Oberlandesgericht München Beschluss, 02. Juni 2016 - Verg 15/15

bei uns veröffentlicht am02.06.2016

Gericht

Oberlandesgericht München

Tenor

I.

Auf die sofortige Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss der Vergabekammer Südbayern vom 27.10.2015 AZ: Z3-3-3194-1-46-08/15 aufgehoben.

II.

Es wird festgestellt, dass der zwischen der Antragsgegnerin und dem Beigeladenen geschlossene Schülerbeförderungsvertrag vom 22.7./7.8.2015 nichtig ist.

III.

Der Antragsgegnerin wird aufgegeben, beim Fortbestehen ihrer Beschaffungsabsicht ein europaweites Vergabeverfahren durchzuführen.

IV.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen der Antragstellerin. Die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts für das Verfahren vor der Vergabekammer wird für die Antragstellerin für notwendig erklärt.

V.

Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf € 10.900.- festgesetzt.

Gründe

A. Mit Schreiben vom 23.04.2015 forderte die Antragsgegnerin acht Busunternehmen, darunter auch den Antragsteller auf, ein Angebot für die Leistung „Schülerbeförderung in der Stadt L.“ für das Schuljahr 2015/2016 bis zum 18.06.2015 abzugeben.

Es wurde darauf hingewiesen, dass die Angebotseröffnung unter Ausschluss der Bieter erfolgt und die Verdingungsordnung für Leistungen (VOL) keine Anwendung findet. Der Vertrag sollte für zwei Schuljahre gelten (Ziffer 22 der Allgemeinen Vertragsbedingungen). In Ziffer 23 heißt es, dass weitere Fahrten, die schulbedingt stattfinden, z. B. Schwimmunterricht, Sportfeste etc. zum Angebotspreis abgerechnet werden.

Neben dem Antragsteller reichte nur die Beigeladene ein Angebot fristgerecht bei der Antragsgegnerin ein. Nach Prüfung und Wertung der Angebote wurde der Antragsteller telefonisch darüber informiert, dass er den Zuschlag nicht erhalten könne, da ein Mitbewerber ein günstigeres Angebot abgegeben habe. Auf Nachfrage des Antragstellers teilte ein Mitarbeiter der Antragsgegnerin mit, dass nur das niedrigste Angebot beim Zuschlag Berücksichtigung finden werde.

Mit anwaltlichem Schreiben vom 30.06.2015 bat der Antragsteller die Antragsgegnerin, ihm schriftlich und unverzüglich mitzuteilen, welche Gründe für die Ablehnung seines Angebots ausschlaggebend gewesen seien und welche Merkmale und Vorteile das erfolgreichere Angebot des Mitbewerbers beinhaltet habe.

Daraufhin verfasste die Antragsgegnerin ein Schreiben vom 10.07.2015 mit dem Inhalt, dass das Angebot des Antragstellers aus preislichen Gründen keine Berücksichtigung gefunden habe.

Mit Schreiben vom 29.07.2015 rügte der Antragsteller, dass trotz Überschreitens des EU-Schwellenwerts von 207.000.- € (für Liefer- und Dienstleistungen) die streitgegenständliche Ausschreibung nicht europaweit durchgeführt worden sei und dass keine den Vorschriften des GWB entsprechende Benachrichtigung erfolgt sei.

In ihrem Antwortschreiben vom 30.07.2015 verwies die Antragstellerin darauf, dass der 4. Teil des GWB nicht zur Anwendung komme, da der Gesamtauftragswert netto nicht über 200.000,00 € und damit unter dem Schwellenwert von 207.000,00 € liege. Im Übrigen sei der behauptete Vergabeverstoß aus den Vergabeunterlagen erkennbar gewesen und hätte spätestens bis zum Ablauf der Angebotsfrist gerügt werden müssen.

Mit Vertrag vom 22.7./7.8.2015 erteilte die Antragsgegnerin dem Beigeladenen den Auftrag.

Weil die Rügen die Antragsgegnerin nicht zur Änderung ihrer Rechtsauffassung veranlassten, beantragte der Antragsteller am 11.08.2015 die Einleitung des Nachprüfungsverfahrens mit dem Ziel, den erteilten Zuschlag für unwirksam zu erklären und das Vergabeverfahren neu durchzuführen.

Der Antragsteller trug vor:

Der Auftrag sei nicht europaweit ausgeschrieben worden, obwohl der maßgebliche Schwellenwert überschritten worden sei. Eine Benachrichtigung gemäß § 101a Abs.2 GWB sei unterblieben. Dem Antragsteller sei auch ein Schaden entstanden, wobei es ausreiche, dass sich durch den Verstoß eine Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation ergeben könne. Ein Verstoß gegen die Rügepflicht liege nicht vor, da die Verstöße für den Antragsteller nicht erkennbar gewesen seien.

Die Antragsgegnerin trat dem Nachprüfungsantrag entgegen und trug vor:

Der Nachprüfungsantrag sei unzulässig, da der maßgebliche Schwellenwert nicht erreicht werde. Der Auftragswert sei korrekt festgesetzt worden. Mögliche Sonderfahrten seien bei der Berechnung des Auftragswertes nicht zu berücksichtigen gewesen, da der Umfang in der Vergangenheit stark geschwankt habe und in der Vergangenheit auch Dritte mit diesen Fahrten beauftragt worden seien.

Selbst wenn eine europaweite Ausschreibung erfolgen hätte müssen, sei der Antragsteller nicht in seinen eigenen Rechten verletzt, da er an dem Verfahren beteiligt worden sei und nur das zweitgünstigste Angebot abgegeben habe. Ihm drohe daher auch kein Schaden.

Außerdem sei der Antragsteller mit seinen Rügen präkludiert, da aus der Bekanntmachung ersichtlich gewesen sei, dass ein nationales Verfahren durchgeführt werde. Der Antragsteller, dem die Kosten aus den vorangegangenen Jahren bekannt gewesen seien, hätte auch erkennen können, dass die Schwellenwerte überschritten worden seien.

Die Vergabekammer wies den Antrag mit Beschluss vom 27.10.2015 als unzulässig zurück und führte zur Begründung aus:

Die Vergabekammer sei für die Überprüfung des streitgegenständlichen Vergabeverfahrens zuständig, da die ausgeschriebene Dienstleistung den maßgeblichen Schwellenwert nach § 2 VgV überschreite. Es fehle bereits an einer ordnungsgemäß dokumentierten qualifizierten Schätzung der Antragsgegnerin. Daher habe die Vergabekammer den Auftragswert eigenständig unter Berücksichtigung des Sachverhaltes geschätzt. Bei der Berechnung des maßgeblichen Auftragswertes seien auch die unter Ziff. 23 genannten weiteren Fahrten einzubeziehen, auch wenn es sich hierbei nur um einen weiteren geschätzten Wert handele.

Der Nachprüfungsantrag sei jedoch unzulässig, da für den Antragsteller erkennbar gewesen sei, dass die nationale Ausschreibung unzulässig gewesen sei, und der Antragsteller die Wahl des unzulässigen nationalen Verfahrens nicht gemäß § 107 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 und 3 GWB vor Angebotsabgabe gerügt habe. Dem Antragsteller sei in tatsächlicher Hinsicht als bisherigen Erbringer der Leistungen bekannt gewesen, welchen Umfang die Leistungen in den vergangenen Jahren gehabt hätten und er hätte unter Berücksichtigung der sogenannten Sonderfahrten daraus schließen müssen, dass der Schwellenwert überschritten werde. Auch in rechtlicher Hinsicht sei die Erkennbarkeit gegeben gewesen, weil es zu dem grundlegenden Wissen von Bietern, die an unionsweiten Vergabeverfahren teilnähmen, gehöre, dass bei einem Auftragswert von über 207.000,00 € eine EU-weiten Ausschreibung erfolgen müsse.

Der Antrag auf Feststellung der Unwirksamkeit des zwischen der Antragsgegnerin und dem Beigeladenen abgeschlossenen Vertrages sei zudem wohl auch unbegründet. Die fehlende europaweite Ausschreibung und die fehlende Vorabinformation hätten sich nicht zulasten des Antragstellers ausgewirkt, da sein Angebot keine Berücksichtigung finden habe können, weil es an zweiter Stelle gelegen habe. Der Feststellungsantrag eines Bieters nach § 101b Abs.1 GWB könne nur dann begründet sein, wenn sich dieser Verstoß auch zu seinen Lasten ausgewirkt habe, er also kausal in seinen Rechten verletzt worden sei oder dies zumindest nicht auszuschließen sei. Das Nachprüfungsverfahren diene aber nicht einer allgemeinen Rechtmäßigkeitskontrolle, sondern dem Individualschutz des einzelnen Bieters.

Mit Schriftsatz vom 11.11.2015 legte der Antragsteller gegen den Beschluss sofortige Beschwerde ein und trägt zur Begründung vor:

Die Vergabekammer habe zu Recht ausgeführt, dass der maßgebliche Schwellenwert überschritten worden sei. Die Auffassung der Vergabekammer, dass der Antragsteller seiner Rügeobliegenheit nicht Genüge getan habe, sei unzutreffend. Es sei für den Antragsteller nicht erkennbar gewesen, dass unter Verstoß gegen die Normen des GWB nur eine nationale Ausschreibung erfolgt sei. Der Antragsteller sei ein lokaler Busunternehmer. Irgendwelche Kenntnisse bezüglich des GWB und Vergabeverfahren im europäischen Raum besitze der Antragsteller nicht. Auch nehme er an solchen europaweiten Ausschreibung nicht teil, wenngleich der streitgegenständliche Auftrag europaweit ausgeschrieben hätte werden müssen. Es sei auch zu beachten, dass selbst die Antragsgegnerin als Auftraggeberin davon ausgegangen sei, dass der Auftragswert unter € 207.000.- liege.

Die Antragsgegnerin habe gegen § 101 a GWB verstoßen, da der Antragsteller zu keinem Zeitpunkt eine Information erhalten habe, die den Anforderungen des § 101a Abs.1 GWB entsprochen habe. Der Vertrag zwischen der Antragsgegnerin und der Beigeladenen sei daher nach § 101b Abs. 1 Nr.1 GWB unwirksam.

Dem Antragsteller sei durch den Verstoß gemäß § 107 Abs.2 GWB ein Schaden entstanden, wobei es ohnehin ausreichend sei, dass durch diesen Verstoß eine Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation bzw. Chancen gegeben sein könne.

Der Antragsteller beantragt:

1. Der Beschluss der Regierung von Oberbayern - Vergabekammer Südbayern - vom 27.10.2015 zum Aktenzeichen Z3-3-3194-1-46-08/15 wird aufgehoben.

2. Der gegebenenfalls erteilte Zuschlag zur Durchführung der Schülerbeförderung in der Stadt L. ab dem Schuljahr 2015/16 an einen Mitbewerber wird für unwirksam erklärt.

3. Der Antragsgegnerin wird auferlegt, das Vergabeverfahren für die Durchführung der Schülerbeförderung ab dem Schuljahr 2015/16 neu durchzuführen.

Die Antragsgegnerin beantragt die Zurückweisung der sofortigen Beschwerde und trägt zur Begründung vor:

Die Vergabekammer habe den Nachprüfungsantrag zu Recht als unzulässig zurückgewiesen.

Hinsichtlich des Schwellenwertes werde auf den Vortrag vor der Vergabekammer verwiesen.

Der gerügte Verstoß sei für den Antragsteller im Sinne des § 107 Abs.3 S.1 Nr.2 und 3 GWB erkennbar gewesen. Soweit der Antragsgegnerin bekannt, habe sich der Antragsteller bereits mehrfach an Ausschreibungen vergleichbarer Art beteiligt. Von ihm könne erwartet werden, dass er den Unterschied zwischen europaweiter Ausschreibung und nationaler Ausschreibung sowie das Abgrenzungskriterium Schwellenwert kenne. Der Antragsteller habe seit Jahrzehnten die streitgegenständliche Leistung für die Antragsgegnerin erbracht und sei daher von Anfang an in der Lage gewesen, aufgrund seines bisherigen jährlichen Aufwands den Auftragswert mit dem Schwellenwert zu vergleichen. Das Argument des Antragstellers, die Antragsgegnerin habe den Verstoß auch nicht erkannt, verfange nicht.

Der Antragsteller sei nicht antragsbefugt, da er nicht gelten machen könne, in eigenen Rechten verletzt zu sein. Er sei am Verfahren beteiligt gewesen und habe von den beiden wertbaren Angeboten das zweitgünstigste abgegeben. Selbst wenn die Antragsgegnerin europaweit ausgeschrieben hätte, wäre der Antragsteller nicht zum Zug gekommen. Entsprechend sei ihm auch kein Schaden entstanden.

Der Senat hat mit Beschluss vom 7.3.2016 das Busunternehmen A. H. beigeladen. Das Unternehmen hat sich nicht an dem Verfahren beteiligt.

B. Die zulässige Beschwerde erwies sich als begründet.

I. Der Nachprüfungsantrag ist zulässig.

1. Der Weg zu den Nachprüfungsinstanzen ist eröffnet, weil der Schwellenwert (§ 2 Abs.1 VgV i. V. m. VO EU Nr. 1336/2013) in Höhe von 207.000,00 € überschritten ist.

a) Der Vergabekammer ist zunächst zuzustimmen, dass seitens der Antragsgegnerin keine ordnungsgemäß dokumentierte qualifizierte Schätzung des Auftragswertes vorgelegt wurde. Abgesehen von den Zweifeln, ob die Kostenschätzung vor Aufforderungen zur Angebotsabgabe erfolgt ist, ist die Schätzung unvertretbar, da die Sonderfahrten (Ziffer 23 der Allgemeinen Vertragsbedingungen) nicht berücksichtigt worden sind. Des Weiteren ist ein konkreter Auftragswert auch nicht in den Aufstellungen benannt, sondern es befindet sich in den Vergabeakten lediglich eine Aufstellung der an den Antragsteller gezahlten Nettobeträge in dem Zeitraum von Januar 2013 - Mai 2015 wieder, etwaige Kostensteigerungen oder sonstige zu berücksichtigende Änderungen gegenüber den vorangegangenen Jahren enthält diese Aufstellung nicht.

b) Der Senat schließt sich der Schätzung der Vergabekammer an.

Nach § 3 Abs. 1 Satz 1 VgV ist bei der Schätzung des Auftragswerts von der geschätzten Gesamtvergütung für die vorgesehene Leistung auszugehen. Ausschlaggebender Zeitpunkt für die Schätzung des Auftragswerts ist der Tag, an dem die Bekanntmachung der beabsichtigten Auftragsvergabe abgesendet oder das Vergabeverfahren auf andere Weise eingeleitet wird. Bei der Kostenschätzung kann auf die für die gleiche Leistung gezahlten Beträge der vorangegangenen Jahre zurückgegriffen werden, wobei jedoch stets zu prüfen ist, ob aufgrund der allgemeinen Kostensteigerung sich der Auftragswert erhöht.

Der Senat folgt der Auffassung der Vergabekammer, dass kein Grund besteht, die in Ziff. 23 der Allgemeinen Vertragsbedingungen beschriebenen Sonderfahrten nicht in die Kostenschätzung einzubeziehen. Die Sonderfahrten sind Teil des Vertrages, da dort geregelt wird, dass diese Sonderfahrten zum Angebotspreis abzurechnen sind. Auch wenn der Umfang der Sonderfahrten nicht feststeht, kann auf den Leistungsumfang der vorangegangenen Schuljahre zurückgegriffen werden und auf Grundlage der in diesem Zeitraum durchgeführten Sonderfahrten der Auftragswert dieser Position geschätzt werden.

Da der Antragsteller in beiden vorangegangenen Schuljahren (2013/2014 und 2014/2015) über 218.000,00 € mit dem Antragsteller abgerechnet hat, ist der Auftragswert auf über 207.000,00 € zu schätzen. Die Antragstellerin wäre daher verpflichtet gewesen, eine europaweite Ausschreibung vorzunehmen.

2. Der Antragsteller hat, insoweit er die Feststellung der Unwirksamkeit des zwischen der Antragsgegnerin und dem Beigeladenen geschlossenen Vertrags begehrt, die Frist nach § 101 b Abs. 2 GWB gewahrt.

Gemäß § 101 b Abs. 2 GWB hat der Antragsteller die Unwirksamkeit des Vertrages innerhalb von 30 Kalendertagen ab Kenntnis des Verstoßes, jedoch nicht später als sechs Monate nach Vertragsschluss im Nachprüfungsverfahren geltend zu machen. Diese Frist beginnt frühestens mit Vertragsschluss zu laufen (OLG Düsseldorf Beschluss vom 03.08.2011 Verg 33/11). Der Vertrag wurde am 7.8.2015 durch die Antragsgegnerin gegengezeichnet, so dass die 30-Tagefrist durch die Einreichung des Nachprüfungsantrags am 12.8.2015 gewahrt wurde.

3. Der Antragsteller hat nicht gegen die ihm obliegenden Rügepflichten gemäß § 107 Abs. 1 GWB verstoßen.

Nach § 107 Abs.3 S.1 Nr.2 und Nr.3 GWB muss der Bieter Verstöße gegen Vergabevorschriften, die in der Bekanntmachung oder in den Vergabeunterlagen erkennbar sind, spätestens bis zum Ablauf der in der Bekanntmachung benannten Frist zur Angebotsabgabe rügen.

a) Die Vergabekammer ist zu Recht davon ausgegangen, dass der Antragsteller, sofern er eine Rügepflicht bis zur Angebotsabgabe gehabt hätte, sich nicht auf eine Verletzung der Informationspflicht nach § 101a GWB berufen kann (vgl. OLG München Beschluss vom 31.1.2013 Verg 31/12).

b) Der Bekanntmachung bzw. den Vergabeunterlagen konnte entnommen werden, dass eine nationale Ausschreibung durchgeführt wird, jedoch nicht, von welchem Auftragswert die Antragsgegnerin ausgeht. Aus den Unterlagen ergibt sich lediglich, dass das Entgelt pro Beförderungskilometer anzubieten und pro Schultag von einer Gesamtfahrleistung von ca. 150 - 200 km auszugehen ist, wobei die jeweils notwendigen Fahrleistungen stark von Stundenplan abhängig sind.

c) Nach Bewertung des Senates war für ein Busunternehmen mit dem Zuschnitt des Unternehmens des Antragstellers weder aus der Bekanntmachung noch den Vergabeunterlagen erkennbar, dass unter Verletzung von vergaberechtlichen Vorschriften eine europaweiter Ausschreibung unterblieben ist.

(1) Es ist umstritten, nach welchen Maßstäben die Erkennbarkeit i. S. von § 107 Abs.1 GWB zu beurteilen ist. Grundsätzlich soll Maßstab für die Erkennbarkeit die Erkenntnismöglichkeit des betreffenden Unternehmens bei Anwendung üblicher Sorgfalt sein. Die Erkennbarkeit muss sich sowohl auf die den Verstoß begründenden Tatsachen als auch auf deren rechtliche Beurteilung beziehen. Fraglich ist aber, ob objektiv auf die Erkenntnismöglichkeit eines durchschnittlichen Unternehmens oder subjektiv auf das konkrete Unternehmen abgestellt werden soll.

Sinn der Rügepräklusion ist es, ein Taktieren des Bieters in der Form zu verhindern, dass mit der Rüge solange gewartet wird, bis klar ist, wer den Auftrag erhalten soll. Denn Sinn der Rügepflicht ist es in erster Linie, dem Auftraggeber im laufenden Verfahren eine Heilung des gerügten Mangels zu ermöglichen. Es spricht daher einiges für den subjektiven Maßstab (vgl. OLG München, Beschluss vom 29.07.2010 - Aktenzeichen Verg 9/10).

(2) Auf die Unterscheidung kommt es vorliegend nicht an, da selbst bei Anwendung des sogenannten objektiven Maßstabs zu konkretisieren ist und bei der Frage, welche Sorgfalt insoweit von einem verständigen Bieter oder bewährter Bewerber erwartet werden muss, durchaus die betrieblichen Verhältnisse, d. h. insbesondere die Branche, der Zuschnitt des Unternehmens und die aus der Unternehmenstätigkeit resultierende Häufigkeit der Teilnahme am Vergabeverfahren einzubeziehen sind. Anderenfalls würden kleinere mittelständische Unternehmen, die über keine Rechtsabteilung verfügen und nach Unternehmensgegenstand und -zuschnitt selten an Ausschreibungen teilnehmen, benachteiligt werden.

(3) Von einem Geschäftsführer bzw. Inhaber kleinen Busunternehmen mit kleinem Fuhrpark und regionalem Tätigkeitsschwerpunkt können keine genauen Kenntnisse über die maßgeblichen Schwellenwerte und die Berechnung des Auftragswertes erwartet werden.

Es war dabei zu berücksichtigen, dass ausschreibungspflichtige Aufträge der öffentlichen Hand hinsichtlich der Erbringung von Beförderungsleistungen mittels Bussen eher eine Ausnahme, denn die Regel darstellen und kleinere Busunternehmen nicht tagtäglich mit Ausschreibungen konfrontiert werden. Es kann daher nach Auffassung des Senates nicht erwartet werden, dass ein Inhaber oder ein Geschäftsführer kleinerer Busunternehmen über genaue Kenntnisse des aktuellen Schwellenwertes verfügt und darüber hinaus über Kenntnisse, wie genau die maßgeblichen Auftragswerte zu berechnen sind. Dies gilt insbesondere dann, wenn hinsichtlich des Auftragswertes eine Prognose zu treffen ist und der Schwellenwert nur knapp überschritten wird. Vorliegend kann der zu erbringende Leistungsumfang nicht festgelegt werden, da die Fahrten und Tageskilometerleistungen von der Anzahl der Schüler, den Wohnorten der Schüler und dem Stundenplan abhängig sind. Wie diese Unabwägbarkeiten bei der Festsetzung des Auftragswertes zu berücksichtigen sind, erfordert genauere Kenntnisse des Vergaberechts, über die ein Inhaber oder ein Geschäftsführer eines kleineren Busunternehmens in der Regel nicht verfügt und die auch von ihm nicht verlangt werden können.

4. Der Antragsteller hat hinreichend dargelegt, dass ihm durch den behaupteten Vergaberechtsverstoß ein Schaden entstanden ist oder droht (§ 107 Abs.2 GWB).

Der Bundesgerichtshof hat in dem Beschluss vom 10.11.2009, Aktenzeichen X ZB 8/09 (NZBau 2010,124) folgendes ausgeführt:

Einem Bieter, der sich an dem beanstandeten Vergabeverfahren durch die Abgabe eines Gebots beteiligt hat, droht regelmäßig auch dann im Sinne von § 107 Abs. 2 Satz 2 GWB ein Schaden durch eine Verletzung von Vergabevorschriften, wenn das eingeleitete Vergabeverfahren aufgrund der Wahl der falschen Verfahrensart nicht durch Zuschlag beendet werden darf und zur Bedarfsdeckung eine Neuausschreibung in Betracht kommt.

