgt sei, könne dahingestellt bleiben.

15

Die Beigeladene beantragt ebenfalls,

16

die Berufung zurückzuweisen.

17

Das Verwaltungsgericht habe zu Recht entschieden, dass das Geltendmachen der Abstandsflächenverletzung rechtsmissbräuchlich sei, weil dieser Verstoß durch eine Abweichungszulassung legalisiert werden könne. Im Übrigen nutzten die Kläger auch weiterhin ihre Rechtsposition dazu aus, wirtschaftliche Vorteile von allen Seiten zu erzielen. Der Termin zur Beurkundung des ausgehandelten Vertrages sei kurzfristig mit der Begründung abgesagt worden, dass noch Regelungen mit dem Architekten zu treffen seien. Obwohl sie zwischenzeitlich den Zwischentrakt nicht nur im Obergeschoss, sondern auch im Untergeschoss zurückgebaut habe, sei sie nicht bereit, auf die Rechte aus der Änderungsbaugenehmigung zu verzichten.

18

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Beteiligten sowie auf die beigezogenen Behördenakten, die sämtlich Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, verwiesen.

Entscheidungsgründe

19

Die Berufung ist begründet.

20

Das Verwaltungsgericht hätte der Klage stattgeben müssen, weil die angefochtene Änderungsbaugenehmigung vom 21. Juni 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 5. Juni 2008 rechtswidrig ist und die Kläger in ihren Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

21

Die angefochtene Baugenehmigung enthält die Feststellung, dass das geänderte Bauvorhaben der Beigeladenen mit den abstandsflächenrechtlichen Regelungen der Landesbauordnung vereinbar ist. Diese Feststellung ist rechtswidrig.

22

1. Zunächst begegnet es keinen Bedenken, dass der Beklagte die bauordnungsrechtliche Zulässigkeit des Bauvorhabens festgestellt hat, obwohl es sich um ein Bauvorhaben nach § 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 LBauO handelt und das Prüfungsprogramm der Bauaufsichtsbehörde nach § 66 Abs. 3 Satz 1 LBauO auf die Kontrolle der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit des Vorhabens sowie dessen Vereinbarkeit mit sonstigen öffentlichen Vorschriften, allerdings unter Ausklammerung bauordnungsrechtlicher Bestimmungen, beschränkt ist.

23

Wenn auch die Bauaufsichtsbehörde im vereinfachten Genehmigungsverfahren nicht befugt ist, das ihr gesetzlich vorgegebene Prüfungsprogramm und damit die gesetzlichen Anspruchsvoraussetzungen für die zu erteilende Baugenehmigung zu erweitern, so ist sie umgekehrt dennoch nicht gehindert, die – entsprechend dem eingeschränkten Prüfungsprogramm – beschränkte Feststellungswirkung einer Baugenehmigung um weitere Feststellungen zur Vereinbarkeit des Vorhabens auch mit bauordnungsrechtlichen Vorschriften zu ergänzen. Besteht auf den Erlass einer dahingehenden Feststellung wegen der Zurücknahme des präventiven Kontrollprogramms auch kein Anspruch, so bleibt es der Bauaufsichtsbehörde doch unbenommen, zur Klärung der Rechtslage die aus ihrer Sicht gegebene bauordnungsrechtliche Zulässigkeit eines Vorhabens festzustellen. Für eine solche Verfahrensweise besteht insbesondere dann Anlass, wenn bereits im vereinfachten Genehmigungsverfahren Einwendungen des Nachbarn hinsichtlich der bauordnungsrechtlichen Zulässigkeit des Vorhabens vorliegen und die Behörde deshalb ohnehin gehalten ist, sich mit einem Begehren auf bauaufsichtsbehördliches Einschreiten zu befassen. Ist die Behörde zur isolierten Feststellung der bauordnungsrechtlichen Zulässigkeit befugt, bestehen keine Hinderungsgründe, diese Regelung mit der im vereinfachten Genehmigungsverfahren zu erteilenden „schlanken“ Baugenehmigung zu verbinden (vgl. zum Vorstehenden insgesamt: Urteil des Senats vom 22. Oktober 2008 – 8 A 10942/08.OVG –, BauR 2009, 799 und juris, Rn. 26; OVG Hamburg, Urteil vom 30. März 2011 -2 Bf 374/06-, NVwZ-RR 2011, 591[593]: Befugnis zu zusätzlichen Anordnungen).

