Hanseatisches Oberlandesgericht Urteil, 11. Apr. 2018 - 8 U 69/16

bei uns veröffentlicht am11.04.2018

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 13.05.2016, Az. 318 O 220/15, wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

3. Dieses und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

1

Der Kläger nimmt die Beklagte wegen Vertragsverletzung auf Schadensersatz in Anspruch.

2

Der Kläger betreibt einen Handel mit Oldtimer-Ersatzteilen. Die Beklagte ist ein Internet Service Provider und bietet u.a. Webhosting, Serverhosting und Domain-Hosting an.

3

Der Kläger hat vorgetragen, den Webdesigner A. D. (im Folgenden auch kurz „Zeuge“ oder „Zedent“ genannt) mit der Programmierung und Betreuung seiner Homepage (www.o...de und www.o...com) sowie des dazugehörigen Onlineshops beauftragt zu haben.

4

Herr D. unterhält bei der Beklagten einen Account mit der Nummer 16577. Am 4. Dezember 2012 verschob die Beklagte offenbar im Zuge einer Tarifumstellung den Account mit der Nummer 16577 von dem bisherigen Server www.26.... auf den Server www.865... Dabei kam es zu einer fehlerhaften Konfiguration mit der Folge, dass Programme auf dem neuen Server (www865) weiterhin die Datenbanken auf dem alten Server (www26) verwendeten und diese weiter aktualisierten, wohingegen die Datenbank auf dem neuen Server auf dem Datenstand des Tages ihres Verschiebens geblieben ist. Von den vermeintlich inaktiven Daten auf dem bisherigen Server (www26) wurden nur die sog. Basebackups angefertigt, die maximal 2 Tage aufbewahrt werden. Auf dem neuen Server (www.865) hingegen wurden die normalen Accountbackups erstellt, die jedoch nicht die Livedaten umfassten, da diese wegen des vorstehend beschriebenen Fehlers auf dem bisherigen Server (www26) geführt wurden. Am 2.8.2014 wurde die Datenbank auf dem bisherigen Server (www26) im Zuge eines automatisiert erfolgenden Wartungsprozesses gelöscht und konnte bei Erkennen des Fehlers am Mittag des 4.8.2014 nicht mehr wiederhergestellt werden (siehe auch Anlage K1).

5

Der Kläger hat vorgetragen, dass Herr D. für die Homepage des Klägers unter dem Account 16577 einen separaten Unteraccount mit der Kennung dcp 165770012 eingerichtet habe, der von dem vorstehend beschriebenen Procedere betroffen gewesen sei. Die auf diese Weise gelöschte Datenbank habe ca. 750 Kundendaten des Klägers sowie die Daten von ca. 2.500 im Shop des Klägers hinterlegten Artikel enthalten. Aufgrund der Löschung sei der Shop nicht mehr funktionsfähig gewesen. Dies habe zu erheblichen Umsatzeinbußen geführt.

6

Die in Bezug auf den neuen Server von der Beklagten automatisiert durchgeführten Backups seien für Herrn D. nicht überprüfbar gewesen. Dass hier ein falscher Datenbestand gesichert wurde, sei nicht erkennbar gewesen. Die zusätzlich von Herrn D. durchgeführten Backups seien verschlüsselt und daher nicht mehr prüfbar gewesen. Sie seien damit praktisch ins Leere gelaufen, weil sich dort nicht der aktualisierte Datenbestand gefunden habe, sondern nur der Bestand per 04.12.2012. Die aktualisierten Daten seien vielmehr auf dem alten Server vorhanden gewesen.

7

Mit der Klage hat der Kläger seinen entgangenen Gewinn beginnend mit dem Schadenstag monatlich aufsteigend bis zu einem Gesamtbetrag von € 5.100,00 als einen einzelnen von mehreren Schadensersatzansprüchen geltend gemacht. Vorsorglich habe Herr D. seine Ansprüche gegen die Beklagte an ihn abgetreten (Anlage K4).

8

Die Beklagte hat vorgetragen, dass die Klage trotz Bezifferung unzulässig sei, weil der Kläger einen von mehreren Schadensersatzansprüchen geltend mache, ohne darzulegen, worauf sich die bezifferte Klageforderung beziehe. Der Streitgegenstand sei damit nicht hinreichend individualisiert.

9

Es ergebe sich zudem kein Anspruch nach den Grundsätzen eines Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter. Auch liege hier kein Fall der Drittschadensliquidation vor. Ebenso wenig bestehe ein Anspruch aus abgetretenem Recht. Der Abtretungsvertrag (Anlage K4) sei unwirksam, da er nicht dem Bestimmtheitserfordernis genüge. Jedenfalls müsse der Kläger sich sowohl eigenes Mitverschulden als auch ein solches des Herrn D. entgegenhalten lassen, weil beide ihrer Obliegenheit zur Erstellung von - möglichen - Backups nicht nachgekommen seien. Im Übrigen könne sich die Beklagte auf den vereinbarten Haftungsausschluss gemäß § 12 ihrer AGB berufen.

10

Wegen der Einzelheiten des Parteivortrags in erster Instanz und des Wortlautes der gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des landgerichtlichen Urteils Bezug genommen.

11

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die Klage zwar zulässig, aber unbegründet sei. Es fehle zwar nicht an einer hinreichenden Individualisierung des Streitgegenstandes, denn der Kläger mache gerade nicht mehrere selbständige prozessuale Ansprüche geltend, sondern vielmehr einen einheitlichen, auf einer behaupteten Pflichtverletzung der Beklagten beruhenden Schadensersatzanspruch. Die Klage sei jedoch unbegründet, da dem Kläger weder ein eigener noch ein auf abgetretenem Recht beruhender Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte zustehe. Bei dem zwischen Herrn D. und der Beklagten bestehenden Vertrag handele es sich nicht um einen Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter. Auch ergäbe sich kein Anspruch des Klägers gegenüber der Beklagten nach den Grundsätzen der Drittschadensliquidation. Schließlich stehe dem Kläger gegen die Beklagte auch kein Anspruch aus abgetretenem Recht zu, da dem Zedenten D. seinerseits kein Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte zustehe. Einem solchen Schadensersatzanspruch stünde das überwiegende Mitverschulden des Zedenten D. gemäß § 254 Abs. 1 BGB entgegen.

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Mit seiner hiergegen eingelegten Berufung verfolgt der Kläger seinen erstinstanzlichen Antrag weiter. Die Entscheidung des Landgerichts könne keinen Bestand haben, da einerseits die vom Landgericht getroffenen Tatsachenfeststellungen unvollständig und fehlerhaft seien und andererseits das Urteil auf einer fehlerhaften Rechtsanwendung beruhe. Insbesondere habe das Landgericht § 254 BGB falsch angewendet, indem es ein Mitverschulden des Zeugen D. angenommen habe. Ferner liege ein Verfahrensmangel vor, da das Landgericht eine inhaltliche Prüfpflicht hinsichtlich der erstellten Backups angenommen habe, darauf den Kläger aber nicht hingewiesen habe.

13

Nachdem der Kläger zunächst beantragt hat, die Beklagte unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Hamburg (Az.: 318 O 220/15) zu verurteilen, an den Kläger 5.100,00 Euro nebst Zinsen zu zahlen,

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beantragt der Kläger zuletzt,

15

Unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Hamburg (Aktenzeichen 318 O 220/15) wird die Beklagte verurteilt, an den Kläger 5.100,00 € als entgangenen Gewinn für den Zeitraum vom 02.08.2014 bis 31.07.2015 nebst Zinsen hieraus in Höhe von neun Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

16

Die Beklagte beantragt,

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die Berufung zurückzuweisen.

18

Die Beklagte verteidigt das landgerichtliche Urteil. Sie meint, die Berufung sei bereits unzulässig, da der Antrag nicht dem Bestimmtheitserfordernis des § 253 ZPO genüge. Der erstmals in der Berufungsbegründung enthaltene Vortrag bezüglich der inhaltlichen Überprüfung der Backups sei zudem verspätet.

19

Hinsichtlich des weiteren Vortrags der Parteien wird auf die eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Protokolle der mündlichen Verhandlungen verwiesen.

II.

20

Die Berufung des Klägers ist zulässig, aber nicht begründet. Die angefochtene Entscheidung beruht weder auf einer Rechtsverletzung (§§ 513 Abs. 1 Alt. 1, 546 ZPO) noch rechtfertigen die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung (§ 513 Abs. 1 Alt. 2 ZPO). Im Ergebnis zu Recht hat das Landgericht die Klage abgewiesen, da dem Kläger gegenüber der Beklagten der geltend gemachte Schadensersatzanspruch nicht zusteht. Zwar liegt eine grob fahrlässige Pflichtverletzung der Beklagten vor. Dem Kläger ist es jedoch trotz Erteilung eines gerichtlichen Hinweises nicht gelungen, den mit der vorliegenden Klage geltend gemachten entgangenen Gewinn hinreichend substantiiert darzulegen. Im Einzelnen:

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1. Zu Recht und mit überzeugender Begründung hat das Landgericht sowohl einen Anspruch des Klägers gegenüber der Beklagten nach den Grundsätzen des Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter wie auch nach den Grundsätzen der Drittschadensliquidation verneint.

22

2. Im Ergebnis ebenfalls zu Recht hat das Landgericht auch einen Schadensersatzanspruch des Klägers gegenüber der Beklagten aus abgetretenem Recht gem. § 280 Abs. 1 BGB verneint.

23

a) Nachdem der Kläger mit Schriftsatz vom 09.02.2018 seinen Klagantrag dahingehend konkretisiert hat, dass er entgangenen Gewinn für die Zeit vom 02.08.2014 bis 31.07.2015 geltend macht, ist der Streitgegenstand nunmehr hinreichend individualisiert und der Klagantrag damit zulässig.

24

b) Auch ist der Kläger aktiv legitimiert, da ihm der Zeuge D. etwaige Schadensersatzansprüche gegen die Beklagte mit Abtretungsvertrag vom 24.09./27.09.2014 (Anlage K4) wirksam abgetreten hat. Insbesondere genügt dieser Vertrag dem Bestimmtheitserfordernis. Die Abtretung bezieht sich eindeutig auf Schadensersatzforderungen, welche dem Zeugen D. gegenüber der Beklagten im Zusammenhang mit der Datenlöschung am 2.08.2014 zum Account dcp 165770012 zustehen sollen. Dass der Hosting-Vertrag zwischen dem Zedenten und der Beklagten nicht näher beschrieben wird, steht der Bestimmbarkeit der Forderung nicht entgegen. Insbesondere durch Bezugnahme auf das Datum der Datenlöschung und Nennung des Accounts werden die in Rede stehenden Forderungen hinreichend konkretisiert. Hinzu kommt, dass die Abtretung grundsätzlich formfrei ist (Palandt/Grüneberg, 76. Auflage 2017, § 398 Rn. 6). Aus der Vereinbarung sind die beiden Vertragsparteien Alexander D. und der Kläger eindeutig erkennbar. Dass die Adresse des Herrn D. ganz fehlt und jene des Klägers sich lediglich aus dem Stempelaufdruck ergibt, schadet nicht. Schließlich haben beide Parteien die Vereinbarung unterschrieben.

25

c) Die Beklagte verletzte zudem grob fahrlässig gegenüber Herrn D. Sorgfaltspflichten, die sich aus dem zwischen der Beklagten und dem Zeugen D. bestehenden Vertragsverhältnis ergeben.

26

Zwischen dem Zeugen D. und der Beklagten bestand ein sog. Hosting-Vertrag, welcher zumindest auch die Einrichtung des Accounts mit der Nummer 16577 zum Gegenstand hatte. Dies ist zwischen den Parteien unstreitig und ergibt sich im Übrigen auch aus der Anlage K5, in welcher die Beklagte gegenüber dem Zeugen D. ausdrücklich auf diesen Account Bezug nimmt. Aus diesem Vertragsverhältnis ergeben sich für die Beklagte Sorgfaltspflichten in Bezug auf die in ihrem Verantwortungsbereich abgelegten Daten ihrer jeweiligen Vertragspartner.

27

Indem die Beklagte

28

- am 4.12.2012 einen fehlerhaften Eintrag im Zusammenhang mit dem Verschieben des Accounts 16577 von www26....de auf www865....de vornahm (siehe Anlage K1),
- die alte Datenbank nicht als schreibgeschützt markierte und
- am 2.08.2014 die Löschung der alten Datenbank geschehen ließ, ohne zuvor deren Inaktivität zu kontrollieren,

29

verletzte die Beklagte gegenüber dem Zeugen D. ihr obliegende Sorgfaltspflichten.

30

Diese Pflichtverletzungen hat die Beklagte auch zu vertreten, denn sie konnte den Entlastungsbeweis nicht führen. Indem die Beklagte die alte Datenbank weder als „schreibgeschützt“ kennzeichnete noch diese Datenbank vor dem endgültigen Löschen auf ihre Inaktivität prüfte, überschritt die Beklagte sogar die Grenze zur groben Fahrlässigkeit. Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn die verkehrserforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt wird (Palandt/Grüneberg, 76. Auflage 2017, § 277 Rn. 5). Dies ist vorliegend der Fall. Die Beklagte wusste, wie wichtig ihren Kunden die in einer Datenbank abgelegten Daten sind. Auch wusste sie, dass Daten, die endgültig gelöscht werden, für immer verloren sind. Daher hätte sie besondere Vorkehrungen vor dem endgültigen Löschen von Daten treffen müssen. Da sie dies vorliegend nicht getan hat, war ihr Verhalten insoweit grob fahrlässig.

31

Die Beklagte kann sich insoweit auch nicht wirksam auf ihre Haftungsbeschränkung gemäß § 12 Nr. 1 ihrer AGB berufen. Zwar handelt es sich bei der Pflichtverletzung der Beklagten nicht um eine „wesentliche Vertragspflicht“. Bei einem Hosting-Vertrag stellt der Auftragnehmer dem Auftraggeber auf einem eigenen oder fremden Server Speicherplatz zur Verfügung, auf dem der Auftraggeber Daten seiner Wahl über das Internet und den ihm zu diesem Zweck vom Auftragnehmer bereitgestellten Zugang „hochladen“, abrufen oder sonst nutzen kann, etwa zum Betrieb einer Website (Kremer, jurisPR-ITR 21/2014 Anm. 6). Damit besteht die wesentliche Pflicht im Rahmen eines Hosting-Vertrages in der Zurverfügungstellung von Speicherplatz, so dass es sich bei der Pflicht zur Datensicherung, welche die Beklagte vorliegend verletzt hat, eher um eine Nebenpflicht handelt (siehe auch LG Duisburg, Urteil v. 25.07.2014, 22 O 102/12, zitiert nach juris). Da die Beklagte jedoch grob fahrlässig gehandelt hat, greift die Haftungsbeschränkung des § 12 Nr. 1 AGB nicht.

32

d) Ob - wie das Landgericht angenommen hat - einem etwaigen Schadensersatzanspruch des Zeugen D. dessen überwiegendes Mitverschulden gemäß § 254 Abs. 1 BGB entgegensteht, hängt zum einen davon ab, ob für ihn die Fehlerhaftigkeit der Backups überhaupt erkennbar war und insofern wirklich eine inhaltliche Prüfpflicht hinsichtlich der Backups bestand. Zum anderen wäre bei der Annahme eines Mitverschuldens eine Würdigung und Abwägung aller Umstände zur Bestimmung des Umfangs der Ersatzpflicht erforderlich (Palandt/Grüneberg, 76. Auflage, § 254 Rn. 57). Nach der Fassung des Gesetzes („insbesondere“) und nach der ständigen Rechtsprechung des BGH ist bei der Abwägung in erster Linie auf das Maß der beiderseitigen Verursachungen abzustellen (BGH, Urteil vom 17.06.2014, VI ZR 281/13, Rn. 6, zitiert nach juris). Entscheidend ist, mit welchem Grad von Wahrscheinlichkeit die beiderseitigen Verursachungsbeiträge zur Herbeiführung des schädigenden Erfolgs geeignet waren. Unerheblich ist dabei, in welcher zeitlichen Reihenfolge die beiderseitigen Verursachungsbeiträge gesetzt worden sind (BGH, Urteil v. 10.12.2009, VII ZR 42/08, Rn. 55 f, zitiert nach juris). Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang auch, dass die Abwägung nur ausnahmsweise zu einem Wegfall der Ersatzpflicht oder zu einer vollen Haftung des Schädigers führen kann (BGH, Urteil v. 28.04.2015, VI ZR 206/14, Rn. 10, zitiert nach juris).

33

Letztlich kann die Frage eines etwaigen Mitverschuldens des Zeugen D. vorliegend jedoch dahinstehen, da der Kläger trotz eines entsprechenden gerichtlichen Hinweises nicht hinreichend substantiiert den geltend gemachten entgangenen Gewinn dargelegt hat (siehe sogleich unter lit. e)) und ein Schadensersatzanspruch insoweit daher nicht besteht.

34

e) Unabhängig von der zwischen den Parteien streitigen Frage, ob es sich bei den gelöschten Daten um solche des Klägers (KunD.ontakte und Artikel des Onlineshops) handelte, ist es dem Kläger trotz seines weiteren Vortrags mit Schriftsatz vom 09.02.2018 nicht gelungen, zur Schadenshöhe ausreichend substantiiert vorzutragen.

35

Ob und in welcher Höhe dem Kläger ein nach § 249 Satz 1, § 252 Satz 1 BGB zu ersetzender Schaden aus entgangenem Gewinn entstanden ist, ist vom Tatrichter gemäß § 287 Abs. 1 ZPO zu entscheiden. Danach ist der Richter bei der Schadensfeststellung freier gestellt. Im Unterschied zu den strengen Anforderungen des § 286 Abs. 1 ZPO, die für den Beweis der haftungsbegründenden Kausalität gelten, reicht bei der Entscheidung über die Schadenshöhe eine erhebliche, auf gesicherter Grundlage beruhende Wahrscheinlichkeit für die richterliche Überzeugungsbildung aus (BGH, Urteil v. 9.04.1992, IX ZR 104/91, Rn. 8, zitiert nach juris). Danach gilt als entgangen der Gewinn, welcher nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge oder nach den besonderen Umständen, insbesondere nach den getroffenen Anstalten und Vorkehrungen, mit Wahrscheinlichkeit erwartet werden konnte. Unter diesen Voraussetzungen wird vermutet, dass ein Gewinn gemacht worden wäre; eine volle Gewissheit ist nicht erforderlich. Diese Beweiserleichterung mindert auch die Darlegungslast des Geschädigten, der die Tatsachen, die seine Gewinnerwartung wahrscheinlich machen sollen, im Einzelnen vortragen und notfalls beweisen muss (BGH, Urteil v. 9.04.1992, IX ZR 104/91, Rn. 9, zitiert nach juris). Eine Schätzung entfällt nur, wenn sie mangels greifbarer Anhaltspunkte völlig in der Luft hinge (BGH, Urteil vom 26.11.1986, VIII ZR 260/85, Rn. 10, zitiert nach juris). § 287 ZPO ändert aber nichts daran, dass demjenigen, der Schadensersatz fordert, grundsätzlich die Darlegungs- und Beweislast für die Entstehung und die Höhe eines Schadens verbleibt (BGH, Urteil vom 9.04.1992, IX ZR 104/91, Rn. 8, zitiert nach juris).

36

Die seitens des Klägers vorgelegten - und von der Beklagten bestrittenen - Zahlenaufstellungen stellen keine greifbaren Anhaltspunkte für eine Schätzung des behaupteten Schadens dar. Allein die Vorlage selbst erstellter Tabellen und die pauschale Bezugnahme auf Buchhaltungs- und Belegunterlagen genügt auch im Rahmen des § 287 ZPO nicht der Substantiierungspflicht des Klägers. Im Einzelnen:

37

Die als Anlage K7 vorgelegte Auflistung von Zahlungseingängen und Zahlungsausgängen ist nicht geeignet, Anhaltspunkte für die Schätzung eines entgangenen Gewinns darzulegen. Es handelt sich hierbei um die Auflistung von Zahlen, die weder für das Gericht noch für die Beklagte nachvollziehbar aufbereitet sind. Auch wird in der Anlage K7 weder danach differenziert, welche Geschäfte online abgeschlossen wurden, noch enthält sie weitere Kostenpositionen, die bei der Gewinnermittlung abzuziehen wären. Die Monate April und Mai 2014 fehlen in der Auflistung völlig. Zudem ist aus der Auflistung ersichtlich, dass sich die Zahlungseingänge nach dem 4.8.2014 nicht sehr signifikant von den Eingängen davor unterscheiden. Sie sind - wie auch vor der behaupteten Datenlöschung - von Monat zu Monat schwankend. Auch soweit der Kläger im Schriftsatz vom 09.02.2018, dort letzte Seite (Bl. 181 der Akte), eine weitere Tabelle zur Gesamtschadensübersicht einreicht, genügt dies nicht. Auch diese Auflistung von Zahlen ist in keiner Weise nachvollziehbar aufbereitet. Der Kläger verweist im Zusammenhang mit dieser Tabelle auf eine 5 Leitz-Ordner umfassende Belegsammlung, deren Übersendung er anbietet. Eine derartige Bezugnahme auf Anlagen ersetzt aber keinen schriftsätzlichen Vortrag. Es wäre Aufgabe des Klägers gewesen, die in dieser Tabelle aufgeführten Zahlen im Schriftsatz selbst in nachvollziehbarer Weise aufzubereiten. Dies ist nicht - auch nicht durch den nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 14.03.2018 - erfolgt. Eine Bezugnahme auf Anlagen kann lediglich der Erläuterung des schriftsätzlichen Vortrags dienen. Anlagen können schriftsätzlichen Vortrag aber nicht ersetzen. Das Gericht ist daher nicht gehalten, sich den fehlenden Vortrag selbst aus den umfangreichen Anlagen herauszusuchen (siehe auch BVerfG, Kammerbeschluss v. 30.06.1994, 1 BvR 2112/9, Rn. 24, zitiert nach juris; BGH, Beschluss vom 27.09.2001, V ZB 29/01, Rn. 6, zitiert nach juris).

38

Unabhängig von dem Vorstehenden ist auch Folgendes zu berücksichtigen: Ohne nähere Erläuterung differenziert der Kläger in der mit Schriftsatz vom 09.02.2018 vorgelegten Tabelle nach Verkäufen im gewerblichen und solchen im privaten Bereich und behauptet, ohne die behauptete Datenlöschung hätte er im streitgegenständlichen Zeitraum bei Verkäufen im privaten Bereich eine Umsatzsteigerung von 50 % im Vergleich zum Vorjahreszeitraum zu verzeichnen gehabt. Der Kläger zieht diesen Schluss insbesondere vor dem Hintergrund, dass es ausweislich der vorgelegten Zahlen im Bereich der gewerblichen Verkäufe im streitgegenständlichen Zeitraum sogar eine Umsatzsteigerung um 65 % gegeben habe. Wie sich daraus allerdings auch eine Umsatzsteigerung von geschätzten 50 % im Bereich der Privatkäufer ergeben soll, erschließt sich dem Gericht nicht. Aus der Tabelle ist gerade nicht der vom Kläger behauptete wirtschaftliche Einbruch nach dem 04.08.2014 ersichtlich. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass die Ausgaben des Klägers ausweislich der Tabelle von August 2014 bis einschließlich Juli 2015 um mehr als die Hälfte im Vergleich zum Vorjahr gestiegen sein sollen (Vorjahr: € 22.079,19; Folgejahr: € 34.935,51). Zwar bleibt der Kläger auch diesbezüglichen Vortrag schuldig. Gleichwohl haben diese erheblich gestiegenen Ausgaben unmittelbaren Einfluss auf die Höhe des geschätzten Gewinns. Da somit überhaupt nicht ersichtlich ist, dass die behauptete Löschung der Daten des Klägers tatsächlich zu irgendeiner Gewinneinbuße des Klägers geführt hat, fehlt es auch insoweit an greifbaren Anhaltspunkten, um wenigstens einen Mindestschaden unterhalb der seitens des Klägers behaupteten Höhe zu schätzen.

39

3. Mangels Hauptanspruchs besteht auch kein Zinsanspruch.

40

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO i.V.m. § 26 Nr. 8 EGZPO.

41

5. Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO nicht vorliegen. Insbesondere hat die Sache keine grundsätzliche Bedeutung.

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Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger kann die Vollstreckung durch die Beklagte durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1

Der Kläger nimmt die Beklagte wegen Vertragsverletzung auf Schadensersatz in Anspruch.

2

Der Kläger, der einen Handel mit Oldtimer-Ersatzteilen betreibt, trägt vor, er habe einen Webdesigner, einen Herrn D., beauftragt, eine Homepage für ihn zu programmieren und zu betreuen. Dieser habe seinerseits bei der Beklagten einen Account mit der Nummer 1...7 eingerichtet.

3

Herr D. habe insoweit für seine - des Klägers - Homepage einen separaten Unteraccount mit der Kennung dcp 1...70012 eingerichtet. Im Zuge einer Tarifumstellung im Dezember 2012 sei der Account mit der Nummer 1...7 auf einen anderen Server (www 8...c. a.) verschoben worden. Hierbei seien die Daten jedoch auf dem bisherigen Server (www 2...c. a.) verblieben, dort unbemerkt weiter aktualisiert worden, weil die alte Datenbank nicht - wie es üblich sei - als schreibgeschützt markiert worden sei, und sodann in der Folgezeit am 02.08.2014 im Zuge von Wartungsarbeiten gelöscht worden (Anlage K 1). Da Backups auf den Webservern der Beklagten accountgebunden seien, seien von den vermeintlich inaktiven Daten auf dem alten Server nur kurzzeitige so genannte Basebackups für die Dauer von 2 Tagen erstellt worden.

4

Die in Bezug auf den (neuen) Server www 8...c. a. von der Beklagten automatisiert durchgeführten Backups seien für Herrn D. nicht überprüfbar gewesen. Dass hier ein falscher Datenbestand gesichert wurde, sei nicht erkennbar gewesen. Die zusätzlich von Herrn D. durchgeführten Backups seien verschlüsselt und daher nicht mehr prüfbar gewesen. Sie seien damit praktisch ins Leere gelaufen, weil sich dort nicht der aktualisierte Datenbankbestand gefunden habe, sondern nur der Bestand per 04.12.2012. Die aktualisierten Daten seien vielmehr auf dem alten Server vorhanden gewesen.

5

Die gelöschte Datenbank habe ca. 750 Kundendaten sowie die Daten von ca. 2.500 im Shop hinterlegten Artikeln enthalten. Aufgrund der Löschung sei der Shop nicht mehr funktionsfähig gewesen, da er kaum noch Kundendaten enthalten habe und das Produktsortiment nur noch sehr eingeschränkt - nämlich auf dem Stand per 04.12.2012 - gewesen sei. Insbesondere sei hierdurch die Werbung für den Kläger als Spezialisten für Bremskraftverstärker nutzlos geworden. Dies habe zu erheblichen Umsatzeinbußen geführt, denn er betreibe den Handel mit Zubehörteilen für Oldtimer fast ausschließlich über das Internet. Nach dem Datenverlust seien fast ausschließlich Geschäfte mit Stammkunden oder früheren Kunden zustande gekommen, die den Geschäftsbetrieb des Klägers kannten.

6

Mit der vorliegenden Klage werde der entgangene Gewinn beginnend mit dem Schadenstag monatlich aufsteigend bis zu einem Gesamtbetrag von € 5.100,00 geltend gemacht. Wegen der Einzelheiten wird insoweit auf Seiten 6-8 der Klagschrift sowie auf die Schriftsätze vom 24.09.2015 und vom 02.03.2016 Bezug genommen.

7

Vorsorglich habe der unmittelbare Vertragspartner der Beklagten, Herrn D., seine Ansprüche an ihn abgetreten (Anlage K 4). Ein eigener vertraglicher Anspruch des Klägers gegen Herrn D. bestehe nicht.

8

Der Kläger beantragt nunmehr,

9

die Beklagte zu verurteilen, an ihn einen Betrag in Höhe von € 5.100,00 nebst Zinsen hieraus in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

10

Die Beklagte beantragt,

11

die Klage abzuweisen.

12

Sie trägt vor, die Klage sei trotz Bezifferung unzulässig, weil der Kläger einen von mehreren Schadensersatzansprüchen geltend mache, ohne darzulegen, worauf sich die bezifferte Klageforderung beziehe. Der Streitgegenstand sei damit nicht hinreichend individualisiert.

13

Im Übrigen stehe dem Kläger auch kein Schadensersatzanspruch zu. Dass der Kläger einen Vertrag mit ihrem Vertragspartner D. geschlossen habe, werde ebenso bestritten wie die Einrichtung eines Unteraccounts für den Kläger durch Letzteren. Jedenfalls fehle es sowohl an einer Leistungsnähe als auch einem Einbeziehungsinteresse ihres Vertragspartners D., so dass sich kein Anspruch nach den Grundsätzen eines Vertrages mit Schutzwirkung zu Gunsten Dritter ergebe.

14

Ein Sachverhalt, der einen Anspruch nach den Grundsätzen der Drittschadensliquidation rechtfertige, liege gleichfalls nicht vor. Es fehle insoweit bereits an einer Schadensverlagerung, weil auch Herr D. einen Anspruch gegen sie hätte.

15

Ein Anspruch aus abgetretenem Recht bestehe ebenso wenig. Nach dem eigenen Vortrag des Klägers liege ein Schaden des Herrn D. gerade nicht vor.

16

Jedenfalls müsse der Kläger sich sowohl ein eigenes Mitverschulden als auch ein solches des Herrn D. entgegenhalten lassen, weil beide ihrer Obliegenheit zur Erstellung von - möglichen - Backups nicht nachgekommen seien. Es treffe auch nicht zu, dass Backups (über Produktdaten) Datenschutzgründen inhaltlich nicht überprüfbar gewesen seien. Kundendaten habe der Kläger schon aus steuerrechtlichen Gründen aufbewahren müssen. Schließlich greife auch der ihren allgemeinen Geschäftsbedingungen vereinbarte Haftungsausschluss (Anlage B1).

17

Einen kausal auf eine Pflichtverletzung beruhenden Schaden habe der Kläger nicht substantiiert dargelegt. Dies gelte insbesondere deshalb, weil sowohl die Website als auch der Onlineshop die gesamte Zeit voll funktionsfähig gewesen sei, so dass Kunden Bestellungen hätten tätigen können.

18

Mit Beschluss vom 03.02.2016 hat das Gericht das schriftliche Verfahren angeordnet. Die Parteien konnten bis zum 11.04.2016 Schriftsätze wechseln.

19

Wegen des sonstigen Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.

20

Die Klage ist zulässig. Insbesondere fehlt es nicht an einer hinreichenden Individualisierung des Streitgegenstandes. Zwar trifft es zu, dass immer dann, wenn ein Teilbetrag aus der Summe mehrerer Ansprüche geltend gemacht wird, angegeben werden muss, mit welchem Anteil bzw. in welcher Reihenfolge die einzelnen Ansprüche geprüft werden sollen (BGH NJW 2014, 3298, zitiert nach juris). So liegt der Fall hier indessen nicht, weil der Kläger gerade nicht mehrere selbstständige prozessuale und daher abzugrenzende Ansprüche aus unterschiedlichen Streitgegenständen geltend macht, sondern vielmehr einen einheitlichen, auf einer behaupteten Pflichtverletzung der Beklagten beruhenden Schadensersatzanspruch. Soweit er hier „beginnend mit dem Schadenstag monatlich aufsteigend bis zu einem Gesamtbetrag von € 5.100,00“ eine Forderung wegen entgangenen Gewinns geltend macht, handelt es sich um einzelne (unselbstständige) Schadenspositionen. Ob der Kläger insoweit einen Schaden (entgangenen Gewinn) hinreichend substantiiert dargetan hat, ist eine Frage der Begründetheit der Klage, nicht der Zulässigkeit.

II.

21

In der Sache hat die Klage jedoch keinen Erfolg, weil dem Kläger weder ein eigener noch ein auf abgetretenem Recht beruhender Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte zusteht.

1.

22

Der zwischen Herrn D. und der Beklagten geschlossene Vertrag ist kein Vertrag mit Schutzwirkung zu Gunsten des Klägers. Schadensersatzansprüche stehen dem Kläger daher unter diesem Gesichtspunkt nicht zu.

23

a) Voraussetzung hierfür ist stets, dass sich dem zwischen den unmittelbaren Vertragsparteien - hier Herr D. und die Beklagte - geschlossenen Vertrag im Wege der ergänzenden Auslegung der ausdrückliche oder stillschweigende Parteiwille entnehmen lässt, einen Dritten - hier den Kläger - in den Schutzbereich einzubeziehen. Dies setzt neben einer Leistungsnähe des Dritten, der bestimmungsgemäß mit der Leistung in Berührung kommt, auch ein erkennbares Einbeziehungsinteresse sowie Schutzbedürftigkeit des Dritten voraus. Letzteres ist dann anzunehmen, wenn der Gläubiger für den Dritten verantwortlich ist und dieser andernfalls nicht ausreichend geschützt wäre. Steht dem Dritten allerdings ein inhaltsgleicher vertraglicher Anspruch gegen den Gläubiger zu, bedarf es demgegenüber keiner Ausdehnung der Haftung (vgl. zu allem Palandt-Grüneberg, BGB, 75. Aufl., § 328 Rn. 17 ff.).

24

b) Dies zu Grunde gelegt, mag es durchaus der Fall sein, dass - wie der Kläger geltend macht - nach der Struktur eines gewerblichen Hostingvertrages mit mehreren Unteraccounts auch Dritte mit der Leistung der Beklagten in Berührung kommen und daher Schäden aufgrund Datenverlustes erleiden können. Es fehlt jedoch an einem besonderen Schutzbedürfnis, weil - wie im Übrigen bei jeder Leistungskette - grundsätzlich Ansprüche auch im vertraglichen Verhältnis zwischen dem Kläger und Herrn D. bestehen.

25

c) Im Übrigen ist auch im Rahmen eines Vertrages mit Schutzwirkung zu Gunsten Dritter zu berücksichtigen, dass ein ersatzberechtigter mittelbar Geschädigter sich ein Mitverschulden des Gläubigers anrechnen lassen muss (Palandt-Grüneberg, a.a.O., § 254 Rn. 56; dazu unten II.3).

2.

26

a) Ein Anspruch des Klägers ergibt sich schließlich auch nicht nach den Grundsätzen der Drittschadensliquidation. Voraussetzung hierfür ist, dass ein Schaden, der typischerweise beim Ersatzberechtigten eintreten müsste, aufgrund eines Rechtsverhältnisses zwischen diesem und einem Dritten auf den Dritten verlagert wird. Eine solche zufällige Schadensverlagerung soll dem Schädiger nicht zugute kommen (vgl. zu allem Palandt-Grüneberg, a.a.O., Vorb. § 249 Rn. 105). Eine Anwendung der Grundsätze der Drittschadensliquidation scheidet demgegenüber aus, wenn dies zu einer dem allgemeinen Vertragsrecht widersprechenden Schadenshäufung oder -ausweitung führen würde (BGH vom 14.01.2016, VII ZR 271/14, zitiert nach juris).

27

b) So liegt der Fall hier jedoch. So kann schon nicht angenommen werden, dass dem Ersatzberechtigten - hier Herrn D. - im Fall eines Datenverlustes kein Schaden entsteht, zumal dieser über seinen Account offenbar auch andere Kunden betreut hat. Aus welchem Grund dieser dem Kläger bzw. anderen Kunden gegenüber im Fall eines Datenverlustes nicht seinerseits schadensersatzpflichtig sein sollte, ist nicht ersichtlich (vgl. insoweit auch dem instruktiven Sachverhalt, der der Entscheidung des LG Duisburg vom 25.07.2014 - MMR 2014, 735 ff., zitiert nach juris -zugrunde lag). So hatte Herr D. als gewerblicher Webdesigner bei der Beklagten einen Account eingerichtet, über den er neben der Homepage des Klägers auch weitere Kunden betreute, wie aus der Rechnung (Anlage K 5) hervor geht (hier: p...-f....de). Insoweit war die Beklagte Erfüllungsgehilfin des Herrn D., der sich deren Verschulden gemäß § 278 BGB zurechnen lassen muss (LG Duisburg, a.a.O.).

3.

28

Dem Kläger steht gegen die Beklagte auch kein Schadensersatzanspruch aus abgetretenem Recht zu. Dabei kann dahinstehen, ob die Abtretungserklärung des Zedenten D. (Anlage K4) die abgetretene Forderung hinreichend bestimmt bezeichnet. Dem Zedenten steht jedenfalls kein Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte zu.

29

Einem Schadensersatzanspruch des Zedenten steht vorliegend dessen überwiegendes Mitverschulden gemäß § 254 Abs. 1 BGB entgegen. So war der Zedent als Vertragspartner der Beklagten gemäß § 5.7 der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (Anlage B 1) verpflichtet, von dem von ihm über die Beklagte veröffentlichten und verwendeten Material Sicherungskopien anzufertigen. Dass diese Bedingungen dem Hostingvertrag zu Grunde lagen, hat der Kläger nicht in Abrede genommen. Im Übrigen ergibt sich auch ohne ausdrückliche Vereinbarung einer Verpflichtung eine entsprechende Obliegenheit. Derartige Sicherungskopien müssen zwangsläufig - weil andernfalls keinerlei Sicherheit gewährleistet wäre - auf einem anderen Speichermedium erfolgen als auf den Servern der Beklagten.

30

Soweit der Kläger hier geltend macht, es seien von Herrn D. „verschlüsselte und inhaltlich aus Gründen des Datenschutzes nicht prüfbare“ Backups erstellt worden, ist dies nicht nachvollziehbar. Dabei kommt es auch nicht darauf an, ob die von der Beklagten automatisiert durchgeführten Backups überprüfbar waren und ob erkennbar war, dass hier ein falscher Datenbestand gesichert wurde. Jedenfalls ist nicht nachvollziehbar, aus welchen Gründen auch die Anfertigung von (externen eigenen) Sicherungskopien - ebenso wie deren stichprobenartige inhaltliche Überprüfung - nicht möglich gewesen sein sollen.

III.

31

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91 Abs. 1, 708 Ziffer 11 Fall 2, 711 ZPO

(1) Die Erhebung der Klage erfolgt durch Zustellung eines Schriftsatzes (Klageschrift).

(2) Die Klageschrift muss enthalten:

1.
die Bezeichnung der Parteien und des Gerichts;
2.
die bestimmte Angabe des Gegenstandes und des Grundes des erhobenen Anspruchs, sowie einen bestimmten Antrag.

(3) Die Klageschrift soll ferner enthalten:

1.
die Angabe, ob der Klageerhebung der Versuch einer Mediation oder eines anderen Verfahrens der außergerichtlichen Konfliktbeilegung vorausgegangen ist, sowie eine Äußerung dazu, ob einem solchen Verfahren Gründe entgegenstehen;
2.
die Angabe des Wertes des Streitgegenstandes, wenn hiervon die Zuständigkeit des Gerichts abhängt und der Streitgegenstand nicht in einer bestimmten Geldsumme besteht;
3.
eine Äußerung dazu, ob einer Entscheidung der Sache durch den Einzelrichter Gründe entgegenstehen.

(4) Außerdem sind die allgemeinen Vorschriften über die vorbereitenden Schriftsätze auch auf die Klageschrift anzuwenden.

(5) Die Klageschrift sowie sonstige Anträge und Erklärungen einer Partei, die zugestellt werden sollen, sind bei dem Gericht schriftlich unter Beifügung der für ihre Zustellung oder Mitteilung erforderlichen Zahl von Abschriften einzureichen. Einer Beifügung von Abschriften bedarf es nicht, soweit die Klageschrift elektronisch eingereicht wird.

(1) Das Berufungsgericht hat seiner Verhandlung und Entscheidung zugrunde zu legen:

1.
die vom Gericht des ersten Rechtszuges festgestellten Tatsachen, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten;
2.
neue Tatsachen, soweit deren Berücksichtigung zulässig ist.

(2) Auf einen Mangel des Verfahrens, der nicht von Amts wegen zu berücksichtigen ist, wird das angefochtene Urteil nur geprüft, wenn dieser nach § 520 Abs. 3 geltend gemacht worden ist. Im Übrigen ist das Berufungsgericht an die geltend gemachten Berufungsgründe nicht gebunden.

(1) Verletzt der Schuldner eine Pflicht aus dem Schuldverhältnis, so kann der Gläubiger Ersatz des hierdurch entstehenden Schadens verlangen. Dies gilt nicht, wenn der Schuldner die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat.

(2) Schadensersatz wegen Verzögerung der Leistung kann der Gläubiger nur unter der zusätzlichen Voraussetzung des § 286 verlangen.

(3) Schadensersatz statt der Leistung kann der Gläubiger nur unter den zusätzlichen Voraussetzungen des § 281, des § 282 oder des § 283 verlangen.

Tenor

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin

              1.267,01 € nebst Zinsen in Höhe von

              5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem

              02.09.2012 sowie 117,18 € außergerichtliche

              Kosten nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem

              Basiszinssatz seit dem 06.11.2012 zu zahlen; im Übrigen wird die

              Klage abgewiesen.

              Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin zu

              85 % und die Beklagte zu 15 %.

              Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für die Beklagte jedoch nur

              gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu

              vollstreckenden Betrages. Die Beklagte darf die Vollstreckung

              durch die Klägerin durch Sicherheitsleistung in Höhe von

              110 % des aufgrund des Urteils zu vollstreckenden Betrages

              abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung

              Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden

              Betrages leistet.


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(1) Hat bei der Entstehung des Schadens ein Verschulden des Beschädigten mitgewirkt, so hängt die Verpflichtung zum Ersatz sowie der Umfang des zu leistenden Ersatzes von den Umständen, insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist.

(2) Dies gilt auch dann, wenn sich das Verschulden des Beschädigten darauf beschränkt, dass er unterlassen hat, den Schuldner auf die Gefahr eines ungewöhnlich hohen Schadens aufmerksam zu machen, die der Schuldner weder kannte noch kennen musste, oder dass er unterlassen hat, den Schaden abzuwenden oder zu mindern. Die Vorschrift des § 278 findet entsprechende Anwendung.

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 7. Zivilsenats des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts in Schleswig vom 5. Juni 2013 aufgehoben, soweit zu ihrem Nachteil erkannt worden ist.

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Flensburg vom 12. Januar 2012 wird insgesamt zurückgewiesen.

Die Beklagten haben die Kosten der Rechtsmittel zu tragen.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt Schadensersatz nach einem Verkehrsunfall, der sich am 7. April 2011 ereignete. Sie befuhr gegen 15:45 Uhr mit ihrem Fahrrad die C.-Straße in G. in Richtung Zentrum auf dem Weg zu ihrer dort gelegen Arbeitsstelle. Am rechten Fahrbahnrand parkte die Beklagte zu 1 mit ihrem bei der Beklagten zu 2 haftpflichtversicherten Pkw. Die Beklagte zu 1 öffnete unmittelbar vor der sich nähernden Klägerin die Fahrertür. Die Klägerin konnte nicht mehr ausweichen, prallte gegen die Tür, stürzte zu Boden und fiel auf den Hinterkopf. Dabei zog sich die Klägerin, die keinen Fahrradhelm trug, schwere Schädel-Hirnverletzungen zu. Es steht außer Streit, dass die Beklagte zu 1 den Unfall allein verursacht hat. Die Beklagten lasten der Klägerin jedoch ein Mitverschulden von 50 % an, weil sie keinen Helm getragen hat. Die Beklagte zu 2 hat ihre hälftige Eintrittspflicht außergerichtlich anerkannt.

2

Das Landgericht hat der Feststellungsklage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht das Urteil des Landgerichts teilweise abgeändert und - unter Abweisung der Klage im Übrigen - dem Feststellungsbegehren mit einer Haftungsquote von (nur) 80 % entsprochen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision begehrt die Klägerin die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

Entscheidungsgründe

I.

3

Das Berufungsgericht, dessen Entscheidung u.a. in r+s 2013, 353 veröffentlicht ist, lastet der Klägerin ein Mitverschulden von 20 % an, weil sie als Radfahrerin keinen Helm getragen und damit Schutzmaßnahmen zu ihrer eigenen Sicherheit unterlassen habe. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme stehe fest, dass das Nichttragen eines Schutzhelms für das Ausmaß der erlittenen Kopfverletzungen ursächlich sei. Der Sachverständige Prof. Dr. G. habe dargelegt, dass die eingetretenen Verletzungsfolgen auf eine massive Gewalteinwirkung auf den Kopf der Klägerin hindeuteten. Das Verletzungsmuster spreche für eine überwiegend lineare Akzeleration und Krafteinwirkung in Längsrichtung des Kopfes. Gerade bei linearen Krafteinwirkungen mit entsprechenden Hirnquetschungen an den Grenzen des Schädels und bei Schädelbrüchen böten Fahrradhelme (im Gegensatz zu Verletzungen durch Rotationsbeschleunigungen des Kopfes oder durch penetrierende Gewalteinwirkung) den größten Schutz. Die Helme hätten die Funktion einer Knautschzone, welche die stumpf einwirkenden Energien absorbiere. Die Kraft des Aufpralls werde auf eine größere Fläche verteilt und dadurch abgemildert. Damit würden die Wahrscheinlichkeit eines Schädelbruchs verringert und die Bewegung des Gehirns, das auf der gegenüberliegenden Seite eine weniger starke Quetschung erfahre (sogenannte Contre-coup-Verletzung), gebremst. Da ein Fahrradhelm naturgemäß seine größte Schutzwirkung bei einem leichten bis mittelgradigen Trauma entfalte und beim Fahrradsturz der Klägerin nach Art und Schwere eine starke Krafteinwirkung auf den Kopf stattgefunden habe, hätte ein Helm das Trauma zwar nicht verhindern, aber zumindest in einem gewissen Umfang verringern können.

4

Entgegen der bisher herrschenden obergerichtlichen Rechtsprechung begründe das Radfahren ohne Schutzhelm bei einer Kopfverletzung durch Fahrradsturz auch den Vorwurf des Mitverschuldens, wenn der Radfahrer am öffentlichen Straßenverkehr teilnehme. Auch ohne einen Verstoß gegen gesetzliche Vorschriften sei ein Mitverschulden anzunehmen, wenn der Geschädigte diejenige Sorgfalt außer Acht lasse, die ein ordentlicher und verständiger Mensch zur Vermeidung eigenen Schadens anzuwenden pflege; er müsse sich insoweit verkehrsrichtig verhalten. Dies bestimme sich nicht nur nach den geschriebenen Regeln der Straßenverkehrsordnung, sondern auch nach den konkreten Umständen und Gefahren im Verkehr sowie nach dem, was den Verkehrsteilnehmern zumutbar sei, um diese Gefahr möglichst gering zu halten. Das allgemeine Verkehrsbewusstsein in Bezug auf das Tragen von Schutzhelmen beim Fahrradfahren habe sich in den letzten Jahren stark gewandelt. Nach dem heutigen Erkenntnisstand könne grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass ein ordentlicher und verständiger Mensch zur Vermeidung eigenen Schadens beim Radfahren einen Helm trage, wenn er sich in den öffentlichen Straßenverkehr begebe.

II.

5

Die Revision hat Erfolg. Die Auffassung des Berufungsgerichts, die Ansprüche der Klägerin auf Ersatz materiellen und immateriellen Schadens gemäß §§ 7, 18 StVG - bezüglich der Beklagten zu 2 in Verbindung mit § 115 VVG - seien wegen Mitverschuldens gemäß § 9 StVG, § 254 Abs. 1 BGB gemindert, weil die Klägerin keinen Fahrradhelm getragen habe, hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand.

6

1. Die Entscheidung über eine Haftungsverteilung im Rahmen des § 254 BGB ist allerdings grundsätzlich Sache des Tatrichters und im Revisionsverfahren nur darauf zu überprüfen, ob dieser alle in Betracht kommenden Umstände vollständig und richtig berücksichtigt und der Abwägung rechtlich zulässige Erwägungen zugrunde gelegt hat (vgl. Senatsurteile vom 12. Juli 1988 - VI ZR 283/87, VersR 1988, 1238, 1239; vom 5. März 2002 - VI ZR 398/00, VersR 2002, 613, 615 f.; vom 25. März 2003 - VI ZR 161/02, VersR 2003, 783, 785 f., und vom 28. Februar 2012 - VI ZR 10/11, VersR 2012, 772, Rn. 6, jeweils mwN; BGH, Urteile vom 20. Juli 1999 - X ZR 139/96, NJW 2000, 217, 219, und vom 14. September 1999 - X ZR 89/97, NJW 2000, 280, 281 f.). In erster Linie ist hierbei nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs das Maß der Verursachung von Belang, in dem die Beteiligten zur Schadensentstehung beigetragen haben (Senatsurteil vom 20. September 2011 - VI ZR 282/10, VersR 2011, 1540 Rn. 14 mwN). Nach den vom Berufungsgericht getroffenen und von der Revision nicht angegriffenen Feststellungen war das Nichttragen eines Fahrradhelms ursächlich für das Ausmaß der von der Klägerin erlittenen Kopfverletzungen. Ein Helm hätte das bei dem Sturz erlittene Schädel-Hirn-Trauma zwar nicht verhindern können. Ein Helm habe aber die Funktion einer Knautschzone, welche die stumpf einwirkenden Energien absorbiere. Die Kraft des Aufpralls werde auf eine größere Fläche verteilt und dadurch abgemildert. Im vorliegenden Fall hätte ein Fahrradhelm die Verletzungsfolgen deshalb zumindest in einem gewissen Umfang verringern können.

7

2. Die durch das Nichttragen eines Fahrradhelms begründete objektive Mitverursachung hinsichtlich des Ausmaßes der von der Klägerin erlittenen Verletzungen führt entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts jedoch nicht zu einer Anspruchskürzung gemäß § 254 Abs. 1 BGB.

8

a) Der Vorschrift des § 254 BGB liegt der allgemeine Rechtsgedanke zugrunde, dass der Geschädigte für jeden Schaden mitverantwortlich ist, bei dessen Entstehung er in zurechenbarer Weise mitgewirkt hat (vgl. BGH, Urteil vom 18. April 1997 - V ZR 28/96, BGHZ 135, 235, 240 mwN). § 254 BGB ist eine Ausprägung des in § 242 BGB festgelegten Grundsatzes von Treu und Glauben (Senatsurteile vom 14. März 1961 - VI ZR 189/59, BGHZ 34, 355, 363 f., und vom 22. September 1981 - VI ZR 144/79, VersR 1981, 1178, 1179 mwN). Da die Rechtsordnung eine Selbstgefährdung und Selbstbeschädigung nicht verbietet, geht es im Rahmen von § 254 BGB nicht um eine rechtswidrige Verletzung einer gegenüber einem anderen oder gegenüber der Allgemeinheit bestehenden Rechtspflicht, sondern nur um einen Verstoß gegen Gebote der eigenen Interessenwahrnehmung, also um die Verletzung einer sich selbst gegenüber bestehenden Obliegenheit (vgl. Senatsurteil vom 17. November 2009 - VI ZR 58/08, VersR 2010, 270 Rn. 16 mwN; BGH, Urteile vom 14. Oktober 1971 - VII ZR 313/69, BGHZ 57, 137, 145; vom 18. April 1997 - V ZR 28/96, aaO, und vom 29. April 1999 - I ZR 70/97, VersR 2000, 474). Die vom Gesetz vorgesehene Möglichkeit der Anspruchsminderung des Geschädigten beruht auf der Überlegung, dass jemand, der diejenige Sorgfalt außer acht lässt, die nach Lage der Sache erforderlich erscheint, um sich selbst vor Schaden zu bewahren, auch den Verlust oder die Kürzung seiner Ansprüche hinnehmen muss (vgl. Senatsurteil vom 29. April 1953 - VI ZR 63/52, BGHZ 9, 316, 318 f.), weil es im Verhältnis zwischen Schädiger und Geschädigtem unbillig erscheint, dass jemand für den von ihm erlittenen Schaden trotz eigener Mitverantwortung vollen Ersatz fordert (vgl. Senatsurteile vom 14. März 1961 - VI ZR 189/59, aaO, und vom 22. September 1981 - VI ZR 144/79, aaO; BGH, Urteil vom 14. Mai 1998 - I ZR 95/96, VersR 1998, 1443, 1445). Eine Anspruchskürzung gemäß § 254 Abs. 1 BGB hängt nicht davon ab, dass der Geschädigte eine Rechtspflicht verletzt hat (vgl. MünchKommBGB/Oetker, 6. Aufl., § 254 Rn. 3 mwN). Insbesondere ist es nicht erforderlich, dass er gegen eine gesetzliche Vorschrift (vgl. Senatsurteil vom 30. Januar 1979 - VI ZR 144/77, VersR 1979, 369 f. mwN) oder eine andere Verhaltensanweisung wie etwa eine Unfallverhütungsvorschrift verstoßen hat (vgl. Senatsurteile vom 10. März 1970 - VI ZR 218/68, - VI ZR 86/69, VersR 1970, 469, 470; vom 25. Januar 1983 - VI ZR 92/81, VersR 1983, 440 und vom 10. März 1987 - VI ZR 123/86, VersR 1987, 781).

9

b) Ein Mitverschulden des Verletzten im Sinne von § 254 Abs. 1 BGB ist bereits dann anzunehmen, wenn dieser diejenige Sorgfalt außer acht lässt, die ein ordentlicher und verständiger Mensch zur Vermeidung eigenen Schadens anzuwenden pflegt (st. Rspr., vgl. etwa Senatsurteile vom 29. April 1953 - VI ZR 63/52, aaO, S. 318; vom 27. Juni 1961 - VI ZR 205/60, BGHZ 35, 317, 321; vom 18. April 1961 - VI ZR 166/60, VersR 1961, 561, 562; vom 22. Juni 1965 - VI ZR 53/64, VersR 1965, 816, 817 und vom 9. Mai 1978 - VI ZR 212/76, VersR 1978, 923, 924). Er muss sich "verkehrsrichtig" verhalten, was sich nicht nur durch die geschriebenen Regeln der Straßenverkehrsordnung bestimmt, sondern durch die konkreten Umstände und Gefahren im Verkehr sowie nach dem, was den Verkehrsteilnehmern zumutbar ist, um diese Gefahr möglichst gering zu halten (Senatsurteile vom 30. Januar 1979 - VI ZR 144/77, VersR 1979, 369, 370 und vom 10. April 1979 - VI ZR 83/78, VersR 1979, 532). Danach würde es für eine Mithaftung der Klägerin ausreichen, wenn für Radfahrer das Tragen von Schutzhelmen zur Unfallzeit im Jahr 2011 nach allgemeinem Verkehrsbewusstsein zum eigenen Schutz erforderlich war.

10

c) Das Berufungsgericht nimmt an, dass dies der Fall gewesen sei. Es meint, das allgemeine Verkehrsbewusstsein in Bezug auf das Tragen von Schutzhelmen beim Fahrradfahren habe sich in den letzten Jahren stark gewandelt, weshalb nach dem heutigen Erkenntnisstand grundsätzlich davon ausgegangen werden könne, dass ein ordentlicher und verständiger Mensch zur Vermeidung eigenen Schadens beim Radfahren einen Helm trage, wenn er sich in den öffentlichen Straßenverkehr begebe. Gegen diese Beurteilung wendet sich die Revision mit Erfolg.

11

aa) Das Berufungsgericht stützt seine Beurteilung im Wesentlichen auf Überlegungen hinsichtlich des besonderen Verletzungsrisikos, dem Radfahrer im Straßenverkehr heute ausgesetzt seien. Allein mit dem Verletzungsrisiko und der Kenntnis davon lässt sich ein verkehrsgerechtes Verhalten jedoch nicht begründen. Auch der heutige Erkenntnisstand hinsichtlich der Möglichkeiten, dem Verletzungsrisiko durch Schutzmaßnahmen zu begegnen, rechtfertigt noch nicht den Schluss, dass ein Radfahrer sich nur dann verkehrsgerecht verhält, wenn er einen Helm trägt. Insoweit mag der Fortschritt der Sicherheitstechnik zwar in gewissem Maße Berücksichtigung finden (vgl. Staudinger/Schiemann, BGB, Neubearb. 2005, § 254 Rn. 51 mwN). Die technische Entwicklung hat aber nur bedingte Aussagekraft für die Beurteilung der Frage, welches Verhalten tatsächlich dem heutigen allgemeinen Verkehrsbewusstsein entspricht.

12

bb) Der erkennende Senat hat in einer Entscheidung, in der es um die Frage des Mitverschuldens eines Mopedfahrers ging, der bei einem Verkehrsunfall im Jahr 1974 eine Kopfverletzung erlitt, weil er keinen Helm trug, zu den Voraussetzungen für die Annahme eines verkehrsgerechten Verhaltens näher Stellung genommen (Senatsurteil vom 30. Januar 1979 - VI ZR 144/77, aaO). Er hat dazu ausgeführt, dass weder die Gefährlichkeit noch das gegenüber früher - nicht zuletzt wegen der zunehmenden Dichte des Verkehrs - bei Mopedfahrern möglicherweise gesteigerte Bewusstsein für solche Gefährdungen ausreichten, um das Fahren ohne Helm als nicht verkehrsgerecht zu bewerten. Zur Beurteilung einer allgemeinen Überzeugung könnten Umfrageergebnisse, Statistiken und amtliche oder nichtamtliche Erhebungen herangezogen werden, die jedoch nicht vorhanden seien. Ohne solche zureichend verlässlichen Unterlagen könne von einer allgemeinen Überzeugung, dass es für einen ordentlichen und gewissenhaften Mopedfahrer zum eigenen Schutz in jedem Falle erforderlich sei, auf seinen Fahrten einen Schutzhelm zu tragen, so lange nicht gesprochen werden, als selbst der Verordnungsgesetzgeber, von dem zu dieser Frage gewissenhafte Überlegungen und Nachforschungen erwartet werden könnten, noch Ende 1975 die einschlägigen Gefahren relativiert und die Anordnung entsprechender Anschaffungen der Mopedfahrer im Hinblick darauf noch als unzumutbar angesehen habe. Bei dieser Sachlage habe sich dem verunglückten Mopedfahrer zu damaliger Zeit nicht aufdrängen müssen, dass er zu seinem Schutz einen Helm aufsetzen müsse. Davon abgesehen sei nicht festgestellt, ob gerade in der Umgebung, in der er gewohnt habe, bei Mopedfahrern schon eine entsprechende Übung bestanden habe.

13

cc) Diese Erwägungen können auch vorliegend zur Beurteilung verkehrsgerechten Verhaltens herangezogen werden. Anders als damals gibt es, worauf die Revision zutreffend hinweist, amtliche Statistiken über die tatsächliche Akzeptanz von Fahrradhelmen. Die Bundesanstalt für Straßenwesen führt seit Mitte der 70er Jahre regelmäßig repräsentative Verkehrsbeobachtungen im gesamten Bundesgebiet durch, bei denen jährlich u.a. das Tragen von Schutzhelmen und Schutzkleidung bei Zweiradbenutzern erfasst wird. Danach trugen im Jahr 2011 über alle Altersgruppen hinweg innerorts elf Prozent der Fahrradfahrer einen Schutzhelm (Bundesanstalt für Straßenwesen, Forschung kompakt 06/12, veröffentlicht auf www.bast.de). Damit sei, so die seinerzeitige Beurteilung seitens der Bundesanstalt für Straßenwesen, die Helmtragequote gegenüber dem Vorjahr (neun Prozent) leicht gestiegen, sie befinde sich aber weiterhin auf niedrigem Niveau. Bei dieser Sachlage ist die Annahme, die Erforderlichkeit des Tragens von Fahrradhelmen habe im Jahr 2011 dem allgemeinen Verkehrsbewusstsein entsprochen, nicht gerechtfertigt.

14

Allerdings hat der Arbeitskreis IV des 47. Verkehrsgerichtstages 2009 eine Empfehlung beschlossen, in der es unter Nr. 6 heißt: "Teilnehmern am Radfahrverkehr wird das Tragen eines Helmes sowie dringend der Abschluss einer Haftpflichtversicherung empfohlen" (47. VGT 2009, 8). Der Verordnungsgesetzgeber hat aus verkehrspolitischen Erwägungen bislang jedoch bewusst davon abgesehen, eine Helmpflicht für Radfahrer einzuführen. Die Bundesregierung hat im Jahr 2012 auf eine kleine Anfrage von Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zur Verkehrssicherheit im Radverkehr erklärt, dass die Freiwilligkeit des Tragens eines Fahrradhelmes der Ansatz des gerade verabschiedeten Verkehrssicherheitsprogramms 2011 sei (BT-Drucks. 17/8560, S. 13). Die Einführung einer Helmpflicht wird auch von der derzeitigen Bundesregierung bislang nicht verfolgt. So heißt es im Koalitionsvertrag "Deutschlands Zukunft gestalten" zwischen CDU, CSU und SPD, 18. Legislaturperiode (abrufbar unter http://www.bundesregierung.de/Content/DE/_Anlagen/2013/2013-12-17-koalitionsvertrag.pdf?__blob=publicationFile&v=2, S. 45) zum Thema Fahrradverkehr vielmehr, man wolle darauf hinwirken, dass deutlich mehr Fahrradfahrer Helm tragen. Solche Aussagen und Empfehlungen mögen langfristig dazu beitragen, die Akzeptanz des Tragens von Fahrradhelmen zu erhöhen. Einen Beleg für ein entsprechendes allgemeines Verkehrsbewusstsein im Jahr 2011 vermögen sie nicht zu liefern.

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d) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ist daher mit der bisherigen obergerichtlichen Rechtsprechung und der überwiegenden Auffassung der Literatur daran festzuhalten, dass Schadensersatzansprüche eines Radfahrers, der im Straßenverkehr bei einem Verkehrsunfall Kopfverletzungen erlitten hat, die durch das Tragen eines Schutzhelms zwar nicht verhindert, wohl aber hätten gemildert werden können, jedenfalls bei Unfallereignissen bis zum Jahr 2011 grundsätzlich nicht wegen Mitverschuldens gemäß § 9 StVG, § 254 Abs. 1 BGB gemindert sind (vgl. OLG Stuttgart, VRS 97, 15, 18 f.; OLG Hamm, VersR 2001, 1257, 1259; OLG Düsseldorf, NZV 2007, 38, 39 mit Anm. Kettler; OLG Düsseldorf, NZV 2007, 614, 618 f.; OLG Saarbrücken, NZV 2008, 202, 203 f. mit Anm. Jahnke, jurisPR-VerkR 1/2008 Anm. 3; OLG Celle, VD 2014, 101, 102 ff. mit Anm. Wenker, jurisPR-VerkR 5/2014 Anm. 3; Greger/Zwickel, Haftungsrecht des Straßenverkehrs, 5. Aufl., § 22 Rn. 62; Jahnke in FS Gerda Müller, 2009, S. 396 mwN; Kettler, Recht für Radfahrer, 3. Aufl., S. 174 ff.; Hufnagel, DAR 2007, 289, 292; Kettler, NZV 2007, 603 f.; Prelinger, juris-PR-VerK 21/2013 Anm. 2 [Anm. zum Urteil des Berufungsgerichts]; Türpe, VRR 2013, 404, 405 f. [Anm. zum Urteil des Berufungsgerichts]; aA: Geigel/Knerr, Der Haftpflichtprozess, 26. Aufl. Kap. 2 Rn. 58; Staudinger/Schiemann, aaO; vgl. dazu auch Stöhr, zfS 2010, 62, 66 sowie Scholten, SVR 2012, 161 ff.). Inwieweit in Fällen sportlicher Betätigung des Radfahrers das Nichtragen eines Schutzhelms ein Mitverschulden begründen kann (vgl. dazu OLG Düsseldorf, NZV 2007, 614, 618; OLG Düsseldorf, NZV 2007, 619, 622; OLG Saarbrücken, NJW-RR 2008, 266, 267 f.; OLG München, Urteil vom 3. März 2011 - 24 U 384/10, juris Rn. 32; OLG Celle, aaO; MünchKommBGB/Oetker, aaO Rn. 42; Kettler, NZV 2007, 603 ff.), bedarf vorliegend keiner Entscheidung.

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3. Nach alledem kann das angefochtene Urteil, soweit zum Nachteil der Klägerin erkannt worden ist, keinen Bestand haben. Da es keiner weiteren Feststellungen mehr bedarf, kann der erkennende Senat gemäß § 563 Abs. 3 ZPO in der Sache selbst entscheiden. Die Berufung der Beklagten gegen das landgerichtliche Urteil ist insgesamt zurückzuweisen, denn das Feststellungsbegehren der Klägerin erweist sich in vollem Umfang als begründet.

Galke                    Wellner                          Pauge

             Stöhr                       Offenloch

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b) Zu Unrecht hat das Berufungsgericht bei der gebotenen Abwägung der beiderseitigen Mitverursachungsbeiträge nur die Handlungen des Geschäftsführers während der Jahresabschlussprüfung zugrunde gelegt. Es ist der Meinung, dessen Verhalten vor dieser Prüfung dürfe nicht berücksichtigt werden.
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a) Die Entscheidung über eine Haftungsverteilung im Rahmen des § 254 BGB ist allerdings grundsätzlich Sache des Tatrichters und im Revisionsverfahren nur darauf zu überprüfen, ob dieser alle in Betracht kommenden Umstände vollständig und richtig berücksichtigt und der Abwägung rechtlich zulässige Erwägungen zugrunde gelegt hat (vgl. Senatsurteile vom 12. Juli 1988 - VI ZR 283/87, VersR 1988, 1238, 1239; vom 5. März 2002 - VI ZR 398/00, VersR 2002, 613, 615 f.; vom 25. März 2003 - VI ZR 161/02, VersR 2003, 783, 785 f.; vom 28. Februar 2012 - VI ZR 10/11, VersR 2012, 772 Rn. 6 und vom 17. Juni 2014 - VI ZR 281/13, VersR 2014, 974 Rn. 6 jeweils mwN; BGH, Urteile vom 20. Juli 1999 - X ZR 139/96, NJW 2000, 217, 219 und vom 14. September 1999 - X ZR 89/97, NJW 2000, 280, 281 f.). Es darf nur schuldhaftes Verhalten verwertet werden, von dem feststeht, dass es zu dem Schaden oder zu dem Schadensumfang beigetragen hat (Senatsurteil vom 24. September 2013 - VI ZR 255/12, VersR 2014, 80 Rn. 7). Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist außerdem in erster Linie das Maß der Verursachung von Belang, in dem die Beteiligten zur Schadensentstehung beigetragen haben (vgl. etwa Senatsurteil vom 20. September 2011 - VI ZR 282/10, VersR 2011, 1540 Rn. 14 mwN). Die unter diesem Gesichtspunkt vorzunehmende Abwägung kann zwar bei besonderen Fallgestaltungen zu dem Ergebnis führen , dass einer der Beteiligten allein für den Schaden aufkommen muss (vgl. Senatsurteil vom 20. Januar 1998 - VI ZR 59/97, VersR 1998, 474, 475), eine vollständige Überbürdung des Schadens auf einen der Beteiligten ist aber unter dem Gesichtspunkt der Mitverursachung nur ausnahmsweise in Betracht zu ziehen (Senatsurteile vom 21. Februar 1995 - VI ZR 19/94, VersR 1995, 583, 584; vom 7. Februar 2006 - VI ZR 20/05, VersR 2006, 663 und vom 4. November 2008 - VI ZR 171/07, VersR 2009, 234 Rn. 15). Diesen Grundsätzen wird die Entscheidung des Berufungsgerichts nicht gerecht.

(1) Wer zum Schadensersatz verpflichtet ist, hat den Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre.

(2) Ist wegen Verletzung einer Person oder wegen Beschädigung einer Sache Schadensersatz zu leisten, so kann der Gläubiger statt der Herstellung den dazu erforderlichen Geldbetrag verlangen. Bei der Beschädigung einer Sache schließt der nach Satz 1 erforderliche Geldbetrag die Umsatzsteuer nur mit ein, wenn und soweit sie tatsächlich angefallen ist.

Der zu ersetzende Schaden umfasst auch den entgangenen Gewinn. Als entgangen gilt der Gewinn, welcher nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge oder nach den besonderen Umständen, insbesondere nach den getroffenen Anstalten und Vorkehrungen, mit Wahrscheinlichkeit erwartet werden konnte.

(1) Ist unter den Parteien streitig, ob ein Schaden entstanden sei und wie hoch sich der Schaden oder ein zu ersetzendes Interesse belaufe, so entscheidet hierüber das Gericht unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung. Ob und inwieweit eine beantragte Beweisaufnahme oder von Amts wegen die Begutachtung durch Sachverständige anzuordnen sei, bleibt dem Ermessen des Gerichts überlassen. Das Gericht kann den Beweisführer über den Schaden oder das Interesse vernehmen; die Vorschriften des § 452 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 bis 4 gelten entsprechend.

(2) Die Vorschriften des Absatzes 1 Satz 1, 2 sind bei vermögensrechtlichen Streitigkeiten auch in anderen Fällen entsprechend anzuwenden, soweit unter den Parteien die Höhe einer Forderung streitig ist und die vollständige Aufklärung aller hierfür maßgebenden Umstände mit Schwierigkeiten verbunden ist, die zu der Bedeutung des streitigen Teiles der Forderung in keinem Verhältnis stehen.

(1) Das Gericht hat unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten sei. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.

(2) An gesetzliche Beweisregeln ist das Gericht nur in den durch dieses Gesetz bezeichneten Fällen gebunden.

(1) Ist unter den Parteien streitig, ob ein Schaden entstanden sei und wie hoch sich der Schaden oder ein zu ersetzendes Interesse belaufe, so entscheidet hierüber das Gericht unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung. Ob und inwieweit eine beantragte Beweisaufnahme oder von Amts wegen die Begutachtung durch Sachverständige anzuordnen sei, bleibt dem Ermessen des Gerichts überlassen. Das Gericht kann den Beweisführer über den Schaden oder das Interesse vernehmen; die Vorschriften des § 452 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 bis 4 gelten entsprechend.

(2) Die Vorschriften des Absatzes 1 Satz 1, 2 sind bei vermögensrechtlichen Streitigkeiten auch in anderen Fällen entsprechend anzuwenden, soweit unter den Parteien die Höhe einer Forderung streitig ist und die vollständige Aufklärung aller hierfür maßgebenden Umstände mit Schwierigkeiten verbunden ist, die zu der Bedeutung des streitigen Teiles der Forderung in keinem Verhältnis stehen.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
V ZB 29/01
vom
27. September 2001
in dem Rechtsstreit
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat am 27. September 2001 durch
die Richter Tropf, Dr. Lambert-Lang, Schneider, Dr. Klein und Dr. Lemke

beschlossen:
Die sofortige Beschwerde der Beklagten gegen den Beschluß des 23. Zivilsenats des Kammergerichts in Berlin vom 11. Juli 2001 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Beschwerdewert: 327.121,99 DM

Gründe:


I.


Das Landgericht hat die Beklagten zur Zahlung von 327.121,99 DM Aufwendungsersatz an die Klägerin verurteilt. Es hat das Vorbringen der Beklagten aus Rechtsgründen als nicht geeignet angesehen, den geltend gemachten Anspruch zu verneinen. So verhalte es sich auch insoweit, als die Beklagten einzelne Rechnungen angriffen, die nicht vorgelegt seien.
Die Begründung der Berufung der Beklagten beschränkt sich auf die Ankündigung eines Antrags und die Sätze "Wir überreichen anliegend einen Leitz-Ordner, in dem die streitgegenständlichen Rechnungen enthalten sind. In der Sache verbleibt es bei unserem Vortrag erster Instanz".
Das Oberlandesgericht hat die Berufung der Beklagten als unzulässig verworfen, weil es an der zur Zulässigkeit notwendigen Begründung fehle. Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Beklagten.

II.

Das Rechtsmittel ist nicht begründet.
Nach § 519 Abs. 3 Nr. 2 ZPO muß eine Berufungsbegründung die bestimmte Bezeichnung der im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe) sowie gegebenenfalls der neuen Tatsachen, Beweismittel und Beweiseinreden enthalten. Die Berufungsbegründung muß auf den Streitfall zugeschnitten sein und erkennen lassen, in welchen Punkten tatsächlicher oder rechtlicher Art sowie aus welchen Gründen der Berufungskläger das angegriffene Urteil für unrichtig hält. Es reicht nicht aus, die tatsächliche oder rechtliche Würdigung durch den Erstrichter mit formelhaften Wendungen zu rügen oder lediglich auf das Vorbringen erster Instanz zu verweisen (st. Rspr., vgl. BGH, Urt. v. 9. März 1995, IX ZR 142/94, NJW 1995, 1559, 1560; Urt. v. 6. Mai 1999, III ZR 265/98, NJW 1999, 3126).
So verhält es sich hier. Die Berufungsbegründung muß durch einen Schriftsatz erfolgen (§ 519 Abs. 1 ZPO). Die Vorlage eines Leitz-Ordners ändert hieran nichts. Anlagen können nur der Erläuterung des schriftsätzlichen Vorbringens (vgl. Schreiber, Die Urkunde im Zivilprozeß, § 11 IV, V 3; Michel; Der Schriftsatz im Anwaltsprozeß, 5. Aufl., § 3 Nr. 3 b) oder dem urkundlichen Beweis von Behauptungen dienen (§ 131 ZPO). Ersetzen können Anlagen
schriftsätzliches Vorbringen nicht (vgl. Stein/Jonas/Schumann, ZPO 21. Aufl., § 253 Rdn. 19).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Tropf Lambert-Lang Schneider Klein Lemke

(1) Die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels fallen der Partei zur Last, die es eingelegt hat.

(2) Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vorbringens obsiegt, das sie in einem früheren Rechtszug geltend zu machen imstande war.

(3) (weggefallen)

Für vorläufig vollstreckbar ohne Sicherheitsleistung sind zu erklären:

1.
Urteile, die auf Grund eines Anerkenntnisses oder eines Verzichts ergehen;
2.
Versäumnisurteile und Urteile nach Lage der Akten gegen die säumige Partei gemäß § 331a;
3.
Urteile, durch die gemäß § 341 der Einspruch als unzulässig verworfen wird;
4.
Urteile, die im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen werden;
5.
Urteile, die ein Vorbehaltsurteil, das im Urkunden-, Wechsel- oder Scheckprozess erlassen wurde, für vorbehaltlos erklären;
6.
Urteile, durch die Arreste oder einstweilige Verfügungen abgelehnt oder aufgehoben werden;
7.
Urteile in Streitigkeiten zwischen dem Vermieter und dem Mieter oder Untermieter von Wohnräumen oder anderen Räumen oder zwischen dem Mieter und dem Untermieter solcher Räume wegen Überlassung, Benutzung oder Räumung, wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs sowie wegen Zurückhaltung der von dem Mieter oder dem Untermieter in die Mieträume eingebrachten Sachen;
8.
Urteile, die die Verpflichtung aussprechen, Unterhalt, Renten wegen Entziehung einer Unterhaltsforderung oder Renten wegen einer Verletzung des Körpers oder der Gesundheit zu entrichten, soweit sich die Verpflichtung auf die Zeit nach der Klageerhebung und auf das ihr vorausgehende letzte Vierteljahr bezieht;
9.
Urteile nach §§ 861, 862 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auf Wiedereinräumung des Besitzes oder auf Beseitigung oder Unterlassung einer Besitzstörung;
10.
Berufungsurteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten. Wird die Berufung durch Urteil oder Beschluss gemäß § 522 Absatz 2 zurückgewiesen, ist auszusprechen, dass das angefochtene Urteil ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar ist;
11.
andere Urteile in vermögensrechtlichen Streitigkeiten, wenn der Gegenstand der Verurteilung in der Hauptsache 1.250 Euro nicht übersteigt oder wenn nur die Entscheidung über die Kosten vollstreckbar ist und eine Vollstreckung im Wert von nicht mehr als 1.500 Euro ermöglicht.

(1) Die Revision findet nur statt, wenn sie

1.
das Berufungsgericht in dem Urteil oder
2.
das Revisionsgericht auf Beschwerde gegen die Nichtzulassung
zugelassen hat.

(2) Die Revision ist zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert.
Das Revisionsgericht ist an die Zulassung durch das Berufungsgericht gebunden.