Nach der Rechtsprechung des Senats ist ein drohender Schaden im Sinne von § 107 Abs. 2 Satz 2 GWB bereits dargetan, wenn der Vortrag des Antragstellers ergibt, dass er im Fall eines ordnungsgemäßen (neuerlichen) Vergabeverfahrens bessere Chancen auf den Zuschlag haben könnte als in dem beanstandeten Verfahren (BGHZ 169, 131, 141). Ein Schaden droht bereits dann, wenn die Aussichten dieses Bieters auf die Erteilung des Auftrags zumindest verschlechtert worden sein können (vgl. BVerfG NZBau 2004, 564, 565). Das ist nicht nur der Fall, wenn dies für den Zuschlag in dem eingeleiteten und zur Nachprüfung gestellten Vergabeverfahren zutrifft. Denn es ist die tatsächliche Erteilung des Auftrags, welche die Vermögenslage von Bietern beeinflusst, nicht der Umstand, in welchem Vergabeverfahren sie erfolgt. § 107 Abs. 2 GWB lässt auch nicht erkennen, dass für die Antragsbefugnis allein auf die Möglichkeit abzustellen sein könnte, den ausgeschriebenen Auftrag gerade in dem eingeleiteten und zur Nachprüfung gestellten Vergabeverfahren zu erhalten. Nach seinem Wortlaut muss vielmehr ganz allgemein ein (drohender) Schaden dargelegt werden, für den die behauptete Verletzung von Vergabevorschriften kausal ist. Es genügt deshalb, wenn es nach dem Vorbringen des das Nachprüfungsverfahren betreibenden Bieters möglich erscheint, dass er ohne den behaupteten Vergaberechtsverstoß den Bedarf, dessentwegen die Ausschreibung erfolgt ist, gegen Entgelt befriedigen kann. Das ist regelmäßig auch der Fall, wenn das eingeleitete Vergabeverfahren nicht ohne weiteres durch Zuschlag beendet werden darf, und zur Bedarfsdeckung eine Neuausschreibung in Betracht kommt. Dass im Voraus nicht abzusehen ist, ob die darin liegende Chance eine realistische Aussicht darstellt, den Auftrag zu erhalten, und sich eine solche Chance keinesfalls zwangsläufig für den betreffenden Bieter auftun muss, ist angesichts der zitierten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts unerheblich. Denn hiernach reicht schon die Möglichkeit einer Verschlechterung der Aussichten des den Nachprüfungsantrag stellenden Bieters infolge der Nichtbeachtung von Vergabevorschriften.

Der Entscheidung des Bundesgerichtshofs lag zugrunde, dass statt einem offenen ein Verhandlungsverfahren durchgeführt wurde. Daher bedurfte die Frage, unter welchen Voraussetzungen für die Konstellation, dass eine nationale statt einer europaweiten Ausschreibung erfolgte, eine Rechtsverletzung im Sinne von § 107 Abs.2 GWB als dargelegt gilt, keiner Entscheidung.

Die wesentlichen Grundsätze der Entscheidung des Bundesgerichtshofs sind nach Auffassung des Senats auf die vorliegende Fallgestaltung übertragbar. Es kann daher nicht von vorneherein ein drohender Schaden mit der Begründung verneint werden, dass der Bieter in dem nationalen Verfahren unterlegen sei, sondern der Bieter kann sich darauf berufen, bei einer europaweiten Ausschreibung bessere Chancen auf einen Zuschlag gehabt zu habe.

Ein nach den Vorschriften des vierten Teils des GWB bzw. der VOL/A durchgeführtes Verfahrens erweitert nicht nur den Kreis der möglichen Bieter, sondern unterscheidet sich hinsichtlich der einzelnen Verfahrensschritte und der Bindung an formelle Vorgaben grundsätzlich von dem hier gewählten Vorgehen. Insbesondere wäre dann die Beschränkung auf einen Kreis von acht Unternehmen und der Ausschluss der Anwendung der VOL/A unzulässig gewesen. Wie in dem von dem Bundesgerichtshof entschiedenen Fall hätte das Verfahren nicht mit Zuschlagserteilung abgeschlossen werden dürfen.

Es handelt sich nicht um eine abstrakt zu beantwortende Rechtsfrage, sondern darum, ob hinreichend dargelegt ist, dass im Einzelfall ein Schaden nicht auszuschließen ist, wobei alleine der Verweis, dass das Verfahren neu ausgeschrieben hätte werden müssen, für sich alleine noch nicht ausreicht, um eine Rechtsverletzung im Sinne von § 107 Abs. 2 GWB zu bejahen.

Dem Beschluss des Oberlandesgericht Koblenz (OLG Koblenz, Beschluss vom 4.2.2009 1 Verg 4/08) kann lediglich die Auffassung entnommen werden, dass ein Verstoß gegen die Pflicht zur EU-weiten Ausschreibung nicht ohne weiteres auf eine (potentiell) schadenskausale Weise die Rechte eines Bieters verletzt, der in dem national ausgeschrieben Verfahren ein Angebot abgegeben hat. Das OLG Rostock (Beschluss vom 6.11.2015 17 Verg 2/15) hat unter Berufung auf den obigen Beschluss des Bundesgerichtshofs entschieden, dass ein drohender Schaden bereits dann dargetan ist, wenn der Antragsteller im Falle eines ordnungsgemäßen (neuerlichen) Vergabeverfahrens bessere Chancen auf den Zuschlag haben könnte. Das OLG Rostock hat eine bessere Chance des Bieters angenommen, weil der Bieter ein billigeres Angebot und die konkurrierenden Bieter teurere Angebot einreichen hätte können. Der Senat hat einzelfallbezogen entschieden, dass eine Rechtsverletzung dann nicht dargetan ist, wenn das Angebot des Antragstellers wegen Abweichung vom Leistungsverzeichnis zu Recht aus dem Verfahren ausgeschlossen worden ist (OLG München Beschluss vom 31.1.2013 Verg 31/12).

Es ist daher entscheidend, ob der Antragsteller hinreichend dargelegt hat, dass er in einem neu durchzuführenden Vergabeverfahren mit einer europaweiten Ausschreibung eine bessere Chance auf den Zuschlag hätte.

Die Darlegungen des Antragstellers in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat reichen aus, um von einen drohenden Schaden i. S.v. § 107 Abs.2 ZPO auszugehen, d. h., dass nicht ausgeschlossen werden kann, dass der Vergaberechtsverstoß (nationale statt europaweiter Ausschreibung) sich kausal zu seinen Lasten ausgewirkt hat.

Der Antragsteller hat nachvollziehbar dargelegt, dass er im Falle einer europaweiten Ausschreibung anders kalkuliert hätte und wohl die Preise nicht gegenüber der vorangegangenen Auftrag erhöht hätte. Dies ist plausibel. Bei einer europaweiten Ausschreibung ist der Bieterkreis schwerer einzuschätzen, wobei zu berücksichtigen ist, dass die Stadt L. im Grenzgebiet zu Österreich liegt ist und es durchaus möglich ist, dass sich auch ausländische Busunternehmen an einer europaweiten Ausschreibung beteiligen.

Es kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass sich bei einer europaweiten Ausschreibung die Chancen des Antragstellers auf den Zuschlag aufgrund einer abgeänderten Kalkulation verbessern würden.

II. Der Antrag auf Feststellung, dass der Vertrag von Anfang an unwirksam war, ist begründet, da die Antragsgegnerin gegen ihre Informationspflicht nach § 101 a GWB verstoßen hat und ein über die Informationspflicht nach § 101 Art GWB hinausgehender Vergaberechtsverstoß sich zulasten des Antragstellers ausgewirkt hat und nicht auszuschließen ist, dass er in seinen Rechten verletzt wurde.

1. Die Antragsgegnerin ist der ihr nach § 101a GWB obliegenden Informationspflicht nicht nachgekommen. Nach dieser Vorschrift hat der Auftraggeber die betroffenen Bieter, deren Angebote nicht berücksichtigt werden sollen, den Namen des Unternehmens, dessen Angebot angenommen werden soll, mitzuteilen sowie über die Gründe der vorgesehenen Nichtberücksichtigung ihres Angebots und über den frühesten Zeitpunkt des Vertragsabschlusses unverzüglich in Textform zu informieren.

Die telefonische Mitteilung, dass der Antragsteller nicht berücksichtigt wird, genügt bereits nicht dem Formerfordernis des § 101 GWB und enthält keine Angaben über den Bieter, der den Zuschlag erhalten soll sowie über den frühesten Zeitpunkt des Vertragsschlusses.

Es kann dahingestellt bleiben, ob der Antragsteller das Schreiben der Antragsgegnerin vom 10.7.2015 erhalten hat, da wiederum der Name des erfolgreichen Bieters und die Angabe, zu welchem Zeitpunkt frühestens ein Vertragsabschluss erfolgt, nicht aufgeführt werden.

2. Da, wie oben, ausgeführt eine europaweite Ausschreibung hätte erfolgen müssen, liegt auch ein über den Verstoß gegen die Informationspflichten hinausgehender Vergaberechtsverstoß vor.

3. Insoweit für die Begründetheit verlangt wird, dass sich der Verstoß zulasten des Bieters ausgewirkt hat und der Bieter in seinen Rechten verletzt wird oder dies zumindest nicht auszuschließen ist, kann auf die obigen Ausführungen unter I. 4 verwiesen werden.

III. Der Nachprüfungsantrag erwies sich auch insoweit als begründet, als bei fortbestehender Beschaffungsabsicht eine europaweite Ausschreibung zu erfolgen hat (Vgl. OLG Rostock Beschluss vom 6.11.2015 - 17 Verg 2/15).

C. Die Kosten des Nachprüfungsverfahrens vor der Vergabekammer und des Beschwerdeverfahrens einschließlich des Verfahrens nach § 118 GWB einschließlich der notwendigen Aufwendungen der Antragstellerin trägt der Antragsgegner. Die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts für das Verfahren vor der Vergabekammer wird für die Antragstellerin für notwendig erachtet.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 120 Abs. 2, 78 GWB, § 91 ZPO, § 128 Abs. 4 GWB. Der Streitwert wurde nach § 50 Abs. 2 GKG mit 5% der geschätzten -Auftragssumme festgesetzt.

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Oberlandesgericht Rostock Beschluss, 06. Nov. 2015 - 17 Verg 2/15

bei uns veröffentlicht am 06.11.2015

Tenor Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss der Vergabekammer Mecklenburg-Vorpommern vom 22.04.2015 - 2 VK 02/15 - aufgehoben. Es wird festgestellt, dass der Vertrag der Antragsgegnerin mit der Beigeladenen übe

Oberlandesgericht Koblenz Beschluss, 04. Feb. 2009 - 1 Verg 4/08

bei uns veröffentlicht am 04.02.2009

Tenor 1. Das Nachprüfungsverfahren und damit auch die gegen den Beschluss der Vergabekammer Rheinland-Pfalz vom 10. November 2008 gerichtete sofortige Beschwerde der Antragstellerin haben sich durch Erteilung des Zuschlags erledigt. 2.
1 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Oberlandesgericht München Beschluss, 02. Juni 2016 - Verg 15/15.

Vergabekammer Südbayern Beschluss, 12. Aug. 2016 - Z3-3/3194/1/27/07/16

bei uns veröffentlicht am 12.08.2016

Tenor 1. Es wird festgestellt, dass der zwischen der Auftraggeberin und der Beigeladenen am 07.07.2016 geschlossene Vertrag über die „Versorgung von Asylbewerbern in der Doppeltraglufthalle U…“, unwirksam ist. 2. D

Referenzen

Für die Vergabe von Bauaufträgen sind Abschnitt 1 und Abschnitt 2, Unterabschnitt 2 anzuwenden. Im Übrigen ist Teil A Abschnitt 2 der Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen in der Fassung der Bekanntmachung vom 31. Januar 2019 (BAnz AT 19.02.2019 B2) anzuwenden.

(1) Dieser Teil ist nicht anzuwenden auf die Vergabe von öffentlichen Aufträgen und Konzessionen

1.
zu Schiedsgerichts- und Schlichtungsdienstleistungen,
2.
für den Erwerb, die Miete oder die Pacht von Grundstücken, vorhandenen Gebäuden oder anderem unbeweglichem Vermögen sowie Rechten daran, ungeachtet ihrer Finanzierung,
3.
zu Arbeitsverträgen,
4.
zu Dienstleistungen des Katastrophenschutzes, des Zivilschutzes und der Gefahrenabwehr, die von gemeinnützigen Organisationen oder Vereinigungen erbracht werden und die unter die Referenznummern des Common Procurement Vocabulary 75250000-3, 75251000-0, 75251100-1, 75251110-4, 75251120-7, 75252000-7, 75222000-8, 98113100-9 und 85143000-3 mit Ausnahme des Einsatzes von Krankenwagen zur Patientenbeförderung fallen; gemeinnützige Organisationen oder Vereinigungen im Sinne dieser Nummer sind insbesondere die Hilfsorganisationen, die nach Bundes- oder Landesrecht als Zivil- und Katastrophenschutzorganisationen anerkannt sind.

(2) Dieser Teil ist ferner nicht auf öffentliche Aufträge und Konzessionen anzuwenden,

1.
bei denen die Anwendung dieses Teils den Auftraggeber dazu zwingen würde, im Zusammenhang mit dem Vergabeverfahren oder der Auftragsausführung Auskünfte zu erteilen, deren Preisgabe seiner Ansicht nach wesentlichen Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik Deutschland im Sinne des Artikels 346 Absatz 1 Buchstabe a des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union widerspricht, oder
2.
die dem Anwendungsbereich des Artikels 346 Absatz 1 Buchstabe b des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union unterliegen.
Wesentliche Sicherheitsinteressen im Sinne des Artikels 346 Absatz 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union können insbesondere berührt sein, wenn der öffentliche Auftrag oder die Konzession verteidigungsindustrielle Schlüsseltechnologien betrifft. Ferner können im Fall des Satzes 1 Nummer 1 wesentliche Sicherheitsinteressen im Sinne des Artikels 346 Absatz 1 Buchstabe a des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union insbesondere berührt sein, wenn der öffentliche Auftrag oder die Konzession
1.
sicherheitsindustrielle Schlüsseltechnologien betreffen oder
2.
Leistungen betreffen, die
a)
für den Grenzschutz, die Bekämpfung des Terrorismus oder der organisierten Kriminalität oder für verdeckte Tätigkeiten der Polizei oder der Sicherheitskräfte bestimmt sind, oder
b)
Verschlüsselung betreffen
und soweit ein besonders hohes Maß an Vertraulichkeit erforderlich ist.

Vereinbarungen zwischen miteinander im Wettbewerb stehenden Unternehmen und Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen, die die Rationalisierung wirtschaftlicher Vorgänge durch zwischenbetriebliche Zusammenarbeit zum Gegenstand haben, erfüllen die Voraussetzungen des § 2 Absatz 1, wenn

1.
dadurch der Wettbewerb auf dem Markt nicht wesentlich beeinträchtigt wird und
2.
die Vereinbarung oder der Beschluss dazu dient, die Wettbewerbsfähigkeit kleiner oder mittlerer Unternehmen zu verbessern.

Für die Vergabe von Bauaufträgen sind Abschnitt 1 und Abschnitt 2, Unterabschnitt 2 anzuwenden. Im Übrigen ist Teil A Abschnitt 2 der Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen in der Fassung der Bekanntmachung vom 31. Januar 2019 (BAnz AT 19.02.2019 B2) anzuwenden.

(1) Bei der Schätzung des Auftragswerts ist vom voraussichtlichen Gesamtwert der vorgesehenen Leistung ohne Umsatzsteuer auszugehen. Zudem sind etwaige Optionen oder Vertragsverlängerungen zu berücksichtigen. Sieht der öffentliche Auftraggeber Prämien oder Zahlungen an den Bewerber oder Bieter vor, sind auch diese zu berücksichtigen.

(2) Die Wahl der Methode zur Berechnung des geschätzten Auftragswerts darf nicht in der Absicht erfolgen, die Anwendung der Bestimmungen des Teils 4 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen oder dieser Verordnung zu umgehen. Eine Auftragsvergabe darf nicht so unterteilt werden, dass sie nicht in den Anwendungsbereich der Bestimmungen des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen oder dieser Verordnung fällt, es sei denn, es liegen objektive Gründe dafür vor, etwa wenn eine eigenständige Organisationseinheit selbstständig für ihre Auftragsvergabe oder bestimmte Kategorien der Auftragsvergabe zuständig ist.

(3) Maßgeblicher Zeitpunkt für die Schätzung des Auftragswerts ist der Tag, an dem die Auftragsbekanntmachung abgesendet wird oder das Vergabeverfahren auf sonstige Weise eingeleitet wird.

(4) Der Wert einer Rahmenvereinbarung oder eines dynamischen Beschaffungssystems wird auf der Grundlage des geschätzten Gesamtwertes aller Einzelaufträge berechnet, die während der gesamten Laufzeit einer Rahmenvereinbarung oder eines dynamischen Beschaffungssystems geplant sind.

(5) Der zu berücksichtigende Wert im Falle einer Innovationspartnerschaft entspricht dem geschätzten Gesamtwert der Forschungs- und Entwicklungstätigkeiten, die während sämtlicher Phasen der geplanten Partnerschaft stattfinden sollen, sowie der Bau-, Liefer- oder Dienstleistungen, die zu entwickeln und am Ende der geplanten Partnerschaft zu beschaffen sind.

(6) Bei der Schätzung des Auftragswerts von Bauleistungen ist neben dem Auftragswert der Bauaufträge der geschätzte Gesamtwert aller Liefer- und Dienstleistungen zu berücksichtigen, die für die Ausführung der Bauleistungen erforderlich sind und vom öffentlichen Auftraggeber zur Verfügung gestellt werden. Die Möglichkeit des öffentlichen Auftraggebers, Aufträge für die Planung und die Ausführung von Bauleistungen entweder getrennt oder gemeinsam zu vergeben, bleibt unberührt.

(7) Kann das beabsichtigte Bauvorhaben oder die vorgesehene Erbringung einer Dienstleistung zu einem Auftrag führen, der in mehreren Losen vergeben wird, ist der geschätzte Gesamtwert aller Lose zugrunde zu legen. Erreicht oder überschreitet der geschätzte Gesamtwert den maßgeblichen Schwellenwert, gilt diese Verordnung für die Vergabe jedes Loses.

(8) Kann ein Vorhaben zum Zweck des Erwerbs gleichartiger Lieferungen zu einem Auftrag führen, der in mehreren Losen vergeben wird, ist der geschätzte Gesamtwert aller Lose zugrunde zu legen.

(9) Der öffentliche Auftraggeber kann bei der Vergabe einzelner Lose von Absatz 7 Satz 3 sowie Absatz 8 abweichen, wenn der geschätzte Nettowert des betreffenden Loses bei Liefer- und Dienstleistungen unter 80 000 Euro und bei Bauleistungen unter 1 Million Euro liegt und die Summe der Nettowerte dieser Lose 20 Prozent des Gesamtwertes aller Lose nicht übersteigt.

(10) Bei regelmäßig wiederkehrenden Aufträgen oder Daueraufträgen über Liefer- oder Dienstleistungen sowie bei Liefer- oder Dienstleistungsaufträgen, die innerhalb eines bestimmten Zeitraums verlängert werden sollen, ist der Auftragswert zu schätzen

1.
auf der Grundlage des tatsächlichen Gesamtwerts entsprechender aufeinanderfolgender Aufträge aus dem vorangegangenen Haushaltsjahr oder Geschäftsjahr; dabei sind voraussichtliche Änderungen bei Mengen oder Kosten möglichst zu berücksichtigen, die während der zwölf Monate zu erwarten sind, die auf den ursprünglichen Auftrag folgen, oder
2.
auf der Grundlage des geschätzten Gesamtwerts aufeinanderfolgender Aufträge, die während der auf die erste Lieferung folgenden zwölf Monate oder während des auf die erste Lieferung folgenden Haushaltsjahres oder Geschäftsjahres, wenn dieses länger als zwölf Monate ist, vergeben werden.

(11) Bei Aufträgen über Liefer- oder Dienstleistungen, für die kein Gesamtpreis angegeben wird, ist Berechnungsgrundlage für den geschätzten Auftragswert

1.
bei zeitlich begrenzten Aufträgen mit einer Laufzeit von bis zu 48 Monaten der Gesamtwert für die Laufzeit dieser Aufträge, und
2.
bei Aufträgen mit unbestimmter Laufzeit oder mit einer Laufzeit von mehr als 48 Monaten der 48-fache Monatswert.

(12) Bei einem Planungswettbewerb nach § 69, der zu einem Dienstleistungsauftrag führen soll, ist der Wert des Dienstleistungsauftrags zu schätzen zuzüglich etwaiger Preisgelder und Zahlungen an die Teilnehmer. Bei allen übrigen Planungswettbewerben entspricht der Auftragswert der Summe der Preisgelder und Zahlungen an die Teilnehmer einschließlich des Werts des Dienstleistungsauftrags, der vergeben werden könnte, soweit der öffentliche Auftraggeber diese Vergabe in der Wettbewerbsbekanntmachung des Planungswettbewerbs nicht ausschließt.

(1) Dieser Teil ist nicht anzuwenden auf die Vergabe von öffentlichen Aufträgen und Konzessionen

1.
zu Schiedsgerichts- und Schlichtungsdienstleistungen,
2.
für den Erwerb, die Miete oder die Pacht von Grundstücken, vorhandenen Gebäuden oder anderem unbeweglichem Vermögen sowie Rechten daran, ungeachtet ihrer Finanzierung,
3.
zu Arbeitsverträgen,
4.
zu Dienstleistungen des Katastrophenschutzes, des Zivilschutzes und der Gefahrenabwehr, die von gemeinnützigen Organisationen oder Vereinigungen erbracht werden und die unter die Referenznummern des Common Procurement Vocabulary 75250000-3, 75251000-0, 75251100-1, 75251110-4, 75251120-7, 75252000-7, 75222000-8, 98113100-9 und 85143000-3 mit Ausnahme des Einsatzes von Krankenwagen zur Patientenbeförderung fallen; gemeinnützige Organisationen oder Vereinigungen im Sinne dieser Nummer sind insbesondere die Hilfsorganisationen, die nach Bundes- oder Landesrecht als Zivil- und Katastrophenschutzorganisationen anerkannt sind.