24

Der Beklagte hat hier eine solche erweiterte Feststellungsregelung getroffen. Zwar äußert sich die Änderungsbaugenehmigung vom 21. Juni 2007 nicht ausdrücklich zur bauordnungsrechtlichen Zulässigkeit, diese war indes wesentlicher Inhalt des Tekturantrags der Beigeladenen vom 18. Mai 1987; darüber hinaus hat die Bauaufsichtsbehörde in ihrem Begleitschreiben zur Baugenehmigung an die Kläger vom 22. Juni 2007 ausdrücklich erklärt, auch bauordnungsrechtliche Fragen geprüft zu haben; Letzteres ergibt sich auch aus dem Widerspruchsbescheid vom 5. Juni 2008.

25

2. Das geänderte Bauvorhaben der Beigeladenen verstößt im Bereich des an den Altbestand unmittelbar anschließenden Bauteils (sog. Zwischentrakt) im Bereich des Erdgeschosses gegen das Abstandsflächenrecht.

26

Die Außenwand im Südostteil des Zwischentrakts hält die gebotene Abstandsfläche von mindestens 3 m (§ 8 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 6 Satz 3 LBauO) nicht ein. Nach § 8 Abs. 2 Satz 1 LBauO muss die Abstandsfläche auf dem Grundstück selbst liegen. Die Außenwand der Südostecke des Zwischentrakts hält zu der benachbarten Wegeparzelle Nr. … jedoch nur einen Abstand von etwa 50 cm ein. Die in § 8 Abs. 2 Satz 2 LBauO erlaubte Erstreckung der Abstandsfläche bis zur Mitte einer Verkehrsfläche führt hier nicht zur Zulässigkeit des Vorhabens. Zum einen ist diese Erstreckung nur bei öffentlichen Verkehrsflächen, nicht hingegen bei privaten Wegeflächen – wie hier – erlaubt. Zum anderen beträgt die Hälfte der Wegeparzelle Nr. … nur etwa 2 m. Sie reicht damit nicht aus, um im Anschluss an die östliche Außenwand des Gebäudes eine Abstandsfläche von 3 m abzubilden.

27

Während im Obergeschoss des Zwischentraktes die gebotene Abstandsfläche infolge des vorgesehenen Rückbaus der Außenwand eingehalten wird, ragt die Abstandsfläche im genehmigten Erdgeschoss des Zwischentraktes über die eigene Grundstücksparzelle der Beigeladenen hinaus. Wie das Verwaltungsgericht bereits zutreffend ausgeführt hat, kann sich die Beigeladene hierfür nicht auf das Abstandsflächenprivileg gemäß § 8 Abs. 9 Satz 1 Nr. 3 LBauO berufen. Danach dürfen ohne Abstandsfläche oder mit einer geringeren Tiefe der Abstandsfläche „sonstige Gebäude ohne Aufenthaltsräume und Feuerstätten“ errichtet werden. Nach der Rechtsprechung beider Bausenate des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz findet das Abstandsflächenprivileg nach § 8 Abs. 9 Satz 1 LBauO nur Anwendung auf selbstständige Gebäude, was eine konstruktive und funktionale Trennung zwischen dem Hauptgebäude und dem – privilegierten – Nebengebäude voraussetzt (vgl. OVG RP, Urteil vom 25. Juni 2009 – 1 A 10050/09.OVG –, ESOVGRP; Beschluss des Senats vom 30. November 2009 – 8 A 10925/09.OVG –, Urteil vom 25. November 2009 – 8 A 10636/09.OVG –, ESOVGRP). An einer solchen konstruktiven und funktionalen Trennung fehlt es hier bereits deshalb, weil zwischen dem jetzt geplanten Abstellraum und der Wohnnutzung in den benachbarten Räumen eine Verbindungstür besteht. Aber auch im Übrigen fehlt es an der gebotenen Selbstständigkeit des Abstellraums, weil er konstruktiv in den ansonsten einheitlichen Baukörper integriert ist.

28

Weil die genannten abstandsflächenrechtlichen Bestimmungen nachbarschützend sind, folgt aus dem objektiv-rechtlichen Verstoß zugleich eine Verletzung der Klägerin in ihren Rechten.