(2) Dieser Teil ist ferner nicht auf öffentliche Aufträge und Konzessionen anzuwenden,

1.
bei denen die Anwendung dieses Teils den Auftraggeber dazu zwingen würde, im Zusammenhang mit dem Vergabeverfahren oder der Auftragsausführung Auskünfte zu erteilen, deren Preisgabe seiner Ansicht nach wesentlichen Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik Deutschland im Sinne des Artikels 346 Absatz 1 Buchstabe a des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union widerspricht, oder
2.
die dem Anwendungsbereich des Artikels 346 Absatz 1 Buchstabe b des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union unterliegen.
Wesentliche Sicherheitsinteressen im Sinne des Artikels 346 Absatz 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union können insbesondere berührt sein, wenn der öffentliche Auftrag oder die Konzession verteidigungsindustrielle Schlüsseltechnologien betrifft. Ferner können im Fall des Satzes 1 Nummer 1 wesentliche Sicherheitsinteressen im Sinne des Artikels 346 Absatz 1 Buchstabe a des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union insbesondere berührt sein, wenn der öffentliche Auftrag oder die Konzession
1.
sicherheitsindustrielle Schlüsseltechnologien betreffen oder
2.
Leistungen betreffen, die
a)
für den Grenzschutz, die Bekämpfung des Terrorismus oder der organisierten Kriminalität oder für verdeckte Tätigkeiten der Polizei oder der Sicherheitskräfte bestimmt sind, oder
b)
Verschlüsselung betreffen
und soweit ein besonders hohes Maß an Vertraulichkeit erforderlich ist.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
X ZB 8/09
vom
10. November 2009
in dem Vergabenachprüfungsverfahren
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: ja
BGHR: ja
Endoskopiesystem
GWB §§ 107 Abs. 2 Satz 2, 117 Abs. 1; VOL/A 2006 § 3 a Nr. 1 Abs. 5 lit. b

a) Die Beschwerdefrist des § 117 Abs. 1 GWB wird nicht dadurch in Lauf gesetzt
, dass die Vergabekammer eine Beschlussabschrift "vorab" per Telefax
übersendet, wenn für den Empfänger zu erkennen ist, dass die Übermittlung
per Telefax nur zur Information und nicht zum Zwecke der Zustellung erfolgt.

b) Einem Bieter, der sich an dem beanstandeten Vergabeverfahren durch die
Abgabe eines Gebots beteiligt hat, droht regelmäßig auch dann im Sinne von
§ 107 Abs. 2 Satz 2 GWB ein Schaden durch eine Verletzung von Vergabevorschriften
, wenn zu Unrecht das Verhandlungsverfahren statt des offenen
Verfahrens gewählt worden ist, deshalb das Vergabeverfahren nicht ohne
weiteres durch Zuschlag beendet werden darf und zur Bedarfsdeckung eine
Neuausschreibung in Betracht kommt.

c) Zur Zulässigkeit eines Verhandlungsverfahrens nach § 3 a Nr. 1 Abs. 5 lit. b
VOL/A 2006.
BGH, Beschl. v. 10. November 2009 - X ZB 8/09 - OLG Celle - Vergabekammer
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 10. November 2009
durch den Vorsitzenden Richter Scharen und die Richter Asendorf, Gröning,
Dr. Berger und Dr. Grabinski

beschlossen:
1. Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss der Vergabekammer beim Niedersächsischen Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr - Regierungsvertretung L. -, Az. VgK-59/2008 vom 6. März 2009 teilweise aufgehoben.
2. Auf den Nachprüfungsantrag der Antragstellerin wird
a) festgestellt, dass die Antragstellerin auch durch die Wahl des Verhandlungsverfahrens in ihren Rechten verletzt ist.

b) der Antragsgegnerin untersagt, auf der Grundlage ihrer Ausschreibung zur "Neubeschaffung von Endoskopiesystemen für Diagnose und Therapie" mit der Vergabenummer SKL A 08/ den Zuschlag zu erteilen.
3. Im Übrigen wird die sofortige Beschwerde zurückgewiesen.
4. Die Antragsgegnerin und die Beigeladene haben als Gesamtschuldner die für die Amtshandlungen der Vergabekammer entstandenen Kosten zu tragen.
5. Die Antragsgegnerin und die Beigeladene haben der Antragstellerin deren zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung vor der Vergabekammer entstandenen notwendigen Auslagen je zur Hälfte zu erstatten. Die Hinzuziehung des Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin war notwendig.
6. Die Antragsgegnerin und die Beigeladene haben die Kosten des Verfahrens der sofortigen Beschwerde zu tragen.
7. Der Streitwert für die Beschwerdeinstanz beträgt bis 30.000,-- €.

Gründe:


1
A. I. Die Antragstellerin vertreibt medizinische Produkte aus unterschiedlichen optischen Bereichen. Die Antragsgegnerin ist Betreiberin des Städtischen Klinikums L. . Unter dem 23. Juli 2008 schrieb die Antragsgegnerin die Neubeschaffung von Endoskopiesystemen für Diagnose und Therapie im Verhandlungsverfahren mit vorgeschaltetem Teilnahmewettbewerb europaweit aus. Ein bereits vorangegangenes offenes Verfahren hatte sie im Hinblick auf Rügen und ein Nachprüfungsverfahren (vgl. OLG Celle, Beschl. v. 22.5.2008 - 13 Verg 1/08, OLGR Celle 2008, 663) aufgehoben.
2
In der Leistungsbeschreibung der Antragsgegnerin werden die einzelnen gewünschten Komponenten jeweils mit vorgegebenen und weiteren Merkmalen beschrieben, über deren Vorhandensein und Beschaffenheit der Bieter Angaben zu machen hat. So heißt es beispielsweise bei der Position "01.01.004 Absaugpumpe" (gekürzt): "Allg. Merkmale - Das Gerät muss den Anforderungen der Richtlinie 93/42/EWG entsprechen und mit CE-Kennzeichnung versehen sein. - Das Gerät muss die EMC-Norm für Medizingeräte (IEC 60601-1-2: 2001) erfüllen , wenn es in Kombination mit CE-Zeichen gekennzeichneten MP’s erfolgt. - Erfüllt Emissionsanforderungen n. EN 55011: Gruppe , Klasse Leistungsmerkmale - Pumpentyp: - Kennzeichnung der Pumpe mit 'High Vaccuum, High Flow' gem. ISO 10079-1: ja/nein - Vakuumnennwert kPa +/. % - Vakuumleistung kPa in 10 sek - Betriebsart 'Dauerbetrieb' ja/nein wenn nein, welche ununterbrochene Betriebszeit Std - Thermoschutz des Pumpenmotors ja/nein - Verwendung von Mehrweg-/Einwegsekretbehältern/beides ? wenn Mehrwegbehälter, therm. sterilisierbar (137º C) ja/nein Techn. Merkmale - Spannungsversorgung VAC - Netzfrequenz Hz - Leistungsaufnahme VA"
3
Bereits während der Frist zur Teilnahme am Wettbewerb rügte die Antragstellerin verschiedene Punkte der Ausschreibung. Sie bemängelte insbesondere die Absicht der Antragsgegnerin, den Auftrag im Verhandlungsverfahren zu vergeben.
4
Die Antragsgegnerin half den Rügen im Wesentlichen nicht ab, sondern informierte die Antragstellerin mit Schreiben vom 16. Dezember 2008 gemäß § 13 VgV, dass die Beigeladene die höchste Punktzahl erhalten habe und ihr der Zuschlag erteilt werden solle. Daraufhin leitete die Antragstellerin das Nachprüfungsverfahren ein.

5
Die Antragsgegnerin macht geltend, sie habe nicht von vorneherein festlegen können, welche Systemkomponenten die Leistung beinhalten solle, ohne ein Unternehmen zu diskriminieren. Insoweit sei es nicht möglich gewesen, eine feste, unveränderbare Leistungsbeschreibung zu erstellen, die eine vergleichende Wertung der Angebote im Rahmen eines offenen Verfahrens ermöglicht hätte. Sie habe sich daher für ein Verhandlungsverfahren entschieden.
6
II. Die Vergabekammer beim Niedersächsischen Ministerium für Wirtschaft , Arbeit und Verkehr - Regierungsvertretung L. - hat in dem angefochtenen Beschluss vom 6. März 2009 festgestellt, dass die Antragstellerin in ihren Rechten verletzt sei, soweit die Antragsgegnerin bei der Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebots auch das von der Beigeladenen angebotene Skonto berücksichtigt habe. Im Übrigen hat die Vergabekammer den Nachprüfungsantrag zurückgewiesen. Insbesondere sei die Antragstellerin durch die Wahl des Verhandlungsverfahrens nicht in ihren Rechten verletzt.
7
III. Gegen diese Zurückweisung wendet sich die Antragstellerin mit ihrer sofortigen Beschwerde. Sie rügt weiterhin die Unzulässigkeit eines Verhandlungsverfahrens und hält auch ihre weiteren Rügen aufrecht, soweit die Vergabekammer ihnen nicht stattgegeben hat.
8
Die Antragstellerin beantragt: 1. die Entscheidung der Vergabekammer beim Niedersächsischen Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr - Regierungsvertretung L. -, Az. VgK-59/2008 vom 6. März 2009 aufzuheben , soweit der Nachprüfungsantrag zurückgewiesen wurde; 2. festzustellen, dass die Beschwerdeführerin (= Antragstellerin) durch die Gestaltung des Vergabeverfahrens insgesamt und nicht nur durch die Wertung des Skontos im Angebot der Beigeladenen verletzt wurde; 3. der Beschwerdegegnerin (= Antragsgegnerin) aufzugeben, das Vergabeverfahren zur "Neubeschaffung von Endoskopiesystemen für Diagnose und Therapie" aufzuheben; 4. hilfsweise, der Beschwerdegegnerin aufzugeben, das Vergabeverfahren unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts weiterzuführen; 5. hilfsweise, andere geeignete Maßnahmen zu treffen und 6. im Rahmen der das Verfahren vor der Vergabekammer betreffenden Kostenentscheidung die Hinzuziehung eines Prozessbevollmächtigten durch die Beschwerdeführerin für notwendig zu erklären.
9
Die Antragsgegnerin sowie die Beigeladene treten diesen Anträgen entgegen.
10
Das angerufene Oberlandesgericht Celle hat mit Beschluss vom 8. April 2009 die aufschiebende Wirkung der sofortigen Beschwerde der Antragstellerin antragsgemäß verlängert (Bl. 79 f. GA).
11
Die Antragsgegnerin hat bereits mit Schreiben vom 7. April 2009 den Zuschlag an die Beigeladene erteilt. Sie ist der Ansicht, für den Fristbeginn sei die am 9. März 2009 erfolgte Faxübermittlung des Beschlusses vom 6. März 2009 durch die Vergabekammer maßgebend und nicht die nachfolgende Zustellung vom 11. März 2009.
12
Die Antragstellerin stellt hilfsweise für den Fall, dass dem gefolgt werden sollte, einen Fortsetzungsfeststellungsantrag gemäß § 114 Abs. 2 Satz 2 GWB.
13
Das Oberlandesgericht Celle hält die Rüge der Wahl des Verhandlungsverfahrens für zulässig und in der Sache auch für begründet, ist jedoch der Ansicht , ihr nicht stattgeben zu können, weil es damit jedenfalls von der Entscheidung des Oberlandesgerichts Koblenz vom 4. Februar 2009 (1 Verg 4/08, ZfBR 2009, 292) abwiche. Es hat die Sache deshalb mit Beschluss vom 17. Juli 2009 (13 Verg 3/09, VergabeR 2009, 898) gemäß § 124 Abs. 2 GWB dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung vorgelegt.
14
B. Am 24. April 2009 ist das Gesetz zur Modernisierung des Vergaberechts in Kraft getreten. Nach dem durch dieses Gesetz neu angefügten § 131 Abs. 8 GWB ist für das vorliegende Verfahren das Gesetz in der bis zum 24. April 2009 geltenden Fassung maßgeblich.
15
I. Die Vorlage ist zulässig. Das vorlegende Oberlandesgericht will als tragende Begründung seiner Entscheidung den Rechtssatz zugrunde legen, dass einem Bieter regelmäßig auch dann ein Schaden durch die Verletzung von Vergabevorschriften droht, wenn das eingeleitete Vergabeverfahren nicht durch Zuschlag beendet werden darf und zur Bedarfsdeckung eine Neuausschreibung in Betracht kommt (vgl. auch OLG Celle, Beschl. v. 22.5.2008 - 13 Verg 1/08, OLGR Celle 2008, 663; OLG München, Beschl. v. 28.4.2006 - Verg 06/06, VergabeR 2006, 914 - "Juristische Beratung"; VK Bund, Beschl. v. 19.11.2008 - VK 1-135/08, Juris; VK Sachsen, Beschl. v. 20.8.2004 - 1/SVK/067-04, Juris; VK Südbayern, Beschl. v. 25.10.2006 - Z3-3-3194-1-28, Juris).