29

Dass möglicherweise die Voraussetzungen für die Zulassung einer Abweichung vom Abstandsflächengebot nach § 69 Abs. 1 Satz 1 LBauO vorliegen, wie der Beklagte annimmt, ist für die Rechtmäßigkeit der hier zu beurteilenden Änderungsbaugenehmigung ohne Belang. Denn der Beklagte hat dem Abweichungsantrag der Beigeladenen vom 19. November 2010 bislang noch nicht stattgegeben. Das bloße Vorliegen einer Abweichungslage genügt indessen nicht, die ohne Abweichungszulassung ergangene Baugenehmigung als rechtmäßig ansehen zu können (vgl. OVG RP, Beschluss vom 5. Februar 2010 – 1 B 11356/09.OVG –, ESOVGRP, für das Vorliegen einer Befreiungslage nach § 31 Abs. 2 BauGB).

30

3. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts hält der Senat das Anfechtungsbegehren der Kläger unter Berufung auf die Abstandsflächenwidrigkeit des Bauvorhabens der Beigeladenen nicht für rechtsmissbräuchlich.

31

Es ist grundsätzlich legitim, bestehende Rechte geltend zu machen. Zwar unterliegt die Geltendmachung von Rechten dem die gesamte Rechtsordnung prägenden Grundsatz von Treu und Glauben, wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat. So kann die Ausübung eines – materiellen oder auch verfahrensrechtlichen – Rechts sich im Einzelfall als treuwidrig und damit unzulässig erweisen (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. Januar 1974 – IV C 2.72 -, BverwGE 44, 294 [298 f.]). Eine solche, ohnehin nur in engen Grenzen anzunehmende Fallgestaltung liegt hier nach Auffassung des Senats indes nicht vor.

32

Das Verwaltungsgericht führt zutreffend aus, dass sich ein Nachbar grundsätzlich gegen jede Unterschreitung der Mindestabstandsfläche zur Wehr setzen kann, ohne den Nachweis einer gerade dadurch hervorgerufenen tatsächlichen Beeinträchtigung führen zu müssen (vgl. VGH BW, Urteil vom 6. Juni 2008 – 8 S 18/07 –, VBlBW 2008, 483 und juris, Rn. 44). Einschränkungen mögen bei Abstandsflächenverstößen im Bagatellbereich angebracht sein (vgl. für den Anspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten: OVG RP, Urteil vom 7. Dezember 2005 – 8 A 11062/05.OVG –). Im vorliegenden Fall überschreitet die Abstandsfläche vor der Außenwand an der Südostecke des Zwischentrakts das gebotene Maß indes um ca. 2,50 m.

33

Der Senat vermag auch nicht zu erkennen, dass die Kläger ihr Begehren treuwidrig allein als Druckmittel zur Durchsetzung völlig anderer Ziele einsetzen. Dass die Kläger im Rahmen der Vergleichsverhandlungen ihre Bereitschaft zur Duldung der Abstandsflächenverletzung mit der Forderung nach einem Entgegenkommen der Beigeladenen in anderer Hinsicht verbinden, macht diese Verfahrensweise noch nicht rechtsmissbräuchlich. Diese Praxis entspricht vielmehr dem üblichen Vorgang des Aushandelns einer einvernehmlichen Konfliktlösung. Eine unzulässige Kopplung der geltend gemachten Rechtsverletzung mit den Forderungen der Kläger liegt auch deshalb nicht vor, weil sich sowohl der Abstandsflächenverstoß der Beigeladenen als auch die Forderungen der Kläger nach Ausweisung eines Stellplatzes und Einräumung eines Leitungsrechts auf dieselbe Wegeparzelle beziehen. Auch kann ein schikanöses Überziehen der Kläger in ihren Forderungen mit der dafür gebotenen Offensichtlichkeit nicht festgestellt werden. Schließlich macht die vom Verwaltungsgericht angenommene Abweichungsfähigkeit des Bauvorhabens nach § 69 LBauO das Geltendmachen der durch die erteilte Baugenehmigung eingetretenen Rechtsverletzung nicht rechtsmissbräuchlich. Vielmehr fällt es in den Verantwortungsbereich des Beklagten und der Beigeladenen, von den Möglichkeiten zur Legalisierung des Abstandsflächenverstoßes Gebrauch zu machen.

34

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1 und Abs. 3 VwGO.

35

Die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils wegen der Kosten beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 ff. ZPO.

36

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor.

37

Beschluss

38

Der Wert des Streitgegenstandes für das Berufungsverfahren wird auf 7.500,00 € festgesetzt (§§ 47, 52 GKG).

(1) Widerspruch und Anfechtungsklage eines Dritten gegen die bauaufsichtliche Zulassung eines Vorhabens haben keine aufschiebende Wirkung.

(2) Widerspruch und Anfechtungsklage gegen die Geltendmachung des Kostenerstattungsbetrags nach § 135a Absatz 3 sowie des Ausgleichsbetrags nach § 154 durch die Gemeinde haben keine aufschiebende Wirkung.

(1) Widerspruch und Anfechtungsklage haben aufschiebende Wirkung. Das gilt auch bei rechtsgestaltenden und feststellenden Verwaltungsakten sowie bei Verwaltungsakten mit Doppelwirkung (§ 80a).

(2) Die aufschiebende Wirkung entfällt nur

1.
bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten,
2.
bei unaufschiebbaren Anordnungen und Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten,
3.
in anderen durch Bundesgesetz oder für Landesrecht durch Landesgesetz vorgeschriebenen Fällen, insbesondere für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die Investitionen oder die Schaffung von Arbeitsplätzen betreffen,
3a.
für Widersprüche und Klagen Dritter gegen Verwaltungsakte, die die Zulassung von Vorhaben betreffend Bundesverkehrswege und Mobilfunknetze zum Gegenstand haben und die nicht unter Nummer 3 fallen,
4.
in den Fällen, in denen die sofortige Vollziehung im öffentlichen Interesse oder im überwiegenden Interesse eines Beteiligten von der Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, besonders angeordnet wird.
Die Länder können auch bestimmen, daß Rechtsbehelfe keine aufschiebende Wirkung haben, soweit sie sich gegen Maßnahmen richten, die in der Verwaltungsvollstreckung durch die Länder nach Bundesrecht getroffen werden.

(3) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ist das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Einer besonderen Begründung bedarf es nicht, wenn die Behörde bei Gefahr im Verzug, insbesondere bei drohenden Nachteilen für Leben, Gesundheit oder Eigentum vorsorglich eine als solche bezeichnete Notstandsmaßnahme im öffentlichen Interesse trifft.

(4) Die Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen oder über den Widerspruch zu entscheiden hat, kann in den Fällen des Absatzes 2 die Vollziehung aussetzen, soweit nicht bundesgesetzlich etwas anderes bestimmt ist. Bei der Anforderung von öffentlichen Abgaben und Kosten kann sie die Vollziehung auch gegen Sicherheit aussetzen. Die Aussetzung soll bei öffentlichen Abgaben und Kosten erfolgen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Abgaben- oder Kostenpflichtigen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.

(5) Auf Antrag kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 bis 3a ganz oder teilweise anordnen, im Falle des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 4 ganz oder teilweise wiederherstellen. Der Antrag ist schon vor Erhebung der Anfechtungsklage zulässig. Ist der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen, so kann das Gericht die Aufhebung der Vollziehung anordnen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung kann von der Leistung einer Sicherheit oder von anderen Auflagen abhängig gemacht werden. Sie kann auch befristet werden.

(6) In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nummer 1 ist der Antrag nach Absatz 5 nur zulässig, wenn die Behörde einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung ganz oder zum Teil abgelehnt hat. Das gilt nicht, wenn

1.
die Behörde über den Antrag ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes in angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat oder
2.
eine Vollstreckung droht.

(7) Das Gericht der Hauptsache kann Beschlüsse über Anträge nach Absatz 5 jederzeit ändern oder aufheben. Jeder Beteiligte kann die Änderung oder Aufhebung wegen veränderter oder im ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachter Umstände beantragen.

(8) In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden.