16
Hiermit würde das vorlegende Oberlandesgericht jedenfalls von der Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Koblenz (Beschl. v. 4.2.2009 - 1 Verg 4/08, ZfBR 2009, 292) abweichen, weil dieses ausweislich der Ausführungen unter Ziffer V des zitierten Beschlusses den Rechtssatz anwendet, dass zur Darlegung der Antragsbefugnis im Sinne des § 107 Abs. 2 Satz 2 GWB ein Sachvortrag erforderlich sei, aus dem sich schlüssig und nachvollziehbar ergebe , dass die Aussichten des Antragstellers auf eine Berücksichtigung seiner Bewerbung oder die Erteilung des Zuschlags gerade durch den gerügten Vergaberechtsverstoß beeinträchtigt worden seien, was einem Antragsteller, der sich an dem von ihm als falsch gerügten Verfahren durch Abgabe eines Gebots beteiligt habe, nicht gelingen könne. Die Weigerung der Vergabestelle, die Ausschreibung aufgrund der Wahl der falschen Verfahrensart - im entschiedenen Fall nationale statt europaweite Ausschreibung - aufzuheben, sei kein selbständiger Vergabeverstoß, der zum Gegenstand eines Nachprüfungsverfahrens gemacht werden könne (vgl. auch BayObLG, Beschl. v. 12.4.2000 - Verg 1/00, BayObLGZ 2000, 109; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 26.7.2002 - Verg 22/02, NZBau 2002, 634; Beschl. v. 16.2.2006 - VII-Verg 6/06, IBR 2006, 356; Beschl. v. 8.5.2002 - VII-Verg 5/02, Juris; Beschl. v. 25.3.2002 - Verg 5/02, ZfBR 2002, 514; Beschl. v. 22.11.1999 - Verg 2/99, Juris; OLG Jena, Beschl. v. 8.5.2008 - 9 Verg 2/08, VergabeR 2008, 653; VK Sachsen, Beschl. v. 11.8.2006 - 1/SVK/073-06, Juris; VK Schleswig-Holstein, Beschl. v. 28.1.2009 - VK-SH 18/08, Juris; Beschl. v. 28.11.2006 - VK-SH 25/06, ZfBR 2007, 206).
17
Das Oberlandesgericht Koblenz begründet seine Entscheidung, die Fortsetzungsfeststellungsklage abzuweisen, zum einen damit, dass die Klägerin nicht schlüssig dargelegt habe, dass sie durch die Wahl des falschen Verfahrens , an dem sie sich mit einem nicht wertbaren Angebot beteiligt habe, einen Schaden erlitten habe. Zum anderen führt das Oberlandesgericht aus, dass dem Erfolg des Feststellungsantrags auch entgegenstehe, dass der ursprüngliche Nachprüfungsantrag unzulässig gewesen sei, weil der Klägerin aus den oben bereits geschilderten Gründen die Antragsbefugnis gefehlt habe. Beide Begründungen stehen gleichberechtigt nebeneinander.
18
Damit hat das Oberlandesgericht Koblenz einen Rechtssatz als tragende Begründung zugrunde gelegt, der von demjenigen Rechtssatz abweicht, den das vorlegende Oberlandesgericht Celle nunmehr anwenden möchte. Angesichts dieser Divergenz führt die Vorlage dazu, dass grundsätzlich nunmehr der Bundesgerichtshof über die sofortige Beschwerde der Antragstellerin zu entscheiden hat (§ 124 Abs. 2 Satz 2 GWB; BGHZ 146, 202, 205; 169, 131, 135).
19
II. Die Beschwerde der Antragstellerin ist gemäß § 116 Abs. 2 GWB statthaft und in rechter Frist und Form eingelegt.
20
III. Das Begehren der Antragstellerin, das von der Antragsgegnerin eingeleitete Vergabeverfahren der Nachprüfung zu unterziehen, ist ebenfalls zulässig.
21
1. Das Nachprüfungsverfahren ist nicht durch den der Beigeladenen erteilten Zuschlag erledigt. Dieser Zuschlag ist gemäß § 134 BGB in Verbindung mit § 115 Abs. 1 GWB nichtig. Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin ist die aufschiebende Wirkung der sofortigen Beschwerde der Antragstellerin durch den Beschluss des Oberlandesgerichts vom 8. April 2009 bis zur Ent- scheidung über die sofortige Beschwerde verlängert worden (§ 118 Abs. 1 Satz 3 GWB). Zu Unrecht meint die Antragsgegnerin, die Beschwerdefrist sei schon durch die Übersendung der angegriffenen Entscheidung per Telefax am 9. März 2009 in Lauf gesetzt worden, weshalb die aufschiebende Wirkung der Beschwerde bereits zum Zeitpunkt des Zuschlags und vor Erlass des Beschlusses des Oberlandesgerichts vom 8. April 2009 beendet gewesen sei. Zwar kann eine Zustellung gemäß § 114 Abs. 3 GWB in Verbindung mit § 61 Abs. 1 Satz 1 GWB, § 1 Abs. 1 NVwZG in Verbindung mit § 5 Abs. 4 VwZG auch per Telefax erfolgen. Es muss dann allerdings eindeutig sein, dass die Übermittlung per Telefax zum Zwecke der Zustellung erfolgt (Reidt, in: Reidt/Stickler/Glahs, VergR, 2. Aufl., § 114 Rdn. 70 c). Diese Voraussetzung ist hier nicht gegeben:
22
Die Beschwerdefrist des § 117 Abs. 1 GWB wird nicht dadurch in Lauf gesetzt, dass die Vergabekammer eine Beschlussabschrift "vorab" per Telefax übersendet, wenn für den Empfänger zu erkennen ist, dass die Übermittlung per Telefax nur zur Information und nicht zum Zwecke der Zustellung erfolgt.
23
Dem Telefax vom 9. März 2009 war zwar ein Anschreiben, nicht aber das nach § 5 Abs. 4 VwZG erforderliche Empfangsbekenntnis beigefügt (§ 5 Abs. 4 VwZG: "... kann auch auf andere Weise ... gegen Empfangsbekenntnis zugestellt werden."; vgl. hierzu BayObLG, Beschl. v. 10.10.2000 - Verg 5/00, VergabeR 2001, 55 ff.; OLG Stuttgart, Beschl. v. 11.7.2000 - 2 Verg 5/00, NZBau 2000, 462, 463). Insbesondere betraf die Bitte um sofortige Bestätigung nur den Eingang des Telefax und nicht die Rücksendung eines Empfangsbekenntnisses. Bei der gewünschten "sofortigen" Bestätigung konnte es daher nur um den Erhalt des Schreibens als solchen gehen. Nicht zuletzt enthielt das Telefax vom 9. März 2009 den ausdrücklichen Zusatz "Wegen der Eilbedürftigkeit erfolgt der Versand vorab per Telefax", wobei das Wort "vorab" fett gedruckt und unterstrichen war. Dies macht nach dem objektiven Empfängerhorizont nur dann Sinn, wenn der Übermittlung per Fax noch etwas nachfolgen sollte. Dies wiederum konnte ersichtlich nur die formelle Zustellung sein. Bestätigt wird diese Sicht dadurch, dass die Vorgehensweise der üblichen Handhabung bei der Vergabekammer entsprach und sämtlichen Beteiligten aus dem vorangegangenen Nachprüfungsverfahren bekannt war.
24
2. Die Antragstellerin ist auch gemäß § 107 Abs. 2 GWB antragsbefugt.
25
a) Die Antragstellerin hat ein Interesse an dem Auftrag, dessentwegen die Antragsgegnerin das zur Nachprüfung gestellte Vergabeverfahren durchführt. Dies bedarf keiner weiteren Darlegung, weil die Antragstellerin Bieterin in dem eingeleiteten Vergabeverfahren ist und bereits der Umstand der Angebotsabgabe regelmäßig das erforderliche Interesse belegt (BVerfG, Beschl. v. 29.7.2004 - 2 BvR 2248/03, NZBau 2004, 564; BGHZ 169, 131, 135). Dafür, dass im Streitfall ausnahmsweise etwas anderes gelten könnte, ist nichts ersichtlich. Hierfür wird auch weder von der Antragsgegnerin noch von der Beigeladenen etwas dargetan.
26
b) Die weitere Voraussetzung des § 107 Abs. 2 Satz 1 GWB (Geltendmachung einer Verletzung in Rechten nach § 97 Abs. 7 GWB durch Nichtbeachtung von Vergabevorschriften) ist ebenfalls erfüllt.
27
Insoweit reicht es aus, dass nach der Darstellung des das Nachprüfungsverfahren betreibenden Unternehmens eine Verletzung eigener Rechte möglich erscheint. Aus Gründen des effektiven Rechtsschutzes, der im Anwendungsbereich des § 100 Abs. 1 GWB durch das vergaberechtliche Nachprüfungsverfahren ermöglicht werden soll, kann die Antragsbefugnis nämlich nur einem Unternehmen fehlen, bei dem offensichtlich eine Rechtsbeeinträchtigung nicht vorliegt (BVerfG, Beschl. v. 29.7.2004 - 2 BvR 2248/03, NZBau 2004, 564, 566; BGHZ 169, 131, 136). Mit ihrem das Nachprüfungsverfahren einleitenden Schriftsatz hat die Antragstellerin unter anderem unter Behauptung von Tatsachen vorgebracht, dass die Wahl des Verhandlungsverfahrens durch die Antragsgegnerin vergabewidrig sei. Die Antragstellerin hat damit Umstände vorgetragen , die - wenn sie zutreffen - ergeben, das die Antragsgegnerin Bestimmungen über das Vergabeverfahren missachtet hat.
28
c) Entgegen der Meinung der Antragsgegnerin und der Beigeladenen mangelt es auch nicht an der nach § 107 Abs. 2 Satz 2 GWB erforderlichen Darlegung, dass der Antragstellerin durch die Wahl der angeblich falschen Verfahrensart ein Schaden entstanden ist oder zu entstehen droht.
29
aa) Die Antragstellerin hat insoweit ausgeführt, dass das Vergabeverfahren in der jetzigen Form nicht weiter geführt werden könne und mithin nur eine Aufhebung und Neuausschreibung in Betracht komme. Die Antragstellerin hat ferner dargelegt, dass auf Seiten der Antragsgegnerin weiterhin ein Beschaffungsbedarf bestehe, sie selbst weiterhin Interesse an der Erteilung des Zuschlags habe, und dass sie sich deswegen an einer neuen Ausschreibung beteiligen würde. Die Absicht der Antragsgegnerin, das Vergabeverfahren in der jetzigen Form fortzuführen, nehme ihr die Chance, sich erfolgreich an der in Betracht kommenden Neuausschreibung zu beteiligen. Ihr drohe damit ein Schaden. Anhaltspunkte dafür, dass ihre Teilnahme an einer Neuausschreibung keinen Erfolg haben könnte, seien weder dargetan noch sonst ersichtlich, zumal es ihr im Rahmen einer neuen Ausschreibung freistehe, ein verbessertes Angebot einzureichen.
30
bb) Dieses Vorbringen genügt im Ergebnis den gemäß § 107 Abs. 2 GWB zu stellenden Anforderungen:
31
Einem Bieter, der sich an dem beanstandeten Vergabeverfahren durch die Abgabe eines Gebots beteiligt hat, droht regelmäßig auch dann im Sinne von § 107 Abs. 2 Satz 2 GWB ein Schaden durch eine Verletzung von Vergabevorschriften , wenn das eingeleitete Vergabeverfahren aufgrund der Wahl der falschen Verfahrensart nicht durch Zuschlag beendet werden darf und zur Bedarfsdeckung eine Neuausschreibung in Betracht kommt.
32
Nach der Rechtsprechung des Senats ist ein drohender Schaden im Sinne von § 107 Abs. 2 Satz 2 GWB bereits dargetan, wenn der Vortrag des Antragstellers ergibt, dass er im Fall eines ordnungsgemäßen (neuerlichen) Vergabeverfahrens bessere Chancen auf den Zuschlag haben könnte als in dem beanstandeten Verfahren (BGHZ 169, 131, 141). Ein Schaden droht bereits dann, wenn die Aussichten dieses Bieters auf die Erteilung des Auftrags zumindest verschlechtert worden sein können (vgl. BVerfG NZBau 2004, 564, 565). Das ist nicht nur der Fall, wenn dies für den Zuschlag in dem eingeleiteten und zur Nachprüfung gestellten Vergabeverfahren zutrifft. Denn es ist die tatsächliche Erteilung des Auftrags, welche die Vermögenslage von Bietern beeinflusst, nicht der Umstand, in welchem Vergabeverfahren sie erfolgt. § 107 Abs. 2 GWB lässt auch nicht erkennen, dass für die Antragsbefugnis allein auf die Möglichkeit abzustellen sein könnte, den ausgeschriebenen Auftrag gerade in dem eingeleiteten und zur Nachprüfung gestellten Vergabeverfahren zu erhalten. Nach seinem Wortlaut muss vielmehr ganz allgemein ein (drohender) Schaden dargelegt werden, für den die behauptete Verletzung von Vergabevorschriften kausal ist. Es genügt deshalb, wenn es nach dem Vorbringen des das Nachprüfungsverfahren betreibenden Bieters möglich erscheint, dass er ohne den behaupteten Vergaberechtsverstoß den Bedarf, dessentwegen die Ausschreibung erfolgt ist, gegen Entgelt befriedigen kann. Das ist regelmäßig auch der Fall, wenn das eingeleitete Vergabeverfahren nicht ohne weiteres durch Zuschlag beendet werden darf, und zur Bedarfsdeckung eine Neuausschreibung in Betracht kommt. Dass im Voraus nicht abzusehen ist, ob die darin liegende Chance eine realistische Aussicht darstellt, den Auftrag zu erhalten, und sich eine solche Chance keinesfalls zwangsläufig für den betreffenden Bieter auftun muss, ist angesichts der zitierten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts unerheblich. Denn hiernach reicht schon die Möglichkeit einer Verschlechterung der Aussichten des den Nachprüfungsantrag stellenden Bieters infolge der Nichtbeachtung von Vergabevorschriften aus.
33
Eine solche Verschlechterung kommt auch im Streitfall in Betracht. Das Verhandlungsverfahren unterscheidet sich grundsätzlich vom offenen Verfahren , weil der öffentliche Auftraggeber im offenen Verfahren den Auftrag nur gemäß dem Inhalt eines der innerhalb der Angebotsfrist abgegebenen Gebote erteilen darf, während im Verhandlungsverfahren der Inhalt der Gebote jeweils verhandelbar ist. Wird das Verhandlungsverfahren zu Unrecht gewählt, ist deshalb jeder Bieter der ansonsten nicht gegebenen Gefahr ausgesetzt, im Rahmen von Nachverhandlungen von einem Mitbewerber unterboten zu werden. Bereits dies kann seine Zuschlagschancen beeinträchtigen.
34
Ob dies auch in dem vom Oberlandesgericht Koblenz einerseits und vom Kammergericht andererseits (Beschl. v. 17.10.2002 - 2 KartVerg 13/02, VergabeR 2003, 50) unterschiedlich entschiedenen Fall der Teilnahme an einer fehlerhaften , weil nur nationalen statt europaweiten Ausschreibung bejaht werden kann, bedarf hier keiner Entscheidung.
35
Die Antragsbefugnis kann auch nicht mit der Begründung in Zweifel gezogen werden, die Antragstellerin handele widersprüchlich, weil sie ihre Chance auf Erhalt des Auftrags in dem Verhandlungsverfahren gesucht hat, obwohl sie erkannt hat, dass für die nachgefragten Leistungen diese Verfahrensart nicht hätte gewählt werden dürfen (vgl. VK Düsseldorf, Beschl. v. 30.9.2002 - VK-26/2002-L, Juris). Die Abgabe eines Angebots ist - wie bereits erwähnt - das Mittel, das ohne weiteres das für einen Nachprüfungsantrag erforderliche Interesse am Auftrag belegt. Von einem Angebot Abstand zu nehmen, hieße außerdem, darauf vertrauen zu müssen, dass die eigene rechtliche Beurteilung, dass die Wahl des Verhandlungsverfahrens vergaberechtswidrig sei, auch von der zuständigen Vergabekammer bzw. den nachgeordneten Gerichten geteilt wird. Das sind in Anbetracht des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 29. Juli 2004 (2 BvR 2248/03, VergabeR 2004, 597) Gründe, die dem Vorwurf widersprüchlichen Verhaltens entgegenstehen.
36
Im Übrigen hat der Gesetzgeber durch das Gesetz zur Modernisierung des Vergaberechts vom 20. April 2009 (BGBl. I S. 790) die Zulässigkeitsanforderungen in § 107 Abs. 3 GWB zwar dahin verschärft, dass der Nachprüfungsantrag unzulässig ist, wenn mehr als 15 Kalendertage nach Eingang der Mitteilung eines Auftraggebers, einer Rüge nicht abhelfen zu wollen, vergangen sind. Daraus lässt sich aber nicht herleiten, dass ein nach altem Recht zu beurteilender Nachprüfungsantrag, bei dem diese Fristenzusammenhänge nicht gewahrt sind, auch schon auf der Grundlage bisherigen Rechts als unzulässig angesehen werden könnte.
37
Da die Antragstellerin mithin antragsbefugt ist, kann offen bleiben, ob die von der Vergabekammer Düsseldorf in dem zitierten Beschluss gezogene Schlussfolgerung, dass die Wahl der Vergabeart als Vergaberechtsverstoß auch ohne eine Beanstandung durch den Antragsteller gemäß § 114 Abs. 1 Satz 2 GWB von Amts wegen zu beachten sei, zutrifft.
38
3. Die Antragstellerin hat die Wahl des Verhandlungsverfahrens auch unverzüglich bei der Antragsgegnerin gerügt und ist damit ihrer Obliegenheit gemäß § 107 Abs. 3 Satz 1 GWB nachgekommen.
39
IV. Das mithin zulässige Begehren um Nachprüfung des eingeleiteten Vergabeverfahrens ist jedenfalls in Bezug auf die Rüge, das Verhandlungsverfahren sei zu Unrecht gewählt worden, begründet.
40
1. Die Antragstellerin beanstandet zu Recht, dass die Antragsgegnerin bei der Wahl des Verhandlungsverfahrens gegen § 101 Abs. 6 Satz 1 GWB verstoßen habe. Diese Vorschrift schreibt öffentlichen Auftraggebern grundsätzlich das offene Verfahren vor, "es sei denn, aufgrund dieses Gesetzes ist etwas anderes gestattet." Die freie Wahl zwischen den Verfahrensarten steht gemäß § 101 Abs. 6 Satz 2 GWB nur Auftraggebern zu, die "unter § 98 Nr. 4 fallen" (Tätigkeit im Bereich der Trinkwasser- oder Energieversorgung, des Verkehrs, der Telekommunikation). Zu diesen gehört die Antragsgegnerin nicht. Maßgeblich ist daher der Grundsatz in § 101 Abs. 6 Satz 1 GWB. Die Voraussetzungen, unter denen in den Fällen des Satzes 1 ausnahmsweise das Verhandlungsverfahren mit vorgeschaltetem Teilnahmewettbewerb zulässig ist, sind in § 3 a Nr. 1 Abs. 5 VOL/A 2006 geregelt, weil der auf Grund § 97 Abs. 6 GWB erlassene § 4 Abs. 1 VGV hierauf verweist.
41
2. Die Voraussetzungen des § 3 a Nr. 1 Abs. 5 lit. b VOL/A 2006, auf die sich die Antragsgegnerin allein stützt, liegen nicht vor.
42
a) Die Vorschrift beinhaltet zwei Fallgruppen, weil sie voraussetzt, dass es sich um Liefer- oder Dienstleistungsaufträge handelt, "die ihrer Natur nach oder wegen der damit verbundenen Risiken eine vorherige Festlegung eines Gesamtpreises nicht zulassen". Entscheidend ist aber in beiden Fällen, dass im Zeitpunkt der Entscheidung, welches Vergabeverfahren gewählt werden kann, den zukünftigen Bietern voraussichtlich die Bildung eines Gesamtpreises nicht möglich sein wird, weil der Bedarf, den der öffentliche Auftraggeber als gegeben ansieht und deshalb ausschreiben will, dessen Kalkulation nicht zulässt. Das kommt nur in ganz besonders gelagerten Beschaffungsfällen in Betracht. Der Ausnahmecharakter ergibt sich auch daraus, dass § 3 a Nr. 1 Abs. 5 lit. b VOL/A 2006 explizit von "Ausnahmefällen" spricht. Die Vorschrift ist demnach stets so auszulegen und anzuwenden, dass ihr Anwendungsbereich nicht zur Regel wird (vgl. auch EuGH, Urt. v. 13.1.2005 - Rs. C 84/03, EWS 2005, 125, 128; Urt. v. 10.4.2003 - Rs. C 20/01, EWS 2003, 240; Urt. v. 10.3.1987 - Rs. C 199/85, Slg. 1987, 1055; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 20.10.2008 - VII-Verg 46/08, VergabeR 2009, 173; Beschl. v. 27.10.2004 - VII-Verg 52/04, VergabeR 2005, 252; OLG Naumburg, Beschl. v. 10.11.2003 - 1 Verg 14/03, Juris).
43
aa) Bei der ersten Fallgruppe folgt die Unmöglichkeit, den Gesamtpreis vorher festzusetzen, aus der Natur der zu liefernden Sache oder Dienstleistung.
44
Dies betrifft Fallgestaltungen, bei denen eine vorherige exakte Festlegung der zu liefernden Sachen oder der auszuführenden Dienstleistungen und/oder deren Kalkulation aufgrund von Umständen, die in der Natur des zu Beschaffenden liegen, objektiv nicht möglich ist. Ein Fall der ersten Alternative kann etwa bei Reparaturleistungen angenommen werden, bei denen das Ausmaß der erforderlichen Reparaturen erst nach Beginn der Arbeiten deutlich wird (vgl. EG-Kommission, Leitfaden zu den Gemeinschaftsvorschriften über öffentliche Dienstleitungsaufträge, S. 22). Die zweite Alternative kommt etwa in Betracht bei der Ausschreibung eines mobilen Systems zum Einzug von Verwarnungsgeldern , wenn die Vergütung pro Zahlungsvorgang erfolgen soll, deren Anzahl aber nicht abschätzbar ist (vgl. Kaelble in Müller-Wrede, VOL/A, 2. Aufl., § 3 a Nr. 1-3 Rdn. 117 Fn. 143 unter Hinweis auf VK Düsseldorf, Beschl. v. 13.5.2002 - VK-7/2002-L).
45
Diese Auslegung von § 3 a Nr. 1 Abs. 5 lit. b VOL/A 2006 entspricht auch den Erwägungen zu Art. 30 Abs. 1 b der Richtlinie 2004/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleitungsaufträge (ABl. L 134 v. 30.4.2004, S. 114, dort Erwägungsgrund 31).
46
bb) Bei der zweiten Fallgruppe ist eine vorherige Festlegung der zu liefernden Sachen oder der zur erbringenden Dienstleistungen durch die Vergabestelle zwar möglich; jedoch kann die Kalkulation eines Gesamtpreises durch die Bieter aufgrund dem Auftrag immanenter Umstände nicht ohne Spekulation erfolgen, so dass es unbillig erscheint, ihre Folgen ohne weiteres allein dem Bieter aufzubürden. Zu denken ist hierbei zum Beispiel an den Bau eines Tunnels , dessen Beschaffenheit zwar im Einzelnen beschrieben werden kann, bei dem aber bereits abzusehen ist, dass die Erfüllung des Auftrags durch unbekannte geologische Gegebenheiten beeinflusst wird (vgl. EG-Kommission, Grünbuch ÖPP, KOM(2004) 327 Rdn. 24; Arrowsmith, CML Rev. 37(2000), 709, 724), oder an die Entsorgung von Altlasten eines Grundstücks (vgl. Kaelble in Müller-Wrede, VOL/A, 2. Aufl., § 3 a Nr. 1-3 Rdn. 115; Müller in Daub/Eberstein, VOL/A, § 3 a Rdn. 18), wenn verhandelt werden muss, wer das Risiko von etwaigen Zusatzkosten trägt.
47
b) Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin ist es im vorliegenden Fall möglich, im offenen Verfahren die nachgefragten Sachen und Dienstleitungen eindeutig und abschließend zu beschreiben sowie einen vorherigen Gesamtpreis festzusetzen:
48
aa) Die Vergabestelle plant den Umbau und die Erneuerung der Endoskopie eines Krankenhauses zu einem modernen Gastroenterologiezentrum. Neben der Planung der Schaffung der baulichen Voraussetzungen soll auch die medizinische Geräteausstattung dem neuesten medizinischen Stand angepasst werden. Die gesamte Medizingeräteausstattung inkl. der Aufbereitungs- und EDV-Dokumentationssysteme soll untereinander kompatibel sein. Ferner sollen Wartungsarbeiten an dem System erbracht und gebrauchte Endoskope zurückgenommen werden.
49
bb) Die Antragsgegnerin hat in ihrem Vergabevermerk vom 1. Juli 2008 ausgeführt, dass auf dem Markt verschiedene Endoskopie-Systeme vorhanden seien, die sich in ihren einzelnen Komponenten unterschieden. Jeder Hersteller verfüge über Alleinstellungsmerkmale, die nicht in Form zwingender Kriterien in das Leistungsverzeichnis aufgenommen werden könnten. Würde sich die Vergabestelle auf ein konkretes System festlegen, so würde damit auch gleichzeitig eine Festlegung auf einen Anbieter erfolgen. Die anderen Bieter könnten die Merkmale nicht erfüllen, ein Wettbewerb wäre ausgeschlossen. Eine Bieterbenachteiligung könne demnach nur dadurch ausgeschlossen werden, dass im Rahmen von Verhandlungen einzelne technische Merkmale miteinander abgewogen und in Korrelation zum Preis gesetzt werden.
50
cc) Diese Ausführungen rechtfertigen die Wahl des Verhandlungsverfahrens nicht. Denn im Widerspruch hierzu hat sich die Antragsgegnerin in der Lage gesehen, von vornherein ein differenziertes Leistungsverzeichnis zu erstellen , in dem die nachgefragten Leistungen im Einzelnen beschrieben sind. Dabei hat sie die Eigenschaften eines jeden ihr bekannten marktgängigen Systems in allen Einzelheiten abgebildet und zusätzlich Raum für gleichwertige Alternativen gelassen. Dadurch ergab sich zwar zwangsläufig bei den einzelnen Positionen eine Vielzahl von unterschiedlichen Eintragungsmöglichkeiten. Deshalb handel- te es sich aber noch nicht um Alternativpositionen, die es dem Bieter unmöglich machten, vergleichbare und bepreiste Angebote zu machen. Für die mit der Situation des - ohnehin begrenzten - Marktes ebenfalls vertrauten Bieter war vielmehr offensichtlich, was genau die Antragsgegnerin beschaffen wollte, nämlich eines der beschriebenen auf dem Markt befindlichen Systeme. Die unterschiedlichen Funktionsparameter in den Einzelpositionen dienten lediglich der produktneutralen Beschreibung und gleichzeitig der Vorbereitung einer ausdifferenzierten Bewertungsmatrix. Dass die verschiedenen Bieter - insbesondere die Antragstellerin und die Beigeladene - unterschiedliche Endoskopiesysteme vertreiben , kann nicht ausreichen, um ein Verhandlungsverfahren zuzulassen. Denn anderenfalls könnte wegen der Produktvielfalt in den meisten Bereichen bei vielen Ausschreibungen vom Grundsatz des offenen Verfahrens abgewichen werden. Die Ausnahme würde zur Regel.
51
Es ist auch nicht ersichtlich, dass es der Antragsgegnerin in irgendeiner Weise auf die Entwicklung einer Leistung im Laufe des Verfahrens angekommen wäre. Sie wusste vielmehr sehr genau, welche Anforderungen die Endoskopiesysteme erfüllen sollten und war daher auch in der Lage, die gewünschte Leistung von Beginn des Verfahrens an konkret zu beschreiben, wie eine Zusammenschau des Leistungsverzeichnisses mit der Bewertungstabelle ergibt. Die Antragsgegnerin hat jedem möglichen Ausstattungsmerkmal einen Punktwert zugeordnet, mit der Folge, dass dasjenige Angebot gewinnen sollte, das die meisten Ausstattungsmerkmale erfüllt. Die Bieter hatten daher die Möglichkeit , unter Nennung eines vorherigen Gesamtpreises ein Produkt anzubieten, das möglichst viele der Ausstattungsmerkmale aufweist, zu denen Angaben gefordert waren. Dementsprechend ist auch den Ausschreibungsunterlagen der Antragsgegnerin genauso wie den Angebotsunterlagen der Antragstellerin zu entnehmen, dass Einzel- und Gesamtpreise angeboten werden sollten und wurden. Auf der letzten Seite des Leistungsverzeichnisses der Antragsgegnerin ist bezeichnenderweise ein freies Feld zur Eintragung der Gesamtsumme inkl. Mehrwertsteuer vorgesehen. Keiner der beteiligten Bieter hat im Übrigen erklärt , dass dies nicht möglich sei. Auch die Existenz einer für alle Angebote gültige Bewertungstabelle setzt voraus, dass sachlich vergleichbare und preislich eindeutig zu bewertende Angebote zu erwarten waren.
52
dd) Unbestritten haben auch keine Verhandlungen über die Leistung im Sinne einer "Entwicklung" stattgefunden, sondern nur über Nachbesserungen im Preis. Auch dies ist ein Indiz für das Vorliegen einer beschreibbaren Leistung und der Möglichkeit einer vorherigen Festlegung des Gesamtpreises.
53
ee) Nicht zuletzt folgt die Möglichkeit der Wahl des offenen Verfahrens auch daraus, dass die Antragsgegnerin die Neubeschaffung der streitgegenständlichen Endoskopiesysteme bereits ein Jahr zuvor im offenen Verfahren ausgeschrieben hatte und sie dieses Verfahren nicht etwa wegen der Unmöglichkeit der Bildung eines Gesamtpreises, der Komplexität der Produkte oder wegen des Eingangs ausschließlich unwertbarer Angebote aufgehoben hat, sondern wegen eines erfolgreich gerügten anderweitigen Vergaberechtsverstoßes.
54
ff) Andere Gründe, die die Wahl des Verhandlungsverfahrens rechtfertigen könnten, sind nicht aktenkundig. Nur ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass die Antragsgegnerin vorliegend nicht geltend gemacht hat, dass mit dem Auftrag besondere Risiken verbunden seien (vgl. § 3 a Nr. 1 Abs. 5 lit. b Fallgruppe
2) oder der Bedarf aufgrund technischer Besonderheiten nur von einem Bieter befriedigt werden könne (vgl. § 3 a Nr. 2 lit. c VOL/A).
55
V. Da die zulässige Beschwerde begründet und die Antragstellerin durch den Vergabeverstoß in ihren Rechten nach § 97 Abs. 7 GWB verletzt ist, ist die Entscheidung der Vergabekammer im Umfang der Anfechtung (§§ 114 Abs. 2, 123 Satz 1 GWB) teilweise aufzuheben. Ferner ist auszusprechen, dass die Antragsgegnerin auf der Grundlage des bisherigen, fehlerhaften Vergabeverfahrens keinen Zuschlag erteilen darf und dass die Antragstellerin durch die Gestaltung des Vergabeverfahrens als Verhandlungsverfahren verletzt wurde.
56
Obwohl unter den hier gegebenen Umständen eine Korrektur des vorgekommenen Vergabefehlers kaum ohne Aufhebung der Ausschreibung möglich sein wird, ist die Aufhebung der Ausschreibung bzw. eine Verpflichtung zu derselben (vgl. Antrag 3) nicht auszusprechen (a.A. z.B. OLG Celle im Vorlagebeschluss sowie im Beschl. v. 8.4.2004 - 13 Verg 6/04, OLGR Celle 2004, 439). Dabei kann dahinstehen, ob eine falsche Art des Vergabeverfahrens in Anbetracht des Umstands, dass dessen Wahl allein im Verantwortungsbereich des öffentlichen Auftraggebers liegt (vgl. hierzu Sen.Urt. v. 8.9.1998 - X ZR 99/96, NJW 1998, 3640), überhaupt einen der schwerwiegenden Gründe bildet, die nach § 26 Nr. 1 Buchst. d VOL/A 2006 Voraussetzung für eine vergaberechtsgemäße (vgl. dazu, dass ein gemäß § 26 Nr. 1 Buchst. d VOL/A zur Aufhebung berechtigender Grund nicht bereits dann gegeben ist, wenn der Ausschreibende bei der Einleitung des Verfahrens fehlerhaft gehandelt hat, Sen.Urt. v. 26.10.1999 - X ZR 150/99, NJW 2001, 3698) und deshalb für den öffentlichen Auftraggeber nicht mit Schadensersatzpflichten bedrohte Aufhebung der Ausschreibung sind, die auszusprechen oder anzuordnen gemäß § 114 Abs. 1 GWB allein in der Kompetenz der Nachprüfungsinstanzen stehen könnte. Denn § 26 VOL/A 2006 verpflichtet nicht zur Aufhebung. Die Vorschrift beinhaltet lediglich als vergaberechtliches Gebot, ein Vergabeverfahren nur aus den dort genannten Gründen aufzuheben (Sen.Beschl. v. 18.2.2003 - X ZB 43/02, NZBau 2003, 293, 294). Demgemäß kann ein Bieter auch keinen vergaberechtlichen Anspruch auf Aufhebung der Ausschreibung haben, wie das Oberlandesgericht Koblenz in dem zum Anlass dieser Divergenzvorlage genommenen Beschluss insoweit zutreffend ausgeführt hat. Verbietet es sich, das Vergabeverfahren mit dem Zuschlag an einen Bieter zu beenden, kann der Antragsteller im Nachprüfungsverfahren mithin nur einen entsprechenden Ausspruch, nicht aber auch die Aufhebung der Ausschreibung, sei es durch den öffentlichen Auftraggeber , sei es durch die Nachprüfungsinstanz, verlangen. Insoweit ist die Beschwerde deshalb zurückzuweisen.
57
Eine Zurückverweisung an die Vergabekammer kommt nicht in Betracht, da sie dem Beschleunigungsgebot in Vergabesachen zuwiderlaufen würde und eine weitere Sachaufklärung nicht zu erwarten ist.
58
VI. Bezüglich der weiteren Rügen der Antragstellerin kann daher dahinstehen , ob diese Beanstandungen in einer § 107 Abs. 2 und 3 GWB genügender Weise geltend gemacht und ebenfalls berechtigt sind.
59
VII. Entsprechend § 80 Abs. 3 Satz 2 VwVfG ist zu bestimmen, dass die Hinzuziehung des von der Antragstellerin mit der Vertretung im Nachprüfungsverfahren vor der Vergabekammer betrauten Rechtsanwalts notwendig war. Da das Oberlandesgericht eine im Verfahren zu entscheidende Rechtsfrage dem Bundesgerichtshof vorgelegt hat und auch sonst nichts dagegen spricht, ist diese Notwendigkeit zu bejahen (vgl. BGHZ 169, 131, 152).
60
Die Entscheidung des Senats bedeutet in der Sache ein Unterliegen der Antragsgegnerin in einem Umfang, der bei Anwendung der sich aus § 92 Abs. 2 ZPO ergebenden Grundsätze eine Kostenbelastung der Antragstellerin nicht rechtfertigt. Denn die Antragstellerin hat ihr Rechtsschutzziel, den Zuschlag im Verhandlungsverfahren an die Beigeladene zu verhindern, erreicht. Aber auch die Beigeladene unterliegt in diesem Umfang, weil sie sich ebenfalls mit dem Begehren, den Nachprüfungsantrag der Antragstellerin als unzulässig, hilfswei- se als unbegründet, zurückzuweisen, an dem Nachprüfungsverfahren vor der Vergabekammer und dem Oberlandesgericht beteiligt hat. Dies hat gemäß § 128 Abs. 3 Satz 1 und 2 GWB zur Folge, dass die Antragsgegnerin und die Beigeladene als Gesamtschuldner die Gebühren und Auslagen der Vergabekammer zu tragen haben.
61
Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 50 Abs. 2 GKG.
62
VIII. Von einer mündlichen Verhandlung sieht der Senat ab, weil die Sache eilbedürftig ist, vor dem Oberlandesgericht bereits eine mündliche Verhandlung stattgefunden hat und angesichts des unstreitigen Sachverhalts von einem Termin vor dem Senat eine weitere Sachaufklärung nicht zu erwarten ist (vgl. BGHZ 146, 202, 217).
Scharen Asendorf Gröning
Berger Grabinski
Vorinstanz:
OLG Celle, Entscheidung vom 17.07.2009 - 13 Verg 3/09 -

(1) Dieser Teil ist nicht anzuwenden auf die Vergabe von öffentlichen Aufträgen und Konzessionen

1.
zu Schiedsgerichts- und Schlichtungsdienstleistungen,
2.
für den Erwerb, die Miete oder die Pacht von Grundstücken, vorhandenen Gebäuden oder anderem unbeweglichem Vermögen sowie Rechten daran, ungeachtet ihrer Finanzierung,
3.
zu Arbeitsverträgen,
4.
zu Dienstleistungen des Katastrophenschutzes, des Zivilschutzes und der Gefahrenabwehr, die von gemeinnützigen Organisationen oder Vereinigungen erbracht werden und die unter die Referenznummern des Common Procurement Vocabulary 75250000-3, 75251000-0, 75251100-1, 75251110-4, 75251120-7, 75252000-7, 75222000-8, 98113100-9 und 85143000-3 mit Ausnahme des Einsatzes von Krankenwagen zur Patientenbeförderung fallen; gemeinnützige Organisationen oder Vereinigungen im Sinne dieser Nummer sind insbesondere die Hilfsorganisationen, die nach Bundes- oder Landesrecht als Zivil- und Katastrophenschutzorganisationen anerkannt sind.

(2) Dieser Teil ist ferner nicht auf öffentliche Aufträge und Konzessionen anzuwenden,

1.
bei denen die Anwendung dieses Teils den Auftraggeber dazu zwingen würde, im Zusammenhang mit dem Vergabeverfahren oder der Auftragsausführung Auskünfte zu erteilen, deren Preisgabe seiner Ansicht nach wesentlichen Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik Deutschland im Sinne des Artikels 346 Absatz 1 Buchstabe a des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union widerspricht, oder
2.
die dem Anwendungsbereich des Artikels 346 Absatz 1 Buchstabe b des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union unterliegen.
Wesentliche Sicherheitsinteressen im Sinne des Artikels 346 Absatz 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union können insbesondere berührt sein, wenn der öffentliche Auftrag oder die Konzession verteidigungsindustrielle Schlüsseltechnologien betrifft. Ferner können im Fall des Satzes 1 Nummer 1 wesentliche Sicherheitsinteressen im Sinne des Artikels 346 Absatz 1 Buchstabe a des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union insbesondere berührt sein, wenn der öffentliche Auftrag oder die Konzession
1.
sicherheitsindustrielle Schlüsseltechnologien betreffen oder
2.
Leistungen betreffen, die
a)
für den Grenzschutz, die Bekämpfung des Terrorismus oder der organisierten Kriminalität oder für verdeckte Tätigkeiten der Polizei oder der Sicherheitskräfte bestimmt sind, oder
b)
Verschlüsselung betreffen
und soweit ein besonders hohes Maß an Vertraulichkeit erforderlich ist.


Tenor

1. Das Nachprüfungsverfahren und damit auch die gegen den Beschluss der Vergabekammer Rheinland-Pfalz vom 10. November 2008 gerichtete sofortige Beschwerde der Antragstellerin haben sich durch Erteilung des Zuschlags erledigt.

2. Die Fortsetzungsfeststellungsantrag der Antragstellerin wird als unzulässig verworfen.

3. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens vor dem Senat und die notwendigen Auslagen der Antragsgegnerin und der Beigeladenen.

4. Der Gegenstandswert wird auf 218.000 € festgesetzt.

Gründe

I.

1

1. Die Vergabestelle (Antragsgegnerin) hatte in 3 Lose aufgegliederte Tiefbauarbeiten mit einem von ihr mit rund 4,6 Mio. € angesetzten Gesamtauftragswert in Anwendung der Basisparagraphen der VOB/A national ausgeschrieben.

2

Die Antragsstellerin erfuhr durch die Öffentliche Ausschreibung von der Vergabeabsicht, forderte die Verdingungsunterlagen an, die ihr auch übersandt wurden, und gab fristgerecht ein Angebot mit einer Angebotssumme von ca. 4, 36 Mio. € ab, das von der Vergabestelle wegen des Fehlens geforderter Unterlagen und unvollständiger Angaben zu mehreren Leistungspositionen aus der Wertung genommen werden musste.

3

2. Der Angebotsausschluss wurde von der Antragstellerin nicht beanstandet. Mit ihrem Nachprüfungsantrag vom 2. Oktober 2008 strebte sie vielmehr eine Aufhebung der Ausschreibung und eine EU-weite Neuausschreibung im Offenen Verfahren an: Der Auftragswert sei von der Vergabestelle falsch geschätzt worden, tatsächlich liege er über dem Schwellenwert von 5,15 Mio. €. Außerdem seien bei den in den Losen 1 und 3 ausgeschriebenen Leistungen die Grenzwerte des § 2 Nr. 7 VgV deutlich überschritten worden. Diese Norm sei hier anwendbar, weil diese Teilleistungen in einem untrennbaren sachlichen und funktionalen Zusammenhang mit einem Großbauvorhaben (Hochwasserschutz) mit einem Auftragswert in zweistelliger Millionenhöhe stünden. Wegen der fehlerhaften Wahl der Verfahrensart müsse die Ausschreibung aufgehoben und ihr damit die Chance gegeben werden, in einem neuen Verfahren ein zuschlagsfähiges Angebot abzugeben.

4

3. Die Vergabekammer verwarf den Nachprüfungsantrag als unzulässig mit der Begründung, die Antragstellerin sei ihrer Rügeobliegenheit (§ 107 Abs. 3 GWB) nicht nachgekommen.

5

Hiergegen legte die Antragstellerin form- und fristgerecht sofortige Beschwerde ein, die sie mit einen Antrag auf Verlängerung der aufschiebenden Wirkung ihres Rechtsmittels (§ 118 Abs. 1 Satz 3 GWB) verband.

II.

6

Mit Beschluss vom 8. Dezember 2008 hat der Senat den Eilantrag abgelehnt und zur Begründung ausgeführt:

7

„1. Der Eilantrag ist abzulehnen, weil die sofortige Beschwerde aller Voraussicht nach erfolglos bleiben wird. Die Anfechtung vor dem Senat ist zwar ungeachtet der Frage des Auftragswerts zulässig, weil sie sich gegen eine Entscheidung der Vergabekammer richtet (§ 116 Abs. 1 Satz 1, Satz 3 Satz 1 GWB). In der Sache hat das Rechtsmittel wahrscheinlich aber keine Aussicht auf Erfolg: Entweder ist der Nachprüfungsantrag schon wegen Unterschreitung des Schwellenwerts und damit wegen Unanwendbarkeit des 4. Teils des GWB (§ 100 Abs. 1 GWB) unzulässig oder die Unzulässigkeit ergibt sich aus der fehlenden Antragsbefugnis (§ 107 Abs. 2 GWB). Auf eine (wahrscheinliche) Rügepräklusion (§ 107 Abs. 3 GWB) kommt es nicht mehr an.

8

2. Mit Blick auf die Antragsbefugnis (§ 107 Abs. 2 GWB) ist es für die Zulässigkeit eines Nachprüfungsantrags erforderlich, dass der Antragsteller schlüssig darlegt, dass und welche vergaberechtliche Vorschrift verletzt worden sein soll und dass er ohne diese Rechtsverletzung eine Chance auf Erteilung des Zuschlags hätte, so dass der behauptete eingetretene oder drohende Schaden auf diesen Vergaberechtsverstoß zurückzuführen ist. Daran fehlt es hier.

9

3. Die Weigerung einer Vergabestelle, eine Ausschreibung aufzuheben, kann allein noch keine Verletzung subjektiver Rechte eines Bieters begründen, weil es keinen isolierten Aufhebungsanspruch und auch keinen generellen Anspruch auf eine „zweite Chance“ gibt. Die Vergabestelle ist vielmehr dann, aber auch nur dann zugunsten eines Bieters zur Aufhebung verpflichtet, wenn diese Maßnahme zur Beseitigung einer Rechtsverletzung und Abwendung eines durch diese Rechtsverletzung dem Bieter drohenden Schadens als ultima ratio geboten ist. Ob ein öffentlicher Auftraggeber, der die Pflicht zur EU-weiten Ausschreibung missachtet, im eigenen Interesse – etwa zur Vermeidung von Schadensersatzansprüchen oder eines Vertragsverletzungsverfahrens – gehalten ist, die Ausschreibung aufzuheben, ist hier unerheblich.

10

4. Die Antragstellerin hat weder in der Begründung des Nachprüfungsantrags noch in der Beschwerdeschrift einen (potentiell) schadensträchtigen Vergaberechtsverstoß zu ihrem Nachteil dargelegt, der die Aufhebung der Ausschreibung geböte. Die bloße Behauptung, der fragliche Auftrag hätte EU-weit ausgeschrieben werden müssen, reichte selbst dann nicht aus, wenn sie zuträfe.

11

a) Die Bekanntmachung der Vergabeabsicht ist kein Selbstzweck. Sie stellt vielmehr die Publizität sicher und gewährleistet, dass potentielle Auftragnehmer von der bevorstehenden Auftragsvergabe erfahren und ihr Interesse bekunden können. Außerdem wird durch die Bekanntmachung sichergestellt, dass alle Interessenten die gleichen Informationen erhalten.

12

b) Ab einer durch Schwellenwerte definierten Größenordnung werden die Binnenmarktrelevanz eines Auftrages und damit ein grenzüberschreitendes Interesse an der Auftragsvergabe unwiderlegbar vermutet. Deshalb ist die Bekanntmachung der Vergabeabsicht grenzüberschreitend so zu gestalten, dass jedes in einem der Mitgliedsstaaten der EU ansässige Unternehmen davon Kenntnis erlangen kann. Dies ist bei einer „europaweiten Ausschreibung“ durch Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften (§ 17a Nr. 2 Abs. 2 VOB/A) gewährleistet.

13

c) Ein Verstoß gegen die Pflicht zur EU-weiten Ausschreibung verletzt aber nicht ohne weiteres auf eine (potentiell) schadenskausale Weise die Rechte eines (in- oder ausländischen) Bieters, der nicht nur durch eine andere Form der Veröffentlichung über die Vergabeabsicht informiert und deshalb die Lage versetzt wird, durch Anforderung der Verdingungsunterlagen sein Interesse an der Auftragsvergabe zu bekunden, sondern auch ein Angebot abgibt.

14

aa) Dass der Antragstellerin durch die Nichtanwendung des § 17a VOB/A Informationen entgangen sein könnten, die geeignet gewesen wären, ihre Wettbewerbsposition zu verbessern oder gar die Fehler zu vermeiden, die Ursache für den Ausschluss ihres Angebots gewesen waren, ist weder vorgetragen noch ersichtlich.

15

bb) Es ist auch nicht vorgetragen oder ersichtlich, dass die Wahl der Öffentlichen Ausschreibung anstelle eines Offenen Verfahrens mit europaweiter Bekanntmachung und damit die Nichtanwendung der bei einer Schwellenwertvergabe zu beachtenden sonstigen Vorschriften des 2. Abschnitts der VOB/A („a-Paragraphen“) die Chancen der Antragstellerin nachteilig beeinflusst haben könnte oder (mit-)ursächlich für den Ausschluss ihres Angebots gewesen wäre (siehe dazu auch OLG Düsseldorf v. 16.02.2006 - VII-Verg 6/06 - juris; Thür. OLG v. 08.05.2008 - 9 Verg 2/08 - IBR 2008, 605).“

III.

16

1. Die Vergabestelle hat inzwischen der Beigeladenen den Auftrag erteilt.

17

2. Die Antragstellerin beantragt nunmehr festzustellen, dass sie durch die Antragsgegnerin in ihren Rechten verletzt wurde (§§ 114 Abs. 2 Satz 2, 123 Sätze 3 u. 4 GWB):

18

a) Sie habe ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtsverletzung in rechtlicher und wirtschaftlicher Hinsicht. Insbesondere diene die beantragte Feststellung der Vorbereitung eines Schadenersatzprozesses gegen die Antragsgegnerin, so dass schon aus diesem Grunde nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung ein berechtigtes Interesse an der Feststellung gegeben sei.

19

b) Die vom Senat vorgenommene Differenzierung danach, ob es sich um Informationsüberlassung aufgrund nationalrechtlicher Verpflichtung oder EU-rechtlicher Vorgabe handele, sei nicht möglich und widerspreche im Kern dem Willen des Gesetzgebers. Dieser habe nämlich bewusst davon abgesehen, den Primärrechtsschutz auf Verstöße gegen solche Vorgaben des Vergaberechts zu begrenzen, die auf die europäischen Vergaberichtlinien zurückzuführen sind. Dem Senat sei zuzugestehen, dass eine Verletzung subjektiver Bieterrechte unter anderem dann vorliegen könne, wenn dem Bieter Informationen vorenthalten worden sind. Die Frage der Informationsüberlassung sei jedoch nicht die einzig in Betracht kommende Rechtsverletzung. Vielmehr stelle auch die Wahl der zutreffenden Vergabeart ein subjektives Bieterrecht dar. Dieses Recht sei unabhängig davon verletzt worden, ob der Antragstellerin Informationen vorenthalten wurden oder nicht.

20

c) Tatsächlich seien der Antragstellerin auch Informationen vorenthalten worden, nämlich

21

- dass die streitgegenständliche Baumaßnahme in funktionalem Zusammenhang mit einer bereits EU-weit ausgeschriebenen Hochwasserschutzmaßnahme stehe;

22

- dass den Bietern die Rechtsschutzmöglichkeiten nach dem 4. Teil des GWB mit dem Recht zur Anrufung von Vergabeprüfstellen, Vergabekammern und gegebenenfalls Vergabesenat zustehen.

23

Durch diese Unterlassung sei sie ebenfalls in ihren Rechten verletzt worden. Sie könne nicht nachzuvollziehen, wie der Senat zu der Ansicht gelangt sei, dazu sei nichts vorgetragen worden. Vielmehr habe sie umfangreich und unter Beweisantritt vorgetragen, dass die vorgenannten Informationen in der streitgegenständlichen Vergabebekanntmachung und den streitgegenständlichen Ausschreibungsunterlagen gerade nicht enthalten waren, und zwar deswegen, weil sich die Antragsgegnerin und die SGD Nord darauf verständigt hätten, die Maßnahme entgegen besseren Wissens nur national auszuschreiben. Diese Behauptung stelle sozusagen den Kern ihres gesamten Vortrags dar.

24

d) Zudem ergebe sich eine Rechtsverletzung nach § 97 Abs. 7 GWB auch daraus, dass der Zuschlag aus einem „anderen Grund“ (BGH v. 26..09.2006 - X ZB 14/06) unzulässig gewesen sei. Dieser „andere Grund“ sei hier, dass die Ausschreibung gemäß § 26 Nr. 1 c VOB/A wegen des schwerwiegenden Verstoßes gegen das Gebot der EU-weiten Ausschreibung hätte aufgehoben werden müssen.

25

e) Im Übrigen sei der zwischenzeitlich abgeschlossene Vertrag gemäß § 138 GWB nichtig, weil die SGD Nord und die Antragsgegnerin zur Umgehung des Schwellenwertes kollusiv zusammengewirkt hätten. Da dies zu ihrem Nachteil geschehen sei, sei sie auch antragsbefugt.

IV.

26

Der Feststellungsantrag ist zwar statthaft, jedoch wegen fehlenden Feststellungsinteresses unzulässig.

27

1. Das Nachprüfungsverfahren i.e.S. hat sich durch Zuschlagserteilung erledigt (§ 114 Abs. 2 GWB). Eine Nichtigkeit des zwischen der Antragsgegnerin und der Beigeladenen geschlossenen Vertrages ist nicht gegeben (zu den hier offensichtlich zu verneinenden Voraussetzungen des § 138 BGB siehe Wendtland in: BeckOK BGB § 138, Rn. 20 f.). Im Übrigen könnte die Nichtigkeit mit dem von der Antragstellerin jetzt gestellten (Fortsetzungs-)Feststellungsantrag überhaupt nicht geltend gemacht werden, weil dessen Statthaftigkeit einen wirksamen Zuschlag voraussetzt.

28

2. Ungeschriebene, weil selbstverständliche Zulässigkeitsvoraussetzung für einen Antrag nach §§ 114 Abs. 2 Satz 2, 123 Sätze 3 u. 4 GWB ist ein Feststellungsinteresse, dass vom Antragsteller darzulegen ist (OLG Düsseldorf v. 02.03.2005 - VII-Verg 70/04). Praktisch kommen die Vorbereitung eines Schadensersatzanspruches und Wiederholungsgefahr in Betracht.

29

a) In der Regel genügt es, dass der Antragsteller vorträgt, er beabsichtige, Schadensersatzansprüche gegen den Auftraggeber geltend zu machen. Allerdings ist ein Feststellungsinteresse zu verneinen, wenn eine entsprechende Klage aussichtslos wäre (VK Sachsen v. 17.01.2007 - 1/SVK / 002 – 05 - veris m.w.N.). Das ist hier der Fall.

30

(1) Bei Geltendmachung eines Schadensersatzanspruchs nach §§ 241 Abs. 2, 280 Abs. 1, 311 Abs. 2 BGB – gleichgültig ob auf positives oder negatives Interesse gerichtet – könnte die Antragstellerin bei Beachtung des § 138 Abs. 1 ZPO noch nicht einmal behaupten, geschweige denn schlüssig darlegen, sie hätte mit ihrem nicht wertungsfähigen Angebot eine reelle Chance gehabt, wenn die Vergabestelle das Offene Verfahren statt der Öffentlichen Ausschreibung gewählt hätte. § 25 Nr. 1 VOB/A findet in beide Verfahrensarten Anwendung; ihr Angebot hätte also auf jeden Fall ausgeschlossen werden müssen (siehe auch BGH v. 07.06.2005 - X ZR 19/02 - juris: Schadensersatzansprüche wegen Verletzung eines durch die Ausschreibung begründeten vorvertraglichen schutzwürdigen Vertrauensverhältnisses kommen nicht in Betracht, wenn das Angebot des Schadensersatz begehrenden Bieters zwingend von der Wertung der Angebote auszuschließen war.“ )

31

(2) Es spricht auch nichts dafür, dass die Antragstellerin gänzlich von der Bewerbung um den Auftrag Abstand genommen – und sich damit die Angebotskosten erspart – hätte, wenn sie vor Angebotsangabe von der Notwendigkeit einer EU-weiten Ausschreibung ausgegangen wäre. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit war ihr die Wahl der Verfahrensart durch die Vergabestelle solange völlig gleichgültig, wie sie die Chance sah, den Zuschlag zu erhalten.

32

(3) Ob sie in einem neuen, mit einer EU-weiten Ausschreibung eingeleiteten Verfahren mit möglichen ausländischen Konkurrenten den Zuschlag erhalten hätte, ist völlig ungewiss, sodass ein Schadensersatz auch insoweit ausscheidet (BGH v. 01.08.2006 - X ZR 115/04 - juris Rn. 17).

33

(4) Ein Schadensersatzanspruch nach § 126 GWB setzt voraus, dass in einem vergaberechtskonformen Verfahren eine echte Chance auf den Zuschlag bestanden hätte. Dies ist nur der Fall, wenn das Angebot besonders qualifizierte Aussichten auf die Zuschlagserteilung gehabt hätte; es genügt nicht, dass das Angebot in die engere Wahl gelangt wäre (BGH v. 27.11.2007 - X ZR 18/07). Auch diese Voraussetzung liegt bei einem Bieter, der aus eigenem Verschulden ein mangelhaftes Angebot abgehen hat, offensichtlich nicht vor, und zwar völlig unabhängig davon, ob national oder EU-weit ausgeschrieben wurde.

34

b) Auf eine Wiederholungsgefahr hat sich die Antragstellerin nicht berufen. Es ist auch nicht ersichtlich, dass die Vergabestelle in absehbarer Zeit weitere Aufträge ausschreiben könnte, bei denen es zu der von der Antragstellerin vermuteten rechtswidrigen Umgehung der a-Paragraphen der VOB/A kommen könnte.

35

c) Zu einem Feststellungsinteresse aus sonstigen Gründen fehlt jeglicher Vortrag der Antragstellerin.

V.

36

Dem Erfolg des Feststellungsantrags steht auch entgegen, dass der ursprüngliche Nachprüfungsantrag unzulässig gewesen war (OLG Koblenz v. 06.09.2006 - 1 Verg 6/06 - juris). Insoweit kann auf den oben auszugsweise zitierten Beschluss vom 8. Dezember 2008 Bezug genommen werden. Ergänzend ist anzumerken:

37

1. Das Nachprüfungsverfahren dient nicht der allgemeinen Rechtmäßigkeitskontrolle und der Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung der objektiven Rechtmäßigkeit des Vergabeverfahrens an sich. Sein einziger Zweck ist es, einem am Auftrag interessierten Unternehmen die Möglichkeit zu geben, den Auftraggeber zu einem Tun oder Unterlassen zu zwingen, das notwendig ist, um einen wegen eines Fehlers des Auftraggebers dem Antragsteller entstandenen oder drohenden Schaden zu beseitigen bzw. zu verhindern.

38

2. Dementsprechend steht in § 107 Abs. 2 Satz 2 GWB unmissverständlich, der Antragsteller habe dazulegen (also nicht nur zu behaupten), „dass dem Unternehmen durch die behauptete Verletzung der Vergabevorschriften ein Schaden entstanden ist oder zu entstehen droht “.Der grundsätzliche Anspruch eines Bieters auf ein fehlerfreies Vergabeverfahren wird in seiner Durchsetzbarkeit im Nachprüfungsverfahren also kraft Gesetzes auf (potentiell) schadenskausale Vergaberechtsverstöße begrenzt. Zur Darlegung der Antragsbefugnis ist deshalb ein Sachvortrag erforderlich, aus dem sich schlüssig und nachvollziehbar ergibt, dass gerade durch den gerügten Vergaberechtsverstoß die Aussichten des Antragstellers auf eine Berücksichtigung seiner Bewerbung oder die Erteilung des Zuschlags beeinträchtigt worden sein könnten (siehe zu einem vergleichbaren Fall OLG Düsseldorf v. 16.02.2006 - VII-Verg 6/06 - juris; VK Schleswig-Holstein v. 28.01.2009 - VK-SH 18/08 - juris m.w.N.).

39

3. An einem den Anforderungen des § 107 Abs. 2 Satz 2 GWB genügenden Vortrag fehlt es im vorliegenden Verfahren nach wie vor gänzlich. Die Antragstellerin rügt(e) zwar die Wahl der Verfahrensart „Öffentliche Ausschreibung“ statt des nach ihrer Auffassung notwendigen Offenen Verfahrens. Es ist aber nicht ersichtlich und schon gar nicht vorgetragen, dass dieser – für die Zulässigkeitsprüfung als gegeben unterstellte – Vergaberechtsverstoß irgendeine nachteilige Folge für sie gehabt haben könnte. Ihr gesamtes Vorbringen geht völlig an der Sache vorbei.

40

a) Eine ordnungsgemäße Ausschreibung beginnt mit der Bekanntmachung, deren vom Auftragswert unabhängiger Inhalt (siehe dazu Lausen in jurisPK-VergR, 2. Aufl. 2008, § 17a VOB/A Rn. 41) in § 17 VOB/A geregelt ist. § 17a Nr. 2 VOB/A schreibt für Schwellenwertvergaben zwar die Bekanntmachung im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften vor. Wieso sich die Aussichten der Antragstellerin auf Erteilung des Zuschlags aber dadurch verschlechtert haben könnten, dass sie die Bekanntmachung „nur“ in einem der in § 17 Nr. 1 Abs. 1, 17a Nr. 2 Abs. 5 VOB/A genannten inländischen Publikationsorganen nachlesen konnte und potentielle ausländische Konkurrenten überhaupt nichts von der Vergabeabsicht erfuhren, ist unerfindlich.

41

b) Soweit § 17a Nr. 3 VOB/A für EU-weite Ausschreibungen zusätzliche Informationen in der Bekanntmachung verlangt, ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass deren Fehlen irgendwie nachteilig für die Antragstellerin oder gar ursächlich für ihr Unvermögen, ein wertungsfähiges Angebot abzugeben, gewesen sein könnte. Gleiches gilt auch für alle anderen a-Paragraphen, die bei Durchführung eines Offenen Verfahrens anzuwenden sind.

42

c) Die Auffassung der Antragstellerin, die Wahl der falschen Vergabeart sei (hier) ein „anderer“, der Zuschlagserteilung an jeden anderen Bieter entgegenstehender Grund i.S.d. BGH-Entscheidung vom 26. September 2006 (X ZB 14/06 - juris), teilt der Senat nicht. Gemeint ist dort ein anderer bieterbezogener Grund. Die entsprechende Passage der Entscheidungsgründe (juris Rn. 52) befasst sich mit dem Gebot der Gleichbehandlung aller Bieter, das es nicht zulässt, das Angebot eines Bieters auszuschließen und den Auftrag einem anderen Bieter zu erteilen, der ebenfalls ein nicht wertungsfähiges Angebot eingereicht hat oder aus einen anderen Grund – wie Unzuverlässigkeit oder Mitwirkung an einer Submissionsabsprache – nicht „zuschlagswürdig“ ist.

43

d) Die von der Antragstellerin in der Begründung ihres Feststellungsantrags als fehlend gerügten Informationen haben mit den Erfolgsausichten ihres Angebots nicht das Geringste zu tun, sondern betreffen den Rechtsschutz, vom dem sie auch ohne diese Informationen offensichtlich Gebrauch macht.

44

4. Die Weigerung der Vergabestelle, die Ausschreibung aufzuheben, ist kein selbständiger Vergabeverstoß, der zum Gegenstand eines Nachprüfungsverfahrens gemacht werden könnte. Aus dem Blickwinkel des Bieterschutzes ist die Aufhebung vielmehr eine Rechtsfolge, die als ultima ratio in Betracht kommt, wenn dies zur Beseitigung oder Abwendung eines wegen einer Rechtsverletzung dem Bieter entstandenen oder drohenden Schadens unerlässlich ist. Dies ist hier nicht der Fall.

VI.

45

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO analog, die Festsetzung des Beschwerdewerts auf § 50 Abs. 2 GKG.

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss der Vergabekammer Mecklenburg-Vorpommern vom 22.04.2015 - 2 VK 02/15 - aufgehoben.

Es wird festgestellt, dass der Vertrag der Antragsgegnerin mit der Beigeladenen über „Entleeren und Transportieren des Grubeninhalts aus abflusslosen Gruben in Gebieten der Freizeitnutzung im Territorium der Stadt S.“ unwirksam ist.

Das Vergabeverfahren der Antragsgegnerin zur Vergabenummer 2542026 wird aufgehoben.

Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, im Falle fortbestehender Beschaffungsabsicht ein europaweites Vergabeverfahren gemäß den Vorschriften der VOL/A-EG durchzuführen.

Die Kosten des Verfahrens vor der Vergabekammer einschließlich der notwendigen Auslagen der Antragstellerin trägt die Antragsgegnerin.

Die Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes war notwendig.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Antragsgegnerin.

Streitwert des Beschwerdeverfahrens: bis zu 45.000,- €

Gründe

1

I. Das Nachprüfungsverfahren betrifft die Vergabe von Entsorgungsleistungen.

2

Die Antragstellerin hatte sich im Jahr 2012 an einem früheren Vergabeverfahren betreffend die Entsorgung von Bioabfällen im Gebiet der Stadt S. beteiligt, letztendlich trotz mehrerer Rügen (Anl. BG 2) aber kein Angebot abgegeben. Den entsprechenden Altvertrag hatte die Antragstellerin 1993 ohne Vergabeverfahren erhalten.

3

Die Antragsgegnerin schrieb am 21.1.2015 national im offenen VOL/A-Verfahren in vier (Regional-) Losen das Entleeren von 7.332 abflusslosen Klärgruben in Kleingärten und Bootshäusern in S. sowie den Transport des Grubeninhalts zur Kläranlage für vier Jahre ab dem 01.04.2015 aus. Wertungskriterium war der niedrigste Preis. Kontaktstelle der Vergabestelle war die stadteigene S. GmbH, die an der Beigeladenen zu 51 % beteiligt ist. Die Beigeladene betreibt die S. Wasserversorgung und als Betriebsführer die Abwasserentsorgung, ferner erbringt sie kaufmännische und technische Betriebsführungsleistungen für den Eigenbetrieb Abwasserentsorgung und bietet Dienstleistungen wie Kanalinspektion, Kanalreinigung und Dichtheitsprüfung sowie einen ingenieurtechnischen Beratungsservice für wasserwirtschaftliche Anlagen an. Die Geschäftsführerin der Beigeladenen B. ist stellvertretende Werkleiterin des Eigenbetriebs S. Abwasserentsorgung.

4

Die Antragstellerin erhielt am 21.1.2015 die Vergabeunterlagen.

5

Der Ausschreibung lag eine Kostenschätzung zugrunde, die mit 192.000,- € netto knapp unter dem Schwellenwert von 207.000,- € lag. Die Antragsgegnerin zahlt aufgrund eines aktuellen Vertrages mit der Fa. G. für die Abwasserentsorgung in abflusslosen Wohngebäuden 4,80 €/m³. Diesen Preis hat sie sicherheitshalber verdoppelt und kommt so bei einer geschätzten Menge von 4 x 1.250 m³ = 5.000 m³ pro Jahr zu folgendem Schätzpreis: 9,60 €/m³ x 5.000 m³/Jahr x 4 Jahre = 192.000 €. In Wohngebäuden fallen jährliche Mengen zwischen 5 und 30 m³ an, in Kleingärten nur durchschnittlich 0,7 m³. Zur Überprüfung wurde der Preis von 6,75 €/m³ aus einem Preisblatt der Hansestadt S. herangezogen, das allerdings nicht zwischen Wohngebäuden und Kleingärten unterscheidet. Im Landkreis R. werden für vergleichbare Leistungen 30,- bis 45,- €/m³ gezahlt. Die Antragstellerin erhält von anderen Auftraggebern (Zweckverband S., Zweckverband B., Amt H. ) jeweils ohne öffentliche Ausschreibung 35,- €/m³. Die bisher von den Kleingärtnern einzelvertraglich gezahlten Preise wurden nicht ermittelt. Die Antragstellerin bietet ausweislich ihres Internetauftritts die Fäkalienentsorgung für Kleingärten in S. einzelvertraglich zu einem Preis von 35,- € für bis zu 2 m³ an, bei selbstorganisierten Sammelbestellungen ab acht Kunden beträgt der Preis 21,- € für eine Menge bis zu 2 m³.

6

Die Antragsgegnerin hat den geschätzten Preis von 9,60 €/m³ zur Grundlage ihrer Gebührensatzung gemacht, zzgl. Kläranlagenreinigung beträgt der Preis 12,70 €/m³. Zusätzlich wird für Verwaltungskosten ein Grundpreis von 14,90 € pro Anfahrt erhoben.

7

Innerhalb der Angebotsfrist bis zum 10.2.2015, 13:00 Uhr gingen die Angebote folgender vier Bieter ein: Fa. G., Beigeladene, Antragstellerin, Fa. C..

8

Die Vergabestelle öffnete am 10.2.2015 die Angebote und wertete sie aus. Im „Genehmigungs- bzw. Mitzeichnungsprozess“ waren seitens der Vergabestelle u.a. Frau Du. und Frau Da. tätig; Frau Du. ist auch Mitarbeiterin der Beigeladenen im Bereich Abwasserentsorgung, Frau Da. ist technische Leiterin und Prokuristin der Beigeladenen. Vergabevermerk und Zuschlag erfolgten durch Herrn W. . Die S. GmbH nahm mit Schreiben vom 26.2.2015 das in allen vier Losen billigste Angebot der Beigeladenen an und informierte mit Schreiben vom 2.3.2015 die Unterlegenen über die Auftragserteilung. Im Annahmeschreiben vom 26.2.2015 ist neben Herrn W. wiederum Frau Du. als Ansprechpartnerin aufgeführt. Die Annahme erfolgte mit geringfügigen Änderungen gegenüber den Vergabeunterlagen. Die Beigeladene hat mit der Fäkalienentsorgung die Fa. G. unterbeauftragt.

9

Die Antragstellerin forderte am 4.3.2015 eine Begründung und rügte, das Zuschlagskriterium „niedrigster Preis“ verstoße gegen § 18 Abs. 1 VOL/A.

10

Die Antragstellerin rügte am 9.3.2015 folgende Vergaberechtsverstöße, die auch Gegenstand des späteren Nachprüfungsantrags sind:

11

(1) Die Vergabe sei an ein kommunales Unternehmen erfolgt, obwohl die Gemeinde sich nach § 68 Abs. 2 KV M-V nicht wirtschaftlich betätigen dürfe.

12

(2) Die Beigeladene habe die Vergabeunterlagen miterstellt bzw. die Vergabestelle jedenfalls beraten und dadurch einen wettbewerbsrelevanten Informationsvorsprung, gleichzeitig sei die Angebotsfrist für die ortsunkundige Antragstellerin zu kurz.

13

(3) Die Beigeladene habe einen wettbewerbsrelevanten Wissensvorsprung und ev. Kenntnis der anderen Angebote.

14

(4) Das Angebot der Beigeladenen sei unzulässig niedrig, da die Antragstellerin knapp kalkuliert habe; jedenfalls liege ein Verstoß gegen die Aufklärungspflicht vor.

15

Ferner schrieb sie: „Der guten Vollständigkeit halber weisen wir darauf hin, dass es ohne Bedeutung wäre, sofern Sie bereits die Lose 1 - 4 bezuschlagt hätten. Denn insofern hätten Sie gegen die in § 101a GWB geregelte Informations- und Wartepflicht verstoßen, sodass der Vertrag von Anfang an gem. § 101b Abs. 1 Nr. 1 GWB unwirksam wäre. Insofern ist von Ihnen fälschlicherweise ein nationales Vergabeverfahren durchgeführt worden, obwohl aufgrund offensichtlichen Überschreitens des maßgeblichen Schwellenwertes die Durchführung eines europaweiten Vergabeverfahrens erforderlich gewesen wäre. Angesichts der Vertragslaufzeit von 4 Jahren liegt der streitige Gesamtauftragswert über 207.000 €. Der Vergaberechtsverstoß gilt auch nicht als geheilt, weil wir diesen Verstoß nicht gerügt haben. Grund hierfür ist, dass wir mangels eines uns entstandenen Schadens durch Beteiligung am Vergabeverfahren nicht verpflichtet waren, diesen Verstoß zu rügen.“

16

Die Antragsgegnerin wies die Rügen am 11.3.2015 zurück. Am 13.3.2015 rügte die Antragstellerin auch den Verstoß gegen die Informations- und Wartepflicht gem. § 101a Abs. 1 GWB.

17

Die Antragstellerin hat am 18.3.2015 den Nachprüfungsantrag gestellt und beantragt, die Unwirksamkeit des Vertrages über die Entleerung von Kleingartenklärgruben festzustellen und die Vergabestelle zur Wiederholung der Angebotswertung zu verpflichten, hilfsweise ein neues Vergabeverfahren oder andere geeignete Maßnahmen anzuordnen. Neben den gerügten Vergaberechtsverstößen hält sie den Vertrag wegen kollusiven Zusammenwirkens zwischen der Vergabestelle, die die Kostenschätzung absichtlich zur Vermeidung einer nachprüfbaren europaweiten Ausschreibung unter den Schwellenwert gedrückt habe, und der Beigeladenen, der dies bekannt gewesen sei, gem. § 138 Abs. 1 BGB für nichtig.

18

Die Vergabekammer hat den Nachprüfungsantrag am 22.4.2015 als unzulässig verworfen. Dabei könne die Wahl des falschen Vergabeverfahrens offenbleiben. Auch bei Überschreiten des Schwellenwertes sei der Feststellungsantrag nach § 101b Abs. 2 GWB unzulässig, weil die Antragstellerin das falsche Vergabeverfahren nicht gem. § 107 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 GWB gerügt habe; die Präklusion erfasse auch den Verstoß gegen die Informations- und Wartepflichten des § 101a Abs. 1 GWB als untrennbaren Folgefehler. Die positive Kenntnis bzgl. des falschen Vergabeverfahrens schon zum Zeitpunkt der Angebotsabgabe am 9.2.2015 ergebe sich aus dem Schreiben vom 9.3.2015 zu Ziff. 6. Der übrige Nachprüfungsantrag sei gem. § 114 Abs. 2 S. 1 GWB unzulässig. Wegen der Einzelheiten wird auf den Beschluss vom 22.4.2015 verwiesen.

19

Mit der Beschwerde wendet sich die Antragstellerin unter Wiederholung ihrer Rügen vor allem gegen die Feststellung, sie habe schon am 9.2.2015 positive Kenntnis vom falschen Vergabeverfahren erlangt. Sie trägt insoweit vor, sie habe am 6.3.2015 einen Rechtsanwalt beauftragt, dieser habe sie am 9.3.2015 beraten und das Rügeschreiben entspreche dem Entwurf ihres Prozessbevollmächtigten. Erst am 9.3.2015 habe Rechtsanwalt Dr. L. sie als vergabeunerfahrenes Unternehmen über den Schwellenwert und den Unterschied zwischen europaweitem und nationalem Vergaberecht aufgeklärt. Das Unterlassen einer europaweiten Ausschreibung sei einer De-facto Vergabe nach § 101b Abs. 1 Nr. 2 GWB gleichgestellt und gem. § 107 Abs. 3 S. 2 GWB sowieso von der Rügeobliegenheit befreit.

20

Die Antragstellerin beantragt,

21

den Beschluss der Vergabekammer vom 22.4.2015 aufzuheben und

22

festzustellen, dass der Vertrag der Antragsgegnerin mit der Beigeladenen über „Entleeren und Transportieren des Grubeninhalts aus abflusslosen Gruben in Gebieten der Freizeitnutzung im Territorium der Stadt S. “ unwirksam ist,

23

die Antragsgegnerin zur Wiederholung der Angebotswertung zu verpflichten,

24

hilfsweise die Antragsgegnerin zur Durchführung eines neuen Vergabeverfahrens zu verpflichten oder andere geeignete Maßnahmen anzuordnen.

25

Die Antragsgegnerin und die Beigeladene verteidigen die angefochtene Entscheidung und beantragen,

26

die sofortige Beschwerde zurückzuweisen.

27

Ergänzend wird auf die gewechselten Schriftsätze verwiesen. Die nachgelassenen Schriftsätze der Beigeladenen vom 13.10.2015, der Antragstellerin vom 14.10.2015 und der Antragsgegnerin vom 16.10.2015 hat der Senat berücksichtigt, der Antragsgegnerin ist entsprechende Fristverlängerung bewilligt worden.

28

II. Die zulässige sofortige Beschwerde ist begründet. Auf den zulässigen Nachprüfungsantrag der Antragstellerin ist die Unwirksamkeit des geschlossenen Vertrages festzustellen (1.), das Vergabeverfahren aufzuheben und die Durchführung eines neuen europaweiten Vergabeverfahrens anzuordnen (2.).

29

1. Der Antrag gem. § 101b Abs. 2 S. 1 GWB auf Feststellung der Unwirksamkeit des abgeschlossenen Vertrages ist zulässig und begründet.

30

a) Der fristgerechte Antrag ist entgegen der von der Antragsgegnerin und der Beigeladenen geteilten Auffassung der Vergabekammer zulässig, da der Schwellenwert überschritten, die Antragsbefugnis zu bejahen und kein Verstoß gegen die Rügeobliegenheiten des § 107 Abs. 3 GWB festzustellen ist.

31

(1) Die §§ 97 ff. GWB sind gem. § 100 Abs. 1 GWB, § 2 Abs. 1 VgV, Art. 7 lit. b RL 2004/18/EG anwendbar.

32

Der Schwellenwert von 207.000,- € ist überschritten, die Kostenschätzung der Antragsgegnerin i.H.v. 192.000,- € war nicht ordnungsgemäß gem. § 3 VgV. Die herangezogenen Vergleichspreise von 4,80 €/m³ bzw. 6,75 €/m³ betreffen nicht die ausgeschriebene Fäkalienentsorgung in Kleingartenanlagen. Angesichts der Marktpreise von 30,- bis 45,- €/m³ für Kleingärten im Landkreis R. ist es auch bei Zubilligung eines Ermessensspielraums nicht nachvollziehbar, die Preise für die Entsorgung in Wohnanlagen lediglich zu verdoppeln, zumal in Wohnanlagen durchschnittlich Mengen zwischen 5 - 30 m³ anfallen, in schwerer zugänglichen Kleingärten indes nur ca. 0,7 m³ pro Jahr. Zu einer ordnungsgemäßen Kostenschätzung hätten vor allem - z.B. durch Nachfrage bei den Kleingartenverbänden - die bisherigen von den Kleingärtnern in S. gezahlten Einzelvertragspreise ermittelt werden müssen. Bei ordnungsgemäßer Schätzung lag der Auftragswert auch unter Berücksichtigung der Einzelvertragspreise der Antragstellerin jedenfalls über 207.000,- €. Der Internetauftritt der Antragstellerin benennt für Kleingärten in S. einen Preis von 35,- € für bis zu 2 m³ Fäkalien, bei Sammelbestellungen reduziert sich der Preis auf 21,- € für bis zu 2 m³ Fäkalien. Hieraus folgt indes nicht, dass der Preis für die halbe Menge von 1 m³ nur 17,50 bzw. 10,50 €/m³ beträgt, denn bei einer durchschnittlichen Jahresmenge von 0,7 m³ wird sich die „bis zu“ Spanne in der Regel nicht auswirken, vielmehr entspricht der Preis für 2 m³ eher dem Preis für 1 m³. Selbst wenn man von einer Halbierung auf 17,50 bzw. 10,50 €/m³ ausgeht, so wird der Schwellenwert gleichwohl überschritten: 10,50 €/m³ x 5.000 m³/Jahr x 4 Jahre = 210.000,- €. Der auf der Internetseite für das S. Umland genannte Preis von 6,39 €/m³ betrifft nach dem Wortlaut nur den Transport und wäre zudem ein nicht heranzuziehender Ausreißer nach unten. Schließlich sind auch die exorbitant höheren Angebotspreise ein starkes Indiz für die Unvertretbarkeit der Kostenschätzung, auch wenn bei ordnungsgemäßer Kostenschätzung die Höhe der späteren Angebote für das Erreichen des Schwellenwerts irrelevant ist.

33

(2) Die Frist von 30 Tagen ab Kenntnis des Verstoßes ist unabhängig von der umstrittenen Frage, wer hier die Beweislast für die Kenntnis des Verstoßes trägt, gewahrt. Die 30-Tage-Frist des § 101b Abs. 2 S. 1 GWB beginnt frühestens mit positiver Kenntnis vom Vertragsschluss (vgl. Pünder/ Schellenberg-Mentzini, Vergaberecht, 2. Aufl., § 101b Rn. 27), nicht schon mit Kenntnis des falschen Vergabeverfahrens wegen Überschreitens des Schwellenwertes. Der Vertragsschluss erfolgte frühestens am 26.2.2015. Das Informationsschreiben datiert vom 2.3.2015, Fristablauf war somit ungeachtet eines daneben geführten Telefonats vom 2.3.2015 frühestens am 1.4.2015. Der Nachprüfungsantrag ist rechtzeitig am 18.3.2015 eingegangen.

34

(3) Der Nachprüfungsantrag ist nicht wegen Verstoßes gegen die Rügeobliegenheiten gem. § 107 Abs. 3 S. 1 GWB unzulässig.

35

Im Falle der möglichen Unwirksamkeit gem. § 101b Abs. 1 Nr. 1 GWB wegen Verstoßes gegen die Informations- und Wartepflicht des § 101a Abs. 1 GWB bestehen die Rügeobliegenheiten gem. § 107 Abs. 3 S. 1 GWB neben den Zulässigkeitskriterien des § 101b Abs. 2 GWB. Im Falle einer echten De-facto-Vergabe gem. § 101b Abs. 1 Nr. 2 GWB bestehen zwar gem. § 107 Abs. 3 S. 2 GWB keine Rügeobliegenheiten. Eine solche echte De-facto-Vergabe liegt hier indes nicht vor, da die Antragstellerin am durchgeführten Vergabeverfahren beteiligt wurde. § 101b Abs. 1 Nr. 2 GWB wird zwar überwiegend analog angewendet, wenn - wie hier - statt der gebotenen europaweiten Ausschreibung nur eine nationale Ausschreibung erfolgt ist. Dies bedeutet aber nicht, dass in derartigen Fällen auch die Rügeobliegenheiten gem. § 107 Abs. 3 S. 1 GWB entfallen (vgl. Senat, Beschluss vom 20.11.2013 - 17 Verg 7/13 -, juris; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 11.1.2012 - VII-Verg 67/11 -, juris; OLG Brandenburg, Beschluss vom 18.9.2008 - Verg W 13/08 -, juris).

36

Rügeobliegenheiten gem. § 107 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 u. 3 GWB bestanden hier allerdings nicht. Die Wahl des falschen Vergabeverfahrens mit dem Folgefehler des Verstoßes gegen die Informations- und Wartepflicht des § 101a Abs. 1 GWB war unmittelbar weder aus der Bekanntmachung noch aus den Vergabeunterlagen zu erkennen. Die Kostenschätzung der Vergabestelle wurde nicht veröffentlicht. Das Überschreiten des Schwellenwertes war für die Antragstellerin erst nach späterer Kalkulation der eigenen Angebotspreise erkennbar.

37

Maßgeblich sind somit die Rügeobliegenheiten gem. § 107 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 GWB. Ungeachtet europarechtlicher Wirksamkeitszweifel ist eine positive Kenntnis des Vergaberechtsverstoßes nicht festzustellen. Erforderlich ist positive Kenntnis der den Vergaberechtsverstoß begründenden Tatsachen und eine zumindest laienhafte rechtliche Wertung, dass sich aus ihnen ein Vergaberechtsverstoß ergibt; Kennenmüssen und Erkennbarkeit reichen nicht (vgl. Pünder/ Schellenberg-Nowak, aaO., § 107 Rn. 64/65 mwN).

38

Die Antragstellerin wusste am 9.2.2015 bei Erstellung ihres knapp kalkulierten Angebotes, dass der wahre Auftragswert über 207.000,- € liegt. Zumindest am 9.3.2015 wusste sie auch, dass deshalb europaweit auszuschreiben war und gegen die Informations- und Wartepflicht des § 101a Abs. 1 GWB verstoßen wurde.

39

Nimmt man isoliert das Schreiben der Antragstellerin vom 9.3.2015 zu Ziff. 6 (“nationales Vergabeverfahren trotz Überschreitens des Schwellenwertes ... waren nicht verpflichtet diesen Verstoß zu rügen“), könnte - entsprechend der Auffassung der Vergabekammer - der Schluss gezogen werden, dass die Antragstellerin schon am 9.2.2015 die später eingeräumte Kenntnis von der Überschreitung des Schwellenwertes und dem Erfordernis einer europaweiten Ausschreibung hatte. Eine diesbezügliche Rüge erfolgte erst am 13.3.2015, das wäre auch bei europarechtsfreundlicher Auslegung des Merkmals „unverzüglich“ verspätet. Der Verstoß gegen die Informations- und Rügepflichten des § 101a Abs. 1 GWB ist auch ein Folgefehler der unterlassenen europaweiten Ausschreibung, auf den sich somit die Präklusion erstrecken würde.

40

Die Antragstellerin hat indes unter anwaltlicher Versicherung vorgetragen, vergabeunerfahren gewesen zu sein und erst am 9.3.2015 durch Beratung ihres Prozessbevollmächtigten Kenntnis vom Schwellenwert und der hier erforderlichen europaweiten Ausschreibung gem. den Vorschriften der VOL/A-EG erlangt zu haben. Diesen Vortrag, mit dem die Antragstellerin einer etwaigen sekundären Darlegungslast nachkommt, kann die beweisbelastete Antragsgegnerin nicht widerlegen. Es ist nicht ersichtlich, ob und an welchen früheren Vergabeverfahren die Antragstellerin schon teilgenommen hat und inwieweit dabei die rechtlichen Folgen der Überschreitung des Schwellenwerts relevant waren. Konkret vorgetragen ist insoweit nur die Teilnahme der Antragstellerin an einer Ausschreibung „Einsammeln und Verwerten von Bioabfall“, ohne dass hieraus Kenntnisse über die Abhängigkeit der europaweiten Ausschreibung vom Erreichen des Schwellenwerts ersichtlich sind. Die Antragstellerin hat die damalige Wahl einer europaweiten Ausschreibung nicht problematisiert, sondern das europaweite Vergabeverfahren schlicht hingenommen und einzelne Verstöße gegen Bestimmungen der VOL/A-EG gerügt. Abgesehen davon wäre der frühere verfahrensbevollmächtigte Rechtsanwalt jetzt nicht als Wissensvertreter der Antragstellerin anzusehen.

41

(4) Der Antragstellerin ist eine Antragsbefugnis gem. § 107 Abs. 2 GWB nicht abzusprechen, da ihr durch die gerügten Vergaberechtsverstöße ein Schaden droht.

42

Einem Bieter, der sich durch die Abgabe eines Gebotes beteiligt hat, droht regelmäßig ein Schaden durch die Verletzung von Vergabevorschriften, wenn das eingeleitete Vergabeverfahren aufgrund der Wahl der falschen Verfahrensart nicht durch Zuschlag beendet werden darf und zur Bedarfsdeckung eine Neuausschreibung in Betracht kommt (vgl. BGH, Urteil vom 10.11.2009 - X ZB 8/09, BGHZ 183, 95, juris Rn. 31/32). Ein drohender Schaden ist bereits dann dargetan, wenn der Antragsteller im Fall eines ordnungsgemäßen (neuerlichen) Vergabeverfahrens bessere Chancen auf den Zuschlag haben könnte als in dem beanstandeten Verfahren (BGH, aaO.).

43

So liegt es hier, denn bei erneuter Ausschreibung könnte die Antragstellerin - ggfls. nach Ausgleich des Informationsvorsprungs der Beigeladenen gem. § 6 Abs. 7 VOL/A-EG - ein billigeres Angebot einreichen, auch wenn sie schon jetzt knapp kalkuliert hat. Ferner könnte die Beigeladene ihr Angebot verteuern oder könnte deren Angebot gem. 19 Abs. 6 VOL/A-EG auszuschließen sein.

44

b) Der Antrag ist auch begründet, denn der durch Annahme vom 26.2.2015 bzw. durch Schweigen auf die Änderungen geschlossene Entsorgungsvertrag mit der Beigeladenen ist unwirksam.

45

Zum einen liegt ein Verstoß gegen die Informations- und Wartepflicht des § 101a Abs. 1 GWB vor, der gem. § 101b Abs. 1 Nr. 1 GWB zur Unwirksamkeit des Vertrages führt.

46

Zum anderen liegt eine unechte De-facto-Vergabe analog § 101b Abs. 1 Nr. 2 GWB vor, da trotz Überschreitens des Schwellenwertes nicht europaweit ausgeschrieben wurde.

47

c) Der Senat lässt offen, ob der geschlossene Entsorgungsvertrag darüber hinaus gem. § 138 Abs. 1 BGB nichtig ist.

48

Gegen eine vorsätzliche Umgehung der Pflicht zur europaweiten Ausschreibung durch die Vergabestelle spricht jedenfalls, dass die Antragsgegnerin den zu niedrig geschätzten Preis von 9,60 €/m³ zur Grundlage ihrer Gebührensatzung gemacht hat.

49

2. Der auch im übrigen zulässige Nachprüfungsantrag ist ebenfalls begründet und führt zur Aufhebung der Ausschreibung sowie zur Verpflichtung zur erneuten - europaweiten - Ausschreibung.

50

a) Der maßgebliche Vergaberechtsverstoß - nationale statt europaweite Vergabe - kann durch die beantragte Zurückversetzung des Vergabeverfahrens in den Stand vor Wertung der Angebote nicht geheilt werden. Ein erneuter Zuschlag wäre wiederum gem. § 101b Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 GWB für unwirksam zu erklären, wenn ein Konkurrent dies beantragt.

51

Gem. §§ 114 Abs. 1, 123 GWB ist deshalb als ultima ratio das Vergabeverfahren aufzuheben und bei Fortbestehen der Beschaffungsabsicht ein erneutes, diesmal europaweites Vergabeverfahren anzuordnen (vgl. OLG Schleswig, Beschluss vom 30.6.2005 - 6 Verg 5/05, juris Rn. 31; VK Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 15.8.2007 - VK 32/07, juris; Pünder/Schellenberg-Nowak, Vergaberecht, 2. Aufl., § 114 GWB Rn. 17; Ziekow/Völlink-Brauer, Vergaberecht, 2. Aufl., § 114 Rn. 19).

52

b) Darüber hinaus liegt auch ein Verstoß gegen § 6 Abs. 7 VOL/A-EG vor, der zwar für sich genommen nur dazu führen würde, dass der Antragstellerin zu gestatten wäre, ein erneutes Angebot einzureichen, das in die zu wiederholende Wertung einzubeziehen wäre, der aber zusammen mit der unterlassenen europaweiten Ausschreibung ebenfalls zur Aufhebung der Ausschreibung führt.

53

Die Antragsgegnerin hat zwar bestritten, dass die Beigeladene an der Erstellung der Vergabeunterlagen beteiligt gewesen sei. Sie hat indes nicht bestritten, dass die Beigeladene die Vergabestelle vor Einleitung des Vergabeverfahrens beraten und unterstützt habe, das ist angesichts kaufmännischer und technischer Betriebsführungsleistungen der Beigeladenen für den S. Eigenbetrieb auch plausibel.

54

Die Antragstellerin rügt somit - abgesehen von der fehlenden transparenten Dokumentation - zu Recht, dass sie einen beratungsbedingten Informationsvorsprung der Beigeladenen in der kurzen Angebotsfrist nicht aufholen konnte. Die Bieter tragen nach den Vergabeunterlagen alle örtlichen Erschwerungen. Für eine genaue Kalkulation sind Ortskenntnisse bzgl. Lage der Gärten, Erreichbarkeit mit Entsorgungsfahrzeugen, benötigte Schlauchlänge etc. erforderlich.

55

c) Die erneute Ausschreibung gibt der Vergabestelle ferner die Möglichkeit, eine auffällige Differenz zwischen den Angeboten gem. § 19 Abs. 6 VOL/A-EG aufzuklären, dies zu dokumentieren und ein etwaiges unseriös kalkuliertes Unterkostenangebot auszuschließen. Ferner wird transparent zu prüfen sein, ob für die Beigeladene als öffentliches Unternehmen ein Wettbewerbsverbot gem. § 68 Abs. 2 KV M-V besteht.

56

Schließlich hat die Antragsgegnerin als Vergabestelle im neuerlichen Vergabeverfahren sicherzustellen, dass Mitarbeiter der Beigeladenen mit dem öffentlichen Vergabeverfahren nicht in Berührung kommen können. Derartige organisatorische bzw. räumliche Vorkehrungen sind im ersten Vergabeverfahren offensichtlich nicht getroffen worden. So wurde im vorliegenden Vergabeverfahren auch gegen das Geheimhaltungsgebot des § 17 Abs. 3 VOL/A-EG verstoßen, da zwar das preisgünstigste Angebot der Beigeladenen zeitlich vor dem Angebot der Antragstellerin eingegangen ist, die Mitarbeiterinnen der Beigeladenen B., Du. und Da. indes danach Zugang zu den Vergabeunterlagen einschließlich der Konkurrenzangebote hatten.

57

III. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 128, 120, 78 GWB. Die Auslagen der Beigeladenen sind nicht zu erstatten, da die Beigeladene die unterlegene Antragsgegnerin unterstützt hat.

58

IV. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 50 Abs. 2 GKG.

(1) Ergeht nach der Kostenfestsetzung eine Entscheidung, durch die der Wert des Streitgegenstandes festgesetzt wird, so ist, falls diese Entscheidung von der Wertberechnung abweicht, die der Kostenfestsetzung zugrunde liegt, auf Antrag die Kostenfestsetzung entsprechend abzuändern. Über den Antrag entscheidet das Gericht des ersten Rechtszuges.

(2) Der Antrag ist binnen der Frist von einem Monat bei der Geschäftsstelle anzubringen. Die Frist beginnt mit der Zustellung und, wenn es einer solchen nicht bedarf, mit der Verkündung des den Wert des Streitgegenstandes festsetzenden Beschlusses.

(3) Die Vorschriften des § 104 Abs. 3 sind anzuwenden.

(1) Konzessionsgeber sind

1.
öffentliche Auftraggeber gemäß § 99 Nummer 1 bis 3, die eine Konzession vergeben,
2.
Sektorenauftraggeber gemäß § 100 Absatz 1 Nummer 1, die eine Sektorentätigkeit gemäß § 102 Absatz 2 bis 6 ausüben und eine Konzession zum Zweck der Ausübung dieser Tätigkeit vergeben,
3.
Sektorenauftraggeber gemäß § 100 Absatz 1 Nummer 2, die eine Sektorentätigkeit gemäß § 102 Absatz 2 bis 6 ausüben und eine Konzession zum Zweck der Ausübung dieser Tätigkeit vergeben.

(2) § 100 Absatz 2 und 3 gilt entsprechend.

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss der Vergabekammer Mecklenburg-Vorpommern vom 22.04.2015 - 2 VK 02/15 - aufgehoben.

Es wird festgestellt, dass der Vertrag der Antragsgegnerin mit der Beigeladenen über „Entleeren und Transportieren des Grubeninhalts aus abflusslosen Gruben in Gebieten der Freizeitnutzung im Territorium der Stadt S.“ unwirksam ist.

Das Vergabeverfahren der Antragsgegnerin zur Vergabenummer 2542026 wird aufgehoben.

Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, im Falle fortbestehender Beschaffungsabsicht ein europaweites Vergabeverfahren gemäß den Vorschriften der VOL/A-EG durchzuführen.

Die Kosten des Verfahrens vor der Vergabekammer einschließlich der notwendigen Auslagen der Antragstellerin trägt die Antragsgegnerin.

Die Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes war notwendig.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Antragsgegnerin.

Streitwert des Beschwerdeverfahrens: bis zu 45.000,- €

Gründe

1

I. Das Nachprüfungsverfahren betrifft die Vergabe von Entsorgungsleistungen.

2

Die Antragstellerin hatte sich im Jahr 2012 an einem früheren Vergabeverfahren betreffend die Entsorgung von Bioabfällen im Gebiet der Stadt S. beteiligt, letztendlich trotz mehrerer Rügen (Anl. BG 2) aber kein Angebot abgegeben. Den entsprechenden Altvertrag hatte die Antragstellerin 1993 ohne Vergabeverfahren erhalten.

3

Die Antragsgegnerin schrieb am 21.1.2015 national im offenen VOL/A-Verfahren in vier (Regional-) Losen das Entleeren von 7.332 abflusslosen Klärgruben in Kleingärten und Bootshäusern in S. sowie den Transport des Grubeninhalts zur Kläranlage für vier Jahre ab dem 01.04.2015 aus. Wertungskriterium war der niedrigste Preis. Kontaktstelle der Vergabestelle war die stadteigene S. GmbH, die an der Beigeladenen zu 51 % beteiligt ist. Die Beigeladene betreibt die S. Wasserversorgung und als Betriebsführer die Abwasserentsorgung, ferner erbringt sie kaufmännische und technische Betriebsführungsleistungen für den Eigenbetrieb Abwasserentsorgung und bietet Dienstleistungen wie Kanalinspektion, Kanalreinigung und Dichtheitsprüfung sowie einen ingenieurtechnischen Beratungsservice für wasserwirtschaftliche Anlagen an. Die Geschäftsführerin der Beigeladenen B. ist stellvertretende Werkleiterin des Eigenbetriebs S. Abwasserentsorgung.

4

Die Antragstellerin erhielt am 21.1.2015 die Vergabeunterlagen.

5

Der Ausschreibung lag eine Kostenschätzung zugrunde, die mit 192.000,- € netto knapp unter dem Schwellenwert von 207.000,- € lag. Die Antragsgegnerin zahlt aufgrund eines aktuellen Vertrages mit der Fa. G. für die Abwasserentsorgung in abflusslosen Wohngebäuden 4,80 €/m³. Diesen Preis hat sie sicherheitshalber verdoppelt und kommt so bei einer geschätzten Menge von 4 x 1.250 m³ = 5.000 m³ pro Jahr zu folgendem Schätzpreis: 9,60 €/m³ x 5.000 m³/Jahr x 4 Jahre = 192.000 €. In Wohngebäuden fallen jährliche Mengen zwischen 5 und 30 m³ an, in Kleingärten nur durchschnittlich 0,7 m³. Zur Überprüfung wurde der Preis von 6,75 €/m³ aus einem Preisblatt der Hansestadt S. herangezogen, das allerdings nicht zwischen Wohngebäuden und Kleingärten unterscheidet. Im Landkreis R. werden für vergleichbare Leistungen 30,- bis 45,- €/m³ gezahlt. Die Antragstellerin erhält von anderen Auftraggebern (Zweckverband S., Zweckverband B., Amt H. ) jeweils ohne öffentliche Ausschreibung 35,- €/m³. Die bisher von den Kleingärtnern einzelvertraglich gezahlten Preise wurden nicht ermittelt. Die Antragstellerin bietet ausweislich ihres Internetauftritts die Fäkalienentsorgung für Kleingärten in S. einzelvertraglich zu einem Preis von 35,- € für bis zu 2 m³ an, bei selbstorganisierten Sammelbestellungen ab acht Kunden beträgt der Preis 21,- € für eine Menge bis zu 2 m³.

6

Die Antragsgegnerin hat den geschätzten Preis von 9,60 €/m³ zur Grundlage ihrer Gebührensatzung gemacht, zzgl. Kläranlagenreinigung beträgt der Preis 12,70 €/m³. Zusätzlich wird für Verwaltungskosten ein Grundpreis von 14,90 € pro Anfahrt erhoben.

7

Innerhalb der Angebotsfrist bis zum 10.2.2015, 13:00 Uhr gingen die Angebote folgender vier Bieter ein: Fa. G., Beigeladene, Antragstellerin, Fa. C..

8

Die Vergabestelle öffnete am 10.2.2015 die Angebote und wertete sie aus. Im „Genehmigungs- bzw. Mitzeichnungsprozess“ waren seitens der Vergabestelle u.a. Frau Du. und Frau Da. tätig; Frau Du. ist auch Mitarbeiterin der Beigeladenen im Bereich Abwasserentsorgung, Frau Da. ist technische Leiterin und Prokuristin der Beigeladenen. Vergabevermerk und Zuschlag erfolgten durch Herrn W. . Die S. GmbH nahm mit Schreiben vom 26.2.2015 das in allen vier Losen billigste Angebot der Beigeladenen an und informierte mit Schreiben vom 2.3.2015 die Unterlegenen über die Auftragserteilung. Im Annahmeschreiben vom 26.2.2015 ist neben Herrn W. wiederum Frau Du. als Ansprechpartnerin aufgeführt. Die Annahme erfolgte mit geringfügigen Änderungen gegenüber den Vergabeunterlagen. Die Beigeladene hat mit der Fäkalienentsorgung die Fa. G. unterbeauftragt.

9

Die Antragstellerin forderte am 4.3.2015 eine Begründung und rügte, das Zuschlagskriterium „niedrigster Preis“ verstoße gegen § 18 Abs. 1 VOL/A.

10

Die Antragstellerin rügte am 9.3.2015 folgende Vergaberechtsverstöße, die auch Gegenstand des späteren Nachprüfungsantrags sind:

11

(1) Die Vergabe sei an ein kommunales Unternehmen erfolgt, obwohl die Gemeinde sich nach § 68 Abs. 2 KV M-V nicht wirtschaftlich betätigen dürfe.

12

(2) Die Beigeladene habe die Vergabeunterlagen miterstellt bzw. die Vergabestelle jedenfalls beraten und dadurch einen wettbewerbsrelevanten Informationsvorsprung, gleichzeitig sei die Angebotsfrist für die ortsunkundige Antragstellerin zu kurz.

13

(3) Die Beigeladene habe einen wettbewerbsrelevanten Wissensvorsprung und ev. Kenntnis der anderen Angebote.

14

(4) Das Angebot der Beigeladenen sei unzulässig niedrig, da die Antragstellerin knapp kalkuliert habe; jedenfalls liege ein Verstoß gegen die Aufklärungspflicht vor.

15

Ferner schrieb sie: „Der guten Vollständigkeit halber weisen wir darauf hin, dass es ohne Bedeutung wäre, sofern Sie bereits die Lose 1 - 4 bezuschlagt hätten. Denn insofern hätten Sie gegen die in § 101a GWB geregelte Informations- und Wartepflicht verstoßen, sodass der Vertrag von Anfang an gem. § 101b Abs. 1 Nr. 1 GWB unwirksam wäre. Insofern ist von Ihnen fälschlicherweise ein nationales Vergabeverfahren durchgeführt worden, obwohl aufgrund offensichtlichen Überschreitens des maßgeblichen Schwellenwertes die Durchführung eines europaweiten Vergabeverfahrens erforderlich gewesen wäre. Angesichts der Vertragslaufzeit von 4 Jahren liegt der streitige Gesamtauftragswert über 207.000 €. Der Vergaberechtsverstoß gilt auch nicht als geheilt, weil wir diesen Verstoß nicht gerügt haben. Grund hierfür ist, dass wir mangels eines uns entstandenen Schadens durch Beteiligung am Vergabeverfahren nicht verpflichtet waren, diesen Verstoß zu rügen.“

16

Die Antragsgegnerin wies die Rügen am 11.3.2015 zurück. Am 13.3.2015 rügte die Antragstellerin auch den Verstoß gegen die Informations- und Wartepflicht gem. § 101a Abs. 1 GWB.

17

Die Antragstellerin hat am 18.3.2015 den Nachprüfungsantrag gestellt und beantragt, die Unwirksamkeit des Vertrages über die Entleerung von Kleingartenklärgruben festzustellen und die Vergabestelle zur Wiederholung der Angebotswertung zu verpflichten, hilfsweise ein neues Vergabeverfahren oder andere geeignete Maßnahmen anzuordnen. Neben den gerügten Vergaberechtsverstößen hält sie den Vertrag wegen kollusiven Zusammenwirkens zwischen der Vergabestelle, die die Kostenschätzung absichtlich zur Vermeidung einer nachprüfbaren europaweiten Ausschreibung unter den Schwellenwert gedrückt habe, und der Beigeladenen, der dies bekannt gewesen sei, gem. § 138 Abs. 1 BGB für nichtig.

18

Die Vergabekammer hat den Nachprüfungsantrag am 22.4.2015 als unzulässig verworfen. Dabei könne die Wahl des falschen Vergabeverfahrens offenbleiben. Auch bei Überschreiten des Schwellenwertes sei der Feststellungsantrag nach § 101b Abs. 2 GWB unzulässig, weil die Antragstellerin das falsche Vergabeverfahren nicht gem. § 107 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 GWB gerügt habe; die Präklusion erfasse auch den Verstoß gegen die Informations- und Wartepflichten des § 101a Abs. 1 GWB als untrennbaren Folgefehler. Die positive Kenntnis bzgl. des falschen Vergabeverfahrens schon zum Zeitpunkt der Angebotsabgabe am 9.2.2015 ergebe sich aus dem Schreiben vom 9.3.2015 zu Ziff. 6. Der übrige Nachprüfungsantrag sei gem. § 114 Abs. 2 S. 1 GWB unzulässig. Wegen der Einzelheiten wird auf den Beschluss vom 22.4.2015 verwiesen.

19

Mit der Beschwerde wendet sich die Antragstellerin unter Wiederholung ihrer Rügen vor allem gegen die Feststellung, sie habe schon am 9.2.2015 positive Kenntnis vom falschen Vergabeverfahren erlangt. Sie trägt insoweit vor, sie habe am 6.3.2015 einen Rechtsanwalt beauftragt, dieser habe sie am 9.3.2015 beraten und das Rügeschreiben entspreche dem Entwurf ihres Prozessbevollmächtigten. Erst am 9.3.2015 habe Rechtsanwalt Dr. L. sie als vergabeunerfahrenes Unternehmen über den Schwellenwert und den Unterschied zwischen europaweitem und nationalem Vergaberecht aufgeklärt. Das Unterlassen einer europaweiten Ausschreibung sei einer De-facto Vergabe nach § 101b Abs. 1 Nr. 2 GWB gleichgestellt und gem. § 107 Abs. 3 S. 2 GWB sowieso von der Rügeobliegenheit befreit.

20

Die Antragstellerin beantragt,

21

den Beschluss der Vergabekammer vom 22.4.2015 aufzuheben und

22

festzustellen, dass der Vertrag der Antragsgegnerin mit der Beigeladenen über „Entleeren und Transportieren des Grubeninhalts aus abflusslosen Gruben in Gebieten der Freizeitnutzung im Territorium der Stadt S. “ unwirksam ist,

23

die Antragsgegnerin zur Wiederholung der Angebotswertung zu verpflichten,

24

hilfsweise die Antragsgegnerin zur Durchführung eines neuen Vergabeverfahrens zu verpflichten oder andere geeignete Maßnahmen anzuordnen.

25

Die Antragsgegnerin und die Beigeladene verteidigen die angefochtene Entscheidung und beantragen,

26

die sofortige Beschwerde zurückzuweisen.

27

Ergänzend wird auf die gewechselten Schriftsätze verwiesen. Die nachgelassenen Schriftsätze der Beigeladenen vom 13.10.2015, der Antragstellerin vom 14.10.2015 und der Antragsgegnerin vom 16.10.2015 hat der Senat berücksichtigt, der Antragsgegnerin ist entsprechende Fristverlängerung bewilligt worden.

28

II. Die zulässige sofortige Beschwerde ist begründet. Auf den zulässigen Nachprüfungsantrag der Antragstellerin ist die Unwirksamkeit des geschlossenen Vertrages festzustellen (1.), das Vergabeverfahren aufzuheben und die Durchführung eines neuen europaweiten Vergabeverfahrens anzuordnen (2.).

29

1. Der Antrag gem. § 101b Abs. 2 S. 1 GWB auf Feststellung der Unwirksamkeit des abgeschlossenen Vertrages ist zulässig und begründet.

30

a) Der fristgerechte Antrag ist entgegen der von der Antragsgegnerin und der Beigeladenen geteilten Auffassung der Vergabekammer zulässig, da der Schwellenwert überschritten, die Antragsbefugnis zu bejahen und kein Verstoß gegen die Rügeobliegenheiten des § 107 Abs. 3 GWB festzustellen ist.

31

(1) Die §§ 97 ff. GWB sind gem. § 100 Abs. 1 GWB, § 2 Abs. 1 VgV, Art. 7 lit. b RL 2004/18/EG anwendbar.

32

Der Schwellenwert von 207.000,- € ist überschritten, die Kostenschätzung der Antragsgegnerin i.H.v. 192.000,- € war nicht ordnungsgemäß gem. § 3 VgV. Die herangezogenen Vergleichspreise von 4,80 €/m³ bzw. 6,75 €/m³ betreffen nicht die ausgeschriebene Fäkalienentsorgung in Kleingartenanlagen. Angesichts der Marktpreise von 30,- bis 45,- €/m³ für Kleingärten im Landkreis R. ist es auch bei Zubilligung eines Ermessensspielraums nicht nachvollziehbar, die Preise für die Entsorgung in Wohnanlagen lediglich zu verdoppeln, zumal in Wohnanlagen durchschnittlich Mengen zwischen 5 - 30 m³ anfallen, in schwerer zugänglichen Kleingärten indes nur ca. 0,7 m³ pro Jahr. Zu einer ordnungsgemäßen Kostenschätzung hätten vor allem - z.B. durch Nachfrage bei den Kleingartenverbänden - die bisherigen von den Kleingärtnern in S. gezahlten Einzelvertragspreise ermittelt werden müssen. Bei ordnungsgemäßer Schätzung lag der Auftragswert auch unter Berücksichtigung der Einzelvertragspreise der Antragstellerin jedenfalls über 207.000,- €. Der Internetauftritt der Antragstellerin benennt für Kleingärten in S. einen Preis von 35,- € für bis zu 2 m³ Fäkalien, bei Sammelbestellungen reduziert sich der Preis auf 21,- € für bis zu 2 m³ Fäkalien. Hieraus folgt indes nicht, dass der Preis für die halbe Menge von 1 m³ nur 17,50 bzw. 10,50 €/m³ beträgt, denn bei einer durchschnittlichen Jahresmenge von 0,7 m³ wird sich die „bis zu“ Spanne in der Regel nicht auswirken, vielmehr entspricht der Preis für 2 m³ eher dem Preis für 1 m³. Selbst wenn man von einer Halbierung auf 17,50 bzw. 10,50 €/m³ ausgeht, so wird der Schwellenwert gleichwohl überschritten: 10,50 €/m³ x 5.000 m³/Jahr x 4 Jahre = 210.000,- €. Der auf der Internetseite für das S. Umland genannte Preis von 6,39 €/m³ betrifft nach dem Wortlaut nur den Transport und wäre zudem ein nicht heranzuziehender Ausreißer nach unten. Schließlich sind auch die exorbitant höheren Angebotspreise ein starkes Indiz für die Unvertretbarkeit der Kostenschätzung, auch wenn bei ordnungsgemäßer Kostenschätzung die Höhe der späteren Angebote für das Erreichen des Schwellenwerts irrelevant ist.

33

(2) Die Frist von 30 Tagen ab Kenntnis des Verstoßes ist unabhängig von der umstrittenen Frage, wer hier die Beweislast für die Kenntnis des Verstoßes trägt, gewahrt. Die 30-Tage-Frist des § 101b Abs. 2 S. 1 GWB beginnt frühestens mit positiver Kenntnis vom Vertragsschluss (vgl. Pünder/ Schellenberg-Mentzini, Vergaberecht, 2. Aufl., § 101b Rn. 27), nicht schon mit Kenntnis des falschen Vergabeverfahrens wegen Überschreitens des Schwellenwertes. Der Vertragsschluss erfolgte frühestens am 26.2.2015. Das Informationsschreiben datiert vom 2.3.2015, Fristablauf war somit ungeachtet eines daneben geführten Telefonats vom 2.3.2015 frühestens am 1.4.2015. Der Nachprüfungsantrag ist rechtzeitig am 18.3.2015 eingegangen.

34

(3) Der Nachprüfungsantrag ist nicht wegen Verstoßes gegen die Rügeobliegenheiten gem. § 107 Abs. 3 S. 1 GWB unzulässig.

35

Im Falle der möglichen Unwirksamkeit gem. § 101b Abs. 1 Nr. 1 GWB wegen Verstoßes gegen die Informations- und Wartepflicht des § 101a Abs. 1 GWB bestehen die Rügeobliegenheiten gem. § 107 Abs. 3 S. 1 GWB neben den Zulässigkeitskriterien des § 101b Abs. 2 GWB. Im Falle einer echten De-facto-Vergabe gem. § 101b Abs. 1 Nr. 2 GWB bestehen zwar gem. § 107 Abs. 3 S. 2 GWB keine Rügeobliegenheiten. Eine solche echte De-facto-Vergabe liegt hier indes nicht vor, da die Antragstellerin am durchgeführten Vergabeverfahren beteiligt wurde. § 101b Abs. 1 Nr. 2 GWB wird zwar überwiegend analog angewendet, wenn - wie hier - statt der gebotenen europaweiten Ausschreibung nur eine nationale Ausschreibung erfolgt ist. Dies bedeutet aber nicht, dass in derartigen Fällen auch die Rügeobliegenheiten gem. § 107 Abs. 3 S. 1 GWB entfallen (vgl. Senat, Beschluss vom 20.11.2013 - 17 Verg 7/13 -, juris; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 11.1.2012 - VII-Verg 67/11 -, juris; OLG Brandenburg, Beschluss vom 18.9.2008 - Verg W 13/08 -, juris).

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Rügeobliegenheiten gem. § 107 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 u. 3 GWB bestanden hier allerdings nicht. Die Wahl des falschen Vergabeverfahrens mit dem Folgefehler des Verstoßes gegen die Informations- und Wartepflicht des § 101a Abs. 1 GWB war unmittelbar weder aus der Bekanntmachung noch aus den Vergabeunterlagen zu erkennen. Die Kostenschätzung der Vergabestelle wurde nicht veröffentlicht. Das Überschreiten des Schwellenwertes war für die Antragstellerin erst nach späterer Kalkulation der eigenen Angebotspreise erkennbar.

37

Maßgeblich sind somit die Rügeobliegenheiten gem. § 107 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 GWB. Ungeachtet europarechtlicher Wirksamkeitszweifel ist eine positive Kenntnis des Vergaberechtsverstoßes nicht festzustellen. Erforderlich ist positive Kenntnis der den Vergaberechtsverstoß begründenden Tatsachen und eine zumindest laienhafte rechtliche Wertung, dass sich aus ihnen ein Vergaberechtsverstoß ergibt; Kennenmüssen und Erkennbarkeit reichen nicht (vgl. Pünder/ Schellenberg-Nowak, aaO., § 107 Rn. 64/65 mwN).

38

Die Antragstellerin wusste am 9.2.2015 bei Erstellung ihres knapp kalkulierten Angebotes, dass der wahre Auftragswert über 207.000,- € liegt. Zumindest am 9.3.2015 wusste sie auch, dass deshalb europaweit auszuschreiben war und gegen die Informations- und Wartepflicht des § 101a Abs. 1 GWB verstoßen wurde.

39

Nimmt man isoliert das Schreiben der Antragstellerin vom 9.3.2015 zu Ziff. 6 (“nationales Vergabeverfahren trotz Überschreitens des Schwellenwertes ... waren nicht verpflichtet diesen Verstoß zu rügen“), könnte - entsprechend der Auffassung der Vergabekammer - der Schluss gezogen werden, dass die Antragstellerin schon am 9.2.2015 die später eingeräumte Kenntnis von der Überschreitung des Schwellenwertes und dem Erfordernis einer europaweiten Ausschreibung hatte. Eine diesbezügliche Rüge erfolgte erst am 13.3.2015, das wäre auch bei europarechtsfreundlicher Auslegung des Merkmals „unverzüglich“ verspätet. Der Verstoß gegen die Informations- und Rügepflichten des § 101a Abs. 1 GWB ist auch ein Folgefehler der unterlassenen europaweiten Ausschreibung, auf den sich somit die Präklusion erstrecken würde.

40

Die Antragstellerin hat indes unter anwaltlicher Versicherung vorgetragen, vergabeunerfahren gewesen zu sein und erst am 9.3.2015 durch Beratung ihres Prozessbevollmächtigten Kenntnis vom Schwellenwert und der hier erforderlichen europaweiten Ausschreibung gem. den Vorschriften der VOL/A-EG erlangt zu haben. Diesen Vortrag, mit dem die Antragstellerin einer etwaigen sekundären Darlegungslast nachkommt, kann die beweisbelastete Antragsgegnerin nicht widerlegen. Es ist nicht ersichtlich, ob und an welchen früheren Vergabeverfahren die Antragstellerin schon teilgenommen hat und inwieweit dabei die rechtlichen Folgen der Überschreitung des Schwellenwerts relevant waren. Konkret vorgetragen ist insoweit nur die Teilnahme der Antragstellerin an einer Ausschreibung „Einsammeln und Verwerten von Bioabfall“, ohne dass hieraus Kenntnisse über die Abhängigkeit der europaweiten Ausschreibung vom Erreichen des Schwellenwerts ersichtlich sind. Die Antragstellerin hat die damalige Wahl einer europaweiten Ausschreibung nicht problematisiert, sondern das europaweite Vergabeverfahren schlicht hingenommen und einzelne Verstöße gegen Bestimmungen der VOL/A-EG gerügt. Abgesehen davon wäre der frühere verfahrensbevollmächtigte Rechtsanwalt jetzt nicht als Wissensvertreter der Antragstellerin anzusehen.

41

(4) Der Antragstellerin ist eine Antragsbefugnis gem. § 107 Abs. 2 GWB nicht abzusprechen, da ihr durch die gerügten Vergaberechtsverstöße ein Schaden droht.

42

Einem Bieter, der sich durch die Abgabe eines Gebotes beteiligt hat, droht regelmäßig ein Schaden durch die Verletzung von Vergabevorschriften, wenn das eingeleitete Vergabeverfahren aufgrund der Wahl der falschen Verfahrensart nicht durch Zuschlag beendet werden darf und zur Bedarfsdeckung eine Neuausschreibung in Betracht kommt (vgl. BGH, Urteil vom 10.11.2009 - X ZB 8/09, BGHZ 183, 95, juris Rn. 31/32). Ein drohender Schaden ist bereits dann dargetan, wenn der Antragsteller im Fall eines ordnungsgemäßen (neuerlichen) Vergabeverfahrens bessere Chancen auf den Zuschlag haben könnte als in dem beanstandeten Verfahren (BGH, aaO.).

43

So liegt es hier, denn bei erneuter Ausschreibung könnte die Antragstellerin - ggfls. nach Ausgleich des Informationsvorsprungs der Beigeladenen gem. § 6 Abs. 7 VOL/A-EG - ein billigeres Angebot einreichen, auch wenn sie schon jetzt knapp kalkuliert hat. Ferner könnte die Beigeladene ihr Angebot verteuern oder könnte deren Angebot gem. 19 Abs. 6 VOL/A-EG auszuschließen sein.

44

b) Der Antrag ist auch begründet, denn der durch Annahme vom 26.2.2015 bzw. durch Schweigen auf die Änderungen geschlossene Entsorgungsvertrag mit der Beigeladenen ist unwirksam.

45

Zum einen liegt ein Verstoß gegen die Informations- und Wartepflicht des § 101a Abs. 1 GWB vor, der gem. § 101b Abs. 1 Nr. 1 GWB zur Unwirksamkeit des Vertrages führt.

46

Zum anderen liegt eine unechte De-facto-Vergabe analog § 101b Abs. 1 Nr. 2 GWB vor, da trotz Überschreitens des Schwellenwertes nicht europaweit ausgeschrieben wurde.

47

c) Der Senat lässt offen, ob der geschlossene Entsorgungsvertrag darüber hinaus gem. § 138 Abs. 1 BGB nichtig ist.

48

Gegen eine vorsätzliche Umgehung der Pflicht zur europaweiten Ausschreibung durch die Vergabestelle spricht jedenfalls, dass die Antragsgegnerin den zu niedrig geschätzten Preis von 9,60 €/m³ zur Grundlage ihrer Gebührensatzung gemacht hat.

49

2. Der auch im übrigen zulässige Nachprüfungsantrag ist ebenfalls begründet und führt zur Aufhebung der Ausschreibung sowie zur Verpflichtung zur erneuten - europaweiten - Ausschreibung.

50

a) Der maßgebliche Vergaberechtsverstoß - nationale statt europaweite Vergabe - kann durch die beantragte Zurückversetzung des Vergabeverfahrens in den Stand vor Wertung der Angebote nicht geheilt werden. Ein erneuter Zuschlag wäre wiederum gem. § 101b Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 GWB für unwirksam zu erklären, wenn ein Konkurrent dies beantragt.

51

Gem. §§ 114 Abs. 1, 123 GWB ist deshalb als ultima ratio das Vergabeverfahren aufzuheben und bei Fortbestehen der Beschaffungsabsicht ein erneutes, diesmal europaweites Vergabeverfahren anzuordnen (vgl. OLG Schleswig, Beschluss vom 30.6.2005 - 6 Verg 5/05, juris Rn. 31; VK Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 15.8.2007 - VK 32/07, juris; Pünder/Schellenberg-Nowak, Vergaberecht, 2. Aufl., § 114 GWB Rn. 17; Ziekow/Völlink-Brauer, Vergaberecht, 2. Aufl., § 114 Rn. 19).

52

b) Darüber hinaus liegt auch ein Verstoß gegen § 6 Abs. 7 VOL/A-EG vor, der zwar für sich genommen nur dazu führen würde, dass der Antragstellerin zu gestatten wäre, ein erneutes Angebot einzureichen, das in die zu wiederholende Wertung einzubeziehen wäre, der aber zusammen mit der unterlassenen europaweiten Ausschreibung ebenfalls zur Aufhebung der Ausschreibung führt.

53

Die Antragsgegnerin hat zwar bestritten, dass die Beigeladene an der Erstellung der Vergabeunterlagen beteiligt gewesen sei. Sie hat indes nicht bestritten, dass die Beigeladene die Vergabestelle vor Einleitung des Vergabeverfahrens beraten und unterstützt habe, das ist angesichts kaufmännischer und technischer Betriebsführungsleistungen der Beigeladenen für den S. Eigenbetrieb auch plausibel.

54

Die Antragstellerin rügt somit - abgesehen von der fehlenden transparenten Dokumentation - zu Recht, dass sie einen beratungsbedingten Informationsvorsprung der Beigeladenen in der kurzen Angebotsfrist nicht aufholen konnte. Die Bieter tragen nach den Vergabeunterlagen alle örtlichen Erschwerungen. Für eine genaue Kalkulation sind Ortskenntnisse bzgl. Lage der Gärten, Erreichbarkeit mit Entsorgungsfahrzeugen, benötigte Schlauchlänge etc. erforderlich.

55

c) Die erneute Ausschreibung gibt der Vergabestelle ferner die Möglichkeit, eine auffällige Differenz zwischen den Angeboten gem. § 19 Abs. 6 VOL/A-EG aufzuklären, dies zu dokumentieren und ein etwaiges unseriös kalkuliertes Unterkostenangebot auszuschließen. Ferner wird transparent zu prüfen sein, ob für die Beigeladene als öffentliches Unternehmen ein Wettbewerbsverbot gem. § 68 Abs. 2 KV M-V besteht.

56

Schließlich hat die Antragsgegnerin als Vergabestelle im neuerlichen Vergabeverfahren sicherzustellen, dass Mitarbeiter der Beigeladenen mit dem öffentlichen Vergabeverfahren nicht in Berührung kommen können. Derartige organisatorische bzw. räumliche Vorkehrungen sind im ersten Vergabeverfahren offensichtlich nicht getroffen worden. So wurde im vorliegenden Vergabeverfahren auch gegen das Geheimhaltungsgebot des § 17 Abs. 3 VOL/A-EG verstoßen, da zwar das preisgünstigste Angebot der Beigeladenen zeitlich vor dem Angebot der Antragstellerin eingegangen ist, die Mitarbeiterinnen der Beigeladenen B., Du. und Da. indes danach Zugang zu den Vergabeunterlagen einschließlich der Konkurrenzangebote hatten.

57

III. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 128, 120, 78 GWB. Die Auslagen der Beigeladenen sind nicht zu erstatten, da die Beigeladene die unterlegene Antragsgegnerin unterstützt hat.

58

IV. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 50 Abs. 2 GKG.

(1) Öffentliche Auftraggeber können das Recht zur Teilnahme an Vergabeverfahren Werkstätten für Menschen mit Behinderungen und Unternehmen vorbehalten, deren Hauptzweck die soziale und berufliche Integration von Menschen mit Behinderungen oder von benachteiligten Personen ist, oder bestimmen, dass öffentliche Aufträge im Rahmen von Programmen mit geschützten Beschäftigungsverhältnissen durchzuführen sind.

(2) Voraussetzung ist, dass mindestens 30 Prozent der in diesen Werkstätten oder Unternehmen Beschäftigten Menschen mit Behinderungen oder benachteiligte Personen sind.

(1) Ein dynamisches Beschaffungssystem ist ein zeitlich befristetes, ausschließlich elektronisches Verfahren zur Beschaffung marktüblicher Leistungen, bei denen die allgemein auf dem Markt verfügbaren Merkmale den Anforderungen des öffentlichen Auftraggebers genügen.

(2) Eine elektronische Auktion ist ein sich schrittweise wiederholendes elektronisches Verfahren zur Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebots. Jeder elektronischen Auktion geht eine vollständige erste Bewertung aller Angebote voraus.

(3) Ein elektronischer Katalog ist ein auf der Grundlage der Leistungsbeschreibung erstelltes Verzeichnis der zu beschaffenden Liefer-, Bau- und Dienstleistungen in einem elektronischen Format. Er kann insbesondere beim Abschluss von Rahmenvereinbarungen eingesetzt werden und Abbildungen, Preisinformationen und Produktbeschreibungen umfassen.

(4) Eine zentrale Beschaffungsstelle ist ein öffentlicher Auftraggeber, der für andere öffentliche Auftraggeber dauerhaft Liefer- und Dienstleistungen beschafft, öffentliche Aufträge vergibt oder Rahmenvereinbarungen abschließt (zentrale Beschaffungstätigkeit). Öffentliche Auftraggeber können Liefer- und Dienstleistungen von zentralen Beschaffungsstellen erwerben oder Liefer-, Bau- und Dienstleistungsaufträge mittels zentraler Beschaffungsstellen vergeben. Öffentliche Aufträge zur Ausübung zentraler Beschaffungstätigkeiten können an eine zentrale Beschaffungsstelle vergeben werden, ohne ein Vergabeverfahren nach den Vorschriften dieses Teils durchzuführen. Derartige Dienstleistungsaufträge können auch Beratungs- und Unterstützungsleistungen bei der Vorbereitung oder Durchführung von Vergabeverfahren umfassen. Die Teile 1 bis 3 bleiben unberührt.

(1) Die unterliegende Partei hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, insbesondere die dem Gegner erwachsenen Kosten zu erstatten, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren. Die Kostenerstattung umfasst auch die Entschädigung des Gegners für die durch notwendige Reisen oder durch die notwendige Wahrnehmung von Terminen entstandene Zeitversäumnis; die für die Entschädigung von Zeugen geltenden Vorschriften sind entsprechend anzuwenden.

(2) Die gesetzlichen Gebühren und Auslagen des Rechtsanwalts der obsiegenden Partei sind in allen Prozessen zu erstatten, Reisekosten eines Rechtsanwalts, der nicht in dem Bezirk des Prozessgerichts niedergelassen ist und am Ort des Prozessgerichts auch nicht wohnt, jedoch nur insoweit, als die Zuziehung zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig war. Die Kosten mehrerer Rechtsanwälte sind nur insoweit zu erstatten, als sie die Kosten eines Rechtsanwalts nicht übersteigen oder als in der Person des Rechtsanwalts ein Wechsel eintreten musste. In eigener Sache sind dem Rechtsanwalt die Gebühren und Auslagen zu erstatten, die er als Gebühren und Auslagen eines bevollmächtigten Rechtsanwalts erstattet verlangen könnte.

(3) Zu den Kosten des Rechtsstreits im Sinne der Absätze 1, 2 gehören auch die Gebühren, die durch ein Güteverfahren vor einer durch die Landesjustizverwaltung eingerichteten oder anerkannten Gütestelle entstanden sind; dies gilt nicht, wenn zwischen der Beendigung des Güteverfahrens und der Klageerhebung mehr als ein Jahr verstrichen ist.

(4) Zu den Kosten des Rechtsstreits im Sinne von Absatz 1 gehören auch Kosten, die die obsiegende Partei der unterlegenen Partei im Verlaufe des Rechtsstreits gezahlt hat.

(5) Wurde in einem Rechtsstreit über einen Anspruch nach Absatz 1 Satz 1 entschieden, so ist die Verjährung des Anspruchs gehemmt, bis die Entscheidung rechtskräftig geworden ist oder der Rechtsstreit auf andere Weise beendet wird.

(1) Unternehmen haben bei der Ausführung des öffentlichen Auftrags alle für sie geltenden rechtlichen Verpflichtungen einzuhalten, insbesondere Steuern, Abgaben und Beiträge zur Sozialversicherung zu entrichten, die arbeitsschutzrechtlichen Regelungen einzuhalten und den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern wenigstens diejenigen Mindestarbeitsbedingungen einschließlich des Mindestentgelts zu gewähren, die nach dem Mindestlohngesetz, einem nach dem Tarifvertragsgesetz mit den Wirkungen des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes für allgemein verbindlich erklärten Tarifvertrag oder einer nach § 7, § 7a oder § 11 des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes oder einer nach § 3a des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes erlassenen Rechtsverordnung für die betreffende Leistung verbindlich vorgegeben werden.

(2) Öffentliche Auftraggeber können darüber hinaus besondere Bedingungen für die Ausführung eines Auftrags (Ausführungsbedingungen) festlegen, sofern diese mit dem Auftragsgegenstand entsprechend § 127 Absatz 3 in Verbindung stehen. Die Ausführungsbedingungen müssen sich aus der Auftragsbekanntmachung oder den Vergabeunterlagen ergeben. Sie können insbesondere wirtschaftliche, innovationsbezogene, umweltbezogene, soziale oder beschäftigungspolitische Belange oder den Schutz der Vertraulichkeit von Informationen umfassen.

(1) In folgenden Verfahren bestimmt sich der Wert nach § 3 der Zivilprozessordnung:

1.
über Beschwerden gegen Verfügungen der Kartellbehörden und über Rechtsbeschwerden (§§ 73 und 77 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen),
2.
über Beschwerden gegen Entscheidungen der Regulierungsbehörde und über Rechtsbeschwerden (§§ 75 und 86 des Energiewirtschaftsgesetzes oder § 35 Absatz 3 und 4 des Kohlendioxid-Speicherungsgesetzes),
3.
über Beschwerden gegen Verfügungen der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (§ 48 des Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetzes und § 113 Absatz 1 des Wertpapierhandelsgesetzes),
4.
über Beschwerden gegen Entscheidungen der zuständigen Behörde und über Rechtsbeschwerden (§§ 13 und 24 des EU-Verbraucherschutzdurchführungsgesetzes) und
5.
über Beschwerden gegen Entscheidungen der Registerbehörde (§ 11 des Wettbewerbsregistergesetzes).
Im Verfahren über Beschwerden eines Beigeladenen (§ 54 Absatz 2 Nummer 3 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen, § 79 Absatz 1 Nummer 3 des Energiewirtschaftsgesetzes und § 16 Nummer 3 des EU-Verbraucherschutzdurchführungsgesetzes) ist der Streitwert unter Berücksichtigung der sich für den Beigeladenen ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen.

(2) Im Verfahren über die Beschwerde gegen die Entscheidung der Vergabekammer (§ 171 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen) einschließlich des Verfahrens über den Antrag nach § 169 Absatz 2 Satz 5 und 6, Absatz 4 Satz 2, § 173 Absatz 1 Satz 3 und nach § 176 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen beträgt der Streitwert 5 Prozent der Bruttoauftragssumme.