(1) Gegen die Entscheidungen des Verwaltungsgerichts, des Vorsitzenden oder des Berichterstatters, die nicht Urteile oder Gerichtsbescheide sind, steht den Beteiligten und den sonst von der Entscheidung Betroffenen die Beschwerde an das Oberverwaltungsgericht zu, soweit nicht in diesem Gesetz etwas anderes bestimmt ist.

(2) Prozeßleitende Verfügungen, Aufklärungsanordnungen, Beschlüsse über eine Vertagung oder die Bestimmung einer Frist, Beweisbeschlüsse, Beschlüsse über Ablehnung von Beweisanträgen, über Verbindung und Trennung von Verfahren und Ansprüchen und über die Ablehnung von Gerichtspersonen sowie Beschlüsse über die Ablehnung der Prozesskostenhilfe, wenn das Gericht ausschließlich die persönlichen oder wirtschaftlichen Voraussetzungen der Prozesskostenhilfe verneint, können nicht mit der Beschwerde angefochten werden.

(3) Außerdem ist vorbehaltlich einer gesetzlich vorgesehenen Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision die Beschwerde nicht gegeben in Streitigkeiten über Kosten, Gebühren und Auslagen, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands zweihundert Euro nicht übersteigt.

(4) Die Beschwerde gegen Beschlüsse des Verwaltungsgerichts in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes (§§ 80, 80a und 123) ist innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht bereits mit der Beschwerde vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen. Sie muss einen bestimmten Antrag enthalten, die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist, und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinander setzen. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, ist die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen. Das Verwaltungsgericht legt die Beschwerde unverzüglich vor; § 148 Abs. 1 findet keine Anwendung. Das Oberverwaltungsgericht prüft nur die dargelegten Gründe.

(5) u. (6) (weggefallen)

(1) Der unterliegende Teil trägt die Kosten des Verfahrens.

(2) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat.

(3) Dem Beigeladenen können Kosten nur auferlegt werden, wenn er Anträge gestellt oder Rechtsmittel eingelegt hat; § 155 Abs. 4 bleibt unberührt.

(4) Die Kosten des erfolgreichen Wiederaufnahmeverfahrens können der Staatskasse auferlegt werden, soweit sie nicht durch das Verschulden eines Beteiligten entstanden sind.

(5) Soweit der Antragsteller allein auf Grund von § 80c Absatz 2 unterliegt, fallen die Gerichtskosten dem obsiegenden Teil zur Last. Absatz 3 bleibt unberührt.

(1) Sind Gebühren, die sich nach dem Streitwert richten, mit der Einreichung der Klage-, Antrags-, Einspruchs- oder Rechtsmittelschrift oder mit der Abgabe der entsprechenden Erklärung zu Protokoll fällig, setzt das Gericht sogleich den Wert ohne Anhörung der Parteien durch Beschluss vorläufig fest, wenn Gegenstand des Verfahrens nicht eine bestimmte Geldsumme in Euro ist oder gesetzlich kein fester Wert bestimmt ist. Einwendungen gegen die Höhe des festgesetzten Werts können nur im Verfahren über die Beschwerde gegen den Beschluss, durch den die Tätigkeit des Gerichts aufgrund dieses Gesetzes von der vorherigen Zahlung von Kosten abhängig gemacht wird, geltend gemacht werden. Die Sätze 1 und 2 gelten nicht in Verfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit.

(2) Soweit eine Entscheidung nach § 62 Satz 1 nicht ergeht oder nicht bindet, setzt das Prozessgericht den Wert für die zu erhebenden Gebühren durch Beschluss fest, sobald eine Entscheidung über den gesamten Streitgegenstand ergeht oder sich das Verfahren anderweitig erledigt. In Verfahren vor den Gerichten für Arbeitssachen oder der Finanzgerichtsbarkeit gilt dies nur dann, wenn ein Beteiligter oder die Staatskasse die Festsetzung beantragt oder das Gericht sie für angemessen hält.

(3) Die Festsetzung kann von Amts wegen geändert werden

1.
von dem Gericht, das den Wert festgesetzt hat, und
2.
von dem Rechtsmittelgericht, wenn das Verfahren wegen der Hauptsache oder wegen der Entscheidung über den Streitwert, den Kostenansatz oder die Kostenfestsetzung in der Rechtsmittelinstanz schwebt.
Die Änderung ist nur innerhalb von sechs Monaten zulässig, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat.