Landessozialgericht Baden-Württemberg Urteil, 22. Feb. 2018 - L 6 VG 3286/16

bei uns veröffentlicht am22.02.2018

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 23. Juni 2016 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand

 
Die Klägerin begehrt Beschädigtenversorgung nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG), in erster Linie eine Beschädigtengrundrente. Sie macht einen vieljährigen sexuellen Missbrauch sowie Gewalttätigkeiten vor allem durch ihren Vater, den Zeugen K., in D. vor und nach dem 3. Oktober 1990 geltend.
Die Klägerin ist im August 1980 geboren und in D. (damals in der Deutschen Demokratischen Republik) aufgewachsen. Sie hat einen etwa ein Jahr älteren Bruder. Sie absolvierte die Grundschule und eine weiterführende Schule bis zur 10. Klasse. Danach war sie auf einer Fachhochschule (Fachschule) für Elektrotechnik, erwarb aber keinen Abschluss, nach ihren späteren Angaben wegen „Schwänzens“. Es schloss sich eine Ausbildung als Industriekauffrau mit Abschluss in einem Unternehmen ihres Vaters an.
Vor dem Jahre 2005 gründete die Klägerin in D. ein einzelkaufmännisches Unternehmen für Baudienstleistungen. Sie beschäftigte mehrere Mitarbeiter, von denen sie einige aus anderen Unternehmen übernommen hatte, die ihr Vater betrieben hatte. Sie stellte den Geschäftsbetrieb zum 31. Januar 2006 ein. Auf Antrag eines Gläubigers eröffnete das Amtsgericht (AG) D. (Insolvenzgericht) am 8. März 2006 das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Klägerin (XX). Nach der Aufhebung des Verfahrens im Jahre 2008 absolvierte die Klägerin die Wohlverhaltensperiode von sechs Jahren. Mit Beschluss vom 27. April 2012 erteilte das AG D. der Klägerin Restschuldbefreiung. Während des Insolvenzverfahrens hatte einer der Gläubiger Strafanzeige erstattet. Die Staatsanwaltschaft D. hatte daraufhin ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des Subventionsbetrugs gegen die Klägerin eingeleitet. Nach Erhebung der Anklage (XX) hatte das AG D. (Strafabteilung) das Strafverfahren zunächst mit Beschluss vom 2. April 2008 vorläufig eingestellt, weil die Klägerin voraussichtlich längerfristig verhandlungsunfähig sei, und sodann mit weiterem Beschluss vom 19. August 2008 wegen geringer Schuld ohne Auflagen endgültig eingestellt.
Während dieser Zeit, am 14. Mai 2007, regte der Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie N., bei dem sich die Klägerin in Behandlung befand, bei dem AG D. (Vormundschaftsgericht) die vorläufige Einrichtung einer Betreuung an (XX). Er teilte mit, bei der Klägerin bestehe eine schwere Persönlichkeitsstörung, zusammen mit am ehesten einer Angststörung. Die Klägerin könne ihre Angelegenheiten nicht mehr allein regeln. Sie wohne weiterhin bei ihren Eltern, wegen „familiärer Konfliktsituationen“ schieden aber beide als rechtliche Betreuer aus. Mitarbeiter der Betreuungsbehörde bei der Landeshauptstadt D. suchten die Klägerin zu Hause auf und berichteten darüber dem AG D. am 6. Juni 2007. Die Klägerin bewohne bei ihren Eltern ein kleines, abgewohntes Zimmer, dessen Einrichtung einem jungen Kind entspreche. Sie habe angegeben, aktuell keine Einkünfte zu haben, weil sie aus Angst versäumt habe, beim Jobcenter einen Weiterzahlungsantrag zu stellen. Sie sitze hauptsächlich in ihrem Zimmer, gehe aber seit vielen Jahren zweimal wöchentlich zum Fußballtraining und einmal wöchentlich zu einer Gesprächstherapie. Sie wolle gern ausziehen, schaffe das aber nicht. Auf die Mitarbeiter der Betreuungsbehörde machte die Klägerin einen extrem gehemmten, antriebslosen und verunsicherten Eindruck. Die Gesprächsführung sei mühsam gewesen, die Klägerin habe nur bruchstückhaft und vage geantwortet. Es sei von Betreuungsbedarf in mehreren Bereichen auszugehen. Die Klägerin habe gebeten, keinen Kontakt zu ihren Eltern aufzunehmen. Ferner erstattete im Auftrag des AG D. die Psychiaterin M. das Gutachten vom 8. Juni 2007. Sie führte nach einer Untersuchung der Klägerin aus, es beständen eine Persönlichkeitsstörung am ehesten vom Borderline-Typ (F60.3 ICD-10 GM) bzw. mit abhängigen und asthenischen Anteilen (F60.7), eine generalisierte Angststörung (F41.1) mit überwiegend sozialen Ängsten, wahrscheinlich auch eine Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS, F43.1). Die Klägerin sei seit 2006 in psychotherapeutischer Behandlung. Sie habe bei der Anamnese das Vorliegen eines innerfamiliären Missbrauchs kurz angedeutet, auch im Hinblick auf den Bruder. In diesem Zusammenhang habe sie angegeben, ihre Eltern fingen „dann an, rumzuschreien. Sonst gibt es niemanden, der hilft“. Sie habe angegeben, Gewalt, sexuelle Gewalt, erfahren zu haben, die ersten Suizidgedanken habe sie mit 16 oder 17 Jahren gehabt. Mit etwa 11 Jahren habe sie Ecstasy genommen. Auf Nachfrage nach der Unternehmensgründung habe sie angegeben: „Weil der Vater gesagt hat, ich soll das machen. Wenn mein Vater das sagt, dann mache ich das. Sonst fängt der nämlich an rumzutoben“. Am 26. Juni 2007 hörte das AG die Klägerin persönlich an. Sie teilte mit, ihre Mutter arbeite als Sachbearbeiterin bei einer Krankenkasse, ihr Vater sei selbstständig im Finanzbereich, bei ihm laufe „auch“ ein Privatinsolvenzverfahren. Konkrete Zukunftsperspektiven habe sie nicht. Sie kenne ihren Vater eigentlich nur herumschreiend, aggressiv und jähzornig, er habe auch schon Sachen („Türen“?) nach ihr und ihrer Mutter geworfen. Auch ihre Mutter habe einmal gesagt, ausziehen zu wollen, schaffe das aber nicht, vermutlich aus Angst vor Repressalien des Vaters. Zu Hause könne ihr - der Klägerin - niemand helfen, allenfalls „die Mutter, die einiges vermute oder erahne, aber auch mit ihr könne sie nicht offen über diese Dinge sprechen“. Die Klägerin habe angegeben, die Gesprächstherapie abgebrochen zu haben, weil sie ihr nichts nutze. Nachdem das AG ausweislich des Protokolls über diese Anhörung den Eindruck gewonnen hatte, dass kein Betreuungsbedarf bestehe, wurde das Verfahren ohne Beschluss eingestellt.
Im August 2007 nahm Rechtsanwalt G., der eine Vollmacht mit einer Unterschrift der Klägerin vorgelegt hatte, Einsicht in die Akten des Betreuungsverfahrens. Daraufhin übersandte am 3. September 2007 der Vater der Klägerin, der Zeuge K., ein mehrseitiges Schreiben an das AG, in dem er „nach Kenntnisnahme der Sachverhalte folgende Richtigstellungen zur Akte“ gab und verschiedene Aussagen der Klägerin - die sich allerdings in der Betreuungsakte gar nicht finden - im Einzelnen korrigierte. Unter anderem trug er vor, die Angaben der Klägerin, sie sei von einem ihrer Cousins missbraucht worden, könnten nicht zutreffen. Ferner habe er selbst in 29-jähriger Ehe weder seine Frau noch die Klägerin jemals geschlagen. Einen Tag später teilte Rechtsanwalt G., weiterhin unter Berufung auf die vorgelegte Vollmacht, mit, die Klägerin habe eine Fortbildung in G. antreten wollen, sei aber Ende August unter dem Einfluss einer Freundin, die sie etwa ein Jahr zuvor im Internet kennengelernt habe, nach K. umgezogen. Das Jobcenter habe die Leistungen an die Klägerin daraufhin eingestellt, weswegen die Eltern auch keine Mietzahlungen mehr für das von der Klägerin bewohnte Zimmer erhielten. Die Klägerin sei sehr leicht zu beeinflussen. Das Insolvenzverfahren laufe noch, die Klägerin unterliege in der Wohlverhaltensphase zahlreichen Obliegenheiten. Es sei daher die Einrichtung einer Betreuung nötig.
Rechtsanwalt G. übersandte dem AG auch den Behandlungsbericht der Dipl.-Psych. L. vom 30. August 2017. Darin ist ausgeführt, die Klägerin sei 2006 erstmals zur Behandlung erschienen, habe fast mutistisch gewirkt und gelegentlich anscheinend dissoziiert. Sie habe ihren Vater als cholerisch sowie überheblich und ihre Mutter als - von ihr - „genervt“ geschildert. In den kommenden Sitzungen sei langsam und mühsam das Ausmaß der Probleme deutlich geworden. Die Klägerin sei ab ihrem etwa 7. Lebensjahr von ihrem Cousin, ab ihrem 13. Lebensjahr auch von ihrem alkoholkranken Großvater, ab etwa einem Jahr später auch von ihrem Bruder, sowie von einem Kollegen des Vaters sexuell missbraucht worden. Sie erlebe von ihrem Vater bis heute körperliche und seelische Misshandlungen. Sie habe gestohlen, Drogen wie Ecstasy und später LSD genommen, den Suizid einer Freundin und den Drogentod zweier anderer Freundinnen miterlebt. Sie sei von einer Mädchen-Gang in der Schule erpresst worden, die später einen ihrer Freunde ermordet habe. Die Klägerin habe ferner angegeben, der Vater sei zu Zeiten der DDR Major der NVA (Nationale Volksarmee) gewesen und habe später mehrere Unternehmen gegründet, die allesamt in Bankrott gegangen seien. Die letzte Firma habe er auf ihren, der Klägerin, Namen gegründet, was zu ihrer Insolvenz geführt habe. Die Mutter leide an Alkoholmissbrauch, um sich zu betäuben. Zu ihrem inzwischen ausgezogenen Bruder habe sie heute guten Kontakt. Für die Diagnostikphase, so Dipl.-Psych. L., seien fast die gesamten bisher bewilligten 25 Sitzungen benötigt worden, da die Klägerin zwischenzeitlich häufig Krisen gehabt habe. Zweimal habe sie - Frau L. - Zwangseinweisungen für nötig gehalten, einmal (18. Mai 2007) sei die Klägerin schließlich freiwillig in die Klinik gegangen, das andere Mal habe sich ihr Vater mit ihr dem Zugriff der Polizei entzogen. Die Therapie sei schließlich von ihr - der Therapeutin - beendet worden.
In den nächsten Tagen gingen weitere umfangreiche Schriftsätze des Vaters der Klägerin mit Anmerkungen zu ihrem Gesundheitszustand und zu ihrer sonstigen Lage beim AG ein. Darunter befand sich auch eine Vorsorgevollmacht, welche die Klägerin am 18. Juni 2007 zu Gunsten ihres Vaters ausgestellt hatte. Ferner reichte der Vater diverse Briefe zur Akte, die die Klägerin - unter anderem bei ihrem Wegzug aus D. - an ihn und ihre Mutter geschrieben hatte.
Im September 2007 und sodann im Dezember 2008 legitimierten sich von K. aus verschiedene Rechtsanwälte für die Klägerin zur Akte. Nach weiterem Schriftwechsel und einer Mitteilung des Notariats K., wonach dort kein Betreuungsverfahren anhängig sei, stellte das AG D. das dortige Betreuungsverfahren mit Beschluss vom 1. Juli 2010 ohne Bestellung eines rechtlichen Betreuers ein.
Aktenkundig ist, dass am 16. April 2008 auf Ersuchen der Polizeidirektion K. Beamte der Polizeidirektion D. die Wohnung der Eltern der Klägerin aufsuchten, um zu überprüfen, ob sich die Klägerin dort freiwillig aufhalte. Sie trafen die Klägerin an, stellten fest, dass sie dort aus freiem Willen war und am 19. April die Rückreise nach K. plante, aber befürchtete, ihr Vater könne sie nicht gehen lassen, weil er einen Suizid fürchte, sie werden sich dann aber selbst an die Polizei wenden (vgl. Treffermeldung auf Grund der späteren Anfrage im Strafverfahren vom 19. März 2010). Ferner sind in den Akten der Polizei zwei weitere Anzeigen vom 29./30. August 2007 sowie 23. Dezember 2008 notiert, in denen Mitarbeiter des Frauenhauses in K. - in einem Fall die später als „Betreuerin“ der Klägerin aufgetretene Dr. B. - die Klägerin als vermisst gemeldet bzw. eine vermutete Entführung durch ihren Vater angezeigt hatten. Die Vorgänge wurden jeweils ohne Einleitung eines Ermittlungsverfahrens abgeschlossen; Genaueres ist den Akten nicht zu entnehmen.
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Auf einen Antrag der Klägerin gegen ihren Vater in einem so genannten „Gewaltschutzverfahren“ verbot das AG K. (XX) mit Beschluss vom 27. Juli 2009 durch einstweilige Verfügung dem Vater, sich der Klägerin zu nähern, ein Zusammentreffen mit ihr herbeizuführen, sie zu verfolgen, mit ihr Verbindung aufzunehmen oder das Haus, in dem sich die Wohngemeinschaft der Klägerin befindet, zu betreten. Das Verbot war bis zum 31. Januar 2010 befristet. Diese Verfügung erging - ohne Anhörung des Vaters - auf Grund einer eidesstattlichen Versicherung der Klägerin über Gewalttätigkeiten ihres Vaters gegen sie seit Kindheitstagen sowie über behauptete Nachstellungen, „Telefonterror“ und unerlaubte Besuche in ihrer Wohngemeinschaft in K.. Auf den Widerspruch des Vaters hin fand am 2. September 2009 mündliche Verhandlung vor dem AG K. statt. Dort schlossen die Klägerin und ihr Vater einen Vergleich, in dem sich der Vater verpflichtete, bis zum 31. Dezember 2009 keinen Kontakt mit der Klägerin aufzunehmen, und die Klägerin auf Vollstreckung aus der einstweiligen Verfügung verzichtete.
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Am 29. Dezember 2009 erschien die Klägerin in Begleitung ihrer Therapeutin Dr. B. in der Polizeidirektion K. und erstattete Strafanzeige wegen sexuellen Missbrauchs gegen ihren Vater, ihren Bruder und ihren Cousin.
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Sie teilte mit, nach ihren Erinnerungen habe der Missbrauch durch ihren Vater begonnen, als sie vier oder fünf Jahre alt gewesen sei. Es sei im November gewesen und es habe viel Schnee gelegen. Der Vater sei damals mit dem Auto der Familie, einem Skoda grün-metallic, zu der Mutter gefahren, die im Krankenhaus gelegen habe. Es sei außerhalb D. Richtung P. gewesen. Der Wagen sei steckengeblieben. Der Vater habe sie dann mit der Hand an Rücken und vorn „warmgerieben“. Sie habe ihn nicht anfassen müssen. Zuvor habe er sie nie in den Arm genommen. Bei ihrer Einschulung, bei der sie sieben Jahre alt gewesen sei, seien dann Verwandte zu Besuch gewesen, darunter der Cousin, der in ihrem Zimmer habe nächtigen dürfen, weswegen sie ihm Ehebett geschlafen habe. Der Vater sei gekommen, nackt gewesen, habe sie zu sich gezogen, sie ausgezogen und überall gestreichelt, sie dann am Geschlecht berührt, auf den Rücken gedreht und gesagt, er tue ihr „etwas Gutes“. Es habe dann wehgetan und sie habe an der Scheide geblutet. Sie meine, der Vater sei mit seinem Glied eingedrungen. Sie habe geweint. Später habe sie an der Hose ihres Schlafanzugs Blut gesehen, diese ausgewaschen und wieder angezogen, am nächsten Tag aber in den Müll gegeben. Der Vater sei ab diesem Zeitpunkt ein- bis zweimal im Monat, meistens gegen 22.00 Uhr oder 22.30 Uhr, in ihr Zimmer gekommen und habe den Geschlechtsverkehr mit ihr ausgeübt. Später, als er selbstständig gewesen sei und zu Hause gearbeitet habe, sei es auch schon nachmittags nach Schulschluss geschehen. Die Mutter habe abends im Wohnzimmer gesessen, ferngesehen und Wein getrunken. Auf Nachfragen der Polizei hat die Klägerin Details der Taten geschildert, so habe ihr Vater ihre Hände „eingebunden“. Im Jahre 2000 sei die Familie aus der früheren Wohnung in ein Haus umgezogen. Die nächtlichen Besuche des Vaters hätten sich nun gesteigert. Am Ablauf habe sich nichts geändert, regelmäßig habe er den Geschlechtsverkehr mit ihr ausgeübt. Auf Nachfrage der Polizei gab die Klägerin an, ihr Vater habe, als sie mit 12 ihre Periode bekommen habe, anfangs nicht verhütet, später habe er Kondome benutzt, die meist in seinem Geldbeutel gesteckt hätten. Mit 13 sei ihr - der Klägerin - die Pille verschrieben worden, sie habe diese aber nicht vertragen. Auf Nachfragen gab die Klägerin an, manchmal habe sie ihren Vater auch mit der Hand befriedigen müssen. Die sexuellen Übergriffe hätten bis etwa 2007 angedauert. Sie habe dann über das Internet eine Freundin kennengelernt und mit dieser am Freitag, dem 13. Juli 2007, das Elternhaus und D. verlassen und sei nach K. gezogen.
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Auf Grund von Andeutungen der Klägerin zu anderen Ereignissen fragte der Vernehmungsbeamte nach. Die Klägerin berichtete dabei ferner, ihr Vater habe ihr als Kind auch das Schießen beigebracht. Sie sei sogar recht gut im Umgang mit Schusswaffen gewesen. Als sie fünf Jahre alt gewesen sei, habe er sie einmal in Berlin an die Mauer mitgenommen und eine Ausbildungseinheit besucht. Ihr Bruder und die Mutter hätten auf einem Panzer mitfahren dürfen. Ihr Vater und sie hätten Schießübungen gemacht. Plötzlich sei eine Sirene losgegangen und über Lautsprecher sei auf einen Flüchtling hingewiesen worden. Alle seien mit Gewehren losgerannt, auf Aufforderung ihres Vaters auch sie. Sie habe dann tatsächlich einen Mann Anfang 30 auf die Mauer zulaufen sehen. Auf Aufforderung ihres Vaters habe sie dann auf ihn geschossen bzw. meine geschossen zu haben. Der Mann sei stehengeblieben, habe sie kurz angeschaut und sei dann zu Boden gefallen. Die anderen Wachsoldaten seien gekommen und hätten sie beglückwünscht. Sie habe dann Jahre lang geglaubt, den Mann getötet zu haben. Heute denke sie allerdings, sie habe damals nur ein Luftgewehr gehabt und den Mann daher gar nicht erschossen.
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Die Klägerin machte auch Angaben zu den weiteren Gewalttätigkeiten ihres Vaters ihr und ihrer Mutter gegenüber. So schilderte sie einen Übergriff, als sie acht Jahre alt gewesen sei, bei dem ihr Vater mit einer Eisenstange auf sie eingeschlagen und sie im Gesicht verletzt habe. Sie sei dann mit Verletzungen an der Oberlippe und den Zähnen bei einem Zahnarzt am V. in D. gewesen.
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Schriftlich teilte die Klägerin der Polizei auch mit, ihr Vater übe seit ihrem Wegzug aus D. Telefonterror gegen sie aus, sei auch mehrfach, zum ersten Male am 23. Dezember 2007, in ihrem Zimmer in ihrer Wohngemeinschaft in K. gestanden, habe sie bedroht und bedrängt. Es habe auch weitere sexuelle Missbräuche im August 2007 und im April oder Mai 2008 gegeben, als ihr Vater sie jeweils unter dem Vorwand, es gebe einen Termin beim Insolvenzverwalter, nach D. zurückgelockt habe.
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In ihrer weiteren Vernehmung am 8. Februar 2010 machte die Klägerin auf Nachfragen weitere Detailangaben zu den Missbräuchen durch ihren Vater. Sie gab nunmehr an, der letzte Missbrauch durch ihn habe im August 2007 stattgefunden. Sodann teilte sie mit, auch von ihrem Cousin, ihrem Großvater und ihrem Bruder missbraucht worden zu sein. Ihr Großvater könne aber eine Anzeige nicht verkraften, es sei bei ihm auch nicht so schlimm gewesen, daher wolle sie keine Angaben machen. Ihr Bruder habe sie, seit sie 13 gewesen sei, am Unterleib angefasst, was ihr nicht gefallen habe, und sie durch Drohungen, aber nicht durch Gewalt, gezwungen, ihn manuell zu befriedigen. Das sei zwei Jahre so gegangen, dann habe er seine erste Freundin gehabt. Der Missbrauch durch den Cousin habe begonnen, als sie beide noch Kinder gewesen seien. Man sei bei seiner Familie zu Besuch gewesen. Er habe sich dann mit ihr zusammen versteckt, sie von hinten umarmt, an sich gezogen und überall angefasst. Das sei bis vor etwa sieben Jahren so gegangen. Einmal habe er sie im Keller an ihrem Geschlecht angefasst. An Silvester, eventuell 1993, habe sie sich auf seine Aufforderung hin in das Bett gelegt, er habe sie dann gestreichelt und ihr seinen Finger in die Scheide gesteckt. Zu schlimmeren Übergriffen sei es nicht gekommen.
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Weitere Vernehmungen der Klägerin bei der Polizei fanden am 8. und am 15. März 2010 statt. Hier machte die Klägerin einige Detailangaben und berichtete im Wesentlichen über die fortdauernden Kontaktversuche durch ihre Eltern sowie den „Telefonterror“ des Vaters. Sie legte dazu Weihnachtskarten ihrer Eltern und ausgedruckte E-Mails ihres Vaters vor, die aber nicht zur Akte genommen wurden. Wegen behaupteter SMS-Nachrichten ihres Vaters wurde ihr Handy ausgelesen, hierbei wurden einige Nachrichten aus den letzten Jahren gefunden. Ferner schilderte sie den - letzten - sexuellen Missbrauch im April 2008 als Versuch. Sie berichtete, sie habe über einen Chatroom im Internet für Opfer sexuellen Missbrauchs Kontakt zu ihrer jetzigen Freundin R. bekommen, die ebenfalls Opfer sexuellen Missbrauchs gewesen sei und damals schon in dem Frauenhaus in K. gewohnt habe. Diese habe mitbekommen, wie sie - die Klägerin - von ihrem Vater schikaniert worden sei und ihr geraten, von zu Hause wegzuziehen. So sei dann am 13. Juli 2007 auch sie in das Frauenhaus in K. gezogen. Ende August 2007 habe der Vater vor der Tür gestanden und sie nach D. bringen wollen, er habe angegeben, die Anschrift durch Bestechung der D. Meldebehörde erfahren zu haben. Es habe die Polizei geholt werden müssen. Während der Vernehmung ergab sich auch, dass Rechtsanwalt G. der „Firmenanwalt“ ihres Vaters gewesen war und sie ihn damals nicht in dem Betreuungsverfahren mandatiert habe.
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Die Polizeidirektion D. setzte den Vater der Klägerin am 22. März 2010 von dem laufenden Ermittlungsverfahren in Kenntnis. Er habe mit derartigen Vorwürfen gerechnet und auf Anraten seiner Anwältin bereits eine „Selbstanzeige“ erwogen. Die Vorwürfe träfen nicht zu. Die Klägerin leide an einer Persönlichkeitsstörung und habe vor Jahren schon ihren Großvater und ihren Bruder beschuldigt. Dies sei im Rahmen der Psychotherapie in D. geschehen. Dies habe ihm - dem Vater - die Psychotherapeutin erzählt. Die Klägerin sei mit ihrer neuen Freundin im Sommer 2007 überstürzt ausgezogen und seitdem einige Male, zuletzt am 11. März 2009, in D. zu Besuch gewesen. Im Jahre 2008 habe sie zusammen mit ihren Eltern eine Rundreise durch Venezuela unternommen. Es treffe zu, dass er Ende August 2007 versucht habe, die Klägerin zurückzuholen, nachdem er bei einem Anruf ihrer Freundin, Frau R., gehört habe, wie die Klägerin im Hintergrund geweint habe. Die Anschrift des Frauenhauses habe er von der K. P. bekommen. Die Klägerin habe am Ende aber nicht nach Hause gewollt. Sie sei leicht zu beeinflussen.
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Am 23. März 2010 wurde der Vater förmlich als Beschuldigter vernommen. Er wies alle Vorwürfe von sich. Bereits die erste Anschuldigung der Klägerin sei falsch, da er zu der Zeit, als sie vier oder fünf Jahre alt gewesen sei, noch gar keinen Pkw gehabt habe, den Skoda habe er erst 1986 erhalten. Er sei damals nie allein mit der Klägerin in der Wohnung gewesen, vielmehr bis 1992 bei der NVA, danach bei der Bundeswehr als Offizier tätig gewesen und immer erst spät nach Hause gekommen. Von 1990 bis 1992 habe er in Berlin Betriebswirtschaftslehre studiert. Auch danach sei er wegen seiner Berufstätigkeiten immer sehr früh gegangen und erst sehr spät wieder nach Hause gekommen. Im Betreuungsverfahren sei festgestellt worden, dass die Klägerin noch jungfräulich gewesen sei. Ihre Anschuldigungen, die sie dort erhoben habe, habe sie später, auch ihnen als Eltern gegenüber, wieder relativiert, auch gegenüber dem Vormundschaftsgericht. Von diesen Bezichtigungen ihm gegenüber habe er erstmals am 2. September 2009 beim AG K. in dem Gewaltschutzverfahren erfahren. Er habe dort in der mündlichen Verhandlung einen Vergleich geschlossen, um Stress für seine Tochter, die Klägerin, zu vermeiden, und sich in diesem Rahmen freiwillig zu einem Kontaktverbot bis Dezember 2009 verpflichtet. Der Vater überreichte der Polizei Ausdrucke von E-Mails, die die Klägerin an ihn und an ihren Bruder geschickt habe, und in denen sie u.a. ausgeführt habe, sie habe einen riesigen Fehler begangen, den sie nicht wieder gut machen könne.
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Das Einwohnermeldeamt D. teilte der Polizei am 19. März 2010 mit, dass dem Vater keine Auskünfte über den Aufenthalt der Klägerin in dem Frauenhaus in K. erteilt worden seien, weil eine vorläufige Auskunftssperre bestanden habe.
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Auf Antrag der Staatsanwaltschaft D. vernahm der Ermittlungsrichter am AG D. (XX) die Klägerin am 5. Juli 2010 in D. mündlich als Zeugin. Ausweislich des Protokolls nahmen an dieser Vernehmung außer den Amtspersonen auch Rechtsanwältin K. als zugelassener Beistand der Klägerin sowie Dr. B. „als Zeugin“ teil.
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Die Klägerin machte dort Angaben zu ihrer Biografie, ihrer Ausbildung, der von ihr - auf Betreiben des Vaters - gegründeten Firma und zu ihrer finanziellen Situation. Sie schilderte erneut den sexuellen Missbrauch am Tag ihrer Einschulung, andere Taten aber nicht im Detail. Es habe nie Oralverkehr gegeben. Der Missbrauch habe immer in ihrem Zimmer stattgefunden. Während der - seltenen - Urlaubsreisen, darunter in ein NVA-Ferienheim an der Ostsee und zu ihrem 18. Geburtstag in den Schwarzwald, sei nichts passiert. Auch ihre Mutter habe vor der Wende bei der NVA gearbeitet und das Haus mit dem Vater früh verlassen. Der Vater habe ihr immer mit Mullbinden die Hände gebunden. Der Missbrauch habe nach der Wende nachmittags stattgefunden. Einen weiteren Vorfall schilderte die Klägerin konkret dahin, sie sei 14 oder 15 Jahre alt gewesen, sei von einem Besuch im Berufsinformationszentrum gekommen, er habe mitbekommen, dass sie ihren Auszug plane, er habe geschrien, sie zu Boden gebracht und sie getreten, auch in den Unterleib. Sie sei dann in die Badewanne gegangen, habe Bauchkrämpfe gehabt und in der Badewanne hätten Blutklumpen gelegen. Sie glaube, sie sei damals schwanger gewesen, sie wisse nicht, ob vom Vater oder vom Cousin. Diesen Vorfall habe sie erstmals zwei Wochen zuvor Dr. B. geschildert, davor lediglich der Frau R.. Sie könne sich nach jenem Vorfall an Bilder eines Krankenhauses erinnern, bei einem Gynäkologen sei sie nicht gewesen. Die Krämpfe seien nach einer Woche weggegangen. Auf Nachfrage der Staatsanwaltschaft machte die Klägerin außerdem weitere Angaben zu dem Drogenmissbrauch, den Straftaten als Kind und den im Betreuungsverfahren zur Akte gelangten Unterlagen, vor allem dem Behandlungsbericht von Dipl.-Psych. L. vom 30. August 2007. Die Mädchen-Gang habe ihren Freund, der L. geheißen habe und 12 Jahre alt gewesen sei, in einem Abrisshaus so zusammengeschlagen, dass er nicht mehr aufgewacht sei, sie - die Klägerin - habe zuschauen müssen. Das Mädchen, das an der Überdosis gestorben sei, habe Y. geheißen, das andere gestorbene Mädchen B., dieses sei 10 Jahre alt gewesen, sei beim gemeinsamen Spielen auf Bahngleise gelaufen und habe sich dort von einem Zug töten lassen. Die Klägerin erwähnte auch einen Verkehrsunfall mit einem Motorrad vor dem Haus ihrer Großeltern, den sie als Kind mit habe ansehen müssen; auf diesen Komplex war schon der Vater in seiner Stellungnahme in dem Betreuungsverfahren eingegangen. Die Klägerin gab auch an, sie habe zeitweise Tagebücher geführt, die sie nicht mit nach K. genommen habe.
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Dr. B. gab, als Zeugin vernommen, an, sie sei seit 1990 in der Traumatherapie tätig. Frau R. sei seit langem ihre Patientin. Der Vater der Klägerin habe sie - Dr. B. - angezeigt, weil sie es in einem Attest als feststehend geschildert habe, dass sexueller Missbrauch stattgefunden habe, sie schreibe daher nur noch im Konjunktiv. Die Klägerin habe ihr während der Therapie auch erzählt, sie sei über die Grenze nach Tschechien und/oder Polen gebracht worden, dort seien Abtreibungen durchgeführt worden. Sie habe dabei unter Drogen gestanden, die ihr ihr Vater gegeben habe. Dies sei vor der Fehlgeburt gewesen, die sie mit 15 erlitten habe. Sie sei von ihrem Vater vermietet worden und habe zweimal in der Woche Freier entgegennehmen müssen. Es sei ein Freund des Vaters gewesen. Das wisse sie sicher. Ein Familienfreund habe die Freier bestellt. Die Mutter habe sich aus der Sache herausgehalten. Ihr habe die Klägerin auch die Geschichte mit der Eisenstange nicht erzählt, dabei sei ihr Kiefer verformt gewesen. Sie trage jetzt noch ein Provisorium, eine Regulierung sei zu teuer. Die Klägerin leide an einer Identitäts- bzw. Persönlichkeitsstörung. Dies habe sie - Dr. B. - an Hand eines Tests festgestellt. Auch Frau R. sei Borderlinerin. Die beiden seien lesbisch geworden, was sie - Dr. B. - nicht glaube, und jetzt ein Paar, wobei Sexualität keine Rolle spiele. Die einzige Männerbekanntschaft der Klägerin sei ein M. gewesen. Er habe ihr einen Bären geschenkt. Am nächsten Tage habe er sich von einer Brücke gestürzt. Das sei 2005 oder 2006 gewesen. Dr. B. reichte bei ihrer Vernehmung auch eine von der Klägerin gezeichnete „Trauma-Landkarte“ und einen ausgefüllten „Fragebogen zu Dissoziationserfahrungen“ („DES II“) zur Akte.
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Die Polizei suchte in dem Elternhaus der Klägerin nach den Tagebüchern. Ausweislich des Durchsuchungsprotokolls erschien ihr Zimmer so, als sei es seit ihrem Auszug unverändert geblieben. Es wurden zwei Tagebücher gefunden. Ein weiteres, jüngeres Tagebuch, an das sich der Vater der Klägerin erinnern konnte, wurde nicht aufgefunden. Eine Auswertung ergab, dass keines der Bücher Hinweise auf Missbräuche enthielt (Zeitdauern vom 6. März 2000 bis 13. März 2003 mit einem „Hilferuf“ am 23. November 2002 sowie vom 22. Mai 2007 bis 23. Juni 2007 mit der Äußerung von Suizidgedanken) Die Polizei ermittelte zudem wegen der von der Klägerin angegebenen Todesfälle ihrer Freunde zu Kindheitstagen in den Jahren 1991 bis 1993. Die Kriminalpolizeiinspektion (KPI) D., Kommissariat 11 (Todesermittlungen) teilte mit, dass aus jenem Zeitraum keine Todesfälle von Personen mit den angegebenen Vornamen und der geschilderten Todesart bekannt seien (Aktenvermerk vom 7. Juli 2010). Für die 128. Mittelschule D., auf welche die Klägerin gegangen war, teilte eine dort seit 1990 beschäftigte Lehrerin (Frau V.) mit, sie könne sich an die Klägerin erinnern, es habe damals an der Schule oder in ihrem Umfeld keine Todesfälle gegeben, die von der Klägerin angegebenen Namen von Mitschülern sagten ihr nichts. Auch der von der Klägerin erwähnte Motorradunfall in der Nähe des Hauses der Großeltern konnte nicht bestätigt werden.
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Zur Akte des Ermittlungsverfahrens gelangten ferner zahlreiche Berichte über stationäre Behandlungen der Klägerin im Kreiskrankenhaus T. (vom 7. März 2008, 16. Juni 2008, 13. November 2008 und vom 3. Juli 2009), im D. S. (vom 26. September 2007 und vom 15. August 2008) sowie im I.-Klinikum in W. am I. (vom 26. März 2010). Darin waren jeweils unter anderem eine „komplexe“ PTBS, eine kombinierte Persönlichkeitsstörung und eine depressive Episode unterschiedlichen Grades diagnostiziert. Als Grund für die Aufnahme war mehrfach eine ansteigende Suizidalität angegeben, vor der Aufnahme in T. am 30. Oktober 2008 habe es einen „erneuten Suizidversuch“ (Sprung in den Fluss K.) gegeben. Die anamnestischen Ausführungen enthielten jeweils Angaben der Klägerin über Ereignisse in dem Frauenhaus in K., Probleme mit ihrer Freundin und anderen Mitbewohnern in der „Wohngemeinschaft“ und den „Telefonterror“ sowie unangekündigte Besuche des Vaters. Ferner hatte die Klägerin regelmäßig von sexuellem Missbrauch und Gewalterfahrungen durch den Vater in Kindheit und Jugend berichtet. In den gynäkologischen Anamnesen war „keine Schwangerschaften“ festgehalten.
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Mit Verfügung vom 9. Februar 2011 stellte die Staatsanwaltschaft das Strafverfahren ein. Es bestehe keine hinreichende Wahrscheinlichkeit, dass der Vater der Klägerin der angeschuldigten Taten des sexuellen Missbrauchs Schutzbefohlener überführt werden könne. Der Tatverdacht beruhe ausschließlich auf den Angaben der Klägerin. Der Beschuldigte (der Vater) bestreite die Taten. Es hätten keinerlei objektive Beweismittel gefunden werden können, die die Angaben der Klägerin hätten bestätigen können. Die sichergestellten Tagebücher der Jahre 2000 und 2007 enthielten keine Hinweise auf sexuellen Missbrauch oder körperliche Misshandlungen. Die weiteren Angaben der Klägerin zu angeblichen Todesfällen unter ihren Freunden hätten nicht bestätigt werden können. Es sei medizinisch nicht mehr nachweisbar, ob die Klägerin mit 15 Jahren eine Fehlgeburt erlitten habe oder an ihr tatsächlich Schwangerschaftsunterbrechungen durchgeführt worden seien. Die behandelnde Gynäkologin habe lediglich bestätigt, dass die Klägerin defloriert sei. Allein auf die Aussagen der Klägerin können eine Anklage nicht gestützt werden. Bei der richterlichen Vernehmung sei sie nicht in der Lage gewesen, ihre vorherigen Angaben bei der Polizei in vollem Umfang zu wiederholen. Zwar habe sie im Wesentlichen das gleiche Kerngeschehen geschildert, doch an bestimmte Details wie das Auswaschen der Schlafanzughose habe sie sich nicht mehr erinnert. Weitere konkrete Tathandlungen habe sie nicht beschreiben können. Sie habe auch die behaupteten Übergriffe zeitlich nicht einordnen oder zumindest angeben können, wie alt sie jeweils gewesen sei. Das Abbinden der Hände mit Mullbinden und die Verwendung von Verhütungsmitteln habe sie nur noch rudimentär oder gar nicht mehr beschrieben. Ihre Angaben zum Zeitpunkt des letzten Geschlechtsverkehrs mit ihrem Vater - 2007 oder 2008 - seien nicht konsistent gewesen. Zu ihrem Bruder, Cousin oder Großvater habe sie bei der richterlichen Vernehmung nichts gesagt. Auch habe sie nicht erklären können, warum sie sich am 17. März 2010 in einer E-Mail an ihren Bruder für die Anzeigeerstattung entschuldigt und angegeben habe, einen „riesigen“ Fehler gemacht zu haben. Ihre Ausführungen zu der Tötung eines Flüchtlings an der innerdeutschen Grenze, zu dem Zwang sich prostituieren zu müssen und zu den Verbringungen nach Polen oder Tschechien zu dortigen Abtreibungen erschienen realitätsfern. Weiterhin sei zu berücksichtigen, dass die Klägerin bis zu ihrem 12. Lebensjahr regelmäßig halluzinogene Drogen konsumiert und ab dem Jahre 2006 intensiv Internet-Foren über sexuellen Missbrauch besucht habe. Es könne daher nicht ausgeschlossen werden, dass sie selbst und fremd Erlebtes vermenge oder Berichte Dritter wiedergebe. Die Klägerin leide unter einer dissoziativen Identitätsstörung, bei der die Wahrnehmung, die Erinnerung und das Erleben der eigenen Identität gestört seien. Sie könne daher auch eigene Erlebnisse nicht konstant schildern, so dass die Glaubhaftigkeit ihrer Aussagen nicht überprüft werden könne.
27 
Am 22. Februar 2010 hatte die Klägerin beim Landratsamt (LRA) ihres baden-württembergischen Wohnorts Versorgungsleistungen nach dem OEG beantragt. Sie gab an, ihr Vater habe sie in der Grundschule eine Treppe hinuntergestoßen. Als sie 14 Jahre alt gewesen sei, habe er sie mit einer Eisenstange geschlagen, dabei seien die Zähne verletzt worden. Auch habe es „viele andere Ereignisse durch Gewalt“ gegeben. Wegen dieser Taten leide sie an einer Kieferverformung, einer Zahnverletzung, einer Narbe über dem rechten Auge, Kopfschmerzen und seelischen Störungen.
28 
Das LRA leitete den Antrag, da die Taten in Sachsen begangen worden seien, an den Beklagten, den Kommunalen Sozialverband S., weiter. Diesem gegenüber schilderte die Klägerin mit Schreiben vom 22. Juli 2010 konkret drei Ereignisse (im Oktober/November 1998 habe ihr beim Frühstück ihr Vater die Müslischale gegen die Zähne geschlagen, wobei die Zähne eingedrückt worden seien; im Jahre 2006 habe er sie gegen ein Treppengeländer geschubst; 2007 bis 2009 habe er Telefonterror ausgeübt), darunter jedoch weiterhin keinen sexuellen Missbrauch. Der Beklagte zog die Akten des Ermittlungsverfahrens bei und wertete sie aus.
29 
Mit Bescheid vom 25. Juli 2012 lehnte er den Antrag ab. Soweit die Klägerin einen Telefonterror angegeben habe, handle es sich bereits nicht um einen tätlichen Angriff im Sinne des OEG. Die geschilderten körperlichen Misshandlungen im Kindes- und Jugendalter seien nicht nachzuweisen. Die Strafanzeige sei erst 2009 erstattet worden. Die Angaben der Klägerin hätten sich nicht mit objektiven Beweismitteln untermauern lassen. Ihre Tagebücher hätten keine Hinweise insbesondere auf einen sexuellen Missbrauch enthalten. Zeugen, die die Tathandlungen beobachtet hätten, seien nicht vorhanden. Zeitnahe ärztliche Behandlungen zu den Taten wegen der Verletzungen seien nicht erfolgt. Aus diesen Gründen habe auch die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren eingestellt.
30 
Im Vorverfahren zog der Beklagte auf Antrag der Klägerin die Akte des Betreuungsverfahrens vor dem AG Dresden im Jahre 2007 und das darin enthaltene Gutachten der Psychiaterin M. bei.
31 
Mit Widerspruchsbescheid vom 13. Oktober 2015 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Nach wie vor sei das Vorliegen rechtswidriger tätlicher Angriffe nicht nachgewiesen. Die Folgen der Nichtfeststellbarkeit gingen zu Lasten der Klägerin. Der Bescheid wurde am 14. Oktober 2015 zur Post gegeben und ging bei der Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 16. Oktober 2015 ein.
32 
Hiergegen hat die Klägerin am 16. November 2015 Klage beim Sozialgericht Heilbronn (SG) erhoben. Dieses hat keine weiteren Ermittlungen durchgeführt. In der mündlichen Verhandlung am 23. Juni 2016 hat die - persönlich erschienene - Klägerin beantragt, ihre Betreuerin Dr. B. - die sie sistiert hatte - als Zeugin dafür zu vernehmen, dass sie - die Klägerin - zwar sexuell missbraucht worden sei, dies aber auf Grund bestimmter medizinischer Umstände nicht konsequent darstellen könne. Das SG hat die Klage mit Urteil von diesem Tage abgewiesen. Nach Auswertung des gesamten vorhandenen Akteninhalts, vor allem des Ermittlungsverfahrens, sei auch das SG zu der Überzeugung gelangt, dass vorsätzliche tätliche Angriffe nicht nachgewiesen oder auch nur glaubhaft gemacht seien, weder körperliche Gewalttätigkeiten noch sexueller Missbrauch. Weitere Ermittlungsmöglichkeiten beständen nicht, zumal die Klägerin weder im Widerspruchs- noch im Klageverfahren Beweise angetreten habe. Der zuletzt in der Verhandlung gestellte Beweisantrag der Klägerin sei abzulehnen. Dr. B. könne mangels eigener Wahrnehmungen nichts zu den vorgetragenen Taten sagen. Die Beweisbehauptung, die Klägerin könne krankheitsbedingt keine konsistenten Angaben machen, sei nicht erheblich. Wenn dies der Fall sei, wären gewalttätige Angriffe weiterhin nicht bewiesen oder glaubhaft gemacht.
33 
Gegen dieses Urteil, das ihrer Prozessbevollmächtigten am 1. August 2016 in vollständig abgefasster Form zugestellt worden ist, hat die Klägerin am 1. September 2016 Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) erhoben. Sie wiederholt und vertieft ihr bisheriges Vorbringen. Auf die Hinweise des Senats vom 16. November 2016 hin hat sie für verschiedene ihrer Behauptungen Zeugen benannt. Für die Verletzungen, die sie als Kind häufig gehabt habe, hat sie zwei Jugendfreunde (M. F. und D. S.), eine Schulkameradin bzw. deren Mutter (M. S.), die ihre Fußball-Trainerin gewesen sei, sowie ihre damals behandelnde Haus- bzw. Kinderärztin Dr. B. benannt. Die Ärzte und Psychiater, die sie seit 2006 behandelt hätten, hat sie als Zeugen vom Hörensagen für den sexuellen Missbrauch benannt. Mit Schriftsatz vom 16. Januar 2017 hat sie sich ferner auf das Zeugnis ihrer Mutter, der Zeugin D., dafür berufen, dass ihr Vater sie - die Klägerin - seit ihrer Kindheit bis zum Jahre 2007 regelmäßig im Beisein der Zeugin körperlich misshandelt habe. Ferner hat sie Zeugen für die Ereignisse seit ihrem Auszug aus der elterlichen Wohnung benannt.
34 
Die Klägerin beantragt,
35 
das Urteil des Sozialgerichts Heilbronn vom 23. Juni 2016 und den Bescheid des Beklagten vom 25. Juli 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Oktober 2015 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihr Beschädigtenversorgung in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
36 
Der Beklagte beantragt,
37 
die Berufung zurückzuweisen.
38 
Er beruft sich auf die Entscheidung des SG. Eine weitere Stellungnahme hält er nicht für veranlasst.
39 
Der Senat hat die Akten des Insolvenz-, des Betreuungs- sowie des Ermittlungsverfahrens beigezogen und zum Gegenstand des Berufungsverfahrens gemacht. Die Klägerin hat ferner Auszüge aus den - inzwischen vernichteten - Akten des Gewaltschutzverfahrens vor dem AG K. im Jahre 2009 zur Akte gereicht.
40 
Die Zeugin Dr. B. hat, als sachverständige Zeugin schriftlich vernommen, mit Schreiben vom 13. April 2017 mitgeteilt, sie sei seit 1965 in D. als Ärztin tätig gewesen und habe seit 1991 bis Juli 2011 als niedergelassene Ärztin gearbeitet. Die Klägerin sei ihr nicht in Erinnerung, daher könnten keine Behandlungszeiträume angegeben werden, insbesondere habe sie keine Erinnerung an die geltend gemachten Zahnverletzungen, eine Patientenakte liege ihr nicht mehr vor.
41 
Der Berichterstatter des Senats hat die Klägerin, die in Begleitung eines Zeugenbeistands erschienen war, persönlich angehört sowie ihre beiden Eltern, den Zeugen K. und die Zeugin K., uneidlich vernommen. Wegen des Ergebnisses der Anhörung und der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der nichtöffentlichen Sitzung vom 18. Juli 2017 Bezug genommen.
42 
Die Klägerin hat ausgeführt, bei dem ersten Übergriff in dem Skoda sei sie noch in den Kindergarten gegangen. Die Farbe des Wagens wisse sie nicht mehr. Am Tag ihrer Einschulung habe ihr Cousin in ihrem Bett schlafen dürfen, sie selbst deshalb ins Ehebett gemusst. Es sei derselbe Cousin gewesen, der sie - allerdings Jahre später - selbst missbraucht habe. Zu den Verletzungen und etwaigen Arztbesuchen hat sie mitgeteilt, der Notarzt sei häufig bei ihnen zu Hause gewesen und habe sie behandelt. Einmal habe sie eine Platzwunde am Kopf gehabt. Der Notarzt habe sie auch nach Misshandlungen gefragt. Den Namen wisse sie nicht mehr. Sie sei auch einmal verletzt in der Poliklinik in der D. N. gewesen. Mit den kaputten Zähnen nach dem Schlag mit der Eisenstange sei sie bei einer Zahnärztin in einer Praxis in der A.-Straße gewesen. Ob die Zahnärztin M. geheißen habe, wisse sie nicht mehr. Bei der Ärztin Dr. K. sei sie zum ersten Mal mit 13 gewesen, sie habe eine Sondergenehmigung mit sportlicher Untersuchung für das Fußballspielen benötigt. An den Namen ihres Kinderarztes erinnere sie sich nicht mehr. Auf Frage, ob ihre Mutter Augen- oder Ohrenzeugin der Taten gewesen sei, hat die Klägerin angegeben, ihre Mutter habe alsbald nach der Wende wieder gearbeitet und sei daher bei den Taten nicht dabei gewesen. Auf ihre - der Klägerin - Jahre später gestellte Frage, ob sie etwas gemerkt habe, habe sie nein gesagt. Sie sei starke Alkoholikerin, sie - die Klägerin - kenne sie nur betrunken. Schon der Großvater habe viel getrunken. Bei der Mutter sei das Wein gewesen, dazu Liköre. Auf Nachfragen nach der Herkunft dieses Weins zu DDR-Zeiten hat die Klägerin geantwortet, er sei rot gewesen und habe vermutlich aus dem Gebiet S. gestammt, wo eine Schwester der Großmutter einen Weinberg gehabt habe. Im Übrigen hat die Klägerin weitere Angaben zu ihrem persönlichen und beruflichen Lebensweg gemacht. Die Klägerin hat bei ihrer Anhörung ferner Ausdrucke einiger E-Mails ihres Vaters an sie aus den Jahren 2007/2008 zur Akte gereicht, deren Inhalt sie für unangemessen bzw. verdächtig halte.
43 
Der Zeuge K., der Vater der Klägerin, hat zu Beginn seiner Vernehmung den Ausdruck einer E-Mail der Klägerin an ihn vom 14. Juli 2017 zur Akte gereicht, in der die Klägerin darum gebeten hat, dass ihre Eltern den Gerichtstermin „absagen“ bzw. die Aussage verweigern mögen. Ihr - der Klägerin - sei jetzt klar geworden, dass dieser Termin eine OEG-Sache betreffe und daher „das Land“ von den Eltern wissen wolle, was geschehen sei. Ihre - der Klägerin - Betreuung habe bestimmt, dass sie bei der Vernehmung den Eltern nicht begegnen dürfe. „Die“ legten alles negativ aus, auch das was sie - die Eltern - an die Klägerin schrieben, sie anriefen und ihr Bilder schickten, sie - die Klägerin - wolle das nicht. Sie müsse jetzt ihr Handy bis nächste Woche abgeben. Der Zeuge hat hierzu bekundet, er habe wieder Kontakt zur Klägerin, diese rufe sonntags sehr früh in D. oder ihre Mutter rufe nachmittags in K. an. Zur Sache hat der Zeuge mitgeteilt, er wisse nicht, wie die Klägerin auf die Vorwürfe gekommen sei. Sie seien zum ersten Mal in dem Strafverfahren zu seinen Ohren gekommen, er sei sehr überrascht gewesen. Die Klägerin vertraue anderen Menschen sehr stark, auch dem, was diese sagten. Der Vorwurf des ersten Missbrauchs in einem Auto könne nicht stimmen, die Familie habe damals noch kein Auto gehabt. Das erste Auto, ein grüner Skoda, sei etwa im April 1987 gekommen. Er - der Zeuge - sei damals bei der NVA in D. stationiert, aber Außenschläfer (Heimschläfer) gewesen. Er sei gegen 17.00 Uhr zu Hause gewesen. Mehrfach habe er mehrmonatige Lehrgänge absolviert. Auch die weiteren Vorwürfe der Klägerin stimmten nicht, auch nicht jene gegen den Bruder oder den Cousin. Bei dem Cousin, der in der Nähe von A. gewohnt habe, sei man nach der Einschulung der Klägerin ohnehin nur ein einziges Mal - zu einem Silvester - zu Besuch gewesen. Die Klägerin sei in der Schule damals an eine Art Mädchengang geraten und wohl auch zusammengeschlagen worden, dabei seien Lehrer dabei gewesen. Es habe sich um ein Berufsgymnasium gehandelt, auf dem die Klägerin ihr Abitur habe machen wollen. Von jener Schule habe er - der Zeuge - erst nach einem Vierteljahr erfahren, dass die Klägerin nicht mehr zum Unterricht erscheine. Die Klägerin sei damals psychologisch betreut gewesen. Ein Vorgang, der dazu beigetragen habe und den er - der Zeuge - in einer der E-Mails des Jahres 2007 erwähnt habe, sei der Diebstahl eines Fahrrads der Klägerin aus dem Keller des elterlichen Hauses in D. gewesen. Auf Fragen nach dem Unternehmen „B. F.“ hat der Zeuge angegeben, er habe jenes Unternehmen damals geführt und habe daher für Forderungen der Krankenkasse und des Finanzamts gegen die Klägerin „geradestehen“ müssen. Auch er und auch seine Ehefrau, die Zeugin K., hätten schon Privatinsolvenzverfahren durchlaufen. Bei der Ehefrau sei es um einen plötzlich gekündigten Kredit für das Haus gegangen.
44 
Die Mutter der Klägerin, Zeugin D. K., hat angegeben, sie wisse auch jetzt nicht viel Genaues, weil ihr Mann sie aus der Sache herausgehalten habe. Von Missbräuchen oder Misshandlungen sei ihr nichts bekannt. Ein Auto habe die Familie nicht gehabt, bevor die Klägerin zur Schule gekommen sei. Der Cousin sei zur Einschulung zu Besuch gewesen, aber er habe nicht im Bett der Klägerin geschlafen, dort habe die Klägerin selbst geschlafen. Blutverschmierte Schlafwäsche habe sie nie gesehen, es sei auch keine Nachtwäsche verschwunden. Sie - die Zeugin - habe erst spät aus dem Abschiedsbrief der Klägerin 2007 erfahren, dass die Klägerin in der Schule schlechte Erfahrungen gemacht habe, nämlich von einer Mädchengang bedroht worden sei. Dies sei möglicherweise schon in der 6. oder 7. Klasse losgegangen, nachdem sie einem Jungen habe helfen wollen, den die Mädchengang eine Treppe habe hinunterstoßen wollen. In dem Abschiedsbrief habe die Klägerin keinerlei Vorwürfe wegen sexuellen Missbrauchs oder Misshandlungen erhoben. Zur Kindheit ihrer Tochter hat die Zeugin - z.T. spontan - noch ausgeführt, die Klägerin sei mit Leib und Seele Fußballerin gewesen, sei auch Schiedsrichterin gewesen, und sei kurz vor ihrem Weggang aus D. aus diesem Bereich womöglich bedroht worden, sie - die Zeugin - habe mehrere entsprechende Anrufe mitbekommen. Die Zeugin hat auf Nachfragen mehrere Namen damaliger Mitschüler, welche die Klägerin benannt hatte oder die der Senat aus dem Internet (www.s.de) entnommen hatte, bestätigt. M. F. habe in der Nähe gewohnt und die Klägerin ein bisschen beschützt. Fragen nach den Insolvenzverfahren, insbesondere nach jenem Verfahren über ihr Vermögen, hat die Zeugin unter Berufung auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht nicht beantwortet. Nach Nachfragen der Prozessbevollmächtigten der Klägerin hat die Zeugin bestätigt, dass sie 1984 oder 1985 in einer Klinik in P. gelegen habe, dass sie mit der Klägerin regelmäßig beim Kinderarzt gewesen sei, wobei sie den Namen nicht mehr wisse und dass die Klägerin einmal eine Platzwunde am rechten Auge gehabt habe, nachdem sie mit dem Bruder gerangelt habe, weswegen man im Kinderzentrum in N. gewesen sei; in einer Poliklinik sei die Klägerin nie gewesen.
45 
Im Nachgang zum Erörterungstermin hat die Klägerin beantragt, die Niederschrift dahin zu berichtigen, dass sie nicht ausgesagt habe, ihre Mutter habe nach der Wende bis 22.00 Uhr gearbeitet, dies sei vielmehr die Zeit der sexuellen Übergriffe gewesen, ferner habe nicht ihre Freundin M. F. die Verletzungen gesehen, sondern deren Mutter als Fußballtrainerin. Sie ist ferner einzelnen Aussagen ihrer Eltern entgegengetreten. Insoweit wird auf den Schriftsatz vom 31. August 2017 verwiesen. Hierbei hat sie eingeräumt, im Jahre 2006 anonyme Drohanrufe erhalten zu haben, sie gehe aber davon aus, dass diese von Gläubigern des von ihrem Vater geführten Unternehmens gestammt hätten. Die Rangelei mit dem Bruder, bei der sie die Kopfplatzwunde erlitten habe, habe so wie von der Zeugin geschildert stattgefunden. Ihr Vater habe entgegen seinen Angaben nicht erst durch das Strafverfahren von den Anschuldigungen erfahren, vielmehr habe er sich bereits 2007 über den inzwischen verstorbenen Rechtsanwalt G. Kenntnis von der Akte des Betreuungsverfahrens verschafft und den Bericht der ersten behandelnden Psychiaterin L. erlangt. Zur Widerlegung der Angaben ihrer Mutter, sie - die Klägerin - sei nie in einer Poliklinik gewesen, hat sie im Original ihren „Sozialversicherungs- und Impfausweis für Kinder und Jugendliche“, ausgestellt von der Poliklinik N. am 25. August 1980, vorgelegt, der mindestens zehn Impfungen in jener Poliklinik ausweise.
46 
In diesem Ausweis findet sich in der Rubrik „Sonstiges“ auch die Eintragung „RU 9. Kl.“ einer dort nicht näher bezeichneten Behörde mit der Anschrift „A.-Straße 29“ in D. vom 20. September 1995. Eine Internet-Recherche und telefonische Auskünfte haben ergeben, dass an der genannten Anschrift damals der Kinder- und Jugendärztliche Dienst der Landeshauptstadt D. untergebracht war und dass die Eintragung die „Reihenuntersuchung 9. Klasse“ meint. Der Senat hat daraufhin mit Beweisbeschluss vom 16. Februar 2018 die archivierten Akten über die damalige Untersuchung beigezogen und diese in der mündlichen Verhandlung am 22. Februar 2018 zum Gegenstand des Verfahrens gemacht. Angaben über Verletzungen oder Hinweise auf sexuellen Missbrauch enthalten die Kurzberichte über die Untersuchungen bzw. Reihenuntersuchungen der Klägerin zwischen dem 28. August 1980 und - zuletzt - dem 20. September 1995 nicht. Während der Kindheit der Klägerin waren als Diagnosen eine Dyslalie (Sprachstörung) und eine leichte Dysplasie (Fehlstellung der Hüftgelenke) verzeichnet worden. Die letzten Untersuchungen hatten am 13. März 1990 („Adipositas, mangelhafte Pflege“), 12. März 1992 („Adipositas, in Sprechstunde bestellt“) und am 20. September 1995 („82,7 kg Gewicht bei 171 cm Körpergröße, Ernährungsberatung“) stattgefunden.
47 
In der mündlichen Verhandlung am 22. Februar 2018 hat die Klägerin mitgeteilt, sie sei nicht mehr bei Dr. B., sondern bei der Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Kinder- und Jugendpsychotherapie Dr. H. als neuer Therapeutin in Behandlung. Sie habe dort jetzt auch Angaben zu den Missbräuchen durch die anderen Verwandten gemacht und begonnen, den Missbrauch durch ihren Großvater aufzuarbeiten. Die Klägerin hat hierzu das Attest von Dr. H. vom 19. Januar 2018 zur Akte gereicht. Danach sei anamnestisch in Erfahrung gebracht worden, dass die Klägerin seit früher Kindheit bis zum 22. Lebensjahr immer wieder sexuell missbraucht worden, mit Eisenstangen ins Gesicht und andere Teile des Körpers geschlagen und besonders durch den Vater „aufs Übelste“ malträtiert worden sei. Die Klägerin sei im Alter von 6 oder 8 Jahren logopädisch versorgt worden. Als sie 12 Jahre alt gewesen sei, habe sie nichts mehr gegessen und sei erheblich abgemagert, weswegen sie stationär versorgt worden sei. Als sie 24 Jahre alt gewesen sei, habe sie nach einer langen Zeit der Magerkeit enorm viel zugenommen, bis sie dann durch eine stramme Diät wieder abgenommen habe. Es sei zurzeit unter anderem von Magersucht auszugehen. Diagnostisch beständen eine PTBS, Zwangsgedanken (F42.1 ICD-10 GM) und eine „depressive Episode in der Rekonvaleszenz, damals mit Suizidgedanken (F32.3)“. Es sei nunmehr eine psychotherapeutische Behandlung vorzugsweise in einer Langzeittherapie notwendig, möglicherweise auch länger.
48 
Den Antrag auf Berichtigung der Niederschrift über den Erörterungstermin am 18. Juli 2017 hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung nicht aufrechterhalten. Anträge auf Erhebung eines Glaubwürdigkeitsgutachtens bzw. auf Vernehmung von Dr. H. als sachverständiger Zeugin, die sie angekündigt hatte, hat sie auf Nachfrage des Senats ebenfalls nicht gestellt.
49 
Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die vom Beklagten vorgelegten Verwaltungsakten, die beigezogenen Akten anderer Verfahren sowie auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

 
50 
Die Berufung der Klägerin ist nach § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft, insbesondere war sie nicht nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG zulassungsbedürftig, da die Klägerin laufende Sozialleistungen für mehr als ein Jahr begehrt (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG). Sie ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere hat sie die Klägerin am 1. September 2016 gemäß § 151 Abs. 1 SGG binnen eines Monats ab der Zustellung der vollständig abgefassten Entscheidung des SG am 1. August 2016 beim LSG erhoben. Die Berufung ist aber nicht begründet. Zu Recht hat das SG die Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 Var. 1, Abs. 4 SGG) abgewiesen.
51 
Die Klage ist zwar zulässig. Insbesondere hat der Beklagte in dem angegriffenen Bescheid über den geltend gemachten Anspruch entschieden und insoweit auch das nach § 78 Abs. 1 SGG notwendige Vorverfahren durchgeführt. Hierbei geht der Senat davon aus, dass der Antrag der Klägerin auf „Versorgung“ eine Beschädigtenversorgung, insbesondere zunächst eine Beschädigtengrundrente, betrifft. Mit einer solchen Auslegung, die dem mutmaßlichen Begehren entspricht, ist sichergestellt, dass der Antrag ausreichend bestimmt im Sinne von § 92 Abs. 1 SGG ist.
52 
Die Klage ist aber nicht begründet. Der Klägerin steht der geltend gemachte Anspruch gegen den Beklagten nicht zu, weswegen der ablehnende Bescheid rechtmäßig ist.
53 
Allerdings ist der beklagte Kommunale Sozialverband S. der für die geltend gemachten Leistungsansprüche passiv legitimierte Rechtsträger. Dies ergibt sich aus § 3 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 des Gesetzes über den Kommunalen Sozialverband S. (S.KommSozVG) vom 14. Juli 2005 (SächsGVBl. S. 167, 171) i.V.m. § 7 Abs. 2 Nr. 1 und 3 des sächsischen Gesetzes zur Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes und weiterer sozialer Entschädigungsgesetze (S.DGBVG) vom 29. Januar 2008 (S.GVBl. S. 138, 176). Der Freistaat S. war auch verfassungs- und versorgungsrechtlich befugt, die Ausführung des OEG in dieser Weise von sich auf einen Kommunalverband höherer Ordnung zu übertragen (vgl. Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 15. Dezember 2016 – B 9 V 3/15 R –, juris, Rz. 14; ebenso schon zu einer entsprechenden Regelung in N. BSG, Urteil vom 23. April 2009 - B 9 VG 1/08 R -, juris, Rz. 22 ff.). Der Beklagte ist auch örtlich für die Entschädigung zuständig, da die angeschuldigten Gewalttaten in seinem Bezirk, nämlich auf dem Gebiet des Freistaats S., begangen worden sein sollen (vgl. § 4 Abs. 1 Satz 1 OEG).
54 
Der Anspruch auf Gewährung einer Beschädigtenversorgung besteht jedoch nicht.
55 
Rechtsgrundlage für den Anspruch der Klägerin ist § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG in Verbindung mit § 9 Abs. 1 Nr. 3 Alt. 1, §§ 30 ff. Bundesversorgungsgesetz (BVG). Danach erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG, wer im Geltungsbereich des OEG oder auf einem deutschen Schiff oder Luftfahrzeug infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat. Die Versorgung umfasst die Beschädigtenrente (§§ 29 ff. BVG), insbesondere die Beschädigtengrundrente nach § 30 Abs. 1 und ggf. Abs. 2 BVG (vgl. Urteil des Senats vom 18. Dezember 2014 - L 6 VS 413/13 -, juris, Rz. 42).
56 
Für einen Anspruch auf Beschädigtenversorgung nach dem OEG in Verbindung mit dem BVG sind folgende rechtlichen Grundsätze maßgebend (vgl. BSG, Urteil vom 17. April 2013 - B 9 V 1/12 R -, juris; Urteil des Senats vom 9. November 2017 – L 6 VG 2118/17 –, juris, Rz. 33 ff.):
57 
Ein Versorgungsanspruch setzt zunächst voraus, dass der allgemeine Tatbestand des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG erfüllt ist (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 23. April 2009 - B 9 VG 1/08 R -, juris, Rz. 27 m. w. N). Dieser besteht aus drei Gliedern (tätlicher Angriff, Schädigung und Schädigungsfolgen), die durch einen Ursachenzusammenhang miteinander verbunden sind.
58 
Bei der Auslegung des Begriffs eines rechtswidrigen vorsätzlichen tätlichen Angriffs ist entscheidend auf die Rechtsfeindlichkeit, vor allem verstanden als Feindlichkeit gegen das Strafgesetz, abzustellen; von subjektiven Merkmalen, wie etwa einer kämpferischen, feindseligen Absicht, hat sich die Auslegung insoweit weitestgehend gelöst (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 7. April 2011 - B 9 VG 2/10 R -, juris, Rz. 32 m. w. N.). Dabei sind je nach Fallkonstellation unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt und verschiedene Gesichtspunkte hervorgehoben worden. Leitlinie ist insoweit der sich aus dem Sinn und Zweck des OEG ergebende Gedanke des Opferschutzes. Danach setzt ein tätlicher Angriff grundsätzlich eine unmittelbar auf den Körper eines anderen zielende gewaltsame Einwirkung voraus, wobei die Angriffshandlung in aller Regel den Tatbestand einer - jedenfalls versuchten - vorsätzlichen Straftat gegen das Leben oder die körperliche Unversehrtheit erfüllt (st. Rspr.; vgl. nur BSG, Urteil vom 29. April 2010 - B 9 VG 1/09 R -, juris, Rz. 25 m. w. N.), während die bloße Drohung mit einer wenn auch erheblichen Gewaltanwendung oder Schädigung hierfür nicht ausreicht (vgl. BSG, Urteil vom 16. Dezember 2014 - B 9 V 1/13 R -, juris, Rz. 23 ff.). In Fällen des sexuellen Missbrauchs von Kindern im Sinne von § 176, § 176a StGB hat das BSG den Begriff des tätlichen Angriffes noch weiter verstanden. Danach kommt es nicht darauf an, welche innere Einstellung der Täter zu dem Opfer hatte und wie das Opfer die Tat empfunden hat. Es ist allein entscheidend, dass die Begehensweise, also eine sexuelle Handlung, eine Straftat war (vgl. BSG, Urteil vom 29. April 2010 - B 9 VG 1/09 R -, juris, Rz. 28 m. w. N.). Auch der „gewaltlose“ sexuelle Missbrauch eines Kindes kann demnach ein tätlicher Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG sein (BSG, Urteile vom 18. Oktober 1995 - 9 RVg 4/93 - und - 9 RVg 7/93 -, juris). Diese erweiternde Auslegung des Begriffes des tätlichen Angriffs ist speziell in Fällen eines sexuellen Missbrauchs von Kindern aus Gründen des sozialen und psychischen Schutzes der Opfer unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck des OEG geboten (Urteil des Senats vom 9. November 2017 – L 6 VG 2118/17 –, juris, Rz. 35).
59 
Hinsichtlich der entscheidungserheblichen Tatsachen kennen das soziale Entschädigungsrecht und damit auch das OEG drei Beweismaßstäbe. Grundsätzlich bedürfen die drei Glieder der Kausalkette (schädigender Vorgang, Schädigung und Schädigungsfolgen) des Vollbeweises. Für die Kausalität selbst genügt gemäß § 1 Abs. 3 BVG die Wahrscheinlichkeit. Nach Maßgabe des § 15 Satz 1 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOVVfG), der gemäß § 6 Abs. 3 OEG anzuwenden ist, sind bei der Entscheidung die Angaben der Antragsteller, die sich auf die mit der Schädigung, also insbesondere auch mit dem tätlichen Angriff im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, zugrunde zu legen, wenn sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen.
60 
Für den Vollbeweis muss sich das Gericht die volle Überzeugung vom Vorhandensein oder Nichtvorhandensein einer Tatsache verschaffen. Allerdings verlangt auch der Vollbeweis keine absolute Gewissheit, sondern lässt eine an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit ausreichen. Denn ein darüber hinaus gehender Grad an Gewissheit ist so gut wie nie zu erlangen (vgl. Keller, in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl. 2017, § 128 Rz. 3b m. w. N.). Daraus folgt, dass auch dem Vollbeweis gewisse Zweifel innewohnen können, verbleibende Restzweifel mit anderen Worten bei der Überzeugungsbildung unschädlich sind, solange sie sich nicht zu gewichtigen Zweifeln verdichten (vgl. BSG, Urteil vom 24. November 2010 - B 11 AL 35/09 R -, juris, Rz. 21). Eine Tatsache ist bewiesen, wenn sie in so hohem Grade wahrscheinlich ist, dass alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung zu begründen (vgl. Keller, a. a. O.).
61 
Der Beweisgrad der Wahrscheinlichkeit im Sinne des § 1 Abs. 3 Satz 1 BVG ist dann gegeben, wenn nach der geltenden wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang spricht (vgl. BSG, Beschluss vom 8. August 2001 - B 9 V 23/01 B -, juris, Rz. 4). Diese Definition ist der Fragestellung nach dem wesentlichen ursächlichen Zusammenhang (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 16. Dezember 2014 - B 9 V 6/13 R -, juris, Rz. 18 ff.) angepasst, die nur entweder mit ja oder mit nein beantwortet werden kann. Es muss sich unter Würdigung des Beweisergebnisses ein solcher Grad von Wahrscheinlichkeit ergeben, dass ernste Zweifel hinsichtlich einer anderen Möglichkeit ausscheiden. Für die Wahrscheinlichkeit ist ein „deutliches“ Übergewicht für eine der Möglichkeiten erforderlich. Sie entfällt, wenn eine andere Möglichkeit ebenfalls ernstlich in Betracht kommt.
62 
Bei dem „Glaubhafterscheinen“ im Sinne des § 15 Satz 1 KOVVfG handelt es sich um den dritten, mildesten Beweismaßstab des Sozialrechts. Glaubhaftmachung bedeutet das Dartun einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit (vgl. Keller, a. a. O., Rz. 3d m. w. N.), also der guten Möglichkeit, dass sich der Vorgang so zugetragen hat, wobei durchaus gewisse Zweifel bestehen bleiben können (vgl. BSG, Beschluss vom 8. August 2001 - B 9 V 23/01 B -, juris, Rz. 5). Dieser Beweismaßstab ist durch seine Relativität gekennzeichnet. Es muss nicht, wie bei der Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhanges, absolut mehr für als gegen die glaubhaft zu machende Tatsache sprechen. Es reicht die gute Möglichkeit aus, also es genügt, wenn bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten ist (vgl. Keller, a.a.O.), weil nach der Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Möglichkeit spricht. Von mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Sachverhaltsvarianten muss einer den übrigen gegenüber ein gewisses, aber kein deutliches Übergewicht zukommen. Wie bei den beiden anderen Beweismaßstäben reicht die bloße Möglichkeit einer Tatsache nicht aus, um die Beweisanforderungen zu erfüllen. Das Tatsachengericht ist allerdings mit Blick auf die Freiheit der richterlichen Beweiswürdigung (§ 128 Abs. 1 Satz 1 SGG) im Einzelfall grundsätzlich darin nicht eingeengt, ob es die Beweisanforderungen als erfüllt ansieht (vgl. BSG, Beschluss vom 8. August 2001 - B 9 V 23/01 B -, juris, Rz. 5). Im Rahmen der Glaubhaftmachung nach § 15 Satz 1 KOVVfG sind alle prozessual zulässigen Mittel der Glaubhaftmachung heranzuziehen, also nicht nur die im sozialgerichtlichen Verfahren anerkannten vier Beweismittel, sondern z.B. auch die Angaben des Antragstellers selbst (vgl. § 294 Abs. 1 Zivilprozessordnung [ZPO]).
63 
Sofern der Anspruch des Gewaltopfers auf eine Beschädigtenversorgung gerichtet ist, insbesondere auf eine Grundrente, richtet sich diese nach § 30 Abs. 1 Satz 1 BVG nach dem GdS (bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zur Änderung des BVG und anderer Vorschriften des Sozialen Entschädigungsrechts vom 13. Dezember 2007 [BGBl I S. 2904] am 21. Dezember 2007 als Minderung der Erwerbsfähigkeit [MdE] bezeichnet). Mit diesem Wert werden die allgemeinen Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen, welche durch die als Schädigungsfolge anerkannten körperlichen, geistigen oder seelischen Gesundheitsstörungen bedingt sind, in allen Lebensbereichen – also nicht allein und auch nicht vorrangig im Arbeitsleben – beurteilt. Der GdS ist nach Zehnergraden von 10 bis 100 zu bemessen; ein bis zu fünf Grad geringerer GdS wird vom höheren Zehnergrad mit umfasst (§ 30 Abs. 1 Satz 2 BVG). Beschädigte erhalten gemäß § 31 Abs. 1 BVG eine monatliche Grundrente ab einem GdS von 30. Liegt der GdS unter 25, besteht kein Anspruch auf eine Rentenentschädigung (vgl. Urteil des Senats vom 18. Dezember 2014 - L 6 VS 413/13 -, juris, Rz. 42; Dau, in Knickrehm, a. a. O., § 31 BVG, Rz. 2).
64 
Sofern die geltend gemachte Tat, soweit sie die Ursache der vorhandenen Gesundheitsbeeinträchtigungen darstellt, vor den in § 10a Absatz 1 Satz 1 und Satz 2 OEG genannten Stichtagen erlitten worden ist, hat eine Versorgung weitere Voraussetzungen. Bei diesen beiden Daten handelt es sich um das In-Kraft-Treten des OEG in den Ländern der früheren Bundesrepublik Deutschland einschließlich Berlins (West) am 16. Mai 1976 (Satz 1) bzw. in dem in Art. 3 des Einigungsvertrags genannten Gebiet (die ostdeutschen Länder sowie Ost-Berlin) am 3. Oktober 1990 (Satz 2). In solchen „Altfällen“ erhalten nach der „Härteregelung“ in § 10a Abs. 1 Satz 1 OEG geschädigte Personen nur dann Versorgung, solange sie allein infolge dieser Schädigung schwerbeschädigt und bedürftig sind sowie im Geltungsbereich des OEG ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben. Eine Schwerbeschädigung liegt nach § 31 Abs. 2 BVG vor, wenn ein GdS von mindestens 50 festgestellt ist. Die Voraussetzungen der Bedürftigkeit sind in § 10a Abs. 2 OEG im Einzelnen geregelt. Der Wohnsitz oder gewöhnliche Aufenthalt wird nach § 30 Abs. 3 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) ermittelt.
65 
Im Falle der Klägerin kommt es auf die Anwendbarkeit des § 10a Abs. Satz 2 OEG allerdings nicht an. Bei ihr soll zwar ein Teil der angeschuldigten Taten noch während des Bestehens der DDR, also vor dem 3. Oktober 1990 begangen worden sein, so vor allem die beiden sexuellen Missbräuche in einem Auto 1984/1985 und am Abend vor ihrer Einschulung 1987. Sofern aber ihre Angaben zutreffen, die Missbräuche hätten danach jahrelang angedauert und seien erst 2007 bzw. sogar erst 2008 zu Ende gegangen, ist der größere Teil der Taten bereits in der Bundesrepublik, also unter Geltung des OEG, begangen worden. In einer solchen Situation vieler, lange andauernder Taten bzw. einer fortgesetzten Tat wäre auf den Schwerpunkt der Tatbegehung bzw. auf jenen Teil der Taten abzustellen, der für eine gesundheitliche Schädigung wesentlich verantwortlich ist. Dieser Punkt ist hier aber nicht erheblich. Es muss nicht entschieden werden, welche gesundheitlichen Schäden mit welchem daraus folgenden GdS auf welchen Teil der Taten zurückzuführen ist, da sich der Senat nicht mit dem hierfür notwendigen Beweismaß davon überzeugen kann, dass es die angeschuldigten Taten überhaupt gegeben hat.
66 
Der Senat wendet zu Gunsten der Klägerin hier den abgesenkten Beweismaßstab der Glaubhaftmachung aus § 15 Satz 1 KOVVfG an.
67 
Nach dieser Vorschrift sind die Angaben eines Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, der Entscheidung zugrunde zu legen, wenn Unterlagen nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen oder ohne Verschulden des Antragstellers oder seiner Hinterbliebenen verlorengegangen sind, soweit die Angaben nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen. Diese Beweiserleichterung ist auch dann anwendbar, wenn für den schädigenden Vorgang keine Zeugen vorhanden sind (vgl. BSG, Urteil vom 31. Mai 1989 - 9 RVg 3/89 -, juris, Rz. 12). Nach dem Sinn und Zweck des § 15 Satz 1 KOVVfG sind damit nur Tatzeugen gemeint, die zu den zu beweisenden Tatsachen aus eigener Wahrnehmung Angaben machen können. Personen etwa, die von ihrem gesetzlichen Zeugnisverweigerungsrecht (§ 118 Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. §§ 383 ff. ZPO) Gebrauch gemacht haben, sind dabei nicht als solche Zeugen anzusehen. Denn die Beweisnot des Opfers, auf die sich § 15 Satz 1 KOVVfG bezieht, ist in diesem Fall nicht geringer, als wenn Angreifende unerkannt geblieben oder flüchtig sind (BSG, Urteil vom 17. April 2013 - B 9 V 1/12 R -, juris, Rz. 41 m. w. N.). Ob Entsprechendes bezogen auf eine für die Tatbegehung in Betracht kommende Person gilt, die eine schädigende Handlung bestreitet, und die Beweiserleichterung des § 15 Satz 1 KOVVfG damit auch zur Anwendung gelangt, wenn sich die Aussagen des Opfers und des den behaupteten schädigenden Vorgang bestreitenden vermeintlichen Täters gegenüberstehen sowie unabhängige Tatzeugen nicht vorhanden sind (BSG, a. a. O.), ist zweifelhaft (Bayerisches LSG, Urteil vom 30. April 2015 - L 15 VG 24/09 -, juris, Rz. 61; Urteil des Senats vom 22. September 2016 - L 6 VG 1927/16 -, juris, Rz. 72 f.).
68 
Im Falle der Klägerin kann jedoch offen bleiben, ob die Anwendung des § 15 Satz 1 KOVVfG ausscheidet, weil ihr Vater als der beschuldigte Täter seine Aussage nicht verweigert, sondern umfassend ausgesagt und die Vorwürfe dabei bestritten hat. Auch unter Zugrundelegung des abgesenkten Beweismaßstabs der Glaubhaftmachung kann sich der Senat nicht von den Taten überzeugen. Es besteht allenfalls eine Möglichkeit, aber nicht die auch von § 15 Satz 1 KOVVfG geforderte gute Möglichkeit, dass sich die Ereignisse so abgespielt haben wie sie die Klägerin schildert. Dass nach Einschätzung des Senats diese gute Möglichkeit nicht angenommen werden kann, geht nach den allgemeinen Grundsätzen über die materielle Beweislast - bzw. hier Glaubhaftmachungslast - zum Nachteil für die Klägerin.
69 
Zu dieser Einschätzung gelangt der Senat ohne Einholung eines Glaubhaftigkeitsgutachtens über die Aussagen der Klägerin in diesem Verfahren. Zwar ermittelt das Gericht nach § 103 Satz 1 Halbsatz 1 SGG den Sachverhalt von Amts wegen. Hierzu kann in Ausnahmefällen auch die Erhebung eines aussagepsychologischen Gutachtens über die Glaubhaftigkeit einer Aussage (ggfs. unter Einschluss der Glaubwürdigkeit der Aussageperson) gehören. Grundsätzlich jedoch gehört die Würdigung von Aussagen nicht nur erwachsener, sondern auch kindlicher oder jugendlicher Zeugen und anderer Auskunftspersonen zum Wesen richterlicher Rechtsfindung und ist daher dem Tatrichter anvertraut (vgl. gerade zur Würdigung von Angaben über lange zurückliegende sexuelle Missbräuche Urteil des Senats vom 22. September 2016 – L 6 VG 1927/15 –, juris, Rz. 61). Eine Glaubhaftigkeitsgutachten kommt nur dann in Betracht, wenn dem Gericht ausnahmsweise die Sachkunde für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit fehlt (Bundesgerichtshof [BGH], BGHSt 45, 182; dem folgend Urteil des Senats vom 15. Dezember 2011 - L 6 VG 584/11 -, juris, Rz. 41; nachgehend bestätigend BSG, Beschluss vom 24. Mai 2012 - B 9 V 4/12 B -, juris, Rz. 23). Dies kann der Fall sein, wenn der Sachverhalt oder die Aussageperson Besonderheiten aufweisen, die eine Sachkunde erfordern, die ein Richter normalerweise nicht hat (BGH, Beschlüsse vom 25. April 2006 - 1 StR 579/05 - und vom 22. Juni 2000 - 5 StR 209/00 -; zuletzt S. OLG, Urteil vom 13. Juli 2011 - 1 U 32/08 -, jeweils zit. nach juris). Das ist hier nicht der Fall. An der Aussagetüchtigkeit der Klägerin ist bereits nach den vorausgegangenen strafrechtlichen Befragungen, auch durch den Ermittlungsrichter nicht zu zweifeln, was sich nach dem persönlichen Eindruck von ihr in der mündlichen Verhandlung am 22. Februar 2018 bestätigt hat. Die Klägerin als Aussageperson und der Sachverhalt weisen auch keine Besonderheiten auf, die es ausschlössen, dass der Senat selbst über die Glaubhaftigkeit der Angaben und die Glaubwürdigkeit der Klägerin befinden könnte. Die Fallgestaltung ist für das OEG vielmehr typisch (vgl. zu allem Urteil des Senats vom 26. Februar 2015 – L 6 VG 1832/12 –, juris, Rz. 43). Im sozialgerichtlichen Verfahren besteht auch keine Veranlassung zur Einholung eines solchen Gutachtens, um dem Antragsteller überhaupt erst zu ermöglichen, anspruchsbegründende Tatsachen zu behaupten und sodann gegebenenfalls unter Beweis zu stellen (B. LSG, Urteil vom 26. Januar 2010 - L 15 VG 30/09 -, juris, Rz. 75). Ein Glaubhaftigkeitsgutachten gerade in Fällen wie hier, in denen lange zurückliegende Ereignisse behauptet werden, trägt auch deshalb wenig zu einer Entscheidung bei, weil es in der Regel nur Aussagen darüber ermöglicht, ob sich die Auskunftsperson subjektiv an die geschilderten Ereignisse erinnert, nicht aber darüber, ob jene Ereignisse objektiv stattgefunden haben (vgl. zur Problematik der „false memories“ auch Urteil des Senats vom 23. Juni 2016 – L 6 VG 5048/15 –, juris, Rz. 64). Im Übrigen weist der Senat darauf hin, dass bereits im strafgerichtlichen Verfahren von einer aussagepsychologischen Begutachtung der Klägerin deswegen abgesehen wurde, weil es angesichts der wechselhaften Schilderungen der Ereignisse eine Substantiierung des Erlebnisgehaltes ausscheide (vgl. zu dieser Erwägung BSG, Urteil vom 15.12.2016 - B 9 VG 3/15 R -, juris, Rz. 43). Aus diesen Gründen wäre auch ein Antrag der Klägerin auf Erhebung eines Gutachtens über die Glaubhaftigkeit ihrer Aussage abzulehnen gewesen (vgl. den Rechtsgedanken des § 244 Abs. 4 Satz 1 Strafprozessordnung [StPO]), wenn die Klägerin einen solchen gestellt hätte.
70 
Es erscheint bereits zweifelhaft, dass die Angaben der Klägerin auf eigenen Erinnerungen beruhen, wie es § 15 Satz 1 KOVVfG verlangt. Zwar hat die Klägerin die ersten Missbräuche für ihr fünftes oder sechstes Lebensjahr geschildert, also für eine Zeit, in der das autobiographische Gedächtnis bereits ausgeprägt ist, denn die so genannte „infantile Amnesie“ betrifft in aller Regel lediglich Erinnerungen an die ersten drei Lebensjahre (Urteil des Senats vom 22. September 2016, a. a. O., Rz. 87 m. w. N. und vom 7. Dezember 2017 - L 6 VG 4996/15 -, juris, Rz. 80). Aber es bestehen Hinweise darauf, dass die Klägerin zwischenzeitlich keine Erinnerungen an solche Ereignisse hatte, sondern diese erst später - wieder - entstanden sind. In diese Richtung deuten die Ausführungen der ersten behandelnden Psychotherapeutin L. in ihrem Bericht vom 30. August 2007. Darin war ausgeführt, die Klägerin habe zu Beginn der Therapie - nur - ihren Vater als cholerisch und ihre Mutter als „genervt“ geschildert. Erst in den „kommenden Sitzungen“ sei langsam und mühsam das Ausmaß der Probleme deutlich geworden, als die Klägerin von sexuellen Missbräuchen durch Cousin, Großvater, Bruder und einen Kollegen des Vaters berichtet habe. Dieser Ablauf könnte darauf hindeuten, dass die behaupteten Erinnerungen im Rahmen einer Traumatherapie erst nachträglich entstanden sind, sei es spontan, sei es durch Selbst- oder Fremdsuggestion (vgl. zu dieser Problematik Urteil des Senats vom 9. November 2017 – L 6 VG 2118/17 –, juris, Rz. 44).
71 
Diesen Punkt lässt der Senat jedoch offen. Es liegen andere Umstände vor, die hier eine Glaubhaftmachung im Sinne des § 15 Satz 1 KOVVfG ausschließen.
72 
Zunächst spricht die Genese der Angaben der Klägerin dagegen, dass es sich um wirklichkeitsbasierte Erinnerungen handelt.
73 
Generell gilt, dass eher von einer - objektiv zutreffenden - Erinnerung auszugehen ist, wenn die Schilderungen über einen längeren Zeitraum konstant bleiben, während Geschehensabläufe, die sich nicht zugetragen haben, an die aber subjektiv ein Gedächtnisinhalt besteht, im Laufe der Zeit eher ausufernd beschrieben werden (vgl. LSG R., Urteil vom 19. August 2015 - L 4 VG 5/13 -, juris, Rz. 28; Urteil des Senats vom 22. September 2016 - L 6 VG 1927/15 -, juris, Rz. 90; Rademacker, in Knickrehm, a.a.O., § 1 OEG Rz. 49 m. w. N.; generell zur Konsistenz mit früheren Aussagen auch Schneider, Beweis und Beweiswürdigung, 5. Aufl. 1994, Rz. 1101).
74 
Die Klägerin hat zwar - wie ausgeführt - bereits 2006 sexuelle Missbräuche angegeben. Jedoch hat sie insoweit in der Therapie bei Frau L. Missbräuche durch ihren Cousin ab ihrem 7. Lebensjahr, durch ihren angeblich alkoholkranken Großvater ab ihrem 13. Lebensjahr und durch ihren Bruder ab etwa einem Jahr später sowie durch einen „Kollegen“ des Vaters - dies nicht näher umschrieben - angegeben. Auch bei der kurzen Begutachtung bei Frau M. im Betreuungsverfahren (Juni 2007) hat sie nur einen Missbrauch durch den Bruder erwähnt bzw. sogar nur angedeutet, während sie ihre Eltern eher der unterlassenen Hilfeleistung beschuldigt hat („die Eltern fangen dann an, rumzuschreien. Sonst gibt es niemanden, der hilft“). Die Taten durch den Vater selbst, die die Klägerin im ganzen weiteren Ablauf der Verfahren in den Vordergrund gerückt hat, hat sie damals dagegen nicht erwähnt. Von den Vorwürfen gegen Cousin, Großvater und Bruder ist sie dann außerdem in den folgenden Jahren mehr und mehr abgerückt. Bereits im Strafverfahren wollte sie hierzu nichts mehr sagen, ohne dass ein nachvollziehbarer Grund dafür erkennbar wäre. Und auch nachdem sie ihren Vater nach ihrer Strafanzeige als Haupttäter beschuldigt hatte, obwohl die zeitnahen Tagebücher, die strafrechtlich ausgewertet wurden, keine Hinweise darauf gaben, haben sich ihre Angaben mehr und mehr aufgebauscht, während sie andere Teile nicht konsistent und konstant schildern konnte. Soweit sie bei den polizeilichen Vernehmungen in K. am 29. Dezember 2009 und im Frühjahr 2010 noch detailliertere Angaben zu einzelnen Taten gemacht hat, so insbesondere erstmals die Missbräuche im Auto auf der Fahrt zur Mutter in ein Krankenhaus in den Jahren 1984/1985 und im Ehebett vor ihrer Einschulung 1987 geschildert hat, konnte sie bei der richterlichen Vernehmung in Dresden am 5. Juli 2010 wesentliche Teile dieser Aussagen nicht wiedergeben und ist in einigen Punkten - allerdings eher Randumständen wie der Frage nach den Gründen für das Stehenbleiben des Autos und nach dem Verbleib der Nachtwäsche - von ihren vorherigen Angaben abgewichen. Dafür hat die Klägerin jetzt, bei der richterlichen Vernehmung, einen weiteren konkreten Vorfall geschildert, nämlich die Schläge bzw. Tritte ihres Vaters in ihren Unterleib und die danach folgende Fehlgeburt in der Badewanne, bei der sie 14 oder 15 Jahre alt gewesen sei. Es wäre zu erwarten, dass ein so einschneidendes Erlebnis, wenn es eine wirklichkeitsbasierte Erinnerung ist, von Anfang an geschildert wird.
75 
Gegen die Glaubhaftigkeit der Angaben der Klägerin spricht auch, dass einige ihrer Angaben, die sie zu anderen Umständen im Umfeld des Missbrauchs und der Gewalttaten durch ihren Vater gemacht hat, als widerlegt gelten müssen.
76 
Ihre Angaben, ihr Vater habe sie als Kleinkind an die innerdeutsche Grenze mitgenommen und an der Erschießung eines Flüchtlings mitwirken lassen, erscheint wie schon der Staatsanwaltschaft D. auch dem Senat abwegig. Lebensfern und wenig glaubwürdig klingen auch ihre Angaben, sie sei mehrfach schwanger geworden und dann von ihrem Vater bzw. anderen Männer gegen ihren Willen nach Tschechien oder Polen gebracht worden, wo Abtreibungen vorgenommen worden seien. Der Senat verkennt aber nicht, dass diese Aussage nicht direkt von der Klägerin selbst stammt, sondern von Dr. B., die bei ihrer Zeugenvernehmung vor dem Ermittlungsrichter in D. dies als Erzählungen der Klägerin aus den Therapiegesprächen wiedergegeben hat. Das Gleiche gilt aber auch von den Angaben zu der Fehlgeburt mit 14 oder 15, die die Klägerin selbst gemacht hat.
77 
Als vollständig widerlegt sieht der Senat die ausufernden Behauptungen der Klägerin zu den mehreren Suiziden, Drogentoten und Verkehrsunfällen an, die in Kindheit und Jugend Freundinnen und Freunde von ihr erlitten hätten und bei denen sie jeweils dabei gewesen sei. Weder konnte die Kriminalpolizei in D. diese Vorfälle, obwohl die Klägerin die Namen genannt hatte, bei ihren Recherchen bestätigen, noch konnte sich die damals, ab 1990 schon beschäftigte Lehrerin, Frau V., an diese Kinder oder diese Vorfälle erinnern. Der Senat ist aber davon überzeugt, dass solche Todesfälle von Kindern anfangs der 1990er Jahre in D. von der Polizei dokumentiert worden wären und bei den Recherchen im Jahre 2010 also hätten bestätigt werden müssen.
78 
Zu dem Versuch ihres Vaters, sie Ende 2007 in dem Frauenhaus in K. zu treffen, hatte die Klägerin angegeben, ihr Vater habe ihr erzählt, die fragliche Anschrift vom Einwohnermeldeamt in D. erhalten zu haben; zutreffen dürfte dagegen die Aussage des Vaters, er habe erst in K. von der Adresse erfahren, denn das Einwohnermeldeamt hatte damals bereits eine Auskunftssperre vorliegen, wie es der Polizei mitgeteilt hat.
79 
Einen derartigen Widerspruch zeigen auch die jüngsten Angaben der Klägerin, die sie in der Behandlung bei ihrer neuen Therapeutin Dr. H. gemacht hat. Wie diese Therapeutin in ihrem Attest vom 19. Januar angibt, hat die Klägerin ihr gegenüber unter anderem bekundet, sie habe ab ihrem 12. Lebensjahr nichts mehr gegessen und sei stark abgemagert, weswegen sie auch stationär behandelt worden sei, und erst mit 24 Jahren habe sie wieder zugenommen. Dass diese Angabe nicht zutrifft, ergibt sich bereits aus den Untersuchungsberichten über die Klägerin in den Akten des Kinder- und Jugendärztlichen Dienstes der Landeshauptstadt D., die der Senat kurzfristig beigezogen hatte. Dort war nicht nur bei den Untersuchungen 1990 und 1992 eine Adipositas genannt, sondern auch noch bei der Reihenuntersuchung 1995 - also im 16. Lebensjahr der Klägerin. Ein stationärer Krankenhausaufenthalt wegen einer starken Abmagerung mit dem 12. Lebensjahr ist im Übrigen weder in diesen Unterlagen noch in dem Sozialversicherungs- und Impfausweis der DDR verzeichnet, den die Klägerin zur Akte gereicht hat.
80 
Die Ergebnisse der Vernehmung des Vaters und der Mutter der Klägerin als Zeugen, die auch im Rahmen einer Glaubhaftmachung nach § 15 Satz 1 KOVVfG zu berücksichtigen sind (vgl. § 294 Abs. 1 ZPO), stützen die Angaben der Klägerin nicht.
81 
Was das Kerngeschehen angeht, also die angeschuldigten gewalttätigen Angriffe, war die Beweisaufnahme aus Sicht der Klägerin unergiebig. Ihr Vater hat die Beschuldigungen bestritten, die Mutter, die nach Einschätzung des Senats einen Jahre bzw. Jahrzehnte andauernden Missbrauch ihrer Tochter innerhalb einer Wohnung bzw. eines normal großen Einfamilienhauses sicher hätte mitbekommen müssen, hat ebenfalls bekundet, nichts bemerkt zu haben. Dabei kommt es nicht darauf an, ob diese Zeugenaussagen ihrerseits glaubhaft sind. Wenn eine Beweiserhebung zu Ungunsten des (materiell) beweisbelasteten Beteiligten ausgeht, ist nicht etwa das Gegenteil erwiesen - bzw. hier glaubhaft gemacht -, sondern es tritt ein „non liquet“ ein. Daher weist der Senat nur darauf hin, dass die Aussagen der beiden Zeugen nicht per se unglaubwürdig waren. Dies gilt auch für die Aussage ihres Vaters, er habe erst durch das Strafverfahren von dem Vorwurf des sexuellen Missbrauchs erfahren. In der Tat hatte der Zeuge K. über den damals agierenden Rechtsanwalt G. bereits 2007 Einsicht in die Akte des Betreuungsverfahrens gewonnen und ihm war auch das Attest der ersten behandelnden Psychiaterin L. zur Kenntnis gelangt, wobei die genauen Umstände dieser Kenntniserlangung dubios geblieben sind. Aber damals hatte die Klägerin, wie ausgeführt, ihren Vater noch nicht eines Jahre andauernden sexuellen Missbrauchs beschuldigt, sondern lediglich ihren Cousin, ihren Bruder, Großvater und einen Freund des Vaters einzelner Taten. Auch die Stellungnahme des Vaters vom 31. August 2007 in dem damaligen Betreuungsverfahren, in welcher dieser - ebenfalls nicht völlig aufklärbar - im Detail auf Schilderungen der Klägerin eingeht, die sich so gar nicht in jener Akte finden, betrifft nicht Vorwürfe sexuellen Missbrauchs durch ihn, sondern allein solche gegen den Cousin der Klägerin (Ziffer 6 der Stellungnahme).
82 
Die Aussagen der Zeugen haben dagegen weitere Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Angaben der Klägerin begründet. Dies betrifft z.B. die erste angeschuldigte Tat, die die Klägerin mit vier oder fünf Jahren im Auto der Familie erlitten haben will, während nach den übereinstimmenden Angaben beider Eltern die Familie damals noch gar kein Auto hatte. Ebenso hat z.B. die Mutter als Zeugin bestritten, jemals blutverschmierte Nachtwäsche wahrgenommen oder den Verlust von Nachtwäsche bemerkt zu haben.
83 
Ferner spricht nach Ansicht des Senats auch das Verhalten der Klägerin bei ihrem Auszug aus dem elterlichen Haus und dem Umzug nach K. und in den Jahren danach dagegen, dass sie Opfer der geltend gemachten Gewalttaten geworden ist.
84 
Der Abschiedsbrief bzw. die beiden Briefe, die sie bei ihrem Auszug in D. zurückgelassen hatte, gehen nicht nur mit keinem Wort auf solche Taten ein, sondern die Klägerin bedankt sich darin mehrfach, drückt ihre Liebe zu ihren Eltern aus und bittet eher um Entschuldigung wegen der Umstände, die sie mache. Mehrfach ist die Klägerin in den folgenden Monaten und Jahren zurück in D. gewesen, wobei sie nach ihren Angaben 2007 und 2008 noch je einmal Opfer sexuellen Missbrauchs (bzw. eines Versuchs) geworden sei. Der Verdacht, ihr Vater habe sie mit Gewalt oder unter Drohungen zurück nach Dresden gelockt, hat sich nicht bestätigt. Nach Aktenlage drei Mal zwischen dem 29. August 2007 und dem 23. Dezember 2008 wurden von K. aus Anzeigen wegen des Verdachts auf Entführung gestellt, wobei sich dieser Verdacht nicht bewahrheitet hat, vielmehr hatte die D. Polizei bei dem Einsatz am 16. April 2008 festgestellt, dass sich die Klägerin freiwillig bei ihren Eltern aufhielt und keine Anzeichen für Gewalttätigkeiten oder sexuellen Missbrauch vorlagen. Die Klägerin hat auch nicht den Angaben ihrer Eltern widersprochen, es habe noch in den Jahren 2007 und 2008 über die genannten Besuche hinaus gemeinsame Urlaubsreisen gegeben, darunter sogar nach Venezuela. Es ist schwer vorstellbar, dass die Klägerin mit ihren Eltern solche Reisen unternommen hätte, nachdem sie sich aus dem Elternhaus gelöst hatte und allein lebte, wenn die vorgeworfenen Taten zuträfen. Der Senat würdigt auch die E-Mails der Klägerin an ihre Eltern und ihren Bruder, die ihr Vater am 23. März 2010 als Ausdrucke der Polizei übergeben hatte und in denen die Klägerin ausführte, sie habe „einen Fehler gemacht“ - dies kann sich nur auf die aktuell gestellte Strafanzeige beziehen - und bitte um Entschuldigung. In die gleiche Richtung deutet auch die E-Mail, welche die Klägerin - Jahre später - kurz vor ihrer Anhörung vor dem Berichterstatter des Senats im Juli 2017 an ihre Eltern geschickt hatte. Diese E-Mail enthält keine Vorwürfe, sondern eher die Bitte um Entschuldigung und die Aussage, die „Unannehmlichkeiten“ - hier die Ladung zur Zeugenvernehmung - habe sie, die Klägerin, verursacht.
85 
Auch weitere Umstände nach dem Wegzug aus D. deuten nicht eindeutig auf traumatische Erlebnisse der Klägerin hin. Selbst das Annäherungsverbot, das die Klägerin im Jahre 2009 beim AG K. gegen ihren Vater erwirkt hat, war nicht auf die hier erhobenen Vorwürfe gestützt, sondern auf die anscheinend unternommenen Versuche der Eltern, die Klägerin aus dem Einflussbereich ihrer Freundin und der „Betreuerin“ Dr. B. herauszulösen sowie wieder nach Hause zu bringen. Diese Versuche haben die Eltern nicht bestritten, nur die Gründe und die konkreten Umstände dieser Versuche schildern Klägerin und Zeugen unterschiedlich.
86 
Weiterhin konnten aus den beigezogenen Akten des Kinder- und Jugendärztlichen Dienstes aus D. keine Hinweise oder Anhaltspunkte für Verletzungen entnommen werden, die den Vortrag der Klägerin in irgendeiner Weise gestützt hätten. Auch die weiteren Beweiserhebungen durch den Senat waren unergiebig, darunter die schriftliche Vernehmung der benannten damaligen Ärztin Dr. K.. Ebenso haben die beigezogenen Akten des Insolvenzverfahrens nur belegt, dass die Klägerin anscheinend tatsächlich von ihrem Vater als Strohfrau eingesetzt und von ihm veranlasst, vielleicht auch genötigt worden ist, ein Unternehmen zu gründen, um die Geschäfte früherer Unternehmen des Vaters, die offenkundig insolvent geworden waren, weiterzuführen. Der Zeuge K. hat bei seiner Vernehmung zu diesem Punkt selbst eingeräumt, faktisch habe er das Unternehmen seiner Tochter geführt. Diese familiären Ereignisse sind ungewöhnlich, belegen aber weder Gewalttätigkeiten noch sexuellen Missbrauch.
87 
Der Senat sieht nach diesen Ermittlungen keine weiteren Ansätze mehr, mit denen die Angaben der Klägerin verifiziert oder zumindest gestützt werden könnten. Die weiteren benannten Zeugen, vor allem die als Fußballtrainerin tätige Mutter ihrer Schulfreundin - die nicht ladungsfähig bezeichnet worden ist - und die beiden namentlich benannten Schulfreunde, haben auch nach den Angaben der Klägerin selbst nicht die Taten gesehen, sondern nur Verletzungen. Woher solche Verletzungen damals gestammt haben könnten, kann sich aus ihren Aussagen nicht ergeben. Zu der einen Platzwunde am Auge, derentwegen die Klägerin damals in einer Klinik behandelt worden war, hat sie nach ihrer Anhörung im Juli 2017 selbst eingeräumt, sie sei bei einer Rangelei mit dem Bruder entstanden. Die übrigen Personen, die nach den Angaben der Klägerin damals Verletzungen hätten sehen können, konnte sie nicht namentlich benennen. Dies gilt für den Notarzt, der angeblich einmal in der Wohnung war. Und ob die Zahnärztin, bei der die Klägerin nach dem Schlag mit der Eisenstange oder der Müslischale in Behandlung gewesen sei, die vom Senat ermittelte M. war, konnte sie bei ihrer Anhörung nicht bestätigen.
88 
Insgesamt wirkt das Verhalten der Klägerin in den Jahren nach dem Auszug ebenso wie ihre Aussagen so widersprüchlich und sprunghaft, dass nicht von Glaubhaftigkeit ausgegangen werden kann. Möglicherweise trifft die von Dr. B. gestellte Diagnose zu, auf die auch die Staatsanwaltschaft D. in der Einstellungsverfügung vom 9. Februar 2011 hingewiesen hat. Wenn die Klägerin an einer dissoziativen Identitätsstörung leidet, bei der die Wahrnehmung, die Erinnerung und das Erleben der eigenen Identität gestört sind, würde dies erklären, dass sie immer wieder engen Kontakt zu ihren Eltern sucht und ihnen liebevolle Briefe und E-Mails schreibt und dann unvermittelt gewaltschutz- oder strafrechtlich gegen sie vorgeht. Denkbar ist aber auch, dass die Klägerin von Dritten gesteuert wird. Auch hierfür gibt es Hinweise, z.B. ihre Ausführungen in der E-Mail an ihre Eltern vor dem Erörterungstermin am 18. Juli 2017, sie müsse das so sagen und ihr sei für eine Woche ihr Handy abgenommen worden.
89 
Da demnach bereits die für Ansprüche nach dem OEG notwendige Gewalttat nicht anzunehmen ist, kommt es nicht darauf an, ob und ggfs. an welchen Erkrankungen die Klägerin leidet und ob diese auf die angeschuldigten Taten zurückgeführt werden können.
90 
Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens beruht auf § 193 SGG.
91 
Gründe für eine Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.

Gründe

 
50 
Die Berufung der Klägerin ist nach § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft, insbesondere war sie nicht nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG zulassungsbedürftig, da die Klägerin laufende Sozialleistungen für mehr als ein Jahr begehrt (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG). Sie ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere hat sie die Klägerin am 1. September 2016 gemäß § 151 Abs. 1 SGG binnen eines Monats ab der Zustellung der vollständig abgefassten Entscheidung des SG am 1. August 2016 beim LSG erhoben. Die Berufung ist aber nicht begründet. Zu Recht hat das SG die Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 Var. 1, Abs. 4 SGG) abgewiesen.
51 
Die Klage ist zwar zulässig. Insbesondere hat der Beklagte in dem angegriffenen Bescheid über den geltend gemachten Anspruch entschieden und insoweit auch das nach § 78 Abs. 1 SGG notwendige Vorverfahren durchgeführt. Hierbei geht der Senat davon aus, dass der Antrag der Klägerin auf „Versorgung“ eine Beschädigtenversorgung, insbesondere zunächst eine Beschädigtengrundrente, betrifft. Mit einer solchen Auslegung, die dem mutmaßlichen Begehren entspricht, ist sichergestellt, dass der Antrag ausreichend bestimmt im Sinne von § 92 Abs. 1 SGG ist.
52 
Die Klage ist aber nicht begründet. Der Klägerin steht der geltend gemachte Anspruch gegen den Beklagten nicht zu, weswegen der ablehnende Bescheid rechtmäßig ist.
53 
Allerdings ist der beklagte Kommunale Sozialverband S. der für die geltend gemachten Leistungsansprüche passiv legitimierte Rechtsträger. Dies ergibt sich aus § 3 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 des Gesetzes über den Kommunalen Sozialverband S. (S.KommSozVG) vom 14. Juli 2005 (SächsGVBl. S. 167, 171) i.V.m. § 7 Abs. 2 Nr. 1 und 3 des sächsischen Gesetzes zur Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes und weiterer sozialer Entschädigungsgesetze (S.DGBVG) vom 29. Januar 2008 (S.GVBl. S. 138, 176). Der Freistaat S. war auch verfassungs- und versorgungsrechtlich befugt, die Ausführung des OEG in dieser Weise von sich auf einen Kommunalverband höherer Ordnung zu übertragen (vgl. Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 15. Dezember 2016 – B 9 V 3/15 R –, juris, Rz. 14; ebenso schon zu einer entsprechenden Regelung in N. BSG, Urteil vom 23. April 2009 - B 9 VG 1/08 R -, juris, Rz. 22 ff.). Der Beklagte ist auch örtlich für die Entschädigung zuständig, da die angeschuldigten Gewalttaten in seinem Bezirk, nämlich auf dem Gebiet des Freistaats S., begangen worden sein sollen (vgl. § 4 Abs. 1 Satz 1 OEG).
54 
Der Anspruch auf Gewährung einer Beschädigtenversorgung besteht jedoch nicht.
55 
Rechtsgrundlage für den Anspruch der Klägerin ist § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG in Verbindung mit § 9 Abs. 1 Nr. 3 Alt. 1, §§ 30 ff. Bundesversorgungsgesetz (BVG). Danach erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG, wer im Geltungsbereich des OEG oder auf einem deutschen Schiff oder Luftfahrzeug infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat. Die Versorgung umfasst die Beschädigtenrente (§§ 29 ff. BVG), insbesondere die Beschädigtengrundrente nach § 30 Abs. 1 und ggf. Abs. 2 BVG (vgl. Urteil des Senats vom 18. Dezember 2014 - L 6 VS 413/13 -, juris, Rz. 42).
56 
Für einen Anspruch auf Beschädigtenversorgung nach dem OEG in Verbindung mit dem BVG sind folgende rechtlichen Grundsätze maßgebend (vgl. BSG, Urteil vom 17. April 2013 - B 9 V 1/12 R -, juris; Urteil des Senats vom 9. November 2017 – L 6 VG 2118/17 –, juris, Rz. 33 ff.):
57 
Ein Versorgungsanspruch setzt zunächst voraus, dass der allgemeine Tatbestand des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG erfüllt ist (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 23. April 2009 - B 9 VG 1/08 R -, juris, Rz. 27 m. w. N). Dieser besteht aus drei Gliedern (tätlicher Angriff, Schädigung und Schädigungsfolgen), die durch einen Ursachenzusammenhang miteinander verbunden sind.
58 
Bei der Auslegung des Begriffs eines rechtswidrigen vorsätzlichen tätlichen Angriffs ist entscheidend auf die Rechtsfeindlichkeit, vor allem verstanden als Feindlichkeit gegen das Strafgesetz, abzustellen; von subjektiven Merkmalen, wie etwa einer kämpferischen, feindseligen Absicht, hat sich die Auslegung insoweit weitestgehend gelöst (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 7. April 2011 - B 9 VG 2/10 R -, juris, Rz. 32 m. w. N.). Dabei sind je nach Fallkonstellation unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt und verschiedene Gesichtspunkte hervorgehoben worden. Leitlinie ist insoweit der sich aus dem Sinn und Zweck des OEG ergebende Gedanke des Opferschutzes. Danach setzt ein tätlicher Angriff grundsätzlich eine unmittelbar auf den Körper eines anderen zielende gewaltsame Einwirkung voraus, wobei die Angriffshandlung in aller Regel den Tatbestand einer - jedenfalls versuchten - vorsätzlichen Straftat gegen das Leben oder die körperliche Unversehrtheit erfüllt (st. Rspr.; vgl. nur BSG, Urteil vom 29. April 2010 - B 9 VG 1/09 R -, juris, Rz. 25 m. w. N.), während die bloße Drohung mit einer wenn auch erheblichen Gewaltanwendung oder Schädigung hierfür nicht ausreicht (vgl. BSG, Urteil vom 16. Dezember 2014 - B 9 V 1/13 R -, juris, Rz. 23 ff.). In Fällen des sexuellen Missbrauchs von Kindern im Sinne von § 176, § 176a StGB hat das BSG den Begriff des tätlichen Angriffes noch weiter verstanden. Danach kommt es nicht darauf an, welche innere Einstellung der Täter zu dem Opfer hatte und wie das Opfer die Tat empfunden hat. Es ist allein entscheidend, dass die Begehensweise, also eine sexuelle Handlung, eine Straftat war (vgl. BSG, Urteil vom 29. April 2010 - B 9 VG 1/09 R -, juris, Rz. 28 m. w. N.). Auch der „gewaltlose“ sexuelle Missbrauch eines Kindes kann demnach ein tätlicher Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG sein (BSG, Urteile vom 18. Oktober 1995 - 9 RVg 4/93 - und - 9 RVg 7/93 -, juris). Diese erweiternde Auslegung des Begriffes des tätlichen Angriffs ist speziell in Fällen eines sexuellen Missbrauchs von Kindern aus Gründen des sozialen und psychischen Schutzes der Opfer unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck des OEG geboten (Urteil des Senats vom 9. November 2017 – L 6 VG 2118/17 –, juris, Rz. 35).
59 
Hinsichtlich der entscheidungserheblichen Tatsachen kennen das soziale Entschädigungsrecht und damit auch das OEG drei Beweismaßstäbe. Grundsätzlich bedürfen die drei Glieder der Kausalkette (schädigender Vorgang, Schädigung und Schädigungsfolgen) des Vollbeweises. Für die Kausalität selbst genügt gemäß § 1 Abs. 3 BVG die Wahrscheinlichkeit. Nach Maßgabe des § 15 Satz 1 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOVVfG), der gemäß § 6 Abs. 3 OEG anzuwenden ist, sind bei der Entscheidung die Angaben der Antragsteller, die sich auf die mit der Schädigung, also insbesondere auch mit dem tätlichen Angriff im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, zugrunde zu legen, wenn sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen.
60 
Für den Vollbeweis muss sich das Gericht die volle Überzeugung vom Vorhandensein oder Nichtvorhandensein einer Tatsache verschaffen. Allerdings verlangt auch der Vollbeweis keine absolute Gewissheit, sondern lässt eine an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit ausreichen. Denn ein darüber hinaus gehender Grad an Gewissheit ist so gut wie nie zu erlangen (vgl. Keller, in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl. 2017, § 128 Rz. 3b m. w. N.). Daraus folgt, dass auch dem Vollbeweis gewisse Zweifel innewohnen können, verbleibende Restzweifel mit anderen Worten bei der Überzeugungsbildung unschädlich sind, solange sie sich nicht zu gewichtigen Zweifeln verdichten (vgl. BSG, Urteil vom 24. November 2010 - B 11 AL 35/09 R -, juris, Rz. 21). Eine Tatsache ist bewiesen, wenn sie in so hohem Grade wahrscheinlich ist, dass alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung zu begründen (vgl. Keller, a. a. O.).
61 
Der Beweisgrad der Wahrscheinlichkeit im Sinne des § 1 Abs. 3 Satz 1 BVG ist dann gegeben, wenn nach der geltenden wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang spricht (vgl. BSG, Beschluss vom 8. August 2001 - B 9 V 23/01 B -, juris, Rz. 4). Diese Definition ist der Fragestellung nach dem wesentlichen ursächlichen Zusammenhang (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 16. Dezember 2014 - B 9 V 6/13 R -, juris, Rz. 18 ff.) angepasst, die nur entweder mit ja oder mit nein beantwortet werden kann. Es muss sich unter Würdigung des Beweisergebnisses ein solcher Grad von Wahrscheinlichkeit ergeben, dass ernste Zweifel hinsichtlich einer anderen Möglichkeit ausscheiden. Für die Wahrscheinlichkeit ist ein „deutliches“ Übergewicht für eine der Möglichkeiten erforderlich. Sie entfällt, wenn eine andere Möglichkeit ebenfalls ernstlich in Betracht kommt.
62 
Bei dem „Glaubhafterscheinen“ im Sinne des § 15 Satz 1 KOVVfG handelt es sich um den dritten, mildesten Beweismaßstab des Sozialrechts. Glaubhaftmachung bedeutet das Dartun einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit (vgl. Keller, a. a. O., Rz. 3d m. w. N.), also der guten Möglichkeit, dass sich der Vorgang so zugetragen hat, wobei durchaus gewisse Zweifel bestehen bleiben können (vgl. BSG, Beschluss vom 8. August 2001 - B 9 V 23/01 B -, juris, Rz. 5). Dieser Beweismaßstab ist durch seine Relativität gekennzeichnet. Es muss nicht, wie bei der Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhanges, absolut mehr für als gegen die glaubhaft zu machende Tatsache sprechen. Es reicht die gute Möglichkeit aus, also es genügt, wenn bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten ist (vgl. Keller, a.a.O.), weil nach der Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Möglichkeit spricht. Von mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Sachverhaltsvarianten muss einer den übrigen gegenüber ein gewisses, aber kein deutliches Übergewicht zukommen. Wie bei den beiden anderen Beweismaßstäben reicht die bloße Möglichkeit einer Tatsache nicht aus, um die Beweisanforderungen zu erfüllen. Das Tatsachengericht ist allerdings mit Blick auf die Freiheit der richterlichen Beweiswürdigung (§ 128 Abs. 1 Satz 1 SGG) im Einzelfall grundsätzlich darin nicht eingeengt, ob es die Beweisanforderungen als erfüllt ansieht (vgl. BSG, Beschluss vom 8. August 2001 - B 9 V 23/01 B -, juris, Rz. 5). Im Rahmen der Glaubhaftmachung nach § 15 Satz 1 KOVVfG sind alle prozessual zulässigen Mittel der Glaubhaftmachung heranzuziehen, also nicht nur die im sozialgerichtlichen Verfahren anerkannten vier Beweismittel, sondern z.B. auch die Angaben des Antragstellers selbst (vgl. § 294 Abs. 1 Zivilprozessordnung [ZPO]).
63 
Sofern der Anspruch des Gewaltopfers auf eine Beschädigtenversorgung gerichtet ist, insbesondere auf eine Grundrente, richtet sich diese nach § 30 Abs. 1 Satz 1 BVG nach dem GdS (bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zur Änderung des BVG und anderer Vorschriften des Sozialen Entschädigungsrechts vom 13. Dezember 2007 [BGBl I S. 2904] am 21. Dezember 2007 als Minderung der Erwerbsfähigkeit [MdE] bezeichnet). Mit diesem Wert werden die allgemeinen Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen, welche durch die als Schädigungsfolge anerkannten körperlichen, geistigen oder seelischen Gesundheitsstörungen bedingt sind, in allen Lebensbereichen – also nicht allein und auch nicht vorrangig im Arbeitsleben – beurteilt. Der GdS ist nach Zehnergraden von 10 bis 100 zu bemessen; ein bis zu fünf Grad geringerer GdS wird vom höheren Zehnergrad mit umfasst (§ 30 Abs. 1 Satz 2 BVG). Beschädigte erhalten gemäß § 31 Abs. 1 BVG eine monatliche Grundrente ab einem GdS von 30. Liegt der GdS unter 25, besteht kein Anspruch auf eine Rentenentschädigung (vgl. Urteil des Senats vom 18. Dezember 2014 - L 6 VS 413/13 -, juris, Rz. 42; Dau, in Knickrehm, a. a. O., § 31 BVG, Rz. 2).
64 
Sofern die geltend gemachte Tat, soweit sie die Ursache der vorhandenen Gesundheitsbeeinträchtigungen darstellt, vor den in § 10a Absatz 1 Satz 1 und Satz 2 OEG genannten Stichtagen erlitten worden ist, hat eine Versorgung weitere Voraussetzungen. Bei diesen beiden Daten handelt es sich um das In-Kraft-Treten des OEG in den Ländern der früheren Bundesrepublik Deutschland einschließlich Berlins (West) am 16. Mai 1976 (Satz 1) bzw. in dem in Art. 3 des Einigungsvertrags genannten Gebiet (die ostdeutschen Länder sowie Ost-Berlin) am 3. Oktober 1990 (Satz 2). In solchen „Altfällen“ erhalten nach der „Härteregelung“ in § 10a Abs. 1 Satz 1 OEG geschädigte Personen nur dann Versorgung, solange sie allein infolge dieser Schädigung schwerbeschädigt und bedürftig sind sowie im Geltungsbereich des OEG ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben. Eine Schwerbeschädigung liegt nach § 31 Abs. 2 BVG vor, wenn ein GdS von mindestens 50 festgestellt ist. Die Voraussetzungen der Bedürftigkeit sind in § 10a Abs. 2 OEG im Einzelnen geregelt. Der Wohnsitz oder gewöhnliche Aufenthalt wird nach § 30 Abs. 3 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) ermittelt.
65 
Im Falle der Klägerin kommt es auf die Anwendbarkeit des § 10a Abs. Satz 2 OEG allerdings nicht an. Bei ihr soll zwar ein Teil der angeschuldigten Taten noch während des Bestehens der DDR, also vor dem 3. Oktober 1990 begangen worden sein, so vor allem die beiden sexuellen Missbräuche in einem Auto 1984/1985 und am Abend vor ihrer Einschulung 1987. Sofern aber ihre Angaben zutreffen, die Missbräuche hätten danach jahrelang angedauert und seien erst 2007 bzw. sogar erst 2008 zu Ende gegangen, ist der größere Teil der Taten bereits in der Bundesrepublik, also unter Geltung des OEG, begangen worden. In einer solchen Situation vieler, lange andauernder Taten bzw. einer fortgesetzten Tat wäre auf den Schwerpunkt der Tatbegehung bzw. auf jenen Teil der Taten abzustellen, der für eine gesundheitliche Schädigung wesentlich verantwortlich ist. Dieser Punkt ist hier aber nicht erheblich. Es muss nicht entschieden werden, welche gesundheitlichen Schäden mit welchem daraus folgenden GdS auf welchen Teil der Taten zurückzuführen ist, da sich der Senat nicht mit dem hierfür notwendigen Beweismaß davon überzeugen kann, dass es die angeschuldigten Taten überhaupt gegeben hat.
66 
Der Senat wendet zu Gunsten der Klägerin hier den abgesenkten Beweismaßstab der Glaubhaftmachung aus § 15 Satz 1 KOVVfG an.
67 
Nach dieser Vorschrift sind die Angaben eines Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, der Entscheidung zugrunde zu legen, wenn Unterlagen nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen oder ohne Verschulden des Antragstellers oder seiner Hinterbliebenen verlorengegangen sind, soweit die Angaben nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen. Diese Beweiserleichterung ist auch dann anwendbar, wenn für den schädigenden Vorgang keine Zeugen vorhanden sind (vgl. BSG, Urteil vom 31. Mai 1989 - 9 RVg 3/89 -, juris, Rz. 12). Nach dem Sinn und Zweck des § 15 Satz 1 KOVVfG sind damit nur Tatzeugen gemeint, die zu den zu beweisenden Tatsachen aus eigener Wahrnehmung Angaben machen können. Personen etwa, die von ihrem gesetzlichen Zeugnisverweigerungsrecht (§ 118 Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. §§ 383 ff. ZPO) Gebrauch gemacht haben, sind dabei nicht als solche Zeugen anzusehen. Denn die Beweisnot des Opfers, auf die sich § 15 Satz 1 KOVVfG bezieht, ist in diesem Fall nicht geringer, als wenn Angreifende unerkannt geblieben oder flüchtig sind (BSG, Urteil vom 17. April 2013 - B 9 V 1/12 R -, juris, Rz. 41 m. w. N.). Ob Entsprechendes bezogen auf eine für die Tatbegehung in Betracht kommende Person gilt, die eine schädigende Handlung bestreitet, und die Beweiserleichterung des § 15 Satz 1 KOVVfG damit auch zur Anwendung gelangt, wenn sich die Aussagen des Opfers und des den behaupteten schädigenden Vorgang bestreitenden vermeintlichen Täters gegenüberstehen sowie unabhängige Tatzeugen nicht vorhanden sind (BSG, a. a. O.), ist zweifelhaft (Bayerisches LSG, Urteil vom 30. April 2015 - L 15 VG 24/09 -, juris, Rz. 61; Urteil des Senats vom 22. September 2016 - L 6 VG 1927/16 -, juris, Rz. 72 f.).
68 
Im Falle der Klägerin kann jedoch offen bleiben, ob die Anwendung des § 15 Satz 1 KOVVfG ausscheidet, weil ihr Vater als der beschuldigte Täter seine Aussage nicht verweigert, sondern umfassend ausgesagt und die Vorwürfe dabei bestritten hat. Auch unter Zugrundelegung des abgesenkten Beweismaßstabs der Glaubhaftmachung kann sich der Senat nicht von den Taten überzeugen. Es besteht allenfalls eine Möglichkeit, aber nicht die auch von § 15 Satz 1 KOVVfG geforderte gute Möglichkeit, dass sich die Ereignisse so abgespielt haben wie sie die Klägerin schildert. Dass nach Einschätzung des Senats diese gute Möglichkeit nicht angenommen werden kann, geht nach den allgemeinen Grundsätzen über die materielle Beweislast - bzw. hier Glaubhaftmachungslast - zum Nachteil für die Klägerin.
69 
Zu dieser Einschätzung gelangt der Senat ohne Einholung eines Glaubhaftigkeitsgutachtens über die Aussagen der Klägerin in diesem Verfahren. Zwar ermittelt das Gericht nach § 103 Satz 1 Halbsatz 1 SGG den Sachverhalt von Amts wegen. Hierzu kann in Ausnahmefällen auch die Erhebung eines aussagepsychologischen Gutachtens über die Glaubhaftigkeit einer Aussage (ggfs. unter Einschluss der Glaubwürdigkeit der Aussageperson) gehören. Grundsätzlich jedoch gehört die Würdigung von Aussagen nicht nur erwachsener, sondern auch kindlicher oder jugendlicher Zeugen und anderer Auskunftspersonen zum Wesen richterlicher Rechtsfindung und ist daher dem Tatrichter anvertraut (vgl. gerade zur Würdigung von Angaben über lange zurückliegende sexuelle Missbräuche Urteil des Senats vom 22. September 2016 – L 6 VG 1927/15 –, juris, Rz. 61). Eine Glaubhaftigkeitsgutachten kommt nur dann in Betracht, wenn dem Gericht ausnahmsweise die Sachkunde für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit fehlt (Bundesgerichtshof [BGH], BGHSt 45, 182; dem folgend Urteil des Senats vom 15. Dezember 2011 - L 6 VG 584/11 -, juris, Rz. 41; nachgehend bestätigend BSG, Beschluss vom 24. Mai 2012 - B 9 V 4/12 B -, juris, Rz. 23). Dies kann der Fall sein, wenn der Sachverhalt oder die Aussageperson Besonderheiten aufweisen, die eine Sachkunde erfordern, die ein Richter normalerweise nicht hat (BGH, Beschlüsse vom 25. April 2006 - 1 StR 579/05 - und vom 22. Juni 2000 - 5 StR 209/00 -; zuletzt S. OLG, Urteil vom 13. Juli 2011 - 1 U 32/08 -, jeweils zit. nach juris). Das ist hier nicht der Fall. An der Aussagetüchtigkeit der Klägerin ist bereits nach den vorausgegangenen strafrechtlichen Befragungen, auch durch den Ermittlungsrichter nicht zu zweifeln, was sich nach dem persönlichen Eindruck von ihr in der mündlichen Verhandlung am 22. Februar 2018 bestätigt hat. Die Klägerin als Aussageperson und der Sachverhalt weisen auch keine Besonderheiten auf, die es ausschlössen, dass der Senat selbst über die Glaubhaftigkeit der Angaben und die Glaubwürdigkeit der Klägerin befinden könnte. Die Fallgestaltung ist für das OEG vielmehr typisch (vgl. zu allem Urteil des Senats vom 26. Februar 2015 – L 6 VG 1832/12 –, juris, Rz. 43). Im sozialgerichtlichen Verfahren besteht auch keine Veranlassung zur Einholung eines solchen Gutachtens, um dem Antragsteller überhaupt erst zu ermöglichen, anspruchsbegründende Tatsachen zu behaupten und sodann gegebenenfalls unter Beweis zu stellen (B. LSG, Urteil vom 26. Januar 2010 - L 15 VG 30/09 -, juris, Rz. 75). Ein Glaubhaftigkeitsgutachten gerade in Fällen wie hier, in denen lange zurückliegende Ereignisse behauptet werden, trägt auch deshalb wenig zu einer Entscheidung bei, weil es in der Regel nur Aussagen darüber ermöglicht, ob sich die Auskunftsperson subjektiv an die geschilderten Ereignisse erinnert, nicht aber darüber, ob jene Ereignisse objektiv stattgefunden haben (vgl. zur Problematik der „false memories“ auch Urteil des Senats vom 23. Juni 2016 – L 6 VG 5048/15 –, juris, Rz. 64). Im Übrigen weist der Senat darauf hin, dass bereits im strafgerichtlichen Verfahren von einer aussagepsychologischen Begutachtung der Klägerin deswegen abgesehen wurde, weil es angesichts der wechselhaften Schilderungen der Ereignisse eine Substantiierung des Erlebnisgehaltes ausscheide (vgl. zu dieser Erwägung BSG, Urteil vom 15.12.2016 - B 9 VG 3/15 R -, juris, Rz. 43). Aus diesen Gründen wäre auch ein Antrag der Klägerin auf Erhebung eines Gutachtens über die Glaubhaftigkeit ihrer Aussage abzulehnen gewesen (vgl. den Rechtsgedanken des § 244 Abs. 4 Satz 1 Strafprozessordnung [StPO]), wenn die Klägerin einen solchen gestellt hätte.
70 
Es erscheint bereits zweifelhaft, dass die Angaben der Klägerin auf eigenen Erinnerungen beruhen, wie es § 15 Satz 1 KOVVfG verlangt. Zwar hat die Klägerin die ersten Missbräuche für ihr fünftes oder sechstes Lebensjahr geschildert, also für eine Zeit, in der das autobiographische Gedächtnis bereits ausgeprägt ist, denn die so genannte „infantile Amnesie“ betrifft in aller Regel lediglich Erinnerungen an die ersten drei Lebensjahre (Urteil des Senats vom 22. September 2016, a. a. O., Rz. 87 m. w. N. und vom 7. Dezember 2017 - L 6 VG 4996/15 -, juris, Rz. 80). Aber es bestehen Hinweise darauf, dass die Klägerin zwischenzeitlich keine Erinnerungen an solche Ereignisse hatte, sondern diese erst später - wieder - entstanden sind. In diese Richtung deuten die Ausführungen der ersten behandelnden Psychotherapeutin L. in ihrem Bericht vom 30. August 2007. Darin war ausgeführt, die Klägerin habe zu Beginn der Therapie - nur - ihren Vater als cholerisch und ihre Mutter als „genervt“ geschildert. Erst in den „kommenden Sitzungen“ sei langsam und mühsam das Ausmaß der Probleme deutlich geworden, als die Klägerin von sexuellen Missbräuchen durch Cousin, Großvater, Bruder und einen Kollegen des Vaters berichtet habe. Dieser Ablauf könnte darauf hindeuten, dass die behaupteten Erinnerungen im Rahmen einer Traumatherapie erst nachträglich entstanden sind, sei es spontan, sei es durch Selbst- oder Fremdsuggestion (vgl. zu dieser Problematik Urteil des Senats vom 9. November 2017 – L 6 VG 2118/17 –, juris, Rz. 44).
71 
Diesen Punkt lässt der Senat jedoch offen. Es liegen andere Umstände vor, die hier eine Glaubhaftmachung im Sinne des § 15 Satz 1 KOVVfG ausschließen.
72 
Zunächst spricht die Genese der Angaben der Klägerin dagegen, dass es sich um wirklichkeitsbasierte Erinnerungen handelt.
73 
Generell gilt, dass eher von einer - objektiv zutreffenden - Erinnerung auszugehen ist, wenn die Schilderungen über einen längeren Zeitraum konstant bleiben, während Geschehensabläufe, die sich nicht zugetragen haben, an die aber subjektiv ein Gedächtnisinhalt besteht, im Laufe der Zeit eher ausufernd beschrieben werden (vgl. LSG R., Urteil vom 19. August 2015 - L 4 VG 5/13 -, juris, Rz. 28; Urteil des Senats vom 22. September 2016 - L 6 VG 1927/15 -, juris, Rz. 90; Rademacker, in Knickrehm, a.a.O., § 1 OEG Rz. 49 m. w. N.; generell zur Konsistenz mit früheren Aussagen auch Schneider, Beweis und Beweiswürdigung, 5. Aufl. 1994, Rz. 1101).
74 
Die Klägerin hat zwar - wie ausgeführt - bereits 2006 sexuelle Missbräuche angegeben. Jedoch hat sie insoweit in der Therapie bei Frau L. Missbräuche durch ihren Cousin ab ihrem 7. Lebensjahr, durch ihren angeblich alkoholkranken Großvater ab ihrem 13. Lebensjahr und durch ihren Bruder ab etwa einem Jahr später sowie durch einen „Kollegen“ des Vaters - dies nicht näher umschrieben - angegeben. Auch bei der kurzen Begutachtung bei Frau M. im Betreuungsverfahren (Juni 2007) hat sie nur einen Missbrauch durch den Bruder erwähnt bzw. sogar nur angedeutet, während sie ihre Eltern eher der unterlassenen Hilfeleistung beschuldigt hat („die Eltern fangen dann an, rumzuschreien. Sonst gibt es niemanden, der hilft“). Die Taten durch den Vater selbst, die die Klägerin im ganzen weiteren Ablauf der Verfahren in den Vordergrund gerückt hat, hat sie damals dagegen nicht erwähnt. Von den Vorwürfen gegen Cousin, Großvater und Bruder ist sie dann außerdem in den folgenden Jahren mehr und mehr abgerückt. Bereits im Strafverfahren wollte sie hierzu nichts mehr sagen, ohne dass ein nachvollziehbarer Grund dafür erkennbar wäre. Und auch nachdem sie ihren Vater nach ihrer Strafanzeige als Haupttäter beschuldigt hatte, obwohl die zeitnahen Tagebücher, die strafrechtlich ausgewertet wurden, keine Hinweise darauf gaben, haben sich ihre Angaben mehr und mehr aufgebauscht, während sie andere Teile nicht konsistent und konstant schildern konnte. Soweit sie bei den polizeilichen Vernehmungen in K. am 29. Dezember 2009 und im Frühjahr 2010 noch detailliertere Angaben zu einzelnen Taten gemacht hat, so insbesondere erstmals die Missbräuche im Auto auf der Fahrt zur Mutter in ein Krankenhaus in den Jahren 1984/1985 und im Ehebett vor ihrer Einschulung 1987 geschildert hat, konnte sie bei der richterlichen Vernehmung in Dresden am 5. Juli 2010 wesentliche Teile dieser Aussagen nicht wiedergeben und ist in einigen Punkten - allerdings eher Randumständen wie der Frage nach den Gründen für das Stehenbleiben des Autos und nach dem Verbleib der Nachtwäsche - von ihren vorherigen Angaben abgewichen. Dafür hat die Klägerin jetzt, bei der richterlichen Vernehmung, einen weiteren konkreten Vorfall geschildert, nämlich die Schläge bzw. Tritte ihres Vaters in ihren Unterleib und die danach folgende Fehlgeburt in der Badewanne, bei der sie 14 oder 15 Jahre alt gewesen sei. Es wäre zu erwarten, dass ein so einschneidendes Erlebnis, wenn es eine wirklichkeitsbasierte Erinnerung ist, von Anfang an geschildert wird.
75 
Gegen die Glaubhaftigkeit der Angaben der Klägerin spricht auch, dass einige ihrer Angaben, die sie zu anderen Umständen im Umfeld des Missbrauchs und der Gewalttaten durch ihren Vater gemacht hat, als widerlegt gelten müssen.
76 
Ihre Angaben, ihr Vater habe sie als Kleinkind an die innerdeutsche Grenze mitgenommen und an der Erschießung eines Flüchtlings mitwirken lassen, erscheint wie schon der Staatsanwaltschaft D. auch dem Senat abwegig. Lebensfern und wenig glaubwürdig klingen auch ihre Angaben, sie sei mehrfach schwanger geworden und dann von ihrem Vater bzw. anderen Männer gegen ihren Willen nach Tschechien oder Polen gebracht worden, wo Abtreibungen vorgenommen worden seien. Der Senat verkennt aber nicht, dass diese Aussage nicht direkt von der Klägerin selbst stammt, sondern von Dr. B., die bei ihrer Zeugenvernehmung vor dem Ermittlungsrichter in D. dies als Erzählungen der Klägerin aus den Therapiegesprächen wiedergegeben hat. Das Gleiche gilt aber auch von den Angaben zu der Fehlgeburt mit 14 oder 15, die die Klägerin selbst gemacht hat.
77 
Als vollständig widerlegt sieht der Senat die ausufernden Behauptungen der Klägerin zu den mehreren Suiziden, Drogentoten und Verkehrsunfällen an, die in Kindheit und Jugend Freundinnen und Freunde von ihr erlitten hätten und bei denen sie jeweils dabei gewesen sei. Weder konnte die Kriminalpolizei in D. diese Vorfälle, obwohl die Klägerin die Namen genannt hatte, bei ihren Recherchen bestätigen, noch konnte sich die damals, ab 1990 schon beschäftigte Lehrerin, Frau V., an diese Kinder oder diese Vorfälle erinnern. Der Senat ist aber davon überzeugt, dass solche Todesfälle von Kindern anfangs der 1990er Jahre in D. von der Polizei dokumentiert worden wären und bei den Recherchen im Jahre 2010 also hätten bestätigt werden müssen.
78 
Zu dem Versuch ihres Vaters, sie Ende 2007 in dem Frauenhaus in K. zu treffen, hatte die Klägerin angegeben, ihr Vater habe ihr erzählt, die fragliche Anschrift vom Einwohnermeldeamt in D. erhalten zu haben; zutreffen dürfte dagegen die Aussage des Vaters, er habe erst in K. von der Adresse erfahren, denn das Einwohnermeldeamt hatte damals bereits eine Auskunftssperre vorliegen, wie es der Polizei mitgeteilt hat.
79 
Einen derartigen Widerspruch zeigen auch die jüngsten Angaben der Klägerin, die sie in der Behandlung bei ihrer neuen Therapeutin Dr. H. gemacht hat. Wie diese Therapeutin in ihrem Attest vom 19. Januar angibt, hat die Klägerin ihr gegenüber unter anderem bekundet, sie habe ab ihrem 12. Lebensjahr nichts mehr gegessen und sei stark abgemagert, weswegen sie auch stationär behandelt worden sei, und erst mit 24 Jahren habe sie wieder zugenommen. Dass diese Angabe nicht zutrifft, ergibt sich bereits aus den Untersuchungsberichten über die Klägerin in den Akten des Kinder- und Jugendärztlichen Dienstes der Landeshauptstadt D., die der Senat kurzfristig beigezogen hatte. Dort war nicht nur bei den Untersuchungen 1990 und 1992 eine Adipositas genannt, sondern auch noch bei der Reihenuntersuchung 1995 - also im 16. Lebensjahr der Klägerin. Ein stationärer Krankenhausaufenthalt wegen einer starken Abmagerung mit dem 12. Lebensjahr ist im Übrigen weder in diesen Unterlagen noch in dem Sozialversicherungs- und Impfausweis der DDR verzeichnet, den die Klägerin zur Akte gereicht hat.
80 
Die Ergebnisse der Vernehmung des Vaters und der Mutter der Klägerin als Zeugen, die auch im Rahmen einer Glaubhaftmachung nach § 15 Satz 1 KOVVfG zu berücksichtigen sind (vgl. § 294 Abs. 1 ZPO), stützen die Angaben der Klägerin nicht.
81 
Was das Kerngeschehen angeht, also die angeschuldigten gewalttätigen Angriffe, war die Beweisaufnahme aus Sicht der Klägerin unergiebig. Ihr Vater hat die Beschuldigungen bestritten, die Mutter, die nach Einschätzung des Senats einen Jahre bzw. Jahrzehnte andauernden Missbrauch ihrer Tochter innerhalb einer Wohnung bzw. eines normal großen Einfamilienhauses sicher hätte mitbekommen müssen, hat ebenfalls bekundet, nichts bemerkt zu haben. Dabei kommt es nicht darauf an, ob diese Zeugenaussagen ihrerseits glaubhaft sind. Wenn eine Beweiserhebung zu Ungunsten des (materiell) beweisbelasteten Beteiligten ausgeht, ist nicht etwa das Gegenteil erwiesen - bzw. hier glaubhaft gemacht -, sondern es tritt ein „non liquet“ ein. Daher weist der Senat nur darauf hin, dass die Aussagen der beiden Zeugen nicht per se unglaubwürdig waren. Dies gilt auch für die Aussage ihres Vaters, er habe erst durch das Strafverfahren von dem Vorwurf des sexuellen Missbrauchs erfahren. In der Tat hatte der Zeuge K. über den damals agierenden Rechtsanwalt G. bereits 2007 Einsicht in die Akte des Betreuungsverfahrens gewonnen und ihm war auch das Attest der ersten behandelnden Psychiaterin L. zur Kenntnis gelangt, wobei die genauen Umstände dieser Kenntniserlangung dubios geblieben sind. Aber damals hatte die Klägerin, wie ausgeführt, ihren Vater noch nicht eines Jahre andauernden sexuellen Missbrauchs beschuldigt, sondern lediglich ihren Cousin, ihren Bruder, Großvater und einen Freund des Vaters einzelner Taten. Auch die Stellungnahme des Vaters vom 31. August 2007 in dem damaligen Betreuungsverfahren, in welcher dieser - ebenfalls nicht völlig aufklärbar - im Detail auf Schilderungen der Klägerin eingeht, die sich so gar nicht in jener Akte finden, betrifft nicht Vorwürfe sexuellen Missbrauchs durch ihn, sondern allein solche gegen den Cousin der Klägerin (Ziffer 6 der Stellungnahme).
82 
Die Aussagen der Zeugen haben dagegen weitere Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Angaben der Klägerin begründet. Dies betrifft z.B. die erste angeschuldigte Tat, die die Klägerin mit vier oder fünf Jahren im Auto der Familie erlitten haben will, während nach den übereinstimmenden Angaben beider Eltern die Familie damals noch gar kein Auto hatte. Ebenso hat z.B. die Mutter als Zeugin bestritten, jemals blutverschmierte Nachtwäsche wahrgenommen oder den Verlust von Nachtwäsche bemerkt zu haben.
83 
Ferner spricht nach Ansicht des Senats auch das Verhalten der Klägerin bei ihrem Auszug aus dem elterlichen Haus und dem Umzug nach K. und in den Jahren danach dagegen, dass sie Opfer der geltend gemachten Gewalttaten geworden ist.
84 
Der Abschiedsbrief bzw. die beiden Briefe, die sie bei ihrem Auszug in D. zurückgelassen hatte, gehen nicht nur mit keinem Wort auf solche Taten ein, sondern die Klägerin bedankt sich darin mehrfach, drückt ihre Liebe zu ihren Eltern aus und bittet eher um Entschuldigung wegen der Umstände, die sie mache. Mehrfach ist die Klägerin in den folgenden Monaten und Jahren zurück in D. gewesen, wobei sie nach ihren Angaben 2007 und 2008 noch je einmal Opfer sexuellen Missbrauchs (bzw. eines Versuchs) geworden sei. Der Verdacht, ihr Vater habe sie mit Gewalt oder unter Drohungen zurück nach Dresden gelockt, hat sich nicht bestätigt. Nach Aktenlage drei Mal zwischen dem 29. August 2007 und dem 23. Dezember 2008 wurden von K. aus Anzeigen wegen des Verdachts auf Entführung gestellt, wobei sich dieser Verdacht nicht bewahrheitet hat, vielmehr hatte die D. Polizei bei dem Einsatz am 16. April 2008 festgestellt, dass sich die Klägerin freiwillig bei ihren Eltern aufhielt und keine Anzeichen für Gewalttätigkeiten oder sexuellen Missbrauch vorlagen. Die Klägerin hat auch nicht den Angaben ihrer Eltern widersprochen, es habe noch in den Jahren 2007 und 2008 über die genannten Besuche hinaus gemeinsame Urlaubsreisen gegeben, darunter sogar nach Venezuela. Es ist schwer vorstellbar, dass die Klägerin mit ihren Eltern solche Reisen unternommen hätte, nachdem sie sich aus dem Elternhaus gelöst hatte und allein lebte, wenn die vorgeworfenen Taten zuträfen. Der Senat würdigt auch die E-Mails der Klägerin an ihre Eltern und ihren Bruder, die ihr Vater am 23. März 2010 als Ausdrucke der Polizei übergeben hatte und in denen die Klägerin ausführte, sie habe „einen Fehler gemacht“ - dies kann sich nur auf die aktuell gestellte Strafanzeige beziehen - und bitte um Entschuldigung. In die gleiche Richtung deutet auch die E-Mail, welche die Klägerin - Jahre später - kurz vor ihrer Anhörung vor dem Berichterstatter des Senats im Juli 2017 an ihre Eltern geschickt hatte. Diese E-Mail enthält keine Vorwürfe, sondern eher die Bitte um Entschuldigung und die Aussage, die „Unannehmlichkeiten“ - hier die Ladung zur Zeugenvernehmung - habe sie, die Klägerin, verursacht.
85 
Auch weitere Umstände nach dem Wegzug aus D. deuten nicht eindeutig auf traumatische Erlebnisse der Klägerin hin. Selbst das Annäherungsverbot, das die Klägerin im Jahre 2009 beim AG K. gegen ihren Vater erwirkt hat, war nicht auf die hier erhobenen Vorwürfe gestützt, sondern auf die anscheinend unternommenen Versuche der Eltern, die Klägerin aus dem Einflussbereich ihrer Freundin und der „Betreuerin“ Dr. B. herauszulösen sowie wieder nach Hause zu bringen. Diese Versuche haben die Eltern nicht bestritten, nur die Gründe und die konkreten Umstände dieser Versuche schildern Klägerin und Zeugen unterschiedlich.
86 
Weiterhin konnten aus den beigezogenen Akten des Kinder- und Jugendärztlichen Dienstes aus D. keine Hinweise oder Anhaltspunkte für Verletzungen entnommen werden, die den Vortrag der Klägerin in irgendeiner Weise gestützt hätten. Auch die weiteren Beweiserhebungen durch den Senat waren unergiebig, darunter die schriftliche Vernehmung der benannten damaligen Ärztin Dr. K.. Ebenso haben die beigezogenen Akten des Insolvenzverfahrens nur belegt, dass die Klägerin anscheinend tatsächlich von ihrem Vater als Strohfrau eingesetzt und von ihm veranlasst, vielleicht auch genötigt worden ist, ein Unternehmen zu gründen, um die Geschäfte früherer Unternehmen des Vaters, die offenkundig insolvent geworden waren, weiterzuführen. Der Zeuge K. hat bei seiner Vernehmung zu diesem Punkt selbst eingeräumt, faktisch habe er das Unternehmen seiner Tochter geführt. Diese familiären Ereignisse sind ungewöhnlich, belegen aber weder Gewalttätigkeiten noch sexuellen Missbrauch.
87 
Der Senat sieht nach diesen Ermittlungen keine weiteren Ansätze mehr, mit denen die Angaben der Klägerin verifiziert oder zumindest gestützt werden könnten. Die weiteren benannten Zeugen, vor allem die als Fußballtrainerin tätige Mutter ihrer Schulfreundin - die nicht ladungsfähig bezeichnet worden ist - und die beiden namentlich benannten Schulfreunde, haben auch nach den Angaben der Klägerin selbst nicht die Taten gesehen, sondern nur Verletzungen. Woher solche Verletzungen damals gestammt haben könnten, kann sich aus ihren Aussagen nicht ergeben. Zu der einen Platzwunde am Auge, derentwegen die Klägerin damals in einer Klinik behandelt worden war, hat sie nach ihrer Anhörung im Juli 2017 selbst eingeräumt, sie sei bei einer Rangelei mit dem Bruder entstanden. Die übrigen Personen, die nach den Angaben der Klägerin damals Verletzungen hätten sehen können, konnte sie nicht namentlich benennen. Dies gilt für den Notarzt, der angeblich einmal in der Wohnung war. Und ob die Zahnärztin, bei der die Klägerin nach dem Schlag mit der Eisenstange oder der Müslischale in Behandlung gewesen sei, die vom Senat ermittelte M. war, konnte sie bei ihrer Anhörung nicht bestätigen.
88 
Insgesamt wirkt das Verhalten der Klägerin in den Jahren nach dem Auszug ebenso wie ihre Aussagen so widersprüchlich und sprunghaft, dass nicht von Glaubhaftigkeit ausgegangen werden kann. Möglicherweise trifft die von Dr. B. gestellte Diagnose zu, auf die auch die Staatsanwaltschaft D. in der Einstellungsverfügung vom 9. Februar 2011 hingewiesen hat. Wenn die Klägerin an einer dissoziativen Identitätsstörung leidet, bei der die Wahrnehmung, die Erinnerung und das Erleben der eigenen Identität gestört sind, würde dies erklären, dass sie immer wieder engen Kontakt zu ihren Eltern sucht und ihnen liebevolle Briefe und E-Mails schreibt und dann unvermittelt gewaltschutz- oder strafrechtlich gegen sie vorgeht. Denkbar ist aber auch, dass die Klägerin von Dritten gesteuert wird. Auch hierfür gibt es Hinweise, z.B. ihre Ausführungen in der E-Mail an ihre Eltern vor dem Erörterungstermin am 18. Juli 2017, sie müsse das so sagen und ihr sei für eine Woche ihr Handy abgenommen worden.
89 
Da demnach bereits die für Ansprüche nach dem OEG notwendige Gewalttat nicht anzunehmen ist, kommt es nicht darauf an, ob und ggfs. an welchen Erkrankungen die Klägerin leidet und ob diese auf die angeschuldigten Taten zurückgeführt werden können.
90 
Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens beruht auf § 193 SGG.
91 
Gründe für eine Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.

ra.de-Urteilsbesprechung zu Landessozialgericht Baden-Württemberg Urteil, 22. Feb. 2018 - L 6 VG 3286/16

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Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 193


(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen ha

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(1) Gegen das Urteil eines Landessozialgerichts und gegen den Beschluss nach § 55a Absatz 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundessozialgericht nur zu, wenn sie in der Entscheidung des Landessozialgerichts oder in dem Beschluß des Bu

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 144


(1) Die Berufung bedarf der Zulassung in dem Urteil des Sozialgerichts oder auf Beschwerde durch Beschluß des Landessozialgerichts, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 1. bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hier

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 151


(1) Die Berufung ist bei dem Landessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. (2) Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerh

Zivilprozessordnung - ZPO | § 294 Glaubhaftmachung


(1) Wer eine tatsächliche Behauptung glaubhaft zu machen hat, kann sich aller Beweismittel bedienen, auch zur Versicherung an Eides statt zugelassen werden. (2) Eine Beweisaufnahme, die nicht sofort erfolgen kann, ist unstatthaft.

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 128


(1) Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind. (2) Das Urteil darf nur auf Tatsache

Bundesversorgungsgesetz - BVG | § 30


(1) Der Grad der Schädigungsfolgen ist nach den allgemeinen Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen, die durch die als Schädigungsfolge anerkannten körperlichen, geistigen oder seelischen Gesundheitsstörungen bedingt sind, in allen Lebensbereich

Strafgesetzbuch - StGB | § 176 Sexueller Missbrauch von Kindern


(1) Mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr wird bestraft, wer 1. sexuelle Handlungen an einer Person unter vierzehn Jahren (Kind) vornimmt oder an sich von dem Kind vornehmen lässt,2. ein Kind dazu bestimmt, dass es sexuelle Handlungen an einer d

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 78


(1) Vor Erhebung der Anfechtungsklage sind Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit des Verwaltungsakts in einem Vorverfahren nachzuprüfen. Eines Vorverfahrens bedarf es nicht, wenn 1. ein Gesetz dies für besondere Fälle bestimmt oder2. der Verwaltungsakt v

Sozialgesetzbuch (SGB) Erstes Buch (I) - Allgemeiner Teil - (Artikel I des Gesetzes vom 11. Dezember 1975, BGBl. I S. 3015) - SGB 1 | § 30 Geltungsbereich


(1) Die Vorschriften dieses Gesetzbuchs gelten für alle Personen, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in seinem Geltungsbereich haben. (2) Regelungen des über- und zwischenstaatlichen Rechts bleiben unberührt. (3) Einen Wohnsitz hat jem

Strafgesetzbuch - StGB | § 176a Sexueller Missbrauch von Kindern ohne Körperkontakt mit dem Kind


(1) Mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren wird bestraft, wer 1. sexuelle Handlungen vor einem Kind vornimmt oder vor einem Kind von einer dritten Person an sich vornehmen lässt,2. ein Kind dazu bestimmt, dass es sexuelle Handlungen

Opferentschädigungsgesetz - OEG | § 1 Anspruch auf Versorgung


(1) Wer im Geltungsbereich dieses Gesetzes oder auf einem deutschen Schiff oder Luftfahrzeug infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 118


(1) Soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, sind auf die Beweisaufnahme die §§ 358 bis 363, 365 bis 378, 380 bis 386, 387 Abs. 1 und 2, §§ 388 bis 390, 392 bis 406 Absatz 1 bis 4, die §§ 407 bis 444, 478 bis 484 der Zivilprozeßordnung entsprech

Bundesversorgungsgesetz - BVG | § 1


(1) Wer durch eine militärische oder militärähnliche Dienstverrichtung oder durch einen Unfall während der Ausübung des militärischen oder militärähnlichen Dienstes oder durch die diesem Dienst eigentümlichen Verhältnisse eine gesundheitliche Schädig

Bundesversorgungsgesetz - BVG | § 31


(1) Beschädigte erhalten eine monatliche Grundrente bei einem Grad der Schädigungsfolgen1.von 30in Höhe von 171 Euro,2.von 40in Höhe von 233 Euro,3.von 50in Höhe von 311 Euro,4.von 60in Höhe von 396 Euro,5.von 70in Höhe von 549 Euro,6.von 80in Höhe v

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 92


(1) Die Klage muss den Kläger, den Beklagten und den Gegenstand des Klagebegehrens bezeichnen. Zur Bezeichnung des Beklagten genügt die Angabe der Behörde. Die Klage soll einen bestimmten Antrag enthalten und von dem Kläger oder einer zu seiner Vertr

Gesetz über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung - KOVVfG | § 15


Die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, sind, wenn Unterlagen nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen oder ohne Verschulden des Antragstellers oder seiner Hinterbliebenen verl

Opferentschädigungsgesetz - OEG | § 6 Zuständigkeit und Verfahren


(1) Die Versorgung nach diesem Gesetz obliegt den für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständigen Behörden. Ist der Bund Kostenträger, so sind zuständig 1. wenn der Geschädigte seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in einem Land

Opferentschädigungsgesetz - OEG | § 10a Härteregelung


(1) Personen, die in der Zeit vom 23. Mai 1949 bis 15. Mai 1976 geschädigt worden sind, erhalten auf Antrag Versorgung, solange sie 1. allein infolge dieser Schädigung schwerbeschädigt sind und2. bedürftig sind und3. im Geltungsbereich dieses Gesetze

Opferentschädigungsgesetz - OEG | § 4 Kostenträger


(1) Zur Gewährung der Versorgung ist das Land verpflichtet, in dem die berechtigte Person ihren Wohnsitz, bei Fehlen eines Wohnsitzes ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat, soweit die Absätze 2 bis 8 in Verbindung mit § 6 Absatz 1 nichts Abweichendes reg

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Landessozialgericht Baden-Württemberg Urteil, 22. Feb. 2018 - L 6 VG 3286/16 zitiert oder wird zitiert von 14 Urteil(en).

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Tenor Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 15. Dezember 2011 wird zurückgewiesen.

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Tenor Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 10. Dezember 2010 wird zurückgewiesen.Der Beklagte hat der Klägerin auch die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten. Tatbestand   1 Zw

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Tenor Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 18. März 2010 aufgehoben.

Bundessozialgericht Urteil, 24. Nov. 2010 - B 11 AL 35/09 R

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Tenor Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 4. November 2009 wird zurückgewiesen.

Bundessozialgericht Urteil, 29. Apr. 2010 - B 9 VG 1/09 R

bei uns veröffentlicht am 29.04.2010

Tatbestand 1 Die Beteiligten streiten darüber, ob das Sozialgericht (SG) das damals zuständige (jetzt beigeladene) Land zu Recht verurteilt hat, eine bei der Klägerin vo

Referenzen

(1) Die Berufung bedarf der Zulassung in dem Urteil des Sozialgerichts oder auf Beschwerde durch Beschluß des Landessozialgerichts, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes

1.
bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750 Euro oder
2.
bei einer Erstattungsstreitigkeit zwischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts oder Behörden 10.000 Euro
nicht übersteigt. Das gilt nicht, wenn die Berufung wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft.

(2) Die Berufung ist zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(3) Das Landessozialgericht ist an die Zulassung gebunden.

(4) Die Berufung ist ausgeschlossen, wenn es sich um die Kosten des Verfahrens handelt.

(1) Die Berufung ist bei dem Landessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.

(2) Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Frist bei dem Sozialgericht schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird. In diesem Fall legt das Sozialgericht die Berufungsschrift oder das Protokoll mit seinen Akten unverzüglich dem Landessozialgericht vor.

(3) Die Berufungsschrift soll das angefochtene Urteil bezeichnen, einen bestimmten Antrag enthalten und die zur Begründung dienenden Tatsachen und Beweismittel angeben.

(1) Vor Erhebung der Anfechtungsklage sind Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit des Verwaltungsakts in einem Vorverfahren nachzuprüfen. Eines Vorverfahrens bedarf es nicht, wenn

1.
ein Gesetz dies für besondere Fälle bestimmt oder
2.
der Verwaltungsakt von einer obersten Bundesbehörde, einer obersten Landesbehörde oder von dem Vorstand der Bundesagentur für Arbeit erlassen worden ist, außer wenn ein Gesetz die Nachprüfung vorschreibt, oder
3.
ein Land, ein Versicherungsträger oder einer seiner Verbände klagen will.

(2) (weggefallen)

(3) Für die Verpflichtungsklage gilt Absatz 1 entsprechend, wenn der Antrag auf Vornahme des Verwaltungsakts abgelehnt worden ist.

(1) Die Klage muss den Kläger, den Beklagten und den Gegenstand des Klagebegehrens bezeichnen. Zur Bezeichnung des Beklagten genügt die Angabe der Behörde. Die Klage soll einen bestimmten Antrag enthalten und von dem Kläger oder einer zu seiner Vertretung befugten Person mit Orts- und Zeitangabe unterzeichnet sein. Die zur Begründung dienenden Tatsachen und Beweismittel sollen angegeben, die angefochtene Verfügung und der Widerspruchsbescheid sollen in Abschrift beigefügt werden.

(2) Entspricht die Klage diesen Anforderungen nicht, hat der Vorsitzende den Kläger zu der erforderlichen Ergänzung innerhalb einer bestimmten Frist aufzufordern. Er kann dem Kläger für die Ergänzung eine Frist mit ausschließender Wirkung setzen, wenn es an einem der in Absatz 1 Satz 1 genannten Erfordernisse fehlt. Für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gilt § 67 entsprechend.

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 29. Januar 2015 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über eine Versorgung nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) iVm dem Bundesversorgungsgesetz (BVG).

2

Die 1949 geborene Klägerin wuchs im heutigen Land Sachsen auf. Im März 1991 und im Jahr 1992 berichtete sie gegenüber Ärzten von Misshandlungen im Stasigewahrsam. Im Oktober 1997 erstattete die Klägerin Strafanzeige wegen sexueller Nötigung in der Zeit vom 9.1989 durch ihren damaligen Vorgesetzten. Die zuständige Staatsanwaltschaft Dresden stellte das Ermittlungsverfahren gemäß § 170 Abs 2 Strafprozessordnung ein, die hiergegen gerichtete Beschwerde blieb erfolglos.

3

Im Juni 1999 beantragte die Klägerin beim Versorgungsamt B. eine Versorgung nach dem OEG wegen "Folter, Misshandlung und Vergewaltigung" im K.-Gefängnis in K. während eines Aufenthaltes in der Zeit vom 9.1989 durch ihren damaligen Vorgesetzten und andere unbekannte Täter. An Schädigungsfolgen seien ua psychosomatische Folgen und Zahnverlust eingetreten. Das Versorgungsamt B. lehnte Ansprüche nach dem Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz (StrRehaG) ab; das zuständige Versorgungsamt C. lehnte sodann den OEG-Antrag der Klägerin ab (Bescheid vom 22.4.2003; Widerspruchsbescheid vom 12.1.2004).

4

Im anschließenden Klageverfahren hat das SG ua eine Begutachtung der Klägerin durch die Psychiaterin und Neurologin Dr. S. veranlasst. Die Sachverständige kam zu dem Ergebnis, dass die Erlebnisse, welche die Klägerin in der Haft habe erleben müssen, so schwerwiegend gewesen seien, dass sie bei den vorliegenden Vorbelastungen (angegebener sexueller Missbrauch in der Kindheit durch einen Großonkel) die andauernde Persönlichkeitsveränderung der Klägerin mit verursacht oder sogar allein ausgelöst hätten (Gutachten vom 12.12.2007). Das SG hat ferner Beweis erhoben durch Einholung eines aussagepsychologischen Gutachtens (sog Glaubhaftigkeitsgutachten)der psychologischen Psychotherapeutin Dipl.-Psych. Sch. Diese erklärte, dass die behauptete Aussage der Klägerin mit Hilfe der aussagepsychologischen Methodik nicht verifiziert werden könne. Es zeigten sich Mängel im Hinblick auf die Konstanz der Aussage der Klägerin und Hinweise auf fremd- und autosuggestive Einflüsse. Weder die Täuschungs- noch die Suggestionshypothese könne zurückgewiesen werden (Gutachten vom 12.5.2010). Auf Antrag der Klägerin hat das SG schließlich eine Begutachtung der Klägerin durch den Psychiater und Neurologen Dr. St. veranlasst. Dieser erklärte im Wesentlichen, dass eine suggestive Beeinflussung der Erinnerungen der Klägerin nicht ausgeschlossen werden könne, sondern angesichts der Persönlichkeit der Klägerin und der Befragungsumstände als sehr wahrscheinlich anzunehmen sei. Die Klägerin könne die Angaben über die Stasihaft und die dort erlittenen Vergewaltigungen und Misshandlungen - wie auch die Angaben zum sexuellen Missbrauch in ihrer Kindheit - in dieser Form auch ohne einen Erlebnisbezug berichten (Gutachten vom 31.12.2012).

5

Das SG hat die seit 1.8.2008 gegen den beklagten Sozialverband als Funktionsnachfolger gerichtete Klage abgewiesen, weil es der Klägerin nicht gelungen sei, glaubhaft zu machen, dass sie Opfer eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs iS des § 1 OEG geworden sei. Aus den Gutachten der Sachverständigen Sch. und Dr. St. ergebe sich, dass die Angaben der Klägerin nicht geeignet seien, eine Glaubhaftmachung iS des § 15 Gesetz über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOVVfG) zu begründen(Urteil vom 19.4.2013).

6

Im Berufungsverfahren hat das LSG zwei aussagepsychologische Gutachten der Sachverständigen Prof. Dr. G. vom 14.8.2014 und 14.10.2014 aus den Verfahren vor dem LSG zu den Az L 10 VE 34/13 ZVW und L 10 VE 28/11 in den Rechtsstreit eingeführt und die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Die von der Klägerin behauptete Folter sowie der sexuelle Missbrauch im K.-Gefängnis in K. seien nicht nachgewiesen, unmittelbare Tatzeugen nicht vorhanden. Das Vorliegen der Taten lasse sich auch nicht unter Zugrundelegung der Beweiserleichterung der Glaubhaftmachung annehmen. Die Angaben der Klägerin könnten nicht positiv durch aussagepsychologische Begutachtung verifiziert werden. Anlass zur Einholung eines weiteren Glaubhaftigkeitsgutachtens, welches unter Abfassung entsprechender Beweisfragen dem besonderen Beweismaßstab der Glaubhaftmachung Rechnung tragen solle, bestehe nicht. Denn das LSG habe in den Rechtsstreiten L 10 VE 34/13 ZVW und L 10 VE 28/11 Gutachten der Sachverständigen Prof. Dr. G. unter besonderer Berücksichtigung von § 15 KOVVfG eingeholt und in den vorliegenden Rechtsstreit eingeführt. Danach könne die vom BSG in seiner Rechtsprechung vom 17.4.2013 erhobene Forderung der besonderen Berücksichtigung des § 15 KOVVfG von aussagepsychologischen Gutachten nicht eingelöst werden(Urteil vom 29.1.2015).

7

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen und formellen Rechts. Das LSG habe seine Entscheidung unter Bezugnahme auf zwei Gutachten getroffen, die den Anforderungen, welche das BSG bisher an sog Glaubhaftigkeitsgutachten in OEG-Verfahren gestellt habe, nicht entsprächen. Unter Vorlage einer ergänzenden schriftlichen Stellungnahme, Benennung eines weiteren Zeugen und Vorlage einer Urkunde rügt die Klägerin darüber hinaus, das LSG habe den Sachverhalt unzureichend aufgeklärt und sie nicht zu vermeintlichen Widersprüchen (schriftlich) angehört. Es habe sie trotz fehlender finanzieller Mittel auch nicht persönlich zur mündlichen Verhandlung geladen.

8

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom 29. Januar 2015 und das Urteil des SG Hildesheim vom 19. April 2013 sowie den Bescheid des Beklagten vom 22. April 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Januar 2004 aufzuheben und
den Beklagten zu verurteilen, der Klägerin eine Beschädigtenrente nach dem OEG iVm dem BVG zu gewähren.

9

Der Beklagte beantragt,
die Revision der Klägerin zurückzuweisen.

10

Er verweist auf die Ausführungen des LSG, die er für zutreffend hält.

Entscheidungsgründe

11

Die Revision der Klägerin ist zulässig, aber unbegründet (§ 170 Abs 1 S 1 SGG).

12

1. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist der Bescheid des Beklagten vom 22.4.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.1.2004 und der Anspruch der Klägerin auf Beschädigtenrente nach den Vorschriften des OEG iVm dem BVG. Diesen verfolgt die Klägerin zulässigerweise mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 S 1 und Abs 4, § 56 SGG; vgl BSG Urteil vom 18.11.2015 - B 9 V 1/14 R - BSGE , SozR 4, Juris RdNr 12; BSG Urteil vom 17.4.2013 - B 9 V 1/12 R - BSGE 113, 205 = SozR 4-3800 § 1 Nr 20), gerichtet auf den Erlass eines Grundurteils iS des § 130 Abs 1 SGG.

13

Der Zulässigkeit steht nicht entgegen, dass die Klägerin ihre ursprüngliche kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage vor dem LSG auf eine kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage umgestellt hat. Hierin liegt mangels einer Änderung des Klagegrundes eine nach § 99 Abs 3 SGG uneingeschränkt zulässige Antragsänderung(vgl BSG Urteil vom 7.6.1979 - 12 RK 13/78 - BSGE 48, 195, 196 = SozR 2200 § 394 Nr 1 S 1 zum Übergang von der Leistungs- zur Feststellungsklage; BSG Urteil vom 12.8.2010 - B 3 KR 9/09 R - SozR 4-2500 § 125 Nr 6 zum Übergang von der Feststellungs- zur Leistungsklage).

14

Der beklagte Kommunalverband ist passiv legitimiert. Zutreffend ist das LSG davon ausgegangen, dass bereits während des Klageverfahrens ein Beteiligtenwechsel kraft Gesetzes im Sinne einer Funktionsnachfolge stattgefunden hat. Denn durch das Sächsische Verwaltungsneuordnungsgesetz (SächsVwNG) vom 29.1.2008 (SächsGVBl Nr 3/2008, S 137 ff) und das Gesetz zur Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes und weiterer sozialer Entschädigungsgesetze (SächsDGBVG) vom selben Tag ging die Zuständigkeit für die Gewährung der Leistungen nach dem OEG iVm dem BVG seit dem 1.8.2008 auf den Kommunalen Sozialverband S. über. Diese Verlagerung der Zuständigkeit für die Aufgaben der Opferentschädigung verstößt nicht gegen höherrangiges Bundesrecht, insbesondere nicht gegen Vorschriften des GG (vgl - zur ähnlichen Übertragung im Rahmen einer Funktionsnachfolge auf die kommunalen Landschaftsverbände in NRW - BSG Urteile vom 17.4.2013 - B 9 V 1/12 R - BSGE 113, 205 = SozR 4-3800 § 1 Nr 20, SozR 4-3900 § 15 Nr 1 - Juris RdNr 23 und - B 9 V 3/12 R - Juris RdNr 23, jeweils unter Hinweis auf Urteile vom 11.12.2008 - B 9 VS 1/08 R - BSGE 102, 149 = SozR 4-1100 Art 85 Nr 1, RdNr 21 und - B 9 V 3/07 R - Juris RdNr 22; vom 23.4.2009 - B 9 VG 1/08 R - Juris RdNr 24; vom 30.9.2009 - B 9 VG 3/08 R - BSGE 104, 245 = SozR 4-3100 § 60 Nr 6, RdNr 26; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 99 RdNr 6a mwN). Diese Übertragung hat zur Folge, dass allein der im Laufe des Verfahrens zuständig gewordene Rechtsträger die von der Klägerin beanspruchte Leistung gewähren kann.

15

2. Die Revision der Klägerin hat in der Sache keinen Erfolg. Das LSG hat auf der Grundlage seiner tatsächlichen Feststellungen die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG zu Recht zurückgewiesen, weil die Klägerin die Anspruchsvoraussetzungen für die Gewährung von Beschädigtenrente nicht erfüllt (3.). Die tatsächlichen Feststellungen des LSG sind für das Revisionsgericht bindend (§ 163 SGG), denn sie halten einer revisionsrichterlichen Überprüfung stand. Die von der Klägerin gerügte Beweiswürdigung (4.) und Sachaufklärung (5.) sind - soweit revisionsrichterlich überprüfbar - nicht zu beanstanden, auch soweit die Klägerin im Revisionsverfahren ergänzend zu ihrem beruflichen Werdegang vorträgt, einen weiteren Zeugen benennt und zu Beweiszwecken eine Urkunde vorlegt.

16

3. Die Klägerin hat nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG keinen Anspruch auf Beschädigtenversorgung nach dem OEG.

17

a. Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch aus einer auf dem Gebiet der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (DDR) vor dem 3.10.1990 begangenen rechtswidrigen Tat ist § 1 iVm § 10a OEG. Nach § 1 Abs 1 S 1 OEG erhält Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG, wer im Geltungsbereich des OEG infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat(zu den allgemeinen Tatbestandsmerkmalen s auch BSG Urteil vom 23.4.2009 - B 9 VG 1/08 R - Juris RdNr 27 mwN).

18

In Altfällen - also bei Schädigungen zwischen dem Inkrafttreten des GG (23.5.1949) und dem Inkrafttreten des OEG (16.5.1976) - müssen daneben noch die besonderen Voraussetzungen gemäß § 10 S 2 OEG iVm § 10a Abs 1 S 1 OEG erfüllt sein. Nach dieser Härteregelung erhalten Personen, die in der Zeit vom 23.5.1949 bis 15.5.1976 geschädigt worden sind, auf Antrag Versorgung, solange sie allein infolge dieser Schädigung schwerbeschädigt und bedürftig sind und im Geltungsbereich des OEG ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben.

19

Seit dem Beitritt der ehemaligen DDR zur Bundesrepublik Deutschland gilt das OEG auch in den neuen Bundesländern. Bei Gewalttaten, die im Gebiet der ehemaligen DDR vor dem 3.10.1990 begangen worden sind, richtet sich der Anspruch auf Versorgung nach der Härtefallregelung des § 10a OEG. Danach erhalten auch Personen, die in dem in Art 3 des Vertrages zwischen der BRD und der DDR über die Herstellung der Einheit Deutschlands (Einigungsvertrag) genannten Gebiet (den sog neuen Bundesländern) ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben oder zum Zeitpunkt der Schädigung hatten, Versorgung nach Maßgabe des § 10a Abs 1 S 1 OEG, wenn die Schädigung in der Zeit vom 7.10.1949 bis zum 2.10.1990 in dem vorgenannten Gebiet eingetreten ist (§ 10 S 2 OEG).

20

b. Nach den Feststellungen des LSG liegen jedoch die Voraussetzungen für eine Versorgung nach dem OEG nicht vor, weil die tatbestandlichen Voraussetzungen von § 1 Abs 1 S 1 OEG nicht erfüllt sind.

21

Gemäß § 1 Abs 1 S 1 OEG(idF vom 11.5.1976, BGBl I 1181) erhält eine natürliche Person ("wer"), die im Geltungsbereich des OEG oder auf einem deutschen Schiff oder Luftfahrzeug infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG. Die erlittene Schädigung muss keine physische Beeinträchtigung sein. Vielmehr sind auch psychische Gesundheitsschäden geeignet, einen Anspruch nach dem OEG zu begründen, jedoch müssen sie auf einen "tätlichen Angriff" zurückzuführen sein. Insoweit ist entscheidend, ob der Primärschaden und eventuelle Folgeschäden gerade die zurechenbare Folge einer körperlichen Gewaltanwendung gegen eine Person sind (BSG Urteil vom 16.12.2014 - B 9 V 1/13 R - BSGE 118, 63 = SozR 4-3800 § 1 Nr 21).

22

Die Klage ist unbegründet, weil ein vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff nicht nachgewiesen ist.

23

c. Der Senat hat für den Begriff "vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff" in ständiger Rechtsprechung grundsätzlich auf eine in feindseliger Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielende gewaltsame Einwirkung abgestellt (BSG Urteil vom 16.12.2014 - B 9 V 1/13 R - aaO; Urteil vom 29.4.2010 - B 9 VG 1/09 R - BSGE 106, 91 = SozR 4-3800 § 1 Nr 17, RdNr 25 mwN; Urteil vom 2.10.2008 - B 9 VG 2/07 R - Juris RdNr 14 mwN). Dabei ist zwar einerseits die Rechtsfeindlichkeit entscheidend, die vor allem als Feindlichkeit gegen das Strafgesetz verstanden wird; von subjektiven Merkmalen (wie etwa einer kämpferischen, feindseligen Absicht des Täters) hat sich die Auslegung insoweit mit Rücksicht auf den das OEG prägenden Gedanken des lückenlosen Opferschutzes weitestgehend gelöst (stRspr seit 1995; vgl hierzu BSG Urteile vom 17.4.2013 - B 9 V 1/12 R - BSGE 113, 205 = SozR 4-3800 § 1 Nr 20, SozR 4-3900 § 15 Nr 1 - Juris RdNr 27 und - B 9 V 3/12 R - Juris RdNr 28, jeweils unter Hinweis auf BSG Urteil vom 7.4.2011 - B 9 VG 2/10 R - BSGE 108, 97 = SozR 4-3800 § 1 Nr 18, RdNr 32 mwN). Andererseits genügt es nicht, dass die Tat gegen eine Norm des Strafgesetzes verstößt, denn die Verletzungshandlung im OEG ist nach dem Willen des Gesetzgebers eigenständig und ohne direkte Bezugnahme auf das StGB geregelt (vgl BT-Drucks 7/2506 S 10). Die Auslegung des Begriffs des "tätlichen Angriffs" orientiert sich jedoch an der im Strafrecht zu den §§ 113, 121 StGB gewonnenen Bedeutung(vgl BSG Urteil vom 7.4.2011 - B 9 VG 2/10 R - aaO, RdNr 32 mwN). Wesentlich ist die grundlegende gesetzgeberische Entscheidung, dass durch die Verwendung des Begriffs des tätlichen Angriffs iS des § 1 Abs 1 S 1 OEG der allgemeine Gewaltbegriff im strafrechtlichen Sinn begrenzt und grundsätzlich eine Kraftentfaltung gegen eine Person erforderlich sein soll(vgl BT-Drucks 7/2506 S 10).

24

Die von der Klägerin behaupteten Ereignisse im K.-Gefängnis in K. in der Zeit vom 9.1989 wären zwar grundsätzlich geeignet einen vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriff iS des § 1 Abs 1 S 1 OEG darzustellen. Diese sind jedoch zur Überzeugung des LSG nicht glaubhaft.

25

d. Der Tatbestand des § 1 Abs 1 S 1 OEG besteht aus drei Merkmalen (vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff - sog schädigender Vorgang -, Schädigung und Schädigungsfolgen), die durch einen Ursachenzusammenhang (Kausalität) miteinander verbunden sind. Hinsichtlich der entscheidungserheblichen Tatsachen kennt das OEG drei Beweismaßstäbe. Grundsätzlich bedürfen die drei Glieder der Kausalkette (schädigender Vorgang, Schädigung und Schädigungsfolgen) des Vollbeweises. Für die Kausalität selbst genügt die Wahrscheinlichkeit (§ 1 Abs 1 S 1 OEG iVm § 1 Abs 3 BVG). Nach Maßgabe des § 15 S 1 KOVVfG, der gemäß § 6 Abs 3 OEG anzuwenden ist, sind der Entscheidung hinsichtlich des schädigenden Vorgangs die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, zugrunde zu legen, wenn Unterlagen nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen oder ohne Verschulden des Antragstellers oder seiner Hinterbliebenen verlorengegangen sind und wenn die Angaben des Antragstellers nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen.

26

Für den Vollbeweis muss sich das Gericht die volle Überzeugung vom Vorhandensein oder Nichtvorhandensein einer Tatsache verschaffen. Allerdings verlangt auch der Vollbeweis keine absolute Gewissheit, sondern lässt eine an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit ausreichen. Denn ein darüber hinausgehender Grad an Gewissheit ist so gut wie nie zu erlangen (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 128 RdNr 3b mwN). Das bedeutet, dass auch dem Vollbeweis gewisse Zweifel innewohnen können und verbleibende Restzweifel bei der Überzeugungsbildung unschädlich sind, solange sie sich nicht zu gewichtigen Zweifeln verdichten (BSG Urteile vom 17.4.2013 - B 9 V 1/12 R - BSGE 113, 205 = SozR 4-3800 § 1 Nr 20, SozR 4-3900 § 15 Nr 1 - Juris RdNr 33 und - B 9 V 3/12 R - Juris RdNr 34 ; BSG Urteil vom 24.11.2010 - B 11 AL 35/09 R - Juris RdNr 21 ). Eine Tatsache ist bewiesen, wenn sie in so hohem Grade wahrscheinlich ist, dass alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung zu begründen (BSG Beschluss vom 8.8.2001 - B 9 V 23/01 B - SozR 3-3900 § 15 Nr 4; BSG Urteil vom 5.5.2009 - B 13 R 55/08 R - BSGE 103, 99, 104).

27

Eine Wahrscheinlichkeit iS des § 1 Abs 3 S 1 BVG ist dann gegeben, wenn nach der geltenden wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang spricht(vgl BSG Beschluss vom 8.8.2001 - B 9 V 23/01 B - SozR 3-3900 § 15 Nr 4 S 14 mwN). Diese Definition ist der Fragestellung nach dem wesentlichen ursächlichen Zusammenhang angepasst, die nur entweder mit ja oder mit nein beantwortet werden kann. Es muss sich unter Würdigung des Beweisergebnisses ein solcher Grad von Wahrscheinlichkeit ergeben, dass ernste Zweifel hinsichtlich einer anderen Möglichkeit ausscheiden. Für die Wahrscheinlichkeit ist ein "deutliches" Übergewicht für eine der Möglichkeiten erforderlich. Sie entfällt, wenn eine andere Möglichkeit ebenfalls ernstlich in Betracht kommt (BSG Urteile vom 17.4.2013 - B 9 V 1/12 R - BSGE 113, 205 = SozR 4-3800 § 1 Nr 20, SozR 4-3900 § 15 Nr 1 - Juris RdNr 34 und - B 9 V 3/12 R - Juris RdNr 35; aA Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 128 RdNr 3c).

28

Bei dem "Glaubhafterscheinen" iS des § 15 S 1 KOVVfG handelt es sich um den dritten, mildesten Beweismaßstab des Sozialrechts. Glaubhaftmachung bedeutet das Dartun einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit (BSG Urteile vom 17.4.2013 - B 9 V 1/12 R - BSGE 113, 205 = SozR 4-3800 § 1 Nr 20, SozR 4-3900 § 15 Nr 1 - Juris RdNr 35 und - B 9 V 3/12 R - Juris RdNr 36 ), dh der guten Möglichkeit, dass sich der Vorgang so zugetragen hat, wobei durchaus gewisse Zweifel bestehen bleiben können (vgl BSG Beschluss vom 8.8.2001 - B 9 V 23/01 B - SozR 3-3900 § 15 Nr 4 S 14 f mwN). Dieser Beweismaßstab ist durch seine Relativität gekennzeichnet. Es muss nicht, wie bei der Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhanges, absolut mehr für als gegen die glaubhaft zu machende Tatsache sprechen. Es reicht die gute Möglichkeit aus, dh es genügt, wenn bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten ist (BSG Urteile vom 17.4.2013 - B 9 V 1/12 R - BSGE 113, 205 = SozR 4-3800 § 1 Nr 20, SozR 4-3900 § 15 Nr 1 - Juris RdNr 35 und - B 9 V 3/12 R - Juris RdNr 36 ), weil nach Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Möglichkeit spricht. Von mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Sachverhaltsvarianten muss eine den übrigen gegenüber ein gewisses (kein deutliches) Übergewicht zukommen. Wie bei den beiden anderen Beweismaßstäben reicht die bloße Möglichkeit einer Tatsache nicht aus, um die Beweisanforderungen zu erfüllen. Das Gericht ist allerdings im Einzelfall grundsätzlich darin frei, ob es die Beweisanforderungen als erfüllt ansieht (Freiheit der richterlichen Beweiswürdigung, § 128 Abs 1 S 1 SGG ; vgl BSG Urteile vom 17.4.2013 - B 9 V 1/12 R - BSGE 113, 205 = SozR 4-3800 § 1 Nr 20, SozR 4-3900 § 15 Nr 1 - Juris RdNr 35 und - B 9 V 3/12 R - Juris RdNr 36; BSG Beschluss vom 8.8.2001 - B 9 V 23/01 B - SozR 3-3900 § 15 Nr 4 S 15).

29

e. Die von der Klägerin behaupteten körperlichen Misshandlungen im K.-Gefängnis sind nicht nachgewiesen im Sinne einer Glaubhaftmachung. Das LSG ist auf Grundlage seiner tatsächlichen Feststellungen zu dem Ergebnis gekommen, dass unmittelbare Tatzeugen für die von der Klägerin behaupteten Ereignisse im K.-Gefängnis in der Zeit vom 9.1989 nicht vorhanden sind. Der von der Klägerin in erster Linie beschuldigte Vorgesetzte hat die Vorwürfe bestritten. Weitere Täter hat die Klägerin nicht namentlich benannt und konnten auch nicht ermittelt werden. Auch sind keine sonstigen Beweismittel (zB Urkundsbeweise, Zeugen) vorhanden, die das Vorbringen der Klägerin entweder stützen oder widerlegen könnten.

30

Auf Grundlage dieser Feststellungen durfte das LSG zu Recht die Beweiserleichterung des § 15 S 1 KOVVfG für anwendbar halten. Denn die Beweiserleichterung des § 15 S 1 KOVVfG ist auch dann anwendbar, wenn für den schädigenden Vorgang keine Zeugen vorhanden sind(vgl grundlegend BSG Urteil vom 31.5.1989 - 9 RVg 3/89 - BSGE 65, 123, 125 = SozR 1500 § 128 Nr 39 S 46; zuletzt BSG Urteile vom 17.4.2013 - B 9 V 1/12 R - BSGE 113, 205 = SozR 4-3800 § 1 Nr 20, SozR 4-3900 § 15 Nr 1 - Juris RdNr 41 und - B 9 V 3/12 R - Juris RdNr 39 ). Nach dem Sinn und Zweck des § 15 S 1 KOVVfG sind damit nur Tatzeugen gemeint, die zu den zu beweisenden Tatsachen aus eigener Wahrnehmung Angaben machen können. Personen, die von ihrem gesetzlichen Zeugnisverweigerungsrecht (vgl §§ 383 ff ZPO ) Gebrauch gemacht haben, sind dabei nicht als Zeugen anzusehen. Entsprechendes gilt für eine als Täter in Betracht kommende Person, die eine schädigende Handlung bestreitet. Denn die Beweisnot des Opfers, auf die sich § 15 S 1 KOVVfG bezieht, ist in diesem Fall nicht geringer, als wenn der Täter unerkannt geblieben oder flüchtig ist. Die Beweiserleichterung des § 15 S 1 KOVVfG gelangt damit auch zur Anwendung, wenn sich die Aussagen des Opfers und des vermeintlichen Täters gegenüberstehen und Tatzeugen nicht vorhanden sind(vgl bereits BSG Beschluss vom 28.7.1999 - B 9 VG 6/99 B - Juris RdNr 6; BSG Urteile vom 17.4.2013 - B 9 V 1/12 R - BSGE 113, 205 = SozR 4-3800 § 1 Nr 20, SozR 4-3900 § 15 Nr 1 - Juris RdNr 41 und - B 9 V 3/12 R - Juris RdNr 39 ).

31

Hiervon ausgehend hat das LSG jedoch die Angaben der Klägerin über einen körperlichen und sexuellen Missbrauch im K.-Gefängnis im September 1989 als nicht glaubhaft erachtet.

32

4. Diese Beurteilung hält einer revisionsrichterlichen Überprüfung stand. Die von der Klägerin gerügte Beweiswürdigung (§ 128 Abs 1 S 1 SGG) und Sachaufklärung (§§ 103, 106 SGG) durch das LSG sind nicht zu beanstanden.

33

Das Tatsachengericht entscheidet gemäß § 128 Abs 1 S 1 SGG nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung; es ist in seiner Beweiswürdigung frei und lediglich an die Regeln der Logik und der Erfahrung gebunden. Das dem Gericht insofern eingeräumte Ermessen kann das Revisionsgericht nur begrenzt überprüfen. Die Grenzen der freien Beweiswürdigung sind erst überschritten, wenn das Tatsachengericht gegen allgemeine Erfahrungssätze oder Denkgesetze verstößt, aber auch, wenn es das Gesamtergebnis des Verfahrens nicht ausreichend und umfassend berücksichtigt (stRspr; vgl etwa schon BSG Beschluss vom 8.7.1958 - 8 RV 1345/57 - SozR Nr 34 zu § 128 SGG; BSG Beschluss vom 15.8.1960 - 4 RJ 291/59 - SozR Nr 56 zu § 128 SGG; zuletzt auch BSG Urteil vom 18.11.2015 - B 9 V 1/14 R - BSGE , SozR 4-3800 § 1 Nr 22; BSG Urteil vom 11.8.2015 - B 9 SB 1/14 R - SozR 4-3250 § 69 Nr 21 mwN).

34

Diese Grenzen hat das LSG eingehalten, es hat sich eingehend mit dem Sachverhalt, den Verfahrens- und den beigezogenen Akten, den Ergebnissen der vom SG eingeholten Sachverständigengutachten und den von ihm in den Rechtsstreit eingeführten Sachverständigengutachten aus anderen OEG-Verfahren auseinandergesetzt. Es hat das Gesamtergebnis des Verfahrens ausreichend und umfassend berücksichtigt und sich frei von Denkfehlern davon überzeugt, dass die Klägerin nicht nachweislich Opfer eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs iS des § 1 OEG geworden ist. Dabei hat es die von ihm angewandte Beweiserleichterung des § 15 S 1 KOVVfG rechtlich zutreffend erkannt. Die Einwände der Klägerin gegen die Verwertung der vom SG eingeholten Sachverständigengutachten greifen nicht durch.

35

a. Die Einholung und Berücksichtigung aussagepsychologischer Gutachten ist im sozialen Entschädigungsrecht zulässig nach Maßgabe der allgemeinen Grundsätze für die Einholung von Sachverständigengutachten ( BSG Urteile vom 17.4.2013 - B 9 V 1/12 R - BSGE 113, 205 = SozR 4-3800 § 1 Nr 20, SozR 4-3900 § 15 Nr 1 - Juris RdNr 44 und - B 9 V 3/12 R - Juris RdNr 42 ).

36

Auch spricht grundsätzlich nichts dagegen, dass ein Berufungsgericht nicht selbst ein aussagepsychologisches Gutachten über den Kläger bzw die Klägerin einholt, sondern für seine Entscheidung Glaubhaftigkeitsgutachten verwertet, welche die Vorinstanz - wie hier geschehen (§ 106 Abs 3 Nr 5 und § 109 Abs 1 S 1 SGG) - im Klageverfahren eingeholt hat. Liegen bereits Gutachten von ärztlichen Sachverständigen desselben Fachgebiets als Beweismittel vor, bedarf es unter Berücksichtigung des Grundsatzes der freien richterlichen Beweiswürdigung (§ 128 Abs 1 S 1 SGG)grundsätzlich keiner weiteren Sachaufklärung in dieser Richtung. Anders verhält es sich, wenn die vorliegenden Gutachten schwere Mängel aufweisen, in sich widersprüchlich sind, von unzutreffenden Voraussetzungen ausgehen oder Zweifel an der Sachkunde oder Sachlichkeit des Sachverständigen erwecken (vgl etwa BSG Beschluss vom 24.3.2005 - B 2 U 368/04 B - Juris RdNr 5 ; BSG Beschluss vom 16.2.2012 - B 9 V 17/11 B - Juris RdNr 13 ) oder wenn wesentliche Veränderungen in dem bereits begutachteten Lebenssachverhalt eingetreten sind (zB Verschlimmerung von gesundheitlichen Leiden, vgl BSG Beschluss vom 24.4.2014 - B 13 R 325/13 B - Juris).

37

Für derartige Mängel oder Veränderungen liegen betreffend die Gutachten der Sachverständigen Sch. und Dr. St. keinerlei Anhaltspunkte vor. Insbesondere geht die Rüge der Klägerin, dass die Gutachten nicht verwertbar seien, weil das SG die Sachverständigen nicht auf den geltenden Beweismaßstab (§ 15 S 1 KOVVfG) hingewiesen und ihnen keine Angaben zur relativen Wahrscheinlichkeit eines Erlebnisbezuges abverlangt hat, ins Leere.

38

b. Allerdings hat der Senat einen Hinweis auf den nach § 15 S 1 KOVVfG geltenden Beweismaßstab gegenüber dem Sachverständigen in seinen Entscheidungen vom 17.4.2013 (B 9 V 1/12 R, B 9 V 3/12 R, s unten) für notwendig erachtet.

39

Aus dem Umstand, dass es im Rahmen des § 15 S 1 KOVVfG ausreicht, wenn die Möglichkeit, dass die Angaben des Antragstellers zutreffen, als die wahrscheinlichste angesehen werden kann, hat der Senat gefolgert, dass ein Gericht den Sachverständigen eines aussagepsychologischen Gutachtens auf den insoweit geltenden Beweismaßstab hinzuweisen und mit ihm zu klären hat, ob er sein Gutachten nach den insoweit maßgebenden Kriterien erstatten könne. Im Rahmen der Beweisfragen müsse darauf abgestellt werden, ob die Angaben mit relativer Wahrscheinlichkeit als erlebnisfundiert angesehen werden könnten. Der Senat ist insoweit davon ausgegangen, dass es erforderlich ist, dem Sachverständigen aufzugeben, solange systematisch und unvoreingenommen nach Fakten zu den verschiedenen Hypothesen zu suchen, bis sich ein möglichst klarer Unterschied in ihrer Geltungswahrscheinlichkeit bzw praktischen Gewissheit ergebe ( BSG Urteile vom 17.4.2013 - B 9 V 1/12 R - BSGE 113, 205 = SozR 4-3800 § 1 Nr 20, SozR 4-3900 § 15 Nr 1 - Juris RdNr 57 ff und - B 9 V 3/12 R - Juris RdNr 55 ff).

40

c. An diesem Erfordernis der Berücksichtigung des Beweismaßstabes nach § 15 S 1 KOVVfG bei der Erstellung eines aussagepsychologischen Gutachtens hält der Senat nach nochmaliger Überprüfung nicht mehr fest. In Verfahren über eine Gewaltopferentschädigung bedarf es keines besonderen Hinweises an den Sachverständigen auf den Beweismaßstab der Glaubhaftmachung.

41

Aussagepsychologische Gutachten können im Rahmen eines sozialgerichtlichen Verfahrens nach dem OEG - gleich wie in anderen Rechtsstreitigkeiten, in denen es wesentlich auf die Aussage eines Beteiligten oder Zeugen ankommt - von Bedeutung sein. Denn Gegenstand eines solchen Gutachtens ist die Beurteilung, ob auf ein bestimmtes Geschehen bezogene Angaben zutreffen, dh einem tatsächlichen Erleben der untersuchten Person entsprechen (vgl grundlegend BGH Urteil vom 30.7.1999 - 1 StR 618/98 - BGHSt 45, 164, 167). Diese Frage stellt sich nicht nur in strafgerichtlichen Verfahren. Eine solche Beurteilung zählt an sich zu den ureigenen Aufgaben eines Tatrichters; sie gehört seit jeher zum Wesen richterlicher Rechtsfindung (BVerfG Nichtannahmebeschluss vom 16.12.2002 - 2 BvR 2099/01 - Juris RdNr 13). Daher kommt die Einholung eines Glaubhaftigkeitsgutachtens nur ausnahmsweise in Betracht (vgl BSG Urteile vom 17.4.2013 - B 9 V 1/12 R - BSGE 113, 205 = SozR 4-3800 § 1 Nr 20, SozR 4-3900 § 15 Nr 1 - Juris RdNr 45 und - B 9 V 3/12 R - Juris RdNr 43, mit Verweis auf BGH Urteil vom 30.7.1999 - 1 StR 618/98 - BGHSt 45, 164, 182; BGH Urteil vom 16.5.2002 - 1 StR 40/02 - Juris RdNr 22 ). Der Richter selbst hat bei der Beweiswürdigung Erfahrungsregeln zu beachten, die ua aus aussagepsychologischen Untersuchungen gewonnen wurden (BVerfG Stattgebender Kammerbeschluss vom 30.4.2003 - 2 BvR 2045/02 - NJW 2003, 2444 - Juris RdNr 37). Allerdings kann die Hinzuziehung eines aussagepsychologischen Sachverständigen insbesondere dann geboten sein, wenn die betreffenden Angaben das einzige das fragliche Geschehen belegende Beweismittel sind und Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sie durch eine psychische Erkrankung der Auskunftsperson (Zeuge, Beteiligter) und deren Behandlung beeinflusst sein können (vgl dazu BSG Urteile vom 17.4.2013 - B 9 V 1/12 R - BSGE 113, 205 = SozR 4-3800 § 1 Nr 20, SozR 4-3900 § 15 Nr 1 - Juris RdNr 45 und - B 9 V 3/12 R - Juris RdNr 43, mit Verweis auf BSG Beschluss vom 7.4.2011 - B 9 VG 15/10 B - Juris RdNr 6 ; Beschluss vom 24.5.2012 - B 9 V 4/12 B - SozR 4-1500 § 103 Nr 9 = Juris RdNr 22).

42

Damit ein aussagepsychologisches Gutachten im Rahmen eines sozialgerichtlichen Verfahrens nach dem OEG verwertet werden kann, muss es sachgerecht erstellt sein. Dies zu gewährleisten, ist in erster Linie Aufgabe des Tatrichters, beispielsweise durch die Wahl eines geeigneten Sachverständigen, durch die Formulierung der Beweisfragen und durch die Prüfung des erstellten Gutachtens. Soweit der Senat in seinen Entscheidungen vom 17.4.2013 (B 9 V 1/12 R, B 9 V 3/12 R) aber noch angenommen hat, dass es im Rahmen der Beweisanordnung eines gerichtlichen Hinweises an den Sachverständigen auf den Beweismaßstab des § 15 S 1 KOVVfG und der Klärung bedürfe, ob der Sachverständige sein Gutachten nach den insoweit maßgebenden Kriterien erstatten könne, wird diese Auffassung nicht aufrechterhalten.

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Dies ist im Wesentlichen auf die Möglichkeiten und Grenzen einer aussagepsychologischen Begutachtung zurückzuführen. Die zugrunde liegenden Tatsachen können vom Senat als generelle Tatsachen (vgl hierzu zB BSGE 112, 257 - SozR 4-2500 § 137 Nr 2 RdNr 4 mwN; Heinz in Roos/Wahrendorf, SGG, 2014, § 163 RdNr 20, 21) anhand der Darstellungen der Sachverständigen Prof. Dr. G. in den vom LSG in den Rechtsstreit eingeführten Gutachten selbst bewertet werden. Deren Expertise auf dem Gebiet der Glaubhaftigkeitsbegutachtung ist allgemein anerkannt und wird auch von den Beteiligten nicht in Frage gestellt. Die Glaubhaftigkeitsbegutachtung kann danach keine Angaben über die Faktizität eines Sachverhalts machen. Möglich ist lediglich herauszufinden, ob sich Aussagen auf Erlebtes beziehen, dh einen Erlebnishintergrund haben ( Greuel/Offe/Fabian/Wetzels/Fabian/Offe/Stadler, Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, 1998, S 27, 49 ; vgl auch BSG Urteile vom 17.4.2013 - B 9 V 1/12 R - BSGE 113, 205 = SozR 4-3800 § 1 Nr 20, SozR 4-3900 § 15 Nr 1 - Juris RdNr 46 und - B 9 V 3/12 R - Juris RdNr 44). Die aussagepsychologische Glaubhaftigkeitsbegutachtung ist eine Methode zur Substantiierung des Erlebnisgehaltes einer Aussage. Im positiven Fall können aussagepsychologische Gutachten Zweifel an der Erlebnisbasis und Zuverlässigkeit einer konkreten Aussage zurückweisen. Dies geschieht durch die Bildung von Alternativhypothesen, dh Konkurrenzannahmen zur Erlebnishypothese, und deren Zurückweisung als unsubstantiiert. Aufgabe des aussagepsychologischen Sachverständigen ist es, auf den Einzelfall bezogene Alternativhypothesen zur Erlebnishypothese darzustellen und durch deren Prüfung erfahrungswissenschaftlich gestützte Feststellungen zu Erlebnishaltigkeit und Zuverlässigkeit von Sachverhaltskonstruktionen, die ein Zeuge oder ein Beteiligter vorträgt, zu treffen. Dadurch vermittelt er dem Gericht auf den Einzelfall bezogene wissenschaftliche Erkenntnisse und stellt diesem aufgrund von Befundtatsachen wissenschaftlich gestützte Schlussfolgerungen zur Verfügung ( BSG Urteile vom 17.4.2013 - B 9 V 1/12 R - BSGE 113, 205 = SozR 4-3800 § 1 Nr 20, SozR 4-3900 § 15 Nr 1 - Juris RdNr 46 und - B 9 V 3/12 R - Juris RdNr 44 mit Verweis auf Greuel/Offe/Fabian/Wetzels/Fabian/Offe/Stadler, Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, 1998, S 280 f).

44

Im Gegensatz dazu obliegt die anschließende umfassende rechtliche Würdigung dieser Feststellungen, Erkenntnisse und Schlussfolgerungen dem Gericht (so schon BSG Urteile vom 17.4.2013 - B 9 V 1/12 R - BSGE 113, 205 = SozR 4-3800 § 1 Nr 20, SozR 4-3900 § 15 Nr 1 - Juris RdNr 46 und - B 9 V 3/12 R - Juris RdNr 44). Die Feststellung, ob die Aussage eines Gewaltopfers bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten relativ am wahrscheinlichsten ist, obliegt allein der richterlichen Beweiswürdigung. Insofern unterscheiden sich aussagepsychologische Glaubhaftigkeitsgutachten nicht von Sachverständigengutachten in anderen, zB medizinischen, Gebieten. Dort, wo dem Gericht eigene Sachkunde fehlt, zB bei der Feststellung einzelner Gesundheitsstörungen, zieht es ärztliches Fachwissen heran. Anschließend ist es grundsätzlich Aufgabe des Tatsachengerichts, ausgehend von einem bestimmten Rechtsstandpunkt eine Beweiswürdigung anhand der feststehenden, zB medizinischen, Tatsachen vorzunehmen (stRspr, vgl BSG Urteil vom 29.1.1956 - 2 RU 121/56 - BSGE 4, 147, 149 f; BSG Urteil vom 9.10.1987 - 9a RVs 5/86 - BSGE 62, 209, 212 ff = SozR 3870 § 3 Nr 26, S 83 f; BSG Urteil vom 30.9.2009 - B 9 SB 4/08 R - SozR 4-3250 § 69 Nr 10; zuletzt BSG Beschluss vom 21.3.2016 - B 9 SB 81/15 B - Juris RdNr 6, RegNr 32076 - BSG-Intern).

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Aus diesen Gründen bedarf es keines Hinweises des Gerichts an den aussagepsychologischen Sachverständigen auf den Beweismaßstab des § 15 S 1 KOVVfG. Aussagepsychologische Gutachten sind von ihrer Logik her nicht darauf ausgerichtet, die differentielle Wahrscheinlichkeit von alternativen Hypothesen zu prüfen (G., Gutachten idS L 10 VE 28/11, S 25 = Prozessakte S 948). Von einem aussagepsychologischen Sachverständigen dennoch eine derartige Prüfung zu verlangen, hieße, diesen in seiner Sachkompetenz zu überfordern. Vielmehr darf dieser nur beurteilen, ob aussagepsychologische Kriterien für oder gegen den Wahrheitsgehalt der Angaben Betroffener sprechen und/oder ob die Aussagen und Erklärungen möglicherweise trotz subjektiv wahrheitsgemäßer Angaben nicht auf eigenen tatsächlichen Erinnerungen der Betroffenen beruhen ( BSG Urteile vom 17.4.2013 - B 9 V 1/12 R - BSGE 113, 205 = SozR 4-3800 § 1 Nr 20, SozR 4-3900 § 15 Nr 1 - Juris RdNr 47 und - B 9 V 3/12 R - Juris RdNr 45 mit Verweis auf LSG NRW Urteil vom 28.11.2007 - L 10 VG 13/06 - Juris RdNr 25 aE). Die Würdigung der eingeholten Sachverständigengutachten - hier der auf den Einzelfall bezogenen wissenschaftlichen Erkenntnisse über die Aussagetüchtigkeit der begutachteten Person sowie der Qualität und der Zuverlässigkeit ihrer Aussage - ist hingegen ureigene tatrichterliche Aufgabe (zu medizinischen Tatsachen vgl BSG Beschluss vom 11.3.2016 - B 9 V 3/16 B - Juris RdNr 6, RegNr 32065 - BSG-Intern). Selbst wenn ein Sachverständiger Vorschläge zur rechtlichen Bewertung der von ihm sachkundig festgestellten Tatsachen macht, sind die Gerichte an diese nicht gebunden(zu medizinischen Tatsachen vgl BSG Beschluss vom 21.3.2016 - B 9 SB 81/15 B - Juris RdNr 6, RegNr 32076 - BSG-Intern). Daher ist auch eine entsprechende Fragestellung im Rahmen der Beweisanordnung nicht erforderlich.

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Zwar ist es möglich, dass sich im Rahmen der Glaubhaftigkeitsbegutachtung eine oder mehrere Konkurrenzannahmen zur Erlebnishypothese nicht zurückweisen lassen und (mindestens) ebenso wahrscheinlich sind wie ein Erlebnisbezug der Aussage. Weil aber aussagepsychologische Sachverständige keine relative Wahrscheinlichkeit der Aussagen feststellen (können), muss ein für die Auskunftsperson ungünstiges Ergebnis eines Glaubhaftigkeitsgutachtens (dh Zweifel am Erlebnisbezug der Aussage können nicht ausgeschlossen werden) nicht bedeuten, dass die betreffenden Angaben nicht iS des § 15 S 1 KOVVfG als glaubhaft erscheinen können. Diesen Unterschied im Rahmen der Beweiswürdigung zu beachten, ist richterliche Aufgabe.

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Vor diesem Hintergrund ist es unschädlich, dass das SG die Sachverständigen S. und Dr. St. nicht auf den § 15 S 1 KOVVfG hingewiesen und das LSG kein weiteres aussagepsychologisches Gutachten über die Klägerin eingeholt hat. Dies gilt auch in Ansehung der sinngemäßen Rüge der Klägerin, dass die vom SG beauftragten Sachverständigen keine Angaben dazu gemacht haben, ob ihre Angaben mit relativer Wahrscheinlichkeit als erlebnisfundiert angesehen werden können, obwohl dies "einem Psychologen aufgrund seiner Qualifikation und seiner Erfahrung möglich sein" müsse. Entgegen dem Revisionsvorbringen ist insoweit - wie oben ausgeführt - zu unterscheiden zwischen der Begutachtung zum Zwecke der Beweiserhebung einerseits und der richterlichen Beweiswürdigung andererseits.

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d. Schließlich hat das LSG auch den von § 15 S 1 KOVVfG eröffneten Beweismaßstab der Glaubhaftmachung nicht verkannt. Das LSG hat sich bei seiner Verneinung einer Glaubhaftigkeit der Angaben der Klägerin nach § 15 S 1 KOVVfG zwar auch auf die aussagepsychologischen Gutachten der Sachverständigen Sch. und Dr. St. gestützt. Beiden Gutachten kam der bzw die jeweilige Sachverständige zu dem Ergebnis, dass die Nullhypothese des fehlenden Erlebnisbezuges nicht zurückgewiesen werden konnte, dh dass die Klägerin die Angaben in Bezug auf den vorgetragenen sexuellen Missbrauch im K.-Gefängnis auch ohne einen Erlebnisbezug berichten könne. Jedoch hat das LSG das Ergebnis der aussagepsychologischen Gutachten in seiner Entscheidung nicht unkritisch übernommen und seine eigene Beurteilung der Aussagen der Klägerin im Rahmen der aussagepsychologischen Begutachtungen in der Zusammenschau mit dem übrigen Akteninhalt zum Kern seiner Entscheidung gemacht. Das LSG hat seine Überzeugung, dass die Behauptung der Klägerin, sie sei im September 1989 im K.-Gefängnis sexuell missbraucht und gefoltert worden, nicht glaubhaft sei, auf "seine eigene Überzeugung" gestützt, die es sich "aus den gesamten vorliegenden Unterlagen gebildet hat sowie ergänzend auf die Ausführungen der Sachverständigen Dipl.-Psych. Sch. in ihrem Gutachten vom 12. Mai 2010 und Dr. St. vom 31.12.2012" (s S 18 f des Urteils). Folglich hat das LSG seine Auffassung von der fehlenden Glaubhaftigkeit der Behauptungen der Klägerin nicht allein auf Grundlage der Ergebnisse der beiden aussagepsychologischen Gutachten über die Klägerin gebildet, sondern hat eine freie und umfassende Beweiswürdigung vorgenommen.

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5. Soweit die Klägerin eine Verletzung der Sachaufklärungspflicht (§§ 103, 106 SGG) des LSG darin sieht, dass dieses sie zur Widersprüchlichkeit ihrer Angaben weder schriftlich angehört noch zur mündlichen Verhandlung persönlich geladen habe, dringt sie damit nicht durch. Eine Verletzung der §§ 103, 106 SGG liegt nur vor, wenn das Tatsachengericht Ermittlungen unterlässt, obwohl es sich ausgehend von seiner Rechtsauffassung zu weiteren Ermittlungen hätte gedrängt fühlen müssen(stRspr vgl zB BSG Urteil vom 10.6.1975 - 9 RV 124/74 - BSGE 40, 49 = SozR 3100 § 30 Nr 7). Daran fehlt es hier. Das LSG durfte insbesondere die Feststellungen aus dem staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren zum beruflichen Werdegang der Klägerin übernehmen (vgl BSG Urteil vom 22.6.1988 - 9/9a RVg 3/87 - BSGE 63, 270, 273 = SozR 1500 § 128 SGG Nr 34, S 31 ). Selbst wenn diese Wiedergabe ungenau oder in Teilen unzutreffend sein sollte, hat die Klägerin nicht hinreichend dargelegt, inwiefern die Entscheidung des LSG darauf - revisionsrechtlich relevant - beruhen sollte. Das Vorbringen der Klägerin im Zusammenhang mit ihrem beruflichen Werdegang stellt allenfalls ein von den tatsächlichen Feststellungen des LSG abweichendes tatsächliches Vorbringen dar, nicht aber eine durchgreifende Verfahrensrüge. Abweichenden Sachvortrag in der Revisionsinstanz kann der Senat nicht berücksichtigen (BSG Urteil vom 25.4.2002 - B 11 AL 89/01 R - BSGE 89, 250, 252 = SozR 3-4100 § 119 Nr 24; Urteil vom 11.3.1970 - 3 RK 25/67 - BSGE 31, 63, 65 = SozR Nr 17 zu § 3 AVG). Nichts anderes gilt hinsichtlich der dem LSG im Übrigen zahlreich vorliegenden aktenkundigen Aussagen der Klägerin aus den Jahren seit 1997 gegenüber verschiedenen Ärzten, Behörden und Gerichten, die sowohl voneinander als auch von den Inhalten der aktenkundigen Urkunden abweichen. Soweit die Klägerin einen weiteren Zeugen benennt und zu Beweiszwecken eine Urkunde vorlegt, musste der Senat dies auch nicht ausnahmsweise berücksichtigen, etwa zur Vermeidung eines Wiederaufnahmeverfahrens (vgl BSGE 18, 186 = SozR Nr 6 zu § 179 SGG).

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Soweit die Klägerin sinngemäß eine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör darin sehen sollte, dass das LSG sie zur Widersprüchlichkeit ihrer Angaben weder schriftlich angehört noch zur mündlichen Verhandlung persönlich geladen habe, so dringt sie auch hiermit nicht durch. Der in §§ 62, 128 Abs 2 SGG konkretisierte Anspruch auf rechtliches Gehör(Art 101 Abs 1 GG) soll verhindern, dass die Beteiligten durch eine Entscheidung überrascht werden, die auf Rechtsauffassungen, Tatsachen oder Beweisergebnissen beruht, zu denen sie sich nicht haben äußern können (vgl BSG Urteil vom 23.5.1996 - 13 RJ 75/95 - SozR 3-1500 § 62 Nr 12; BVerfG Beschluss vom 29.5.1991 - 1 BvR 1383/90 - BVerfGE 84, 188, 190), und sicherstellen, dass ihr Vorbringen vom Gericht zur Kenntnis genommen und in seine Erwägungen miteinbezogen wird (BVerfG Beschluss vom 19.7.1967 - 2 BvR 639/66 - BVerfGE 22, 267, 274; BVerfG Urteil vom 8.7.1997 - 1 BvR 1621/94 - BVerfGE 96, 205, 216 f). In diesem Rahmen besteht jedoch keine allgemeine Aufklärungspflicht des Gerichts über die Rechtslage ( BSG Urteil vom 16.3.2016 - B 9 V 6/15 R - vorgesehen für SozR 4). Auch besteht weder eine Pflicht des Gerichts, bei der Erörterung der Sach- und Rechtslage im Rahmen der mündlichen Verhandlung bereits die endgültige Beweiswürdigung darzulegen, noch dies bereits vor der mündlichen Verhandlung im Rahmen eines richterlichen Hinweises zu tun. Denn das Gericht kann und darf das Ergebnis der Entscheidung, die in seiner nachfolgenden Beratung erst gefunden werden soll, nicht vorwegnehmen ( BSG Urteil vom 16.3.2016, aaO). Angesichts der bereits lange vorliegenden Gutachten wie auch des Inhalts des Widerspruchsbescheides und des Urteils des SG musste die Klägerin damit rechnen, dass das LSG ihre Aussagen als widersprüchlich bewerten und ihren Anspruch verneinen würde.

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6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

(1) Zur Gewährung der Versorgung ist das Land verpflichtet, in dem die berechtigte Person ihren Wohnsitz, bei Fehlen eines Wohnsitzes ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat, soweit die Absätze 2 bis 8 in Verbindung mit § 6 Absatz 1 nichts Abweichendes regeln.

(2) Für die Entscheidung über einen bis einschließlich 19. Dezember 2019 gestellten und nicht bestandskräftig beschiedenen Antrag auf Leistungen nach § 1 ist bis zum 30. Juni 2020 dasjenige Land zuständig und zur Gewährung der Versorgung verpflichtet, in dem die Schädigung eingetreten ist. Ab dem 1. Juli 2020 ist für die Entscheidung dasjenige Land zuständig und zur Gewährung der Versorgung verpflichtet, in dem die berechtigte Person ihren Wohnsitz, bei Fehlen eines Wohnsitzes ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat.

(3) Für eine berechtigte Person, die am 19. Dezember 2019 bereits Leistungen nach § 1 erhält, und in den Fällen nach Absatz 2 Satz 1, in denen Leistungen nach § 1 gewährt werden, ist bis zum 31. Dezember 2020 das Land zur Gewährung der Versorgung verpflichtet, in dem die Schädigung eingetreten ist; dies gilt auch, wenn Anträge auf zusätzliche Leistungen gestellt werden. Ab dem 1. Januar 2021 ist dasjenige Land zur Gewährung der Versorgung verpflichtet, in dem die leistungsberechtigte Person im Sinne des Satzes 1 ihren Wohnsitz, bei Fehlen eines Wohnsitzes ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat.

(4) Sind in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 und des Absatzes 3 Satz 1 Feststellungen zu dem Ort der Schädigung nicht möglich, so ist das Land zur Gewährung der Versorgung verpflichtet, in dem der Geschädigte zur Tatzeit seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hatte.

(5) Haben berechtigte Personen ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt außerhalb des Geltungsbereiches dieses Gesetzes, ist das Land zur Gewährung der Versorgung verpflichtet, in dem die Schädigung eingetreten ist. Abweichend von Satz 1 bleibt das nach den Absätzen 1 bis 4 bestimmte Land zur Gewährung der Versorgung verpflichtet, wenn der Wohnsitz, bei Fehlen eines Wohnsitzes der gewöhnliche Aufenthalt nach der Schädigung ins Ausland verlegt wird.

(6) Wenn der Geschädigte zur Tatzeit seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt nicht im Geltungsbereich dieses Gesetzes hatte und eine Feststellung, in welchem Land die Schädigung eingetreten ist, nicht möglich ist, trägt der Bund die Kosten der Versorgung. Das Gleiche gilt, wenn die Schädigung auf einem deutschen Schiff, einem deutschen Luftfahrzeug oder an einem Ort im Ausland eingetreten ist.

(7) Der Bund trägt vierzig vom Hundert der Ausgaben, die den Ländern durch Geldleistungen nach diesem Gesetz entstehen. Zu den Geldleistungen gehören nicht solche Geldbeträge, die zur Abgeltung oder an Stelle einer Sachleistung gezahlt werden. Zur Vereinfachung der Abrechnung erstattet der Bund den Ländern in einem pauschalierten Verfahren jeweils 22 Prozent der ihnen nach Absatz 1 entstandenen Ausgaben. Der Bund überprüft in einem Abstand von fünf Jahren, erstmals im Jahr 2014, die Voraussetzungen für die in Satz 3 genannte Quote.

(8) In den Fällen des § 3 Abs. 1 sind die Kosten, die durch das Hinzutreten der weiteren Schädigung verursacht werden, von dem Leistungsträger zu übernehmen, der für die Versorgung wegen der weiteren Schädigung zuständig ist.

(1) Wer im Geltungsbereich dieses Gesetzes oder auf einem deutschen Schiff oder Luftfahrzeug infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes. Die Anwendung dieser Vorschrift wird nicht dadurch ausgeschlossen, daß der Angreifer in der irrtümlichen Annahme von Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrunds gehandelt hat.

(2) Einem tätlichen Angriff im Sinne des Absatzes 1 stehen gleich

1.
die vorsätzliche Beibringung von Gift,
2.
die wenigstens fahrlässige Herbeiführung einer Gefahr für Leib und Leben eines anderen durch ein mit gemeingefährlichen Mitteln begangenes Verbrechen.

(3) Einer Schädigung im Sinne des Absatzes 1 stehen Schädigungen gleich, die durch einen Unfall unter den Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 Buchstabe e oder f des Bundesversorgungsgesetzes herbeigeführt worden sind; Buchstabe e gilt auch für einen Unfall, den der Geschädigte bei der unverzüglichen Erstattung der Strafanzeige erleidet.

(4) Ausländerinnen und Ausländer haben dieselben Ansprüche wie Deutsche.

(5) Die Hinterbliebenen eines Geschädigten erhalten auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes. Partner einer eheähnlichen Gemeinschaft erhalten Leistungen in entsprechender Anwendung der §§ 40, 40a und 41 des Bundesversorgungsgesetzes, sofern ein Partner an den Schädigungsfolgen verstorben ist und der andere unter Verzicht auf eine Erwerbstätigkeit die Betreuung eines gemeinschaftlichen Kindes ausübt; dieser Anspruch ist auf die ersten drei Lebensjahre des Kindes beschränkt.

(6) Einer Schädigung im Sinne des Absatzes 1 stehen Schädigungen gleich, die ein Berechtigter oder Leistungsempfänger nach Absatz 1 oder 5 in Verbindung mit § 10 Abs. 4 oder 5 des Bundesversorgungsgesetzes, eine Pflegeperson oder eine Begleitperson bei einer notwendigen Begleitung des Geschädigten durch einen Unfall unter den Voraussetzungen des § 8a des Bundesversorgungsgesetzes erleidet.

(7) Einer gesundheitlichen Schädigung im Sinne des Absatzes 1 steht die Beschädigung eines am Körper getragenen Hilfsmittels, einer Brille, von Kontaktlinsen oder von Zahnersatz gleich.

(8) Wird ein tätlicher Angriff im Sinne des Absatzes 1 durch den Gebrauch eines Kraftfahrzeugs oder eines Anhängers verübt, werden Leistungen nach diesem Gesetz erbracht.

(9) § 1 Abs. 3, die §§ 64 bis 64d, 64f sowie 89 des Bundesversorgungsgesetzes sind mit der Maßgabe anzuwenden, daß an die Stelle der Zustimmung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales die Zustimmung der für die Kriegsopferversorgung zuständigen obersten Landesbehörde tritt, sofern ein Land Kostenträger ist (§ 4). Dabei sind die für deutsche Staatsangehörige geltenden Vorschriften auch für von diesem Gesetz erfaßte Ausländer anzuwenden.

(10) § 20 des Bundesversorgungsgesetzes ist mit den Maßgaben anzuwenden, daß an die Stelle der in Absatz 1 Satz 3 genannten Zahl die Zahl der rentenberechtigten Beschädigten und Hinterbliebenen nach diesem Gesetz im Vergleich zur Zahl des Vorjahres tritt, daß in Absatz 1 Satz 4 an die Stelle der dort genannten Ausgaben der Krankenkassen je Mitglied und Rentner einschließlich Familienangehörige die bundesweiten Ausgaben je Mitglied treten, daß Absatz 2 Satz 1 für die oberste Landesbehörde, die für die Kriegsopferversorgung zuständig ist, oder die von ihr bestimmte Stelle gilt und daß in Absatz 3 an die Stelle der in Satz 1 genannten Zahl die Zahl 1,3 tritt und die Sätze 2 bis 4 nicht gelten.

(11) Im Rahmen der Heilbehandlung sind auch heilpädagogische Behandlung, heilgymnastische und bewegungstherapeutische Übungen zu gewähren, wenn diese bei der Heilbehandlung notwendig sind.

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 19. Dezember 2012 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand

 
Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung einer Beschädigtenversorgung nach dem Soldatenversorgungsgesetz (SVG) streitig.
Der am … 1941 geborene Kläger war bis zu seiner Pensionierung am 01.10.1997 Berufssoldat. Am 25.12.1996 erlitt er eine Lungenembolie, welche durch eine Embolektomie mit Einbau eines Vena-Cava-Schirms operativ behandelt wurde. Seither ist eine dauerhafte Marcumar-Antikoagulations-Medikation erforderlich.
Am 21.09.1998 beantragte der Kläger beim Beklagten wegen einer Lungenembolie am 25.12.1996 in Tunis/Tunesien während seines militärischen Dienstes als Verteidigungsattaché von 1993 bis 1997 die Gewährung von Beschädigtenversorgung nach dem SVG und legte ärztliche Unterlagen hierzu vor. Mit Schreiben vom 22.10.1998 übersandte der Beklagte der Wehrbereichsverwaltung (WBV) den Antrag mit dem Hinweis, dass nach § 88 Abs. 2 SVG zuerst eine Entscheidung durch diese zu treffen sei, da der Kläger Berufssoldat gewesen sei.
Ebenfalls am 21.09.1998 beantragte der Kläger die Feststellung seines Grades der Behinderung (GdB). Nach Einholung einer versorgungsärztlichen Stellungnahme der Internistin Dr. C. (GdB 30 für die Restfolgen nach chirurgischer Embolektomie bei Lungenembolie, Vena-Cava-Schirm-Implantation) stellte das Versorgungsamt mit Bescheid vom 30.06.1999 den GdB mit 30 seit dem 21.09.1998 fest. Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies das Landesversorgungsamt B. nach Einholung einer versorgungsärztlichen Stellungnahme vom Versorgungsarzt S., wonach die Restfolgen nach Embolektomie gemäß der Befunde nicht höher als mit einem GdB von 30 einzuschätzen seien, mit Widerspruchsbescheid vom 29.09.1999 zurück.
Die WBV veranlasste ein truppenärztliches Gutachten durch Oberstabsarzt Dr. B., der in seinem Gutachten vom 03.01.2000 im Wesentlichen auf den Befundbericht von Dr. G., Internist, vom 28.02.2000 über eine Untersuchung am 25.02.2000 verwies, wonach ein Zustand nach fulminanter Lungenembolie mit Schockzustand sowie notfallmäßiger Embolektomie (1996), Cava-Schirm mit Dauer-Antikoagulatien-Therapie diagnostiziert wurde. Der Kläger sei im Wesentlichen beschwerdefrei bei Therapie mit Marcumar. Es liege kein Nachweis einer Rechtsherzbelastung oder einer sonstigen organischen Herzerkrankung vor. Es habe sich ein normaler kardialer Befund mit einer guten kardialen Leistungsbreite mit Belastbarkeit bis zur 200-Watt-Stufe gezeigt. In der daraufhin veranlassten sozialmedizinischen Versorgungsbegutachtung wurde von Dr. V. ausgeführt, die akute Erkrankung (massive Lungenembolie beidseits mit Schock am 27.12.1996), eine wehrdienstunabhängige Gesundheitsstörung, sei truppenärztlich behandelt worden, wodurch der Kläger habe überleben können. Nachteilige gesundheitliche Folgen der truppenärztlicher Behandlung könnten nicht bezeichnet werden.
Darauf gestützt lehnte die WBV mit Bescheid vom 06.09.2000 die Anerkennung einer Wehrdienstbeschädigung (WDB) und die Gewährung eines Ausgleichs ab. Hiergegen legte der Kläger am 05.10.2000 Widerspruch ein, den er damit begründete, er führe die Lungenembolie auf fehlerhafte truppenärztliche Behandlung zurück. Die unzureichende truppenärztliche Behandlung im Vorfeld der fulminanten Lungenembolie wirke sich in irreversiblen Folgen einschneidend auf seine Lebensqualität aus (Cava-Schirm/Marcumar).
Dr. C. führte in ihrer von dem Beklagten eingeholten versorgungsärztlichen Stellungnahme unter Bezugnahme auf das Gutachten von Dr. V. für die WBV aus, ein schädigendes Ereignis im Sinne eines wehrdienstbedingten ursächlichen Vorgangs bzw. eines wehrdiensteigentümlichen Geschehens könne nicht gesichert werden. Die fulminante Lungenembolie und die dadurch bedingte Behandlung und deren Dauerfolgen stellten eine nicht wehrdienstbedingte Gesundheitsstörung dar.
Mit Bescheid vom 05.02.2001 lehnte der Beklagte daraufhin die Gewährung von Beschädigtenversorgung nach dem SVG ab. Hiergegen legte der Kläger am 27.02.2001 unter Vorlage der Begründung des Widerspruchs gegenüber der WBV Widerspruch ein.
Die WBV holte ein weiteres Gutachten nach Aktenlage bei Dr. V. ein, in dem diese ausführte, es bestehe keinerlei kausaler Zusammenhang zwischen der jahrelang beobachteten Bronchitis und der fulminanten Lungenembolie am 25.12.1996. Hierauf gestützt wurde der gegen den Bescheid der WBV vom 06.09.2000 eingelegte Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 20.06.2002 zurückgewiesen.
10 
Hiergegen legte der Kläger am 24.07.2002 Klage beim Sozialgericht Karlsruhe (SG) ein (S 1 VS 2515/02). Mit Urteil vom 21.04.2005 wies das SG die Klage auf Gewährung eines Ausgleichs und Feststellung eines Zustandes nach abgelaufener, durch Embolektomie und Cava-Schirm operativ behandelter fulminanter Lungenembolie, beidseits mit kardialem Schockzustand ohne verbliebene Rechtsherzbelastung oder sonstige Herzerkrankung, mit Dauer-Antikoagulantien-Prophylaxe ab. In Übereinstimmung mit dem Gutachten von Dr. V. könne nicht festgestellt werden, dass die erlittene Lungenembolie zumindest wesentlich auf die wehrdiensteigentümlichen Besonderheiten der truppenärztlichen Versorgung zurückgeführt werden könne.
11 
Dagegen legte der Kläger am 28.06.2005 beim Landessozialgericht Baden-Württemberg Berufung ein (L 6 VS 2615/05). Schon im Dezember 1994 hätte die Diagnose einer Bronchitis in Frage gestellt werden müssen. Auch die später festgestellte Vergrößerung des Herzens deute auf eine längere Entwicklung der Lungenembolie hin. Seitens der WBV wurde ausgeführt, es treffe nicht zu, dass der Kläger die behandelnden Ärzte so über die Vorerkrankung informiert habe, dass eine abweichende Diagnose oder die Einbeziehung eines weiteren Facharztes angezeigt gewesen wäre. Zur weiteren Ermittlung wurde eine Stellungnahme von Dr. B. eingeholt. Dr. V. führte in einer weiteren sozialmedizinischen Stellungnahme aus, es sei auszuschließen, dass irgendwelche truppenärztliche Maßnahmen die fulminante Lungenembolie hätten verhindern können. Diese habe in keinerlei Zusammenhang mit der abgelaufenen, akuten Erkrankung der Bronchien oder der Lungen gestanden. Bei allen eingehenden Untersuchungen des Herzens, die vor Dezember 1996 erfolgt seien, hätten sich pathologische Auffälligkeiten wie z. B. zu Embolien prädestinierende Störungen der Herzschlagfolge (Arrhythmien) nicht ergeben.
12 
Auf Antrag und Kosten des Klägers wurde nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Dr. S., Chefarzt der Pneumologie der S.-Kliniken K., mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt. Er diagnostizierte nach ambulanten Untersuchungen des Klägers am 30.10.2006 und 02.11.2006 einen Zustand nach fulminanter beidseitiger Lungenembolie am 25.12.1996, einen Zustand nach beidseitiger Embolektomie am 25.12.1996, einen Zustand nach Einbau eines Vena-Cava-Schirmes am 25.12.1996, ein Cor pulmonale und eine leichte Gasaustauschstörung nach Lungenembolien. Sollte die Aussage des Klägers, er habe bei seinen truppenärztlichen Untersuchungen über Bluthusten und Atemnot geklagt, zutreffen, hätte die Verdachtsdiagnose einer Lungenembolie gefällt werden müssen und eine entsprechende Diagnostik hätte mit großer Wahrscheinlichkeit die lebensbedrohliche, schwere Lungenembolie vermeiden können. Eine relevante kardiopulmonale Einschränkung bestehe zum aktuellen Zeitpunkt nicht. Ebenfalls bestehe keine schmerzbedingte Einschränkung nach Pulmonal-Arterien-Embolektomie. Der Kläger erreiche das zu erwartende altersentsprechende Leistungsniveau ohne relevante funktionelle Einschränkung.
13 
Eine mündliche Verhandlung am 13.12.2007 wurde zur Durchführung weiterer Ermittlungen vertagt und eine Stellungnahme beim 1996 operierenden Arzt Dr. C. eingeholt. Dr. S. gab in einer ergänzenden gutachterlichen Stellungnahme an, wäre vor der schweren Lungenembolie im Dezember 1996 eine vorangegangene leichte Lungenembolie rechtzeitig diagnostiziert worden, hätte diese durch eine Antikoagulantien-Therapie mit Marcumar mit großer Wahrscheinlichkeit vermieden werden können. Funktionell sei der Kläger normal belastbar, eine messbare und damit quantifizierbare Einschränkung bestehe nicht. Der Kläger legte daraufhin einen Arztbrief des Internisten und Kardiologen Dr. G. vom 14.01.2008 (tachykardiale Rhythmusstörungen, wahrscheinlich mit Vorhofflattern, beginnende Linksinsuffizienz, Infekt der oberen Luftwege mit Bronchitis und Zustand nach Lungenembolie mit Cava-Schirm) und einen Arztbrief von Prof. Dr. G., Kardiologe, vom 06.03.2008 über einen stationären Aufenthalt des Klägers vom 14.01.2008 bis 28.01.2008 in den S.-Kliniken K. (Zustand nach Vorhofflattern mit folgender Ablation, Zustand nach AV-Block III° mit folgender Schrittmacher-Implantation, Zustand nach Lungenembolie und tiefer Beinvenenthrombose, Ausschluss einer signifikanten koronaren Herzkrankheit, gute Lungenvolumen-Funktion) vor.
14 
Dr. V. gab in einer weiteren versorgungsmedizinischen gutachtlichen Stellungnahme an, es sei zu fragen, ob nicht ein seinerzeit aufgetretenes vorübergehendes Vorhofflattern oder Vorhofflimmern zu den Lungenembolien geführt habe. Es sei unbekannt, worauf sich die Einschätzung des GdB im Rahmen des Schwerbehindertenrechts seitens der Versorgungsverwaltung gründe. Es werde allerdings darauf hingewiesen, dass die Einschätzung eines GdB im Schwerbehindertenverfahren niemals Grundlage der Einschätzung des GdS sei.
15 
Dr. S. legte in einer weiteren ergänzenden gutachterlichen Stellungnahme dar, bei der Begutachtung habe sich unter einem normalen von Rhythmusstörungen unbeeinträchtigten Sinusrhythmus eine vollkommen normale Leistungsfähigkeit und Belastbarkeit bis 200 Watt gezeigt. Leistungsmindernde Folgen der Lungenembolie ließen sich nicht nachweisen. Insofern sei eine MdE zu verneinen. Frau Dr. V. Aussage über die wehrdienstunabhängigen Rhythmusstörungen des Klägers als Ursache der Lungenembolien sei nicht zu folgen. Hierauf wurde von Dr. V. die Einholung eines kardiologischen Gutachtens angeregt und sodann Prof. Dr. G. mit der Erstellung eines kardiologischen Gutachtens beauftragt. Dieser gab nach ambulanter Untersuchung des Klägers am 08.09.2009 an, gehe man von der Möglichkeit einer stattgehabten Lungenembolie 1994 aus, wäre ein zweites Ereignis durch eine prophylaktisch eingeleitete Antikoagulation mit Marcumar möglicherweise zu verhindern gewesen. Hinweise auf ein intermittierendes Vorhofflattern gebe es im Krankheitsverlauf des Klägers bis 1996 nicht. Auch in den Zeiträumen zwischen 1994 und 1996 und 1996 bis 2008 seien keine Angaben über klinische Hinweise über Palpitation gemacht worden. Erst im Januar 2008 habe sich im EKG eine tachykarde Rhythmusstörung, am ehesten Vorhofflattern mit 2 : 1 -Überleitung mit einer regelmäßigen Kammerfrequenz von 124/Min. gezeigt. Die Ursache des erneut aufgetretenen Vorhofflatterns sei unklar. Möglicherweise handle es sich um eine strukturelle Veränderung der Vorhöfe infolge des chronischen Cor pulmonale. Eine durch die Lungenembolie mit nachfolgender Embolektomie verursachte Herzrhythmusstörung (Vorhofflattern) sei möglich, jedoch nach zwölfjähriger Latenz aus medizinischer Sicht nicht beweisbar, da die Wahrscheinlichkeit des Auftretens dieser Rhythmusstörungen auch mit zunehmendem Alter der Menschen zunehme. Nach Anamnese und Untersuchung sowie echokardiographischer Beurteilung der linksventrikulären Funktion sei der Kläger in seinem Alltag in Ruhe aktuell normal belastbar, habe jedoch bei mittelschwerer bis schwerer Belastung bzw. mittelschwerer körperlicher Arbeit eine Dyspnoe und müsse die Arbeit unterbrechen. Eine Echokardiographie zeige eine leicht reduzierte linksventrikuläre Funktion. Gehe man davon aus, dass die 2008 aufgetretene hämodynamisch-relevanten Rhythmusstörungen (Vorhofflattern) Folge der 1996 stattgehabten Lungenembolie seien, werde unter Berücksichtigung der Schrittmacher-Abhängigkeit und der dauerhaft notwendigen Antikoagulation mit Marcumar von einem Gesamt-GdS von 30 ausgegangen. In seiner ergänzenden Stellungnahme vom 04.03.2010 gab er noch an, eine akute Lungenembolie könne häufig Arrhythmien auslösen. Im vorliegenden Fall handle es sich jedoch um ein Vorhofflattern, das erst nach mehreren Jahren nach einer Lungenembolie aufgetreten sei und in den Zwischenjahren seien keine Rhythmusstörungen beschrieben worden. Auch mehrere echokardiographische Kontrollen hätten keine chronischen Rechtsherzbelastungszeichen mit einer Dilatation der Vorhöfe gezeigt, die eine atriale Rhythmusstörung begünstigten. Von einer Prädisposition des Klägers zum Vorhofflattern müsse ausgegangen werden. Daher spreche mehr dagegen als dafür, dass die 1999 stattgehabte Lungenembolie Ursache für das Vorhofflattern und die leichte Herzinsuffizienz sei.
16 
Mit Urteil vom 11.03.2010 änderte das Landessozialgericht das Urteil des SG vom 21.04.2005 und den Bescheid der WBV vom 06.09.2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.06.2002 ab und stellte als Wehrdienstbeschädigungsfolge einen Zustand nach abgelaufener, durch beidseitige Embolektomie und Einbau eines Vena-Cava-Schirms operativ behandelter, fulminanter Lungenembolie mit dauerhafter Marcumar-Antikoagulations-Prophylaxe fest. Im Übrigen wurde die Berufung zurückgewiesen. Es stehe mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit fest, dass im Rahmen der truppenärztlichen Behandlungen am 09.09.1996 und 10.09.1996 genügend für eine beim Kläger bereits nach 1994 abgelaufene erste Lungenembolie sprechende Verdachtsmomente vorgelegen hätten. Wenn im September 1996 truppenärztlich die Verdachtsdiagnose einer Lungenembolie gestellt worden wäre, wäre durch eine entsprechende Diagnostik mit hinreichender Wahrscheinlichkeit die vom Kläger am 25.12.1996 erlittene fulminante Lungenembolie und damit auch die durch eine beidseitige Embolektomie mit Einbau eines Vena-Cava-Schirms und dauerhafter Marcumar-Antikoagulations-Prophylaxe bedingte dauerhafte Gesundheitsstörung vermieden worden. Nicht als Wehrdienstbeschädigungsfolge festzustellen seien die Herzrhythmusstörungen und die hiermit verbundene Notwendigkeit eines Herzschrittmachers. Gegen einen ursächlichen Zusammenhang spreche insbesondere die fast zwölfjährige Latenz zwischen der im Jahr 1996 aufgetretenen Lungenembolie und der im Jahr 2008 aufgetretenen Herzproblematik und die mit zunehmendem Alter der Menschen sich erhöhende Wahrscheinlichkeit des Auftretens von Rhythmusstörungen. Dies gelte umso mehr, als sich beim Kläger bei mehreren echokardiographischen Kontrollen keine eine arterielle Rhythmusstörung begünstigenden chronischen Rechtsherzbelastungszeichen mit einer Dilatation der Vorhöfe gezeigt hätten. Der Kläger habe keinen Anspruch auf die Gewährung eines Ausgleichs. Die Folgen der am 25.12.1996 erlittenen fulminanten Lungenembolie bedingten keinen GdS von mindestens 25. Es lägen keine schädigungsbedingten Funktionsstörungen, sondern lediglich eine leichte Gasaustauschstörung und ansonsten kein GdS-relevanter Befund vor. Allein die dauerhafte Antikoagulantien-Therapie mit Marcumar sei nicht GdS-relevant.
17 
Mit Ausführungsbescheid der WBV vom 14.04.2010 wurden ein Zustand nach abgelaufener, durch beidseitige Embolektomie und Einbau eine Vena-Cava-Schirms operativ behandelter fulminanter Lungenembolie mit dauerhafter Marcumar-Antikoagulations-Prophylaxe als Folge einer WDB anerkannt. Ein Anspruch auf Ausgleich bestehe nicht. Bezüglich der übrigen Gesundheitsstörungen verbleibe es bei dem Bescheid vom 06.09.2000 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.06.2002. Der hiergegen zunächst eingelegte Widerspruch wurde zurückgenommen.
18 
Auf den Änderungsantrag des Klägers nach dem SGB IX beim Versorgungsamt wurde nach Vorlage des Arztbriefes von Prof. Dr. G. vom 06.03.2008 nach der versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. B., dass ein Teil-GdB von 20 wegen Herzschrittmacher zu berücksichtigen sei, mit Bescheid vom 23.06.2010 ein GdB von 40 seit 10.02.2010 festgestellt.
19 
Mit Teil-Abhilfebescheid des Beklagten vom 20.10.2010 wurde dem Widerspruch gegen den Bescheid vom 05.02.2001 insofern abgeholfen, als ein Zustand nach abgelaufener, durch beidseitige Embolektomie und Einbau eines Vena-Cava-Schirms operativ behandelter fulminanter Lungenembolie mit dauerhafter Marcumar-Antikoagulations-Prophylaxe als Wehrdienstbeschädigungsfolge anerkannt wurde. Ein GdS von wenigstens 25 werde nicht erreicht, eine Rente stehe daher nicht zu. Die Feststellungen seien in Anlehnung an das Urteil des Landessozialgerichts- vom 11.03.2010 zu treffen. Für die Wehrdienstbeschädigungsfolgen habe er Anspruch auf Heilbehandlung nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG).
20 
Hiergegen legte der Kläger am 24.11.2010 Widerspruch ein und führte aus, das Versorgungsamt habe aufgrund der versorgungsärztlichen Stellungnahme der Internistin Dr. C. mit Bescheid vom 30.06.1999 den GdB mit 30 ab 21.09.1998 festgestellt. GdS und GdB würden nach den gleichen Grundsätzen bemessen. Durch das Urteil des Landessozialgerichts sei rechtskräftig festgestellt worden, dass der Zustand, der zu einem GdB seit 1998 von 30 führe, eine Wehrdienstbeschädigungsfolge sei. Daraus folge, dass ein GdS von 30 erreicht werde. Zwar habe das Landessozialgericht die falsche Auffassung vertreten, die Folgen der am 25.12.1996 erlittenen fulminanten Lungenembolie bedingten keinen GdS von wenigstens 25. Diese Auffassung betreffe jedoch ausschließlich den dort streitigen Anspruch auf Gewährung eines Ausgleichs.
21 
Mit Widerspruchsbescheid vom 14.09.2011 wurde der Widerspruch zurückgewiesen. Nach dem Urteil des Landessozialgerichts vom 11.03.2010 habe sich aus dem Gutachten von Dr. S. kein GdS-relevanter Befund ergeben. Soweit nach dem SGB IX ein Teil-GdB von 30 für die Lungen festgestellt worden sei, bestehe die Möglichkeit einer Überprüfung und Korrektur.
22 
Hiergegen hat der Kläger am 14.10.2011 wiederum beim SG Klage eingelegt. Es habe keine Überprüfung der Feststellung des GdB mit 30 gegeben. Es seien keine Argumente ersichtlich, die die damalige Bewertung in Frage stellen könnten. Insbesondere sei auch keine gesundheitliche Besserung eingetreten. Vielmehr seien im Januar 2008 Herzrhythmusstörungen diagnostiziert worden, die zur Implantierung eines Herzschrittmachers geführt hätten. Auch dies sei eine Folge der WDB. Allerdings habe Prof. Dr. G. in seinem Gutachten vom 27.10.2009 „vorsichtig“ formuliert, dass ein eindeutiger Zusammenhang zwischen der Lungenembolie im Jahr 1996 und dem aufgetretenen Vorhofflattern im Jahr 2008 nicht hergestellt werden könne. Allerdings habe Prof. Dr. G. anlässlich der Untersuchung des Klägers diesen Zusammenhang sehr wohl festgestellt und sich im Gespräch mit dem Kläger auch entsprechend geäußert.
23 
Der Beklagte hat ausgeführt, im Rahmen des Verfahrens L 6 VS 2615/05 habe sich herausgestellt, dass die Bewertung mit einem GdB von 30 nach dem SGB IX in Anbetracht der verbliebenen guten Belastbarkeit seitens der Lunge überhöht sei. Dies könne jedoch im Umkehrschluss nicht dazu führen, dass die überhöhte GdB-Bewertung nun auf den GdS übertragen werde.
24 
Das SG hat mit Gerichtsbescheid vom 19.12.2012 die Klage abgewiesen. Der als WDB anerkannte Gesundheitszustand bedinge keinen GdS von mindestens 25. Das Gericht schließe sich insofern den Ausführungen des Landessozialgerichts im Urteil vom 11.03.2010 (L 6 VS 2615/05) voll umfänglich an. Der unzutreffend festgesetzte Teil-GdB könne keine Bindungswirkung für das vorliegende Verfahren erzeugen. Ein Teil-GdB erwachse nicht in Bestandskraft.
25 
Hiergegen hat der Kläger am 28.01.2013 erneut Berufung beim Landessozialgericht eingelegt. Da der GdB und der GdS nach gleichen Grundsätzen zu bewerten seien, hier aber unterschiedliche Ergebnisse vorlägen, ergebe sich zwingend, dass entweder die eine oder die andere Einschätzung falsch sei. Bei richtiger Bewertung ergebe sich ein GdS von 30. Seit den Feststellungen im Jahre 1998 habe sich an den Schädigungsfolgen nichts zum Positiven verändert. Rechtsherzerweiterung und Herzrhythmusstörungen seien von Dr. C. schon beschrieben worden. Darüber hinaus sei die Abhängigkeit von Gerinnungshemmern bekannt. Dr. S. habe die Herzhöhlen allseits dilatiert und hypertrophiert beschrieben, Zeichen eines chronischen Cor pulmonale mit Dilation. Die Herzrechtserweiterung sei erst im Zuge der Embolie entstanden. In der Nachbetrachtung müsse auch festgestellt werden, dass er bei sportlichen Aktivitäten wie Tennis, Jogging, Radfahren nicht gerade selten auftretende Schwächeperioden in den Jahren, bevor die Gutachten zur Verfügung gestanden hätten, aus Unkenntnis nicht mit Herzrhythmusstörungen in Verbindung gebracht habe.
26 
Der Kläger beantragt,
27 
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 19. Dezember 2012 aufzuheben und den Bescheid vom 5. Februar 2001 in der Fassung des Bescheides vom 20. Oktober 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. September 2011 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, ihm aufgrund der festgestellten Wehrdienstbeschädigung eine Beschädigtenversorgung nach dem Soldatenversorgungsgesetz in gesetzlicher Höhe zu bewilligen,
28 
hilfsweise Prof. Dr. G. in der mündlichen Verhandlung zu der Zusammenhangsfrage der Rhythmusstörungen und der Lungenembolie zu hören.
29 
Der Beklagte beantragt,
30 
die Berufung zurückzuweisen.
31 
Der Beklagte hat zur Begründung angegeben, ein nach dem SGB IX unzutreffend festgesetzter Teil-GdB-Wert könne keine Bindungswirkung in anderen Rechtsgebieten entfalten.
32 
Die Berichterstatterin hat am 20.05.2014 den Sachverhalt nichtöffentlich erörtert.
33 
Mit Beschluss vom 04.07.2014 hat der Senat die Bundesrepublik Deutschland zum Verfahren beigeladen.
34 
Die Beigeladene beantragt,
35 
die Berufung zurückzuweisen.
36 
Zur Begründung hat sie auf den Gerichtsbescheid des SG Bezug genommen.
37 
Mit Schreiben vom 07.10.2011 hat das Versorgungsamt dem Kläger mitgeteilt, dass die gesundheitlichen Verhältnisse überprüft werden müssen. In einem Telefonat mit dem Kläger am 17.10.2011 hat dieser angegeben, dass er seit 2008 in keiner lungenfachärztlichen Behandlung sei. Auf die Anfrage bei der behandelnden Hausärztin Dr. S. hat diese mit Schreiben vom 14.02.2013 mitgeteilt, dass sich der Kläger seit Januar 2010 nicht mehr in der Sprechstunde vorgestellt habe. Ein Befund eines Lungenfacharztes liege ebenfalls nicht vor. Daher sei eine Aussage über den aktuellen Gesundheitszustand nicht möglich.
38 
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten und der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie die Gerichtsakte des Verfahrens am SG mit dem Az.: S 1 VS 2515/02 und des Verfahrens am Landessozialgericht mit dem Az.: L 6 VS 2615/05, die Verwaltungsakten des Beklagten, der Beigeladenen und die SGB IX-Akte verwiesen.

Entscheidungsgründe

 
39 
Die gemäß §§ 143 und 144 SGG statthafte sowie nach § 151 SGG form- und fristgerecht erhobene und auch im Übrigen zulässige Berufung ist unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten.
40 
Der am 12. Dezember 2014 gestellte Antrag auf erneute Anhörung von Prof. Dr. G. zu der Zusammenhangsfrage der Lungenembolie mit dem Zustand nach Vorhofflattern mit Schrittmacherimplantation war abzulehnen. Der Sachverständige hat sich hierzu bereits in seinem Gutachten vom 27.10.2009 eindeutig und zwar in negativem Sinne für den Kläger geäußert und ist auch bei seiner weiteren schriftlichen Stellungnahme vom 04.03.2010 in Würdigung der klägerischen Vorbehalte bei seiner Einschätzung verblieben. Einen weiteren Aufklärungsbedarf hat der Kläger selbst nicht deutlich gemacht, den Beweisantrag vielmehr allein darauf gestützt, dass Prof. Dr. G. als damals behandelnder Arzt mündlich eine andere Auffassung vertreten haben soll. Das mag durchaus der Fall gewesen sein, das Gutachten hat er dann aber in Kenntnis sämtlicher ärztlichen Befunde erstatten können, die ihm als behandelnder Arzt nicht vorgelegen haben und erst eine saubere Beurteilung des Zusammenhangs ermöglichen, nämlich dass von einer Prädisposition zum Vorhofflattern ausgegangen werden muss, da in den Zwischenjahren nach der Lungenembolie keine Rhythmusstörung beschrieben wurde (dazu unten). Im Übrigen entspricht es dem Beweisrecht, dass das Gericht nicht verpflichtet ist, einem Beweisantrag beliebig oft nachzukommen (BSG, Urteil vom 15.04.1991 - 5 RJ 32/90 - juris; Urteil des Senats vom 27.03.2014 - L 6 U 4001/13 - juris).
41 
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Beschädigtengrundrente nach §§ 80, 81 SVG i.V.m. §§ 30, 31 BVG.
42 
Gemäß § 80 Abs. 1 Satz 1 SVG erhält ein Soldat, der eine WDB erlitten hat, nach Beendigung des Wehrdienstverhältnisses wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der WDB auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG, soweit im SVG nichts Abweichendes bestimmt ist. Nach § 88 Abs. 1 SVG sind hierfür die Versorgungsbehörden zuständig. Nach § 81 Abs. 1 SVG ist WDB eine gesundheitliche Schädigung, die durch eine Wehrdienstverrichtung, durch einen während der Ausübung des Wehrdienstes erlittenen Unfall oder durch die dem Wehrdienst eigentümlichen Verhältnisse herbeigeführt worden ist. Nach § 30 Abs. 1 BVG ist der GdS (bis zum Inkrafttreten des BVGÄndG vom 13.12.2007 [BGBl. I S. 2904] am 21.12.2007 MdE) nach den allgemeinen Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen, die durch die als Schädigungsfolge anerkannten körperlichen, geistigen, seelischen Gesundheitsstörungen bedingt sind, in allen Lebensbereichen zu beurteilen (Satz 1 der Vorschrift). Nachdem für die Beurteilung der MdE und des GdS dieselben Grundsätze gelten, wird im Folgenden allein auf die Beurteilung des GdS Bezug genommen. Der GdS ist nach Zehnergraden von 10 bis 100 zu bemessen; ein bis zu fünf Grad geringerer GdS wird vom höheren Zehnergrad mit umfasst (Satz 2 der Vorschrift). Beschädigte erhalten gemäß § 31 Abs. 1 BVG eine monatliche Grundrente ab einem GdS von 30. Liegt der GdS unter 25 besteht kein Anspruch auf eine Rentenentschädigung.
43 
Der Senat orientiert sich bei der Beurteilung von MdE und GdS für die Zeit bis zum 31.12.2008 an den im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung als antizipierte Sachverständigengutachten angewandten (BSG, Urteil vom 23.06.1993 - 9/9a RVs 1/91 - BSGE 72, 285; BSG, Urteil vom 09.04.1997 - 9 RVs 4/95 - SozR 3-3870 § 4 Nr. 19; BSG, Urteil vom 18.09.2003 - B 9 SB 3/02 R - BSGE 190, 205; BSG, Urteil vom 29.08.1990 - 9a/9 RVs 7/89 - BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 1) „Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2 SGB IX)“ (AHP) in der jeweils geltenden Fassung, die gemäß § 30 Abs. 16 BVG (bis 30.06.2011 § 30 Abs. 17 BVG) für die Zeit ab dem 01.01.2009 durch die in der Anlage zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, des § 30 Abs. 1 und des § 35 Abs. 1 BVG - Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) - vom 10.12.2008 (BGBl. I Seite 2412) festgelegten Versorgungsmedizinischen Grundsätze (VG) abgelöst worden sind. Hinsichtlich der vorliegend einschlägigen Funktionsbeeinträchtigungen enthalten die VG gegenüber den AHP keine inhaltlichen Änderungen, sodass im Folgenden lediglich die Ziffern der VG angegeben werden.
44 
Wie in allen Zweigen des sozialen Entschädigungsrechts müssen auch im Recht der Soldatenversorgung die anspruchsbegründenden Tatsachen nachgewiesen, d. h. ohne vernünftige Zweifel oder mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bewiesen sein (st. Rspr. BSG, so zum Opferentschädigungsgesetz - OEG -: BSG SozR 1500 § 128 Nr. 34 m. w. N.; SozR 1500 § 128 Nr. 35; zur Kriegsopferversorgung BSG SozR 3-3100 § 1 Nr. 18; zum SVG: BSG SozR 3-3200 § 81 Nr. 16; SozR 3-3200 § 81 Nr. 6; zum Impfschadensrecht: BSG SozR 3850 § 51 Nr. 9 und § 52 Nr. 1), soweit nichts anderes bestimmt ist. Für Ansprüche nach §§ 80, 81 SVG bedeutet dies, dass sich - mit dem jeweils maßgeblichen Beweisgrad - zumindest drei Tatsachenkomplexe oder Glieder der Kausal-(Ursachen)kette sowie zwei dazwischenliegende Kausalzusammenhänge feststellen lassen müssen (vgl. Wilke/Fehl, Soziales Entschädigungsrecht, 7. Aufl 1992, § 1 BVG Rdnrn. 56 und 61; Rohr/Strässer, Bundesversorgungsrecht mit Verfahrensrecht, Stand: Februar 2013, § 1 BVG Anm 8 ff, § 1 -52 ff). Der erste Komplex ist die geschützte Tätigkeit, hier also die Wehrdienstverrichtung oder die Ausübung einer gleichgestellten Tätigkeit. Infolge dieser Verrichtung muss ein schädigendes Ereignis eine gesundheitliche Schädigung hervorgerufen haben. Aufgrund dieser Schädigung muss es dann zu der in MdE/GdS-Graden zu bewertenden Schädigungsfolge gekommen sein. Das "schädigende Ereignis" wird üblicherweise als weiteres selbständiges Glied der Kausalkette zwischen geschützter Tätigkeit und Primärschaden angesehen (BSG SozR 3-3200 § 81 Nr. 16 m. w. N.). Auch dieses bedarf grundsätzlich des Vollbeweises. Dagegen genügt für die Feststellung des Ursachenzusammenhangs, jedenfalls desjenigen zwischen Schädigung und Schädigungsfolge (sog "haftungsausfüllende Kausalität") der Beweisgrad der Wahrscheinlichkeit (§ 81 Abs. 6 Satz 1 SVG).
45 
Bei dem einem Soldaten während des Dienstverhältnisses zustehenden Anspruch auf Ausgleich gegenüber der WBV nach § 85 SVG und dem Versorgungsanspruch für die Zeit nach seinem Ausscheiden aus dem Dienstverhältnis gegenüber dem Beklagten nach § 80 SVG handelt es sich grundsätzlich um zwei zeitlich getrennte und konstruktiv selbständig nebeneinander stehende Ansprüche. In § 88 Abs. 3 Satz 1 SVG ist allerdings angeordnet, dass eine bekannt gegebene Entscheidung einer Behörde der Bundeswehrverwaltung sowie die rechtskräftige Entscheidung eines Gerichts der Sozialgerichtsbarkeit in Ausgleichsverfahren über eine WDB und den ursächlichen Zusammenhang einer Gesundheitsstörung unter anderem mit einem Tatbestand des § 81 SVG für die Behörde der jeweils anderen Verwaltung verbindlich sind. Diese Verbindlichkeit erstreckt sich auch auf den einer Ausgleichsleistung zugrunde liegenden GdS. Führt eine durch rechtskräftiges Urteil verurteilte Verwaltungsbehörde das Urteil durch einen Bescheid entsprechend dem Urteilstenor unter selbständiger Festsetzung des GdS und der daraus folgenden Leistung aus, besteht die Bindungswirkung durch den Ausführungsbescheid (BSG, Urteil vom 02.07.1997 - 9 RV 21/95 - juris). Für die Bindungswirkung der Entscheidungen der WBV ist es gleichgültig, ob die Erstentscheidung noch während der Dienstzeit des Soldaten oder erst danach getroffen wird. Aus dem Wortlaut des § 88 Abs. 2 SVG folgt, dass die WBV derartige Entscheidungen auch noch nach dem Ausscheiden des Soldaten aus dem Wehrdienst treffen kann (BSG, Urteil vom 28.06.2000 - B 9 VS 1/99 R - juris).
46 
Der Gesetzgeber wollte mit der Bindungswirkung im Sinne von § 88 Abs. 3 SVG den Verwaltungsaufwand im Übergang von einer Leistung auf die andere (vom Ausgleich zur Versorgung) und von einem Leistungsträger auf den anderen (Bundeswehrverwaltung und Versorgungsverwaltung) beschränken. Bei diesen Ansprüchen, die einerseits zwar zeitlich voneinander getrennt und konstruktiv selbständig nebeneinander stehen, die andererseits jedoch beide auf ein und derselben gesundheitlichen Schädigung durch einen Unfall während der Ausübung des Wehrdienstes oder die dem Wehrdienst eigentümlichen Verhältnisse im Sinne von § 81 Abs. 1 SVG gründen, sollten doppelte Prüfungen vermieden werden (vgl. auch BT-Drs. 8/3750 S. 23 und 8/4030 S. 25). Ziel ist es, der Gefahr von in wesentlichen Punkten voneinander abweichenden Entscheidungen entgegenzuwirken und vor allem eine Schlechterstellung von Soldaten nach dem Ausscheiden aus dem Dienst der Bundeswehr gegenüber Kriegsbeschädigten und sonstigen Versorgungsberechtigten zu verhindern, deren Anspruch sich nur gegen einen Leistungsträger richtet. Zweck der Regelung ist es mithin, in der Übergangssituation zwischen Ausgleich und Versorgung durch Bindung - in erster Linie der Versorgungsverwaltung - die weitere Versorgung des aus dem Dienst der Bundeswehr ausgeschiedenen Soldaten sicherzustellen (BSG, Urteil vom 25.03.2004 - B 9 VS 2/01 R -, juris).
47 
Allerdings besteht die Bindung der Versorgungsverwaltung an die Entscheidung der Wehrverwaltung nicht unbeschränkt. Nach § 88 Abs. 3 Sätze 2 und 3 SVG steht die Bindungswirkung einer anderweitigen Entscheidung der Versorgungsämter nicht entgegen, wenn sich die Feststellung von Anfang an als fehlerhaft erweist oder eine wesentliche Änderung der maßgeblichen Verhältnisse eintritt. Bei anfänglicher Unrichtigkeit kann die Versorgungsverwaltung die Entscheidung über §§ 44 bzw. 45 SGB X korrigieren, bei einer Besserung oder Verschlechterung der anerkannten WDB kann die Entscheidung der Wehrverwaltung mit Wirkung für die Zukunft nach § 48 SGB X aufgehoben bzw. abgeändert werden.
48 
Mit Urteil des Landessozialgerichts (L 6 VS 2615/05) vom 11.03.2011 ist rechtskräftig als weitere Wehrdienstbeschädigungsfolge ein Zustand nach abgelaufener, durch beidseitige Embolektomie und Einbau eines Vena-Cava-Schirms operativ behandelter fulminanter Lungenembolie mit dauerhafter Marcumar-Antikoagulations-Prophylaxe festgestellt und der Bescheid des Beigeladenen vom 06.09.2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.06.2002 insoweit abgeändert worden. Im Übrigen, soweit die Feststellung von Herzrhythmusstörungen und Notwendigkeit eines Herzschrittmachers begehrt wurde und die Gewährung eines Ausgleiches, ist die Berufung jedoch zurückgewiesen worden. Mit Ausführungsbescheid der WBV vom 14.04.2010 ist diese Wehrdienstbeschädigungsfolge anerkannt worden. Darüber hinaus ist dargelegt worden, dass ein Anspruch auf Ausgleich nach § 85 SVG jedoch weiterhin nicht besteht und es bezüglich der übrigen Gesundheitsstörungen bei dem Bescheid vom 06.09.2000 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.06.2002 verbleibt. Nach der Rechtsprechung des Senats (zuletzt Urteil vom 29.04.2014 - L 6 VK 934/12 - juris) hat ein Ausführungsbescheid insoweit einen eigenständigen Regelungscharakter, als er vorliegend das ergangene Urteil richtig umsetzen muss.
49 
Damit ist für die Versorgungsverwaltung bindend festgestellt worden, dass nur die im Verfügungssatz des Urteils des Landessozialgerichts anerkannte WDB vorliegt und keine weitere. Dies steht der Anerkennung der Herzrhythmusstörungen und der Notwendigkeit eines Herzschrittmachers als WDB durch die Beklagte entgegen.
50 
Maßgeblich ist daher, nachdem der anwaltlich vertretene Kläger selbst keine Verschlechterung des Gesundheitszustandes i. S. d. § 48 SGB X geltend macht allein, ob diese Feststellung rechtmäßig ist. Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind, der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Ist ein Verwaltungsakt rechtswidrig, hat der betroffene Bürger im Interesse der materiellen Gerechtigkeit einen einklagbaren Anspruch auf Rücknahme des Verwaltungsaktes unabhängig davon, ob der Verwaltungsakt durch ein rechtskräftiges Urteil bestätigt wurde (BSGE 51, 139, 141; BSG SozR 2200 § 1268 Nr. 29). Dabei muss die Verwaltung entsprechend dem Umfang des Vorbringens des Versicherten in eine erneute Prüfung eintreten und den Antragsteller auf der Grundlage der wirklichen Sach- und Rechtslage bescheiden (BSG, SozR 3-2600 § 243 Nr. 8; BSG SozR 2200 § 1268 Nr. 29). Ob bei Erlass des Bescheides von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen worden ist, beurteilt sich im Vergleich der Sachlage, wie sie dem zu überprüfenden Verwaltungsakt zu Grunde gelegt worden ist und wie sie sich bei Erlass des Verwaltungsaktes bei nachträglicher Betrachtung im Zeitpunkt der Überprüfung rückschauend tatsächlich darstellt. Mithin kommt es nicht auf den Erkenntnisstand bei Erlass, sondern bei Überprüfung an, die Rechtswidrigkeit beurteilt sich also nach der damaligen Sach- und Rechtslage aus heutiger Sicht (BSGE 57, 209; 90, 136). Dies gilt auch dann, wenn z. B. die richtige medizinische Beurteilung erst später möglich geworden ist. Nach Unanfechtbarkeit des zu überprüfenden Verwaltungsaktes liegt allerdings die objektive Beweislast für Tatsachen, aus denen sich eine Unrichtigkeit des Verwaltungsaktes wegen fehlerhafter Sachverhaltsannahme ergeben kann, bei dem Adressaten des Verwaltungsaktes (st. Rspr. BSG SozR 5870 § 2 Nr. 44). Hinsichtlich des Beweismaßstabs gelten die Kriterien, die auch zum Zeitpunkt der zu überprüfenden Entscheidung maßgeblich waren (BSG SozR 3-1300 § 48 Nr. 67). Genügte dort, dass eine Tatsache lediglich wahrscheinlich war, ein Vollbeweis aber nicht gefordert wurde, besteht auch im Rahmen der Überprüfung bei Wahrscheinlichkeit des maßgeblichen Sachverhalts ein Anspruch auf den Zugunstenbescheid (BSG, SGb 1998, 582).
51 
Danach liegen die Voraussetzungen für eine Rücknahme der Entscheidung nicht vor. Der Kläger hat nichts vorgetragen, was Anlass geben könnte, an eine abweichende Entscheidung zu denken. Insbesondere hat der Kläger keinerlei neue Angaben gemacht bzw. Unterlagen vorgelegt, die nunmehr ausreichend Anhaltspunkte dafür liefern, dass doch die Herzrhythmusstörungen wahrscheinlich Folge der Lungenembolie sind. Vielmehr hat er nur auf bereits im Verfahren L 6 VS 2615/05 Gewürdigtes hingewiesen. Daher wird weiterhin der Sachverhalt vom Senat als ausreichend aufgeklärt erachtet und weitere Ermittlungen nicht als erforderlich angesehen. Im Urteil des Landessozialgerichts vom 11.03.2010 ist die Entscheidung, dass nicht auch die im Januar 2008 diagnostizierten Herzrhythmusstörungen und die hiermit verbundene Notwendigkeit eines Herzschrittmachers eine WDB ist, auf die Ausführungen in dem Gutachten und der ergänzenden Stellungnahme von Prof. Dr. G. gestützt worden, die vom Senat weiterhin als schlüssig und überzeugend bewertet werden. Diesen Ausführungen hat der Kläger auch in vorliegendem Verfahren keine stichhaltigen, sie widerlegenden Argumente, gegenübergestellt. Auch wenn im Recht der Soldatenversorgung die Rechtslage auf der Grundlage von Wahrscheinlichkeitsbeurteilungen durch einen Verwaltungsakt geregelt wird, kann er nur zurück genommen werden, wenn er nach allgemeinen Beweisregeln rechtswidrig ist. Eine Aufhebung scheidet daher aus, solange und soweit die Möglichkeit der Rechtmäßigkeit besteht (vgl. Lilienfeld in Knickrehm, Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, § 88 SVG Rn. 15). Eine Rücknahme nach § 44 SGB X setzt somit die nachgewiesene Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes voraus. Dies ist vorliegend nicht gegeben.
52 
Bei dem Kläger ist erstmals bei der akuten beidseitigen Lungenembolie am 25.12.1996 im Rahmen der durchgeführten Embolektomie ein Vorhofflattern aufgetreten, wobei es sich um eine Kammertachykardie handelte, die er bei erneuter Verschlechterung des Allgemeinbefindens bemerkte. Prof. Dr. G. hat hierzu dargelegt, dass eine akute Lungenembolie zwar häufig Arrhythmien auslösen kann. Auch spielen Erkrankungen, die zu einer Rechtsherzbelastung führen, wie rezidivierende Lungenembolien, nach seinen Ausführungen eine besonders wichtige Rolle bei der Entstehung von Vorhofflattern, weshalb eine Herzrhythmusstörung, insbesondere das Vorhofflattern, eher Folge einer Lungenembolie ist, als Ursache einer Embolie. In den Zeiträumen zwischen 1994 und 1996 und insbesondere 1996 und 2008 liegen jedoch bei dem Kläger keinerlei Hinweise auf Rhythmusstörungen vor. Weder hat der Kläger Angaben über klinische Hinweise gemacht, obwohl er sowohl 1996, wie auch 2008 im Rahmen des Vorhofflatterns symptomatisch gewesen ist, weshalb nicht von einem asymptomatischen und damit nicht erkannten Vorhofflattern ausgegangen werden kann. Noch ergeben sich Hinweise aus den in dieser Zeit durchgeführten Untersuchungen auf Herzrhythmusstörungen. Insbesondere haben mehrere echokardiographische Kontrollen keine chronischen Rechtsherzbelastungszeichen mit einer Dilatation der Vorhöfe gezeigt, die eine atriale Rhythmusstörung begünstigen. Hieraus folgt, dass ein eindeutiger Zusammenhang zwischen der Lungenembolie 1996 und dem Auftreten des Vorhofflatterns 2008 nicht belegt werden kann. Die Ursache des erneut aufgetretenen Vorhofflatterns ist vielmehr unklar. Nachdem die Häufigkeit der Herzrhythmusstörungen wie Vorhofflimmern und Vorhofflattern insgesamt mit dem Lebensalter zunimmt, ist die Schlussfolgerung von Prof. Dr. G., dass eine durch die Lungenembolie mit nachfolgender Embolektomie verursachte Herzrhythmusstörung zwar möglich, jedoch nach 12-jähriger Latenz nicht wahrscheinlich ist, sondern mehr dagegen als dafür spricht, überzeugend. Es spricht vielmehr, wie Prof. Dr. G. angibt, mehr für eine Prädisposition des Klägers zum Vorhofflattern.
53 
Wie im Urteil des Landessozialgerichts vom 11.03.2010 überzeugend ausgeführt worden ist, rechtfertigt die anerkannte WDB keinen GdS von mindestens 25. Der Kläger hat auch nunmehr keinerlei Befunde mitgeteilt, die einen GdS von 30 rechtfertigen. Daher liegen auch keine Gründe vor, nach denen die Ablehnung der Gewährung eines Ausgleichs nach § 85 SVG rechtswidrig gewesen ist und ein Anspruch auf Gewährung einer Grundrente nach § 80 SVG besteht.
54 
Bei der Begutachtung durch Dr. S. ergab die pulmonale Auskultation einen unauffälligen Befund, ebenfalls lag kardial ein unauffälliger Befund vor. Es zeigte sich nur eine leichte Gasaustauschstörung bei normaler Belastbarkeit. Die Spiroergometrie zeigte eine normale Belastbarkeit bis 200 Watt mit maximaler Sauerstoffaufnahme im Normbereich (97 % des Sollwertes). Daraus folgt, wie von Dr. S. angegeben, dass keine relevanten kardiopulmonalen Einschränkungen bestanden und damit keine Funktionsbeeinträchtigungen, die die Feststellung eines GdS rechtfertigen. Prof. Dr. G. hat in seinem Gutachten ausgeführt, dass der Kläger in seinem Alltag in Ruhe normal belastbar ist und nur bei mittelschwerer bis schwerer Belastung bzw. bei mittelschwerer körperlicher Arbeit eine Dyspnoe hat und die Arbeit unterbrechen muss. Der Kläger hatte angegeben, er spiele regelmäßig Tennis, müsse aber regelmäßig Pausen machen. Eine Dyspnoe oder thorakale Schmerzen oder Palpitationen wurden jedoch verneint. Daraus folgt, dass bei dem damals bereits 68-jährigem Kläger keinesfalls einen GdS von 20 rechtfertigende Funktionsbeeinträchtigungen aufgrund der anerkannten WDB vorgelegen haben. Nach den VG, Teil B, Nr. 8.3 bzw. 9.1.1 ist ein GdS von 20 erst gerechtfertigt, wenn eine das gewöhnliche Maß übersteigende Atemnot z.B. bei forschem Gehen [5-6 km/h], mittelschwerer körperlicher Arbeit vorliegt und statische und dynamische Messwerte der Lungenfunktionsprüfung bis zu 1/3 niedriger als die Sollwerte sind und die Blutgaswerte im Normbereich bzw. bei Beschwerden und Auftreten pathologischer Messdaten bei Ergometerbelastung mit 75 Watt (wenigstens 2 Minuten). Der Kläger war jedoch bis 200 Watt belastbar und hat dort nach 2 Minuten wegen muskulärer Erschöpfung aufgehört und hat von regelmäßigem Tennisspielen berichtet.
55 
Wie bereits in dem Urteil des Landessozialgerichts vom 11.03.2010 ausgeführt worden ist, ist zwar nach den VG, Teil B, Nr. 9.1.2 bei Herzklappenprothesen der GdS nicht niedriger als 30 zu bewerten, wobei dieser Wert eine Dauerbehandlung mit Antikoagulantien einschließt. Der eingebrachte Vena-Cava-Schirm ist jedoch keinesfalls mit dem Vorliegen einer Herzklappenprothese vergleichbar und allein eine Dauerbehandlung mit Antikoagulatien rechtfertigt danach nicht die Feststellung eines GdS von 30. Vielmehr ist nach operativen und anderen therapeutischen Eingriffen am Herzen der GdS von der bleibenden Leistungsbeeinträchtigung abhängig, die vorliegend gerade nicht gegeben ist.
56 
Nachdem der Kläger keinerlei Angaben gemacht und Nachweise erbracht hat, dass seine Leistungsfähigkeit entgegen diesen Befunden deutlich reduziert ist, ist das Vorliegen eines GdS von mindestens 25 aufgrund der anerkannten WDB nicht nachgewiesen. Soweit der Kläger auf die Feststellung eines GdB von 30 aufgrund der Gesundheitsbeeinträchtigungen der anerkannten WDB hinweist und daraus einen Anspruch auf Gewährung einer Grundrente nach einem GdS von mindestens 30 herleiten möchte, besteht eine Bindungswirkung infolge der Feststellung des GdB, vergleichbar der Bindungswirkung nach § 88 Abs. 3 SVG, aber gerade nicht.
57 
Vielmehr ist nach § 69 Abs. 2 Satz 1 SGB IX eine Feststellung der Behinderung nach dem SGB IX nicht zu treffen, wenn eine Feststellung über das Vorliegen einer Behinderung und den Grad einer auf ihr beruhenden Erwerbsminderung schon in einem Rentenbescheid, einer entsprechenden Verwaltungs- oder Gerichtsentscheidung oder einer vorläufigen Bescheinigung der für diese Entscheidungen zuständigen Dienststellen getroffen worden ist und der behinderte Mensch kein Interesse an anderweitiger Feststellung nach Absatz 1 glaubhaft macht. Eine entsprechende (umgekehrte) Regelung einer Übernahme der Feststellungen nach dem SGB IX gibt es jedoch nicht. Die Feststellung eines GdB durch die Versorgungsverwaltung hat daher für die Feststellung der Höhe der MdE bzw. des GdS nach dem BVG/SVG oder dem Unfallversicherungsrecht - anders als umgekehrt - keine bindende Wirkung bei der Entscheidung über die Höhe (vgl. BSG, Beschluss vom 11.10.2006 - B 9a SB 1/06 BH). Nachdem im Rahmen der Beschädigtenversorgung bzw. der Unfallversicherung jeweils noch weitere zusätzliche Feststellungen zu treffen sind, da mit der Feststellung nach dem SGB IX nicht geprüft wird, ob Gesundheitsstörungen als Unfall- / Schädigungs-Folge anzuerkennen sind und nur der Gesamt-GdB im Verfügungssatz festgestellt wird, liegt keine § 69 Abs. 2 SGB IX vergleichbare Konstellation vor. Denn auch § 69 Abs. 2 SGB IX lässt nicht einen nur teilweisen (partiellen) Verzicht auf eigenständige Feststellungen der Versorgungsbehörden nach Abs. 1 der Vorschrift zu. Eine anderweitige Feststellung im Sinne von § 69 Abs. 2 SGB IX ist vielmehr nur dann maßgebend, wenn sie eine Feststellung nach Abs. 1 SGB IX gänzlich erübrigt und damit an deren Stelle treten kann (vgl. BSG, Urteil vom 05.07.2007 - B 9/9a SB 12/06 R - SozR 4-3250 § 69 Nr. 4). Die Regelung des § 69 Abs. 2 SGB IX ist daher nicht analogiefähig bzw. umkehrbar (vgl. Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 18.05.2010 - L 15 SB 19/07 - juris).
58 
Ergänzend weist der Senat noch darauf hin, dass der Kläger auch keine Verschlimmerung der anerkannten WDB geltend gemacht hat. Vielmehr hat er nur ausgeführt, dass der Zustand nicht besser geworden ist. Wie sich aus der Stellungnahme von Dr. S. vom 14.02.2013 im Rahmen der Überprüfung des GdB ergibt, war der Kläger seit Januar 2010 nicht mehr in Behandlung und ihr liegt kein Befund eines Lungenfacharztes vor. Damit liegen auch nicht die Voraussetzungen nach § 48 SGB X vor.
59 
Die Berufung war nach alledem zurückzuweisen.
60 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
61 
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.

Gründe

 
39 
Die gemäß §§ 143 und 144 SGG statthafte sowie nach § 151 SGG form- und fristgerecht erhobene und auch im Übrigen zulässige Berufung ist unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten.
40 
Der am 12. Dezember 2014 gestellte Antrag auf erneute Anhörung von Prof. Dr. G. zu der Zusammenhangsfrage der Lungenembolie mit dem Zustand nach Vorhofflattern mit Schrittmacherimplantation war abzulehnen. Der Sachverständige hat sich hierzu bereits in seinem Gutachten vom 27.10.2009 eindeutig und zwar in negativem Sinne für den Kläger geäußert und ist auch bei seiner weiteren schriftlichen Stellungnahme vom 04.03.2010 in Würdigung der klägerischen Vorbehalte bei seiner Einschätzung verblieben. Einen weiteren Aufklärungsbedarf hat der Kläger selbst nicht deutlich gemacht, den Beweisantrag vielmehr allein darauf gestützt, dass Prof. Dr. G. als damals behandelnder Arzt mündlich eine andere Auffassung vertreten haben soll. Das mag durchaus der Fall gewesen sein, das Gutachten hat er dann aber in Kenntnis sämtlicher ärztlichen Befunde erstatten können, die ihm als behandelnder Arzt nicht vorgelegen haben und erst eine saubere Beurteilung des Zusammenhangs ermöglichen, nämlich dass von einer Prädisposition zum Vorhofflattern ausgegangen werden muss, da in den Zwischenjahren nach der Lungenembolie keine Rhythmusstörung beschrieben wurde (dazu unten). Im Übrigen entspricht es dem Beweisrecht, dass das Gericht nicht verpflichtet ist, einem Beweisantrag beliebig oft nachzukommen (BSG, Urteil vom 15.04.1991 - 5 RJ 32/90 - juris; Urteil des Senats vom 27.03.2014 - L 6 U 4001/13 - juris).
41 
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Beschädigtengrundrente nach §§ 80, 81 SVG i.V.m. §§ 30, 31 BVG.
42 
Gemäß § 80 Abs. 1 Satz 1 SVG erhält ein Soldat, der eine WDB erlitten hat, nach Beendigung des Wehrdienstverhältnisses wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der WDB auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG, soweit im SVG nichts Abweichendes bestimmt ist. Nach § 88 Abs. 1 SVG sind hierfür die Versorgungsbehörden zuständig. Nach § 81 Abs. 1 SVG ist WDB eine gesundheitliche Schädigung, die durch eine Wehrdienstverrichtung, durch einen während der Ausübung des Wehrdienstes erlittenen Unfall oder durch die dem Wehrdienst eigentümlichen Verhältnisse herbeigeführt worden ist. Nach § 30 Abs. 1 BVG ist der GdS (bis zum Inkrafttreten des BVGÄndG vom 13.12.2007 [BGBl. I S. 2904] am 21.12.2007 MdE) nach den allgemeinen Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen, die durch die als Schädigungsfolge anerkannten körperlichen, geistigen, seelischen Gesundheitsstörungen bedingt sind, in allen Lebensbereichen zu beurteilen (Satz 1 der Vorschrift). Nachdem für die Beurteilung der MdE und des GdS dieselben Grundsätze gelten, wird im Folgenden allein auf die Beurteilung des GdS Bezug genommen. Der GdS ist nach Zehnergraden von 10 bis 100 zu bemessen; ein bis zu fünf Grad geringerer GdS wird vom höheren Zehnergrad mit umfasst (Satz 2 der Vorschrift). Beschädigte erhalten gemäß § 31 Abs. 1 BVG eine monatliche Grundrente ab einem GdS von 30. Liegt der GdS unter 25 besteht kein Anspruch auf eine Rentenentschädigung.
43 
Der Senat orientiert sich bei der Beurteilung von MdE und GdS für die Zeit bis zum 31.12.2008 an den im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung als antizipierte Sachverständigengutachten angewandten (BSG, Urteil vom 23.06.1993 - 9/9a RVs 1/91 - BSGE 72, 285; BSG, Urteil vom 09.04.1997 - 9 RVs 4/95 - SozR 3-3870 § 4 Nr. 19; BSG, Urteil vom 18.09.2003 - B 9 SB 3/02 R - BSGE 190, 205; BSG, Urteil vom 29.08.1990 - 9a/9 RVs 7/89 - BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 1) „Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2 SGB IX)“ (AHP) in der jeweils geltenden Fassung, die gemäß § 30 Abs. 16 BVG (bis 30.06.2011 § 30 Abs. 17 BVG) für die Zeit ab dem 01.01.2009 durch die in der Anlage zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, des § 30 Abs. 1 und des § 35 Abs. 1 BVG - Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) - vom 10.12.2008 (BGBl. I Seite 2412) festgelegten Versorgungsmedizinischen Grundsätze (VG) abgelöst worden sind. Hinsichtlich der vorliegend einschlägigen Funktionsbeeinträchtigungen enthalten die VG gegenüber den AHP keine inhaltlichen Änderungen, sodass im Folgenden lediglich die Ziffern der VG angegeben werden.
44 
Wie in allen Zweigen des sozialen Entschädigungsrechts müssen auch im Recht der Soldatenversorgung die anspruchsbegründenden Tatsachen nachgewiesen, d. h. ohne vernünftige Zweifel oder mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bewiesen sein (st. Rspr. BSG, so zum Opferentschädigungsgesetz - OEG -: BSG SozR 1500 § 128 Nr. 34 m. w. N.; SozR 1500 § 128 Nr. 35; zur Kriegsopferversorgung BSG SozR 3-3100 § 1 Nr. 18; zum SVG: BSG SozR 3-3200 § 81 Nr. 16; SozR 3-3200 § 81 Nr. 6; zum Impfschadensrecht: BSG SozR 3850 § 51 Nr. 9 und § 52 Nr. 1), soweit nichts anderes bestimmt ist. Für Ansprüche nach §§ 80, 81 SVG bedeutet dies, dass sich - mit dem jeweils maßgeblichen Beweisgrad - zumindest drei Tatsachenkomplexe oder Glieder der Kausal-(Ursachen)kette sowie zwei dazwischenliegende Kausalzusammenhänge feststellen lassen müssen (vgl. Wilke/Fehl, Soziales Entschädigungsrecht, 7. Aufl 1992, § 1 BVG Rdnrn. 56 und 61; Rohr/Strässer, Bundesversorgungsrecht mit Verfahrensrecht, Stand: Februar 2013, § 1 BVG Anm 8 ff, § 1 -52 ff). Der erste Komplex ist die geschützte Tätigkeit, hier also die Wehrdienstverrichtung oder die Ausübung einer gleichgestellten Tätigkeit. Infolge dieser Verrichtung muss ein schädigendes Ereignis eine gesundheitliche Schädigung hervorgerufen haben. Aufgrund dieser Schädigung muss es dann zu der in MdE/GdS-Graden zu bewertenden Schädigungsfolge gekommen sein. Das "schädigende Ereignis" wird üblicherweise als weiteres selbständiges Glied der Kausalkette zwischen geschützter Tätigkeit und Primärschaden angesehen (BSG SozR 3-3200 § 81 Nr. 16 m. w. N.). Auch dieses bedarf grundsätzlich des Vollbeweises. Dagegen genügt für die Feststellung des Ursachenzusammenhangs, jedenfalls desjenigen zwischen Schädigung und Schädigungsfolge (sog "haftungsausfüllende Kausalität") der Beweisgrad der Wahrscheinlichkeit (§ 81 Abs. 6 Satz 1 SVG).
45 
Bei dem einem Soldaten während des Dienstverhältnisses zustehenden Anspruch auf Ausgleich gegenüber der WBV nach § 85 SVG und dem Versorgungsanspruch für die Zeit nach seinem Ausscheiden aus dem Dienstverhältnis gegenüber dem Beklagten nach § 80 SVG handelt es sich grundsätzlich um zwei zeitlich getrennte und konstruktiv selbständig nebeneinander stehende Ansprüche. In § 88 Abs. 3 Satz 1 SVG ist allerdings angeordnet, dass eine bekannt gegebene Entscheidung einer Behörde der Bundeswehrverwaltung sowie die rechtskräftige Entscheidung eines Gerichts der Sozialgerichtsbarkeit in Ausgleichsverfahren über eine WDB und den ursächlichen Zusammenhang einer Gesundheitsstörung unter anderem mit einem Tatbestand des § 81 SVG für die Behörde der jeweils anderen Verwaltung verbindlich sind. Diese Verbindlichkeit erstreckt sich auch auf den einer Ausgleichsleistung zugrunde liegenden GdS. Führt eine durch rechtskräftiges Urteil verurteilte Verwaltungsbehörde das Urteil durch einen Bescheid entsprechend dem Urteilstenor unter selbständiger Festsetzung des GdS und der daraus folgenden Leistung aus, besteht die Bindungswirkung durch den Ausführungsbescheid (BSG, Urteil vom 02.07.1997 - 9 RV 21/95 - juris). Für die Bindungswirkung der Entscheidungen der WBV ist es gleichgültig, ob die Erstentscheidung noch während der Dienstzeit des Soldaten oder erst danach getroffen wird. Aus dem Wortlaut des § 88 Abs. 2 SVG folgt, dass die WBV derartige Entscheidungen auch noch nach dem Ausscheiden des Soldaten aus dem Wehrdienst treffen kann (BSG, Urteil vom 28.06.2000 - B 9 VS 1/99 R - juris).
46 
Der Gesetzgeber wollte mit der Bindungswirkung im Sinne von § 88 Abs. 3 SVG den Verwaltungsaufwand im Übergang von einer Leistung auf die andere (vom Ausgleich zur Versorgung) und von einem Leistungsträger auf den anderen (Bundeswehrverwaltung und Versorgungsverwaltung) beschränken. Bei diesen Ansprüchen, die einerseits zwar zeitlich voneinander getrennt und konstruktiv selbständig nebeneinander stehen, die andererseits jedoch beide auf ein und derselben gesundheitlichen Schädigung durch einen Unfall während der Ausübung des Wehrdienstes oder die dem Wehrdienst eigentümlichen Verhältnisse im Sinne von § 81 Abs. 1 SVG gründen, sollten doppelte Prüfungen vermieden werden (vgl. auch BT-Drs. 8/3750 S. 23 und 8/4030 S. 25). Ziel ist es, der Gefahr von in wesentlichen Punkten voneinander abweichenden Entscheidungen entgegenzuwirken und vor allem eine Schlechterstellung von Soldaten nach dem Ausscheiden aus dem Dienst der Bundeswehr gegenüber Kriegsbeschädigten und sonstigen Versorgungsberechtigten zu verhindern, deren Anspruch sich nur gegen einen Leistungsträger richtet. Zweck der Regelung ist es mithin, in der Übergangssituation zwischen Ausgleich und Versorgung durch Bindung - in erster Linie der Versorgungsverwaltung - die weitere Versorgung des aus dem Dienst der Bundeswehr ausgeschiedenen Soldaten sicherzustellen (BSG, Urteil vom 25.03.2004 - B 9 VS 2/01 R -, juris).
47 
Allerdings besteht die Bindung der Versorgungsverwaltung an die Entscheidung der Wehrverwaltung nicht unbeschränkt. Nach § 88 Abs. 3 Sätze 2 und 3 SVG steht die Bindungswirkung einer anderweitigen Entscheidung der Versorgungsämter nicht entgegen, wenn sich die Feststellung von Anfang an als fehlerhaft erweist oder eine wesentliche Änderung der maßgeblichen Verhältnisse eintritt. Bei anfänglicher Unrichtigkeit kann die Versorgungsverwaltung die Entscheidung über §§ 44 bzw. 45 SGB X korrigieren, bei einer Besserung oder Verschlechterung der anerkannten WDB kann die Entscheidung der Wehrverwaltung mit Wirkung für die Zukunft nach § 48 SGB X aufgehoben bzw. abgeändert werden.
48 
Mit Urteil des Landessozialgerichts (L 6 VS 2615/05) vom 11.03.2011 ist rechtskräftig als weitere Wehrdienstbeschädigungsfolge ein Zustand nach abgelaufener, durch beidseitige Embolektomie und Einbau eines Vena-Cava-Schirms operativ behandelter fulminanter Lungenembolie mit dauerhafter Marcumar-Antikoagulations-Prophylaxe festgestellt und der Bescheid des Beigeladenen vom 06.09.2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.06.2002 insoweit abgeändert worden. Im Übrigen, soweit die Feststellung von Herzrhythmusstörungen und Notwendigkeit eines Herzschrittmachers begehrt wurde und die Gewährung eines Ausgleiches, ist die Berufung jedoch zurückgewiesen worden. Mit Ausführungsbescheid der WBV vom 14.04.2010 ist diese Wehrdienstbeschädigungsfolge anerkannt worden. Darüber hinaus ist dargelegt worden, dass ein Anspruch auf Ausgleich nach § 85 SVG jedoch weiterhin nicht besteht und es bezüglich der übrigen Gesundheitsstörungen bei dem Bescheid vom 06.09.2000 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.06.2002 verbleibt. Nach der Rechtsprechung des Senats (zuletzt Urteil vom 29.04.2014 - L 6 VK 934/12 - juris) hat ein Ausführungsbescheid insoweit einen eigenständigen Regelungscharakter, als er vorliegend das ergangene Urteil richtig umsetzen muss.
49 
Damit ist für die Versorgungsverwaltung bindend festgestellt worden, dass nur die im Verfügungssatz des Urteils des Landessozialgerichts anerkannte WDB vorliegt und keine weitere. Dies steht der Anerkennung der Herzrhythmusstörungen und der Notwendigkeit eines Herzschrittmachers als WDB durch die Beklagte entgegen.
50 
Maßgeblich ist daher, nachdem der anwaltlich vertretene Kläger selbst keine Verschlechterung des Gesundheitszustandes i. S. d. § 48 SGB X geltend macht allein, ob diese Feststellung rechtmäßig ist. Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind, der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Ist ein Verwaltungsakt rechtswidrig, hat der betroffene Bürger im Interesse der materiellen Gerechtigkeit einen einklagbaren Anspruch auf Rücknahme des Verwaltungsaktes unabhängig davon, ob der Verwaltungsakt durch ein rechtskräftiges Urteil bestätigt wurde (BSGE 51, 139, 141; BSG SozR 2200 § 1268 Nr. 29). Dabei muss die Verwaltung entsprechend dem Umfang des Vorbringens des Versicherten in eine erneute Prüfung eintreten und den Antragsteller auf der Grundlage der wirklichen Sach- und Rechtslage bescheiden (BSG, SozR 3-2600 § 243 Nr. 8; BSG SozR 2200 § 1268 Nr. 29). Ob bei Erlass des Bescheides von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen worden ist, beurteilt sich im Vergleich der Sachlage, wie sie dem zu überprüfenden Verwaltungsakt zu Grunde gelegt worden ist und wie sie sich bei Erlass des Verwaltungsaktes bei nachträglicher Betrachtung im Zeitpunkt der Überprüfung rückschauend tatsächlich darstellt. Mithin kommt es nicht auf den Erkenntnisstand bei Erlass, sondern bei Überprüfung an, die Rechtswidrigkeit beurteilt sich also nach der damaligen Sach- und Rechtslage aus heutiger Sicht (BSGE 57, 209; 90, 136). Dies gilt auch dann, wenn z. B. die richtige medizinische Beurteilung erst später möglich geworden ist. Nach Unanfechtbarkeit des zu überprüfenden Verwaltungsaktes liegt allerdings die objektive Beweislast für Tatsachen, aus denen sich eine Unrichtigkeit des Verwaltungsaktes wegen fehlerhafter Sachverhaltsannahme ergeben kann, bei dem Adressaten des Verwaltungsaktes (st. Rspr. BSG SozR 5870 § 2 Nr. 44). Hinsichtlich des Beweismaßstabs gelten die Kriterien, die auch zum Zeitpunkt der zu überprüfenden Entscheidung maßgeblich waren (BSG SozR 3-1300 § 48 Nr. 67). Genügte dort, dass eine Tatsache lediglich wahrscheinlich war, ein Vollbeweis aber nicht gefordert wurde, besteht auch im Rahmen der Überprüfung bei Wahrscheinlichkeit des maßgeblichen Sachverhalts ein Anspruch auf den Zugunstenbescheid (BSG, SGb 1998, 582).
51 
Danach liegen die Voraussetzungen für eine Rücknahme der Entscheidung nicht vor. Der Kläger hat nichts vorgetragen, was Anlass geben könnte, an eine abweichende Entscheidung zu denken. Insbesondere hat der Kläger keinerlei neue Angaben gemacht bzw. Unterlagen vorgelegt, die nunmehr ausreichend Anhaltspunkte dafür liefern, dass doch die Herzrhythmusstörungen wahrscheinlich Folge der Lungenembolie sind. Vielmehr hat er nur auf bereits im Verfahren L 6 VS 2615/05 Gewürdigtes hingewiesen. Daher wird weiterhin der Sachverhalt vom Senat als ausreichend aufgeklärt erachtet und weitere Ermittlungen nicht als erforderlich angesehen. Im Urteil des Landessozialgerichts vom 11.03.2010 ist die Entscheidung, dass nicht auch die im Januar 2008 diagnostizierten Herzrhythmusstörungen und die hiermit verbundene Notwendigkeit eines Herzschrittmachers eine WDB ist, auf die Ausführungen in dem Gutachten und der ergänzenden Stellungnahme von Prof. Dr. G. gestützt worden, die vom Senat weiterhin als schlüssig und überzeugend bewertet werden. Diesen Ausführungen hat der Kläger auch in vorliegendem Verfahren keine stichhaltigen, sie widerlegenden Argumente, gegenübergestellt. Auch wenn im Recht der Soldatenversorgung die Rechtslage auf der Grundlage von Wahrscheinlichkeitsbeurteilungen durch einen Verwaltungsakt geregelt wird, kann er nur zurück genommen werden, wenn er nach allgemeinen Beweisregeln rechtswidrig ist. Eine Aufhebung scheidet daher aus, solange und soweit die Möglichkeit der Rechtmäßigkeit besteht (vgl. Lilienfeld in Knickrehm, Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, § 88 SVG Rn. 15). Eine Rücknahme nach § 44 SGB X setzt somit die nachgewiesene Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes voraus. Dies ist vorliegend nicht gegeben.
52 
Bei dem Kläger ist erstmals bei der akuten beidseitigen Lungenembolie am 25.12.1996 im Rahmen der durchgeführten Embolektomie ein Vorhofflattern aufgetreten, wobei es sich um eine Kammertachykardie handelte, die er bei erneuter Verschlechterung des Allgemeinbefindens bemerkte. Prof. Dr. G. hat hierzu dargelegt, dass eine akute Lungenembolie zwar häufig Arrhythmien auslösen kann. Auch spielen Erkrankungen, die zu einer Rechtsherzbelastung führen, wie rezidivierende Lungenembolien, nach seinen Ausführungen eine besonders wichtige Rolle bei der Entstehung von Vorhofflattern, weshalb eine Herzrhythmusstörung, insbesondere das Vorhofflattern, eher Folge einer Lungenembolie ist, als Ursache einer Embolie. In den Zeiträumen zwischen 1994 und 1996 und insbesondere 1996 und 2008 liegen jedoch bei dem Kläger keinerlei Hinweise auf Rhythmusstörungen vor. Weder hat der Kläger Angaben über klinische Hinweise gemacht, obwohl er sowohl 1996, wie auch 2008 im Rahmen des Vorhofflatterns symptomatisch gewesen ist, weshalb nicht von einem asymptomatischen und damit nicht erkannten Vorhofflattern ausgegangen werden kann. Noch ergeben sich Hinweise aus den in dieser Zeit durchgeführten Untersuchungen auf Herzrhythmusstörungen. Insbesondere haben mehrere echokardiographische Kontrollen keine chronischen Rechtsherzbelastungszeichen mit einer Dilatation der Vorhöfe gezeigt, die eine atriale Rhythmusstörung begünstigen. Hieraus folgt, dass ein eindeutiger Zusammenhang zwischen der Lungenembolie 1996 und dem Auftreten des Vorhofflatterns 2008 nicht belegt werden kann. Die Ursache des erneut aufgetretenen Vorhofflatterns ist vielmehr unklar. Nachdem die Häufigkeit der Herzrhythmusstörungen wie Vorhofflimmern und Vorhofflattern insgesamt mit dem Lebensalter zunimmt, ist die Schlussfolgerung von Prof. Dr. G., dass eine durch die Lungenembolie mit nachfolgender Embolektomie verursachte Herzrhythmusstörung zwar möglich, jedoch nach 12-jähriger Latenz nicht wahrscheinlich ist, sondern mehr dagegen als dafür spricht, überzeugend. Es spricht vielmehr, wie Prof. Dr. G. angibt, mehr für eine Prädisposition des Klägers zum Vorhofflattern.
53 
Wie im Urteil des Landessozialgerichts vom 11.03.2010 überzeugend ausgeführt worden ist, rechtfertigt die anerkannte WDB keinen GdS von mindestens 25. Der Kläger hat auch nunmehr keinerlei Befunde mitgeteilt, die einen GdS von 30 rechtfertigen. Daher liegen auch keine Gründe vor, nach denen die Ablehnung der Gewährung eines Ausgleichs nach § 85 SVG rechtswidrig gewesen ist und ein Anspruch auf Gewährung einer Grundrente nach § 80 SVG besteht.
54 
Bei der Begutachtung durch Dr. S. ergab die pulmonale Auskultation einen unauffälligen Befund, ebenfalls lag kardial ein unauffälliger Befund vor. Es zeigte sich nur eine leichte Gasaustauschstörung bei normaler Belastbarkeit. Die Spiroergometrie zeigte eine normale Belastbarkeit bis 200 Watt mit maximaler Sauerstoffaufnahme im Normbereich (97 % des Sollwertes). Daraus folgt, wie von Dr. S. angegeben, dass keine relevanten kardiopulmonalen Einschränkungen bestanden und damit keine Funktionsbeeinträchtigungen, die die Feststellung eines GdS rechtfertigen. Prof. Dr. G. hat in seinem Gutachten ausgeführt, dass der Kläger in seinem Alltag in Ruhe normal belastbar ist und nur bei mittelschwerer bis schwerer Belastung bzw. bei mittelschwerer körperlicher Arbeit eine Dyspnoe hat und die Arbeit unterbrechen muss. Der Kläger hatte angegeben, er spiele regelmäßig Tennis, müsse aber regelmäßig Pausen machen. Eine Dyspnoe oder thorakale Schmerzen oder Palpitationen wurden jedoch verneint. Daraus folgt, dass bei dem damals bereits 68-jährigem Kläger keinesfalls einen GdS von 20 rechtfertigende Funktionsbeeinträchtigungen aufgrund der anerkannten WDB vorgelegen haben. Nach den VG, Teil B, Nr. 8.3 bzw. 9.1.1 ist ein GdS von 20 erst gerechtfertigt, wenn eine das gewöhnliche Maß übersteigende Atemnot z.B. bei forschem Gehen [5-6 km/h], mittelschwerer körperlicher Arbeit vorliegt und statische und dynamische Messwerte der Lungenfunktionsprüfung bis zu 1/3 niedriger als die Sollwerte sind und die Blutgaswerte im Normbereich bzw. bei Beschwerden und Auftreten pathologischer Messdaten bei Ergometerbelastung mit 75 Watt (wenigstens 2 Minuten). Der Kläger war jedoch bis 200 Watt belastbar und hat dort nach 2 Minuten wegen muskulärer Erschöpfung aufgehört und hat von regelmäßigem Tennisspielen berichtet.
55 
Wie bereits in dem Urteil des Landessozialgerichts vom 11.03.2010 ausgeführt worden ist, ist zwar nach den VG, Teil B, Nr. 9.1.2 bei Herzklappenprothesen der GdS nicht niedriger als 30 zu bewerten, wobei dieser Wert eine Dauerbehandlung mit Antikoagulantien einschließt. Der eingebrachte Vena-Cava-Schirm ist jedoch keinesfalls mit dem Vorliegen einer Herzklappenprothese vergleichbar und allein eine Dauerbehandlung mit Antikoagulatien rechtfertigt danach nicht die Feststellung eines GdS von 30. Vielmehr ist nach operativen und anderen therapeutischen Eingriffen am Herzen der GdS von der bleibenden Leistungsbeeinträchtigung abhängig, die vorliegend gerade nicht gegeben ist.
56 
Nachdem der Kläger keinerlei Angaben gemacht und Nachweise erbracht hat, dass seine Leistungsfähigkeit entgegen diesen Befunden deutlich reduziert ist, ist das Vorliegen eines GdS von mindestens 25 aufgrund der anerkannten WDB nicht nachgewiesen. Soweit der Kläger auf die Feststellung eines GdB von 30 aufgrund der Gesundheitsbeeinträchtigungen der anerkannten WDB hinweist und daraus einen Anspruch auf Gewährung einer Grundrente nach einem GdS von mindestens 30 herleiten möchte, besteht eine Bindungswirkung infolge der Feststellung des GdB, vergleichbar der Bindungswirkung nach § 88 Abs. 3 SVG, aber gerade nicht.
57 
Vielmehr ist nach § 69 Abs. 2 Satz 1 SGB IX eine Feststellung der Behinderung nach dem SGB IX nicht zu treffen, wenn eine Feststellung über das Vorliegen einer Behinderung und den Grad einer auf ihr beruhenden Erwerbsminderung schon in einem Rentenbescheid, einer entsprechenden Verwaltungs- oder Gerichtsentscheidung oder einer vorläufigen Bescheinigung der für diese Entscheidungen zuständigen Dienststellen getroffen worden ist und der behinderte Mensch kein Interesse an anderweitiger Feststellung nach Absatz 1 glaubhaft macht. Eine entsprechende (umgekehrte) Regelung einer Übernahme der Feststellungen nach dem SGB IX gibt es jedoch nicht. Die Feststellung eines GdB durch die Versorgungsverwaltung hat daher für die Feststellung der Höhe der MdE bzw. des GdS nach dem BVG/SVG oder dem Unfallversicherungsrecht - anders als umgekehrt - keine bindende Wirkung bei der Entscheidung über die Höhe (vgl. BSG, Beschluss vom 11.10.2006 - B 9a SB 1/06 BH). Nachdem im Rahmen der Beschädigtenversorgung bzw. der Unfallversicherung jeweils noch weitere zusätzliche Feststellungen zu treffen sind, da mit der Feststellung nach dem SGB IX nicht geprüft wird, ob Gesundheitsstörungen als Unfall- / Schädigungs-Folge anzuerkennen sind und nur der Gesamt-GdB im Verfügungssatz festgestellt wird, liegt keine § 69 Abs. 2 SGB IX vergleichbare Konstellation vor. Denn auch § 69 Abs. 2 SGB IX lässt nicht einen nur teilweisen (partiellen) Verzicht auf eigenständige Feststellungen der Versorgungsbehörden nach Abs. 1 der Vorschrift zu. Eine anderweitige Feststellung im Sinne von § 69 Abs. 2 SGB IX ist vielmehr nur dann maßgebend, wenn sie eine Feststellung nach Abs. 1 SGB IX gänzlich erübrigt und damit an deren Stelle treten kann (vgl. BSG, Urteil vom 05.07.2007 - B 9/9a SB 12/06 R - SozR 4-3250 § 69 Nr. 4). Die Regelung des § 69 Abs. 2 SGB IX ist daher nicht analogiefähig bzw. umkehrbar (vgl. Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 18.05.2010 - L 15 SB 19/07 - juris).
58 
Ergänzend weist der Senat noch darauf hin, dass der Kläger auch keine Verschlimmerung der anerkannten WDB geltend gemacht hat. Vielmehr hat er nur ausgeführt, dass der Zustand nicht besser geworden ist. Wie sich aus der Stellungnahme von Dr. S. vom 14.02.2013 im Rahmen der Überprüfung des GdB ergibt, war der Kläger seit Januar 2010 nicht mehr in Behandlung und ihr liegt kein Befund eines Lungenfacharztes vor. Damit liegen auch nicht die Voraussetzungen nach § 48 SGB X vor.
59 
Die Berufung war nach alledem zurückzuweisen.
60 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
61 
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 16. Dezember 2011 aufgehoben, soweit es einen Anspruch der Klägerin auf Beschädigtenrente wegen Folgen sexuellen Missbrauchs und körperlicher Misshandlungen im Kindes- und Jugendalter betrifft.

In diesem Umfang wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Im Übrigen wird die Revision der Klägerin zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Beschädigtenrente nach dem Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (OEG) iVm dem Bundesversorgungsgesetz (BVG).

2

Die 1962 geborene Klägerin beantragte am 16.9.1999 beim damals zuständigen Versorgungsamt B. Beschädigtenversorgung nach dem OEG. Sie gab an, ihre Gesundheitsstörungen seien Folge von Gewalttaten und sexuellem Missbrauch im Elternhaus sowie von sexuellem Missbrauch durch einen Fremden. Die Taten hätten sich zwischen ihrem Geburtsjahr 1962 mit abnehmender Tendenz bis 1980 zugetragen.

3

Nachdem das Versorgungsamt die Klägerin angehört, eine Vielzahl von Arztberichten, insbesondere über psychiatrische Behandlungen der Klägerin, sowie eine schriftliche Aussage ihrer Tante eingeholt hatte, stellte die Ärztin für Neurologie und Fachärztin für Psychotherapeutische Medizin Dr. W. mit Gutachten vom 26.9.2001 für das Versorgungsamt zusammenfassend fest, die Untersuchung der Klägerin habe nur in Ansätzen detaillierte Angaben zu den geltend gemachten Misshandlungen und dem sexuellen Missbrauch erbracht. Diagnostisch sei von einer Persönlichkeitsstörung auszugehen. Aufgrund der Symptomatik sei nicht zu entscheiden, ob die psychische Störung der Klägerin ein Milieuschaden im weitesten Sinne sei oder mindestens gleichwertig auf Gewalttaten im Sinne des OEG zurückzuführen sei. Das Versorgungsamt lehnte daraufhin den Antrag der Klägerin auf Beschädigtenversorgung mit der Begründung ab: Die psychische Störung könne nicht als Folge tätlicher Gewalt anerkannt werden. Zwar seien einzelne körperliche Misshandlungen, Schläge und sexueller Missbrauch geschildert worden, insbesondere aber insgesamt zerrüttete Familienverhältnisse. Vor allem diese frühere, allgemeine familiäre Situation sei für die psychischen Probleme verantwortlich (Bescheid vom 15.10.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.5.2002).

4

Das Sozialgericht (SG) Detmold hat die - zunächst gegen das Land Nordrhein-Westfalen (NRW) und ab 1.1.2008 gegen den jetzt beklagten Landschaftsverband gerichtete - Klage nach Anhörung der Klägerin, Vernehmung mehrerer Zeugen und Einholung eines Sachverständigengutachtens der Fachärztin für Neurologie, Psychiatrie, Psychotherapeutische Medizin und Sozialmedizin Dr. S. vom 23.6.2005 sowie eines Zusatzgutachtens der Diplom-Psychologin H. vom 5.4.2005 auf aussagepsychologischem Gebiet durch Urteil vom 29.8.2008 abgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG) NRW hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen (Urteil vom 16.12.2011), nachdem es ua zur Frage der Glaubhaftigkeit der Angaben der Klägerin ein auf Antrag der Klägerin nach § 109 SGG erstattetes Sachverständigengutachten des Facharztes für Psychiatrie, Psychotherapie und Neurologie Sp. vom 25.9.2009 sowie eine ergänzende Stellungnahme der Sachverständigen Dr. S. vom 20.4.2011 beigezogen hatte. Seine Entscheidung hat es im Wesentlichen auf folgende Erwägungen gestützt:

5

Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Gewährung von Versorgung nach § 1 OEG iVm § 31 BVG, weil sich vorsätzliche, rechtswidrige tätliche Angriffe auf die Klägerin, die zur Verursachung der bei ihr bestehenden Gesundheitsschäden geeignet wären, nicht hätten feststellen lassen. Unter Würdigung des Gesamtergebnisses des Verfahrens sei es nicht in einem die volle richterliche Überzeugung begründenden Maß wahrscheinlich, dass die Klägerin in ihrer Kindheit und Jugend Opfer der von ihr behaupteten körperlichen und sexuellen Misshandlungen und damit von Angriffen iS von § 1 Abs 1 S 1 OEG geworden sei. Keiner der durch das SG vernommenen Zeugen habe die von der Klägerin behaupteten anhaltenden und wiederholten Gewalttätigkeiten durch ihren Vater und ihre Mutter und erst recht nicht den von ihrem Vater angeblich verübten sexuellen Missbrauch bestätigt. Das LSG folge der Beweiswürdigung des SG, das keine generellen Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Zeugen dargelegt habe. Es habe daher das ihm eingeräumte Ermessen dahingehend ausgeübt, die Zeugen nicht erneut zu vernehmen. Angesichts des langen Zeitablaufs seit der Zeugenvernehmung durch das SG und mangels neuer Erkenntnisse zu den angeschuldigten Ereignissen, die noch wesentlich länger zurücklägen, gehe das LSG davon aus, dass eine erneute Zeugenvernehmung nicht ergiebig gewesen wäre und lediglich die Aussagen aus der ersten Instanz bestätigt hätte. Zudem hätten die Mutter der Klägerin sowie einer ihrer Brüder gegenüber dem LSG schriftlich angekündigt, im Fall einer Vernehmung erneut das Zeugnis aus persönlichen Gründen zu verweigern. Das LSG habe deswegen auf ihre erneute Ladung zur Vernehmung verzichtet.

6

Ebenso wenig habe sich das LSG allein auf der Grundlage der Angaben der Klägerin die volle richterliche Überzeugung vom Vorliegen der Voraussetzungen des § 1 Abs 1 S 1 OEG bilden können, da es ihre Angaben in wesentlichen Teilen nicht als glaubhaft betrachte. Denn sie widersprächen im Kern den Aussagen ihres Vaters und ihres anderen Bruders. Die dadurch begründeten ernstlichen Zweifel am Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen habe die aussagepsychologische Begutachtung der Klägerin durch die vom SG beauftragte Sachverständige H. nicht ausgeräumt, sondern sogar bestärkt. Die vom Sachverständigen Sp. geäußerte Kritik an der aussagepsychologischen Begutachtung überzeuge das LSG nicht. Denn theoretischer Ansatz und methodische Vorgehensweise des vom SG eingeholten aussagepsychologischen Gutachtens entsprächen dem aktuellen Stand der psychologischen Wissenschaft. Das Gutachten stütze sich insoweit zu Recht ausdrücklich auf die in der Leitentscheidung des Bundesgerichtshofes (BGH) in Strafsachen (Urteil vom 30.7.1999 - 1 StR 618/98 - BGHSt 45, 164) dargestellten Grundsätze der aussagepsychologischen Begutachtung für Glaubhaftigkeitsgutachten, wie sie die Strafgerichte seitdem in ständiger Rechtsprechung anwendeten. Diese aussagepsychologischen Grundsätze seien auf den Sozialgerichtsprozess übertragbar. Dabei könne dahinstehen, ob im Strafprozess grundsätzlich andere Beweismaßstäbe gälten als im Sozialgerichtsprozess. Denn die genannten wissenschaftlichen Prinzipien der Glaubhaftigkeitsbegutachtung beanspruchten Allgemeingültigkeit und entsprächen dem aktuellen Stand der psychologischen Wissenschaft. Ihre Anwendung sei der anschließenden Beweiswürdigung, die etwaigen Besonderheiten des jeweiligen Prozessrechts Rechnung tragen könne, vorgelagert und lasse sich davon trennen.

7

Die nach diesen aussagepsychologischen Grundsätzen von der Sachverständigen H. gebildete Alternativhypothese, dass es sich bei den Schilderungen der Klägerin um irrtümliche, dh auf Gedächtnisfehlern beruhende Falschangaben handele, lasse sich nach den überzeugenden Ausführungen der Sachverständigen nicht widerlegen, sondern gut mit den vorliegenden Daten vereinbaren. Hierfür sprächen die großen Erinnerungslücken der Klägerin hinsichtlich ihrer frühen Kindheit, wobei in der aussagepsychologischen Forschung ohnehin umstritten sei, ob es überhaupt aktuell nicht abrufbare, aber trotzdem zuverlässig gespeicherte Erinnerungen an lange zurückliegende Ereignisse gebe. Es könne dahingestellt bleiben, ob sich das Gericht bei der Beurteilung "wiedergefundener" Erinnerungen sachverständiger Hilfe nicht nur bedienen könne, sondern sogar bedienen müsse, obwohl die Beurteilung der Glaubwürdigkeit von Zeugen sowie Beteiligten und der Glaubhaftigkeit ihrer Aussagen grundsätzlich richterliche Aufgabe sei. Die Entscheidung des SG für eine aussagepsychologische Begutachtung sei angesichts der Besonderheiten der Aussageentstehung bei der Klägerin jedenfalls ermessensgerecht. Auf der Grundlage des wissenschaftlichen Kenntnisstands habe die Sachverständige H. darauf hingewiesen, dass die ursprüngliche Wahrnehmung durch die jahrelange psychotherapeutisch unterstützte mentale Auseinandersetzung der Klägerin mit den fraglichen Gewalterlebnissen durch nachträgliche Bewertungen überlagert und damit unzugänglich geworden sein könne. Daher hätten die Angaben der Klägerin, um als erlebnisbegründet angesehen zu werden, wegen der Gefahr einer möglichen Verwechslung von Gedächtnisquellen besonders handlungs- und wahrnehmungsnahe, raum-zeitlich vernetzte Situationsschilderungen enthalten müssen, die konsistent in die berichtete Gesamtdynamik eingebettet und konstant wiedergegeben würden. Diese Qualitätsanforderungen erfüllten die Schilderungen der Klägerin nicht, da sie nicht das erforderliche Maß an Detailreichtum, Konkretheit und Konstanz aufwiesen und nicht ausreichend situativ eingebettet seien.

8

Das Gutachten des Sachverständigen Sp. habe das Ergebnis der aussagepsychologischen Begutachtung nicht entkräften können. Da er weder eine hypothesengeleitete Analyse der Angaben der Klägerin nach den genannten wissenschaftlichen Grundsätzen vorgenommen noch ein Wortprotokoll seiner Exploration habe zur Verfügung stellen können, sei die objektive Überprüfbarkeit seiner Untersuchungsergebnisse stark eingeschränkt. Er habe eingeräumt, als Psychiater die aussagepsychologische Begutachtung nicht überprüfen und bewerten zu können und seinerseits durch seinen klinisch-psychiatrischen Zugang nicht zur Wahrheitsfindung in der Lage zu sein. Schließlich sei der von ihm vorgenommene Rückschluss von psychiatrischen Krankheitsanzeichen der Klägerin, konkret dem Vorliegen einer von ihm festgestellten posttraumatischen Belastungsstörung, auf konkrete schädigende Ereignisse iS des § 1 OEG in der Kindheit der Klägerin wegen der Vielzahl möglicher Ursachen einer Traumatisierung methodisch nicht haltbar.

9

Der abgesenkte Beweismaßstab des § 6 Abs 3 OEG iVm § 15 Gesetz über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOVVfG) komme der Klägerin nicht zugute. Zwar sei diese Regelung analog anzuwenden, wenn andere Beweismittel, wie zB Zeugen, nicht vorhanden seien. Lägen dagegen - wie hier - Beweismittel vor und stützten diese das Begehren des Anspruchstellers nicht, könne die Beweiserleichterung des § 15 KOVVfG nicht angewendet werden, weil diese Norm gerade das Fehlen von Beweismitteln voraussetze. Selbst bei Anwendung des Beweismaßstabs der Glaubhaftigkeit bliebe allerdings die Berufung der Klägerin ohne Erfolg. Denn aufgrund des methodisch einwandfreien und inhaltlich überzeugenden aussagepsychologischen Gutachtens der Sachverständigen H. stehe für das LSG fest, dass die Angaben der Klägerin nicht als ausreichend glaubhaft angesehen werden könnten, weil zu viele Zweifel an der Zuverlässigkeit ihrer Erinnerungen verblieben.

10

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin eine Verletzung des § 15 S 1 KOVVfG, des § 128 Abs 1 S 1 SGG sowie des § 1 Abs 1 OEG. Hierzu führt sie im Wesentlichen aus: Das LSG habe seiner Entscheidung nicht die Regelung des § 15 S 1 KOVVfG zugrunde gelegt und damit den anzulegenden Beweismaßstab verkannt. Richtigerweise hätte es hinsichtlich des von ihr behaupteten sexuellen Missbrauchs der Erbringung des Vollbeweises nicht bedurft; vielmehr wäre insoweit eine Glaubhaftmachung allein aufgrund ihrer Angaben ausreichend gewesen. Denn bezüglich dieses Vorbringens seien - bis auf ihren Vater als möglichen Täter - keine Zeugen vorhanden. Die Möglichkeit, dass sich die von ihr beschriebenen Vorgänge tatsächlich so zugetragen hätten, sei nicht auszuschließen; das Verbleiben gewisser Zweifel schließe die Glaubhaftmachung nicht aus. Dem stehe auch nicht entgegen, dass sie sich erst durch Therapien im Laufe des Verwaltungsverfahrens an die Geschehnisse habe erinnern können.

11

Das LSG habe ferner gegen § 128 Abs 1 S 1 SGG verstoßen, da es ein aussagepsychologisches Gutachten berücksichtigt habe. Ein solches Gutachten habe nicht eingeholt und berücksichtigt werden dürfen, da aussagepsychologische Gutachten in sozialgerichtlichen Entschädigungsprozessen keine geeigneten Mittel der Sachverhaltsfeststellung darstellten. Die Arbeitsweise bei aussagepsychologischen Gutachten lasse sich entgegen der Auffassung des LSG nicht ohne Weiteres auf sozialrechtliche Entschädigungsprozesse übertragen, da diese nicht mit Strafverfahren vergleichbar seien. Denn in Strafverfahren sei die richterliche Überzeugung vom Vorliegen bestimmter Tatsachen in der Weise gefordert, dass ein nach der Lebenserfahrung ausreichendes Maß an Sicherheit bestehe, demgegenüber vernünftige Zweifel nicht laut werden dürften. Das OEG hingegen sehe gemäß § 6 Abs 3 OEG iVm § 15 S 1 KOVVfG einen herabgesetzten Beweismaßstab vor. Ein weiterer Grund, weshalb aussagepsychologische Gutachten in sozialgerichtlichen Entschädigungsprozessen nicht eingeholt werden dürften, sei die darin erfolgende Zugrundelegung der sog Nullhypothese. Diese entspreche im Strafverfahren dem Grundsatz "in dubio pro reo", sodass als Arbeitshypothese von der Unschuld des Angeklagten auszugehen sei; mit sozialgerichtlichen Verfahren sei dies jedoch nicht in Einklang zu bringen. Zudem unterscheide sich die Art der Gutachtenerstattung in den beiden Verfahrensordnungen; in sozialgerichtlichen Verfahren erstatte der Sachverständige das Gutachten aufgrund der Aktenlage und einer Untersuchung der Person, wohingegen der Sachverständige im Strafprozess während der gesamten mündlichen Verhandlung anwesend sei und dadurch weitere Eindrücke von dem Angeklagten gewinne. Schließlich könne eine aussagepsychologische Untersuchung der Aussage eines erwachsenen Zeugen zu kindlichen Traumatisierungen auf keinerlei empirisch gesicherte Datenbasis hinsichtlich der Unterscheidung zwischen auto- oder fremdsuggerierten und erlebnisbasierten Erinnerungen zurückgreifen und sei daher wissenschaftlich nicht sinnvoll.

12

Ein weiterer Verstoß gegen § 128 Abs 1 S 1 SGG liege in einer widersprüchlichen, mitunter nicht nachvollziehbaren und teilweise einseitigen Beweiswürdigung des LSG begründet, womit es die Grenzen der freien richterlichen Beweiswürdigung überschritten habe. Das LSG habe den Aussagen ihres Bruders sowie ihres Vaters ein höheres Gewicht als ihren eigenen Angaben beigemessen und sich nicht kritisch mit den Zeugenaussagen auseinandergesetzt. Es sei einerseits von einer unberechenbaren Aggressivität des Vaters, einer aggressiven Atmosphäre und emotionalen Vernachlässigung in der Familie sowie einigen nachgewiesenen körperlichen Misshandlungen ausgegangen, halte andererseits jedoch ihre Angaben zu den Misshandlungen nicht für glaubhaft. Kaum berücksichtigt habe es zudem die Aussage ihrer Tante. Das LSG habe ferner ihre teilweise fehlenden, ungenauen oder verspäteten Erinnerungen nur einseitig zu ihrem Nachteil gewürdigt und dabei nicht in Erwägung gezogen, dass diese Erinnerungsfehler Folgen ihres Alters zum Zeitpunkt der Vorfälle, der großen Zeitspanne zwischen den Taten und dem durchgeführten Verfahren sowie ihrer Krankheit sein könnten. Im Rahmen des OEG könnten auch bruchstückhafte, lückenhafte oder voneinander abweichende Erinnerungen als Grundlage für eine Überzeugungsbildung ausreichen. Nicht umfassend gewürdigt habe das LSG schließlich das aussagepsychologische Gutachten, das selbst Anlass zur Kritik biete. Auch dieses habe nicht berücksichtigt, dass die Erinnerungslücken und Abweichungen in den Angaben eine Erscheinungsform ihrer Krankheit sein könnten. Dieses Gutachten entspreche daher nicht den erforderlichen wissenschaftlichen Standards und könne auch aus diesem Grunde nicht berücksichtigt werden. Zudem hätte das Gutachten von einem auf Traumatisierung spezialisierten Psychologen erstattet werden müssen.

13

Das LSG habe darüber hinaus verkannt, dass die Voraussetzungen des § 1 Abs 1 OEG bereits durch ihre grobe Vernachlässigung als Schutzbefohlenen erfüllt seien. Das Verhalten ihrer Eltern sei nicht durch ein Züchtigungsrecht gedeckt gewesen. Die familiäre Atmosphäre sei - wie von den Vorinstanzen festgestellt - von elterlicher Aggression, gestörten Beziehungen und emotionaler Vernachlässigung geprägt gewesen. Zudem habe das LSG einige Schläge als erwiesen erachtet. Auch die fachärztlichen Gutachten hätten ergeben, dass ihre psychische Störung jedenfalls durch die aggressive Familienatmosphäre verursacht worden sei.

14

Die Klägerin beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 16. Dezember 2011 sowie des Sozialgerichts Detmold vom 29. August 2008 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 15. Oktober 2001 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Mai 2002 zu verurteilen, ihr wegen der Folgen von sexuellem Missbrauch sowie körperlichen und seelischen Misshandlungen im Kindes- und Jugendalter Beschädigtenrente nach dem Opferentschädigungsgesetz in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz zu gewähren.

15

Der Beklagte beantragt,
die Revision der Klägerin zurückzuweisen.

16

Er hält das angefochtene Urteil im Ergebnis für zutreffend.

17

Der Senat hat die Bundesrepublik Deutschland auf deren Antrag hin beigeladen (Beschluss vom 29.1.2013). Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.

Entscheidungsgründe

18

Die Revision der Klägerin ist zulässig.

19

Sie ist vom LSG zugelassen worden und damit statthaft (§ 160 Abs 1 SGG). Die Klägerin hat bei der Einlegung und Begründung der Revision Formen und Fristen eingehalten (§ 164 Abs 1 und 2 SGG). Die Revisionsbegründung genügt den Voraussetzungen des § 164 Abs 2 S 3 SGG. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Klägerin ihren Entschädigungsanspruch nach dem OEG auf eine Vielzahl von schädigenden Vorgängen stützt. Demnach ist der Streitgegenstand derart teilbar, dass die Zulässigkeit und Begründetheit der Revision für jeden durch einen abgrenzbaren Sachverhalt bestimmten Teil gesondert zu prüfen ist (vgl BSG Urteil vom 18.5.2006 - B 9a V 2/05 R - SozR 4-3100 § 1 Nr 3). Dabei bietet es sich hier an, die verschiedenen Vorgänge in drei Gruppen zusammenzufassen: seelische Misshandlungen (Vernachlässigung, beeinträchtigende Familienatmosphäre), körperliche Misshandlungen und sexueller Missbrauch.

20

Soweit die Klägerin Entschädigung wegen der Folgen seelischer Misshandlungen durch ihre Eltern geltend macht, hat sie einen Verstoß gegen materielles Recht hinreichend dargetan. Sie ist der Ansicht, die betreffenden Vorgänge würden von § 1 OEG erfasst. Soweit das LSG umfangreichere körperliche Misshandlungen der Klägerin im Elternhaus sowie sexuellen Missbrauch durch ihren Vater bzw einen Fremden verneint hat, rügt die Klägerin zunächst substantiiert eine Verletzung von § 15 S 1 KOVVfG, also eine unzutreffende Verneinung der Anwendbarkeit einer besonderen Beweiserleichterung(vgl dazu BSG Urteil vom 31.5.1989 - 9 RVg 3/89 - BSGE 65, 123, 124 f = SozR 1500 § 128 Nr 39 S 46). Das LSG sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass insbesondere dafür, ob sie Opfer sexuellen Missbrauchs geworden sei, Beweismittel vorhanden seien. Im Hinblick darauf, dass die Vorinstanz hilfsweise auf § 15 S 1 KOVVfG abgestellt hat, bedarf es auch dazu einer ausreichenden Revisionsbegründung. Diese sieht der Senat vornehmlich in der Rüge der Klägerin, das LSG habe, indem es in diesem Zusammenhang auf das aussagepsychologische Gutachten der Sachverständigen H. vom 5.4.2005 Bezug genommen habe, ein ungeeignetes Beweismittel verwertet (vgl allgemein dazu zB BGH Beschluss vom 24.6.2003 - VI ZR 327/02 - NJW 2003, 2527; BGH Beschluss vom 15.3.2007 - 4 StR 66/07 - NStZ 2007, 476) und damit seiner Entscheidung zugleich einen falschen Beweismaßstab zugrunde gelegt. Dazu trägt die Klägerin ua vor, dass die Sachverständige H. ihr Glaubhaftigkeitsgutachen nach anderen Kriterien erstellt habe, als im Rahmen einer Glaubhaftmachung nach § 15 S 1 KOVVfG maßgebend seien.

21

Die Revision ist im Sinne der Aufhebung des Urteils des LSG und der Zurückverweisung der Sache an dieses Gericht begründet (§ 170 Abs 2 S 2 SGG), soweit das Berufungsurteil einen Anspruch der Klägerin auf Beschädigtenrente wegen Folgen sexuellen Missbrauchs und körperlicher Misshandlungen im Kindes- und Jugendalter betrifft. Im Übrigen - also hinsichtlich Folgen seelischer Misshandlungen - ist die Revision unbegründet.

22

1. Einer Sachentscheidung entgegenstehende, von Amts wegen zu berücksichtigende Verfahrenshindernisse bestehen nicht.

23

Zutreffend sind die Vorinstanzen davon ausgegangen, dass bereits während des Klageverfahrens ein Beteiligtenwechsel kraft Gesetzes stattgefunden hat und seit dem 1.1.2008 der beklagte Landschaftsverband passiv legitimiert ist (vgl hierzu BSG Urteil vom 29.4.2010 - B 9 VG 1/09 R - BSGE 106, 91 = SozR 4-3800 § 1 Nr 17, RdNr 20 mwN). Denn § 4 Abs 1 Gesetz zur Eingliederung der Versorgungsämter in die allgemeine Verwaltung(= Art 1 Zweites Gesetz zur Straffung der Behördenstruktur in NRW vom 30.10.2007, GVBl NRW 482) hat die den Versorgungsämtern übertragenen Aufgaben des sozialen Entschädigungsrechts einschließlich der Kriegsopferversorgung mit Wirkung zum 1.1.2008 auf die Landschaftsverbände übertragen. Der Senat hat bereits mehrfach entschieden, dass die Verlagerung der Zuständigkeit für die Aufgaben der Kriegsopferversorgung, der Soldatenversorgung sowie der Opferentschädigung auf die kommunalen Landschaftsverbände in NRW nicht gegen höherrangiges Bundesrecht, insbesondere nicht gegen Vorschriften des GG verstößt (vgl hierzu Urteile vom 11.12.2008 - B 9 VS 1/08 R - BSGE 102, 149 = SozR 4-1100 Art 85 Nr 1, RdNr 21, und - B 9 V 3/07 R - Juris RdNr 22; vom 23.4.2009 - B 9 VG 1/08 R - Juris RdNr 24; vom 30.9.2009 - B 9 VG 3/08 R - BSGE 104, 245 = SozR 4-3100 § 60 Nr 6, RdNr 26). Diese Übertragung hat zur Folge, dass allein der im Laufe des Verfahrens zuständig gewordene Rechtsträger die von der Klägerin beanspruchte Leistung gewähren kann, sodass sich die von der Klägerin erhobene kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 S 1 und Abs 4 SGG)ab 1.1.2008 gemäß § 6 Abs 1 OEG gegen den für die Klägerin örtlich zuständigen Landschaftsverband Westfalen-Lippe zu richten hat. Darüber hinaus hat die Klägerin in der mündlichen Revisionsverhandlung klargestellt, dass sie im vorliegenden Verfahren ausschließlich einen Anspruch auf Gewährung von Beschädigtenrente verfolgt (vgl dazu BSG Urteil vom 2.10.2008 - B 9 VG 2/07 R - Juris RdNr 12).

24

2. Für einen Anspruch der Klägerin auf eine Beschädigtenrente nach dem OEG iVm dem BVG sind folgende rechtliche Grundsätze maßgebend:

25

a) Ein Entschädigungsanspruch nach dem OEG setzt zunächst voraus, dass die allgemeinen Tatbestandsmerkmale des § 1 Abs 1 S 1 OEG gegeben sind(vgl hierzu BSG Urteil vom 23.4.2009 - B 9 VG 1/08 R - Juris RdNr 27 mwN). Danach erhält eine natürliche Person ("wer"), die im Geltungsbereich des OEG durch einen vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriff eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG. Somit besteht der Tatbestand des § 1 Abs 1 S 1 OEG aus drei Gliedern (tätlicher Angriff, Schädigung und Schädigungsfolgen), die durch einen Ursachenzusammenhang miteinander verbunden sind.

26

In Altfällen - also bei Schädigungen zwischen dem Inkrafttreten des GG (23.5.1949) und dem Inkrafttreten des OEG (16.5.1976) - müssen daneben noch die besonderen Voraussetzungen gemäß § 10 S 2 OEG iVm § 10a Abs 1 S 1 OEG erfüllt sein. Nach dieser Härteregelung erhalten Personen, die in der Zeit vom 23.5.1949 bis 15.5.1976 geschädigt worden sind, auf Antrag Versorgung, solange sie (1.) allein infolge dieser Schädigung schwerbeschädigt und (2.) bedürftig sind und (3.) im Geltungsbereich des OEG ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben.

27

b) Nach der Rechtsprechung des Senats ist bei der Auslegung des Rechtsbegriffs "vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff" iS des § 1 Abs 1 S 1 OEG entscheidend auf die Rechtsfeindlichkeit, vor allem verstanden als Feindlichkeit gegen das Strafgesetz, abzustellen; von subjektiven Merkmalen (wie etwa einer kämpferischen, feindseligen Absicht des Täters) hat sich die Auslegung insoweit weitestgehend gelöst (stRspr seit 1995; vgl hierzu BSG Urteil vom 7.4.2011 - B 9 VG 2/10 R - BSGE 108, 97 = SozR 4-3800 § 1 Nr 18, RdNr 32 mwN). Dabei hat der erkennende Senat je nach Fallkonstellation unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt und verschiedene Gesichtspunkte hervorgehoben. Leitlinie des erkennenden Senats ist insoweit der sich aus dem Sinn und Zweck des OEG ergebende Gedanke des Opferschutzes. Das Vorliegen eines tätlichen Angriffs hat der Senat daher aus der Sicht eines objektiven, vernünftigen Dritten beurteilt und insbesondere sozial angemessenes Verhalten ausgeschieden. Allgemein ist er in seiner bisherigen Rechtsprechung davon ausgegangen, dass als tätlicher Angriff grundsätzlich eine in feindseliger bzw rechtsfeindlicher Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielende gewaltsame Einwirkung anzusehen ist, wobei die Angriffshandlung in aller Regel den Tatbestand einer - jedenfalls versuchten - vorsätzlichen Straftat gegen das Leben oder die körperliche Unversehrtheit erfüllt (stRspr; vgl nur BSG Urteil vom 29.4.2010 - B 9 VG 1/09 R - BSGE 106, 91 = SozR 4-3800 § 1 Nr 17, RdNr 25 mwN). Abweichend von dem im Strafrecht umstrittenen Gewaltbegriff iS des § 240 StGB zeichnet sich der tätliche Angriff iS des § 1 Abs 1 S 1 OEG durch eine körperliche Gewaltanwendung (Tätlichkeit) gegen eine Person aus, wirkt also körperlich (physisch) auf einen anderen ein(vgl BSG Urteil vom 7.4.2011 - B 9 VG 2/10 R - BSGE 108, 97 = SozR 4-3800 § 1 Nr 18, RdNr 36 mwN).

28

In Fällen sexuellen Missbrauchs von Kindern iS von § 176 StGB hat der Senat den Begriff des tätlichen Angriffs noch weiter verstanden. Danach kommt es nicht darauf an, welche innere Einstellung der Täter zu dem Opfer hatte und wie das Opfer die Tat empfunden hat. Für den Senat ist allein entscheidend, dass die Begehensweise, also sexuelle Handlungen, eine Straftat war (vgl BSG Urteil vom 29.4.2010 - B 9 VG 1/09 R - BSGE 106, 91 = SozR 4-3800 § 1 Nr 17, RdNr 28 mwN). Auch der "gewaltlose" sexuelle Missbrauch eines Kindes kann demnach ein tätlicher Angriff iS des § 1 Abs 1 S 1 OEG sein(BSG Urteile vom 18.10.1995 - 9 RVg 4/93 - BSGE 77, 7, 8 f = SozR 3-3800 § 1 Nr 6 S 23 f, und - 9 RVg 7/93 - BSGE 77, 11, 13 = SozR 3-3800 § 1 Nr 7 S 28 f). Diese erweiternde Auslegung des Begriffs des tätlichen Angriffs ist speziell in Fällen eines sexuellen Missbrauchs von Kindern aus Gründen des sozialen und psychischen Schutzes der Opfer unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck des OEG geboten. Eine Erstreckung dieses Begriffsverständnisses auf andere Fallgruppen hat das Bundessozialgericht (BSG) bislang abgelehnt (vgl BSG Urteil vom 12.2.2003 - B 9 VG 2/02 R - SozR 4-3800 § 1 Nr 1 RdNr 12).

29

Soweit Kinder Opfer körperlicher Gewalt ihrer Eltern werden, die die Erheblichkeitsschwelle überschreitet, liegt regelmäßig eine Körperverletzung iS des § 223 StGB und damit auch ein tätlicher Angriff nach § 1 Abs 1 S 1 OEG vor. Nach § 1631 Abs 2 BGB haben Kinder ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig. Daraus folgt jedoch nicht, dass jede Vernachlässigung von Kindern und jede missbräuchliche Ausübung der elterlichen Sorge, die das körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes gefährdet, als Gewalttat angesehen werden kann (Rademacker in Knickrehm, Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, 2012, § 1 OEG RdNr 51). Auch insofern ist zu beachten, dass die erweiternde Auslegung des Begriffs des tätlichen Angriffs auf die Fälle sexuellen Missbrauchs von minderjährigen Kindern beschränkt ist. Anders als bei rein seelischen Misshandlungen liegen bei sexuellem Missbrauch Tätlichkeiten vor, die gegen den Körper des Kindes gerichtet sind.

30

Zum "Mobbing" als einem sich über längere Zeit hinziehenden Konflikt zwischen dem Opfer und Personen seines gesellschaftlichen Umfeldes hat der erkennende Senat entschieden, dass bei einzelnen "Mobbing"-Aktivitäten die Schwelle zur strafbaren Handlung und somit zum kriminellen Unrecht überschritten sein kann; tätliche Angriffe liegen allerdings nur vor, wenn auf den Körper des Opfers gezielt eingewirkt wird, wie zB durch einen Fußtritt (BSG Urteil vom 14.2.2001 - B 9 VG 4/00 R - BSGE 87, 276, 278 = SozR 3-3800 § 1 Nr 18 S 72).

31

Auch in Fällen der Bedrohung oder Drohung mit Gewalt, in denen es unter Umständen an einer besonderen Kraftentfaltung gegen den Körper einer anderen Person bzw an einem beabsichtigten Verletzungserfolg gänzlich fehlt, ist maßgeblich auf das Kriterium der objektiven Gefahr für Leib und Leben des Opfers abzustellen. Die Grenze der Wortlautinterpretation hinsichtlich des Begriffs des tätlichen Angriffs sieht der Senat jedenfalls dann erreicht, wenn sich die auf das Opfer gerichtete Einwirkung - ohne Einsatz körperlicher Mittel - allein als intellektuell oder psychisch vermittelte Beeinträchtigung darstellt und nicht unmittelbar auf die körperliche Integrität abzielt (vgl BSG Urteil vom 7.4.2011 - B 9 VG 2/10 R - BSGE 108, 97 = SozR 4-3800 § 1 Nr 18, RdNr 44 mwN). So ist beim "Stalking" die Grenze zum tätlichen Angriff iS des § 1 Abs 1 S 1 OEG - ungeachtet ggf einschlägiger Straftatbestände nach dem StGB - erst überschritten, wenn die Tat durch Mittel körperlicher Gewalt gegen das Opfer begangen und/oder der rechtswidrig herbeigeführte Zustand mittels Tätlichkeiten aufrechterhalten wird(vgl BSG Urteil vom 7.4.2011 - B 9 VG 2/10 R - BSGE 108, 97 = SozR 4-3800 § 1 Nr 18, RdNr 69 mwN).

32

c) Hinsichtlich der entscheidungserheblichen Tatsachen kennt das soziale Entschädigungsrecht, also auch das OEG, drei Beweismaßstäbe. Grundsätzlich bedürfen die drei Glieder der Kausalkette (schädigender Vorgang, Schädigung und Schädigungsfolgen) des Vollbeweises. Für die Kausalität selbst genügt gemäß § 1 Abs 3 BVG die Wahrscheinlichkeit. Nach Maßgabe des § 15 S 1 KOVVfG, der gemäß § 6 Abs 3 OEG anzuwenden ist, sind bei der Entscheidung die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung (also insbesondere auch mit dem tätlichen Angriff) im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, zugrundezulegen, wenn sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen.

33

Für den Vollbeweis muss sich das Gericht die volle Überzeugung vom Vorhandensein oder Nichtvorhandensein einer Tatsache verschaffen. Allerdings verlangt auch der Vollbeweis keine absolute Gewissheit, sondern lässt eine an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit ausreichen. Denn ein darüber hinausgehender Grad an Gewissheit ist so gut wie nie zu erlangen (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 128 RdNr 3b mwN). Daraus folgt, dass auch dem Vollbeweis gewisse Zweifel innewohnen können, verbleibende Restzweifel mit anderen Worten bei der Überzeugungsbildung unschädlich sind, solange sie sich nicht zu gewichtigen Zweifeln verdichten (BSG Urteil vom 24.11.2010 - B 11 AL 35/09 R - Juris RdNr 21). Eine Tatsache ist bewiesen, wenn sie in so hohem Grade wahrscheinlich ist, dass alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung zu begründen (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 128 RdNr 3b mwN).

34

Der Beweisgrad der Wahrscheinlichkeit im Sinne des § 1 Abs 3 S 1 BVG ist dann gegeben, wenn nach der geltenden wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang spricht(vgl BSG Beschluss vom 8.8.2001 - B 9 V 23/01 B - SozR 3-3900 § 15 Nr 4 S 14 mwN). Diese Definition ist der Fragestellung nach dem wesentlichen ursächlichen Zusammenhang angepasst, die nur entweder mit ja oder mit nein beantwortet werden kann. Es muss sich unter Würdigung des Beweisergebnisses ein solcher Grad von Wahrscheinlichkeit ergeben, dass ernste Zweifel hinsichtlich einer anderen Möglichkeit ausscheiden. Für die Wahrscheinlichkeit ist ein "deutliches" Übergewicht für eine der Möglichkeiten erforderlich. Sie entfällt, wenn eine andere Möglichkeit ebenfalls ernstlich in Betracht kommt.

35

Bei dem "Glaubhafterscheinen" iS des § 15 S 1 KOVVfG handelt es sich um den dritten, mildesten Beweismaßstab des Sozialrechts. Glaubhaftmachung bedeutet das Dartun einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 128 RdNr 3d mwN), dh der guten Möglichkeit, dass sich der Vorgang so zugetragen hat, wobei durchaus gewisse Zweifel bestehen bleiben können (vgl BSG Beschluss vom 8.8.2001 - B 9 V 23/01 B - SozR 3-3900 § 15 Nr 4 S 14 f mwN). Dieser Beweismaßstab ist durch seine Relativität gekennzeichnet. Es muss nicht, wie bei der Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhanges, absolut mehr für als gegen die glaubhaft zu machende Tatsache sprechen. Es reicht die gute Möglichkeit aus, dh es genügt, wenn bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten ist (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 128 RdNr 3d mwN), weil nach Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Möglichkeit spricht. Von mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Sachverhaltsvarianten muss einer den übrigen gegenüber ein gewisses (kein deutliches) Übergewicht zukommen. Wie bei den beiden anderen Beweismaßstäben reicht die bloße Möglichkeit einer Tatsache nicht aus, um die Beweisanforderungen zu erfüllen. Das Gericht ist allerdings im Einzelfall grundsätzlich darin frei, ob es die Beweisanforderungen als erfüllt ansieht (Freiheit der richterlichen Beweiswürdigung, § 128 Abs 1 S 1 SGG; vgl BSG Beschluss vom 8.8.2001 - B 9 V 23/01 B - SozR 3-3900 § 15 Nr 4 S 15).

36

3. Ausgehend von diesen rechtlichen Vorgaben hat die Klägerin keinen Anspruch auf Gewährung von Beschädigtenrente wegen der Folgen seelischer Misshandlungen durch ihre Eltern.

37

Entgegen der Ansicht der Klägerin stellen die von den Vorinstanzen angenommenen allgemeinen Verhältnisse in der Familie der Klägerin keinen tätlichen Angriff iS des § 1 Abs 1 S 1 OEG dar. Das SG hat hierzu festgestellt, die bei der Klägerin bestehenden Gesundheitsstörungen seien mehr auf ein Zusammenwirken atmosphärisch ungünstiger Entwicklungsbedingungen (ablehnende Haltung der Mutter gegenüber der Klägerin, unberechenbare Aggressivität sowie grenzüberschreitende weinerliche Anhänglichkeit des Vaters) zurückzuführen (S 23 des Urteils). Darauf hat das LSG Bezug genommen. Die Verhaltensweise der Eltern hat danach zwar seelische Misshandlungen der Klägerin umfasst, es fehlt insoweit jedoch an dem Merkmal der Gewaltanwendung im Sinne einer gegen den Körper der Klägerin gerichteten Tätlichkeit.

38

4. Soweit die Klägerin Beschädigtenrente nach dem OEG wegen der Folgen körperlicher Misshandlungen und sexuellen Missbrauchs im Kindes- und Jugendalter beansprucht, ist dem Senat eine abschließende Entscheidung unmöglich. Derartige schädigende Vorgänge werden zwar von § 1 Abs 1 S 1 OEG erfasst, soweit sie nicht von dem seinerzeit noch anerkannten elterlichen Züchtigungsrecht(vgl BGH Beschluss vom 25.11.1986 - 4 StR 605/86 - JZ 1988, 617) gedeckt waren. Es fehlen jedoch hinreichende verwertbare Tatsachenfeststellungen.

39

a) Das LSG hat unterstellt, dass als vorsätzliche, rechtswidrige tätliche Angriffe einzelne Schläge durch die Eltern (ein heftiger Schlag durch den Vater sowie zwei "Ohrfeigen" durch die Mutter) nachgewiesen seien. Diese hätten jedoch nicht genügt, um die gravierenden seelischen Erkrankungen der Klägerin zu verursachen. Das LSG verweist hierbei auf das Gutachten der Sachverständigen Dr. S. sowie auf die Ausführungen des SG, wonach diese Taten keine posttraumatische Belastungsstörung hätten auslösen können. Die hierauf gründende tatrichterliche Wertung des LSG ist aus revisionsrechtlicher Sicht nicht zu beanstanden. Weder lässt sich feststellen, dass die Vorinstanz insoweit von unrichtigen Rechtsbegriffen ausgegangen ist, noch hat die Klägerin die betreffenden Tatsachenfeststellungen mit durchgreifenden Verfahrensrügen angegriffen.

40

b) Den überwiegenden Teil der von der Klägerin angegebenen körperlichen Misshandlungen durch deren Eltern sowie den behaupteten sexuellen Missbrauch durch deren Vater und einen Fremden hat das LSG nicht als nachgewiesen erachtet. Diese Beurteilung vermag der Senat nach dem gegenwärtigen Stand des Verfahrens nicht zu bestätigen. Denn sie beruht auf einer Auslegung des § 15 S 1 KOVVfG, die der Senat nicht teilt.

41

Nach § 15 S 1 KOVVfG sind die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, der Entscheidung zugrunde zu legen, wenn Unterlagen nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen oder ohne Verschulden des Antragstellers oder seiner Hinterbliebenen verlorengegangen sind, soweit die Angaben nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen. Die Beweiserleichterung des § 15 S 1 KOVVfG ist auch dann anwendbar, wenn für den schädigenden Vorgang keine Zeugen vorhanden sind(vgl grundlegend BSG Urteil vom 31.5.1989 - 9 RVg 3/89 - BSGE 65, 123, 125 = SozR 1500 § 128 Nr 39 S 46). Nach dem Sinn und Zweck des § 15 S 1 KOVVfG sind damit nur Tatzeugen gemeint, die zu den zu beweisenden Tatsachen aus eigener Wahrnehmung Angaben machen können. Personen, die von ihrem gesetzlichen Zeugnisverweigerungsrecht (vgl §§ 383 ff ZPO) Gebrauch gemacht haben, sind dabei nicht als Zeugen anzusehen. Entsprechendes gilt für eine als Täter in Betracht kommende Person, die eine schädigende Handlung bestreitet. Denn die Beweisnot des Opfers, auf die sich § 15 S 1 KOVVfG bezieht, ist in diesem Fall nicht geringer, als wenn der Täter unerkannt geblieben oder flüchtig ist. Die Beweiserleichterung des § 15 S 1 KOVVfG gelangt damit auch zur Anwendung, wenn sich die Aussagen des Opfers und des vermeintlichen Täters gegenüberstehen und Tatzeugen nicht vorhanden sind(vgl BSG Beschluss vom 28.7.1999 - B 9 VG 6/99 B - Juris RdNr 6).

42

Diesen Kriterien hat das LSG nicht hinreichend Rechnung getragen, indem es eine Anwendbarkeit des § 15 S 1 KOVVfG mit der pauschalen Begründung verneint hat, es lägen Beweismittel vor. Zwar hat sich das LSG hinsichtlich der Verneinung umfangreicher körperlicher Misshandlungen der Klägerin durch ihre Eltern, insbesondere durch den Vater, auch auf die Zeugenaussage des Bruders T. der Klägerin gestützt. Es hätte insoweit jedoch näher prüfen müssen, inwiefern die Klägerin Misshandlungen behauptet hat, die dieser Zeuge (insbesondere wegen Abwesenheit) nicht wahrgenommen haben kann. Soweit es den angegebenen sexuellen Missbrauch betrifft, ist nicht ersichtlich, dass diesen eine als Zeuge in Betracht kommende Person wahrgenommen haben kann.

43

c) Soweit das LSG den § 15 S 1 KOVVfG hilfsweise herangezogen hat, lassen seine Ausführungen nicht hinreichend deutlich erkennen, dass es dabei den von dieser Vorschrift eröffneten Beweismaßstab der Glaubhaftmachung zugrunde gelegt hat. Aus der einschränkungslosen Bezugnahme auf das aussagepsychologische Gutachten der Sachverständigen H. vom 5.4.2005 lässt sich eher der Schluss ziehen, dass das LSG insoweit einen unzutreffenden, nämlich zu strengen Beweismaßstab angewendet hat. Diese Sachlage gibt dem Senat Veranlassung, grundsätzlich auf die Verwendung von sog Glaubhaftigkeitsgutachten in Verfahren betreffend Ansprüche nach dem OEG einzugehen.

44

aa) Die Einholung und Berücksichtigung psychologischer Glaubhaftigkeitsgutachten ist im sozialen Entschädigungsrecht nach Maßgabe der allgemeinen Grundsätze für die Einholung von Sachverständigengutachten zulässig.

45

Grundsätzlich steht das Ausmaß von Ermittlungen im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts. Einen Sachverständigen bestellt das Gericht, wenn es selbst nicht über ausreichende Sachkunde verfügt (vgl dazu Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 118 RdNr 11b). Dies gilt auch für die Einholung eines sogenannten Glaubhaftigkeitsgutachtens. Dabei handelt es sich um eine aussagepsychologische Begutachtung, deren Gegenstand die Beurteilung ist, ob auf ein bestimmtes Geschehen bezogene Angaben zutreffen, dh einem tatsächlichen Erleben der untersuchten Person entsprechen (vgl grundlegend BGH Urteil vom 30.7.1999 - 1 StR 618/98 - BGHSt 45, 164, 167). Da eine solche Beurteilung an sich zu den Aufgaben eines Tatrichters gehört, kommt die Einholung eines Glaubhaftigkeitsgutachtens nur ausnahmsweise in Betracht (vgl BGH aaO, 182; BGH Urteil vom 16.5.2002 - 1 StR 40/02 - Juris RdNr 22). Ob eine derartige Beweiserhebung erforderlich ist, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls. Die Hinzuziehung eines aussagepsychologischen Sachverständigen kann insbesondere dann geboten sein, wenn die betreffenden Angaben das einzige das fragliche Geschehen belegende Beweismittel sind und Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sie durch eine psychische Erkrankung der Auskunftsperson (Zeuge, Beteiligter) und deren Behandlung beeinflusst sein können (vgl dazu BSG Beschluss vom 7.4.2011 - B 9 VG 15/10 B - Juris RdNr 6; Beschluss vom 24.5.2012 - B 9 V 4/12 B - SozR 4-1500 § 103 Nr 9 = Juris RdNr 22). Die Entscheidung, ob eine solche Fallgestaltung vorliegt und ob daher ein Glaubhaftigkeitsgutachten einzuholen ist, beurteilt und trifft das Tatsachengericht im Rahmen der Amtsermittlung nach § 103 SGG. Fußt seine Entscheidung auf einem hinreichenden Grund, so ist deren Überprüfung dem Revisionsgericht entzogen (vgl BSG Beschluss vom 24.5.2012 - B 9 V 4/12 B - SozR 4-1500 § 103 Nr 9 = Juris RdNr 20, 23).

46

Von Seiten des Gerichts muss im Zusammenhang mit der Einholung, vor allem aber mit der anschließenden Würdigung eines Glaubhaftigkeitsgutachtens stets beachtet werden, dass sich die psychologische Begutachtung von Aussagen nicht darauf beziehen kann, Angaben über die Faktizität eines Sachverhalts zu machen. Möglich ist lediglich herauszufinden, ob sich Aussagen auf Erlebtes beziehen, dh einen Erlebnishintergrund haben. Darüber hinaus besteht die Kompetenz und damit auch die Aufgabe des Sachverständigen darin abzuklären, ob sich dieser Erlebnishintergrund in der sog Wachwirklichkeit befindet, anstatt auf Träumen, Halluzinationen oder Vorstellungen zu beruhen. Ausschließlich auf diesen Aspekt des Wirklichkeitsbezuges einer Aussage kann sich die Glaubhaftigkeitsbegutachtung beziehen (Greuel/Offe/Fabian/Wetzels/Fabian/Offe/Stadler, Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, 1998, S 27, 49). In einer Glaubhaftigkeitsbegutachtung trifft der Sachverständige erfahrungswissenschaftlich gestützte Feststellungen zu Erlebnishaltigkeit und Zuverlässigkeit von Sachverhaltskonstruktionen, die ein Zeuge oder ein Beteiligter vorträgt. Durch das Gutachten vermittelt er dem Gericht daher auf den Einzelfall bezogene wissenschaftliche Erkenntnisse und stellt diesem aufgrund von Befundtatsachen wissenschaftlich gestützte Schlussfolgerungen zur Verfügung (Greuel/Offe/Fabian/Wetzels/Fabian/Offe/Stadler, Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, 1998, S 280 f). Die umfassende rechtliche Würdigung dieser Feststellungen, Erkenntnisse und Schlussfolgerungen obliegt sodann dem Gericht.

47

Entgegen der Auffassung der Klägerin ergeben sich aus den Ausführungen in dem Urteil des LSG NRW vom 28.11.2007 - L 10 VG 13/06 - (Juris RdNr 25) keine Hinweise auf die Unzulässigkeit der Einholung und Berücksichtigung von Glaubhaftigkeitsgutachten in sozialrechtlichen Verfahren. Vielmehr hat das LSG NRW hierbei lediglich die Amtsermittlung des erstinstanzlichen Gerichts gerügt, das anstelle der Vernehmung der durch die dortige Klägerin benannten Zeugen ein Sachverständigengutachten eingeholt hatte (ua mit der Beweisfrage "Steht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit - dh es darf kein begründbarer Zweifel bestehen - fest, dass die Klägerin Opfer sexuellen Missbrauchs - in welchem Zeitraum, in welcher Weise - geworden ist?"; Juris RdNr 9). Vor diesem Hintergrund ist es vollkommen nachvollziehbar, wenn das LSG NRW zum einen die Vernehmung der Zeugen gefordert und zum anderen festgestellt hat, dass die an die Sachverständigen gestellte Frage keinem Beweis durch ein medizinisches oder aussagepsychologisches Sachverständigengutachten zugänglich sei, sondern dass das Gericht diese Tatsache selbst aufzuklären habe. Ausdrücklich zu aussagepsychologischen Gutachten hat das LSG NRW ferner zutreffend festgestellt, auch bei diesen dürfe dem Sachverständigen nicht die Entscheidung überlassen werden, ob eine behauptete Tat stattgefunden habe oder nicht. Vielmehr dürfe dieser nur beurteilen, ob aussagepsychologische Kriterien für oder gegen den Wahrheitsgehalt der Angaben Betroffener sprächen und/oder ob die Aussagen und Erklärungen möglicherweise trotz subjektiv wahrheitsgemäßer Angaben nicht auf eigenen tatsächlichen Erinnerungen der Betroffenen beruhten (LSG NRW, aaO, Juris RdNr 25). Aus diesen Ausführungen lässt sich nicht der Schluss ziehen, das LSG NRW gehe grundsätzlich davon aus, dass in sozialrechtlichen Verfahren keine Glaubhaftigkeitsgutachten eingeholt und berücksichtigt werden könnten.

48

bb) Für die Erstattung von Glaubhaftigkeitsgutachten gelten auch im Bereich des sozialen Entschädigungsrechts zunächst die Grundsätze, die der BGH in der Entscheidung vom 30.7.1999 (1 StR 618/98 - BGHSt 45, 164) dargestellt hat. Mit dieser Entscheidung hat der BGH die wissenschaftlichen Standards und Methoden für die psychologische Begutachtung der Glaubhaftigkeit von Aussagen zusammengefasst. Nicht das jeweilige Prozessrecht schafft diese Anforderungen (zum Straf- und Strafprozessrecht vgl Fabian/Greuel/Stadler, StV 1996, 347 f), vielmehr handelt es sich hierbei um wissenschaftliche Erkenntnisse der Aussagepsychologie (vgl Vogl, NJ 1999, 603), die Glaubhaftigkeitsgutachten allgemein zu beachten haben, damit diese überhaupt belastbar sind und verwertet werden können (so auch BGH Beschluss vom 30.5.2000 - 1 StR 582/99 - NStZ 2001, 45 f; vgl grundlegend hierzu Greuel/Offe/Fabian/Wetzels/Fabian/Offe/Stadler, Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, 1998, S 48 ff; Volbert, Beurteilung von Aussagen über Traumata, 2004, S 16 ff). Die grundsätzlichen wissenschaftlichen Anforderungen an Glaubhaftigkeitsgutachten stellen sich wie folgt dar (vgl zum Folgenden BGH Urteil vom 30.7.1999 - 1 StR 618/98 - BGHSt 45, 164, 167 ff mwN; basierend ua auf dem Gutachten von Steller/Volbert, wiedergegeben in Praxis der Rechtspsychologie, 1999, 46 ff):

Bei der psychologischen Begutachtung der Glaubhaftigkeit von Aussagen besteht das methodische Grundprinzip darin, einen zu überprüfenden Sachverhalt (hier: Glaubhaftigkeit einer bestimmten Aussage) so lange zu negieren, bis diese Negation mit den gesammelten Fakten nicht mehr vereinbar ist. Der wissenschaftlich ausgebildete psychologische Sachverständige arbeitet (gedanklich) also zunächst mit der Unwahrannahme als sog Nullhypothese (Steller/Volbert, Praxis der Rechtspsychologie, 1999, 46, 61; den Begriff der Nullhypothese sowie das Ausgehen von dieser kritisierend Stanislawski/Blumer, Streit 2000, 65, 67 f). Der Sachverständige bildet dazu neben der "Wirklichkeitshypothese" (die Aussage ist mit hoher Wahrscheinlichkeit erlebnisfundiert) die Gegenhypothese, die Aussage sei unwahr. Bestehen mehrere Möglichkeiten, aus welchen Gründen eine Aussage keinen Erlebnishintergrund haben könnte, hat der Sachverständige bezogen auf den konkreten Einzelfall passende Null- bzw Alternativhypothesen zu bilden (vgl beispielhaft hierzu Greuel/Offe/Fabian/Wetzels/Fabian/Offe/Stadler, Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, 1998, S 52 f; ebenso, zudem mit den jeweiligen diagnostischen Bezügen Greuel, MschrKrim 2000, S 59, 61 ff). Die Bildung relevanter, also auf den jeweiligen Einzelfall abgestimmter Hypothesen ist von ausschlaggebender Bedeutung für Inhalt und (methodischen) Ablauf einer Glaubhaftigkeitsbegutachtung. Sie stellt nach wissenschaftlichen Prinzipien einen wesentlichen, unerlässlichen Teil des Begutachtungsprozesses dar. Im weiteren Verlauf hat der Sachverständige jede einzelne Alternativhypothese darauf zu untersuchen, ob diese mit den erhobenen Fakten in Übereinstimmung stehen kann; wird dies für sämtliche Null- bzw Alternativhypothesen verneint, gilt die Wirklichkeitshypothese, wonach es sich um eine wahre Aussage handelt.

49

Die zentralen psychologischen Konstrukte, die den Begriff der Glaubhaftigkeit - aus psychologischer Sicht - ausfüllen und somit die Grundstruktur der psychodiagnostischen Informationsaufnahme und -verarbeitung vorgeben, sind Aussagetüchtigkeit (verfügt die Person über die notwendigen kognitiven Grundvoraussetzungen zur Erstattung einer verwertbaren Aussage?), Aussagequalität (weist die Aussage Merkmale auf, die in erlebnisfundierten Schilderungen zu erwarten sind?) sowie Aussagevalidität (liegen potentielle Störfaktoren vor, die Zweifel an der Zuverlässigkeit der Aussage begründen können?). Erst wenn die Aussagetüchtigkeit bejaht wird, kann der mögliche Erlebnisbezug der Aussage unter Berücksichtigung ihrer Qualität und Validität untersucht werden (Greuel/Offe/Fabian/Wetzels/Fabian/Offe/Stadler, Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, 1998, S 49; zur eventuell erforderlichen Hinzuziehung eines Psychiaters zur Bewertung der Aussagetüchtigkeit Schumacher, StV 2003, 641 ff). Das abschließende gutachterliche Urteil über die Glaubhaftigkeit einer Aussage kann niemals allein auf einer einzigen Konstruktebene (zB der Ebene der Aussagequalität) erfolgen, sondern erfordert immer eine integrative Betrachtung der Befunde in Bezug auf sämtliche Ebenen (Greuel, MschrKrim 2000, S 59, 62).

50

Die wesentlichen methodischen Mittel, die der Sachverständige zur Überprüfung der gebildeten Hypothesen anzuwenden hat, sind die - die Aussagequalität überprüfende - Aussageanalyse (Inhalts- und Konstanzanalyse) und die - die Aussagevalidität betreffende - Fehlerquellen-, Motivations- sowie Kompetenzanalyse. Welche dieser Analyseschritte mit welcher Gewichtung durchzuführen sind, ergibt sich aus den zuvor gebildeten Null- bzw Alternativhypothesen; bei der Abgrenzung einer wahren Darstellung von einer absichtlichen Falschaussage sind andere Analysen erforderlich als bei deren Abgrenzung von einer subjektiv wahren, aber objektiv nicht zutreffenden, auf Scheinerinnerungen basierenden Darstellung (vgl hierzu Volbert, Beurteilung von Aussagen über Traumata, 2004, S 17 ff).

51

Diese Prüfungsschritte müssen nicht in einer bestimmten Prüfungsstrategie angewendet werden und verlangen keinen vom Einzelfall losgelösten, schematischen Gutachtenaufbau. Die einzelnen Elemente der Begutachtung müssen auch nicht nach einer bestimmten Reihenfolge geprüft werden (vgl BGH Beschluss vom 30.5.2000 - 1 StR 582/99 - NStZ 2001, 45 f). Es ist vielmehr ausreichend, wenn sich aus einer Gesamtbetrachtung des Gutachtens ergibt, dass der Sachverständige das dargestellte methodische Grundprinzip angewandt hat. Vor allem muss überprüfbar sein, auf welchem Weg er zu seinen Ergebnissen gelangt ist.

52

cc) Die aufgrund der dargestellten methodischen Vorgehensweise, insbesondere aufgrund des Ausgehens von der sog Nullhypothese, vorgebrachten Bedenken gegen die Zulässigkeit der Einholung und Berücksichtigung von Glaubhaftigkeitsgutachten in sozialgerichtlichen Verfahren (vgl hierzu SG Fulda Urteil vom 30.6.2008 - S 6 VG 16/06 - Juris RdNr 33 aE; LSG Berlin-Brandenburg Urteil vom 8.7.2010 - L 13 VG 25/07 - Juris RdNr 36; LSG Rheinland-Pfalz Urteil vom 27.6.2012 - L 4 VG 13/09 - Juris RdNr 44 ff; offenlassend, aber Zweifel an der Anwendbarkeit der Nullhypothese äußernd LSG Baden-Württemberg Urteil vom 15.12.2011 - L 6 VG 584/11 - ZFSH/SGB 2012, 203, 206) überzeugen nicht.

53

Nach derzeitigen Erkenntnissen gibt es für einen psychologischen Sachverständigen keine Alternative zu dem beschriebenen Vorgehen. Der Erlebnisbezug einer Aussage ist nicht anders als durch systematischen Ausschluss von Alternativhypothesen zur Wahrannahme zu belegen (Volbert, Beurteilung von Aussagen über Traumata, 2004, S 20, 22). Nach dem gegenwärtigen psychologischen Kenntnisstand kann die Wirklichkeitshypothese selbst nicht überprüft werden, da eine erlebnisbasierte Aussage eine hohe, aber auch eine niedrige Aussagequalität haben kann. Die Prüfung hat daher an der Unwahrhypothese bzw ihren möglichen Alternativen anzusetzen. Erst wenn sämtliche Unwahrhypothesen ausgeschlossen werden können, ist die Wahrannahme belegt (vgl Volbert, Beurteilung von Aussagen über Traumata, 2004, S 22). Zudem hat diese Vorgehensweise zur Folge, dass sämtliche Unwahrhypothesen geprüft werden, womit ein ausgewogenes Analyseergebnis erzielt werden kann (Schoreit, StV 2004, 284, 286).

54

Es ist zutreffend, dass dieses methodische Vorgehen ein recht strenges Verfahren der Aussageprüfung darstellt (so auch Greuel/Offe/Fabian/Wetzels/Fabian/Offe/Stadler, Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, 1998, S 205), denn die Tatsache, dass eine bestimmte Unwahrhypothese nicht ausgeschlossen werden kann, bedeutet nicht zwingend, dass diese Hypothese tatsächlich zutrifft. Gleichwohl würde das Gutachten in einem solchen Fall zu dem Ergebnis gelangen, dass eine wahre Aussage nicht belegt werden kann. Insoweit korrespondieren das methodische Grundprinzip der Aussagepsychologie und die rechtlichen Anforderungen in Strafverfahren besonders gut miteinander (vgl dazu Volbert, aaO S 20). Denn auch die Unschuldsvermutung hat zugunsten des Angeklagten bis zum Beweis des Gegenteils zu gelten. Durch beide Prinzipien soll auf jeden Fall vermieden werden, dass eine tatsächlich nicht zutreffende Aussage als glaubhaft klassifiziert wird. Zwar soll möglichst auch der andere Fehler unterbleiben, dass also eine wahre Aussage als nicht zutreffend bewertet wird. In Zweifelsfällen gilt aber eine klare Entscheidungspriorität (vgl Volbert, aaO): Bestehen noch Zweifel hinsichtlich einer Unwahrhypothese, kann diese also nicht mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden, so gilt der Erlebnisbezug der Aussage als nicht bewiesen und die Aussage als nicht glaubhaft.

55

Diese Konsequenz führt nicht dazu, dass Glaubhaftigkeitsgutachten im sozialrechtlichen Entschädigungsverfahren nach dem OEG als Beweismittel schlichtweg ungeeignet sind. Soweit der Vollbeweis gilt, ist damit die Anwendung dieser methodischen Prinzipien der Aussagepsychologie ohne Weiteres zu vereinbaren. Denn dabei gilt eine Tatsache erst dann als bewiesen, wenn sie in so hohem Grade wahrscheinlich ist, dass alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung zu begründen. Bestehen in einem solchen Verfahren noch Zweifel daran, dass eine Aussage erlebnisfundiert ist, weil eine bestimmte Unwahrhypothese nicht ausgeschlossen werden kann, geht dies zu Lasten des Klägers bzw der Klägerin (von der Zulässigkeit von Glaubhaftigkeitsgutachten ausgehend LSG Berlin-Brandenburg Urteil vom 9.9.2008 - L 11 VG 33/08 - Juris RdNr 24 ff; LSG NRW Urteil vom 29.9.2010 - L 6 (7) VG 16/05 - Juris RdNr 24; ebenso, jedoch bei Anwendung der Beweiserleichterung des § 15 S 1 KOVVfG Bayerisches LSG Urteil vom 30.6.2005 - L 15 VG 13/02 - Juris RdNr 40; LSG Niedersachsen-Bremen Urteil vom 5.6.2008 - L 13 VG 1/05 - Juris RdNr 34 sowie Urteil vom 16.9.2011 - L 10 VG 26/07 - Juris RdNr 38 ff).

56

Die grundsätzliche Bejahung der Beweiseignung von Glaubhaftigkeitsgutachten im sozialen Entschädigungsrecht wird auch dadurch gestützt, dass nach der dargestellten hypothesengeleiteten Methodik - unter Einschluss der sog Nullhypothese - erstattete Gutachten nicht nur in Strafverfahren Anwendung finden, sondern auch in Zivilverfahren (vgl BGH Beschluss vom 24.6.2003 - VI ZR 327/02 - NJW 2003, 2527, 2528 f; Saarländisches OLG Urteil vom 13.7.2011 - 1 U 32/08 - Juris RdNr 50 ff) und in arbeitsrechtlichen Verfahren (vgl LAG Berlin-Brandenburg Urteil vom 20.7.2011 - 26 Sa 1269/10 - Juris RdNr 64 ff). In diesen Verfahren ist der Vollbeweis der anspruchsbegründenden Tatsachen bzw der Voraussetzungen für einen Kündigungsgrund (zumeist eine erhebliche Pflichtverletzung) ebenfalls erforderlich.

57

dd) Soweit allerdings nach Maßgabe des § 15 S 1 KOVVfG eine Glaubhaftmachung ausreicht, ist ein nach der dargestellten Methodik erstelltes Glaubhaftigkeitsgutachten nicht ohne Weiteres geeignet, zur Entscheidungsfindung des Gerichts beizutragen. Das folgt schon daraus, dass es im Rahmen des § 15 S 1 KOVVfG ausreicht, wenn die Möglichkeit, dass die Angaben des Antragstellers zutreffen, als die wahrscheinlichste angesehen werden kann, während ein aussagepsychologischer Sachverständiger diese Angaben erst dann als glaubhaft ansieht, wenn er alle Alternativhypothesen ausschließen kann. Da ein sachgerecht erstelltes Glaubhaftigkeitsgutachten den Vollbeweis ermöglichen soll, muss ein für die Auskunftsperson ungünstiges Ergebnis eines solchen Gutachtens nicht bedeuten, dass die betreffenden Angaben nicht iS des § 15 S 1 KOVVfG als glaubhaft erscheinen können.

58

Will sich ein Gericht auch bei Anwendung des § 15 S 1 KOVVfG eines aussagepsychologischen Gutachtens bedienen, so hat es den Sachverständigen mithin auf den insoweit geltenden Beweismaßstab hinzuweisen und mit ihm zu klären, ob er sein Gutachten nach den insoweit maßgebenden Kriterien erstatten kann. Dabei sind auch die Beweisfragen entsprechend zu fassen. Im Falle von Glaubhaftigkeitsbegutachtungen lautet die übergeordnete psychologische Untersuchungsfragestellung: "Können die Angaben aus aussagepsychologischer Sicht als mit (sehr) hoher Wahrscheinlichkeit erlebnisfundiert klassifiziert werden?" (Greuel/Offe/Fabian/Wetzels/Fabian/Offe/Stadler, Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, 1998, S 49). Demgegenüber sollte dann, wenn eine Glaubhaftmachung ausreicht, darauf abgestellt werden, ob die Angaben mit relativer Wahrscheinlichkeit als erlebnisfundiert angesehen werden können.

59

Damit das Gericht den rechtlichen Begriff der Glaubhaftmachung in eigener Beweiswürdigung ausfüllen kann und nicht durch die Feststellung einer Glaubhaftigkeit seitens des Sachverständigen festgelegt ist, könnte es insoweit hilfreich sein, dem Sachverständigen aufzugeben, solange systematisch und unvoreingenommen nach Fakten zu den verschiedenen Hypothesen zu suchen, bis sich ein möglichst klarer Unterschied in ihrer Geltungswahrscheinlichkeit bzw praktischen Gewissheit ergibt (für eine solche Vorgehensweise im Asylverfahren vgl Lösel/Bender, Schriftenreihe des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge, Bd 7, 2001, S 175, 184). Denn dem Tatsachengericht ist am ehesten gedient, wenn der psychologische Sachverständige im Rahmen des Möglichen die Wahrscheinlichkeiten bzw Wahrscheinlichkeitsgrade für die unterschiedlichen Hypothesen darstellt.

60

Diesen Maßgaben wird das Berufungsurteil nicht gerecht. Das LSG hat sich bei seiner Verneinung einer Glaubhaftigkeit der Angaben der Klägerin nach § 15 S 1 KOVVfG ohne Weiteres auf das aussagepsychologische Gutachten der Sachverständigen H. vom 5.4.2005 gestützt. Dieses Glaubhaftigkeitsgutachten ist vom SG zu den Fragen eingeholt worden:

        

Sind die Angaben der Klägerin zu den Misshandlungen durch die Eltern und zum sexuellen Missbrauch durch den Vater (…) unter Berücksichtigung des aktuellen wissenschaftlich-aussagepsychologischen Kenntnisstandes insgesamt oder in Teilen glaubhaft? Sind die Angaben insbesondere inhaltlich konsistent und konstant und sind aussagerelevante Besonderheiten der Persönlichkeitsentwicklung der Klägerin zu berücksichtigen? Welche Gründe sprechen insgesamt für und gegen die Glaubhaftigkeit der Angaben?

61

Ein Hinweis auf den im Rahmen des § 15 S 1 KOVVfG geltenden Beweismaßstab der Glaubhaftmachung ist dabei nach Aktenlage nicht erfolgt. Dementsprechend lässt das Gutachten der Sachverständigen H. nicht erkennen, dass sich diese der daraus folgenden Besonderheiten bewusst gewesen ist. Vielmehr hat die Sachverständige in der Einleitung zu ihrem Gutachten ("Formaler Rahmen der Begutachtung") erklärt, dass sich das Vorgehen bei der Begutachtung und die Darstellung der Ergebnisse nach den Standards wissenschaftlich fundierter Glaubhaftigkeitsbegutachtung richte, wie sie im Grundsatzurteil des BGH vom 30.7.1999 (BGHSt 45, 164 = NJW 1999, 2746) dargelegt seien (S 1 des Gutachtens).

62

Da das Berufungsurteil mithin - soweit es die Anwendung des § 15 S 1 KOVVfG betrifft - offenbar auf einer Tatsachenwürdigung beruht, der ein unzutreffender Beweismaßstab zugrunde liegt, vermag der erkennende Senat die Beurteilung des LSG auch zu diesem Punkt nicht zu bestätigen.

63

5. Der erkennende Senat sieht sich zu einer Aufhebung des Berufungsurteils und einer Zurückverweisung der Sache an das LSG veranlasst (§ 170 Abs 2 S 2 SGG), weil die jetzt nach zutreffenden Beweismaßstäben vorzunehmenden Tatsachenfeststellungen und Beweiswürdigungen im Revisionsverfahren nicht nachgeholt werden können (§ 163 SGG).

64

6. Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

(1) Wer im Geltungsbereich dieses Gesetzes oder auf einem deutschen Schiff oder Luftfahrzeug infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes. Die Anwendung dieser Vorschrift wird nicht dadurch ausgeschlossen, daß der Angreifer in der irrtümlichen Annahme von Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrunds gehandelt hat.

(2) Einem tätlichen Angriff im Sinne des Absatzes 1 stehen gleich

1.
die vorsätzliche Beibringung von Gift,
2.
die wenigstens fahrlässige Herbeiführung einer Gefahr für Leib und Leben eines anderen durch ein mit gemeingefährlichen Mitteln begangenes Verbrechen.

(3) Einer Schädigung im Sinne des Absatzes 1 stehen Schädigungen gleich, die durch einen Unfall unter den Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 Buchstabe e oder f des Bundesversorgungsgesetzes herbeigeführt worden sind; Buchstabe e gilt auch für einen Unfall, den der Geschädigte bei der unverzüglichen Erstattung der Strafanzeige erleidet.

(4) Ausländerinnen und Ausländer haben dieselben Ansprüche wie Deutsche.

(5) Die Hinterbliebenen eines Geschädigten erhalten auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes. Partner einer eheähnlichen Gemeinschaft erhalten Leistungen in entsprechender Anwendung der §§ 40, 40a und 41 des Bundesversorgungsgesetzes, sofern ein Partner an den Schädigungsfolgen verstorben ist und der andere unter Verzicht auf eine Erwerbstätigkeit die Betreuung eines gemeinschaftlichen Kindes ausübt; dieser Anspruch ist auf die ersten drei Lebensjahre des Kindes beschränkt.

(6) Einer Schädigung im Sinne des Absatzes 1 stehen Schädigungen gleich, die ein Berechtigter oder Leistungsempfänger nach Absatz 1 oder 5 in Verbindung mit § 10 Abs. 4 oder 5 des Bundesversorgungsgesetzes, eine Pflegeperson oder eine Begleitperson bei einer notwendigen Begleitung des Geschädigten durch einen Unfall unter den Voraussetzungen des § 8a des Bundesversorgungsgesetzes erleidet.

(7) Einer gesundheitlichen Schädigung im Sinne des Absatzes 1 steht die Beschädigung eines am Körper getragenen Hilfsmittels, einer Brille, von Kontaktlinsen oder von Zahnersatz gleich.

(8) Wird ein tätlicher Angriff im Sinne des Absatzes 1 durch den Gebrauch eines Kraftfahrzeugs oder eines Anhängers verübt, werden Leistungen nach diesem Gesetz erbracht.

(9) § 1 Abs. 3, die §§ 64 bis 64d, 64f sowie 89 des Bundesversorgungsgesetzes sind mit der Maßgabe anzuwenden, daß an die Stelle der Zustimmung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales die Zustimmung der für die Kriegsopferversorgung zuständigen obersten Landesbehörde tritt, sofern ein Land Kostenträger ist (§ 4). Dabei sind die für deutsche Staatsangehörige geltenden Vorschriften auch für von diesem Gesetz erfaßte Ausländer anzuwenden.

(10) § 20 des Bundesversorgungsgesetzes ist mit den Maßgaben anzuwenden, daß an die Stelle der in Absatz 1 Satz 3 genannten Zahl die Zahl der rentenberechtigten Beschädigten und Hinterbliebenen nach diesem Gesetz im Vergleich zur Zahl des Vorjahres tritt, daß in Absatz 1 Satz 4 an die Stelle der dort genannten Ausgaben der Krankenkassen je Mitglied und Rentner einschließlich Familienangehörige die bundesweiten Ausgaben je Mitglied treten, daß Absatz 2 Satz 1 für die oberste Landesbehörde, die für die Kriegsopferversorgung zuständig ist, oder die von ihr bestimmte Stelle gilt und daß in Absatz 3 an die Stelle der in Satz 1 genannten Zahl die Zahl 1,3 tritt und die Sätze 2 bis 4 nicht gelten.

(11) Im Rahmen der Heilbehandlung sind auch heilpädagogische Behandlung, heilgymnastische und bewegungstherapeutische Übungen zu gewähren, wenn diese bei der Heilbehandlung notwendig sind.

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 18. März 2010 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Feststellungen von Schädigungsfolgen und die Gewährung von Beschädigtenrente nach dem Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (OEG) iVm dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) wegen der gesundheitlichen Folgen von Nachstellungen (sog "Stalking").

2

Die 1950 geborene Klägerin hat zwei erwachsene Kinder, ist von Beruf Sozialpädagogin und war als Nachtwache in einer Wohnstätte für behinderte Menschen in B. beschäftigt. Seit Mai 2001 lebte sie in einer Beziehung mit dem 1960 geborenen H. (im Folgenden: H.). Die Beziehung mit H. entwickelte sich konfliktreich, so dass die Klägerin sie bereits ab Oktober 2001 wieder zu beenden versuchte.

3

H. akzeptierte das nicht. Er belegte die Klägerin in der Folgezeit mit zahlreichen Telefonanrufen und elektronischen Kurznachrichten (SMS). Zudem alarmierte er wiederholt die Polizei, die Feuerwehr und den Notarzt zu vorgeblichen Streitigkeiten, Schlägereien bzw Bränden in der Wohnung der Klägerin, ohne dass bei Eintreffen der Einsatzkräfte entsprechende Gefährdungs- oder Schadenslagen festgestellt werden konnten. H. bestellte ua auch - ohne entsprechenden Bedarf - mehrfach Taxen zur Wohnanschrift der Klägerin. Ferner ließ er am Arbeitsplatz der Klägerin ausrichten, demnächst werde ein Gerichtsvollzieher "vor ihrer Tür stehen".

4

Die Klägerin erwirkte daraufhin erstmals am 7.1.2002 eine einstweilige Verfügung des Amtsgerichts (AG) B., nach der H. unter Androhung von Ordnungsgeld, ersatzweise Ordnungshaft, untersagt wurde, die Klägerin zu bedrohen oder zu belästigen sowie in ihrem Namen "die Polizei und Feuerwehr, andere Rettungsdienste, Bestattungsunternehmen, Taxiunternehmen und so weiter zu alarmieren". Dies veranlasste H. indes nicht, sein Verhalten gegenüber der Klägerin zu ändern. Unter anderem ereigneten sich im Weiteren die folgenden Vorfälle:

5

So drohte (vermutlich) H. telefonisch beim Arbeitsplatz der Klägerin mit Bombenexplosionen, insbesondere für den Fall, dass die Klägerin "noch mal in das Haus kommt". Weiter kündigte H. der - seinerzeit 81-jährigen - Mutter der Klägerin telefonisch den bevorstehenden Tod der Klägerin an und teilte ihr einige Minuten später telefonisch mit, dass die Klägerin nunmehr tot sei. Einem daraufhin alarmierten Polizeibeamten, der den Anruf in der Wohnung der Klägerin entgegennahm, teilte (vermutlich) H. wörtlich mit: "Jetzt muss sie fürchterliche Angst haben!" und legte auf. Am Abend desselben Tages meldeten sich mehrere "Pizza-Services" bei der Klägerin, die ihr eine vermeintlich von ihr bestellte Pizza bringen wollten.

6

Derartige Telefonanrufe wiederholten sich auch in der Folgezeit mehrfach sowohl gegenüber der Klägerin als auch gegenüber ihrer Mutter und ihren Arbeitskollegen. Einen daraufhin von der Klägerin gestellten Antrag, entsprechend der einstweiligen Verfügung vom 7.1.2002 ein Ordnungsgeld gegen H. festzusetzen, nahm die Klägerin am 22.5.2002 zurück, nachdem sich H. am 18.4.2002 ihr gegenüber verpflichtet hatte, entsprechende Anrufe zu unterlassen, in seinem Besitz befindliche persönliche Daten der Klägerin zu löschen, an ihrer Wohnung nicht mehr aufzutauchen oder zu klingeln, sie nicht mehr anzusprechen, "jegliche Kontaktaufnahme bei zufälligem Zusammentreffen" zu unterlassen und nichts mehr zu tun oder zu veranlassen, "was (der Klägerin) persönlich oder ihrer Familie schadet oder schaden könnte". Die Klägerin erklärte sich im Gegenzug bereit "zu dulden", dass H. ihr "ab und zu einen Brief" schreibt, "der per Post zugestellt wird".

7

Ende März 2003 bedrohte der H. die Klägerin erneut in deren Haus. Er schrie sie an, sie werde ihn nun "von einer anderen Seite" kennen lernen; sie wisse nicht, wozu er fähig sei. Er fange zuerst mit der Tochter (der Klägerin) an; er habe "Beziehungen" in ganz O. (dem damaligen Wohnort der Tochter). Dann komme der Sohn (der Klägerin) "dran"; er solle auf sein Auto aufpassen. Der H. fügte hinzu: "Wenn du überfallen, vergewaltigt oder belästigt wirst, habe ich nichts damit zu tun. Ich wasche meine Hände in Unschuld. Du hast Zeit bis morgen, um mit mir zu reden. Dann geht der Tanz los. Du hast selber schuld, du hast mich fallen lassen!". Abschließend sagte er: "In vier Wochen sind F. und J. (die Kinder der Klägerin) tot."

8

H. richtete an die Klägerin zudem eine Vielzahl von Briefen und Postkarten, teils beleidigenden, teils versöhnlichen Inhalts, lauerte ihr am Arbeitsplatz und vor ihrer Haustür auf, verfolgte sie, sprach sie an, belästigte und bedrohte sie und ihre Kinder, bestellte auf den Namen der Klägerin ungefragt Versandhausartikel und beauftragte ua ein Bestattungsunternehmen sowie einen Schlüsseldienst zur Wohnanschrift der Klägerin. Er rief auch wiederholt die Notrufnummer der Polizei an unter Vorgabe vermeintlicher Gewalttaten zu Lasten der Klägerin bzw seines eigenen (angeblich) bevorstehenden Freitodes, um entsprechende Einsätze zu bewirken.

9

Am 18.7.2003 erwartete er die Klägerin vor dem Hauseingang ihrer Wohnung in B. und folgte ihr von dort bis zur Bushaltestelle, während er ununterbrochen auf sie einredete. Er bestieg sodann denselben Bus wie die Klägerin und folgte ihr nach dem Aussteigen unter weiterem Einreden weiter. Vor dem Eingang eines Copy-Geschäfts hielt er die Klägerin am Arm fest und riss sie zu sich herum, ließ sie dann jedoch wieder los, worauf die Klägerin in dem Copy-Geschäft um Verständigung der Polizei bat.

10

Am 26.7.2003 fand die Klägerin in ihrem Briefkasten einen von H. handschriftlich verfassten Brief vor, in dem es ua hieß: "Melde Dich doch wegen dem Geld. Du bekommst ab dem 2.8. Deine Ruhe, aber anders als Du denkst. Ich habe sehr viel angeleiert. H. "

11

Mit Verfügung vom 28.7.2003 erließ die Ortspolizeibehörde B. daraufhin eine Wohnungsverweisungsverfügung mit Rückkehrverbot gegen H., ihm wurde verboten, sich ab dem 28.7.2003, 12.00 Uhr, bis zum 7.8.2003, 24.00 Uhr, in der Wohnung der Klägerin sowie einem Radius von 100 Metern darum aufzuhalten (Maßnahme nach § 14a Abs 1 Bremisches Polizeigesetz).

12

Mit Beschluss des AG B. vom 19.8.2003 wurde H. im Wege einer weiteren einstweiligen Verfügung unter Androhung von Ordnungsgeld bzw Ordnungshaft aufgegeben, es zu unterlassen, die Klägerin zu bedrohen, zu verletzen oder sonst körperlich zu misshandeln, ihr nachzustellen, in irgendeiner Form Kontakt zu ihr aufzunehmen, die Wohnung der Klägerin zu betreten oder sich auf der Straße vor ihrem Haus bzw gegenüber dem Grundstück aufzuhalten, sich der Klägerin außerhalb der Wohnung auf eine Entfernung von weniger als 100 Metern zu nähern, sie anzusprechen, ihr zu folgen oder hinterherzulaufen und den Arbeitsplatz der Klägerin zu betreten oder sich ihm auf eine Entfernung von weniger als 100 Metern zu nähern.

13

Diesen Anforderungen kam H. erneut nicht nach: Er warf ua immer wieder lose Zettel, Postkarten und Briefe in den Briefkasten der Klägerin und klingelte nahezu täglich an ihrer Haustür oder meldete sich telefonisch. Am 20.9.2003 belästigte und bedrohte er sie in einem öffentlichen Bus. Am 2. und 3.10.2003 wartete er vor dem Haus der Klägerin und ging auf sie zu, als sie das Haus auf dem Weg zur Arbeit verließ. Die Klägerin sah sich dadurch veranlasst, zunächst in das Haus zurückzukehren und sich zur Arbeit abholen zu lassen, was auch geschah. Darüber hinaus begegnete H. der Klägerin mehrfach offenbar absichtsvoll in verschiedenen Straßen B. und verfolgte sie, auch nachdem sie zur Vermeidung einer unmittelbaren Begegnung die Straßenseite gewechselt hatte.

14

Das AG B. setzte daraufhin mit Ergänzungsbeschluss vom 13.11.2003 ein Ordnungsgeld in Höhe von 1000 Euro, ersatzweise für je 100 Euro einen Tag Ordnungshaft, gegen H. fest. Die dagegen erhobene Beschwerde nahm H. nach Reduzierung des Ordnungsgeldes auf 150 Euro zurück; zu einer Änderung seines Verhaltens kam es nicht.

15

Schließlich wurde H. auf Strafanzeigen der Klägerin nach Verbindung mehrerer Verfahren vom AG B. mit Urteil vom 23.11.2004 (- 21 Gs 962 Js 31324/04 -) wegen Bedrohung (§ 241 Strafgesetzbuch - StGB) und Verstoßes gegen eine vollstreckbare Anordnung nach dem Gewaltschutzgesetz (GewSchG) in 14 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt, deren Vollstreckung zunächst zur Bewährung ausgesetzt wurde. Nach weiteren wiederholten Nachstellungen wurde die Strafaussetzung zur Bewährung mit Beschluss des AG B. vom 7.3.2005 widerrufen. H. verbüßte daraufhin vom 13.9.2005 bis 23.5.2006 die ihm auferlegte Freiheitsstrafe, bevor der Strafrest nach zwei Dritteln erneut zur Bewährung (Bewährungszeit: 2 Jahre) und mit der Auflage, sich umgehend einer ambulanten Alkoholentziehungstherapie zu unterziehen, ausgesetzt wurde (§ 57 Abs 1 StGB). Eine mit weiterem Urteil des AG B. vom 4.10.2005 (- 21 Ds 990 Js 16758/05 -) ergänzend ausgesprochene Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten wurde auf Berufung des H. mit Urteil des Landgerichts B. vom 31.5.2006 (- 26 Ns 990 Js 16758/05 -) ebenfalls (mit weiteren Auflagen) zur Bewährung (Bewährungszeit: 3 Jahre) ausgesetzt.

16

Die Klägerin wechselte im Verlaufe der Nachstellungen zweimal die Wohnanschrift, kam zeitweilig bei Bekannten unter und veranlasste eine Auskunftssperre bei der Meldebehörde. Zudem ließ sie sich vorübergehend eine Telefonnummer mit Auskunftssperre einrichten. Gleichwohl ermittelte H. jeweils nach kurzer Zeit erneut ihre Anschrift bzw Telefonnummer und setzte seine Annäherungshandlungen fort.

17

Infolge der Nachstellungen leidet die Klägerin unter psychischen Beschwerden im Sinne einer posttraumatischen Belastungsstörung mit Erschöpfungs- und Angstzuständen, Nervosität, Konzentrations- und Schlafstörungen, die ua eine psychopharmakologische Medikation und einen stationären Aufenthalt in der Fachklinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik Dr. He., B., vom 2.3. bis 11.5.2004 erforderlich machten. Bei der Klägerin wurde wegen eines "psychischen Leidens" ein Grad der Behinderung von 50 ab dem 7.3.2005 festgestellt.

18

Den Antrag der Klägerin vom 7.2.2005 auf Gewährung von Beschädigtenversorgung nach dem OEG lehnte die beklagte Freie Hansestadt durch Bescheid vom 23.5.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.10.2005 mit der Begründung ab, dass die von der Klägerin geltend gemachten "Stalking"-Aktivitäten, wie etwa Morddrohung, Verfolgung, nicht erwünschte Brief- und Telefonkontakte, Warenbestellungen auf ihren Namen etc, als "gewaltlose" Handlungen nicht unter den Begriff des tätlichen Angriffs iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG fallen würden. Dieses Tatbestandsmerkmal setze eine unmittelbar auf den Körper des anderen abzielende Einwirkung, zB einen Schlag, voraus, die im Fall der Klägerin nicht vorliege. Nach dem OEG würden nicht ausnahmslos alle Opfer von Straftaten entschädigt, sondern nur Betroffene einer Straftat mit Gewaltanwendung.

19

Nach erfolgloser Klage (Urteil des Sozialgerichts B. am 20.10.2006) hat die Klägerin beim Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen Berufung eingelegt. Mit Urteil vom 18.3.2010 hat das LSG die ablehnenden Entscheidungen des SG und der Beklagten aufgehoben sowie Letztere verurteilt, bei der Klägerin eine posttraumatische Belastungsstörung als Schädigungsfolge nach dem OEG festzustellen und eine Beschädigtenrente nach einem Grad der Schädigungsfolgen (GdS) von 50 ab dem 1.2.2005 zu gewähren. Es hat sein Urteil auf folgende Erwägungen gestützt:

20

Für die Annahme eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG reiche es aus, dass H. durch seine Übergriffe den seit 31.3.2007 geltenden Straftatbestand der Nachstellung (§ 238 StGB) verwirkliche, die Schädigung der Gesundheit der Klägerin zumindest billigend in Kauf genommen und seine Handlungen gerade auch mittels physischer Präsenz "unterstrichen" habe. Auch mit Rücksicht auf das strafrechtliche absolute Rückwirkungsverbot nach Art 103 Abs 2 GG könnten insoweit zwischenzeitliche Rechtsentwicklungen (§ 238 StGB) opferentschädigungsrechtlich nicht unberücksichtigt bleiben. Die einzelnen Handlungen des H. seien bei der opferentschädigungsrechtlichen Bewertung des Gesamtgeschehens nicht jeweils für sich als isolierte Beschimpfungen, Beleidigungen, Bedrohungen etc, sondern deliktstypisch in ihrer Gesamtheit als beharrliche, systematische Belästigungen und Nachstellungen und (insgesamt) als tätlicher Angriff iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG anzusehen. Das Handeln des H. weise keinen qualitativen Unterschied gegenüber einem Angriff auf, bei dem der Angreifer seinen Drohungen durch begleitende oder vorbereitende Sachbeschädigungen "körperlichen" Nachdruck verleihe oder das Opfer durch Versperren des Weges zu einem Flucht- oder Ausweichverhalten veranlasse, das zu einer Gesundheitsschädigung führe. Die Einordnung der Nachstellungen als tätlicher Angriff entspreche auch dem Schutzzweck des OEG, da der staatliche Schutz der Klägerin vor Gesundheitsschäden mit den (seinerzeit verfügbaren) Mitteln des GewSchG, des StGB, aber auch des allgemeinen Polizeirechts, unzureichend geblieben sei.

21

Gegen diese Entscheidung richtet sich die vom LSG zugelassene Revision der Beklagten. Mit Beschluss vom 8.3.2011 hat der Senat die Bundesrepublik Deutschland auf ihren Antrag zum Revisionsverfahren beigeladen. Zur Begründung ihrer Revision rügt die Beklagte die Verletzung materiellen Rechts (§ 1 Abs 1 Satz 1 OEG):

22

Das LSG habe in rechtlich fehlerhafter Weise das Verhalten des H. als vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriff iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG bewertet. Dieser Begriff erfordere grundsätzlich eine in feindseliger Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines Anderen zielende gewaltsame und in der Regel auch handgreifliche Einwirkung. Ausnahmen von der Körperlichkeit des Angriffs seien vom Bundessozialgericht (BSG) nur vereinzelt und unter exakt definierten Kriterien entwickelt worden; weder die Rechtsprechung zum sexuellen Missbrauch von Kindern noch die Grundsätze zur opferentschädigungsrechtlichen Bewertung von sog Schockschadensopfern seien auf die vorliegende Fallgestaltung zu übertragen. Bei einer Bedrohung oder der Drohung mit Gewalt sei maßgeblich auf eine objektiv hohe Gefährdungslage des Opfers abzustellen.

23

Im vorliegenden Fall liege - von dem einmaligen Festhalten der Klägerin am Arm abgesehen - weder eine gewaltsame bzw handgreifliche Einwirkung auf den Körper der Klägerin noch eine objektive Gefahr für Leib oder Leben vor. Entgegen der Auffassung des LSG reiche die reine "physische Präsenz" des H. nicht aus, um bei "gewaltlosen" Nachstellungen einen vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriff iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG zu bejahen. Auch könne zur Beurteilung der Strafbarkeit der Handlungen des H. nicht auf den erst seit 31.3.2007 geltenden Straftatbestand der Nachstellung (§ 238 StGB)zurückgegriffen werden; zum einen wegen des absoluten Rückwirkungsverbots des Art 103 Abs 2 GG und zum anderen wegen der möglichen Regressforderung des Staates gemäß § 5 OEG iVm § 81a BVG.

24

Schließlich habe das LSG rechtsfehlerhaft die Handlungen des H. in ihrer Gesamtheit als einheitlichen tätlichen Angriff iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG bewertet. Die Systematik des Entschädigungstatbestands gebiete, zur Beurteilung eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs an die Einzelhandlungen anzuknüpfen; die Rechtsfrage wiederum, wie eine Kette tätlicher Angriffe, die nicht jeder für sich genommen, wohl aber in ihrer Gesamtwirkung allgemein geeignet sind, eine psychische Krankheit hervorzurufen, sei opferentschädigungsrechtlich zu bewerten und noch nicht höchstrichterlich entschieden.

25

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 18. März 2010 aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Bremen vom 20. Oktober 2006 zurückzuweisen.

26

Die Klägerin beantragt,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

27

Sie hält das Urteil des LSG für zutreffend. Ergänzend macht sie geltend: Es entspreche dem Sinn und Zweck des OEG sowie dem Europäischen Übereinkommen vom 24.11.1983 über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (BGBl II 1996, 1120), ihr eine Entschädigung für Gesundheitsschäden - auch im Hinblick auf das Versagen des staatlichen Gewaltmonopols beim Schutz vor Gewaltkriminalität - zuzubilligen. Nach der Rechtsprechung des BSG müsse ein tätlicher Angriff iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG nicht "körperlich" oder gar "handgreiflich" bzw "kämpferisch" sein, sondern könne sich insbesondere bei einem sexuellen Missbrauch von Kindern auch auf "seelische" Einwirkungen beziehen; die Hilflosigkeit und Schutzbedürftigkeit von Stalking-Opfern und das Versagen staatlichen Schutzes rechtfertige es, diese Grundsätze auch auf Stalking-Handlungen zu übertragen, auch wenn diese nicht unbedingt handgreiflich seien. Ohnehin hätten die Handlungen des H. unmittelbar auf ihren Körper eingewirkt, jedenfalls optisch und akustisch. Entscheidend sei im vorliegenden Fall, dass sich die objektive Gefahr für ihre körperliche Unversehrtheit durch die psychische Erkrankung realisiert habe und die Handlungen des H. hierfür ursächlich gewesen seien. Insoweit komme es auch nicht darauf an, ob ein Schaden unmittelbar durch eine Handlung oder durch die Summe der Einzelakte verursacht worden sei.

28

Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt. Sie teilt die Rechtsauffassung der Beklagten und trägt ua vor: Es sei der gesetzgeberische Wille zu beachten, den tätlichen Angriff über eine "Körperlichkeit" zu definieren. Ein Verweis auf den Gesetzeszweck könne nicht dazu führen, diese Anspruchsvoraussetzung auszuhebeln. Ebenso wenig könne von einer Schädigungsfolge auf das Vorliegen eines tätlichen Angriffs geschlossen werden. Auch das vom Strafgesetzgeber anerkannte Schutzbedürfnis von Stalking-Opfern reiche nicht aus, um über das Tatbestandsmerkmal des tätlichen Angriffs hinwegzusehen. Etwaige Änderungen des OEG blieben dem Gesetzgeber vorbehalten.

Entscheidungsgründe

29

Die Revision der Beklagten ist zulässig und im Sinne der Aufhebung des Urteils des LSG und der Zurückverweisung der Sache an dieses Gericht begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG).

30

Nach den im Berufungsurteil getroffenen Feststellungen, an die das BSG gemäß § 163 SGG gebunden ist, kann der Senat nicht abschließend darüber entscheiden, ob das LSG die Beklagte zu Recht oder zu Unrecht verurteilt hat, bei der Klägerin eine posttraumatische Belastungsstörung als Schädigungsfolge nach dem OEG festzustellen und eine Beschädigtenrente nach einem GdS von 50 ab dem 1.2.2005 zu gewähren. Es fehlen hinreichende Tatsachenfeststellungen des LSG zur Beurteilung, ob die Klägerin durch die von ihr geltend gemachten Übergriffe des H. - vor allem in dem Zeitraum von Oktober 2001 bis Ende 2003 - Opfer von vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffen iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG gewesen ist und ob die von dem LSG angenommene Schädigungsfolge auf diese Angriffe zurückzuführen ist.

31

Rechtsgrundlage für den von der Klägerin in zulässiger Weise mit einer kombinierten Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1, Abs 4 SGG)geltend gemachten Anspruch ist § 1 Abs 1 Satz 1 OEG iVm § 31 Abs 1 BVG. Danach erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG, ua auch Beschädigtenrente nach § 31 Abs 1 BVG, wer im Geltungsbereich des OEG oder auf einem deutschen Schiff oder Luftfahrzeug infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat.

32

Die Rechtsprechung des erkennenden Senats zur Auslegung des Rechtsbegriffs "vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff" iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG hat im Laufe der Jahre anhand einzelner Fallgestaltungen eine Entwicklung erfahren, die der Senat jüngst zur opferentschädigungsrechtlichen Beurteilung von strafbaren ärztlichen Eingriffen dargelegt hat(vgl Urteil vom 29.4.2010 - B 9 VG 1/09 R - BSGE 106, 91 = SozR 4-3800 § 1 Nr 17, RdNr 26 ff). Diese Rechtsprechung berücksichtigt seit jeher, dass die Verletzungshandlung im OEG nach dem Willen des Gesetzgebers eigenständig und ohne direkte Bezugnahme auf das StGB geregelt ist (BT-Drucks 7/2506 S 10; vgl etwa BSG Urteil vom 24.4.1991 - 9a/9 RVg 1/89 - SozR 3-3800 § 1 Nr 1 S 2; BSG Urteil vom 18.10.1995 - 9 RVg 7/93 - BSGE 77, 11, 13 = SozR 3-3800 § 1 Nr 7 S 29; vgl auch Geschwinder, SGb 1985, 95, 96); gleichwohl orientiert sich die Auslegung an der im Strafrecht gewonnenen Bedeutung des auch dort verwendeten rechtstechnischen Begriffs des "tätlichen Angriffs" (vgl insbesondere BSG Urteil vom 28.3.1984 - 9a RVg 1/83 - BSGE 56, 234, 235 f = SozR 3800 § 1 Nr 4 S 8 f; vgl auch die Anmerkung zu dieser Entscheidung von Schlamelcher, SGb 1984, 593 ff). Mit Rücksicht auf den das OEG prägenden Gedanken des lückenlosen Opferschutzes hat sie sich aber weitestgehend von subjektiven Merkmalen (wie etwa einer kämpferischen, feindseligen Absicht des Täters) gelöst (stRspr seit 1995; vgl BSG Urteil vom 18.10.1995 - 9 RVg 7/93 - BSGE 77, 11 = SozR 3-3800 § 1 Nr 7; BSG Urteil vom 4.2.1998 - B 9 VG 5/96 R - BSGE 81, 288, 292 = SozR 3-3800 § 1 Nr 12 S 46; jüngst BSG Urteil vom 8.11.2007 - B 9/9a VG 3/06 R - SozR 4-3800 § 1 Nr 11 RdNr 14, 17). Das Vorliegen eines tätlichen Angriffs hat der Senat vornehmlich aus der Sicht eines objektiven, vernünftigen Dritten beurteilt und insbesondere sozial angemessenes Verhalten ausgeschieden (vgl Urteil vom 29.4.2010 - B 9 VG 1/09 R - BSGE 106, 91 = SozR 4-3800 § 1 Nr 17, RdNr 25).

33

Mit Blick auf die hier zu entscheidende Frage der Entschädigungspflicht des Staates nach § 1 Abs 1 Satz 1 OEG bei dem Phänomen des sog "Stalking", das seit dem 31.3.2007 als Straftatbestand in das StGB aufgenommen ist (Nachstellen iS des § 238 StGB), hat der Senat erneut Veranlassung, seine Rechtsprechung zu präzisieren und dem unbestimmten Rechtsbegriff des vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG weitere Konturen zu verleihen.

34

1. Der Senat geht bei der Beurteilung einer Handlung als vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG (a) und der Eingrenzung des schädigenden Vorgangs als erstem Glied der versorgungsrechtlichen Ursachenkette (b) von folgenden Erwägungen aus:

35

a) Grundsätzlich ist der Rechtsbegriff des tätlichen Angriffs iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG unter Bezugnahme auf seine im Strafrecht gewonnene Bedeutung(§§ 113, 121 StGB) auszulegen. Danach liegt ein tätlicher Angriff bei einer in feindseliger Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielenden gewaltsamen Einwirkung vor (BSG Urteil vom 29.4.2010 - B 9 VG 1/09 R - BSGE 106, 91 = SozR 4-3800 § 1 Nr 17, RdNr 25 mwN).

36

aa) Soweit eine "gewaltsame" Einwirkung vorausgesetzt wird, hat der Senat bereits entschieden, dass der Gesetzgeber durch den Begriff des "tätlichen Angriffs" den schädigenden Vorgang iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG in rechtlich nicht zu beanstandender Weise begrenzt und den im Strafrecht uneinheitlich verwendeten Gewaltbegriff eingeschränkt hat(vgl BSG Urteil vom 28.3.1984 - 9a RVg 1/83 - BSGE 56, 234, 236 = SozR 3800 § 1 Nr 4 S 9; BSG Urteil vom 14.2.2001 - B 9 VG 4/00 R - BSGE 87, 276, 279 = SozR 3-3800 § 1 Nr 18 S 73). Abweichend von dem im Strafrecht umstrittenen Gewaltbegriff iS des § 240 StGB(vgl hierzu Fischer, StGB, 57. Aufl 2010, § 240 RdNr 8 ff mwN) zeichnet sich der tätliche Angriff iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG grundsätzlich durch eine körperliche Gewaltanwendung gegen eine Person aus(vgl insbesondere BT-Drucks 7/2506 S 10), wirkt also körperlich (physisch) auf einen anderen ein; dies entspricht in etwa dem strafrechtlichen Begriffsverständnis der Gewalt iS des § 113 Abs 1 StGB als einer durch tätiges Handeln bewirkten Kraftäußerung, dh als tätiger Einsatz materieller Zwangsmittel, insbesondere körperlicher Kraft(vgl Rosenau in Leipziger Kommentar, StGB, 12. Aufl 2009, § 113 RdNr 23 mwN; Eser in Schönke/Schröder, StGB, 28. Aufl 2010, § 113 RdNr 42).

37

Ein tätlicher Angriff iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG liegt im Regelfall bei einem gewaltsamen, handgreiflichen Vorgehen gegen eine Person vor(vgl BSG Urteil vom 7.11.1979 - 9 RVg 1/78 - BSGE 49, 98, 100 = SozR 3800 § 1 Nr 1; BSG Urteil vom 28.3.1984 - 9a RVg 1/83 - BSGE 56, 234, 236 = SozR 3800 § 1 Nr 4; BSG Urteil vom 23.10.1985 - 9a RVg 5/84 - BSGE 59, 46, 47 = SozR 3800 § 1 Nr 6; sowie Begründung des Regierungsentwurfs zum OEG, BT-Drucks 7/2506 S 10, 13 f), setzt jedoch nach seiner äußeren Gestalt nicht unbedingt ein aggressives Verhalten des Täters voraus; der Senat ist einem an Aggression orientiertem Begriffsverständnis des tätlichen Angriffs trotz dessen inhaltlicher Nähe zur Gewalttätigkeit iS des § 125 StGB(vgl Eser in Schönke/Schröder, StGB, 28. Aufl 2010, § 113 RdNr 46; zu § 125 StGB vgl BGH Urteil vom 8.8.1969 - 2 StR 171/69 - BGHSt 23, 46, 52 f) letztlich nicht gefolgt (stRspr seit 1995; vgl BSG Urteile vom 18.10.1995 - 9 RVg 4/93 und 9 RVg 7/93 - BSGE 77, 7 = SozR 3-3800 § 1 Nr 6 bzw BSGE 77, 11 = SozR 3-3800 § 1 Nr 7; Urteil vom 18.10.1995 - 9 RVg 5/95 - BSGE 77, 18 = SozR 3-3800 § 2 Nr 3; so schon Bayerisches LSG Urteil vom 16.3.1990 - L 10 Vg 1/89 - Breith 1991, 414, 415 f; offen gelassen noch von BSG Urteil vom 28.3.1984 - 9a RVg 1/83 - BSGE 56, 234, 236 = SozR 3800 § 1 Nr 4; vgl auch BSG Urteil vom 23.10.1985 - 9a RVg 5/84 - BSGE 59, 46 = SozR 3800 § 1 Nr 6; vgl zum extensiven Versorgungsschutz auch Geschwinder, SGb 1985, 95, 96; Schlamelcher, SGb 1984, 593, 595; aA Schoreit/Düsseldorf, OEG, 1. Aufl 1977, § 1 RdNr 41; Wachholz, br 1991, 84, 87). Dahinter steht der Gedanke, dass auch nicht zum (körperlichen) Widerstand fähige Opfer von Straftaten den Schutz des OEG genießen sollen.

38

Für die Annahme eines tätlichen Angriffs ist nicht maßgeblich, ob der vom Täter ggf beabsichtigte Verletzungserfolg eingetreten ist (vgl BSG Urteil vom 28.3.1984 - 9a RVg 1/83 - BSGE 56, 234, 236 = SozR 3800 § 1 Nr 4 S 9 mwN; zur strafrechtlichen Auslegung des tätlichen Angriffs bereits Reichsgericht Urteil vom 18.6.1925 - III 213/25 - RGSt 59, 264, 265). Auch über das Versuchsstadium einer Straftat gegen das Leben oder die körperliche Unversehrtheit des Opfers hinaus, kann eine Handlung des Täters als tätlicher Angriff iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG angesehen werden(vgl zu § 113 Abs 1 StGB etwa Bundesgerichtshof Urteil vom 6.5.1982 - 4 StR 127/82 - NJW 1982, 2081). Eine gewaltsame Einwirkung auf den Körper eines anderen kann auch schon bei einem physisch vermittelten Zwang vorliegen, ohne dass es zu einer körperlichen Berührung zwischen Täter und Opfer kommen muss (vgl etwa BSG Urteil vom 24.9.1992 - 9a RVg 5/91 - USK 9237 ; BSG Urteil vom 12.12.1995 - 9 RVg 1/94 - SozR 3-3800 § 10a Nr 1 S 2). Ungeachtet eines verwirklichten Verletzungserfolgs besteht in diesen Fällen wegen der Angriffshandlung bereits eine objektive Gefährdung des Lebens oder der körperlichen Unversehrtheit der anderen Person; damit geht regelmäßig die reale Gefahr eines Körperschadens einher (vgl etwa BSG Urteil vom 28.5.1997 - 9 RVg 1/95 - USK 9714; BSG Urteil vom 3.2.1999 - B 9 VG 7/97 R - SozR 3-3800 § 1 Nr 14 S 59; vgl auch zum Angriff iS des § 31 Abs 4 Satz 1 Beamtenversorgungsgesetz, Bundesverwaltungsgericht Urteil vom 29.10.2009 - 2 C 134/07 - BVerwGE 135, 176 RdNr 17 f). Ob in diesen Fällen die Grenze zum tätlichen Angriff iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG überschritten ist, beurteilt der Senat aus der objektiven Sicht eines vernünftigen Dritten und orientiert sich dabei an folgenden Grundsätzen:

39

aaa) Je gewalttätiger die Angriffshandlung gegen eine Person nach ihrem äußeren Erscheinungsbild bzw je größer der Einsatz körperlicher Gewalt oder physischer Mittel ist, desto geringere Anforderungen sind zur Bejahung eines tätlichen Angriffs in objektiver Hinsicht zu stellen. Je geringer sich die Kraftanwendung durch den Täter bei der Begehung des Angriffs darstellt, desto genauer muss geprüft werden, inwiefern durch die Handlung - unter Berücksichtigung eines möglichen Geschehensablaufs - eine Gefahr für Leib oder Leben des Opfers bestand. Die Grenze zwischen einem sozialadäquaten Verhalten und einem tätlichen Angriff ist grundsätzlich so zu bestimmen, dass auch das bereits objektiv hochgefährdete Opfer bei Abwehr-, Ausweich- oder Fluchtreaktionen den Schutz des OEG genießt; sie ist jedenfalls dann überschritten, wenn die Abwehr eines solchen Angriffs unter dem Gesichtspunkt der Notwehr gemäß § 32 StGB gerechtfertigt wäre(BSG Urteil vom 24.7.2002 - B 9 VG 4/01 R - BSGE 90, 6 = SozR 3-3800 § 1 Nr 22 S 103 f zur Drohung mit Gewalt). Die Angriffshandlung (bzw der Einsatz körperlicher Mittel) muss für sich genommen nicht gravierend sein, um - unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls - eine hinreichende Gefährdung von Leib oder Leben des Opfers und damit einen tätlichen Angriff iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG anzunehmen.

40

Der Senat hat insoweit in einem Fall der Freiheitsberaubung (§ 239 StGB) allein das Wegversperren und das Zurückstoßen und -drängen des Opfers zur Durchsetzung des Verbots, die Wohnung zu verlassen, ausreichen lassen, um das Vorliegen eines tätlichen Angriffs zu bejahen. Aus einem solchen Verhalten des Täters kann der Schluss auf eine drohende verstärkte Gewaltanwendung bei einem ggf beabsichtigten Widerstand des Opfers gezogen werden (vgl BSG Urteil vom 30.11.2006 - B 9a VG 4/05 R - SozR 4-3800 § 1 Nr 10 RdNr 14) und damit auf eine objektiv hohe Gefährdungslage für das Opfer. Entsprechendes gilt für das absichtliche Versperren eines Fahrradweges, das im Falle der Kollision mit einer erheblichen Verletzungsgefahr für das Opfer verbunden ist (vgl BSG Urteil vom 12.12.1995 - 9 RVg 1/94 - SozR 3-3800 § 10a Nr 1 S 2), sowie für das Zünden von Feuerwerkskörpern in unmittelbarer Nähe einer anderen Person (vgl hierzu BSG Urteil vom 3.2.1999 - B 9 VG 7/97 R - SozR 3-3800 § 1 Nr 14 S 57; BSG Urteil vom 28.5.1997 - 9 RVg 1/95 - USK 9714; vgl auch BSG Urteil vom 24.4.1991 - 9a/9 RVg 1/89 - SozR 3-3800 § 1 Nr 1 S 3 f).

41

bbb) Für die - insbesondere bei dem Phänomen des "Stalkings" relevanten - Fälle der Bedrohung oder Drohung mit Gewalt, bei denen es unter Umständen an einer besonderen Kraftentfaltung gegen den Körper einer anderen Person bzw an einem beabsichtigten Verletzungserfolg gänzlich fehlt, hat das BSG noch nicht abschließend geklärt, unter welchen Voraussetzungen solche Handlungen für sich allein bereits als tätlicher Angriff zu werten sind (vgl BSG Urteil vom 28.3.1984 - 9a RVg 1/83 - BSGE 56, 234, 237 = SozR 3800 § 1 Nr 4 S 9). Auch dabei ist jedenfalls auf das Kriterium der objektiven Gefahr für Leib oder Leben des Opfers abzustellen.

42

Das BSG hat es insoweit genügen lassen, dass eine erhebliche Drohung gegenüber dem Opfer mit einer unmittelbaren Gewaltanwendung gegen eine Sache einherging, die als einziges Hindernis dem unmittelbaren körperlichen Zugriff auf das Opfer durch die Täter im Wege stand, sodass der Sachverhalt nicht allein auf Drohungen beschränkt war (BSG Urteil vom 10.9.1997 - 9 RVg 1/96 - BSGE 81, 42, 44 = SozR 3-3800 § 1 Nr 11). Es hat auch die Würdigung eines Sachverhalts, bei dem ein einschlägig vorbestrafter Täter mit dem Ausruf "Jetzt hab´ ich Euch, Ihr Schweine" auf offener Straße auf das Opfer zugestürzt ist, als tätlichen Angriff iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG nicht beanstandet (BSG Beschluss vom 29.9.1993 - 9 BVg 3/93 - juris RdNr 1, 5). Als tätlichen Angriff hat es das BSG zudem angesehen, wenn der Täter das Opfer vorsätzlich mit einer scharf geladenen und entsicherten Schusswaffe bedroht hat, auch wenn ein Tötungs- oder Verletzungsvorsatz noch gefehlt hat (BSG Urteil vom 24.7.2002 - B 9 VG 4/01 R - BSGE 90, 6 = SozR 3-3800 § 1 Nr 22 S 103 f), nicht aber die bloß verbale Drohung zu schießen, wenn der Täter keine Schusswaffe bei sich führt (vgl BSG Urteil vom 2.10.2008 - B 9 VG 2/07 R - juris RdNr 20). Im Zusammenhang mit einer Aussetzung (§ 221 Abs 1 StGB) durch aktives Tun hat das BSG die bloße Aufforderung gegenüber einem 83 Jahre alten Gehbehinderten, den Wagen zu verlassen, als Ausübung von körperlichem Zwang und damit als tätlichen Angriff angesehen, weil diese erzwungene Ortsveränderung das letzte Glied in einer Kette von Gewalttaten des fortgesetzt aggressiv handelnden Täters war (BSG Urteil vom 24.9.1992 - 9a RVg 5/91 - USK 9237).

43

Bei der Würdigung des Tatgeschehens sind insoweit alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, die auf eine objektiv hohe Gefährdung des Lebens oder der körperlichen Integrität des Opfers schließen lassen. Angesichts der Vielgestaltigkeit der Lebenssachverhalte wird eine feste Grenzziehung zwischen bloßer Drohung mit Gewalt und ihrer Anwendung kaum möglich sein. Ein tätlicher Angriff wird indes umso eher zu bejahen sein, je größer die objektive Gefahr für Leib oder Leben des Bedrohten war (BSG Urteil vom 2.10.2008 - B 9 VG 2/07 R - juris RdNr 16), je mehr also eine schädigende Gewaltanwendung unmittelbar bevorsteht.

44

ccc) Mit Rücksicht auf die grundlegende gesetzgeberische Entscheidung, dass durch die Verwendung des Begriffs des tätlichen Angriffs iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG der allgemeine Gewaltbegriff im strafrechtlichen Sinn begrenzt und grundsätzlich eine Kraftentfaltung gegen eine Person erforderlich sein soll(vgl BT-Drucks 7/2506 S 10), sieht der Senat die Grenze der Wortlautinterpretation jedenfalls dann erreicht, wenn sich die auf das Opfer gerichtete Einwirkung - ohne Einsatz körperlicher Mittel - allein als intellektuell oder psychisch vermittelte Beeinträchtigung darstellt und nicht unmittelbar auf die körperliche Integrität abzielt (in diese Richtung bereits BSG Urteil vom 14.2.2001 - B 9 VG 4/00 R - BSGE 87, 276, 279 = SozR 3-3800 § 1 Nr 18 S 73). So hat der Senat für den Fall einer mit List durchgeführten, strafbaren Kindesentziehung die erheblichen Gefahren, die damit wegen der völligen Ungewissheit über das Schicksal des Kindes für die psychische Gesundheit des betroffenen Elternteils verbunden sind, für sich allein nicht ausreichen lassen, um einen tätlichen Angriff iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG anzuerkennen, sondern darüber hinaus zumindest ein Fortwirken einer körperlichen Gewaltanwendung gegenüber dem Elternteil gefordert(BSG Urteil vom 12.2.2003 - B 9 VG 2/02 R - SozR 4-3800 § 1 Nr 1 S 3).

45

Von den Kriterien eines tätlichen Angriffs iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG wird auch bei den Fällen des sog "Schockschadens"(vgl hierzu BSG Urteil vom 7.11.1979 - 9 RVg 1/78 - BSGE 49, 98 = SozR 3800 § 1 Nr 1) keine Ausnahme gemacht. Insoweit ist zwischen dem schädigenden Vorgang - der "unmittelbaren Einwirkung" auf den Körper des Primäropfers - und der geschädigten Person - der "unmittelbaren Schädigung" des Sekundäropfers - zu unterscheiden (vgl hierzu Trenk-Hinterberger in Festschrift 50 Jahre BSG, 2004, S 745, 751 ff).

46

Selbst in Fällen sexuellen Missbrauchs von Kindern iS von § 176 StGB hat der Senat nicht vollständig auf das Erfordernis körperlicher Handlungen verzichtet. Die besondere Schutzbedürftigkeit des Kindes, die Möglichkeit seiner "sekundären Viktimisierung" im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren sowie die Gefahr schwerwiegender seelischer Krankheiten hat ihn allerdings - beschränkt auf diese Fallgestaltungen - zu einem erweiterten Verständnis des Begriffs des tätlichen Angriffs veranlasst. Danach ist für die "unmittelbare Einwirkung auf den Körper des Kindes" entscheidend, dass die erfolgten sexuellen Handlungen strafbar sind, unabhängig davon, ob bei der Tatbegehung das gewaltsam handgreifliche oder das spielerische Moment im Vordergrund steht (BSG Urteile vom 18.10.1995 - 9 RVg 4/93 und 9 RVg 7/93 - BSGE 77, 7 = SozR 3-3800 § 1 Nr 6 bzw BSGE 77, 11 = SozR 3-3800 § 1 Nr 7).

47

Demnach ist nicht - wie im Schrifttum teilweise vertreten wird - darauf abzustellen, ob die Angriffshandlung "körperlich wirkt" bzw zu körperlichen Auswirkungen im Sinne eines pathologisch, somatisch, objektivierbaren Zustands führt (so Weiner in Kunz/Zellner/Gelhausen/Weiner, OEG, 5. Aufl 2010, § 1 RdNr 22 aE; Heinz, VersorgVerw 2007, 36, 37 f; ders, ZfS 2005, 266, 268; ders, ZfS 2000, 65, 69; Eppenstein in Opferentschädigungsgesetz - Intention und Praxis opfergerecht?, Mainzer Schriften zur Situation von Kriminalitätsopfern, 1995, S 92, 95) oder welches Individualrechtsgut (insbesondere körperliche Unversehrtheit, Leben) von der verletzten Strafrechtsnorm geschützt wird (vgl etwa Weiner, aaO, § 1 RdNr 16; Heinz, ZfS 2005, 266, 267 f).

48

           

Schließlich führt auch der Hinweis der Klägerin auf das Europäische Übereinkommen vom 24.11.1983 über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (Zustimmungsgesetz vom 17.7.1996, BGBl II 1120; Bekanntmachung vom 24.2.1997 über das Inkrafttreten des Übereinkommens in Deutschland am 1.3.1997, BGBl II 740) zu keiner anderen Beurteilung. Nach seinem Art 1 verpflichten sich die Vertragsparteien des Übereinkommens, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um die in dessen Teil I enthaltenen Grundsätze zu verwirklichen. Art 2 Abs 1 Buchst a des Übereinkommens bestimmt:

Soweit eine Entschädigung nicht in vollem Umfang aus anderen Quellen erhältlich ist, trägt der Staat zur Entschädigung für Personen bei, die eine schwere Körperverletzung oder Gesundheitsschädigung erlitten haben, die unmittelbar auf eine vorsätzliche Gewalttat zurückzuführen ist.

49

Eine Definition des Begriffs "vorsätzliche Gewalttat" enthält das Übereinkommen nicht (vgl Denkschrift zum Übereinkommen, BR-Drucks 508/95 S 14 = BT-Drucks 13/2477 S 14). Dementsprechend hat der bundesdeutsche Gesetzgeber durch das Tatbestandsmerkmal "vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff" in § 1 Abs 1 Satz 1 OEG in zulässiger Weise von einem durch das Übereinkommen belassenen Gestaltungsspielraum Gebrauch gemacht. Richtig ist allerdings, dass der Gesetzgeber den Zielen des Übereinkommens durchaus entsprechen würde, wenn er - über die von dem Begriff des tätlichen Angriffs erfassten Fallgestaltungen hinaus - Opfer psychischer Gewalt in den Schutzbereich des OEG einbeziehen würde. Immerhin heißt es in dem Erläuternden Bericht des Europarats zum Übereinkommen (European Convention on the Compensation of Victims of Violent Crimes, Explanatory Report, http://conventions.coe.int/treaty/EN/Reports/Html/116.htm ): Die Gewalt sei nicht notwendig, physische Gewalt; Entschädigung könne auch geschuldet werden in Fällen psychischer Gewalt, zB bei schwerwiegenden Drohungen (vgl dazu auch Denkschrift, BR-Drucks 508/95 S 14 = BT-Drucks 13/2477 S 14).

50

bb) Der tätliche Angriff iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG zeichnet sich zudem dadurch aus, dass die Einwirkung "unmittelbar" auf den Körper der anderen Person zielen muss. Dieses Tatbestandsmerkmal ist von dem Erfordernis der Unmittelbarkeit der Gesundheitsschädigung - dem zweiten Glied der versorgungsrechtlichen Ursachenkette - zu unterscheiden und begrenzt die Entschädigungspflicht des Staates auf konkrete Gefährdungen des Opfers durch zielgerichtete Angriffshandlungen. Da die Zielrichtung einer Handlung allein auf dem Willen des Täters beruht, sind Feststellungen zu diesem Merkmal in erster Linie von der inneren Tatseite, dem Vorsatz des Täters, abhängig; bleibt der Täter unbekannt, müssen wenigstens die äußeren Tatumstände überzeugende Hinweise auf den erforderlichen subjektiven Tatbestand geben (vgl BSG Urteil vom 28.3.1984 - 9a RVg 1/83 - BSGE 56, 234, 237 = SozR 3800 § 1 Nr 4 S 10; BSG Urteil vom 4.2.1998 - B 9 VG 5/96 R - BSGE 81, 288, 289 f = SozR 3-3800 § 1 Nr 12).

51

Insoweit dient das Merkmal auch der Abgrenzung von abstrakten bzw allgemeinen Gefährdungslagen, wie sie unter bestimmten Voraussetzungen von § 1 Abs 2 Nr 2 OEG erfasst sind(sog "mittelbarer Angriff", vgl hierzu Loytved, NZS 2004, 516, 517; ders MedSach 2005, 148, 149); so hat der Senat bereits entschieden, dass das Entfernen des Deckels eines Abflusslochs (Gully) allein - ohne unmittelbare Ausrichtung auf andere Menschen - kein tätlicher Angriff iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG darstellt(BSG Urteil vom 10.12.2003 - B 9 VG 3/02 R - SozR 4-3800 § 1 Nr 5). Demgegenüber hat der Senat bei der Bewertung einer Blockade des Fahrwegs einer Fahrradfahrerin maßgeblich auf den Vorsatz der Täter, den Weg durch aktives Verhalten zu versperren, und auf die damit einhergehende ernsthafte Verletzungsgefahr im Falle einer Kollision abgestellt (BSG Urteil vom 12.12.1995 - 9 RVg 1/94 - SozR 3-3800 § 10a Nr 1 S 2 f; mangels entsprechender Feststellungen offen gelassen durch BSG Urteil vom 10.12.2003 - B 9 VG 3/02 R - SozR 4-3800 § 1 Nr 5 S 20 f).

52

cc) Der tätliche Angriff iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG setzt über den natürlichen Vorsatz des Täters bezogen auf die Angriffshandlung(vgl hierzu etwa BSG Urteil vom 3.2.1999 - B 9 VG 7/97 - SozR 3-3800 § 1 Nr 14 S 56 f) hinaus an sich eine "feindselige Willensrichtung" voraus. Dieses - einem Angriff im Wortsinn immanente - Merkmal dient im Opferentschädigungsrecht vor allem zur Abgrenzung sozial adäquaten bzw gesellschaftlich noch tolerierten Verhaltens von einem auf Rechtsbruch gerichteten Handeln des Täters (so bereits BSG Urteil vom 23.10.1985 - 9a RVg 5/84 - BSGE 59, 46 = SozR 3800 § 1 Nr 6; ähnlich auch schon Bayerisches LSG Urteil vom 16.3.1990 - L 10 Vg 1/89 - Breith 1991, 414, 415). Lässt sich eine feindselige Willensrichtung im engeren Sinne nicht feststellen, kann alternativ darauf abgestellt werden, ob der Täter eine mit Gewaltanwendung (iS einer gewaltsamen Einwirkung auf eine andere Person durch Einsatz körperlicher Mittel) verbundene strafbare Vorsatztat (zumindest einen strafbaren Versuch) begangen hat (stRspr seit 1995, vgl BSG Urteile vom 18.10.1995 - 9 RVg 4/93 und 9 RVg 7/93 - BSGE 77, 7 = SozR 3-3800 § 1 Nr 6 bzw BSGE 77, 11 = SozR 3-3800 § 1 Nr 7; Urteil vom 18.10.1995 - 9 RVg 5/95 - BSGE 77, 18 = SozR 3-3800 § 2 Nr 3; Urteil vom 3.2.1999 - B 9 VG 7/97 R - SozR 3-3800 § 1 Nr 14 - juris RdNr 11, 13; jüngst BSG Urteil vom 8.11.2007 - B 9/9a VG 3/06 R - SozR 4-3800 § 1 Nr 11 RdNr 14, 17). Anstelle einer feindseligen Absicht ist dann die Rechtsfeindlichkeit des Täters entscheidend, dokumentiert durch einen willentlichen Bruch der Rechtsordnung. Die einem Angriff innewohnende Feindseligkeit manifestiert sich insoweit durch die vorsätzliche Verwirklichung der Straftat (vgl Bischofs, SGb 2010, 693, 694).

53

So verwirklicht ein Täter, der subjektiv dem Opfer helfen will oder aus Liebe handelt, dann einen rechtswidrigen tätlichen Angriff, wenn er in strafbarer Weise dessen körperliche Integrität verletzt (BSG Urteil vom 18.10.1995 - 9 RVg 7/93 - BSGE 77, 11 = SozR 3-3800 § 1 Nr 7). Dies gilt regelmäßig auch für Fälle, in denen sich der Angreifer möglicherweise nur einen groben oder gewalttätigen, aber die Grenze des sozial Üblichen überschreitenden Scherz erlauben wollte und gegenüber dem Opfer keine feindselige Einstellung gehabt hat (zum Zünden eines Feuerwerkskörpers vgl etwa BSG Urteil vom 3.2.1999 - B 9 VG 7/97 R - SozR 3-3800 § 1 Nr 14 S 57; BSG Urteil vom 28.5.1997 - 9 RVg 1/95 - USK 9714; vgl auch BSG Urteil vom 24.4.1991 - 9a/9 RVg 1/89 - SozR 3-3800 § 1 Nr 1 S 3 f). Diese Rechtsprechung hat jüngst eine Einschränkung für die besondere Fallkonstellation des ärztlichen Eingriffs erfahren. Selbst wenn ein solcher Eingriff strafrechtlich als vorsätzliche Körperverletzung anzusehen ist, müssen bestimmte weitere Voraussetzungen hinzutreten, um die Grenze zu einem vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriff iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG zu überschreiten(vgl hierzu BSG Urteil vom 29.4.2010 - B 9 VG 1/09 R - BSGE 106, 91 = SozR 4-3800 § 1 Nr 17, RdNr 42-44).

54

b) Der schädigende Vorgang iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG - das erste Glied der entschädigungsrechtlichen Ursachenkette - ist zeitlich nicht auf die Dauer des tätlichen Angriffs selbst oder die Vollendung der mit der Gewaltanwendung verbundenen Straftat begrenzt, vielmehr dauert er so lange an, wie das daraus folgende Geschehen noch wesentlich durch die Gewaltanwendung geprägt ist, also bis zu dem Zeitpunkt, in dem das Opfer in Sicherheit ist bzw die Hilfe Dritter erhält(vgl BSG Urteil vom 12.6.2003 - B 9 VG 8/01 R - SozR 4-3800 § 1 Nr 2; BSG Urteil vom 24.9.1992 - 9a RVg 5/91 - USK 9237 ). Die strafrechtliche Einordnung als Erfolgs- oder Dauerdelikt ist für die Bewertung des entschädigungsrechtlichen Kerns des Geschehens ohne Belang (vgl BSG Urteil vom 24.9.1992 - 9a RVg 5/91 - USK 9237 ; BSG Urteil vom 12.2.2003 - B 9 VG 2/02 R - SozR 4-3800 § 1 Nr 1 S 3; BSG Urteil vom 12.6.2003 - B 9 VG 8/01 R - SozR 4-3800 § 1 Nr 2; BSG Urteil vom 30.11.2006 - B 9a VG 4/05 R - SozR 4-3800 § 1 Nr 10 RdNr 15).

55

Ein vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG kann als wesentliche Ursache für Gesundheitsschäden, die während des Tatgeschehens eintreten, auch dann angesehen werden, wenn das Opfer eine eigene Ursache für den weiteren Geschehensablauf (zB Flucht, Ausweichen, Notwehr) setzt. In diesen Fällen ist - anders als im Strafverfahren - nicht darauf abzustellen, ob die Tatumstände "objektiv geeignet" waren, das Verhalten des Opfers zu erklären, sondern auf dessen subjektive Sicht (vgl BSG Urteil vom 30.11.2006 - B 9a VG 4/05 R - SozR 4-3800 § 1 Nr 10 RdNr 16-17; ähnlich auch zur Mitverursachung der Schädigung iS des § 2 Abs 1 Satz 1 OEG BSG Urteil vom 18.6.1996 - 9 RVg 7/94 - BSGE 78, 270 = SozR 3-3800 § 2 Nr 4). Insoweit rechnen zu den Folgen eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs grundsätzlich auch die Verletzungsfolgen, die während einer Flucht entstanden sind (vgl auch BSG Urteil vom 10.9.1997 - 9 RVg 1/96 - BSGE 81, 42 = SozR 3-3800 § 1 Nr 11; BSG Urteil vom 30.11.2006 - B 9a VG 4/05 R - SozR 4-3800 § 1 Nr 10, RdNr 15; vgl auch Loytved, NZS 2004, 516, 517; ders, MedSach 2005, 148, 149).

56

2. Nach diesen Grundsätzen ergibt sich für die opferentschädigungsrechtliche Bewertung von Stalking-Handlungen als vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG für den Zeitraum bis zum Inkrafttreten des § 238 StGB am 31.3.2007 und damit auch für den hier streitgegenständlichen Zeitraum (im Wesentlichen von Oktober 2001 bis Dezember 2003) Folgendes:

57

a) Das Phänomen Stalking hat in jüngster Zeit zunehmend an gesellschaftlicher Bedeutung gewonnen und zu besonderen Entwicklungen im Zivil- und Strafrecht geführt. Die unter dem englischen Begriff "Stalking" diskutierten Verhaltensweisen zeichnen sich dadurch aus, dass einer anderen Person fortwährend nachgestellt, aufgelauert oder auf andere Weise mit hoher Intensität Kontakt zu ihr gesucht bzw in ihren individuellen Lebensbereich eingegriffen wird (so der Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 8.2.2006, BT-Drucks 16/575 S 1). Eine einheitliche Begriffsbestimmung ist wegen der äußerst facettenreichen Fallgestaltungen schwierig (vgl etwa Bieszk/Sadtler, NJW 2007, 3382, 3384). Allgemein handelt es sich um ein Verhalten der fortgesetzten Verfolgung, Belästigung und Bedrohung einer anderen Person gegen deren Willen (so die Gesetzentwürfe des Bundesrates vom 27.4.2005 und 23.3.2006, BT-Drucks 15/5410 S 1 und BT-Drucks 16/1030 S 1). Dabei sind die einzelnen Handlungen des Täters sehr vielgestaltig. Sie reichen von häufigen, vielfach wiederholten Telefonanrufen zu jeder Tages- und Nachtzeit, dem Übersenden von E-Mails, SMS oder Briefen, der Übermittlung von Geschenken, dem Auflauern vor der Wohnung oder am Arbeitsplatz und Drohungen bis hin zu Zudringlichkeiten und tätlichen Angriffen. Durch ihre Häufigkeit und Kontinuität führen auch Einzelhandlungen, die jeweils für sich genommen als sozialadäquat angesehen werden könnten, zu unzumutbaren Beeinträchtigungen und einer erzwungenen Veränderung der Lebensumstände des Opfers (so der Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 8.2.2006, BT-Drucks 16/575 S 1).

58

           

In der mit Wirkung vom 31.3.2007 Gesetz gewordenen Fassung des § 238 Abs 1 StGB lautet der Tatbestand der Nachstellung:

Wer einem Menschen unbefugt nachstellt, indem er beharrlich

1.    

seine räumliche Nähe aufsucht,

2.    

unter Verwendung von Telekommunikationsmitteln oder sonstigen Mitteln der Kommunikation oder über Dritte Kontakt zu ihm herzustellen versucht,

3.    

unter missbräuchlicher Verwendung von dessen personenbezogenen Daten Bestellungen von Waren oder Dienstleistungen für ihn aufgibt oder Dritte veranlasst, mit diesem Kontakt aufzunehmen,

4.    

ihn mit der Verletzung von Leben, körperlicher Unversehrtheit, Gesundheit oder Freiheit seiner selbst oder einer ihm nahe stehenden Person bedroht oder

5.    

eine andere vergleichbare Handlung vornimmt

und dadurch seine Lebensgestaltung schwerwiegend beeinträchtigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

59

Durch § 238 StGB sollen nach dem Willen des Gesetzgebers beharrliche Nachstellungen, die einschneidend in das Leben des Opfers eingreifen, über die bereits bestehenden und in Betracht kommenden Straftatbestände - wie etwa der Nötigung(§ 240 StGB), Bedrohung (§ 241 StGB), Beleidigung (§ 185 StGB) oder des Zuwiderhandelns gegen eine Anordnung nach dem Gewaltschutzgesetz (§ 4 GewSchG) - hinaus mittels eines weiteren Straftatbestandes verfolgt werden können, um auf diese Weise einen besseren Opferschutz zu erreichen und Strafbarkeitslücken zu schließen (BT-Drucks 16/575 S 1). Der neue Straftatbestand dient damit dem Schutz der eigenen Lebensführung vor gezielten, hartnäckigen und schwerwiegenden Belästigungen der Lebensgestaltung (vgl BGH Beschluss vom 19.11.2009 - 3 StR 244/09 - BGHSt 54, 189 - juris RdNr 14 mwN).

60

Nach der Rechtsprechung des BGH (aaO) ist Tathandlung des § 238 Abs 1 StGB das unbefugte Nachstellen durch beharrliche unmittelbare und mittelbare Annäherungshandlungen an das Opfer und näher bestimmte Drohungen iS des § 238 Abs 1 Nr 1 bis 5 StGB. Das Merkmal der "Beharrlichkeit" soll ua die Deliktstypik des "Stalkings" zum Ausdruck bringen und einzelne, für sich genommen vom Gesetzgeber als sozialadäquat angesehene Handlungen (BT-Drucks 16/575 S 7) von unerwünschtem "Stalking" abgrenzen; ihm wohnen sowohl objektive Momente der Zeit sowie subjektive und normative Elemente der Uneinsichtigkeit und Rechtsfeindlichkeit inne, die in der Tatbegehung durch besondere Hartnäckigkeit und eine gesteigerte Gleichgültigkeit des Täters gegenüber dem gesetzlichen Verbot zum Ausdruck kommt. Die Beharrlichkeit ergibt sich aus einer Gesamtwürdigung der verschiedenen Handlungen, bei der insbesondere auch der zeitliche Abstand zwischen den Angriffen und deren innerer Zusammenhang von Bedeutung sind (BGH, aaO, mwN).

61

b) Solange der Gesetzgeber den Tatbestand des § 238 StGB nicht gesondert in den Schutzbereich des § 1 OEG einbezogen hat, sind die erfolgten Stalking-Handlungen daraufhin zu prüfen, ob jeweils nach den insoweit maßgeblichen Kriterien ein vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG vorliegt. Ein sich - wie hier - über Jahre erstreckendes Stalking, das aus einer Vielzahl einzelner, für sich abgeschlossener Sachverhalte besteht, kann entgegen der Auffassung des LSG nicht als ein einheitlicher schädigender Vorgang gewertet werden. Denn ein solcher umfasst nur den konkreten tätlichen Angriff und das diesem unmittelbar folgende gewaltgeprägte Geschehen.

62

Soweit sich eine feindselige Willensrichtung des Täters nicht feststellen lässt, kommt es auch beim Stalking auf das Vorliegen einer mit Gewaltanwendung verbundenen vorsätzlichen Straftat an. Der Senat hat bereits zum Phänomen des sog Mobbings entschieden, dass sich diese Vorgänge des Arbeitslebens, die den Rahmen des zwar gesellschaftlich Missbilligten, aber nicht Strafbaren nicht verlassen und die Schwelle zum kriminellen Unrecht nicht überschreiten, nicht als tätlicher Angriff iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG angesehen werden können(BSG Urteil vom 14.2.2001 - B 9 VG 4/00 R - BSGE 87, 276 = SozR 3-3800 § 1 Nr 18). Denn bei der Anwendung des OEG ist von dessen Grundgedanken auszugehen, dass nur Opfer von Gewalttaten entschädigt werden sollen (vgl BT-Drucks 7/2506 S 7). Das OEG deckt mithin nicht alle - sonstigen - aus dem Gesellschaftsleben folgenden Verletzungsrisiken ab, die einem anderen als dem Geschädigten zuzurechnen sind (BSG Urteil vom 14.2.2001 - B 9 VG 4/00 R - BSGE 87, 276 = SozR 3-3800 § 1 Nr 18). Ebenso wenig reicht das Verwirklichen eines Straftatbestandes aus, wenn es (wie zB bei Vermögensdelikten) ohne körperliche Einwirkungen auf das Opfer geschieht. Dies gilt grundsätzlich auch für Stalking-Handlungen, die jedoch nach heute geltendem Recht wegen des Tatbestands der Nachstellung gemäß § 238 StGB eine besondere strafrechtliche Relevanz aufweisen können. Allerdings kann für den Zeitraum vor Inkrafttreten dieser Norm zum 31.3.2007 zur opferentschädigungsrechtlichen Beurteilung, ob ein vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG in Gestalt einer strafbaren Vorsatztat vorliegt, nicht auf diesen Straftatbestand zurückgegriffen werden(aa). Maßgeblich ist das zum Tatzeitpunkt geltende Recht (bb).

63

aa) Entgegen der Auffassung des LSG kann hier das Vorliegen eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG - abgesehen von dem zusätzlichen Erfordernis einer Tätlichkeit - nicht mit der Begründung bejaht werden, es sei der ab dem 31.3.2007 geltende Tatbestand der Nachstellung iS des § 238 StGB erfüllt.

64

Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats dient das Merkmal der Rechtsfeindlichkeit, wie sie sich durch das Begehen einer vorsätzlichen Straftat zeigt, einer normativen Grenzziehung gegenüber Verhaltensweisen, die den Rahmen des gesellschaftlichen Lebens nicht überschreiten. Diese Abgrenzung erfordert nach Auffassung des Senats ein Abstellen auf die zum Zeitpunkt der Tat jeweils geltende Rechtslage. Ungeachtet des im Strafrecht geltenden absoluten Rückwirkungsverbots nach Art 103 Abs 2 GG drohen im Opferentschädigungsrecht anderenfalls Billigkeitserwägungen. Es müsste nämlich der Unrechtsgehalt einer erst im Zeitpunkt der Entscheidungsfindung strafbaren Handlung auf Zeiträume erstreckt werden, in denen das entsprechende Täterverhalten nicht strafbar gewesen ist. Die für die Bewertung des Täterverhaltens maßgebende normative Grenze würde dadurch klare Konturen verlieren.

65

Zum einen ist die Frage, auf welche Handlungen der Staat seinen Strafanspruch erstrecken will, dem Wandel gesellschaftlicher Phänomene und Anschauungen unterworfen (vgl hierzu auch Pollähne, NK 2002, 56, 58). Dies zeigt sich gerade auch in der Aufnahme des Tatbestands der Nachstellung in das StGB, die auf die zunehmende Bedeutung des Phänomens des Stalking und den als unzureichend angesehenen Schutz der betroffenen Personen zurückzuführen ist (vgl BT-Drucks 16/575 S 1; Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks 16/3641 S 1). Ein anderes Beispiel ist der erst seit 1.4.1998 strafbare Versuch einer Körperverletzung nach § 223 Abs 2 StGB(Gesetz vom 26.1.1998, BGBl I 164). Zum anderen kann von einer Feindlichkeit des Täters gegen das Strafgesetz nur bei einem - willentlichen - Bruch der zum Zeitpunkt der Tat geltenden Rechtsordnung gesprochen werden. Auf den von der Beklagten angesprochenen Gesichtspunkt eines Schutzes des Täters vor Regressforderungen des Staates nach § 5 OEG iVm § 81a BVG kommt es insofern nicht entscheidend an.

66

bb) Ist danach stets auf die zum Tatzeitpunkt geltende Rechtslage abzustellen, kommen im vorliegenden Fall, der insbesondere Stalkinghandlungen in der Zeit von Oktober 2001 bis Dezember 2003 (jedenfalls vor Inkrafttreten des § 238 StGB) betrifft, opferentschädigungsrechtlich als Straftatbestände insbesondere die Körperverletzung(§§ 223, 229 StGB), die Nötigung (§ 240 StGB), die sexuelle Nötigung (§ 177 StGB), die Bedrohung (§ 241 StGB) und die Beleidigung (§ 185 StGB) in Betracht (vgl BT-Drucks 16/575 S 6).

67

Zudem ist nach Auffassung des Senats für den Zeitraum ab 1.1.2002 eine Strafbarkeit des maßgeblichen Verhaltens nach § 4 GewSchG ausreichend, um - bei Vorliegen weiterer Voraussetzungen - einen Entschädigungsanspruch nach § 1 Abs 1 Satz 1 OEG begründen zu können. Mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe ist nach § 4 GewSchG ein Verstoß gegen eine vollstreckbare Anordnung nach § 1 GewSchG strafbar, die tatbestandlich eine vorangegangene vorsätzliche und rechtswidrige Verletzung des Körpers, der Gesundheit oder der Freiheit einer anderen Person voraussetzt(§ 1 Abs 1 Satz 1 GewSchG). Zum Schutz der betroffenen Person kann das Gericht gemäß § 1 Abs 1 Satz 3 GewSchG insbesondere anordnen, dass der Täter es unterlässt, die Wohnung der verletzten Person zu betreten(Nr 1), sich in einem bestimmten Umkreis der Wohnung der verletzten Person aufzuhalten (Nr 2), zu bestimmende andere Orte aufzusuchen, an denen sich die verletzte Person regelmäßig aufhält (Nr 3), Verbindung zur verletzten Person, auch unter Verwendung von Fernkommunikationsmitteln, aufzunehmen (Nr 4), Zusammentreffen mit der verletzten Person herbeizuführen (Nr 5), soweit dies nicht zur Wahrnehmung berechtigter Interessen erforderlich ist. Entsprechende Anordnungen können bei einer widerrechtlichen Drohung mit einer Verletzung des Körpers, der Gesundheit oder der Freiheit einer anderen Person (§ 1 Abs 2 Satz 1 Nr 1 GewSchG)und bei einem widerrechtlichen Eindringen in die Wohnung einer anderen Person (§ 1 Abs 2 Satz 1 Nr 2 Buchst a GewSchG) ergehen, sowie gegenüber demjenigen, der eine andere Person dadurch unzumutbar belästigt, dass er ihr gegen den ausdrücklich erklärten Willen wiederholt nachstellt oder sie unter Verwendung von Fernkommunikationsmitteln verfolgt (§ 1 Abs 2 Satz 1 Nr 2 Buchst a GewSchG).

68

Der Gesetzgeber hat insoweit den Schwerpunkt der rechtlichen Maßnahmen gegen häusliche Gewalt und "unzumutbare Belästigungen" (also "Stalking") zunächst nur auf zivilrechtlicher Ebene gesetzt und die Strafbarkeit des Verhaltens durch eine Kriminalisierung des Ungehorsams gegenüber vollstreckbaren gerichtlichen Anordnungen eröffnet (Pollähne, NK 2002, 56, 58). Wenngleich hierbei vorrangiges Ziel des Gesetzgebers war, die verfahrensrechtliche Geltendmachung von zivilrechtlichen Unterlassungsansprüchen zu erleichtern, die Effizienz der Vollstreckung zivilgerichtlicher Entscheidungen zu verbessern und bei dem Verstoß gegen eine gerichtliche Schutzanordnung ein Eingreifen der Polizei zu ermöglichen (so der Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 5.3.2001, BT-Drucks 14/5429 S 1, 10; Grziwotz, NJW 2002, 872, 873 f; vgl auch Rupp, Rechtstatsächliche Untersuchung zum Gewaltschutzgesetz, Berlin 2005, S 89 ff), ist die Einbeziehung solcher strafbaren Vorsatztaten in die opferentschädigungsrechtliche Bewertung nach § 1 Abs 1 Satz 1 OEG nicht nur wegen der sachlichen Nähe zur sog Gewaltkriminalität gerechtfertigt, sondern auch wegen der mit einem Zuwiderhandeln gegen eine entsprechende Schutzanordnung des Gerichts eindeutig hervortretenden Rechtsfeindlichkeit des Täters, des willentlichen Bruchs der Rechtsordnung.

69

Soweit der Täter durch sein Verhalten gegen eine vollstreckbare Anordnung nach § 1 GewSchG verstößt und sich dadurch nach § 4 GewSchG strafbar macht, ist die Grenze zum tätlichen Angriff iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG - ungeachtet ggf einschlägiger Straftatbestände nach dem StGB - überschritten, wenn die Tat durch Mittel körperlicher Gewalt gegen die durch die Anordnung geschützte Person begangen wird und/oder der rechtswidrig herbeigeführte Zustand mittels Tätlichkeiten aufrechterhalten wird. Insoweit gelten ähnliche Grundsätze wie bei der opferentschädigungsrechtlichen Bewertung der Freiheitsberaubung nach § 239 StGB(vgl BSG Urteil vom 30.11.2006 - B 9a VG 4/05 R - SozR 4-3800 § 1 Nr 10 RdNr 13; BSG Urteil vom 2.10.2008 - B 9 VG 2/07 R - juris RdNr 15). Auch mit einem nach § 4 GewSchG strafbaren Verhalten muss eine körperliche Gewaltanwendung einhergehen, um einen tätlichen Angriff iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG bejahen zu können(offen gelassen für die Freiheitsberaubung, vgl BSG Urteil vom 30.11.2006 - B 9a VG 4/05 R - SozR 4-3800 § 1 Nr 10 RdNr 13; BSG Urteil vom 2.10.2008 - B 9 VG 2/07 R - juris RdNr 15). Aus einem Verstoß gegen eine Schutzanordnung nach § 1 GewSchG kann nämlich nicht ohne Weiteres auf eine objektive Gefährdung der körperlichen Unversehrtheit oder des Lebens des Opfers durch eine Tätlichkeit geschlossen werden.

70

3. Gemessen an diesen Kriterien ist es dem erkennenden Senat anhand der bisherigen Tatsachenfeststellungen des LSG nicht möglich, abschließend zu beurteilen, inwiefern die einzelnen Stalkinghandlungen des H. vorsätzliche, rechtswidrige tätliche Angriffe gegen die Klägerin iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG darstellen.

71

a) Eine Wertung als tätlicher Angriff scheidet allerdings von vornherein für alle Telefonate, SMS, Briefe, Karten, Geschenke und dergleichen sowie für das bloße Klingeln an der Haustür der Klägerin aus, wodurch H. die Klägerin allerdings in erheblicher Weise belästigt hat. Denn insoweit fehlt es an einer unmittelbar drohenden Gewaltanwendung auch soweit einzelne Mitteilungen ernste Drohungen enthielten. Entsprechend verhält es sich mit den von H. missbräuchlich veranlassten Notfalleinsätzen, Dienstleistungen oder Lieferungen zur Wohnung der Klägerin, zumal die beauftragten Personen - soweit ersichtlich - in keiner Weise gegenüber der Klägerin gewalttätig geworden sind.

72

b) Nach den festgestellten Gegebenheiten kann es nur bei persönlichen Begegnungen des H. mit der Klägerin zu einem tätlichen Angriff gekommen sein. Dabei ist es nach den Feststellungen des LSG wiederholt zu Drohungen und Belästigungen gekommen. Inwieweit eine Gewaltanwendung durch H. unmittelbar bevorstand, lässt sich den berufungsgerichtlichen Tatsachenfeststellungen weitestgehend nicht entnehmen, zumal es nach der Rechtsauffassung des LSG nicht darauf ankam.

73

Eine gewisse Sonderstellung nimmt das Geschehen am 18.7.2003 ein. Unter ständigem Einreden auf die Klägerin ist H. ihr an diesem Tag vom Hauseingang ihrer Wohnung gefolgt und mit ihr in demselben Bus gefahren, bis er sie vor dem Eingang eines Copy-Geschäfts am Arm festgehalten und zu sich umgerissen hat. Hierin könnte ein vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG zu sehen sein. Jedenfalls liegt es nahe, eine strafbare, unmittelbar auf den Körper der Klägerin zielende gewaltsame Einwirkung anzunehmen.

74

Die Handlung des H. ist nicht wegen eines Verstoßes gegen § 4 GewSchG strafbar, da sie zeitlich vor der Schutzanordnung des AG B. vom 19.8.2003 liegt. Vielmehr kommt eine Strafbarkeit als Nötigung gemäß § 240 Abs 1 StGB in Betracht, da H. die Klägerin gegen ihren klar erkennbaren Willen durch körperliche Gewalt am Fortgehen gehindert hat. Diese - an sich nicht gravierende - Gewaltanwendung dürfte unter normalen Umständen zwischenmenschlicher Auseinandersetzungen in aller Regel nicht verwerflich iS des § 240 Abs 2 StGB sein(vgl zur umstrittenen Anwendung und Auslegung der Verwerflichkeitsklausel jüngst BVerfG Kammerbeschluss vom 7.3.2011 - 1 BvR 388/05 - juris RdNr 38 ff). Dies gilt angesichts der vorangegangenen Drohungen und Belästigungen durch H. seit Oktober 2001 im vorliegenden Fall hingegen nicht. Fraglich könnte allerdings sein, ob unter Berücksichtigung der Umstände des Tatgeschehens aus der Sicht eines objektiven vernünftigen Dritten eine hinreichende Gefahr für Leib oder Leben der Klägerin anzunehmen ist. Diese Feststellung obliegt der tatrichterlichen Würdigung, die der Senat im Revisionsverfahren nicht vornehmen kann (vgl § 163 SGG).

75

Etwas anders verhält es sich mit den Vorgängen am 2. und 3.10.2003. An diesen Tagen hat H. auf die Klägerin vor ihrer Wohnungstür gewartet und ist ihr beim Verlassen des Hauses entgegengegangen, mit der Folge, dass die Klägerin in ihr Haus zurückgekehrt ist und sich zur Arbeit hat abholen lassen. Mit dieser Handlung hat H. in strafbarer Weise gegen die Schutzanordnung des AG B. vom 19.8.2003 verstoßen. Nach den bisher getroffenen Feststellungen des LSG ist darin jedoch noch keine körperliche Gewaltanwendung gegenüber der Klägerin und damit kein tätlicher Angriff iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG zu sehen. Allein die Annäherung des H. kann - ohne Hinzutreten weiterer Umstände (zB Drohungen, aggressives Verhalten etc) - nicht als eine unmittelbar auf den Körper zielende Einwirkung gewertet werden.

76

4. Da der erkennende Senat die danach noch fehlenden Tatsachenfeststellungen im Revisionsverfahren nicht nachholen kann, ist das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache an das LSG zurückzuverweisen (vgl § 170 Abs 2 Satz 2 SGG).

77

Soweit das LSG nach weiteren Ermittlungen hinsichtlich einzelner Begegnungen der Klägerin mit H. zu dem Ergebnis kommen sollte, dass die Klägerin Opfer eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG oder sogar von mehreren derartigen Angriffen geworden ist, wird es nach der entschädigungsrechtlichen Kausalitätslehre der wesentlichen Bedingung die Frage eines wahrscheinlichen Ursachenzusammenhangs zwischen den betreffenden schädigenden Vorgängen und der bei der Klägerin bestehenden psychischen Krankheit zu prüfen haben. Hierbei ist in aller Regel die Hinzuziehung medizinischen Sachverstands erforderlich.

78

Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten darüber, ob das Sozialgericht (SG) das damals zuständige (jetzt beigeladene) Land zu Recht verurteilt hat, eine bei der Klägerin vorliegende Gesundheitsstörung als Folge eines schädigenden Ereignisses iS des § 1 Abs 1 Satz 1 Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (Opferentschädigungsgesetz) festzustellen.

2

Die am 2.10.1954 geborene Klägerin ließ sich im Jahr 2000 zwei Mal von einem Arzt für Gynäkologie operieren. Zunächst saugte dieser am 13.1.2000 im Rahmen eines kosmetischen Eingriffs Fett ab. Danach traten Komplikationen auf. Am 20.6.2000 versuchte der Arzt, eine bestehende Fettschürze zu korrigieren und saugte weiteres Fett ab. Nach diesem Eingriff kam es zu erheblichen Gesundheitsstörungen, die im Krankenhaus behandelt werden mussten.

3

Zur Zeit der Operationen litt die Klägerin neben dem erheblichen Übergewicht an einer Koronarinsuffizienz, Bluthochdruck, Lungeninsuffizienz, insulinpflichtigem Diabetes mellitus sowie einer Darmerkrankung. Darauf machte sie den Arzt vor den operativen Maßnahmen aufmerksam. Dieser wies sie sodann bewusst nicht darauf hin, dass angesichts der Vorerkrankungen bei den Operationen mit einem erheblichen Gesundheitsrisiko, ggf sogar mit Todesfolge, zu rechnen sei. Die notwendige Aufklärung unterließ der Gynäkologe aus finanziellen Motiven, weil ihm bewusst war, dass die Klägerin sonst von den Operationen abgesehen hätte. Er dokumentierte weder ein Aufklärungsgespräch noch eine Einwilligung. Darüber hinaus täuschte er die Klägerin über seine Befähigung, die Eingriffe fachgerecht vornehmen zu können.

4

Das Landgericht Aachen verurteilte den Gynäkologen wegen vorsätzlicher gefährlicher Körperverletzung gemäß §§ 223, 224 Abs 1 Nr 5 Strafgesetzbuch (StGB) aufgrund des operativen Eingriffs vom 13.1.2000 zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten sowie aufgrund des weiteren Eingriffs vom 20.6.2000 zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten. Unter Einbeziehung zahlreicher weiterer Taten zum Nachteil anderer Patienten wurde der Gynäkologe zu einer mehrjährigen Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt (rechtskräftiges Urteil vom 17.7.2002 - 61 KLs/42 Js 1109/00).

5

Am 22.11.2003 beantragte die Klägerin beim seinerzeit zuständigen Versorgungsamt Aachen Leistungen der Beschädigtenversorgung nach dem OEG iVm dem Bundesversorgungsgesetz (BVG). Diesen Antrag lehnte das Versorgungsamt nach Beiziehung des Strafurteils durch Bescheid vom 9.1.2004 mit der Begründung ab, die Voraussetzungen des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG lägen nicht vor. Das OEG bezwecke ausschließlich die Entschädigung von Kriminalitätsopfern, die vom Staat trotz des von diesem in Anspruch genommenen Gewaltmonopols im Einzelfall nicht ausreichend hätten geschützt werden können. Die hier der strafrechtlichen Verurteilung zugrunde liegenden ärztlichen Kunstfehler seien von diesem Schutzzweck naturgemäß nicht erfasst. Es fehle an einer feindseligen Tendenz im Sinne des OEG. Den Widerspruch der Klägerin wies die Bezirksregierung Münster mit Bescheid vom 22.6.2004 zurück.

6

Das von der Klägerin angerufene SG Aachen hat nach Einholung mehrerer medizinischer Gutachten mit Urteil vom 21.12.2006 das (jetzt beigeladene) Land Nordrhein-Westfalen (NRW) unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide verurteilt, die bei der Klägerin vorliegende Gesundheitsstörung "Zustand nach Abdominalplastik mit zwei großen quer verlaufenden Narben im Ober- und Unterbauch mit korrigiertem Nabel mit Sensibilitätsstörungen im Narbenbereich" als durch ein schädigendes Ereignis iS von § 1 Abs 1 Satz 1 OEG hervorgerufene Gesundheitsstörung festzustellen. Die darüber hinausgehende Klage auf Gewährung von Versorgung hat das SG - mittlerweile (nach Rücknahme der Berufung der Klägerin) rechtskräftig - abgewiesen, weil die festgestellte Gesundheitsstörung lediglich eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 10 vH bedinge.

7

Gegen seine Verurteilung hat das Land NRW Berufung eingelegt. Dieses Rechtsmittel ist nach Inkrafttreten des § 4 Abs 1 Gesetz zur Eingliederung der Versorgungsämter in die allgemeine Verwaltung des Landes Nordrhein-Westfalen(= Art 1 Zweites Gesetz zur Straffung der Behördenstruktur in Nordrhein-Westfalen vom 30.10.2007, GVBl NRW 482, ) ab 1.1.2008 vom Landschaftsverband Rheinland weiter geführt und sodann vom Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (LSG) mit Urteil vom 21.5.2008 zurückgewiesen worden. Diese Entscheidung ist auf folgende Erwägungen gestützt:

8

Zum 1.1.2008 sei ein Beteiligtenwechsel kraft Gesetzes eingetreten. Berufungsführer sei seitdem der Landschaftsverband Rheinland. Ob sich dieser als neuer Beklagter gegen die Anerkennung von Schädigungsfolgen wende oder dies dem notwendig beigeladenen Land als weiterhin materiell Verpflichtetem obliege, ändere am Tenor der Berufungsentscheidung nichts, denn weder das Land noch der Landschaftsverband hätten einen Anspruch auf Aufhebung des Urteils des SG.

9

Zu Recht habe dieses die streitbefangenen ärztlichen Maßnahmen als tätliche Angriffe iS von § 1 Abs 1 Satz 1 OEG bewertet. Nach den Feststellungen des Landgerichts, die der Senat sich zu eigen mache, habe der Gynäkologe die vor den Eingriffen notwendige Aufklärung aus finanziellen Motiven unterlassen. Er habe die Klägerin bewusst nicht darauf hingewiesen, dass angesichts der Vorerkrankungen mit einem erheblichen Gesundheitsrisiko, ggf sogar mit Todesfolge, während und nach den Operationen zu rechnen gewesen sei. Auch sei ihm klar gewesen, dass sich die Klägerin bei ordnungsgemäßer Aufklärung gegen die Operationen entschieden hätte. Dies habe der Gynäkologe zumindest billigend in Kauf genommen. Damit stellten die operativen Eingriffe tatbestandlich vorsätzliche Körperverletzungen iS des § 223 StGB dar, die nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) mangels wirksamer Einwilligung auch rechtswidrig gewesen seien. Eine wirksame Einwilligung liege danach nur vor, wenn der Patient in der gebotenen Weise über den Eingriff, seinen Verlauf, seine Erfolgsaussichten, Risiken und mögliche Behandlungsalternativen aufgeklärt worden sei.

10

Der Arzt habe durch die Operationen unmittelbar in die körperliche Integrität der Klägerin eingegriffen. Zwar habe er keinen Widerstand der Klägerin überwinden müssen. Diese Situation habe er sich jedoch nur verschaffen können, weil er die Klägerin zuvor über die Risiken der Operation und seine Befähigung, die Eingriffe fachgerecht vornehmen zu können, getäuscht habe. Ob zwischen dem Arzt und der Klägerin ein besonderes Vertrauensverhältnis bestanden habe, sei in diesem Zusammenhang unerheblich. Die von dem Gynäkologen vorgenommenen Eingriffe stellten auch keine Heilbehandlung dar, denn es sei keine objektive Heiltendenz feststellbar. Zudem handle es sich bei der von § 1 Abs 1 OEG geforderten Feindseligkeit der Tathandlung nicht um eine innere Tatsache. Was feindselig sei, bestimme das Strafgesetz. Feindselig in diesem Sinne seien alle § 223 StGB zuzuordnenden, strafbewehrten Tathandlungen. Unschädlich sei, dass die im Rahmen der Operationen begangenen Kunst- und Behandlungsfehler nur fahrlässiger Natur gewesen seien.

11

Die Klägerin habe durch die beiden durchgeführten Operationen eine gesundheitliche Schädigung erlitten, an deren Folgen sie fortdauernd leide. Art und Umfang der insoweit verbliebenen Gesundheitsstörung seien von den Beteiligten unstreitig gestellt worden.

12

Der Beklagte macht mit seiner nach Zulassung durch den erkennenden Senat eingelegten Revision eine Verletzung von § 1 Abs 1 OEG geltend. Zur Begründung führt er ua aus:

13

Durch die Regelungen des OEG wolle der Staat für den Schutz der Bürgerinnen und Bürger insbesondere vor gesundheitlichen Schädigungen durch kriminelle Handlungen wie vor allem Gewalttaten einstehen. Im Lichte dieses Gesetzeszwecks seien auch die einzelnen Tatbestandsmerkmale auszulegen. Ein vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff iS des § 1 Abs 1 OEG setze daher eine in feindseliger Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielende gewaltsame, in der Regel auch handgreifliche Einwirkung voraus.

14

An einer feindseligen Willensrichtung fehle es hier. Zwar hätten Eingriffe in die körperliche Integrität eines anderen grundsätzlich die Tendenz, diesen zum bloßen Objekt herabzuwürdigen; sie seien deshalb als feindselig zu werten. Wenn aber im Rahmen eines Arzt-Patienten-Verhältnisses die Einwilligung zur Operation vorliege, verliere der Eingriff in die körperliche Integrität seine feindselige Qualität. Im vorliegenden Fall bestehe die Besonderheit, dass die Klägerin zwar ihre Einwilligung in beide Operationen gegeben habe, diese aber vom Täter erschlichen worden seien. Das LSG schließe ohne eigene Sachaufklärung aus den vom Landgericht in seinem Strafurteil benannten Motiven für das Erschleichen der Einwilligung und aus der Tatsache der strafrechtlichen Verurteilung, dass der Gynäkologe keine Heilbehandlung vorgenommen habe, weil die Eingriffe nicht zur Heilung geeignet gewesen seien. Letzteres lasse sich aber den einschlägigen Passagen des Landgerichtsurteils nicht entnehmen. Es könne daher nicht davon ausgegangen werden, dass der Operateur der Klägerin insofern rechtsfeindlich gesonnen gewesen sei, als er sie dauerhaft habe schädigen wollen. Eine rechtsfeindliche Willensrichtung lasse sich zwar für die fehlerhafte Aufklärung über die Operationsrisiken bejahen. Hieraus resultiere aber nicht gleichzeitig eine rechtsfeindliche Willensrichtung hinsichtlich der anschließenden Operationen. Das Vertrags- und Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient gestatte nur dann die Annahme einer feindseligen Willensrichtung hinsichtlich des operativen Eingriffs, wenn dies bestimmte äußere Umstände nahelegten, etwa wenn sich der Operierende fälschlich als Arzt ausgebe.

15

Der Beklagte beantragt,

die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 21.5.2008 und des Sozialgerichts Aachen vom 21.12.2006 abzuändern und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.

16

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

17

Sie hält die Ausführungen des LSG für zutreffend.

18

Die beigeladene Bundesrepublik Deutschland hat wie folgt Stellung genommen: Generell liege bei ärztlichen Kunstfehlern keine Gewalttat iS des § 1 Abs 1 OEG vor. Eine strafrechtliche Verurteilung wegen Körperverletzung führe zwar in der Regel auch zur Bejahung eines tätlichen Angriffs. Jedoch sei dies nicht zwangsläufig so. Zusätzlich sei nämlich auch ein tätlicher Angriff in feindseliger Willensrichtung erforderlich. Daran fehle es im konkreten Fall. Das LSG habe den feindseligen Akt wohl im Erschleichen der Einwilligung durch bewusst unzureichende Aufklärung gesehen. Es leuchte jedoch nicht ein, warum ein tätlicher Angriff im Sinne des OEG davon abhängen solle, dass der Arzt die Patientin mit Eventualvorsatz unzureichend aufgeklärt habe. Mit einer solchen Argumentation könne praktisch jeder ärztliche Heileingriff, bei dem eine wirksame Einwilligung fehle, als OEG-Fall anerkannt werden, und zwar selbst dann, wenn der ärztliche Eingriff richtig und erfolgreich ausgeführt worden sei und ein Kunstfehler daher überhaupt nicht vorliege. Eine entsprechende Ausweitung des vom OEG erfassten Personenkreises sei vom Gesetzgeber nicht beabsichtigt gewesen. Die Rechtsentwicklung zum Bereich des sexuellen Missbrauchs von Kindern lasse sich auf den Bereich ärztlicher Kunstfehler nicht anwenden. Die tatbestandliche Ausgangslage sei eine gänzlich andere.

Entscheidungsgründe

19

1. Die Revision des Beklagten ist zulässig. Richtiger Beklagter und Revisionskläger ist nunmehr der Direktor des Landschaftsverbandes Rheinland.

20

a) Zutreffend ist das LSG davon ausgegangen, dass es mit Inkrafttreten von § 4 Abs 1 Eingliederungsgesetz zum 1.1.2008 im Verlauf des Berufungsverfahrens zu einem Beteiligtenwechsel kraft Gesetzes auf der Beklagtenseite gekommen ist (vgl hierzu BSG, Urteil vom 5.7.2007 - B 9/9a SB 2/07 R - BSGE 99, 9 = SozR 4-3250 § 69 Nr 6, jeweils RdNr 13 f; BSG, Urteil vom 28.7.2008 - B 1 KR 5/08 R - BSGE 101, 177 = SozR 4-2500 § 109 Nr 6, jeweils RdNr 13; BSG, Urteil vom 11.12.2008 - B 9 VS 1/08 R - BSGE 102, 149 = SozR 4-1100 Art 85 Nr 1, jeweils RdNr 20; BSG, Urteil vom 11.12.2008 - B 9 V 3/07 R - juris RdNr 21; BSG, Urteil vom 23.4.2009 - B 9 VG 1/08 R -, juris RdNr 22; BSG, Urteil vom 25.6.2009 - B 10 EG 8/08 R - BSGE 103, 291 = SozR 4-7837 § 2 Nr 2, jeweils RdNr 19; BSG, Urteil vom 30.9.2009 - B 9 VG 3/08 R - BSGE 104, 245, auch zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen, RdNr 26). Durch § 4 Abs 1 Eingliederungsgesetz wurden die den Versorgungsämtern übertragenen Aufgaben des Sozialen Entschädigungsrechts einschließlich der Kriegsopferversorgung mit Wirkung vom 1.1.2008 rechtswirksam auf die Landschaftsverbände übertragen. Ab diesem Zeitpunkt ist der für die Klägerin örtlich zuständige Landschaftsverband Rheinland gemäß § 6 Abs 1 OEG für die Versorgung nach diesem Gesetz zuständig.

21

b) Das LSG hat den Landschaftsverband Rheinland selbst als Beklagten behandelt. Die Klägerin hat ihre Klage im Verlauf des Revisionsverfahrens umgestellt und nunmehr gegen die nach § 70 Nr 3 SGG beteiligtenfähige Behörde - den Direktor des Landschaftsverbandes - gerichtet. Mit dieser Umstellung trägt sie der Rechtsprechung des 8. Senats des BSG Rechnung, wonach die Klage zwingend gegen die nach § 70 Nr 3 SGG für beteiligtenfähig erklärte Behörde zu richten ist, wenn ein Land - wie hier Nordrhein-Westfalen durch § 3 Gesetz zur Ausführung des SGG - das Behördenprinzip eingeführt hat (vgl BSG, Urteil vom 29.9.2009 - B 8 SO 19/08 R - RdNr 14). Demgegenüber hat der erkennende Senat die Auffassung vertreten (vgl Urteil vom 23.4.2009 - B 9 SB 3/08 R - juris RdNr 21), dass die nach § 70 Nr 1 SGG beteiligtenfähige juristische Person (hier der Landschaftsverband Rheinland) diese Fähigkeit nicht dadurch verliert, dass die für sie handelnde Behörde (hier der Direktor des Landschaftsverbandes Rheinland) durch Landesrecht iS des § 70 Nr 3 SGG für beteiligtenfähig erklärt worden ist. Zur Vermeidung einer Divergenz hat der erkennende Senat deshalb eine Umstellung der Klage angeregt; dem steht § 168 Satz 1 SGG nicht entgegen, weil sich der Klagegrund, also der dem Klageantrag zugrunde liegende Lebenssachverhalt, nicht geändert hat(vgl § 99 Abs 3 SGG).

22

2. Die Revision des Beklagten ist unbegründet, denn das LSG hat im Ergebnis zu Recht dessen Berufung gegen das Urteil des SG zurückgewiesen, mit dem dieses die entgegenstehende ablehnende Verwaltungsentscheidung aufgehoben und das seinerzeit beklagte Land zur Feststellung einer Gesundheitsstörung als Folge eines schädigenden Ereignisses iS von § 1 Abs 1 Satz 1 OEG verurteilt hat. Eine Rechtskraft dieser Entscheidung erstreckt sich gemäß § 141 Abs 1 Nr 1 SGG auf den jetzigen Beklagten.

23

Rechtsgrundlage für den von der Klägerin in zulässiger Weise mit einer kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 SGG)geltend gemachten Anspruch auf Feststellung einer bei ihr vorliegenden Gesundheitsstörung als Folge eines schädigenden Ereignisses ist § 1 Abs 1 Satz 1 OEG(idF vom 11.5.1976, BGBl I 1181). Danach erhält ua derjenige, der im Geltungsbereich des OEG infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine Person eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG. Reicht - wie hier - der Grad der Schädigungsfolgen für einen Anspruch auf Gewährung von Beschädigtenrente nicht aus (vgl § 31 Abs 1 BVG), hat der Beschädigte nach der gefestigten Rechtsprechung des BSG einen Anspruch auf isolierte Feststellung (Anerkennung) von Schädigungsfolgen. Denn die Feststellung von Schädigungsfolgen kann als eigenständiger begünstigender Verwaltungsakt Grundlage für weitere Ansprüche oder Rechtsfolgen sein, zB Ansprüche auf Heilbehandlung wegen der anerkannten Folgen einer Schädigung (vgl zum BVG bereits BSGE 9, 80, 83 f = SozR Nr 17 zu § 55 SGG; BSGE 12, 25, 26; BSGE 27, 22, 23 = SozR Nr 59 zu § 77 SGG; BSG, Urteil vom 2.6.1970 - 10 RV 69/68 - KOV 1971, 170; zum Soldatenversorgungsgesetz etwa BSGE 57, 171, 172 = SozR 1500 § 55 Nr 24 S 17; BSGE 68, 128, 129 f = SozR 3-3200 § 81 Nr 1 S 3; BSG SozR 3-1500 § 55 Nr 18 S 39; BSG SozR 3-3200 § 81 Nr 16 S 73; zum OEG etwa BSG, Urteil vom 18.10.1995 - 9/9a RVg 4/92 - BSGE 77, 1, 6 = SozR 3-3800 § 1 Nr 4 S 15).

24

Wie SG und LSG im Ergebnis zutreffend erkannt haben, steht der Klägerin gemäß § 1 Abs 1 Satz 1 OEG nach den Umständen des vorliegenden Falles ein Anspruch auf Feststellung der Gesundheitsstörungen zu, die Folgen der im Jahre 2000 von dem Gynäkologen durchgeführten Schönheitsoperationen sind. Denn diese ärztlichen Eingriffe sind als vorsätzliche, rechtswidrige tätliche Angriffe iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG zu werten. Der erkennende Senat legt dabei zunächst seine bisherige Rechtsprechung zum Rechtsbegriff "vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff" zugrunde (dazu unter a). Darüber hinaus ist die Rechtsprechung des BGH zur Strafbarkeit eines ärztlichen Eingriffs als vorsätzliche Körperverletzung von Bedeutung (dazu unter b). Für diesen Bereich entwickelt der Senat seine bisherige Rechtsprechung dahin weiter, dass ein ärztlicher Eingriff unter bestimmten Voraussetzungen als tätlicher Angriff anzusehen ist (dazu unter c). Diese Voraussetzungen liegen nach den für den Senat verbindlichen Tatsachenfeststellungen hier vor (dazu unter d).

25

a) Die Rechtsprechung des erkennenden Senats zur Auslegung des Rechtsbegriffs "vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff" iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG hat sich im Laufe der Jahre anhand einzelner Fallgestaltungen entwickelt. Sie hat sich weitgehend von subjektiven Merkmalen (wie etwa einer kämpferischen, feindseligen Absicht des Täters) gelöst und entscheidend auf die Rechtsfeindlichkeit, vor allem verstanden als Feindlichkeit gegen das Strafgesetz, abgestellt. Dabei hat der erkennende Senat je nach Fallkonstellation unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt und verschiedene Betrachtungsweisen zugrunde gelegt. Leitlinie des erkennenden Senats war insoweit der sich aus dem Sinn und Zweck des OEG ergebende Gedanke des Opferschutzes. Das Vorliegen eines tätlichen Angriffs hat der Senat daher aus der Sicht eines objektiven, vernünftigen Dritten beurteilt und insbesondere sozial angemessenes Verhalten ausgeschieden. Allgemein ist er in seiner bisherigen Rechtsprechung davon ausgegangen, dass als tätlicher Angriff grundsätzlich eine in feindseliger Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielende gewaltsame Einwirkung anzusehen ist, wobei in aller Regel die Angriffshandlung den Tatbestand einer - jedenfalls versuchten - vorsätzlichen Straftat gegen das Leben oder die körperliche Unversehrtheit erfüllt (vgl BSG, Urteil vom 10.9.1997 - 9 RVg 1/96 - BSGE 81, 42, 43 = SozR 3-3800 § 1 Nr 11 S 38; BSG, Urteil vom 4.2.1998 - B 9 VG 5/96 R - BSGE 81, 288, 289 = SozR 3-3800 § 1 Nr 12 S 42 f; BSG, Urteil vom 24.7.2002 - B 9 VG 4/01 R - BSGE 90, 6, 8 f = SozR 3-3800 § 1 Nr 22 S 103 f; BSG, Urteil vom 10.12.2003 - B 9 VG 3/02 R - SozR 4-3800 § 1 Nr 5 RdNr 6 f und zuletzt BSG, Urteil vom 2.10.2008 - B 9 VG 2/07 R - juris RdNr 14 ff).

26

Im Einzelnen hat der erkennende Senat bislang zu folgenden Fallkonstellationen entschieden:

27

Zunächst hat er unter Bezugnahme auf die Begründung zum Regierungsentwurf eines OEG (BT-Drucks 7/2506 S 13) für die Annahme einer Angriffshandlung eine in feindseliger Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielende Einwirkung verlangt und deshalb einen tätlichen Angriff bei der Flucht vor einem Einbrecher verneint (BSG, Urteil vom 7.11.1979 - 9 RVg 1/78 - BSGE 49, 98, 99 f = SozR 3800 § 1 Nr 1 S 2; BSG, Urteil vom 28.3.1984 - 9a RVg 1/83 - BSGE 56, 234, 236 = SozR 3800 § 1 Nr 4 S 9). Diese Rechtsprechung hat er später dahingehend präzisiert, dass unter einem tätlichen Angriff ein gewaltsames, handgreifliches Vorgehen gegen eine Person in kämpferischer, feindseliger Absicht zu verstehen ist, nicht jedoch sozial angemessenes Verhalten, wie das Hochheben einer jungen Frau auf einem Straßenfest (BSG, Urteil vom 23.10.1985 - 9a RVg 5/84 - BSGE 59, 46, 47 ff = SozR 3800 § 1 Nr 6 S 18 ff).

28

In Fällen sexuellen Missbrauchs von Kindern iS von § 176 StGB hat der Senat dann den Begriff des tätlichen Angriffs umfassender im Sinne von Rechtsfeindlichkeit verstanden. Danach kommt es nicht darauf an, welche innere Einstellung der Täter zu dem Opfer hatte und wie das Opfer die Tat empfunden hat. Für den Senat war allein entscheidend, dass die Begehensweise, nämlich sexuelle Handlungen, eine Straftat war, deretwegen die Täter in diesen Fällen auch bestraft worden sind (BSG, Urteil vom 18.10.1995 - 9 RVg 4/93 - BSGE 77, 7, 8 f = SozR 3-3800 § 1 Nr 6 S 23 f; BSG, Urteil vom 18.10.1995 - 9 RVg 7/93 - BSGE 77, 11, 13 = SozR 3-3800 § 1 Nr 7 S 28 f; ähnlich auch bei einer Aids-Infektion durch ungeschützten Geschlechtsverkehr: BSG, Urteil vom 18.10.1995 - 9 RVg 5/95 - BSGE 77, 18, 19 = SozR 3-3800 § 2 Nr 3 S 7).

29

Auch eine absichtliche Blockade mit einem Kraftfahrzeug ist als tätlicher Angriff angesehen worden, wenn das Opfer dem gegen ihn gerichteten körperlichen Angriff durch Ausweichen oder Flucht entgehen will und dadurch zu Schaden kommt. Der Senat hat es für genügend erachtet, dass das Handeln des Angreifers vorsätzlich und auf Rechtsbruch gerichtet war. In der Regel reicht danach der vorsätzliche rechtswidrige Angriff gegen die körperliche Integrität oder die körperliche Bewegungsfreiheit aus, um den Tatbestand (des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG) zu erfüllen (BSG, Urteil vom 12.12.1995 - 9 RVg 1/94 - SozR 3-3800 § 10a Nr 1 S 2 f).

30

Ebenso hat es der erkennende Senat beim Zünden eines Feuerwerkskörpers durch einen unbekannt gebliebenen Täter ausreichen lassen, dass das Verhalten des Täters auf Rechtsbruch gerichtet war und dadurch seine Rechtsfeindlichkeit erkennen ließ. Rechtsfeindlich handele, wer vorsätzlich und rechtswidrig einen Angriff gegen die körperliche Integrität eines anderen richte (BSG, Urteil vom 28.5.1997 - 9 RVg 1/95 - USK 9714).

31

Diese Rechtsprechung hat der Senat in seiner Entscheidung zur Gewalt gegen Sachen verbunden mit Drohungen gegenüber dem Opfer fortgeführt: Er ist dort zwar davon ausgegangen, dass ein vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff grundsätzlich eine in feindseliger Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielende, gewaltsame und in der Regel auch handgreifliche Einwirkung erfordert. Zugleich hat er jedoch klargestellt, dass nicht ein aggressives Verhalten, sondern die Rechtsfeindlichkeit des Täterhandelns für das Vorliegen der Anspruchsvoraussetzung des "tätlichen Angriffs" maßgeblich ist. Bei Drohungen gegenüber dem Opfer verbunden mit einer unmittelbaren Gewaltanwendung gegen eine Sache hat er es deshalb als entscheidend angesehen, ob aus der Sicht eines objektiven, vernünftigen Dritten ein unmittelbares Ansetzen zu einer gezielten Gewaltanwendung gegen eine Person gegeben ist (BSG, Urteil vom 10.9.1997 - 9 RVg 1/96 - BSGE 81, 42, 43 f = SozR 3-3800 § 1 Nr 11 S 38 f, ähnlich BSG, Urteil vom 3.2.1999 - B 9 VG 7/97 R - SozR 3-3800 § 1 Nr 14 S 56 zur Verletzungshandlung eines strafrechtlich schuldunfähigen, aber handlungsfähigen Kindes).

32

In seiner Entscheidung zur Verletzung durch Signalmunition in einer Silvesternacht hat der Senat ein zielgerichtetes, vorsätzliches, aggressives Verhalten gegen eine bestimmte Person nicht für erforderlich gehalten, sondern es für die Annahme eines "tätlichen Angriffs" ausreichen lassen, dass sich der Angriff gegen andere Personen als das Opfer gerichtet hat (BSG, Urteil vom 4.2.1998 - B 9 VG 5/96 R - BSGE 81, 288, 289 f = SozR 3-3800 § 1 Nr 12 S 42 ff). Weiter ist in dieser Entscheidung ausgeführt worden, dass die "Feindseligkeit", die den "tätlichen Angriff" iS des § 1 Abs 1 OEG kennzeichnet, schon dann zu bejahen ist, wenn mit der Einwirkung auf den Körper des Opfers - zumindest versuchsweise - vorsätzlich ein Straftatbestand verwirklicht wird. "Feindselig" handelt der Täter auch dann, wenn er unter Verstoß gegen ein Strafgesetz vorsätzlich auf den Körper eines anderen einwirkt (BSGE 81, 288, 292 = SozR 3-3800 § 1 Nr 12 S 46).

33

Zum "Mobbing" als einem sich über längere Zeit hinziehenden Konflikt zwischen dem Opfer und Personen seines gesellschaftlichen Umfeldes hat der erkennende Senat entschieden, dass nur bei einzelnen "Mobbing"-Aktivitäten die Schwelle zur strafbaren Handlung und somit zum kriminellen Unrecht überschritten werden könne; tätliche Angriffe lägen allerdings nur vor, wenn auf den Körper des Opfers gezielt eingewirkt werde, wie zB durch einen Fußtritt (BSG, Urteil vom 14.2.2001 - B 9 VG 4/00 R - BSGE 87, 276, 278 = SozR 3-3800 § 1 Nr 18 S 72).

34

In dem Fall einer Bedrohung mit einer scharf geladenen, entsicherten Schusswaffe hat der erkennende Senat, anknüpfend an sein Urteil vom 10.9.1997 (BSGE 81, 42 = SozR 3-3800 § 1 Nr 11), als tätlichen Angriff grundsätzlich eine in feindseliger Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielende gewaltsame Einwirkung angesehen. Er hat darauf hingewiesen, dass in aller Regel die Angriffshandlung iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG den Tatbestand einer vorsätzlichen Straftat gegen das Leben oder die körperliche Unversehrtheit erfüllen wird. Daneben seien aber auch Begehungsweisen denkbar, bei denen kein strafrechtlich relevanter Erfolg angestrebt werde. Es sei nicht einmal die körperliche Berührung oder auch nur ein darauf zielender Vorsatz erforderlich. Bereits die absichtliche, rechtswidrige Bedrohung eines anderen mit einer scharf geladenen entsicherten Schusswaffe stellt danach einen tätlichen Angriff dar (BSG, Urteil vom 24.7.2002 - B 9 VG 4/01 R - BSGE 90, 6, 8 f = SozR 3-3800 § 1 Nr 22 S 103 f). Diese Rechtsprechung hat der Senat in seiner Entscheidung zum Entfernen eines Gullydeckels fortgeführt und darin unter Bezugnahme auf die Entscheidung vom 4.2.1998 (BSGE 81, 288, 289 f = SozR 3-3800 § 1 Nr 12) weiter festgestellt, dass eine Handlung dann nicht als tätlicher Angriff gegen eine Person angesehen werden kann, wenn ihr die erforderliche unmittelbare (feindliche) Ausrichtung auf andere Menschen fehlt (BSG, Urteil vom 10.12.2003 - B 9 VG 3/02 R - SozR 4-3800 § 1 Nr 5 RdNr 6 f). An diese Rechtsprechung hat der Senat auch in seiner Entscheidung zur körperlichen Durchsuchung einer Person durch falsche Polizeibeamte angeknüpft (BSG, Urteil vom 2.10.2008 - B 9 VG 2/07 R - juris RdNr 14 ff).

35

In Bezug auf eine Kindesentziehung durch List hat der erkennende Senat darauf hingewiesen, dass der Rechtsbegriff des tätlichen Angriffs aus Gründen des sozialen und psychischen Schutzes der Opfer unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck des OEG speziell in Fällen eines sexuellen Missbrauchs von Kindern in der Weise ausgelegt worden ist, dass er auch ohne Gewaltanwendung die Ausübung des Geschlechtsverkehrs eines erwachsenen Mannes mit einem Kind unter 14 Jahren erfasst. Bei einer Kindesentziehung hat der Senat jedoch ein entsprechendes Begriffsverständnis abgelehnt, weil dies zu einer Ausweitung der vom OEG erfassten Tatbestände führen würde, die mit der auf eine körperliche Gewaltanwendung abstellenden gesetzgeberischen Konzeption unvereinbar wäre. Eine erweiternde Auslegung ist auch nicht zum Schutz des betroffenen Kindes geboten (vgl BSG, Urteil vom 12.2.2003 - B 9 VG 2/02 R - SozR 4-3800 § 1 Nr 1 RdNr 12).

36

In seiner Entscheidung zur Freiheitsberaubung hat der erkennende Senat ebenfalls maßgeblich darauf abgestellt, dass die Grenze zur Gewalttat iS des § 1 Abs 1 OEG jedenfalls dann überschritten ist, wenn eine Person durch Mittel körperlicher Gewalt ihrer Freiheit beraubt und/oder dieser Zustand durch Tätlichkeiten aufrecht erhalten wird(BSG, Urteil vom 30.11.2006 - B 9a VG 4/05 R - SozR 4-3800 § 1 Nr 10 RdNr 13).

37

Schließlich hat der erkennende Senat in seiner Entscheidung zu einem möglichen tätlichen Angriff eines 4 ½ jährigen Kindes gegen ein anderes Kind unter Bezugnahme auf die Entscheidung vom 4.2.1998 (BSGE 81, 288 = SozR 3-3800 § 1 Nr 12)erneut hervorgehoben, dass der als "feindselige" Einwirkung auf den Körper eines anderen definierte tätliche Angriff lediglich erfordert, dass (objektiv) gegen ein Strafgesetz verstoßen wird, das die körperliche Unversehrtheit eines anderen schützt. Dies kann bei einem Stoßen ins Wasser unter Umständen der Fall sein (vgl BSG, Urteil vom 8.11.2007 - B 9/9a VG 3/06 R - SozR 4-3800 § 1 Nr 11 RdNr 14, 17).

38

b) Grundvoraussetzung für die Bewertung eines ärztlichen Eingriffs als "vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff" iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG ist danach, dass dieser als vorsätzliche Körperverletzung strafbar ist. Deshalb ist die einschlägige Rechtsprechung der Strafgerichte, insbesondere des BGH, zu beachten. Danach erfüllt jeder ärztliche Eingriff den Tatbestand einer (vorsätzlichen) Körperverletzung iS des § 223 Abs 1 StGB. Er bedarf grundsätzlich der Einwilligung, um rechtmäßig zu sein. Diese Einwilligung kann nur wirksam erteilt werden, wenn der Patient in der gebotenen Weise über den Eingriff, seinen Verlauf, seine Erfolgsaussichten, seine Risiken und mögliche Behandlungsalternativen aufgeklärt worden ist. Aufklärungsmängel können eine Strafbarkeit des Arztes wegen (vorsätzlicher) Körperverletzung jedoch nur begründen, wenn der Patient bei einer ordnungsgemäßen Aufklärung nicht in den Eingriff eingewilligt hätte. Das Fehlen einer "hypothetischen Einwilligung" ist dem Arzt nachzuweisen. Eine Beschränkung der Strafbarkeit kann sich zudem unter dem Gesichtspunkt des Schutzzweckgedankens ergeben, wenn sich ein Risiko realisiert, das nicht in den Schutzbereich der verletzten Aufklärungspflicht fällt. Dies wird etwa dann in Betracht zu ziehen sein, wenn sich der Aufklärungsmangel lediglich aus dem unterlassenen Hinweis auf Behandlungsalternativen ergibt, der Patient jedoch eine Grundaufklärung über die Art sowie den Schweregrad des Eingriffs erhalten hat und auch über die schwerstmögliche Beeinträchtigung informiert ist (vgl aus der neueren Rechtsprechung: BGH, Urteil vom 29.6.1995 - 4 StR 760/94 - BGHR StGB § 223 Abs 1 Heileingriff 4 = MedR 1996, 22, 24 ; BGH, Urteil vom 19.11.1997 - 3 StR 271/97 - BGHSt 43, 306, 308 f = NJW 1998, 1802, 1803 ; BGH, Beschluss vom 15.10.2003 - 1 StR 300/03 - JR 2004, 251, 252 ; BGH, Urteil vom 20.1.2004 - 1 StR 319/03 - JR 2004, 469, 470 ; BGH, Urteil vom 5.7.2007 - 4 StR 549/06 - BGHR StGB § 223 Abs 1 Heileingriff 8 = MedR 2008, 158, 159; BGH, Urteil vom 23.10.2007 - 1 StR 238/07 - MedR 2008, 435, 436 <"Turboentzug">; dazu auch Fischer, StGB, 57. Aufl 2010, § 223 RdNr 9, 15 ff, § 228 RdNr 12 ff).

39

c) Der erkennende Senat entwickelt seine bisherige Rechtsprechung zur Auslegung des Rechtsbegriffs "vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff" iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG für die besondere Fallkonstellation des als vorsätzliche Körperverletzung strafbaren ärztlichen Eingriffs weiter.

40

In aller Regel wird zwar eine Handlung, die den Tatbestand einer - jedenfalls versuchten - vorsätzlichen Straftat gegen das Leben oder die körperliche Unversehrtheit erfüllt, eine Angriffshandlung iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG sein. Die Verletzungshandlung im OEG hat jedoch durch das Tatbestandsmerkmal "vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff" - allerdings in Anknüpfung an die Vorschriften des StGB - eine eigenständige gesetzliche Ausprägung gefunden (vgl hierzu BSG, Urteil vom 28.3.1984 - 9a RVg 1/83 - BSGE 56, 234, 235 f = SozR 3800 § 1 Nr 4 S 8 f; BSG, Urteil vom 24.4.1991 - 9a/9 RVg 1/89 - SozR 3-3800 § 1 Nr 1 S 2; BSG, Urteil vom 10.9.1997 - 9 RVg 1/96 - BSGE 81, 42, 43 = SozR 3-3800 § 1 Nr 11 S 38; BSG, Urteil vom 3.2.1999 - B 9 VG 7/97 R - SozR 3-3800 § 1 Nr 14 S 56). Das bedeutet, dass nicht jeder als vorsätzliche Körperverletzung strafbare ärztliche Eingriff zugleich ein "vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff" iS einer in feindseliger Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielenden gewaltsamen Einwirkung sein muss.

41

Dabei ist zum einen zu berücksichtigen, dass ärztliche Eingriffe - wie die gesamte Tätigkeit des Arztes - von einem Heilauftrag iS des § 1 Abs 1 Bundesärzteordnung(danach dient der Arzt der Gesundheit des einzelnen Menschen und des gesamten Volkes; vgl dazu auch § 1 Abs 1 Musterberufsordnung für die deutschen Ärztinnen und Ärzte) bestimmt werden (vgl hierzu Laufs in Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, 6. Aufl 2009, S 17 f; Quaas/Zuck, Medizinrecht, 2. Aufl 2008, S 233 f). Ärztliche Eingriffe werden demnach grundsätzlich in der Absicht durchgeführt, zu heilen und nicht in feindseliger Willensrichtung unmittelbar auf die körperliche Unversehrtheit des Patienten einzuwirken. Zum anderen ergibt sich die Strafbarkeit eines ärztlichen Eingriffs als vorsätzliche Körperverletzung gerade aus der Verknüpfung von vorsätzlichem Aufklärungsmangel, Fehlen einer wirksamen Einwilligung und damit rechtswidrigem Eingriff in die körperliche Unversehrtheit. Eine strafbare vorsätzliche Körperverletzung kann bei einem ärztlichen Eingriff bereits dann vorliegen, wenn der Arzt nicht ordnungsgemäß aufgeklärt hat und der Patient die Einwilligung zum ärztlichen Eingriff bei ordnungsgemäßer Aufklärung nicht erteilt hätte. Es sind deshalb durchaus Fälle denkbar, bei denen der vorsätzliche Aufklärungsmangel zwar zu einer strafbaren vorsätzlichen Körperverletzung führt, es wegen einer vorhandenen Heilungsabsicht jedoch nicht gerechtfertigt ist, den ärztlichen Eingriff als eine gezielte gewaltsame Einwirkung auf die körperliche Unversehrtheit des Patienten, mithin als eine feindselige Angriffshandlung iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG, zu bewerten(vgl etwa den der Entscheidung des BGH vom 20.1.2004 - 1 StR 319/03 - JR 2004, 469 zugrunde liegenden Fall der Durchführung einer zweiten Operation zur Bergung einer bei der ersten Operation abgebrochenen Bohrerspitze bei unterlassener Aufklärung über Grund und Anlass der Maßnahme).

42

Für die besondere Fallkonstellation des ärztlichen Eingriffs müssen deshalb - neben der Strafbarkeit als Vorsatztat - bestimmte weitere Voraussetzungen hinzukommen, bei deren Vorliegen die Grenze zur Gewalttat, also zum "vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriff", überschritten ist. Nach Auffassung des erkennenden Senats wird ein Patient unter Berücksichtigung des Schutzzwecks des OEG dann zum Gewaltopfer, wenn ein als vorsätzliche Körperverletzung strafbarer ärztlicher Eingriff objektiv - also aus der Sicht eines verständigen Dritten - in keiner Weise dem Wohl des Patienten dient. Dies ist insbesondere der Fall, wenn sich der Arzt bei seiner Vorgehensweise im Wesentlichen von eigenen finanziellen Interessen leiten lässt und die gesundheitlichen Belange des Patienten hintangestellt hat. Mit dem Abstellen auf das Wohl des Patienten werden neben den Fällen der Heilung einer behandlungsbedürftigen Erkrankung auch die Fälle reiner Schönheitsoperationen erfasst, also Fälle, in denen ohne jede medizinische Indikation allein den Schönheitsvorstellungen des Patienten dienende Eingriffe (s § 52 Abs 2 SGB V)vorgenommen werden.

43

Soweit der Beklagte mit der Revision einwendet, das besondere Vertrags- und Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient gestatte die Annahme einer feindseligen Willensrichtung bei einem operativen Eingriff nur dann, wenn dies bestimmte äußere Umstände nahelegten, etwa wenn sich der Operierende fälschlich als Arzt ausgebe, vermag ihm der Senat nicht in vollem Umfang zu folgen. Allein der Umstand, dass ein in keiner Weise zum Wohle des Patienten handelnder Operateur Arzt ist, kann die Annahme einer feindseligen Haltung nicht ausschließen. Auch ein Vertrags- und Vertrauensverhältnis, das der Arzt in rücksichtsloser, krimineller Weise verletzt, hindert es nicht, eine feindselige Willensrichtung bei der Operation anzunehmen, wenn die vom Senat als maßgebend angesehenen Umstände vorliegen. Ebenso wenig greift der Einwand durch, dass der Eingriff in die körperliche Integrität dann seine feindselige Qualität verliere, wenn im Rahmen eines Arzt-Patienten-Verhältnisses die Einwilligung zur Operation vorliege. Eine durch Täuschung erschlichene Einwilligung ist unwirksam. Sie steht daher weder einer Strafbarkeit noch der Bejahung einer Gewalttat entgegen.

44

Mit der beigeladenen Bundesrepublik Deutschland stimmt der Senat dahin überein, dass ärztliche Kunstfehler für sich genommen keine Gewalttaten iS des § 1 OEG sind. Denn Kunstfehler sind sorgfaltswidrige Verstöße gegen die Regeln der ärztlichen Kunst, die lediglich eine Strafbarkeit wegen fahrlässiger Körperverletzung nach § 229 StGB oder fahrlässiger Tötung nach § 222 StGB begründen (vgl dazu Fischer, StGB, 57. Aufl 2010, § 223 RdNr 13c). Stellt der ärztliche Eingriff allerdings einen tätlichen Angriff dar, so ist es unerheblich, ob dabei Kunstfehler unterlaufen. Denn der Vorsatz des Täters muss sich nicht auf die eingetretene Schädigung beziehen (vgl BSG, Urteil vom 24.4.1991 - 9a/9 RVg 1/89 - SozR 3-3800 § 1 Nr 1 S 4; BSG, Urteil vom 12.12.1995 - 9 RVg 1/94 - SozR 3-3800 § 10a Nr 1 S 2; BSG, Urteil vom 3.2.1999 - B 9 VG 7/97 R - SozR 3-3800 § 1 Nr 14 S 57).

45

d) Gemessen an diesen Kriterien sind die von dem Gynäkologen im Jahr 2000 durchgeführten kosmetischen ärztlichen Eingriffe - im Ergebnis übereinstimmend mit dem SG und dem LSG - nicht nur als strafbare vorsätzliche gefährliche Körperverletzungen iS der §§ 223, 224 Abs 1 Nr 5 StGB, sondern auch als vorsätzliche, rechtswidrige tätliche Angriffe auf die körperliche Unversehrtheit der Klägerin iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG anzusehen. Denn sie dienten aus der Sicht eines verständigen Dritten in keiner Weise dem Wohl der Klägerin.

46

Das LSG hat dazu Folgendes festgestellt: Die Klägerin litt zum Zeitpunkt der Operationen neben dem erheblichen Übergewicht an Koronarinsuffizienz, Bluthochdruck, Lungeninsuffizienz, insulinpflichtigem Diabetes mellitus sowie einer Darmerkrankung. Obwohl sie den Gynäkologen auf ihre Vorerkrankungen aufmerksam gemacht hatte, wies sie dieser vor den Eingriffen bewusst nicht darauf hin, dass bei ihr mit einem erheblichen Gesundheitsrisiko, ggf sogar mit Todesfolge, zu rechnen war. Die notwendige Aufklärung unterließ der Gynäkologe aus finanziellen Motiven, weil ihm klar war, dass die Klägerin bei ordnungsgemäßer Aufklärung von den Operationen abgesehen hätte. Darüber hinaus täuschte er die Klägerin über seine Befähigung, die Eingriffe fachgerecht vornehmen zu können. Die an der Klägerin vorgenommenen Eingriffe waren insgesamt gesehen weder von einer objektiven noch einer subjektiven Heilungstendenz getragen. Das Landgericht hat beide kosmetischen ärztliche Eingriffe als strafbare vorsätzliche gefährliche Körperverletzungen gemäß §§ 223, 224 Abs 1 Nr 5 StGB bewertet und den Gynäkologen deswegen zu Freiheitsstrafen verurteilt.

47

Diese Tatsachenfeststellungen des LSG sind für den Senat bindend (§ 163 SGG), denn der Beklagte hat dagegen in der Revisionsbegründung keine zulässigen und begründeten Verfahrensmängel vorgebracht. Soweit er darin die Beweiswürdigung (§ 128 Abs 1 Satz 1 SGG)des LSG angreift, hat er schon nicht dargelegt, dass die Grenzen der freien Beweiswürdigung überschritten wurden, also gegen allgemeine Erfahrungssätze oder Denkgesetze verstoßen worden ist (stRspr; vgl etwa schon BSG SozR Nr 34 und Nr 56 zu § 128 SGG; hierzu auch BSG, Urteil vom 8.11.2005 - B 1 KR 18/04 R - SozR 4-2500 § 44 Nr 7 RdNr 16; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG 9. Aufl 2008, § 128 RdNr 10 ff). Der Senat hat deshalb bei der Beurteilung der Rechtslage von den Tatsachenfeststellungen des LSG auszugehen. Danach hat sich der Arzt bei seiner Vorgehensweise im Wesentlichen von eigenen Interessen leiten lassen und die gesundheitlichen Belange der Klägerin - gerade auch im Hinblick auf die erheblichen Vorerkrankungen - in sträflicher Weise hintangestellt.

48

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Tenor

Auf die Revision des Beklagten werden das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 13. Dezember 2012 und der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 23. April 2012 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Die Beteiligten haben einander in allen drei Rechtszügen keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin bei einem Banküberfall Opfer eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs iS des § 1 Abs 1 Opferentschädigungsgesetz (OEG) geworden ist.

2

Die 1985 geborene Klägerin ist als Bankkauffrau bei einer Bank beschäftigt. Am 13.2.2009 wurde sie während ihrer Tätigkeit bei einem Banküberfall von dem Täter (S.) mit einer ungeladenen, jedoch wie eine echte Schusswaffe aussehenden Schreckschusspistole bedroht. S. richtete dabei die Waffe aus naher Entfernung deutlich sichtbar zunächst auf den Kollegen K. der Klägerin und forderte diesen auf, Bargeld in die mitgebrachte Stofftasche zu packen und ihm zu übergeben. K. und die Klägerin, die an einem Schreibtisch hinter dem Kundenschalter saß, gingen von der Echtheit der ihnen vorgehaltenen vermeintlichen Schusswaffe aus und fürchteten um ihr Leben. Nach der Tat war die Klägerin zwei Wochen arbeitsunfähig krank und wurde psychologisch behandelt. Aufgrund dieses Vorganges wurde S. vom Landgericht H. wegen schwerer räuberischer Erpressung nach §§ 253, 255, 250 Abs 1 Nr 1b Strafgesetzbuch (StGB) rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt.

3

Der Antrag der Klägerin auf Entschädigung nach dem OEG blieb erfolglos (Bescheid des Beklagten vom 11.12.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.2.2010). Klage und Berufung sind für die Klägerin hingegen erfolgreich gewesen (Gerichtsbescheid des SG Heilbronn vom 23.4.2012 - S 2 VG 976/10 - und Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 13.12.2012 - L 6 VG 2210/12).

4

Das LSG hat die beigezogenen Überwachungsvideos vom Banküberfall in Augenschein genommen und die Berufung des Beklagten gegen den Gerichtsbescheid des SG zurückgewiesen, nachdem die Beteiligten zuvor den Streitgegenstand übereinstimmend auf die Feststellung beschränkt hatten, ob die Klägerin Opfer eines rechtswidrigen tätlichen Angriffs iS des § 1 OEG geworden ist. Das SG habe der Klage zu Recht stattgegeben, weil die Klägerin am 13.2.2009 Opfer eines Banküberfalles geworden sei. Hierbei handele es sich um einen vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriff (auch) gegenüber der Klägerin. Der Annahme eines tätlichen Angriffs stehe nicht entgegen, dass S. hierbei "nur" eine Schreckschusspistole bei sich geführt und damit beide Bankangestellten bedroht habe, weil es sich hierbei um eine täuschend echt aussehende Attrappe gehandelt habe. S. sei wegen schwerer räuberischer Erpressung verurteilt worden, dh wegen eines erschwerten Falles einer Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leben oder Leib iS des § 255 StGB. S. habe, wenn auch nicht durch unmittelbaren Körperkontakt, körperlich auf die Klägerin eingewirkt, da er sie durch die gezielte Bedrohung zur Aufgabe ihrer Bewegungsfreiheit gezwungen habe. Hierzu habe er ein physisches Mittel eingesetzt, das aus der objektiven Sicht eines vernünftigen Dritten als einsatzfähige Schusswaffe angesehen worden wäre. Mit dieser Waffe habe S. ua auf die Klägerin gezielt; aus der objektiven Sicht eines vernünftigen Dritten habe kein Zweifel daran bestehen können, dass S. bereit gewesen sei, mit der Waffe auf die Klägerin zu schießen. Für die Klägerin habe nicht nur aus deren Sicht, sondern auch aus der maßgeblichen objektiven Sicht eines vernünftigen Dritten akute Leibes- und Lebensgefahr bestanden, die sich jederzeit hätte realisieren können. Es liege andererseits eine nicht zu rechtfertigende Ungleichbehandlung vor, würde der mit einer geladenen und entsicherten Schusswaffe Bedrohte dem Schutz des OEG unterstellt, derjenige aber, der auch aus Sicht eines vernünftigen Dritten derselben Gefahrenlage ausgesetzt ist und deshalb zB beim Fluchtversuch oder einer Notwehrhandlung zu Schaden komme, vom Anwendungsbereich des OEG ausgenommen (Urteil vom 13.12.2012).

5

Mit seiner Revision rügt das beklagte Land eine Verletzung von § 1 Abs 1 S 1 OEG. Bei der Drohung mit einer ungeladenen Schreckschusspistole und somit einer lediglich vorgetäuschten, vermeintlichen Gefährdungssituation könne ein tätlicher Angriff nicht angenommen werden. Die vom Täter benutzte Waffe sei objektiv nicht geeignet gewesen, das Leben oder die körperliche Integrität der Klägerin zu gefährden. Eine intellektuell oder psychisch vermittelte Beeinträchtigung reiche insoweit nicht aus.

6

Das beklagte Land beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 13.12.2012 und den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 23.4.2012 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

7

Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

8

Sie hält die Entscheidungen der Vorinstanzen für rechtmäßig; die Revision schränke den Anwendungsbereich des § 1 OEG in unzulässiger Weise ein.

Entscheidungsgründe

9

Die zulässige Revision des Beklagten ist begründet. Das in der Berufungsinstanz reduzierte isolierte Feststellungsbegehren der Klägerin, ob sie Opfer eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs iS von § 1 Abs 1 S 1 OEG geworden ist, ist bereits unzulässig(dazu unter 1.). Aber auch die vor dem SG noch zulässig erhobene Klage ist unbegründet, weil die Klägerin am 13.2.2009 nicht Opfer eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs iS von § 1 Abs 1 S 1 OEG geworden ist(dazu unter 2.). Die bloße Bedrohung mit einer ungeladenen Schreckschusspistole erfüllt die Voraussetzungen eines tätlichen Angriffs nicht. Eine erweiternde Auslegung von § 1 Abs 1 S 1 OEG kommt nach Sinn und Zweck des Gesetzes nicht in Betracht. Der angefochtene Bescheid vom 11.12.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.2.2010 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Entsprechend waren der Gerichtsbescheid des SG vom 23.4.2012 sowie das Urteil des LSG vom 13.12.2012 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

10

1. Die Klägerin konnte ihr Begehren in der Berufungsinstanz nicht zulässig auf die isolierte Feststellung und Antwort auf die Rechtsfrage beschränken, ob sie Opfer eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs iS von § 1 Abs 1 S 1 OEG geworden sei.

11

a) Das SG hatte im Tenor seines Gerichtsbescheids noch festgestellt, dass das bei der Klägerin vorliegende posttraumatische Belastungssyndrom Folge eines tätlichen Angriffs sei. Im Berufungsverfahren stellte das LSG fest, dass es insoweit an ausreichenden Tatsachenfeststellungen fehlte. Das LSG wies die Beteiligten hierauf hin und veranlasste sie, sich darüber zu einigen, dass streitgegenständlich lediglich die Feststellung des schädigenden Ereignisses sein solle. Auf entsprechende Frage des Gerichts verzichtete die anwaltlich vertretene Klägerin sodann insoweit auf die Rechte aus dem Gerichtsbescheid, als darin ein posttraumatisches Belastungssyndrom festgestellt war.

12

Das LSG hätte in dieser prozessualen Situation in der Sache nicht mehr entscheiden dürfen. Die Klägerin konnte ihre vor dem SG ursprünglich zulässige kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage (§ 54 Abs 1 S 1, § 55 Abs 1 Nr 3 SGG; vgl Keller in Meyer-Ladewig/ Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 55 RdNr 3b und 13) im Berufungsverfahren nicht in zulässiger Weise auf die isolierte Feststellung beschränken, sie sei am 13.2.2009 Opfer eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs iS des § 1 Abs 1 S 1 OEG geworden. Ihr Feststellungsbegehren kann weder auf § 55 Abs 1 Nr 3 SGG(dazu unter b) noch auf § 55 Abs 1 Nr 1 SGG(dazu unter c) gestützt werden, weil nur eine isolierte Feststellung (Anerkennung) von Schädigungsfolgen im Sinne des OEG zulässig ist, nicht aber die Klärung einzelner Elemente als Vorfrage des Anspruchs nach § 1 Abs 1 S 1 OEG.

13

b) Nach § 55 Abs 1 Nr 3 SGG kann die Feststellung begehrt werden, ob eine Gesundheitsstörung oder der Tod die Folge eines Arbeitsunfalls, einer Berufskrankheit oder einer Schädigung im Sinne des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat. Die Vorschrift ist ein Sonderfall der grundsätzlich unzulässigen Elementenfeststellungsklage (vgl hierzu allgemein: Keller, aaO, RdNr 9 f und 13 mwN). Sie dient der Klärung der haftungsbegründenden Kausalität, dh ob zwischen einer Schädigung im Sinne des BVG bzw des sozialen Entschädigungsrechts und dem Eintritt eines Primär- oder Erstschadens ein hinreichender Kausal- bzw Zurechnungszusammenhang besteht (vgl BSG Urteile vom 9.12.1998 - B 9 V 46/97 R - BSGE 83, 171 = SozR 3-3100 § 7 Nr 5, RdNr 11 nach Juris und - B 9 V 45/97 R - SozR 3-1500 § 141 Nr 6, RdNr 11 nach Juris). Der Senat hat zuletzt mit Urteil vom 29.4.2010 (B 9 VG 1/09 R - BSGE 106, 91 = SozR 4-3800 § 1 Nr 17, RdNr 23 mwN) klargestellt, dass dies insbesondere dann von Bedeutung sein kann, wenn die eingetretene Gesundheitsstörung aktuell keinen Leistungsanspruch auslöst. Denn die Feststellung von Schädigungsfolgen kann als eigenständiger begünstigender Verwaltungsakt Grundlage für weitere Ansprüche oder Rechtsfolgen (zB Heilbehandlung) sein (vgl auch Keller, aaO, RdNr 13, 13a mwN). Vor diesem Hintergrund hätte für die Klägerin rechtlich keine Veranlassung bestanden, ihr Klagebegehren zu reduzieren.

14

Eine isolierte Feststellungsklage kommt auf der Grundlage des § 55 Abs 1 Nr 3 SGG aber dann nicht in Betracht, wenn mit ihr nur die selbstständige Feststellung des Vorliegens anderer als in der Vorschrift genannter Tatbestandselemente des geltend gemachten Anspruchs begehrt wird(vgl BSG Urteil vom 15.12.1999 - B 9 VS 2/98 R - SozR 3-3200 § 81 Nr 16 S 72 f mwN). Die Feststellung, ob ein bestimmtes Ereignis (hier: der Tathergang des Banküberfalls) ein vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff iS von § 1 Abs 1 S 1 OEG ist, kommt nur im Zusammenhang mit der Feststellung bestimmter Schädigungsfolgen in Betracht. Liegen solche erkennbar nicht vor oder werden sie - wie vorliegend nicht (mehr) geltend gemacht - könnte die isolierte Feststellungsklage nur der Beantwortung einer abstrakten Rechtsfrage dienen. Selbst wenn diese im Sinne der Klägerin zu beantworten wäre, könnte dies als bloßes Teilelement der Voraussetzungen des § 1 Abs 1 S 1 OEG ohne Schädigungsfolgen keinerlei Ansprüche auslösen. Denn ein Vorgang, der keinen Körperschaden ausgelöst hat, führt nicht zur "Haftung" des Staates (vgl BSG, aaO).

15

c) Ebenso scheidet eine kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage gemäß § 54 Abs 1 und § 55 Abs 1 Nr 1 SGG aus(aA LSG Niedersachsen-Bremen Urteil vom 12.12.2007 - L 5 VG 15/05 - RdNr 25 Juris; vgl allgemein Keller, aaO, RdNr 13b). Nach § 55 Abs 1 Nr 1 SGG kann die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses begehrt werden(vgl Keller, aaO, RdNr 4). Ein derartiges öffentlich-rechtliches Rechtsverhältnis entsteht aber nicht bereits durch die bloße Feststellung der Vorfrage zu § 1 Abs 1 S 1 OEG, ob ein vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff in diesem Sinne vorgelegen hat. Zwar hat das BSG eine "isolierte" Feststellungsklage nach § 55 Abs 1 Nr 1 SGG für zulässig erachtet, wenn es um die Feststellung des Eintritts des Versicherungsfalls in Fällen geht, in denen vom Versicherungsträger bereits das Vorliegen eines Arbeitsunfalls(§ 8 SGB VII) oder einer Berufskrankheit (§ 9 SGB VII) bestritten wird (vgl beispielhaft BSG Urteil vom 15.2.2005 - B 2 U 1/04 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 12 RdNr 12 f mwN; s auch Darstellung der Rechtsprechung bei Keller, aaO, RdNr 13b). Eine Übertragung dieser Rechtsprechung auf die hier vorliegende rechtliche Konstellation im sozialen Entschädigungsrecht scheidet aus den oben genannten Gründen aus; die bloße Feststellung des schädigenden Vorgangs iS von § 1 Abs 1 S 1 OEG begründet noch kein Leistungs- oder sonstiges Rechtsverhältnis nach dem BVG bzw sozialem Entschädigungsrecht.

16

Ob das LSG auf die Berufung des beklagten Landes den Gerichtsbescheid des SG aufheben und die Klage aus den genannten Gründen hätte abweisen können, nachdem es das Begehren der Klägerin selbst auf eine - im vorliegenden Fall unzulässige - isolierte Feststellungsklage beschränken ließ, kann dahingestellt bleiben. Jedenfalls hätte das LSG den Gerichtsbescheid aufgrund der festgestellten Tatsachen auch in der Sache aufheben und die Klage abweisen müssen. Denn die Voraussetzungen des § 1 Abs 1 S 1 OEG und damit auch für einen Anspruch auf Versorgung liegen nicht vor(dazu unter 2.).

17

2. Die vom SG noch zu Recht für zulässig erachtete Klage war in der Sache materiell-rechtlich unbegründet, weil kein tätlicher Angriff vorgelegen hat.

18

Nach § 1 Abs 1 S 1 OEG(in der Fassung vom 11.5.1976, BGBl I 1181) erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG, wer im Geltungsbereich dieses Gesetzes oder auf einem deutschen Schiff oder Luftfahrzeug infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat. Zwar sind nicht nur physische Beeinträchtigungen, sondern auch psychische Gesundheitsschäden geeignet, einen Opferentschädigungsanspruch auszulösen. Sowohl physische als auch psychische Gesundheitsschäden müssen jedoch auf einen "tätlichen Angriff" zurückzuführen sein. Insoweit ist entscheidend, ob der Primärschaden und eventuelle Folgeschäden gerade die zurechenbare Folge einer körperlichen Gewaltanwendung gegen eine Person sind. Die bloße Drohung mit einer, wenn auch erheblichen Gewaltanwendung oder Schädigung reicht für einen tätlichen Angriff dagegen nicht aus, auch wenn diese Drohung beim Opfer erhebliche gesundheitliche Folgen haben sollte.

19

a) Der Senat hat in ständiger Rechtsprechung als einen "tätlichen Angriff" grundsätzlich eine in feindseliger Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielende gewaltsame Einwirkung angesehen (vgl zB Urteil vom 29.4.2010 - B 9 VG 1/09 R - BSGE 106, 91 = SozR 4-3800 § 1 Nr 17, RdNr 25 mwN; Urteil vom 2.10.2008 - B 9 VG 2/07 R - Juris RdNr 14 mwN) und die Entwicklung der Auslegung dieses Rechtsbegriffs zuletzt im Rahmen der Beurteilung von strafbaren ärztlichen Eingriffen (vgl Urteil vom 29.4.2010 - B 9 VG 1/09 R - BSGE 106, 91 = SozR 4-3800 § 1 Nr 17, RdNr 26 ff) und hinsichtlich des gesellschaftlichen Phänomens des "Stalking" umfassend dargelegt (vgl Urteil vom 7.4.2011 - B 9 VG 2/10 R - BSGE 108, 97 = SozR 4-3800 § 1 Nr 18, RdNr 33 ff). Dabei ist der Senat immer davon ausgegangen, dass die Verletzungshandlung im OEG nach dem Willen des Gesetzgebers eigenständig und ohne direkte Bezugnahme auf das StGB geregelt ist (vgl BT-Drucks 7/2506 S 10), obwohl sich die Auslegung des Begriffs des "tätlichen Angriffs" auch an der im Strafrecht zu den §§ 113, 121 StGB gewonnenen Bedeutung orientiert(vgl BSG, aaO, RdNr 32 mwN). Der Senat ist dabei soweit gegangen, eine erhebliche Drohung gegenüber dem Opfer für einen tätlichen Angriff genügen zu lassen, als sie zumindest mit einer unmittelbaren Gewaltanwendung gegen eine Sache einherging, die als einziges Hindernis dem unmittelbaren körperlichen Zugriff auf das Opfer durch die Täter noch im Wege stand, sodass der Angriff nicht lediglich auf einer Drohung, sondern auch auf Anwendung tätlicher Gewalt basierte (BSG Urteil vom 10.9.1997 - 9 RVg 1/96 - BSGE 81, 42, 44 = SozR 3-3800 § 1 Nr 11).

20

Soweit - wie im vorliegenden Fall - eine "gewaltsame" Einwirkung in Frage steht, ist nach der Senatsrechtsprechung schon immer zu berücksichtigen gewesen, "dass der Gesetzgeber durch den Begriff des 'tätlichen Angriffs' den schädigenden Vorgang iS des § 1 Abs 1 S 1 OEG in rechtlich nicht zu beanstandender Weise begrenzt und den im Strafrecht uneinheitlich verwendeten Gewaltbegriff eingeschränkt hat"(BSG Urteil vom 7.4.2011 - B 9 VG 2/10 R - BSGE 108, 97 = SozR 4-3800 § 1 Nr 18, RdNr 36; vgl auch: BSG Urteil vom 14.2.2001 - B 9 VG 4/00 R - BSGE 87, 276, 279 = SozR 3-3800 § 1 Nr 18 S 73; BSG Urteil vom 28.3.1984 - 9a RVg 1/83 - BSGE 56, 234, 236 = SozR 3800 § 1 Nr 4 S 9; s auch Darstellung bei Heinz, Zu neueren Entwicklungen im Bereich der Gewaltopferentschädigung anlässlich neuerer Rechtsprechung zur Anspruchsberechtigung nach dem OEG bei erlittenem "Mobbing" und "Stalking", br 2011, 125, 131 f). Abweichend von dem im Strafrecht umstrittenen Gewaltbegriff iS des § 240 StGB(vgl hierzu Fischer, StGB, 61. Aufl 2014, § 240 RdNr 8 ff mwN) wird der tätliche Angriff iS des § 1 Abs 1 S 1 OEG durch eine körperliche Gewaltanwendung gegen eine Person geprägt(vgl insbesondere Begründung des Regierungsentwurfs zum OEG, BT-Drucks 7/2506 S 10, 13 f) und wirkt damit körperlich (physisch) auf einen anderen ein. Dieses Verständnis der Norm entspricht am ehesten dem strafrechtlichen Begriff der Gewalt iS des § 113 Abs 1 StGB als einer durch tätiges Handeln bewirkten Kraftäußerung, also einem tätigen Einsatz materieller Zwangsmittel wie körperlicher Kraft(vgl Fischer, StGB, 61. Aufl 2014, § 113 RdNr 23; BSG Urteil vom 7.4.2011 - B 9 VG 2/10 R - aaO, RdNr 36 mwN).

21

Der "tätliche Angriff" iS des § 1 Abs 1 S 1 OEG setzt trotz seiner inhaltlichen Nähe zur Gewalttätigkeit nach § 125 StGB auch nicht unbedingt ein aggressives Verhalten des Täters voraus, sodass auch ein nicht zum (körperlichen) Widerstand fähiges Opfer von Straftaten unter dem Schutz des OEG steht(vgl BSG Urteil vom 7.4.2011 - B 9 VG 2/10 R - aaO, RdNr 37 mwN).

22

Andererseits reicht die bloße Verwirklichung eines Straftatbestandes, zB eines Vermögensdelikts, allein für die Annahme eines "tätlichen Angriffs" iS von § 1 Abs 1 S 1 OEG nicht aus(vgl BSG Urteil vom 7.4.2011 - B 9 VG 2/10 R - BSGE 108, 97, 114 = SozR, aaO, RdNr 41 und 62 f), auch wenn das Opfer über den eingetretenen Schaden "verzweifelt" und zB seelische Gesundheitsschäden davonträgt. Demgemäß hat der Senat eine Wertung als tätlicher Angriff auch für Telefonate, SMS, Briefe, Karten und dergleichen abgelehnt, weil es insoweit bereits an einer unmittelbar drohenden Gewaltanwendung fehlte (vgl BSG, aaO, RdNr 71). Der Senat sah schon immer in Fällen der Bedrohung oder Drohung mit Gewalt die Grenze der Wortlautinterpretation als erreicht an, wenn sich die auf das Opfer gerichteten Einwirkungen - ohne Einsatz körperlicher Mittel - allein als intellektuell oder psychisch vermittelte Beeinträchtigung darstellen und nicht unmittelbar auf die körperliche Integrität abzielen (vgl zuletzt: Beschlüsse vom 25.2.2014 - B 9 V 65/13 B - und vom 17. bzw 22.9.2014 - B 9 V 27 bis 29/14 B -, jeweils zu RdNr 6, wo den Opfern einer Erpressung ua damit gedroht wurde, Familienangehörige umzubringen und das Haus anzuzünden). Der Senat präzisiert dies dahingehend, dass ein tätlicher Angriff dann nicht vorliegt, wenn es an einer unmittelbaren Gewaltanwendung fehlt (dazu unter b).

23

b) Soweit der Senat darüber hinaus einen "tätlichen Angriff" iS des § 1 Abs 1 S 1 OEG auch noch in einem Fall angenommen hat, in dem der Täter das Opfer vorsätzlich mit einer scharf geladenen und entsicherten Schusswaffe bedroht hat, weil eine derartige Bedrohung das Leben und die Unversehrtheit des Opfers objektiv hoch gefährde(vgl BSG Urteil vom 24.7.2002 - B 9 VG 4/01 R - BSGE 90, 6, 9 f = SozR 3-3800 § 1 Nr 22 S 103 f), hält er hieran nicht mehr fest. Dies gilt auch für die Senatsrechtsprechung, die im Umkehrschluss die bloße Drohung zu schießen, mangels einer objektiv erhöhten Gefährdung des Bedrohten nicht hat ausreichen lassen, wenn der Täter keine Schusswaffe bei sich führt (vgl Urteil vom 2.10.2008 - B 9 VG 2/07 R - Juris RdNr 20).

24

Nach dieser Rechtsprechung läge im vorliegenden Fall ein tätlicher Angriff schon deshalb nicht vor, weil der Täter der Klägerin lediglich eine objektiv ungefährliche Schreckschusspistole vorhielt. Der Senat sieht sich vor dem Hintergrund der aktuell vorliegenden Konstellation im Verhältnis zu den Entscheidungen vom 24.7.2002 (B 9 VG 4/01 R - BSGE 90, 6 = SozR 3-3800 § 1 Nr 22 - "Drohung mit einer scharfgeladenen und entsicherten Schusswaffe") und vom 2.10.2008 (B 9 VG 2/07 R - "bloße Drohung zu schießen, ohne Besitz einer Schusswaffe") veranlasst, seine bisherige Rechtsprechung zu ändern: Der Senat lässt eine objektive Gefährdung des Lebens oder der körperlichen Unversehrtheit einer anderen Person auch ohne physische Einwirkung (Schläge, Schüsse, Stiche, Berührung etc) nicht mehr bereits aufgrund der objektiven Gefährlichkeit der Situation (zB Drohung mit geladener Schusswaffe) für die Annahme eines rechtswidrigen tätlichen Angriffs iS von § 1 Abs 1 S 1 OEG ausreichen. Für das Vorliegen eines rechtswidrigen tätlichen Angriffs kommt es nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Situation im Nachhinein als tatsächlich objektiv (lebens-)gefährlich erweist, weil die Waffe scharf geladen und entsichert war, oder als ungefährlich, weil es sich um eine bloße - echt aussehende - Schreckschusswaffe handelte. In diesen Fällen steht die Drohwirkung der vorgehaltenen Waffe auf das Opfer und dessen psychische Belastung in der konkreten Situation im Vordergrund; diese unterscheidet sich insoweit in Fällen wie dem vorliegenden regelmäßig nicht.

25

Die psychische Wirkung (hier: Drohwirkung) einer Straftat und eine hieraus resultierende zB sogenannte posttraumatische Belastungsstörung ist im Opferentschädigungsrecht keineswegs unbeachtlich. Sie ist vielmehr insoweit von Bedeutung, als für die Frage des Vorliegens eines Gesundheitsschadens nicht nur physische, sondern auch psychische Schäden beachtlich sind. Allerdings kann die psychische Wirkung einer Straftat das Erfordernis des "tätlichen Angriffs" iS von § 1 Abs 1 S 1 OEG nicht ersetzen. Der eingetretene Schaden muss gerade auf einem solchen "tätlichen Angriff" und nicht - wie vorliegend - auf einer (bloßen) Drohung mit Gewalt beruhen. Bereits in seinem Urteil vom 7.4.2011 (B 9 VG 2/10 R - BSGE 108, 97 = SozR 4-3800 § 1 Nr 18, RdNr 47) hat der Senat klargestellt, dass entgegen einer im Schrifttum teilweise vertretenen Auffassung nicht darauf abzustellen ist, ob die Angriffshandlung "körperlich wirkt" bzw zu körperlichen Auswirkungen im Sinne eines pathologisch, somatisch, objektivierbaren Zustands führt (so beispielhaft wohl Geschwinder, Der tätliche Angriff nach dem OEG, SGb 1985, 95, 96 zu Fußnote 17 und 18 mwN) oder welches Individualgut (insbesondere körperliche Unversehrtheit und Leben) von der verletzten Strafrechtsnorm geschützt wird (vgl insgesamt: BSG, aaO, RdNr 47 mwN zur Literatur). Fehlt es allerdings an einem tätlichen - körperlichen - Angriff, ergeben sich aus § 1 Abs 1 S 1 OEG für die Opfer allein psychischer Gewalt keine Entschädigungsansprüche(vgl hierzu allgemein: BSG, aaO, RdNr 49; Doering-Striening, Altes und Neues - zur Reform des Opferentschädigungsrechts, ASR 2014, 231, 233, 235).

26

c) Entscheidend für einen Anspruch nach § 1 Abs 1 S 1 OEG ist, ob die Folgen eines bestimmten Ereignisses (Primärschaden oder eventuelle Folgeschäden) gerade die zurechenbare Folge eines rechtswidrigen tätlichen Angriffs sind. Wie der Senat mit Beschlüssen vom 25.2.2014 (B 9 V 65/13 B) und vom 17.9.2014 bzw 22.9.2014 (B 9 V 27 bis 29/14 B, jeweils zu RdNr 6) zu schriftlichen Erpressungsversuchen bereits angedeutet hat, reicht die bloße Drohung mit einer, wenn auch erheblichen Gewaltanwendung oder Schädigung für einen tätlichen Angriff nicht aus. Denn dieser Umstand allein stellt über die psychische Wirkung hinaus noch keinen tatsächlichen physischen "Angriff" dar. Aus der Sicht eines objektiven Dritten wie auch des unwissenden Opfers kann es keinen Unterschied machen, ob eine Schusswaffe geladen, nicht geladen oder eine echt wirkende Attrappe ist. Der tätliche Angriff in Gestalt der körperlichen Einwirkung auf den Körper eines anderen beginnt in diesen Fallkonstellationen erst mit dem Abfeuern des Schusses oder dem Aufsetzen der Waffe auf den Körper des Opfers. Maßgeblich iS von § 1 Abs 1 S 1 OEG ist, ob ein tätlicher - körperlicher - Angriff tatsächlich begonnen hat.

27

Daran fehlt es hier. Die auf die Klägerin als Opfer gerichtete Einwirkung beruhte ohne den Einsatz körperlicher Mittel allein auf einer intellektuell bzw psychisch vermittelten Beeinträchtigung. Die Klägerin sollte mit einer (hier: vorgetäuschten) Bedrohung für Leib oder Leben zu bestimmten Handlungen bzw Unterlassungen genötigt werden. Eine derartige Bedrohung stellt keinen tätlichen Angriff iS des § 1 Abs 1 S 1 OEG dar(vgl BSG Urteil vom 7.4.2011 - B 9 VG 2/10 R - aaO, RdNr 44 mwN; Dau, jurisPR-SozR 10/2013 Anm 2 zu C).

28

d) Vor allem die Entwicklung der gesetzlichen Regelung des § 1 Abs 1 S 1 OEG lässt nach dem Verständnis des Senats eine Erstreckung der Opferentschädigung auf die bloße Drohung mit Gewalt ohne Vorliegen eines tätlichen Angriffs nicht zu. Bereits nach dem Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 10.5.1974 war der bestimmende Grundgedanke für die Schaffung des OEG der Umstand, dass Gewaltopfern ein Aufopferungsanspruch gegenüber der Gesellschaft und damit dem Staat zustehen sollte, weil es dieser nicht vermocht hat, die unschuldigen Opfer vor Gewalttaten zu schützen (vgl BT-Drucks 7/2506 S 10, 13). Damit sollte der Staat für die Unvollkommenheit staatlicher Verbrechensbekämpfung aus Solidarität für den von einer Gewalttat betroffenen Bürger eintreten (BT-Drucks 7/2506 S 10; s auch BSG Urteil vom 7.11.1979 - 9 RVg 1/78 - BSGE 49, 98, 101 = SozR 3800 § 1 Nr 1; BSG Urteil vom 7.11.1979 - 9 RVg 2/78 - BSGE 49, 104, 105 = SozR 3800 § 2 Nr 1 mwN zur Gesetzesentwicklung; BSG Urteil vom 23.10.1985 - 9a RVg 4/83 - BSGE 59, 40, 44 = SozR 3800 § 1 Nr 5; Weiner in Kunz/Zellner/Gelhausen/Weiner, OEG, 5. Aufl 2010, § 1 RdNr 1). Diese - auf Gewalt abzielende - inhaltliche Ausrichtung hat das Gesetz trotz einiger Erweiterungen seines Anwendungsbereiches (vgl dazu Rademacker in Knickrehm, Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, 2012 § 1 OEG RdNr 2 bis 6) bis heute beibehalten und wird "von dem Grundsatz der allgemeinen staatlichen Fürsorgepflicht getragen" (Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des OEG vom 17.3.2009, BT-Drucks 16/12273 S 6).

29

Für das zentrale Tatbestandsmerkmal des "tätlichen Angriffs" war von Anfang an darauf verzichtet worden, auf das Strafrecht zurückzugreifen mit seinen vielfältigen und uneinheitlich weit gefassten Gewaltbegriffen (vgl zB Heinz, Zu neueren Entwicklungen im Bereich der Gewaltopferentschädigungen anlässlich neuerer Rechtsprechung zur Anspruchsberechtigung nach dem OEG bei erlittenem "Mobbing" und "Stalking", br 2011, 125, 132). Es sollten ausschließlich die Fälle der sogenannten "Gewaltkriminalität" in die Entschädigung einbezogen werden, die mit einem willentlichen Bruch der Rechtsordnung durch körperliche Gewaltanwendung gegen eine Person einhergehen (BT-Drucks 7/2506 S 10). In Anlehnung an § 113 StGB hat der Gesetzgeber den "rechtswidrigen tätlichen Angriff gegen eine Person" als eine unmittelbare auf den Körper eines Menschen zielende feindselige Einwirkung verstanden und beim (vorsätzlichen) Tathergang als erforderlich angesehen, dass der Täter im Rahmen des bereits begonnenen tätlichen Angriffs auf einen Menschen zumindest Leib oder Leben eines anderen Menschen wenigstens fahrlässig gefährdet hat(BT-Drucks 7/2506 S 13, 14; zu aberratio ictus vgl Rademacker, aaO, § 1 OEG RdNr 11).

30

Der Gesetzgeber hat es zudem ausdrücklich vermieden, strafrechtliche Tatbestände listenmäßig, wie zB die §§ 250, 253 und 255 StGB, zu benennen, um Abgrenzungsschwierigkeiten zu der nach § 1 Abs 1 S 1 OEG allein zu berücksichtigenden körperlichen Gewaltanwendung gegen eine Person zu vermeiden(BT-Drucks 7/2506 S 10; vgl auch BSG Urteil vom 18.10.1995 - 9 RVg 4/93 - BSGE 77, 7, 10 = SozR 3-3800 § 1 Nr 6 S 25). Zwar kann auch Drohung mit Gewalt psychische Gesundheitsstörungen beim Betroffenen hervorrufen. Dieser ist aber nicht zu staatlicher Entschädigung berechtigtes Opfer krimineller Gewalt iS des § 1 Abs 1 S 1 OEG geworden, weil das Tatmittel nicht körperliche Gewalt ("tätlicher Angriff") gegen den Körper, sondern eine List oder Täuschung gewesen ist(zum Erfordernis "körperlicher Gewalt" vgl Rademacker, aaO, § 1 OEG RdNr 8, 32; Dau, jurisPR-SozR 10/2013 Anm 2 zu C).

31

e) Auch das Europäische Übereinkommen vom 24.11.1983 über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (Zustimmungsgesetz vom 17.7.1996, BGBl II 1120; Bekanntmachung vom 24.2.1997 über das Inkrafttreten des Übereinkommens in Deutschland am 1.3.1997, BGBl II 740) gebietet keine erweiternde Auslegung des § 1 Abs 1 S 1 OEG. Gemäß Art 1 des Übereinkommens verpflichten sich die Vertragsparteien, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um die in dessen Teil I enthaltenen Grundsätze zu verwirklichen. Art 2 Abs 1 Buchst a des Übereinkommens bestimmt: "Soweit eine Entschädigung nicht in vollem Umfang aus anderen Quellen erhältlich ist, trägt der Staat zur Entschädigung für Personen bei, die eine schwere Körperverletzung oder Gesundheitsschädigung erlitten haben, die unmittelbar auf eine vorsätzliche Gewalttat zurückzuführen ist." Hierzu hat der Senat bereits mit Urteil vom 7.4.2011 (B 9 VG 2/10 R - BSGE 108, 97 = SozR 4-3800 § 1 Nr 18, RdNr 48 f) ausgeführt, dass das Übereinkommen eine Definition des Begriffs "vorsätzliche Gewalttat" nicht enthält (vgl auch Denkschrift zum Übereinkommen, BR-Drucks 508/95 S 14 = BT-Drucks 13/2477 S 14), sodass der bundesdeutsche Gesetzgeber durch das Tatbestandsmerkmal "vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff" in § 1 Abs 1 S 1 OEG in zulässiger Weise von seinem durch das Übereinkommen belassenen Gestaltungsspielraum Gebrauch gemacht hat. Ein weitergehender Anspruch lässt sich aus dem Übereinkommen nicht ableiten. Zudem hat der Senat auch ausgeführt, dass es dem Gesetzgeber entsprechend den Zielen des Übereinkommens unbenommen sei, über die von dem Begriff des tätlichen Angriffs erfasste Fallgestaltung hinaus auch Opfer psychischer Gewalt in den Schutzbereich des OEG mit einzubeziehen (vgl BSG, aaO, RdNr 49 mwN).

32

f) Es ist dem Gesetzgeber vorbehalten, den Begriff des tätlichen Angriffs über den mit Bedacht gewählten und bis heute beibehaltenen engen Wortsinn des OEG auf Straftaten zu erstrecken, bei denen es an einem solchen tätlichen Angriff fehlt, weil das strafbare Verhalten zB in einer Drohung mit Gewalt, Erpressung oder einer Täuschung besteht. Soweit im Schrifttum vereinzelt vertreten wird, dass die Regelungen im OEG im Hinblick auf die Opfer von Straftaten nicht mehr zeitgemäß seien und unter Einbeziehung von Opfern psychischer Gewalt aktualisiert werden müssten (vgl hierzu insbesondere die umfassenden Ausführungen von Brettel/Bartsch, Staatliche Opferentschädigung nur bei Gewalttaten? Zum Anwendungsbereich des Opferentschädigungsgesetzes, MedSach 2014, 263 ff, 267 mwN), handelt es sich um rechtspolitische Forderungen an den Gesetzgeber. Entsprechend ersten Vorschlägen im Werkstattgespräch im Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) vom 24.6.2014 zur Reform des sozialen Entschädigungsrechts gibt es im BMAS offenbar Überlegungen, dass zukünftig psychische Schäden in größerem Umfang vom Gesetzgeber erfasst werden könnten (vgl Doering-Striening, Altes und Neues - zur Reform des Opferentschädigungsrechts, ASR 2014, 231, 235 ff mwN). Sollte der Gesetzgeber den Tatbestand des § 1 OEG im Hinblick auf solche Kritik(vgl hierzu insgesamt die Darstellung bei Doering-Striening, aaO, ASR 2014, 231; Brettel/Bartsch, aaO, MedSach 2014, 263) erweitern wollen, empfehlen sich aus der Sicht der Rechtsprechung zugleich Überlegungen, wie einer uferlosen Ausweitung von Opferentschädigungsansprüchen bei Erstreckung des OEG auf bloße Drohung mit Gewalt und psychische Einwirkungen auf das Opfer durch jedwede Straftat anderweitig als durch das Kriterium des tätlichen Angriffs entgegengewirkt werden kann.

33

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

(1) Mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr wird bestraft, wer

1.
sexuelle Handlungen an einer Person unter vierzehn Jahren (Kind) vornimmt oder an sich von dem Kind vornehmen lässt,
2.
ein Kind dazu bestimmt, dass es sexuelle Handlungen an einer dritten Person vornimmt oder von einer dritten Person an sich vornehmen lässt,
3.
ein Kind für eine Tat nach Nummer 1 oder Nummer 2 anbietet oder nachzuweisen verspricht.

(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nummer 1 kann das Gericht von Strafe nach dieser Vorschrift absehen, wenn zwischen Täter und Kind die sexuelle Handlung einvernehmlich erfolgt und der Unterschied sowohl im Alter als auch im Entwicklungsstand oder Reifegrad gering ist, es sei denn, der Täter nutzt die fehlende Fähigkeit des Kindes zur sexuellen Selbstbestimmung aus.

(1) Mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren wird bestraft, wer

1.
sexuelle Handlungen vor einem Kind vornimmt oder vor einem Kind von einer dritten Person an sich vornehmen lässt,
2.
ein Kind dazu bestimmt, dass es sexuelle Handlungen vornimmt, soweit die Tat nicht nach § 176 Absatz 1 Nummer 1 oder Nummer 2 mit Strafe bedroht ist, oder
3.
auf ein Kind durch einen pornographischen Inhalt (§ 11 Absatz 3) oder durch entsprechende Reden einwirkt.

(2) Ebenso wird bestraft, wer ein Kind für eine Tat nach Absatz 1 anbietet oder nachzuweisen verspricht oder wer sich mit einem anderen zu einer solchen Tat verabredet.

(3) Der Versuch ist in den Fällen des Absatzes 1 Nummer 1 und 2 strafbar. Bei Taten nach Absatz 1 Nummer 3 ist der Versuch in den Fällen strafbar, in denen eine Vollendung der Tat allein daran scheitert, dass der Täter irrig annimmt, sein Einwirken beziehe sich auf ein Kind.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten darüber, ob das Sozialgericht (SG) das damals zuständige (jetzt beigeladene) Land zu Recht verurteilt hat, eine bei der Klägerin vorliegende Gesundheitsstörung als Folge eines schädigenden Ereignisses iS des § 1 Abs 1 Satz 1 Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (Opferentschädigungsgesetz) festzustellen.

2

Die am 2.10.1954 geborene Klägerin ließ sich im Jahr 2000 zwei Mal von einem Arzt für Gynäkologie operieren. Zunächst saugte dieser am 13.1.2000 im Rahmen eines kosmetischen Eingriffs Fett ab. Danach traten Komplikationen auf. Am 20.6.2000 versuchte der Arzt, eine bestehende Fettschürze zu korrigieren und saugte weiteres Fett ab. Nach diesem Eingriff kam es zu erheblichen Gesundheitsstörungen, die im Krankenhaus behandelt werden mussten.

3

Zur Zeit der Operationen litt die Klägerin neben dem erheblichen Übergewicht an einer Koronarinsuffizienz, Bluthochdruck, Lungeninsuffizienz, insulinpflichtigem Diabetes mellitus sowie einer Darmerkrankung. Darauf machte sie den Arzt vor den operativen Maßnahmen aufmerksam. Dieser wies sie sodann bewusst nicht darauf hin, dass angesichts der Vorerkrankungen bei den Operationen mit einem erheblichen Gesundheitsrisiko, ggf sogar mit Todesfolge, zu rechnen sei. Die notwendige Aufklärung unterließ der Gynäkologe aus finanziellen Motiven, weil ihm bewusst war, dass die Klägerin sonst von den Operationen abgesehen hätte. Er dokumentierte weder ein Aufklärungsgespräch noch eine Einwilligung. Darüber hinaus täuschte er die Klägerin über seine Befähigung, die Eingriffe fachgerecht vornehmen zu können.

4

Das Landgericht Aachen verurteilte den Gynäkologen wegen vorsätzlicher gefährlicher Körperverletzung gemäß §§ 223, 224 Abs 1 Nr 5 Strafgesetzbuch (StGB) aufgrund des operativen Eingriffs vom 13.1.2000 zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten sowie aufgrund des weiteren Eingriffs vom 20.6.2000 zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten. Unter Einbeziehung zahlreicher weiterer Taten zum Nachteil anderer Patienten wurde der Gynäkologe zu einer mehrjährigen Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt (rechtskräftiges Urteil vom 17.7.2002 - 61 KLs/42 Js 1109/00).

5

Am 22.11.2003 beantragte die Klägerin beim seinerzeit zuständigen Versorgungsamt Aachen Leistungen der Beschädigtenversorgung nach dem OEG iVm dem Bundesversorgungsgesetz (BVG). Diesen Antrag lehnte das Versorgungsamt nach Beiziehung des Strafurteils durch Bescheid vom 9.1.2004 mit der Begründung ab, die Voraussetzungen des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG lägen nicht vor. Das OEG bezwecke ausschließlich die Entschädigung von Kriminalitätsopfern, die vom Staat trotz des von diesem in Anspruch genommenen Gewaltmonopols im Einzelfall nicht ausreichend hätten geschützt werden können. Die hier der strafrechtlichen Verurteilung zugrunde liegenden ärztlichen Kunstfehler seien von diesem Schutzzweck naturgemäß nicht erfasst. Es fehle an einer feindseligen Tendenz im Sinne des OEG. Den Widerspruch der Klägerin wies die Bezirksregierung Münster mit Bescheid vom 22.6.2004 zurück.

6

Das von der Klägerin angerufene SG Aachen hat nach Einholung mehrerer medizinischer Gutachten mit Urteil vom 21.12.2006 das (jetzt beigeladene) Land Nordrhein-Westfalen (NRW) unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide verurteilt, die bei der Klägerin vorliegende Gesundheitsstörung "Zustand nach Abdominalplastik mit zwei großen quer verlaufenden Narben im Ober- und Unterbauch mit korrigiertem Nabel mit Sensibilitätsstörungen im Narbenbereich" als durch ein schädigendes Ereignis iS von § 1 Abs 1 Satz 1 OEG hervorgerufene Gesundheitsstörung festzustellen. Die darüber hinausgehende Klage auf Gewährung von Versorgung hat das SG - mittlerweile (nach Rücknahme der Berufung der Klägerin) rechtskräftig - abgewiesen, weil die festgestellte Gesundheitsstörung lediglich eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 10 vH bedinge.

7

Gegen seine Verurteilung hat das Land NRW Berufung eingelegt. Dieses Rechtsmittel ist nach Inkrafttreten des § 4 Abs 1 Gesetz zur Eingliederung der Versorgungsämter in die allgemeine Verwaltung des Landes Nordrhein-Westfalen(= Art 1 Zweites Gesetz zur Straffung der Behördenstruktur in Nordrhein-Westfalen vom 30.10.2007, GVBl NRW 482, ) ab 1.1.2008 vom Landschaftsverband Rheinland weiter geführt und sodann vom Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (LSG) mit Urteil vom 21.5.2008 zurückgewiesen worden. Diese Entscheidung ist auf folgende Erwägungen gestützt:

8

Zum 1.1.2008 sei ein Beteiligtenwechsel kraft Gesetzes eingetreten. Berufungsführer sei seitdem der Landschaftsverband Rheinland. Ob sich dieser als neuer Beklagter gegen die Anerkennung von Schädigungsfolgen wende oder dies dem notwendig beigeladenen Land als weiterhin materiell Verpflichtetem obliege, ändere am Tenor der Berufungsentscheidung nichts, denn weder das Land noch der Landschaftsverband hätten einen Anspruch auf Aufhebung des Urteils des SG.

9

Zu Recht habe dieses die streitbefangenen ärztlichen Maßnahmen als tätliche Angriffe iS von § 1 Abs 1 Satz 1 OEG bewertet. Nach den Feststellungen des Landgerichts, die der Senat sich zu eigen mache, habe der Gynäkologe die vor den Eingriffen notwendige Aufklärung aus finanziellen Motiven unterlassen. Er habe die Klägerin bewusst nicht darauf hingewiesen, dass angesichts der Vorerkrankungen mit einem erheblichen Gesundheitsrisiko, ggf sogar mit Todesfolge, während und nach den Operationen zu rechnen gewesen sei. Auch sei ihm klar gewesen, dass sich die Klägerin bei ordnungsgemäßer Aufklärung gegen die Operationen entschieden hätte. Dies habe der Gynäkologe zumindest billigend in Kauf genommen. Damit stellten die operativen Eingriffe tatbestandlich vorsätzliche Körperverletzungen iS des § 223 StGB dar, die nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) mangels wirksamer Einwilligung auch rechtswidrig gewesen seien. Eine wirksame Einwilligung liege danach nur vor, wenn der Patient in der gebotenen Weise über den Eingriff, seinen Verlauf, seine Erfolgsaussichten, Risiken und mögliche Behandlungsalternativen aufgeklärt worden sei.

10

Der Arzt habe durch die Operationen unmittelbar in die körperliche Integrität der Klägerin eingegriffen. Zwar habe er keinen Widerstand der Klägerin überwinden müssen. Diese Situation habe er sich jedoch nur verschaffen können, weil er die Klägerin zuvor über die Risiken der Operation und seine Befähigung, die Eingriffe fachgerecht vornehmen zu können, getäuscht habe. Ob zwischen dem Arzt und der Klägerin ein besonderes Vertrauensverhältnis bestanden habe, sei in diesem Zusammenhang unerheblich. Die von dem Gynäkologen vorgenommenen Eingriffe stellten auch keine Heilbehandlung dar, denn es sei keine objektive Heiltendenz feststellbar. Zudem handle es sich bei der von § 1 Abs 1 OEG geforderten Feindseligkeit der Tathandlung nicht um eine innere Tatsache. Was feindselig sei, bestimme das Strafgesetz. Feindselig in diesem Sinne seien alle § 223 StGB zuzuordnenden, strafbewehrten Tathandlungen. Unschädlich sei, dass die im Rahmen der Operationen begangenen Kunst- und Behandlungsfehler nur fahrlässiger Natur gewesen seien.

11

Die Klägerin habe durch die beiden durchgeführten Operationen eine gesundheitliche Schädigung erlitten, an deren Folgen sie fortdauernd leide. Art und Umfang der insoweit verbliebenen Gesundheitsstörung seien von den Beteiligten unstreitig gestellt worden.

12

Der Beklagte macht mit seiner nach Zulassung durch den erkennenden Senat eingelegten Revision eine Verletzung von § 1 Abs 1 OEG geltend. Zur Begründung führt er ua aus:

13

Durch die Regelungen des OEG wolle der Staat für den Schutz der Bürgerinnen und Bürger insbesondere vor gesundheitlichen Schädigungen durch kriminelle Handlungen wie vor allem Gewalttaten einstehen. Im Lichte dieses Gesetzeszwecks seien auch die einzelnen Tatbestandsmerkmale auszulegen. Ein vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff iS des § 1 Abs 1 OEG setze daher eine in feindseliger Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielende gewaltsame, in der Regel auch handgreifliche Einwirkung voraus.

14

An einer feindseligen Willensrichtung fehle es hier. Zwar hätten Eingriffe in die körperliche Integrität eines anderen grundsätzlich die Tendenz, diesen zum bloßen Objekt herabzuwürdigen; sie seien deshalb als feindselig zu werten. Wenn aber im Rahmen eines Arzt-Patienten-Verhältnisses die Einwilligung zur Operation vorliege, verliere der Eingriff in die körperliche Integrität seine feindselige Qualität. Im vorliegenden Fall bestehe die Besonderheit, dass die Klägerin zwar ihre Einwilligung in beide Operationen gegeben habe, diese aber vom Täter erschlichen worden seien. Das LSG schließe ohne eigene Sachaufklärung aus den vom Landgericht in seinem Strafurteil benannten Motiven für das Erschleichen der Einwilligung und aus der Tatsache der strafrechtlichen Verurteilung, dass der Gynäkologe keine Heilbehandlung vorgenommen habe, weil die Eingriffe nicht zur Heilung geeignet gewesen seien. Letzteres lasse sich aber den einschlägigen Passagen des Landgerichtsurteils nicht entnehmen. Es könne daher nicht davon ausgegangen werden, dass der Operateur der Klägerin insofern rechtsfeindlich gesonnen gewesen sei, als er sie dauerhaft habe schädigen wollen. Eine rechtsfeindliche Willensrichtung lasse sich zwar für die fehlerhafte Aufklärung über die Operationsrisiken bejahen. Hieraus resultiere aber nicht gleichzeitig eine rechtsfeindliche Willensrichtung hinsichtlich der anschließenden Operationen. Das Vertrags- und Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient gestatte nur dann die Annahme einer feindseligen Willensrichtung hinsichtlich des operativen Eingriffs, wenn dies bestimmte äußere Umstände nahelegten, etwa wenn sich der Operierende fälschlich als Arzt ausgebe.

15

Der Beklagte beantragt,

die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 21.5.2008 und des Sozialgerichts Aachen vom 21.12.2006 abzuändern und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.

16

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

17

Sie hält die Ausführungen des LSG für zutreffend.

18

Die beigeladene Bundesrepublik Deutschland hat wie folgt Stellung genommen: Generell liege bei ärztlichen Kunstfehlern keine Gewalttat iS des § 1 Abs 1 OEG vor. Eine strafrechtliche Verurteilung wegen Körperverletzung führe zwar in der Regel auch zur Bejahung eines tätlichen Angriffs. Jedoch sei dies nicht zwangsläufig so. Zusätzlich sei nämlich auch ein tätlicher Angriff in feindseliger Willensrichtung erforderlich. Daran fehle es im konkreten Fall. Das LSG habe den feindseligen Akt wohl im Erschleichen der Einwilligung durch bewusst unzureichende Aufklärung gesehen. Es leuchte jedoch nicht ein, warum ein tätlicher Angriff im Sinne des OEG davon abhängen solle, dass der Arzt die Patientin mit Eventualvorsatz unzureichend aufgeklärt habe. Mit einer solchen Argumentation könne praktisch jeder ärztliche Heileingriff, bei dem eine wirksame Einwilligung fehle, als OEG-Fall anerkannt werden, und zwar selbst dann, wenn der ärztliche Eingriff richtig und erfolgreich ausgeführt worden sei und ein Kunstfehler daher überhaupt nicht vorliege. Eine entsprechende Ausweitung des vom OEG erfassten Personenkreises sei vom Gesetzgeber nicht beabsichtigt gewesen. Die Rechtsentwicklung zum Bereich des sexuellen Missbrauchs von Kindern lasse sich auf den Bereich ärztlicher Kunstfehler nicht anwenden. Die tatbestandliche Ausgangslage sei eine gänzlich andere.

Entscheidungsgründe

19

1. Die Revision des Beklagten ist zulässig. Richtiger Beklagter und Revisionskläger ist nunmehr der Direktor des Landschaftsverbandes Rheinland.

20

a) Zutreffend ist das LSG davon ausgegangen, dass es mit Inkrafttreten von § 4 Abs 1 Eingliederungsgesetz zum 1.1.2008 im Verlauf des Berufungsverfahrens zu einem Beteiligtenwechsel kraft Gesetzes auf der Beklagtenseite gekommen ist (vgl hierzu BSG, Urteil vom 5.7.2007 - B 9/9a SB 2/07 R - BSGE 99, 9 = SozR 4-3250 § 69 Nr 6, jeweils RdNr 13 f; BSG, Urteil vom 28.7.2008 - B 1 KR 5/08 R - BSGE 101, 177 = SozR 4-2500 § 109 Nr 6, jeweils RdNr 13; BSG, Urteil vom 11.12.2008 - B 9 VS 1/08 R - BSGE 102, 149 = SozR 4-1100 Art 85 Nr 1, jeweils RdNr 20; BSG, Urteil vom 11.12.2008 - B 9 V 3/07 R - juris RdNr 21; BSG, Urteil vom 23.4.2009 - B 9 VG 1/08 R -, juris RdNr 22; BSG, Urteil vom 25.6.2009 - B 10 EG 8/08 R - BSGE 103, 291 = SozR 4-7837 § 2 Nr 2, jeweils RdNr 19; BSG, Urteil vom 30.9.2009 - B 9 VG 3/08 R - BSGE 104, 245, auch zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen, RdNr 26). Durch § 4 Abs 1 Eingliederungsgesetz wurden die den Versorgungsämtern übertragenen Aufgaben des Sozialen Entschädigungsrechts einschließlich der Kriegsopferversorgung mit Wirkung vom 1.1.2008 rechtswirksam auf die Landschaftsverbände übertragen. Ab diesem Zeitpunkt ist der für die Klägerin örtlich zuständige Landschaftsverband Rheinland gemäß § 6 Abs 1 OEG für die Versorgung nach diesem Gesetz zuständig.

21

b) Das LSG hat den Landschaftsverband Rheinland selbst als Beklagten behandelt. Die Klägerin hat ihre Klage im Verlauf des Revisionsverfahrens umgestellt und nunmehr gegen die nach § 70 Nr 3 SGG beteiligtenfähige Behörde - den Direktor des Landschaftsverbandes - gerichtet. Mit dieser Umstellung trägt sie der Rechtsprechung des 8. Senats des BSG Rechnung, wonach die Klage zwingend gegen die nach § 70 Nr 3 SGG für beteiligtenfähig erklärte Behörde zu richten ist, wenn ein Land - wie hier Nordrhein-Westfalen durch § 3 Gesetz zur Ausführung des SGG - das Behördenprinzip eingeführt hat (vgl BSG, Urteil vom 29.9.2009 - B 8 SO 19/08 R - RdNr 14). Demgegenüber hat der erkennende Senat die Auffassung vertreten (vgl Urteil vom 23.4.2009 - B 9 SB 3/08 R - juris RdNr 21), dass die nach § 70 Nr 1 SGG beteiligtenfähige juristische Person (hier der Landschaftsverband Rheinland) diese Fähigkeit nicht dadurch verliert, dass die für sie handelnde Behörde (hier der Direktor des Landschaftsverbandes Rheinland) durch Landesrecht iS des § 70 Nr 3 SGG für beteiligtenfähig erklärt worden ist. Zur Vermeidung einer Divergenz hat der erkennende Senat deshalb eine Umstellung der Klage angeregt; dem steht § 168 Satz 1 SGG nicht entgegen, weil sich der Klagegrund, also der dem Klageantrag zugrunde liegende Lebenssachverhalt, nicht geändert hat(vgl § 99 Abs 3 SGG).

22

2. Die Revision des Beklagten ist unbegründet, denn das LSG hat im Ergebnis zu Recht dessen Berufung gegen das Urteil des SG zurückgewiesen, mit dem dieses die entgegenstehende ablehnende Verwaltungsentscheidung aufgehoben und das seinerzeit beklagte Land zur Feststellung einer Gesundheitsstörung als Folge eines schädigenden Ereignisses iS von § 1 Abs 1 Satz 1 OEG verurteilt hat. Eine Rechtskraft dieser Entscheidung erstreckt sich gemäß § 141 Abs 1 Nr 1 SGG auf den jetzigen Beklagten.

23

Rechtsgrundlage für den von der Klägerin in zulässiger Weise mit einer kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 SGG)geltend gemachten Anspruch auf Feststellung einer bei ihr vorliegenden Gesundheitsstörung als Folge eines schädigenden Ereignisses ist § 1 Abs 1 Satz 1 OEG(idF vom 11.5.1976, BGBl I 1181). Danach erhält ua derjenige, der im Geltungsbereich des OEG infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine Person eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG. Reicht - wie hier - der Grad der Schädigungsfolgen für einen Anspruch auf Gewährung von Beschädigtenrente nicht aus (vgl § 31 Abs 1 BVG), hat der Beschädigte nach der gefestigten Rechtsprechung des BSG einen Anspruch auf isolierte Feststellung (Anerkennung) von Schädigungsfolgen. Denn die Feststellung von Schädigungsfolgen kann als eigenständiger begünstigender Verwaltungsakt Grundlage für weitere Ansprüche oder Rechtsfolgen sein, zB Ansprüche auf Heilbehandlung wegen der anerkannten Folgen einer Schädigung (vgl zum BVG bereits BSGE 9, 80, 83 f = SozR Nr 17 zu § 55 SGG; BSGE 12, 25, 26; BSGE 27, 22, 23 = SozR Nr 59 zu § 77 SGG; BSG, Urteil vom 2.6.1970 - 10 RV 69/68 - KOV 1971, 170; zum Soldatenversorgungsgesetz etwa BSGE 57, 171, 172 = SozR 1500 § 55 Nr 24 S 17; BSGE 68, 128, 129 f = SozR 3-3200 § 81 Nr 1 S 3; BSG SozR 3-1500 § 55 Nr 18 S 39; BSG SozR 3-3200 § 81 Nr 16 S 73; zum OEG etwa BSG, Urteil vom 18.10.1995 - 9/9a RVg 4/92 - BSGE 77, 1, 6 = SozR 3-3800 § 1 Nr 4 S 15).

24

Wie SG und LSG im Ergebnis zutreffend erkannt haben, steht der Klägerin gemäß § 1 Abs 1 Satz 1 OEG nach den Umständen des vorliegenden Falles ein Anspruch auf Feststellung der Gesundheitsstörungen zu, die Folgen der im Jahre 2000 von dem Gynäkologen durchgeführten Schönheitsoperationen sind. Denn diese ärztlichen Eingriffe sind als vorsätzliche, rechtswidrige tätliche Angriffe iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG zu werten. Der erkennende Senat legt dabei zunächst seine bisherige Rechtsprechung zum Rechtsbegriff "vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff" zugrunde (dazu unter a). Darüber hinaus ist die Rechtsprechung des BGH zur Strafbarkeit eines ärztlichen Eingriffs als vorsätzliche Körperverletzung von Bedeutung (dazu unter b). Für diesen Bereich entwickelt der Senat seine bisherige Rechtsprechung dahin weiter, dass ein ärztlicher Eingriff unter bestimmten Voraussetzungen als tätlicher Angriff anzusehen ist (dazu unter c). Diese Voraussetzungen liegen nach den für den Senat verbindlichen Tatsachenfeststellungen hier vor (dazu unter d).

25

a) Die Rechtsprechung des erkennenden Senats zur Auslegung des Rechtsbegriffs "vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff" iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG hat sich im Laufe der Jahre anhand einzelner Fallgestaltungen entwickelt. Sie hat sich weitgehend von subjektiven Merkmalen (wie etwa einer kämpferischen, feindseligen Absicht des Täters) gelöst und entscheidend auf die Rechtsfeindlichkeit, vor allem verstanden als Feindlichkeit gegen das Strafgesetz, abgestellt. Dabei hat der erkennende Senat je nach Fallkonstellation unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt und verschiedene Betrachtungsweisen zugrunde gelegt. Leitlinie des erkennenden Senats war insoweit der sich aus dem Sinn und Zweck des OEG ergebende Gedanke des Opferschutzes. Das Vorliegen eines tätlichen Angriffs hat der Senat daher aus der Sicht eines objektiven, vernünftigen Dritten beurteilt und insbesondere sozial angemessenes Verhalten ausgeschieden. Allgemein ist er in seiner bisherigen Rechtsprechung davon ausgegangen, dass als tätlicher Angriff grundsätzlich eine in feindseliger Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielende gewaltsame Einwirkung anzusehen ist, wobei in aller Regel die Angriffshandlung den Tatbestand einer - jedenfalls versuchten - vorsätzlichen Straftat gegen das Leben oder die körperliche Unversehrtheit erfüllt (vgl BSG, Urteil vom 10.9.1997 - 9 RVg 1/96 - BSGE 81, 42, 43 = SozR 3-3800 § 1 Nr 11 S 38; BSG, Urteil vom 4.2.1998 - B 9 VG 5/96 R - BSGE 81, 288, 289 = SozR 3-3800 § 1 Nr 12 S 42 f; BSG, Urteil vom 24.7.2002 - B 9 VG 4/01 R - BSGE 90, 6, 8 f = SozR 3-3800 § 1 Nr 22 S 103 f; BSG, Urteil vom 10.12.2003 - B 9 VG 3/02 R - SozR 4-3800 § 1 Nr 5 RdNr 6 f und zuletzt BSG, Urteil vom 2.10.2008 - B 9 VG 2/07 R - juris RdNr 14 ff).

26

Im Einzelnen hat der erkennende Senat bislang zu folgenden Fallkonstellationen entschieden:

27

Zunächst hat er unter Bezugnahme auf die Begründung zum Regierungsentwurf eines OEG (BT-Drucks 7/2506 S 13) für die Annahme einer Angriffshandlung eine in feindseliger Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielende Einwirkung verlangt und deshalb einen tätlichen Angriff bei der Flucht vor einem Einbrecher verneint (BSG, Urteil vom 7.11.1979 - 9 RVg 1/78 - BSGE 49, 98, 99 f = SozR 3800 § 1 Nr 1 S 2; BSG, Urteil vom 28.3.1984 - 9a RVg 1/83 - BSGE 56, 234, 236 = SozR 3800 § 1 Nr 4 S 9). Diese Rechtsprechung hat er später dahingehend präzisiert, dass unter einem tätlichen Angriff ein gewaltsames, handgreifliches Vorgehen gegen eine Person in kämpferischer, feindseliger Absicht zu verstehen ist, nicht jedoch sozial angemessenes Verhalten, wie das Hochheben einer jungen Frau auf einem Straßenfest (BSG, Urteil vom 23.10.1985 - 9a RVg 5/84 - BSGE 59, 46, 47 ff = SozR 3800 § 1 Nr 6 S 18 ff).

28

In Fällen sexuellen Missbrauchs von Kindern iS von § 176 StGB hat der Senat dann den Begriff des tätlichen Angriffs umfassender im Sinne von Rechtsfeindlichkeit verstanden. Danach kommt es nicht darauf an, welche innere Einstellung der Täter zu dem Opfer hatte und wie das Opfer die Tat empfunden hat. Für den Senat war allein entscheidend, dass die Begehensweise, nämlich sexuelle Handlungen, eine Straftat war, deretwegen die Täter in diesen Fällen auch bestraft worden sind (BSG, Urteil vom 18.10.1995 - 9 RVg 4/93 - BSGE 77, 7, 8 f = SozR 3-3800 § 1 Nr 6 S 23 f; BSG, Urteil vom 18.10.1995 - 9 RVg 7/93 - BSGE 77, 11, 13 = SozR 3-3800 § 1 Nr 7 S 28 f; ähnlich auch bei einer Aids-Infektion durch ungeschützten Geschlechtsverkehr: BSG, Urteil vom 18.10.1995 - 9 RVg 5/95 - BSGE 77, 18, 19 = SozR 3-3800 § 2 Nr 3 S 7).

29

Auch eine absichtliche Blockade mit einem Kraftfahrzeug ist als tätlicher Angriff angesehen worden, wenn das Opfer dem gegen ihn gerichteten körperlichen Angriff durch Ausweichen oder Flucht entgehen will und dadurch zu Schaden kommt. Der Senat hat es für genügend erachtet, dass das Handeln des Angreifers vorsätzlich und auf Rechtsbruch gerichtet war. In der Regel reicht danach der vorsätzliche rechtswidrige Angriff gegen die körperliche Integrität oder die körperliche Bewegungsfreiheit aus, um den Tatbestand (des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG) zu erfüllen (BSG, Urteil vom 12.12.1995 - 9 RVg 1/94 - SozR 3-3800 § 10a Nr 1 S 2 f).

30

Ebenso hat es der erkennende Senat beim Zünden eines Feuerwerkskörpers durch einen unbekannt gebliebenen Täter ausreichen lassen, dass das Verhalten des Täters auf Rechtsbruch gerichtet war und dadurch seine Rechtsfeindlichkeit erkennen ließ. Rechtsfeindlich handele, wer vorsätzlich und rechtswidrig einen Angriff gegen die körperliche Integrität eines anderen richte (BSG, Urteil vom 28.5.1997 - 9 RVg 1/95 - USK 9714).

31

Diese Rechtsprechung hat der Senat in seiner Entscheidung zur Gewalt gegen Sachen verbunden mit Drohungen gegenüber dem Opfer fortgeführt: Er ist dort zwar davon ausgegangen, dass ein vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff grundsätzlich eine in feindseliger Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielende, gewaltsame und in der Regel auch handgreifliche Einwirkung erfordert. Zugleich hat er jedoch klargestellt, dass nicht ein aggressives Verhalten, sondern die Rechtsfeindlichkeit des Täterhandelns für das Vorliegen der Anspruchsvoraussetzung des "tätlichen Angriffs" maßgeblich ist. Bei Drohungen gegenüber dem Opfer verbunden mit einer unmittelbaren Gewaltanwendung gegen eine Sache hat er es deshalb als entscheidend angesehen, ob aus der Sicht eines objektiven, vernünftigen Dritten ein unmittelbares Ansetzen zu einer gezielten Gewaltanwendung gegen eine Person gegeben ist (BSG, Urteil vom 10.9.1997 - 9 RVg 1/96 - BSGE 81, 42, 43 f = SozR 3-3800 § 1 Nr 11 S 38 f, ähnlich BSG, Urteil vom 3.2.1999 - B 9 VG 7/97 R - SozR 3-3800 § 1 Nr 14 S 56 zur Verletzungshandlung eines strafrechtlich schuldunfähigen, aber handlungsfähigen Kindes).

32

In seiner Entscheidung zur Verletzung durch Signalmunition in einer Silvesternacht hat der Senat ein zielgerichtetes, vorsätzliches, aggressives Verhalten gegen eine bestimmte Person nicht für erforderlich gehalten, sondern es für die Annahme eines "tätlichen Angriffs" ausreichen lassen, dass sich der Angriff gegen andere Personen als das Opfer gerichtet hat (BSG, Urteil vom 4.2.1998 - B 9 VG 5/96 R - BSGE 81, 288, 289 f = SozR 3-3800 § 1 Nr 12 S 42 ff). Weiter ist in dieser Entscheidung ausgeführt worden, dass die "Feindseligkeit", die den "tätlichen Angriff" iS des § 1 Abs 1 OEG kennzeichnet, schon dann zu bejahen ist, wenn mit der Einwirkung auf den Körper des Opfers - zumindest versuchsweise - vorsätzlich ein Straftatbestand verwirklicht wird. "Feindselig" handelt der Täter auch dann, wenn er unter Verstoß gegen ein Strafgesetz vorsätzlich auf den Körper eines anderen einwirkt (BSGE 81, 288, 292 = SozR 3-3800 § 1 Nr 12 S 46).

33

Zum "Mobbing" als einem sich über längere Zeit hinziehenden Konflikt zwischen dem Opfer und Personen seines gesellschaftlichen Umfeldes hat der erkennende Senat entschieden, dass nur bei einzelnen "Mobbing"-Aktivitäten die Schwelle zur strafbaren Handlung und somit zum kriminellen Unrecht überschritten werden könne; tätliche Angriffe lägen allerdings nur vor, wenn auf den Körper des Opfers gezielt eingewirkt werde, wie zB durch einen Fußtritt (BSG, Urteil vom 14.2.2001 - B 9 VG 4/00 R - BSGE 87, 276, 278 = SozR 3-3800 § 1 Nr 18 S 72).

34

In dem Fall einer Bedrohung mit einer scharf geladenen, entsicherten Schusswaffe hat der erkennende Senat, anknüpfend an sein Urteil vom 10.9.1997 (BSGE 81, 42 = SozR 3-3800 § 1 Nr 11), als tätlichen Angriff grundsätzlich eine in feindseliger Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielende gewaltsame Einwirkung angesehen. Er hat darauf hingewiesen, dass in aller Regel die Angriffshandlung iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG den Tatbestand einer vorsätzlichen Straftat gegen das Leben oder die körperliche Unversehrtheit erfüllen wird. Daneben seien aber auch Begehungsweisen denkbar, bei denen kein strafrechtlich relevanter Erfolg angestrebt werde. Es sei nicht einmal die körperliche Berührung oder auch nur ein darauf zielender Vorsatz erforderlich. Bereits die absichtliche, rechtswidrige Bedrohung eines anderen mit einer scharf geladenen entsicherten Schusswaffe stellt danach einen tätlichen Angriff dar (BSG, Urteil vom 24.7.2002 - B 9 VG 4/01 R - BSGE 90, 6, 8 f = SozR 3-3800 § 1 Nr 22 S 103 f). Diese Rechtsprechung hat der Senat in seiner Entscheidung zum Entfernen eines Gullydeckels fortgeführt und darin unter Bezugnahme auf die Entscheidung vom 4.2.1998 (BSGE 81, 288, 289 f = SozR 3-3800 § 1 Nr 12) weiter festgestellt, dass eine Handlung dann nicht als tätlicher Angriff gegen eine Person angesehen werden kann, wenn ihr die erforderliche unmittelbare (feindliche) Ausrichtung auf andere Menschen fehlt (BSG, Urteil vom 10.12.2003 - B 9 VG 3/02 R - SozR 4-3800 § 1 Nr 5 RdNr 6 f). An diese Rechtsprechung hat der Senat auch in seiner Entscheidung zur körperlichen Durchsuchung einer Person durch falsche Polizeibeamte angeknüpft (BSG, Urteil vom 2.10.2008 - B 9 VG 2/07 R - juris RdNr 14 ff).

35

In Bezug auf eine Kindesentziehung durch List hat der erkennende Senat darauf hingewiesen, dass der Rechtsbegriff des tätlichen Angriffs aus Gründen des sozialen und psychischen Schutzes der Opfer unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck des OEG speziell in Fällen eines sexuellen Missbrauchs von Kindern in der Weise ausgelegt worden ist, dass er auch ohne Gewaltanwendung die Ausübung des Geschlechtsverkehrs eines erwachsenen Mannes mit einem Kind unter 14 Jahren erfasst. Bei einer Kindesentziehung hat der Senat jedoch ein entsprechendes Begriffsverständnis abgelehnt, weil dies zu einer Ausweitung der vom OEG erfassten Tatbestände führen würde, die mit der auf eine körperliche Gewaltanwendung abstellenden gesetzgeberischen Konzeption unvereinbar wäre. Eine erweiternde Auslegung ist auch nicht zum Schutz des betroffenen Kindes geboten (vgl BSG, Urteil vom 12.2.2003 - B 9 VG 2/02 R - SozR 4-3800 § 1 Nr 1 RdNr 12).

36

In seiner Entscheidung zur Freiheitsberaubung hat der erkennende Senat ebenfalls maßgeblich darauf abgestellt, dass die Grenze zur Gewalttat iS des § 1 Abs 1 OEG jedenfalls dann überschritten ist, wenn eine Person durch Mittel körperlicher Gewalt ihrer Freiheit beraubt und/oder dieser Zustand durch Tätlichkeiten aufrecht erhalten wird(BSG, Urteil vom 30.11.2006 - B 9a VG 4/05 R - SozR 4-3800 § 1 Nr 10 RdNr 13).

37

Schließlich hat der erkennende Senat in seiner Entscheidung zu einem möglichen tätlichen Angriff eines 4 ½ jährigen Kindes gegen ein anderes Kind unter Bezugnahme auf die Entscheidung vom 4.2.1998 (BSGE 81, 288 = SozR 3-3800 § 1 Nr 12)erneut hervorgehoben, dass der als "feindselige" Einwirkung auf den Körper eines anderen definierte tätliche Angriff lediglich erfordert, dass (objektiv) gegen ein Strafgesetz verstoßen wird, das die körperliche Unversehrtheit eines anderen schützt. Dies kann bei einem Stoßen ins Wasser unter Umständen der Fall sein (vgl BSG, Urteil vom 8.11.2007 - B 9/9a VG 3/06 R - SozR 4-3800 § 1 Nr 11 RdNr 14, 17).

38

b) Grundvoraussetzung für die Bewertung eines ärztlichen Eingriffs als "vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff" iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG ist danach, dass dieser als vorsätzliche Körperverletzung strafbar ist. Deshalb ist die einschlägige Rechtsprechung der Strafgerichte, insbesondere des BGH, zu beachten. Danach erfüllt jeder ärztliche Eingriff den Tatbestand einer (vorsätzlichen) Körperverletzung iS des § 223 Abs 1 StGB. Er bedarf grundsätzlich der Einwilligung, um rechtmäßig zu sein. Diese Einwilligung kann nur wirksam erteilt werden, wenn der Patient in der gebotenen Weise über den Eingriff, seinen Verlauf, seine Erfolgsaussichten, seine Risiken und mögliche Behandlungsalternativen aufgeklärt worden ist. Aufklärungsmängel können eine Strafbarkeit des Arztes wegen (vorsätzlicher) Körperverletzung jedoch nur begründen, wenn der Patient bei einer ordnungsgemäßen Aufklärung nicht in den Eingriff eingewilligt hätte. Das Fehlen einer "hypothetischen Einwilligung" ist dem Arzt nachzuweisen. Eine Beschränkung der Strafbarkeit kann sich zudem unter dem Gesichtspunkt des Schutzzweckgedankens ergeben, wenn sich ein Risiko realisiert, das nicht in den Schutzbereich der verletzten Aufklärungspflicht fällt. Dies wird etwa dann in Betracht zu ziehen sein, wenn sich der Aufklärungsmangel lediglich aus dem unterlassenen Hinweis auf Behandlungsalternativen ergibt, der Patient jedoch eine Grundaufklärung über die Art sowie den Schweregrad des Eingriffs erhalten hat und auch über die schwerstmögliche Beeinträchtigung informiert ist (vgl aus der neueren Rechtsprechung: BGH, Urteil vom 29.6.1995 - 4 StR 760/94 - BGHR StGB § 223 Abs 1 Heileingriff 4 = MedR 1996, 22, 24 ; BGH, Urteil vom 19.11.1997 - 3 StR 271/97 - BGHSt 43, 306, 308 f = NJW 1998, 1802, 1803 ; BGH, Beschluss vom 15.10.2003 - 1 StR 300/03 - JR 2004, 251, 252 ; BGH, Urteil vom 20.1.2004 - 1 StR 319/03 - JR 2004, 469, 470 ; BGH, Urteil vom 5.7.2007 - 4 StR 549/06 - BGHR StGB § 223 Abs 1 Heileingriff 8 = MedR 2008, 158, 159; BGH, Urteil vom 23.10.2007 - 1 StR 238/07 - MedR 2008, 435, 436 <"Turboentzug">; dazu auch Fischer, StGB, 57. Aufl 2010, § 223 RdNr 9, 15 ff, § 228 RdNr 12 ff).

39

c) Der erkennende Senat entwickelt seine bisherige Rechtsprechung zur Auslegung des Rechtsbegriffs "vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff" iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG für die besondere Fallkonstellation des als vorsätzliche Körperverletzung strafbaren ärztlichen Eingriffs weiter.

40

In aller Regel wird zwar eine Handlung, die den Tatbestand einer - jedenfalls versuchten - vorsätzlichen Straftat gegen das Leben oder die körperliche Unversehrtheit erfüllt, eine Angriffshandlung iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG sein. Die Verletzungshandlung im OEG hat jedoch durch das Tatbestandsmerkmal "vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff" - allerdings in Anknüpfung an die Vorschriften des StGB - eine eigenständige gesetzliche Ausprägung gefunden (vgl hierzu BSG, Urteil vom 28.3.1984 - 9a RVg 1/83 - BSGE 56, 234, 235 f = SozR 3800 § 1 Nr 4 S 8 f; BSG, Urteil vom 24.4.1991 - 9a/9 RVg 1/89 - SozR 3-3800 § 1 Nr 1 S 2; BSG, Urteil vom 10.9.1997 - 9 RVg 1/96 - BSGE 81, 42, 43 = SozR 3-3800 § 1 Nr 11 S 38; BSG, Urteil vom 3.2.1999 - B 9 VG 7/97 R - SozR 3-3800 § 1 Nr 14 S 56). Das bedeutet, dass nicht jeder als vorsätzliche Körperverletzung strafbare ärztliche Eingriff zugleich ein "vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff" iS einer in feindseliger Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielenden gewaltsamen Einwirkung sein muss.

41

Dabei ist zum einen zu berücksichtigen, dass ärztliche Eingriffe - wie die gesamte Tätigkeit des Arztes - von einem Heilauftrag iS des § 1 Abs 1 Bundesärzteordnung(danach dient der Arzt der Gesundheit des einzelnen Menschen und des gesamten Volkes; vgl dazu auch § 1 Abs 1 Musterberufsordnung für die deutschen Ärztinnen und Ärzte) bestimmt werden (vgl hierzu Laufs in Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, 6. Aufl 2009, S 17 f; Quaas/Zuck, Medizinrecht, 2. Aufl 2008, S 233 f). Ärztliche Eingriffe werden demnach grundsätzlich in der Absicht durchgeführt, zu heilen und nicht in feindseliger Willensrichtung unmittelbar auf die körperliche Unversehrtheit des Patienten einzuwirken. Zum anderen ergibt sich die Strafbarkeit eines ärztlichen Eingriffs als vorsätzliche Körperverletzung gerade aus der Verknüpfung von vorsätzlichem Aufklärungsmangel, Fehlen einer wirksamen Einwilligung und damit rechtswidrigem Eingriff in die körperliche Unversehrtheit. Eine strafbare vorsätzliche Körperverletzung kann bei einem ärztlichen Eingriff bereits dann vorliegen, wenn der Arzt nicht ordnungsgemäß aufgeklärt hat und der Patient die Einwilligung zum ärztlichen Eingriff bei ordnungsgemäßer Aufklärung nicht erteilt hätte. Es sind deshalb durchaus Fälle denkbar, bei denen der vorsätzliche Aufklärungsmangel zwar zu einer strafbaren vorsätzlichen Körperverletzung führt, es wegen einer vorhandenen Heilungsabsicht jedoch nicht gerechtfertigt ist, den ärztlichen Eingriff als eine gezielte gewaltsame Einwirkung auf die körperliche Unversehrtheit des Patienten, mithin als eine feindselige Angriffshandlung iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG, zu bewerten(vgl etwa den der Entscheidung des BGH vom 20.1.2004 - 1 StR 319/03 - JR 2004, 469 zugrunde liegenden Fall der Durchführung einer zweiten Operation zur Bergung einer bei der ersten Operation abgebrochenen Bohrerspitze bei unterlassener Aufklärung über Grund und Anlass der Maßnahme).

42

Für die besondere Fallkonstellation des ärztlichen Eingriffs müssen deshalb - neben der Strafbarkeit als Vorsatztat - bestimmte weitere Voraussetzungen hinzukommen, bei deren Vorliegen die Grenze zur Gewalttat, also zum "vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriff", überschritten ist. Nach Auffassung des erkennenden Senats wird ein Patient unter Berücksichtigung des Schutzzwecks des OEG dann zum Gewaltopfer, wenn ein als vorsätzliche Körperverletzung strafbarer ärztlicher Eingriff objektiv - also aus der Sicht eines verständigen Dritten - in keiner Weise dem Wohl des Patienten dient. Dies ist insbesondere der Fall, wenn sich der Arzt bei seiner Vorgehensweise im Wesentlichen von eigenen finanziellen Interessen leiten lässt und die gesundheitlichen Belange des Patienten hintangestellt hat. Mit dem Abstellen auf das Wohl des Patienten werden neben den Fällen der Heilung einer behandlungsbedürftigen Erkrankung auch die Fälle reiner Schönheitsoperationen erfasst, also Fälle, in denen ohne jede medizinische Indikation allein den Schönheitsvorstellungen des Patienten dienende Eingriffe (s § 52 Abs 2 SGB V)vorgenommen werden.

43

Soweit der Beklagte mit der Revision einwendet, das besondere Vertrags- und Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient gestatte die Annahme einer feindseligen Willensrichtung bei einem operativen Eingriff nur dann, wenn dies bestimmte äußere Umstände nahelegten, etwa wenn sich der Operierende fälschlich als Arzt ausgebe, vermag ihm der Senat nicht in vollem Umfang zu folgen. Allein der Umstand, dass ein in keiner Weise zum Wohle des Patienten handelnder Operateur Arzt ist, kann die Annahme einer feindseligen Haltung nicht ausschließen. Auch ein Vertrags- und Vertrauensverhältnis, das der Arzt in rücksichtsloser, krimineller Weise verletzt, hindert es nicht, eine feindselige Willensrichtung bei der Operation anzunehmen, wenn die vom Senat als maßgebend angesehenen Umstände vorliegen. Ebenso wenig greift der Einwand durch, dass der Eingriff in die körperliche Integrität dann seine feindselige Qualität verliere, wenn im Rahmen eines Arzt-Patienten-Verhältnisses die Einwilligung zur Operation vorliege. Eine durch Täuschung erschlichene Einwilligung ist unwirksam. Sie steht daher weder einer Strafbarkeit noch der Bejahung einer Gewalttat entgegen.

44

Mit der beigeladenen Bundesrepublik Deutschland stimmt der Senat dahin überein, dass ärztliche Kunstfehler für sich genommen keine Gewalttaten iS des § 1 OEG sind. Denn Kunstfehler sind sorgfaltswidrige Verstöße gegen die Regeln der ärztlichen Kunst, die lediglich eine Strafbarkeit wegen fahrlässiger Körperverletzung nach § 229 StGB oder fahrlässiger Tötung nach § 222 StGB begründen (vgl dazu Fischer, StGB, 57. Aufl 2010, § 223 RdNr 13c). Stellt der ärztliche Eingriff allerdings einen tätlichen Angriff dar, so ist es unerheblich, ob dabei Kunstfehler unterlaufen. Denn der Vorsatz des Täters muss sich nicht auf die eingetretene Schädigung beziehen (vgl BSG, Urteil vom 24.4.1991 - 9a/9 RVg 1/89 - SozR 3-3800 § 1 Nr 1 S 4; BSG, Urteil vom 12.12.1995 - 9 RVg 1/94 - SozR 3-3800 § 10a Nr 1 S 2; BSG, Urteil vom 3.2.1999 - B 9 VG 7/97 R - SozR 3-3800 § 1 Nr 14 S 57).

45

d) Gemessen an diesen Kriterien sind die von dem Gynäkologen im Jahr 2000 durchgeführten kosmetischen ärztlichen Eingriffe - im Ergebnis übereinstimmend mit dem SG und dem LSG - nicht nur als strafbare vorsätzliche gefährliche Körperverletzungen iS der §§ 223, 224 Abs 1 Nr 5 StGB, sondern auch als vorsätzliche, rechtswidrige tätliche Angriffe auf die körperliche Unversehrtheit der Klägerin iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG anzusehen. Denn sie dienten aus der Sicht eines verständigen Dritten in keiner Weise dem Wohl der Klägerin.

46

Das LSG hat dazu Folgendes festgestellt: Die Klägerin litt zum Zeitpunkt der Operationen neben dem erheblichen Übergewicht an Koronarinsuffizienz, Bluthochdruck, Lungeninsuffizienz, insulinpflichtigem Diabetes mellitus sowie einer Darmerkrankung. Obwohl sie den Gynäkologen auf ihre Vorerkrankungen aufmerksam gemacht hatte, wies sie dieser vor den Eingriffen bewusst nicht darauf hin, dass bei ihr mit einem erheblichen Gesundheitsrisiko, ggf sogar mit Todesfolge, zu rechnen war. Die notwendige Aufklärung unterließ der Gynäkologe aus finanziellen Motiven, weil ihm klar war, dass die Klägerin bei ordnungsgemäßer Aufklärung von den Operationen abgesehen hätte. Darüber hinaus täuschte er die Klägerin über seine Befähigung, die Eingriffe fachgerecht vornehmen zu können. Die an der Klägerin vorgenommenen Eingriffe waren insgesamt gesehen weder von einer objektiven noch einer subjektiven Heilungstendenz getragen. Das Landgericht hat beide kosmetischen ärztliche Eingriffe als strafbare vorsätzliche gefährliche Körperverletzungen gemäß §§ 223, 224 Abs 1 Nr 5 StGB bewertet und den Gynäkologen deswegen zu Freiheitsstrafen verurteilt.

47

Diese Tatsachenfeststellungen des LSG sind für den Senat bindend (§ 163 SGG), denn der Beklagte hat dagegen in der Revisionsbegründung keine zulässigen und begründeten Verfahrensmängel vorgebracht. Soweit er darin die Beweiswürdigung (§ 128 Abs 1 Satz 1 SGG)des LSG angreift, hat er schon nicht dargelegt, dass die Grenzen der freien Beweiswürdigung überschritten wurden, also gegen allgemeine Erfahrungssätze oder Denkgesetze verstoßen worden ist (stRspr; vgl etwa schon BSG SozR Nr 34 und Nr 56 zu § 128 SGG; hierzu auch BSG, Urteil vom 8.11.2005 - B 1 KR 18/04 R - SozR 4-2500 § 44 Nr 7 RdNr 16; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG 9. Aufl 2008, § 128 RdNr 10 ff). Der Senat hat deshalb bei der Beurteilung der Rechtslage von den Tatsachenfeststellungen des LSG auszugehen. Danach hat sich der Arzt bei seiner Vorgehensweise im Wesentlichen von eigenen Interessen leiten lassen und die gesundheitlichen Belange der Klägerin - gerade auch im Hinblick auf die erheblichen Vorerkrankungen - in sträflicher Weise hintangestellt.

48

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

(1) Wer im Geltungsbereich dieses Gesetzes oder auf einem deutschen Schiff oder Luftfahrzeug infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes. Die Anwendung dieser Vorschrift wird nicht dadurch ausgeschlossen, daß der Angreifer in der irrtümlichen Annahme von Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrunds gehandelt hat.

(2) Einem tätlichen Angriff im Sinne des Absatzes 1 stehen gleich

1.
die vorsätzliche Beibringung von Gift,
2.
die wenigstens fahrlässige Herbeiführung einer Gefahr für Leib und Leben eines anderen durch ein mit gemeingefährlichen Mitteln begangenes Verbrechen.

(3) Einer Schädigung im Sinne des Absatzes 1 stehen Schädigungen gleich, die durch einen Unfall unter den Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 Buchstabe e oder f des Bundesversorgungsgesetzes herbeigeführt worden sind; Buchstabe e gilt auch für einen Unfall, den der Geschädigte bei der unverzüglichen Erstattung der Strafanzeige erleidet.

(4) Ausländerinnen und Ausländer haben dieselben Ansprüche wie Deutsche.

(5) Die Hinterbliebenen eines Geschädigten erhalten auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes. Partner einer eheähnlichen Gemeinschaft erhalten Leistungen in entsprechender Anwendung der §§ 40, 40a und 41 des Bundesversorgungsgesetzes, sofern ein Partner an den Schädigungsfolgen verstorben ist und der andere unter Verzicht auf eine Erwerbstätigkeit die Betreuung eines gemeinschaftlichen Kindes ausübt; dieser Anspruch ist auf die ersten drei Lebensjahre des Kindes beschränkt.

(6) Einer Schädigung im Sinne des Absatzes 1 stehen Schädigungen gleich, die ein Berechtigter oder Leistungsempfänger nach Absatz 1 oder 5 in Verbindung mit § 10 Abs. 4 oder 5 des Bundesversorgungsgesetzes, eine Pflegeperson oder eine Begleitperson bei einer notwendigen Begleitung des Geschädigten durch einen Unfall unter den Voraussetzungen des § 8a des Bundesversorgungsgesetzes erleidet.

(7) Einer gesundheitlichen Schädigung im Sinne des Absatzes 1 steht die Beschädigung eines am Körper getragenen Hilfsmittels, einer Brille, von Kontaktlinsen oder von Zahnersatz gleich.

(8) Wird ein tätlicher Angriff im Sinne des Absatzes 1 durch den Gebrauch eines Kraftfahrzeugs oder eines Anhängers verübt, werden Leistungen nach diesem Gesetz erbracht.

(9) § 1 Abs. 3, die §§ 64 bis 64d, 64f sowie 89 des Bundesversorgungsgesetzes sind mit der Maßgabe anzuwenden, daß an die Stelle der Zustimmung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales die Zustimmung der für die Kriegsopferversorgung zuständigen obersten Landesbehörde tritt, sofern ein Land Kostenträger ist (§ 4). Dabei sind die für deutsche Staatsangehörige geltenden Vorschriften auch für von diesem Gesetz erfaßte Ausländer anzuwenden.

(10) § 20 des Bundesversorgungsgesetzes ist mit den Maßgaben anzuwenden, daß an die Stelle der in Absatz 1 Satz 3 genannten Zahl die Zahl der rentenberechtigten Beschädigten und Hinterbliebenen nach diesem Gesetz im Vergleich zur Zahl des Vorjahres tritt, daß in Absatz 1 Satz 4 an die Stelle der dort genannten Ausgaben der Krankenkassen je Mitglied und Rentner einschließlich Familienangehörige die bundesweiten Ausgaben je Mitglied treten, daß Absatz 2 Satz 1 für die oberste Landesbehörde, die für die Kriegsopferversorgung zuständig ist, oder die von ihr bestimmte Stelle gilt und daß in Absatz 3 an die Stelle der in Satz 1 genannten Zahl die Zahl 1,3 tritt und die Sätze 2 bis 4 nicht gelten.

(11) Im Rahmen der Heilbehandlung sind auch heilpädagogische Behandlung, heilgymnastische und bewegungstherapeutische Übungen zu gewähren, wenn diese bei der Heilbehandlung notwendig sind.

(1) Wer durch eine militärische oder militärähnliche Dienstverrichtung oder durch einen Unfall während der Ausübung des militärischen oder militärähnlichen Dienstes oder durch die diesem Dienst eigentümlichen Verhältnisse eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der Schädigung auf Antrag Versorgung.

(2) Einer Schädigung im Sinne des Absatzes 1 stehen Schädigungen gleich, die herbeigeführt worden sind durch

a)
eine unmittelbare Kriegseinwirkung,
b)
eine Kriegsgefangenschaft,
c)
eine Internierung im Ausland oder in den nicht unter deutscher Verwaltung stehenden deutschen Gebieten wegen deutscher Staatsangehörigkeit oder deutscher Volkszugehörigkeit,
d)
eine mit militärischem oder militärähnlichem Dienst oder mit den allgemeinen Auflösungserscheinungen zusammenhängende Straf- oder Zwangsmaßnahme, wenn sie den Umständen nach als offensichtliches Unrecht anzusehen ist,
e)
einen Unfall, den der Beschädigte auf einem Hin- oder Rückweg erleidet, der notwendig ist, um eine Maßnahme der Heilbehandlung, eine Badekur, Versehrtenleibesübungen als Gruppenbehandlung oder Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nach § 26 durchzuführen oder um auf Verlangen eines zuständigen Leistungsträgers oder eines Gerichts wegen der Schädigung persönlich zu erscheinen,
f)
einen Unfall, den der Beschädigte bei der Durchführung einer der unter Buchstabe e aufgeführten Maßnahmen erleidet.

(3) Zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung genügt die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs. Wenn die zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung erforderliche Wahrscheinlichkeit nur deshalb nicht gegeben ist, weil über die Ursache des festgestellten Leidens in der medizinischen Wissenschaft Ungewißheit besteht, kann mit Zustimmung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales die Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung anerkannt werden; die Zustimmung kann allgemein erteilt werden.

(4) Eine vom Beschädigten absichtlich herbeigeführte Schädigung gilt nicht als Schädigung im Sinne dieses Gesetzes.

(5) Ist der Beschädigte an den Folgen der Schädigung gestorben, so erhalten seine Hinterbliebenen auf Antrag Versorgung. Absatz 3 gilt entsprechend.

Die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, sind, wenn Unterlagen nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen oder ohne Verschulden des Antragstellers oder seiner Hinterbliebenen verlorengegangen sind, der Entscheidung zugrunde zu legen, soweit sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen. Die Verwaltungsbehörde kann in besonderen Fällen von dem Antragsteller die eidesstattliche Versicherung verlangen, daß er bei seinen Angaben nach bestem Wissen die reine Wahrheit gesagt und nichts verschwiegen habe.

(1) Die Versorgung nach diesem Gesetz obliegt den für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständigen Behörden. Ist der Bund Kostenträger, so sind zuständig

1.
wenn der Geschädigte seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in einem Land hat, die Behörden dieses Landes; es finden die Übergangsregelungen gemäß § 4 Absatz 2 und 3 beschränkt auf die Zuständigkeit der Behörde entsprechend Anwendung, davon ausgenommen sind Versorgungen bei Schädigungen an einem Ort im Ausland,
2.
wenn der Geschädigte seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt außerhalb des Geltungsbereichs dieses Gesetzes hat, die Behörden des Landes, das die Versorgung von Kriegsopfern in dem Wohnsitz- oder Aufenthaltsland durchführt.
Abweichend von Satz 2 Nummer 2 sind, wenn die Schädigung auf einem deutschen Schiff oder Luftfahrzeug eingetreten ist, die Behörden des Landes zuständig, in dem das Schiff in das Schiffsregister eingetragen ist oder in dem der Halter des Luftfahrzeugs seinen Sitz oder Wohnsitz hat.

(2) Die örtliche Zuständigkeit der Behörden bestimmt die Landesregierung durch Rechtsverordnung.

(3) Das Gesetz über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung, mit Ausnahme der §§ 3 bis5,sowie die Vorschriften des Sozialgerichtsgesetzes über das Vorverfahren sind anzuwenden.

(4) Absatz 3 gilt nicht, soweit die Versorgung in der Gewährung von Leistungen besteht, die den Leistungen der Kriegsopferfürsorge nach den §§ 25 bis 27h des Bundesversorgungsgesetzes entsprechen.

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 4. November 2009 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger auch im Revisionsverfahren seine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Tatbestand

1

Streitig sind die Rücknahme der Bewilligung und die Rückforderung von Arbeitslosenhilfe (Alhi) und von Unterhaltsgeld (Uhg) für die Zeit vom 23.7.2003 bis 31.5.2004.

2

Der Kläger bezog im Anschluss an Arbeitslosengeld (Alg) und Uhg ab 23.7.2003 Alhi (Bescheid vom 12.8.2003). Im Zusatzblatt "Bedürftigkeitsprüfung" hatte er angegeben, einen Freistellungsauftrag erteilt zu haben und über ein Girokonto mit 2,00 Euro Guthaben zu verfügen. Im Übrigen verneinte er die Fragen nach vorhandenem Vermögen. Nach Wiederaufnahme seiner Umschulungsmaßnahme erhielt er ab 1.9.2003 erneut Uhg (Verfügung vom 7.10.2003).

3

Im Mai 2004 erfuhr die Beklagte, dass der Freistellungsauftrag der C. (nachfolgend C-Bank) erteilt worden war. Auf Anfrage legte der Kläger einen Kontoauszug ("Finanzreport") per 2.6.2003 vor, der ein Guthaben von insgesamt 7108,55 Euro auswies, und teilte mit, es handele sich um ein Tagesgeldkonto mit Onlinedepot, das er vor Jahren eingerichtet habe, weil allein für die Einrichtung WEB.DE-Aktien im Wert von 100,00 DM gutgeschrieben worden seien. Danach sei es nur von seinem Vater verwendet worden, dem er auch alle Online-Zugangsdaten überlassen habe. In der Folgezeit legte er eine eidesstattliche Versicherung seines Vaters vor, welcher die Angaben des Klägers bestätigte.

4

Die Beklagte hob die Bewilligung von Alhi für die Zeit vom 23.7. bis 31.8.2003 und von Uhg für die Zeit vom 1.9.2003 bis 31.5.2004 auf und forderte die Erstattung der gewährten Leistungen sowie der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung in Höhe von insgesamt 7784,76 Euro (Bescheid vom 1.7.2004). Den Widerspruch, den der Kläger mit zwei größeren Einzahlungen seiner Großmutter und des Käufers einer Küchenzeile zugunsten seines Vaters begründete, wies die Beklagte zurück. Der Kläger habe mangels Bedürftigkeit keinen Anspruch auf Leistungen gehabt. Die Ausführungen, wonach es sich um Vermögen seines Vaters gehandelt habe, seien nicht überzeugend (Widerspruchsbescheid vom 28.10.2005).

5

Das Sozialgericht (SG) hat der Klage stattgegeben (Urteil vom 21.11.2006). Das Landessozialgericht (LSG) hat nach Anhörung des Klägers und erneuter Beweiserhebung die Berufung der Beklagten zurückgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, es sei nach seiner Überzeugung nicht nachgewiesen, dass das auf dem Konto bei der C-Bank vorhandene Vermögen dem Kläger zuzuordnen sei. Soweit letzte Zweifel an der Zuordnung des Geldes bestünden, gingen diese zu Lasten der Beklagten. Für eine Beweislastumkehr sei kein Raum (Urteil vom 4.11.2009).

6

Mit der Revision rügt die Beklagte einen Verstoß gegen den Grundsatz der freien Beweiswürdigung und eine Verletzung materiellen Rechts, indem das LSG sie als beweisbelastet angesehen habe. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) gehe es zu Lasten des Arbeitslosen, wenn seiner Sphäre zuzuordnende Vorgänge nicht aufklärbar seien. Davon sei auch auszugehen, wenn nach Ausschöpfung aller Beweismittel Restzweifel an der Zuordnung von Vermögenswerten verblieben. Da beim LSG trotz der für die Darstellung des Klägers sprechenden Umstände letzte Zweifel verblieben seien, habe es eine Beweislast des Klägers annehmen müssen.

7

Die Beklagte beantragt,
die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Klage abzuweisen.

8

Der Kläger beantragt,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

9

Er hält das angefochtene Urteil des LSG für zutreffend.

Entscheidungsgründe

10

Die Revision der Beklagten ist nicht begründet (§ 170 Abs 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz). Das angefochtene Urteil verletzt die Beklagte nicht in ihren Rechten. Nach den für das Revisionsgericht verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz ist das LSG rechtsfehlerfrei im Rahmen seiner Beweiswürdigung zu dem Ergebnis gekommen, es sei nicht nachgewiesen, dass der Kläger bei Bewilligung der Alhi über ein den Freibetrag übersteigendes Vermögen verfügt hat. Die Rücknahme der Bewilligung von Alhi (unter 1.) und Uhg (unter 2.) ist aus diesem Grund rechtswidrig.

11

1. Rechtsgrundlage der zutreffend mit der Anfechtungsklage (§ 54 Abs 1 SGG) angegriffenen Rücknahme der Alhi-Bewilligung durch den Bescheid vom 1.7.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28.10.2005 ist § 45 Abs 1 und Abs 2 Satz 3 Nr 2 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) iVm § 330 Abs 2 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III). Rechtsgrundlage der daran anknüpfenden Rückforderung ist im Hinblick auf zu Unrecht erbrachte Leistungen § 50 Abs 1 Satz 1 SGB X und bezogen auf die gezahlten Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge § 335 Abs 1 Satz 1 und Abs 5 SGB III idF des Dritten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23.12.2003, BGBl I 2848 (zum insoweit geltenden Recht, wenn der Widerspruchsbescheid aus der Zeit nach dem 1.1.2005 datiert und der Ersatzanspruch vor dem 1.1.2005 entstanden ist: vgl BSG SozR 4-4300 § 335 Nr 1).

12

Für die vorrangige Frage der Rechtmäßigkeit der Rücknahmeentscheidung kommt es in erster Linie darauf an, ob der Bescheid über die Bewilligung der Alhi vom 12.8.2003 als den Kläger begünstigender Verwaltungsakt von Anfang an rechtswidrig ist. Die anfängliche Rechtswidrigkeit der Leistungsgewährung wiederum hängt nach den Umständen des Falles davon ab, ob bei der Bewilligung von Alhi ab 23.7.2003 die Voraussetzungen eines Alhi-Anspruchs gegeben waren. Das richtet sich nach § 190 Abs 1 Nr 1 bis 5 SGB III idF des Arbeitsförderungs-Reformgesetzes (AFRG) vom 24.3.1997 (BGBl I 594); fraglich ist hier insbesondere, ob der Kläger bedürftig war (Abs 1 Nr 5). Nicht bedürftig ist ein Arbeitsloser, solange mit Rücksicht auf sein Vermögen die Gewährung von Alhi nicht gerechtfertigt ist ( § 193 Abs 2 SGB III idF des Gesetzes zur Beendigung der Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Gemeinschaften; Lebenspartnerschaften vom 16.2.2001, BGBl I 266).

13

Nähere Bestimmungen zur Berücksichtigung von Vermögen trifft die insoweit auf der Verordnungsermächtigung nach § 206 Nr 1 SGB III idF des AFRG beruhende Arbeitslosenhilfe-Verordnung (AlhiV 2002) vom 13.12.2001 (BGBl I 3734). Danach ist das gesamte verwertbare Vermögen des Arbeitslosen zu berücksichtigen, soweit der Wert des Vermögens den Freibetrag übersteigt (§ 1 Abs 1 Nr 1 AlhiV 2002). Freibetrag ist, soweit hier von Bedeutung, ein Betrag von 200,00 Euro je vollendetem Lebensjahr des Arbeitslosen, der jedoch 13 000,00 Euro nicht übersteigen darf (§ 1 Abs 2 Satz 1 AlhiV 2002 idF des Ersten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23.12.2002, BGBl I 4607, mit Wirkung vom 1.1.2003). Für den am 23.12.1975 geborenen Kläger ergab sich demnach zu Beginn des streitigen Zeitraums (Alhi-Bezug ab 23.7.2003) ein Freibetrag von 5400,00 Euro (200,00 Euro x 27), weil er am 23.12.2002 das 27. Lebensjahr vollendet hatte.

14

Das zu Beginn des streitigen Zeitraums vorhandene Guthaben auf dem Konto bei der C-Bank überstieg damit zwar den persönlichen Freibetrag. Die Vorinstanzen sind aber zu Recht davon ausgegangen, dass nicht allein deswegen eigenes Vermögen vorhanden war und die Bedürftigkeit des Klägers fehlte. Durch die Einrichtung und Unterhaltung des Kontos im eigenen Namen hat zwar der Kläger den vor allem für seine Rechtsbeziehungen zur Bank bedeutsamen Eindruck hervorgerufen, dass er als Kontoinhaber Vertragspartner der Bank ist und damit auch Gläubiger von Kontoguthaben (vgl Gößmann in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, 3. Aufl 2007, § 29 RdNr 9 ff). Der dadurch gesetzte Rechtsschein allein genügt aber nach der Rechtsprechung des Senats nicht, um das Kontoguthaben zu Lasten des Klägers als ein die Bedürftigkeit ausschließendes Vermögen zu behandeln. Denn bei der Bedürftigkeitsprüfung ist nur Vermögen zu berücksichtigen, das dem Arbeitslosen nicht nur dem äußeren Schein nach, sondern auch nach Maßgabe des bürgerlichen Rechts als ihm gehörend zuzuordnen ist.

15

Diesen Grundsatz hat der Senat mit Urteil vom 24.5.2006 ( B 11a AL 7/05 R , BSGE 96, 238 = SozR 4-4220 § 6 Nr 4) anhand der behaupteten stillen Zession des Anspruchs auf ein Sparguthaben herausgearbeitet sowie in einer Parallelentscheidung vom selben Tag für den Fall einer verdeckten Treuhand hinsichtlich eines Sparguthabens ( B 11a AL 49/05 R ). In weiteren Entscheidungen zu angeblich verdeckten Treuhandverhältnissen vom 13.9.2006 ( B 11a AL 13/06 R und B 11a AL 19/06 R ), vom 21.3.2007 (B 11a AL 21/06 R) und vom 28.8.2007 (B 7/7a AL 10/06 R) haben die in Angelegenheiten der Arbeitsförderung zuständigen Senate diese Rechtsprechung fortgeführt und bestätigt. Der vorliegende Fall bietet keinen Anlass für eine abweichende Beurteilung, auch wenn der vom LSG festgestellte Sachverhalt einer verdeckten Überlassung der Verfügung über ein Bankkonto ("Kontenüberlassung") teilweise anders gelagert ist als die Tatbestände, mit denen sich das BSG bereits befasst hat. Denn entscheidend ist, dass der durch die Vorinstanz festgestellte Sachverhalt eine mit dem äußeren Anschein übereinstimmende rechtliche Zuordnung des Vermögens ausschließt.

16

a) Hiernach hat der Kläger das Konto zwar ursprünglich zur Erlangung einer Werbeprämie (Gutschrift von Aktien) eigennützig eingerichtet, aber dann nicht mehr selbst verwendet, sondern intern seinem Vater für Bankgeschäfte auf dessen eigene Rechnung überlassen. Für das Innenverhältnis zwischen dem Kläger und seinem Vater ist insoweit auf eine Rechtsbeziehung zu schließen, die im Hinblick auf die Frage der Vermögenszuordnung nicht anders zu behandeln ist als eine verdeckte Treuhand. Da es keinen gesetzlich typisierten Treuhandvertrag gibt, richten sich die Rechtsbeziehungen innerhalb eines als Treuhand bezeichneten Vertragsverhältnisses nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach den jeweiligen Absprachen (vgl BGH WM 1969, 935). Gemeinsames Merkmal rechtsgeschäftlicher Treuhandverhältnisse ist aber jedenfalls, dass dem Treuhänder nach außen hin eine Rechtsmacht eingeräumt ist, in deren Ausübung er im Innenverhältnis zum Treugeber als dem wirtschaftlichen Eigentümer durch eine schuldrechtliche Treuhandabrede beschränkt ist (vgl BGHZ 157, 178; Palandt/Bassenge, BGB, 69. Aufl 2010, § 903 RdNr 33; Palandt/Ellenberger, aaO, Überblick vor § 104 RdNr 25).

17

Von einer damit wenigstens vergleichbaren rechtlichen Konstellation ist auch nach den insoweit von der Beklagten nicht angegriffenen und demgemäß bindenden (§ 163 SGG) Feststellungen des LSG auszugehen. Danach sind sich der Kläger und sein Vater stillschweigend darüber einig gewesen, dass der Kläger ungeachtet der Rechtsmacht, die er im Verhältnis zur Bank aufgrund seiner Stellung als deren Vertragspartner sowie formaler Kontoinhaber und Gläubiger von Guthaben inne hatte, nicht zu eigennützigen Verfügungen über das auf Rechnung des Vaters angelegte Geld befugt war. Das gilt insbesondere für die Zahlungen der Großmutter des Klägers und des Käufers einer Küchenzeile, ohne die sich gar kein den Freibetrag übersteigendes Guthaben ergeben hätte. Denn dabei handelte es sich um Leistungen, mit denen diese Personen bewusst und zielgerichtet das Vermögen des Vaters mehren wollten, so dass sich der außerhalb dieser Leistungsbeziehungen stehende Kläger ohne rechtlichen Grund bereichert hätte (§ 812 Abs 1 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch), falls er unter Ausnutzung der ihm als Kontoinhaber im Außenverhältnis zur Bank zukommenden Rechtsstellung auf eigene Rechnung über die seinem Vater zugedachten Geldbeträge verfügt hätte.

18

b) Das LSG durfte sich auf der Grundlage erschöpfender Ermittlungen rechtsfehlerfrei auch davon überzeugen, es sei nicht nachgewiesen, das am 23.7.2003 und in der Folgezeit auf dem Konto bei der C-Bank vorhandene Vermögen sei dem Kläger zuzuordnen. Im Rahmen der Amtsermittlung (§ 103 SGG) hat es - was von der Beklagten nicht beanstandet wird - alle verfügbaren Erkenntnisquellen durch Einholung von Auskünften und Befragung von Zeugen ausgeschöpft, um die nötigen Feststellungen treffen zu können, und entsprechend dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung (§ 128 Abs 1 Satz 1 SGG) alle Besonderheiten des konkreten Falles in tatsächlicher Hinsicht erfasst und gewürdigt. Die Beklagte rügt (zu Recht) weder die Verletzung des Grundsatzes der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme (§ 117 SGG ) durch die ergänzende Übernahme von Ergebnissen der erstinstanzlichen Ermittlungen (zu den Grenzen vgl BSG SozR 4-1500 § 128 Nr 7; BSG Urteil vom 8.9.2010 - B 11 AL 4/09 R) noch die Überschreitung der Grenzen der freien Beweiswürdigung durch einen Verstoß gegen Erfahrungssätze oder Denkgesetze (hierzu BSG SozR 3-2200 § 581 Nr 8; BSGE 95, 244, 254 = SozR 4-3100 § 1a Nr 1, jeweils RdNr 53 f).

19

Soweit die Beklagte demgegenüber eine Verletzung des Grundsatzes der freien Beweiswürdigung ausdrücklich damit rügt, dass nach Ausschöpfung aller Beweismittel beim LSG Restzweifel verblieben seien, die nicht zu ihren Lasten gehen könnten, macht sie inhaltlich keinen Verfahrensmangel geltend. Denn die Revision beanstandet der Sache nach gar nicht, dass sich das LSG keine tatsächliche Überzeugung vom Vorhandensein eines die Bedürftigkeit ausschließenden Vermögens des Klägers bilden konnte. Die Rüge der Beklagten beschränkt sich im Kern vielmehr darauf, dass "letzte Zweifel an der Zuordnung des Geldes" das LSG nicht zu einer Entscheidung nach Beweislastgrundsätzen zu ihren Gunsten veranlasst haben. Dieser Angriff betrifft indessen keinen Fehler bei der Beweiswürdigung, sondern die Beurteilung der Voraussetzungen für eine Entscheidung aufgrund der objektiven Beweislast (Feststellungslast).

20

Die Grundsätze der objektiven Beweislast (Feststellungslast) greifen ein, wenn der Tatrichter keine Überzeugung von der Wahrheit oder Unwahrheit einer streitigen und entscheidungserheblichen Tatsachenbehauptung gewinnen kann ("non liquet"), und sie bestimmen, zu wessen Lasten diese Unaufklärbarkeit geht (vgl zB BSGE 71, 256 = SozR 3-4100 § 119 Nr 7). Die objektive Beweislast kennzeichnet mit anderen Worten das Risiko, wegen der Nichterweislichkeit rechtlich erheblicher Tatsachen im Prozess zu unterliegen. Welchen Beteiligten dieses Risiko trifft, ist grundsätzlich eine Frage des materiellen Rechts, weil sich die Beweislastverteilung nach dem Regelungsgefüge der jeweils maßgebenden Norm richtet (vgl zB BSGE 71, 256 = SozR 3-4100 § 119 Nr 7; Schmidt-Aßmann in Maunz/Dürig, GG, Art 19 Abs 4 RdNr 228, Stand 2003; Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, § 103 RdNr 19a jeweils mwN). Eine Entscheidung nach den Grundsätzen der objektiven Beweislast darf allerdings - wie ausgeführt - erst getroffen werden, wenn alle verfügbaren Erkenntnisquellen ausgeschöpft sind und sich das Gericht dennoch keine Überzeugung in der einen oder anderen Richtung bilden konnte. Im sozialgerichtlichen Verfahren stellt sich die Frage der Beweislastverteilung daher nur, wenn es dem Tatrichter trotz Erfüllung seiner insbesondere durch § 103 SGG und § 128 Abs 1 Satz 1 SGG begründeten Pflicht zur eingehenden Erforschung des Sachverhalts und zur sorgfältigen Würdigung der erhobenen Beweise nicht gelungen ist, eine in tatsächlicher Hinsicht bestehende Ungewissheit zu beseitigen(stRspr, vgl zB BSGE 71, 256 = SozR 3-4100 § 119 Nr 7 mwN; BSGE 96, 238, 245 = SozR 4-4220 § 6 Nr 4; zuletzt Urteil des erkennenden Senats vom 8.9.2010, B 11 AL 4/09 R).

21

Beweismaßstab ist im sozialgerichtlichen Verfahren insoweit grundsätzlich der Vollbeweis. Das Gericht muss sich die volle Überzeugung vom Vorhandensein oder Nichtvorhandensein einer Tatsache verschaffen. Die Maßstäbe der Wahrscheinlichkeit und Glaubhaftmachung reichen nicht aus (vgl BSG SozR 3-3900 § 15 Nr 4). Allerdings verlangt auch der Vollbeweis keine absolute Gewissheit, sondern lässt eine an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit ausreichen. Denn ein darüber hinausgehender Grad an Gewissheit ist so gut wie nie zu erlangen (vgl Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, § 128 RdNr 3b mwN). Daraus folgt, dass auch dem Vollbeweis gewisse Zweifel innewohnen können, verbleibende Restzweifel mit anderen Worten bei der Überzeugungsbildung unschädlich sind, solange sie sich nicht zu gewichtigen Zweifeln verdichten. Übertragen auf den vorliegenden Fall hindern deshalb auch die vom LSG parallel zur Überzeugung des fehlenden Nachweises der mangelnden Bedürftigkeit des Klägers geäußerten letzten Zweifel an der Zuordnung des Geldes den Vollbeweis nicht. Es steht daher mit der nötigen wie auch ausreichenden Gewissheit fest, dass die maßgeblichen aus Überweisungen zugunsten des Vaters stammenden Gelder auf dem Konto der C-Bank nicht dem Vermögen des Klägers zuzurechnen sind. Ist somit bereits nach allgemeinen Grundsätzen des Beweisrechts der Vollbeweis erbracht, lösen die erwähnten Restzweifel entgegen der Auffassung der Revision keine Entscheidung nach der objektiven Beweislast und erst recht keine Beweislastumkehr aus.

22

Selbst wenn indes mit der Beklagten in tatsächlicher Hinsicht von einem "non liquet" ausgegangen würde, ergäbe sich hieraus keine Entscheidung zu ihren Gunsten. Im Rahmen der Rücknahme einer Leistungsbewilligung obliegt grundsätzlich der Beklagten die objektive Beweislast für das Vorhandensein der Rücknahmevoraussetzungen, hier mithin für die Rechtswidrigkeit der Bewilligung, konkret für das Fehlen der Bedürftigkeit als Voraussetzung des Alhi-Anspruchs (vgl zur Beweislast bei Aufhebung von Bewilligungsentscheidungen zuletzt Urteil des erkennenden Senats vom 8.9.2010, B 11 AL 4/09 R). Die Unerweislichkeit einer Tatsache geht grundsätzlich zu Lasten des Beteiligten, der aus ihr eine ihm günstige Rechtsfolge herleiten will. Die in arbeitsförderungsrechtlichen Angelegenheiten zuständigen Senate haben allerdings ausgesprochen, dass unter dem Gesichtspunkt einer besonderen Beweisnähe des Arbeitslosen eine Umkehr der Beweislast gerechtfertigt sein kann, wenn in seiner Sphäre wurzelnde Vorgänge nicht mehr aufklärbar sind (BSGE 96, 238, 245 f = SozR 4-4220 § 6 Nr 4; BSG Urteil vom 24.5.2006, B 11a AL 49/05 R; BSG Urteile vom 13.9.2006, B 11a AL 13/06 R und B 11a AL 19/06 R; BSG Urteil vom 21.3.2007, B 11a AL 21/06 R; BSG Urteil vom 28.8.2007, B 7a AL 10/06 R). Das bedeutet aber keineswegs eine Beweislastumkehr stets und in allen Fällen, in denen nicht zweifelsfrei geklärte Tatsachen die persönliche Sphäre des Arbeitslosen betreffen. Die Grundsätze der Beweislastumkehr können jedoch dann eingreifen, wenn es um in der Sphäre des Arbeitslosen liegende Tatsachen geht, die die Beklagte in Ermangelung entsprechender Angaben des Arbeitslosen nicht kennt und nicht kennen muss (vgl BSG SozR 4-1500 § 128 Nr 5 RdNr 17 unter Hinweis auf BSGE 71, 256, 263 = SozR 3-4100 § 119 Nr 7). Auf dieser Linie liegt es, dass das BSG im Urteil vom 24.5.2006 und in den nachfolgenden Entscheidungen (aaO) als Beispiele für eine dem Arbeitslosen anzulastende Beweisnähe, die eine Umkehr der Beweislast rechtfertigen kann, Verhaltensweisen des Arbeitslosen genannt hat, welche zu einer Erschwerung oder Verhinderung der entscheidungserheblichen Tatsachenfeststellungen führen. Anhaltspunkte für ein solches Verhalten des Klägers sind nicht ersichtlich und von der Beklagten nicht behauptet. Insoweit bedarf hier keiner näheren Vertiefung, dass - wie bereits vom LSG ausgeführt - der Kläger selbst beim Antrag auf Alhi angegeben hat, einen Freistellungsauftrag erteilt zu haben.

23

2. Sind damit die Voraussetzungen für eine Rücknahme der Alhi nicht gegeben, ist zugleich die Rücknahmeentscheidung hinsichtlich der Bewilligung des Uhg hinfällig. Insoweit kommt es nicht darauf an, ob die Bewilligung des Uhg nach Maßgabe der §§ 153 ff SGB III idF des Ersten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23.12.2002 (BGBl I 4607) überhaupt von einer Bedürftigkeitsprüfung abhängig war (vgl § 158 Abs 1 Satz 2 SGB III) oder nach Wiederaufnahme der Umschulung zum 1.9.2003 wegen der Klammerwirkung der zum 21.7.2003 abgebrochenen Weiterbildung und des dann entscheidenden Vorbezugs von Alg das Uhg nach dieser Leistung (vgl § 158 Abs 1 Satz 1 SGB III) zu bemessen war (hierzu BSG SozR 4-4300 § 158 Nr 3, BSG SozR 4-4300 § 158 Nr 4).

24

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

(1) Wer durch eine militärische oder militärähnliche Dienstverrichtung oder durch einen Unfall während der Ausübung des militärischen oder militärähnlichen Dienstes oder durch die diesem Dienst eigentümlichen Verhältnisse eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der Schädigung auf Antrag Versorgung.

(2) Einer Schädigung im Sinne des Absatzes 1 stehen Schädigungen gleich, die herbeigeführt worden sind durch

a)
eine unmittelbare Kriegseinwirkung,
b)
eine Kriegsgefangenschaft,
c)
eine Internierung im Ausland oder in den nicht unter deutscher Verwaltung stehenden deutschen Gebieten wegen deutscher Staatsangehörigkeit oder deutscher Volkszugehörigkeit,
d)
eine mit militärischem oder militärähnlichem Dienst oder mit den allgemeinen Auflösungserscheinungen zusammenhängende Straf- oder Zwangsmaßnahme, wenn sie den Umständen nach als offensichtliches Unrecht anzusehen ist,
e)
einen Unfall, den der Beschädigte auf einem Hin- oder Rückweg erleidet, der notwendig ist, um eine Maßnahme der Heilbehandlung, eine Badekur, Versehrtenleibesübungen als Gruppenbehandlung oder Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nach § 26 durchzuführen oder um auf Verlangen eines zuständigen Leistungsträgers oder eines Gerichts wegen der Schädigung persönlich zu erscheinen,
f)
einen Unfall, den der Beschädigte bei der Durchführung einer der unter Buchstabe e aufgeführten Maßnahmen erleidet.

(3) Zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung genügt die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs. Wenn die zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung erforderliche Wahrscheinlichkeit nur deshalb nicht gegeben ist, weil über die Ursache des festgestellten Leidens in der medizinischen Wissenschaft Ungewißheit besteht, kann mit Zustimmung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales die Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung anerkannt werden; die Zustimmung kann allgemein erteilt werden.

(4) Eine vom Beschädigten absichtlich herbeigeführte Schädigung gilt nicht als Schädigung im Sinne dieses Gesetzes.

(5) Ist der Beschädigte an den Folgen der Schädigung gestorben, so erhalten seine Hinterbliebenen auf Antrag Versorgung. Absatz 3 gilt entsprechend.

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 22. November 2012 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt die Feststellung von Schädigungsfolgen und die Gewährung einer Beschädigtenversorgung.

2

Der 1941 geborene Kläger war von November 1963 bis April 1968 als Zugschaffner und Zugfertigsteller bei der Deutschen Reichsbahn am Bahnhof G. beschäftigt. In den Jahren 1966 bis 1968 wurde er nach den Feststellungen des LSG durch Mitarbeiter der Staatssicherheit bedroht und unter Druck gesetzt und als inoffizieller Mitarbeiter geworben. Im April 1968 löste der Kläger sein Arbeitsverhältnis mit dem Bahnhof G. Danach war er als Reinigungsmüller bei den M., anschließend als Koch und Küchenleiter zunächst im R.-Heim und nach dortigen Verwerfungen ab 1976 im N. Krankenhaus in G. tätig.

3

Seit 1976 befand sich der Kläger nach seinen Angaben in nervenärztlicher Behandlung. In den Sozialversicherungsausweisen sind seit dieser Zeit Psychosen, Neurosen und paranoide Zustände dokumentiert. Seit 1980 bezog der Kläger eine Invalidenrente, seit 1992 als Rente wegen Erwerbsunfähigkeit. Ab dem 1.1.1991 erkannte das Land Brandenburg - Landesversorgungsamt - bei dem Kläger einen Grad der Behinderung von 80 wegen psychovegetativer Störungen an und stellte das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen "G" und "B" fest (Bescheide vom 11.7.1995 und 7.9.1995). Das Ministerium des Innern des Landes Brandenburg hat nach dem Gesetz über die Aufhebung rechtsstaatswidriger Verwaltungsentscheidungen im Beitrittsgebiet und die daran anknüpfenden Folgeansprüche (Verwaltungsrechtliches Rehabilitierungsgesetz - VwRehaG) später festgestellt, dass der Kläger durch Mitarbeiter der Staatssicherheit Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt war, die mit tragenden Grundsätzen eines Rechtsstaates schlechthin unvereinbar waren; diese Maßnahmen wurden nach § 1 Abs 1 und 5 VwRehaG für rechtsstaatswidrig erklärt. Des Weiteren wurde festgestellt, dass der Kläger Verfolgter iS des § 1 Abs 1 Nr 3 Berufliches Rehabilitierungsgesetz (BerRehaG) ist. Als berufliche Verfolgungszeit wurde der Zeitraum von 1968 bis 1990 angegeben (Bescheid vom 23.11.1999). Den Antrag des Klägers auf "Entschädigung aufgrund staatlicher Willkür aus der DDR-Zeit" nach dem VwRehaG lehnte das beklagte Land hingegen ua nach Einholung eines nervenärztlichen Kausalitätsgutachtens bei dem Arzt für Neurologie und Psychiatrie und Sozialmediziner Dr. T. vom 29.5.2000 ab, nachdem dieser aufgrund einer ambulanten Untersuchung zu dem Ergebnis gekommen war, dass die bei dem Kläger vorliegende schwere Zwangsneurose nicht ursächlich auf Verfolgungsmaßnahmen in den Jahren 1966 bis 1968 zurückgeführt werden könne (Bescheid vom 22.6.2000). Das Widerspruchsverfahren wurde auf Wunsch des Klägers vorläufig eingestellt (Schreiben vom 25.8.2000). Im Februar 2005 beantragte der Kläger erfolglos die Überprüfung seiner Versorgungsleistungen nach dem VwRehaG (Bescheid vom 1.7.2005; Widerspruchsbescheid vom 28.9.2005).

4

Das SG hat im anschließenden Klageverfahren auf Antrag des Klägers ein Gutachten bei dem Diplom-Psychologen und Psychologischen Psychotherapeuten Tr. eingeholt. Dieser hat nach ambulanten Untersuchungen des Klägers eine gemischte Angst-Zwangsstörung diagnostiziert, die chronifiziert und mit Wahrscheinlichkeit durch Verfolgungsmaßnahmen der Mitarbeiter der Staatssicherheit in der - vom Sachverständigen angenommenen - Verfolgungszeit von 1968 bis 1990 hervorgerufen worden sei. Der Grad der schädigungsbedingten Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) betrage 70 vH. Das SG hat weiter Beweis erhoben ua durch Einholung eines neurologisch-psychiatrischen Gutachtens des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie sowie für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie Dr. G. Dieser ist nach ambulanter Untersuchung zur Einschätzung gelangt, bei dem Kläger liege ua eine chronifizierte schwere Zwangsstörung mit Begleitphänomenen vor. Die Zwangsstörung weise entstehungsmäßig neben neurologisch relevanten Belastungsfaktoren insbesondere psychosoziale Belastungsfaktoren auf, nämlich Belastungen in Kindheit und Jugend (ua Vergewaltigung der Mutter im Krieg, Verachtung durch den Vater, Schläge durch den Bruder), die von April 1966 bis Juni 1968 erlittenen Verfolgungsmaßnahmen (ua mit der Drohung von Verfehlungen am Arbeitsplatz und Unterstellung von Straftaten) und die Vorkommnisse bei seinem späteren Arbeitgeber im R. Heim (ua Vorwurf der Gefährdung einer ordnungsgemäßen Essensversorgung der Heimbewohner). Diese psychosozial relevanten Belastungsfaktoren, die wesentlich für die Entstehung und Aufrechterhaltung der schweren Zwangsstörung des Klägers seien, seien von ihrer Bedeutung her etwa gleichwertig. Eine etwaig genauere und prozentuale Aussage sei nicht möglich. Wollte man die Kausalität bejahen, läge bei dem Kläger seit Oktober 1998 ein schädigungsbedingter Grad einer MdE von 70 vH vor. Das SG hat die Klage hierauf abgewiesen. Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens stehe nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit fest, dass die von dem Kläger geltend gemachte Angst- und Zwangsstörung Folge der rechtsstaatswidrigen Verfolgungsmaßnahmen der Mitarbeiter der Staatssicherheit der ehemaligen DDR sei (Urteil vom 13.1.2009).

5

Das LSG hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Es bestehe kein Anspruch auf Feststellung einer Schädigungsfolge und Versorgungsleistungen, auch wenn ein schädigendes Ereignis iS von § 1 VwRehaG für die Zeit von März 1966 bis Juni 1968 vorliege. Die im Kern von allen Gutachtern gestellte Diagnose einer chronifizierten schweren Zwangsstörung sei nicht wesentlich ursächlich auf das schädigende Ereignis zurückzuführen. Das in Bezug auf den richtigen Verfolgungszeitraum allein nachvollziehbare Gutachten des Sachverständigen Dr. G.
komme zu dem Ergebnis, dass die Zwangsstörung des Klägers im Wesentlichen auf drei gleichwertigen Ursachen beruhe. Nach der Rechtsprechung des 9. Senats des BSG bedeute dies, dass die streitigen Verfolgungsmaßnahmen innerhalb des Ursachenkomplexes mit ca einem Drittel eine untergeordnete Rolle einnehmen. Die Rechtsprechung des 2. Senats des BSG, nach der auch eine rechnerisch verhältnismäßig niedriger zu bewertende Ursache rechtlich wesentlich sein könne, komme im Versorgungsrecht nicht zum Tragen (Urteil vom 22.11.2012).

6

Mit seiner Revision rügt der Kläger die Verletzung der Kausalitätsnorm der (Theorie der) wesentlichen Bedingung und der Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV). Das Berufungsgericht habe gegen Denkgesetze verstoßen, indem es aus drei nebeneinander bestehenden Einzelursachen geschlossen habe, dass keine dieser Ursachen wesentlich sein könne. Das LSG habe zudem Beweisanträge übergangen und das Fragerecht aus § 116 S 2 SGG verletzt.

7

Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 22. November 2012 und das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 13. Januar 2009 sowie die Bescheide des Beklagten vom 22. Juni 2000 sowie vom 1. Juli 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. September 2005 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, bei dem Kläger nach dem Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetz in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz eine Angst- und Zwangsstörung als Schädigungsfolge anzuerkennen und dem Kläger ab dem 1. Oktober 1998 eine Beschädigtenversorgung nach einem Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit/einem Grad der Schädigungsfolgen von 70 vH zu gewähren,
hilfsweise,
das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 22. November 2012 aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.

8

Der Beklagte hält das angefochtene Urteil für zutreffend und beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

9

Die Revision des Klägers ist unbegründet (§ 170 Abs 1 S 1 SGG). Die Klage ist zwar zulässig (dazu 1.) Der Kläger hat aber keinen Anspruch auf Anerkennung der geltend gemachten Schädigungsfolgen und Gewährung von Beschädigtenversorgung (dazu 2.). Insbesondere ist das LSG bei der Prüfung des Anspruchs von einem zutreffenden rechtlichen Prüfmaßstab der Kausalität ausgegangen (dazu 3.).

10

1. Statthafte Klage ist die zutreffend vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit (§ 16 Abs 2 VwRehaG) erhobene kombinierte Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 und 5 SGG; vgl BSGE 108, 97 = SozR 4-3800 § 1 Nr 18, RdNr 31). Gegenstand des Rechtsstreits ist die Aufhebung der entgegenstehenden Bescheide vom 22.6.2000, 1.7.2005 und 28.9.2005, die Anerkennung von Schädigungsfolgen sowie die Gewährung einer Beschädigtenversorgung. Zu Recht ist das LSG deshalb auch nicht von einem auf Rücknahme des Bescheides vom 22.6.2000 gerichteten Überprüfungsbegehren iS des § 44 SGB X ausgegangen, auch wenn der Bescheid vom 1.7.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.9.2005 diese Rechtsgrundlage benennt. Wenn Unanfechtbarkeit noch nicht eingetreten ist, wird das Verfahren nach § 44 SGB X im Regelfall nicht benötigt(BSG SozR 4-4300 § 330 Nr 2 Juris RdNr 17; BVerwGE 115, 302; hierzu Merten in Hauck/Noftz, SGB X, Stand Juni 2014, K § 44 RdNr 51). So verhält es sich hier. Denn in der Sache war der Widerspruchsbescheid vom 28.9.2005 auf den noch ausstehenden Abschluss des Verfahrens über den Widerspruch gegen den Bescheid vom 22.6.2000 gerichtet (vgl § 78 SGG).

11

2. Die Voraussetzungen der für den geltend gemachten Anspruch auf Anerkennung einer Schädigungsfolge sowie auf Gewährung einer Versorgung allein in Betracht kommenden Rechtsgrundlage des § 3 VwRehaG liegen nicht vollständig vor. Nach § 3 Abs 1 S 1 VwRehaG erhält ein Betroffener, der infolge einer Maßnahme nach § 1 VwRehaG eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen dieser Schädigung auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG). Dies gilt nicht, soweit er wegen desselben schädigenden Ereignisses bereits Versorgung auf Grund des BVG oder auf Grund von Gesetzen, die eine entsprechende Anwendung des BVG vorsehen, erhält (§ 3 Abs 1 S 2 VwRehaG). Zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung genügt die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhanges (§ 3 Abs 5 S 1 RehaG).

12

a) Der Anspruch nach § 3 Abs 1 S 1 VwRehaG ist eine von mehreren Folgemaßnahmen im Rahmen der SED-Unrechtsbereinigung. Das VwRehaG ist zum 1.7.1994 zusammen mit dem BerRehaG als Art 1 und 2 des Zweiten SED-Unrechtsbereinigungsgesetzes vom 23.6.1994 (BGBl I 1311) mit dem Ziel eingeführt worden, neben der strafrechtlichen Rehabilitierung durch das Strafrechtliche Rehabilitierungsgesetz (StrRehaG), welches bereits Gegenstand des Ersten SED-Unrechtsbereinigungsgesetzes vom 29.10.1992 (BGBl I 1814) war, eine Rehabilitierung durch Aufhebung rechtsstaatswidriger Verwaltungsentscheidungen zu ermöglichen. Dementsprechend ist eine hoheitliche Maßnahme einer deutschen behördlichen Stelle zur Regelung eines Einzelfalls in dem in Art 3 des Einigungsvertrages genannten Gebiet (Beitrittsgebiet) aus der Zeit vom 8.5.1945 bis zum 2.10.1990 (Verwaltungsentscheidung), die zu einer gesundheitlichen Schädigung (§ 3), einem Eingriff in Vermögenswerte (§ 7) oder einer beruflichen Benachteiligung (§ 8) geführt hat, auf Antrag aufzuheben, soweit sie mit tragenden Grundsätzen eines Rechtsstaates schlechthin unvereinbar ist und ihre Folgen noch unmittelbar schwer und unzumutbar fortwirken (§ 1 Abs 1 S 1 VwRehaG). Für eine hoheitliche Maßnahme, die nicht auf die Herbeiführung einer Rechtsfolge gerichtet ist, gelten die Vorschriften dieses Gesetzes entsprechend. An die Stelle der Aufhebung der Maßnahme tritt die Feststellung ihrer Rechtsstaatswidrigkeit (§ 1 Abs 5 S 1 und 2 VwRehaG). Die Aufhebung oder die Feststellung der Rechtsstaatswidrigkeit einer Maßnahme nach § 1 begründet Ansprüche nach Maßgabe dieses Gesetzes(§ 2 Abs 1 VwRehaG). Die Rehabilitierungsentscheidung ist danach von der Entscheidung über die - hier streitgegenständlichen - Folgeansprüche zu unterscheiden. Die Entscheidung über die Rehabilitierung obliegt der Rehabilitierungsbehörde (§ 12 VwRehaG), diejenige über den Ausgleich fortwirkender Folgen (vgl § 2 Abs 1 VwRehaG) je nach der Art des Primärschadens - wie hier bei Gesundheitsschädigung - der Versorgungsverwaltung (§ 12 Abs 4 VwRehaG), der nach dem Vermögensgesetz zuständigen Behörde bei Eingriffen in Vermögenswerte (§ 7 VwRehaG iVm dem Vermögensgesetz) und verschiedenen Sozialleistungsträgern bei beruflicher Benachteiligung (§ 8 VwRehaG iVm § 1 Abs 1 Nr 3 BerRehaG).

13

b) Der Anspruch nach § 3 Abs 1 S 1 VwRehaG ist nicht wegen konkurrierender Sozialleistungen ausgeschlossen. Nach den unangegriffenen Feststellungen des LSG (§ 163 SGG)kann davon ausgegangen werden, dass anderweitige Versorgungsleistungen, die den Anspruch nach § 3 Abs 1 S 2 VwRehaG ausschließen, nicht bezogen werden.

14

c) Der Kläger ist Betroffener iS von § 3 Abs 1 S 1 VwRehaG. Er gehört zu dem nach § 1 VwRehaG berechtigten Personenkreis. Der Kläger war durch Mitarbeiter der Staatssicherheit Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt, die mit tragenden Grundsätzen eines Rechtsstaates schlechthin unvereinbar waren. Diese Maßnahmen wurden nach § 1 Abs 1 und 5 VwRehaG für rechtsstaatswidrig erklärt. Die entsprechenden Feststellungen der Rehabilitierungsbehörde im Bescheid vom 23.11.1999 sind für die nachgeschalteten Fachbehörden bindend (§ 12 Abs 1 S 3 VwRehaG; zur fehlenden Verbindlichkeit von Tatsachenfeststellungen der Behörden der ehemaligen DDR vgl BVerfG Beschluss vom 24.9.2014 - 2 BvR 2782/10). Dies betrifft zum einen die genaue Bezeichnung der hoheitlichen Maßnahme, die den Anknüpfungspunkt für mögliche Folgeansprüche bildet. Und es betrifft zum anderen die Qualifizierung dieser Maßnahme als rechtsstaatswidrig. Jedenfalls bei Eingriffen in das Rechtsgut Gesundheit hat die Rehabilitierungsbehörde sich jedoch im Übrigen auf eine bloße Schlüssigkeitsprüfung zu beschränken. Die gilt insoweit - anders als beim Rechtsgut Beruf - auch für die Bestimmung der Verfolgungszeit (BVerwGE 119, 102 Juris RdNr 10 ff). Nach dem beschriebenen zweistufigen Prüfsystem entfaltet der Rehabilitierungsbescheid deshalb lediglich eine auf die Verfügungssätze beschränkte Tatbestandswirkung (hierzu allgemein Roos in von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl 2014, vor § 39 RdNr 4 ff). Hiervon hat sich das LSG in der Sache leiten lassen und die anspruchsbegründenden Tatbestandsmerkmale im Übrigen einer eigenständigen Prüfung unterzogen. Nach den bindenden - mit Verfahrensrügen nicht angegriffenen - Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) steht danach fest, dass sich die Dauer der Verfolgungszeit im Hinblick auf das Rechtsgut Gesundheit entgegen den berufsbezogenen Ausführungen im Rehabilitierungsbescheid auf die Zeit von März 1966 bis Juni 1968 beschränkte.

15

d) Der Kläger leidet auch an einer gesundheitlichen Störung. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme durch die Tatsacheninstanzen besteht kein Zweifel, dass der Kläger an einer chronifizierten schweren Zwangsstörung leidet, auch wenn das LSG insoweit von einer exakten Klassifizierung nach ICD 10 abgesehen hat (ggf F42; zur Notwendigkeit einer solchen Feststellung im Unfallversicherungsrecht vgl BSG Urteil vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17). Das LSG hat auch keine klare Differenzierung nach Primär- und Folgeschaden getroffen, sondern insoweit einheitlich auf den Beginn der nervenärztlichen Behandlung des Klägers im Jahr 1976 abgestellt. Hierauf kommt es vorliegend jedoch nicht entscheidend an, da es jedenfalls am nötigen Zurechnungszusammenhang fehlt (dazu sogleich unter 3.).

16

3. Der Anspruch des Klägers scheitert daran, dass sich der erforderliche Zurechnungszusammenhang zwischen dem schädigenden Ereignis der Verfolgung und der gesundheitlichen Erstschädigung (haftungsbegründende Kausalität) bzw den daraus resultierenden gesundheitlichen Folgen (haftungsausfüllende Kausalität; § 3 Abs 5 S 1 VwRehaG) nicht herstellen lässt. Das LSG hat die haftungsbegründende und haftungsausfüllende Kausalität über den Bedingungszusammenhang im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne hinaus zutreffend an der Theorie der wesentlichen Bedingung orientiert und frei von Rechtsfehlern verneint. Wie sonst im sozialen Entschädigungsrecht (vgl zB parallel § 1 Abs 1 StrRehaG, § 4 Abs 1 S 1 HHG, § 1 Abs 1 S 1 OEG) gilt trotz des Verweises auf das BVG nur wegen der Folgen der Schädigung (§ 3 Abs 1 S 1 VwRehaG) gleichwohl die Kausalnorm der wesentlichen Bedingung (BT-Drucks 12/4994 S 32 zu § 3; vgl Rademacker in Knickrehm, Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, 2012, VwRehaG, §§ 1 bis 18 RdNr 9; allgemein BSG Urteil vom 12.6.2001 - B 9 V 5/00 R - BSGE 88, 153 = SozR 3-3100 § 5 Nr 9).

17

a) Bei der Beurteilung des Ursachenzusammenhangs hat das LSG der versorgungsrechtlich relevanten Teilursache der Verfolgungsmaßnahmen mit etwa einem Drittel rechtsfehlerfrei eine untergeordnete und für den Ursachenzusammenhang unwesentliche Bedeutung beigemessen, in dem es die Kausalitätsnorm der wesentlichen Bedingung in der spezifisch versorgungsrechtlichen Ausprägung zugrunde gelegt hat wie sie im Anschluss an die Rechtsprechung des Reichsversicherungsamtes (RVA - AN 1912, 930) in ständiger Rechtsprechung seit BSGE 1, 72 und BSGE 1, 150 durch den 9. Senat vertreten wird (zuletzt BSG Urteil vom 12.6.2001 - B 9 V 5/00 R - BSGE 88, 153 = SozR 3-3100 § 5 Nr 9). Diese Grundsätze haben ihren Niederschlag auch in den "Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz" in ihrer am 1.10.1998 geltenden Fassung der Ausgabe 1996 (AHP 1996) und nachfolgend - seit Juli 2004 - den "Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2 SGB IX)" in ihrer jeweils geltenden Fassung (AHP 2005 und 2008) gefunden, welche zum 1.1.2009 durch die Anlage zu § 2 VersMedV vom 10.12.2008 inhaltgleich ersetzt worden ist (Teil C Nr 1 b der Anl zu § 2 VersMedV; vgl BR-Drucks 767/1/08 S 3, 4).

18

Danach gilt als Ursache im Rechtssinn nicht jede Bedingung, gleichgültig mit welcher Intensität sie zum Erfolg beigetragen hat und in welchem Zusammenhang sie dazu steht. Als Ursachen sind vielmehr nur diejenigen Bedingungen anzusehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben. Das ist der Fall, wenn sie in ihrer Bedeutung und Tragweite für den Eintritt des Erfolges als annähernd gleichwertig anzusehen sind. Kommt einem der Umstände gegenüber anderen indessen eine überragende Bedeutung zu, so ist dieser Umstand allein Ursache im Rechtssinne. Bei mehr als zwei Teilursachen ist die annähernd gleichwertige Bedeutung des schädigenden Vorgangs für den Eintritt des Erfolgs entscheidend. Haben also neben einer Verfolgungsmaßnahme mehrere weitere Umstände zum Eintritt einer Schädigungsfolge beigetragen, ist die Verfolgungsmaßnahme versorgungsrechtlich nur dann im Rechtssinne wesentlich und die Schädigungsfolge der Verfolgungsmaßnahme zuzurechnen, wenn sie in ihrer Bedeutung und Tragweite für den Eintritt des Erfolges - verglichen mit den mehreren übrigen Umständen - annähernd gleichwertig ist. Das ist dann der Fall, wenn die Verfolgungsmaßnahme in ihrer Bedeutung und Tragweite für den Eintritt des Erfolges allein mindestens so viel Gewicht hat wie die übrigen Umstände zusammen (vgl zB BSG SozR Nr 23 zu § 30 BVG Juris RdNr 10; BSG Urteil vom 20.7.2005 - B 9a V 1/05 R RdNr 38). Im Einzelnen bedarf es dazu der wertenden Abwägung der in Betracht kommenden Bedingungen (vgl in diesem Zusammenhang insbesondere BSGE 16, 216, 218 = SozR Nr 58 zu § 1 BVG). Im Einzelfall muss die Entscheidung darüber, welche Bedingungen im Rechtssinne als Ursache oder Mitursache zu gelten haben und welche nicht, aus der Auffassung des praktischen Lebens abgeleitet werden (BSGE 1, 72 = SozR BVG § 1 Nr 1; BSG Urteil vom 12.6.2001 - B 9 V 5/00 R - BSGE 88, 153 = SozR 3-3100 § 5 Nr 9 Juris RdNr 32).

19

b) Das LSG hat nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme im Anschluss an das Gutachten des medizinischen Sachverständigen Dr. G. unangegriffen und verbindlich festgestellt, dass - ohne abgrenzbare Vorschäden oder Verschlimmerungsanteile - für die Entstehung wie Aufrechterhaltung der Zwangsstörung des Klägers im Wesentlichen drei Ursachen gleichermaßen in Betracht kommen: Belastungen in Kindheit und Jugend, die streitgegenständlichen Verfolgungsmaßnahmen zwischen 1966 und 1968 und die Vorkommnisse im R.-Heim. Durchgreifende Verfahrensrügen hat der Kläger hiergegen nicht erhoben. Die Rüge der unterlassenen Aufklärung (§ 103 SGG) geht fehl. Der beantragten weiteren Beweiserhebung durch Befragung des Sachverständigen Dr. G. zu den Kausalfaktoren aus der Zeit vor der Verfolgung musste das LSG nicht nachkommen, nachdem der Sachverständige die Frage nach dem Ursachenanteil von Kindheit und Jugend bereits eindeutig beantwortet hat. Insbesondere besagen die Ursachen nichts über den Zeitpunkt der Entstehung der streitbefangenen Erkrankung und steht deshalb die Aussage des Gutachters Dr. T. zur Fixierung von Neurosen an unbewusste Konfliktsituationen der Kindheit in keinem noch aufzulösenden Widerspruch zur Aussage des Gutachters Dr. G., dass die Zwangsstörung des Klägers mangels entsprechender Symptomatik vor der Verfolgungszeit nicht bestanden habe (Revisionsbegründung S 18). Objektiv sachdienliche Fragen, deren Beantwortung das LSG entgegen § 116 S 2 SGG unterbunden haben könnte, macht die Revision nicht geltend(vgl BSG Beschluss vom 27.11.2007 - B 5a/5 R 60/07 B - SozR 4-1500 § 116 Nr 1 RdNr 7 ff im Anschluss an BVerfG NJW 1998, 2273). Hiervon ausgehend hat das LSG frei von Rechtsfehlern im Wege wertender Betrachtung nach der Formel der "annähernden Gleichwertigkeit" eine untergeordnete Bedeutung des schädigenden Ereignisses für die geltend gemachten Schädigungsfolgen angenommen. Die schädigungsunabhängigen Faktoren einer belasteten Kindheit und Jugend sowie die Arbeitssituation im R.-Heim haben danach auch in rechtlicher Hinsicht den überwiegenden Anteil am Eintritt und der Aufrechterhaltung der jetzt festgestellten Angststörung oder anders formuliert letztlich rechtlich überragende Bedeutung. Ein von der Revision behaupteter logisch ungültiger Schluss liegt nicht vor (vgl im Übrigen AHP Nr 70, wonach Erkrankungen mit neurotischen Anteilen - wie hier sachverständigerseits angenommen und vom LSG unangegriffen festgestellt - nur dann mit schädigenden Ereignissen in ursächlichem Zusammenhang stehen, wenn diese in früher Kindheit über längere Zeit und in erheblichem Umfang wirksam waren; zur fortdauernden Gültigkeit der AHP als antizipierte Sachverständigengutachten, auch wenn die Kausalitätsbeurteilungen zu einzelnen Krankheitsbildern in der VersMedV nicht mehr enthalten sind, BR-Drucks 767/1/08 S 4; Rundschreiben des BMAS vom 15.12.2008 - IVc 3-48021 - 6).

20

c) Die Revision verweist allerdings mit Recht darauf, dass der im Unfallversicherungsrecht zuständige 2. Senat des BSG für die wertende Entscheidung über die Wesentlichkeit einer Ursache "wesentlich" nicht gleichsetzt mit "gleichwertig" oder "annähernd gleichwertig". Auch eine nicht annähernd gleichwertige, sondern rechnerisch verhältnismäßig niedriger zu bewertende Ursache kann danach für den Erfolg rechtlich wesentlich sein, solange die andere(n) Ursache(n) keine überragende Bedeutung hat (haben) (BSG Urteil vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17, RdNr 15). Diese Rechtsprechung, die ihren Ausgangspunkt ebenfalls in der Rechtsprechung des RVA (AN 1912, 930) und den frühen Entscheidungen des BSG in BSGE 1, 72 und BSGE 1, 150 nimmt, schließt die Wesentlichkeit einer von drei ungefähr gleichwertigen Teilursachen nicht bereits deshalb aus, weil die allein maßgebliche Teilursache nur zu einem Drittel Berücksichtigung finden kann (vgl BSG SozR Nr 6 zu § 589 RVO im Anschluss an BSGE 13, 175 = SozR Nr 32 zu § 542 RVO). In die Bewertung einfließen muss vielmehr auch, ob den verbleibenden sozialrechtlich nicht maßgeblichen Teilursachen überragende Bedeutung zukommt. Erst wenn angenommen werden kann, dass diesen eine überragende Bedeutung beizumessen ist, folgt daraus, dass die nicht annähernd gleichwertige sozialrechtlich relevante Teilursache unwesentlich ist. Es werden insoweit wohl etwas niedrigere Anforderungen an die Stärke der Mitwirkung angelegt (vgl Krasney in Becker/ Burchardt/Krasney/Kruschinsky, Gesetzliche Unfallversicherung, Bd 1, Stand Oktober 2013, § 8 RdNr 314; vgl auch Knickrehm, SGb 2010, 381, 384). Der erkennende Senat lässt offen, ob diese etwas andere Ausrichtung im Ansatz bei der nötigen Abwägung im Einzelfall die von der Revision gewünschten Ergebnisse ergäbe. Selbst wenn die behaupteten Unterschiede bestünden, sähe sich der Senat weder veranlasst, mit Blick auf eine etwaig besondere Ausrichtung der Theorie der wesentlichen Bedingung im Unfallversicherungsrecht seine langjährige Rechtsprechung zur "annähernden Gleichwertigkeit" im sozialen Entschädigungsrecht aufzugeben (dazu d) noch bestünde Anlass zu einer Anfrage bei dem mit Unfallversicherungsrecht befassten 2. Senat des BSG (dazu e).

21

d) Der 9. Senat hält an seiner bisherigen Rechtsprechung zur Theorie der wesentlichen Bedingung unter Beibehaltung des Merkmals der "annähernden Gleichwertigkeit" fest. Die Rechtsprechung des 2. Senats mag Besonderheiten der gesetzlichen Unfallversicherung Rechnung tragen, die im sozialen Entschädigungsrecht grundsätzlich nicht von Bedeutung sind. In Betracht kommt insoweit insbesondere der Gesichtspunkt, dass im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung seit jeher eine Ersetzung der zivilrechtlichen Haftung durch die Ansprüche der Unfallversicherung stattfindet (vgl §§ 104 f SGB VII; ferner die Vorläufervorschrift in § 636 Abs 1 RVO; vgl auch schon § 95 des UVG vom 6.7.1884, RGBl 69; §§ 898 f RVO vom 19.7.1911, RGBl 509; grundlegend Gitter, Schadensausgleich im Arbeitsunfallrecht, 1969, S 51 ff). Diese Regelung gehört zum Kernbestand der gesetzlichen Unfallversicherung (vgl BSG Urteil vom 26.6.2007 - B 2 U 17/06 R - BSGE 98, 285 = SozR 4-2700 § 105 Nr 2, RdNr 16)und legt damit auch wesentliche Umfangmerkmale des Schadensausgleichs fest (BSGE 73, 1 = SozR 3-2200 § 571 Nr 2 Juris RdNr 17). Strukturen dieser Art kennzeichnen das soziale Entschädigungsrecht nicht. Im sozialen Entschädigungsrecht, wo in der Regel die Folgen einer einmaligen schädigenden Einwirkung zu beurteilen sind, hat sich die Bestimmung der Wesentlichkeit nach der "annähernden Gleichwertigkeit" bewährt. Dies gilt unabhängig davon, dass in Einzelfällen auch im sozialen Entschädigungsrecht auf Wertungen etwa der gesetzlichen Unfallversicherung zurückgegriffen wird (vgl im Bereich des SVG bei der Bestimmung unfallunabhängiger Krankheiten BSG Beschluss vom 11.10.1994 - 9 BV 55/94 - HVBG-INFO 1995, 970; hierzu Keller, SGb 2007, 248, 249).

22

e) Eine Abweichung iS des § 41 Abs 2 SGG als Voraussetzung einer Anfrage beim 2. Senat bzw Vorlage an den Großen Senat kommt nur dann in Betracht, wenn es sich um die unterschiedliche Beantwortung derselben Rechtsfrage handelt, auf der die frühere Entscheidung eines anderen Senats beruht, wenn also eine Identität der Rechtsfrage in der zu entscheidenden Sache und der früheren Entscheidung des anderen Senats besteht (vgl BSGE 94, 133 = SozR 4-3200 § 81 Nr 2 Juris RdNr 29, 30 mwN). Insoweit entfiele die Vorlage auch nicht für den Fall der vorangehenden Missachtung der Vorlagepflicht durch einen anderen Senat (Roos in Roos/Wahrendorf, SGG, 2014, § 41 RdNr 14 mwN). Die genannte Entscheidung des 2. Senats (BSG Urteil vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17, RdNr 15)ist auf dem Gebiet der gesetzlichen Unfallversicherung (§ 8 Abs 1 SGB VII) ergangen, während hier die Auslegung des § 3 Abs 1 S 1 VwRehaG Gegenstand der Entscheidung ist. Soweit der erkennende Senat in der Entscheidung vom 11.10.1994 (BSGE 75, 180, 182 mwN = SozR 3-3200 § 81 Nr 12) ausgeführt hat, die Grundentscheidungen des sozialen Unfallversicherungsrechts seien auch im Entschädigungsrecht zu beachten, würde damit die Rechtsfrage gleichwohl nicht zu einer solchen auf dem Gebiet der gesetzlichen Unfallversicherung, sondern beträfe weiterhin die Auslegung von Normen des sozialen Entschädigungsrechts, für die lediglich bestimmte Grundentscheidungen des Rechts der gesetzlichen Unfallversicherung herangezogen werden (vgl BSGE 94, 133 = SozR 4-3200 § 81 Nr 2 Juris RdNr 29, 30 mwN). Der Senat nimmt die Abgrenzung nach Wertungen vor, die sich von den Wertungen des SGB VII unterscheiden. Diese Unterscheidung ist durch das Gesetz und seine unterschiedliche Aufgabenstellung angelegt. Daran ändert sich selbst dann nichts, wenn sich der erkennende wie auch Senate anderer Rechtsgebiete für die Ursachenbewertung nach der Theorie der wesentlichen Bedingung im Ansatz maßgeblich auf die Rechtsprechung des 2. Senats beziehen (vgl BSG SozR 4-3200 § 81 Nr 5 RdNr 21 mwN; BSG SozR 4-2400 § 7 Nr 15 RdNr 25; BSG SozR 4-4200 § 21 Nr 17 RdNr 21, 22).

23

f) Das LSG brauchte deshalb den weiteren Beweisanträgen des Klägers zur bisher noch offengelassenen Brückensymptomatik (Revisionsbegründung S 19, 20; vgl zu Fällen einer möglichen Entbehrlichkeit der Brückensymptomatik BSG Beschluss vom 16.2.2012 - B 9 V 17/11 B - Juris RdNr 10) nicht nachgehen, da es auf die unter Beweis gestellten Tatsachen nicht mehr ankam (BSG Beschluss vom 31.1.2008 - B 13 R 53/07 B). Auch im Falle der Existenz der behaupteten Brückensymptome würde sich an der Zurechnung nach Maßgabe der aufgezeigten Theorie der wesentlichen Bedingung nichts ändern. Einen hinreichend klaren Beweisantrag zu einem Primärschaden vor 1976 hat der Kläger im Übrigen nicht gestellt.

24

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, sind, wenn Unterlagen nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen oder ohne Verschulden des Antragstellers oder seiner Hinterbliebenen verlorengegangen sind, der Entscheidung zugrunde zu legen, soweit sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen. Die Verwaltungsbehörde kann in besonderen Fällen von dem Antragsteller die eidesstattliche Versicherung verlangen, daß er bei seinen Angaben nach bestem Wissen die reine Wahrheit gesagt und nichts verschwiegen habe.

(1) Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.

(2) Das Urteil darf nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen sich die Beteiligten äußern konnten.

Die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, sind, wenn Unterlagen nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen oder ohne Verschulden des Antragstellers oder seiner Hinterbliebenen verlorengegangen sind, der Entscheidung zugrunde zu legen, soweit sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen. Die Verwaltungsbehörde kann in besonderen Fällen von dem Antragsteller die eidesstattliche Versicherung verlangen, daß er bei seinen Angaben nach bestem Wissen die reine Wahrheit gesagt und nichts verschwiegen habe.

(1) Wer eine tatsächliche Behauptung glaubhaft zu machen hat, kann sich aller Beweismittel bedienen, auch zur Versicherung an Eides statt zugelassen werden.

(2) Eine Beweisaufnahme, die nicht sofort erfolgen kann, ist unstatthaft.

(1) Der Grad der Schädigungsfolgen ist nach den allgemeinen Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen, die durch die als Schädigungsfolge anerkannten körperlichen, geistigen oder seelischen Gesundheitsstörungen bedingt sind, in allen Lebensbereichen zu beurteilen. Der Grad der Schädigungsfolgen ist nach Zehnergraden von 10 bis 100 zu bemessen; ein bis zu fünf Grad geringerer Grad der Schädigungsfolgen wird vom höheren Zehnergrad mit umfasst. Vorübergehende Gesundheitsstörungen sind nicht zu berücksichtigen; als vorübergehend gilt ein Zeitraum bis zu sechs Monaten. Bei beschädigten Kindern und Jugendlichen ist der Grad der Schädigungsfolgen nach dem Grad zu bemessen, der sich bei Erwachsenen mit gleicher Gesundheitsstörung ergibt, soweit damit keine Schlechterstellung der Kinder und Jugendlichen verbunden ist. Für erhebliche äußere Gesundheitsschäden können Mindestgrade festgesetzt werden.

(2) Der Grad der Schädigungsfolgen ist höher zu bewerten, wenn Beschädigte durch die Art der Schädigungsfolgen im vor der Schädigung ausgeübten oder begonnenen Beruf, im nachweisbar angestrebten oder in dem Beruf besonders betroffen sind, der nach Eintritt der Schädigung ausgeübt wurde oder noch ausgeübt wird. Das ist insbesondere der Fall, wenn

1.
auf Grund der Schädigung weder der bisher ausgeübte, begonnene oder nachweisbar angestrebte noch ein sozial gleichwertiger Beruf ausgeübt werden kann,
2.
zwar der vor der Schädigung ausgeübte oder begonnene Beruf weiter ausgeübt wird oder der nachweisbar angestrebte Beruf erreicht wurde, Beschädigte jedoch in diesem Beruf durch die Art der Schädigungsfolgen in einem wesentlich höheren Ausmaß als im allgemeinen Erwerbsleben erwerbsgemindert sind, oder
3.
die Schädigung nachweisbar den weiteren Aufstieg im Beruf gehindert hat.

(3) Rentenberechtigte Beschädigte, deren Einkommen aus gegenwärtiger oder früherer Tätigkeit durch die Schädigungsfolgen gemindert ist, erhalten nach Anwendung des Absatzes 2 einen Berufsschadensausgleich in Höhe von 42,5 vom Hundert des auf volle Euro aufgerundeten Einkommensverlustes (Absatz 4) oder, falls dies günstiger ist, einen Berufsschadensausgleich nach Absatz 6.

(4) Einkommensverlust ist der Unterschiedsbetrag zwischen dem derzeitigen Bruttoeinkommen aus gegenwärtiger oder früherer Tätigkeit zuzüglich der Ausgleichsrente (derzeitiges Einkommen) und dem höheren Vergleichseinkommen. Haben Beschädigte Anspruch auf eine in der Höhe vom Einkommen beeinflußte Rente wegen Todes nach den Vorschriften anderer Sozialleistungsbereiche, ist abweichend von Satz 1 der Berechnung des Einkommensverlustes die Ausgleichsrente zugrunde zu legen, die sich ohne Berücksichtigung dieser Rente wegen Todes ergäbe. Ist die Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung gemindert, weil das Erwerbseinkommen in einem in der Vergangenheit liegenden Zeitraum, der nicht mehr als die Hälfte des Erwerbslebens umfaßt, schädigungsbedingt gemindert war, so ist die Rentenminderung abweichend von Satz 1 der Einkommensverlust. Das Ausmaß der Minderung wird ermittelt, indem der Rentenberechnung für Beschädigte Entgeltpunkte zugrunde gelegt werden, die sich ohne Berücksichtigung der Zeiten ergäben, in denen das Erwerbseinkommen der Beschädigten schädigungsbedingt gemindert ist.

(5) Das Vergleichseinkommen errechnet sich nach den Sätzen 2 bis 5. Zur Ermittlung des Durchschnittseinkommens sind die Grundgehälter der Besoldungsgruppen der Bundesbesoldungsordnung A aus den vorletzten drei der Anpassung vorangegangenen Kalenderjahren heranzuziehen. Beträge des Durchschnittseinkommens bis 0,49 Euro sind auf volle Euro abzurunden und von 0,50 Euro an auf volle Euro aufzurunden. Der Mittelwert aus den drei Jahren ist um den Prozentsatz anzupassen, der sich aus der Summe der für die Rentenanpassung des laufenden Jahres sowie des Vorjahres maßgebenden Veränderungsraten der Bruttolöhne und -gehälter je Arbeitnehmer (§ 68 Absatz 2 in Verbindung mit § 228b des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch) ergibt; die Veränderungsraten werden jeweils bestimmt, indem der Faktor für die Veränderung der Bruttolöhne und -gehälter je Arbeitnehmer um eins vermindert und durch Vervielfältigung mit 100 in einen Prozentsatz umgerechnet wird. Das Vergleichseinkommen wird zum 1. Juli eines jeden Jahres neu festgesetzt; wenn das nach den Sätzen 1 bis 6 errechnete Vergleichseinkommen geringer ist, als das bisherige Vergleichseinkommen, bleibt es unverändert. Es ist durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales zu ermitteln und im Bundesanzeiger bekanntzugeben; die Beträge sind auf volle Euro aufzurunden. Abweichend von den Sätzen 1 bis 5 sind die Vergleichseinkommen der Tabellen 1 bis 4 der Bekanntmachung vom 14. Mai 1996 (BAnz. S. 6419) für die Zeit vom 1. Juli 1997 bis 30. Juni 1998 durch Anpassung der dort veröffentlichten Werte mit dem Vomhundertsatz zu ermitteln, der in § 56 Absatz 1 Satz 1 bestimmt ist; Satz 6 zweiter Halbsatz gilt entsprechend.

(6) Berufsschadensausgleich nach Absatz 3 letzter Satzteil ist der Nettobetrag des Vergleicheinkommens (Absatz 7) abzüglich des Nettoeinkommens aus gegenwärtiger oder früherer Erwerbstätigkeit (Absatz 8), der Ausgleichsrente (§§ 32, 33) und des Ehegattenzuschlages (§ 33a). Absatz 4 Satz 2 gilt entsprechend.

(7) Der Nettobetrag des Vergleichseinkommens wird bei Beschädigten, die nach dem 30. Juni 1927 geboren sind, für die Zeit bis zum Ablauf des Monats, in dem sie auch ohne die Schädigung aus dem Erwerbsleben ausgeschieden wären, längstens jedoch bis zum Ablauf des Monats, in dem der Beschädigte die Regelaltersgrenze nach dem Sechsten Buch Sozialgesetzbuch erreicht, pauschal ermittelt, indem das Vergleichseinkommen

1.
bei verheirateten Beschädigten um 18 vom Hundert, der 716 Euro übersteigende Teil um 36 vom Hundert und der 1 790 Euro übersteigende Teil um 40 vom Hundert,
2.
bei nicht verheirateten Beschädigten um 18 vom Hundert, der 460 Euro übersteigende Teil um 40 vom Hundert und der 1 380 Euro übersteigende Teil um 49 vom Hundert
gemindert wird. Im übrigen gelten 50 vom Hundert des Vergleichseinkommens als dessen Nettobetrag.

(8) Das Nettoeinkommen aus gegenwärtiger oder früherer Erwerbstätigkeit wird pauschal aus dem derzeitigen Bruttoeinkommen ermittelt, indem

1.
das Bruttoeinkommen aus gegenwärtiger Erwerbstätigkeit um die in Absatz 7 Satz 1 Nr. 1 und 2 genannten Vomhundertsätze gemindert wird,
2.
Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung sowie Renten wegen Alters, Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit und Landabgaberenten nach dem Gesetz über die Alterssicherung der Landwirte um den Vomhundertsatz gemindert werden, der für die Bemessung des Beitrags der sozialen Pflegeversicherung (§ 55 des Elften Buches Sozialgesetzbuch) gilt, und um die Hälfte des Vomhundertsatzes des allgemeinen Beitragssatzes der Krankenkassen (§ 241 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch); die zum 1. Januar festgestellten Beitragssätze gelten insoweit jeweils vom 1. Juli des laufenden Kalenderjahres bis zum 30. Juni des folgenden Kalenderjahres,
3.
sonstige Geldleistungen von Leistungsträgern (§ 12 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch) mit dem Nettobetrag berücksichtigt werden und
4.
das übrige Bruttoeinkommen um die in Nummer 2 genannten Vomhundertsätze und zusätzlich um 19 vom Hundert des 562 Euro übersteigenden Betrages gemindert wird; Nummer 2 letzter Halbsatz gilt entsprechend.
In den Fällen des Absatzes 11 tritt an die Stelle des Nettoeinkommens im Sinne des Satzes 1 der nach Absatz 7 ermittelte Nettobetrag des Durchschnittseinkommens.

(9) Berufsschadensausgleich nach Absatz 6 wird in den Fällen einer Rentenminderung im Sinne des Absatzes 4 Satz 3 nur gezahlt, wenn die Zeiten des Erwerbslebens, in denen das Erwerbseinkommen nicht schädigungsbedingt gemindert war, von einem gesetzlichen oder einem gleichwertigen Alterssicherungssystem erfaßt sind.

(10) Der Berufsschadensausgleich wird ausschließlich nach Absatz 6 berechnet, wenn der Antrag erstmalig nach dem 21. Dezember 2007 gestellt wird. Im Übrigen trifft die zuständige Behörde letztmalig zum Stichtag nach Satz 1 die Günstigkeitsfeststellung nach Absatz 3 und legt damit die für die Zukunft anzuwendende Berechnungsart fest.

(11) Wird durch nachträgliche schädigungsunabhängige Einwirkungen oder Ereignisse, insbesondere durch das Hinzutreten einer schädigungsunabhängigen Gesundheitsstörung das Bruttoeinkommen aus gegenwärtiger Tätigkeit voraussichtlich auf Dauer gemindert (Nachschaden), gilt statt dessen als Einkommen das Grundgehalt der Besoldungsgruppe der Bundesbesoldungsordnung A, der der oder die Beschädigte ohne den Nachschaden zugeordnet würde; Arbeitslosigkeit oder altersbedingtes Ausscheiden aus dem Erwerbsleben gilt grundsätzlich nicht als Nachschaden. Tritt nach dem Nachschaden ein weiterer schädigungsbedingter Einkommensverlust ein, ist dieses Durchschnittseinkommen entsprechend zu mindern. Scheidet dagegen der oder die Beschädigte schädigungsbedingt aus dem Erwerbsleben aus, wird der Berufsschadensausgleich nach den Absätzen 3 bis 8 errechnet.

(12) Rentenberechtigte Beschädigte, die einen gemeinsamen Haushalt mit ihrem Ehegatten oder Lebenspartners, einem Verwandten oder einem Stief- oder Pflegekind führen oder ohne die Schädigung zu führen hätten, erhalten als Berufsschadensausgleich einen Betrag in Höhe der Hälfte der wegen der Folgen der Schädigung notwendigen Mehraufwendungen bei der Führung des gemeinsamen Haushalts.

(13) Ist die Grundrente wegen besonderen beruflichen Betroffenseins erhöht worden, so ruht der Anspruch auf Berufsschadensausgleich in Höhe des durch die Erhöhung der Grundrente nach § 31 Abs. 1 Satz 1 erzielten Mehrbetrags. Entsprechendes gilt, wenn die Grundrente nach § 31 Abs. 4 Satz 2 erhöht worden ist.

(14) Die Bundesregierung wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates zu bestimmen:

a)
welche Vergleichsgrundlage und in welcher Weise sie zur Ermittlung des Einkommensverlustes heranzuziehen ist,
b)
wie der Einkommensverlust bei einer vor Abschluß der Schulausbildung oder vor Beginn der Berufsausbildung erlittenen Schädigung zu ermitteln ist,
c)
wie der Berufsschadensausgleich festzustellen ist, wenn der Beschädigte ohne die Schädigung neben einer beruflichen Tätigkeit weitere berufliche Tätigkeiten ausgeübt oder einen gemeinsamen Haushalt im Sinne des Absatzes 12 geführt hätte,
d)
was als derzeitiges Bruttoeinkommen oder als Durchschnittseinkommen im Sinne des Absatzes 11 und des § 64c Abs. 2 Satz 2 und 3 gilt und welche Einkünfte bei der Ermittlung des Einkommensverlustes nicht berücksichtigt werden,
e)
wie in besonderen Fällen das Nettoeinkommen abweichend von Absatz 8 Satz 1 Nr. 3 und 4 zu ermitteln ist.

(15) Ist vor dem 1. Juli 1989 bereits über den Anspruch auf Berufsschadensausgleich für die Zeit nach dem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben entschieden worden, so verbleibt es hinsichtlich der Frage, ob Absatz 4 Satz 1 oder 3 anzuwenden ist, bei der getroffenen Entscheidung.

(16) Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales wird ermächtigt, im Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Verteidigung und mit Zustimmung des Bundesrates durch Rechtsverordnung die Grundsätze aufzustellen, die für die medizinische Bewertung von Schädigungsfolgen und die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen im Sinne des Absatzes 1 maßgebend sind, sowie die für die Anerkennung einer Gesundheitsstörung nach § 1 Abs. 3 maßgebenden Grundsätze und die Kriterien für die Bewertung der Hilflosigkeit und der Stufen der Pflegezulage nach § 35 Abs. 1 aufzustellen und das Verfahren für deren Ermittlung und Fortentwicklung zu regeln.

(1) Beschädigte erhalten eine monatliche Grundrente bei einem Grad der Schädigungsfolgen

1.
von 30in Höhe von 171 Euro,
2.
von 40in Höhe von 233 Euro,
3.
von 50in Höhe von 311 Euro,
4.
von 60in Höhe von 396 Euro,
5.
von 70in Höhe von 549 Euro,
6.
von 80in Höhe von 663 Euro,
7.
von 90in Höhe von 797 Euro,
8.
von 100in Höhe von 891 Euro.

Die monatliche Grundrente erhöht sich für Schwerbeschädigte, die das 65. Lebensjahr vollendet haben, bei einem Grad der Schädigungsfolgen

von 50 und 60um 35 Euro,
von 70 und 80um 43 Euro,
von mindestens 90um 53 Euro.

(2) Schwerbeschädigung liegt vor, wenn ein Grad der Schädigungsfolgen von mindestens 50 festgestellt ist.

(3) Beschädigte, bei denen Blindheit als Folge einer Schädigung anerkannt ist, erhalten stets die Rente nach einem Grad der Schädigungsfolgen von 100. Beschädigte mit Anspruch auf eine Pflegezulage gelten stets als Schwerbeschädigte. Sie erhalten mindestens eine Versorgung nach einem Grad der Schädigungsfolgen von 50.

(4) Beschädigte mit einem Grad der Schädigungsfolgen von 100, die durch die anerkannten Schädigungsfolgen gesundheitlich außergewöhnlich betroffen sind, erhalten eine monatliche Schwerstbeschädigtenzulage, die in folgenden Stufen gewährt wird:

Stufe I103 Euro,
Stufe II212 Euro,
Stufe III316 Euro,
Stufe IV424 Euro,
Stufe V527 Euro,
Stufe VI636 Euro.


Die Bundesregierung wird ermächtigt, mit Zustimmung des Bundesrates durch Rechtsverordnung den Personenkreis, der durch seine Schädigungsfolgen außergewöhnlich betroffen ist, sowie seine Einordnung in die Stufen I bis VI näher zu bestimmen.

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 19. Dezember 2012 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand

 
Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung einer Beschädigtenversorgung nach dem Soldatenversorgungsgesetz (SVG) streitig.
Der am … 1941 geborene Kläger war bis zu seiner Pensionierung am 01.10.1997 Berufssoldat. Am 25.12.1996 erlitt er eine Lungenembolie, welche durch eine Embolektomie mit Einbau eines Vena-Cava-Schirms operativ behandelt wurde. Seither ist eine dauerhafte Marcumar-Antikoagulations-Medikation erforderlich.
Am 21.09.1998 beantragte der Kläger beim Beklagten wegen einer Lungenembolie am 25.12.1996 in Tunis/Tunesien während seines militärischen Dienstes als Verteidigungsattaché von 1993 bis 1997 die Gewährung von Beschädigtenversorgung nach dem SVG und legte ärztliche Unterlagen hierzu vor. Mit Schreiben vom 22.10.1998 übersandte der Beklagte der Wehrbereichsverwaltung (WBV) den Antrag mit dem Hinweis, dass nach § 88 Abs. 2 SVG zuerst eine Entscheidung durch diese zu treffen sei, da der Kläger Berufssoldat gewesen sei.
Ebenfalls am 21.09.1998 beantragte der Kläger die Feststellung seines Grades der Behinderung (GdB). Nach Einholung einer versorgungsärztlichen Stellungnahme der Internistin Dr. C. (GdB 30 für die Restfolgen nach chirurgischer Embolektomie bei Lungenembolie, Vena-Cava-Schirm-Implantation) stellte das Versorgungsamt mit Bescheid vom 30.06.1999 den GdB mit 30 seit dem 21.09.1998 fest. Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies das Landesversorgungsamt B. nach Einholung einer versorgungsärztlichen Stellungnahme vom Versorgungsarzt S., wonach die Restfolgen nach Embolektomie gemäß der Befunde nicht höher als mit einem GdB von 30 einzuschätzen seien, mit Widerspruchsbescheid vom 29.09.1999 zurück.
Die WBV veranlasste ein truppenärztliches Gutachten durch Oberstabsarzt Dr. B., der in seinem Gutachten vom 03.01.2000 im Wesentlichen auf den Befundbericht von Dr. G., Internist, vom 28.02.2000 über eine Untersuchung am 25.02.2000 verwies, wonach ein Zustand nach fulminanter Lungenembolie mit Schockzustand sowie notfallmäßiger Embolektomie (1996), Cava-Schirm mit Dauer-Antikoagulatien-Therapie diagnostiziert wurde. Der Kläger sei im Wesentlichen beschwerdefrei bei Therapie mit Marcumar. Es liege kein Nachweis einer Rechtsherzbelastung oder einer sonstigen organischen Herzerkrankung vor. Es habe sich ein normaler kardialer Befund mit einer guten kardialen Leistungsbreite mit Belastbarkeit bis zur 200-Watt-Stufe gezeigt. In der daraufhin veranlassten sozialmedizinischen Versorgungsbegutachtung wurde von Dr. V. ausgeführt, die akute Erkrankung (massive Lungenembolie beidseits mit Schock am 27.12.1996), eine wehrdienstunabhängige Gesundheitsstörung, sei truppenärztlich behandelt worden, wodurch der Kläger habe überleben können. Nachteilige gesundheitliche Folgen der truppenärztlicher Behandlung könnten nicht bezeichnet werden.
Darauf gestützt lehnte die WBV mit Bescheid vom 06.09.2000 die Anerkennung einer Wehrdienstbeschädigung (WDB) und die Gewährung eines Ausgleichs ab. Hiergegen legte der Kläger am 05.10.2000 Widerspruch ein, den er damit begründete, er führe die Lungenembolie auf fehlerhafte truppenärztliche Behandlung zurück. Die unzureichende truppenärztliche Behandlung im Vorfeld der fulminanten Lungenembolie wirke sich in irreversiblen Folgen einschneidend auf seine Lebensqualität aus (Cava-Schirm/Marcumar).
Dr. C. führte in ihrer von dem Beklagten eingeholten versorgungsärztlichen Stellungnahme unter Bezugnahme auf das Gutachten von Dr. V. für die WBV aus, ein schädigendes Ereignis im Sinne eines wehrdienstbedingten ursächlichen Vorgangs bzw. eines wehrdiensteigentümlichen Geschehens könne nicht gesichert werden. Die fulminante Lungenembolie und die dadurch bedingte Behandlung und deren Dauerfolgen stellten eine nicht wehrdienstbedingte Gesundheitsstörung dar.
Mit Bescheid vom 05.02.2001 lehnte der Beklagte daraufhin die Gewährung von Beschädigtenversorgung nach dem SVG ab. Hiergegen legte der Kläger am 27.02.2001 unter Vorlage der Begründung des Widerspruchs gegenüber der WBV Widerspruch ein.
Die WBV holte ein weiteres Gutachten nach Aktenlage bei Dr. V. ein, in dem diese ausführte, es bestehe keinerlei kausaler Zusammenhang zwischen der jahrelang beobachteten Bronchitis und der fulminanten Lungenembolie am 25.12.1996. Hierauf gestützt wurde der gegen den Bescheid der WBV vom 06.09.2000 eingelegte Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 20.06.2002 zurückgewiesen.
10 
Hiergegen legte der Kläger am 24.07.2002 Klage beim Sozialgericht Karlsruhe (SG) ein (S 1 VS 2515/02). Mit Urteil vom 21.04.2005 wies das SG die Klage auf Gewährung eines Ausgleichs und Feststellung eines Zustandes nach abgelaufener, durch Embolektomie und Cava-Schirm operativ behandelter fulminanter Lungenembolie, beidseits mit kardialem Schockzustand ohne verbliebene Rechtsherzbelastung oder sonstige Herzerkrankung, mit Dauer-Antikoagulantien-Prophylaxe ab. In Übereinstimmung mit dem Gutachten von Dr. V. könne nicht festgestellt werden, dass die erlittene Lungenembolie zumindest wesentlich auf die wehrdiensteigentümlichen Besonderheiten der truppenärztlichen Versorgung zurückgeführt werden könne.
11 
Dagegen legte der Kläger am 28.06.2005 beim Landessozialgericht Baden-Württemberg Berufung ein (L 6 VS 2615/05). Schon im Dezember 1994 hätte die Diagnose einer Bronchitis in Frage gestellt werden müssen. Auch die später festgestellte Vergrößerung des Herzens deute auf eine längere Entwicklung der Lungenembolie hin. Seitens der WBV wurde ausgeführt, es treffe nicht zu, dass der Kläger die behandelnden Ärzte so über die Vorerkrankung informiert habe, dass eine abweichende Diagnose oder die Einbeziehung eines weiteren Facharztes angezeigt gewesen wäre. Zur weiteren Ermittlung wurde eine Stellungnahme von Dr. B. eingeholt. Dr. V. führte in einer weiteren sozialmedizinischen Stellungnahme aus, es sei auszuschließen, dass irgendwelche truppenärztliche Maßnahmen die fulminante Lungenembolie hätten verhindern können. Diese habe in keinerlei Zusammenhang mit der abgelaufenen, akuten Erkrankung der Bronchien oder der Lungen gestanden. Bei allen eingehenden Untersuchungen des Herzens, die vor Dezember 1996 erfolgt seien, hätten sich pathologische Auffälligkeiten wie z. B. zu Embolien prädestinierende Störungen der Herzschlagfolge (Arrhythmien) nicht ergeben.
12 
Auf Antrag und Kosten des Klägers wurde nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Dr. S., Chefarzt der Pneumologie der S.-Kliniken K., mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt. Er diagnostizierte nach ambulanten Untersuchungen des Klägers am 30.10.2006 und 02.11.2006 einen Zustand nach fulminanter beidseitiger Lungenembolie am 25.12.1996, einen Zustand nach beidseitiger Embolektomie am 25.12.1996, einen Zustand nach Einbau eines Vena-Cava-Schirmes am 25.12.1996, ein Cor pulmonale und eine leichte Gasaustauschstörung nach Lungenembolien. Sollte die Aussage des Klägers, er habe bei seinen truppenärztlichen Untersuchungen über Bluthusten und Atemnot geklagt, zutreffen, hätte die Verdachtsdiagnose einer Lungenembolie gefällt werden müssen und eine entsprechende Diagnostik hätte mit großer Wahrscheinlichkeit die lebensbedrohliche, schwere Lungenembolie vermeiden können. Eine relevante kardiopulmonale Einschränkung bestehe zum aktuellen Zeitpunkt nicht. Ebenfalls bestehe keine schmerzbedingte Einschränkung nach Pulmonal-Arterien-Embolektomie. Der Kläger erreiche das zu erwartende altersentsprechende Leistungsniveau ohne relevante funktionelle Einschränkung.
13 
Eine mündliche Verhandlung am 13.12.2007 wurde zur Durchführung weiterer Ermittlungen vertagt und eine Stellungnahme beim 1996 operierenden Arzt Dr. C. eingeholt. Dr. S. gab in einer ergänzenden gutachterlichen Stellungnahme an, wäre vor der schweren Lungenembolie im Dezember 1996 eine vorangegangene leichte Lungenembolie rechtzeitig diagnostiziert worden, hätte diese durch eine Antikoagulantien-Therapie mit Marcumar mit großer Wahrscheinlichkeit vermieden werden können. Funktionell sei der Kläger normal belastbar, eine messbare und damit quantifizierbare Einschränkung bestehe nicht. Der Kläger legte daraufhin einen Arztbrief des Internisten und Kardiologen Dr. G. vom 14.01.2008 (tachykardiale Rhythmusstörungen, wahrscheinlich mit Vorhofflattern, beginnende Linksinsuffizienz, Infekt der oberen Luftwege mit Bronchitis und Zustand nach Lungenembolie mit Cava-Schirm) und einen Arztbrief von Prof. Dr. G., Kardiologe, vom 06.03.2008 über einen stationären Aufenthalt des Klägers vom 14.01.2008 bis 28.01.2008 in den S.-Kliniken K. (Zustand nach Vorhofflattern mit folgender Ablation, Zustand nach AV-Block III° mit folgender Schrittmacher-Implantation, Zustand nach Lungenembolie und tiefer Beinvenenthrombose, Ausschluss einer signifikanten koronaren Herzkrankheit, gute Lungenvolumen-Funktion) vor.
14 
Dr. V. gab in einer weiteren versorgungsmedizinischen gutachtlichen Stellungnahme an, es sei zu fragen, ob nicht ein seinerzeit aufgetretenes vorübergehendes Vorhofflattern oder Vorhofflimmern zu den Lungenembolien geführt habe. Es sei unbekannt, worauf sich die Einschätzung des GdB im Rahmen des Schwerbehindertenrechts seitens der Versorgungsverwaltung gründe. Es werde allerdings darauf hingewiesen, dass die Einschätzung eines GdB im Schwerbehindertenverfahren niemals Grundlage der Einschätzung des GdS sei.
15 
Dr. S. legte in einer weiteren ergänzenden gutachterlichen Stellungnahme dar, bei der Begutachtung habe sich unter einem normalen von Rhythmusstörungen unbeeinträchtigten Sinusrhythmus eine vollkommen normale Leistungsfähigkeit und Belastbarkeit bis 200 Watt gezeigt. Leistungsmindernde Folgen der Lungenembolie ließen sich nicht nachweisen. Insofern sei eine MdE zu verneinen. Frau Dr. V. Aussage über die wehrdienstunabhängigen Rhythmusstörungen des Klägers als Ursache der Lungenembolien sei nicht zu folgen. Hierauf wurde von Dr. V. die Einholung eines kardiologischen Gutachtens angeregt und sodann Prof. Dr. G. mit der Erstellung eines kardiologischen Gutachtens beauftragt. Dieser gab nach ambulanter Untersuchung des Klägers am 08.09.2009 an, gehe man von der Möglichkeit einer stattgehabten Lungenembolie 1994 aus, wäre ein zweites Ereignis durch eine prophylaktisch eingeleitete Antikoagulation mit Marcumar möglicherweise zu verhindern gewesen. Hinweise auf ein intermittierendes Vorhofflattern gebe es im Krankheitsverlauf des Klägers bis 1996 nicht. Auch in den Zeiträumen zwischen 1994 und 1996 und 1996 bis 2008 seien keine Angaben über klinische Hinweise über Palpitation gemacht worden. Erst im Januar 2008 habe sich im EKG eine tachykarde Rhythmusstörung, am ehesten Vorhofflattern mit 2 : 1 -Überleitung mit einer regelmäßigen Kammerfrequenz von 124/Min. gezeigt. Die Ursache des erneut aufgetretenen Vorhofflatterns sei unklar. Möglicherweise handle es sich um eine strukturelle Veränderung der Vorhöfe infolge des chronischen Cor pulmonale. Eine durch die Lungenembolie mit nachfolgender Embolektomie verursachte Herzrhythmusstörung (Vorhofflattern) sei möglich, jedoch nach zwölfjähriger Latenz aus medizinischer Sicht nicht beweisbar, da die Wahrscheinlichkeit des Auftretens dieser Rhythmusstörungen auch mit zunehmendem Alter der Menschen zunehme. Nach Anamnese und Untersuchung sowie echokardiographischer Beurteilung der linksventrikulären Funktion sei der Kläger in seinem Alltag in Ruhe aktuell normal belastbar, habe jedoch bei mittelschwerer bis schwerer Belastung bzw. mittelschwerer körperlicher Arbeit eine Dyspnoe und müsse die Arbeit unterbrechen. Eine Echokardiographie zeige eine leicht reduzierte linksventrikuläre Funktion. Gehe man davon aus, dass die 2008 aufgetretene hämodynamisch-relevanten Rhythmusstörungen (Vorhofflattern) Folge der 1996 stattgehabten Lungenembolie seien, werde unter Berücksichtigung der Schrittmacher-Abhängigkeit und der dauerhaft notwendigen Antikoagulation mit Marcumar von einem Gesamt-GdS von 30 ausgegangen. In seiner ergänzenden Stellungnahme vom 04.03.2010 gab er noch an, eine akute Lungenembolie könne häufig Arrhythmien auslösen. Im vorliegenden Fall handle es sich jedoch um ein Vorhofflattern, das erst nach mehreren Jahren nach einer Lungenembolie aufgetreten sei und in den Zwischenjahren seien keine Rhythmusstörungen beschrieben worden. Auch mehrere echokardiographische Kontrollen hätten keine chronischen Rechtsherzbelastungszeichen mit einer Dilatation der Vorhöfe gezeigt, die eine atriale Rhythmusstörung begünstigten. Von einer Prädisposition des Klägers zum Vorhofflattern müsse ausgegangen werden. Daher spreche mehr dagegen als dafür, dass die 1999 stattgehabte Lungenembolie Ursache für das Vorhofflattern und die leichte Herzinsuffizienz sei.
16 
Mit Urteil vom 11.03.2010 änderte das Landessozialgericht das Urteil des SG vom 21.04.2005 und den Bescheid der WBV vom 06.09.2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.06.2002 ab und stellte als Wehrdienstbeschädigungsfolge einen Zustand nach abgelaufener, durch beidseitige Embolektomie und Einbau eines Vena-Cava-Schirms operativ behandelter, fulminanter Lungenembolie mit dauerhafter Marcumar-Antikoagulations-Prophylaxe fest. Im Übrigen wurde die Berufung zurückgewiesen. Es stehe mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit fest, dass im Rahmen der truppenärztlichen Behandlungen am 09.09.1996 und 10.09.1996 genügend für eine beim Kläger bereits nach 1994 abgelaufene erste Lungenembolie sprechende Verdachtsmomente vorgelegen hätten. Wenn im September 1996 truppenärztlich die Verdachtsdiagnose einer Lungenembolie gestellt worden wäre, wäre durch eine entsprechende Diagnostik mit hinreichender Wahrscheinlichkeit die vom Kläger am 25.12.1996 erlittene fulminante Lungenembolie und damit auch die durch eine beidseitige Embolektomie mit Einbau eines Vena-Cava-Schirms und dauerhafter Marcumar-Antikoagulations-Prophylaxe bedingte dauerhafte Gesundheitsstörung vermieden worden. Nicht als Wehrdienstbeschädigungsfolge festzustellen seien die Herzrhythmusstörungen und die hiermit verbundene Notwendigkeit eines Herzschrittmachers. Gegen einen ursächlichen Zusammenhang spreche insbesondere die fast zwölfjährige Latenz zwischen der im Jahr 1996 aufgetretenen Lungenembolie und der im Jahr 2008 aufgetretenen Herzproblematik und die mit zunehmendem Alter der Menschen sich erhöhende Wahrscheinlichkeit des Auftretens von Rhythmusstörungen. Dies gelte umso mehr, als sich beim Kläger bei mehreren echokardiographischen Kontrollen keine eine arterielle Rhythmusstörung begünstigenden chronischen Rechtsherzbelastungszeichen mit einer Dilatation der Vorhöfe gezeigt hätten. Der Kläger habe keinen Anspruch auf die Gewährung eines Ausgleichs. Die Folgen der am 25.12.1996 erlittenen fulminanten Lungenembolie bedingten keinen GdS von mindestens 25. Es lägen keine schädigungsbedingten Funktionsstörungen, sondern lediglich eine leichte Gasaustauschstörung und ansonsten kein GdS-relevanter Befund vor. Allein die dauerhafte Antikoagulantien-Therapie mit Marcumar sei nicht GdS-relevant.
17 
Mit Ausführungsbescheid der WBV vom 14.04.2010 wurden ein Zustand nach abgelaufener, durch beidseitige Embolektomie und Einbau eine Vena-Cava-Schirms operativ behandelter fulminanter Lungenembolie mit dauerhafter Marcumar-Antikoagulations-Prophylaxe als Folge einer WDB anerkannt. Ein Anspruch auf Ausgleich bestehe nicht. Bezüglich der übrigen Gesundheitsstörungen verbleibe es bei dem Bescheid vom 06.09.2000 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.06.2002. Der hiergegen zunächst eingelegte Widerspruch wurde zurückgenommen.
18 
Auf den Änderungsantrag des Klägers nach dem SGB IX beim Versorgungsamt wurde nach Vorlage des Arztbriefes von Prof. Dr. G. vom 06.03.2008 nach der versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. B., dass ein Teil-GdB von 20 wegen Herzschrittmacher zu berücksichtigen sei, mit Bescheid vom 23.06.2010 ein GdB von 40 seit 10.02.2010 festgestellt.
19 
Mit Teil-Abhilfebescheid des Beklagten vom 20.10.2010 wurde dem Widerspruch gegen den Bescheid vom 05.02.2001 insofern abgeholfen, als ein Zustand nach abgelaufener, durch beidseitige Embolektomie und Einbau eines Vena-Cava-Schirms operativ behandelter fulminanter Lungenembolie mit dauerhafter Marcumar-Antikoagulations-Prophylaxe als Wehrdienstbeschädigungsfolge anerkannt wurde. Ein GdS von wenigstens 25 werde nicht erreicht, eine Rente stehe daher nicht zu. Die Feststellungen seien in Anlehnung an das Urteil des Landessozialgerichts- vom 11.03.2010 zu treffen. Für die Wehrdienstbeschädigungsfolgen habe er Anspruch auf Heilbehandlung nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG).
20 
Hiergegen legte der Kläger am 24.11.2010 Widerspruch ein und führte aus, das Versorgungsamt habe aufgrund der versorgungsärztlichen Stellungnahme der Internistin Dr. C. mit Bescheid vom 30.06.1999 den GdB mit 30 ab 21.09.1998 festgestellt. GdS und GdB würden nach den gleichen Grundsätzen bemessen. Durch das Urteil des Landessozialgerichts sei rechtskräftig festgestellt worden, dass der Zustand, der zu einem GdB seit 1998 von 30 führe, eine Wehrdienstbeschädigungsfolge sei. Daraus folge, dass ein GdS von 30 erreicht werde. Zwar habe das Landessozialgericht die falsche Auffassung vertreten, die Folgen der am 25.12.1996 erlittenen fulminanten Lungenembolie bedingten keinen GdS von wenigstens 25. Diese Auffassung betreffe jedoch ausschließlich den dort streitigen Anspruch auf Gewährung eines Ausgleichs.
21 
Mit Widerspruchsbescheid vom 14.09.2011 wurde der Widerspruch zurückgewiesen. Nach dem Urteil des Landessozialgerichts vom 11.03.2010 habe sich aus dem Gutachten von Dr. S. kein GdS-relevanter Befund ergeben. Soweit nach dem SGB IX ein Teil-GdB von 30 für die Lungen festgestellt worden sei, bestehe die Möglichkeit einer Überprüfung und Korrektur.
22 
Hiergegen hat der Kläger am 14.10.2011 wiederum beim SG Klage eingelegt. Es habe keine Überprüfung der Feststellung des GdB mit 30 gegeben. Es seien keine Argumente ersichtlich, die die damalige Bewertung in Frage stellen könnten. Insbesondere sei auch keine gesundheitliche Besserung eingetreten. Vielmehr seien im Januar 2008 Herzrhythmusstörungen diagnostiziert worden, die zur Implantierung eines Herzschrittmachers geführt hätten. Auch dies sei eine Folge der WDB. Allerdings habe Prof. Dr. G. in seinem Gutachten vom 27.10.2009 „vorsichtig“ formuliert, dass ein eindeutiger Zusammenhang zwischen der Lungenembolie im Jahr 1996 und dem aufgetretenen Vorhofflattern im Jahr 2008 nicht hergestellt werden könne. Allerdings habe Prof. Dr. G. anlässlich der Untersuchung des Klägers diesen Zusammenhang sehr wohl festgestellt und sich im Gespräch mit dem Kläger auch entsprechend geäußert.
23 
Der Beklagte hat ausgeführt, im Rahmen des Verfahrens L 6 VS 2615/05 habe sich herausgestellt, dass die Bewertung mit einem GdB von 30 nach dem SGB IX in Anbetracht der verbliebenen guten Belastbarkeit seitens der Lunge überhöht sei. Dies könne jedoch im Umkehrschluss nicht dazu führen, dass die überhöhte GdB-Bewertung nun auf den GdS übertragen werde.
24 
Das SG hat mit Gerichtsbescheid vom 19.12.2012 die Klage abgewiesen. Der als WDB anerkannte Gesundheitszustand bedinge keinen GdS von mindestens 25. Das Gericht schließe sich insofern den Ausführungen des Landessozialgerichts im Urteil vom 11.03.2010 (L 6 VS 2615/05) voll umfänglich an. Der unzutreffend festgesetzte Teil-GdB könne keine Bindungswirkung für das vorliegende Verfahren erzeugen. Ein Teil-GdB erwachse nicht in Bestandskraft.
25 
Hiergegen hat der Kläger am 28.01.2013 erneut Berufung beim Landessozialgericht eingelegt. Da der GdB und der GdS nach gleichen Grundsätzen zu bewerten seien, hier aber unterschiedliche Ergebnisse vorlägen, ergebe sich zwingend, dass entweder die eine oder die andere Einschätzung falsch sei. Bei richtiger Bewertung ergebe sich ein GdS von 30. Seit den Feststellungen im Jahre 1998 habe sich an den Schädigungsfolgen nichts zum Positiven verändert. Rechtsherzerweiterung und Herzrhythmusstörungen seien von Dr. C. schon beschrieben worden. Darüber hinaus sei die Abhängigkeit von Gerinnungshemmern bekannt. Dr. S. habe die Herzhöhlen allseits dilatiert und hypertrophiert beschrieben, Zeichen eines chronischen Cor pulmonale mit Dilation. Die Herzrechtserweiterung sei erst im Zuge der Embolie entstanden. In der Nachbetrachtung müsse auch festgestellt werden, dass er bei sportlichen Aktivitäten wie Tennis, Jogging, Radfahren nicht gerade selten auftretende Schwächeperioden in den Jahren, bevor die Gutachten zur Verfügung gestanden hätten, aus Unkenntnis nicht mit Herzrhythmusstörungen in Verbindung gebracht habe.
26 
Der Kläger beantragt,
27 
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 19. Dezember 2012 aufzuheben und den Bescheid vom 5. Februar 2001 in der Fassung des Bescheides vom 20. Oktober 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. September 2011 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, ihm aufgrund der festgestellten Wehrdienstbeschädigung eine Beschädigtenversorgung nach dem Soldatenversorgungsgesetz in gesetzlicher Höhe zu bewilligen,
28 
hilfsweise Prof. Dr. G. in der mündlichen Verhandlung zu der Zusammenhangsfrage der Rhythmusstörungen und der Lungenembolie zu hören.
29 
Der Beklagte beantragt,
30 
die Berufung zurückzuweisen.
31 
Der Beklagte hat zur Begründung angegeben, ein nach dem SGB IX unzutreffend festgesetzter Teil-GdB-Wert könne keine Bindungswirkung in anderen Rechtsgebieten entfalten.
32 
Die Berichterstatterin hat am 20.05.2014 den Sachverhalt nichtöffentlich erörtert.
33 
Mit Beschluss vom 04.07.2014 hat der Senat die Bundesrepublik Deutschland zum Verfahren beigeladen.
34 
Die Beigeladene beantragt,
35 
die Berufung zurückzuweisen.
36 
Zur Begründung hat sie auf den Gerichtsbescheid des SG Bezug genommen.
37 
Mit Schreiben vom 07.10.2011 hat das Versorgungsamt dem Kläger mitgeteilt, dass die gesundheitlichen Verhältnisse überprüft werden müssen. In einem Telefonat mit dem Kläger am 17.10.2011 hat dieser angegeben, dass er seit 2008 in keiner lungenfachärztlichen Behandlung sei. Auf die Anfrage bei der behandelnden Hausärztin Dr. S. hat diese mit Schreiben vom 14.02.2013 mitgeteilt, dass sich der Kläger seit Januar 2010 nicht mehr in der Sprechstunde vorgestellt habe. Ein Befund eines Lungenfacharztes liege ebenfalls nicht vor. Daher sei eine Aussage über den aktuellen Gesundheitszustand nicht möglich.
38 
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten und der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie die Gerichtsakte des Verfahrens am SG mit dem Az.: S 1 VS 2515/02 und des Verfahrens am Landessozialgericht mit dem Az.: L 6 VS 2615/05, die Verwaltungsakten des Beklagten, der Beigeladenen und die SGB IX-Akte verwiesen.

Entscheidungsgründe

 
39 
Die gemäß §§ 143 und 144 SGG statthafte sowie nach § 151 SGG form- und fristgerecht erhobene und auch im Übrigen zulässige Berufung ist unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten.
40 
Der am 12. Dezember 2014 gestellte Antrag auf erneute Anhörung von Prof. Dr. G. zu der Zusammenhangsfrage der Lungenembolie mit dem Zustand nach Vorhofflattern mit Schrittmacherimplantation war abzulehnen. Der Sachverständige hat sich hierzu bereits in seinem Gutachten vom 27.10.2009 eindeutig und zwar in negativem Sinne für den Kläger geäußert und ist auch bei seiner weiteren schriftlichen Stellungnahme vom 04.03.2010 in Würdigung der klägerischen Vorbehalte bei seiner Einschätzung verblieben. Einen weiteren Aufklärungsbedarf hat der Kläger selbst nicht deutlich gemacht, den Beweisantrag vielmehr allein darauf gestützt, dass Prof. Dr. G. als damals behandelnder Arzt mündlich eine andere Auffassung vertreten haben soll. Das mag durchaus der Fall gewesen sein, das Gutachten hat er dann aber in Kenntnis sämtlicher ärztlichen Befunde erstatten können, die ihm als behandelnder Arzt nicht vorgelegen haben und erst eine saubere Beurteilung des Zusammenhangs ermöglichen, nämlich dass von einer Prädisposition zum Vorhofflattern ausgegangen werden muss, da in den Zwischenjahren nach der Lungenembolie keine Rhythmusstörung beschrieben wurde (dazu unten). Im Übrigen entspricht es dem Beweisrecht, dass das Gericht nicht verpflichtet ist, einem Beweisantrag beliebig oft nachzukommen (BSG, Urteil vom 15.04.1991 - 5 RJ 32/90 - juris; Urteil des Senats vom 27.03.2014 - L 6 U 4001/13 - juris).
41 
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Beschädigtengrundrente nach §§ 80, 81 SVG i.V.m. §§ 30, 31 BVG.
42 
Gemäß § 80 Abs. 1 Satz 1 SVG erhält ein Soldat, der eine WDB erlitten hat, nach Beendigung des Wehrdienstverhältnisses wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der WDB auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG, soweit im SVG nichts Abweichendes bestimmt ist. Nach § 88 Abs. 1 SVG sind hierfür die Versorgungsbehörden zuständig. Nach § 81 Abs. 1 SVG ist WDB eine gesundheitliche Schädigung, die durch eine Wehrdienstverrichtung, durch einen während der Ausübung des Wehrdienstes erlittenen Unfall oder durch die dem Wehrdienst eigentümlichen Verhältnisse herbeigeführt worden ist. Nach § 30 Abs. 1 BVG ist der GdS (bis zum Inkrafttreten des BVGÄndG vom 13.12.2007 [BGBl. I S. 2904] am 21.12.2007 MdE) nach den allgemeinen Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen, die durch die als Schädigungsfolge anerkannten körperlichen, geistigen, seelischen Gesundheitsstörungen bedingt sind, in allen Lebensbereichen zu beurteilen (Satz 1 der Vorschrift). Nachdem für die Beurteilung der MdE und des GdS dieselben Grundsätze gelten, wird im Folgenden allein auf die Beurteilung des GdS Bezug genommen. Der GdS ist nach Zehnergraden von 10 bis 100 zu bemessen; ein bis zu fünf Grad geringerer GdS wird vom höheren Zehnergrad mit umfasst (Satz 2 der Vorschrift). Beschädigte erhalten gemäß § 31 Abs. 1 BVG eine monatliche Grundrente ab einem GdS von 30. Liegt der GdS unter 25 besteht kein Anspruch auf eine Rentenentschädigung.
43 
Der Senat orientiert sich bei der Beurteilung von MdE und GdS für die Zeit bis zum 31.12.2008 an den im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung als antizipierte Sachverständigengutachten angewandten (BSG, Urteil vom 23.06.1993 - 9/9a RVs 1/91 - BSGE 72, 285; BSG, Urteil vom 09.04.1997 - 9 RVs 4/95 - SozR 3-3870 § 4 Nr. 19; BSG, Urteil vom 18.09.2003 - B 9 SB 3/02 R - BSGE 190, 205; BSG, Urteil vom 29.08.1990 - 9a/9 RVs 7/89 - BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 1) „Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2 SGB IX)“ (AHP) in der jeweils geltenden Fassung, die gemäß § 30 Abs. 16 BVG (bis 30.06.2011 § 30 Abs. 17 BVG) für die Zeit ab dem 01.01.2009 durch die in der Anlage zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, des § 30 Abs. 1 und des § 35 Abs. 1 BVG - Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) - vom 10.12.2008 (BGBl. I Seite 2412) festgelegten Versorgungsmedizinischen Grundsätze (VG) abgelöst worden sind. Hinsichtlich der vorliegend einschlägigen Funktionsbeeinträchtigungen enthalten die VG gegenüber den AHP keine inhaltlichen Änderungen, sodass im Folgenden lediglich die Ziffern der VG angegeben werden.
44 
Wie in allen Zweigen des sozialen Entschädigungsrechts müssen auch im Recht der Soldatenversorgung die anspruchsbegründenden Tatsachen nachgewiesen, d. h. ohne vernünftige Zweifel oder mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bewiesen sein (st. Rspr. BSG, so zum Opferentschädigungsgesetz - OEG -: BSG SozR 1500 § 128 Nr. 34 m. w. N.; SozR 1500 § 128 Nr. 35; zur Kriegsopferversorgung BSG SozR 3-3100 § 1 Nr. 18; zum SVG: BSG SozR 3-3200 § 81 Nr. 16; SozR 3-3200 § 81 Nr. 6; zum Impfschadensrecht: BSG SozR 3850 § 51 Nr. 9 und § 52 Nr. 1), soweit nichts anderes bestimmt ist. Für Ansprüche nach §§ 80, 81 SVG bedeutet dies, dass sich - mit dem jeweils maßgeblichen Beweisgrad - zumindest drei Tatsachenkomplexe oder Glieder der Kausal-(Ursachen)kette sowie zwei dazwischenliegende Kausalzusammenhänge feststellen lassen müssen (vgl. Wilke/Fehl, Soziales Entschädigungsrecht, 7. Aufl 1992, § 1 BVG Rdnrn. 56 und 61; Rohr/Strässer, Bundesversorgungsrecht mit Verfahrensrecht, Stand: Februar 2013, § 1 BVG Anm 8 ff, § 1 -52 ff). Der erste Komplex ist die geschützte Tätigkeit, hier also die Wehrdienstverrichtung oder die Ausübung einer gleichgestellten Tätigkeit. Infolge dieser Verrichtung muss ein schädigendes Ereignis eine gesundheitliche Schädigung hervorgerufen haben. Aufgrund dieser Schädigung muss es dann zu der in MdE/GdS-Graden zu bewertenden Schädigungsfolge gekommen sein. Das "schädigende Ereignis" wird üblicherweise als weiteres selbständiges Glied der Kausalkette zwischen geschützter Tätigkeit und Primärschaden angesehen (BSG SozR 3-3200 § 81 Nr. 16 m. w. N.). Auch dieses bedarf grundsätzlich des Vollbeweises. Dagegen genügt für die Feststellung des Ursachenzusammenhangs, jedenfalls desjenigen zwischen Schädigung und Schädigungsfolge (sog "haftungsausfüllende Kausalität") der Beweisgrad der Wahrscheinlichkeit (§ 81 Abs. 6 Satz 1 SVG).
45 
Bei dem einem Soldaten während des Dienstverhältnisses zustehenden Anspruch auf Ausgleich gegenüber der WBV nach § 85 SVG und dem Versorgungsanspruch für die Zeit nach seinem Ausscheiden aus dem Dienstverhältnis gegenüber dem Beklagten nach § 80 SVG handelt es sich grundsätzlich um zwei zeitlich getrennte und konstruktiv selbständig nebeneinander stehende Ansprüche. In § 88 Abs. 3 Satz 1 SVG ist allerdings angeordnet, dass eine bekannt gegebene Entscheidung einer Behörde der Bundeswehrverwaltung sowie die rechtskräftige Entscheidung eines Gerichts der Sozialgerichtsbarkeit in Ausgleichsverfahren über eine WDB und den ursächlichen Zusammenhang einer Gesundheitsstörung unter anderem mit einem Tatbestand des § 81 SVG für die Behörde der jeweils anderen Verwaltung verbindlich sind. Diese Verbindlichkeit erstreckt sich auch auf den einer Ausgleichsleistung zugrunde liegenden GdS. Führt eine durch rechtskräftiges Urteil verurteilte Verwaltungsbehörde das Urteil durch einen Bescheid entsprechend dem Urteilstenor unter selbständiger Festsetzung des GdS und der daraus folgenden Leistung aus, besteht die Bindungswirkung durch den Ausführungsbescheid (BSG, Urteil vom 02.07.1997 - 9 RV 21/95 - juris). Für die Bindungswirkung der Entscheidungen der WBV ist es gleichgültig, ob die Erstentscheidung noch während der Dienstzeit des Soldaten oder erst danach getroffen wird. Aus dem Wortlaut des § 88 Abs. 2 SVG folgt, dass die WBV derartige Entscheidungen auch noch nach dem Ausscheiden des Soldaten aus dem Wehrdienst treffen kann (BSG, Urteil vom 28.06.2000 - B 9 VS 1/99 R - juris).
46 
Der Gesetzgeber wollte mit der Bindungswirkung im Sinne von § 88 Abs. 3 SVG den Verwaltungsaufwand im Übergang von einer Leistung auf die andere (vom Ausgleich zur Versorgung) und von einem Leistungsträger auf den anderen (Bundeswehrverwaltung und Versorgungsverwaltung) beschränken. Bei diesen Ansprüchen, die einerseits zwar zeitlich voneinander getrennt und konstruktiv selbständig nebeneinander stehen, die andererseits jedoch beide auf ein und derselben gesundheitlichen Schädigung durch einen Unfall während der Ausübung des Wehrdienstes oder die dem Wehrdienst eigentümlichen Verhältnisse im Sinne von § 81 Abs. 1 SVG gründen, sollten doppelte Prüfungen vermieden werden (vgl. auch BT-Drs. 8/3750 S. 23 und 8/4030 S. 25). Ziel ist es, der Gefahr von in wesentlichen Punkten voneinander abweichenden Entscheidungen entgegenzuwirken und vor allem eine Schlechterstellung von Soldaten nach dem Ausscheiden aus dem Dienst der Bundeswehr gegenüber Kriegsbeschädigten und sonstigen Versorgungsberechtigten zu verhindern, deren Anspruch sich nur gegen einen Leistungsträger richtet. Zweck der Regelung ist es mithin, in der Übergangssituation zwischen Ausgleich und Versorgung durch Bindung - in erster Linie der Versorgungsverwaltung - die weitere Versorgung des aus dem Dienst der Bundeswehr ausgeschiedenen Soldaten sicherzustellen (BSG, Urteil vom 25.03.2004 - B 9 VS 2/01 R -, juris).
47 
Allerdings besteht die Bindung der Versorgungsverwaltung an die Entscheidung der Wehrverwaltung nicht unbeschränkt. Nach § 88 Abs. 3 Sätze 2 und 3 SVG steht die Bindungswirkung einer anderweitigen Entscheidung der Versorgungsämter nicht entgegen, wenn sich die Feststellung von Anfang an als fehlerhaft erweist oder eine wesentliche Änderung der maßgeblichen Verhältnisse eintritt. Bei anfänglicher Unrichtigkeit kann die Versorgungsverwaltung die Entscheidung über §§ 44 bzw. 45 SGB X korrigieren, bei einer Besserung oder Verschlechterung der anerkannten WDB kann die Entscheidung der Wehrverwaltung mit Wirkung für die Zukunft nach § 48 SGB X aufgehoben bzw. abgeändert werden.
48 
Mit Urteil des Landessozialgerichts (L 6 VS 2615/05) vom 11.03.2011 ist rechtskräftig als weitere Wehrdienstbeschädigungsfolge ein Zustand nach abgelaufener, durch beidseitige Embolektomie und Einbau eines Vena-Cava-Schirms operativ behandelter fulminanter Lungenembolie mit dauerhafter Marcumar-Antikoagulations-Prophylaxe festgestellt und der Bescheid des Beigeladenen vom 06.09.2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.06.2002 insoweit abgeändert worden. Im Übrigen, soweit die Feststellung von Herzrhythmusstörungen und Notwendigkeit eines Herzschrittmachers begehrt wurde und die Gewährung eines Ausgleiches, ist die Berufung jedoch zurückgewiesen worden. Mit Ausführungsbescheid der WBV vom 14.04.2010 ist diese Wehrdienstbeschädigungsfolge anerkannt worden. Darüber hinaus ist dargelegt worden, dass ein Anspruch auf Ausgleich nach § 85 SVG jedoch weiterhin nicht besteht und es bezüglich der übrigen Gesundheitsstörungen bei dem Bescheid vom 06.09.2000 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.06.2002 verbleibt. Nach der Rechtsprechung des Senats (zuletzt Urteil vom 29.04.2014 - L 6 VK 934/12 - juris) hat ein Ausführungsbescheid insoweit einen eigenständigen Regelungscharakter, als er vorliegend das ergangene Urteil richtig umsetzen muss.
49 
Damit ist für die Versorgungsverwaltung bindend festgestellt worden, dass nur die im Verfügungssatz des Urteils des Landessozialgerichts anerkannte WDB vorliegt und keine weitere. Dies steht der Anerkennung der Herzrhythmusstörungen und der Notwendigkeit eines Herzschrittmachers als WDB durch die Beklagte entgegen.
50 
Maßgeblich ist daher, nachdem der anwaltlich vertretene Kläger selbst keine Verschlechterung des Gesundheitszustandes i. S. d. § 48 SGB X geltend macht allein, ob diese Feststellung rechtmäßig ist. Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind, der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Ist ein Verwaltungsakt rechtswidrig, hat der betroffene Bürger im Interesse der materiellen Gerechtigkeit einen einklagbaren Anspruch auf Rücknahme des Verwaltungsaktes unabhängig davon, ob der Verwaltungsakt durch ein rechtskräftiges Urteil bestätigt wurde (BSGE 51, 139, 141; BSG SozR 2200 § 1268 Nr. 29). Dabei muss die Verwaltung entsprechend dem Umfang des Vorbringens des Versicherten in eine erneute Prüfung eintreten und den Antragsteller auf der Grundlage der wirklichen Sach- und Rechtslage bescheiden (BSG, SozR 3-2600 § 243 Nr. 8; BSG SozR 2200 § 1268 Nr. 29). Ob bei Erlass des Bescheides von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen worden ist, beurteilt sich im Vergleich der Sachlage, wie sie dem zu überprüfenden Verwaltungsakt zu Grunde gelegt worden ist und wie sie sich bei Erlass des Verwaltungsaktes bei nachträglicher Betrachtung im Zeitpunkt der Überprüfung rückschauend tatsächlich darstellt. Mithin kommt es nicht auf den Erkenntnisstand bei Erlass, sondern bei Überprüfung an, die Rechtswidrigkeit beurteilt sich also nach der damaligen Sach- und Rechtslage aus heutiger Sicht (BSGE 57, 209; 90, 136). Dies gilt auch dann, wenn z. B. die richtige medizinische Beurteilung erst später möglich geworden ist. Nach Unanfechtbarkeit des zu überprüfenden Verwaltungsaktes liegt allerdings die objektive Beweislast für Tatsachen, aus denen sich eine Unrichtigkeit des Verwaltungsaktes wegen fehlerhafter Sachverhaltsannahme ergeben kann, bei dem Adressaten des Verwaltungsaktes (st. Rspr. BSG SozR 5870 § 2 Nr. 44). Hinsichtlich des Beweismaßstabs gelten die Kriterien, die auch zum Zeitpunkt der zu überprüfenden Entscheidung maßgeblich waren (BSG SozR 3-1300 § 48 Nr. 67). Genügte dort, dass eine Tatsache lediglich wahrscheinlich war, ein Vollbeweis aber nicht gefordert wurde, besteht auch im Rahmen der Überprüfung bei Wahrscheinlichkeit des maßgeblichen Sachverhalts ein Anspruch auf den Zugunstenbescheid (BSG, SGb 1998, 582).
51 
Danach liegen die Voraussetzungen für eine Rücknahme der Entscheidung nicht vor. Der Kläger hat nichts vorgetragen, was Anlass geben könnte, an eine abweichende Entscheidung zu denken. Insbesondere hat der Kläger keinerlei neue Angaben gemacht bzw. Unterlagen vorgelegt, die nunmehr ausreichend Anhaltspunkte dafür liefern, dass doch die Herzrhythmusstörungen wahrscheinlich Folge der Lungenembolie sind. Vielmehr hat er nur auf bereits im Verfahren L 6 VS 2615/05 Gewürdigtes hingewiesen. Daher wird weiterhin der Sachverhalt vom Senat als ausreichend aufgeklärt erachtet und weitere Ermittlungen nicht als erforderlich angesehen. Im Urteil des Landessozialgerichts vom 11.03.2010 ist die Entscheidung, dass nicht auch die im Januar 2008 diagnostizierten Herzrhythmusstörungen und die hiermit verbundene Notwendigkeit eines Herzschrittmachers eine WDB ist, auf die Ausführungen in dem Gutachten und der ergänzenden Stellungnahme von Prof. Dr. G. gestützt worden, die vom Senat weiterhin als schlüssig und überzeugend bewertet werden. Diesen Ausführungen hat der Kläger auch in vorliegendem Verfahren keine stichhaltigen, sie widerlegenden Argumente, gegenübergestellt. Auch wenn im Recht der Soldatenversorgung die Rechtslage auf der Grundlage von Wahrscheinlichkeitsbeurteilungen durch einen Verwaltungsakt geregelt wird, kann er nur zurück genommen werden, wenn er nach allgemeinen Beweisregeln rechtswidrig ist. Eine Aufhebung scheidet daher aus, solange und soweit die Möglichkeit der Rechtmäßigkeit besteht (vgl. Lilienfeld in Knickrehm, Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, § 88 SVG Rn. 15). Eine Rücknahme nach § 44 SGB X setzt somit die nachgewiesene Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes voraus. Dies ist vorliegend nicht gegeben.
52 
Bei dem Kläger ist erstmals bei der akuten beidseitigen Lungenembolie am 25.12.1996 im Rahmen der durchgeführten Embolektomie ein Vorhofflattern aufgetreten, wobei es sich um eine Kammertachykardie handelte, die er bei erneuter Verschlechterung des Allgemeinbefindens bemerkte. Prof. Dr. G. hat hierzu dargelegt, dass eine akute Lungenembolie zwar häufig Arrhythmien auslösen kann. Auch spielen Erkrankungen, die zu einer Rechtsherzbelastung führen, wie rezidivierende Lungenembolien, nach seinen Ausführungen eine besonders wichtige Rolle bei der Entstehung von Vorhofflattern, weshalb eine Herzrhythmusstörung, insbesondere das Vorhofflattern, eher Folge einer Lungenembolie ist, als Ursache einer Embolie. In den Zeiträumen zwischen 1994 und 1996 und insbesondere 1996 und 2008 liegen jedoch bei dem Kläger keinerlei Hinweise auf Rhythmusstörungen vor. Weder hat der Kläger Angaben über klinische Hinweise gemacht, obwohl er sowohl 1996, wie auch 2008 im Rahmen des Vorhofflatterns symptomatisch gewesen ist, weshalb nicht von einem asymptomatischen und damit nicht erkannten Vorhofflattern ausgegangen werden kann. Noch ergeben sich Hinweise aus den in dieser Zeit durchgeführten Untersuchungen auf Herzrhythmusstörungen. Insbesondere haben mehrere echokardiographische Kontrollen keine chronischen Rechtsherzbelastungszeichen mit einer Dilatation der Vorhöfe gezeigt, die eine atriale Rhythmusstörung begünstigen. Hieraus folgt, dass ein eindeutiger Zusammenhang zwischen der Lungenembolie 1996 und dem Auftreten des Vorhofflatterns 2008 nicht belegt werden kann. Die Ursache des erneut aufgetretenen Vorhofflatterns ist vielmehr unklar. Nachdem die Häufigkeit der Herzrhythmusstörungen wie Vorhofflimmern und Vorhofflattern insgesamt mit dem Lebensalter zunimmt, ist die Schlussfolgerung von Prof. Dr. G., dass eine durch die Lungenembolie mit nachfolgender Embolektomie verursachte Herzrhythmusstörung zwar möglich, jedoch nach 12-jähriger Latenz nicht wahrscheinlich ist, sondern mehr dagegen als dafür spricht, überzeugend. Es spricht vielmehr, wie Prof. Dr. G. angibt, mehr für eine Prädisposition des Klägers zum Vorhofflattern.
53 
Wie im Urteil des Landessozialgerichts vom 11.03.2010 überzeugend ausgeführt worden ist, rechtfertigt die anerkannte WDB keinen GdS von mindestens 25. Der Kläger hat auch nunmehr keinerlei Befunde mitgeteilt, die einen GdS von 30 rechtfertigen. Daher liegen auch keine Gründe vor, nach denen die Ablehnung der Gewährung eines Ausgleichs nach § 85 SVG rechtswidrig gewesen ist und ein Anspruch auf Gewährung einer Grundrente nach § 80 SVG besteht.
54 
Bei der Begutachtung durch Dr. S. ergab die pulmonale Auskultation einen unauffälligen Befund, ebenfalls lag kardial ein unauffälliger Befund vor. Es zeigte sich nur eine leichte Gasaustauschstörung bei normaler Belastbarkeit. Die Spiroergometrie zeigte eine normale Belastbarkeit bis 200 Watt mit maximaler Sauerstoffaufnahme im Normbereich (97 % des Sollwertes). Daraus folgt, wie von Dr. S. angegeben, dass keine relevanten kardiopulmonalen Einschränkungen bestanden und damit keine Funktionsbeeinträchtigungen, die die Feststellung eines GdS rechtfertigen. Prof. Dr. G. hat in seinem Gutachten ausgeführt, dass der Kläger in seinem Alltag in Ruhe normal belastbar ist und nur bei mittelschwerer bis schwerer Belastung bzw. bei mittelschwerer körperlicher Arbeit eine Dyspnoe hat und die Arbeit unterbrechen muss. Der Kläger hatte angegeben, er spiele regelmäßig Tennis, müsse aber regelmäßig Pausen machen. Eine Dyspnoe oder thorakale Schmerzen oder Palpitationen wurden jedoch verneint. Daraus folgt, dass bei dem damals bereits 68-jährigem Kläger keinesfalls einen GdS von 20 rechtfertigende Funktionsbeeinträchtigungen aufgrund der anerkannten WDB vorgelegen haben. Nach den VG, Teil B, Nr. 8.3 bzw. 9.1.1 ist ein GdS von 20 erst gerechtfertigt, wenn eine das gewöhnliche Maß übersteigende Atemnot z.B. bei forschem Gehen [5-6 km/h], mittelschwerer körperlicher Arbeit vorliegt und statische und dynamische Messwerte der Lungenfunktionsprüfung bis zu 1/3 niedriger als die Sollwerte sind und die Blutgaswerte im Normbereich bzw. bei Beschwerden und Auftreten pathologischer Messdaten bei Ergometerbelastung mit 75 Watt (wenigstens 2 Minuten). Der Kläger war jedoch bis 200 Watt belastbar und hat dort nach 2 Minuten wegen muskulärer Erschöpfung aufgehört und hat von regelmäßigem Tennisspielen berichtet.
55 
Wie bereits in dem Urteil des Landessozialgerichts vom 11.03.2010 ausgeführt worden ist, ist zwar nach den VG, Teil B, Nr. 9.1.2 bei Herzklappenprothesen der GdS nicht niedriger als 30 zu bewerten, wobei dieser Wert eine Dauerbehandlung mit Antikoagulantien einschließt. Der eingebrachte Vena-Cava-Schirm ist jedoch keinesfalls mit dem Vorliegen einer Herzklappenprothese vergleichbar und allein eine Dauerbehandlung mit Antikoagulatien rechtfertigt danach nicht die Feststellung eines GdS von 30. Vielmehr ist nach operativen und anderen therapeutischen Eingriffen am Herzen der GdS von der bleibenden Leistungsbeeinträchtigung abhängig, die vorliegend gerade nicht gegeben ist.
56 
Nachdem der Kläger keinerlei Angaben gemacht und Nachweise erbracht hat, dass seine Leistungsfähigkeit entgegen diesen Befunden deutlich reduziert ist, ist das Vorliegen eines GdS von mindestens 25 aufgrund der anerkannten WDB nicht nachgewiesen. Soweit der Kläger auf die Feststellung eines GdB von 30 aufgrund der Gesundheitsbeeinträchtigungen der anerkannten WDB hinweist und daraus einen Anspruch auf Gewährung einer Grundrente nach einem GdS von mindestens 30 herleiten möchte, besteht eine Bindungswirkung infolge der Feststellung des GdB, vergleichbar der Bindungswirkung nach § 88 Abs. 3 SVG, aber gerade nicht.
57 
Vielmehr ist nach § 69 Abs. 2 Satz 1 SGB IX eine Feststellung der Behinderung nach dem SGB IX nicht zu treffen, wenn eine Feststellung über das Vorliegen einer Behinderung und den Grad einer auf ihr beruhenden Erwerbsminderung schon in einem Rentenbescheid, einer entsprechenden Verwaltungs- oder Gerichtsentscheidung oder einer vorläufigen Bescheinigung der für diese Entscheidungen zuständigen Dienststellen getroffen worden ist und der behinderte Mensch kein Interesse an anderweitiger Feststellung nach Absatz 1 glaubhaft macht. Eine entsprechende (umgekehrte) Regelung einer Übernahme der Feststellungen nach dem SGB IX gibt es jedoch nicht. Die Feststellung eines GdB durch die Versorgungsverwaltung hat daher für die Feststellung der Höhe der MdE bzw. des GdS nach dem BVG/SVG oder dem Unfallversicherungsrecht - anders als umgekehrt - keine bindende Wirkung bei der Entscheidung über die Höhe (vgl. BSG, Beschluss vom 11.10.2006 - B 9a SB 1/06 BH). Nachdem im Rahmen der Beschädigtenversorgung bzw. der Unfallversicherung jeweils noch weitere zusätzliche Feststellungen zu treffen sind, da mit der Feststellung nach dem SGB IX nicht geprüft wird, ob Gesundheitsstörungen als Unfall- / Schädigungs-Folge anzuerkennen sind und nur der Gesamt-GdB im Verfügungssatz festgestellt wird, liegt keine § 69 Abs. 2 SGB IX vergleichbare Konstellation vor. Denn auch § 69 Abs. 2 SGB IX lässt nicht einen nur teilweisen (partiellen) Verzicht auf eigenständige Feststellungen der Versorgungsbehörden nach Abs. 1 der Vorschrift zu. Eine anderweitige Feststellung im Sinne von § 69 Abs. 2 SGB IX ist vielmehr nur dann maßgebend, wenn sie eine Feststellung nach Abs. 1 SGB IX gänzlich erübrigt und damit an deren Stelle treten kann (vgl. BSG, Urteil vom 05.07.2007 - B 9/9a SB 12/06 R - SozR 4-3250 § 69 Nr. 4). Die Regelung des § 69 Abs. 2 SGB IX ist daher nicht analogiefähig bzw. umkehrbar (vgl. Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 18.05.2010 - L 15 SB 19/07 - juris).
58 
Ergänzend weist der Senat noch darauf hin, dass der Kläger auch keine Verschlimmerung der anerkannten WDB geltend gemacht hat. Vielmehr hat er nur ausgeführt, dass der Zustand nicht besser geworden ist. Wie sich aus der Stellungnahme von Dr. S. vom 14.02.2013 im Rahmen der Überprüfung des GdB ergibt, war der Kläger seit Januar 2010 nicht mehr in Behandlung und ihr liegt kein Befund eines Lungenfacharztes vor. Damit liegen auch nicht die Voraussetzungen nach § 48 SGB X vor.
59 
Die Berufung war nach alledem zurückzuweisen.
60 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
61 
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.

Gründe

 
39 
Die gemäß §§ 143 und 144 SGG statthafte sowie nach § 151 SGG form- und fristgerecht erhobene und auch im Übrigen zulässige Berufung ist unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten.
40 
Der am 12. Dezember 2014 gestellte Antrag auf erneute Anhörung von Prof. Dr. G. zu der Zusammenhangsfrage der Lungenembolie mit dem Zustand nach Vorhofflattern mit Schrittmacherimplantation war abzulehnen. Der Sachverständige hat sich hierzu bereits in seinem Gutachten vom 27.10.2009 eindeutig und zwar in negativem Sinne für den Kläger geäußert und ist auch bei seiner weiteren schriftlichen Stellungnahme vom 04.03.2010 in Würdigung der klägerischen Vorbehalte bei seiner Einschätzung verblieben. Einen weiteren Aufklärungsbedarf hat der Kläger selbst nicht deutlich gemacht, den Beweisantrag vielmehr allein darauf gestützt, dass Prof. Dr. G. als damals behandelnder Arzt mündlich eine andere Auffassung vertreten haben soll. Das mag durchaus der Fall gewesen sein, das Gutachten hat er dann aber in Kenntnis sämtlicher ärztlichen Befunde erstatten können, die ihm als behandelnder Arzt nicht vorgelegen haben und erst eine saubere Beurteilung des Zusammenhangs ermöglichen, nämlich dass von einer Prädisposition zum Vorhofflattern ausgegangen werden muss, da in den Zwischenjahren nach der Lungenembolie keine Rhythmusstörung beschrieben wurde (dazu unten). Im Übrigen entspricht es dem Beweisrecht, dass das Gericht nicht verpflichtet ist, einem Beweisantrag beliebig oft nachzukommen (BSG, Urteil vom 15.04.1991 - 5 RJ 32/90 - juris; Urteil des Senats vom 27.03.2014 - L 6 U 4001/13 - juris).
41 
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Beschädigtengrundrente nach §§ 80, 81 SVG i.V.m. §§ 30, 31 BVG.
42 
Gemäß § 80 Abs. 1 Satz 1 SVG erhält ein Soldat, der eine WDB erlitten hat, nach Beendigung des Wehrdienstverhältnisses wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der WDB auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG, soweit im SVG nichts Abweichendes bestimmt ist. Nach § 88 Abs. 1 SVG sind hierfür die Versorgungsbehörden zuständig. Nach § 81 Abs. 1 SVG ist WDB eine gesundheitliche Schädigung, die durch eine Wehrdienstverrichtung, durch einen während der Ausübung des Wehrdienstes erlittenen Unfall oder durch die dem Wehrdienst eigentümlichen Verhältnisse herbeigeführt worden ist. Nach § 30 Abs. 1 BVG ist der GdS (bis zum Inkrafttreten des BVGÄndG vom 13.12.2007 [BGBl. I S. 2904] am 21.12.2007 MdE) nach den allgemeinen Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen, die durch die als Schädigungsfolge anerkannten körperlichen, geistigen, seelischen Gesundheitsstörungen bedingt sind, in allen Lebensbereichen zu beurteilen (Satz 1 der Vorschrift). Nachdem für die Beurteilung der MdE und des GdS dieselben Grundsätze gelten, wird im Folgenden allein auf die Beurteilung des GdS Bezug genommen. Der GdS ist nach Zehnergraden von 10 bis 100 zu bemessen; ein bis zu fünf Grad geringerer GdS wird vom höheren Zehnergrad mit umfasst (Satz 2 der Vorschrift). Beschädigte erhalten gemäß § 31 Abs. 1 BVG eine monatliche Grundrente ab einem GdS von 30. Liegt der GdS unter 25 besteht kein Anspruch auf eine Rentenentschädigung.
43 
Der Senat orientiert sich bei der Beurteilung von MdE und GdS für die Zeit bis zum 31.12.2008 an den im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung als antizipierte Sachverständigengutachten angewandten (BSG, Urteil vom 23.06.1993 - 9/9a RVs 1/91 - BSGE 72, 285; BSG, Urteil vom 09.04.1997 - 9 RVs 4/95 - SozR 3-3870 § 4 Nr. 19; BSG, Urteil vom 18.09.2003 - B 9 SB 3/02 R - BSGE 190, 205; BSG, Urteil vom 29.08.1990 - 9a/9 RVs 7/89 - BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 1) „Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2 SGB IX)“ (AHP) in der jeweils geltenden Fassung, die gemäß § 30 Abs. 16 BVG (bis 30.06.2011 § 30 Abs. 17 BVG) für die Zeit ab dem 01.01.2009 durch die in der Anlage zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, des § 30 Abs. 1 und des § 35 Abs. 1 BVG - Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) - vom 10.12.2008 (BGBl. I Seite 2412) festgelegten Versorgungsmedizinischen Grundsätze (VG) abgelöst worden sind. Hinsichtlich der vorliegend einschlägigen Funktionsbeeinträchtigungen enthalten die VG gegenüber den AHP keine inhaltlichen Änderungen, sodass im Folgenden lediglich die Ziffern der VG angegeben werden.
44 
Wie in allen Zweigen des sozialen Entschädigungsrechts müssen auch im Recht der Soldatenversorgung die anspruchsbegründenden Tatsachen nachgewiesen, d. h. ohne vernünftige Zweifel oder mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bewiesen sein (st. Rspr. BSG, so zum Opferentschädigungsgesetz - OEG -: BSG SozR 1500 § 128 Nr. 34 m. w. N.; SozR 1500 § 128 Nr. 35; zur Kriegsopferversorgung BSG SozR 3-3100 § 1 Nr. 18; zum SVG: BSG SozR 3-3200 § 81 Nr. 16; SozR 3-3200 § 81 Nr. 6; zum Impfschadensrecht: BSG SozR 3850 § 51 Nr. 9 und § 52 Nr. 1), soweit nichts anderes bestimmt ist. Für Ansprüche nach §§ 80, 81 SVG bedeutet dies, dass sich - mit dem jeweils maßgeblichen Beweisgrad - zumindest drei Tatsachenkomplexe oder Glieder der Kausal-(Ursachen)kette sowie zwei dazwischenliegende Kausalzusammenhänge feststellen lassen müssen (vgl. Wilke/Fehl, Soziales Entschädigungsrecht, 7. Aufl 1992, § 1 BVG Rdnrn. 56 und 61; Rohr/Strässer, Bundesversorgungsrecht mit Verfahrensrecht, Stand: Februar 2013, § 1 BVG Anm 8 ff, § 1 -52 ff). Der erste Komplex ist die geschützte Tätigkeit, hier also die Wehrdienstverrichtung oder die Ausübung einer gleichgestellten Tätigkeit. Infolge dieser Verrichtung muss ein schädigendes Ereignis eine gesundheitliche Schädigung hervorgerufen haben. Aufgrund dieser Schädigung muss es dann zu der in MdE/GdS-Graden zu bewertenden Schädigungsfolge gekommen sein. Das "schädigende Ereignis" wird üblicherweise als weiteres selbständiges Glied der Kausalkette zwischen geschützter Tätigkeit und Primärschaden angesehen (BSG SozR 3-3200 § 81 Nr. 16 m. w. N.). Auch dieses bedarf grundsätzlich des Vollbeweises. Dagegen genügt für die Feststellung des Ursachenzusammenhangs, jedenfalls desjenigen zwischen Schädigung und Schädigungsfolge (sog "haftungsausfüllende Kausalität") der Beweisgrad der Wahrscheinlichkeit (§ 81 Abs. 6 Satz 1 SVG).
45 
Bei dem einem Soldaten während des Dienstverhältnisses zustehenden Anspruch auf Ausgleich gegenüber der WBV nach § 85 SVG und dem Versorgungsanspruch für die Zeit nach seinem Ausscheiden aus dem Dienstverhältnis gegenüber dem Beklagten nach § 80 SVG handelt es sich grundsätzlich um zwei zeitlich getrennte und konstruktiv selbständig nebeneinander stehende Ansprüche. In § 88 Abs. 3 Satz 1 SVG ist allerdings angeordnet, dass eine bekannt gegebene Entscheidung einer Behörde der Bundeswehrverwaltung sowie die rechtskräftige Entscheidung eines Gerichts der Sozialgerichtsbarkeit in Ausgleichsverfahren über eine WDB und den ursächlichen Zusammenhang einer Gesundheitsstörung unter anderem mit einem Tatbestand des § 81 SVG für die Behörde der jeweils anderen Verwaltung verbindlich sind. Diese Verbindlichkeit erstreckt sich auch auf den einer Ausgleichsleistung zugrunde liegenden GdS. Führt eine durch rechtskräftiges Urteil verurteilte Verwaltungsbehörde das Urteil durch einen Bescheid entsprechend dem Urteilstenor unter selbständiger Festsetzung des GdS und der daraus folgenden Leistung aus, besteht die Bindungswirkung durch den Ausführungsbescheid (BSG, Urteil vom 02.07.1997 - 9 RV 21/95 - juris). Für die Bindungswirkung der Entscheidungen der WBV ist es gleichgültig, ob die Erstentscheidung noch während der Dienstzeit des Soldaten oder erst danach getroffen wird. Aus dem Wortlaut des § 88 Abs. 2 SVG folgt, dass die WBV derartige Entscheidungen auch noch nach dem Ausscheiden des Soldaten aus dem Wehrdienst treffen kann (BSG, Urteil vom 28.06.2000 - B 9 VS 1/99 R - juris).
46 
Der Gesetzgeber wollte mit der Bindungswirkung im Sinne von § 88 Abs. 3 SVG den Verwaltungsaufwand im Übergang von einer Leistung auf die andere (vom Ausgleich zur Versorgung) und von einem Leistungsträger auf den anderen (Bundeswehrverwaltung und Versorgungsverwaltung) beschränken. Bei diesen Ansprüchen, die einerseits zwar zeitlich voneinander getrennt und konstruktiv selbständig nebeneinander stehen, die andererseits jedoch beide auf ein und derselben gesundheitlichen Schädigung durch einen Unfall während der Ausübung des Wehrdienstes oder die dem Wehrdienst eigentümlichen Verhältnisse im Sinne von § 81 Abs. 1 SVG gründen, sollten doppelte Prüfungen vermieden werden (vgl. auch BT-Drs. 8/3750 S. 23 und 8/4030 S. 25). Ziel ist es, der Gefahr von in wesentlichen Punkten voneinander abweichenden Entscheidungen entgegenzuwirken und vor allem eine Schlechterstellung von Soldaten nach dem Ausscheiden aus dem Dienst der Bundeswehr gegenüber Kriegsbeschädigten und sonstigen Versorgungsberechtigten zu verhindern, deren Anspruch sich nur gegen einen Leistungsträger richtet. Zweck der Regelung ist es mithin, in der Übergangssituation zwischen Ausgleich und Versorgung durch Bindung - in erster Linie der Versorgungsverwaltung - die weitere Versorgung des aus dem Dienst der Bundeswehr ausgeschiedenen Soldaten sicherzustellen (BSG, Urteil vom 25.03.2004 - B 9 VS 2/01 R -, juris).
47 
Allerdings besteht die Bindung der Versorgungsverwaltung an die Entscheidung der Wehrverwaltung nicht unbeschränkt. Nach § 88 Abs. 3 Sätze 2 und 3 SVG steht die Bindungswirkung einer anderweitigen Entscheidung der Versorgungsämter nicht entgegen, wenn sich die Feststellung von Anfang an als fehlerhaft erweist oder eine wesentliche Änderung der maßgeblichen Verhältnisse eintritt. Bei anfänglicher Unrichtigkeit kann die Versorgungsverwaltung die Entscheidung über §§ 44 bzw. 45 SGB X korrigieren, bei einer Besserung oder Verschlechterung der anerkannten WDB kann die Entscheidung der Wehrverwaltung mit Wirkung für die Zukunft nach § 48 SGB X aufgehoben bzw. abgeändert werden.
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Mit Urteil des Landessozialgerichts (L 6 VS 2615/05) vom 11.03.2011 ist rechtskräftig als weitere Wehrdienstbeschädigungsfolge ein Zustand nach abgelaufener, durch beidseitige Embolektomie und Einbau eines Vena-Cava-Schirms operativ behandelter fulminanter Lungenembolie mit dauerhafter Marcumar-Antikoagulations-Prophylaxe festgestellt und der Bescheid des Beigeladenen vom 06.09.2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.06.2002 insoweit abgeändert worden. Im Übrigen, soweit die Feststellung von Herzrhythmusstörungen und Notwendigkeit eines Herzschrittmachers begehrt wurde und die Gewährung eines Ausgleiches, ist die Berufung jedoch zurückgewiesen worden. Mit Ausführungsbescheid der WBV vom 14.04.2010 ist diese Wehrdienstbeschädigungsfolge anerkannt worden. Darüber hinaus ist dargelegt worden, dass ein Anspruch auf Ausgleich nach § 85 SVG jedoch weiterhin nicht besteht und es bezüglich der übrigen Gesundheitsstörungen bei dem Bescheid vom 06.09.2000 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.06.2002 verbleibt. Nach der Rechtsprechung des Senats (zuletzt Urteil vom 29.04.2014 - L 6 VK 934/12 - juris) hat ein Ausführungsbescheid insoweit einen eigenständigen Regelungscharakter, als er vorliegend das ergangene Urteil richtig umsetzen muss.
49 
Damit ist für die Versorgungsverwaltung bindend festgestellt worden, dass nur die im Verfügungssatz des Urteils des Landessozialgerichts anerkannte WDB vorliegt und keine weitere. Dies steht der Anerkennung der Herzrhythmusstörungen und der Notwendigkeit eines Herzschrittmachers als WDB durch die Beklagte entgegen.
50 
Maßgeblich ist daher, nachdem der anwaltlich vertretene Kläger selbst keine Verschlechterung des Gesundheitszustandes i. S. d. § 48 SGB X geltend macht allein, ob diese Feststellung rechtmäßig ist. Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind, der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Ist ein Verwaltungsakt rechtswidrig, hat der betroffene Bürger im Interesse der materiellen Gerechtigkeit einen einklagbaren Anspruch auf Rücknahme des Verwaltungsaktes unabhängig davon, ob der Verwaltungsakt durch ein rechtskräftiges Urteil bestätigt wurde (BSGE 51, 139, 141; BSG SozR 2200 § 1268 Nr. 29). Dabei muss die Verwaltung entsprechend dem Umfang des Vorbringens des Versicherten in eine erneute Prüfung eintreten und den Antragsteller auf der Grundlage der wirklichen Sach- und Rechtslage bescheiden (BSG, SozR 3-2600 § 243 Nr. 8; BSG SozR 2200 § 1268 Nr. 29). Ob bei Erlass des Bescheides von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen worden ist, beurteilt sich im Vergleich der Sachlage, wie sie dem zu überprüfenden Verwaltungsakt zu Grunde gelegt worden ist und wie sie sich bei Erlass des Verwaltungsaktes bei nachträglicher Betrachtung im Zeitpunkt der Überprüfung rückschauend tatsächlich darstellt. Mithin kommt es nicht auf den Erkenntnisstand bei Erlass, sondern bei Überprüfung an, die Rechtswidrigkeit beurteilt sich also nach der damaligen Sach- und Rechtslage aus heutiger Sicht (BSGE 57, 209; 90, 136). Dies gilt auch dann, wenn z. B. die richtige medizinische Beurteilung erst später möglich geworden ist. Nach Unanfechtbarkeit des zu überprüfenden Verwaltungsaktes liegt allerdings die objektive Beweislast für Tatsachen, aus denen sich eine Unrichtigkeit des Verwaltungsaktes wegen fehlerhafter Sachverhaltsannahme ergeben kann, bei dem Adressaten des Verwaltungsaktes (st. Rspr. BSG SozR 5870 § 2 Nr. 44). Hinsichtlich des Beweismaßstabs gelten die Kriterien, die auch zum Zeitpunkt der zu überprüfenden Entscheidung maßgeblich waren (BSG SozR 3-1300 § 48 Nr. 67). Genügte dort, dass eine Tatsache lediglich wahrscheinlich war, ein Vollbeweis aber nicht gefordert wurde, besteht auch im Rahmen der Überprüfung bei Wahrscheinlichkeit des maßgeblichen Sachverhalts ein Anspruch auf den Zugunstenbescheid (BSG, SGb 1998, 582).
51 
Danach liegen die Voraussetzungen für eine Rücknahme der Entscheidung nicht vor. Der Kläger hat nichts vorgetragen, was Anlass geben könnte, an eine abweichende Entscheidung zu denken. Insbesondere hat der Kläger keinerlei neue Angaben gemacht bzw. Unterlagen vorgelegt, die nunmehr ausreichend Anhaltspunkte dafür liefern, dass doch die Herzrhythmusstörungen wahrscheinlich Folge der Lungenembolie sind. Vielmehr hat er nur auf bereits im Verfahren L 6 VS 2615/05 Gewürdigtes hingewiesen. Daher wird weiterhin der Sachverhalt vom Senat als ausreichend aufgeklärt erachtet und weitere Ermittlungen nicht als erforderlich angesehen. Im Urteil des Landessozialgerichts vom 11.03.2010 ist die Entscheidung, dass nicht auch die im Januar 2008 diagnostizierten Herzrhythmusstörungen und die hiermit verbundene Notwendigkeit eines Herzschrittmachers eine WDB ist, auf die Ausführungen in dem Gutachten und der ergänzenden Stellungnahme von Prof. Dr. G. gestützt worden, die vom Senat weiterhin als schlüssig und überzeugend bewertet werden. Diesen Ausführungen hat der Kläger auch in vorliegendem Verfahren keine stichhaltigen, sie widerlegenden Argumente, gegenübergestellt. Auch wenn im Recht der Soldatenversorgung die Rechtslage auf der Grundlage von Wahrscheinlichkeitsbeurteilungen durch einen Verwaltungsakt geregelt wird, kann er nur zurück genommen werden, wenn er nach allgemeinen Beweisregeln rechtswidrig ist. Eine Aufhebung scheidet daher aus, solange und soweit die Möglichkeit der Rechtmäßigkeit besteht (vgl. Lilienfeld in Knickrehm, Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, § 88 SVG Rn. 15). Eine Rücknahme nach § 44 SGB X setzt somit die nachgewiesene Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes voraus. Dies ist vorliegend nicht gegeben.
52 
Bei dem Kläger ist erstmals bei der akuten beidseitigen Lungenembolie am 25.12.1996 im Rahmen der durchgeführten Embolektomie ein Vorhofflattern aufgetreten, wobei es sich um eine Kammertachykardie handelte, die er bei erneuter Verschlechterung des Allgemeinbefindens bemerkte. Prof. Dr. G. hat hierzu dargelegt, dass eine akute Lungenembolie zwar häufig Arrhythmien auslösen kann. Auch spielen Erkrankungen, die zu einer Rechtsherzbelastung führen, wie rezidivierende Lungenembolien, nach seinen Ausführungen eine besonders wichtige Rolle bei der Entstehung von Vorhofflattern, weshalb eine Herzrhythmusstörung, insbesondere das Vorhofflattern, eher Folge einer Lungenembolie ist, als Ursache einer Embolie. In den Zeiträumen zwischen 1994 und 1996 und insbesondere 1996 und 2008 liegen jedoch bei dem Kläger keinerlei Hinweise auf Rhythmusstörungen vor. Weder hat der Kläger Angaben über klinische Hinweise gemacht, obwohl er sowohl 1996, wie auch 2008 im Rahmen des Vorhofflatterns symptomatisch gewesen ist, weshalb nicht von einem asymptomatischen und damit nicht erkannten Vorhofflattern ausgegangen werden kann. Noch ergeben sich Hinweise aus den in dieser Zeit durchgeführten Untersuchungen auf Herzrhythmusstörungen. Insbesondere haben mehrere echokardiographische Kontrollen keine chronischen Rechtsherzbelastungszeichen mit einer Dilatation der Vorhöfe gezeigt, die eine atriale Rhythmusstörung begünstigen. Hieraus folgt, dass ein eindeutiger Zusammenhang zwischen der Lungenembolie 1996 und dem Auftreten des Vorhofflatterns 2008 nicht belegt werden kann. Die Ursache des erneut aufgetretenen Vorhofflatterns ist vielmehr unklar. Nachdem die Häufigkeit der Herzrhythmusstörungen wie Vorhofflimmern und Vorhofflattern insgesamt mit dem Lebensalter zunimmt, ist die Schlussfolgerung von Prof. Dr. G., dass eine durch die Lungenembolie mit nachfolgender Embolektomie verursachte Herzrhythmusstörung zwar möglich, jedoch nach 12-jähriger Latenz nicht wahrscheinlich ist, sondern mehr dagegen als dafür spricht, überzeugend. Es spricht vielmehr, wie Prof. Dr. G. angibt, mehr für eine Prädisposition des Klägers zum Vorhofflattern.
53 
Wie im Urteil des Landessozialgerichts vom 11.03.2010 überzeugend ausgeführt worden ist, rechtfertigt die anerkannte WDB keinen GdS von mindestens 25. Der Kläger hat auch nunmehr keinerlei Befunde mitgeteilt, die einen GdS von 30 rechtfertigen. Daher liegen auch keine Gründe vor, nach denen die Ablehnung der Gewährung eines Ausgleichs nach § 85 SVG rechtswidrig gewesen ist und ein Anspruch auf Gewährung einer Grundrente nach § 80 SVG besteht.
54 
Bei der Begutachtung durch Dr. S. ergab die pulmonale Auskultation einen unauffälligen Befund, ebenfalls lag kardial ein unauffälliger Befund vor. Es zeigte sich nur eine leichte Gasaustauschstörung bei normaler Belastbarkeit. Die Spiroergometrie zeigte eine normale Belastbarkeit bis 200 Watt mit maximaler Sauerstoffaufnahme im Normbereich (97 % des Sollwertes). Daraus folgt, wie von Dr. S. angegeben, dass keine relevanten kardiopulmonalen Einschränkungen bestanden und damit keine Funktionsbeeinträchtigungen, die die Feststellung eines GdS rechtfertigen. Prof. Dr. G. hat in seinem Gutachten ausgeführt, dass der Kläger in seinem Alltag in Ruhe normal belastbar ist und nur bei mittelschwerer bis schwerer Belastung bzw. bei mittelschwerer körperlicher Arbeit eine Dyspnoe hat und die Arbeit unterbrechen muss. Der Kläger hatte angegeben, er spiele regelmäßig Tennis, müsse aber regelmäßig Pausen machen. Eine Dyspnoe oder thorakale Schmerzen oder Palpitationen wurden jedoch verneint. Daraus folgt, dass bei dem damals bereits 68-jährigem Kläger keinesfalls einen GdS von 20 rechtfertigende Funktionsbeeinträchtigungen aufgrund der anerkannten WDB vorgelegen haben. Nach den VG, Teil B, Nr. 8.3 bzw. 9.1.1 ist ein GdS von 20 erst gerechtfertigt, wenn eine das gewöhnliche Maß übersteigende Atemnot z.B. bei forschem Gehen [5-6 km/h], mittelschwerer körperlicher Arbeit vorliegt und statische und dynamische Messwerte der Lungenfunktionsprüfung bis zu 1/3 niedriger als die Sollwerte sind und die Blutgaswerte im Normbereich bzw. bei Beschwerden und Auftreten pathologischer Messdaten bei Ergometerbelastung mit 75 Watt (wenigstens 2 Minuten). Der Kläger war jedoch bis 200 Watt belastbar und hat dort nach 2 Minuten wegen muskulärer Erschöpfung aufgehört und hat von regelmäßigem Tennisspielen berichtet.
55 
Wie bereits in dem Urteil des Landessozialgerichts vom 11.03.2010 ausgeführt worden ist, ist zwar nach den VG, Teil B, Nr. 9.1.2 bei Herzklappenprothesen der GdS nicht niedriger als 30 zu bewerten, wobei dieser Wert eine Dauerbehandlung mit Antikoagulantien einschließt. Der eingebrachte Vena-Cava-Schirm ist jedoch keinesfalls mit dem Vorliegen einer Herzklappenprothese vergleichbar und allein eine Dauerbehandlung mit Antikoagulatien rechtfertigt danach nicht die Feststellung eines GdS von 30. Vielmehr ist nach operativen und anderen therapeutischen Eingriffen am Herzen der GdS von der bleibenden Leistungsbeeinträchtigung abhängig, die vorliegend gerade nicht gegeben ist.
56 
Nachdem der Kläger keinerlei Angaben gemacht und Nachweise erbracht hat, dass seine Leistungsfähigkeit entgegen diesen Befunden deutlich reduziert ist, ist das Vorliegen eines GdS von mindestens 25 aufgrund der anerkannten WDB nicht nachgewiesen. Soweit der Kläger auf die Feststellung eines GdB von 30 aufgrund der Gesundheitsbeeinträchtigungen der anerkannten WDB hinweist und daraus einen Anspruch auf Gewährung einer Grundrente nach einem GdS von mindestens 30 herleiten möchte, besteht eine Bindungswirkung infolge der Feststellung des GdB, vergleichbar der Bindungswirkung nach § 88 Abs. 3 SVG, aber gerade nicht.
57 
Vielmehr ist nach § 69 Abs. 2 Satz 1 SGB IX eine Feststellung der Behinderung nach dem SGB IX nicht zu treffen, wenn eine Feststellung über das Vorliegen einer Behinderung und den Grad einer auf ihr beruhenden Erwerbsminderung schon in einem Rentenbescheid, einer entsprechenden Verwaltungs- oder Gerichtsentscheidung oder einer vorläufigen Bescheinigung der für diese Entscheidungen zuständigen Dienststellen getroffen worden ist und der behinderte Mensch kein Interesse an anderweitiger Feststellung nach Absatz 1 glaubhaft macht. Eine entsprechende (umgekehrte) Regelung einer Übernahme der Feststellungen nach dem SGB IX gibt es jedoch nicht. Die Feststellung eines GdB durch die Versorgungsverwaltung hat daher für die Feststellung der Höhe der MdE bzw. des GdS nach dem BVG/SVG oder dem Unfallversicherungsrecht - anders als umgekehrt - keine bindende Wirkung bei der Entscheidung über die Höhe (vgl. BSG, Beschluss vom 11.10.2006 - B 9a SB 1/06 BH). Nachdem im Rahmen der Beschädigtenversorgung bzw. der Unfallversicherung jeweils noch weitere zusätzliche Feststellungen zu treffen sind, da mit der Feststellung nach dem SGB IX nicht geprüft wird, ob Gesundheitsstörungen als Unfall- / Schädigungs-Folge anzuerkennen sind und nur der Gesamt-GdB im Verfügungssatz festgestellt wird, liegt keine § 69 Abs. 2 SGB IX vergleichbare Konstellation vor. Denn auch § 69 Abs. 2 SGB IX lässt nicht einen nur teilweisen (partiellen) Verzicht auf eigenständige Feststellungen der Versorgungsbehörden nach Abs. 1 der Vorschrift zu. Eine anderweitige Feststellung im Sinne von § 69 Abs. 2 SGB IX ist vielmehr nur dann maßgebend, wenn sie eine Feststellung nach Abs. 1 SGB IX gänzlich erübrigt und damit an deren Stelle treten kann (vgl. BSG, Urteil vom 05.07.2007 - B 9/9a SB 12/06 R - SozR 4-3250 § 69 Nr. 4). Die Regelung des § 69 Abs. 2 SGB IX ist daher nicht analogiefähig bzw. umkehrbar (vgl. Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 18.05.2010 - L 15 SB 19/07 - juris).
58 
Ergänzend weist der Senat noch darauf hin, dass der Kläger auch keine Verschlimmerung der anerkannten WDB geltend gemacht hat. Vielmehr hat er nur ausgeführt, dass der Zustand nicht besser geworden ist. Wie sich aus der Stellungnahme von Dr. S. vom 14.02.2013 im Rahmen der Überprüfung des GdB ergibt, war der Kläger seit Januar 2010 nicht mehr in Behandlung und ihr liegt kein Befund eines Lungenfacharztes vor. Damit liegen auch nicht die Voraussetzungen nach § 48 SGB X vor.
59 
Die Berufung war nach alledem zurückzuweisen.
60 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
61 
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.

(1) Beschädigte erhalten eine monatliche Grundrente bei einem Grad der Schädigungsfolgen

1.
von 30in Höhe von 171 Euro,
2.
von 40in Höhe von 233 Euro,
3.
von 50in Höhe von 311 Euro,
4.
von 60in Höhe von 396 Euro,
5.
von 70in Höhe von 549 Euro,
6.
von 80in Höhe von 663 Euro,
7.
von 90in Höhe von 797 Euro,
8.
von 100in Höhe von 891 Euro.

Die monatliche Grundrente erhöht sich für Schwerbeschädigte, die das 65. Lebensjahr vollendet haben, bei einem Grad der Schädigungsfolgen

von 50 und 60um 35 Euro,
von 70 und 80um 43 Euro,
von mindestens 90um 53 Euro.

(2) Schwerbeschädigung liegt vor, wenn ein Grad der Schädigungsfolgen von mindestens 50 festgestellt ist.

(3) Beschädigte, bei denen Blindheit als Folge einer Schädigung anerkannt ist, erhalten stets die Rente nach einem Grad der Schädigungsfolgen von 100. Beschädigte mit Anspruch auf eine Pflegezulage gelten stets als Schwerbeschädigte. Sie erhalten mindestens eine Versorgung nach einem Grad der Schädigungsfolgen von 50.

(4) Beschädigte mit einem Grad der Schädigungsfolgen von 100, die durch die anerkannten Schädigungsfolgen gesundheitlich außergewöhnlich betroffen sind, erhalten eine monatliche Schwerstbeschädigtenzulage, die in folgenden Stufen gewährt wird:

Stufe I103 Euro,
Stufe II212 Euro,
Stufe III316 Euro,
Stufe IV424 Euro,
Stufe V527 Euro,
Stufe VI636 Euro.


Die Bundesregierung wird ermächtigt, mit Zustimmung des Bundesrates durch Rechtsverordnung den Personenkreis, der durch seine Schädigungsfolgen außergewöhnlich betroffen ist, sowie seine Einordnung in die Stufen I bis VI näher zu bestimmen.

(1) Personen, die in der Zeit vom 23. Mai 1949 bis 15. Mai 1976 geschädigt worden sind, erhalten auf Antrag Versorgung, solange sie

1.
allein infolge dieser Schädigung schwerbeschädigt sind und
2.
bedürftig sind und
3.
im Geltungsbereich dieses Gesetzes ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben.
Versorgung nach Maßgabe des Satzes 1 erhalten auch Personen, die in dem in Artikel 3 des Einigungsvertrages genannten Gebiet ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben oder zum Zeitpunkt der Schädigung hatten, wenn die Schädigung in der Zeit vom 7. Oktober 1949 bis zum 2. Oktober 1990 in dem vorgenannten Gebiet eingetreten ist. § 31 Abs. 4 Satz 2 erster Halbsatz des Bundesversorgungsgesetzes gilt.

(2) Bedürftig ist ein Anspruchsteller, wenn sein Einkommen im Sinne des § 33 des Bundesversorgungsgesetzes den Betrag, von dem an die nach der Anrechnungsverordnung (§ 33 Abs. 6 Bundesversorgungsgesetz) zu berechnenden Leistungen nicht mehr zustehen, zuzüglich des Betrages der jeweiligen Grundrente, der Schwerstbeschädigtenzulage sowie der Pflegezulage nicht übersteigt.

(3) Übersteigt das Einkommen den Betrag, von dem an die vom Einkommen beeinflußten Versorgungsleistungen nicht mehr zustehen, so sind die Versorgungsbezüge in der Reihenfolge Grundrente, Schwerstbeschädigtenzulage und Pflegezulage um den übersteigenden Betrag zu mindern. Bei der Berechnung des übersteigenden Betrages sind die Einkünfte aus gegenwärtiger Erwerbstätigkeit vor den übrigen Einkünften zu berücksichtigen. § 33 Abs. 4, § 33a Abs. 2 und § 33b Abs. 6 des Bundesversorgungsgesetzes gelten nicht.

(4) Die Hinterbliebenen eines Geschädigten erhalten auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der §§ 38 bis 52 des Bundesversorgungsgesetzes, solange sie bedürftig sind und im Geltungsbereich dieses Gesetzes ihren Wohnsitz oder ständigen Aufenthalt haben. Die Absätze 2 und 3 gelten entsprechend. Unabhängig vom Zeitpunkt des Todes des Beschädigten sind für die Witwenbeihilfe die Anspruchsvoraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 1, 5 und 6 des Bundesversorgungsgesetzes in der im Zeitpunkt der Antragstellung geltenden Fassung maßgebend.

(5) Die Versorgung umfaßt alle nach dem Bundesversorgungsgesetz vorgesehenen Leistungen mit Ausnahme von Berufsschadens- und Schadensausgleich.

(1) Beschädigte erhalten eine monatliche Grundrente bei einem Grad der Schädigungsfolgen

1.
von 30in Höhe von 171 Euro,
2.
von 40in Höhe von 233 Euro,
3.
von 50in Höhe von 311 Euro,
4.
von 60in Höhe von 396 Euro,
5.
von 70in Höhe von 549 Euro,
6.
von 80in Höhe von 663 Euro,
7.
von 90in Höhe von 797 Euro,
8.
von 100in Höhe von 891 Euro.

Die monatliche Grundrente erhöht sich für Schwerbeschädigte, die das 65. Lebensjahr vollendet haben, bei einem Grad der Schädigungsfolgen

von 50 und 60um 35 Euro,
von 70 und 80um 43 Euro,
von mindestens 90um 53 Euro.

(2) Schwerbeschädigung liegt vor, wenn ein Grad der Schädigungsfolgen von mindestens 50 festgestellt ist.

(3) Beschädigte, bei denen Blindheit als Folge einer Schädigung anerkannt ist, erhalten stets die Rente nach einem Grad der Schädigungsfolgen von 100. Beschädigte mit Anspruch auf eine Pflegezulage gelten stets als Schwerbeschädigte. Sie erhalten mindestens eine Versorgung nach einem Grad der Schädigungsfolgen von 50.

(4) Beschädigte mit einem Grad der Schädigungsfolgen von 100, die durch die anerkannten Schädigungsfolgen gesundheitlich außergewöhnlich betroffen sind, erhalten eine monatliche Schwerstbeschädigtenzulage, die in folgenden Stufen gewährt wird:

Stufe I103 Euro,
Stufe II212 Euro,
Stufe III316 Euro,
Stufe IV424 Euro,
Stufe V527 Euro,
Stufe VI636 Euro.


Die Bundesregierung wird ermächtigt, mit Zustimmung des Bundesrates durch Rechtsverordnung den Personenkreis, der durch seine Schädigungsfolgen außergewöhnlich betroffen ist, sowie seine Einordnung in die Stufen I bis VI näher zu bestimmen.

(1) Personen, die in der Zeit vom 23. Mai 1949 bis 15. Mai 1976 geschädigt worden sind, erhalten auf Antrag Versorgung, solange sie

1.
allein infolge dieser Schädigung schwerbeschädigt sind und
2.
bedürftig sind und
3.
im Geltungsbereich dieses Gesetzes ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben.
Versorgung nach Maßgabe des Satzes 1 erhalten auch Personen, die in dem in Artikel 3 des Einigungsvertrages genannten Gebiet ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben oder zum Zeitpunkt der Schädigung hatten, wenn die Schädigung in der Zeit vom 7. Oktober 1949 bis zum 2. Oktober 1990 in dem vorgenannten Gebiet eingetreten ist. § 31 Abs. 4 Satz 2 erster Halbsatz des Bundesversorgungsgesetzes gilt.

(2) Bedürftig ist ein Anspruchsteller, wenn sein Einkommen im Sinne des § 33 des Bundesversorgungsgesetzes den Betrag, von dem an die nach der Anrechnungsverordnung (§ 33 Abs. 6 Bundesversorgungsgesetz) zu berechnenden Leistungen nicht mehr zustehen, zuzüglich des Betrages der jeweiligen Grundrente, der Schwerstbeschädigtenzulage sowie der Pflegezulage nicht übersteigt.

(3) Übersteigt das Einkommen den Betrag, von dem an die vom Einkommen beeinflußten Versorgungsleistungen nicht mehr zustehen, so sind die Versorgungsbezüge in der Reihenfolge Grundrente, Schwerstbeschädigtenzulage und Pflegezulage um den übersteigenden Betrag zu mindern. Bei der Berechnung des übersteigenden Betrages sind die Einkünfte aus gegenwärtiger Erwerbstätigkeit vor den übrigen Einkünften zu berücksichtigen. § 33 Abs. 4, § 33a Abs. 2 und § 33b Abs. 6 des Bundesversorgungsgesetzes gelten nicht.

(4) Die Hinterbliebenen eines Geschädigten erhalten auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der §§ 38 bis 52 des Bundesversorgungsgesetzes, solange sie bedürftig sind und im Geltungsbereich dieses Gesetzes ihren Wohnsitz oder ständigen Aufenthalt haben. Die Absätze 2 und 3 gelten entsprechend. Unabhängig vom Zeitpunkt des Todes des Beschädigten sind für die Witwenbeihilfe die Anspruchsvoraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 1, 5 und 6 des Bundesversorgungsgesetzes in der im Zeitpunkt der Antragstellung geltenden Fassung maßgebend.

(5) Die Versorgung umfaßt alle nach dem Bundesversorgungsgesetz vorgesehenen Leistungen mit Ausnahme von Berufsschadens- und Schadensausgleich.

(1) Die Vorschriften dieses Gesetzbuchs gelten für alle Personen, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in seinem Geltungsbereich haben.

(2) Regelungen des über- und zwischenstaatlichen Rechts bleiben unberührt.

(3) Einen Wohnsitz hat jemand dort, wo er eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, daß er die Wohnung beibehalten und benutzen wird. Den gewöhnlichen Aufenthalt hat jemand dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, daß er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt.

(1) Personen, die in der Zeit vom 23. Mai 1949 bis 15. Mai 1976 geschädigt worden sind, erhalten auf Antrag Versorgung, solange sie

1.
allein infolge dieser Schädigung schwerbeschädigt sind und
2.
bedürftig sind und
3.
im Geltungsbereich dieses Gesetzes ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben.
Versorgung nach Maßgabe des Satzes 1 erhalten auch Personen, die in dem in Artikel 3 des Einigungsvertrages genannten Gebiet ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben oder zum Zeitpunkt der Schädigung hatten, wenn die Schädigung in der Zeit vom 7. Oktober 1949 bis zum 2. Oktober 1990 in dem vorgenannten Gebiet eingetreten ist. § 31 Abs. 4 Satz 2 erster Halbsatz des Bundesversorgungsgesetzes gilt.

(2) Bedürftig ist ein Anspruchsteller, wenn sein Einkommen im Sinne des § 33 des Bundesversorgungsgesetzes den Betrag, von dem an die nach der Anrechnungsverordnung (§ 33 Abs. 6 Bundesversorgungsgesetz) zu berechnenden Leistungen nicht mehr zustehen, zuzüglich des Betrages der jeweiligen Grundrente, der Schwerstbeschädigtenzulage sowie der Pflegezulage nicht übersteigt.

(3) Übersteigt das Einkommen den Betrag, von dem an die vom Einkommen beeinflußten Versorgungsleistungen nicht mehr zustehen, so sind die Versorgungsbezüge in der Reihenfolge Grundrente, Schwerstbeschädigtenzulage und Pflegezulage um den übersteigenden Betrag zu mindern. Bei der Berechnung des übersteigenden Betrages sind die Einkünfte aus gegenwärtiger Erwerbstätigkeit vor den übrigen Einkünften zu berücksichtigen. § 33 Abs. 4, § 33a Abs. 2 und § 33b Abs. 6 des Bundesversorgungsgesetzes gelten nicht.

(4) Die Hinterbliebenen eines Geschädigten erhalten auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der §§ 38 bis 52 des Bundesversorgungsgesetzes, solange sie bedürftig sind und im Geltungsbereich dieses Gesetzes ihren Wohnsitz oder ständigen Aufenthalt haben. Die Absätze 2 und 3 gelten entsprechend. Unabhängig vom Zeitpunkt des Todes des Beschädigten sind für die Witwenbeihilfe die Anspruchsvoraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 1, 5 und 6 des Bundesversorgungsgesetzes in der im Zeitpunkt der Antragstellung geltenden Fassung maßgebend.

(5) Die Versorgung umfaßt alle nach dem Bundesversorgungsgesetz vorgesehenen Leistungen mit Ausnahme von Berufsschadens- und Schadensausgleich.

Die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, sind, wenn Unterlagen nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen oder ohne Verschulden des Antragstellers oder seiner Hinterbliebenen verlorengegangen sind, der Entscheidung zugrunde zu legen, soweit sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen. Die Verwaltungsbehörde kann in besonderen Fällen von dem Antragsteller die eidesstattliche Versicherung verlangen, daß er bei seinen Angaben nach bestem Wissen die reine Wahrheit gesagt und nichts verschwiegen habe.

(1) Soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, sind auf die Beweisaufnahme die §§ 358 bis 363, 365 bis 378, 380 bis 386, 387 Abs. 1 und 2, §§ 388 bis 390, 392 bis 406 Absatz 1 bis 4, die §§ 407 bis 444, 478 bis 484 der Zivilprozeßordnung entsprechend anzuwenden. Die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Weigerung nach § 387 der Zivilprozeßordnung ergeht durch Beschluß.

(2) Zeugen und Sachverständige werden nur beeidigt, wenn das Gericht dies im Hinblick auf die Bedeutung des Zeugnisses oder Gutachtens für die Entscheidung des Rechtsstreits für notwendig erachtet.

(3) Der Vorsitzende kann das Auftreten eines Prozeßbevollmächtigten untersagen, solange die Partei trotz Anordnung ihres persönlichen Erscheinens unbegründet ausgeblieben ist und hierdurch der Zweck der Anordnung vereitelt wird.

Die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, sind, wenn Unterlagen nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen oder ohne Verschulden des Antragstellers oder seiner Hinterbliebenen verlorengegangen sind, der Entscheidung zugrunde zu legen, soweit sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen. Die Verwaltungsbehörde kann in besonderen Fällen von dem Antragsteller die eidesstattliche Versicherung verlangen, daß er bei seinen Angaben nach bestem Wissen die reine Wahrheit gesagt und nichts verschwiegen habe.

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 16. Dezember 2011 aufgehoben, soweit es einen Anspruch der Klägerin auf Beschädigtenrente wegen Folgen sexuellen Missbrauchs und körperlicher Misshandlungen im Kindes- und Jugendalter betrifft.

In diesem Umfang wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Im Übrigen wird die Revision der Klägerin zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Beschädigtenrente nach dem Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (OEG) iVm dem Bundesversorgungsgesetz (BVG).

2

Die 1962 geborene Klägerin beantragte am 16.9.1999 beim damals zuständigen Versorgungsamt B. Beschädigtenversorgung nach dem OEG. Sie gab an, ihre Gesundheitsstörungen seien Folge von Gewalttaten und sexuellem Missbrauch im Elternhaus sowie von sexuellem Missbrauch durch einen Fremden. Die Taten hätten sich zwischen ihrem Geburtsjahr 1962 mit abnehmender Tendenz bis 1980 zugetragen.

3

Nachdem das Versorgungsamt die Klägerin angehört, eine Vielzahl von Arztberichten, insbesondere über psychiatrische Behandlungen der Klägerin, sowie eine schriftliche Aussage ihrer Tante eingeholt hatte, stellte die Ärztin für Neurologie und Fachärztin für Psychotherapeutische Medizin Dr. W. mit Gutachten vom 26.9.2001 für das Versorgungsamt zusammenfassend fest, die Untersuchung der Klägerin habe nur in Ansätzen detaillierte Angaben zu den geltend gemachten Misshandlungen und dem sexuellen Missbrauch erbracht. Diagnostisch sei von einer Persönlichkeitsstörung auszugehen. Aufgrund der Symptomatik sei nicht zu entscheiden, ob die psychische Störung der Klägerin ein Milieuschaden im weitesten Sinne sei oder mindestens gleichwertig auf Gewalttaten im Sinne des OEG zurückzuführen sei. Das Versorgungsamt lehnte daraufhin den Antrag der Klägerin auf Beschädigtenversorgung mit der Begründung ab: Die psychische Störung könne nicht als Folge tätlicher Gewalt anerkannt werden. Zwar seien einzelne körperliche Misshandlungen, Schläge und sexueller Missbrauch geschildert worden, insbesondere aber insgesamt zerrüttete Familienverhältnisse. Vor allem diese frühere, allgemeine familiäre Situation sei für die psychischen Probleme verantwortlich (Bescheid vom 15.10.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.5.2002).

4

Das Sozialgericht (SG) Detmold hat die - zunächst gegen das Land Nordrhein-Westfalen (NRW) und ab 1.1.2008 gegen den jetzt beklagten Landschaftsverband gerichtete - Klage nach Anhörung der Klägerin, Vernehmung mehrerer Zeugen und Einholung eines Sachverständigengutachtens der Fachärztin für Neurologie, Psychiatrie, Psychotherapeutische Medizin und Sozialmedizin Dr. S. vom 23.6.2005 sowie eines Zusatzgutachtens der Diplom-Psychologin H. vom 5.4.2005 auf aussagepsychologischem Gebiet durch Urteil vom 29.8.2008 abgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG) NRW hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen (Urteil vom 16.12.2011), nachdem es ua zur Frage der Glaubhaftigkeit der Angaben der Klägerin ein auf Antrag der Klägerin nach § 109 SGG erstattetes Sachverständigengutachten des Facharztes für Psychiatrie, Psychotherapie und Neurologie Sp. vom 25.9.2009 sowie eine ergänzende Stellungnahme der Sachverständigen Dr. S. vom 20.4.2011 beigezogen hatte. Seine Entscheidung hat es im Wesentlichen auf folgende Erwägungen gestützt:

5

Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Gewährung von Versorgung nach § 1 OEG iVm § 31 BVG, weil sich vorsätzliche, rechtswidrige tätliche Angriffe auf die Klägerin, die zur Verursachung der bei ihr bestehenden Gesundheitsschäden geeignet wären, nicht hätten feststellen lassen. Unter Würdigung des Gesamtergebnisses des Verfahrens sei es nicht in einem die volle richterliche Überzeugung begründenden Maß wahrscheinlich, dass die Klägerin in ihrer Kindheit und Jugend Opfer der von ihr behaupteten körperlichen und sexuellen Misshandlungen und damit von Angriffen iS von § 1 Abs 1 S 1 OEG geworden sei. Keiner der durch das SG vernommenen Zeugen habe die von der Klägerin behaupteten anhaltenden und wiederholten Gewalttätigkeiten durch ihren Vater und ihre Mutter und erst recht nicht den von ihrem Vater angeblich verübten sexuellen Missbrauch bestätigt. Das LSG folge der Beweiswürdigung des SG, das keine generellen Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Zeugen dargelegt habe. Es habe daher das ihm eingeräumte Ermessen dahingehend ausgeübt, die Zeugen nicht erneut zu vernehmen. Angesichts des langen Zeitablaufs seit der Zeugenvernehmung durch das SG und mangels neuer Erkenntnisse zu den angeschuldigten Ereignissen, die noch wesentlich länger zurücklägen, gehe das LSG davon aus, dass eine erneute Zeugenvernehmung nicht ergiebig gewesen wäre und lediglich die Aussagen aus der ersten Instanz bestätigt hätte. Zudem hätten die Mutter der Klägerin sowie einer ihrer Brüder gegenüber dem LSG schriftlich angekündigt, im Fall einer Vernehmung erneut das Zeugnis aus persönlichen Gründen zu verweigern. Das LSG habe deswegen auf ihre erneute Ladung zur Vernehmung verzichtet.

6

Ebenso wenig habe sich das LSG allein auf der Grundlage der Angaben der Klägerin die volle richterliche Überzeugung vom Vorliegen der Voraussetzungen des § 1 Abs 1 S 1 OEG bilden können, da es ihre Angaben in wesentlichen Teilen nicht als glaubhaft betrachte. Denn sie widersprächen im Kern den Aussagen ihres Vaters und ihres anderen Bruders. Die dadurch begründeten ernstlichen Zweifel am Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen habe die aussagepsychologische Begutachtung der Klägerin durch die vom SG beauftragte Sachverständige H. nicht ausgeräumt, sondern sogar bestärkt. Die vom Sachverständigen Sp. geäußerte Kritik an der aussagepsychologischen Begutachtung überzeuge das LSG nicht. Denn theoretischer Ansatz und methodische Vorgehensweise des vom SG eingeholten aussagepsychologischen Gutachtens entsprächen dem aktuellen Stand der psychologischen Wissenschaft. Das Gutachten stütze sich insoweit zu Recht ausdrücklich auf die in der Leitentscheidung des Bundesgerichtshofes (BGH) in Strafsachen (Urteil vom 30.7.1999 - 1 StR 618/98 - BGHSt 45, 164) dargestellten Grundsätze der aussagepsychologischen Begutachtung für Glaubhaftigkeitsgutachten, wie sie die Strafgerichte seitdem in ständiger Rechtsprechung anwendeten. Diese aussagepsychologischen Grundsätze seien auf den Sozialgerichtsprozess übertragbar. Dabei könne dahinstehen, ob im Strafprozess grundsätzlich andere Beweismaßstäbe gälten als im Sozialgerichtsprozess. Denn die genannten wissenschaftlichen Prinzipien der Glaubhaftigkeitsbegutachtung beanspruchten Allgemeingültigkeit und entsprächen dem aktuellen Stand der psychologischen Wissenschaft. Ihre Anwendung sei der anschließenden Beweiswürdigung, die etwaigen Besonderheiten des jeweiligen Prozessrechts Rechnung tragen könne, vorgelagert und lasse sich davon trennen.

7

Die nach diesen aussagepsychologischen Grundsätzen von der Sachverständigen H. gebildete Alternativhypothese, dass es sich bei den Schilderungen der Klägerin um irrtümliche, dh auf Gedächtnisfehlern beruhende Falschangaben handele, lasse sich nach den überzeugenden Ausführungen der Sachverständigen nicht widerlegen, sondern gut mit den vorliegenden Daten vereinbaren. Hierfür sprächen die großen Erinnerungslücken der Klägerin hinsichtlich ihrer frühen Kindheit, wobei in der aussagepsychologischen Forschung ohnehin umstritten sei, ob es überhaupt aktuell nicht abrufbare, aber trotzdem zuverlässig gespeicherte Erinnerungen an lange zurückliegende Ereignisse gebe. Es könne dahingestellt bleiben, ob sich das Gericht bei der Beurteilung "wiedergefundener" Erinnerungen sachverständiger Hilfe nicht nur bedienen könne, sondern sogar bedienen müsse, obwohl die Beurteilung der Glaubwürdigkeit von Zeugen sowie Beteiligten und der Glaubhaftigkeit ihrer Aussagen grundsätzlich richterliche Aufgabe sei. Die Entscheidung des SG für eine aussagepsychologische Begutachtung sei angesichts der Besonderheiten der Aussageentstehung bei der Klägerin jedenfalls ermessensgerecht. Auf der Grundlage des wissenschaftlichen Kenntnisstands habe die Sachverständige H. darauf hingewiesen, dass die ursprüngliche Wahrnehmung durch die jahrelange psychotherapeutisch unterstützte mentale Auseinandersetzung der Klägerin mit den fraglichen Gewalterlebnissen durch nachträgliche Bewertungen überlagert und damit unzugänglich geworden sein könne. Daher hätten die Angaben der Klägerin, um als erlebnisbegründet angesehen zu werden, wegen der Gefahr einer möglichen Verwechslung von Gedächtnisquellen besonders handlungs- und wahrnehmungsnahe, raum-zeitlich vernetzte Situationsschilderungen enthalten müssen, die konsistent in die berichtete Gesamtdynamik eingebettet und konstant wiedergegeben würden. Diese Qualitätsanforderungen erfüllten die Schilderungen der Klägerin nicht, da sie nicht das erforderliche Maß an Detailreichtum, Konkretheit und Konstanz aufwiesen und nicht ausreichend situativ eingebettet seien.

8

Das Gutachten des Sachverständigen Sp. habe das Ergebnis der aussagepsychologischen Begutachtung nicht entkräften können. Da er weder eine hypothesengeleitete Analyse der Angaben der Klägerin nach den genannten wissenschaftlichen Grundsätzen vorgenommen noch ein Wortprotokoll seiner Exploration habe zur Verfügung stellen können, sei die objektive Überprüfbarkeit seiner Untersuchungsergebnisse stark eingeschränkt. Er habe eingeräumt, als Psychiater die aussagepsychologische Begutachtung nicht überprüfen und bewerten zu können und seinerseits durch seinen klinisch-psychiatrischen Zugang nicht zur Wahrheitsfindung in der Lage zu sein. Schließlich sei der von ihm vorgenommene Rückschluss von psychiatrischen Krankheitsanzeichen der Klägerin, konkret dem Vorliegen einer von ihm festgestellten posttraumatischen Belastungsstörung, auf konkrete schädigende Ereignisse iS des § 1 OEG in der Kindheit der Klägerin wegen der Vielzahl möglicher Ursachen einer Traumatisierung methodisch nicht haltbar.

9

Der abgesenkte Beweismaßstab des § 6 Abs 3 OEG iVm § 15 Gesetz über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOVVfG) komme der Klägerin nicht zugute. Zwar sei diese Regelung analog anzuwenden, wenn andere Beweismittel, wie zB Zeugen, nicht vorhanden seien. Lägen dagegen - wie hier - Beweismittel vor und stützten diese das Begehren des Anspruchstellers nicht, könne die Beweiserleichterung des § 15 KOVVfG nicht angewendet werden, weil diese Norm gerade das Fehlen von Beweismitteln voraussetze. Selbst bei Anwendung des Beweismaßstabs der Glaubhaftigkeit bliebe allerdings die Berufung der Klägerin ohne Erfolg. Denn aufgrund des methodisch einwandfreien und inhaltlich überzeugenden aussagepsychologischen Gutachtens der Sachverständigen H. stehe für das LSG fest, dass die Angaben der Klägerin nicht als ausreichend glaubhaft angesehen werden könnten, weil zu viele Zweifel an der Zuverlässigkeit ihrer Erinnerungen verblieben.

10

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin eine Verletzung des § 15 S 1 KOVVfG, des § 128 Abs 1 S 1 SGG sowie des § 1 Abs 1 OEG. Hierzu führt sie im Wesentlichen aus: Das LSG habe seiner Entscheidung nicht die Regelung des § 15 S 1 KOVVfG zugrunde gelegt und damit den anzulegenden Beweismaßstab verkannt. Richtigerweise hätte es hinsichtlich des von ihr behaupteten sexuellen Missbrauchs der Erbringung des Vollbeweises nicht bedurft; vielmehr wäre insoweit eine Glaubhaftmachung allein aufgrund ihrer Angaben ausreichend gewesen. Denn bezüglich dieses Vorbringens seien - bis auf ihren Vater als möglichen Täter - keine Zeugen vorhanden. Die Möglichkeit, dass sich die von ihr beschriebenen Vorgänge tatsächlich so zugetragen hätten, sei nicht auszuschließen; das Verbleiben gewisser Zweifel schließe die Glaubhaftmachung nicht aus. Dem stehe auch nicht entgegen, dass sie sich erst durch Therapien im Laufe des Verwaltungsverfahrens an die Geschehnisse habe erinnern können.

11

Das LSG habe ferner gegen § 128 Abs 1 S 1 SGG verstoßen, da es ein aussagepsychologisches Gutachten berücksichtigt habe. Ein solches Gutachten habe nicht eingeholt und berücksichtigt werden dürfen, da aussagepsychologische Gutachten in sozialgerichtlichen Entschädigungsprozessen keine geeigneten Mittel der Sachverhaltsfeststellung darstellten. Die Arbeitsweise bei aussagepsychologischen Gutachten lasse sich entgegen der Auffassung des LSG nicht ohne Weiteres auf sozialrechtliche Entschädigungsprozesse übertragen, da diese nicht mit Strafverfahren vergleichbar seien. Denn in Strafverfahren sei die richterliche Überzeugung vom Vorliegen bestimmter Tatsachen in der Weise gefordert, dass ein nach der Lebenserfahrung ausreichendes Maß an Sicherheit bestehe, demgegenüber vernünftige Zweifel nicht laut werden dürften. Das OEG hingegen sehe gemäß § 6 Abs 3 OEG iVm § 15 S 1 KOVVfG einen herabgesetzten Beweismaßstab vor. Ein weiterer Grund, weshalb aussagepsychologische Gutachten in sozialgerichtlichen Entschädigungsprozessen nicht eingeholt werden dürften, sei die darin erfolgende Zugrundelegung der sog Nullhypothese. Diese entspreche im Strafverfahren dem Grundsatz "in dubio pro reo", sodass als Arbeitshypothese von der Unschuld des Angeklagten auszugehen sei; mit sozialgerichtlichen Verfahren sei dies jedoch nicht in Einklang zu bringen. Zudem unterscheide sich die Art der Gutachtenerstattung in den beiden Verfahrensordnungen; in sozialgerichtlichen Verfahren erstatte der Sachverständige das Gutachten aufgrund der Aktenlage und einer Untersuchung der Person, wohingegen der Sachverständige im Strafprozess während der gesamten mündlichen Verhandlung anwesend sei und dadurch weitere Eindrücke von dem Angeklagten gewinne. Schließlich könne eine aussagepsychologische Untersuchung der Aussage eines erwachsenen Zeugen zu kindlichen Traumatisierungen auf keinerlei empirisch gesicherte Datenbasis hinsichtlich der Unterscheidung zwischen auto- oder fremdsuggerierten und erlebnisbasierten Erinnerungen zurückgreifen und sei daher wissenschaftlich nicht sinnvoll.

12

Ein weiterer Verstoß gegen § 128 Abs 1 S 1 SGG liege in einer widersprüchlichen, mitunter nicht nachvollziehbaren und teilweise einseitigen Beweiswürdigung des LSG begründet, womit es die Grenzen der freien richterlichen Beweiswürdigung überschritten habe. Das LSG habe den Aussagen ihres Bruders sowie ihres Vaters ein höheres Gewicht als ihren eigenen Angaben beigemessen und sich nicht kritisch mit den Zeugenaussagen auseinandergesetzt. Es sei einerseits von einer unberechenbaren Aggressivität des Vaters, einer aggressiven Atmosphäre und emotionalen Vernachlässigung in der Familie sowie einigen nachgewiesenen körperlichen Misshandlungen ausgegangen, halte andererseits jedoch ihre Angaben zu den Misshandlungen nicht für glaubhaft. Kaum berücksichtigt habe es zudem die Aussage ihrer Tante. Das LSG habe ferner ihre teilweise fehlenden, ungenauen oder verspäteten Erinnerungen nur einseitig zu ihrem Nachteil gewürdigt und dabei nicht in Erwägung gezogen, dass diese Erinnerungsfehler Folgen ihres Alters zum Zeitpunkt der Vorfälle, der großen Zeitspanne zwischen den Taten und dem durchgeführten Verfahren sowie ihrer Krankheit sein könnten. Im Rahmen des OEG könnten auch bruchstückhafte, lückenhafte oder voneinander abweichende Erinnerungen als Grundlage für eine Überzeugungsbildung ausreichen. Nicht umfassend gewürdigt habe das LSG schließlich das aussagepsychologische Gutachten, das selbst Anlass zur Kritik biete. Auch dieses habe nicht berücksichtigt, dass die Erinnerungslücken und Abweichungen in den Angaben eine Erscheinungsform ihrer Krankheit sein könnten. Dieses Gutachten entspreche daher nicht den erforderlichen wissenschaftlichen Standards und könne auch aus diesem Grunde nicht berücksichtigt werden. Zudem hätte das Gutachten von einem auf Traumatisierung spezialisierten Psychologen erstattet werden müssen.

13

Das LSG habe darüber hinaus verkannt, dass die Voraussetzungen des § 1 Abs 1 OEG bereits durch ihre grobe Vernachlässigung als Schutzbefohlenen erfüllt seien. Das Verhalten ihrer Eltern sei nicht durch ein Züchtigungsrecht gedeckt gewesen. Die familiäre Atmosphäre sei - wie von den Vorinstanzen festgestellt - von elterlicher Aggression, gestörten Beziehungen und emotionaler Vernachlässigung geprägt gewesen. Zudem habe das LSG einige Schläge als erwiesen erachtet. Auch die fachärztlichen Gutachten hätten ergeben, dass ihre psychische Störung jedenfalls durch die aggressive Familienatmosphäre verursacht worden sei.

14

Die Klägerin beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 16. Dezember 2011 sowie des Sozialgerichts Detmold vom 29. August 2008 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 15. Oktober 2001 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Mai 2002 zu verurteilen, ihr wegen der Folgen von sexuellem Missbrauch sowie körperlichen und seelischen Misshandlungen im Kindes- und Jugendalter Beschädigtenrente nach dem Opferentschädigungsgesetz in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz zu gewähren.

15

Der Beklagte beantragt,
die Revision der Klägerin zurückzuweisen.

16

Er hält das angefochtene Urteil im Ergebnis für zutreffend.

17

Der Senat hat die Bundesrepublik Deutschland auf deren Antrag hin beigeladen (Beschluss vom 29.1.2013). Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.

Entscheidungsgründe

18

Die Revision der Klägerin ist zulässig.

19

Sie ist vom LSG zugelassen worden und damit statthaft (§ 160 Abs 1 SGG). Die Klägerin hat bei der Einlegung und Begründung der Revision Formen und Fristen eingehalten (§ 164 Abs 1 und 2 SGG). Die Revisionsbegründung genügt den Voraussetzungen des § 164 Abs 2 S 3 SGG. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Klägerin ihren Entschädigungsanspruch nach dem OEG auf eine Vielzahl von schädigenden Vorgängen stützt. Demnach ist der Streitgegenstand derart teilbar, dass die Zulässigkeit und Begründetheit der Revision für jeden durch einen abgrenzbaren Sachverhalt bestimmten Teil gesondert zu prüfen ist (vgl BSG Urteil vom 18.5.2006 - B 9a V 2/05 R - SozR 4-3100 § 1 Nr 3). Dabei bietet es sich hier an, die verschiedenen Vorgänge in drei Gruppen zusammenzufassen: seelische Misshandlungen (Vernachlässigung, beeinträchtigende Familienatmosphäre), körperliche Misshandlungen und sexueller Missbrauch.

20

Soweit die Klägerin Entschädigung wegen der Folgen seelischer Misshandlungen durch ihre Eltern geltend macht, hat sie einen Verstoß gegen materielles Recht hinreichend dargetan. Sie ist der Ansicht, die betreffenden Vorgänge würden von § 1 OEG erfasst. Soweit das LSG umfangreichere körperliche Misshandlungen der Klägerin im Elternhaus sowie sexuellen Missbrauch durch ihren Vater bzw einen Fremden verneint hat, rügt die Klägerin zunächst substantiiert eine Verletzung von § 15 S 1 KOVVfG, also eine unzutreffende Verneinung der Anwendbarkeit einer besonderen Beweiserleichterung(vgl dazu BSG Urteil vom 31.5.1989 - 9 RVg 3/89 - BSGE 65, 123, 124 f = SozR 1500 § 128 Nr 39 S 46). Das LSG sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass insbesondere dafür, ob sie Opfer sexuellen Missbrauchs geworden sei, Beweismittel vorhanden seien. Im Hinblick darauf, dass die Vorinstanz hilfsweise auf § 15 S 1 KOVVfG abgestellt hat, bedarf es auch dazu einer ausreichenden Revisionsbegründung. Diese sieht der Senat vornehmlich in der Rüge der Klägerin, das LSG habe, indem es in diesem Zusammenhang auf das aussagepsychologische Gutachten der Sachverständigen H. vom 5.4.2005 Bezug genommen habe, ein ungeeignetes Beweismittel verwertet (vgl allgemein dazu zB BGH Beschluss vom 24.6.2003 - VI ZR 327/02 - NJW 2003, 2527; BGH Beschluss vom 15.3.2007 - 4 StR 66/07 - NStZ 2007, 476) und damit seiner Entscheidung zugleich einen falschen Beweismaßstab zugrunde gelegt. Dazu trägt die Klägerin ua vor, dass die Sachverständige H. ihr Glaubhaftigkeitsgutachen nach anderen Kriterien erstellt habe, als im Rahmen einer Glaubhaftmachung nach § 15 S 1 KOVVfG maßgebend seien.

21

Die Revision ist im Sinne der Aufhebung des Urteils des LSG und der Zurückverweisung der Sache an dieses Gericht begründet (§ 170 Abs 2 S 2 SGG), soweit das Berufungsurteil einen Anspruch der Klägerin auf Beschädigtenrente wegen Folgen sexuellen Missbrauchs und körperlicher Misshandlungen im Kindes- und Jugendalter betrifft. Im Übrigen - also hinsichtlich Folgen seelischer Misshandlungen - ist die Revision unbegründet.

22

1. Einer Sachentscheidung entgegenstehende, von Amts wegen zu berücksichtigende Verfahrenshindernisse bestehen nicht.

23

Zutreffend sind die Vorinstanzen davon ausgegangen, dass bereits während des Klageverfahrens ein Beteiligtenwechsel kraft Gesetzes stattgefunden hat und seit dem 1.1.2008 der beklagte Landschaftsverband passiv legitimiert ist (vgl hierzu BSG Urteil vom 29.4.2010 - B 9 VG 1/09 R - BSGE 106, 91 = SozR 4-3800 § 1 Nr 17, RdNr 20 mwN). Denn § 4 Abs 1 Gesetz zur Eingliederung der Versorgungsämter in die allgemeine Verwaltung(= Art 1 Zweites Gesetz zur Straffung der Behördenstruktur in NRW vom 30.10.2007, GVBl NRW 482) hat die den Versorgungsämtern übertragenen Aufgaben des sozialen Entschädigungsrechts einschließlich der Kriegsopferversorgung mit Wirkung zum 1.1.2008 auf die Landschaftsverbände übertragen. Der Senat hat bereits mehrfach entschieden, dass die Verlagerung der Zuständigkeit für die Aufgaben der Kriegsopferversorgung, der Soldatenversorgung sowie der Opferentschädigung auf die kommunalen Landschaftsverbände in NRW nicht gegen höherrangiges Bundesrecht, insbesondere nicht gegen Vorschriften des GG verstößt (vgl hierzu Urteile vom 11.12.2008 - B 9 VS 1/08 R - BSGE 102, 149 = SozR 4-1100 Art 85 Nr 1, RdNr 21, und - B 9 V 3/07 R - Juris RdNr 22; vom 23.4.2009 - B 9 VG 1/08 R - Juris RdNr 24; vom 30.9.2009 - B 9 VG 3/08 R - BSGE 104, 245 = SozR 4-3100 § 60 Nr 6, RdNr 26). Diese Übertragung hat zur Folge, dass allein der im Laufe des Verfahrens zuständig gewordene Rechtsträger die von der Klägerin beanspruchte Leistung gewähren kann, sodass sich die von der Klägerin erhobene kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 S 1 und Abs 4 SGG)ab 1.1.2008 gemäß § 6 Abs 1 OEG gegen den für die Klägerin örtlich zuständigen Landschaftsverband Westfalen-Lippe zu richten hat. Darüber hinaus hat die Klägerin in der mündlichen Revisionsverhandlung klargestellt, dass sie im vorliegenden Verfahren ausschließlich einen Anspruch auf Gewährung von Beschädigtenrente verfolgt (vgl dazu BSG Urteil vom 2.10.2008 - B 9 VG 2/07 R - Juris RdNr 12).

24

2. Für einen Anspruch der Klägerin auf eine Beschädigtenrente nach dem OEG iVm dem BVG sind folgende rechtliche Grundsätze maßgebend:

25

a) Ein Entschädigungsanspruch nach dem OEG setzt zunächst voraus, dass die allgemeinen Tatbestandsmerkmale des § 1 Abs 1 S 1 OEG gegeben sind(vgl hierzu BSG Urteil vom 23.4.2009 - B 9 VG 1/08 R - Juris RdNr 27 mwN). Danach erhält eine natürliche Person ("wer"), die im Geltungsbereich des OEG durch einen vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriff eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG. Somit besteht der Tatbestand des § 1 Abs 1 S 1 OEG aus drei Gliedern (tätlicher Angriff, Schädigung und Schädigungsfolgen), die durch einen Ursachenzusammenhang miteinander verbunden sind.

26

In Altfällen - also bei Schädigungen zwischen dem Inkrafttreten des GG (23.5.1949) und dem Inkrafttreten des OEG (16.5.1976) - müssen daneben noch die besonderen Voraussetzungen gemäß § 10 S 2 OEG iVm § 10a Abs 1 S 1 OEG erfüllt sein. Nach dieser Härteregelung erhalten Personen, die in der Zeit vom 23.5.1949 bis 15.5.1976 geschädigt worden sind, auf Antrag Versorgung, solange sie (1.) allein infolge dieser Schädigung schwerbeschädigt und (2.) bedürftig sind und (3.) im Geltungsbereich des OEG ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben.

27

b) Nach der Rechtsprechung des Senats ist bei der Auslegung des Rechtsbegriffs "vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff" iS des § 1 Abs 1 S 1 OEG entscheidend auf die Rechtsfeindlichkeit, vor allem verstanden als Feindlichkeit gegen das Strafgesetz, abzustellen; von subjektiven Merkmalen (wie etwa einer kämpferischen, feindseligen Absicht des Täters) hat sich die Auslegung insoweit weitestgehend gelöst (stRspr seit 1995; vgl hierzu BSG Urteil vom 7.4.2011 - B 9 VG 2/10 R - BSGE 108, 97 = SozR 4-3800 § 1 Nr 18, RdNr 32 mwN). Dabei hat der erkennende Senat je nach Fallkonstellation unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt und verschiedene Gesichtspunkte hervorgehoben. Leitlinie des erkennenden Senats ist insoweit der sich aus dem Sinn und Zweck des OEG ergebende Gedanke des Opferschutzes. Das Vorliegen eines tätlichen Angriffs hat der Senat daher aus der Sicht eines objektiven, vernünftigen Dritten beurteilt und insbesondere sozial angemessenes Verhalten ausgeschieden. Allgemein ist er in seiner bisherigen Rechtsprechung davon ausgegangen, dass als tätlicher Angriff grundsätzlich eine in feindseliger bzw rechtsfeindlicher Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielende gewaltsame Einwirkung anzusehen ist, wobei die Angriffshandlung in aller Regel den Tatbestand einer - jedenfalls versuchten - vorsätzlichen Straftat gegen das Leben oder die körperliche Unversehrtheit erfüllt (stRspr; vgl nur BSG Urteil vom 29.4.2010 - B 9 VG 1/09 R - BSGE 106, 91 = SozR 4-3800 § 1 Nr 17, RdNr 25 mwN). Abweichend von dem im Strafrecht umstrittenen Gewaltbegriff iS des § 240 StGB zeichnet sich der tätliche Angriff iS des § 1 Abs 1 S 1 OEG durch eine körperliche Gewaltanwendung (Tätlichkeit) gegen eine Person aus, wirkt also körperlich (physisch) auf einen anderen ein(vgl BSG Urteil vom 7.4.2011 - B 9 VG 2/10 R - BSGE 108, 97 = SozR 4-3800 § 1 Nr 18, RdNr 36 mwN).

28

In Fällen sexuellen Missbrauchs von Kindern iS von § 176 StGB hat der Senat den Begriff des tätlichen Angriffs noch weiter verstanden. Danach kommt es nicht darauf an, welche innere Einstellung der Täter zu dem Opfer hatte und wie das Opfer die Tat empfunden hat. Für den Senat ist allein entscheidend, dass die Begehensweise, also sexuelle Handlungen, eine Straftat war (vgl BSG Urteil vom 29.4.2010 - B 9 VG 1/09 R - BSGE 106, 91 = SozR 4-3800 § 1 Nr 17, RdNr 28 mwN). Auch der "gewaltlose" sexuelle Missbrauch eines Kindes kann demnach ein tätlicher Angriff iS des § 1 Abs 1 S 1 OEG sein(BSG Urteile vom 18.10.1995 - 9 RVg 4/93 - BSGE 77, 7, 8 f = SozR 3-3800 § 1 Nr 6 S 23 f, und - 9 RVg 7/93 - BSGE 77, 11, 13 = SozR 3-3800 § 1 Nr 7 S 28 f). Diese erweiternde Auslegung des Begriffs des tätlichen Angriffs ist speziell in Fällen eines sexuellen Missbrauchs von Kindern aus Gründen des sozialen und psychischen Schutzes der Opfer unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck des OEG geboten. Eine Erstreckung dieses Begriffsverständnisses auf andere Fallgruppen hat das Bundessozialgericht (BSG) bislang abgelehnt (vgl BSG Urteil vom 12.2.2003 - B 9 VG 2/02 R - SozR 4-3800 § 1 Nr 1 RdNr 12).

29

Soweit Kinder Opfer körperlicher Gewalt ihrer Eltern werden, die die Erheblichkeitsschwelle überschreitet, liegt regelmäßig eine Körperverletzung iS des § 223 StGB und damit auch ein tätlicher Angriff nach § 1 Abs 1 S 1 OEG vor. Nach § 1631 Abs 2 BGB haben Kinder ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig. Daraus folgt jedoch nicht, dass jede Vernachlässigung von Kindern und jede missbräuchliche Ausübung der elterlichen Sorge, die das körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes gefährdet, als Gewalttat angesehen werden kann (Rademacker in Knickrehm, Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, 2012, § 1 OEG RdNr 51). Auch insofern ist zu beachten, dass die erweiternde Auslegung des Begriffs des tätlichen Angriffs auf die Fälle sexuellen Missbrauchs von minderjährigen Kindern beschränkt ist. Anders als bei rein seelischen Misshandlungen liegen bei sexuellem Missbrauch Tätlichkeiten vor, die gegen den Körper des Kindes gerichtet sind.

30

Zum "Mobbing" als einem sich über längere Zeit hinziehenden Konflikt zwischen dem Opfer und Personen seines gesellschaftlichen Umfeldes hat der erkennende Senat entschieden, dass bei einzelnen "Mobbing"-Aktivitäten die Schwelle zur strafbaren Handlung und somit zum kriminellen Unrecht überschritten sein kann; tätliche Angriffe liegen allerdings nur vor, wenn auf den Körper des Opfers gezielt eingewirkt wird, wie zB durch einen Fußtritt (BSG Urteil vom 14.2.2001 - B 9 VG 4/00 R - BSGE 87, 276, 278 = SozR 3-3800 § 1 Nr 18 S 72).

31

Auch in Fällen der Bedrohung oder Drohung mit Gewalt, in denen es unter Umständen an einer besonderen Kraftentfaltung gegen den Körper einer anderen Person bzw an einem beabsichtigten Verletzungserfolg gänzlich fehlt, ist maßgeblich auf das Kriterium der objektiven Gefahr für Leib und Leben des Opfers abzustellen. Die Grenze der Wortlautinterpretation hinsichtlich des Begriffs des tätlichen Angriffs sieht der Senat jedenfalls dann erreicht, wenn sich die auf das Opfer gerichtete Einwirkung - ohne Einsatz körperlicher Mittel - allein als intellektuell oder psychisch vermittelte Beeinträchtigung darstellt und nicht unmittelbar auf die körperliche Integrität abzielt (vgl BSG Urteil vom 7.4.2011 - B 9 VG 2/10 R - BSGE 108, 97 = SozR 4-3800 § 1 Nr 18, RdNr 44 mwN). So ist beim "Stalking" die Grenze zum tätlichen Angriff iS des § 1 Abs 1 S 1 OEG - ungeachtet ggf einschlägiger Straftatbestände nach dem StGB - erst überschritten, wenn die Tat durch Mittel körperlicher Gewalt gegen das Opfer begangen und/oder der rechtswidrig herbeigeführte Zustand mittels Tätlichkeiten aufrechterhalten wird(vgl BSG Urteil vom 7.4.2011 - B 9 VG 2/10 R - BSGE 108, 97 = SozR 4-3800 § 1 Nr 18, RdNr 69 mwN).

32

c) Hinsichtlich der entscheidungserheblichen Tatsachen kennt das soziale Entschädigungsrecht, also auch das OEG, drei Beweismaßstäbe. Grundsätzlich bedürfen die drei Glieder der Kausalkette (schädigender Vorgang, Schädigung und Schädigungsfolgen) des Vollbeweises. Für die Kausalität selbst genügt gemäß § 1 Abs 3 BVG die Wahrscheinlichkeit. Nach Maßgabe des § 15 S 1 KOVVfG, der gemäß § 6 Abs 3 OEG anzuwenden ist, sind bei der Entscheidung die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung (also insbesondere auch mit dem tätlichen Angriff) im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, zugrundezulegen, wenn sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen.

33

Für den Vollbeweis muss sich das Gericht die volle Überzeugung vom Vorhandensein oder Nichtvorhandensein einer Tatsache verschaffen. Allerdings verlangt auch der Vollbeweis keine absolute Gewissheit, sondern lässt eine an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit ausreichen. Denn ein darüber hinausgehender Grad an Gewissheit ist so gut wie nie zu erlangen (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 128 RdNr 3b mwN). Daraus folgt, dass auch dem Vollbeweis gewisse Zweifel innewohnen können, verbleibende Restzweifel mit anderen Worten bei der Überzeugungsbildung unschädlich sind, solange sie sich nicht zu gewichtigen Zweifeln verdichten (BSG Urteil vom 24.11.2010 - B 11 AL 35/09 R - Juris RdNr 21). Eine Tatsache ist bewiesen, wenn sie in so hohem Grade wahrscheinlich ist, dass alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung zu begründen (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 128 RdNr 3b mwN).

34

Der Beweisgrad der Wahrscheinlichkeit im Sinne des § 1 Abs 3 S 1 BVG ist dann gegeben, wenn nach der geltenden wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang spricht(vgl BSG Beschluss vom 8.8.2001 - B 9 V 23/01 B - SozR 3-3900 § 15 Nr 4 S 14 mwN). Diese Definition ist der Fragestellung nach dem wesentlichen ursächlichen Zusammenhang angepasst, die nur entweder mit ja oder mit nein beantwortet werden kann. Es muss sich unter Würdigung des Beweisergebnisses ein solcher Grad von Wahrscheinlichkeit ergeben, dass ernste Zweifel hinsichtlich einer anderen Möglichkeit ausscheiden. Für die Wahrscheinlichkeit ist ein "deutliches" Übergewicht für eine der Möglichkeiten erforderlich. Sie entfällt, wenn eine andere Möglichkeit ebenfalls ernstlich in Betracht kommt.

35

Bei dem "Glaubhafterscheinen" iS des § 15 S 1 KOVVfG handelt es sich um den dritten, mildesten Beweismaßstab des Sozialrechts. Glaubhaftmachung bedeutet das Dartun einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 128 RdNr 3d mwN), dh der guten Möglichkeit, dass sich der Vorgang so zugetragen hat, wobei durchaus gewisse Zweifel bestehen bleiben können (vgl BSG Beschluss vom 8.8.2001 - B 9 V 23/01 B - SozR 3-3900 § 15 Nr 4 S 14 f mwN). Dieser Beweismaßstab ist durch seine Relativität gekennzeichnet. Es muss nicht, wie bei der Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhanges, absolut mehr für als gegen die glaubhaft zu machende Tatsache sprechen. Es reicht die gute Möglichkeit aus, dh es genügt, wenn bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten ist (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 128 RdNr 3d mwN), weil nach Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Möglichkeit spricht. Von mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Sachverhaltsvarianten muss einer den übrigen gegenüber ein gewisses (kein deutliches) Übergewicht zukommen. Wie bei den beiden anderen Beweismaßstäben reicht die bloße Möglichkeit einer Tatsache nicht aus, um die Beweisanforderungen zu erfüllen. Das Gericht ist allerdings im Einzelfall grundsätzlich darin frei, ob es die Beweisanforderungen als erfüllt ansieht (Freiheit der richterlichen Beweiswürdigung, § 128 Abs 1 S 1 SGG; vgl BSG Beschluss vom 8.8.2001 - B 9 V 23/01 B - SozR 3-3900 § 15 Nr 4 S 15).

36

3. Ausgehend von diesen rechtlichen Vorgaben hat die Klägerin keinen Anspruch auf Gewährung von Beschädigtenrente wegen der Folgen seelischer Misshandlungen durch ihre Eltern.

37

Entgegen der Ansicht der Klägerin stellen die von den Vorinstanzen angenommenen allgemeinen Verhältnisse in der Familie der Klägerin keinen tätlichen Angriff iS des § 1 Abs 1 S 1 OEG dar. Das SG hat hierzu festgestellt, die bei der Klägerin bestehenden Gesundheitsstörungen seien mehr auf ein Zusammenwirken atmosphärisch ungünstiger Entwicklungsbedingungen (ablehnende Haltung der Mutter gegenüber der Klägerin, unberechenbare Aggressivität sowie grenzüberschreitende weinerliche Anhänglichkeit des Vaters) zurückzuführen (S 23 des Urteils). Darauf hat das LSG Bezug genommen. Die Verhaltensweise der Eltern hat danach zwar seelische Misshandlungen der Klägerin umfasst, es fehlt insoweit jedoch an dem Merkmal der Gewaltanwendung im Sinne einer gegen den Körper der Klägerin gerichteten Tätlichkeit.

38

4. Soweit die Klägerin Beschädigtenrente nach dem OEG wegen der Folgen körperlicher Misshandlungen und sexuellen Missbrauchs im Kindes- und Jugendalter beansprucht, ist dem Senat eine abschließende Entscheidung unmöglich. Derartige schädigende Vorgänge werden zwar von § 1 Abs 1 S 1 OEG erfasst, soweit sie nicht von dem seinerzeit noch anerkannten elterlichen Züchtigungsrecht(vgl BGH Beschluss vom 25.11.1986 - 4 StR 605/86 - JZ 1988, 617) gedeckt waren. Es fehlen jedoch hinreichende verwertbare Tatsachenfeststellungen.

39

a) Das LSG hat unterstellt, dass als vorsätzliche, rechtswidrige tätliche Angriffe einzelne Schläge durch die Eltern (ein heftiger Schlag durch den Vater sowie zwei "Ohrfeigen" durch die Mutter) nachgewiesen seien. Diese hätten jedoch nicht genügt, um die gravierenden seelischen Erkrankungen der Klägerin zu verursachen. Das LSG verweist hierbei auf das Gutachten der Sachverständigen Dr. S. sowie auf die Ausführungen des SG, wonach diese Taten keine posttraumatische Belastungsstörung hätten auslösen können. Die hierauf gründende tatrichterliche Wertung des LSG ist aus revisionsrechtlicher Sicht nicht zu beanstanden. Weder lässt sich feststellen, dass die Vorinstanz insoweit von unrichtigen Rechtsbegriffen ausgegangen ist, noch hat die Klägerin die betreffenden Tatsachenfeststellungen mit durchgreifenden Verfahrensrügen angegriffen.

40

b) Den überwiegenden Teil der von der Klägerin angegebenen körperlichen Misshandlungen durch deren Eltern sowie den behaupteten sexuellen Missbrauch durch deren Vater und einen Fremden hat das LSG nicht als nachgewiesen erachtet. Diese Beurteilung vermag der Senat nach dem gegenwärtigen Stand des Verfahrens nicht zu bestätigen. Denn sie beruht auf einer Auslegung des § 15 S 1 KOVVfG, die der Senat nicht teilt.

41

Nach § 15 S 1 KOVVfG sind die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, der Entscheidung zugrunde zu legen, wenn Unterlagen nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen oder ohne Verschulden des Antragstellers oder seiner Hinterbliebenen verlorengegangen sind, soweit die Angaben nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen. Die Beweiserleichterung des § 15 S 1 KOVVfG ist auch dann anwendbar, wenn für den schädigenden Vorgang keine Zeugen vorhanden sind(vgl grundlegend BSG Urteil vom 31.5.1989 - 9 RVg 3/89 - BSGE 65, 123, 125 = SozR 1500 § 128 Nr 39 S 46). Nach dem Sinn und Zweck des § 15 S 1 KOVVfG sind damit nur Tatzeugen gemeint, die zu den zu beweisenden Tatsachen aus eigener Wahrnehmung Angaben machen können. Personen, die von ihrem gesetzlichen Zeugnisverweigerungsrecht (vgl §§ 383 ff ZPO) Gebrauch gemacht haben, sind dabei nicht als Zeugen anzusehen. Entsprechendes gilt für eine als Täter in Betracht kommende Person, die eine schädigende Handlung bestreitet. Denn die Beweisnot des Opfers, auf die sich § 15 S 1 KOVVfG bezieht, ist in diesem Fall nicht geringer, als wenn der Täter unerkannt geblieben oder flüchtig ist. Die Beweiserleichterung des § 15 S 1 KOVVfG gelangt damit auch zur Anwendung, wenn sich die Aussagen des Opfers und des vermeintlichen Täters gegenüberstehen und Tatzeugen nicht vorhanden sind(vgl BSG Beschluss vom 28.7.1999 - B 9 VG 6/99 B - Juris RdNr 6).

42

Diesen Kriterien hat das LSG nicht hinreichend Rechnung getragen, indem es eine Anwendbarkeit des § 15 S 1 KOVVfG mit der pauschalen Begründung verneint hat, es lägen Beweismittel vor. Zwar hat sich das LSG hinsichtlich der Verneinung umfangreicher körperlicher Misshandlungen der Klägerin durch ihre Eltern, insbesondere durch den Vater, auch auf die Zeugenaussage des Bruders T. der Klägerin gestützt. Es hätte insoweit jedoch näher prüfen müssen, inwiefern die Klägerin Misshandlungen behauptet hat, die dieser Zeuge (insbesondere wegen Abwesenheit) nicht wahrgenommen haben kann. Soweit es den angegebenen sexuellen Missbrauch betrifft, ist nicht ersichtlich, dass diesen eine als Zeuge in Betracht kommende Person wahrgenommen haben kann.

43

c) Soweit das LSG den § 15 S 1 KOVVfG hilfsweise herangezogen hat, lassen seine Ausführungen nicht hinreichend deutlich erkennen, dass es dabei den von dieser Vorschrift eröffneten Beweismaßstab der Glaubhaftmachung zugrunde gelegt hat. Aus der einschränkungslosen Bezugnahme auf das aussagepsychologische Gutachten der Sachverständigen H. vom 5.4.2005 lässt sich eher der Schluss ziehen, dass das LSG insoweit einen unzutreffenden, nämlich zu strengen Beweismaßstab angewendet hat. Diese Sachlage gibt dem Senat Veranlassung, grundsätzlich auf die Verwendung von sog Glaubhaftigkeitsgutachten in Verfahren betreffend Ansprüche nach dem OEG einzugehen.

44

aa) Die Einholung und Berücksichtigung psychologischer Glaubhaftigkeitsgutachten ist im sozialen Entschädigungsrecht nach Maßgabe der allgemeinen Grundsätze für die Einholung von Sachverständigengutachten zulässig.

45

Grundsätzlich steht das Ausmaß von Ermittlungen im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts. Einen Sachverständigen bestellt das Gericht, wenn es selbst nicht über ausreichende Sachkunde verfügt (vgl dazu Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 118 RdNr 11b). Dies gilt auch für die Einholung eines sogenannten Glaubhaftigkeitsgutachtens. Dabei handelt es sich um eine aussagepsychologische Begutachtung, deren Gegenstand die Beurteilung ist, ob auf ein bestimmtes Geschehen bezogene Angaben zutreffen, dh einem tatsächlichen Erleben der untersuchten Person entsprechen (vgl grundlegend BGH Urteil vom 30.7.1999 - 1 StR 618/98 - BGHSt 45, 164, 167). Da eine solche Beurteilung an sich zu den Aufgaben eines Tatrichters gehört, kommt die Einholung eines Glaubhaftigkeitsgutachtens nur ausnahmsweise in Betracht (vgl BGH aaO, 182; BGH Urteil vom 16.5.2002 - 1 StR 40/02 - Juris RdNr 22). Ob eine derartige Beweiserhebung erforderlich ist, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls. Die Hinzuziehung eines aussagepsychologischen Sachverständigen kann insbesondere dann geboten sein, wenn die betreffenden Angaben das einzige das fragliche Geschehen belegende Beweismittel sind und Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sie durch eine psychische Erkrankung der Auskunftsperson (Zeuge, Beteiligter) und deren Behandlung beeinflusst sein können (vgl dazu BSG Beschluss vom 7.4.2011 - B 9 VG 15/10 B - Juris RdNr 6; Beschluss vom 24.5.2012 - B 9 V 4/12 B - SozR 4-1500 § 103 Nr 9 = Juris RdNr 22). Die Entscheidung, ob eine solche Fallgestaltung vorliegt und ob daher ein Glaubhaftigkeitsgutachten einzuholen ist, beurteilt und trifft das Tatsachengericht im Rahmen der Amtsermittlung nach § 103 SGG. Fußt seine Entscheidung auf einem hinreichenden Grund, so ist deren Überprüfung dem Revisionsgericht entzogen (vgl BSG Beschluss vom 24.5.2012 - B 9 V 4/12 B - SozR 4-1500 § 103 Nr 9 = Juris RdNr 20, 23).

46

Von Seiten des Gerichts muss im Zusammenhang mit der Einholung, vor allem aber mit der anschließenden Würdigung eines Glaubhaftigkeitsgutachtens stets beachtet werden, dass sich die psychologische Begutachtung von Aussagen nicht darauf beziehen kann, Angaben über die Faktizität eines Sachverhalts zu machen. Möglich ist lediglich herauszufinden, ob sich Aussagen auf Erlebtes beziehen, dh einen Erlebnishintergrund haben. Darüber hinaus besteht die Kompetenz und damit auch die Aufgabe des Sachverständigen darin abzuklären, ob sich dieser Erlebnishintergrund in der sog Wachwirklichkeit befindet, anstatt auf Träumen, Halluzinationen oder Vorstellungen zu beruhen. Ausschließlich auf diesen Aspekt des Wirklichkeitsbezuges einer Aussage kann sich die Glaubhaftigkeitsbegutachtung beziehen (Greuel/Offe/Fabian/Wetzels/Fabian/Offe/Stadler, Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, 1998, S 27, 49). In einer Glaubhaftigkeitsbegutachtung trifft der Sachverständige erfahrungswissenschaftlich gestützte Feststellungen zu Erlebnishaltigkeit und Zuverlässigkeit von Sachverhaltskonstruktionen, die ein Zeuge oder ein Beteiligter vorträgt. Durch das Gutachten vermittelt er dem Gericht daher auf den Einzelfall bezogene wissenschaftliche Erkenntnisse und stellt diesem aufgrund von Befundtatsachen wissenschaftlich gestützte Schlussfolgerungen zur Verfügung (Greuel/Offe/Fabian/Wetzels/Fabian/Offe/Stadler, Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, 1998, S 280 f). Die umfassende rechtliche Würdigung dieser Feststellungen, Erkenntnisse und Schlussfolgerungen obliegt sodann dem Gericht.

47

Entgegen der Auffassung der Klägerin ergeben sich aus den Ausführungen in dem Urteil des LSG NRW vom 28.11.2007 - L 10 VG 13/06 - (Juris RdNr 25) keine Hinweise auf die Unzulässigkeit der Einholung und Berücksichtigung von Glaubhaftigkeitsgutachten in sozialrechtlichen Verfahren. Vielmehr hat das LSG NRW hierbei lediglich die Amtsermittlung des erstinstanzlichen Gerichts gerügt, das anstelle der Vernehmung der durch die dortige Klägerin benannten Zeugen ein Sachverständigengutachten eingeholt hatte (ua mit der Beweisfrage "Steht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit - dh es darf kein begründbarer Zweifel bestehen - fest, dass die Klägerin Opfer sexuellen Missbrauchs - in welchem Zeitraum, in welcher Weise - geworden ist?"; Juris RdNr 9). Vor diesem Hintergrund ist es vollkommen nachvollziehbar, wenn das LSG NRW zum einen die Vernehmung der Zeugen gefordert und zum anderen festgestellt hat, dass die an die Sachverständigen gestellte Frage keinem Beweis durch ein medizinisches oder aussagepsychologisches Sachverständigengutachten zugänglich sei, sondern dass das Gericht diese Tatsache selbst aufzuklären habe. Ausdrücklich zu aussagepsychologischen Gutachten hat das LSG NRW ferner zutreffend festgestellt, auch bei diesen dürfe dem Sachverständigen nicht die Entscheidung überlassen werden, ob eine behauptete Tat stattgefunden habe oder nicht. Vielmehr dürfe dieser nur beurteilen, ob aussagepsychologische Kriterien für oder gegen den Wahrheitsgehalt der Angaben Betroffener sprächen und/oder ob die Aussagen und Erklärungen möglicherweise trotz subjektiv wahrheitsgemäßer Angaben nicht auf eigenen tatsächlichen Erinnerungen der Betroffenen beruhten (LSG NRW, aaO, Juris RdNr 25). Aus diesen Ausführungen lässt sich nicht der Schluss ziehen, das LSG NRW gehe grundsätzlich davon aus, dass in sozialrechtlichen Verfahren keine Glaubhaftigkeitsgutachten eingeholt und berücksichtigt werden könnten.

48

bb) Für die Erstattung von Glaubhaftigkeitsgutachten gelten auch im Bereich des sozialen Entschädigungsrechts zunächst die Grundsätze, die der BGH in der Entscheidung vom 30.7.1999 (1 StR 618/98 - BGHSt 45, 164) dargestellt hat. Mit dieser Entscheidung hat der BGH die wissenschaftlichen Standards und Methoden für die psychologische Begutachtung der Glaubhaftigkeit von Aussagen zusammengefasst. Nicht das jeweilige Prozessrecht schafft diese Anforderungen (zum Straf- und Strafprozessrecht vgl Fabian/Greuel/Stadler, StV 1996, 347 f), vielmehr handelt es sich hierbei um wissenschaftliche Erkenntnisse der Aussagepsychologie (vgl Vogl, NJ 1999, 603), die Glaubhaftigkeitsgutachten allgemein zu beachten haben, damit diese überhaupt belastbar sind und verwertet werden können (so auch BGH Beschluss vom 30.5.2000 - 1 StR 582/99 - NStZ 2001, 45 f; vgl grundlegend hierzu Greuel/Offe/Fabian/Wetzels/Fabian/Offe/Stadler, Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, 1998, S 48 ff; Volbert, Beurteilung von Aussagen über Traumata, 2004, S 16 ff). Die grundsätzlichen wissenschaftlichen Anforderungen an Glaubhaftigkeitsgutachten stellen sich wie folgt dar (vgl zum Folgenden BGH Urteil vom 30.7.1999 - 1 StR 618/98 - BGHSt 45, 164, 167 ff mwN; basierend ua auf dem Gutachten von Steller/Volbert, wiedergegeben in Praxis der Rechtspsychologie, 1999, 46 ff):

Bei der psychologischen Begutachtung der Glaubhaftigkeit von Aussagen besteht das methodische Grundprinzip darin, einen zu überprüfenden Sachverhalt (hier: Glaubhaftigkeit einer bestimmten Aussage) so lange zu negieren, bis diese Negation mit den gesammelten Fakten nicht mehr vereinbar ist. Der wissenschaftlich ausgebildete psychologische Sachverständige arbeitet (gedanklich) also zunächst mit der Unwahrannahme als sog Nullhypothese (Steller/Volbert, Praxis der Rechtspsychologie, 1999, 46, 61; den Begriff der Nullhypothese sowie das Ausgehen von dieser kritisierend Stanislawski/Blumer, Streit 2000, 65, 67 f). Der Sachverständige bildet dazu neben der "Wirklichkeitshypothese" (die Aussage ist mit hoher Wahrscheinlichkeit erlebnisfundiert) die Gegenhypothese, die Aussage sei unwahr. Bestehen mehrere Möglichkeiten, aus welchen Gründen eine Aussage keinen Erlebnishintergrund haben könnte, hat der Sachverständige bezogen auf den konkreten Einzelfall passende Null- bzw Alternativhypothesen zu bilden (vgl beispielhaft hierzu Greuel/Offe/Fabian/Wetzels/Fabian/Offe/Stadler, Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, 1998, S 52 f; ebenso, zudem mit den jeweiligen diagnostischen Bezügen Greuel, MschrKrim 2000, S 59, 61 ff). Die Bildung relevanter, also auf den jeweiligen Einzelfall abgestimmter Hypothesen ist von ausschlaggebender Bedeutung für Inhalt und (methodischen) Ablauf einer Glaubhaftigkeitsbegutachtung. Sie stellt nach wissenschaftlichen Prinzipien einen wesentlichen, unerlässlichen Teil des Begutachtungsprozesses dar. Im weiteren Verlauf hat der Sachverständige jede einzelne Alternativhypothese darauf zu untersuchen, ob diese mit den erhobenen Fakten in Übereinstimmung stehen kann; wird dies für sämtliche Null- bzw Alternativhypothesen verneint, gilt die Wirklichkeitshypothese, wonach es sich um eine wahre Aussage handelt.

49

Die zentralen psychologischen Konstrukte, die den Begriff der Glaubhaftigkeit - aus psychologischer Sicht - ausfüllen und somit die Grundstruktur der psychodiagnostischen Informationsaufnahme und -verarbeitung vorgeben, sind Aussagetüchtigkeit (verfügt die Person über die notwendigen kognitiven Grundvoraussetzungen zur Erstattung einer verwertbaren Aussage?), Aussagequalität (weist die Aussage Merkmale auf, die in erlebnisfundierten Schilderungen zu erwarten sind?) sowie Aussagevalidität (liegen potentielle Störfaktoren vor, die Zweifel an der Zuverlässigkeit der Aussage begründen können?). Erst wenn die Aussagetüchtigkeit bejaht wird, kann der mögliche Erlebnisbezug der Aussage unter Berücksichtigung ihrer Qualität und Validität untersucht werden (Greuel/Offe/Fabian/Wetzels/Fabian/Offe/Stadler, Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, 1998, S 49; zur eventuell erforderlichen Hinzuziehung eines Psychiaters zur Bewertung der Aussagetüchtigkeit Schumacher, StV 2003, 641 ff). Das abschließende gutachterliche Urteil über die Glaubhaftigkeit einer Aussage kann niemals allein auf einer einzigen Konstruktebene (zB der Ebene der Aussagequalität) erfolgen, sondern erfordert immer eine integrative Betrachtung der Befunde in Bezug auf sämtliche Ebenen (Greuel, MschrKrim 2000, S 59, 62).

50

Die wesentlichen methodischen Mittel, die der Sachverständige zur Überprüfung der gebildeten Hypothesen anzuwenden hat, sind die - die Aussagequalität überprüfende - Aussageanalyse (Inhalts- und Konstanzanalyse) und die - die Aussagevalidität betreffende - Fehlerquellen-, Motivations- sowie Kompetenzanalyse. Welche dieser Analyseschritte mit welcher Gewichtung durchzuführen sind, ergibt sich aus den zuvor gebildeten Null- bzw Alternativhypothesen; bei der Abgrenzung einer wahren Darstellung von einer absichtlichen Falschaussage sind andere Analysen erforderlich als bei deren Abgrenzung von einer subjektiv wahren, aber objektiv nicht zutreffenden, auf Scheinerinnerungen basierenden Darstellung (vgl hierzu Volbert, Beurteilung von Aussagen über Traumata, 2004, S 17 ff).

51

Diese Prüfungsschritte müssen nicht in einer bestimmten Prüfungsstrategie angewendet werden und verlangen keinen vom Einzelfall losgelösten, schematischen Gutachtenaufbau. Die einzelnen Elemente der Begutachtung müssen auch nicht nach einer bestimmten Reihenfolge geprüft werden (vgl BGH Beschluss vom 30.5.2000 - 1 StR 582/99 - NStZ 2001, 45 f). Es ist vielmehr ausreichend, wenn sich aus einer Gesamtbetrachtung des Gutachtens ergibt, dass der Sachverständige das dargestellte methodische Grundprinzip angewandt hat. Vor allem muss überprüfbar sein, auf welchem Weg er zu seinen Ergebnissen gelangt ist.

52

cc) Die aufgrund der dargestellten methodischen Vorgehensweise, insbesondere aufgrund des Ausgehens von der sog Nullhypothese, vorgebrachten Bedenken gegen die Zulässigkeit der Einholung und Berücksichtigung von Glaubhaftigkeitsgutachten in sozialgerichtlichen Verfahren (vgl hierzu SG Fulda Urteil vom 30.6.2008 - S 6 VG 16/06 - Juris RdNr 33 aE; LSG Berlin-Brandenburg Urteil vom 8.7.2010 - L 13 VG 25/07 - Juris RdNr 36; LSG Rheinland-Pfalz Urteil vom 27.6.2012 - L 4 VG 13/09 - Juris RdNr 44 ff; offenlassend, aber Zweifel an der Anwendbarkeit der Nullhypothese äußernd LSG Baden-Württemberg Urteil vom 15.12.2011 - L 6 VG 584/11 - ZFSH/SGB 2012, 203, 206) überzeugen nicht.

53

Nach derzeitigen Erkenntnissen gibt es für einen psychologischen Sachverständigen keine Alternative zu dem beschriebenen Vorgehen. Der Erlebnisbezug einer Aussage ist nicht anders als durch systematischen Ausschluss von Alternativhypothesen zur Wahrannahme zu belegen (Volbert, Beurteilung von Aussagen über Traumata, 2004, S 20, 22). Nach dem gegenwärtigen psychologischen Kenntnisstand kann die Wirklichkeitshypothese selbst nicht überprüft werden, da eine erlebnisbasierte Aussage eine hohe, aber auch eine niedrige Aussagequalität haben kann. Die Prüfung hat daher an der Unwahrhypothese bzw ihren möglichen Alternativen anzusetzen. Erst wenn sämtliche Unwahrhypothesen ausgeschlossen werden können, ist die Wahrannahme belegt (vgl Volbert, Beurteilung von Aussagen über Traumata, 2004, S 22). Zudem hat diese Vorgehensweise zur Folge, dass sämtliche Unwahrhypothesen geprüft werden, womit ein ausgewogenes Analyseergebnis erzielt werden kann (Schoreit, StV 2004, 284, 286).

54

Es ist zutreffend, dass dieses methodische Vorgehen ein recht strenges Verfahren der Aussageprüfung darstellt (so auch Greuel/Offe/Fabian/Wetzels/Fabian/Offe/Stadler, Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, 1998, S 205), denn die Tatsache, dass eine bestimmte Unwahrhypothese nicht ausgeschlossen werden kann, bedeutet nicht zwingend, dass diese Hypothese tatsächlich zutrifft. Gleichwohl würde das Gutachten in einem solchen Fall zu dem Ergebnis gelangen, dass eine wahre Aussage nicht belegt werden kann. Insoweit korrespondieren das methodische Grundprinzip der Aussagepsychologie und die rechtlichen Anforderungen in Strafverfahren besonders gut miteinander (vgl dazu Volbert, aaO S 20). Denn auch die Unschuldsvermutung hat zugunsten des Angeklagten bis zum Beweis des Gegenteils zu gelten. Durch beide Prinzipien soll auf jeden Fall vermieden werden, dass eine tatsächlich nicht zutreffende Aussage als glaubhaft klassifiziert wird. Zwar soll möglichst auch der andere Fehler unterbleiben, dass also eine wahre Aussage als nicht zutreffend bewertet wird. In Zweifelsfällen gilt aber eine klare Entscheidungspriorität (vgl Volbert, aaO): Bestehen noch Zweifel hinsichtlich einer Unwahrhypothese, kann diese also nicht mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden, so gilt der Erlebnisbezug der Aussage als nicht bewiesen und die Aussage als nicht glaubhaft.

55

Diese Konsequenz führt nicht dazu, dass Glaubhaftigkeitsgutachten im sozialrechtlichen Entschädigungsverfahren nach dem OEG als Beweismittel schlichtweg ungeeignet sind. Soweit der Vollbeweis gilt, ist damit die Anwendung dieser methodischen Prinzipien der Aussagepsychologie ohne Weiteres zu vereinbaren. Denn dabei gilt eine Tatsache erst dann als bewiesen, wenn sie in so hohem Grade wahrscheinlich ist, dass alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung zu begründen. Bestehen in einem solchen Verfahren noch Zweifel daran, dass eine Aussage erlebnisfundiert ist, weil eine bestimmte Unwahrhypothese nicht ausgeschlossen werden kann, geht dies zu Lasten des Klägers bzw der Klägerin (von der Zulässigkeit von Glaubhaftigkeitsgutachten ausgehend LSG Berlin-Brandenburg Urteil vom 9.9.2008 - L 11 VG 33/08 - Juris RdNr 24 ff; LSG NRW Urteil vom 29.9.2010 - L 6 (7) VG 16/05 - Juris RdNr 24; ebenso, jedoch bei Anwendung der Beweiserleichterung des § 15 S 1 KOVVfG Bayerisches LSG Urteil vom 30.6.2005 - L 15 VG 13/02 - Juris RdNr 40; LSG Niedersachsen-Bremen Urteil vom 5.6.2008 - L 13 VG 1/05 - Juris RdNr 34 sowie Urteil vom 16.9.2011 - L 10 VG 26/07 - Juris RdNr 38 ff).

56

Die grundsätzliche Bejahung der Beweiseignung von Glaubhaftigkeitsgutachten im sozialen Entschädigungsrecht wird auch dadurch gestützt, dass nach der dargestellten hypothesengeleiteten Methodik - unter Einschluss der sog Nullhypothese - erstattete Gutachten nicht nur in Strafverfahren Anwendung finden, sondern auch in Zivilverfahren (vgl BGH Beschluss vom 24.6.2003 - VI ZR 327/02 - NJW 2003, 2527, 2528 f; Saarländisches OLG Urteil vom 13.7.2011 - 1 U 32/08 - Juris RdNr 50 ff) und in arbeitsrechtlichen Verfahren (vgl LAG Berlin-Brandenburg Urteil vom 20.7.2011 - 26 Sa 1269/10 - Juris RdNr 64 ff). In diesen Verfahren ist der Vollbeweis der anspruchsbegründenden Tatsachen bzw der Voraussetzungen für einen Kündigungsgrund (zumeist eine erhebliche Pflichtverletzung) ebenfalls erforderlich.

57

dd) Soweit allerdings nach Maßgabe des § 15 S 1 KOVVfG eine Glaubhaftmachung ausreicht, ist ein nach der dargestellten Methodik erstelltes Glaubhaftigkeitsgutachten nicht ohne Weiteres geeignet, zur Entscheidungsfindung des Gerichts beizutragen. Das folgt schon daraus, dass es im Rahmen des § 15 S 1 KOVVfG ausreicht, wenn die Möglichkeit, dass die Angaben des Antragstellers zutreffen, als die wahrscheinlichste angesehen werden kann, während ein aussagepsychologischer Sachverständiger diese Angaben erst dann als glaubhaft ansieht, wenn er alle Alternativhypothesen ausschließen kann. Da ein sachgerecht erstelltes Glaubhaftigkeitsgutachten den Vollbeweis ermöglichen soll, muss ein für die Auskunftsperson ungünstiges Ergebnis eines solchen Gutachtens nicht bedeuten, dass die betreffenden Angaben nicht iS des § 15 S 1 KOVVfG als glaubhaft erscheinen können.

58

Will sich ein Gericht auch bei Anwendung des § 15 S 1 KOVVfG eines aussagepsychologischen Gutachtens bedienen, so hat es den Sachverständigen mithin auf den insoweit geltenden Beweismaßstab hinzuweisen und mit ihm zu klären, ob er sein Gutachten nach den insoweit maßgebenden Kriterien erstatten kann. Dabei sind auch die Beweisfragen entsprechend zu fassen. Im Falle von Glaubhaftigkeitsbegutachtungen lautet die übergeordnete psychologische Untersuchungsfragestellung: "Können die Angaben aus aussagepsychologischer Sicht als mit (sehr) hoher Wahrscheinlichkeit erlebnisfundiert klassifiziert werden?" (Greuel/Offe/Fabian/Wetzels/Fabian/Offe/Stadler, Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, 1998, S 49). Demgegenüber sollte dann, wenn eine Glaubhaftmachung ausreicht, darauf abgestellt werden, ob die Angaben mit relativer Wahrscheinlichkeit als erlebnisfundiert angesehen werden können.

59

Damit das Gericht den rechtlichen Begriff der Glaubhaftmachung in eigener Beweiswürdigung ausfüllen kann und nicht durch die Feststellung einer Glaubhaftigkeit seitens des Sachverständigen festgelegt ist, könnte es insoweit hilfreich sein, dem Sachverständigen aufzugeben, solange systematisch und unvoreingenommen nach Fakten zu den verschiedenen Hypothesen zu suchen, bis sich ein möglichst klarer Unterschied in ihrer Geltungswahrscheinlichkeit bzw praktischen Gewissheit ergibt (für eine solche Vorgehensweise im Asylverfahren vgl Lösel/Bender, Schriftenreihe des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge, Bd 7, 2001, S 175, 184). Denn dem Tatsachengericht ist am ehesten gedient, wenn der psychologische Sachverständige im Rahmen des Möglichen die Wahrscheinlichkeiten bzw Wahrscheinlichkeitsgrade für die unterschiedlichen Hypothesen darstellt.

60

Diesen Maßgaben wird das Berufungsurteil nicht gerecht. Das LSG hat sich bei seiner Verneinung einer Glaubhaftigkeit der Angaben der Klägerin nach § 15 S 1 KOVVfG ohne Weiteres auf das aussagepsychologische Gutachten der Sachverständigen H. vom 5.4.2005 gestützt. Dieses Glaubhaftigkeitsgutachten ist vom SG zu den Fragen eingeholt worden:

        

Sind die Angaben der Klägerin zu den Misshandlungen durch die Eltern und zum sexuellen Missbrauch durch den Vater (…) unter Berücksichtigung des aktuellen wissenschaftlich-aussagepsychologischen Kenntnisstandes insgesamt oder in Teilen glaubhaft? Sind die Angaben insbesondere inhaltlich konsistent und konstant und sind aussagerelevante Besonderheiten der Persönlichkeitsentwicklung der Klägerin zu berücksichtigen? Welche Gründe sprechen insgesamt für und gegen die Glaubhaftigkeit der Angaben?

61

Ein Hinweis auf den im Rahmen des § 15 S 1 KOVVfG geltenden Beweismaßstab der Glaubhaftmachung ist dabei nach Aktenlage nicht erfolgt. Dementsprechend lässt das Gutachten der Sachverständigen H. nicht erkennen, dass sich diese der daraus folgenden Besonderheiten bewusst gewesen ist. Vielmehr hat die Sachverständige in der Einleitung zu ihrem Gutachten ("Formaler Rahmen der Begutachtung") erklärt, dass sich das Vorgehen bei der Begutachtung und die Darstellung der Ergebnisse nach den Standards wissenschaftlich fundierter Glaubhaftigkeitsbegutachtung richte, wie sie im Grundsatzurteil des BGH vom 30.7.1999 (BGHSt 45, 164 = NJW 1999, 2746) dargelegt seien (S 1 des Gutachtens).

62

Da das Berufungsurteil mithin - soweit es die Anwendung des § 15 S 1 KOVVfG betrifft - offenbar auf einer Tatsachenwürdigung beruht, der ein unzutreffender Beweismaßstab zugrunde liegt, vermag der erkennende Senat die Beurteilung des LSG auch zu diesem Punkt nicht zu bestätigen.

63

5. Der erkennende Senat sieht sich zu einer Aufhebung des Berufungsurteils und einer Zurückverweisung der Sache an das LSG veranlasst (§ 170 Abs 2 S 2 SGG), weil die jetzt nach zutreffenden Beweismaßstäben vorzunehmenden Tatsachenfeststellungen und Beweiswürdigungen im Revisionsverfahren nicht nachgeholt werden können (§ 163 SGG).

64

6. Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

Die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, sind, wenn Unterlagen nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen oder ohne Verschulden des Antragstellers oder seiner Hinterbliebenen verlorengegangen sind, der Entscheidung zugrunde zu legen, soweit sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen. Die Verwaltungsbehörde kann in besonderen Fällen von dem Antragsteller die eidesstattliche Versicherung verlangen, daß er bei seinen Angaben nach bestem Wissen die reine Wahrheit gesagt und nichts verschwiegen habe.

Tenor

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 10. Dezember 2010 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte hat der Klägerin auch die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.

Tatbestand

 
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin zwischen 1965 und 1972 Opfer vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriffe im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 Opferentschädigungsgesetz (OEG) geworden ist.
Bei der am ... Februar 1957 geborenen, in Deutschland wohnhaften Klägerin, die als Erwerbsunfähige laufende Leistungen zum Lebensunterhalt nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) bezieht, sind seit dem 22. Mai 2006 ein Grad der Behinderung (GdB) von 80 und die Merkzeichen G und B im Wesentlichen wegen einer seelischen Störung und posttraumatischen Belastungsstörung (Teil-GdB von 70) anerkannt (Bescheid vom 3. Juli 2007, Bl. 41 SG-Akte).
Am 10. Oktober 1976 begab sich die Klägerin erstmalig in die Psychologische Ambulanz. Der Oberarzt der Klinik Dr. K. diagnostizierte eine konversionsneurotische Symptomatik einer infantilen Persönlichkeit (vielfältiger Symptomkomplex, ausgelöst durch den ersten Geschlechtsverkehr). Eine stationäre Behandlung in der psychosomatischen Klinik wurde empfohlen (Arztbericht vom 15. Oktober 1976, Bl. 43 f. Senatsakte). Von Februar 1978 bis Dezember 1979 wurde sie wegen einer Zwangsstörung mit depressiver Komponente und suicidalen Tendenzen, Angstzuständen und Rechenstörung verhaltenstherapeutisch behandelt (vgl. Befundbericht von Dipl.-Psych. M. vom 11. Juni 2011, Bl. 42 Senatsakte). Eine erste stationäre Behandlung fand vom 15. November 1983 bis 16. Februar 1984 im Psychiatrischen Landeskrankenhaus W. - Funktionsbereich Psychotherapie - wegen einer Angstneurose mit Zwangsgedanken statt (vgl. Arztbriefe vom 29. November 1983 und 1. März 1984, Bl. 37 f. und 39 f. Senatsakte).
Ihre Ausbildung zur Friseurin führte die Klägerin vom 1. Januar 1973 bis 30. Juni 1975 durch, war anschließend im Juli 1975 und dann wieder vom 23. März bis 9. Oktober 1976 versicherungspflichtig beschäftigt, unterbrochen von einer fünfmonatigen Arbeitslosigkeit. Eine weitere Versicherungspflicht bestand vom 1. Mai 1977 bis 31. Januar 1979, vom 15. Juni 1980 bis 7. November 1982, im März 1983, von März 1984 bis Januar 1986 und schließlich vom 8. März bis 12. August 1986. Danach war die Klägerin arbeitslos (vgl. Versicherungsverlauf vom 20. August 2008, Bl. 35 f. Senatsakte). Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung erfüllt die Klägerin nicht.
Mit 24 Jahren heiratete die Klägerin das erste Mal, die Ehe wurde nach kurzer Zeit geschieden. Ihren zweiten Mann heiratete sie mit 29 Jahren, er erkrankte 1997 nach einer Reise nach Kenia an Aids (nur Bluttest, nicht ausgebrochen, Bl. 41 V-Akte), 1998 trennte sie sich von ihm (vgl. Abschlussbericht Fachklinik H. vom 19. Juni 1998, Bl. 28 V-Akte).
Am 19. September 2006 beantragte die Klägerin die Gewährung von Beschädigtenversorgung unter Hinweis auf den sexuellen Missbrauch durch ihren Vater von frühester Kindheit an bis zu dessen Tod in ihrem 15. Lebensjahr. Sie leide an Depressionen, Angststörung, Tinnitus, Zwängen, Alpträumen, Dissoziationsstörungen, sexueller Störung und Schwierigkeiten mit der Sexualität im Allgemeinen als Folge einer posttraumatischen Belastungsstörung.
Zur weiteren Aufklärung des Sachverhaltes befragte der Beklagte den behandelnden Psychotherapeuten sowie die Schwester und die Mutter der Klägerin schriftlich. Der Psychotherapeut H., bei dem die Klägerin seit 2002 in regelmäßiger ambulanter Betreuung steht, legte die Entlassungsberichte der Fachklinik H. (stationäre psychiatrische Behandlung vom 2. Februar bis 27. Mai 1998 und 21. Juni bis 2. August 2000) vor. Er berichtete, dass zunächst eine Zwangssymptomatik im Vordergrund der Behandlung gestanden habe. Erst im Verlauf der Therapie seit 1997 sei die verdrängte schwere Traumatisierung (psychogene Amnesie) mit dem Grundgefühl des hilflos Ausgeliefertseins und tiefer Selbstwertproblematik in den Vordergrund getreten. In dem beigefügten Erstantrag auf Gewährung einer Psychotherapie führte Psychotherapeutin H. aus, sie habe die Klägerin bereits von September 1992 bis zum Mai 1996 psychotherapeutisch behandelt.
Die Schwester der Klägerin, R. Q., gab an, ihre Schwester habe im Alter von 12 Jahren das erste Mal über Ängste und Zwänge berichtet, diese aber nicht als ausdrücklichen Missbrauch geschildert. Ihre Schwester habe gegen ihren Willen beim Vater liegen müssen. Es sei wie ein Ritual gewesen. Er habe an die Wand geklopft, sie habe aufstehen und ins Schlafzimmer gehen müssen. Manchmal sei ihr anzusehen gewesen, dass sie am liebsten nicht gegangen wäre. Dann habe die Mutter sie aufgefordert zu gehen. Sie sei lange beim Vater geblieben. Sie habe auch beobachtet, wie ihr Vater die Brüste ihrer Schwester in der Badewanne eingeseift habe. Damals müsse sie 13 bis 14 Jahre alt gewesen sein. Eines Tages habe ihre Schwester erzählt, sie wolle nicht mehr, dass der Vater zu ihr ins Bad komme, um die Brüste einzuseifen. Das habe sie auch dem Vater gesagt, worauf ein großer Streit in der Familie entstanden sei. Es sei das erste Mal gewesen, dass die Klägerin sich gegen den Willen des Vaters aufgelehnt habe. Ihr selbst sei es zwar nicht verboten gewesen, das Schlafzimmer zu betreten, sie habe aber gewusst, dass das nicht gut sei. Eines Tages habe sie gesehen, dass ihr Vater und ihre Schwester ineinander verkeilt auf dem Bett gelegen hätten. Die Mutter habe vor ihrem Mann Angst um ihr eigenes Leben gehabt, sie habe sich nicht gegen ihn stellen können.
Die Mutter, E. Q., teilte mit, bei ihren Eltern habe es solche Sachen nicht gegeben. Darum habe sie sich niemals vorstellen können, dass ihr Mann sich an ihrer Tochter vergangen habe. Sie habe dies nicht gewusst und sie habe sich nichts dabei gedacht, wenn er die Tochter allein mit ins Schlafzimmer genommen habe. Außerdem habe er die Tochter oft brutal geschlagen und beschimpft. Dass er ihr mit 15 Jahren den Busen eingeseift habe, habe sie mitbekommen. Ihre Tochter habe es ihr damals erzählt (Bl. 53 f.; 55 Verwaltungsakte).
10 
Nach Beiziehung der Schwerbehindertenakte lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 28. November 2006 den Antrag mit der Begründung ab, die Klägerin könne nicht nachweisen, dass sie durch vorsätzliche, rechtswidrige und tätliche Handlungen geschädigt worden sei. Den Antrag habe sie mehr als 30 Jahre nach dem Tod des Vaters und den letzten Schädigungshandlungen gestellt. Zeugen für die Vorfälle gebe es nicht. Die Klägerin habe selbst eingeräumt, sie wisse nicht mehr, was „hinter der verschlossen Tür geschah“. Somit lägen ausschließlich die Angaben der Klägerin gegenüber den behandelnden Ärzten vor und ihr könne der Nachweis sexueller Schädigungen nicht gelingen.
11 
Die Klägerin legte hiergegen unter Beifügung eines Attests vom Facharzt H. Widerspruch ein. Dieser führte aus, es gebe auf Grund der Anamnese und der Lebensgeschichte der Klägerin keinen Zweifel daran, dass sie missbraucht worden sei. Es müsse eine Retraumatisierung befürchtet werden. Die Dokumente müssten dringend einem medizinischen Sachverständigen vorgelegt werden, einer Behörde fehle der medizinische Sachverstand.
12 
Mit Widerspruchsbescheid vom 8. Februar 2007 wies der Beklagte den Widerspruch mit der Begründung zurück, bei lange zurückliegenden Ereignissen sei erfahrungsgemäß die Sachverhaltsaufklärung schwierig, da oftmals nur wenige oder gar keine Beweise vorlägen. Ein strafrechtliches Verfahren gegen den Vater als mutmaßlichen Schädiger sei zu keinem Zeitpunkt durchgeführt worden, sodass es an zeitnahen polizeilichen und staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen fehle. Die Zeuginnen hätten nur bestätigen können, dass die Klägerin in das elterliche Schlafzimmer gerufen worden wäre, hätten indessen nicht gewusst, was sich dort konkret ereignet habe. Der sexuelle Missbrauch sei der Klägerin erst im Rahmen einer Therapie durch einen Traum bewusst geworden. Die Therapeutin habe eine psychogene Amnesie diagnostiziert. Nach alledem bestünden Zweifel daran, ob die Darstellungen tatsächlich auf erlittenen Missbrauchshandlungen beruhten.
13 
Mit ihrer hiergegen am 7. März 2007 beim Sozialgericht Freiburg (SG) erhobenen Klage hat die Klägerin, nunmehr anwaltlich vertreten, ausgeführt, dass die ambulanten und stationären Einrichtungen einen klaren Zusammenhang zwischen den gestellten Diagnosen und einem in der Kindheit stattgefundenen schädigenden Ereignis in Form des sexuellen Missbrauchs bestätigt hätten. Der Beklagte habe auch nicht beachtet, dass ihre Schwester den Missbrauch aus eigener Anschauung geschildert habe.
14 
Sie hat eine weitere schriftliche Aussage ihrer Schwester R. Q. vom 16. Januar 2008 vorgelegt: „Ich habe verschwiegen, was ich damals wirklich gesehen habe. In unserer Familie wurde immer geschwiegen. Der Schande wegen. Meine Mutter und ich hatten damals nicht den Mut, das zu verhindern, was geschehen ist. Immer wieder habe ich gesehen, wie meine Schwester vom Vater mit ins Badezimmer genommen wurde, gegen ihren Willen. Auch habe ich gesehen, wie ihre Brüste eingeseift wurden. Als ich einmal meine Schwester im Schlafzimmer weinen hörte, habe ich die Tür geöffnet. Da sah ich, wie der Penis meines Vaters in dem Mund meiner Schwester steckte. Ich war so gelähmt und konnte damals mit dieser Situation nicht umgehen.“ (Bl. 46 SG-Akte).
15 
E. Q. hat ebenfalls mit Schreiben vom 19. Januar 2008 ergänzend zu ihrer ersten schriftlichen Aussage vorgetragen, dass sie doch gewusst habe, dass ihr Mann ihre Tochter im Schlafzimmer sexuell missbrauche. Sie habe indessen die Augen zugemacht, weil sie sich vor ihrer Familie geschämt habe. Sie habe nicht gewollt, dass diese Schande an die Öffentlichkeit gelange. Nur einmal habe sie ihren Mann zur Rede gestellt. Der habe ihr gesagt: „Die Sachen, die ich mit dir nicht machen will, die mache ich mit E..“ (Bl. 48 SG-Akte).
16 
Zur weiteren Aufklärung des Sachverhaltes hat der damals zuständige Richter die Klägerin angehört und ihre Schwester als Zeugin vernommen. Hinsichtlich der Einzelheiten der Angaben wird auf die Niederschrift des Erörterungstermins vom 5. Dezember 2008 (Bl. 63 ff. SG-Akte) verwiesen. Des Weiteren ist die Klägerin nervenärztlich begutachtet worden.
17 
Der Sachverständige, Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Psychiatrie und Neurologie Dr. Sch. hat in seinem Gutachten vom 15. Juli 2010 ausgeführt, dass die Klägerin an einer komplexen posttraumatischen Belastungs-/Persönlichkeitsstörung sowie einer andauernden Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung leide, die mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit im Sinne der Alleinverursachung auf die Gewaltvorfälle in Kindheit und Jugend zurückzuführen sei. Er habe keinen vernünftigen Zweifel daran, dass die Klägerin bis zum Tode ihres Vaters im Frühjahr 1972 unter körperlicher Gewalt durch ihren Vater gelitten habe, auch wenn sie sich nicht, kaum oder nur eingeschränkt erinnern könne. Bei ihr liege eine sogenannte „psychogene Amnesie“ vor. Die erhebliche Störung der Sexualität sei ebenfalls auf den Missbrauch zurückführen. Den Grad der Schädigungsfolgen (GdS) schätze er mit 80 ein, da es sich um schwere Störungen handle, die im Grenzbereich zwischen erheblichen mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten und schweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten lägen.
18 
Gestützt hierauf hat das SG mit Urteil vom 10. Dezember 2010 den Beklagten verurteilt, bei der Klägerin das Vorliegen einer seelischen Störung im Sinne einer posttraumatischen Belastungsstörung sowie einer rezidivierenden depressiven Störung als Folge von vorsätzlichen rechtswidrigen Angriffen ihres Vaters in der Zeit von 1961 bis 1972 anzuerkennen und ihr wegen dieser Folgen Versorgung aus dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) ab dem 1. September 2006 nach einem GdS von 80 zu gewähren. Die Klägerin sei seit ihrem 4. Lebensjahr (1961) bis zum Tod ihres Vaters in ihrem 15. Lebensjahr (1972) fortgesetzt sexuell missbraucht worden und zwar unabhängig von einem eventuellen Einvernehmen mit dem Kind oder gegen dessen Willen. Die Schwester der Klägerin habe glaubhaft geschildert, dass die Klägerin in der fraglichen Zeit als „Lieblingskind“ des gemeinsamen Vaters von ihm beim Baden abgeseift worden sei und zu ihm in das Schlafzimmer habe gehen müssen, wenn dieser an die Wand geklopft habe. Außerdem habe sie eindrücklich eine konkrete Begebenheit von sexuellem Missbrauch wiedergeben können. Dass die Klägerin von ihrem Vater sexuell missbraucht worden sei, habe auch die Mutter in ihrem Schreiben vom 19. Januar 2008 bestätigt. Sie habe berichtet, dass sie ihren Mann einmal zur Rede gestellt und dieser ihr gesagt habe, dass er die „Sachen“, die er mit seiner Frau nicht machen wolle, mit der Klägerin mache. Diese Einlassungen bestätigten den Vortrag der Klägerin glaubhaft. Dem stehe auch nicht entgegen, dass die Schwester im Verwaltungsverfahren keine konkreten sexuellen Übergriffe geschildert habe. Nachvollziehbar habe die Zeugin angegeben, dass sie aus Scham nichts Konkretes geschrieben habe, nun aber ihr Gewissen erleichtern wolle. Dies treffe auch auf die Auskunft der Mutter zu. Die vom Beklagten gerügten „Diskrepanzen“ in den Aussagen seien damit hinreichend aufgelöst. Auch die Ausführungen der Klägerin seien in sich schlüssig und glaubhaft. Es bestünden solide ausgeprägte so genannte Realkennzeichen, wie sie eine glaubhafte Aussage charakterisierten. Das zeige sich insbesondere bei der Darstellung von Details wie dem Klopfen gegen die Wand, dem Krankenhausaufenthalt der Mutter oder dem Urlaub in Thüringen, von dem die Klägerin schildere, dass sie dort jeweils keinen Übergriffen des Vaters ausgesetzt gewesen sei, was ihre Schwester bestätigt habe. Dass die Klägerin erst im Jahr 2006 einen Antrag gestellt habe, könne ihr nicht entgegen gehalten werden. Sie sei glaubhaft erst im Jahr 2006 durch die behandelnde Therapeutin auf diese Möglichkeit aufmerksam gemacht worden. Die Glaubhaftigkeit der Klägerin werde weiter durch das Gutachten von Dr. Sch. bestätigt. Dieser sei nach Auswertung verschiedener psychologischer Tests zu dem Ergebnis gelangt, dass er keinen vernünftigen Zweifel an den von der Klägerin geschilderten Fällen sexuellen Missbrauchs habe. Er habe die Klägerin zwar nicht im Einzelnen zu den realen Missbrauchsereignissen befragt. Inwieweit sich diese Vorgehensweise nicht vollständig mit denen in der Rechtsprechung anerkannten wissenschaftlichen Anforderungen an Aussagen von psychologischen Begutachtungen decke, könne jedoch dahin gestellt bleiben. Denn allein auf Grund der Zeugenaussagen sei das erkennende Gericht vom Wahrheitsgehalt des Klägervorbringens überzeugt und der Vollbeweis des schädigenden Ereignisses somit bereits erbracht. Der Sachverständige habe auch überzeugend dargelegt, dass die gesundheitliche Schädigung auf die nachgewiesenen vorsätzlichen rechtswidrigen tätlichen Angriffe zurückgeführt werden könnten und mit einem GdS von 80 zu bewerten sei. Die von ihm diagnostizierten Gesundheitsstörungen beeinträchtigten die Teilhabe der Klägerin am Leben in der Gemeinschaft in hohem Maße. Sie bedürfe selbst zur Bewältigung alltäglicher Aufgaben der Unterstützung durch Psychotherapeuten und befinde sich seit ihrem 18. Lebensjahr fast vollständig in ambulanter oder stationärer Behandlung. Deswegen handle es sich um eine schwere Persönlichkeitsstörung, der mit dem GdS von 80 ausreichend Rechnung getragen werde, welches sich auch mit den Feststellungen des Landratsamtes Breisgau-Hochschwarzwald im Bescheid vom 3. Juli 2007 decke. Die Klägerin erfülle auch die zusätzlichen Voraussetzungen des § 10 a Abs. 1 OEG. Das sei erforderlich, weil die Schädigung in der Zeit von 1961 bis 1972 und damit im Zeitraum vom 23. Mai 1949 bis 15. Mai 1976 geschehen sei. Die Klägerin sei allein infolge dieser Schädigung des sexuellen Missbrauchs schwerbeschädigt mit einem GdS von mindestens 50. Zudem sei sie, da sie Sozialhilfeleistungen nach dem SGB XII beziehe, auch bedürftig und habe ihren Wohnsitz in Deutschland im Geltungsbereich des OEG.
19 
Gegen das am 20. Januar 2011 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 10. Februar 2011 mit der Begründung Berufung eingelegt, es sei nicht nachvollziehbar, warum das SG noch ein aussagepsychologisches Gutachten über die Glaubwürdigkeit der Klägerin eingeholt habe, wenn es denn den Zeugenaussagen Glauben schenke. Das Gericht habe nicht ausreichend gewürdigt, warum die Zeugen zunächst keine konkreten Angaben gemacht hätten, obwohl sie bereits zuvor im Verwaltungsverfahren die Gelegenheit zur Schilderung konkreter Vorfälle gehabt hätten. Auch die selbst vorgetragene Erinnerungslosigkeit der Klägerin sei in keiner Weise berücksichtigt worden. Das Gutachten genüge nicht wissenschaftlichen Anforderungen. Denn der Sachverständige hätte nach der sogenannten Null-Hypothese vorgehen, d. h. zunächst unterstellen müssen, dass die Aussage der Klägerin unwahr sei. Hierzu bestünde auch deswegen besonderer Anlass, weil die Klägerin selbst zeitnah den damals behandelnden Ärzten geschildert habe, dass sie an ihrem Vater sehr gehangen und auch während mehrerer stationärer Behandlungen keine Angaben über einen sexuellen Missbrauch durch den Vater gemacht habe. Damals hätten die Ärzte zunächst auch erhebliche narzisstische Anteile oder eine schizoide Symptomatik beschrieben. Insoweit müsse auch geprüft werden, ob die therapeutischen Sitzungen nicht suggestive Einflüsse verfolgt hätten. Bei der Schilderung des Einseifens der Brust müsse berücksichtigt werden, dass das Waschen im Bad in der Badewanne erfolgt sei und es deswegen an einer Sexualbezogenheit der Handlung fehle. Auch habe die Schwester als Zeugin zunächst keine sexuellen Handlungen im Schlafzimmer geschildert, denn weder Vater noch Klägerin seien nackt gewesen oder hätten sexuelle Handlungen durchgeführt. Dies habe sie erst im Nachhinein angegeben.
20 
Der Beklagte beantragt,
21 
das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 10. Dezember 2010 insoweit aufzuheben, als die Klägerin nicht auf die Rechte aus dem Urteil verzichtet hat und die Klage insoweit abzuweisen,
22 
hilfsweise von Amts wegen ein Gutachten über die Glaubhaftigkeit der Angaben der Zeugin R. Q. sowie der Klägerin bei dem Institut für Gerichtspsychologie B. bei der Diplom Psychologin S. J. von J. einzuholen,
23 
hilfsweise die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zum BSG zuzulassen.
24 
Die Klägerin beantragt,
25 
die Berufung zurückzuweisen.
26 
Sie hat darauf hingewiesen, dass das SG keineswegs ein sogenanntes Glaubwürdigkeitsgutachten eingeholt habe, sondern der Auftrag an den Gutachter habe gelautet, die Angaben der Klägerin als wahr zu unterstellen. Deswegen finde die zitierte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) nur bedingt Anwendung. Grundsätzlich sei es ureigene Aufgabe des Gerichts, die Glaubwürdigkeit von Zeugen und Parteien zu beurteilen.
27 
Die Klägerin hat dem Senat den Versicherungsverlauf der Klägerin, erstellt durch die Deutsche Rentenversicherung, sowie weitere ärztliche Befundberichte vorgelegt.
28 
Die Vorsitzende hat den Rechtsstreit mit den Beteiligten am 30. August 2011 erörtert. Der daraufhin von dem Beklagten gestellte Befangenheitsantrag gegen die Vorsitzende wurde mit Beschluss des Senats vom 26. Oktober 2011 zurückgewiesen.
29 
Der Senat hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vom 15. Dezember 2011 noch einmal befragt und ihre Schwester R. Q. als Zeugin vernommen. Hinsichtlich der Einzelheiten ihrer Angaben wird auf die Niederschrift verwiesen. Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung auf die Rechte aus dem Urteil vom 10.12.2010 insoweit verzichtet, als ein sexueller Missbrauch auch für die Zeit von 1961 bis 1964 geltend gemacht und soweit der Klägerin Versorgung zugesprochen wurde.
30 
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtskaten erster und zweiter Instanz sowie die von dem Beklagten vorgelegte Verwaltungsakte verwiesen.

Entscheidungsgründe

 
31 
Die nach den §§ 143 und 144 SGG statthafte und nach § 151 SGG form- und fristgemäß eingelegte sowie auch im Übrigen zulässige Berufung des Beklagten ist unbegründet. Das SG hat zu Recht einen Anspruch der Klägerin auf Anerkennung einer seelischen Störung im Sinne einer posttraumatischen Belastungsstörung sowie einer rezidivierenden depressiven Störung als Folge von vorsätzlichen rechtswidrigen Angriffen ihres Vaters in der Zeit von 1965 bis 1972 bejaht und den Bescheid der Beklagten vom 28. November 2006 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 8. Februar 2007 deshalb aufgehoben. Soweit im angefochtenen Urteil ein Missbrauch auch für die Zeit von 1961 bis 1964 festgestellt und der Klägerin wegen der Folgen Versorgung aus dem OEG ab dem 1. September 2006 nach einem GdS von 80 zuerkannt worden ist, hat die Klägerin auf die Rechte aus dem Urteil verzichtet.
32 
Streitbefangen ist, nachdem die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat insoweit auf die Rechte aus dem angefochtenen Urteil verzichtet hat, im Wege der kombinierten Anfechtungs- und Feststellungsklage gemäß § 54 Abs. 1 und § 55 Abs. 1 Nr. 3 SGG die gerichtliche Feststellung des Vorliegens vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriffe im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG. Denn nachdem der Beklagte die Gewährung von Leistungen insgesamt mit der Begründung abgelehnt hat, ein solcher Angriff liege nicht vor, ist vorliegend in Ermangelung einer vom Beklagten getroffenen Verwaltungsentscheidung über konkrete Entschädigungsleistungen ein gerichtlicher Leistungsausspruch auf Gewährung von (unbenannten) Versorgungsleistungen nicht zulässig (vgl. zur Verneinung eines Versicherungsfalls durch den Unfallversicherungsträger im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung BSG, Urteil vom 15.02.2005 - B 2 U 1/04 R; Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 4. Auflage, Seite 162-165). Vielmehr ist zunächst die in Rede stehende und vom Beklagten verneinte Voraussetzung möglicher Leistungsansprüche im Wege der Feststellungsklage zu klären. Einem auf Gewährung von Beschädigtenversorgung gerichteten Leistungs- oder Verpflichtungsantrag kommt bei dieser Sachlage keine eigenständige Bedeutung zu (vgl. BSG, Urteil vom 15.02.2005, a. a. O., Urteil vom 07.09.2004, B 2 U 45/03 R in SozR 4-2700 § 2 Nr. 2).
33 
Anspruchsgrundlage für das klägerische Begehren ist § 1 OEG.
34 
Die Klägerin hat einen Anspruch auf Feststellung, denn sie wurde auch zur Überzeugung des Senats Opfer eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs im Sinne des § 1 Abs. 1 OEG, da sie während des Zeitraums von 1965 bis 1972 von ihrem Vater in der elterlichen Wohnung sexuell missbraucht wurde. Das hat das SG ausführlich begründet und überzeugend dargelegt. Der Senat nimmt daher ergänzend auf die Entscheidungsgründe des sorgfältig begründeten Urteils nach § 153 Abs. 2 SGG Bezug.
35 
Gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG, wer im Geltungsbereich des OEG infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat. Über die Voraussetzung hinaus, dass der tätliche Angriff im strafrechtlichen Sinn rechtswidrig sein muss, bestimmt § 2 Abs. 1 Satz 1 OEG, dass Leistungen zu versagen sind, wenn der Geschädigte die Schädigung verursacht hat oder wenn es aus sonstigen, insbesondere in dem eigenen Verhalten des Antragstellers liegenden Gründen unbillig wäre, Entschädigung zu gewähren.
36 
Der Senat geht bei der Beurteilung einer Handlung als vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG und der Eingrenzung des schädigenden Vorgangs als erstem Glied der versorgungsrechtlichen Ursachenkette von folgenden Erwägungen aus (vgl. zum Folgenden auch BSG, Urteil vom 07.04.2011 - B 9 VG 2/10 R - SGb 2011, 329):
37 
Grundsätzlich ist der Rechtsbegriff des tätlichen Angriffs nach § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG unter Bezugnahme auf seine im Strafrecht gewonnene Bedeutung (§§ 113, 121 Strafgesetzbuch - StGB) auszulegen. Danach liegt ein tätlicher Angriff bei einer in feindseliger Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielenden gewaltsamen Einwirkung vor (BSG, Urteil vom 29.04.2010 - B 9 VG 1/09 R - SozR 4-3800 § 1 Nr. 17). Soweit eine "gewaltsame" Einwirkung vorausgesetzt wird, zeichnet sich der tätliche Angriff abweichend von dem im Strafrecht umstrittenen Gewaltbegriff im Sinne des § 240 StGB grundsätzlich durch eine körperliche Gewaltanwendung gegen eine Person aus, wirkt also körperlich (physisch) auf einen anderen ein; dies entspricht in etwa dem strafrechtlichen Begriffsverständnis der Gewalt im Sinne des § 113 Abs. 1 StGB als einer durch tätiges Handeln bewirkten Kraftäußerung, d.h. als tätiger Einsatz materieller Zwangsmittel, insbesondere körperlicher Kraft. Ein tätlicher Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG liegt im Regelfall bei einem gewaltsamen, handgreiflichen Vorgehen gegen eine Person vor, setzt jedoch nach seiner äußeren Gestalt nicht unbedingt ein aggressives Verhalten des Täters voraus (vgl. BSG, Urteile vom 18.10.1995 - 9 RVg 4/93 und 9 RVg 7/93 - SozR 3-3800 § 1 Nr. 6 bzw SozR 3-3800 § 1 Nr. 7 zum sexuellen Missbrauch an Kindern). Gewalttat im Sinne des OEG kann daher auch der "gewaltlose" sexuelle Missbrauch eines Kindes sein.
38 
Dabei müssen die von der Klägerin geltend gemachten Missbrauchshandlungen nachgewiesen, d.h. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bzw. mit einem so hohen Grad der Wahrscheinlichkeit festgestellt worden sein, dass kein vernünftiger Mensch noch zweifelt (vgl. BSG, Urteil vom 28.06.2000 - B 9 VG 3/99 R - SozR 3-3900 § 15 Nr. 3 m.w.N; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 9. Aufl. 2008, § 128 Rn 3b).
39 
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme vor dem Senat, insbesondere der Zeugenvernehmung ihrer Schwester in der mündlichen Verhandlung, ist der Senat davon überzeugt, dass die Klägerin von 1965 bis 1972 von ihrem Vater in der elterlichen Wohnung sexuell missbraucht worden ist. Keiner Entscheidung bedurfte, ob auch für die Zeit von 1961 bis 1964 entsprechende Missbrauchshandlungen nachgewiesen sind, nachdem die Klägerin insoweit auf ihre Rechte aus dem stattgebenden Urteil des SG verzichtet hat. Wie bereits das SG stützt sich der Senat auf die glaubhaften Angaben der Zeugin Q. sowie ihre schriftlichen Aussagen, die schriftlichen Angaben ihrer Mutter und die Einlassungen der Klägerin. Ob der Sachverständige Dr. Sch. bei der Einschätzung der Glaubwürdigkeit der Klägerin den wissenschaftlichen Anforderungen an aussagepsychologische Begutachtungen (Glaubhaftigkeitsgutachten) entsprochen hat, kommt es daher nicht an.
40 
Da der Senat seine Überzeugung anhand der Zeugenaussage wie des Akteninhalts getroffen hat, kann dahingestellt bleiben, ob bei der Glaubhaftigkeitsprüfung der klägerischen Angaben durch einen medizinischen Sachverständigen von der sogenannten Nullhypothese (BGH, Urteil vom 30. Juli 1999 - 1 StR 618/98 - BGHSt 45, 164) ausgegangen werden muss, wonach die Glaubhaftigkeit der spezifischen Aussage so lange zu negieren ist, bis die Negation mit den gesammelten Fakten nicht mehr vereinbar ist und weitere Hypothesen gebildet werden, in denen Möglichkeiten als Erklärung für eine - unterstellt - unwahre Aussage zu prüfen sind (so aber Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 30.06.2005 - L 15 VG 13/02 - zit. nach Juris). Der Senat weist indessen darauf hin, dass aus seiner Sicht erhebliche Zweifel an der Anwendbarkeit der Nullhypothese im sozialgerichtlichen Verfahren bestehen. Denn während im OEG der Grundsatz des § 15 KOVVfG, also eine Beweiserleichterung für das Opfer gilt, geht das strafgerichtliche Verfahren von der Unschuldsvermutung des Täters (in dubio pro reo) aus. Deswegen ist es auch aufgrund der Besonderheiten des Strafrechts gerechtfertigt, als Arbeitshypothese des im Strafverfahren erstatteten Gutachtens von der Unschuld des Täters auszugehen. Des Weiteren gestaltet sich die Gutachtenserstattung in beiden Verfahrensordnungen wesentlich anders; während im sozialgerichtlichen Verfahren der Sachverständige sein Gutachten allein aufgrund der Aktenlage und der Untersuchung der klägerischen Partei erstattet, ist der Sachverständige im Strafprozess während der kompletten Strafverhandlung anwesend, kann also ganz andere Momente - hier insbesondere den Eindruck vom Täter, aber auch von Tatzeugen - in die Begutachtung einfließen lassen, deren Ergebnis er erst am Ende der Hauptverhandlung dem erkennenden Gericht übermittelt.
41 
Der Senat konnte vorliegend entscheiden, ohne die von dem Beklagten beantragten Gutachten über die Glaubhaftigkeit der Angaben der Zeugin R. Q. sowie der Klägerin einzuholen. Denn die Würdigung von Aussagen nicht nur erwachsener, sondern auch kindlicher oder jugendlicher Zeugen gehört zum Wesen richterlicher Rechtsfindung und ist daher grundsätzlich dem Tatrichter anvertraut. Eine aussagepsychologische Begutachtung (Glaubhaftigkeitsgutachten) kommt nur in besonderen Ausnahmefällen in Betracht, nämlich wenn dem Gericht die Sachkunde für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit fehlt (BGHSt 45, 182). Die Einholung eines Glaubhaftigkeitsgutachtens kann nur geboten sein, wenn der Sachverhalt oder die Aussageperson solche Besonderheiten aufweist, die eine Sachkunde erfordern, die ein Richter normalerweise nicht hat (st.Rspr.; BGH, Beschluss vom 25.04.2006 - 1 StR 579/05 und BGH, Beschluss vom 22.06.2000 - 5 StR 209/00; zuletzt Saarländisches OLG, Urteil vom 13.07.2011 - 1 U 32/08 - jeweils zit. nach Juris). Das ist vorliegend nicht der Fall. Weder weisen die Aussagepersonen solche Besonderheiten auf, diese sind von dem Beklagten trotz dem ausdrücklichen Hinweis auf die Rechtsprechung auch nicht aufgezeigt worden, noch ist der Sachverhalt besonders gelagert, sondern kann im Kern durch die Beobachtungen einer Zeugin gestützt werden.
42 
Als aufgrund der Zeugenaussage nachgewiesene sexuelle Handlungen im Sinne eines Missbrauchs der Klägerin nimmt der Senat das Waschen der weiblichen Brust sowie die Vorgänge im elterlichen Schlafzimmer mit der beobachteten oralen Befriedigung an. Dabei muss nicht im Einzelnen jeder sexuelle Missbrauch in zeitlicher Hinsicht weiter konkretisiert werden, was gerade bei Sexualdelikten deliktstypisch im Nachhinein nicht mehr möglich ist (so auch LArbG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 20.07.2011 - 26 Sa 1269/10 - zit. nach Juris).
43 
Der Senat hält die Aussagen der Zeugin Q. für glaubhaft. Die Konstanzanalyse ihrer Aussage ergibt, dass die dem Vater vorgeworfenen Handlungen im Kern übereinstimmend dargestellt werden. Die Aussage erweist sich somit über die beiden Vernehmungen beim SG und LSG hinweg als konstant. Die kriterienorientierte Analyse der getätigten Aussage weist im Ergebnis deutliche Kennzeichen einer erlebnisbezogenen Darstellung auf, so z.B. die Schilderung des verdunkelten Zimmers und der Schlafgewohnheiten der unter beengten Verhältnissen lebenden Familie. Es finden sich in ihrer Aussage zudem Einzelheiten, wie der genaue Ablauf des Waschens der Brust ihrer Schwester, der Klägerin, ein Sachverhalt, der nicht nur von ihrer Mutter bestätigt wurde, sondern im Falle einer bewussten Falschbeschuldigung eher unwahrscheinlich ist. Sie hat sich nicht als suggestibel erwiesen und generell keinen besonderen Belastungseifer gezeigt, so nur den einen Vorfall oraler Befriedigung geschildert und auf wiederholte Nachfrage angegeben, dass sie nicht wusste, was ihr Vater so lange im Zimmer mit der Klägerin macht. Ihre Scham über das Erlebte hat sie dem Senat authentisch zu vermitteln vermocht. Die Zeugin hat auch keine Persönlichkeitsauffälligkeiten (etwa im Sinne histrionischer, geltungsbedürftiger Bestrebungen) gezeigt.
44 
Die Zeugin hat glaubhaft bereits in einem sehr frühen Verfahrensstadium, nämlich schriftlich am 16. Oktober 2006 geschildert, dass sie selbst gesehen hat, wie ihr Vater der Klägerin gegen ihren Willen die Brüste eingeseift und mit ihr bei dem „mittäglichen Schlafritual“ regelrecht verkeilt im Bett gelegen ist. Letztere Haltung lässt bereits ohne die konkrete Schilderung sexueller Handlungen Rückschlüsse auf sexuellen Missbrauch zu, denn bei einem reinen Mittagsschlaf liegen die Körper, schon um in Ruhe zu kommen, nebeneinander. Sie hat diese Angaben als Zeugin beim SG und in der Senatsverhandlung bestätigt. Insofern ist unbeachtlich, dass sie zunächst schriftlich angegeben hat, dass die Klägerin ihr nichts von einem Missbrauch erzählt hat, denn sie kannte ihn bereits aus eigener Anschauung. Dieser Umstand macht aber die Aussage der Klägerin, sie habe unter einer Amnesie gelitten, d.h. ihre Wahrnehmung habe an der Schlafzimmertür geendet, umso glaubhafter. Denn das erklärt, warum die Klägerin zunächst weder ihren Angehörigen - bis auf die Vorfalle mit dem Einseifen der Brust, die aber bereits von den anderen beobachtet wurden - wie den damals behandelnden Ärzten keine Missbrauchserlebnisse geschildert hat und auch nicht konnte.
45 
Dass der Beklagte darin keine sexuelle Handlung sehen will, weil das Einseifen in der Badewanne geschehen ist und der Vater im Bett angezogen war, ist aus Sicht des Senats lebensfremd. Denn die Zeugin hat nicht nur bestätigt, dass die Handlungen gegen den ausdrücklichen Willen der Klägerin geschehen sind. Der Beklagte hat auch unbeachtet gelassen, dass solche Handlungen vielleicht noch bei einem Kleinkind normal sein können, nicht aber bei einer Heranwachsenden mit sich entwickelnden Brüsten und Geschlechtsreife. Wenn es sich bei dieser Familie um eine normale Waschung oder den normalen Mittagsschlaf gehandelt hätte, so hätte der Vater auch das andere Kind, nämlich die Zeugin waschen und mit ins Bett nehmen müssen. Das hat aber die Zeugin auf Nachfrage ausdrücklich verneint. Die sexuelle Motivation des Vaters wird schließlich eindrucksvoll durch die schriftliche Einlassung der Mutter bestätigt, die, als sie ihren Mann zur Rede gestellt hat, sich von diesem sagen lassen musste, dass er mit seiner Tochter, der Klägerin, die Sachen machen kann, die er mit seiner Ehefrau nicht machen will.
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Dass die konkrete Begebenheit, dass die Klägerin den Penis ihres Vaters in den Mund nehmen musste, von der Zeugin erst während des gerichtlichen Verfahrens geschildert worden ist, macht ihre Angaben auch aus Sicht des Senats nicht insgesamt unglaubwürdig. Denn die Zeugin hat das Geschehen nicht nur so detailgetreu geschildert, dass sie den Vorgang selbst erlebt haben muss. Sie hat auch ein nachvollziehbares Motiv für ihre späte Aussage geschildert, nämlich die anfängliche Scham zum einen über die familiären Vorgänge überhaupt, dann aber die Schuldgefühle, darüber geschwiegen und damit den Missbrauch erst möglich gemacht zu haben. Diese Motivation erklärt auch hinlänglich die angeblichen Diskrepanzen in den Aussagen der Familienangehörigen.
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Die durch die beiden Zeuginnen, nämlich die Mutter und die Schwester, beschriebenen einzelnen Handlungen bestätigten die Angaben der Klägerin über den jahrelangen sexuellen Missbrauch durch ihren Vater insgesamt. Der Missbrauch ging naturgemäß mit einer engen Vater-Tochter-Beziehung einher (so auch Fachklinik H., Entlassungsbericht vom 19.06.1998, Bl. 32 V-Akte), was die Angaben aus Sicht des Senats deswegen aber nicht - wie der Beklagte meint - unglaubhaft macht. Vielmehr handelt es sich zur Überzeugung des Senats um das geradezu typische Umfeld, in dem Gewalt und sexuelle Übergriffe auf Kinder geschehen. Die Klägerin erinnert nunmehr auch die sexuellen Übergriffe ihres Vaters (Entlassungsbericht Fachklinik H., Bl. 29 V-Akte). So hat sie dem SG glaubhaft geschildert, dass sie, während sie zwischen den Beinen ihres Vaters lag, sein Glied nicht nur anfassen, sondern in den Mund nehmen musste. Dabei hat er ihren Kopf in beide Hände genommen und ihn dahin geführt, wo er ihn haben wollte. Hingegen ist ein Geschlechtsverkehr nicht nachgewiesen, die Klägerin kann einen solchen auch nicht erinnern. Der Umstand, dass die Klägerin solche Einzelheiten schildern kann und dabei genau abgrenzt, was sie nicht mehr weiß, belegt die Glaubhaftigkeit ihrer Angaben. Denn Aussagekonstanz und die fehlende Motivation, zu Unrecht zu belasten, sind gerade Kriterien für die Bewertung einer Aussage.
48 
Der fortgesetzte Missbrauch hat dann zu einer posttraumatischen Belastungsstörung wie einer andauernden Persönlichkeitsveränderung nach Extrembelastung geführt. Der Senat stützt sich insoweit auf das Gutachten von Dr. Sch., dessen Diagnostik in Übereinstimmung mit den Befunden der behandelnden Ärzte steht.
49 
Der Senat orientiert sich bei der Prüfung, welche gesundheitlichen Schäden Folge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs sind, an der seit 01.01.2009 an die Stelle der bis zum 31.12.2008 im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung als antizipierte Sachverständigengutachten angewandten (BSG, Urteil vom 23.06.1993 - 9/9a RVs 1/91 - BSGE 72, 285; BSG, Urteil vom 09.04.1997 - 9 RVs 4/95 - SozR 3-3870 § 4 Nr. 19; BSG, Urteil vom 18.09.2003 - B 9 SB 3/02 R - BSGE 190, 205; BSG, Urteil vom 29.08.1990 - 9a/9 RVs 7/89 - BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 1) Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2 SGB IX)“ (AHP) 2008 getretenen Anlage „Versorgungsmedizinische Grundsätze“ (VG) zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG (Versorgungsmedizin-Verordnung; VersMedV).
50 
Danach wird als Schädigungsfolge im sozialen Entschädigungsrecht jede Gesundheitsstörung bezeichnet, die in ursächlichem Zusammenhang mit einer Schädigung steht, die nach dem entsprechenden Gesetz zu berücksichtigen ist (VG Teil A Nr. 1 a) und ist Ursache im Sinne der Versorgungsgesetze die Bedingung im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg an dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt hat (VG Teil C Nr. 1 b Satz 1).
51 
Zu den Fakten, die vor der Beurteilung eines ursächlichen Zusammenhangs geklärt („voll bewiesen“) sein müssen, gehören der schädigende Vorgang (dazu siehe oben), die gesundheitliche Schädigung und die zu beurteilende Gesundheitsstörung (VG Teil C Nr. 2 a). Der schädigende Vorgang ist das Ereignis, das zu einer Gesundheitsschädigung führt (VG Teil C Nr. 2 b Satz 1 Halbsatz 1). Die gesundheitliche Schädigung ist die primäre Beeinträchtigung der Gesundheit durch den schädigenden Vorgang (VG Teil C Nr. 2 c Halbsatz 1). Zwischen dem schädigenden Vorgang und der Gesundheitsstörung muss eine nicht unterbrochene Kausalkette bestehen, die mit den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft und den ärztlichen Erfahrungen im Einklang steht. Dabei sind Brückensymptome oft notwendige Bindeglieder. Fehlen Brückensymptome, so ist die Zusammenhangsfrage besonders sorgfältig zu prüfen und die Stellungnahme anhand eindeutiger objektiver Befunde überzeugend wissenschaftlich zu begründen (VG Teil C Nr. 2 d Sätze 1 bis 3).
52 
Für die Annahme, dass eine Gesundheitsstörung Folge einer Schädigung ist, genügt versorgungsrechtlich die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs. Sie ist gegeben, wenn nach der geltenden medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang spricht (VG Teil C Nr. 3 a Sätze 1 und 2). Grundlage für die medizinische Beurteilung sind die von der herrschenden wissenschaftlichen Lehrmeinung vertretenen Erkenntnisse über Ätiologie und Pathogenese (VG Teil C Nr. 3 b Satz 1). Aus dem Umstand, dass der Zusammenhang der Gesundheitsstörung mit einem schädigenden Vorgang nach wissenschaftlicher Erkenntnis nicht ausgeschlossen werden kann, lässt sich nicht folgern, dass er darum wahrscheinlich sei. Ebenso wenig kann das Vorliegen einer Schädigungsfolge bejaht werden, wenn ein ursächlicher Zusammenhang nur möglich ist (VG Teil C Nr. 3 d Sätze 1 und 2).
53 
Unter Berücksichtigung der oben dargelegten Grundsätze ist der Senat ebenso wie das SG zu dem Ergebnis gelangt, dass die seelische Störung im Sinne einer posttraumatischen Belastungsstörung sowie einer rezidivierenden depressiven Störung Folge der vorsätzlichen rechtswidrigen Angriffe ihres Vaters in der Zeit von 1961 bis 1972 ist.
54 
Zur Anerkennung einer psychischen Störung als Folge eines tätlichen rechtswidrigen Angriffs ist eine exakte Diagnose der Krankheit nach einem der international anerkannten Diagnosesysteme erforderlich (so BSG, Urteil vom 09.05.2006 - B 2 U 1/05 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 17). Bei der Beurteilung der Frage, ob bei der Klägerin eine posttraumatische Belastungsstörung oder andauernde Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung vorliegt, berücksichtigt der Senat die Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme - 10. Revision - (ICD 10) und das Diagnostische und Statistische Manual psychischer Störungen - Textrevision - (DSM-IV-TR).
55 
Bei der posttraumatischen Belastungsstörung handelt es sich um eine Gesundheitsstörung nach ICD-10 F 43.1 beziehungsweise DSM-IV-TR 309.81.
56 
Typische Merkmale im Rahmen einer posttraumatischen Belastungsstörung sind danach das wiederholte Erleben des Traumas in sich aufdrängenden Erinnerungen (Nachhallerinnerungen, Flashbacks), Träumen oder Alpträumen, die vor dem Hintergrund eines andauernden Gefühls von Betäubtsein und emotionaler Stumpfheit auftreten. Ferner finden sich Gleichgültigkeit gegenüber anderen Menschen, Teilnahmslosigkeit der Umgebung gegenüber, Freudlosigkeit sowie Vermeidung von Aktivitäten und Situationen, die Erinnerungen an das Trauma wachrufen könnten. Meist tritt ein Zustand von vegetativer Übererregtheit mit Vigilanzsteigerung, einer übermäßigen Schreckhaftigkeit und Schlafstörung auf. Angst und Depression sind häufig mit den genannten Symptomen und Merkmalen assoziiert und Suizidgedanken sind nicht selten (vgl. BSG, Urteil vom 09.05.2006 - B 2 U 40/05 R - a.a.O.).
57 
Unter Zugrundelegung dieser Kriterien ist die erforderliche Belastung katastrophalen Ausmaßes in dem jahrelangen fortgesetzten sexuellen Missbrauch bereits als kleines Kind zu sehen, der bei der Klägerin zu einer erheblichen Störung ihrer Sexualität und letztlich dazu geführt hat, dass sie nicht nur andauernder Medikation und ärztlicher Hilfe bedarf, sondern weder in Beziehungen noch im Berufsleben Fuß fassen konnte. Dr. Sch. hat in diesem Zusammenhang ein ausgeprägtes Misstrauen bis hin zur Vermeidung sozialer Kontakte aufgrund der traumatischen Beziehungserfahrungen beschrieben. Sie leidet an einer gestörten Affektregulation bei Suizidalität, Risikoverhalten und fremdaggressiven Verhalten, so dass das Krankheitsbild deswegen diagnostisch genau von der Borderline-Störung abgegrenzt werden kann. Auch die früher diskutierte Schizophrenie oder affektive Psychose mit den typischen Symptomen haben sich, wie Dr. Sch. herausgearbeitet hat, im jahrzehntelangen Verlauf nicht bestätigen lassen. Auch insoweit geht der Einwand des Beklagten fehl. Dabei war für den Senat auch von maßgebender Bedeutung, dass die Klägerin schon in sehr frühem Alter erstmals psychisch auffällig wurde, nämlich bemerkenswerterweise im Zusammenhang mit dem ersten Geschlechtsverkehr mit ihrem damaligen Freund. Der Senat entnimmt das dem Arztbericht vom 15. Oktober 1976, in dem die Klägerin als infantil („wie eine Schülerin“) geschildert wird, die beim Thema Geschlechtsverkehr rot wird, aufspringt und weinend das Zimmer verlässt, was in der damaligen Zeit und bei dem Lebensalter der Klägerin höchst ungewöhnlich war und deswegen auch zu der Therapieempfehlung in einer Psychosomatischen Klinik geführt hat. Dass damals und in der Folgezeit die Fehldiagnose einer konversationsneurotischen Symptomatik gestellt wurde, ist aus Sicht des Senats hinlänglich durch den Psychotherapeuten H. erklärt worden. Die Richtigkeit seiner Einschätzung wird aus Sicht des Senats dadurch belegt, dass die Klägerin auch noch bei dem Sachverständigen Dr. Sch. ihre körperlichen und psychischen Beschwerden in keiner Weise demonstrativ verdeutlichte, es an jeglichem „zweckgerichteten Verhalten“ fehlen ließ, sondern sich bemühte einen die Situation beherrschenden Eindruck zu hinterlassen, was aber deutlich als Schutz- und Abwehrmechanismus zu erkennen war.
58 
Dass mit hinreichender Wahrscheinlichkeit die Erkrankung der Klägerin im Sinne der Alleinverursachung auf die beschriebenen Gewaltvorfälle in Kindheit und Jugend zurückgeführt werden kam, hat der Sachverständige Dr. Sch. auch zur Überzeugung des Senats nachvollziehbar dargelegt. Soweit der Beklagte bemängelt hat, dass er sich mit Alternativursachen nicht ausreichend auseinander gesetzt hat, so übersieht der Beklagte bereits, dass die Klägerin andere ähnlich traumatisierende Erfahrungen in ihren beiden Ehen nicht gehabt und demzufolge auch niemals geschildert hat. Vielmehr ist die Aidserkrankung bei ihrem zweiten Mann nicht ausgebrochen, sie kann auch heute noch täglich telefonischen Umgang mit ihm pflegen. Außerdem war die Klägerin bereits psychisch vor ihren Ehen auffällig, die Otosklerose ist erst weit nach der posttraumatischen Belastungsstörung diagnostiziert worden.
59 
Bei der andauernden Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung handelt es sich um eine Gesundheitsstörung nach ICD-10 F 62.0. Eine entsprechende Kodierung im DSM-IV-TR ist nicht erfolgt. In DSM-IV-TR sind diverse Arten von Persönlichkeitsstörungen, allerdings nicht eine solche nach Extrembelastung, definiert. In DSM-IV-TR 301.9 ist die „nicht näher bezeichnete Persönlichkeitsstörung“ beschrieben. Hierzu wird ausgeführt, es sei auch die Vergabe einer spezifischen Diagnose nach ICD-10 F 61 oder 62 zu erwägen (Saß, Wittchen, Zaudig, Houben; Diagnostische Kriterien DSM-IV-TR, S. 35 und 265).
60 
Der Senat hat in Auswertung des Sachverständigengutachtens auch keine Zweifel daran, dass bei der Klägerin eine andauernde Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung vorliegt.
61 
Die Berufung war daher zurückzuweisen, wobei die Kostenentscheidung auf § 193 SGG beruht. Hierbei fiel die Verurteilung des Beklagten zu einer Leistung, auf die die Klägerin in der Senatsverhandlung verzichtet hat, kostenmäßig nicht ins Gewicht, so dass der Senat von einer Kostenquotelung abgesehen hat.
62 
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.

Gründe

 
31 
Die nach den §§ 143 und 144 SGG statthafte und nach § 151 SGG form- und fristgemäß eingelegte sowie auch im Übrigen zulässige Berufung des Beklagten ist unbegründet. Das SG hat zu Recht einen Anspruch der Klägerin auf Anerkennung einer seelischen Störung im Sinne einer posttraumatischen Belastungsstörung sowie einer rezidivierenden depressiven Störung als Folge von vorsätzlichen rechtswidrigen Angriffen ihres Vaters in der Zeit von 1965 bis 1972 bejaht und den Bescheid der Beklagten vom 28. November 2006 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 8. Februar 2007 deshalb aufgehoben. Soweit im angefochtenen Urteil ein Missbrauch auch für die Zeit von 1961 bis 1964 festgestellt und der Klägerin wegen der Folgen Versorgung aus dem OEG ab dem 1. September 2006 nach einem GdS von 80 zuerkannt worden ist, hat die Klägerin auf die Rechte aus dem Urteil verzichtet.
32 
Streitbefangen ist, nachdem die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat insoweit auf die Rechte aus dem angefochtenen Urteil verzichtet hat, im Wege der kombinierten Anfechtungs- und Feststellungsklage gemäß § 54 Abs. 1 und § 55 Abs. 1 Nr. 3 SGG die gerichtliche Feststellung des Vorliegens vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriffe im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG. Denn nachdem der Beklagte die Gewährung von Leistungen insgesamt mit der Begründung abgelehnt hat, ein solcher Angriff liege nicht vor, ist vorliegend in Ermangelung einer vom Beklagten getroffenen Verwaltungsentscheidung über konkrete Entschädigungsleistungen ein gerichtlicher Leistungsausspruch auf Gewährung von (unbenannten) Versorgungsleistungen nicht zulässig (vgl. zur Verneinung eines Versicherungsfalls durch den Unfallversicherungsträger im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung BSG, Urteil vom 15.02.2005 - B 2 U 1/04 R; Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 4. Auflage, Seite 162-165). Vielmehr ist zunächst die in Rede stehende und vom Beklagten verneinte Voraussetzung möglicher Leistungsansprüche im Wege der Feststellungsklage zu klären. Einem auf Gewährung von Beschädigtenversorgung gerichteten Leistungs- oder Verpflichtungsantrag kommt bei dieser Sachlage keine eigenständige Bedeutung zu (vgl. BSG, Urteil vom 15.02.2005, a. a. O., Urteil vom 07.09.2004, B 2 U 45/03 R in SozR 4-2700 § 2 Nr. 2).
33 
Anspruchsgrundlage für das klägerische Begehren ist § 1 OEG.
34 
Die Klägerin hat einen Anspruch auf Feststellung, denn sie wurde auch zur Überzeugung des Senats Opfer eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs im Sinne des § 1 Abs. 1 OEG, da sie während des Zeitraums von 1965 bis 1972 von ihrem Vater in der elterlichen Wohnung sexuell missbraucht wurde. Das hat das SG ausführlich begründet und überzeugend dargelegt. Der Senat nimmt daher ergänzend auf die Entscheidungsgründe des sorgfältig begründeten Urteils nach § 153 Abs. 2 SGG Bezug.
35 
Gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG, wer im Geltungsbereich des OEG infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat. Über die Voraussetzung hinaus, dass der tätliche Angriff im strafrechtlichen Sinn rechtswidrig sein muss, bestimmt § 2 Abs. 1 Satz 1 OEG, dass Leistungen zu versagen sind, wenn der Geschädigte die Schädigung verursacht hat oder wenn es aus sonstigen, insbesondere in dem eigenen Verhalten des Antragstellers liegenden Gründen unbillig wäre, Entschädigung zu gewähren.
36 
Der Senat geht bei der Beurteilung einer Handlung als vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG und der Eingrenzung des schädigenden Vorgangs als erstem Glied der versorgungsrechtlichen Ursachenkette von folgenden Erwägungen aus (vgl. zum Folgenden auch BSG, Urteil vom 07.04.2011 - B 9 VG 2/10 R - SGb 2011, 329):
37 
Grundsätzlich ist der Rechtsbegriff des tätlichen Angriffs nach § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG unter Bezugnahme auf seine im Strafrecht gewonnene Bedeutung (§§ 113, 121 Strafgesetzbuch - StGB) auszulegen. Danach liegt ein tätlicher Angriff bei einer in feindseliger Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielenden gewaltsamen Einwirkung vor (BSG, Urteil vom 29.04.2010 - B 9 VG 1/09 R - SozR 4-3800 § 1 Nr. 17). Soweit eine "gewaltsame" Einwirkung vorausgesetzt wird, zeichnet sich der tätliche Angriff abweichend von dem im Strafrecht umstrittenen Gewaltbegriff im Sinne des § 240 StGB grundsätzlich durch eine körperliche Gewaltanwendung gegen eine Person aus, wirkt also körperlich (physisch) auf einen anderen ein; dies entspricht in etwa dem strafrechtlichen Begriffsverständnis der Gewalt im Sinne des § 113 Abs. 1 StGB als einer durch tätiges Handeln bewirkten Kraftäußerung, d.h. als tätiger Einsatz materieller Zwangsmittel, insbesondere körperlicher Kraft. Ein tätlicher Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG liegt im Regelfall bei einem gewaltsamen, handgreiflichen Vorgehen gegen eine Person vor, setzt jedoch nach seiner äußeren Gestalt nicht unbedingt ein aggressives Verhalten des Täters voraus (vgl. BSG, Urteile vom 18.10.1995 - 9 RVg 4/93 und 9 RVg 7/93 - SozR 3-3800 § 1 Nr. 6 bzw SozR 3-3800 § 1 Nr. 7 zum sexuellen Missbrauch an Kindern). Gewalttat im Sinne des OEG kann daher auch der "gewaltlose" sexuelle Missbrauch eines Kindes sein.
38 
Dabei müssen die von der Klägerin geltend gemachten Missbrauchshandlungen nachgewiesen, d.h. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bzw. mit einem so hohen Grad der Wahrscheinlichkeit festgestellt worden sein, dass kein vernünftiger Mensch noch zweifelt (vgl. BSG, Urteil vom 28.06.2000 - B 9 VG 3/99 R - SozR 3-3900 § 15 Nr. 3 m.w.N; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 9. Aufl. 2008, § 128 Rn 3b).
39 
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme vor dem Senat, insbesondere der Zeugenvernehmung ihrer Schwester in der mündlichen Verhandlung, ist der Senat davon überzeugt, dass die Klägerin von 1965 bis 1972 von ihrem Vater in der elterlichen Wohnung sexuell missbraucht worden ist. Keiner Entscheidung bedurfte, ob auch für die Zeit von 1961 bis 1964 entsprechende Missbrauchshandlungen nachgewiesen sind, nachdem die Klägerin insoweit auf ihre Rechte aus dem stattgebenden Urteil des SG verzichtet hat. Wie bereits das SG stützt sich der Senat auf die glaubhaften Angaben der Zeugin Q. sowie ihre schriftlichen Aussagen, die schriftlichen Angaben ihrer Mutter und die Einlassungen der Klägerin. Ob der Sachverständige Dr. Sch. bei der Einschätzung der Glaubwürdigkeit der Klägerin den wissenschaftlichen Anforderungen an aussagepsychologische Begutachtungen (Glaubhaftigkeitsgutachten) entsprochen hat, kommt es daher nicht an.
40 
Da der Senat seine Überzeugung anhand der Zeugenaussage wie des Akteninhalts getroffen hat, kann dahingestellt bleiben, ob bei der Glaubhaftigkeitsprüfung der klägerischen Angaben durch einen medizinischen Sachverständigen von der sogenannten Nullhypothese (BGH, Urteil vom 30. Juli 1999 - 1 StR 618/98 - BGHSt 45, 164) ausgegangen werden muss, wonach die Glaubhaftigkeit der spezifischen Aussage so lange zu negieren ist, bis die Negation mit den gesammelten Fakten nicht mehr vereinbar ist und weitere Hypothesen gebildet werden, in denen Möglichkeiten als Erklärung für eine - unterstellt - unwahre Aussage zu prüfen sind (so aber Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 30.06.2005 - L 15 VG 13/02 - zit. nach Juris). Der Senat weist indessen darauf hin, dass aus seiner Sicht erhebliche Zweifel an der Anwendbarkeit der Nullhypothese im sozialgerichtlichen Verfahren bestehen. Denn während im OEG der Grundsatz des § 15 KOVVfG, also eine Beweiserleichterung für das Opfer gilt, geht das strafgerichtliche Verfahren von der Unschuldsvermutung des Täters (in dubio pro reo) aus. Deswegen ist es auch aufgrund der Besonderheiten des Strafrechts gerechtfertigt, als Arbeitshypothese des im Strafverfahren erstatteten Gutachtens von der Unschuld des Täters auszugehen. Des Weiteren gestaltet sich die Gutachtenserstattung in beiden Verfahrensordnungen wesentlich anders; während im sozialgerichtlichen Verfahren der Sachverständige sein Gutachten allein aufgrund der Aktenlage und der Untersuchung der klägerischen Partei erstattet, ist der Sachverständige im Strafprozess während der kompletten Strafverhandlung anwesend, kann also ganz andere Momente - hier insbesondere den Eindruck vom Täter, aber auch von Tatzeugen - in die Begutachtung einfließen lassen, deren Ergebnis er erst am Ende der Hauptverhandlung dem erkennenden Gericht übermittelt.
41 
Der Senat konnte vorliegend entscheiden, ohne die von dem Beklagten beantragten Gutachten über die Glaubhaftigkeit der Angaben der Zeugin R. Q. sowie der Klägerin einzuholen. Denn die Würdigung von Aussagen nicht nur erwachsener, sondern auch kindlicher oder jugendlicher Zeugen gehört zum Wesen richterlicher Rechtsfindung und ist daher grundsätzlich dem Tatrichter anvertraut. Eine aussagepsychologische Begutachtung (Glaubhaftigkeitsgutachten) kommt nur in besonderen Ausnahmefällen in Betracht, nämlich wenn dem Gericht die Sachkunde für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit fehlt (BGHSt 45, 182). Die Einholung eines Glaubhaftigkeitsgutachtens kann nur geboten sein, wenn der Sachverhalt oder die Aussageperson solche Besonderheiten aufweist, die eine Sachkunde erfordern, die ein Richter normalerweise nicht hat (st.Rspr.; BGH, Beschluss vom 25.04.2006 - 1 StR 579/05 und BGH, Beschluss vom 22.06.2000 - 5 StR 209/00; zuletzt Saarländisches OLG, Urteil vom 13.07.2011 - 1 U 32/08 - jeweils zit. nach Juris). Das ist vorliegend nicht der Fall. Weder weisen die Aussagepersonen solche Besonderheiten auf, diese sind von dem Beklagten trotz dem ausdrücklichen Hinweis auf die Rechtsprechung auch nicht aufgezeigt worden, noch ist der Sachverhalt besonders gelagert, sondern kann im Kern durch die Beobachtungen einer Zeugin gestützt werden.
42 
Als aufgrund der Zeugenaussage nachgewiesene sexuelle Handlungen im Sinne eines Missbrauchs der Klägerin nimmt der Senat das Waschen der weiblichen Brust sowie die Vorgänge im elterlichen Schlafzimmer mit der beobachteten oralen Befriedigung an. Dabei muss nicht im Einzelnen jeder sexuelle Missbrauch in zeitlicher Hinsicht weiter konkretisiert werden, was gerade bei Sexualdelikten deliktstypisch im Nachhinein nicht mehr möglich ist (so auch LArbG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 20.07.2011 - 26 Sa 1269/10 - zit. nach Juris).
43 
Der Senat hält die Aussagen der Zeugin Q. für glaubhaft. Die Konstanzanalyse ihrer Aussage ergibt, dass die dem Vater vorgeworfenen Handlungen im Kern übereinstimmend dargestellt werden. Die Aussage erweist sich somit über die beiden Vernehmungen beim SG und LSG hinweg als konstant. Die kriterienorientierte Analyse der getätigten Aussage weist im Ergebnis deutliche Kennzeichen einer erlebnisbezogenen Darstellung auf, so z.B. die Schilderung des verdunkelten Zimmers und der Schlafgewohnheiten der unter beengten Verhältnissen lebenden Familie. Es finden sich in ihrer Aussage zudem Einzelheiten, wie der genaue Ablauf des Waschens der Brust ihrer Schwester, der Klägerin, ein Sachverhalt, der nicht nur von ihrer Mutter bestätigt wurde, sondern im Falle einer bewussten Falschbeschuldigung eher unwahrscheinlich ist. Sie hat sich nicht als suggestibel erwiesen und generell keinen besonderen Belastungseifer gezeigt, so nur den einen Vorfall oraler Befriedigung geschildert und auf wiederholte Nachfrage angegeben, dass sie nicht wusste, was ihr Vater so lange im Zimmer mit der Klägerin macht. Ihre Scham über das Erlebte hat sie dem Senat authentisch zu vermitteln vermocht. Die Zeugin hat auch keine Persönlichkeitsauffälligkeiten (etwa im Sinne histrionischer, geltungsbedürftiger Bestrebungen) gezeigt.
44 
Die Zeugin hat glaubhaft bereits in einem sehr frühen Verfahrensstadium, nämlich schriftlich am 16. Oktober 2006 geschildert, dass sie selbst gesehen hat, wie ihr Vater der Klägerin gegen ihren Willen die Brüste eingeseift und mit ihr bei dem „mittäglichen Schlafritual“ regelrecht verkeilt im Bett gelegen ist. Letztere Haltung lässt bereits ohne die konkrete Schilderung sexueller Handlungen Rückschlüsse auf sexuellen Missbrauch zu, denn bei einem reinen Mittagsschlaf liegen die Körper, schon um in Ruhe zu kommen, nebeneinander. Sie hat diese Angaben als Zeugin beim SG und in der Senatsverhandlung bestätigt. Insofern ist unbeachtlich, dass sie zunächst schriftlich angegeben hat, dass die Klägerin ihr nichts von einem Missbrauch erzählt hat, denn sie kannte ihn bereits aus eigener Anschauung. Dieser Umstand macht aber die Aussage der Klägerin, sie habe unter einer Amnesie gelitten, d.h. ihre Wahrnehmung habe an der Schlafzimmertür geendet, umso glaubhafter. Denn das erklärt, warum die Klägerin zunächst weder ihren Angehörigen - bis auf die Vorfalle mit dem Einseifen der Brust, die aber bereits von den anderen beobachtet wurden - wie den damals behandelnden Ärzten keine Missbrauchserlebnisse geschildert hat und auch nicht konnte.
45 
Dass der Beklagte darin keine sexuelle Handlung sehen will, weil das Einseifen in der Badewanne geschehen ist und der Vater im Bett angezogen war, ist aus Sicht des Senats lebensfremd. Denn die Zeugin hat nicht nur bestätigt, dass die Handlungen gegen den ausdrücklichen Willen der Klägerin geschehen sind. Der Beklagte hat auch unbeachtet gelassen, dass solche Handlungen vielleicht noch bei einem Kleinkind normal sein können, nicht aber bei einer Heranwachsenden mit sich entwickelnden Brüsten und Geschlechtsreife. Wenn es sich bei dieser Familie um eine normale Waschung oder den normalen Mittagsschlaf gehandelt hätte, so hätte der Vater auch das andere Kind, nämlich die Zeugin waschen und mit ins Bett nehmen müssen. Das hat aber die Zeugin auf Nachfrage ausdrücklich verneint. Die sexuelle Motivation des Vaters wird schließlich eindrucksvoll durch die schriftliche Einlassung der Mutter bestätigt, die, als sie ihren Mann zur Rede gestellt hat, sich von diesem sagen lassen musste, dass er mit seiner Tochter, der Klägerin, die Sachen machen kann, die er mit seiner Ehefrau nicht machen will.
46 
Dass die konkrete Begebenheit, dass die Klägerin den Penis ihres Vaters in den Mund nehmen musste, von der Zeugin erst während des gerichtlichen Verfahrens geschildert worden ist, macht ihre Angaben auch aus Sicht des Senats nicht insgesamt unglaubwürdig. Denn die Zeugin hat das Geschehen nicht nur so detailgetreu geschildert, dass sie den Vorgang selbst erlebt haben muss. Sie hat auch ein nachvollziehbares Motiv für ihre späte Aussage geschildert, nämlich die anfängliche Scham zum einen über die familiären Vorgänge überhaupt, dann aber die Schuldgefühle, darüber geschwiegen und damit den Missbrauch erst möglich gemacht zu haben. Diese Motivation erklärt auch hinlänglich die angeblichen Diskrepanzen in den Aussagen der Familienangehörigen.
47 
Die durch die beiden Zeuginnen, nämlich die Mutter und die Schwester, beschriebenen einzelnen Handlungen bestätigten die Angaben der Klägerin über den jahrelangen sexuellen Missbrauch durch ihren Vater insgesamt. Der Missbrauch ging naturgemäß mit einer engen Vater-Tochter-Beziehung einher (so auch Fachklinik H., Entlassungsbericht vom 19.06.1998, Bl. 32 V-Akte), was die Angaben aus Sicht des Senats deswegen aber nicht - wie der Beklagte meint - unglaubhaft macht. Vielmehr handelt es sich zur Überzeugung des Senats um das geradezu typische Umfeld, in dem Gewalt und sexuelle Übergriffe auf Kinder geschehen. Die Klägerin erinnert nunmehr auch die sexuellen Übergriffe ihres Vaters (Entlassungsbericht Fachklinik H., Bl. 29 V-Akte). So hat sie dem SG glaubhaft geschildert, dass sie, während sie zwischen den Beinen ihres Vaters lag, sein Glied nicht nur anfassen, sondern in den Mund nehmen musste. Dabei hat er ihren Kopf in beide Hände genommen und ihn dahin geführt, wo er ihn haben wollte. Hingegen ist ein Geschlechtsverkehr nicht nachgewiesen, die Klägerin kann einen solchen auch nicht erinnern. Der Umstand, dass die Klägerin solche Einzelheiten schildern kann und dabei genau abgrenzt, was sie nicht mehr weiß, belegt die Glaubhaftigkeit ihrer Angaben. Denn Aussagekonstanz und die fehlende Motivation, zu Unrecht zu belasten, sind gerade Kriterien für die Bewertung einer Aussage.
48 
Der fortgesetzte Missbrauch hat dann zu einer posttraumatischen Belastungsstörung wie einer andauernden Persönlichkeitsveränderung nach Extrembelastung geführt. Der Senat stützt sich insoweit auf das Gutachten von Dr. Sch., dessen Diagnostik in Übereinstimmung mit den Befunden der behandelnden Ärzte steht.
49 
Der Senat orientiert sich bei der Prüfung, welche gesundheitlichen Schäden Folge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs sind, an der seit 01.01.2009 an die Stelle der bis zum 31.12.2008 im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung als antizipierte Sachverständigengutachten angewandten (BSG, Urteil vom 23.06.1993 - 9/9a RVs 1/91 - BSGE 72, 285; BSG, Urteil vom 09.04.1997 - 9 RVs 4/95 - SozR 3-3870 § 4 Nr. 19; BSG, Urteil vom 18.09.2003 - B 9 SB 3/02 R - BSGE 190, 205; BSG, Urteil vom 29.08.1990 - 9a/9 RVs 7/89 - BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 1) Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2 SGB IX)“ (AHP) 2008 getretenen Anlage „Versorgungsmedizinische Grundsätze“ (VG) zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG (Versorgungsmedizin-Verordnung; VersMedV).
50 
Danach wird als Schädigungsfolge im sozialen Entschädigungsrecht jede Gesundheitsstörung bezeichnet, die in ursächlichem Zusammenhang mit einer Schädigung steht, die nach dem entsprechenden Gesetz zu berücksichtigen ist (VG Teil A Nr. 1 a) und ist Ursache im Sinne der Versorgungsgesetze die Bedingung im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg an dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt hat (VG Teil C Nr. 1 b Satz 1).
51 
Zu den Fakten, die vor der Beurteilung eines ursächlichen Zusammenhangs geklärt („voll bewiesen“) sein müssen, gehören der schädigende Vorgang (dazu siehe oben), die gesundheitliche Schädigung und die zu beurteilende Gesundheitsstörung (VG Teil C Nr. 2 a). Der schädigende Vorgang ist das Ereignis, das zu einer Gesundheitsschädigung führt (VG Teil C Nr. 2 b Satz 1 Halbsatz 1). Die gesundheitliche Schädigung ist die primäre Beeinträchtigung der Gesundheit durch den schädigenden Vorgang (VG Teil C Nr. 2 c Halbsatz 1). Zwischen dem schädigenden Vorgang und der Gesundheitsstörung muss eine nicht unterbrochene Kausalkette bestehen, die mit den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft und den ärztlichen Erfahrungen im Einklang steht. Dabei sind Brückensymptome oft notwendige Bindeglieder. Fehlen Brückensymptome, so ist die Zusammenhangsfrage besonders sorgfältig zu prüfen und die Stellungnahme anhand eindeutiger objektiver Befunde überzeugend wissenschaftlich zu begründen (VG Teil C Nr. 2 d Sätze 1 bis 3).
52 
Für die Annahme, dass eine Gesundheitsstörung Folge einer Schädigung ist, genügt versorgungsrechtlich die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs. Sie ist gegeben, wenn nach der geltenden medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang spricht (VG Teil C Nr. 3 a Sätze 1 und 2). Grundlage für die medizinische Beurteilung sind die von der herrschenden wissenschaftlichen Lehrmeinung vertretenen Erkenntnisse über Ätiologie und Pathogenese (VG Teil C Nr. 3 b Satz 1). Aus dem Umstand, dass der Zusammenhang der Gesundheitsstörung mit einem schädigenden Vorgang nach wissenschaftlicher Erkenntnis nicht ausgeschlossen werden kann, lässt sich nicht folgern, dass er darum wahrscheinlich sei. Ebenso wenig kann das Vorliegen einer Schädigungsfolge bejaht werden, wenn ein ursächlicher Zusammenhang nur möglich ist (VG Teil C Nr. 3 d Sätze 1 und 2).
53 
Unter Berücksichtigung der oben dargelegten Grundsätze ist der Senat ebenso wie das SG zu dem Ergebnis gelangt, dass die seelische Störung im Sinne einer posttraumatischen Belastungsstörung sowie einer rezidivierenden depressiven Störung Folge der vorsätzlichen rechtswidrigen Angriffe ihres Vaters in der Zeit von 1961 bis 1972 ist.
54 
Zur Anerkennung einer psychischen Störung als Folge eines tätlichen rechtswidrigen Angriffs ist eine exakte Diagnose der Krankheit nach einem der international anerkannten Diagnosesysteme erforderlich (so BSG, Urteil vom 09.05.2006 - B 2 U 1/05 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 17). Bei der Beurteilung der Frage, ob bei der Klägerin eine posttraumatische Belastungsstörung oder andauernde Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung vorliegt, berücksichtigt der Senat die Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme - 10. Revision - (ICD 10) und das Diagnostische und Statistische Manual psychischer Störungen - Textrevision - (DSM-IV-TR).
55 
Bei der posttraumatischen Belastungsstörung handelt es sich um eine Gesundheitsstörung nach ICD-10 F 43.1 beziehungsweise DSM-IV-TR 309.81.
56 
Typische Merkmale im Rahmen einer posttraumatischen Belastungsstörung sind danach das wiederholte Erleben des Traumas in sich aufdrängenden Erinnerungen (Nachhallerinnerungen, Flashbacks), Träumen oder Alpträumen, die vor dem Hintergrund eines andauernden Gefühls von Betäubtsein und emotionaler Stumpfheit auftreten. Ferner finden sich Gleichgültigkeit gegenüber anderen Menschen, Teilnahmslosigkeit der Umgebung gegenüber, Freudlosigkeit sowie Vermeidung von Aktivitäten und Situationen, die Erinnerungen an das Trauma wachrufen könnten. Meist tritt ein Zustand von vegetativer Übererregtheit mit Vigilanzsteigerung, einer übermäßigen Schreckhaftigkeit und Schlafstörung auf. Angst und Depression sind häufig mit den genannten Symptomen und Merkmalen assoziiert und Suizidgedanken sind nicht selten (vgl. BSG, Urteil vom 09.05.2006 - B 2 U 40/05 R - a.a.O.).
57 
Unter Zugrundelegung dieser Kriterien ist die erforderliche Belastung katastrophalen Ausmaßes in dem jahrelangen fortgesetzten sexuellen Missbrauch bereits als kleines Kind zu sehen, der bei der Klägerin zu einer erheblichen Störung ihrer Sexualität und letztlich dazu geführt hat, dass sie nicht nur andauernder Medikation und ärztlicher Hilfe bedarf, sondern weder in Beziehungen noch im Berufsleben Fuß fassen konnte. Dr. Sch. hat in diesem Zusammenhang ein ausgeprägtes Misstrauen bis hin zur Vermeidung sozialer Kontakte aufgrund der traumatischen Beziehungserfahrungen beschrieben. Sie leidet an einer gestörten Affektregulation bei Suizidalität, Risikoverhalten und fremdaggressiven Verhalten, so dass das Krankheitsbild deswegen diagnostisch genau von der Borderline-Störung abgegrenzt werden kann. Auch die früher diskutierte Schizophrenie oder affektive Psychose mit den typischen Symptomen haben sich, wie Dr. Sch. herausgearbeitet hat, im jahrzehntelangen Verlauf nicht bestätigen lassen. Auch insoweit geht der Einwand des Beklagten fehl. Dabei war für den Senat auch von maßgebender Bedeutung, dass die Klägerin schon in sehr frühem Alter erstmals psychisch auffällig wurde, nämlich bemerkenswerterweise im Zusammenhang mit dem ersten Geschlechtsverkehr mit ihrem damaligen Freund. Der Senat entnimmt das dem Arztbericht vom 15. Oktober 1976, in dem die Klägerin als infantil („wie eine Schülerin“) geschildert wird, die beim Thema Geschlechtsverkehr rot wird, aufspringt und weinend das Zimmer verlässt, was in der damaligen Zeit und bei dem Lebensalter der Klägerin höchst ungewöhnlich war und deswegen auch zu der Therapieempfehlung in einer Psychosomatischen Klinik geführt hat. Dass damals und in der Folgezeit die Fehldiagnose einer konversationsneurotischen Symptomatik gestellt wurde, ist aus Sicht des Senats hinlänglich durch den Psychotherapeuten H. erklärt worden. Die Richtigkeit seiner Einschätzung wird aus Sicht des Senats dadurch belegt, dass die Klägerin auch noch bei dem Sachverständigen Dr. Sch. ihre körperlichen und psychischen Beschwerden in keiner Weise demonstrativ verdeutlichte, es an jeglichem „zweckgerichteten Verhalten“ fehlen ließ, sondern sich bemühte einen die Situation beherrschenden Eindruck zu hinterlassen, was aber deutlich als Schutz- und Abwehrmechanismus zu erkennen war.
58 
Dass mit hinreichender Wahrscheinlichkeit die Erkrankung der Klägerin im Sinne der Alleinverursachung auf die beschriebenen Gewaltvorfälle in Kindheit und Jugend zurückgeführt werden kam, hat der Sachverständige Dr. Sch. auch zur Überzeugung des Senats nachvollziehbar dargelegt. Soweit der Beklagte bemängelt hat, dass er sich mit Alternativursachen nicht ausreichend auseinander gesetzt hat, so übersieht der Beklagte bereits, dass die Klägerin andere ähnlich traumatisierende Erfahrungen in ihren beiden Ehen nicht gehabt und demzufolge auch niemals geschildert hat. Vielmehr ist die Aidserkrankung bei ihrem zweiten Mann nicht ausgebrochen, sie kann auch heute noch täglich telefonischen Umgang mit ihm pflegen. Außerdem war die Klägerin bereits psychisch vor ihren Ehen auffällig, die Otosklerose ist erst weit nach der posttraumatischen Belastungsstörung diagnostiziert worden.
59 
Bei der andauernden Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung handelt es sich um eine Gesundheitsstörung nach ICD-10 F 62.0. Eine entsprechende Kodierung im DSM-IV-TR ist nicht erfolgt. In DSM-IV-TR sind diverse Arten von Persönlichkeitsstörungen, allerdings nicht eine solche nach Extrembelastung, definiert. In DSM-IV-TR 301.9 ist die „nicht näher bezeichnete Persönlichkeitsstörung“ beschrieben. Hierzu wird ausgeführt, es sei auch die Vergabe einer spezifischen Diagnose nach ICD-10 F 61 oder 62 zu erwägen (Saß, Wittchen, Zaudig, Houben; Diagnostische Kriterien DSM-IV-TR, S. 35 und 265).
60 
Der Senat hat in Auswertung des Sachverständigengutachtens auch keine Zweifel daran, dass bei der Klägerin eine andauernde Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung vorliegt.
61 
Die Berufung war daher zurückzuweisen, wobei die Kostenentscheidung auf § 193 SGG beruht. Hierbei fiel die Verurteilung des Beklagten zu einer Leistung, auf die die Klägerin in der Senatsverhandlung verzichtet hat, kostenmäßig nicht ins Gewicht, so dass der Senat von einer Kostenquotelung abgesehen hat.
62 
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.

Tenor

Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 15. Dezember 2011 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin für das Beschwerdeverfahren.

Gründe

1

I. Die 1957 geborene Klägerin beansprucht von dem beklagten Land Leistungen der Beschädigtenversorgung nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) iVm dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) wegen der Folgen eines in der Zeit vor 1973 jahrelang erlittenen sexuellen Missbrauchs durch ihren Vater.

2

Den im September 2006 gestellten Versorgungsantrag der Klägerin lehnte das beklagte Land nach Durchführung von Ermittlungen mit Bescheid vom 28.11.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8.2.2007 ab, weil es nicht als erwiesen angesehen werden könne, dass die Klägerin infolge eines vorsätzlichen rechtswidrigen tätlichen Angriffs eine gesundheitliche Schädigung iS des § 1 Abs 1 OEG erlitten habe. Die Klägerin habe ihren Antrag auf Leistungen mehr als 30 Jahre nach dem Tod des Vaters und den erklärten letzten Schädigungshandlungen gestellt. Zeugen für die Vorfälle gebe es nicht. Die Klägerin selbst habe in ihrem Antrag angegeben, sie wisse nicht mehr, was "hinter der verschlossenen Tür geschah". Es lägen also ausschließlich die Angaben der Klägerin gegenüber den behandelnden Ärzten (nach 1990) vor. Die Mutter und die Schwester der Klägerin könnten nur wiedergeben, was diese ihnen selbst berichtet habe.

3

Das von der Klägerin angerufene Sozialgericht Freiburg (SG) hat die Klägerin persönlich angehört, ihre Schwester R. Q. als Zeugin vernommen sowie ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten von Dr. S., eingeholt. Durch Urteil vom 10.12.2010 hat das SG den angefochtenen Bescheid aufgehoben und den Beklagten verurteilt, bei der Klägerin das Vorliegen einer seelischen Störung im Sinne einer posttraumatischen Belastungsstörung sowie einer rezidivierenden depressiven Störung als Folge von vorsätzlichen rechtswidrigen Angriffen ihres Vaters in der Zeit von 1961 bis 1972 anzuerkennen und ihr wegen dieser Folgen ab dem 1.9.2006 Versorgung nach dem OEG nach einem Grad der Schädigungsfolgen (GdS) von 80 zu gewähren.

4

Das vom Beklagten angerufene Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) hat zunächst durch die Senatsvorsitzende einen Erörterungstermin durchgeführt und sodann in der mündlichen Verhandlung vom 15.12.2011 die Klägerin persönlich befragt und deren Schwester R. Q. als Zeugin vernommen. Nach dem Hinweis des Senats, "dass es schwierig sein dürfte, auch einen sexuellen Missbrauch vom 4. bis 8. Lebensjahr nachzuweisen und nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) eigentlich eine Verurteilung zu Lasten des Beklagten in diesem Verfahrensstadium ausscheide, da die Beklagte selbst noch nicht über die Versorgung entschieden habe", hat die Klägerin durch ihre Bevollmächtigte erklärt, es werde auf die Rechte aus dem Urteil vom 10.12.2010 insoweit verzichtet, als ein sexueller Missbrauch auch für die Zeit von 1961 bis 1964 geltend gemacht worden sei. Des Weiteren werde auf die Rechte aus dem Urteil verzichtet, soweit der Klägerin Versorgung zugesprochen worden sei.

5

Der Beklagte hat danach beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 10. Dezember 2010 insoweit aufzuheben, als die Klägerin nicht auf die Rechte aus dem Urteil verzichtet hat, und die Klage insoweit abzuweisen,
hilfsweise von Amts wegen ein Gutachten über die Glaubhaftigkeit der Angaben der Zeugin R. Q. sowie der Klägerin … einzuholen.

6

Durch Urteil vom selben Tag (15.12.2011) hat das LSG die Berufung des Beklagten zurückgewiesen. Seine Entscheidung hat es im Wesentlichen wie folgt begründet:

7

Die Klägerin sei zur Überzeugung des Senats Opfer eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs iS des § 1 Abs 1 OEG geworden. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme vor dem Senat, insbesondere der Zeugenvernehmung ihrer Schwester in der mündlichen Verhandlung, sei der Senat davon überzeugt, dass die Klägerin von 1965 bis 1972 von ihrem Vater in der elterlichen Wohnung sexuell missbraucht worden sei. Als aufgrund der Zeugenaussage nachgewiesene sexuelle Handlungen im Sinne eines Missbrauchs der Klägerin nehme der Senat das Waschen der weiblichen Brust sowie die Vorgänge im elterlichen Schlafzimmer mit der beobachteten oralen Befriedigung an. Dabei müsse nicht im Einzelnen jeder sexuelle Missbrauch in zeitlicher Hinsicht weiter konkretisiert werden, was gerade bei Sexualdelikten deliktstypisch im Nachhinein nicht mehr möglich sei.

8

Der Senat halte die Aussagen der Zeugin Q. für glaubhaft. Die Konstanzanalyse ihrer Aussagen ergebe, dass die dem Vater vorgeworfenen Handlungen im Kern übereinstimmend dargestellt würden. Die Aussage erweise sich somit über die beiden Vernehmungen beim SG und LSG hinweg als konstant. Die kriterienorientierte Analyse der Aussage weise im Ergebnis deutliche Kennzeichen einer erlebnisbezogenen Darstellung auf, so zB die Schilderung des verdunkelten Zimmers und der Schlafgewohnheiten der unter beengten Verhältnissen lebenden Familie. Es fänden sich in ihrer Aussage zudem Einzelheiten, die von ihrer Mutter nicht bestätigt worden seien. Zudem habe sich die Zeugin nicht als suggestibel erwiesen und generell keinen besonderen Belastungseifer gezeigt. Die Zeugin habe glaubhaft bereits in einem sehr frühen Verfahrensstadium, nämlich schriftlich am 16.10.2006, geschildert, dass sie selbst gesehen habe, wie ihr Vater der Klägerin gegen deren Willen die Brüste eingeseift und mit ihr bei dem "mittäglichen Schlafritual" regelrecht verkeilt im Bett gelegen habe. Letztere Haltung lasse bereits ohne die konkrete Schilderung sexueller Handlungen Rückschlüsse auf sexuellen Missbrauch zu. Dass der Beklagte darin keine sexuelle Handlung sehen wolle, weil das Einseifen in der Badewanne geschehen sei und der Vater im Bett angezogen gewesen sei, sei aus Sicht des Senats lebensfremd. Dass die konkrete Begebenheit, dass die Klägerin den Penis ihres Vaters habe in den Mund nehmen müssen, von der Zeugin erst während des gerichtlichen Verfahrens geschildert worden sei, mache ihre Angaben auch aus Sicht des Senats nicht insgesamt unglaubwürdig. Denn die Zeugin habe den Vorgang so detailgetreu geschildert, dass sie ihn selbst erlebt haben müsse. Sie habe auch ein nachvollziehbares Motiv für ihre späte Aussage angegeben, nämlich die anfängliche Scham über die familiären Vorgänge überhaupt und ihre Schuldgefühle, darüber geschwiegen und damit den Missbrauch erst möglich gemacht zu haben. Diese Motivation erkläre auch hinlänglich die angeblichen Diskrepanzen in den Aussagen der Familienangehörigen.

9

Da der Senat seine Überzeugung anhand der Zeugenaussage sowie des Akteninhalts getroffen habe, könne dahingestellt bleiben, ob bei der Glaubhaftigkeitsprüfung der klägerischen Angaben durch einen medizinischen Sachverständigen von der sogenannten Nullhypothese ausgegangen werden müsse. Zudem habe der Senat entscheiden können, ohne die von dem Beklagten beantragten Gutachten über die Glaubhaftigkeit der Angaben der Zeugin R. Q. sowie der Klägerin einzuholen. Denn die Würdigung von Aussagen nicht nur erwachsener, sondern auch kindlicher oder jugendlicher Zeugen gehöre zum Wesen richterlicher Rechtsfindung und sei daher grundsätzlich dem Tatrichter anvertraut. Eine aussagepsychologische Begutachtung (Glaubhaftigkeitsgutachten) komme nur in besonderen Ausnahmefällen in Betracht, nämlich dann, wenn dem Gericht die Sachkunde für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit fehle. Die Einholung eines entsprechenden Gutachtens sei nur geboten, wenn der Sachverhalt oder die Aussageperson solche Besonderheiten aufweise, die eine Sachkunde erforderten, die ein Richter normalerweise nicht habe. Das sei vorliegend nicht der Fall. Weder wiesen die Aussagepersonen solche Besonderheiten auf noch sei der Sachverhalt besonders gelagert, sondern könne im Kern durch die Beobachtungen einer Zeugin gestützt werden.

10

Der fortgesetzte Missbrauch der Klägerin habe iS einer Alleinverursachung wahrscheinlich zu einer posttraumatischen Belastungsstörung sowie einer andauernden Persönlichkeitsveränderung nach Extrembelastung geführt. Der Senat stütze sich insoweit auf das Gutachten des Dr. S., dessen Diagnostik in Übereinstimmung mit den Befunden der behandelnden Ärzte stehe.

11

Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat der Beklagte beim BSG Beschwerde eingelegt, die er mit dem Vorliegen einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache sowie von Verfahrensmängeln (§ 160 Abs 2 Nr 1 und 3 SGG) begründet.

12

II. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist zulässig, aber unbegründet.

13

Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde - wie vorliegend - darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG), so müssen zur Bezeichnung des Verfahrensmangels die diesen (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 24, 34, 36). Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG - ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht - auf dem Mangel beruhen kann, dass also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 36). Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel allerdings nicht auf eine Verletzung der §§ 109 (Anhörung eines bestimmten Arztes) und 128 Abs 1 S 1 SGG (freie richterliche Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des § 103 SGG (Aufklärung des Sachverhalts von Amts wegen) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

14

Soweit der Beklagte als Verfahrensmangel rügt, das LSG habe mit der Entscheidung selbst gegen den "Bestimmtheitsgrundsatz" und das "Gebot der Rechtsklarheit" verstoßen, hat er die für die Annahme eines Verfahrensmangels relevanten Tatsachen dargestellt. Entscheidet ein Gericht, ohne hinreichend deutlich zu machen, worin die Entscheidung liegt, handelt es sich um einen das Urteil selbst betreffenden Verfahrensmangel (vgl Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/ Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 160 RdNr 16a und Keller, aaO, § 136 RdNr 5d). Der behauptete Verfahrensmangel liegt jedoch nicht vor.

15

Dem Beklagten ist hier zwar einzuräumen, dass sich für ihn als dem unterlegenen Prozessbeteiligten der Inhalt der Entscheidung des LSG als unübersichtlich darstellt. Bei Heranziehung der Prozessgeschichte, also des Urteils des SG, des der Klägerin in der mündlichen Verhandlung des LSG gegebenen verfahrensrechtlichen Hinweises, der daraufhin von der Klägerin abgegebenen Erklärung sowie des Inhalts der Entscheidungsgründe (vgl dazu Keller, aaO, § 136 RdNr 5c) ist indes eindeutig zu erkennen, worüber und mit welchem Ergebnis das LSG entschieden hat.

16

Das LSG selbst hat nicht positiv tenoriert, sondern die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des SG vom 10.12.2010 zurückgewiesen, nachdem die Klägerin zuvor einen Verzicht auf einen Teil ihrer Rechte aus dem Urteil des SG erklärt hatte. Das SG hatte den Beklagten verurteilt, bei der Klägerin das Vorliegen einer näher bezeichneten seelischen Störung als Folge von vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffen in der Zeit von 1961 bis 1972 anzuerkennen und ihr wegen dieser Folgen Versorgung nach dem OEG ab dem 1.9.2006 nach einem GdS von 80 zu gewähren. Hinsichtlich des auf Gewährung von "Versorgung" nach einem GdS von 80 gerichteten Teils hat die Klägerin auf ihre Rechte aus dem Urteil verzichtet, sodass dieses insoweit nicht auszuführen ist und auch nicht vollstreckt werden kann.

17

Soweit das SG den Beklagten zur "Anerkennung" bestimmter Gesundheitsstörungen als Folge von vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffen auf die Klägerin verurteilt hat, hat es sich im Rahmen der als zulässig anzusehenden kombinierten Klage auf Anfechtung des entgegenstehenden Bescheides und Verpflichtung zur Feststellung von Folgen eines versorgungsrechtlich relevanten Tatbestandes (s nur BSG Urteil vom 29.4.2010 - B 9 VS 2/09 R - SozR 4-3200 § 88 Nr 4 RdNr 32; für den Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung s jüngst BSG Urteil vom 5.7.2011 - B 2 U 17/10 R - BSGE 108, 274 RdNr 12 bis 14, auch zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen) - hier: eines tätlichen Angriffs iS des § 1 Abs 1 S 1 OEG - gehalten. Da die Klägerin auf ihre Rechte aus diesem Urteil verzichtet hat, soweit ein sexueller Missbrauch auch für die Zeit von 1961 bis 1964 geltend gemacht worden war, entfaltet der Urteilsausspruch des SG nur insoweit Wirkung als es sich um die Folgen von tätlichen Angriffen in den Jahren 1965 bis 1972 handelt. Soweit der Beklagte diesen Zusammenhang rügt, es sei unbestimmt, was das LSG letztlich als schädigenden Vorgang angesehen habe, bezieht er sich darauf, dass das LSG in den Entscheidungsgründen einmal als Schädigungszeitraum die Jahre 1961 bis 1972 genannt hat. Dabei handelt es sich um eine offensichtliche Unrichtigkeit, die nicht den Inhalt des Urteils in Frage stellt.

18

Erwächst dieses Urteil in Rechtskraft, verpflichtet es den Beklagten unmittelbar zur Erteilung eines Ausführungsbescheides. Daneben bleibt der Beklagte aufgrund des Leistungsantrages der Klägerin verpflichtet, über die der Klägerin zustehenden konkreten Leistungen der Beschädigtenversorgung - auch soweit es den GdS betrifft und soweit sie von dessen Höhe abhängen - durch anfechtbaren Verwaltungsakt zu entscheiden. Bei dem Verzicht der Klägerin auf die Rechte aus dem Urteil des SG, soweit ihr ein Anspruch auf Versorgung zugesprochen worden war, handelt es sich nicht um eine auf die Anfechtung des ablehnenden Verwaltungakts bezogene Klagerücknahme, sodass dieser dadurch nicht bestandkräftig geworden ist (vgl § 77 SGG). Er ist und bleibt durch das Urteil des SG aufgehoben.

19

Den Darlegungsanforderungen des § 160a Abs 2 S 3 SGG nicht entsprochen hat der Beklagte, soweit er beanstandet, dass ihm nicht klar sei, ob das LSG bei seiner Entscheidung auch auf die Glaubhaftigkeit der Angaben der Klägerin oder ausschließlich auf die Glaubhaftigkeit der Angaben der als Zeugin vernommenen Schwester und nach Aktenlage auch deren Mutter abgestellt habe. Dabei handelt es sich nicht um einen - rügbaren - Verfahrensfehler, also einen Verstoß gegen das gerichtliche Verfahren regelnde Vorschriften oder einen das Urteil selbst betreffenden Verfahrensmangel, sondern um eine mögliche Unklarheit des Urteils, die nicht zu dessen Fehlerhaftigkeit führt. Soweit in dieser Begründung des Beklagten ein Angriff auf die Beweiswürdigung des LSG zu sehen ist, kann die Nichtzulassungsbeschwerde nach § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG darauf nicht gestützt werden.

20

Soweit der Beklagte als Verfahrensfehler eine Verletzung des § 103 SGG mit der Begründung rügt, das LSG sei seinem bis zuletzt aufrechterhaltenen Beweisantrag auf Einholung eines Gutachtens über die Glaubhaftigkeit der Angaben der Zeugin R. Q. sowie der Klägerin ohne hinreichende Begründung nicht nachgekommen, kann offenbleiben, ob der Beklagte insoweit den Anforderungen des § 160a Abs 2 S 3 SGG in allen notwendigen Punkten Rechnung getragen hat. Denn jedenfalls ist das LSG diesem Beweisantrag nicht ohne hinreichende Begründung, dh nicht ohne hinreichenden Grund (BSG SozR 1500 § 160 Nr 5), nicht gefolgt (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG). Das LSG musste sich nicht gedrängt fühlen, die beantragte Beweiserhebung durchzuführen (BSG SozR 1500 § 160 Nr 5, 49). Es hat sich seine Überzeugung davon, dass die Klägerin in den Jahren 1965 bis 1972 durch ihren Vater sexuell missbraucht worden ist, im Wesentlichen aufgrund der Zeugenaussagen der Schwester der Klägerin, insbesondere in der mündlichen Berufungsverhandlung, gebildet und war auch nach Auffassung des erkennenden Beschwerdesenats nicht verpflichtet, Glaubhaftigkeitsgutachten der beantragten Art einzuholen.

21

Grundsätzlich steht das Ausmaß von Ermittlungen im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts (vgl dazu BSGE 30, 192, 205 = SozR Nr 20 zu § 1247 RVO S Aa 25 Rückseite). Einen Sachverständigen bestellt das Gericht, wenn es selbst nicht über ausreichende Sachkunde verfügt (vgl dazu Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 118 RdNr 11b). Dies gilt auch für die Einholung eines sogenannten Glaubhaftigkeitsgutachtens. Dabei handelt es sich um eine aussagepsychologische Begutachtung, deren Gegenstand die Beurteilung ist, ob auf ein bestimmtes Geschehen bezogene Angaben zutreffen, dh einem tatsächlichen Erleben der untersuchten Person entsprechen (vgl BGHSt 45, 164, 167). Da eine solche Beurteilung an sich zu den Aufgaben eines Tatrichters gehört, kommt die Einholung eines Glaubhaftigkeitsgutachtens nur ausnahmsweise in Betracht (vgl BGH aaO, 182).

22

Ob eine derartige Beweiserhebung erforderlich ist, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls. Die Hinzuziehung eines aussagepsychologischen Sachverständigen kann insbesondere dann geboten sein, wenn die betreffenden Angaben das einzige das fragliche Geschehen belegende Beweismittel sind und Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sie durch eine psychische Erkrankung der Auskunftsperson (Zeuge, Beteiligter) und deren Behandlung beeinflusst sein können (vgl dazu BSG Beschluss vom 7.4.2011 - B 9 VG 15/10 B - juris). Eine solche Fallgestaltung ist hier nicht ersichtlich.

23

Möglicherweise wäre eine Glaubhaftigkeitsbegutachtung bezüglich der Angaben der psychisch kranken Klägerin erforderlich gewesen, wenn das LSG seine Entscheidung maßgebend darauf hätte stützen wollen. Das ist jedoch nicht der Fall. Das LSG hat vielmehr im Rahmen einer eingehenden Abwägung insbesondere die Aussagen der Zeugin Q. als glaubhaft angesehen und sie bei der Bejahung eines jahrelangen sexuellen Missbrauchs der Klägerin durch ihren Vater entscheidend zugrunde gelegt. Hinsichtlich der Angaben dieser Zeugin sind keine Umstände zu erkennen, die eine darauf bezogene Glaubhaftigkeitsbegutachtung hätten gebieten können. Die berufungsgerichtliche Beweiswürdigung selbst kann auch insoweit nicht mit einer Nichtzulassungsbeschwerde angegriffen werden (vgl § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG).

24

Soweit der Beklagte geltend macht, die Rechtssache habe grundsätzliche Bedeutung, kann dahinstehen, ob der Beklagte den Zulassungsgrund in allen notwendigen Punkten dargetan hat (§ 160a Abs 2 S 3 SGG).

25

Grundsätzliche Bedeutung iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Ein Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts sowie unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung und des Schrifttums angeben, welche Rechtsfragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Um seiner Darlegungspflicht zu genügen, muss der Beschwerdeführer mithin Folgendes aufzeigen: (1) eine bestimmte Rechtsfrage, (2) ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, (3) ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit sowie (4) die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung, also eine Breitenwirkung (vgl BSG SozR 1500 § 160 Nr 17; BSGE 40, 158 = SozR 1500 § 160a Nr 11; BSG SozR 1500 § 160a Nr 7, 13, 31, 59, 65).

26

Die vom Beklagten als klärungsbedürftig, klärungsfähig und über den Einzelfall hinaus bedeutsam angesehene Frage, ob für ein im Verfahren des sozialen Entschädigungsrechtes eingeholtes aussagepsychologisches Gutachten über die Glaubhaftigkeit der Angaben eines Antragstellers/Zeugen die nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) für Strafsachen zu berücksichtigenden methodischen Mindeststandards Anwendung finden oder ob andere und ggf welche Anforderungen zu gelten haben, ist für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits nicht erheblich. Zunächst hat das LSG seine Tatsachenfeststellungen dahin, dass der Vater der Klägerin diese in den Jahren 1965 bis 1972 fortgesetzt sexuell missbraucht hat, ohne Verwertung eines Sachverständigengutachtens über die Glaubhaftigkeit der Angaben der Klägerin oder der Zeugin Q. getroffen. Darüber hinaus ist die Vorinstanz - wie der Senat zu der entsprechenden Verfahrensrüge des Beklagten bereits ausgeführt hat - nicht verpflichtet gewesen, ein Glaubhaftigkeitsgutachten einzuholen.

27

Der Beklagte übersieht in diesem Zusammenhang, dass die Beurteilung, ob eine grundsätzliche Bedeutung vorliegt, auf der Tatsachengrundlage der Vorinstanz zu erfolgen hat (vgl dazu Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 160 RdNr 9f). Danach kommt es hier auf die Auswertung eines Glaubhaftigkeitsgutachtens nicht an. Insofern kann in dem vom Beklagten angestrebten Revisionsverfahren nicht geklärt werden, nach welchen methodischen Standards Glaubhaftigkeitsgutachten in sozialgerichtlichen Leistungsstreitigkeiten zu fertigen sind.

28

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 579/05
vom
25. April 2006
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u. a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 25. April 2006 gemäß § 349
Abs. 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts München II vom 16. August 2005 mit den Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte verurteilt worden ist. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts München II zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in 27 Fällen , wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in drei Fällen, wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Misshandlung von Schutzbefohlenen in 43 Fällen und wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in 15 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt. Von weiteren Tatvorwürfen hat es ihn freigesprochen. Gegen das Urteil wendet der Angeklagte sich mit Verfahrensrügen und der näher ausgeführten Sachrüge. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
2
I. Die Revision beanstandet die Behandlung von zwei Hilfsbeweisanträgen , die auf die Einholung aussagepsychologischer Sachverständigengutachten zur Glaubhaftigkeit der Angaben der Geschädigten E. und M. G. gerichtet waren und von der Strafkammer unter Hinweis auf eigene Sachkunde abgelehnt worden sind. Die Rüge nach § 244 Abs. 4 Satz 1 StPO greift durch.
3
1. Gegenstand der Verurteilung sind Misshandlungen und sexuelle Übergriffe des Angeklagten zum Nachteil seiner Ehefrau E. G. , seines am 1. Mai 1989 geborenen Sohnes M. und seiner am 7. November 1993 geborenen Tochter S. . Das Landgericht hat den nicht vorbestraften Angeklagten für schuldig befunden, in den Jahren 1998 bis 2002 im Abstand von jeweils zwei Monaten den Geschlechtsverkehr mit seiner Ehefrau erzwun- gen zu haben, indem er sie würgte und bedrohte (“Wenn ich Dich jetzt umbringe , kannst Du gar nichts tun.”). Nach den Urteilsfeststellungen missbrauchte der Angeklagte zwischen 1994 und 2000 seinen behinderten Sohn M. fünfzehn Mal, indem er das fünf bis elf Jahre alte Kind auf dessen Bett warf, es mit der einen Hand würgte und mit der anderen vor ihm masturbierende Bewegungen an sich vollzog. Mit der vier bis sechs Jahre alten S. führte der Angeklagte nach den Feststellungen in drei Fällen den Geschlechtsverkehr durch. Daneben kam es - so das Landgericht - wiederholt zu Gewalttätigkeiten, indem der Angeklagte S. mit einem eisernen Pfannenwender und M. mit einem Gürtel schlug, M. zudem in zwei weiteren Fällen mit einem Messer in den Arm schnitt.
4
Der Angeklagte hat die Taten bestritten. Das Landgericht hat sich in seiner Beweiswürdigung im Wesentlichen auf die jeweiligen Aussagen der Geschädigten zu den an ihnen begangenen Taten gestützt. Ergänzend hat es Angaben der Zeugin E. G. zu Begleitumständen des Missbrauchs von S. und zu den Misshandlungen von M. berücksichtigt, weiterhin Angaben der Zeugin K. G. , Schwester von S. und M. , die einen Fall des Missbrauchs von S. beobachtet haben will. Die Kammer hat die Zeugin S. G. einer aussagepsychologischen Begutachtung unterzogen ; sie ist der Bewertung der Sachverständigen, wonach die Schilderungen der Zeugin keinen Erlebnisbezug aufweisen, Aussageentstehung und –inhalt vielmehr deutliche Hinweise auf suggestive Prozesse und die Entstehung von Scheinerinnerungen ergeben, indes nicht gefolgt. Auch die Zeugin K. G. war im Ermittlungsverfahren im Hinblick auf Missbrauchsvorwürfe, die sie gegenüber dem Angeklagten erhoben hatte, Gegenstand einer aussagepsychologischen Begutachtung. Die Sachverständige ist auch hinsichtlich dieser Zeugin zu dem Ergebnis gelangt, dass die Annahme von Scheinerinnerungen und einer darauf beruhenden Falschaussage nicht zurückzuweisen sei. Die Kammer hat dem in die Verhandlung eingeführten Gutachten keine durchgreifende Bedeutung beigemessen, da es sich hauptsächlich auf Berichte der Zeugin über an ihr selbst begangene Taten beziehe, nicht aber auf solche zu Lasten ihrer Schwester S. .
5
Die Verteidigung hat Hilfsbeweisanträge auf Einholung aussagepsychologischer Sachverständigengutachten zum Beweis dafür gestellt, dass die Aussagen der Zeugen E. und M. G. nicht erlebnisfundiert seien. Die Kammer hat die Anträge abgelehnt, weil sie selbst über die erforderliche Sachkunde verfüge.
6
2. Dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Ablehnung der Beweisanträge erweist sich in Anbetracht der ungewöhnlichen Besonderheiten des Falles als rechtsfehlerhaft.
7
Die Würdigung von Aussagen nicht nur erwachsener, sondern auch kindlicher oder jugendlicher Zeugen gehört zum Wesen richterlicher Rechtsfindung und ist daher grundsätzlich dem Tatrichter anvertraut (BGHSt 8, 130; BGH NStZ 2001, 105). Die Einholung eines aussagepsychologischen Sachverständigengutachtens ist allerdings dann geboten, wenn der Sachverhalt oder die Person des Zeugen solche Besonderheiten aufweist, dass Zweifel daran aufkommen können, ob die Sachkunde des Gerichts auch zur Beurteilung der Glaubwürdigkeit unter den gegebenen besonderen Umständen ausreicht (st. Rspr.; BGHR StPO § 244 Abs. 4 Satz 1 Glaubwürdigkeitsgutachten 2; BGH StV 1994, 173). Um einen solchen Fall handelt es sich hier.
8
a) Auffälligkeiten im Hinblick auf die Aussage der Zeugin E. G. liegen in ihrer Person und in den Umständen der Aussageentstehung begründet. Den Urteilsfeststellungen ist zu entnehmen, dass die Zeugin nach ihren eigenen Angaben von ihrem vierten bis zum achtzehnten Lebensjahr in ihrer eigenen Familie sexuellen Übergriffen ausgesetzt gewesen ist. Solche Übergriffe habe sie auch von einem Freund hinnehmen müssen, mit dem sie eine Beziehung unterhielt, bevor sie den Angeklagten kennen gelernt habe.
9
Zur Entstehung der den Angeklagten belastenden Aussagen verhält sich das Urteil nicht näher. Ihm ist aber zu entnehmen, dass die Zeugin in Gesprächen mit Ärzten eines psychiatrischen Krankenhauses, in dem der Angeklagte sich im Jahr 2004 zur Behandlung einer Depression aufgehalten hatte, verbalaggressives Verhalten des Angeklagten geschildert, körperliche Übergriffe jedoch entschieden verneint hatte. Den Inhalt weiterer in diesem Zeitraum geführter Unterredungen der Zeugin mit einem Vertrauten, dem Zeugen Ge. Ei. , teilt das Urteil nicht mit. Aus den polizeilichen Vernehmungen des Zeugen Ei. und der Zeugin G. ergibt sich, dass beide Zeugen zahlreiche intensive Gespräche über die familiäre Situation der Zeugin G. geführt haben. Die Zeugin brachte dabei zunächst ihre Überzeugung zum Ausdruck, in einer glücklichen Ehe und heilen Familie zu leben. Nach dem Eindruck des - von der Zeugin G. als “Hobbypsychologen” beschriebenen - Zeugen Ei. lagen dieser Überzeugung jedoch verdrängte familiäre Probleme zugrunde. Auf Anraten des Zeugen unterzog die Zeugin G. sich einer „Familienaufstellung“; hierbei und hiernach sei ihr nach Aussage des Zeugen Ei. “nach und nach zu Be- wusstsein gekommen, was überhaupt passiert ist”.
10
b) Besonderheiten hinsichtlich des Zeugen M. G. finden sich in dessen organischer Hirnschädigung sowie auch hier in den Umständen der Aussageentstehung. Der Zeuge hatte bei seiner von der Revision mitgeteilten polizeilichen Vernehmung sexuelle Übergriffe und Schläge mit Gegenständen seitens des Angeklagten noch ausdrücklich verneint. Erst in seiner ermittlungsrichterlichen Vernehmung schilderte der Zeuge die Geschehnisse, wie sie später Gegenstand der Feststellungen geworden sind, ohne dass ihm seine frühere gegenteilige Aussage hierbei vorgehalten wurde. Die der ermittlungsrichterlichen Vernehmung des Zeugen beiwohnende aussagepsychologische Sachverständige vermutete ausweislich eines von der Revision mitgeteilten Aktenvermerkes der Staatsanwaltschaft, dass der Aussage durch Suggestion hervorgerufene Pseudoerinnerungen zugrunde liegen könnten.
11
c) Hinsichtlich beider Zeugen war zudem zu berücksichtigen, dass Sachverständigengutachten über die Glaubwürdigkeit der über ähnliche Missbrauchserfahrungen berichtenden familienangehörigen Zeugen S. und K. G. vorlagen, in welchen die Sachverständige erhebliche Anzeichen für eine wechselseitige innerfamiliäre Beeinflussung der Zeuginnen dokumentiert hatte. Auch wenn die Kammer dem Ergebnis der Gutachten nicht gefolgt ist, boten sie bei Würdigung der Aussagen weiterer als Zeugen vernommener Familienmitglieder doch Anlass für eine besonders kritische Prüfung möglicher suggestiver Einflüsse und hierdurch hervorgerufener Fehlerinnerungen.
12
Vor dem Hintergrund all dieser Besonderheiten durfte die Kammer sich nicht für befugt halten, über die Glaubhaftigkeit der den Angeklagten belastenden Aussagen der Zeugen E. und M. G. aus eigener Sachkunde zu entscheiden; vielmehr hätte es der Einholung eines aussagepsychologischen Sachverständigengutachtens bedurft (vgl. BGH NStZ 2001, 105).
13
3. Der Verfahrensmangel führt zur Aufhebung aller Urteilsfeststellungen, soweit sie der Verurteilung des Angeklagten zugrunde liegen. Denn die Kammer hat die Aussagen dieser beiden Zeugen zur Feststellung sämtlicher Tatkomplexe in wechselnder Beteiligung herangezogen.
14
Auf die weiteren von der Revision erhobenen verfahrensrechtlichen Beanstandungen und auf die Sachrüge kommt es hiernach nicht mehr an.
15
II. Der Senat hat Anlaß zu folgendem Hinweis: Der Tatrichter ist nicht gehindert, die Glaubwürdigkeit eines Zeugen anders zu beurteilen als ein hierfür herangezogener Sachverständiger, denn das von diesem erstattete Gutachten kann stets nur eine Grundlage der eigenen Überzeugungsbildung sein. Er muss dann aber die wesentlichen Ausführungen des Sachverständigen im Einzelnen darlegen, insbesondere die Stellungnahme des Sachverständigen zu den Gesichtspunkten, auf die er seine abweichende Auffassung stützt. Dem Revisionsgericht ist ansonsten keine Prüfung möglich, ob der Tatrichter das Gutachten zutreffend gewürdigt und aus ihm rechtlich zulässige Schlüsse gezogen hat (st. Rspr.; BGH NStZ 2000, 550f.; BGHR StPO § 261 Sachverständiger 1 und 5). Zu den Anforderungen an ein aussagepsychologisches Gutachten , welche von der herangezogenen Sachverständigen hier beachtet wurden, weist der Senat auf BGHSt 45, 164 hin.
16
Im Hinblick auf die bisherige Länge der Untersuchungshaft wird der neue Tatrichter im weiteren Verfahren das Beschleunigungsgebot besonders zu beachten haben.
Nack Kolz Hebenstreit Elf Herr RiBGH Dr. Graf ist erkrankt und deshalb an der Unterschrift gehindert. Nack
5 StR 209/00

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 22. Juni 2000
in der Strafsache
gegen
wegen sexuellen Mißbrauchs von Kindern u. a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 22. Juni 2000

beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 13. September 1999 nach § 349 Abs. 4 StPO mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Jugendschutzkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

G r ü n d e Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Mißbrauchs von Kindern in sieben Fällen, davon in fünf Fällen in Tateinheit mit sexuellem Mißbrauch von Schutzbefohlenen, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Die Revision des Angeklagten führt mit einer Verfahrensrüge zur Urteilsaufhebung und Zurückverweisung der Sache.
Gegenstand der Verurteilung sind Taten zum Nachteil zweier Söhne des Angeklagten sowie der Tochter seines Bruders. Die Kinder waren zu den Tatzeiten zwischen fünf und acht Jahre alt. Die Jugendschutzkammer durfte den Antrag der Verteidigung, zur Frage der „Glaubwürdigkeit und Zeugentauglichkeit” der drei betroffenen Kinder ein „jugendpsychologisches bzw. jugendpsychiatrisches Gutachten” einzuholen, hier nicht unter Berufung auf eigene Sachkunde ablehnen.
Die Würdigung von Zeugenaussagen gehört zwar zum Wesen richterlicher Rechtsfindung und ist daher grundsätzlich dem Tatrichter anvertraut. Das gilt nicht nur bei erwachsenen Zeugen, sondern regelmäßig auch für die Aussage eines Kindes oder eines jugendlichen Zeugen, der Opfer eines an ihm begangenen Sexualdelikts ist. Die Hinzuziehung eines Sachverständigen ist aber dann geboten, wenn der zur Aburteilung stehende Sachverhalt ausnahmsweise solche Besonderheiten aufweist, daß Zweifel daran aufkommen können, ob die Sachkunde des Gerichts auch zur Beurteilung der Glaubwürdigkeit unter den gegebenen besonderen Umständen ausreicht (st. Rspr.; BGHR StPO § 244 Abs. 4 Satz 1 – Glaubwürdigkeitsgutachten 2 m.w.N.).
Solche Besonderheiten liegen hier vor. Sie finden sich insbesondere in der intensiven, teilweise suggestiven Befragung der drei Kinder durch die Ehefrau des Angeklagten, seinen Bruder und dessen Ehefrau (UA S. 14). Dies gilt zumal angesichts des geringen Alters der betroffenen Zeugen und des beträchtlichen zeitlichen Abstands von mehr als einem Jahr zwischen den letzten Taten und deren Offenbarung, im Blick auf die Offenbarungssituation – Erwischtwerden der Kinder beim „Doktorspiel” – und schließlich auch unter Berücksichtigung der Verwendung der kindlichen Aussagen durch die Ehefrau des Angeklagten im Sorgerechtsstreit. Es kommen noch hinzu im Urteil abgehandelte Besonderheiten im Aussageverhalten des jüngeren Sohnes des Angeklagten (UA S. 15 f.) und seiner Nichte (UA S. 17 f.).
Unter Berücksichtigung aller dieser Umstände durfte sich die Jugendschutzkammer die Beurteilung der Glaubhaftigkeit und Zuverlässigkeit der den Schuldspruch tragenden Angaben der kindlichen Zeugen hier ohne Zuziehung eines Sachverständigen, zumal nach entsprechender Antragstellung unter Hinweis auf jene Besonderheiten, nicht zutrauen. Die Kammer hat auch keine besonders signifikanten Begleitumstände ermittelt und in den Urteilsgründen belegt, welche die Beiziehung eines Sachverständigen mög- licherweise hätte erübrigen können. Hierzu hätte es zunächst schon einer näheren, genauen Schilderung der Offenbarungssituation und des Inhalts der anschließenden Angaben der Kinder vor Einsetzen der Befragungen bedurft; insoweit trifft das Landgericht nur eher pauschale Feststellungen, aus denen es dann freilich weitgehende Folgerungen ableitet (vgl. UA S. 11, 14). Zudem läßt die Annahme des Landgerichts, eine suggestive Befragung der Kinder könne „allenfalls zu einer Intensivierung” ihrer Schilderungen geführt haben, weshalb die Aburteilung jeweils nur eines Falles der angegebenen Sexualpraktiken unbedenklich sei (UA S. 14 f.), befürchten, daß in diesem Zusammenhang die Möglichkeit nicht in Betracht gezogen worden ist, die Kinder könnten fremde Erlebnisse, die sie beobachtet oder von denen sie sonst erfahren haben, als eigene dargestellt haben. Gerade daher wären auch zum Informationsaustausch zwischen den Kindern über die Taten nähere Feststellungen zu erwarten gewesen, auch zur – für die letzten beiden Fälle bislang sehr pauschal geschilderten – Beobachtung einzelner Taten durch nicht betroffene Kinder, die gegebenenfalls nach den Begleitumständen auch kritisch zu hinterfragen wäre. Schließlich sind zum Unterlassen einer früheren Tatoffenbarung bei der Nichte – im Gegensatz zu den Söhnen (UA S. 11) – gar keine näheren Überlegungen angestellt worden. Zum persönlichen Kontakt des Angeklagten zu den Kindern nach der Trennung von der Familie unmittelbar nach Tatende fehlt es ebenfalls an Feststellungen.
Die Sache bedarf umfassender neuer tatrichterlicher Überprüfung, naheliegend unter Heranziehung eines mit der Auswertung möglicher suggestiver Beeinflussungen besonders erfahrenen jugendpsychologischen Sachverständigen. Der neue Tatrichter wird auch den von der Revision aufgezeigten Hinweisen auf Mißbrauchsanschuldigungen des Angeklagten gegen seinen Bruder vor Aufdeckung der Taten durch die Kinder näher nachzugehen und sie zu bewerten haben. Bereits im angefochtenen Urteil sind entsprechende „Andeutungen” des Angeklagten vor dem Aufdeckungszeit- punkt festgestellt, indes kaum folgerichtig vollständig ausgewertet worden (UA S. 13).
Tepperwien Häger Basdorf Gerhardt Raum

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 27. Oktober 2015 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand

 
Die Klägerin begehrt Beschädigtenversorgung nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG).
Die Klägerin wurde 1973 als Einzelkind geboren. Während eines dreimonatigen stationären Aufenthaltes in der M.-B.-Klinik in K., einer Fachklinik für Psychosomatik und Ganzheitsmedizin, Anfang 1998 beschrieb sie die Beziehung zur Mutter seit jeher als höchst ambivalent und von Abhängigkeit geprägt. Diese habe ihr Zuneigung und körperliche Nähe vorenthalten. Ihr Vater habe in ihrem Erleben zwischen äußerster Freundlichkeit bis hin zur Bösartigkeit sehr geschwankt, vor allem wenn er unter Alkoholeinfluss gestanden habe. Die Ehe der Eltern sei von häufigen Streitereien und Handgreiflichkeiten geprägt gewesen. Das Familienleben sei wegen der von ihren Eltern betriebenen Gaststätten sehr chaotisch gewesen. Sie habe als Mädchen immer das Gefühl gehabt, zu kurz zu kommen. Sie sei für ihre Mutter ein offensichtlich ungewolltes Kind gewesen und wegen deren Ausbildungsabsichten bereits nach der Geburt zu Pflegefamilien gegeben worden, wogegen sie sich zwar laut, aber erfolglos gewehrt habe. Im Alter von zwei Jahren fand die Klägerin den Nachbarn tot im Garten. Ein Jahr später erlebte sie den Suizidversuch ihres alkoholabhängigen depressiven Vaters mit. Als sie elf Jahre alt war, trennten sich ihre Eltern. Zwei Jahre später ließen sie sich scheiden (Entlassungsbericht vom 5. Mai 1998). Die Klägerin heiratete 2004 einen Mann, zu dem sie bereits seit 1998 eine Beziehung unterhielt.
Nach dem Hauptschulabschluss im Jahre 1990 besuchte sie erfolgreich die einjährige Hauswirtschaftliche Schule in B.. Anschließend leistete sie ein zweiwöchiges Praktikum in der Krankenpflege im Städtischen Krankenhaus in S.. Die im Oktober 1991 begonnene Ausbildung zur Krankenpflegehelferin in Düsseldorf brach sie bereits zum Jahresende aus gesundheitlichen Gründen ab. Nach zwei stationären Klinikaufenthalten in der neurologischen Abteilung des Städtischen Krankenhauses S. von Ende Februar bis Mitte März 1992 und in der Psychotherapeutischen Klinik in S. von April bis September 1992 nahm sie eine Aushilfstätigkeit an, bevor sie im August 1993 einen einjährigen Grundbildungslehrgang für Jugendliche beim Berufsfortbildungswerk in S. belegte. Eine im September 1994 begonnene Ausbildung zur Kauffrau im Einzelhandel brach sie wiederum aus gesundheitlichen Gründen ab. Ab Januar 1997 war sie ein Jahr L. als Bürohilfskraft bei einer Hausverwaltung tätig. Die im September 1998 begonnene Ausbildung zur Bürokauffrau im Berufsbildungswerk N. schloss sie, unterbrochen durch einen stationären Klinikaufenthalt in der Fachklinik am H. in Wald-M., Ende August 2003 ab. Ab Mitte Mai 2004 wurde sie sechs Wochen zur Call-Center-Agentin ausgebildet, was sie anschließend bis Anfang August 2004 im Rahmen eines Praktikums ausübte. In der Folgezeit war sie arbeitsuchend. Anfang September 2010 war sie in den Arbeitsbereich. der Werkstatt für Menschen mit Behinderung in N. aufgenommen worden. Die Deutsche Rentenversicherung Bund gewährt ihr, nach vorherigen Befristungen, seit 1. März 2014 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze (Bescheid vom 4. Dezember 2013).
Zwischenzeitlich war sie von März 1993 bis Dezember 1997 von dem Dipl.-Psych. U. betreut worden, anfangs im Rahmen der Hilfe für junge Volljährige (§§ 27 ff. Kinder- und Jugendhilfegesetz - KJHG), später als Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderung (§§ 39 ff. Bundessozialhilfegesetz - BSHG). Während dieser Zeit lebte sie bis Juli 1994 in einer Wohngemeinschaft der Einrichtung „Therapeutische Wohngemeinschaften E.“ in P., anschließend mit einem Freund in S..
Bei ihr wurde der Grad der Behinderung mit 50 seit 17. September 2008 festgestellt (Bescheid des Landratsamtes Böblingen vom 25. März 2009). Dieser Feststellung lag die versorgungsärztliche Einschätzung von Dr. M.-T. vom 18. März 2009 zugrunde, wonach die Funktionsbeeinträchtigungen „Persönlichkeitsstörung, funktionelle Organbeschwerden, Fibromyalgiesyndrom“ mit einem Teil-GdB von 40 und „Bronchialasthma, Allergie, chronische Nebenhöhlenentzündung“ mit einem Teil-GdB von 20 bewertet wurden.
Während die Klägerin an einer Rehabilitationsmaßnahme teilnahm, erstattete sie am 20. Juli 1995 bei der Polizeidirektion B. Anzeige wegen sexuellen Missbrauchs. Sie gab an, der Tierarzt Dr. M. (im Folgenden: M.), der möglicherweise K. mit Vornamen heiße, habe sie vor etwa sechzehn Jahren, möglicherweise auch 1978, sexuell missbraucht. Sie sei seit etwa zehn Jahren regelmäßig in psychotherapeutischer Behandlung. Bereits im Alter von sechs oder sieben Jahren habe sie psychotherapeutische Gespräche geführt, wobei es sich um eine Spieltherapie gehandelt habe. Durch die Psychotherapie in den vergangenen Jahren sei letztlich herausgekommen, dass ihre ganze seelische Verfassung zum größten Teil darauf basiere, dass sie im Alter von fünf Jahren von M. sexuell missbraucht worden sei. Als sie vier Jahre alt gewesen sei, seien ihre Eltern nach St. gezogen, wo diese im Stadtteil D. die Vereinsgaststätte des H Club e. V. gepachtet hätten. M. sei dort Gast gewesen. Es sei schließlich zu dem Übergriff gekommen. Sie erstatte erst jetzt Anzeige, da sie erst mit zehn oder elf Jahren die ersten Vermutungen gehegt habe und eigentlich erst seit eineinhalb Jahren sicher wisse, dass sie sexuell missbraucht worden sei. Sie wohne derzeit zusammen mit einem Freund, U. L., in S.. Sie seien nicht intim befreundet, sondern hätten lediglich eine Wohngemeinschaft. Die Staatsanwaltschaft S stellte das Verfahren mit Verfügung vom 13. September 1995 nach § 170 Abs. 2 Strafprozessordnung wegen Strafverfolgungsverjährung ein. Mit Schreiben vom 19. Juni 1997 teilte die Staatsanwaltschaft S der Klägerin auf ihr erneutes Begehren, ein Ermittlungsverfahren gegen M. durchzuführen, mit, es liege kein Fall von § 78 b Abs. 1 Nr. 1 Strafgesetzbuch (StGB) vor. Diese Regelung sei am 30. Juni 1994 in Kraft getreten und erfasse nur Taten, deren Verfolgung zu diesem Zeitpunkt noch nicht verjährt gewesen seien. Die von der Klägerin angezeigten Taten hätten sich demgegenüber 1978 oder im Folgejahr ereignet, weshalb diese jedenfalls 1989 verjährt gewesen seien. Daran habe das im Jahre 1994 erlassene Gesetz nichts geändert.
Über einen stationären Aufenthalt vom 1. April bis 30. September 1992 berichtete der Ärztliche Direktor der Psychotherapeutischen Klinik in St., Dr. Sch., es seien eine schwere Adoleszentenkrise bei retardierter Persönlichkeitsentwicklung und vorwiegend depressiv-hysterisch-schizoiden Anteilen auf dem Boden einer Borderline-Persönlichkeitsstörung diagnostiziert worden. Es bestehe ein Zustand nach Derealisationserscheinungen. Es seien multiple Körpersymptome wie Kreislaufbeschwerden, Schwindel, Kopfschmerzen, Herzrasen und Hautausschlag aufgetreten. Eine ambulante psychotherapeutische Behandlung von etwa sechzig Stunden habe in B. stattgefunden. Die Therapie sei wegen der begonnenen Ausbildung zur Krankenpflegerin in Düsseldorf nicht fortgesetzt worden. Diese Tätigkeit habe die Klägerin jedoch bereits während der Probezeit aus Krankheitsgründen abgebrochen. Sie sei wieder zu ihren Eltern zurückgekehrt. Bei der Aufnahme habe sie den Beginn ihrer Erkrankung in Zusammenhang mit panikartigen Angstanfällen während eines Jugendlagers im März 1991 gebracht. Einen Bekannten habe sie für einen Verfolger und Vergewaltiger gehalten und sei in starker Erregung schreiend in den Wald gelaufen. Nur mühsam habe sie ihr gleichfalls anwesender Freund wieder beruhigen können. Weil sie unter der großen Entfernung und den häufigen Trennungen von ihm gelitten habe, habe sie auf sein Zureden hin eine Lehrstelle in einem Krankenhaus in Düsseldorf angenommen. Entgegen ihren Hoffnungen sei es ihr dort noch wesentlich schlechter ergangen. Sie habe die Belastung im Pflegeberuf nicht ertragen können, sei häufig umgekippt oder habe wegen Kopf- und Bauchschmerzen des Öfteren fernbleiben müssen. Sie habe unter zunehmender Platzangst, Luftnot und Herzrasen sowie unter Ängsten und Selbstmordgedanken gelitten. Die erhoffte Hilfe von Seiten des fünf Jahre älteren, noch sehr muttergebundenen und durch angeborene Hüftluxation belasteten Freundes sei ausgeblieben. Er habe sich überfordert gefühlt. Die Beziehung sei schließlich gescheitert. Mit dem Ausbruch der Ängste im Jugendlager seien traumatische frühe Kindheitserfahrungen wiederbelebt worden. Die Klägerin habe vermutet, dass sie als Kind sexuell missbraucht worden sei, ohne sich jedoch im Einzelnen an ein derartiges Erlebnis erinnern zu können. Jedenfalls sei sie als kleines Mädchen einem Mann gefolgt, habe sich in sein Gartenhaus mitnehmen lassen und sei erst Stunden später total zerstört von den Eltern in der Nähe des Hauses wiedergefunden worden. Sie habe sich außerdem immer von einer Hand bedroht gefühlt und noch weitere Angstbilder mit sich herumgetragen.
Der Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. P. berichtete in einem Attest vom 10. September 1993 zur Vorlage bei der Führerscheinstelle, aufgrund von psychischen Problemen komme es des Öfteren zu Ohnmachtsanfällen, welche die Klägerin als Kreislaufdysregulationen schildere. Wegen einer neurotischen Störung sei sie in psychologischer Behandlung. Sie neige zu konversionssymptomen und hyperventilationstetanischen Anfällen. Es lägen deutliche narzisstische Züge vor. Sie sei psychisch und physisch vermindert belastbar.
Im Gutachten des Dipl.-Psych. G. nach einer Untersuchung der Klägerin am 29. Mai 1996 zur Beurteilung ihrer beruflichen Eingliederung führte dieser aus, es existierten Ängste, Probleme mit Konfliktsituationen und eine herabgesetzte Kritikfähigkeit. Den Anforderungen einer Ausbildung auf dem freien Arbeitsmarkt sei sie im Augenblick nicht gewachsen. Sie bedürfe wegen der beschriebenen Probleme besonderer Hilfe.
10 
Dr. D., Chefarzt der Kitzberg-Klinik in Bad M., einer Fachklinik für psychosomatische Medizin, berichtete über den stationären Aufenthalt der Klägerin vom 17. Juli bis 30. Oktober 1996, er habe eine Reifungskrise bei Verdacht auf eine Borderline-Persönlichkeitsstörung mit hysterischen Anteilen (ICD-10 F60.31) und eine Somatisierungsstörung (ICD-10 F45.0) diagnostiziert. Die Klägerin habe über multiple körperliche Beschwerden wie etwa Kopf-, Bauch- und Knochenschmerzen geklagt. Seit ihrem elften Lebensjahr habe sie psychogene Anfälle, auch werde sie sehr häufig ohnmächtig. Weiter leide sie unter starken, hauptsächlich nächtlichen Ängsten. Sie habe Albträume und Schlafschwierigkeiten. Bisweilen hege sie Selbstmordgedanken. Vor allem in Menschengruppen fühle sie sich äußerst unwohl und verunsichert. Nähe könne sie kaum aushalten, sehne sich aber andererseits danach. In Beziehungen habe sie die Tendenz, sich an andere zu klammern. Es falle ihr schwer, alleine in ihrer Wohnung zu sein. Sie habe bereits einen Selbstmordversuch hinter sich und verletze sich bisweilen selbst, indem sie mit dem Kopf gegen die Wand schlage. Die Klägerin habe alleine in einer vom Sozialamt geförderten Wohnung gelebt. Die Eltern hätten sich 1984 getrennt und zwei Jahre später scheiden lassen, als die Klägerin dreizehn Jahre alt gewesen sei. Ab diesem Zeitpunkt hätten die psychogenen Anfälle begonnen. Mit neunzehn Jahren sei sie eine symbiotische Partnerschaft zu einem elf Jahre älteren Mann eingegangen, von dem sie sich vor drei Monaten wegen seines Alkoholkonsums getrennt habe. Sie habe jedoch weiterhin Kontakt zu ihm. Mit acht Jahren sei sie erstmals psychotherapeutisch behandelt worden. Im Alter von neunzehn Jahren sei ein sechsmonatiger stationärer Therapieaufenthalt erfolgt, ein Jahr später ein achtwöchiger. Von 1993 bis zum Folgejahr habe sie sich in einer Einrichtung des betreuten Wohnens aufgehalten, sei dann mit ihrem gemeinsamen Freund in eine eigene Wohnung gezogen. Bei der Untersuchung auffällig gewesen sei, dass sie mehrmals erwähnt habe, sexuell missbraucht worden zu sein. Mit ihrem beharrlichen Willen und dem langen Redefluss erzeuge sie im Gegenüber das Gefühl von Ungeduld. Auffällig gewesen sei auch die Diskrepanz zwischen ihrer eigenen Schilderung ihrer Schwächen und Ängste sowie ihrer zielstrebigen Beharrlichkeit, hinter der eine große Energie stecke. Die Klägerin habe sich als eher feindselig und im Kontakt abweisend beschrieben, weshalb sie auch einsam sei. Psychische Probleme und Niedergeschlagenheit würden dadurch überspielt. Sie vermeide Konflikte, reagiere schnell verbittert oder enttäuscht und sei leicht kränkbar. Sie neige zu impulsiven Verhaltensausbrüchen und leide unter einer ausgeprägten Minderwertigkeitsproblematik. Weiter hätten sich Hinweise auf eine sehr geringe Bereitschaft zur Selbstöffnung bei jedoch intensivem Leidensdruck und massiven Angstgefühlen sowie großen Schwierigkeiten bei vernunftorientierter Steuerung von destruktiven Impulsen ergeben. Insgesamt hätten eindeutige Anhaltspunkte auf eine ausgeprägte frühe Störung vorgelegen. Zu Beginn der Behandlung habe die Klägerin hauptsächlich ihre Ängste, ihre soziale Inkompetenz und ihre „schlimme Vergangenheit“ benutzt, um in Kontakt zu treten. Nachvollziehbarerweise habe sie bald Ungeduld oder Ablehnung erfahren und habe sich missverstanden oder vernachlässigt gefühlt. In dieser Spirale habe sie zu Eskalationen in Form verbalen Ausagierens bei Konflikten, plötzlichem Umfallen oder Abtriften in ihre Phantasiewelt geneigt.
11 
Dr. K., Chefarzt der M.-B.-Klinik, diagnostizierte nach dem stationären Aufenthalt der Klägerin vom 27. Januar bis 24. April 1998 eine emotionale instabile Persönlichkeitsstörung, Borderline-Typus (ICD-10 F60.31) mit histrionischen und aggressiven Zügen. Als belastende Erlebnisse habe die Klägerin angeführt, im Alter von zwei Jahren den Nachbar tot im Garten gefunden zu haben. Ein Jahr später habe sie erlebt, wie sich ihr Vater das Leben habe nehmen wollen. Im Alter von fünf Jahren sei sie von einem ihr gut vertrauten Mann, einem Tierarzt, der ihr eine Katze geschenkt habe, im elterlichen Gaststättenbetrieb sexuell oral missbraucht worden. Da der Mann ihr gedroht habe, wenn sie über dieses Erlebnis anderen erzähle, werde die Katze ihm das berichten, habe sie in ihrer Verzweiflung versucht, diese zu ertränken, was allerdings misslungen sei. Die Klägerin habe als Kind im Verhältnis zu einem offenbar unberechenbaren, da mal gewalttätigen, mal sehr zugewandten Vater und in ambivalenter Abhängigkeit von einer sich oft verweigernden Mutter wenig emotionalen Halt für ihre Entwicklung erfahren. Ihre stark nach Unterstützung fordernde Eigenart und ihre große Verletzbarkeit sei den Eltern schon früh offenbar oft lästig geworden. Die Mutter habe, oft von Schuldgefühlen geplagt, sich dem Kind nur scheinbar zugewandt. Es habe sich bereits früh ein brüchiges Selbst ausgebildet, welches durch ängstigende Gewalterlebnisse und einen offenbar sehr frühen sexuellen Missbrauch durch einen bekannten älteren Mann traumatisiert worden sei. Der Autonomie-Abhängigkeits-Konflikt zur Mutter sei bis zum heutigen Zeitpunkt nicht wirklich gelöst. In Beziehungen erfahre die Klägerin wegen ihres anklammernden und fordernden Verhaltens immer wieder ihr unverständliche Zurückweisungen, welche sie depressiv verarbeite.
12 
Dr. T., Leitender Arzt der Fachklinik am H. in Wald-M., einer Klinik für Abhängigkeitserkrankungen sowie Psychosomatik und Psychotherapie, diagnostizierte nach dem stationären Aufenthalt der Klägerin vom 2. Mai bis 22. Juli 2001 eine andauernde Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung (ICD-10 F62.0) mit posttraumatischer Belastungsstörung nach erneuter Traumatisierung (ICD-10 F43.1), Zwangsgedanken und
-handlungen gemischt (ICD-10 F42.2) sowie eine Panikstörung (ICD-10 F41.0). Die Klägerin sei im Gespräch zugänglich und kooperativ sowie psychomotorisch unauffällig gewesen. Die Stimmung habe sich während der Aufnahmesituation adäquat gezeigt, verbunden mit einem leichten Misstrauen. Sie sei ausreichend schwingungsfähig gewesen. Der Antrieb habe sich in der Norm gehalten. Das Denken sei formal und inhaltlich geordnet, ferner seien keine wahnhaften Störungen zu eruieren gewesen. Ängste und Phobien hätten sich auf Mitmenschen bezogen. Zwänge seien zumindest als Zwangsgedanken wahrgenommen worden.
13 
Dr. C., Arzt für Psychiatrie und Psychotherapie, Tagesklinik im Sch. in N., einer Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, berichtete Anfang Juli 2002, er gehe von einer emotional instabilen Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typ aus (ICD-10 F60.31). Zudem habe die Klägerin über eine Traumatisierung berichtet, die sie in der Vorgesprächssituation nicht näher habe benennen wollen. Sie habe eine phobische und generalisiert angstvolle Symptomatik angeführt.
14 
Die Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie K.-E. berichtete nach einer Untersuchung der Klägerin am 12. November 2002, diese leide an einer Persönlichkeitsstörung und Kopfschmerzen ungeklärter Ätiologie. Zudem bestehe der Verdacht auf Spannungskopfschmerzen. Bei der Klägerin handele es sich um eine Borderline-Persönlichkeit. Sie habe deshalb mehrere Traumatherapien und andere psychotherapeutische Klinikaufenthalte hinter sich. Sie nehme jedoch grundsätzlich keine Psychopharmaka ein, nur Baldrian und Johanniskraut. Sie lebe mit einem Partner zusammen. Wegen ihrer schweren Traumata sei das Zusammenleben jedoch nicht einfach. Der Kontakt mit ihr habe sich als äußerst schwierig gestaltet, da sie jegliche Behandlungsvorschläge vehement entwertet habe, gleichzeitig aber sehr fordernd aufgetreten sei. Nachdem sie versucht habe, ihr versuchsweise Amitriptylin, 25 mg zur Kopfschmerzprophylaxe aufzuschreiben, habe sie sehr unzufrieden die Praxis verlassen.
15 
Nach dem Attest der Ärztin für Psychotherapeutische Medizin J. vom 3. Dezember 2002 litt die Klägerin an einer komplexen posttraumatischen Belastungsstörung mit ausgeprägter Angst, das Haus zu verlassen.
16 
Prof. Dr. P., Ärztlicher Direktor des Psychotherapeutischen Zentrums Bad M., diagnostizierte nach dem stationären Aufenthalt der Klägerin vom 9. Mai bis 27. Juni 2006 eine dissoziative Störung (Konversionsstörungen) gemischt (ICD-10 F44.7), Angst und depressive Störung, gemischt (ICD-10 F41.2), eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung (ICD-10 F45.4), eine chronifizierte komplexe posttraumatische Belastungsstörung (ICD-10 F43.1) sowie eine emotional instabile Persönlichkeitsstörung (ICD-10 F60.31). Die Klägerin sei zusammen mit ihrem Ehemann erschienen, welcher bei dem ersten Teil der Anamnese anwesend gewesen sei. Die beiden hätten Händchen gehalten. Die Klägerin habe ein Missbrauchserlebnis mit fünf Jahren durch einen Tierarzt angegeben, ohne dass sie danach gefragt worden sei. Nach der Scheidung der Eltern habe die Klägerin erstmals psychogene Ohnmachtsanfälle gehabt. Diesbezüglich sei sie öfter in einem Krankenhaus gewesen. Eine Ursache für die Anfälle sei nirgends gefunden worden. Die psychogenen Krampfanfälle träten überwiegend in Stresssituationen auf. Die Klägerin habe mit monotoner Stimme berichtet. Es habe eine deutliche Aggravationstendenz bestanden. So habe sie etwa über Schmerzen am ganzen Körper berichtet, an die sie sich gewöhnt habe. Kleinste Beschwerden seien als Krankheit definiert worden. Während der Untersuchung habe mehrmals die Neigung zur Dissoziation bestanden, sie habe aber durch das Gespräch in Kontakt gehalten werden können. Die Kontaktaufnahme sei freundlich, der Affekt allerdings depressiv herabgedrückt gewesen. Die affektive Schwingungsfähigkeit sei eingeschränkt erhalten gewesen. Die Klägerin habe auffällig unkonkret über ihre Beschwerden berichtet und habe gewirkt, als ob sie deren Kenntnis eigentlich voraussetze. Die Psychomotorik sei leicht angespannt sowie der Antrieb, die Gestik und die Mimik ebenfalls leicht reduziert gewesen. Eine einfach strukturierte Auffassungsfähigkeit sei aufgefallen. Die Klägerin habe kurz andauernde psychotische Episoden beschrieben, in denen sie einen Mann mit einem Messer real vor sich gesehen habe, etwa dass dieser durch die Steckdose gekommen sei. Auch habe sie ein nicht existentes großes Spinnennetz wahrgenommen. Die Klägerin habe von zwei länger zurückliegenden Suizidversuchen mit fünf und fünfzehn Jahren berichtet, wobei aktuell keine Suizidalität bestanden habe. Sie sei mit fünf Jahren sexuell missbraucht worden, woraufhin sie begonnen habe, wieder einzunässen. Sie habe zudem unter Bauch- und Kopfschmerzen sowie Albträumen gelitten. Mit sechs Jahren sei sie zum ersten Mal in einer psychologischen Beratungsstelle gewesen. Zum Entlassungszeitpunkt habe weiterhin eine hohe Tendenz zur Verantwortungsabgabe und stark dysfunktionalen Interaktionsstrategien bestanden.
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Über ein psychosomatisches Heilverfahren zur medizinischen Rehabilitation in der Klinik am H. in Bad W. vom 22. Juli bis 2. September 2008 berichtete der Chefarzt der Abteilung Psychosomatik Dr. Sch., es seien eine posttraumatische Belastungsstörung (ICD-10 F43.1), eine Fibromyalgie (M79.70) und eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung (ICD-10 F45.4) diagnostiziert worden. Der Vater der Klägerin sei alkoholabhängig gewesen. Die Klägerin habe sich bereits seit acht Jahren in psychotherapeutischer Behandlung befunden. Sie habe über anhaltende Flashbacks bis zum achtzehnten Lebensjahr berichtet, nach einer Vergewaltigung im fünften Lebensjahr. Ihre Mutter habe damals indes gemeint, sie sei hysterisch und solle sich nicht so anstellen. Ihr zweiter Freund, von dem sie sich nach drei Jahren getrennt habe, sei Alkoholiker gewesen. Danach seien Panikzustände und zunehmend Ganzkörperschmerzen aufgetreten. Es sei ihre Rettung gewesen, dass sie mit ihrem jetzigen Ehemann im Jahre 1998 eine Partnerschaft eingegangen sei. Durch dessen Unterstützung habe sie ihren Aktionsradius deutlich erweitern können. In der Beziehung gebe es seit acht Jahren keine sexuellen Kontakte. Sie wohnten zur Miete im Haus ihrer Großmutter. Die Wohnumgebung stelle eine Retraumatisierung für sie dar. Denn im Hof des Hauses befinde sich eine Gastwirtschaft. Die Gäste, der Lärm und der Küchengeruch erinnerten sie an das dramatische Erlebnis in ihrer Kindheit. Die Klägerin sei in einem behüteten Elternhaus aufgewachsen, wobei ihr wenig Verantwortung für das eigene Handeln übertragen worden sei. Es sei ein vorwiegend ängstlich-vermeidender Interaktionsstil zu finden gewesen, so dass die Klägerin wenig Möglichkeiten gehabt habe, Strategien zur Problembewältigung zu erlernen. Erschwerend habe sich als Organismusvariable eine vegetative Hyperreagibilität ausgewirkt. Die Persönlichkeitsstruktur sei vorrangig von dependenten und selbstunsicheren Charaktermerkmalen geprägt gewesen. Auslösende Bedingungen für die Symptomatik seien Konfrontationen mit angstauslösenden Situationen gewesen, wie etwa ein Fahrstuhl, das Alleinsein, soziale Situationen, der Verlust von Bezugspersonen oder die Konfrontation mit Krankheiten. Auf kognitiver Ebene seien vorrangig katastrophisierende Gedanken aufgetreten, welche auf emotionaler Ebene mit Angst verbunden gewesen seien. Weiterhin hätten Gefühle von Hilflosigkeit, Resignation, Selbstunsicherheit und Angst bestanden. Auf körperlicher Ebene sei es zu vegetativen Begleitsymptomen in Form von Schwindel, Herzrasen, Blutdruckanstieg, Atemnot, Schwitzen oder Zittern im Rahmen der sympathikotonen Reaktion gekommen. Die Verhaltensebene sei von einem ausgeprägten Vermeidungsverhalten angstauslösender Situationen geprägt gewesen. Dies habe kurzfristig zu einer Symptomreduktion geführt, sei jedoch als negative und langfristige Konsequenz eine Generalisierung der Angst auf weitere Situationen gewesen. Bewältigungsstrategien seien häufige Arztbesuche bei körperlichen Beschwerden zur Absicherung, die Einnahme von Beruhigungsmitteln oder das Hinzuziehen von Begleitpersonen gewesen. Die Funktionalität der Symptomatik habe unter anderem darin bestanden, Sozialpartner an sich zu binden und das Alleinsein zu vermeiden.
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Der Arzt für Anästhesiologie und spezielle Schmerztherapie Dr. B., bei dem sich die Klägerin ab Ende Februar 2008 in Behandlung befand, berichtete Anfang Mai 2008, schmerztherapeutisch habe eine ausgeprägte Fibromyalgie im Vordergrund gestanden. Es hätten schwerpunktmäßig Kopfschmerzen vorgelegen, daneben Syndrome in den Bereichen der Halswirbelsäule sowie der Schulter und im ganzen Arm, ferner eine Lumbalgie. Biographisch habe eine posttraumatische Belastungsstörung bestanden.
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Die Fachärztin für Psychotherapeutische Medizin Dr. L.-K. teilte in ihrer Bescheinigung von Anfang August 2013 mit, die Klägerin habe sich von Dezember 2002 bis April 2008 und dann wieder ab Mai 2010 in ihrer psychotherapeutischen Behandlung befunden. Diagnostiziert worden seien eine komplexe posttraumatische Belastungsstörung (ICD-10 F43.1) mit dissoziativen Krampfanfällen (ICD-10 F44.5), eine dissoziative Fugue (ICD-10 F44.1), dissoziative Lähmungen und Sensibilitätsstörungen von Extremitäten, ein Sprachverlust, eine rezidivierende depressive Störung (ICD-10 F38.10) sowie eine somatoforme Schmerzstörung (ICD-10 F45.40). Differentialdiagnostisch habe ein Fibromyalgiesyndrom vorgelegen. Die zeitweise gestellte Borderline-Diagnose habe bei Testung in der Sprechstunde der Psychiatrischen Institutsambulanz des Universitätsklinikums T. Ende Mai 2013 nicht vollständig erhärtet werden können. Bei ihrer Untersuchung habe sich ebenfalls kein aktueller Hinweis auf eine solche Erkrankung gezeigt, so dass lediglich von einer Akzentuierung auszugehen gewesen sei (ICD-10 Z73.1). Im Vordergrund der Symptomatik habe demgegenüber eine Traumafolgestörung bestanden, welche auf Traumatisierungen in der Kindheit und Jugend durch Vergewaltigung und weitere sexuelle Übergriffe, die fehlende Geborgenheit in der elterlichen Gastwirtschaft sowie dem Erleben von körperlicher Gewalt zurückzuführen sei. Dabei erscheine das Bindungsverhalten der Klägerin überwiegend von Abhängigkeit und Trennungsängsten bestimmt.
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Prof. Dr. E., Ärztlicher Direktor der Klinik für Psychosomatik und Psychotherapie der A. Kliniken in B.-B. diagnostizierte nach dem stationären Aufenthalt der Klägerin vom 22. Juni bis zum 9. Juli 2011 unter anderem ein Fibromyalgiesyndrom, eine vorbekannte posttraumatische Belastungsstörung, eine vorbekannte anhaltende somatoforme Schmerzstörung und eine rezidivierende Depression. Die Aufnahme der Klägerin sei wegen einer akuten Schmerzexacerbation trotz Ausschöpfens der ambulanten Therapiemaßnahmen erfolgt. Der Schwerpunkt der Behandlung habe auf der abgestuften medikamentösen Schmerztherapie gelegen sowie auch auf dem ganzen Spektrum der aktiven und passiven physikalischen Therapie und der psychologischen Schmerz- und Entspannungstherapie. Medikamentös habe mit Lyrica, beginnend mit 25 mg und später mit 50 mg zur Nacht, eine Verbesserung der neuropathischen Schmerzsymptomatik und des Nachtschlafes erreicht werden können. Bei einem akuten Schmerzschub könne die Klägerin bedarfsweise mit Ibuprofen, 400 mg entgegenwirken.
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Nach dem stationären Aufenthalt der Klägerin in der Klinik für Neurologie und Neurophysiologie des Klinikums S.-B. vom 9. bis 11. März 2011 diagnostizierte der Chefarzt Prof. Dr. A. eine dissoziative Gangstörung bei einem Zustand nach wiederholter Traumatisierung und ein Fibromyalgiesyndrom.
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Die Klägerin hatte erstmals am 13. November 2000 einen Antrag auf Gewährung von Beschädigtenversorgung nach dem OEG gestellt, der mit Bescheid vom 5. August 2002 abgelehnt wurde. Der Nachweis, dass sie Opfer einer Gewalttat geworden sei, habe nicht erbracht werden können. Das durch ihre Anzeige eingeleitete Strafverfahren sei wegen der zwischenzeitlich eingetretenen Strafverfolgungsverjährung eingestellt worden. Durch das in Auftrag gegebene neurologisch-psychiatrische Fachgutachten vom 6. März 2001 sei bestätigt worden, dass die Klägerin an einer Borderline-Störung leide. Vom Weißen Ring e. V. erhielt sie Ende 2002 wegen der „durch die Straftat eingetretenen besonderen Lebenslage“ eine Beihilfe in Höhe von 1.500 EUR. Der Antrag der Klägerin, die Verwaltungsentscheidung im Wege des Zugunstenverfahrens nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) zu überprüfen, wurde mit bestandskräftigem Bescheid vom 9. Juni 2011 abgelehnt. Die getroffene negative Feststellung sei aufgrund des neurologisch-psychiatrischen Gutachtens von März 2001 erfolgt. Danach habe der Nachweis des geltend gemachten schädigenden Ereignisses nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit erbracht werden können. Zwischenzeitlich hatte die Klägerin Anfang März 2006 schriftlich festgehalten, dass sie mit fünf Jahren auf der Kegelbahn einer Gaststätte von einem Gast sexuell missbraucht worden sei, welcher ihr eine Katze geschenkt habe und das als Gegenleistung erwartet habe. Sie habe versucht, das Tier in der Badewanne zu ertränken. Vermutlich sei das nicht das einzige Erlebnis dieser Art gewesen. Sie habe oft Bauchschmerzen gehabt und wieder angefangen einzunässen.
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Unter Hinweis auf das Urteil des Bundessozialgericht (BSG) vom 17. April 2013 (Az. B 9 V 1/12 R) stellte die Klägerin am 17. Juni 2013 sinngemäß erneut einen Überprüfungsantrag in Bezug auf die Gewährung einer Beschädigtenrente. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung könnten Versorgungsleistungen beansprucht werden, selbst wenn kein Tatzeuge vorhanden sei. Sie gab an, als Kind im Ser Stadtteil D. zweimal sexuell missbraucht worden zu sein. Ein Tierarzt habe sie auf der Kegelbahn der von ihren Eltern betriebenen Gaststätte zum Oralverkehr gezwungen und ihr als Gegenleistung ein Kätzchen geschenkt. Er habe gesagt, wenn sie etwas äußere, höre diese es, worüber sie ihm berichte. Daher habe sie das Tier vermutlich ertränken wollen. Ein zweiter Missbrauch sei in einer Schrebergartensiedlung in der Nähe ihres Elternhauses erfolgt. Sie sei von einem Mann mit Hund angesprochen und gefragt worden, ob sie sehen möchte, wo dieser schlafe. Sie sei mit ihm gegangen. Sie wisse jedoch nur noch, in einem Gartenhäuschen etwas getrunken zu haben. Sie könne sich indes an nichts mehr erinnern. Mit hoher Wahrscheinlichkeit seien ihr so genannte. „K.-o.-Tropfen“ verabreicht worden, wodurch sie das Bewusstsein verloren habe. Vermutlich sei es zu einem Ritus gekommen, denn sie habe immer Erinnerungen an drei schwarze Kapuzenmenschen. Sie habe weitere einschneidende Erlebnisse in ihrer Kindheit erfahren. Die sexuellen Übergriffe seien jedoch die schlimmsten gewesen. Der ganze Alltag richte sich nach den Traumata aus. In der Küche habe sie weder Messer noch Scheren mit schwarzen Griffen. An manchen Tagen könne sie nicht zum Frisör gehen, weil sie Panik vor einer Schere habe. Sie könne nicht im Erdgeschoss wohnen. Wegen der oralen Vergewaltigung nutze sie eine elektronische Zahnbürste, was für sie stressfreier sei. Zahnarztbesuche seien blanker Horror und hätten früher nicht selten mit einem dissoziativen Krampfanfall geendet. Selbst eine Banane könne sie nicht normal essen. Sie könne weder arbeiten gehen noch alleine Bus oder S-Bahn fahren. Der Antrag wurde mit Bescheid vom 18. Juli 2013 abgelehnt, der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 25. November 2013 zurückgewiesen.
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Hiergegen hat die Klägerin am 23. Dezember 2013 Klage beim Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhoben, welches verschiedene, sie behandelnde Ärztinnen und Ärzte als sachverständige Zeugen befragt hat.
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Dr. L.-K. hat im April 2014 im Wesentlichen den Inhalt ihrer Bescheinigung von Anfang August 2013 wiedergegeben und ergänzend ausgeführt, die depressiven Episoden, welche zum Teil Tage bis unter zwei Wochen, manchmal auch Monate anhielten, hätten eine teils mittelgradige, teils schwere Ausprägung mit Suizidgedanken, also bis hin zur Lebensmüdigkeit. Der Klägerin werde ein Antidepressivum in Form von Doxepin, 75 mg abends verabreicht. Bei den gemischten dissoziativen Zuständen handele es sich um eine dissoziative Fugue (ICD-10 F44.1), wobei sich die Klägerin in einem kindlich-ängstlichen Ich-Zustand befinde, und um dissoziative Krampfanfälle (ICD-10 F44.5), nach Fremdanamnese zum Teil mit Somnolenz. Ein beginnendes Krampfen habe sie in Verbindung mit traumatischen Erinnerungen an einen Schrebergarten beobachtet. Anamnestisch habe zeitweise die Stimme in Erregungszuständen versagt, in denen die Klägerin getriggert gewesen sei. Zudem seien Taubheits- und Lähmungserscheinungen in den Extremitäten aufgetreten. Diese dissoziativen Zustände in Verbindung mit Flashbacks seien als Traumafolgezustände zu werten und ergänzten die Symptomatik der posttraumatischen Belastungsstörung. Bei der Überwindung agoraphobischer Ängste unterstütze sie ihr Ehemann, auch der Hund helfe ihr. Alleinsein in der Wohnung über viele Stunden führe wiederholt zu Angst- und Panikzuständen.
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Von Dr. L.-K. ist unter anderem der Bericht des Oberarztes der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie mit Poliklinik des Universitätsklinikums T., Prof. Dr. E., vom 29. Mai 2013 über ambulante Vorstellungen der Klägerin am 24. Mai und „angeblich“ 3. Juni 2013 vorgelegt worden, wonach eine Akzentuierung von Persönlichkeitszügen einer Borderline-Persönlichkeitsstörung (ICD-10 Z73.1) sowie der Verdacht auf eine posttraumatische Belastungsstörung und eine Zwangsstörung diagnostiziert worden seien. Eine inhaltliche Denkstörung in Form von Verfolgungsideen sei gegeben gewesen. Ein Anhalt für Halluzinationen habe nicht bestanden. Es hätten jedoch andere Wahrnehmungsstörungen in Form von dissoziativen Anfällen vorgelegen. Zudem seien Ich-Störungen in Form von Depersonalisations- und Derealisationserleben unter Belastung gegeben gewesen. Zwänge in Form von Kontaminierungs- und Kathastrophisierungsängsten sowie Wasch- und Kontrollzwänge seien erkannt worden. Die Stimmung sei leicht gedrückt sowie die Klägerin im Antrieb etwas unruhig und im Gespräch teilweise schwer zu begrenzen gewesen. Ein Anhalt für eine Selbst- oder Fremdgefährdung habe sich nicht gefunden. Im Ergebnis hätten aktuell keine ausreichenden Hinweise auf eine Borderline-Persönlichkeitsstörung vorgelegen, so dass lediglich von einer Akzentuierung auszugehen gewesen sei.
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Die Frauenärztin Dr. Dipl.-Psych. V. hat im Juli 2014 kundgetan, bei der Klägerin erstmals Mitte Oktober 2006 eine gynäkologische Vorsorgeuntersuchung durchgeführt zu haben. Zuletzt sei sie Anfang September 2010 zu einem Gesprächstermin in Begleitung ihres Ehemannes mit dem Wunsch nach stationärer Einweisung wegen einer Psychose in ihrer Praxis gewesen. Es habe unter anderem ein Zustand nach einer posttraumatischen Belastungsstörung mit dissoziativen Zuständen mit Erstdiagnose im Jahre 2006 bestanden. Es habe sich um eine schwergradige posttraumatische Belastungsstörung mit Panikattacken und schwergradigen psychosomatischen Beschwerden gehandelt.
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Die Ärztin für Psychotherapeutische Medizin J. hat im April 2014 mitgeteilt, dass die Klägerin nicht in ihrer psychologischen Behandlung gewesen sei. Die Dipl.-Psych. O. hat die Anfrage mit dem Vermerk zurückgeschickt, dass ihr diese unbekannt sei. Die Dipl.-Psych. E. hat Ende Juni 2014 mitgeteilt, keine Unterlagen über sie nach dem Jahre 2000 mehr gefunden zu haben.
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In nichtöffentlichen Sitzungen am 16. April, 14. Juli und 13. August 2015 sind die Klägerin gehört sowie M. und ihre leiblichen Eltern H. H. und H. L. als Zeugin und Zeugen befragt worden.
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Die Klägerin hat im April 2015 berichtet, sie habe damals auf der Kegelbahn allein gespielt. Sie sei auf die Toilette gegangen. Nach der Rückkehr von dort sei ihr aufgefallen, dass der Kühlschrank offen gestanden sei. Schließlich sei die Tür zugegangen und M. sei vor ihr gestanden. Sie habe ihn gekannt, da er ihr bereits zuvor eine schwarzweiße Katze geschenkt habe. Er habe dann scheinbar eine Art Gegenleistung von ihr gewollt, was sie jedoch nicht mehr genau wisse. Es sei zum Missbrauch gekommen. Er habe gesagt, die Katze sehe und höre alles, wenn sie etwas erzähle. Diese berichte ihm davon. Dann passiere etwas Schlimmes. Was genau, wisse sie nicht mehr. An den Namen von M. könne sie sich erst jetzt wieder erinnern. lange sei er ihr nicht bekannt gewesen. Sie sehe nur eine schwarze Gestalt mit Vollbart und Brille vor sich. Ihr Vater habe spontan geäußert, M. habe ausgesehen wie der Räuber Hotzenplotz. Damit erkläre sich nun für sie, weshalb sie sich als Kind vor dieser Figur immer geekelt habe. M. sei Tierarzt gewesen. Sie habe bereits mit zehn Jahren Albträume gehabt. Irgendwie habe sich alles wie ein Puzzle zusammengefügt. Sie habe angefangen zu malen, das sei ihr einziges Sprachrohr gewesen. Ihr sei ja ein Schweigegelübde eingehämmert worden. Später als Jugendliche habe sie eine Katze gehabt, da habe sich das Ganze fortgesetzt. Sie könne sich an einen Vorfall erinnern, bei dem sie das Gefühl gehabt habe, diese beobachte sie. Sie sei auf dem Fensterbrett gegessen. Schließlich habe sie einen Schrei losgelassen, bis ihr klar geworden sei, dass es sich um ihr eigenes Tier gehandelt habe. Sie wolle klarstellen, dass sie bereits vor dem zehnten Lebensjahr häufiger unter Albträumen gelitten habe. Ab diesem Zeitpunkt habe sie jedoch einen ganz prägnanten gehabt. Sie habe ein erigiertes Glied mit einem Kondom angefasst. Bereits als Kind sei sie in einer Spieltherapie gewesen. Allerdings sei nichts aus ihr herausgebracht worden. Wahrscheinlich sei das Schweigegelübde so stark in ihr verankert gewesen, dass es nicht funktioniert habe. Sie habe immer Albträume mit Hunden, Blut und Schlangen gehabt, was noch anhalte. Sie träume auch davon, am Hals gewürgt zu werden. Dies komme wohl daher, dass M. sie damals an dieser Stelle gepackt habe. Mittlerweile wisse sie, dass es einen Griff gebe, welcher verhindere, dass zugebissen werden könne. M. habe als Tierarzt sicherlich Kenntnis von dieser Technik gehabt. Dies erkläre ihre Kopf-, Hals- und Genickschmerzen. Zu dem Vorfall im Schrebergarten könne sie nur sagen, dass sie mit einem Mann mitgegangen sei, um dessen Hunde anzusehen. Er habe ihr zeigen wollen, wo diese schlafen. Sie habe ihr blaues Fahrrad dabei gehabt. Sie wisse noch, dass sie an einem Tisch gesessen sei und etwas getrunken habe. Dann sei alles weg. Ihre Therapeutin habe gesagt, wegen der krampfhaften Anfälle müsse etwas Extremes passiert sein, was über einen normalen Missbrauch hinausgegangen sei. Sie könne nicht mehr sagen, welcher Vorfall sich zuerst ereignet habe. Beide ereigneten sich jedoch als sie im Ser Stadtteil D. gewohnt hätten. Das sei wohl in der Zeit von 1977/78 bis 1981 gewesen. Sicher sei sie sich aber auch hier nicht. Jedenfalls hätten sich dort die Vorkommnisse ereignet. Sie könne sich nicht mehr an den Zeitpunkt oder die Jahreszeit erinnern, als sie auf der Kegelbahn missbraucht worden sei. Sie sei etwa vier oder fünf Jahre alt gewesen. Der Täter müsse K. geheißen haben. Sicher sei sie sich jedoch nicht. Er sei jedenfalls Clubmitglied gewesen. Vor etwa zwanzig Jahren sei sie zusammen mit ihrem Therapeuten nochmals am Ort des Geschehens im Vereinsheim gewesen. Die Kegelbahn habe indes nicht mehr existiert, da ein Umbau vorgenommen worden sei. Sie habe die Kegelbahn immer wieder gezeichnet. Als ihre Mutter ein Bild gesehen habe, habe sie spontan gesagt, genau so habe es damals ausgesehen. Später sei sie nochmal mit ihrem Ehemann in S-D. gewesen. An die Person des Täters könne sie sich nicht mehr erinnern. Sie wisse nur noch, dass er große, riesige Hände gehabt habe. Er müsse wohl zwischen dreißig und vierzig Jahre alt gewesen sein. Dies wisse sie aber nicht mehr genau. M. habe sie auf einen Tisch gesetzt und festgehalten. Er habe sie dann oral missbraucht. Ihr Kopf habe gegen seine Rippen geschlagen. Er sei höchstwahrscheinlich zum Samenerguss gekommen, daran erinnern könne sie sich hingegen nicht. Sie habe heute noch massive Probleme, eine Banane zu essen oder sich die Zähne zu putzen. Sie habe mittlerweile herausgefunden, dass es mit einer elektrischen Zahnbürste einfacher sei, da sie diese nicht in den Mund hinein- und wieder herausführen müsse, sondern kreisende Bewegungen vornehmen könne. Sie befinde sich noch immer in einer EMDR-Therapie. Sie habe etwa mit siebzehn oder achtzehn Jahren realisiert, dass in Richtung eines Missbrauches etwas gewesen sein müsse. Mit sechzehn oder siebzehn Jahren habe sie ihren ersten Freund gehabt. Damals habe sie festgestellt, dass mit ihr etwas nicht stimme. Sie habe das schon einmal erlebt und habe gedacht, dass könne ja nicht sein, sie habe noch gar keinen Freund gehabt. Zu den von ihr gemalten und im Termin vorgelegten Bildern hat sie ausgeführt, diese seien teilweise in der Therapie entstanden. Es sei Teil davon gewesen, die gemalten Erinnerungen in einen Tresor wegzustecken, wo sie auch aufbewahrt würden. Zu dem Geschehen im Schrebergarten habe sie einzig von ihr nachträglich gemalte Bilder, welche schwarze Kapuzenmänner mit weißen Augen zeigten. Sie könne sich nur noch daran erinnern, dass da ein oder zwei Hunde gewesen seien. Nach ihrer Erinnerung habe dort eine Frau gestanden. Dann sei ein Mann anwesend gewesen, der sich als Frau verkleidet habe. Sie wisse aber nicht mehr mit letzter Sicherheit, ob es sich dabei um den Missbrauch im Schrebergartenhäuschen handele.
31 
Der Zeuge M. hat im Juli 2015 ausgesagt, er sei aktiver H.spieler in S-D. gewesen. Er sei auch als X im Vorstand gewesen. Ob dies im Jahre 1978 oder 1979 gewesen sei, könne er nicht mehr sagen. Zu seiner aktiven Zeit habe er ein- bis zweimal in der Woche trainiert und am Wochenende gespielt. Er habe sich auch in der Vereinsgaststätte aufgehalten. In seiner Vorstandsfunktion sei er für den Bereich Sport zuständig gewesen, nicht Wirtschaft. Er habe daher auch nicht die Pachtverträge mit den jeweiligen Betreibenden der Gaststätte geschlossen. An die Pächter könne er sich nicht mehr erinnern, diese hätten damals schnell gewechselt. Er könne sich auch nicht an ein Kind von Pächtern erinnern. Er würde einem Kind nie eine Katze schenken. Das sei das Allerschlimmste, was getan werden könne. Insbesondere als Tierarzt gehe das nicht. Dies sei ein ethisches Problem. Tiere sollten nicht verschenkt werden. Zu den ihm entgegengehaltenen Vorwürfen könne er nichts sagen. Der Name der Klägerin sei ihm unbekannt. Er könne sich nicht mehr daran erinnern, ob zu der Vereinsgaststätte eine Kegelbahn gehört habe. Möglich sei es, er habe jedenfalls nie gekegelt. In der damaligen Zeit habe er sicher einen Bart getragen. Er sei damals knallig schwarz und dunkel gewesen. Wenn er einen getragen habe, dann stets einen Vollbart. Er habe etwa schulterlange Haare gehabt. Eine Brille habe er eigentlich schon immer getragen, auch als Kind. Denn er habe sehr schlechte Augen.
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Die Zeugin H. hat im August 2015 geäußert, sie seien ungefähr von September 1978 bis September 1981 in S-D. gewesen. Die Klägerin sei schon anhänglich gewesen, bevor sie dorthin gezogen seien. Sie sei mit etwa siebzehn Jahren für ein halbes Jahr in der S. Klinik in S. gewesen, wo sie therapeutisch behandelt worden sei. Nach der Vermutung der Therapeuten habe es nahegelegen, dass sie missbraucht worden sei. Sie gehe davon aus, dass es der Klägerin zu dieser Zeit bewusst geworden sei. Während der Zeit in S-D. sei sie noch anhänglicher und ängstlicher geworden. Diese habe von M. eine Katze geschenkt bekommen. Sie könne sich jedoch nicht daran erinnern, bei der Übergabe des Tieres dabei gewesen zu sein. Es könne auch sein, dass die Katze zugelaufen sei und die Klägerin M. nur gefragt habe, ob das Tier gut oder gesund sei. Jedenfalls habe sie über die Katze einen Bezug zu M. hergestellt. An einen Missbrauchsvorfall in einem Schrebergartenhäuschen könne sie sich nicht genau erinnern. Die Klägerin sei zwar einmal für ein paar Stunden verschwunden gewesen. Sie könne allerdings nichts dazu sagen, was passiert sei.
33 
Der Zeuge L. hat im August 2015 kundgetan, M. habe sich als Gast häufiger in der Vereinsgaststätte aufgehalten. Er sei Mitglied der H.mannschaft gewesen. Er erinnere sich daran, dass irgendwann bei der Klägerin Bauchschmerzen aufgetreten seien, insbesondere am Wochenende. Er denke, dass es im Zusammenhang mit einem Urlaub im Bayerischen Wald gewesen sei. Entweder dort oder kurz danach hätten die Auffälligkeiten angefangen. Er könne sich auch an eine schwarze Katze erinnern. Sie sei von M. gewesen. Diese hätten sie damals nur ein paar Wochen gehabt. Die Katze sei nicht zugelaufen. Er gehe sehr stark davon aus, dass sie ein Geschenk gewesen sei. M. habe auch Tiere zur Betreuung gehabt, weshalb er annehme, dass sie von ihm gewesen sei. M. habe die Klägerin auf jeden Fall gekannt. Beide hätten sich insbesondere am Wochenende gesehen. Er könne sich nicht daran erinnern, dass diese ihm speziell aus dem Weg gegangen sei oder sich ihm zugewandt habe. Er sei jedoch als Koch in der Küche tätig gewesen und habe nur wenig davon mitbekommen, was sich in der Vereinsgaststätte abgespielt habe. Wann die Katze abgegeben oder wohin diese gebracht worden sei, könne er nicht sagen. An einen Missbrauch in einem Schrebergartenhäuschen habe er keine Erinnerung.
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Im Termin im April 2015 hat das SG darauf hingewiesen, dass die Feststellungsklage vorliegend die richtige Klageart sein dürfte und der Streitgegenstand darauf zu begrenzen sei, dass die Klägerin Opfer eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs geworden sei. In der Niederschrift über den Termin am 14. Juli 2015, bei dem die Klägerin nicht anwesend gewesen ist, sondern von einem ihrer Prozessbevollmächtigten vertreten worden ist, ist aufgeführt: „Die Klägerin beantragt sodann, es wird festgestellt, dass sie Opfer eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs im Alter von fünf bis sechs Jahren auf dem Gelände des H. gewesen ist.“ und „laut diktiert und genehmigt“. Mit Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten der Klägerin vom 2. August 2015 ist vorgetragen worden, trotz des gerichtlichen Hinweises im Erörterungstermin am 16. April 2015 halte sie unter Bezugnahme auf die Entscheidung des BSG vom 16. Dezember 2014 (Az. B 9 V 1/13 R) am kombinierten Feststellungs- und Leistungsantrag fest.
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In der mündlichen Verhandlung am 27. Oktober 2015 hat die Klägerin schließlich beantragt, unter Aufhebung der angefochtenen Verwaltungsentscheidung und unter Abänderung des Bescheides vom 5. August 2002 den Beklagten zu verpflichten, ihr Leistungen nach dem OEG ab 13. November 2000 zu gewähren. Das SG hat die Klage durch Urteil mit der Begründung abgewiesen, selbst unter Zugrundelegung des abgesenkten Beweismaßstabes der Glaubhaftmachung sei es nicht gut möglich, dass die Klägerin 1978 oder im Folgejahr Opfer vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriffe geworden sei, insbesondere in Bezug auf den vorgetragenen sexuellen Missbrauch durch den Zeugen M. Angesichts der detaillierten Schilderung des vermeintlichen sexuellen Missbrauches durch die Klägerin seit Beginn des Verwaltungsverfahrens und im gerichtlichen Verfahren sei es nicht nachvollziehbar, weshalb diese angesichts ihrer vielfältigen ambulanten und stationären psychotherapeutischen Gespräche und Behandlungen in der Zeit seit 1979 bis zu ihrer Erkenntnis im Jahre 1994, sexuell missbraucht worden zu sein, niemals eine sexuelle oder sonstige Gewalttätigkeit auch nur angedeutet habe. Die ersten Schilderungen von Übergriffen seien erst im Rahmen einer mehrjährigen Psychotherapie erfolgt und daher mit Vorsicht zu betrachten. Die Aussage der Klägerin sei erst zu einem Zeitpunkt erfolgt, zu dem sie sich wegen der streitgegenständlichen Gesundheitsstörungen bereits in Therapie befunden habe. Es sei daher nicht auszuschließen, dass etwa im Zusammenhang mit den therapeutischen Bemühungen Gedächtnisinhalte erzeugt oder verändert worden seien. Die Klägerin habe erstmals im Alter von sechs oder sieben Jahren psychotherapeutische Gespräche geführt. Seit etwa dem elften Lebensjahr habe sie sich in psychotherapeutischer Behandlung befunden. Sie habe im Rahmen der Anzeigenerstattung im Jahre 1995 angegeben, erst mit zehn oder elf Jahren die ersten Vermutung gehegt zu haben. Erst etwa eineinhalb Jahren zuvor sei sie sicher gewesen, von M. sexuell missbraucht worden zu sein. Nach dem Klinikaufenthalt in St. mit etwa siebzehn Jahren habe sie an ihre Eltern vermehrt Fragen zu den Gästen in S-D. gerichtet. Ob es sich um ihre eigene Erinnerung gehandelt habe, sei jedoch fraglich. Darüber hinaus habe sie im Laufe ihres Lebens trotz der immer weiter zurückliegenden Ereignisse neue Episoden wie etwa den Vorfall im Schrebergartenhaus oder den Namen des vermeintlichen Täters geschildert. Nach ihrer eigenen Aussage habe sich alles nach und nach wie ein Puzzle zusammengesetzt. Als besonders problematisch seien jedoch solch vermeintlich wiederentdeckten Aussagen etwa dann zu betrachten, wenn mit oder ohne therapeutische Unterstützung explizite Bemühungen vorgenommen worden seien, sich an nicht zugängliche Erlebnisse zu erinnern, wenn Erinnerungen erst im Laufe wiederholter Erinnerungsbemühungen entstanden seien, wenn im Laufe der Zeit immer mehr Erlebnisse berichtet würden oder wenn die berichteten Erlebnisse bizarre oder extreme Erfahrungen beinhalteten. Die Kammer habe sich nicht davon überzeugen können, dass die Erinnerungen der Klägerin nicht in den Therapien erzeugt oder verändert worden seien. Bereits bei der nervenärztlichen Begutachtung im Jahre 2006 habe die Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie E. beschrieben, es habe der Eindruck bestanden, die Klägerin wisse aufgrund ihrer jahrelangen Erfahrung mit Psychotherapeuten genau, welche Argumente sie bei Untersuchungen vorbringen müsse. Auch die Aussagen der gehörten Zeugen hätten die Kammer nicht von der guten Möglichkeit des Tatgeschehens überzeugen können. Die Zeugin H. und der Zeuge L. hätten sich trotz des geschilderten Vorfalles in der Badewanne nicht daran erinnern können, was mit der Katze geschehen sei. Diese hätten im Wesentlichen lediglich die Erinnerungen der Klägerin bestätigt, welche sie über Jahre wiederholt von ihr berichtet bekommen hätten. Zwar gehe die Kammer davon aus, dass die Klägerin selbst von dem von ihr geschilderten Tatgeschehen auf der Kegelbahn überzeugt sei. Diese habe allerdings im Laufe ihres Lebens eine Vielzahl von Schicksalsschlägen erleiden müssen. Sie sei trotz heftiger Gegenwehr zeitweise durch eine Pflegefamilie betreut worden. Die Ehe ihrer Eltern sei von häufigen Streitereien und Handgreiflichkeiten geprägt gewesen. Als sie etwa elf Jahre alt gewesen sei, hätten diese sich getrennt und zwei Jahre später schließlich scheiden lassen. Als Kind habe die Klägerin immer das Gefühl gehabt, zu kurz zu kommen. Die ersten psychogenen Ohnmachtsanfälle seien nach der Scheidung der Eltern erfolgt. Zudem habe sie im Alter von zwei Jahren den Nachbarn tot im Garten gefunden. Ein Jahr später habe ihr Vater einen Suizidversuch unternommen, bei dem sie ihn aufgefunden habe. Es sei daher nicht ausgeschlossen, dass der geschilderte Missbrauch für die Klägerin lediglich eine Erklärung für ihre gesundheitlichen, insbesondere psychischen Leiden darstelle. Zur Überzeugung der Kammer spreche daher nach der Gesamtwürdigung aller Umstände nicht besonders viel für den von der Klägerin behaupteten Vorgang. Hinsichtlich eines etwaigen Missbrauches in einem Schrebergartenhaus sei der abgesenkte Beweismaßstab der Glaubhaftmachung bereits nicht anwendbar. Dieser erfordere zumindest, dass die Betroffenen Bekundungen aus eigenem Wissen, jedenfalls aber überhaupt Angaben machten. Die Klägerin habe indes angegeben, sie könne sich nur teilweise an den Übergriff erinnern. Sie wisse lediglich noch, einen Mann zu einem Schrebergartenhäuschen begleitet zu haben, welcher einen Hund mitgeführt habe. Dort habe sie etwas getrunken und anschließend einen Blackout gehabt. Sie wisse nur noch, wie sie von ihren Eltern gefunden und mit nach Hause genommen worden sei. Ein tätlicher Angriff müsse vorgefallen sein, da sie Bilder aus ihrer Erinnerung male, die durch jahrelange Therapie mittlerweile ans Licht gekommen seien. An einen eigentlichen Übergriff könne sie sich jedoch nicht erinnern. Auch die gehörten Zeugen hätten insoweit nichts zur Sachverhaltsaufklärung beitragen können. Zu weiteren, über die Auswertung der vorliegenden ärztlichen Unterlagen hinausgehenden medizinischen Ermittlungen habe kein Anlass bestanden. Ein Rückschluss von einer psychiatrischen Erkrankung auf die zugrundeliegende Tat sei nicht möglich, sondern beinhalte einen Zirkelschluss. Auch gäben die psychischen Probleme der Klägerin nicht einmal einen brauchbaren Hinweis auf die Möglichkeit der Faktizität des geltend gemachten Geschehens. Die Einholung eines Glaubhaftigkeitsgutachtens von Amts wegen sei nicht erforderlich. Eine solche aussagepsychologische Begutachtung komme nur in besonderen Ausnahmefällen in Betracht, etwa wenn dem Gericht die Sachkunde für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit fehle. Dies sei vorliegend nicht der Fall. Weder weise die Aussageperson Besonderheiten auf, noch sei der Sachverhalt besonders gelagert. Es handele sich um eine durchaus typische Fallgestaltung für das Recht der Opferentschädigung. Der Beitrag von aussagepsychologischen Glaubhaftigkeitsgutachten zur Aufklärung sei gerade in Fällen zweifelhaft, in denen in der Vergangenheit mit therapeutischer Unterstützung explizit Bemühungen unternommen worden seien, sich an nicht zugängliche Erlebnisse zu erinnern oder in denen die Erinnerungen erst im Laufe wiederholter Erinnerungsbemühungen entstanden seien. Zu berücksichtigen sei, dass auch Personen, die einer Gedächtnistäuschung unterlägen, von der Richtigkeit ihrer Erinnerung überzeugt seien. Dies sei bei der Klägerin auch aufgrund des persönlichen Eindruckes der Kammer der Fall. Nach alledem sei der Nachweis für das Vorliegen eines Angriffes nicht erbracht.
36 
Gegen die den Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 5. November 2015 zugestellte Entscheidung hat diese am Montag, 7. Dezember 2015 Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingelegt.
37 
Mit gerichtlichem Schreiben vom 4. April 2016 ist den Prozessbevollmächtigten der Klägerin mitgeteilt worden, dass nicht beabsichtigt ist, von Amts wegen weitere Ermittlungen durchzuführen, insbesondere ein Gutachten zur Feststellung der Glaubhaftigkeit ihrer Angaben einzuholen. Weiter sind sie darüber in Kenntnis gesetzt worden, dass beabsichtigt ist, den Rechtsstreit am 23. Juni 2016 mündlich zu verhandeln. Nachdem ihnen die Ladung am 25. April 2016 zugestellt worden ist, hat die Klägerin am 3. Mai 2016 beantragt, Dr. H. im Rahmen von § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) gutachtlich zu hören.
38 
Die in der mündlichen Verhandlung anwesende Klägerin trägt im Wesentlichen vor, das SG sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass sie den sexuellen Missbrauch im Kindesalter nicht glaubhaft gemacht habe. Es habe maßgeblich darauf abgestellt, dass ihre ersten Schilderungen der sexuellen Übergriffe erst im Rahmen einer mehrjährigen Psychotherapie erfolgt und daher mit Vorsicht zu betrachten seien. Der Umstand, dass sie erst mit siebzehn oder achtzehn Jahren davon gesprochen habe, könne ihr jedoch nicht zum Nachteil gereichen. Dies sei vielmehr normal. Kinder, die Missbrauchserfahrungen machten, verarbeiteten diese in der Regel so, dass sie verdrängt und nicht ausgesprochen würden. Nur so sei ein Schutz möglich. Vor diesem Hintergrund sei auch die Verjährungsregelung für die Straftatbestände im Zusammenhang mit dem sexuellen Missbrauch von Minderjährigen geändert worden. Die Verjährung beginne erst mit der Volljährigkeit des Opfers. Das SG hätte daher nicht auf das Alter oder die Zeitdauer zwischen dem sexuellen Missbrauch und ihrer erstmaligen Äußerung dazu abstellen dürfen. Vielmehr sei zu bewerten, ob ihre Aussagen in sich stimmig und nach mehrmaligen Wiederholungen gleichbleibend seien. Sie habe im Verlaufe ihrer Behandlungen und den Schilderungen über den sexuellen Missbrauch nichts weggelassen oder hinzuerfunden. Ferner habe sie sich nicht in Widersprüche verwickelt. Ihre Aussagen seien auch durch die Angaben ihrer Eltern gestützt worden, die hierzu passten. Selbst die Angaben des Zeugen M. stimmten mit ihrem Vortrag überein. Lediglich die Tat bestreite dieser vollumfänglich. Dessen Äußerungen seien insoweit indes nicht glaubhaft. Angeblich erinnere er sich nicht an eine Kegelbahn, obwohl er in dem Verein jahrelang regelmäßig ein- und ausgegangen und dort im Vereinsvorstand tätig gewesen sei. Dass er nie gekegelt habe, sei eine Lüge. Ihr Vater habe ihr gegenüber ausdrücklich bestätigt, dass er sich daran erinnern könne, der Zeuge M. habe in der Vereinsgaststätte diese Freizeittätigkeit ausgeübt. Der Antrag nach § 109 SGG sei im Übrigen rechtzeitig gestellt worden.
39 
Die Klägerin beantragt,
40 
das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 27. Oktober 2015 und den Bescheid vom 18. Juli 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. November 2013 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, den Bescheid vom 5. August 2002 zurückzunehmen und ihr Beschädigtenversorgung nach dem Opferentschädigungsgesetz zu gewähren,
41 
hilfsweise Dr. F. H., T. 21, 10559 B. nach § 109 Sozialgerichtsgesetz gutachtlich dazu zu hören, dass ihre Angaben zum sexuellen Missbrauch durch den Zeugen M. glaubhaft sind.
42 
Der Beklagte beantragt,
43 
die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
44 
Er trägt im Wesentlichen vor, ein vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff sei von der Klägerin weiterhin nicht glaubhaft gemacht worden.
45 
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten sowie die Verwaltungsakte des Beklagten (3 Bände) verwiesen.

Entscheidungsgründe

 
46 
Die am Montag, 7. Dezember 2015 eingelegte Berufung der Klägerin gegen das ihren Prozessbevollmächtigten am 5. November 2015 zugestellte Urteil des SG ist form- und fristgerecht (§ 151 Abs. 1 i. V. m. § 64 Abs. 3 SGG) erfolgt sowie im Übrigen zulässig, insbesondere statthaft (§ 143, § 144 SGG), aber unbegründet.
47 
Gegenstand des Berufungsverfahrens ist die angefochtene Entscheidung des SG vom 27. Oktober 2015, soweit damit die in der dortigen mündlichen Verhandlung als kombinierte Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG; vgl. BSG, Urteil vom 11. April 2013 - B 2 U 34/11 R -, SozR 4-2700 § 200 Nr. 4, Rz. 30 m. w. N. zur Zulässigkeit einer Kombination von solchen Klagen) erhobene Klage, mit welcher die Klägerin sinngemäß unter Aufhebung des Bescheides vom 18. Juli 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. November 2013 die Verpflichtung des Beklagten zur Rücknahme des Bescheides vom 5. August 2002 und Gewährung von Beschädigtenversorgung nach dem OEG verfolgt hat, abgewiesen worden ist.
48 
Die Berufung der Klägerin ist nicht bereits wegen der Unzulässigkeit der Klage unbegründet. Die Klägerin konnte diese zwar neben der Anfechtungs- und Verpflichtungsklage nicht zulässigerweise auf die isolierte Feststellung beschränken (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 18. September 2009 - L 8 U 5884/08 -, juris, Rz. 32 ff. zu einer Teilrücknahme der Klage durch spätere Antragsbeschränkung), dass sie Opfer eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffes im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG geworden ist, wie sie es in der nichtöffentlichen Sitzung am 14. Juli 2015 beim SG ausweislich der hierüber erstellten Niederschrift (§ 122 SGG i. V. m. § 165 Satz 1 Zivilprozessordnung - ZPO) vornahm. Ein solches Feststellungsbegehren kann weder auf § 55 Abs. 1 Nr. 3 SGG noch auf § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG gestützt werden, da nur eine isolierte Feststellung von Schädigungsfolgen im Sinne des OEG zulässig ist, nicht aber die Klärung einzelner Elemente als Vorfrage des Anspruches nach § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 16. Dezember 2014 - B 9 V 1/13 R -, SozR 4-3800 § 1 Nr. 21, Rz. 10 ff.). In der mündlichen Verhandlung am 27. Oktober 2015 erfolgte indes die bereits mit Schriftsatz vom 2. August 2015 angekündigte und wegen § 99 Abs. 3 Nr. 2 SGG mögliche Erweiterung der Hauptsache (vgl. Leitherer, in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 11. Aufl. 2014, § 99 Rz. 4), weshalb die Klägerin im Übrigen durch die ablehnende Entscheidung des SG insoweit auch beschwert ist (vgl. Leitherer, a. a. O., vor § 143 Rz. 6). Die Anfechtungsklage ist zudem bis zuletzt durchgängig aufrechterhalten worden, weshalb die mit Bescheid vom 18. Juli 2013 getroffene negative Regelung nicht bestandskräftig geworden und die Klägerin klagebefugt im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG ist.
49 
Soweit die Klägerin mit der kombinierten Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage die Beseitigung des ablehnenden Bescheides vom 18. Juli 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. November 2013 sowie die Verpflichtung des Beklagten zur Rücknahme der Verwaltungsentscheidung vom 5. August 2002 und die Gewährung von Beschädigtenversorgung nach dem OEG begehrt, ist die Berufung indes wegen der Unbegründetheit der Klage nicht begründet. Denn mangels Vorliegen der Voraussetzungen für die Leistungsgewährung ist die negative Feststellung im Bescheid vom 5. August 2002 nicht rechtswidrig und folglich auch nicht zurückzunehmen gewesen. Eine Regelung wurde darin, gestützt auf die Anzeige der Klägerin bei der Polizeidirektion B., allerdings nur in Anknüpfung an einen sexuellen Missbrauch durch den Zeugen M. als vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriff getroffen. Das von der Klägerin angeführte mögliche Geschehen in einem Schrebergarten im S. Stadtteil D. hat dieser Verwaltungsentscheidung nicht zugrunde gelegen, weshalb die Beschädigtenversorgung nach dem OEG in Bezug darauf nicht Gegenstand einer materiell-rechtlichen Prüfung in diesem Berufungsverfahren sein kann.
50 
Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 1 SGB X ist, soweit es sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind, der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen.
51 
Ziel dieser Norm ist es, die Konfliktsituation zwischen der Bindungswirkung eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes und der materiellen Gerechtigkeit zugunsten letzterer aufzulösen (vgl. BSG, Urteil vom 4. Februar 1998 - B 9 V 16/96 R -, SozR 3-1300 § 44 Nr. 24). Ist ein Verwaltungsakt rechtswidrig, haben Betroffene einen einklagbaren Anspruch auf Rücknahme des Verwaltungsaktes unabhängig davon, ob dieser durch ein rechtskräftiges Urteil bestätigt wurde (BSG, Urteil vom 28. Januar 1981 - 9 RV 29/80 -, BSGE 51, 139 <141>). Auch wenn Betroffene, wie die Klägerin, schon einmal einen Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X gestellt haben, darf die Verwaltung ein erneutes Begehren nicht ohne Rücksicht auf die wirkliche Sach- und Rechtslage zurückweisen. Entsprechend dem Umfang des Vorbringens muss sie in eine erneute Prüfung eintreten und Antragstellende bescheiden (BSG, Urteil vom 5. September 2006 - B 2 U 24/05 R -, BSGE 97, 54 <57>). Dem ist der Beklagte hinreichend nachgekommen. Die Klägerin hat den weiteren Überprüfungsantrag insbesondere unter Hinweis auf das Urteil des BSG vom 17. April 2013 (Az. B 9 V 1/12 R) gestellt.
52 
Die Voraussetzungen von § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X sind vorliegend indes nicht erfüllt. Der Beklagte hat bei Erlass seines Ausgangsbescheides vom 5. August 2002 über die Gewährung von Beschädigtenversorgung nach dem OEG aufgrund des von der Klägerin angeführten sexuellen Missbrauches durch den Zeugen M. weder das Recht unrichtig angewandt noch ist er von einem Sachverhalt ausgegangen, der sich als unrichtig erweist. Dass der Beklagte einen unrichtigen Sachverhalt zugrunde legte, hat auch die Klägerin nicht behauptet. Sie meint im Kern nur, der Beklagte habe es aufgrund einer fehlerhaften Rechtsanwendung unterlassen, ihr Beschädigtenversorgung nach dem OEG zu gewähren. Ihre Ansicht trifft indes nicht zu.
53 
Für einen Anspruch der Klägerin auf Beschädigtenversorgung nach dem OEG in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) sind folgende rechtlichen Grundsätze maßgebend (vgl. BSG, Urteil vom 17. April 2013 - B 9 V 1/12 R -, BSGE 113, 205 <208 ff.>):
54 
Ein Entschädigungsanspruch nach dem OEG setzt zunächst voraus, dass die allgemeinen Tatbestandsmerkmale des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG gegeben sind (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 23. April 2009 - B 9 VG 1/08 R -, juris, Rz. 27 m. w. N). Danach erhält eine natürliche Person ("wer"), die im Geltungsbereich des OEG durch einen vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriff eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG. Somit besteht der Tatbestand des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG aus drei Gliedern (tätlicher Angriff, Schädigung und Schädigungsfolgen), die durch einen Ursachenzusammenhang miteinander verbunden sind. In Altfällen, also bei Schädigungen zwischen dem Inkrafttreten des Grundgesetzes am 23. Mai 1949 und dem Inkrafttreten des OEG am 16. Mai 1976 (BGBl I S. 1181), müssen daneben noch die besonderen Voraussetzungen gemäß § 10 Satz 2 OEG in Verbindung mit § 10a Abs. 1 Satz 1 OEG erfüllt sein. Nach dieser Härteregelung erhalten Personen, die in diesem Zeitraum geschädigt worden sind, auf Antrag Versorgung, solange sie allein infolge dieser Schädigung schwerbeschädigt und bedürftig sind sowie im Geltungsbereich des OEG ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben.
55 
Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ist bei der Auslegung des Rechtsbegriffes "vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff" im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG entscheidend auf die Rechtsfeindlichkeit, vor allem verstanden als Feindlichkeit gegen das Strafgesetz, abzustellen; von subjektiven Merkmalen, wie etwa einer kämpferischen, feindseligen Absicht, hat sich die Auslegung insoweit weitestgehend gelöst (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 7. April 2011 - B 9 VG 2/10 R -, SozR 4-3800 § 1 Nr. 18, Rz. 32 m. w. N.). Dabei sind je nach Fallkonstellation unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt und verschiedene Gesichtspunkte hervorgehoben worden. Leitlinie ist insoweit der sich aus dem Sinn und Zweck des OEG ergebende Gedanke des Opferschutzes. Das Vorliegen eines tätlichen Angriffes hat das BSG daher aus der Sicht von objektiven, vernünftigen Dritten beurteilt und insbesondere sozial angemessenes Verhalten ausgeschieden. Allgemein ist es in seiner bisherigen Rechtsprechung davon ausgegangen, dass als tätlicher Angriff grundsätzlich eine in feindseliger oder rechtsfeindlicher Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielende gewaltsame Einwirkung anzusehen ist, wobei die Angriffshandlung in aller Regel den Tatbestand einer - jedenfalls versuchten - vorsätzlichen Straftat gegen das Leben oder die körperliche Unversehrtheit erfüllt (st. Rspr.; vgl. nur BSG, Urteil vom 29. April 2010 - B 9 VG 1/09 R -, SozR 4-3800 § 1 Nr. 17, Rz. 25 m. w. N.). Abweichend von dem im Strafrecht umstrittenen Gewaltbegriff im Sinne des § 240 StGB zeichnet sich der tätliche Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG durch eine körperliche Gewaltanwendung (Tätlichkeit) gegen eine Person aus, wirkt also körperlich (physisch) auf einen anderen ein (vgl. BSG, Urteil vom 7. April 2011 - B 9 VG 2/10 R -, SozR 4-3800 § 1 Nr. 18, Rz. 36 m. w. N.). Ein solcher Angriff setzt eine unmittelbar auf den Körper einer anderen Person zielende, gewaltsame physische Einwirkung voraus; die bloße Drohung mit einer wenn auch erheblichen Gewaltanwendung oder Schädigung reicht hierfür demgegenüber nicht aus (vgl. BSG, Urteil vom 16. Dezember 2014 - B 9 V 1/13 R -, juris, Rz. 23 ff.).
56 
In Fällen sexuellen Missbrauchs von Kindern im Sinne von § 176 StGB hat das BSG den Begriff des tätlichen Angriffes noch weiter verstanden. Danach kommt es nicht darauf an, welche innere Einstellung der Täter zu dem Opfer hatte und wie das Opfer die Tat empfunden hat. Es ist allein entscheidend, dass die Begehensweise, also sexuelle Handlungen, eine Straftat war (vgl. BSG, Urteil vom 29. April 2010 - B 9 VG 1/09 R -, SozR 4-3800 § 1 Nr. 17, Rz. 28 m. w. N.). Auch der "gewaltlose" sexuelle Missbrauch eines Kindes kann demnach ein tätlicher Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG sein (BSG, Urteile vom 18. Oktober 1995 - 9 RVg 4/93 -, BSGE 77, 7, <8 f.> und - 9 RVg 7/93 -, BSGE 77, 11 <13>). Diese erweiternde Auslegung des Begriffes des tätlichen Angriffs ist speziell in Fällen eines sexuellen Missbrauchs von Kindern aus Gründen des sozialen und psychischen Schutzes der Opfer unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck des OEG geboten.
57 
Hinsichtlich der entscheidungserheblichen Tatsachen kennen das soziale Entschädigungsrecht und damit auch das OEG drei Beweismaßstäbe. Grundsätzlich bedürfen die drei Glieder der Kausalkette (schädigender Vorgang, Schädigung und Schädigungsfolgen) des Vollbeweises. Für die Kausalität selbst genügt gemäß § 1 Abs. 3 BVG die Wahrscheinlichkeit. Nach Maßgabe des § 15 Satz 1des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOVVfG), der gemäß § 6 Abs. 3 OEG anzuwenden ist, sind bei der Entscheidung die Angaben der Antragstellenden, die sich auf die mit der Schädigung, also insbesondere auch mit dem tätlichen Angriff im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, zugrunde zu legen, wenn sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen.
58 
Für den Vollbeweis muss sich das Gericht die volle Überzeugung vom Vorhandensein oder Nichtvorhandensein einer Tatsache verschaffen. Allerdings verlangt auch der Vollbeweis keine absolute Gewissheit, sondern lässt eine an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit ausreichen. Denn ein darüber hinausgehender Grad an Gewissheit ist so gut wie nie zu erlangen (vgl. Keller, in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 11. Aufl. 2014, § 128 Rz. 3b m. w. N.). Daraus folgt, dass auch dem Vollbeweis gewisse Zweifel innewohnen können, verbleibende Restzweifel mit anderen Worten bei der Überzeugungsbildung unschädlich sind, solange sie sich nicht zu gewichtigen Zweifeln verdichten (vgl. BSG, Urteil vom 24. November 2010 - B 11 AL 35/09 R -, juris, Rz. 21). Eine Tatsache ist bewiesen, wenn sie in so hohem Grade wahrscheinlich ist, dass alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung zu begründen (vgl. Keller, a. a. O.).
59 
Der Beweisgrad der Wahrscheinlichkeit im Sinne des § 1 Abs. 3 Satz 1 BVG ist dann gegeben, wenn nach der geltenden wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang spricht (vgl. BSG, Beschluss vom 8. August 2001 - B 9 V 23/01 B -, SozR 3-3900 § 15 Nr. 4, S. 14 m. w. N.). Diese Definition ist der Fragestellung nach dem wesentlichen ursächlichen Zusammenhang (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 16. Dezember 2014 - B 9 V 6/13 R -, juris, Rz. 18 ff.) angepasst, die nur entweder mit ja oder mit nein beantwortet werden kann. Es muss sich unter Würdigung des Beweisergebnisses ein solcher Grad von Wahrscheinlichkeit ergeben, dass ernste Zweifel hinsichtlich einer anderen Möglichkeit ausscheiden. Für die Wahrscheinlichkeit ist ein "deutliches" Übergewicht für eine der Möglichkeiten erforderlich. Sie entfällt, wenn eine andere Möglichkeit ebenfalls ernstlich in Betracht kommt.
60 
Bei dem "Glaubhafterscheinen" im Sinne des § 15 Satz 1 KOVVfG handelt es sich um den dritten, mildesten Beweismaßstab des Sozialrechts. Glaubhaftmachung bedeutet das Dartun einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit (vgl. Keller, a. a. O., Rz. 3d m. w. N.), also der guten Möglichkeit, dass sich der Vorgang so zugetragen hat, wobei durchaus gewisse Zweifel bestehen bleiben können (vgl. BSG, Beschluss vom 8. August 2001 - B 9 V 23/01 B -, SozR 3-3900 § 15 Nr. 4, S. 14 f. m. w. N.). Dieser Beweismaßstab ist durch seine Relativität gekennzeichnet. Es muss nicht, wie bei der Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhanges, absolut mehr für als gegen die glaubhaft zu machende Tatsache sprechen. Es reicht die gute Möglichkeit aus, also es genügt, wenn bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten ist (vgl. Keller, a. a. O.), weil nach der Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Möglichkeit spricht. Von mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Sachverhaltsvarianten muss einer den übrigen gegenüber ein gewisses, aber kein deutliches Übergewicht zukommen. Wie bei den beiden anderen Beweismaßstäben reicht die bloße Möglichkeit einer Tatsache nicht aus, um die Beweisanforderungen zu erfüllen. Das Tatsachengericht ist allerdings mit Blick auf die Freiheit der richterlichen Beweiswürdigung (§ 128 Abs. 1 Satz 1 SGG) im Einzelfall grundsätzlich darin frei, ob es die Beweisanforderungen als erfüllt ansieht (vgl. BSG, Beschluss vom 8. August 2001 - B 9 V 23/01 B -, SozR 3-3900 § 15 Nr. 4, S. 15). Diese Grundsätze haben ihren Niederschlag auch in den "Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz" in ihrer am 1. Oktober 1998 geltenden Fassung der Ausgabe 1996 (AHP 1996) und nachfolgend - seit Juli 2004 - den "Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2 SGB IX)" in ihrer jeweils geltenden Fassung (AHP 2005 und 2008) gefunden, welche zum 1. Januar 2009 durch die Anlage zu § 2 Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) vom 10. Dezember 2008 (Teil C, Nrn. 1 bis 3 und 12 der Anlage zu § 2 VersMedV; vgl. BR-Drucks 767/1/08 S. 3, 4) inhaltsgleich ersetzt worden ist (vgl. BSG, Urteil vom 16. Dezember 2014 - B 9 V 6/13 R -, juris, Rz. 17).
61 
Ausgehend von diesen rechtlichen Vorgaben hat die Klägerin keinen Anspruch auf Gewährung von Beschädigtenversorgung wegen des behaupteten sexuellen Missbrauches durch den Zeugen M. Nicht erwiesen ist, dass es einen solchen tätlichen Angriff gegeben hat. Es besteht nach den umfassenden Ermittlungen des SG noch nicht einmal die gute Möglichkeit einer derartigen Einwirkung.
62 
Nach § 15 Satz 1 KOVVfG sind die Angaben der Antragstellenden, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, der Entscheidung zugrunde zu legen, wenn Unterlagen nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen oder ohne Verschulden der Antragstellenden oder ihrer Hinterbliebenen verlorengegangen sind, soweit die Angaben nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen. Die Beweiserleichterung des § 15 Satz 1 KOVVfG ist auch dann anwendbar, wenn für den schädigenden Vorgang keine Zeugen vorhanden sind (vgl. BSG, Urteil vom 31. Mai 1989 - 9 RVg 3/89 -, BSGE 65, 123 <125>). Nach dem Sinn und Zweck des § 15 Satz 1 KOVVfG sind damit nur Tatzeugen gemeint, die zu den zu beweisenden Tatsachen aus eigener Wahrnehmung Angaben machen können. Personen etwa, die von ihrem gesetzlichen Zeugnisverweigerungsrecht (§ 118 Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. §§ 383 ff. ZPO) Gebrauch gemacht haben, sind dabei nicht als solche Zeugen anzusehen. Entsprechendes gilt für eine für die Tatbegehung in Betracht kommende Person, die eine schädigende Handlung bestreitet. Denn die Beweisnot des Opfers, auf die sich § 15 Satz 1 KOVVfG bezieht, ist in diesem Fall nicht geringer, als wenn Angreifende unerkannt geblieben oder flüchtig sind. Die Beweiserleichterung des § 15 Satz 1 KOVVfG gelangt damit auch zur Anwendung, wenn sich die Aussagen des Opfers und des vermeintlichen Täters gegenüberstehen und Tatzeugen nicht vorhanden sind (BSG, Urteil vom 17. April 2013 - B 9 V 1/12 R -, juris, Rz. 41 m. w. N.). Eine solche, vom Anwendungsbereich des § 15 Satz 1 KOVVfG erfasste Konstellation liegt vor, da M. als für die Tatbegehung von der Klägerin benannte Person den Tathergang bei der Vernehmung durch das SG in der nichtöffentlichen Sitzung am 14. Juli 2015 bestritten hat. Für den behaupteten schädigenden Vorgang sind auch sonst keine unmittelbaren Tatzeugen vorhanden, die Eltern haben die angeschuldigte Tat nur von der Klägerin erfahren.
63 
Es ist zwar nicht gänzlich auszuschließen, dass der Zeuge M. die Klägerin, wie sie behauptet, Ende der 1970er Jahre auf der Kegelbahn der Vereinsgaststätte des H. Club e. V. sexuell missbrauchte und dieser, um sich der wegen der Verfolgungsverjährung (§ 78 StGB) zwar nicht strafrechtlichen, aber doch moralischen Verantwortung für eine begangene Straftat zu entziehen, bei der Vernehmung durch das SG Erinnerungslücken angeführt hat, ohne dass solche wirklich bestanden haben. Mehr als bloß möglich erscheint dies jedoch nicht. Zur Begründung nimmt der Senat auf die überzeugenden ausführlichen und die jüngere Entscheidung des Senats vom 21. April 2015 (L 6 VG 2096/13, juris) hinreichend beachtenden Ausführungen des SG im angefochtenen Urteil vom 27. Oktober 2015 Bezug und sieht zur Vermeidung von Wiederholungen von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 153 Abs. 2 SGG). Im Hinblick auf das weitere Vorbringen der Klägerin im Berufungsverfahren ist lediglich ergänzend darauf hinzuweisen, dass der Senat ihren Angaben nicht deshalb kein größeres Gewicht beigemessen hat, weil sie die Umstände des sexuellen Missbrauches nicht vor dem 18. Lebensjahr angeführt hat, sondern dass nicht auszuschließen gewesen ist, dass bei ihr Gedächtnisinhalte erst im Zusammenhang mit therapeutischen Bemühungen erzeugt worden sind, die bei ihr in diesem Alter erfolgten.
64 
Die Einholung eines Glaubhaftigkeitsgutachtens von Amts wegen (§ 103 SGG) war unabhängig davon, ob die Klägerin überhaupt über die erforderliche Aussagetüchtigkeit verfügt, nicht erforderlich. Der Senat konnte, nachdem das SG die Klägerin im erstinstanzlichen Verfahren anhörte und sie im Übrigen in der mündlichen Verhandlung beim LSG anwesend war, entscheiden. Denn die Würdigung von Aussagen nicht nur erwachsener, sondern auch kindlicher oder jugendlicher Personen gehört zum Wesen richterlicher Rechtsfindung und ist daher grundsätzlich einem Tatgericht anvertraut. Eine aussagepsychologische Begutachtung kommt nur in besonderen Ausnahmefällen in Betracht, nämlich wenn dem Gericht die Sachkunde für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit fehlt. Die Einholung eines Glaubhaftigkeitsgutachtens ist nur geboten, wenn der Sachverhalt oder die Aussageperson solche Besonderheiten aufweist, die eine Sachkunde erfordern, welche eine Richterin oder ein Richter normalerweise nicht haben (Urteil des Senats vom 21. April 2015, a. a. O., Rz. 49). Das ist vorliegend nicht der Fall. Weder weist die Aussageperson solche Besonderheiten auf, noch ist der Sachverhalt besonders gelagert, sondern im Opferentschädigungsrecht eine durchaus typische Fallgestaltung. Der Beitrag von aussagepsychologischen Glaubhaftigkeitsgutachten zur Aufklärung ist gerade in Fällen zweifelhaft, in denen in der Vergangenheit mit therapeutischer Unterstützung explizit Bemühungen unternommen worden sind, sich an nicht zugängliche Erlebnisse zu erinnern oder in denen die Erinnerungen erst im Laufe wiederholter Erinnerungsbemühungen entstanden sind. Zu berücksichtigen ist, dass auch Personen, die einer Gedächtnistäuschung unterliegen, von der Richtigkeit ihrer Erinnerung überzeugt sein können (Urteil des Senats vom 21. April 2015, a. a. O., Bayerisches LSG, Urteil vom 26. Januar 2016 -, juris, Rz. 83). Dies ist bei der Klägerin zur Überzeugung des Senats ausweislich der vorliegenden Entlassungsberichte über mehrere mehrwöchige und sogar mehrmonatige stationäre Klinikaufenthalte gegeben.
65 
Dem hilfsweisen Antrag auf Einholung eines aussagepsychologischen Gutachtens bei Dr. H. nach § 109 SGG war nicht stattzugeben. Das Gericht kann ein solches Gesuch gemäß § 109 Abs. 2 SGG ablehnen, wenn durch die Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits verzögert werden würde und der Antrag nach der freien Überzeugung des Gerichts in der Absicht, das Verfahren zu verschleppen, oder aus grober Nachlässigkeit nicht früher vorgebracht worden ist. Eine Verzögerung in diesem Sinne tritt ein, wenn sich wegen der Beweisaufnahme nach § 109 SGG der durch eine erfolgte oder bevorstehende Terminierung bereits ins Auge gefasste Zeitpunkt der Verfahrensbeendigung verschieben würde (vgl. Keller, in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 11. Aufl. 2014, § 109 Rz. 11). Dies wäre vorliegend der Fall gewesen, denn der Antrag wurde erst gestellt, nachdem die mündliche Verhandlung am 23. Juni 2016 anberaumt wurde. Zudem handelte die Klägerin, welcher das Verhalten ihrer Prozessbevollmächtigten zuzurechnen ist, aus grober Nachlässigkeit. Diese liegt beim Verabsäumen jeglicher prozessualer Sorgfalt vor (BSG, Urteil vom 10. Juni 1958 - 9 RV 836/55 -, BSGE 7, 218). Daher müssen Beteiligte den Antrag spätestens innerhalb einer angemessenen Frist stellen, wenn sie erkennen müssen, dass das Gericht keine - weiteren - Erhebungen von Amts wegen durchführt (vgl. LSG für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 16. Januar 2015 - L 13 SB 348/11 -, juris, Rz. 32; Keller, a. a. O.). Dies hat die Klägerin versäumt. Das Gesuch ist am 3. Mai 2016 und damit erst mehr als eine Woche nach der am 25. April 2016 erfolgten Ladung zur mündlichen Verhandlung angebracht und damit offensichtlich überhaupt erst durch diese veranlasst worden, obwohl der Berichterstatter mit Schreiben vom 4. April 2016 der Klägerin mitgeteilt hat, dass in diesem Verfahren keine weiteren Ermittlungen von Amts wegen durchgeführt werden, insbesondere kein Gutachten zur Feststellung der Glaubhaftigkeit ihrer Angaben eingeholt wird.
66 
Nach alledem war die Berufung zurückzuweisen.
67 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
68 
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.

Gründe

 
46 
Die am Montag, 7. Dezember 2015 eingelegte Berufung der Klägerin gegen das ihren Prozessbevollmächtigten am 5. November 2015 zugestellte Urteil des SG ist form- und fristgerecht (§ 151 Abs. 1 i. V. m. § 64 Abs. 3 SGG) erfolgt sowie im Übrigen zulässig, insbesondere statthaft (§ 143, § 144 SGG), aber unbegründet.
47 
Gegenstand des Berufungsverfahrens ist die angefochtene Entscheidung des SG vom 27. Oktober 2015, soweit damit die in der dortigen mündlichen Verhandlung als kombinierte Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG; vgl. BSG, Urteil vom 11. April 2013 - B 2 U 34/11 R -, SozR 4-2700 § 200 Nr. 4, Rz. 30 m. w. N. zur Zulässigkeit einer Kombination von solchen Klagen) erhobene Klage, mit welcher die Klägerin sinngemäß unter Aufhebung des Bescheides vom 18. Juli 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. November 2013 die Verpflichtung des Beklagten zur Rücknahme des Bescheides vom 5. August 2002 und Gewährung von Beschädigtenversorgung nach dem OEG verfolgt hat, abgewiesen worden ist.
48 
Die Berufung der Klägerin ist nicht bereits wegen der Unzulässigkeit der Klage unbegründet. Die Klägerin konnte diese zwar neben der Anfechtungs- und Verpflichtungsklage nicht zulässigerweise auf die isolierte Feststellung beschränken (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 18. September 2009 - L 8 U 5884/08 -, juris, Rz. 32 ff. zu einer Teilrücknahme der Klage durch spätere Antragsbeschränkung), dass sie Opfer eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffes im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG geworden ist, wie sie es in der nichtöffentlichen Sitzung am 14. Juli 2015 beim SG ausweislich der hierüber erstellten Niederschrift (§ 122 SGG i. V. m. § 165 Satz 1 Zivilprozessordnung - ZPO) vornahm. Ein solches Feststellungsbegehren kann weder auf § 55 Abs. 1 Nr. 3 SGG noch auf § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG gestützt werden, da nur eine isolierte Feststellung von Schädigungsfolgen im Sinne des OEG zulässig ist, nicht aber die Klärung einzelner Elemente als Vorfrage des Anspruches nach § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 16. Dezember 2014 - B 9 V 1/13 R -, SozR 4-3800 § 1 Nr. 21, Rz. 10 ff.). In der mündlichen Verhandlung am 27. Oktober 2015 erfolgte indes die bereits mit Schriftsatz vom 2. August 2015 angekündigte und wegen § 99 Abs. 3 Nr. 2 SGG mögliche Erweiterung der Hauptsache (vgl. Leitherer, in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 11. Aufl. 2014, § 99 Rz. 4), weshalb die Klägerin im Übrigen durch die ablehnende Entscheidung des SG insoweit auch beschwert ist (vgl. Leitherer, a. a. O., vor § 143 Rz. 6). Die Anfechtungsklage ist zudem bis zuletzt durchgängig aufrechterhalten worden, weshalb die mit Bescheid vom 18. Juli 2013 getroffene negative Regelung nicht bestandskräftig geworden und die Klägerin klagebefugt im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG ist.
49 
Soweit die Klägerin mit der kombinierten Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage die Beseitigung des ablehnenden Bescheides vom 18. Juli 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. November 2013 sowie die Verpflichtung des Beklagten zur Rücknahme der Verwaltungsentscheidung vom 5. August 2002 und die Gewährung von Beschädigtenversorgung nach dem OEG begehrt, ist die Berufung indes wegen der Unbegründetheit der Klage nicht begründet. Denn mangels Vorliegen der Voraussetzungen für die Leistungsgewährung ist die negative Feststellung im Bescheid vom 5. August 2002 nicht rechtswidrig und folglich auch nicht zurückzunehmen gewesen. Eine Regelung wurde darin, gestützt auf die Anzeige der Klägerin bei der Polizeidirektion B., allerdings nur in Anknüpfung an einen sexuellen Missbrauch durch den Zeugen M. als vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriff getroffen. Das von der Klägerin angeführte mögliche Geschehen in einem Schrebergarten im S. Stadtteil D. hat dieser Verwaltungsentscheidung nicht zugrunde gelegen, weshalb die Beschädigtenversorgung nach dem OEG in Bezug darauf nicht Gegenstand einer materiell-rechtlichen Prüfung in diesem Berufungsverfahren sein kann.
50 
Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 1 SGB X ist, soweit es sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind, der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen.
51 
Ziel dieser Norm ist es, die Konfliktsituation zwischen der Bindungswirkung eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes und der materiellen Gerechtigkeit zugunsten letzterer aufzulösen (vgl. BSG, Urteil vom 4. Februar 1998 - B 9 V 16/96 R -, SozR 3-1300 § 44 Nr. 24). Ist ein Verwaltungsakt rechtswidrig, haben Betroffene einen einklagbaren Anspruch auf Rücknahme des Verwaltungsaktes unabhängig davon, ob dieser durch ein rechtskräftiges Urteil bestätigt wurde (BSG, Urteil vom 28. Januar 1981 - 9 RV 29/80 -, BSGE 51, 139 <141>). Auch wenn Betroffene, wie die Klägerin, schon einmal einen Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X gestellt haben, darf die Verwaltung ein erneutes Begehren nicht ohne Rücksicht auf die wirkliche Sach- und Rechtslage zurückweisen. Entsprechend dem Umfang des Vorbringens muss sie in eine erneute Prüfung eintreten und Antragstellende bescheiden (BSG, Urteil vom 5. September 2006 - B 2 U 24/05 R -, BSGE 97, 54 <57>). Dem ist der Beklagte hinreichend nachgekommen. Die Klägerin hat den weiteren Überprüfungsantrag insbesondere unter Hinweis auf das Urteil des BSG vom 17. April 2013 (Az. B 9 V 1/12 R) gestellt.
52 
Die Voraussetzungen von § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X sind vorliegend indes nicht erfüllt. Der Beklagte hat bei Erlass seines Ausgangsbescheides vom 5. August 2002 über die Gewährung von Beschädigtenversorgung nach dem OEG aufgrund des von der Klägerin angeführten sexuellen Missbrauches durch den Zeugen M. weder das Recht unrichtig angewandt noch ist er von einem Sachverhalt ausgegangen, der sich als unrichtig erweist. Dass der Beklagte einen unrichtigen Sachverhalt zugrunde legte, hat auch die Klägerin nicht behauptet. Sie meint im Kern nur, der Beklagte habe es aufgrund einer fehlerhaften Rechtsanwendung unterlassen, ihr Beschädigtenversorgung nach dem OEG zu gewähren. Ihre Ansicht trifft indes nicht zu.
53 
Für einen Anspruch der Klägerin auf Beschädigtenversorgung nach dem OEG in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) sind folgende rechtlichen Grundsätze maßgebend (vgl. BSG, Urteil vom 17. April 2013 - B 9 V 1/12 R -, BSGE 113, 205 <208 ff.>):
54 
Ein Entschädigungsanspruch nach dem OEG setzt zunächst voraus, dass die allgemeinen Tatbestandsmerkmale des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG gegeben sind (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 23. April 2009 - B 9 VG 1/08 R -, juris, Rz. 27 m. w. N). Danach erhält eine natürliche Person ("wer"), die im Geltungsbereich des OEG durch einen vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriff eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG. Somit besteht der Tatbestand des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG aus drei Gliedern (tätlicher Angriff, Schädigung und Schädigungsfolgen), die durch einen Ursachenzusammenhang miteinander verbunden sind. In Altfällen, also bei Schädigungen zwischen dem Inkrafttreten des Grundgesetzes am 23. Mai 1949 und dem Inkrafttreten des OEG am 16. Mai 1976 (BGBl I S. 1181), müssen daneben noch die besonderen Voraussetzungen gemäß § 10 Satz 2 OEG in Verbindung mit § 10a Abs. 1 Satz 1 OEG erfüllt sein. Nach dieser Härteregelung erhalten Personen, die in diesem Zeitraum geschädigt worden sind, auf Antrag Versorgung, solange sie allein infolge dieser Schädigung schwerbeschädigt und bedürftig sind sowie im Geltungsbereich des OEG ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben.
55 
Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ist bei der Auslegung des Rechtsbegriffes "vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff" im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG entscheidend auf die Rechtsfeindlichkeit, vor allem verstanden als Feindlichkeit gegen das Strafgesetz, abzustellen; von subjektiven Merkmalen, wie etwa einer kämpferischen, feindseligen Absicht, hat sich die Auslegung insoweit weitestgehend gelöst (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 7. April 2011 - B 9 VG 2/10 R -, SozR 4-3800 § 1 Nr. 18, Rz. 32 m. w. N.). Dabei sind je nach Fallkonstellation unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt und verschiedene Gesichtspunkte hervorgehoben worden. Leitlinie ist insoweit der sich aus dem Sinn und Zweck des OEG ergebende Gedanke des Opferschutzes. Das Vorliegen eines tätlichen Angriffes hat das BSG daher aus der Sicht von objektiven, vernünftigen Dritten beurteilt und insbesondere sozial angemessenes Verhalten ausgeschieden. Allgemein ist es in seiner bisherigen Rechtsprechung davon ausgegangen, dass als tätlicher Angriff grundsätzlich eine in feindseliger oder rechtsfeindlicher Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielende gewaltsame Einwirkung anzusehen ist, wobei die Angriffshandlung in aller Regel den Tatbestand einer - jedenfalls versuchten - vorsätzlichen Straftat gegen das Leben oder die körperliche Unversehrtheit erfüllt (st. Rspr.; vgl. nur BSG, Urteil vom 29. April 2010 - B 9 VG 1/09 R -, SozR 4-3800 § 1 Nr. 17, Rz. 25 m. w. N.). Abweichend von dem im Strafrecht umstrittenen Gewaltbegriff im Sinne des § 240 StGB zeichnet sich der tätliche Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG durch eine körperliche Gewaltanwendung (Tätlichkeit) gegen eine Person aus, wirkt also körperlich (physisch) auf einen anderen ein (vgl. BSG, Urteil vom 7. April 2011 - B 9 VG 2/10 R -, SozR 4-3800 § 1 Nr. 18, Rz. 36 m. w. N.). Ein solcher Angriff setzt eine unmittelbar auf den Körper einer anderen Person zielende, gewaltsame physische Einwirkung voraus; die bloße Drohung mit einer wenn auch erheblichen Gewaltanwendung oder Schädigung reicht hierfür demgegenüber nicht aus (vgl. BSG, Urteil vom 16. Dezember 2014 - B 9 V 1/13 R -, juris, Rz. 23 ff.).
56 
In Fällen sexuellen Missbrauchs von Kindern im Sinne von § 176 StGB hat das BSG den Begriff des tätlichen Angriffes noch weiter verstanden. Danach kommt es nicht darauf an, welche innere Einstellung der Täter zu dem Opfer hatte und wie das Opfer die Tat empfunden hat. Es ist allein entscheidend, dass die Begehensweise, also sexuelle Handlungen, eine Straftat war (vgl. BSG, Urteil vom 29. April 2010 - B 9 VG 1/09 R -, SozR 4-3800 § 1 Nr. 17, Rz. 28 m. w. N.). Auch der "gewaltlose" sexuelle Missbrauch eines Kindes kann demnach ein tätlicher Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG sein (BSG, Urteile vom 18. Oktober 1995 - 9 RVg 4/93 -, BSGE 77, 7, <8 f.> und - 9 RVg 7/93 -, BSGE 77, 11 <13>). Diese erweiternde Auslegung des Begriffes des tätlichen Angriffs ist speziell in Fällen eines sexuellen Missbrauchs von Kindern aus Gründen des sozialen und psychischen Schutzes der Opfer unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck des OEG geboten.
57 
Hinsichtlich der entscheidungserheblichen Tatsachen kennen das soziale Entschädigungsrecht und damit auch das OEG drei Beweismaßstäbe. Grundsätzlich bedürfen die drei Glieder der Kausalkette (schädigender Vorgang, Schädigung und Schädigungsfolgen) des Vollbeweises. Für die Kausalität selbst genügt gemäß § 1 Abs. 3 BVG die Wahrscheinlichkeit. Nach Maßgabe des § 15 Satz 1des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOVVfG), der gemäß § 6 Abs. 3 OEG anzuwenden ist, sind bei der Entscheidung die Angaben der Antragstellenden, die sich auf die mit der Schädigung, also insbesondere auch mit dem tätlichen Angriff im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, zugrunde zu legen, wenn sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen.
58 
Für den Vollbeweis muss sich das Gericht die volle Überzeugung vom Vorhandensein oder Nichtvorhandensein einer Tatsache verschaffen. Allerdings verlangt auch der Vollbeweis keine absolute Gewissheit, sondern lässt eine an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit ausreichen. Denn ein darüber hinausgehender Grad an Gewissheit ist so gut wie nie zu erlangen (vgl. Keller, in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 11. Aufl. 2014, § 128 Rz. 3b m. w. N.). Daraus folgt, dass auch dem Vollbeweis gewisse Zweifel innewohnen können, verbleibende Restzweifel mit anderen Worten bei der Überzeugungsbildung unschädlich sind, solange sie sich nicht zu gewichtigen Zweifeln verdichten (vgl. BSG, Urteil vom 24. November 2010 - B 11 AL 35/09 R -, juris, Rz. 21). Eine Tatsache ist bewiesen, wenn sie in so hohem Grade wahrscheinlich ist, dass alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung zu begründen (vgl. Keller, a. a. O.).
59 
Der Beweisgrad der Wahrscheinlichkeit im Sinne des § 1 Abs. 3 Satz 1 BVG ist dann gegeben, wenn nach der geltenden wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang spricht (vgl. BSG, Beschluss vom 8. August 2001 - B 9 V 23/01 B -, SozR 3-3900 § 15 Nr. 4, S. 14 m. w. N.). Diese Definition ist der Fragestellung nach dem wesentlichen ursächlichen Zusammenhang (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 16. Dezember 2014 - B 9 V 6/13 R -, juris, Rz. 18 ff.) angepasst, die nur entweder mit ja oder mit nein beantwortet werden kann. Es muss sich unter Würdigung des Beweisergebnisses ein solcher Grad von Wahrscheinlichkeit ergeben, dass ernste Zweifel hinsichtlich einer anderen Möglichkeit ausscheiden. Für die Wahrscheinlichkeit ist ein "deutliches" Übergewicht für eine der Möglichkeiten erforderlich. Sie entfällt, wenn eine andere Möglichkeit ebenfalls ernstlich in Betracht kommt.
60 
Bei dem "Glaubhafterscheinen" im Sinne des § 15 Satz 1 KOVVfG handelt es sich um den dritten, mildesten Beweismaßstab des Sozialrechts. Glaubhaftmachung bedeutet das Dartun einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit (vgl. Keller, a. a. O., Rz. 3d m. w. N.), also der guten Möglichkeit, dass sich der Vorgang so zugetragen hat, wobei durchaus gewisse Zweifel bestehen bleiben können (vgl. BSG, Beschluss vom 8. August 2001 - B 9 V 23/01 B -, SozR 3-3900 § 15 Nr. 4, S. 14 f. m. w. N.). Dieser Beweismaßstab ist durch seine Relativität gekennzeichnet. Es muss nicht, wie bei der Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhanges, absolut mehr für als gegen die glaubhaft zu machende Tatsache sprechen. Es reicht die gute Möglichkeit aus, also es genügt, wenn bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten ist (vgl. Keller, a. a. O.), weil nach der Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Möglichkeit spricht. Von mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Sachverhaltsvarianten muss einer den übrigen gegenüber ein gewisses, aber kein deutliches Übergewicht zukommen. Wie bei den beiden anderen Beweismaßstäben reicht die bloße Möglichkeit einer Tatsache nicht aus, um die Beweisanforderungen zu erfüllen. Das Tatsachengericht ist allerdings mit Blick auf die Freiheit der richterlichen Beweiswürdigung (§ 128 Abs. 1 Satz 1 SGG) im Einzelfall grundsätzlich darin frei, ob es die Beweisanforderungen als erfüllt ansieht (vgl. BSG, Beschluss vom 8. August 2001 - B 9 V 23/01 B -, SozR 3-3900 § 15 Nr. 4, S. 15). Diese Grundsätze haben ihren Niederschlag auch in den "Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz" in ihrer am 1. Oktober 1998 geltenden Fassung der Ausgabe 1996 (AHP 1996) und nachfolgend - seit Juli 2004 - den "Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2 SGB IX)" in ihrer jeweils geltenden Fassung (AHP 2005 und 2008) gefunden, welche zum 1. Januar 2009 durch die Anlage zu § 2 Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) vom 10. Dezember 2008 (Teil C, Nrn. 1 bis 3 und 12 der Anlage zu § 2 VersMedV; vgl. BR-Drucks 767/1/08 S. 3, 4) inhaltsgleich ersetzt worden ist (vgl. BSG, Urteil vom 16. Dezember 2014 - B 9 V 6/13 R -, juris, Rz. 17).
61 
Ausgehend von diesen rechtlichen Vorgaben hat die Klägerin keinen Anspruch auf Gewährung von Beschädigtenversorgung wegen des behaupteten sexuellen Missbrauches durch den Zeugen M. Nicht erwiesen ist, dass es einen solchen tätlichen Angriff gegeben hat. Es besteht nach den umfassenden Ermittlungen des SG noch nicht einmal die gute Möglichkeit einer derartigen Einwirkung.
62 
Nach § 15 Satz 1 KOVVfG sind die Angaben der Antragstellenden, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, der Entscheidung zugrunde zu legen, wenn Unterlagen nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen oder ohne Verschulden der Antragstellenden oder ihrer Hinterbliebenen verlorengegangen sind, soweit die Angaben nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen. Die Beweiserleichterung des § 15 Satz 1 KOVVfG ist auch dann anwendbar, wenn für den schädigenden Vorgang keine Zeugen vorhanden sind (vgl. BSG, Urteil vom 31. Mai 1989 - 9 RVg 3/89 -, BSGE 65, 123 <125>). Nach dem Sinn und Zweck des § 15 Satz 1 KOVVfG sind damit nur Tatzeugen gemeint, die zu den zu beweisenden Tatsachen aus eigener Wahrnehmung Angaben machen können. Personen etwa, die von ihrem gesetzlichen Zeugnisverweigerungsrecht (§ 118 Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. §§ 383 ff. ZPO) Gebrauch gemacht haben, sind dabei nicht als solche Zeugen anzusehen. Entsprechendes gilt für eine für die Tatbegehung in Betracht kommende Person, die eine schädigende Handlung bestreitet. Denn die Beweisnot des Opfers, auf die sich § 15 Satz 1 KOVVfG bezieht, ist in diesem Fall nicht geringer, als wenn Angreifende unerkannt geblieben oder flüchtig sind. Die Beweiserleichterung des § 15 Satz 1 KOVVfG gelangt damit auch zur Anwendung, wenn sich die Aussagen des Opfers und des vermeintlichen Täters gegenüberstehen und Tatzeugen nicht vorhanden sind (BSG, Urteil vom 17. April 2013 - B 9 V 1/12 R -, juris, Rz. 41 m. w. N.). Eine solche, vom Anwendungsbereich des § 15 Satz 1 KOVVfG erfasste Konstellation liegt vor, da M. als für die Tatbegehung von der Klägerin benannte Person den Tathergang bei der Vernehmung durch das SG in der nichtöffentlichen Sitzung am 14. Juli 2015 bestritten hat. Für den behaupteten schädigenden Vorgang sind auch sonst keine unmittelbaren Tatzeugen vorhanden, die Eltern haben die angeschuldigte Tat nur von der Klägerin erfahren.
63 
Es ist zwar nicht gänzlich auszuschließen, dass der Zeuge M. die Klägerin, wie sie behauptet, Ende der 1970er Jahre auf der Kegelbahn der Vereinsgaststätte des H. Club e. V. sexuell missbrauchte und dieser, um sich der wegen der Verfolgungsverjährung (§ 78 StGB) zwar nicht strafrechtlichen, aber doch moralischen Verantwortung für eine begangene Straftat zu entziehen, bei der Vernehmung durch das SG Erinnerungslücken angeführt hat, ohne dass solche wirklich bestanden haben. Mehr als bloß möglich erscheint dies jedoch nicht. Zur Begründung nimmt der Senat auf die überzeugenden ausführlichen und die jüngere Entscheidung des Senats vom 21. April 2015 (L 6 VG 2096/13, juris) hinreichend beachtenden Ausführungen des SG im angefochtenen Urteil vom 27. Oktober 2015 Bezug und sieht zur Vermeidung von Wiederholungen von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 153 Abs. 2 SGG). Im Hinblick auf das weitere Vorbringen der Klägerin im Berufungsverfahren ist lediglich ergänzend darauf hinzuweisen, dass der Senat ihren Angaben nicht deshalb kein größeres Gewicht beigemessen hat, weil sie die Umstände des sexuellen Missbrauches nicht vor dem 18. Lebensjahr angeführt hat, sondern dass nicht auszuschließen gewesen ist, dass bei ihr Gedächtnisinhalte erst im Zusammenhang mit therapeutischen Bemühungen erzeugt worden sind, die bei ihr in diesem Alter erfolgten.
64 
Die Einholung eines Glaubhaftigkeitsgutachtens von Amts wegen (§ 103 SGG) war unabhängig davon, ob die Klägerin überhaupt über die erforderliche Aussagetüchtigkeit verfügt, nicht erforderlich. Der Senat konnte, nachdem das SG die Klägerin im erstinstanzlichen Verfahren anhörte und sie im Übrigen in der mündlichen Verhandlung beim LSG anwesend war, entscheiden. Denn die Würdigung von Aussagen nicht nur erwachsener, sondern auch kindlicher oder jugendlicher Personen gehört zum Wesen richterlicher Rechtsfindung und ist daher grundsätzlich einem Tatgericht anvertraut. Eine aussagepsychologische Begutachtung kommt nur in besonderen Ausnahmefällen in Betracht, nämlich wenn dem Gericht die Sachkunde für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit fehlt. Die Einholung eines Glaubhaftigkeitsgutachtens ist nur geboten, wenn der Sachverhalt oder die Aussageperson solche Besonderheiten aufweist, die eine Sachkunde erfordern, welche eine Richterin oder ein Richter normalerweise nicht haben (Urteil des Senats vom 21. April 2015, a. a. O., Rz. 49). Das ist vorliegend nicht der Fall. Weder weist die Aussageperson solche Besonderheiten auf, noch ist der Sachverhalt besonders gelagert, sondern im Opferentschädigungsrecht eine durchaus typische Fallgestaltung. Der Beitrag von aussagepsychologischen Glaubhaftigkeitsgutachten zur Aufklärung ist gerade in Fällen zweifelhaft, in denen in der Vergangenheit mit therapeutischer Unterstützung explizit Bemühungen unternommen worden sind, sich an nicht zugängliche Erlebnisse zu erinnern oder in denen die Erinnerungen erst im Laufe wiederholter Erinnerungsbemühungen entstanden sind. Zu berücksichtigen ist, dass auch Personen, die einer Gedächtnistäuschung unterliegen, von der Richtigkeit ihrer Erinnerung überzeugt sein können (Urteil des Senats vom 21. April 2015, a. a. O., Bayerisches LSG, Urteil vom 26. Januar 2016 -, juris, Rz. 83). Dies ist bei der Klägerin zur Überzeugung des Senats ausweislich der vorliegenden Entlassungsberichte über mehrere mehrwöchige und sogar mehrmonatige stationäre Klinikaufenthalte gegeben.
65 
Dem hilfsweisen Antrag auf Einholung eines aussagepsychologischen Gutachtens bei Dr. H. nach § 109 SGG war nicht stattzugeben. Das Gericht kann ein solches Gesuch gemäß § 109 Abs. 2 SGG ablehnen, wenn durch die Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits verzögert werden würde und der Antrag nach der freien Überzeugung des Gerichts in der Absicht, das Verfahren zu verschleppen, oder aus grober Nachlässigkeit nicht früher vorgebracht worden ist. Eine Verzögerung in diesem Sinne tritt ein, wenn sich wegen der Beweisaufnahme nach § 109 SGG der durch eine erfolgte oder bevorstehende Terminierung bereits ins Auge gefasste Zeitpunkt der Verfahrensbeendigung verschieben würde (vgl. Keller, in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 11. Aufl. 2014, § 109 Rz. 11). Dies wäre vorliegend der Fall gewesen, denn der Antrag wurde erst gestellt, nachdem die mündliche Verhandlung am 23. Juni 2016 anberaumt wurde. Zudem handelte die Klägerin, welcher das Verhalten ihrer Prozessbevollmächtigten zuzurechnen ist, aus grober Nachlässigkeit. Diese liegt beim Verabsäumen jeglicher prozessualer Sorgfalt vor (BSG, Urteil vom 10. Juni 1958 - 9 RV 836/55 -, BSGE 7, 218). Daher müssen Beteiligte den Antrag spätestens innerhalb einer angemessenen Frist stellen, wenn sie erkennen müssen, dass das Gericht keine - weiteren - Erhebungen von Amts wegen durchführt (vgl. LSG für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 16. Januar 2015 - L 13 SB 348/11 -, juris, Rz. 32; Keller, a. a. O.). Dies hat die Klägerin versäumt. Das Gesuch ist am 3. Mai 2016 und damit erst mehr als eine Woche nach der am 25. April 2016 erfolgten Ladung zur mündlichen Verhandlung angebracht und damit offensichtlich überhaupt erst durch diese veranlasst worden, obwohl der Berichterstatter mit Schreiben vom 4. April 2016 der Klägerin mitgeteilt hat, dass in diesem Verfahren keine weiteren Ermittlungen von Amts wegen durchgeführt werden, insbesondere kein Gutachten zur Feststellung der Glaubhaftigkeit ihrer Angaben eingeholt wird.
66 
Nach alledem war die Berufung zurückzuweisen.
67 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
68 
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.

Die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, sind, wenn Unterlagen nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen oder ohne Verschulden des Antragstellers oder seiner Hinterbliebenen verlorengegangen sind, der Entscheidung zugrunde zu legen, soweit sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen. Die Verwaltungsbehörde kann in besonderen Fällen von dem Antragsteller die eidesstattliche Versicherung verlangen, daß er bei seinen Angaben nach bestem Wissen die reine Wahrheit gesagt und nichts verschwiegen habe.

1. Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Koblenz vom 11.04.2013 wird zurückgewiesen.

2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Versorgung nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG).

2

Die im Jahr 1974 geborene Klägerin beantragte im März 2009 die Gewährung von Versorgung nach dem OEG. Sie gab an, sie sei von ihrem 6. bis zum 16. Lebensjahr von ihrem Stiefvater M B B sexuell missbraucht und geschlagen worden. Daher beständen bei ihr eine emotionale instabile Persönlichkeitsstörung (Borderline), Angststörung, Angst vor Männern, die wie ihr Stiefvater aussehen würden, Essstörung und Depressionen.

3

Der Beklagte zog die Unterlagen eines Schwerbehindertenverfahrens der Klägerin bei. Nach dem Schwerbehindertenrecht ist durch Bescheid des Amts für soziale Angelegenheiten Koblenz vom 15.08.2005 ein Grad der Behinderung (GdB) von 40 wegen einer seelischen Behinderung (GdB 40) und degenerativer Wirbelsäulenveränderung (GdB 10) festgestellt. Sodann zog der Beklagte Unterlagen eines Rentenverfahrens von der Deutschen Rentenversicherung Bund bei, holte Auskünfte der Mutter der Klägerin sowie einer ehemaligen Lehrerin, Frau E R , ein. Die Mutter der Klägerin, S B , teilt mit, sie bestätige den Missbrauch ihrer Tochter durch ihren geschiedenen Mann, B B . Direkte Einzelheiten könne sie aber nicht nennen, da er es immer in ihrer Abwesenheit getan haben müsse. Details könne daher nur die Klägerin schildern. Frau R teilte mit, die Klägerin habe ihr während der Schulzeit erzählt, sie habe Angst vor ihrem Stiefvater. Erst Jahre später habe die Klägerin sich ihr offenbart. Ein Ermittlungsverfahren gegen den Schädiger wurde durch Verfügung der Staatsanwaltschaft Dresden nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt, da die Taten verjährt seien.

4

Mit Bescheid vom 20.10.2012 lehnte der Beklagte den Antrag der Klägerin ab. Die von der Klägerin geschilderten Gewalttaten hätten sich zwischen 1980 bis 1990 ereignet, so dass § 10a OEG anzuwenden sei. Trotz umfangreicher Sachaufklärung habe der Nachweis nicht erbracht werden können, dass die Klägerin Opfer eines sexuellen Missbrauchs geworden sei. Den Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 17.02.2011 zurück.

5

Im vor dem Sozialgericht Koblenz durchgeführten Klageverfahren hat das Sozialgericht Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens des Arztes für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. H . Der Sachverständige hat die Klägerin im Oktober 2011 untersucht und ist im Wesentlichen zu dem Ergebnis gelangt, bei der Klägerin beständen eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig leichte Episode, komplexe posttraumatische Belastungsstörung mit traumaassoziierter Borderline-Persönlichkeitsstörung und sonstige somatoforme Störung. Es bestehe eine Identitätsstörung mit einer andauernden und ausgeprägten Instabilität des Selbstbildes. Der komplexen posttraumatischen Belastungsstörung lägen nicht nur lange Zeit einwirkende Traumatisierungen, sondern auch ein Beziehungstrauma zugrunde. Die posttraumatische Belastungsstörung mit den dazu gehörigen traumaassoziierten Störungen sei wahrscheinlich auf den im Zeitraum 1979 bis 1990 erfolgten sexuellen Missbrauch zurückzuführen. Die Krankheitsbilder führten zu einer mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeit, da es zwar eheliche Probleme gebe, nicht jedoch Kontaktverlust oder affektive Nivellierung oder Isolierung oder sozialen Rückzug. Die Gesundheitsstörung sei mit einem GdS von 40 zu bewerten.

6

Mit Gerichtsbescheid vom 11.04.2013 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der Klägerin stehe kein Anspruch auf Leistungen nach dem OEG zu. Es sei in Übereinstimmung mit dem Gutachten des Dr. H davon auszugehen, dass ein sexueller Missbrauch an der Klägerin zumindest glaubhaft sei. Das könne allerdings dahinstehen. Nach den überzeugenden Darstellungen des Dr. H sei der GdS für die Folgen der Gewalttat mit 40 anzuerkennen. Dies sei überzeugend. Die Klägerin leide an einer depressiven Störung, die im Wesentlichen auf schädigungsunabhängige Faktoren zurückzuführen sei, etwa die Eheproblematik und die finanzielle Situation. Die komplexe posttraumatische Belastungsstörung bedinge isoliert einen GdS von 40. Ein GdS von 50, wie er nach § 10a Abs. 1 S. 2 OEG im Fall der Härteversorgung erforderlich sei, werde nicht erreicht.

7

Am 22.04.2013 hat die Klägerin gegen den ihr am 15.04.2013 zugestellten Gerichtsbescheid Berufung eingelegt.

8

Die Klägerin trägt vor,
für die komplexe posttraumatische Belastungsstörung sei ein GdS von mindestens 50 gerechtfertigt. Es bestehe eine Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit, die mit einer Zwangskrankheit vergleichbar sei. Die rezidivierende Depression sei mittelgradig bis schwer, wie sich auch aus der bisherigen Behandlungsdauer mit stationärer Behandlungsbedürftigkeit zeige. Im Mittelpunkt stehe nicht ein reaktives Geschehen aufgrund der ehelichen Situation, sondern die Lebens- und Missbrauchsgeschichte.

9

Die Klägerin beantragt,

10

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Koblenz vom 11.04.2013 sowie den Bescheid des Beklagten vom 10.10.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 07.02.2011 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, als Schädigungsfolgen nach dem OEG eine komplexe posttraumatische Belastungsstörung mit einem GdS von mindestens 50 anzuerkennen.

11

Der Beklagte beantragt,

12

die Berufung zurückzuweisen
und nimmt zur Begründung Bezug auf den angefochtenen Gerichtsbescheid.

13

Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung eines Befundberichts der Psychiatrischen Institutsambulanz K sowie eines Gutachtens des Arztes für Psychiatrie und Neurologie, Forensische Psychiatrie Dr. B nebst aussagepsychologischem Gutachten der Dipl. Psych. B D .

14

Dr. B hat die Klägerin im Januar und Februar 2014 untersucht und ist in seinem Gutachten im Wesentlichen zu dem Ergebnis gelangt, aktuell bestehe bei der Klägerin eine Dysthymia, eine depressive Stimmungslage ohne Konzentrationsstörungen. Eine Depression im Sinne einer Major Depression sei nicht aufweisbar, ebenso keine schwere depressive Störung oder eine rezidivierende depressive Störung. Es beständen bei der Klägerin dissoziative Probleme und histrionische Elemente, wobei noch nicht die Qualität einer Persönlichkeitsstörung im Sinne einer histrionischen Persönlichkeitsstörung erreicht werde. Ob oder wieweit eine posttraumatische Belastungsstörung bestehe, könne erst nach Einholung eines aussagepsychologischen Gutachtens beantwortet werden.

15

Dem Gutachten des Dr. H könne nicht gefolgt werden, da sich Dr. H auf ältere aussagepsychologische Literatur stütze, die mittlerweile methodisch für forensische Beurteilungen in keiner Weise mehr als haltbar anzusehen sei. Die Begründung dafür liege darin, dass nach diesem Ansatz gleichsam die fragmentierten Erinnerungen vollkommen ungeprüft schlussendlich zusammengesetzt würden mit der Konsequenz, dass ohne Erwägung alternativer Hypothesen oder ohne Erwägung anderer Möglichkeiten für die Aussageentstehung dies ungeprüft als hochspezifisches Kriterium für einen sexuellen Missbrauch oder Erlebnistrauma angewandt werde. Dr. H habe in keiner Weise Aspekte wie mögliche Fremdbeeinflussungen, Autosuggestionen oder sonstige Wahrnehmungen beachtet. Er sei vollkommen unwissenschaftlich, d. h. intuitiv ohne alternative Erklärungsmöglichkeiten vorgegangen und habe auch nicht dargelegt, dass gerade Probanden mit einer Borderline-Störung dazu tendieren könnten, einen nicht erlebten sexuellen Missbrauch zu schildern. Dr. H habe keine Validitätsprüfung im Rahmen einer Sozialanalyse vorgenommen. Auch die Suggestionshypothese sei unberücksichtigt geblieben. Die in der Literatur verwendeten Merkmale im Rahmen einer Glaubhaftigkeitsbegutachtung habe Dr. H in keiner Weise ausgelotet.

16

Frau D hat die Klägerin im August 2014 untersucht und in ihrem Gutachten zusammenfassend ausgeführt, eine spezielle tatbezogene Aussagetüchtigkeit sei bei der Klägerin noch gewährleistet. Die Aussagestruktur erscheine bei den Angaben zur Sache aus aussagepsychologischer Sicht überdetailliert, erwartbare Gedächtnisunsicherheiten oder -lücken seien so gut wie nicht zu erkennen. Die Analyse der Aussagezuverlässigkeit fördere interne, in der Persönlichkeit, im Erleben und Verhalten der Klägerin gelegene Fehlerquellen zu Tage, wie eine Empfänglichkeit für Suggestionen und Autosuggestionen, ein mit auf demonstrative Tendenzen ausgerichteter Interaktions- und Kommunikationsstil, ein magisch-mystischer Wahrnehmungs- und Kognitionsmodus. Zudem hätten sich Hinweise auf manipulative Tendenzen ergeben; weder Simulation noch Aggravation oder Dissimulation ließen sich ausschließen. Die Aussagezuverlässigkeit scheine beeinträchtigt. Aus der Analyse des Erinnerungsverlaufs, der Aussageentstehung und der weiteren Aussageentwicklung würden sich Hinweise auf externe Störfaktoren ergeben, die ebenfalls auf die nicht ausreichend gewährleistete Zuverlässigkeit der Bekundungen verweisen würden. Die in ihrem Umfang kontinuierlich zunehmenden „Erinnerungen“ an die dargelegten sexuellen missbräuchlichen Handlungen in der Kindheit seien zum überwiegenden Teil auf nach Angaben der Klägerin wiederentdeckte Erinnerungen im Zusammenhang mit therapeutischen Gesprächen, Maltherapie, Flashbacks sowie Albträume zurückzuführen. Es fänden sich hier Hinweise auf die Wirksamkeit einer Quellenkonfusionsproblematik, wobei Inhalte von Flashbacks und Albtrauminhalte für eine Eins-zu-Eins-Abbildung der Realität gehalten würden, was wissenschaftlich in keiner Weise gedeckt erscheine. Eine Glaubhaftigkeit der Bekundungen der Klägerin könne mit aussagepsychologischen Mitteln nicht positiv belegt werden. Es könne mit aussagepsychologischen Mitteln nicht festgestellt werden, dass die Möglichkeit der Erlebnisfundierung des Vorgetragenen im Vergleich zu den im Gutachten genannten Alternativhypothesen relativ am wahrscheinlichsten sei.

17

Im Übrigen wird Bezug genommen auf den Inhalt der beigezogenen und die Klägerin betreffenden Verwaltungsakte des Beklagten sowie der Gerichtsakte, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung war.

Entscheidungsgründe

18

Die zulässige Berufung der Klägerin ist nicht begründet, da der Klägerin kein Anspruch auf Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Gewalttag und Gewährung von Versorgung nach dem OEG zusteht.

19

Voraussetzung für die Anerkennung von Schädigungsfolgen gemäß § 1 OEG ist, dass die Klägerin an Gesundheitsstörungen leidet, die rechtlich wesentlich durch einen vorsätzlichen, rechtswidrigen, tätlichen Angriff verursacht worden sind. Dies setzt nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (vgl. SozR 3-3800 § 1 Nr. 23) eine unmittelbare Schädigung des Opfers voraus, was grundsätzlich einen engen zeitlichen und örtlichen Zusammenhang zwischen dem Schädigungstatbestand und der schädigenden Einwirkung ohne örtliche und zeitliche Zwischenglieder voraussetzt. Als Schädigungsfolgen sind dabei nur solche nachgewiesenen Gesundheitsstörungen anzuerkennen, die wenigstens mit Wahrscheinlichkeit durch das schädigende Ereignis verursacht worden sind. Wahrscheinlichkeit in dem genannten Sinn liegt vor, wenn nach geltender medizinischer Lehrmeinung mehr für als gegen einen Ursachenzusammenhang spricht. Ursache einer Gesundheitsstörung sind in dem hier erheblichen Sinn diejenigen Bedingungen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben. Haben zu dem Eintritt einer Gesundheitsstörung mehrere Bedingungen beigetragen, so sind nur diejenigen Ursache im Rechtssinn, die von ihrer Bedeutung und Tragweite für den Eintritt des Schadens wenigstens den anderen Bedingungen gleichwertig sind. Kommt dagegen einem der Umstände gegenüber den anderen eine überragende Bedeutung zu, ist er allein Ursache im Rechtssinn (Theorie der rechtlich wesentlichen Bedingung, vgl. Rohr/Strässer/Dahm, Kommentar zum BVG, Anm. 10 zu § 1). Bei der Beurteilung des Kausalzusammenhangs ist die Wahrscheinlichkeit nach der herrschenden wissenschaftlichen medizinischen Lehrmeinung zu ermitteln. Als Grundlage für die Beurteilung der erheblichen medizinischen Sachverhalte dienten der Praxis die jeweils vom zuständigen Bundesministerium herausgegebenen "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht", die nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts als vorweggenommene Sachverständigengutachten eine normähnliche Wirkung hatten (vgl. BSG, SozR 4-3800, § 1 Nr. 3 Rdnr. 12, m.w.N.). Auf Grund des § 30 Abs. 17 BVG hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales die am 1. Januar 2009 in Kraft getretene Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) erlassen. Nach ihrem § 1 regelt diese unter anderem die Grundsätze für die medizinische Bewertung von Schädigungsfolgen und die Feststellung ihres Schweregrades im Sinne des § 30 Abs. 1 BVG. Nach § 2 VersMedV sind die in § 1 genannten Grundsätze und Kriterien in der Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" festgelegt. Die in den Anhaltspunkten (letzte Ausgabe von 2008) enthaltenen Texte und Tabellen, nach denen sich die Bewertung des GdB bzw. GdS bisher richtete, sind in diese Anlage übernommen worden (vgl. die Begründung BR-Drucks. 767/08, S. 3 f.). Anders als die Anhaltspunkte 1983 bis 2008 enthält die VersMedV keine Bestimmungen über die Kausalitätsbeurteilung bei einzelnen Krankheitsbildern, so dass insoweit entweder auf die letzte Fassung der Anhaltspunkte (2008) zurückgegriffen werden muss oder bei Anzeichen dafür, dass diese den aktuellen Kenntnisstand der medizinischen Wissenschaft nicht mehr beinhalten, andere Erkenntnisquellen, insbesondere Sachverständigengutachten, genutzt werden müssen (BSG, Urteil vom 07.04.2011 - B 9 VJ 1/10 R -, juris; Urteil des Senats vom 12.12.2012, Az.: L 4 VG 5/10).

20

Die anspruchsbegründenden Voraussetzungen für eine soziale Entschädigung nach dem OEG, zu denen das Vorliegen eines rechtswidrigen Angriffs zählt, müssen nachgewiesen, d.h. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bzw. mit einem so hohen Grad der Wahrscheinlichkeit festgestellt worden sein, dass kein vernünftiger Mensch hieran noch zweifelt (vgl. BSG, Urteil vom 28.06.2000, B 9 VG 3/99 R m.w.N., in SozR 3-3900 § 15 Nr. 3). Fehlt es daran, geht dies zu Lasten der Klägerin (objektive Beweis- oder Feststellungslast). Die im Verfahren nach dem OEG häufig auftretenden Beweisschwierigkeiten rechtfertigen keine generelle Beweiserleichterung oder gar eine Beweislastumkehr. Vielmehr gelten auch hier die allgemein anerkannten Beweisgrundsätze. Zu diesen zählen freilich auch die Grundsätze des Beweises des ersten Anscheins sowie die für Kriegsopfer geschaffene besondere Beweiserleichterung nach § 15 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der KriegsopferversorgungKOV-VfG -, die auch für Gewaltopfer gilt (BSG, Urteil vom 28.06.2000, B 9 VG 3/99 R; Urteil des Senats vom 18.05.2011, Az.: L 4 VG 14/09 mwN)

21

Die von der Klägerin geschilderten Gewalttaten sind nicht nachgewiesen, da keinerlei Beweismittel vorliegen, die die Angaben der Klägerin stützen. Die Mutter der Klägerin hat ebenso wie die ehemalige Lehrerin der Klägerin aus eigenem Wissen keine Angaben zu den behaupteten Gewalttaten tätigen können, wie sich aus den schriftlichen Stellungnahmen im Verwaltungsverfahren ergibt. Weitere Zeugen können hierzu nicht befragt werden, da der Schädiger und die Schwester der Klägerin insoweit Angaben nicht gemacht haben.

22

Schließlich geht der Senat davon aus, dass allein aus den bei der Klägerin gestellten Diagnosen keine Ableitungen auf das Vorliegen einer sexuellen Missbrauchserfahrung in der Kindheit möglich sind. Es mag zwar sein, dass ein sexueller Missbrauch als Kind in einer großen Anzahl von Fällen zu speziellen psychischen Erkrankungen führt. Die Wahrscheinlichkeit hinsichtlich des Kausalzusammenhangs vermag jedoch nicht die Notwendigkeit einer vollen richterlichen Überzeugung von der Erfüllung des objektiven Tatbestandsmerkmals „eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs“ gerade im Falle der Klägerin zu ersetzen. Denn es gibt auch Fälle von emotionalen Störungen bzw. Bindungsstörungen im Kindesalter sowie Entwicklungsstörungen, die nicht mit einem sexuellen Missbrauch in Zusammenhang stehen. Allein die Möglichkeit, dass ein frühkindlicher Missbrauch zu derartigen Krankheitsbildern und Verhaltensweisen wie bei der Klägerin führen kann, reicht nicht aus, den Beweis als geführt anzusehen, der angeschuldigte Angriff habe so tatsächlich stattgefunden (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 05.06.2008, Az. L 13 VG 1/05; Urteil vom 29.01.2015 – L 10 VE 28/11 –, Rn. 33, juris), wie auch die vom Senat gehörte Sachverständige überzeigend dargelegt hat.

23

Das Vorliegen eines sexuellen Missbrauchs der Klägerin durch den Stiefvater der Klägerin lässt sich auch nicht unter Zugrundelegung der Beweiserleichterung nach § 6 Abs. 3 OEG i.V.m. § 15 KOV-VfG annehmen. Nach § 15 S. 1 KOV-VfG sind die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, der Entscheidung zugrunde zu legen, wenn Unterlagen nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen oder ohne Verschulden des Antragstellers oder seiner Hinterbliebenen verlorengegangen sind, soweit die Angaben nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen. Die Beweiserleichterung des § 15 S. 1 KOV-VfG ist auch anwendbar, wenn für den schädigenden Vorgang keine Zeugen vorhanden sind (vgl. BSG, SozR 1500 § 128 Nr. 39 S 46). Dabei genügt es, wenn bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten ist, weil nach Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Möglichkeit sprich (BSG, Urteil vom 17.04.2013 – B 9 V 3/12 R –, juris)

24

Die Behauptung der Klägerin, sie sei in ihrer Kindheit sexuell missbraucht worden, ist für den Senat jedoch nicht glaubhaft. Er stützt sich dabei insbesondere auf das von ihm veranlasste Gutachten der Sachverständigen Dr. B und Frau D . Den Maßgaben in dem Urteil des BSG vom 17.04.2013 (Az. B 9 V 3/12 R) folgend hat der Senat Beweis erhoben auch durch Einholung eines Glaubhaftigkeitsgutachtens über die Klägerin unter besonderer Berücksichtigung von § 15 KOV-VfG durch diese Sachverständigen.

25

Danach ist vor dem Hintergrund des besonders großen Zeitfensters davon auszugehen, dass auch natürliche Erinnerungsverluste anzunehmen sind. Aus gedächtnispsychologischer Sicht wäre zu erwarten, dass bei derart lang zurückliegenden Vorfällen im normalen Umfang Vergessensprozesse am Werk gewesen sein dürften, aus gedächtnispsychologischer Sicht wäre zu erwarten, dass die wesentlichen, das Kerngeschehen bestimmenden Handlungselemente sowie auch die damit einhergehenden Affekte erinnerlich sein dürften, auch vor dem Hintergrund der guten Begabungsstruktur der Klägerin, dass aber im Hinblick auf Details, die im Sinne der differenzierten Konstanz zu Inhalten gehören, welche auch von erlebnisbasiert Aussagenden leichter vergessen werden, Erinnerungsunsicherheiten oder -lücken auftreten. Denn insoweit sind auch die das Verfahren betreffenden großen Zeiträume zu berücksichtigen: zwischen dem angegebenem Beginn der sexualbezogenen Handlungen im sechsten Lebensjahr und den dokumentierten Aussagen im Rahmen dieses Verfahrens, insbesondere auch der aussagepsychologischen Begutachtung, liegen 34 bis 35 Jahre. Es wäre somit eine Aussage zu erwarten, welche auch Lücken und Unsicherheiten aufweist, was Rahmengeschehnisse anbetrifft, was verbale Interaktionen anbetrifft, was die Zuordnung von Nebenhandlungen zu Haupthandlungen anbetrifft, z.B. was Datierungen anbetrifft.

26

Dagegen erscheinen Aussagen der Klägerin überdetailliert. Einerseits macht sie sehr genaue Angaben, auch zu Körperpositionen, zum Ablauf von Teilhandlungen und Haupthandlungen, zu verbalen Interaktionen und benennt kaum Erinnerungsunsicherheiten oder Lücken, was allerdings vorwiegend ein Ereignis mit ihrem roten Nachthemd betrifft. Anderseits wäre vor dem Hintergrund der großen Zeitfenster aus gedächtnispsychologischer Sicht nicht erwartbar, dass eine Aussage eine solche Konkretheit und Detaillierung aufweist und dass es so gut wie keine Hinweise auf Erinnerungsunsicherheiten und Erinnerungslücken im Bericht der Klägerin gibt. Auf der anderen Seite gibt die Klägerin in der biografischen Anamnese an, an ihre Biografie wenige Erinnerungen zu haben. In manchen Bereichen habe sie Lücken, anderes könne sie erinnern. Sehr wenig könne sie sich an die Zeit vor der Einschulung erinnern. Dann sei sie in der Unterstufe gewesen, Klasse 1 bis 4. An die Zeit der Unterstufe könne sie sich sehr wenig erinnern, mehr an die Zeit der Oberstufe, vom fünften bis zum zehnten Schuljahr. Diese entspricht nach den überzeugenden Darlegungen der Sachverständigen auch weitgehend dem Erwartbaren, denn aus gedächtnispsychologischer Sicht erscheint es nachvollziehbar, dass sie an Ereignisse vor 1978, der Zeit des Zusammenlebens mit dem leiblichen Vater, der Kindergartenzeit, kaum Erinnerungen hat und dass die Erinnerungen mit dem Lebensalter ansteigen, so dass sie für die Zeit der Oberstufe mehr Erinnerungen zur Verfügung hat. Vor dem Hintergrund dieser Untersuchungsergebnisse ist aus aussagepsychologischer Sicht von einer leistungsbedingt intakten allgemeinen und insbesondere vor dem Hintergrund der das Verfahren betreffenden sehr großen Zeitfenster von einer noch ausreichenden speziellen, tatzeitbezogenen Aussagetüchtigkeit auszugehen, was auch Dr. B angenommen hat, während die Aussage zur Sache aus aussagepsychologischer Sicht mit ihrer Überdetaillierung dabei nicht dem im Hinblick auf die spezielle, tatzeitbezogene Aussagetüchtigkeit Erwarteten entspricht.

27

Hinsichtlich der Aussagezuverlässigkeit ist nach wissenschaftlichen Erkenntnissen, die Frau D dargelegt hat, zu beachten, dass wenn falsche Kindheitserinnerungen konstruiert werden, es neben autosuggestiven Prozessen häufig äußere Einflüsse sind; oft seien an der Genese von komplexen autobiografischen Scheinerinnerungen heterosuggestive Anregungen oder Verstärkungen durch Dritte beteiligt, beispielsweise im Rahmen einer Therapie. Dabei gehe es auch um die Aufnahmebereitschaft für vermeintliche Ursachenerklärungen. Deutungsangebote in Psychotherapien stellen dabei die aktive Komponente der Suggestion dar. Insoweit fällt auf, dass die Klägerin erstmals einen sexuellen Missbrauch erwähnt hat, als sie 1994 von der Gynäkologin Frau Dr. G behandelt worden ist, die den Verdacht des sexuellen Missbrauchs geäußert und den die Klägerin bestätigt habe, ohne Weiteres dazu zu sagen. Therapien hat sich die Klägerin in der Vergangenheit zahlreich unterzogen, wobei sich insbesondere aus dem psychologischen Bericht der Frau Dipl. Psych. d l R vom 21.05.2005 ergibt, dass die kindlichen Verhaltensmuster der Klägerin „in einer geleiteten Reflexion“ als Schutzmechanismen erklärt wurden aufgrund von Erlebnissen in der Kindheit wie Herabsetzung, Demütigung bis zum sexuellen Missbrauch. Erst in der Folgezeit finden sich Angaben der Klägerin in Arztbriefen, wonach die Klägerin sich nun an sexuelle Übergriffe durch den Stiefvater erinnerte.

28

Betrachtet man nun die Art und Weise, wie die „Erinnerungen“ der Klägerin entstanden sind, so ist der Erinnerungsverlauf dadurch charakterisiert, dass die Erinnerungen kontinuierlich zugenommen haben und, so wie die Klägerin der Sachverständigen D mitgeteilt hat, auch immer noch mehr würden. Ausgelöst worden seien neue „Erinnerungen“ unter anderem durch Außenreize sowie Gerüche, dann durch therapeutische Gespräche und durch Albträume. Allerdings besteht bei der Klägerin eine hohe Autosuggestibilität. Dabei besteht das Bedürfnis, die massiven psychischen und körperlichen Beschwerden, welche über die Jahre hinweg aufgetreten sind, erklären zu können. Über die Missbräuche hat die Klägerin nach ihren Angaben das erste Mal im April 1996 erzählt, die Sache mit dem roten Nachthemd, aber nicht genau alle Einzelheiten, da sie zurzeit einiges davon verdrängt und vergessen gehabt habe; nur durch Flashbacks seien die Erinnerungen daran wieder zum Vorschein gekommen. Ein direkter Rückschluss von Trauminhalten auf eine tatsächlich erlebte Realität ist aber nach den überzeugenden Erläuterungen der Sachverständigen unter aussagepsychologischen Aspekten nicht zulässig, da dieser an mindestens drei nicht erfüllte Voraussetzungen geknüpft ist: Zum einen ist keineswegs gesichert, dass Träume immer auch tatsächlich Erfahrenes darstellen, sie können auch Wünsche, Ängste oder anderweitige Vorstellungen repräsentieren. Zum anderen bestünde, selbst wenn diese erste Voraussetzung erfüllt wäre, keine Gewähr dafür, dass diese Erfahrungen in ihrem tatsächlichen Ablauf und nicht in verzerrter oder bearbeiteter Form geträumt werden. Darüber hinaus ist der Transfer von einer im Traum vorgenommenen Personenzuordnung auf die Realitätsebene nicht zwangsläufig gegeben. Es gibt keine empirischen und nur sehr wenige klinische Anzeichen dafür, dass bestimmte traumatische Erfahrungen unverändert in den Trauminhalt übergehen. Deshalb ist die Vorstellung, dass ein Traum mit einem traumatischen Erlebnis identisch oder isomorph sein kann, aus wissenschaftlicher Sicht höchst fragwürdig. Der von der Klägerin geschilderte Prozess (Traumwirklichkeit als Ausgangspunkt für weitere Erinnerungen) begünstigt im Gegenteil gerade die Entstehung von Pseudoerinnerungen. Gleiches gilt, wenn sogenannte Wiedererinnerungen nach therapeutischen Gesprächen, im Rahmen der Maltherapie oder während des Schreibens in einem dissoziativen Zustand auftreten, wie ihn die Klägerin geschildert hat.

29

Aus wissenschaftlicher Sicht ist damit von einer Korrektheit und Zuverlässigkeit längerfristig nicht bewusst zugänglicher Erinnerungsinhalte auf der Basis aktueller wissenschaftlicher Befunde nicht auszugehen. Damit ist von einer Aussagezuverlässigkeit der Angaben der Klägerin nicht auszugehen, vielmehr stellen die tatbezogenen Angaben der Klägerin irrtümliche Falschaussagen, sei es in der Form der Suggestion, sei es in der Form der Autosuggestion, sei es in der Kombination beider, dar.

30

Dem Gutachten des Dr. H vermag sich der Senat nicht anzuschließen, da dieser, worauf Dr. B und Frau D in ihren Gutachten eingehend und zutreffend hinweisen, die an eine Glaubhaftigkeitsbeurteilung zu richtende Kriterien hat unberücksichtigt gelassen. Insbesondere hat Dr. H nach überholten wissenschaftlichen Kriterien geurteilt und in keiner Weise die Entstehungsgeschichte der Angaben der Klägerin hinterfragt. Deshalb sind von ihm auch die Problematik der Autosuggestion nicht geprüft und Realkennzeichen nicht kategorisiert worden. Zudem hat Dr. H seine Beurteilung, es bestehe kein Zweifel an den Angaben der Klägerin über den sexuellen Missbrauch insbesondere auf das Verhalten während der Schilderung der Missbrauchsereignisse der Klägerin gestützt. Bei der Besprechung der Missbrauchserlebnisse fixiere die Klägerin mit einem Tunnelblick die von einem Baumstamm ausgehende Verzweigung der Äste, der Blickkontakt zum Gutachter sei weitestgehend aufgegeben worden, sie habe motorisch unruhig gewirkt, es sei zu ruckartigen Kopfbewegungen, auch zu einem Wackeln des Kopfes und zu einem Zucken der Gesichtsmuskulatur gekommen, wobei sie maximal angespannt gewirkt habe und auch ihre Hände krampfhaft zusammengehalten habe. Die Schilderung der Missbrauchsereignisse sei mit starrem Blick und wie aus der Perspektive eines Zuschauers ohne sichtbare affektive Beteiligung erfolgt, was für das Vorliegen einer Dissoziation spreche.

31

Dabei hat Dr. H aber nicht berücksichtigt, dass die Verhaltensbeobachtung zum gleichen Ergebnis bei Scheinerinnerungen führt. Denn beim Vorliegen einer Scheinerinnerung geht der Berichtende selbst davon aus, von tatsächlich in der Wachwirklichkeit Erlebtem zu berichten, wiewohl sich das Berichtete wie in diesem Fall im Wesentlichen aus Trauminhalten, Flashbacks, das heißt auch Worst-Fear-Visionen speist und zum Teil im Rahmen von therapeutischen Sitzungen generiert wurde. Da die Aussageperson in einem solchen Falle nicht lügt, sondern davon ausgeht, dass Berichtete erlebt zu haben, können sich in gleicher Weise wie wenn eine Aussageperson erlebnisbasiert berichtet, Verhaltensauffälligkeiten und Symptome zeigen, welche auf eine innere Anspannung und eine intensive emotionale Beteiligung schließen lassen, so dass es auch zu motorischen Entäußerungen wie z.B. ruckartigen Kopfbewegungen, unruhigen Händen etc. kommen kann. Die Abwendung von der äußeren Realität und das Horchen nach innen, was zu einem akommunikativ erscheinenden Verhalten bis hin zu einem dissoziativ erscheinenden Verhalten führen kann, kann sich somit zum einen dann einstellen, wenn erlebnisbasiert über eine tatsächliche traumatische Erfahrung berichtet wird, sowie auch dann, wenn eine Pseudoerinnerung generiert und verbalisiert wird. Dies hat Frau D in ihrem Gutachten überzeugend dargelegt.

32

Daher kann sich der Senat, gestützt auf die Gutachten des Dr. B und der Dipl. Psych. D nicht davon überzeugen, dass die gute Möglichkeit besteht, dass die Angaben der Klägerin über einen sexuellen Missbrauch in der Kindheit zutreffen. Die in ihrem Umfang kontinuierlich zunehmenden „Erinnerungen“ an die angegebenen sexuell missbräuchlichen Handlungen in der Kindheit sind zum überwiegenden Teil sogenannte wiederentdeckte Erinnerungen, die im Zusammenhang mit therapeutischen Gesprächen, Maltherapie, Flashbacks sowie Albträumen entstanden sein sollen. Es finden sich Hinweise auf die Wirksamkeit der Quellenkonfusionsproblematik, wobei Inhalte von Flashbacks und Albtrauminhalte für eine Eins-zu-eins-Abbildung der Realität gehalten wurden, was wissenschaftlich in keiner Weise gedeckt erscheint. Es ergeben sich auch Hinweise auf die Wirksamkeit von Suggestionen und Autosuggestionen, so dass der Senat die Angaben der Klägerin nicht für am wahrscheinlichsten halten kann.

33

Aber selbst wenn man dem dennoch folgen wollte, stände der Klägerin keine Versorgung nach dem OEG zu, wie das Sozialgericht zutreffend ausgeführt hat, da die bei der Klägerin bestehenden Gesundheitsstörungen auf psychiatrischem Gebiet nicht mit einem GdS von wenigstens 50 zu bewerten sind, wovon auch Dr. H ausgegangen ist. Nach den von Dr. B erhobenen Befunden ist sogar daran zu zweifeln, ob ein solcher GdS erreicht wird.

34

Die Berufung ist daher zurückzuweisen.

35

Die Entscheidung über die Kosten stützt sich auf § 193 SGG.

36

Die Revision wird nicht zugelassen, da Revisionszulassungsgründe (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 SGG) nicht vorliegen.

(1) Wer im Geltungsbereich dieses Gesetzes oder auf einem deutschen Schiff oder Luftfahrzeug infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes. Die Anwendung dieser Vorschrift wird nicht dadurch ausgeschlossen, daß der Angreifer in der irrtümlichen Annahme von Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrunds gehandelt hat.

(2) Einem tätlichen Angriff im Sinne des Absatzes 1 stehen gleich

1.
die vorsätzliche Beibringung von Gift,
2.
die wenigstens fahrlässige Herbeiführung einer Gefahr für Leib und Leben eines anderen durch ein mit gemeingefährlichen Mitteln begangenes Verbrechen.

(3) Einer Schädigung im Sinne des Absatzes 1 stehen Schädigungen gleich, die durch einen Unfall unter den Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 Buchstabe e oder f des Bundesversorgungsgesetzes herbeigeführt worden sind; Buchstabe e gilt auch für einen Unfall, den der Geschädigte bei der unverzüglichen Erstattung der Strafanzeige erleidet.

(4) Ausländerinnen und Ausländer haben dieselben Ansprüche wie Deutsche.

(5) Die Hinterbliebenen eines Geschädigten erhalten auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes. Partner einer eheähnlichen Gemeinschaft erhalten Leistungen in entsprechender Anwendung der §§ 40, 40a und 41 des Bundesversorgungsgesetzes, sofern ein Partner an den Schädigungsfolgen verstorben ist und der andere unter Verzicht auf eine Erwerbstätigkeit die Betreuung eines gemeinschaftlichen Kindes ausübt; dieser Anspruch ist auf die ersten drei Lebensjahre des Kindes beschränkt.

(6) Einer Schädigung im Sinne des Absatzes 1 stehen Schädigungen gleich, die ein Berechtigter oder Leistungsempfänger nach Absatz 1 oder 5 in Verbindung mit § 10 Abs. 4 oder 5 des Bundesversorgungsgesetzes, eine Pflegeperson oder eine Begleitperson bei einer notwendigen Begleitung des Geschädigten durch einen Unfall unter den Voraussetzungen des § 8a des Bundesversorgungsgesetzes erleidet.

(7) Einer gesundheitlichen Schädigung im Sinne des Absatzes 1 steht die Beschädigung eines am Körper getragenen Hilfsmittels, einer Brille, von Kontaktlinsen oder von Zahnersatz gleich.

(8) Wird ein tätlicher Angriff im Sinne des Absatzes 1 durch den Gebrauch eines Kraftfahrzeugs oder eines Anhängers verübt, werden Leistungen nach diesem Gesetz erbracht.

(9) § 1 Abs. 3, die §§ 64 bis 64d, 64f sowie 89 des Bundesversorgungsgesetzes sind mit der Maßgabe anzuwenden, daß an die Stelle der Zustimmung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales die Zustimmung der für die Kriegsopferversorgung zuständigen obersten Landesbehörde tritt, sofern ein Land Kostenträger ist (§ 4). Dabei sind die für deutsche Staatsangehörige geltenden Vorschriften auch für von diesem Gesetz erfaßte Ausländer anzuwenden.

(10) § 20 des Bundesversorgungsgesetzes ist mit den Maßgaben anzuwenden, daß an die Stelle der in Absatz 1 Satz 3 genannten Zahl die Zahl der rentenberechtigten Beschädigten und Hinterbliebenen nach diesem Gesetz im Vergleich zur Zahl des Vorjahres tritt, daß in Absatz 1 Satz 4 an die Stelle der dort genannten Ausgaben der Krankenkassen je Mitglied und Rentner einschließlich Familienangehörige die bundesweiten Ausgaben je Mitglied treten, daß Absatz 2 Satz 1 für die oberste Landesbehörde, die für die Kriegsopferversorgung zuständig ist, oder die von ihr bestimmte Stelle gilt und daß in Absatz 3 an die Stelle der in Satz 1 genannten Zahl die Zahl 1,3 tritt und die Sätze 2 bis 4 nicht gelten.

(11) Im Rahmen der Heilbehandlung sind auch heilpädagogische Behandlung, heilgymnastische und bewegungstherapeutische Übungen zu gewähren, wenn diese bei der Heilbehandlung notwendig sind.

Die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, sind, wenn Unterlagen nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen oder ohne Verschulden des Antragstellers oder seiner Hinterbliebenen verlorengegangen sind, der Entscheidung zugrunde zu legen, soweit sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen. Die Verwaltungsbehörde kann in besonderen Fällen von dem Antragsteller die eidesstattliche Versicherung verlangen, daß er bei seinen Angaben nach bestem Wissen die reine Wahrheit gesagt und nichts verschwiegen habe.

(1) Wer eine tatsächliche Behauptung glaubhaft zu machen hat, kann sich aller Beweismittel bedienen, auch zur Versicherung an Eides statt zugelassen werden.

(2) Eine Beweisaufnahme, die nicht sofort erfolgen kann, ist unstatthaft.

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.

(1) Gegen das Urteil eines Landessozialgerichts und gegen den Beschluss nach § 55a Absatz 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundessozialgericht nur zu, wenn sie in der Entscheidung des Landessozialgerichts oder in dem Beschluß des Bundessozialgerichts nach § 160a Abs. 4 Satz 1 zugelassen worden ist.

(2) Sie ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs. 1 Satz 1 und auf eine Verletzung des § 103 nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das Landessozialgericht ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

(3) Das Bundessozialgericht ist an die Zulassung gebunden.

(1) Die Berufung bedarf der Zulassung in dem Urteil des Sozialgerichts oder auf Beschwerde durch Beschluß des Landessozialgerichts, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes

1.
bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750 Euro oder
2.
bei einer Erstattungsstreitigkeit zwischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts oder Behörden 10.000 Euro
nicht übersteigt. Das gilt nicht, wenn die Berufung wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft.

(2) Die Berufung ist zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

(3) Das Landessozialgericht ist an die Zulassung gebunden.

(4) Die Berufung ist ausgeschlossen, wenn es sich um die Kosten des Verfahrens handelt.

(1) Die Berufung ist bei dem Landessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen.

(2) Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Frist bei dem Sozialgericht schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird. In diesem Fall legt das Sozialgericht die Berufungsschrift oder das Protokoll mit seinen Akten unverzüglich dem Landessozialgericht vor.

(3) Die Berufungsschrift soll das angefochtene Urteil bezeichnen, einen bestimmten Antrag enthalten und die zur Begründung dienenden Tatsachen und Beweismittel angeben.

(1) Vor Erhebung der Anfechtungsklage sind Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit des Verwaltungsakts in einem Vorverfahren nachzuprüfen. Eines Vorverfahrens bedarf es nicht, wenn

1.
ein Gesetz dies für besondere Fälle bestimmt oder
2.
der Verwaltungsakt von einer obersten Bundesbehörde, einer obersten Landesbehörde oder von dem Vorstand der Bundesagentur für Arbeit erlassen worden ist, außer wenn ein Gesetz die Nachprüfung vorschreibt, oder
3.
ein Land, ein Versicherungsträger oder einer seiner Verbände klagen will.

(2) (weggefallen)

(3) Für die Verpflichtungsklage gilt Absatz 1 entsprechend, wenn der Antrag auf Vornahme des Verwaltungsakts abgelehnt worden ist.

(1) Die Klage muss den Kläger, den Beklagten und den Gegenstand des Klagebegehrens bezeichnen. Zur Bezeichnung des Beklagten genügt die Angabe der Behörde. Die Klage soll einen bestimmten Antrag enthalten und von dem Kläger oder einer zu seiner Vertretung befugten Person mit Orts- und Zeitangabe unterzeichnet sein. Die zur Begründung dienenden Tatsachen und Beweismittel sollen angegeben, die angefochtene Verfügung und der Widerspruchsbescheid sollen in Abschrift beigefügt werden.

(2) Entspricht die Klage diesen Anforderungen nicht, hat der Vorsitzende den Kläger zu der erforderlichen Ergänzung innerhalb einer bestimmten Frist aufzufordern. Er kann dem Kläger für die Ergänzung eine Frist mit ausschließender Wirkung setzen, wenn es an einem der in Absatz 1 Satz 1 genannten Erfordernisse fehlt. Für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gilt § 67 entsprechend.

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 29. Januar 2015 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über eine Versorgung nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) iVm dem Bundesversorgungsgesetz (BVG).

2

Die 1949 geborene Klägerin wuchs im heutigen Land Sachsen auf. Im März 1991 und im Jahr 1992 berichtete sie gegenüber Ärzten von Misshandlungen im Stasigewahrsam. Im Oktober 1997 erstattete die Klägerin Strafanzeige wegen sexueller Nötigung in der Zeit vom 9.1989 durch ihren damaligen Vorgesetzten. Die zuständige Staatsanwaltschaft Dresden stellte das Ermittlungsverfahren gemäß § 170 Abs 2 Strafprozessordnung ein, die hiergegen gerichtete Beschwerde blieb erfolglos.

3

Im Juni 1999 beantragte die Klägerin beim Versorgungsamt B. eine Versorgung nach dem OEG wegen "Folter, Misshandlung und Vergewaltigung" im K.-Gefängnis in K. während eines Aufenthaltes in der Zeit vom 9.1989 durch ihren damaligen Vorgesetzten und andere unbekannte Täter. An Schädigungsfolgen seien ua psychosomatische Folgen und Zahnverlust eingetreten. Das Versorgungsamt B. lehnte Ansprüche nach dem Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetz (StrRehaG) ab; das zuständige Versorgungsamt C. lehnte sodann den OEG-Antrag der Klägerin ab (Bescheid vom 22.4.2003; Widerspruchsbescheid vom 12.1.2004).

4

Im anschließenden Klageverfahren hat das SG ua eine Begutachtung der Klägerin durch die Psychiaterin und Neurologin Dr. S. veranlasst. Die Sachverständige kam zu dem Ergebnis, dass die Erlebnisse, welche die Klägerin in der Haft habe erleben müssen, so schwerwiegend gewesen seien, dass sie bei den vorliegenden Vorbelastungen (angegebener sexueller Missbrauch in der Kindheit durch einen Großonkel) die andauernde Persönlichkeitsveränderung der Klägerin mit verursacht oder sogar allein ausgelöst hätten (Gutachten vom 12.12.2007). Das SG hat ferner Beweis erhoben durch Einholung eines aussagepsychologischen Gutachtens (sog Glaubhaftigkeitsgutachten)der psychologischen Psychotherapeutin Dipl.-Psych. Sch. Diese erklärte, dass die behauptete Aussage der Klägerin mit Hilfe der aussagepsychologischen Methodik nicht verifiziert werden könne. Es zeigten sich Mängel im Hinblick auf die Konstanz der Aussage der Klägerin und Hinweise auf fremd- und autosuggestive Einflüsse. Weder die Täuschungs- noch die Suggestionshypothese könne zurückgewiesen werden (Gutachten vom 12.5.2010). Auf Antrag der Klägerin hat das SG schließlich eine Begutachtung der Klägerin durch den Psychiater und Neurologen Dr. St. veranlasst. Dieser erklärte im Wesentlichen, dass eine suggestive Beeinflussung der Erinnerungen der Klägerin nicht ausgeschlossen werden könne, sondern angesichts der Persönlichkeit der Klägerin und der Befragungsumstände als sehr wahrscheinlich anzunehmen sei. Die Klägerin könne die Angaben über die Stasihaft und die dort erlittenen Vergewaltigungen und Misshandlungen - wie auch die Angaben zum sexuellen Missbrauch in ihrer Kindheit - in dieser Form auch ohne einen Erlebnisbezug berichten (Gutachten vom 31.12.2012).

5

Das SG hat die seit 1.8.2008 gegen den beklagten Sozialverband als Funktionsnachfolger gerichtete Klage abgewiesen, weil es der Klägerin nicht gelungen sei, glaubhaft zu machen, dass sie Opfer eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs iS des § 1 OEG geworden sei. Aus den Gutachten der Sachverständigen Sch. und Dr. St. ergebe sich, dass die Angaben der Klägerin nicht geeignet seien, eine Glaubhaftmachung iS des § 15 Gesetz über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOVVfG) zu begründen(Urteil vom 19.4.2013).

6

Im Berufungsverfahren hat das LSG zwei aussagepsychologische Gutachten der Sachverständigen Prof. Dr. G. vom 14.8.2014 und 14.10.2014 aus den Verfahren vor dem LSG zu den Az L 10 VE 34/13 ZVW und L 10 VE 28/11 in den Rechtsstreit eingeführt und die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Die von der Klägerin behauptete Folter sowie der sexuelle Missbrauch im K.-Gefängnis in K. seien nicht nachgewiesen, unmittelbare Tatzeugen nicht vorhanden. Das Vorliegen der Taten lasse sich auch nicht unter Zugrundelegung der Beweiserleichterung der Glaubhaftmachung annehmen. Die Angaben der Klägerin könnten nicht positiv durch aussagepsychologische Begutachtung verifiziert werden. Anlass zur Einholung eines weiteren Glaubhaftigkeitsgutachtens, welches unter Abfassung entsprechender Beweisfragen dem besonderen Beweismaßstab der Glaubhaftmachung Rechnung tragen solle, bestehe nicht. Denn das LSG habe in den Rechtsstreiten L 10 VE 34/13 ZVW und L 10 VE 28/11 Gutachten der Sachverständigen Prof. Dr. G. unter besonderer Berücksichtigung von § 15 KOVVfG eingeholt und in den vorliegenden Rechtsstreit eingeführt. Danach könne die vom BSG in seiner Rechtsprechung vom 17.4.2013 erhobene Forderung der besonderen Berücksichtigung des § 15 KOVVfG von aussagepsychologischen Gutachten nicht eingelöst werden(Urteil vom 29.1.2015).

7

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen und formellen Rechts. Das LSG habe seine Entscheidung unter Bezugnahme auf zwei Gutachten getroffen, die den Anforderungen, welche das BSG bisher an sog Glaubhaftigkeitsgutachten in OEG-Verfahren gestellt habe, nicht entsprächen. Unter Vorlage einer ergänzenden schriftlichen Stellungnahme, Benennung eines weiteren Zeugen und Vorlage einer Urkunde rügt die Klägerin darüber hinaus, das LSG habe den Sachverhalt unzureichend aufgeklärt und sie nicht zu vermeintlichen Widersprüchen (schriftlich) angehört. Es habe sie trotz fehlender finanzieller Mittel auch nicht persönlich zur mündlichen Verhandlung geladen.

8

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom 29. Januar 2015 und das Urteil des SG Hildesheim vom 19. April 2013 sowie den Bescheid des Beklagten vom 22. April 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Januar 2004 aufzuheben und
den Beklagten zu verurteilen, der Klägerin eine Beschädigtenrente nach dem OEG iVm dem BVG zu gewähren.

9

Der Beklagte beantragt,
die Revision der Klägerin zurückzuweisen.

10

Er verweist auf die Ausführungen des LSG, die er für zutreffend hält.

Entscheidungsgründe

11

Die Revision der Klägerin ist zulässig, aber unbegründet (§ 170 Abs 1 S 1 SGG).

12

1. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist der Bescheid des Beklagten vom 22.4.2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.1.2004 und der Anspruch der Klägerin auf Beschädigtenrente nach den Vorschriften des OEG iVm dem BVG. Diesen verfolgt die Klägerin zulässigerweise mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 S 1 und Abs 4, § 56 SGG; vgl BSG Urteil vom 18.11.2015 - B 9 V 1/14 R - BSGE , SozR 4, Juris RdNr 12; BSG Urteil vom 17.4.2013 - B 9 V 1/12 R - BSGE 113, 205 = SozR 4-3800 § 1 Nr 20), gerichtet auf den Erlass eines Grundurteils iS des § 130 Abs 1 SGG.

13

Der Zulässigkeit steht nicht entgegen, dass die Klägerin ihre ursprüngliche kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage vor dem LSG auf eine kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage umgestellt hat. Hierin liegt mangels einer Änderung des Klagegrundes eine nach § 99 Abs 3 SGG uneingeschränkt zulässige Antragsänderung(vgl BSG Urteil vom 7.6.1979 - 12 RK 13/78 - BSGE 48, 195, 196 = SozR 2200 § 394 Nr 1 S 1 zum Übergang von der Leistungs- zur Feststellungsklage; BSG Urteil vom 12.8.2010 - B 3 KR 9/09 R - SozR 4-2500 § 125 Nr 6 zum Übergang von der Feststellungs- zur Leistungsklage).

14

Der beklagte Kommunalverband ist passiv legitimiert. Zutreffend ist das LSG davon ausgegangen, dass bereits während des Klageverfahrens ein Beteiligtenwechsel kraft Gesetzes im Sinne einer Funktionsnachfolge stattgefunden hat. Denn durch das Sächsische Verwaltungsneuordnungsgesetz (SächsVwNG) vom 29.1.2008 (SächsGVBl Nr 3/2008, S 137 ff) und das Gesetz zur Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes und weiterer sozialer Entschädigungsgesetze (SächsDGBVG) vom selben Tag ging die Zuständigkeit für die Gewährung der Leistungen nach dem OEG iVm dem BVG seit dem 1.8.2008 auf den Kommunalen Sozialverband S. über. Diese Verlagerung der Zuständigkeit für die Aufgaben der Opferentschädigung verstößt nicht gegen höherrangiges Bundesrecht, insbesondere nicht gegen Vorschriften des GG (vgl - zur ähnlichen Übertragung im Rahmen einer Funktionsnachfolge auf die kommunalen Landschaftsverbände in NRW - BSG Urteile vom 17.4.2013 - B 9 V 1/12 R - BSGE 113, 205 = SozR 4-3800 § 1 Nr 20, SozR 4-3900 § 15 Nr 1 - Juris RdNr 23 und - B 9 V 3/12 R - Juris RdNr 23, jeweils unter Hinweis auf Urteile vom 11.12.2008 - B 9 VS 1/08 R - BSGE 102, 149 = SozR 4-1100 Art 85 Nr 1, RdNr 21 und - B 9 V 3/07 R - Juris RdNr 22; vom 23.4.2009 - B 9 VG 1/08 R - Juris RdNr 24; vom 30.9.2009 - B 9 VG 3/08 R - BSGE 104, 245 = SozR 4-3100 § 60 Nr 6, RdNr 26; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 99 RdNr 6a mwN). Diese Übertragung hat zur Folge, dass allein der im Laufe des Verfahrens zuständig gewordene Rechtsträger die von der Klägerin beanspruchte Leistung gewähren kann.

15

2. Die Revision der Klägerin hat in der Sache keinen Erfolg. Das LSG hat auf der Grundlage seiner tatsächlichen Feststellungen die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG zu Recht zurückgewiesen, weil die Klägerin die Anspruchsvoraussetzungen für die Gewährung von Beschädigtenrente nicht erfüllt (3.). Die tatsächlichen Feststellungen des LSG sind für das Revisionsgericht bindend (§ 163 SGG), denn sie halten einer revisionsrichterlichen Überprüfung stand. Die von der Klägerin gerügte Beweiswürdigung (4.) und Sachaufklärung (5.) sind - soweit revisionsrichterlich überprüfbar - nicht zu beanstanden, auch soweit die Klägerin im Revisionsverfahren ergänzend zu ihrem beruflichen Werdegang vorträgt, einen weiteren Zeugen benennt und zu Beweiszwecken eine Urkunde vorlegt.

16

3. Die Klägerin hat nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG keinen Anspruch auf Beschädigtenversorgung nach dem OEG.

17

a. Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch aus einer auf dem Gebiet der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (DDR) vor dem 3.10.1990 begangenen rechtswidrigen Tat ist § 1 iVm § 10a OEG. Nach § 1 Abs 1 S 1 OEG erhält Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG, wer im Geltungsbereich des OEG infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat(zu den allgemeinen Tatbestandsmerkmalen s auch BSG Urteil vom 23.4.2009 - B 9 VG 1/08 R - Juris RdNr 27 mwN).

18

In Altfällen - also bei Schädigungen zwischen dem Inkrafttreten des GG (23.5.1949) und dem Inkrafttreten des OEG (16.5.1976) - müssen daneben noch die besonderen Voraussetzungen gemäß § 10 S 2 OEG iVm § 10a Abs 1 S 1 OEG erfüllt sein. Nach dieser Härteregelung erhalten Personen, die in der Zeit vom 23.5.1949 bis 15.5.1976 geschädigt worden sind, auf Antrag Versorgung, solange sie allein infolge dieser Schädigung schwerbeschädigt und bedürftig sind und im Geltungsbereich des OEG ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben.

19

Seit dem Beitritt der ehemaligen DDR zur Bundesrepublik Deutschland gilt das OEG auch in den neuen Bundesländern. Bei Gewalttaten, die im Gebiet der ehemaligen DDR vor dem 3.10.1990 begangen worden sind, richtet sich der Anspruch auf Versorgung nach der Härtefallregelung des § 10a OEG. Danach erhalten auch Personen, die in dem in Art 3 des Vertrages zwischen der BRD und der DDR über die Herstellung der Einheit Deutschlands (Einigungsvertrag) genannten Gebiet (den sog neuen Bundesländern) ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben oder zum Zeitpunkt der Schädigung hatten, Versorgung nach Maßgabe des § 10a Abs 1 S 1 OEG, wenn die Schädigung in der Zeit vom 7.10.1949 bis zum 2.10.1990 in dem vorgenannten Gebiet eingetreten ist (§ 10 S 2 OEG).

20

b. Nach den Feststellungen des LSG liegen jedoch die Voraussetzungen für eine Versorgung nach dem OEG nicht vor, weil die tatbestandlichen Voraussetzungen von § 1 Abs 1 S 1 OEG nicht erfüllt sind.

21

Gemäß § 1 Abs 1 S 1 OEG(idF vom 11.5.1976, BGBl I 1181) erhält eine natürliche Person ("wer"), die im Geltungsbereich des OEG oder auf einem deutschen Schiff oder Luftfahrzeug infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG. Die erlittene Schädigung muss keine physische Beeinträchtigung sein. Vielmehr sind auch psychische Gesundheitsschäden geeignet, einen Anspruch nach dem OEG zu begründen, jedoch müssen sie auf einen "tätlichen Angriff" zurückzuführen sein. Insoweit ist entscheidend, ob der Primärschaden und eventuelle Folgeschäden gerade die zurechenbare Folge einer körperlichen Gewaltanwendung gegen eine Person sind (BSG Urteil vom 16.12.2014 - B 9 V 1/13 R - BSGE 118, 63 = SozR 4-3800 § 1 Nr 21).

22

Die Klage ist unbegründet, weil ein vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff nicht nachgewiesen ist.

23

c. Der Senat hat für den Begriff "vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff" in ständiger Rechtsprechung grundsätzlich auf eine in feindseliger Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielende gewaltsame Einwirkung abgestellt (BSG Urteil vom 16.12.2014 - B 9 V 1/13 R - aaO; Urteil vom 29.4.2010 - B 9 VG 1/09 R - BSGE 106, 91 = SozR 4-3800 § 1 Nr 17, RdNr 25 mwN; Urteil vom 2.10.2008 - B 9 VG 2/07 R - Juris RdNr 14 mwN). Dabei ist zwar einerseits die Rechtsfeindlichkeit entscheidend, die vor allem als Feindlichkeit gegen das Strafgesetz verstanden wird; von subjektiven Merkmalen (wie etwa einer kämpferischen, feindseligen Absicht des Täters) hat sich die Auslegung insoweit mit Rücksicht auf den das OEG prägenden Gedanken des lückenlosen Opferschutzes weitestgehend gelöst (stRspr seit 1995; vgl hierzu BSG Urteile vom 17.4.2013 - B 9 V 1/12 R - BSGE 113, 205 = SozR 4-3800 § 1 Nr 20, SozR 4-3900 § 15 Nr 1 - Juris RdNr 27 und - B 9 V 3/12 R - Juris RdNr 28, jeweils unter Hinweis auf BSG Urteil vom 7.4.2011 - B 9 VG 2/10 R - BSGE 108, 97 = SozR 4-3800 § 1 Nr 18, RdNr 32 mwN). Andererseits genügt es nicht, dass die Tat gegen eine Norm des Strafgesetzes verstößt, denn die Verletzungshandlung im OEG ist nach dem Willen des Gesetzgebers eigenständig und ohne direkte Bezugnahme auf das StGB geregelt (vgl BT-Drucks 7/2506 S 10). Die Auslegung des Begriffs des "tätlichen Angriffs" orientiert sich jedoch an der im Strafrecht zu den §§ 113, 121 StGB gewonnenen Bedeutung(vgl BSG Urteil vom 7.4.2011 - B 9 VG 2/10 R - aaO, RdNr 32 mwN). Wesentlich ist die grundlegende gesetzgeberische Entscheidung, dass durch die Verwendung des Begriffs des tätlichen Angriffs iS des § 1 Abs 1 S 1 OEG der allgemeine Gewaltbegriff im strafrechtlichen Sinn begrenzt und grundsätzlich eine Kraftentfaltung gegen eine Person erforderlich sein soll(vgl BT-Drucks 7/2506 S 10).

24

Die von der Klägerin behaupteten Ereignisse im K.-Gefängnis in K. in der Zeit vom 9.1989 wären zwar grundsätzlich geeignet einen vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriff iS des § 1 Abs 1 S 1 OEG darzustellen. Diese sind jedoch zur Überzeugung des LSG nicht glaubhaft.

25

d. Der Tatbestand des § 1 Abs 1 S 1 OEG besteht aus drei Merkmalen (vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff - sog schädigender Vorgang -, Schädigung und Schädigungsfolgen), die durch einen Ursachenzusammenhang (Kausalität) miteinander verbunden sind. Hinsichtlich der entscheidungserheblichen Tatsachen kennt das OEG drei Beweismaßstäbe. Grundsätzlich bedürfen die drei Glieder der Kausalkette (schädigender Vorgang, Schädigung und Schädigungsfolgen) des Vollbeweises. Für die Kausalität selbst genügt die Wahrscheinlichkeit (§ 1 Abs 1 S 1 OEG iVm § 1 Abs 3 BVG). Nach Maßgabe des § 15 S 1 KOVVfG, der gemäß § 6 Abs 3 OEG anzuwenden ist, sind der Entscheidung hinsichtlich des schädigenden Vorgangs die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, zugrunde zu legen, wenn Unterlagen nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen oder ohne Verschulden des Antragstellers oder seiner Hinterbliebenen verlorengegangen sind und wenn die Angaben des Antragstellers nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen.

26

Für den Vollbeweis muss sich das Gericht die volle Überzeugung vom Vorhandensein oder Nichtvorhandensein einer Tatsache verschaffen. Allerdings verlangt auch der Vollbeweis keine absolute Gewissheit, sondern lässt eine an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit ausreichen. Denn ein darüber hinausgehender Grad an Gewissheit ist so gut wie nie zu erlangen (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 128 RdNr 3b mwN). Das bedeutet, dass auch dem Vollbeweis gewisse Zweifel innewohnen können und verbleibende Restzweifel bei der Überzeugungsbildung unschädlich sind, solange sie sich nicht zu gewichtigen Zweifeln verdichten (BSG Urteile vom 17.4.2013 - B 9 V 1/12 R - BSGE 113, 205 = SozR 4-3800 § 1 Nr 20, SozR 4-3900 § 15 Nr 1 - Juris RdNr 33 und - B 9 V 3/12 R - Juris RdNr 34 ; BSG Urteil vom 24.11.2010 - B 11 AL 35/09 R - Juris RdNr 21 ). Eine Tatsache ist bewiesen, wenn sie in so hohem Grade wahrscheinlich ist, dass alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung zu begründen (BSG Beschluss vom 8.8.2001 - B 9 V 23/01 B - SozR 3-3900 § 15 Nr 4; BSG Urteil vom 5.5.2009 - B 13 R 55/08 R - BSGE 103, 99, 104).

27

Eine Wahrscheinlichkeit iS des § 1 Abs 3 S 1 BVG ist dann gegeben, wenn nach der geltenden wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang spricht(vgl BSG Beschluss vom 8.8.2001 - B 9 V 23/01 B - SozR 3-3900 § 15 Nr 4 S 14 mwN). Diese Definition ist der Fragestellung nach dem wesentlichen ursächlichen Zusammenhang angepasst, die nur entweder mit ja oder mit nein beantwortet werden kann. Es muss sich unter Würdigung des Beweisergebnisses ein solcher Grad von Wahrscheinlichkeit ergeben, dass ernste Zweifel hinsichtlich einer anderen Möglichkeit ausscheiden. Für die Wahrscheinlichkeit ist ein "deutliches" Übergewicht für eine der Möglichkeiten erforderlich. Sie entfällt, wenn eine andere Möglichkeit ebenfalls ernstlich in Betracht kommt (BSG Urteile vom 17.4.2013 - B 9 V 1/12 R - BSGE 113, 205 = SozR 4-3800 § 1 Nr 20, SozR 4-3900 § 15 Nr 1 - Juris RdNr 34 und - B 9 V 3/12 R - Juris RdNr 35; aA Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 128 RdNr 3c).

28

Bei dem "Glaubhafterscheinen" iS des § 15 S 1 KOVVfG handelt es sich um den dritten, mildesten Beweismaßstab des Sozialrechts. Glaubhaftmachung bedeutet das Dartun einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit (BSG Urteile vom 17.4.2013 - B 9 V 1/12 R - BSGE 113, 205 = SozR 4-3800 § 1 Nr 20, SozR 4-3900 § 15 Nr 1 - Juris RdNr 35 und - B 9 V 3/12 R - Juris RdNr 36 ), dh der guten Möglichkeit, dass sich der Vorgang so zugetragen hat, wobei durchaus gewisse Zweifel bestehen bleiben können (vgl BSG Beschluss vom 8.8.2001 - B 9 V 23/01 B - SozR 3-3900 § 15 Nr 4 S 14 f mwN). Dieser Beweismaßstab ist durch seine Relativität gekennzeichnet. Es muss nicht, wie bei der Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhanges, absolut mehr für als gegen die glaubhaft zu machende Tatsache sprechen. Es reicht die gute Möglichkeit aus, dh es genügt, wenn bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten ist (BSG Urteile vom 17.4.2013 - B 9 V 1/12 R - BSGE 113, 205 = SozR 4-3800 § 1 Nr 20, SozR 4-3900 § 15 Nr 1 - Juris RdNr 35 und - B 9 V 3/12 R - Juris RdNr 36 ), weil nach Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Möglichkeit spricht. Von mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Sachverhaltsvarianten muss eine den übrigen gegenüber ein gewisses (kein deutliches) Übergewicht zukommen. Wie bei den beiden anderen Beweismaßstäben reicht die bloße Möglichkeit einer Tatsache nicht aus, um die Beweisanforderungen zu erfüllen. Das Gericht ist allerdings im Einzelfall grundsätzlich darin frei, ob es die Beweisanforderungen als erfüllt ansieht (Freiheit der richterlichen Beweiswürdigung, § 128 Abs 1 S 1 SGG ; vgl BSG Urteile vom 17.4.2013 - B 9 V 1/12 R - BSGE 113, 205 = SozR 4-3800 § 1 Nr 20, SozR 4-3900 § 15 Nr 1 - Juris RdNr 35 und - B 9 V 3/12 R - Juris RdNr 36; BSG Beschluss vom 8.8.2001 - B 9 V 23/01 B - SozR 3-3900 § 15 Nr 4 S 15).

29

e. Die von der Klägerin behaupteten körperlichen Misshandlungen im K.-Gefängnis sind nicht nachgewiesen im Sinne einer Glaubhaftmachung. Das LSG ist auf Grundlage seiner tatsächlichen Feststellungen zu dem Ergebnis gekommen, dass unmittelbare Tatzeugen für die von der Klägerin behaupteten Ereignisse im K.-Gefängnis in der Zeit vom 9.1989 nicht vorhanden sind. Der von der Klägerin in erster Linie beschuldigte Vorgesetzte hat die Vorwürfe bestritten. Weitere Täter hat die Klägerin nicht namentlich benannt und konnten auch nicht ermittelt werden. Auch sind keine sonstigen Beweismittel (zB Urkundsbeweise, Zeugen) vorhanden, die das Vorbringen der Klägerin entweder stützen oder widerlegen könnten.

30

Auf Grundlage dieser Feststellungen durfte das LSG zu Recht die Beweiserleichterung des § 15 S 1 KOVVfG für anwendbar halten. Denn die Beweiserleichterung des § 15 S 1 KOVVfG ist auch dann anwendbar, wenn für den schädigenden Vorgang keine Zeugen vorhanden sind(vgl grundlegend BSG Urteil vom 31.5.1989 - 9 RVg 3/89 - BSGE 65, 123, 125 = SozR 1500 § 128 Nr 39 S 46; zuletzt BSG Urteile vom 17.4.2013 - B 9 V 1/12 R - BSGE 113, 205 = SozR 4-3800 § 1 Nr 20, SozR 4-3900 § 15 Nr 1 - Juris RdNr 41 und - B 9 V 3/12 R - Juris RdNr 39 ). Nach dem Sinn und Zweck des § 15 S 1 KOVVfG sind damit nur Tatzeugen gemeint, die zu den zu beweisenden Tatsachen aus eigener Wahrnehmung Angaben machen können. Personen, die von ihrem gesetzlichen Zeugnisverweigerungsrecht (vgl §§ 383 ff ZPO ) Gebrauch gemacht haben, sind dabei nicht als Zeugen anzusehen. Entsprechendes gilt für eine als Täter in Betracht kommende Person, die eine schädigende Handlung bestreitet. Denn die Beweisnot des Opfers, auf die sich § 15 S 1 KOVVfG bezieht, ist in diesem Fall nicht geringer, als wenn der Täter unerkannt geblieben oder flüchtig ist. Die Beweiserleichterung des § 15 S 1 KOVVfG gelangt damit auch zur Anwendung, wenn sich die Aussagen des Opfers und des vermeintlichen Täters gegenüberstehen und Tatzeugen nicht vorhanden sind(vgl bereits BSG Beschluss vom 28.7.1999 - B 9 VG 6/99 B - Juris RdNr 6; BSG Urteile vom 17.4.2013 - B 9 V 1/12 R - BSGE 113, 205 = SozR 4-3800 § 1 Nr 20, SozR 4-3900 § 15 Nr 1 - Juris RdNr 41 und - B 9 V 3/12 R - Juris RdNr 39 ).

31

Hiervon ausgehend hat das LSG jedoch die Angaben der Klägerin über einen körperlichen und sexuellen Missbrauch im K.-Gefängnis im September 1989 als nicht glaubhaft erachtet.

32

4. Diese Beurteilung hält einer revisionsrichterlichen Überprüfung stand. Die von der Klägerin gerügte Beweiswürdigung (§ 128 Abs 1 S 1 SGG) und Sachaufklärung (§§ 103, 106 SGG) durch das LSG sind nicht zu beanstanden.

33

Das Tatsachengericht entscheidet gemäß § 128 Abs 1 S 1 SGG nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung; es ist in seiner Beweiswürdigung frei und lediglich an die Regeln der Logik und der Erfahrung gebunden. Das dem Gericht insofern eingeräumte Ermessen kann das Revisionsgericht nur begrenzt überprüfen. Die Grenzen der freien Beweiswürdigung sind erst überschritten, wenn das Tatsachengericht gegen allgemeine Erfahrungssätze oder Denkgesetze verstößt, aber auch, wenn es das Gesamtergebnis des Verfahrens nicht ausreichend und umfassend berücksichtigt (stRspr; vgl etwa schon BSG Beschluss vom 8.7.1958 - 8 RV 1345/57 - SozR Nr 34 zu § 128 SGG; BSG Beschluss vom 15.8.1960 - 4 RJ 291/59 - SozR Nr 56 zu § 128 SGG; zuletzt auch BSG Urteil vom 18.11.2015 - B 9 V 1/14 R - BSGE , SozR 4-3800 § 1 Nr 22; BSG Urteil vom 11.8.2015 - B 9 SB 1/14 R - SozR 4-3250 § 69 Nr 21 mwN).

34

Diese Grenzen hat das LSG eingehalten, es hat sich eingehend mit dem Sachverhalt, den Verfahrens- und den beigezogenen Akten, den Ergebnissen der vom SG eingeholten Sachverständigengutachten und den von ihm in den Rechtsstreit eingeführten Sachverständigengutachten aus anderen OEG-Verfahren auseinandergesetzt. Es hat das Gesamtergebnis des Verfahrens ausreichend und umfassend berücksichtigt und sich frei von Denkfehlern davon überzeugt, dass die Klägerin nicht nachweislich Opfer eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs iS des § 1 OEG geworden ist. Dabei hat es die von ihm angewandte Beweiserleichterung des § 15 S 1 KOVVfG rechtlich zutreffend erkannt. Die Einwände der Klägerin gegen die Verwertung der vom SG eingeholten Sachverständigengutachten greifen nicht durch.

35

a. Die Einholung und Berücksichtigung aussagepsychologischer Gutachten ist im sozialen Entschädigungsrecht zulässig nach Maßgabe der allgemeinen Grundsätze für die Einholung von Sachverständigengutachten ( BSG Urteile vom 17.4.2013 - B 9 V 1/12 R - BSGE 113, 205 = SozR 4-3800 § 1 Nr 20, SozR 4-3900 § 15 Nr 1 - Juris RdNr 44 und - B 9 V 3/12 R - Juris RdNr 42 ).

36

Auch spricht grundsätzlich nichts dagegen, dass ein Berufungsgericht nicht selbst ein aussagepsychologisches Gutachten über den Kläger bzw die Klägerin einholt, sondern für seine Entscheidung Glaubhaftigkeitsgutachten verwertet, welche die Vorinstanz - wie hier geschehen (§ 106 Abs 3 Nr 5 und § 109 Abs 1 S 1 SGG) - im Klageverfahren eingeholt hat. Liegen bereits Gutachten von ärztlichen Sachverständigen desselben Fachgebiets als Beweismittel vor, bedarf es unter Berücksichtigung des Grundsatzes der freien richterlichen Beweiswürdigung (§ 128 Abs 1 S 1 SGG)grundsätzlich keiner weiteren Sachaufklärung in dieser Richtung. Anders verhält es sich, wenn die vorliegenden Gutachten schwere Mängel aufweisen, in sich widersprüchlich sind, von unzutreffenden Voraussetzungen ausgehen oder Zweifel an der Sachkunde oder Sachlichkeit des Sachverständigen erwecken (vgl etwa BSG Beschluss vom 24.3.2005 - B 2 U 368/04 B - Juris RdNr 5 ; BSG Beschluss vom 16.2.2012 - B 9 V 17/11 B - Juris RdNr 13 ) oder wenn wesentliche Veränderungen in dem bereits begutachteten Lebenssachverhalt eingetreten sind (zB Verschlimmerung von gesundheitlichen Leiden, vgl BSG Beschluss vom 24.4.2014 - B 13 R 325/13 B - Juris).

37

Für derartige Mängel oder Veränderungen liegen betreffend die Gutachten der Sachverständigen Sch. und Dr. St. keinerlei Anhaltspunkte vor. Insbesondere geht die Rüge der Klägerin, dass die Gutachten nicht verwertbar seien, weil das SG die Sachverständigen nicht auf den geltenden Beweismaßstab (§ 15 S 1 KOVVfG) hingewiesen und ihnen keine Angaben zur relativen Wahrscheinlichkeit eines Erlebnisbezuges abverlangt hat, ins Leere.

38

b. Allerdings hat der Senat einen Hinweis auf den nach § 15 S 1 KOVVfG geltenden Beweismaßstab gegenüber dem Sachverständigen in seinen Entscheidungen vom 17.4.2013 (B 9 V 1/12 R, B 9 V 3/12 R, s unten) für notwendig erachtet.

39

Aus dem Umstand, dass es im Rahmen des § 15 S 1 KOVVfG ausreicht, wenn die Möglichkeit, dass die Angaben des Antragstellers zutreffen, als die wahrscheinlichste angesehen werden kann, hat der Senat gefolgert, dass ein Gericht den Sachverständigen eines aussagepsychologischen Gutachtens auf den insoweit geltenden Beweismaßstab hinzuweisen und mit ihm zu klären hat, ob er sein Gutachten nach den insoweit maßgebenden Kriterien erstatten könne. Im Rahmen der Beweisfragen müsse darauf abgestellt werden, ob die Angaben mit relativer Wahrscheinlichkeit als erlebnisfundiert angesehen werden könnten. Der Senat ist insoweit davon ausgegangen, dass es erforderlich ist, dem Sachverständigen aufzugeben, solange systematisch und unvoreingenommen nach Fakten zu den verschiedenen Hypothesen zu suchen, bis sich ein möglichst klarer Unterschied in ihrer Geltungswahrscheinlichkeit bzw praktischen Gewissheit ergebe ( BSG Urteile vom 17.4.2013 - B 9 V 1/12 R - BSGE 113, 205 = SozR 4-3800 § 1 Nr 20, SozR 4-3900 § 15 Nr 1 - Juris RdNr 57 ff und - B 9 V 3/12 R - Juris RdNr 55 ff).

40

c. An diesem Erfordernis der Berücksichtigung des Beweismaßstabes nach § 15 S 1 KOVVfG bei der Erstellung eines aussagepsychologischen Gutachtens hält der Senat nach nochmaliger Überprüfung nicht mehr fest. In Verfahren über eine Gewaltopferentschädigung bedarf es keines besonderen Hinweises an den Sachverständigen auf den Beweismaßstab der Glaubhaftmachung.

41

Aussagepsychologische Gutachten können im Rahmen eines sozialgerichtlichen Verfahrens nach dem OEG - gleich wie in anderen Rechtsstreitigkeiten, in denen es wesentlich auf die Aussage eines Beteiligten oder Zeugen ankommt - von Bedeutung sein. Denn Gegenstand eines solchen Gutachtens ist die Beurteilung, ob auf ein bestimmtes Geschehen bezogene Angaben zutreffen, dh einem tatsächlichen Erleben der untersuchten Person entsprechen (vgl grundlegend BGH Urteil vom 30.7.1999 - 1 StR 618/98 - BGHSt 45, 164, 167). Diese Frage stellt sich nicht nur in strafgerichtlichen Verfahren. Eine solche Beurteilung zählt an sich zu den ureigenen Aufgaben eines Tatrichters; sie gehört seit jeher zum Wesen richterlicher Rechtsfindung (BVerfG Nichtannahmebeschluss vom 16.12.2002 - 2 BvR 2099/01 - Juris RdNr 13). Daher kommt die Einholung eines Glaubhaftigkeitsgutachtens nur ausnahmsweise in Betracht (vgl BSG Urteile vom 17.4.2013 - B 9 V 1/12 R - BSGE 113, 205 = SozR 4-3800 § 1 Nr 20, SozR 4-3900 § 15 Nr 1 - Juris RdNr 45 und - B 9 V 3/12 R - Juris RdNr 43, mit Verweis auf BGH Urteil vom 30.7.1999 - 1 StR 618/98 - BGHSt 45, 164, 182; BGH Urteil vom 16.5.2002 - 1 StR 40/02 - Juris RdNr 22 ). Der Richter selbst hat bei der Beweiswürdigung Erfahrungsregeln zu beachten, die ua aus aussagepsychologischen Untersuchungen gewonnen wurden (BVerfG Stattgebender Kammerbeschluss vom 30.4.2003 - 2 BvR 2045/02 - NJW 2003, 2444 - Juris RdNr 37). Allerdings kann die Hinzuziehung eines aussagepsychologischen Sachverständigen insbesondere dann geboten sein, wenn die betreffenden Angaben das einzige das fragliche Geschehen belegende Beweismittel sind und Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sie durch eine psychische Erkrankung der Auskunftsperson (Zeuge, Beteiligter) und deren Behandlung beeinflusst sein können (vgl dazu BSG Urteile vom 17.4.2013 - B 9 V 1/12 R - BSGE 113, 205 = SozR 4-3800 § 1 Nr 20, SozR 4-3900 § 15 Nr 1 - Juris RdNr 45 und - B 9 V 3/12 R - Juris RdNr 43, mit Verweis auf BSG Beschluss vom 7.4.2011 - B 9 VG 15/10 B - Juris RdNr 6 ; Beschluss vom 24.5.2012 - B 9 V 4/12 B - SozR 4-1500 § 103 Nr 9 = Juris RdNr 22).

42

Damit ein aussagepsychologisches Gutachten im Rahmen eines sozialgerichtlichen Verfahrens nach dem OEG verwertet werden kann, muss es sachgerecht erstellt sein. Dies zu gewährleisten, ist in erster Linie Aufgabe des Tatrichters, beispielsweise durch die Wahl eines geeigneten Sachverständigen, durch die Formulierung der Beweisfragen und durch die Prüfung des erstellten Gutachtens. Soweit der Senat in seinen Entscheidungen vom 17.4.2013 (B 9 V 1/12 R, B 9 V 3/12 R) aber noch angenommen hat, dass es im Rahmen der Beweisanordnung eines gerichtlichen Hinweises an den Sachverständigen auf den Beweismaßstab des § 15 S 1 KOVVfG und der Klärung bedürfe, ob der Sachverständige sein Gutachten nach den insoweit maßgebenden Kriterien erstatten könne, wird diese Auffassung nicht aufrechterhalten.

43

Dies ist im Wesentlichen auf die Möglichkeiten und Grenzen einer aussagepsychologischen Begutachtung zurückzuführen. Die zugrunde liegenden Tatsachen können vom Senat als generelle Tatsachen (vgl hierzu zB BSGE 112, 257 - SozR 4-2500 § 137 Nr 2 RdNr 4 mwN; Heinz in Roos/Wahrendorf, SGG, 2014, § 163 RdNr 20, 21) anhand der Darstellungen der Sachverständigen Prof. Dr. G. in den vom LSG in den Rechtsstreit eingeführten Gutachten selbst bewertet werden. Deren Expertise auf dem Gebiet der Glaubhaftigkeitsbegutachtung ist allgemein anerkannt und wird auch von den Beteiligten nicht in Frage gestellt. Die Glaubhaftigkeitsbegutachtung kann danach keine Angaben über die Faktizität eines Sachverhalts machen. Möglich ist lediglich herauszufinden, ob sich Aussagen auf Erlebtes beziehen, dh einen Erlebnishintergrund haben ( Greuel/Offe/Fabian/Wetzels/Fabian/Offe/Stadler, Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, 1998, S 27, 49 ; vgl auch BSG Urteile vom 17.4.2013 - B 9 V 1/12 R - BSGE 113, 205 = SozR 4-3800 § 1 Nr 20, SozR 4-3900 § 15 Nr 1 - Juris RdNr 46 und - B 9 V 3/12 R - Juris RdNr 44). Die aussagepsychologische Glaubhaftigkeitsbegutachtung ist eine Methode zur Substantiierung des Erlebnisgehaltes einer Aussage. Im positiven Fall können aussagepsychologische Gutachten Zweifel an der Erlebnisbasis und Zuverlässigkeit einer konkreten Aussage zurückweisen. Dies geschieht durch die Bildung von Alternativhypothesen, dh Konkurrenzannahmen zur Erlebnishypothese, und deren Zurückweisung als unsubstantiiert. Aufgabe des aussagepsychologischen Sachverständigen ist es, auf den Einzelfall bezogene Alternativhypothesen zur Erlebnishypothese darzustellen und durch deren Prüfung erfahrungswissenschaftlich gestützte Feststellungen zu Erlebnishaltigkeit und Zuverlässigkeit von Sachverhaltskonstruktionen, die ein Zeuge oder ein Beteiligter vorträgt, zu treffen. Dadurch vermittelt er dem Gericht auf den Einzelfall bezogene wissenschaftliche Erkenntnisse und stellt diesem aufgrund von Befundtatsachen wissenschaftlich gestützte Schlussfolgerungen zur Verfügung ( BSG Urteile vom 17.4.2013 - B 9 V 1/12 R - BSGE 113, 205 = SozR 4-3800 § 1 Nr 20, SozR 4-3900 § 15 Nr 1 - Juris RdNr 46 und - B 9 V 3/12 R - Juris RdNr 44 mit Verweis auf Greuel/Offe/Fabian/Wetzels/Fabian/Offe/Stadler, Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, 1998, S 280 f).

44

Im Gegensatz dazu obliegt die anschließende umfassende rechtliche Würdigung dieser Feststellungen, Erkenntnisse und Schlussfolgerungen dem Gericht (so schon BSG Urteile vom 17.4.2013 - B 9 V 1/12 R - BSGE 113, 205 = SozR 4-3800 § 1 Nr 20, SozR 4-3900 § 15 Nr 1 - Juris RdNr 46 und - B 9 V 3/12 R - Juris RdNr 44). Die Feststellung, ob die Aussage eines Gewaltopfers bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten relativ am wahrscheinlichsten ist, obliegt allein der richterlichen Beweiswürdigung. Insofern unterscheiden sich aussagepsychologische Glaubhaftigkeitsgutachten nicht von Sachverständigengutachten in anderen, zB medizinischen, Gebieten. Dort, wo dem Gericht eigene Sachkunde fehlt, zB bei der Feststellung einzelner Gesundheitsstörungen, zieht es ärztliches Fachwissen heran. Anschließend ist es grundsätzlich Aufgabe des Tatsachengerichts, ausgehend von einem bestimmten Rechtsstandpunkt eine Beweiswürdigung anhand der feststehenden, zB medizinischen, Tatsachen vorzunehmen (stRspr, vgl BSG Urteil vom 29.1.1956 - 2 RU 121/56 - BSGE 4, 147, 149 f; BSG Urteil vom 9.10.1987 - 9a RVs 5/86 - BSGE 62, 209, 212 ff = SozR 3870 § 3 Nr 26, S 83 f; BSG Urteil vom 30.9.2009 - B 9 SB 4/08 R - SozR 4-3250 § 69 Nr 10; zuletzt BSG Beschluss vom 21.3.2016 - B 9 SB 81/15 B - Juris RdNr 6, RegNr 32076 - BSG-Intern).

45

Aus diesen Gründen bedarf es keines Hinweises des Gerichts an den aussagepsychologischen Sachverständigen auf den Beweismaßstab des § 15 S 1 KOVVfG. Aussagepsychologische Gutachten sind von ihrer Logik her nicht darauf ausgerichtet, die differentielle Wahrscheinlichkeit von alternativen Hypothesen zu prüfen (G., Gutachten idS L 10 VE 28/11, S 25 = Prozessakte S 948). Von einem aussagepsychologischen Sachverständigen dennoch eine derartige Prüfung zu verlangen, hieße, diesen in seiner Sachkompetenz zu überfordern. Vielmehr darf dieser nur beurteilen, ob aussagepsychologische Kriterien für oder gegen den Wahrheitsgehalt der Angaben Betroffener sprechen und/oder ob die Aussagen und Erklärungen möglicherweise trotz subjektiv wahrheitsgemäßer Angaben nicht auf eigenen tatsächlichen Erinnerungen der Betroffenen beruhen ( BSG Urteile vom 17.4.2013 - B 9 V 1/12 R - BSGE 113, 205 = SozR 4-3800 § 1 Nr 20, SozR 4-3900 § 15 Nr 1 - Juris RdNr 47 und - B 9 V 3/12 R - Juris RdNr 45 mit Verweis auf LSG NRW Urteil vom 28.11.2007 - L 10 VG 13/06 - Juris RdNr 25 aE). Die Würdigung der eingeholten Sachverständigengutachten - hier der auf den Einzelfall bezogenen wissenschaftlichen Erkenntnisse über die Aussagetüchtigkeit der begutachteten Person sowie der Qualität und der Zuverlässigkeit ihrer Aussage - ist hingegen ureigene tatrichterliche Aufgabe (zu medizinischen Tatsachen vgl BSG Beschluss vom 11.3.2016 - B 9 V 3/16 B - Juris RdNr 6, RegNr 32065 - BSG-Intern). Selbst wenn ein Sachverständiger Vorschläge zur rechtlichen Bewertung der von ihm sachkundig festgestellten Tatsachen macht, sind die Gerichte an diese nicht gebunden(zu medizinischen Tatsachen vgl BSG Beschluss vom 21.3.2016 - B 9 SB 81/15 B - Juris RdNr 6, RegNr 32076 - BSG-Intern). Daher ist auch eine entsprechende Fragestellung im Rahmen der Beweisanordnung nicht erforderlich.

46

Zwar ist es möglich, dass sich im Rahmen der Glaubhaftigkeitsbegutachtung eine oder mehrere Konkurrenzannahmen zur Erlebnishypothese nicht zurückweisen lassen und (mindestens) ebenso wahrscheinlich sind wie ein Erlebnisbezug der Aussage. Weil aber aussagepsychologische Sachverständige keine relative Wahrscheinlichkeit der Aussagen feststellen (können), muss ein für die Auskunftsperson ungünstiges Ergebnis eines Glaubhaftigkeitsgutachtens (dh Zweifel am Erlebnisbezug der Aussage können nicht ausgeschlossen werden) nicht bedeuten, dass die betreffenden Angaben nicht iS des § 15 S 1 KOVVfG als glaubhaft erscheinen können. Diesen Unterschied im Rahmen der Beweiswürdigung zu beachten, ist richterliche Aufgabe.

47

Vor diesem Hintergrund ist es unschädlich, dass das SG die Sachverständigen S. und Dr. St. nicht auf den § 15 S 1 KOVVfG hingewiesen und das LSG kein weiteres aussagepsychologisches Gutachten über die Klägerin eingeholt hat. Dies gilt auch in Ansehung der sinngemäßen Rüge der Klägerin, dass die vom SG beauftragten Sachverständigen keine Angaben dazu gemacht haben, ob ihre Angaben mit relativer Wahrscheinlichkeit als erlebnisfundiert angesehen werden können, obwohl dies "einem Psychologen aufgrund seiner Qualifikation und seiner Erfahrung möglich sein" müsse. Entgegen dem Revisionsvorbringen ist insoweit - wie oben ausgeführt - zu unterscheiden zwischen der Begutachtung zum Zwecke der Beweiserhebung einerseits und der richterlichen Beweiswürdigung andererseits.

48

d. Schließlich hat das LSG auch den von § 15 S 1 KOVVfG eröffneten Beweismaßstab der Glaubhaftmachung nicht verkannt. Das LSG hat sich bei seiner Verneinung einer Glaubhaftigkeit der Angaben der Klägerin nach § 15 S 1 KOVVfG zwar auch auf die aussagepsychologischen Gutachten der Sachverständigen Sch. und Dr. St. gestützt. Beiden Gutachten kam der bzw die jeweilige Sachverständige zu dem Ergebnis, dass die Nullhypothese des fehlenden Erlebnisbezuges nicht zurückgewiesen werden konnte, dh dass die Klägerin die Angaben in Bezug auf den vorgetragenen sexuellen Missbrauch im K.-Gefängnis auch ohne einen Erlebnisbezug berichten könne. Jedoch hat das LSG das Ergebnis der aussagepsychologischen Gutachten in seiner Entscheidung nicht unkritisch übernommen und seine eigene Beurteilung der Aussagen der Klägerin im Rahmen der aussagepsychologischen Begutachtungen in der Zusammenschau mit dem übrigen Akteninhalt zum Kern seiner Entscheidung gemacht. Das LSG hat seine Überzeugung, dass die Behauptung der Klägerin, sie sei im September 1989 im K.-Gefängnis sexuell missbraucht und gefoltert worden, nicht glaubhaft sei, auf "seine eigene Überzeugung" gestützt, die es sich "aus den gesamten vorliegenden Unterlagen gebildet hat sowie ergänzend auf die Ausführungen der Sachverständigen Dipl.-Psych. Sch. in ihrem Gutachten vom 12. Mai 2010 und Dr. St. vom 31.12.2012" (s S 18 f des Urteils). Folglich hat das LSG seine Auffassung von der fehlenden Glaubhaftigkeit der Behauptungen der Klägerin nicht allein auf Grundlage der Ergebnisse der beiden aussagepsychologischen Gutachten über die Klägerin gebildet, sondern hat eine freie und umfassende Beweiswürdigung vorgenommen.

49

5. Soweit die Klägerin eine Verletzung der Sachaufklärungspflicht (§§ 103, 106 SGG) des LSG darin sieht, dass dieses sie zur Widersprüchlichkeit ihrer Angaben weder schriftlich angehört noch zur mündlichen Verhandlung persönlich geladen habe, dringt sie damit nicht durch. Eine Verletzung der §§ 103, 106 SGG liegt nur vor, wenn das Tatsachengericht Ermittlungen unterlässt, obwohl es sich ausgehend von seiner Rechtsauffassung zu weiteren Ermittlungen hätte gedrängt fühlen müssen(stRspr vgl zB BSG Urteil vom 10.6.1975 - 9 RV 124/74 - BSGE 40, 49 = SozR 3100 § 30 Nr 7). Daran fehlt es hier. Das LSG durfte insbesondere die Feststellungen aus dem staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren zum beruflichen Werdegang der Klägerin übernehmen (vgl BSG Urteil vom 22.6.1988 - 9/9a RVg 3/87 - BSGE 63, 270, 273 = SozR 1500 § 128 SGG Nr 34, S 31 ). Selbst wenn diese Wiedergabe ungenau oder in Teilen unzutreffend sein sollte, hat die Klägerin nicht hinreichend dargelegt, inwiefern die Entscheidung des LSG darauf - revisionsrechtlich relevant - beruhen sollte. Das Vorbringen der Klägerin im Zusammenhang mit ihrem beruflichen Werdegang stellt allenfalls ein von den tatsächlichen Feststellungen des LSG abweichendes tatsächliches Vorbringen dar, nicht aber eine durchgreifende Verfahrensrüge. Abweichenden Sachvortrag in der Revisionsinstanz kann der Senat nicht berücksichtigen (BSG Urteil vom 25.4.2002 - B 11 AL 89/01 R - BSGE 89, 250, 252 = SozR 3-4100 § 119 Nr 24; Urteil vom 11.3.1970 - 3 RK 25/67 - BSGE 31, 63, 65 = SozR Nr 17 zu § 3 AVG). Nichts anderes gilt hinsichtlich der dem LSG im Übrigen zahlreich vorliegenden aktenkundigen Aussagen der Klägerin aus den Jahren seit 1997 gegenüber verschiedenen Ärzten, Behörden und Gerichten, die sowohl voneinander als auch von den Inhalten der aktenkundigen Urkunden abweichen. Soweit die Klägerin einen weiteren Zeugen benennt und zu Beweiszwecken eine Urkunde vorlegt, musste der Senat dies auch nicht ausnahmsweise berücksichtigen, etwa zur Vermeidung eines Wiederaufnahmeverfahrens (vgl BSGE 18, 186 = SozR Nr 6 zu § 179 SGG).

50

Soweit die Klägerin sinngemäß eine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör darin sehen sollte, dass das LSG sie zur Widersprüchlichkeit ihrer Angaben weder schriftlich angehört noch zur mündlichen Verhandlung persönlich geladen habe, so dringt sie auch hiermit nicht durch. Der in §§ 62, 128 Abs 2 SGG konkretisierte Anspruch auf rechtliches Gehör(Art 101 Abs 1 GG) soll verhindern, dass die Beteiligten durch eine Entscheidung überrascht werden, die auf Rechtsauffassungen, Tatsachen oder Beweisergebnissen beruht, zu denen sie sich nicht haben äußern können (vgl BSG Urteil vom 23.5.1996 - 13 RJ 75/95 - SozR 3-1500 § 62 Nr 12; BVerfG Beschluss vom 29.5.1991 - 1 BvR 1383/90 - BVerfGE 84, 188, 190), und sicherstellen, dass ihr Vorbringen vom Gericht zur Kenntnis genommen und in seine Erwägungen miteinbezogen wird (BVerfG Beschluss vom 19.7.1967 - 2 BvR 639/66 - BVerfGE 22, 267, 274; BVerfG Urteil vom 8.7.1997 - 1 BvR 1621/94 - BVerfGE 96, 205, 216 f). In diesem Rahmen besteht jedoch keine allgemeine Aufklärungspflicht des Gerichts über die Rechtslage ( BSG Urteil vom 16.3.2016 - B 9 V 6/15 R - vorgesehen für SozR 4). Auch besteht weder eine Pflicht des Gerichts, bei der Erörterung der Sach- und Rechtslage im Rahmen der mündlichen Verhandlung bereits die endgültige Beweiswürdigung darzulegen, noch dies bereits vor der mündlichen Verhandlung im Rahmen eines richterlichen Hinweises zu tun. Denn das Gericht kann und darf das Ergebnis der Entscheidung, die in seiner nachfolgenden Beratung erst gefunden werden soll, nicht vorwegnehmen ( BSG Urteil vom 16.3.2016, aaO). Angesichts der bereits lange vorliegenden Gutachten wie auch des Inhalts des Widerspruchsbescheides und des Urteils des SG musste die Klägerin damit rechnen, dass das LSG ihre Aussagen als widersprüchlich bewerten und ihren Anspruch verneinen würde.

51

6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

(1) Zur Gewährung der Versorgung ist das Land verpflichtet, in dem die berechtigte Person ihren Wohnsitz, bei Fehlen eines Wohnsitzes ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat, soweit die Absätze 2 bis 8 in Verbindung mit § 6 Absatz 1 nichts Abweichendes regeln.

(2) Für die Entscheidung über einen bis einschließlich 19. Dezember 2019 gestellten und nicht bestandskräftig beschiedenen Antrag auf Leistungen nach § 1 ist bis zum 30. Juni 2020 dasjenige Land zuständig und zur Gewährung der Versorgung verpflichtet, in dem die Schädigung eingetreten ist. Ab dem 1. Juli 2020 ist für die Entscheidung dasjenige Land zuständig und zur Gewährung der Versorgung verpflichtet, in dem die berechtigte Person ihren Wohnsitz, bei Fehlen eines Wohnsitzes ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat.

(3) Für eine berechtigte Person, die am 19. Dezember 2019 bereits Leistungen nach § 1 erhält, und in den Fällen nach Absatz 2 Satz 1, in denen Leistungen nach § 1 gewährt werden, ist bis zum 31. Dezember 2020 das Land zur Gewährung der Versorgung verpflichtet, in dem die Schädigung eingetreten ist; dies gilt auch, wenn Anträge auf zusätzliche Leistungen gestellt werden. Ab dem 1. Januar 2021 ist dasjenige Land zur Gewährung der Versorgung verpflichtet, in dem die leistungsberechtigte Person im Sinne des Satzes 1 ihren Wohnsitz, bei Fehlen eines Wohnsitzes ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat.

(4) Sind in den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 und des Absatzes 3 Satz 1 Feststellungen zu dem Ort der Schädigung nicht möglich, so ist das Land zur Gewährung der Versorgung verpflichtet, in dem der Geschädigte zur Tatzeit seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt hatte.

(5) Haben berechtigte Personen ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt außerhalb des Geltungsbereiches dieses Gesetzes, ist das Land zur Gewährung der Versorgung verpflichtet, in dem die Schädigung eingetreten ist. Abweichend von Satz 1 bleibt das nach den Absätzen 1 bis 4 bestimmte Land zur Gewährung der Versorgung verpflichtet, wenn der Wohnsitz, bei Fehlen eines Wohnsitzes der gewöhnliche Aufenthalt nach der Schädigung ins Ausland verlegt wird.

(6) Wenn der Geschädigte zur Tatzeit seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt nicht im Geltungsbereich dieses Gesetzes hatte und eine Feststellung, in welchem Land die Schädigung eingetreten ist, nicht möglich ist, trägt der Bund die Kosten der Versorgung. Das Gleiche gilt, wenn die Schädigung auf einem deutschen Schiff, einem deutschen Luftfahrzeug oder an einem Ort im Ausland eingetreten ist.

(7) Der Bund trägt vierzig vom Hundert der Ausgaben, die den Ländern durch Geldleistungen nach diesem Gesetz entstehen. Zu den Geldleistungen gehören nicht solche Geldbeträge, die zur Abgeltung oder an Stelle einer Sachleistung gezahlt werden. Zur Vereinfachung der Abrechnung erstattet der Bund den Ländern in einem pauschalierten Verfahren jeweils 22 Prozent der ihnen nach Absatz 1 entstandenen Ausgaben. Der Bund überprüft in einem Abstand von fünf Jahren, erstmals im Jahr 2014, die Voraussetzungen für die in Satz 3 genannte Quote.

(8) In den Fällen des § 3 Abs. 1 sind die Kosten, die durch das Hinzutreten der weiteren Schädigung verursacht werden, von dem Leistungsträger zu übernehmen, der für die Versorgung wegen der weiteren Schädigung zuständig ist.

(1) Wer im Geltungsbereich dieses Gesetzes oder auf einem deutschen Schiff oder Luftfahrzeug infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes. Die Anwendung dieser Vorschrift wird nicht dadurch ausgeschlossen, daß der Angreifer in der irrtümlichen Annahme von Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrunds gehandelt hat.

(2) Einem tätlichen Angriff im Sinne des Absatzes 1 stehen gleich

1.
die vorsätzliche Beibringung von Gift,
2.
die wenigstens fahrlässige Herbeiführung einer Gefahr für Leib und Leben eines anderen durch ein mit gemeingefährlichen Mitteln begangenes Verbrechen.

(3) Einer Schädigung im Sinne des Absatzes 1 stehen Schädigungen gleich, die durch einen Unfall unter den Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 Buchstabe e oder f des Bundesversorgungsgesetzes herbeigeführt worden sind; Buchstabe e gilt auch für einen Unfall, den der Geschädigte bei der unverzüglichen Erstattung der Strafanzeige erleidet.

(4) Ausländerinnen und Ausländer haben dieselben Ansprüche wie Deutsche.

(5) Die Hinterbliebenen eines Geschädigten erhalten auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes. Partner einer eheähnlichen Gemeinschaft erhalten Leistungen in entsprechender Anwendung der §§ 40, 40a und 41 des Bundesversorgungsgesetzes, sofern ein Partner an den Schädigungsfolgen verstorben ist und der andere unter Verzicht auf eine Erwerbstätigkeit die Betreuung eines gemeinschaftlichen Kindes ausübt; dieser Anspruch ist auf die ersten drei Lebensjahre des Kindes beschränkt.

(6) Einer Schädigung im Sinne des Absatzes 1 stehen Schädigungen gleich, die ein Berechtigter oder Leistungsempfänger nach Absatz 1 oder 5 in Verbindung mit § 10 Abs. 4 oder 5 des Bundesversorgungsgesetzes, eine Pflegeperson oder eine Begleitperson bei einer notwendigen Begleitung des Geschädigten durch einen Unfall unter den Voraussetzungen des § 8a des Bundesversorgungsgesetzes erleidet.

(7) Einer gesundheitlichen Schädigung im Sinne des Absatzes 1 steht die Beschädigung eines am Körper getragenen Hilfsmittels, einer Brille, von Kontaktlinsen oder von Zahnersatz gleich.

(8) Wird ein tätlicher Angriff im Sinne des Absatzes 1 durch den Gebrauch eines Kraftfahrzeugs oder eines Anhängers verübt, werden Leistungen nach diesem Gesetz erbracht.

(9) § 1 Abs. 3, die §§ 64 bis 64d, 64f sowie 89 des Bundesversorgungsgesetzes sind mit der Maßgabe anzuwenden, daß an die Stelle der Zustimmung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales die Zustimmung der für die Kriegsopferversorgung zuständigen obersten Landesbehörde tritt, sofern ein Land Kostenträger ist (§ 4). Dabei sind die für deutsche Staatsangehörige geltenden Vorschriften auch für von diesem Gesetz erfaßte Ausländer anzuwenden.

(10) § 20 des Bundesversorgungsgesetzes ist mit den Maßgaben anzuwenden, daß an die Stelle der in Absatz 1 Satz 3 genannten Zahl die Zahl der rentenberechtigten Beschädigten und Hinterbliebenen nach diesem Gesetz im Vergleich zur Zahl des Vorjahres tritt, daß in Absatz 1 Satz 4 an die Stelle der dort genannten Ausgaben der Krankenkassen je Mitglied und Rentner einschließlich Familienangehörige die bundesweiten Ausgaben je Mitglied treten, daß Absatz 2 Satz 1 für die oberste Landesbehörde, die für die Kriegsopferversorgung zuständig ist, oder die von ihr bestimmte Stelle gilt und daß in Absatz 3 an die Stelle der in Satz 1 genannten Zahl die Zahl 1,3 tritt und die Sätze 2 bis 4 nicht gelten.

(11) Im Rahmen der Heilbehandlung sind auch heilpädagogische Behandlung, heilgymnastische und bewegungstherapeutische Übungen zu gewähren, wenn diese bei der Heilbehandlung notwendig sind.

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 19. Dezember 2012 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand

 
Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung einer Beschädigtenversorgung nach dem Soldatenversorgungsgesetz (SVG) streitig.
Der am … 1941 geborene Kläger war bis zu seiner Pensionierung am 01.10.1997 Berufssoldat. Am 25.12.1996 erlitt er eine Lungenembolie, welche durch eine Embolektomie mit Einbau eines Vena-Cava-Schirms operativ behandelt wurde. Seither ist eine dauerhafte Marcumar-Antikoagulations-Medikation erforderlich.
Am 21.09.1998 beantragte der Kläger beim Beklagten wegen einer Lungenembolie am 25.12.1996 in Tunis/Tunesien während seines militärischen Dienstes als Verteidigungsattaché von 1993 bis 1997 die Gewährung von Beschädigtenversorgung nach dem SVG und legte ärztliche Unterlagen hierzu vor. Mit Schreiben vom 22.10.1998 übersandte der Beklagte der Wehrbereichsverwaltung (WBV) den Antrag mit dem Hinweis, dass nach § 88 Abs. 2 SVG zuerst eine Entscheidung durch diese zu treffen sei, da der Kläger Berufssoldat gewesen sei.
Ebenfalls am 21.09.1998 beantragte der Kläger die Feststellung seines Grades der Behinderung (GdB). Nach Einholung einer versorgungsärztlichen Stellungnahme der Internistin Dr. C. (GdB 30 für die Restfolgen nach chirurgischer Embolektomie bei Lungenembolie, Vena-Cava-Schirm-Implantation) stellte das Versorgungsamt mit Bescheid vom 30.06.1999 den GdB mit 30 seit dem 21.09.1998 fest. Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies das Landesversorgungsamt B. nach Einholung einer versorgungsärztlichen Stellungnahme vom Versorgungsarzt S., wonach die Restfolgen nach Embolektomie gemäß der Befunde nicht höher als mit einem GdB von 30 einzuschätzen seien, mit Widerspruchsbescheid vom 29.09.1999 zurück.
Die WBV veranlasste ein truppenärztliches Gutachten durch Oberstabsarzt Dr. B., der in seinem Gutachten vom 03.01.2000 im Wesentlichen auf den Befundbericht von Dr. G., Internist, vom 28.02.2000 über eine Untersuchung am 25.02.2000 verwies, wonach ein Zustand nach fulminanter Lungenembolie mit Schockzustand sowie notfallmäßiger Embolektomie (1996), Cava-Schirm mit Dauer-Antikoagulatien-Therapie diagnostiziert wurde. Der Kläger sei im Wesentlichen beschwerdefrei bei Therapie mit Marcumar. Es liege kein Nachweis einer Rechtsherzbelastung oder einer sonstigen organischen Herzerkrankung vor. Es habe sich ein normaler kardialer Befund mit einer guten kardialen Leistungsbreite mit Belastbarkeit bis zur 200-Watt-Stufe gezeigt. In der daraufhin veranlassten sozialmedizinischen Versorgungsbegutachtung wurde von Dr. V. ausgeführt, die akute Erkrankung (massive Lungenembolie beidseits mit Schock am 27.12.1996), eine wehrdienstunabhängige Gesundheitsstörung, sei truppenärztlich behandelt worden, wodurch der Kläger habe überleben können. Nachteilige gesundheitliche Folgen der truppenärztlicher Behandlung könnten nicht bezeichnet werden.
Darauf gestützt lehnte die WBV mit Bescheid vom 06.09.2000 die Anerkennung einer Wehrdienstbeschädigung (WDB) und die Gewährung eines Ausgleichs ab. Hiergegen legte der Kläger am 05.10.2000 Widerspruch ein, den er damit begründete, er führe die Lungenembolie auf fehlerhafte truppenärztliche Behandlung zurück. Die unzureichende truppenärztliche Behandlung im Vorfeld der fulminanten Lungenembolie wirke sich in irreversiblen Folgen einschneidend auf seine Lebensqualität aus (Cava-Schirm/Marcumar).
Dr. C. führte in ihrer von dem Beklagten eingeholten versorgungsärztlichen Stellungnahme unter Bezugnahme auf das Gutachten von Dr. V. für die WBV aus, ein schädigendes Ereignis im Sinne eines wehrdienstbedingten ursächlichen Vorgangs bzw. eines wehrdiensteigentümlichen Geschehens könne nicht gesichert werden. Die fulminante Lungenembolie und die dadurch bedingte Behandlung und deren Dauerfolgen stellten eine nicht wehrdienstbedingte Gesundheitsstörung dar.
Mit Bescheid vom 05.02.2001 lehnte der Beklagte daraufhin die Gewährung von Beschädigtenversorgung nach dem SVG ab. Hiergegen legte der Kläger am 27.02.2001 unter Vorlage der Begründung des Widerspruchs gegenüber der WBV Widerspruch ein.
Die WBV holte ein weiteres Gutachten nach Aktenlage bei Dr. V. ein, in dem diese ausführte, es bestehe keinerlei kausaler Zusammenhang zwischen der jahrelang beobachteten Bronchitis und der fulminanten Lungenembolie am 25.12.1996. Hierauf gestützt wurde der gegen den Bescheid der WBV vom 06.09.2000 eingelegte Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 20.06.2002 zurückgewiesen.
10 
Hiergegen legte der Kläger am 24.07.2002 Klage beim Sozialgericht Karlsruhe (SG) ein (S 1 VS 2515/02). Mit Urteil vom 21.04.2005 wies das SG die Klage auf Gewährung eines Ausgleichs und Feststellung eines Zustandes nach abgelaufener, durch Embolektomie und Cava-Schirm operativ behandelter fulminanter Lungenembolie, beidseits mit kardialem Schockzustand ohne verbliebene Rechtsherzbelastung oder sonstige Herzerkrankung, mit Dauer-Antikoagulantien-Prophylaxe ab. In Übereinstimmung mit dem Gutachten von Dr. V. könne nicht festgestellt werden, dass die erlittene Lungenembolie zumindest wesentlich auf die wehrdiensteigentümlichen Besonderheiten der truppenärztlichen Versorgung zurückgeführt werden könne.
11 
Dagegen legte der Kläger am 28.06.2005 beim Landessozialgericht Baden-Württemberg Berufung ein (L 6 VS 2615/05). Schon im Dezember 1994 hätte die Diagnose einer Bronchitis in Frage gestellt werden müssen. Auch die später festgestellte Vergrößerung des Herzens deute auf eine längere Entwicklung der Lungenembolie hin. Seitens der WBV wurde ausgeführt, es treffe nicht zu, dass der Kläger die behandelnden Ärzte so über die Vorerkrankung informiert habe, dass eine abweichende Diagnose oder die Einbeziehung eines weiteren Facharztes angezeigt gewesen wäre. Zur weiteren Ermittlung wurde eine Stellungnahme von Dr. B. eingeholt. Dr. V. führte in einer weiteren sozialmedizinischen Stellungnahme aus, es sei auszuschließen, dass irgendwelche truppenärztliche Maßnahmen die fulminante Lungenembolie hätten verhindern können. Diese habe in keinerlei Zusammenhang mit der abgelaufenen, akuten Erkrankung der Bronchien oder der Lungen gestanden. Bei allen eingehenden Untersuchungen des Herzens, die vor Dezember 1996 erfolgt seien, hätten sich pathologische Auffälligkeiten wie z. B. zu Embolien prädestinierende Störungen der Herzschlagfolge (Arrhythmien) nicht ergeben.
12 
Auf Antrag und Kosten des Klägers wurde nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Dr. S., Chefarzt der Pneumologie der S.-Kliniken K., mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt. Er diagnostizierte nach ambulanten Untersuchungen des Klägers am 30.10.2006 und 02.11.2006 einen Zustand nach fulminanter beidseitiger Lungenembolie am 25.12.1996, einen Zustand nach beidseitiger Embolektomie am 25.12.1996, einen Zustand nach Einbau eines Vena-Cava-Schirmes am 25.12.1996, ein Cor pulmonale und eine leichte Gasaustauschstörung nach Lungenembolien. Sollte die Aussage des Klägers, er habe bei seinen truppenärztlichen Untersuchungen über Bluthusten und Atemnot geklagt, zutreffen, hätte die Verdachtsdiagnose einer Lungenembolie gefällt werden müssen und eine entsprechende Diagnostik hätte mit großer Wahrscheinlichkeit die lebensbedrohliche, schwere Lungenembolie vermeiden können. Eine relevante kardiopulmonale Einschränkung bestehe zum aktuellen Zeitpunkt nicht. Ebenfalls bestehe keine schmerzbedingte Einschränkung nach Pulmonal-Arterien-Embolektomie. Der Kläger erreiche das zu erwartende altersentsprechende Leistungsniveau ohne relevante funktionelle Einschränkung.
13 
Eine mündliche Verhandlung am 13.12.2007 wurde zur Durchführung weiterer Ermittlungen vertagt und eine Stellungnahme beim 1996 operierenden Arzt Dr. C. eingeholt. Dr. S. gab in einer ergänzenden gutachterlichen Stellungnahme an, wäre vor der schweren Lungenembolie im Dezember 1996 eine vorangegangene leichte Lungenembolie rechtzeitig diagnostiziert worden, hätte diese durch eine Antikoagulantien-Therapie mit Marcumar mit großer Wahrscheinlichkeit vermieden werden können. Funktionell sei der Kläger normal belastbar, eine messbare und damit quantifizierbare Einschränkung bestehe nicht. Der Kläger legte daraufhin einen Arztbrief des Internisten und Kardiologen Dr. G. vom 14.01.2008 (tachykardiale Rhythmusstörungen, wahrscheinlich mit Vorhofflattern, beginnende Linksinsuffizienz, Infekt der oberen Luftwege mit Bronchitis und Zustand nach Lungenembolie mit Cava-Schirm) und einen Arztbrief von Prof. Dr. G., Kardiologe, vom 06.03.2008 über einen stationären Aufenthalt des Klägers vom 14.01.2008 bis 28.01.2008 in den S.-Kliniken K. (Zustand nach Vorhofflattern mit folgender Ablation, Zustand nach AV-Block III° mit folgender Schrittmacher-Implantation, Zustand nach Lungenembolie und tiefer Beinvenenthrombose, Ausschluss einer signifikanten koronaren Herzkrankheit, gute Lungenvolumen-Funktion) vor.
14 
Dr. V. gab in einer weiteren versorgungsmedizinischen gutachtlichen Stellungnahme an, es sei zu fragen, ob nicht ein seinerzeit aufgetretenes vorübergehendes Vorhofflattern oder Vorhofflimmern zu den Lungenembolien geführt habe. Es sei unbekannt, worauf sich die Einschätzung des GdB im Rahmen des Schwerbehindertenrechts seitens der Versorgungsverwaltung gründe. Es werde allerdings darauf hingewiesen, dass die Einschätzung eines GdB im Schwerbehindertenverfahren niemals Grundlage der Einschätzung des GdS sei.
15 
Dr. S. legte in einer weiteren ergänzenden gutachterlichen Stellungnahme dar, bei der Begutachtung habe sich unter einem normalen von Rhythmusstörungen unbeeinträchtigten Sinusrhythmus eine vollkommen normale Leistungsfähigkeit und Belastbarkeit bis 200 Watt gezeigt. Leistungsmindernde Folgen der Lungenembolie ließen sich nicht nachweisen. Insofern sei eine MdE zu verneinen. Frau Dr. V. Aussage über die wehrdienstunabhängigen Rhythmusstörungen des Klägers als Ursache der Lungenembolien sei nicht zu folgen. Hierauf wurde von Dr. V. die Einholung eines kardiologischen Gutachtens angeregt und sodann Prof. Dr. G. mit der Erstellung eines kardiologischen Gutachtens beauftragt. Dieser gab nach ambulanter Untersuchung des Klägers am 08.09.2009 an, gehe man von der Möglichkeit einer stattgehabten Lungenembolie 1994 aus, wäre ein zweites Ereignis durch eine prophylaktisch eingeleitete Antikoagulation mit Marcumar möglicherweise zu verhindern gewesen. Hinweise auf ein intermittierendes Vorhofflattern gebe es im Krankheitsverlauf des Klägers bis 1996 nicht. Auch in den Zeiträumen zwischen 1994 und 1996 und 1996 bis 2008 seien keine Angaben über klinische Hinweise über Palpitation gemacht worden. Erst im Januar 2008 habe sich im EKG eine tachykarde Rhythmusstörung, am ehesten Vorhofflattern mit 2 : 1 -Überleitung mit einer regelmäßigen Kammerfrequenz von 124/Min. gezeigt. Die Ursache des erneut aufgetretenen Vorhofflatterns sei unklar. Möglicherweise handle es sich um eine strukturelle Veränderung der Vorhöfe infolge des chronischen Cor pulmonale. Eine durch die Lungenembolie mit nachfolgender Embolektomie verursachte Herzrhythmusstörung (Vorhofflattern) sei möglich, jedoch nach zwölfjähriger Latenz aus medizinischer Sicht nicht beweisbar, da die Wahrscheinlichkeit des Auftretens dieser Rhythmusstörungen auch mit zunehmendem Alter der Menschen zunehme. Nach Anamnese und Untersuchung sowie echokardiographischer Beurteilung der linksventrikulären Funktion sei der Kläger in seinem Alltag in Ruhe aktuell normal belastbar, habe jedoch bei mittelschwerer bis schwerer Belastung bzw. mittelschwerer körperlicher Arbeit eine Dyspnoe und müsse die Arbeit unterbrechen. Eine Echokardiographie zeige eine leicht reduzierte linksventrikuläre Funktion. Gehe man davon aus, dass die 2008 aufgetretene hämodynamisch-relevanten Rhythmusstörungen (Vorhofflattern) Folge der 1996 stattgehabten Lungenembolie seien, werde unter Berücksichtigung der Schrittmacher-Abhängigkeit und der dauerhaft notwendigen Antikoagulation mit Marcumar von einem Gesamt-GdS von 30 ausgegangen. In seiner ergänzenden Stellungnahme vom 04.03.2010 gab er noch an, eine akute Lungenembolie könne häufig Arrhythmien auslösen. Im vorliegenden Fall handle es sich jedoch um ein Vorhofflattern, das erst nach mehreren Jahren nach einer Lungenembolie aufgetreten sei und in den Zwischenjahren seien keine Rhythmusstörungen beschrieben worden. Auch mehrere echokardiographische Kontrollen hätten keine chronischen Rechtsherzbelastungszeichen mit einer Dilatation der Vorhöfe gezeigt, die eine atriale Rhythmusstörung begünstigten. Von einer Prädisposition des Klägers zum Vorhofflattern müsse ausgegangen werden. Daher spreche mehr dagegen als dafür, dass die 1999 stattgehabte Lungenembolie Ursache für das Vorhofflattern und die leichte Herzinsuffizienz sei.
16 
Mit Urteil vom 11.03.2010 änderte das Landessozialgericht das Urteil des SG vom 21.04.2005 und den Bescheid der WBV vom 06.09.2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.06.2002 ab und stellte als Wehrdienstbeschädigungsfolge einen Zustand nach abgelaufener, durch beidseitige Embolektomie und Einbau eines Vena-Cava-Schirms operativ behandelter, fulminanter Lungenembolie mit dauerhafter Marcumar-Antikoagulations-Prophylaxe fest. Im Übrigen wurde die Berufung zurückgewiesen. Es stehe mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit fest, dass im Rahmen der truppenärztlichen Behandlungen am 09.09.1996 und 10.09.1996 genügend für eine beim Kläger bereits nach 1994 abgelaufene erste Lungenembolie sprechende Verdachtsmomente vorgelegen hätten. Wenn im September 1996 truppenärztlich die Verdachtsdiagnose einer Lungenembolie gestellt worden wäre, wäre durch eine entsprechende Diagnostik mit hinreichender Wahrscheinlichkeit die vom Kläger am 25.12.1996 erlittene fulminante Lungenembolie und damit auch die durch eine beidseitige Embolektomie mit Einbau eines Vena-Cava-Schirms und dauerhafter Marcumar-Antikoagulations-Prophylaxe bedingte dauerhafte Gesundheitsstörung vermieden worden. Nicht als Wehrdienstbeschädigungsfolge festzustellen seien die Herzrhythmusstörungen und die hiermit verbundene Notwendigkeit eines Herzschrittmachers. Gegen einen ursächlichen Zusammenhang spreche insbesondere die fast zwölfjährige Latenz zwischen der im Jahr 1996 aufgetretenen Lungenembolie und der im Jahr 2008 aufgetretenen Herzproblematik und die mit zunehmendem Alter der Menschen sich erhöhende Wahrscheinlichkeit des Auftretens von Rhythmusstörungen. Dies gelte umso mehr, als sich beim Kläger bei mehreren echokardiographischen Kontrollen keine eine arterielle Rhythmusstörung begünstigenden chronischen Rechtsherzbelastungszeichen mit einer Dilatation der Vorhöfe gezeigt hätten. Der Kläger habe keinen Anspruch auf die Gewährung eines Ausgleichs. Die Folgen der am 25.12.1996 erlittenen fulminanten Lungenembolie bedingten keinen GdS von mindestens 25. Es lägen keine schädigungsbedingten Funktionsstörungen, sondern lediglich eine leichte Gasaustauschstörung und ansonsten kein GdS-relevanter Befund vor. Allein die dauerhafte Antikoagulantien-Therapie mit Marcumar sei nicht GdS-relevant.
17 
Mit Ausführungsbescheid der WBV vom 14.04.2010 wurden ein Zustand nach abgelaufener, durch beidseitige Embolektomie und Einbau eine Vena-Cava-Schirms operativ behandelter fulminanter Lungenembolie mit dauerhafter Marcumar-Antikoagulations-Prophylaxe als Folge einer WDB anerkannt. Ein Anspruch auf Ausgleich bestehe nicht. Bezüglich der übrigen Gesundheitsstörungen verbleibe es bei dem Bescheid vom 06.09.2000 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.06.2002. Der hiergegen zunächst eingelegte Widerspruch wurde zurückgenommen.
18 
Auf den Änderungsantrag des Klägers nach dem SGB IX beim Versorgungsamt wurde nach Vorlage des Arztbriefes von Prof. Dr. G. vom 06.03.2008 nach der versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. B., dass ein Teil-GdB von 20 wegen Herzschrittmacher zu berücksichtigen sei, mit Bescheid vom 23.06.2010 ein GdB von 40 seit 10.02.2010 festgestellt.
19 
Mit Teil-Abhilfebescheid des Beklagten vom 20.10.2010 wurde dem Widerspruch gegen den Bescheid vom 05.02.2001 insofern abgeholfen, als ein Zustand nach abgelaufener, durch beidseitige Embolektomie und Einbau eines Vena-Cava-Schirms operativ behandelter fulminanter Lungenembolie mit dauerhafter Marcumar-Antikoagulations-Prophylaxe als Wehrdienstbeschädigungsfolge anerkannt wurde. Ein GdS von wenigstens 25 werde nicht erreicht, eine Rente stehe daher nicht zu. Die Feststellungen seien in Anlehnung an das Urteil des Landessozialgerichts- vom 11.03.2010 zu treffen. Für die Wehrdienstbeschädigungsfolgen habe er Anspruch auf Heilbehandlung nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG).
20 
Hiergegen legte der Kläger am 24.11.2010 Widerspruch ein und führte aus, das Versorgungsamt habe aufgrund der versorgungsärztlichen Stellungnahme der Internistin Dr. C. mit Bescheid vom 30.06.1999 den GdB mit 30 ab 21.09.1998 festgestellt. GdS und GdB würden nach den gleichen Grundsätzen bemessen. Durch das Urteil des Landessozialgerichts sei rechtskräftig festgestellt worden, dass der Zustand, der zu einem GdB seit 1998 von 30 führe, eine Wehrdienstbeschädigungsfolge sei. Daraus folge, dass ein GdS von 30 erreicht werde. Zwar habe das Landessozialgericht die falsche Auffassung vertreten, die Folgen der am 25.12.1996 erlittenen fulminanten Lungenembolie bedingten keinen GdS von wenigstens 25. Diese Auffassung betreffe jedoch ausschließlich den dort streitigen Anspruch auf Gewährung eines Ausgleichs.
21 
Mit Widerspruchsbescheid vom 14.09.2011 wurde der Widerspruch zurückgewiesen. Nach dem Urteil des Landessozialgerichts vom 11.03.2010 habe sich aus dem Gutachten von Dr. S. kein GdS-relevanter Befund ergeben. Soweit nach dem SGB IX ein Teil-GdB von 30 für die Lungen festgestellt worden sei, bestehe die Möglichkeit einer Überprüfung und Korrektur.
22 
Hiergegen hat der Kläger am 14.10.2011 wiederum beim SG Klage eingelegt. Es habe keine Überprüfung der Feststellung des GdB mit 30 gegeben. Es seien keine Argumente ersichtlich, die die damalige Bewertung in Frage stellen könnten. Insbesondere sei auch keine gesundheitliche Besserung eingetreten. Vielmehr seien im Januar 2008 Herzrhythmusstörungen diagnostiziert worden, die zur Implantierung eines Herzschrittmachers geführt hätten. Auch dies sei eine Folge der WDB. Allerdings habe Prof. Dr. G. in seinem Gutachten vom 27.10.2009 „vorsichtig“ formuliert, dass ein eindeutiger Zusammenhang zwischen der Lungenembolie im Jahr 1996 und dem aufgetretenen Vorhofflattern im Jahr 2008 nicht hergestellt werden könne. Allerdings habe Prof. Dr. G. anlässlich der Untersuchung des Klägers diesen Zusammenhang sehr wohl festgestellt und sich im Gespräch mit dem Kläger auch entsprechend geäußert.
23 
Der Beklagte hat ausgeführt, im Rahmen des Verfahrens L 6 VS 2615/05 habe sich herausgestellt, dass die Bewertung mit einem GdB von 30 nach dem SGB IX in Anbetracht der verbliebenen guten Belastbarkeit seitens der Lunge überhöht sei. Dies könne jedoch im Umkehrschluss nicht dazu führen, dass die überhöhte GdB-Bewertung nun auf den GdS übertragen werde.
24 
Das SG hat mit Gerichtsbescheid vom 19.12.2012 die Klage abgewiesen. Der als WDB anerkannte Gesundheitszustand bedinge keinen GdS von mindestens 25. Das Gericht schließe sich insofern den Ausführungen des Landessozialgerichts im Urteil vom 11.03.2010 (L 6 VS 2615/05) voll umfänglich an. Der unzutreffend festgesetzte Teil-GdB könne keine Bindungswirkung für das vorliegende Verfahren erzeugen. Ein Teil-GdB erwachse nicht in Bestandskraft.
25 
Hiergegen hat der Kläger am 28.01.2013 erneut Berufung beim Landessozialgericht eingelegt. Da der GdB und der GdS nach gleichen Grundsätzen zu bewerten seien, hier aber unterschiedliche Ergebnisse vorlägen, ergebe sich zwingend, dass entweder die eine oder die andere Einschätzung falsch sei. Bei richtiger Bewertung ergebe sich ein GdS von 30. Seit den Feststellungen im Jahre 1998 habe sich an den Schädigungsfolgen nichts zum Positiven verändert. Rechtsherzerweiterung und Herzrhythmusstörungen seien von Dr. C. schon beschrieben worden. Darüber hinaus sei die Abhängigkeit von Gerinnungshemmern bekannt. Dr. S. habe die Herzhöhlen allseits dilatiert und hypertrophiert beschrieben, Zeichen eines chronischen Cor pulmonale mit Dilation. Die Herzrechtserweiterung sei erst im Zuge der Embolie entstanden. In der Nachbetrachtung müsse auch festgestellt werden, dass er bei sportlichen Aktivitäten wie Tennis, Jogging, Radfahren nicht gerade selten auftretende Schwächeperioden in den Jahren, bevor die Gutachten zur Verfügung gestanden hätten, aus Unkenntnis nicht mit Herzrhythmusstörungen in Verbindung gebracht habe.
26 
Der Kläger beantragt,
27 
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 19. Dezember 2012 aufzuheben und den Bescheid vom 5. Februar 2001 in der Fassung des Bescheides vom 20. Oktober 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. September 2011 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, ihm aufgrund der festgestellten Wehrdienstbeschädigung eine Beschädigtenversorgung nach dem Soldatenversorgungsgesetz in gesetzlicher Höhe zu bewilligen,
28 
hilfsweise Prof. Dr. G. in der mündlichen Verhandlung zu der Zusammenhangsfrage der Rhythmusstörungen und der Lungenembolie zu hören.
29 
Der Beklagte beantragt,
30 
die Berufung zurückzuweisen.
31 
Der Beklagte hat zur Begründung angegeben, ein nach dem SGB IX unzutreffend festgesetzter Teil-GdB-Wert könne keine Bindungswirkung in anderen Rechtsgebieten entfalten.
32 
Die Berichterstatterin hat am 20.05.2014 den Sachverhalt nichtöffentlich erörtert.
33 
Mit Beschluss vom 04.07.2014 hat der Senat die Bundesrepublik Deutschland zum Verfahren beigeladen.
34 
Die Beigeladene beantragt,
35 
die Berufung zurückzuweisen.
36 
Zur Begründung hat sie auf den Gerichtsbescheid des SG Bezug genommen.
37 
Mit Schreiben vom 07.10.2011 hat das Versorgungsamt dem Kläger mitgeteilt, dass die gesundheitlichen Verhältnisse überprüft werden müssen. In einem Telefonat mit dem Kläger am 17.10.2011 hat dieser angegeben, dass er seit 2008 in keiner lungenfachärztlichen Behandlung sei. Auf die Anfrage bei der behandelnden Hausärztin Dr. S. hat diese mit Schreiben vom 14.02.2013 mitgeteilt, dass sich der Kläger seit Januar 2010 nicht mehr in der Sprechstunde vorgestellt habe. Ein Befund eines Lungenfacharztes liege ebenfalls nicht vor. Daher sei eine Aussage über den aktuellen Gesundheitszustand nicht möglich.
38 
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten und der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie die Gerichtsakte des Verfahrens am SG mit dem Az.: S 1 VS 2515/02 und des Verfahrens am Landessozialgericht mit dem Az.: L 6 VS 2615/05, die Verwaltungsakten des Beklagten, der Beigeladenen und die SGB IX-Akte verwiesen.

Entscheidungsgründe

 
39 
Die gemäß §§ 143 und 144 SGG statthafte sowie nach § 151 SGG form- und fristgerecht erhobene und auch im Übrigen zulässige Berufung ist unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten.
40 
Der am 12. Dezember 2014 gestellte Antrag auf erneute Anhörung von Prof. Dr. G. zu der Zusammenhangsfrage der Lungenembolie mit dem Zustand nach Vorhofflattern mit Schrittmacherimplantation war abzulehnen. Der Sachverständige hat sich hierzu bereits in seinem Gutachten vom 27.10.2009 eindeutig und zwar in negativem Sinne für den Kläger geäußert und ist auch bei seiner weiteren schriftlichen Stellungnahme vom 04.03.2010 in Würdigung der klägerischen Vorbehalte bei seiner Einschätzung verblieben. Einen weiteren Aufklärungsbedarf hat der Kläger selbst nicht deutlich gemacht, den Beweisantrag vielmehr allein darauf gestützt, dass Prof. Dr. G. als damals behandelnder Arzt mündlich eine andere Auffassung vertreten haben soll. Das mag durchaus der Fall gewesen sein, das Gutachten hat er dann aber in Kenntnis sämtlicher ärztlichen Befunde erstatten können, die ihm als behandelnder Arzt nicht vorgelegen haben und erst eine saubere Beurteilung des Zusammenhangs ermöglichen, nämlich dass von einer Prädisposition zum Vorhofflattern ausgegangen werden muss, da in den Zwischenjahren nach der Lungenembolie keine Rhythmusstörung beschrieben wurde (dazu unten). Im Übrigen entspricht es dem Beweisrecht, dass das Gericht nicht verpflichtet ist, einem Beweisantrag beliebig oft nachzukommen (BSG, Urteil vom 15.04.1991 - 5 RJ 32/90 - juris; Urteil des Senats vom 27.03.2014 - L 6 U 4001/13 - juris).
41 
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Beschädigtengrundrente nach §§ 80, 81 SVG i.V.m. §§ 30, 31 BVG.
42 
Gemäß § 80 Abs. 1 Satz 1 SVG erhält ein Soldat, der eine WDB erlitten hat, nach Beendigung des Wehrdienstverhältnisses wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der WDB auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG, soweit im SVG nichts Abweichendes bestimmt ist. Nach § 88 Abs. 1 SVG sind hierfür die Versorgungsbehörden zuständig. Nach § 81 Abs. 1 SVG ist WDB eine gesundheitliche Schädigung, die durch eine Wehrdienstverrichtung, durch einen während der Ausübung des Wehrdienstes erlittenen Unfall oder durch die dem Wehrdienst eigentümlichen Verhältnisse herbeigeführt worden ist. Nach § 30 Abs. 1 BVG ist der GdS (bis zum Inkrafttreten des BVGÄndG vom 13.12.2007 [BGBl. I S. 2904] am 21.12.2007 MdE) nach den allgemeinen Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen, die durch die als Schädigungsfolge anerkannten körperlichen, geistigen, seelischen Gesundheitsstörungen bedingt sind, in allen Lebensbereichen zu beurteilen (Satz 1 der Vorschrift). Nachdem für die Beurteilung der MdE und des GdS dieselben Grundsätze gelten, wird im Folgenden allein auf die Beurteilung des GdS Bezug genommen. Der GdS ist nach Zehnergraden von 10 bis 100 zu bemessen; ein bis zu fünf Grad geringerer GdS wird vom höheren Zehnergrad mit umfasst (Satz 2 der Vorschrift). Beschädigte erhalten gemäß § 31 Abs. 1 BVG eine monatliche Grundrente ab einem GdS von 30. Liegt der GdS unter 25 besteht kein Anspruch auf eine Rentenentschädigung.
43 
Der Senat orientiert sich bei der Beurteilung von MdE und GdS für die Zeit bis zum 31.12.2008 an den im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung als antizipierte Sachverständigengutachten angewandten (BSG, Urteil vom 23.06.1993 - 9/9a RVs 1/91 - BSGE 72, 285; BSG, Urteil vom 09.04.1997 - 9 RVs 4/95 - SozR 3-3870 § 4 Nr. 19; BSG, Urteil vom 18.09.2003 - B 9 SB 3/02 R - BSGE 190, 205; BSG, Urteil vom 29.08.1990 - 9a/9 RVs 7/89 - BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 1) „Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2 SGB IX)“ (AHP) in der jeweils geltenden Fassung, die gemäß § 30 Abs. 16 BVG (bis 30.06.2011 § 30 Abs. 17 BVG) für die Zeit ab dem 01.01.2009 durch die in der Anlage zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, des § 30 Abs. 1 und des § 35 Abs. 1 BVG - Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) - vom 10.12.2008 (BGBl. I Seite 2412) festgelegten Versorgungsmedizinischen Grundsätze (VG) abgelöst worden sind. Hinsichtlich der vorliegend einschlägigen Funktionsbeeinträchtigungen enthalten die VG gegenüber den AHP keine inhaltlichen Änderungen, sodass im Folgenden lediglich die Ziffern der VG angegeben werden.
44 
Wie in allen Zweigen des sozialen Entschädigungsrechts müssen auch im Recht der Soldatenversorgung die anspruchsbegründenden Tatsachen nachgewiesen, d. h. ohne vernünftige Zweifel oder mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bewiesen sein (st. Rspr. BSG, so zum Opferentschädigungsgesetz - OEG -: BSG SozR 1500 § 128 Nr. 34 m. w. N.; SozR 1500 § 128 Nr. 35; zur Kriegsopferversorgung BSG SozR 3-3100 § 1 Nr. 18; zum SVG: BSG SozR 3-3200 § 81 Nr. 16; SozR 3-3200 § 81 Nr. 6; zum Impfschadensrecht: BSG SozR 3850 § 51 Nr. 9 und § 52 Nr. 1), soweit nichts anderes bestimmt ist. Für Ansprüche nach §§ 80, 81 SVG bedeutet dies, dass sich - mit dem jeweils maßgeblichen Beweisgrad - zumindest drei Tatsachenkomplexe oder Glieder der Kausal-(Ursachen)kette sowie zwei dazwischenliegende Kausalzusammenhänge feststellen lassen müssen (vgl. Wilke/Fehl, Soziales Entschädigungsrecht, 7. Aufl 1992, § 1 BVG Rdnrn. 56 und 61; Rohr/Strässer, Bundesversorgungsrecht mit Verfahrensrecht, Stand: Februar 2013, § 1 BVG Anm 8 ff, § 1 -52 ff). Der erste Komplex ist die geschützte Tätigkeit, hier also die Wehrdienstverrichtung oder die Ausübung einer gleichgestellten Tätigkeit. Infolge dieser Verrichtung muss ein schädigendes Ereignis eine gesundheitliche Schädigung hervorgerufen haben. Aufgrund dieser Schädigung muss es dann zu der in MdE/GdS-Graden zu bewertenden Schädigungsfolge gekommen sein. Das "schädigende Ereignis" wird üblicherweise als weiteres selbständiges Glied der Kausalkette zwischen geschützter Tätigkeit und Primärschaden angesehen (BSG SozR 3-3200 § 81 Nr. 16 m. w. N.). Auch dieses bedarf grundsätzlich des Vollbeweises. Dagegen genügt für die Feststellung des Ursachenzusammenhangs, jedenfalls desjenigen zwischen Schädigung und Schädigungsfolge (sog "haftungsausfüllende Kausalität") der Beweisgrad der Wahrscheinlichkeit (§ 81 Abs. 6 Satz 1 SVG).
45 
Bei dem einem Soldaten während des Dienstverhältnisses zustehenden Anspruch auf Ausgleich gegenüber der WBV nach § 85 SVG und dem Versorgungsanspruch für die Zeit nach seinem Ausscheiden aus dem Dienstverhältnis gegenüber dem Beklagten nach § 80 SVG handelt es sich grundsätzlich um zwei zeitlich getrennte und konstruktiv selbständig nebeneinander stehende Ansprüche. In § 88 Abs. 3 Satz 1 SVG ist allerdings angeordnet, dass eine bekannt gegebene Entscheidung einer Behörde der Bundeswehrverwaltung sowie die rechtskräftige Entscheidung eines Gerichts der Sozialgerichtsbarkeit in Ausgleichsverfahren über eine WDB und den ursächlichen Zusammenhang einer Gesundheitsstörung unter anderem mit einem Tatbestand des § 81 SVG für die Behörde der jeweils anderen Verwaltung verbindlich sind. Diese Verbindlichkeit erstreckt sich auch auf den einer Ausgleichsleistung zugrunde liegenden GdS. Führt eine durch rechtskräftiges Urteil verurteilte Verwaltungsbehörde das Urteil durch einen Bescheid entsprechend dem Urteilstenor unter selbständiger Festsetzung des GdS und der daraus folgenden Leistung aus, besteht die Bindungswirkung durch den Ausführungsbescheid (BSG, Urteil vom 02.07.1997 - 9 RV 21/95 - juris). Für die Bindungswirkung der Entscheidungen der WBV ist es gleichgültig, ob die Erstentscheidung noch während der Dienstzeit des Soldaten oder erst danach getroffen wird. Aus dem Wortlaut des § 88 Abs. 2 SVG folgt, dass die WBV derartige Entscheidungen auch noch nach dem Ausscheiden des Soldaten aus dem Wehrdienst treffen kann (BSG, Urteil vom 28.06.2000 - B 9 VS 1/99 R - juris).
46 
Der Gesetzgeber wollte mit der Bindungswirkung im Sinne von § 88 Abs. 3 SVG den Verwaltungsaufwand im Übergang von einer Leistung auf die andere (vom Ausgleich zur Versorgung) und von einem Leistungsträger auf den anderen (Bundeswehrverwaltung und Versorgungsverwaltung) beschränken. Bei diesen Ansprüchen, die einerseits zwar zeitlich voneinander getrennt und konstruktiv selbständig nebeneinander stehen, die andererseits jedoch beide auf ein und derselben gesundheitlichen Schädigung durch einen Unfall während der Ausübung des Wehrdienstes oder die dem Wehrdienst eigentümlichen Verhältnisse im Sinne von § 81 Abs. 1 SVG gründen, sollten doppelte Prüfungen vermieden werden (vgl. auch BT-Drs. 8/3750 S. 23 und 8/4030 S. 25). Ziel ist es, der Gefahr von in wesentlichen Punkten voneinander abweichenden Entscheidungen entgegenzuwirken und vor allem eine Schlechterstellung von Soldaten nach dem Ausscheiden aus dem Dienst der Bundeswehr gegenüber Kriegsbeschädigten und sonstigen Versorgungsberechtigten zu verhindern, deren Anspruch sich nur gegen einen Leistungsträger richtet. Zweck der Regelung ist es mithin, in der Übergangssituation zwischen Ausgleich und Versorgung durch Bindung - in erster Linie der Versorgungsverwaltung - die weitere Versorgung des aus dem Dienst der Bundeswehr ausgeschiedenen Soldaten sicherzustellen (BSG, Urteil vom 25.03.2004 - B 9 VS 2/01 R -, juris).
47 
Allerdings besteht die Bindung der Versorgungsverwaltung an die Entscheidung der Wehrverwaltung nicht unbeschränkt. Nach § 88 Abs. 3 Sätze 2 und 3 SVG steht die Bindungswirkung einer anderweitigen Entscheidung der Versorgungsämter nicht entgegen, wenn sich die Feststellung von Anfang an als fehlerhaft erweist oder eine wesentliche Änderung der maßgeblichen Verhältnisse eintritt. Bei anfänglicher Unrichtigkeit kann die Versorgungsverwaltung die Entscheidung über §§ 44 bzw. 45 SGB X korrigieren, bei einer Besserung oder Verschlechterung der anerkannten WDB kann die Entscheidung der Wehrverwaltung mit Wirkung für die Zukunft nach § 48 SGB X aufgehoben bzw. abgeändert werden.
48 
Mit Urteil des Landessozialgerichts (L 6 VS 2615/05) vom 11.03.2011 ist rechtskräftig als weitere Wehrdienstbeschädigungsfolge ein Zustand nach abgelaufener, durch beidseitige Embolektomie und Einbau eines Vena-Cava-Schirms operativ behandelter fulminanter Lungenembolie mit dauerhafter Marcumar-Antikoagulations-Prophylaxe festgestellt und der Bescheid des Beigeladenen vom 06.09.2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.06.2002 insoweit abgeändert worden. Im Übrigen, soweit die Feststellung von Herzrhythmusstörungen und Notwendigkeit eines Herzschrittmachers begehrt wurde und die Gewährung eines Ausgleiches, ist die Berufung jedoch zurückgewiesen worden. Mit Ausführungsbescheid der WBV vom 14.04.2010 ist diese Wehrdienstbeschädigungsfolge anerkannt worden. Darüber hinaus ist dargelegt worden, dass ein Anspruch auf Ausgleich nach § 85 SVG jedoch weiterhin nicht besteht und es bezüglich der übrigen Gesundheitsstörungen bei dem Bescheid vom 06.09.2000 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.06.2002 verbleibt. Nach der Rechtsprechung des Senats (zuletzt Urteil vom 29.04.2014 - L 6 VK 934/12 - juris) hat ein Ausführungsbescheid insoweit einen eigenständigen Regelungscharakter, als er vorliegend das ergangene Urteil richtig umsetzen muss.
49 
Damit ist für die Versorgungsverwaltung bindend festgestellt worden, dass nur die im Verfügungssatz des Urteils des Landessozialgerichts anerkannte WDB vorliegt und keine weitere. Dies steht der Anerkennung der Herzrhythmusstörungen und der Notwendigkeit eines Herzschrittmachers als WDB durch die Beklagte entgegen.
50 
Maßgeblich ist daher, nachdem der anwaltlich vertretene Kläger selbst keine Verschlechterung des Gesundheitszustandes i. S. d. § 48 SGB X geltend macht allein, ob diese Feststellung rechtmäßig ist. Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind, der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Ist ein Verwaltungsakt rechtswidrig, hat der betroffene Bürger im Interesse der materiellen Gerechtigkeit einen einklagbaren Anspruch auf Rücknahme des Verwaltungsaktes unabhängig davon, ob der Verwaltungsakt durch ein rechtskräftiges Urteil bestätigt wurde (BSGE 51, 139, 141; BSG SozR 2200 § 1268 Nr. 29). Dabei muss die Verwaltung entsprechend dem Umfang des Vorbringens des Versicherten in eine erneute Prüfung eintreten und den Antragsteller auf der Grundlage der wirklichen Sach- und Rechtslage bescheiden (BSG, SozR 3-2600 § 243 Nr. 8; BSG SozR 2200 § 1268 Nr. 29). Ob bei Erlass des Bescheides von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen worden ist, beurteilt sich im Vergleich der Sachlage, wie sie dem zu überprüfenden Verwaltungsakt zu Grunde gelegt worden ist und wie sie sich bei Erlass des Verwaltungsaktes bei nachträglicher Betrachtung im Zeitpunkt der Überprüfung rückschauend tatsächlich darstellt. Mithin kommt es nicht auf den Erkenntnisstand bei Erlass, sondern bei Überprüfung an, die Rechtswidrigkeit beurteilt sich also nach der damaligen Sach- und Rechtslage aus heutiger Sicht (BSGE 57, 209; 90, 136). Dies gilt auch dann, wenn z. B. die richtige medizinische Beurteilung erst später möglich geworden ist. Nach Unanfechtbarkeit des zu überprüfenden Verwaltungsaktes liegt allerdings die objektive Beweislast für Tatsachen, aus denen sich eine Unrichtigkeit des Verwaltungsaktes wegen fehlerhafter Sachverhaltsannahme ergeben kann, bei dem Adressaten des Verwaltungsaktes (st. Rspr. BSG SozR 5870 § 2 Nr. 44). Hinsichtlich des Beweismaßstabs gelten die Kriterien, die auch zum Zeitpunkt der zu überprüfenden Entscheidung maßgeblich waren (BSG SozR 3-1300 § 48 Nr. 67). Genügte dort, dass eine Tatsache lediglich wahrscheinlich war, ein Vollbeweis aber nicht gefordert wurde, besteht auch im Rahmen der Überprüfung bei Wahrscheinlichkeit des maßgeblichen Sachverhalts ein Anspruch auf den Zugunstenbescheid (BSG, SGb 1998, 582).
51 
Danach liegen die Voraussetzungen für eine Rücknahme der Entscheidung nicht vor. Der Kläger hat nichts vorgetragen, was Anlass geben könnte, an eine abweichende Entscheidung zu denken. Insbesondere hat der Kläger keinerlei neue Angaben gemacht bzw. Unterlagen vorgelegt, die nunmehr ausreichend Anhaltspunkte dafür liefern, dass doch die Herzrhythmusstörungen wahrscheinlich Folge der Lungenembolie sind. Vielmehr hat er nur auf bereits im Verfahren L 6 VS 2615/05 Gewürdigtes hingewiesen. Daher wird weiterhin der Sachverhalt vom Senat als ausreichend aufgeklärt erachtet und weitere Ermittlungen nicht als erforderlich angesehen. Im Urteil des Landessozialgerichts vom 11.03.2010 ist die Entscheidung, dass nicht auch die im Januar 2008 diagnostizierten Herzrhythmusstörungen und die hiermit verbundene Notwendigkeit eines Herzschrittmachers eine WDB ist, auf die Ausführungen in dem Gutachten und der ergänzenden Stellungnahme von Prof. Dr. G. gestützt worden, die vom Senat weiterhin als schlüssig und überzeugend bewertet werden. Diesen Ausführungen hat der Kläger auch in vorliegendem Verfahren keine stichhaltigen, sie widerlegenden Argumente, gegenübergestellt. Auch wenn im Recht der Soldatenversorgung die Rechtslage auf der Grundlage von Wahrscheinlichkeitsbeurteilungen durch einen Verwaltungsakt geregelt wird, kann er nur zurück genommen werden, wenn er nach allgemeinen Beweisregeln rechtswidrig ist. Eine Aufhebung scheidet daher aus, solange und soweit die Möglichkeit der Rechtmäßigkeit besteht (vgl. Lilienfeld in Knickrehm, Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, § 88 SVG Rn. 15). Eine Rücknahme nach § 44 SGB X setzt somit die nachgewiesene Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes voraus. Dies ist vorliegend nicht gegeben.
52 
Bei dem Kläger ist erstmals bei der akuten beidseitigen Lungenembolie am 25.12.1996 im Rahmen der durchgeführten Embolektomie ein Vorhofflattern aufgetreten, wobei es sich um eine Kammertachykardie handelte, die er bei erneuter Verschlechterung des Allgemeinbefindens bemerkte. Prof. Dr. G. hat hierzu dargelegt, dass eine akute Lungenembolie zwar häufig Arrhythmien auslösen kann. Auch spielen Erkrankungen, die zu einer Rechtsherzbelastung führen, wie rezidivierende Lungenembolien, nach seinen Ausführungen eine besonders wichtige Rolle bei der Entstehung von Vorhofflattern, weshalb eine Herzrhythmusstörung, insbesondere das Vorhofflattern, eher Folge einer Lungenembolie ist, als Ursache einer Embolie. In den Zeiträumen zwischen 1994 und 1996 und insbesondere 1996 und 2008 liegen jedoch bei dem Kläger keinerlei Hinweise auf Rhythmusstörungen vor. Weder hat der Kläger Angaben über klinische Hinweise gemacht, obwohl er sowohl 1996, wie auch 2008 im Rahmen des Vorhofflatterns symptomatisch gewesen ist, weshalb nicht von einem asymptomatischen und damit nicht erkannten Vorhofflattern ausgegangen werden kann. Noch ergeben sich Hinweise aus den in dieser Zeit durchgeführten Untersuchungen auf Herzrhythmusstörungen. Insbesondere haben mehrere echokardiographische Kontrollen keine chronischen Rechtsherzbelastungszeichen mit einer Dilatation der Vorhöfe gezeigt, die eine atriale Rhythmusstörung begünstigen. Hieraus folgt, dass ein eindeutiger Zusammenhang zwischen der Lungenembolie 1996 und dem Auftreten des Vorhofflatterns 2008 nicht belegt werden kann. Die Ursache des erneut aufgetretenen Vorhofflatterns ist vielmehr unklar. Nachdem die Häufigkeit der Herzrhythmusstörungen wie Vorhofflimmern und Vorhofflattern insgesamt mit dem Lebensalter zunimmt, ist die Schlussfolgerung von Prof. Dr. G., dass eine durch die Lungenembolie mit nachfolgender Embolektomie verursachte Herzrhythmusstörung zwar möglich, jedoch nach 12-jähriger Latenz nicht wahrscheinlich ist, sondern mehr dagegen als dafür spricht, überzeugend. Es spricht vielmehr, wie Prof. Dr. G. angibt, mehr für eine Prädisposition des Klägers zum Vorhofflattern.
53 
Wie im Urteil des Landessozialgerichts vom 11.03.2010 überzeugend ausgeführt worden ist, rechtfertigt die anerkannte WDB keinen GdS von mindestens 25. Der Kläger hat auch nunmehr keinerlei Befunde mitgeteilt, die einen GdS von 30 rechtfertigen. Daher liegen auch keine Gründe vor, nach denen die Ablehnung der Gewährung eines Ausgleichs nach § 85 SVG rechtswidrig gewesen ist und ein Anspruch auf Gewährung einer Grundrente nach § 80 SVG besteht.
54 
Bei der Begutachtung durch Dr. S. ergab die pulmonale Auskultation einen unauffälligen Befund, ebenfalls lag kardial ein unauffälliger Befund vor. Es zeigte sich nur eine leichte Gasaustauschstörung bei normaler Belastbarkeit. Die Spiroergometrie zeigte eine normale Belastbarkeit bis 200 Watt mit maximaler Sauerstoffaufnahme im Normbereich (97 % des Sollwertes). Daraus folgt, wie von Dr. S. angegeben, dass keine relevanten kardiopulmonalen Einschränkungen bestanden und damit keine Funktionsbeeinträchtigungen, die die Feststellung eines GdS rechtfertigen. Prof. Dr. G. hat in seinem Gutachten ausgeführt, dass der Kläger in seinem Alltag in Ruhe normal belastbar ist und nur bei mittelschwerer bis schwerer Belastung bzw. bei mittelschwerer körperlicher Arbeit eine Dyspnoe hat und die Arbeit unterbrechen muss. Der Kläger hatte angegeben, er spiele regelmäßig Tennis, müsse aber regelmäßig Pausen machen. Eine Dyspnoe oder thorakale Schmerzen oder Palpitationen wurden jedoch verneint. Daraus folgt, dass bei dem damals bereits 68-jährigem Kläger keinesfalls einen GdS von 20 rechtfertigende Funktionsbeeinträchtigungen aufgrund der anerkannten WDB vorgelegen haben. Nach den VG, Teil B, Nr. 8.3 bzw. 9.1.1 ist ein GdS von 20 erst gerechtfertigt, wenn eine das gewöhnliche Maß übersteigende Atemnot z.B. bei forschem Gehen [5-6 km/h], mittelschwerer körperlicher Arbeit vorliegt und statische und dynamische Messwerte der Lungenfunktionsprüfung bis zu 1/3 niedriger als die Sollwerte sind und die Blutgaswerte im Normbereich bzw. bei Beschwerden und Auftreten pathologischer Messdaten bei Ergometerbelastung mit 75 Watt (wenigstens 2 Minuten). Der Kläger war jedoch bis 200 Watt belastbar und hat dort nach 2 Minuten wegen muskulärer Erschöpfung aufgehört und hat von regelmäßigem Tennisspielen berichtet.
55 
Wie bereits in dem Urteil des Landessozialgerichts vom 11.03.2010 ausgeführt worden ist, ist zwar nach den VG, Teil B, Nr. 9.1.2 bei Herzklappenprothesen der GdS nicht niedriger als 30 zu bewerten, wobei dieser Wert eine Dauerbehandlung mit Antikoagulantien einschließt. Der eingebrachte Vena-Cava-Schirm ist jedoch keinesfalls mit dem Vorliegen einer Herzklappenprothese vergleichbar und allein eine Dauerbehandlung mit Antikoagulatien rechtfertigt danach nicht die Feststellung eines GdS von 30. Vielmehr ist nach operativen und anderen therapeutischen Eingriffen am Herzen der GdS von der bleibenden Leistungsbeeinträchtigung abhängig, die vorliegend gerade nicht gegeben ist.
56 
Nachdem der Kläger keinerlei Angaben gemacht und Nachweise erbracht hat, dass seine Leistungsfähigkeit entgegen diesen Befunden deutlich reduziert ist, ist das Vorliegen eines GdS von mindestens 25 aufgrund der anerkannten WDB nicht nachgewiesen. Soweit der Kläger auf die Feststellung eines GdB von 30 aufgrund der Gesundheitsbeeinträchtigungen der anerkannten WDB hinweist und daraus einen Anspruch auf Gewährung einer Grundrente nach einem GdS von mindestens 30 herleiten möchte, besteht eine Bindungswirkung infolge der Feststellung des GdB, vergleichbar der Bindungswirkung nach § 88 Abs. 3 SVG, aber gerade nicht.
57 
Vielmehr ist nach § 69 Abs. 2 Satz 1 SGB IX eine Feststellung der Behinderung nach dem SGB IX nicht zu treffen, wenn eine Feststellung über das Vorliegen einer Behinderung und den Grad einer auf ihr beruhenden Erwerbsminderung schon in einem Rentenbescheid, einer entsprechenden Verwaltungs- oder Gerichtsentscheidung oder einer vorläufigen Bescheinigung der für diese Entscheidungen zuständigen Dienststellen getroffen worden ist und der behinderte Mensch kein Interesse an anderweitiger Feststellung nach Absatz 1 glaubhaft macht. Eine entsprechende (umgekehrte) Regelung einer Übernahme der Feststellungen nach dem SGB IX gibt es jedoch nicht. Die Feststellung eines GdB durch die Versorgungsverwaltung hat daher für die Feststellung der Höhe der MdE bzw. des GdS nach dem BVG/SVG oder dem Unfallversicherungsrecht - anders als umgekehrt - keine bindende Wirkung bei der Entscheidung über die Höhe (vgl. BSG, Beschluss vom 11.10.2006 - B 9a SB 1/06 BH). Nachdem im Rahmen der Beschädigtenversorgung bzw. der Unfallversicherung jeweils noch weitere zusätzliche Feststellungen zu treffen sind, da mit der Feststellung nach dem SGB IX nicht geprüft wird, ob Gesundheitsstörungen als Unfall- / Schädigungs-Folge anzuerkennen sind und nur der Gesamt-GdB im Verfügungssatz festgestellt wird, liegt keine § 69 Abs. 2 SGB IX vergleichbare Konstellation vor. Denn auch § 69 Abs. 2 SGB IX lässt nicht einen nur teilweisen (partiellen) Verzicht auf eigenständige Feststellungen der Versorgungsbehörden nach Abs. 1 der Vorschrift zu. Eine anderweitige Feststellung im Sinne von § 69 Abs. 2 SGB IX ist vielmehr nur dann maßgebend, wenn sie eine Feststellung nach Abs. 1 SGB IX gänzlich erübrigt und damit an deren Stelle treten kann (vgl. BSG, Urteil vom 05.07.2007 - B 9/9a SB 12/06 R - SozR 4-3250 § 69 Nr. 4). Die Regelung des § 69 Abs. 2 SGB IX ist daher nicht analogiefähig bzw. umkehrbar (vgl. Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 18.05.2010 - L 15 SB 19/07 - juris).
58 
Ergänzend weist der Senat noch darauf hin, dass der Kläger auch keine Verschlimmerung der anerkannten WDB geltend gemacht hat. Vielmehr hat er nur ausgeführt, dass der Zustand nicht besser geworden ist. Wie sich aus der Stellungnahme von Dr. S. vom 14.02.2013 im Rahmen der Überprüfung des GdB ergibt, war der Kläger seit Januar 2010 nicht mehr in Behandlung und ihr liegt kein Befund eines Lungenfacharztes vor. Damit liegen auch nicht die Voraussetzungen nach § 48 SGB X vor.
59 
Die Berufung war nach alledem zurückzuweisen.
60 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
61 
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.

Gründe

 
39 
Die gemäß §§ 143 und 144 SGG statthafte sowie nach § 151 SGG form- und fristgerecht erhobene und auch im Übrigen zulässige Berufung ist unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten.
40 
Der am 12. Dezember 2014 gestellte Antrag auf erneute Anhörung von Prof. Dr. G. zu der Zusammenhangsfrage der Lungenembolie mit dem Zustand nach Vorhofflattern mit Schrittmacherimplantation war abzulehnen. Der Sachverständige hat sich hierzu bereits in seinem Gutachten vom 27.10.2009 eindeutig und zwar in negativem Sinne für den Kläger geäußert und ist auch bei seiner weiteren schriftlichen Stellungnahme vom 04.03.2010 in Würdigung der klägerischen Vorbehalte bei seiner Einschätzung verblieben. Einen weiteren Aufklärungsbedarf hat der Kläger selbst nicht deutlich gemacht, den Beweisantrag vielmehr allein darauf gestützt, dass Prof. Dr. G. als damals behandelnder Arzt mündlich eine andere Auffassung vertreten haben soll. Das mag durchaus der Fall gewesen sein, das Gutachten hat er dann aber in Kenntnis sämtlicher ärztlichen Befunde erstatten können, die ihm als behandelnder Arzt nicht vorgelegen haben und erst eine saubere Beurteilung des Zusammenhangs ermöglichen, nämlich dass von einer Prädisposition zum Vorhofflattern ausgegangen werden muss, da in den Zwischenjahren nach der Lungenembolie keine Rhythmusstörung beschrieben wurde (dazu unten). Im Übrigen entspricht es dem Beweisrecht, dass das Gericht nicht verpflichtet ist, einem Beweisantrag beliebig oft nachzukommen (BSG, Urteil vom 15.04.1991 - 5 RJ 32/90 - juris; Urteil des Senats vom 27.03.2014 - L 6 U 4001/13 - juris).
41 
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Beschädigtengrundrente nach §§ 80, 81 SVG i.V.m. §§ 30, 31 BVG.
42 
Gemäß § 80 Abs. 1 Satz 1 SVG erhält ein Soldat, der eine WDB erlitten hat, nach Beendigung des Wehrdienstverhältnisses wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der WDB auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG, soweit im SVG nichts Abweichendes bestimmt ist. Nach § 88 Abs. 1 SVG sind hierfür die Versorgungsbehörden zuständig. Nach § 81 Abs. 1 SVG ist WDB eine gesundheitliche Schädigung, die durch eine Wehrdienstverrichtung, durch einen während der Ausübung des Wehrdienstes erlittenen Unfall oder durch die dem Wehrdienst eigentümlichen Verhältnisse herbeigeführt worden ist. Nach § 30 Abs. 1 BVG ist der GdS (bis zum Inkrafttreten des BVGÄndG vom 13.12.2007 [BGBl. I S. 2904] am 21.12.2007 MdE) nach den allgemeinen Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen, die durch die als Schädigungsfolge anerkannten körperlichen, geistigen, seelischen Gesundheitsstörungen bedingt sind, in allen Lebensbereichen zu beurteilen (Satz 1 der Vorschrift). Nachdem für die Beurteilung der MdE und des GdS dieselben Grundsätze gelten, wird im Folgenden allein auf die Beurteilung des GdS Bezug genommen. Der GdS ist nach Zehnergraden von 10 bis 100 zu bemessen; ein bis zu fünf Grad geringerer GdS wird vom höheren Zehnergrad mit umfasst (Satz 2 der Vorschrift). Beschädigte erhalten gemäß § 31 Abs. 1 BVG eine monatliche Grundrente ab einem GdS von 30. Liegt der GdS unter 25 besteht kein Anspruch auf eine Rentenentschädigung.
43 
Der Senat orientiert sich bei der Beurteilung von MdE und GdS für die Zeit bis zum 31.12.2008 an den im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung als antizipierte Sachverständigengutachten angewandten (BSG, Urteil vom 23.06.1993 - 9/9a RVs 1/91 - BSGE 72, 285; BSG, Urteil vom 09.04.1997 - 9 RVs 4/95 - SozR 3-3870 § 4 Nr. 19; BSG, Urteil vom 18.09.2003 - B 9 SB 3/02 R - BSGE 190, 205; BSG, Urteil vom 29.08.1990 - 9a/9 RVs 7/89 - BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 1) „Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2 SGB IX)“ (AHP) in der jeweils geltenden Fassung, die gemäß § 30 Abs. 16 BVG (bis 30.06.2011 § 30 Abs. 17 BVG) für die Zeit ab dem 01.01.2009 durch die in der Anlage zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, des § 30 Abs. 1 und des § 35 Abs. 1 BVG - Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) - vom 10.12.2008 (BGBl. I Seite 2412) festgelegten Versorgungsmedizinischen Grundsätze (VG) abgelöst worden sind. Hinsichtlich der vorliegend einschlägigen Funktionsbeeinträchtigungen enthalten die VG gegenüber den AHP keine inhaltlichen Änderungen, sodass im Folgenden lediglich die Ziffern der VG angegeben werden.
44 
Wie in allen Zweigen des sozialen Entschädigungsrechts müssen auch im Recht der Soldatenversorgung die anspruchsbegründenden Tatsachen nachgewiesen, d. h. ohne vernünftige Zweifel oder mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bewiesen sein (st. Rspr. BSG, so zum Opferentschädigungsgesetz - OEG -: BSG SozR 1500 § 128 Nr. 34 m. w. N.; SozR 1500 § 128 Nr. 35; zur Kriegsopferversorgung BSG SozR 3-3100 § 1 Nr. 18; zum SVG: BSG SozR 3-3200 § 81 Nr. 16; SozR 3-3200 § 81 Nr. 6; zum Impfschadensrecht: BSG SozR 3850 § 51 Nr. 9 und § 52 Nr. 1), soweit nichts anderes bestimmt ist. Für Ansprüche nach §§ 80, 81 SVG bedeutet dies, dass sich - mit dem jeweils maßgeblichen Beweisgrad - zumindest drei Tatsachenkomplexe oder Glieder der Kausal-(Ursachen)kette sowie zwei dazwischenliegende Kausalzusammenhänge feststellen lassen müssen (vgl. Wilke/Fehl, Soziales Entschädigungsrecht, 7. Aufl 1992, § 1 BVG Rdnrn. 56 und 61; Rohr/Strässer, Bundesversorgungsrecht mit Verfahrensrecht, Stand: Februar 2013, § 1 BVG Anm 8 ff, § 1 -52 ff). Der erste Komplex ist die geschützte Tätigkeit, hier also die Wehrdienstverrichtung oder die Ausübung einer gleichgestellten Tätigkeit. Infolge dieser Verrichtung muss ein schädigendes Ereignis eine gesundheitliche Schädigung hervorgerufen haben. Aufgrund dieser Schädigung muss es dann zu der in MdE/GdS-Graden zu bewertenden Schädigungsfolge gekommen sein. Das "schädigende Ereignis" wird üblicherweise als weiteres selbständiges Glied der Kausalkette zwischen geschützter Tätigkeit und Primärschaden angesehen (BSG SozR 3-3200 § 81 Nr. 16 m. w. N.). Auch dieses bedarf grundsätzlich des Vollbeweises. Dagegen genügt für die Feststellung des Ursachenzusammenhangs, jedenfalls desjenigen zwischen Schädigung und Schädigungsfolge (sog "haftungsausfüllende Kausalität") der Beweisgrad der Wahrscheinlichkeit (§ 81 Abs. 6 Satz 1 SVG).
45 
Bei dem einem Soldaten während des Dienstverhältnisses zustehenden Anspruch auf Ausgleich gegenüber der WBV nach § 85 SVG und dem Versorgungsanspruch für die Zeit nach seinem Ausscheiden aus dem Dienstverhältnis gegenüber dem Beklagten nach § 80 SVG handelt es sich grundsätzlich um zwei zeitlich getrennte und konstruktiv selbständig nebeneinander stehende Ansprüche. In § 88 Abs. 3 Satz 1 SVG ist allerdings angeordnet, dass eine bekannt gegebene Entscheidung einer Behörde der Bundeswehrverwaltung sowie die rechtskräftige Entscheidung eines Gerichts der Sozialgerichtsbarkeit in Ausgleichsverfahren über eine WDB und den ursächlichen Zusammenhang einer Gesundheitsstörung unter anderem mit einem Tatbestand des § 81 SVG für die Behörde der jeweils anderen Verwaltung verbindlich sind. Diese Verbindlichkeit erstreckt sich auch auf den einer Ausgleichsleistung zugrunde liegenden GdS. Führt eine durch rechtskräftiges Urteil verurteilte Verwaltungsbehörde das Urteil durch einen Bescheid entsprechend dem Urteilstenor unter selbständiger Festsetzung des GdS und der daraus folgenden Leistung aus, besteht die Bindungswirkung durch den Ausführungsbescheid (BSG, Urteil vom 02.07.1997 - 9 RV 21/95 - juris). Für die Bindungswirkung der Entscheidungen der WBV ist es gleichgültig, ob die Erstentscheidung noch während der Dienstzeit des Soldaten oder erst danach getroffen wird. Aus dem Wortlaut des § 88 Abs. 2 SVG folgt, dass die WBV derartige Entscheidungen auch noch nach dem Ausscheiden des Soldaten aus dem Wehrdienst treffen kann (BSG, Urteil vom 28.06.2000 - B 9 VS 1/99 R - juris).
46 
Der Gesetzgeber wollte mit der Bindungswirkung im Sinne von § 88 Abs. 3 SVG den Verwaltungsaufwand im Übergang von einer Leistung auf die andere (vom Ausgleich zur Versorgung) und von einem Leistungsträger auf den anderen (Bundeswehrverwaltung und Versorgungsverwaltung) beschränken. Bei diesen Ansprüchen, die einerseits zwar zeitlich voneinander getrennt und konstruktiv selbständig nebeneinander stehen, die andererseits jedoch beide auf ein und derselben gesundheitlichen Schädigung durch einen Unfall während der Ausübung des Wehrdienstes oder die dem Wehrdienst eigentümlichen Verhältnisse im Sinne von § 81 Abs. 1 SVG gründen, sollten doppelte Prüfungen vermieden werden (vgl. auch BT-Drs. 8/3750 S. 23 und 8/4030 S. 25). Ziel ist es, der Gefahr von in wesentlichen Punkten voneinander abweichenden Entscheidungen entgegenzuwirken und vor allem eine Schlechterstellung von Soldaten nach dem Ausscheiden aus dem Dienst der Bundeswehr gegenüber Kriegsbeschädigten und sonstigen Versorgungsberechtigten zu verhindern, deren Anspruch sich nur gegen einen Leistungsträger richtet. Zweck der Regelung ist es mithin, in der Übergangssituation zwischen Ausgleich und Versorgung durch Bindung - in erster Linie der Versorgungsverwaltung - die weitere Versorgung des aus dem Dienst der Bundeswehr ausgeschiedenen Soldaten sicherzustellen (BSG, Urteil vom 25.03.2004 - B 9 VS 2/01 R -, juris).
47 
Allerdings besteht die Bindung der Versorgungsverwaltung an die Entscheidung der Wehrverwaltung nicht unbeschränkt. Nach § 88 Abs. 3 Sätze 2 und 3 SVG steht die Bindungswirkung einer anderweitigen Entscheidung der Versorgungsämter nicht entgegen, wenn sich die Feststellung von Anfang an als fehlerhaft erweist oder eine wesentliche Änderung der maßgeblichen Verhältnisse eintritt. Bei anfänglicher Unrichtigkeit kann die Versorgungsverwaltung die Entscheidung über §§ 44 bzw. 45 SGB X korrigieren, bei einer Besserung oder Verschlechterung der anerkannten WDB kann die Entscheidung der Wehrverwaltung mit Wirkung für die Zukunft nach § 48 SGB X aufgehoben bzw. abgeändert werden.
48 
Mit Urteil des Landessozialgerichts (L 6 VS 2615/05) vom 11.03.2011 ist rechtskräftig als weitere Wehrdienstbeschädigungsfolge ein Zustand nach abgelaufener, durch beidseitige Embolektomie und Einbau eines Vena-Cava-Schirms operativ behandelter fulminanter Lungenembolie mit dauerhafter Marcumar-Antikoagulations-Prophylaxe festgestellt und der Bescheid des Beigeladenen vom 06.09.2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.06.2002 insoweit abgeändert worden. Im Übrigen, soweit die Feststellung von Herzrhythmusstörungen und Notwendigkeit eines Herzschrittmachers begehrt wurde und die Gewährung eines Ausgleiches, ist die Berufung jedoch zurückgewiesen worden. Mit Ausführungsbescheid der WBV vom 14.04.2010 ist diese Wehrdienstbeschädigungsfolge anerkannt worden. Darüber hinaus ist dargelegt worden, dass ein Anspruch auf Ausgleich nach § 85 SVG jedoch weiterhin nicht besteht und es bezüglich der übrigen Gesundheitsstörungen bei dem Bescheid vom 06.09.2000 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.06.2002 verbleibt. Nach der Rechtsprechung des Senats (zuletzt Urteil vom 29.04.2014 - L 6 VK 934/12 - juris) hat ein Ausführungsbescheid insoweit einen eigenständigen Regelungscharakter, als er vorliegend das ergangene Urteil richtig umsetzen muss.
49 
Damit ist für die Versorgungsverwaltung bindend festgestellt worden, dass nur die im Verfügungssatz des Urteils des Landessozialgerichts anerkannte WDB vorliegt und keine weitere. Dies steht der Anerkennung der Herzrhythmusstörungen und der Notwendigkeit eines Herzschrittmachers als WDB durch die Beklagte entgegen.
50 
Maßgeblich ist daher, nachdem der anwaltlich vertretene Kläger selbst keine Verschlechterung des Gesundheitszustandes i. S. d. § 48 SGB X geltend macht allein, ob diese Feststellung rechtmäßig ist. Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind, der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Ist ein Verwaltungsakt rechtswidrig, hat der betroffene Bürger im Interesse der materiellen Gerechtigkeit einen einklagbaren Anspruch auf Rücknahme des Verwaltungsaktes unabhängig davon, ob der Verwaltungsakt durch ein rechtskräftiges Urteil bestätigt wurde (BSGE 51, 139, 141; BSG SozR 2200 § 1268 Nr. 29). Dabei muss die Verwaltung entsprechend dem Umfang des Vorbringens des Versicherten in eine erneute Prüfung eintreten und den Antragsteller auf der Grundlage der wirklichen Sach- und Rechtslage bescheiden (BSG, SozR 3-2600 § 243 Nr. 8; BSG SozR 2200 § 1268 Nr. 29). Ob bei Erlass des Bescheides von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen worden ist, beurteilt sich im Vergleich der Sachlage, wie sie dem zu überprüfenden Verwaltungsakt zu Grunde gelegt worden ist und wie sie sich bei Erlass des Verwaltungsaktes bei nachträglicher Betrachtung im Zeitpunkt der Überprüfung rückschauend tatsächlich darstellt. Mithin kommt es nicht auf den Erkenntnisstand bei Erlass, sondern bei Überprüfung an, die Rechtswidrigkeit beurteilt sich also nach der damaligen Sach- und Rechtslage aus heutiger Sicht (BSGE 57, 209; 90, 136). Dies gilt auch dann, wenn z. B. die richtige medizinische Beurteilung erst später möglich geworden ist. Nach Unanfechtbarkeit des zu überprüfenden Verwaltungsaktes liegt allerdings die objektive Beweislast für Tatsachen, aus denen sich eine Unrichtigkeit des Verwaltungsaktes wegen fehlerhafter Sachverhaltsannahme ergeben kann, bei dem Adressaten des Verwaltungsaktes (st. Rspr. BSG SozR 5870 § 2 Nr. 44). Hinsichtlich des Beweismaßstabs gelten die Kriterien, die auch zum Zeitpunkt der zu überprüfenden Entscheidung maßgeblich waren (BSG SozR 3-1300 § 48 Nr. 67). Genügte dort, dass eine Tatsache lediglich wahrscheinlich war, ein Vollbeweis aber nicht gefordert wurde, besteht auch im Rahmen der Überprüfung bei Wahrscheinlichkeit des maßgeblichen Sachverhalts ein Anspruch auf den Zugunstenbescheid (BSG, SGb 1998, 582).
51 
Danach liegen die Voraussetzungen für eine Rücknahme der Entscheidung nicht vor. Der Kläger hat nichts vorgetragen, was Anlass geben könnte, an eine abweichende Entscheidung zu denken. Insbesondere hat der Kläger keinerlei neue Angaben gemacht bzw. Unterlagen vorgelegt, die nunmehr ausreichend Anhaltspunkte dafür liefern, dass doch die Herzrhythmusstörungen wahrscheinlich Folge der Lungenembolie sind. Vielmehr hat er nur auf bereits im Verfahren L 6 VS 2615/05 Gewürdigtes hingewiesen. Daher wird weiterhin der Sachverhalt vom Senat als ausreichend aufgeklärt erachtet und weitere Ermittlungen nicht als erforderlich angesehen. Im Urteil des Landessozialgerichts vom 11.03.2010 ist die Entscheidung, dass nicht auch die im Januar 2008 diagnostizierten Herzrhythmusstörungen und die hiermit verbundene Notwendigkeit eines Herzschrittmachers eine WDB ist, auf die Ausführungen in dem Gutachten und der ergänzenden Stellungnahme von Prof. Dr. G. gestützt worden, die vom Senat weiterhin als schlüssig und überzeugend bewertet werden. Diesen Ausführungen hat der Kläger auch in vorliegendem Verfahren keine stichhaltigen, sie widerlegenden Argumente, gegenübergestellt. Auch wenn im Recht der Soldatenversorgung die Rechtslage auf der Grundlage von Wahrscheinlichkeitsbeurteilungen durch einen Verwaltungsakt geregelt wird, kann er nur zurück genommen werden, wenn er nach allgemeinen Beweisregeln rechtswidrig ist. Eine Aufhebung scheidet daher aus, solange und soweit die Möglichkeit der Rechtmäßigkeit besteht (vgl. Lilienfeld in Knickrehm, Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, § 88 SVG Rn. 15). Eine Rücknahme nach § 44 SGB X setzt somit die nachgewiesene Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes voraus. Dies ist vorliegend nicht gegeben.
52 
Bei dem Kläger ist erstmals bei der akuten beidseitigen Lungenembolie am 25.12.1996 im Rahmen der durchgeführten Embolektomie ein Vorhofflattern aufgetreten, wobei es sich um eine Kammertachykardie handelte, die er bei erneuter Verschlechterung des Allgemeinbefindens bemerkte. Prof. Dr. G. hat hierzu dargelegt, dass eine akute Lungenembolie zwar häufig Arrhythmien auslösen kann. Auch spielen Erkrankungen, die zu einer Rechtsherzbelastung führen, wie rezidivierende Lungenembolien, nach seinen Ausführungen eine besonders wichtige Rolle bei der Entstehung von Vorhofflattern, weshalb eine Herzrhythmusstörung, insbesondere das Vorhofflattern, eher Folge einer Lungenembolie ist, als Ursache einer Embolie. In den Zeiträumen zwischen 1994 und 1996 und insbesondere 1996 und 2008 liegen jedoch bei dem Kläger keinerlei Hinweise auf Rhythmusstörungen vor. Weder hat der Kläger Angaben über klinische Hinweise gemacht, obwohl er sowohl 1996, wie auch 2008 im Rahmen des Vorhofflatterns symptomatisch gewesen ist, weshalb nicht von einem asymptomatischen und damit nicht erkannten Vorhofflattern ausgegangen werden kann. Noch ergeben sich Hinweise aus den in dieser Zeit durchgeführten Untersuchungen auf Herzrhythmusstörungen. Insbesondere haben mehrere echokardiographische Kontrollen keine chronischen Rechtsherzbelastungszeichen mit einer Dilatation der Vorhöfe gezeigt, die eine atriale Rhythmusstörung begünstigen. Hieraus folgt, dass ein eindeutiger Zusammenhang zwischen der Lungenembolie 1996 und dem Auftreten des Vorhofflatterns 2008 nicht belegt werden kann. Die Ursache des erneut aufgetretenen Vorhofflatterns ist vielmehr unklar. Nachdem die Häufigkeit der Herzrhythmusstörungen wie Vorhofflimmern und Vorhofflattern insgesamt mit dem Lebensalter zunimmt, ist die Schlussfolgerung von Prof. Dr. G., dass eine durch die Lungenembolie mit nachfolgender Embolektomie verursachte Herzrhythmusstörung zwar möglich, jedoch nach 12-jähriger Latenz nicht wahrscheinlich ist, sondern mehr dagegen als dafür spricht, überzeugend. Es spricht vielmehr, wie Prof. Dr. G. angibt, mehr für eine Prädisposition des Klägers zum Vorhofflattern.
53 
Wie im Urteil des Landessozialgerichts vom 11.03.2010 überzeugend ausgeführt worden ist, rechtfertigt die anerkannte WDB keinen GdS von mindestens 25. Der Kläger hat auch nunmehr keinerlei Befunde mitgeteilt, die einen GdS von 30 rechtfertigen. Daher liegen auch keine Gründe vor, nach denen die Ablehnung der Gewährung eines Ausgleichs nach § 85 SVG rechtswidrig gewesen ist und ein Anspruch auf Gewährung einer Grundrente nach § 80 SVG besteht.
54 
Bei der Begutachtung durch Dr. S. ergab die pulmonale Auskultation einen unauffälligen Befund, ebenfalls lag kardial ein unauffälliger Befund vor. Es zeigte sich nur eine leichte Gasaustauschstörung bei normaler Belastbarkeit. Die Spiroergometrie zeigte eine normale Belastbarkeit bis 200 Watt mit maximaler Sauerstoffaufnahme im Normbereich (97 % des Sollwertes). Daraus folgt, wie von Dr. S. angegeben, dass keine relevanten kardiopulmonalen Einschränkungen bestanden und damit keine Funktionsbeeinträchtigungen, die die Feststellung eines GdS rechtfertigen. Prof. Dr. G. hat in seinem Gutachten ausgeführt, dass der Kläger in seinem Alltag in Ruhe normal belastbar ist und nur bei mittelschwerer bis schwerer Belastung bzw. bei mittelschwerer körperlicher Arbeit eine Dyspnoe hat und die Arbeit unterbrechen muss. Der Kläger hatte angegeben, er spiele regelmäßig Tennis, müsse aber regelmäßig Pausen machen. Eine Dyspnoe oder thorakale Schmerzen oder Palpitationen wurden jedoch verneint. Daraus folgt, dass bei dem damals bereits 68-jährigem Kläger keinesfalls einen GdS von 20 rechtfertigende Funktionsbeeinträchtigungen aufgrund der anerkannten WDB vorgelegen haben. Nach den VG, Teil B, Nr. 8.3 bzw. 9.1.1 ist ein GdS von 20 erst gerechtfertigt, wenn eine das gewöhnliche Maß übersteigende Atemnot z.B. bei forschem Gehen [5-6 km/h], mittelschwerer körperlicher Arbeit vorliegt und statische und dynamische Messwerte der Lungenfunktionsprüfung bis zu 1/3 niedriger als die Sollwerte sind und die Blutgaswerte im Normbereich bzw. bei Beschwerden und Auftreten pathologischer Messdaten bei Ergometerbelastung mit 75 Watt (wenigstens 2 Minuten). Der Kläger war jedoch bis 200 Watt belastbar und hat dort nach 2 Minuten wegen muskulärer Erschöpfung aufgehört und hat von regelmäßigem Tennisspielen berichtet.
55 
Wie bereits in dem Urteil des Landessozialgerichts vom 11.03.2010 ausgeführt worden ist, ist zwar nach den VG, Teil B, Nr. 9.1.2 bei Herzklappenprothesen der GdS nicht niedriger als 30 zu bewerten, wobei dieser Wert eine Dauerbehandlung mit Antikoagulantien einschließt. Der eingebrachte Vena-Cava-Schirm ist jedoch keinesfalls mit dem Vorliegen einer Herzklappenprothese vergleichbar und allein eine Dauerbehandlung mit Antikoagulatien rechtfertigt danach nicht die Feststellung eines GdS von 30. Vielmehr ist nach operativen und anderen therapeutischen Eingriffen am Herzen der GdS von der bleibenden Leistungsbeeinträchtigung abhängig, die vorliegend gerade nicht gegeben ist.
56 
Nachdem der Kläger keinerlei Angaben gemacht und Nachweise erbracht hat, dass seine Leistungsfähigkeit entgegen diesen Befunden deutlich reduziert ist, ist das Vorliegen eines GdS von mindestens 25 aufgrund der anerkannten WDB nicht nachgewiesen. Soweit der Kläger auf die Feststellung eines GdB von 30 aufgrund der Gesundheitsbeeinträchtigungen der anerkannten WDB hinweist und daraus einen Anspruch auf Gewährung einer Grundrente nach einem GdS von mindestens 30 herleiten möchte, besteht eine Bindungswirkung infolge der Feststellung des GdB, vergleichbar der Bindungswirkung nach § 88 Abs. 3 SVG, aber gerade nicht.
57 
Vielmehr ist nach § 69 Abs. 2 Satz 1 SGB IX eine Feststellung der Behinderung nach dem SGB IX nicht zu treffen, wenn eine Feststellung über das Vorliegen einer Behinderung und den Grad einer auf ihr beruhenden Erwerbsminderung schon in einem Rentenbescheid, einer entsprechenden Verwaltungs- oder Gerichtsentscheidung oder einer vorläufigen Bescheinigung der für diese Entscheidungen zuständigen Dienststellen getroffen worden ist und der behinderte Mensch kein Interesse an anderweitiger Feststellung nach Absatz 1 glaubhaft macht. Eine entsprechende (umgekehrte) Regelung einer Übernahme der Feststellungen nach dem SGB IX gibt es jedoch nicht. Die Feststellung eines GdB durch die Versorgungsverwaltung hat daher für die Feststellung der Höhe der MdE bzw. des GdS nach dem BVG/SVG oder dem Unfallversicherungsrecht - anders als umgekehrt - keine bindende Wirkung bei der Entscheidung über die Höhe (vgl. BSG, Beschluss vom 11.10.2006 - B 9a SB 1/06 BH). Nachdem im Rahmen der Beschädigtenversorgung bzw. der Unfallversicherung jeweils noch weitere zusätzliche Feststellungen zu treffen sind, da mit der Feststellung nach dem SGB IX nicht geprüft wird, ob Gesundheitsstörungen als Unfall- / Schädigungs-Folge anzuerkennen sind und nur der Gesamt-GdB im Verfügungssatz festgestellt wird, liegt keine § 69 Abs. 2 SGB IX vergleichbare Konstellation vor. Denn auch § 69 Abs. 2 SGB IX lässt nicht einen nur teilweisen (partiellen) Verzicht auf eigenständige Feststellungen der Versorgungsbehörden nach Abs. 1 der Vorschrift zu. Eine anderweitige Feststellung im Sinne von § 69 Abs. 2 SGB IX ist vielmehr nur dann maßgebend, wenn sie eine Feststellung nach Abs. 1 SGB IX gänzlich erübrigt und damit an deren Stelle treten kann (vgl. BSG, Urteil vom 05.07.2007 - B 9/9a SB 12/06 R - SozR 4-3250 § 69 Nr. 4). Die Regelung des § 69 Abs. 2 SGB IX ist daher nicht analogiefähig bzw. umkehrbar (vgl. Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 18.05.2010 - L 15 SB 19/07 - juris).
58 
Ergänzend weist der Senat noch darauf hin, dass der Kläger auch keine Verschlimmerung der anerkannten WDB geltend gemacht hat. Vielmehr hat er nur ausgeführt, dass der Zustand nicht besser geworden ist. Wie sich aus der Stellungnahme von Dr. S. vom 14.02.2013 im Rahmen der Überprüfung des GdB ergibt, war der Kläger seit Januar 2010 nicht mehr in Behandlung und ihr liegt kein Befund eines Lungenfacharztes vor. Damit liegen auch nicht die Voraussetzungen nach § 48 SGB X vor.
59 
Die Berufung war nach alledem zurückzuweisen.
60 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
61 
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 16. Dezember 2011 aufgehoben, soweit es einen Anspruch der Klägerin auf Beschädigtenrente wegen Folgen sexuellen Missbrauchs und körperlicher Misshandlungen im Kindes- und Jugendalter betrifft.

In diesem Umfang wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Im Übrigen wird die Revision der Klägerin zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Beschädigtenrente nach dem Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (OEG) iVm dem Bundesversorgungsgesetz (BVG).

2

Die 1962 geborene Klägerin beantragte am 16.9.1999 beim damals zuständigen Versorgungsamt B. Beschädigtenversorgung nach dem OEG. Sie gab an, ihre Gesundheitsstörungen seien Folge von Gewalttaten und sexuellem Missbrauch im Elternhaus sowie von sexuellem Missbrauch durch einen Fremden. Die Taten hätten sich zwischen ihrem Geburtsjahr 1962 mit abnehmender Tendenz bis 1980 zugetragen.

3

Nachdem das Versorgungsamt die Klägerin angehört, eine Vielzahl von Arztberichten, insbesondere über psychiatrische Behandlungen der Klägerin, sowie eine schriftliche Aussage ihrer Tante eingeholt hatte, stellte die Ärztin für Neurologie und Fachärztin für Psychotherapeutische Medizin Dr. W. mit Gutachten vom 26.9.2001 für das Versorgungsamt zusammenfassend fest, die Untersuchung der Klägerin habe nur in Ansätzen detaillierte Angaben zu den geltend gemachten Misshandlungen und dem sexuellen Missbrauch erbracht. Diagnostisch sei von einer Persönlichkeitsstörung auszugehen. Aufgrund der Symptomatik sei nicht zu entscheiden, ob die psychische Störung der Klägerin ein Milieuschaden im weitesten Sinne sei oder mindestens gleichwertig auf Gewalttaten im Sinne des OEG zurückzuführen sei. Das Versorgungsamt lehnte daraufhin den Antrag der Klägerin auf Beschädigtenversorgung mit der Begründung ab: Die psychische Störung könne nicht als Folge tätlicher Gewalt anerkannt werden. Zwar seien einzelne körperliche Misshandlungen, Schläge und sexueller Missbrauch geschildert worden, insbesondere aber insgesamt zerrüttete Familienverhältnisse. Vor allem diese frühere, allgemeine familiäre Situation sei für die psychischen Probleme verantwortlich (Bescheid vom 15.10.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.5.2002).

4

Das Sozialgericht (SG) Detmold hat die - zunächst gegen das Land Nordrhein-Westfalen (NRW) und ab 1.1.2008 gegen den jetzt beklagten Landschaftsverband gerichtete - Klage nach Anhörung der Klägerin, Vernehmung mehrerer Zeugen und Einholung eines Sachverständigengutachtens der Fachärztin für Neurologie, Psychiatrie, Psychotherapeutische Medizin und Sozialmedizin Dr. S. vom 23.6.2005 sowie eines Zusatzgutachtens der Diplom-Psychologin H. vom 5.4.2005 auf aussagepsychologischem Gebiet durch Urteil vom 29.8.2008 abgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG) NRW hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen (Urteil vom 16.12.2011), nachdem es ua zur Frage der Glaubhaftigkeit der Angaben der Klägerin ein auf Antrag der Klägerin nach § 109 SGG erstattetes Sachverständigengutachten des Facharztes für Psychiatrie, Psychotherapie und Neurologie Sp. vom 25.9.2009 sowie eine ergänzende Stellungnahme der Sachverständigen Dr. S. vom 20.4.2011 beigezogen hatte. Seine Entscheidung hat es im Wesentlichen auf folgende Erwägungen gestützt:

5

Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Gewährung von Versorgung nach § 1 OEG iVm § 31 BVG, weil sich vorsätzliche, rechtswidrige tätliche Angriffe auf die Klägerin, die zur Verursachung der bei ihr bestehenden Gesundheitsschäden geeignet wären, nicht hätten feststellen lassen. Unter Würdigung des Gesamtergebnisses des Verfahrens sei es nicht in einem die volle richterliche Überzeugung begründenden Maß wahrscheinlich, dass die Klägerin in ihrer Kindheit und Jugend Opfer der von ihr behaupteten körperlichen und sexuellen Misshandlungen und damit von Angriffen iS von § 1 Abs 1 S 1 OEG geworden sei. Keiner der durch das SG vernommenen Zeugen habe die von der Klägerin behaupteten anhaltenden und wiederholten Gewalttätigkeiten durch ihren Vater und ihre Mutter und erst recht nicht den von ihrem Vater angeblich verübten sexuellen Missbrauch bestätigt. Das LSG folge der Beweiswürdigung des SG, das keine generellen Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Zeugen dargelegt habe. Es habe daher das ihm eingeräumte Ermessen dahingehend ausgeübt, die Zeugen nicht erneut zu vernehmen. Angesichts des langen Zeitablaufs seit der Zeugenvernehmung durch das SG und mangels neuer Erkenntnisse zu den angeschuldigten Ereignissen, die noch wesentlich länger zurücklägen, gehe das LSG davon aus, dass eine erneute Zeugenvernehmung nicht ergiebig gewesen wäre und lediglich die Aussagen aus der ersten Instanz bestätigt hätte. Zudem hätten die Mutter der Klägerin sowie einer ihrer Brüder gegenüber dem LSG schriftlich angekündigt, im Fall einer Vernehmung erneut das Zeugnis aus persönlichen Gründen zu verweigern. Das LSG habe deswegen auf ihre erneute Ladung zur Vernehmung verzichtet.

6

Ebenso wenig habe sich das LSG allein auf der Grundlage der Angaben der Klägerin die volle richterliche Überzeugung vom Vorliegen der Voraussetzungen des § 1 Abs 1 S 1 OEG bilden können, da es ihre Angaben in wesentlichen Teilen nicht als glaubhaft betrachte. Denn sie widersprächen im Kern den Aussagen ihres Vaters und ihres anderen Bruders. Die dadurch begründeten ernstlichen Zweifel am Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen habe die aussagepsychologische Begutachtung der Klägerin durch die vom SG beauftragte Sachverständige H. nicht ausgeräumt, sondern sogar bestärkt. Die vom Sachverständigen Sp. geäußerte Kritik an der aussagepsychologischen Begutachtung überzeuge das LSG nicht. Denn theoretischer Ansatz und methodische Vorgehensweise des vom SG eingeholten aussagepsychologischen Gutachtens entsprächen dem aktuellen Stand der psychologischen Wissenschaft. Das Gutachten stütze sich insoweit zu Recht ausdrücklich auf die in der Leitentscheidung des Bundesgerichtshofes (BGH) in Strafsachen (Urteil vom 30.7.1999 - 1 StR 618/98 - BGHSt 45, 164) dargestellten Grundsätze der aussagepsychologischen Begutachtung für Glaubhaftigkeitsgutachten, wie sie die Strafgerichte seitdem in ständiger Rechtsprechung anwendeten. Diese aussagepsychologischen Grundsätze seien auf den Sozialgerichtsprozess übertragbar. Dabei könne dahinstehen, ob im Strafprozess grundsätzlich andere Beweismaßstäbe gälten als im Sozialgerichtsprozess. Denn die genannten wissenschaftlichen Prinzipien der Glaubhaftigkeitsbegutachtung beanspruchten Allgemeingültigkeit und entsprächen dem aktuellen Stand der psychologischen Wissenschaft. Ihre Anwendung sei der anschließenden Beweiswürdigung, die etwaigen Besonderheiten des jeweiligen Prozessrechts Rechnung tragen könne, vorgelagert und lasse sich davon trennen.

7

Die nach diesen aussagepsychologischen Grundsätzen von der Sachverständigen H. gebildete Alternativhypothese, dass es sich bei den Schilderungen der Klägerin um irrtümliche, dh auf Gedächtnisfehlern beruhende Falschangaben handele, lasse sich nach den überzeugenden Ausführungen der Sachverständigen nicht widerlegen, sondern gut mit den vorliegenden Daten vereinbaren. Hierfür sprächen die großen Erinnerungslücken der Klägerin hinsichtlich ihrer frühen Kindheit, wobei in der aussagepsychologischen Forschung ohnehin umstritten sei, ob es überhaupt aktuell nicht abrufbare, aber trotzdem zuverlässig gespeicherte Erinnerungen an lange zurückliegende Ereignisse gebe. Es könne dahingestellt bleiben, ob sich das Gericht bei der Beurteilung "wiedergefundener" Erinnerungen sachverständiger Hilfe nicht nur bedienen könne, sondern sogar bedienen müsse, obwohl die Beurteilung der Glaubwürdigkeit von Zeugen sowie Beteiligten und der Glaubhaftigkeit ihrer Aussagen grundsätzlich richterliche Aufgabe sei. Die Entscheidung des SG für eine aussagepsychologische Begutachtung sei angesichts der Besonderheiten der Aussageentstehung bei der Klägerin jedenfalls ermessensgerecht. Auf der Grundlage des wissenschaftlichen Kenntnisstands habe die Sachverständige H. darauf hingewiesen, dass die ursprüngliche Wahrnehmung durch die jahrelange psychotherapeutisch unterstützte mentale Auseinandersetzung der Klägerin mit den fraglichen Gewalterlebnissen durch nachträgliche Bewertungen überlagert und damit unzugänglich geworden sein könne. Daher hätten die Angaben der Klägerin, um als erlebnisbegründet angesehen zu werden, wegen der Gefahr einer möglichen Verwechslung von Gedächtnisquellen besonders handlungs- und wahrnehmungsnahe, raum-zeitlich vernetzte Situationsschilderungen enthalten müssen, die konsistent in die berichtete Gesamtdynamik eingebettet und konstant wiedergegeben würden. Diese Qualitätsanforderungen erfüllten die Schilderungen der Klägerin nicht, da sie nicht das erforderliche Maß an Detailreichtum, Konkretheit und Konstanz aufwiesen und nicht ausreichend situativ eingebettet seien.

8

Das Gutachten des Sachverständigen Sp. habe das Ergebnis der aussagepsychologischen Begutachtung nicht entkräften können. Da er weder eine hypothesengeleitete Analyse der Angaben der Klägerin nach den genannten wissenschaftlichen Grundsätzen vorgenommen noch ein Wortprotokoll seiner Exploration habe zur Verfügung stellen können, sei die objektive Überprüfbarkeit seiner Untersuchungsergebnisse stark eingeschränkt. Er habe eingeräumt, als Psychiater die aussagepsychologische Begutachtung nicht überprüfen und bewerten zu können und seinerseits durch seinen klinisch-psychiatrischen Zugang nicht zur Wahrheitsfindung in der Lage zu sein. Schließlich sei der von ihm vorgenommene Rückschluss von psychiatrischen Krankheitsanzeichen der Klägerin, konkret dem Vorliegen einer von ihm festgestellten posttraumatischen Belastungsstörung, auf konkrete schädigende Ereignisse iS des § 1 OEG in der Kindheit der Klägerin wegen der Vielzahl möglicher Ursachen einer Traumatisierung methodisch nicht haltbar.

9

Der abgesenkte Beweismaßstab des § 6 Abs 3 OEG iVm § 15 Gesetz über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOVVfG) komme der Klägerin nicht zugute. Zwar sei diese Regelung analog anzuwenden, wenn andere Beweismittel, wie zB Zeugen, nicht vorhanden seien. Lägen dagegen - wie hier - Beweismittel vor und stützten diese das Begehren des Anspruchstellers nicht, könne die Beweiserleichterung des § 15 KOVVfG nicht angewendet werden, weil diese Norm gerade das Fehlen von Beweismitteln voraussetze. Selbst bei Anwendung des Beweismaßstabs der Glaubhaftigkeit bliebe allerdings die Berufung der Klägerin ohne Erfolg. Denn aufgrund des methodisch einwandfreien und inhaltlich überzeugenden aussagepsychologischen Gutachtens der Sachverständigen H. stehe für das LSG fest, dass die Angaben der Klägerin nicht als ausreichend glaubhaft angesehen werden könnten, weil zu viele Zweifel an der Zuverlässigkeit ihrer Erinnerungen verblieben.

10

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin eine Verletzung des § 15 S 1 KOVVfG, des § 128 Abs 1 S 1 SGG sowie des § 1 Abs 1 OEG. Hierzu führt sie im Wesentlichen aus: Das LSG habe seiner Entscheidung nicht die Regelung des § 15 S 1 KOVVfG zugrunde gelegt und damit den anzulegenden Beweismaßstab verkannt. Richtigerweise hätte es hinsichtlich des von ihr behaupteten sexuellen Missbrauchs der Erbringung des Vollbeweises nicht bedurft; vielmehr wäre insoweit eine Glaubhaftmachung allein aufgrund ihrer Angaben ausreichend gewesen. Denn bezüglich dieses Vorbringens seien - bis auf ihren Vater als möglichen Täter - keine Zeugen vorhanden. Die Möglichkeit, dass sich die von ihr beschriebenen Vorgänge tatsächlich so zugetragen hätten, sei nicht auszuschließen; das Verbleiben gewisser Zweifel schließe die Glaubhaftmachung nicht aus. Dem stehe auch nicht entgegen, dass sie sich erst durch Therapien im Laufe des Verwaltungsverfahrens an die Geschehnisse habe erinnern können.

11

Das LSG habe ferner gegen § 128 Abs 1 S 1 SGG verstoßen, da es ein aussagepsychologisches Gutachten berücksichtigt habe. Ein solches Gutachten habe nicht eingeholt und berücksichtigt werden dürfen, da aussagepsychologische Gutachten in sozialgerichtlichen Entschädigungsprozessen keine geeigneten Mittel der Sachverhaltsfeststellung darstellten. Die Arbeitsweise bei aussagepsychologischen Gutachten lasse sich entgegen der Auffassung des LSG nicht ohne Weiteres auf sozialrechtliche Entschädigungsprozesse übertragen, da diese nicht mit Strafverfahren vergleichbar seien. Denn in Strafverfahren sei die richterliche Überzeugung vom Vorliegen bestimmter Tatsachen in der Weise gefordert, dass ein nach der Lebenserfahrung ausreichendes Maß an Sicherheit bestehe, demgegenüber vernünftige Zweifel nicht laut werden dürften. Das OEG hingegen sehe gemäß § 6 Abs 3 OEG iVm § 15 S 1 KOVVfG einen herabgesetzten Beweismaßstab vor. Ein weiterer Grund, weshalb aussagepsychologische Gutachten in sozialgerichtlichen Entschädigungsprozessen nicht eingeholt werden dürften, sei die darin erfolgende Zugrundelegung der sog Nullhypothese. Diese entspreche im Strafverfahren dem Grundsatz "in dubio pro reo", sodass als Arbeitshypothese von der Unschuld des Angeklagten auszugehen sei; mit sozialgerichtlichen Verfahren sei dies jedoch nicht in Einklang zu bringen. Zudem unterscheide sich die Art der Gutachtenerstattung in den beiden Verfahrensordnungen; in sozialgerichtlichen Verfahren erstatte der Sachverständige das Gutachten aufgrund der Aktenlage und einer Untersuchung der Person, wohingegen der Sachverständige im Strafprozess während der gesamten mündlichen Verhandlung anwesend sei und dadurch weitere Eindrücke von dem Angeklagten gewinne. Schließlich könne eine aussagepsychologische Untersuchung der Aussage eines erwachsenen Zeugen zu kindlichen Traumatisierungen auf keinerlei empirisch gesicherte Datenbasis hinsichtlich der Unterscheidung zwischen auto- oder fremdsuggerierten und erlebnisbasierten Erinnerungen zurückgreifen und sei daher wissenschaftlich nicht sinnvoll.

12

Ein weiterer Verstoß gegen § 128 Abs 1 S 1 SGG liege in einer widersprüchlichen, mitunter nicht nachvollziehbaren und teilweise einseitigen Beweiswürdigung des LSG begründet, womit es die Grenzen der freien richterlichen Beweiswürdigung überschritten habe. Das LSG habe den Aussagen ihres Bruders sowie ihres Vaters ein höheres Gewicht als ihren eigenen Angaben beigemessen und sich nicht kritisch mit den Zeugenaussagen auseinandergesetzt. Es sei einerseits von einer unberechenbaren Aggressivität des Vaters, einer aggressiven Atmosphäre und emotionalen Vernachlässigung in der Familie sowie einigen nachgewiesenen körperlichen Misshandlungen ausgegangen, halte andererseits jedoch ihre Angaben zu den Misshandlungen nicht für glaubhaft. Kaum berücksichtigt habe es zudem die Aussage ihrer Tante. Das LSG habe ferner ihre teilweise fehlenden, ungenauen oder verspäteten Erinnerungen nur einseitig zu ihrem Nachteil gewürdigt und dabei nicht in Erwägung gezogen, dass diese Erinnerungsfehler Folgen ihres Alters zum Zeitpunkt der Vorfälle, der großen Zeitspanne zwischen den Taten und dem durchgeführten Verfahren sowie ihrer Krankheit sein könnten. Im Rahmen des OEG könnten auch bruchstückhafte, lückenhafte oder voneinander abweichende Erinnerungen als Grundlage für eine Überzeugungsbildung ausreichen. Nicht umfassend gewürdigt habe das LSG schließlich das aussagepsychologische Gutachten, das selbst Anlass zur Kritik biete. Auch dieses habe nicht berücksichtigt, dass die Erinnerungslücken und Abweichungen in den Angaben eine Erscheinungsform ihrer Krankheit sein könnten. Dieses Gutachten entspreche daher nicht den erforderlichen wissenschaftlichen Standards und könne auch aus diesem Grunde nicht berücksichtigt werden. Zudem hätte das Gutachten von einem auf Traumatisierung spezialisierten Psychologen erstattet werden müssen.

13

Das LSG habe darüber hinaus verkannt, dass die Voraussetzungen des § 1 Abs 1 OEG bereits durch ihre grobe Vernachlässigung als Schutzbefohlenen erfüllt seien. Das Verhalten ihrer Eltern sei nicht durch ein Züchtigungsrecht gedeckt gewesen. Die familiäre Atmosphäre sei - wie von den Vorinstanzen festgestellt - von elterlicher Aggression, gestörten Beziehungen und emotionaler Vernachlässigung geprägt gewesen. Zudem habe das LSG einige Schläge als erwiesen erachtet. Auch die fachärztlichen Gutachten hätten ergeben, dass ihre psychische Störung jedenfalls durch die aggressive Familienatmosphäre verursacht worden sei.

14

Die Klägerin beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 16. Dezember 2011 sowie des Sozialgerichts Detmold vom 29. August 2008 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 15. Oktober 2001 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Mai 2002 zu verurteilen, ihr wegen der Folgen von sexuellem Missbrauch sowie körperlichen und seelischen Misshandlungen im Kindes- und Jugendalter Beschädigtenrente nach dem Opferentschädigungsgesetz in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz zu gewähren.

15

Der Beklagte beantragt,
die Revision der Klägerin zurückzuweisen.

16

Er hält das angefochtene Urteil im Ergebnis für zutreffend.

17

Der Senat hat die Bundesrepublik Deutschland auf deren Antrag hin beigeladen (Beschluss vom 29.1.2013). Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.

Entscheidungsgründe

18

Die Revision der Klägerin ist zulässig.

19

Sie ist vom LSG zugelassen worden und damit statthaft (§ 160 Abs 1 SGG). Die Klägerin hat bei der Einlegung und Begründung der Revision Formen und Fristen eingehalten (§ 164 Abs 1 und 2 SGG). Die Revisionsbegründung genügt den Voraussetzungen des § 164 Abs 2 S 3 SGG. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Klägerin ihren Entschädigungsanspruch nach dem OEG auf eine Vielzahl von schädigenden Vorgängen stützt. Demnach ist der Streitgegenstand derart teilbar, dass die Zulässigkeit und Begründetheit der Revision für jeden durch einen abgrenzbaren Sachverhalt bestimmten Teil gesondert zu prüfen ist (vgl BSG Urteil vom 18.5.2006 - B 9a V 2/05 R - SozR 4-3100 § 1 Nr 3). Dabei bietet es sich hier an, die verschiedenen Vorgänge in drei Gruppen zusammenzufassen: seelische Misshandlungen (Vernachlässigung, beeinträchtigende Familienatmosphäre), körperliche Misshandlungen und sexueller Missbrauch.

20

Soweit die Klägerin Entschädigung wegen der Folgen seelischer Misshandlungen durch ihre Eltern geltend macht, hat sie einen Verstoß gegen materielles Recht hinreichend dargetan. Sie ist der Ansicht, die betreffenden Vorgänge würden von § 1 OEG erfasst. Soweit das LSG umfangreichere körperliche Misshandlungen der Klägerin im Elternhaus sowie sexuellen Missbrauch durch ihren Vater bzw einen Fremden verneint hat, rügt die Klägerin zunächst substantiiert eine Verletzung von § 15 S 1 KOVVfG, also eine unzutreffende Verneinung der Anwendbarkeit einer besonderen Beweiserleichterung(vgl dazu BSG Urteil vom 31.5.1989 - 9 RVg 3/89 - BSGE 65, 123, 124 f = SozR 1500 § 128 Nr 39 S 46). Das LSG sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass insbesondere dafür, ob sie Opfer sexuellen Missbrauchs geworden sei, Beweismittel vorhanden seien. Im Hinblick darauf, dass die Vorinstanz hilfsweise auf § 15 S 1 KOVVfG abgestellt hat, bedarf es auch dazu einer ausreichenden Revisionsbegründung. Diese sieht der Senat vornehmlich in der Rüge der Klägerin, das LSG habe, indem es in diesem Zusammenhang auf das aussagepsychologische Gutachten der Sachverständigen H. vom 5.4.2005 Bezug genommen habe, ein ungeeignetes Beweismittel verwertet (vgl allgemein dazu zB BGH Beschluss vom 24.6.2003 - VI ZR 327/02 - NJW 2003, 2527; BGH Beschluss vom 15.3.2007 - 4 StR 66/07 - NStZ 2007, 476) und damit seiner Entscheidung zugleich einen falschen Beweismaßstab zugrunde gelegt. Dazu trägt die Klägerin ua vor, dass die Sachverständige H. ihr Glaubhaftigkeitsgutachen nach anderen Kriterien erstellt habe, als im Rahmen einer Glaubhaftmachung nach § 15 S 1 KOVVfG maßgebend seien.

21

Die Revision ist im Sinne der Aufhebung des Urteils des LSG und der Zurückverweisung der Sache an dieses Gericht begründet (§ 170 Abs 2 S 2 SGG), soweit das Berufungsurteil einen Anspruch der Klägerin auf Beschädigtenrente wegen Folgen sexuellen Missbrauchs und körperlicher Misshandlungen im Kindes- und Jugendalter betrifft. Im Übrigen - also hinsichtlich Folgen seelischer Misshandlungen - ist die Revision unbegründet.

22

1. Einer Sachentscheidung entgegenstehende, von Amts wegen zu berücksichtigende Verfahrenshindernisse bestehen nicht.

23

Zutreffend sind die Vorinstanzen davon ausgegangen, dass bereits während des Klageverfahrens ein Beteiligtenwechsel kraft Gesetzes stattgefunden hat und seit dem 1.1.2008 der beklagte Landschaftsverband passiv legitimiert ist (vgl hierzu BSG Urteil vom 29.4.2010 - B 9 VG 1/09 R - BSGE 106, 91 = SozR 4-3800 § 1 Nr 17, RdNr 20 mwN). Denn § 4 Abs 1 Gesetz zur Eingliederung der Versorgungsämter in die allgemeine Verwaltung(= Art 1 Zweites Gesetz zur Straffung der Behördenstruktur in NRW vom 30.10.2007, GVBl NRW 482) hat die den Versorgungsämtern übertragenen Aufgaben des sozialen Entschädigungsrechts einschließlich der Kriegsopferversorgung mit Wirkung zum 1.1.2008 auf die Landschaftsverbände übertragen. Der Senat hat bereits mehrfach entschieden, dass die Verlagerung der Zuständigkeit für die Aufgaben der Kriegsopferversorgung, der Soldatenversorgung sowie der Opferentschädigung auf die kommunalen Landschaftsverbände in NRW nicht gegen höherrangiges Bundesrecht, insbesondere nicht gegen Vorschriften des GG verstößt (vgl hierzu Urteile vom 11.12.2008 - B 9 VS 1/08 R - BSGE 102, 149 = SozR 4-1100 Art 85 Nr 1, RdNr 21, und - B 9 V 3/07 R - Juris RdNr 22; vom 23.4.2009 - B 9 VG 1/08 R - Juris RdNr 24; vom 30.9.2009 - B 9 VG 3/08 R - BSGE 104, 245 = SozR 4-3100 § 60 Nr 6, RdNr 26). Diese Übertragung hat zur Folge, dass allein der im Laufe des Verfahrens zuständig gewordene Rechtsträger die von der Klägerin beanspruchte Leistung gewähren kann, sodass sich die von der Klägerin erhobene kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 S 1 und Abs 4 SGG)ab 1.1.2008 gemäß § 6 Abs 1 OEG gegen den für die Klägerin örtlich zuständigen Landschaftsverband Westfalen-Lippe zu richten hat. Darüber hinaus hat die Klägerin in der mündlichen Revisionsverhandlung klargestellt, dass sie im vorliegenden Verfahren ausschließlich einen Anspruch auf Gewährung von Beschädigtenrente verfolgt (vgl dazu BSG Urteil vom 2.10.2008 - B 9 VG 2/07 R - Juris RdNr 12).

24

2. Für einen Anspruch der Klägerin auf eine Beschädigtenrente nach dem OEG iVm dem BVG sind folgende rechtliche Grundsätze maßgebend:

25

a) Ein Entschädigungsanspruch nach dem OEG setzt zunächst voraus, dass die allgemeinen Tatbestandsmerkmale des § 1 Abs 1 S 1 OEG gegeben sind(vgl hierzu BSG Urteil vom 23.4.2009 - B 9 VG 1/08 R - Juris RdNr 27 mwN). Danach erhält eine natürliche Person ("wer"), die im Geltungsbereich des OEG durch einen vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriff eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG. Somit besteht der Tatbestand des § 1 Abs 1 S 1 OEG aus drei Gliedern (tätlicher Angriff, Schädigung und Schädigungsfolgen), die durch einen Ursachenzusammenhang miteinander verbunden sind.

26

In Altfällen - also bei Schädigungen zwischen dem Inkrafttreten des GG (23.5.1949) und dem Inkrafttreten des OEG (16.5.1976) - müssen daneben noch die besonderen Voraussetzungen gemäß § 10 S 2 OEG iVm § 10a Abs 1 S 1 OEG erfüllt sein. Nach dieser Härteregelung erhalten Personen, die in der Zeit vom 23.5.1949 bis 15.5.1976 geschädigt worden sind, auf Antrag Versorgung, solange sie (1.) allein infolge dieser Schädigung schwerbeschädigt und (2.) bedürftig sind und (3.) im Geltungsbereich des OEG ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben.

27

b) Nach der Rechtsprechung des Senats ist bei der Auslegung des Rechtsbegriffs "vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff" iS des § 1 Abs 1 S 1 OEG entscheidend auf die Rechtsfeindlichkeit, vor allem verstanden als Feindlichkeit gegen das Strafgesetz, abzustellen; von subjektiven Merkmalen (wie etwa einer kämpferischen, feindseligen Absicht des Täters) hat sich die Auslegung insoweit weitestgehend gelöst (stRspr seit 1995; vgl hierzu BSG Urteil vom 7.4.2011 - B 9 VG 2/10 R - BSGE 108, 97 = SozR 4-3800 § 1 Nr 18, RdNr 32 mwN). Dabei hat der erkennende Senat je nach Fallkonstellation unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt und verschiedene Gesichtspunkte hervorgehoben. Leitlinie des erkennenden Senats ist insoweit der sich aus dem Sinn und Zweck des OEG ergebende Gedanke des Opferschutzes. Das Vorliegen eines tätlichen Angriffs hat der Senat daher aus der Sicht eines objektiven, vernünftigen Dritten beurteilt und insbesondere sozial angemessenes Verhalten ausgeschieden. Allgemein ist er in seiner bisherigen Rechtsprechung davon ausgegangen, dass als tätlicher Angriff grundsätzlich eine in feindseliger bzw rechtsfeindlicher Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielende gewaltsame Einwirkung anzusehen ist, wobei die Angriffshandlung in aller Regel den Tatbestand einer - jedenfalls versuchten - vorsätzlichen Straftat gegen das Leben oder die körperliche Unversehrtheit erfüllt (stRspr; vgl nur BSG Urteil vom 29.4.2010 - B 9 VG 1/09 R - BSGE 106, 91 = SozR 4-3800 § 1 Nr 17, RdNr 25 mwN). Abweichend von dem im Strafrecht umstrittenen Gewaltbegriff iS des § 240 StGB zeichnet sich der tätliche Angriff iS des § 1 Abs 1 S 1 OEG durch eine körperliche Gewaltanwendung (Tätlichkeit) gegen eine Person aus, wirkt also körperlich (physisch) auf einen anderen ein(vgl BSG Urteil vom 7.4.2011 - B 9 VG 2/10 R - BSGE 108, 97 = SozR 4-3800 § 1 Nr 18, RdNr 36 mwN).

28

In Fällen sexuellen Missbrauchs von Kindern iS von § 176 StGB hat der Senat den Begriff des tätlichen Angriffs noch weiter verstanden. Danach kommt es nicht darauf an, welche innere Einstellung der Täter zu dem Opfer hatte und wie das Opfer die Tat empfunden hat. Für den Senat ist allein entscheidend, dass die Begehensweise, also sexuelle Handlungen, eine Straftat war (vgl BSG Urteil vom 29.4.2010 - B 9 VG 1/09 R - BSGE 106, 91 = SozR 4-3800 § 1 Nr 17, RdNr 28 mwN). Auch der "gewaltlose" sexuelle Missbrauch eines Kindes kann demnach ein tätlicher Angriff iS des § 1 Abs 1 S 1 OEG sein(BSG Urteile vom 18.10.1995 - 9 RVg 4/93 - BSGE 77, 7, 8 f = SozR 3-3800 § 1 Nr 6 S 23 f, und - 9 RVg 7/93 - BSGE 77, 11, 13 = SozR 3-3800 § 1 Nr 7 S 28 f). Diese erweiternde Auslegung des Begriffs des tätlichen Angriffs ist speziell in Fällen eines sexuellen Missbrauchs von Kindern aus Gründen des sozialen und psychischen Schutzes der Opfer unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck des OEG geboten. Eine Erstreckung dieses Begriffsverständnisses auf andere Fallgruppen hat das Bundessozialgericht (BSG) bislang abgelehnt (vgl BSG Urteil vom 12.2.2003 - B 9 VG 2/02 R - SozR 4-3800 § 1 Nr 1 RdNr 12).

29

Soweit Kinder Opfer körperlicher Gewalt ihrer Eltern werden, die die Erheblichkeitsschwelle überschreitet, liegt regelmäßig eine Körperverletzung iS des § 223 StGB und damit auch ein tätlicher Angriff nach § 1 Abs 1 S 1 OEG vor. Nach § 1631 Abs 2 BGB haben Kinder ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig. Daraus folgt jedoch nicht, dass jede Vernachlässigung von Kindern und jede missbräuchliche Ausübung der elterlichen Sorge, die das körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes gefährdet, als Gewalttat angesehen werden kann (Rademacker in Knickrehm, Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, 2012, § 1 OEG RdNr 51). Auch insofern ist zu beachten, dass die erweiternde Auslegung des Begriffs des tätlichen Angriffs auf die Fälle sexuellen Missbrauchs von minderjährigen Kindern beschränkt ist. Anders als bei rein seelischen Misshandlungen liegen bei sexuellem Missbrauch Tätlichkeiten vor, die gegen den Körper des Kindes gerichtet sind.

30

Zum "Mobbing" als einem sich über längere Zeit hinziehenden Konflikt zwischen dem Opfer und Personen seines gesellschaftlichen Umfeldes hat der erkennende Senat entschieden, dass bei einzelnen "Mobbing"-Aktivitäten die Schwelle zur strafbaren Handlung und somit zum kriminellen Unrecht überschritten sein kann; tätliche Angriffe liegen allerdings nur vor, wenn auf den Körper des Opfers gezielt eingewirkt wird, wie zB durch einen Fußtritt (BSG Urteil vom 14.2.2001 - B 9 VG 4/00 R - BSGE 87, 276, 278 = SozR 3-3800 § 1 Nr 18 S 72).

31

Auch in Fällen der Bedrohung oder Drohung mit Gewalt, in denen es unter Umständen an einer besonderen Kraftentfaltung gegen den Körper einer anderen Person bzw an einem beabsichtigten Verletzungserfolg gänzlich fehlt, ist maßgeblich auf das Kriterium der objektiven Gefahr für Leib und Leben des Opfers abzustellen. Die Grenze der Wortlautinterpretation hinsichtlich des Begriffs des tätlichen Angriffs sieht der Senat jedenfalls dann erreicht, wenn sich die auf das Opfer gerichtete Einwirkung - ohne Einsatz körperlicher Mittel - allein als intellektuell oder psychisch vermittelte Beeinträchtigung darstellt und nicht unmittelbar auf die körperliche Integrität abzielt (vgl BSG Urteil vom 7.4.2011 - B 9 VG 2/10 R - BSGE 108, 97 = SozR 4-3800 § 1 Nr 18, RdNr 44 mwN). So ist beim "Stalking" die Grenze zum tätlichen Angriff iS des § 1 Abs 1 S 1 OEG - ungeachtet ggf einschlägiger Straftatbestände nach dem StGB - erst überschritten, wenn die Tat durch Mittel körperlicher Gewalt gegen das Opfer begangen und/oder der rechtswidrig herbeigeführte Zustand mittels Tätlichkeiten aufrechterhalten wird(vgl BSG Urteil vom 7.4.2011 - B 9 VG 2/10 R - BSGE 108, 97 = SozR 4-3800 § 1 Nr 18, RdNr 69 mwN).

32

c) Hinsichtlich der entscheidungserheblichen Tatsachen kennt das soziale Entschädigungsrecht, also auch das OEG, drei Beweismaßstäbe. Grundsätzlich bedürfen die drei Glieder der Kausalkette (schädigender Vorgang, Schädigung und Schädigungsfolgen) des Vollbeweises. Für die Kausalität selbst genügt gemäß § 1 Abs 3 BVG die Wahrscheinlichkeit. Nach Maßgabe des § 15 S 1 KOVVfG, der gemäß § 6 Abs 3 OEG anzuwenden ist, sind bei der Entscheidung die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung (also insbesondere auch mit dem tätlichen Angriff) im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, zugrundezulegen, wenn sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen.

33

Für den Vollbeweis muss sich das Gericht die volle Überzeugung vom Vorhandensein oder Nichtvorhandensein einer Tatsache verschaffen. Allerdings verlangt auch der Vollbeweis keine absolute Gewissheit, sondern lässt eine an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit ausreichen. Denn ein darüber hinausgehender Grad an Gewissheit ist so gut wie nie zu erlangen (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 128 RdNr 3b mwN). Daraus folgt, dass auch dem Vollbeweis gewisse Zweifel innewohnen können, verbleibende Restzweifel mit anderen Worten bei der Überzeugungsbildung unschädlich sind, solange sie sich nicht zu gewichtigen Zweifeln verdichten (BSG Urteil vom 24.11.2010 - B 11 AL 35/09 R - Juris RdNr 21). Eine Tatsache ist bewiesen, wenn sie in so hohem Grade wahrscheinlich ist, dass alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung zu begründen (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 128 RdNr 3b mwN).

34

Der Beweisgrad der Wahrscheinlichkeit im Sinne des § 1 Abs 3 S 1 BVG ist dann gegeben, wenn nach der geltenden wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang spricht(vgl BSG Beschluss vom 8.8.2001 - B 9 V 23/01 B - SozR 3-3900 § 15 Nr 4 S 14 mwN). Diese Definition ist der Fragestellung nach dem wesentlichen ursächlichen Zusammenhang angepasst, die nur entweder mit ja oder mit nein beantwortet werden kann. Es muss sich unter Würdigung des Beweisergebnisses ein solcher Grad von Wahrscheinlichkeit ergeben, dass ernste Zweifel hinsichtlich einer anderen Möglichkeit ausscheiden. Für die Wahrscheinlichkeit ist ein "deutliches" Übergewicht für eine der Möglichkeiten erforderlich. Sie entfällt, wenn eine andere Möglichkeit ebenfalls ernstlich in Betracht kommt.

35

Bei dem "Glaubhafterscheinen" iS des § 15 S 1 KOVVfG handelt es sich um den dritten, mildesten Beweismaßstab des Sozialrechts. Glaubhaftmachung bedeutet das Dartun einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 128 RdNr 3d mwN), dh der guten Möglichkeit, dass sich der Vorgang so zugetragen hat, wobei durchaus gewisse Zweifel bestehen bleiben können (vgl BSG Beschluss vom 8.8.2001 - B 9 V 23/01 B - SozR 3-3900 § 15 Nr 4 S 14 f mwN). Dieser Beweismaßstab ist durch seine Relativität gekennzeichnet. Es muss nicht, wie bei der Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhanges, absolut mehr für als gegen die glaubhaft zu machende Tatsache sprechen. Es reicht die gute Möglichkeit aus, dh es genügt, wenn bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten ist (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 128 RdNr 3d mwN), weil nach Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Möglichkeit spricht. Von mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Sachverhaltsvarianten muss einer den übrigen gegenüber ein gewisses (kein deutliches) Übergewicht zukommen. Wie bei den beiden anderen Beweismaßstäben reicht die bloße Möglichkeit einer Tatsache nicht aus, um die Beweisanforderungen zu erfüllen. Das Gericht ist allerdings im Einzelfall grundsätzlich darin frei, ob es die Beweisanforderungen als erfüllt ansieht (Freiheit der richterlichen Beweiswürdigung, § 128 Abs 1 S 1 SGG; vgl BSG Beschluss vom 8.8.2001 - B 9 V 23/01 B - SozR 3-3900 § 15 Nr 4 S 15).

36

3. Ausgehend von diesen rechtlichen Vorgaben hat die Klägerin keinen Anspruch auf Gewährung von Beschädigtenrente wegen der Folgen seelischer Misshandlungen durch ihre Eltern.

37

Entgegen der Ansicht der Klägerin stellen die von den Vorinstanzen angenommenen allgemeinen Verhältnisse in der Familie der Klägerin keinen tätlichen Angriff iS des § 1 Abs 1 S 1 OEG dar. Das SG hat hierzu festgestellt, die bei der Klägerin bestehenden Gesundheitsstörungen seien mehr auf ein Zusammenwirken atmosphärisch ungünstiger Entwicklungsbedingungen (ablehnende Haltung der Mutter gegenüber der Klägerin, unberechenbare Aggressivität sowie grenzüberschreitende weinerliche Anhänglichkeit des Vaters) zurückzuführen (S 23 des Urteils). Darauf hat das LSG Bezug genommen. Die Verhaltensweise der Eltern hat danach zwar seelische Misshandlungen der Klägerin umfasst, es fehlt insoweit jedoch an dem Merkmal der Gewaltanwendung im Sinne einer gegen den Körper der Klägerin gerichteten Tätlichkeit.

38

4. Soweit die Klägerin Beschädigtenrente nach dem OEG wegen der Folgen körperlicher Misshandlungen und sexuellen Missbrauchs im Kindes- und Jugendalter beansprucht, ist dem Senat eine abschließende Entscheidung unmöglich. Derartige schädigende Vorgänge werden zwar von § 1 Abs 1 S 1 OEG erfasst, soweit sie nicht von dem seinerzeit noch anerkannten elterlichen Züchtigungsrecht(vgl BGH Beschluss vom 25.11.1986 - 4 StR 605/86 - JZ 1988, 617) gedeckt waren. Es fehlen jedoch hinreichende verwertbare Tatsachenfeststellungen.

39

a) Das LSG hat unterstellt, dass als vorsätzliche, rechtswidrige tätliche Angriffe einzelne Schläge durch die Eltern (ein heftiger Schlag durch den Vater sowie zwei "Ohrfeigen" durch die Mutter) nachgewiesen seien. Diese hätten jedoch nicht genügt, um die gravierenden seelischen Erkrankungen der Klägerin zu verursachen. Das LSG verweist hierbei auf das Gutachten der Sachverständigen Dr. S. sowie auf die Ausführungen des SG, wonach diese Taten keine posttraumatische Belastungsstörung hätten auslösen können. Die hierauf gründende tatrichterliche Wertung des LSG ist aus revisionsrechtlicher Sicht nicht zu beanstanden. Weder lässt sich feststellen, dass die Vorinstanz insoweit von unrichtigen Rechtsbegriffen ausgegangen ist, noch hat die Klägerin die betreffenden Tatsachenfeststellungen mit durchgreifenden Verfahrensrügen angegriffen.

40

b) Den überwiegenden Teil der von der Klägerin angegebenen körperlichen Misshandlungen durch deren Eltern sowie den behaupteten sexuellen Missbrauch durch deren Vater und einen Fremden hat das LSG nicht als nachgewiesen erachtet. Diese Beurteilung vermag der Senat nach dem gegenwärtigen Stand des Verfahrens nicht zu bestätigen. Denn sie beruht auf einer Auslegung des § 15 S 1 KOVVfG, die der Senat nicht teilt.

41

Nach § 15 S 1 KOVVfG sind die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, der Entscheidung zugrunde zu legen, wenn Unterlagen nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen oder ohne Verschulden des Antragstellers oder seiner Hinterbliebenen verlorengegangen sind, soweit die Angaben nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen. Die Beweiserleichterung des § 15 S 1 KOVVfG ist auch dann anwendbar, wenn für den schädigenden Vorgang keine Zeugen vorhanden sind(vgl grundlegend BSG Urteil vom 31.5.1989 - 9 RVg 3/89 - BSGE 65, 123, 125 = SozR 1500 § 128 Nr 39 S 46). Nach dem Sinn und Zweck des § 15 S 1 KOVVfG sind damit nur Tatzeugen gemeint, die zu den zu beweisenden Tatsachen aus eigener Wahrnehmung Angaben machen können. Personen, die von ihrem gesetzlichen Zeugnisverweigerungsrecht (vgl §§ 383 ff ZPO) Gebrauch gemacht haben, sind dabei nicht als Zeugen anzusehen. Entsprechendes gilt für eine als Täter in Betracht kommende Person, die eine schädigende Handlung bestreitet. Denn die Beweisnot des Opfers, auf die sich § 15 S 1 KOVVfG bezieht, ist in diesem Fall nicht geringer, als wenn der Täter unerkannt geblieben oder flüchtig ist. Die Beweiserleichterung des § 15 S 1 KOVVfG gelangt damit auch zur Anwendung, wenn sich die Aussagen des Opfers und des vermeintlichen Täters gegenüberstehen und Tatzeugen nicht vorhanden sind(vgl BSG Beschluss vom 28.7.1999 - B 9 VG 6/99 B - Juris RdNr 6).

42

Diesen Kriterien hat das LSG nicht hinreichend Rechnung getragen, indem es eine Anwendbarkeit des § 15 S 1 KOVVfG mit der pauschalen Begründung verneint hat, es lägen Beweismittel vor. Zwar hat sich das LSG hinsichtlich der Verneinung umfangreicher körperlicher Misshandlungen der Klägerin durch ihre Eltern, insbesondere durch den Vater, auch auf die Zeugenaussage des Bruders T. der Klägerin gestützt. Es hätte insoweit jedoch näher prüfen müssen, inwiefern die Klägerin Misshandlungen behauptet hat, die dieser Zeuge (insbesondere wegen Abwesenheit) nicht wahrgenommen haben kann. Soweit es den angegebenen sexuellen Missbrauch betrifft, ist nicht ersichtlich, dass diesen eine als Zeuge in Betracht kommende Person wahrgenommen haben kann.

43

c) Soweit das LSG den § 15 S 1 KOVVfG hilfsweise herangezogen hat, lassen seine Ausführungen nicht hinreichend deutlich erkennen, dass es dabei den von dieser Vorschrift eröffneten Beweismaßstab der Glaubhaftmachung zugrunde gelegt hat. Aus der einschränkungslosen Bezugnahme auf das aussagepsychologische Gutachten der Sachverständigen H. vom 5.4.2005 lässt sich eher der Schluss ziehen, dass das LSG insoweit einen unzutreffenden, nämlich zu strengen Beweismaßstab angewendet hat. Diese Sachlage gibt dem Senat Veranlassung, grundsätzlich auf die Verwendung von sog Glaubhaftigkeitsgutachten in Verfahren betreffend Ansprüche nach dem OEG einzugehen.

44

aa) Die Einholung und Berücksichtigung psychologischer Glaubhaftigkeitsgutachten ist im sozialen Entschädigungsrecht nach Maßgabe der allgemeinen Grundsätze für die Einholung von Sachverständigengutachten zulässig.

45

Grundsätzlich steht das Ausmaß von Ermittlungen im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts. Einen Sachverständigen bestellt das Gericht, wenn es selbst nicht über ausreichende Sachkunde verfügt (vgl dazu Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 118 RdNr 11b). Dies gilt auch für die Einholung eines sogenannten Glaubhaftigkeitsgutachtens. Dabei handelt es sich um eine aussagepsychologische Begutachtung, deren Gegenstand die Beurteilung ist, ob auf ein bestimmtes Geschehen bezogene Angaben zutreffen, dh einem tatsächlichen Erleben der untersuchten Person entsprechen (vgl grundlegend BGH Urteil vom 30.7.1999 - 1 StR 618/98 - BGHSt 45, 164, 167). Da eine solche Beurteilung an sich zu den Aufgaben eines Tatrichters gehört, kommt die Einholung eines Glaubhaftigkeitsgutachtens nur ausnahmsweise in Betracht (vgl BGH aaO, 182; BGH Urteil vom 16.5.2002 - 1 StR 40/02 - Juris RdNr 22). Ob eine derartige Beweiserhebung erforderlich ist, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls. Die Hinzuziehung eines aussagepsychologischen Sachverständigen kann insbesondere dann geboten sein, wenn die betreffenden Angaben das einzige das fragliche Geschehen belegende Beweismittel sind und Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sie durch eine psychische Erkrankung der Auskunftsperson (Zeuge, Beteiligter) und deren Behandlung beeinflusst sein können (vgl dazu BSG Beschluss vom 7.4.2011 - B 9 VG 15/10 B - Juris RdNr 6; Beschluss vom 24.5.2012 - B 9 V 4/12 B - SozR 4-1500 § 103 Nr 9 = Juris RdNr 22). Die Entscheidung, ob eine solche Fallgestaltung vorliegt und ob daher ein Glaubhaftigkeitsgutachten einzuholen ist, beurteilt und trifft das Tatsachengericht im Rahmen der Amtsermittlung nach § 103 SGG. Fußt seine Entscheidung auf einem hinreichenden Grund, so ist deren Überprüfung dem Revisionsgericht entzogen (vgl BSG Beschluss vom 24.5.2012 - B 9 V 4/12 B - SozR 4-1500 § 103 Nr 9 = Juris RdNr 20, 23).

46

Von Seiten des Gerichts muss im Zusammenhang mit der Einholung, vor allem aber mit der anschließenden Würdigung eines Glaubhaftigkeitsgutachtens stets beachtet werden, dass sich die psychologische Begutachtung von Aussagen nicht darauf beziehen kann, Angaben über die Faktizität eines Sachverhalts zu machen. Möglich ist lediglich herauszufinden, ob sich Aussagen auf Erlebtes beziehen, dh einen Erlebnishintergrund haben. Darüber hinaus besteht die Kompetenz und damit auch die Aufgabe des Sachverständigen darin abzuklären, ob sich dieser Erlebnishintergrund in der sog Wachwirklichkeit befindet, anstatt auf Träumen, Halluzinationen oder Vorstellungen zu beruhen. Ausschließlich auf diesen Aspekt des Wirklichkeitsbezuges einer Aussage kann sich die Glaubhaftigkeitsbegutachtung beziehen (Greuel/Offe/Fabian/Wetzels/Fabian/Offe/Stadler, Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, 1998, S 27, 49). In einer Glaubhaftigkeitsbegutachtung trifft der Sachverständige erfahrungswissenschaftlich gestützte Feststellungen zu Erlebnishaltigkeit und Zuverlässigkeit von Sachverhaltskonstruktionen, die ein Zeuge oder ein Beteiligter vorträgt. Durch das Gutachten vermittelt er dem Gericht daher auf den Einzelfall bezogene wissenschaftliche Erkenntnisse und stellt diesem aufgrund von Befundtatsachen wissenschaftlich gestützte Schlussfolgerungen zur Verfügung (Greuel/Offe/Fabian/Wetzels/Fabian/Offe/Stadler, Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, 1998, S 280 f). Die umfassende rechtliche Würdigung dieser Feststellungen, Erkenntnisse und Schlussfolgerungen obliegt sodann dem Gericht.

47

Entgegen der Auffassung der Klägerin ergeben sich aus den Ausführungen in dem Urteil des LSG NRW vom 28.11.2007 - L 10 VG 13/06 - (Juris RdNr 25) keine Hinweise auf die Unzulässigkeit der Einholung und Berücksichtigung von Glaubhaftigkeitsgutachten in sozialrechtlichen Verfahren. Vielmehr hat das LSG NRW hierbei lediglich die Amtsermittlung des erstinstanzlichen Gerichts gerügt, das anstelle der Vernehmung der durch die dortige Klägerin benannten Zeugen ein Sachverständigengutachten eingeholt hatte (ua mit der Beweisfrage "Steht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit - dh es darf kein begründbarer Zweifel bestehen - fest, dass die Klägerin Opfer sexuellen Missbrauchs - in welchem Zeitraum, in welcher Weise - geworden ist?"; Juris RdNr 9). Vor diesem Hintergrund ist es vollkommen nachvollziehbar, wenn das LSG NRW zum einen die Vernehmung der Zeugen gefordert und zum anderen festgestellt hat, dass die an die Sachverständigen gestellte Frage keinem Beweis durch ein medizinisches oder aussagepsychologisches Sachverständigengutachten zugänglich sei, sondern dass das Gericht diese Tatsache selbst aufzuklären habe. Ausdrücklich zu aussagepsychologischen Gutachten hat das LSG NRW ferner zutreffend festgestellt, auch bei diesen dürfe dem Sachverständigen nicht die Entscheidung überlassen werden, ob eine behauptete Tat stattgefunden habe oder nicht. Vielmehr dürfe dieser nur beurteilen, ob aussagepsychologische Kriterien für oder gegen den Wahrheitsgehalt der Angaben Betroffener sprächen und/oder ob die Aussagen und Erklärungen möglicherweise trotz subjektiv wahrheitsgemäßer Angaben nicht auf eigenen tatsächlichen Erinnerungen der Betroffenen beruhten (LSG NRW, aaO, Juris RdNr 25). Aus diesen Ausführungen lässt sich nicht der Schluss ziehen, das LSG NRW gehe grundsätzlich davon aus, dass in sozialrechtlichen Verfahren keine Glaubhaftigkeitsgutachten eingeholt und berücksichtigt werden könnten.

48

bb) Für die Erstattung von Glaubhaftigkeitsgutachten gelten auch im Bereich des sozialen Entschädigungsrechts zunächst die Grundsätze, die der BGH in der Entscheidung vom 30.7.1999 (1 StR 618/98 - BGHSt 45, 164) dargestellt hat. Mit dieser Entscheidung hat der BGH die wissenschaftlichen Standards und Methoden für die psychologische Begutachtung der Glaubhaftigkeit von Aussagen zusammengefasst. Nicht das jeweilige Prozessrecht schafft diese Anforderungen (zum Straf- und Strafprozessrecht vgl Fabian/Greuel/Stadler, StV 1996, 347 f), vielmehr handelt es sich hierbei um wissenschaftliche Erkenntnisse der Aussagepsychologie (vgl Vogl, NJ 1999, 603), die Glaubhaftigkeitsgutachten allgemein zu beachten haben, damit diese überhaupt belastbar sind und verwertet werden können (so auch BGH Beschluss vom 30.5.2000 - 1 StR 582/99 - NStZ 2001, 45 f; vgl grundlegend hierzu Greuel/Offe/Fabian/Wetzels/Fabian/Offe/Stadler, Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, 1998, S 48 ff; Volbert, Beurteilung von Aussagen über Traumata, 2004, S 16 ff). Die grundsätzlichen wissenschaftlichen Anforderungen an Glaubhaftigkeitsgutachten stellen sich wie folgt dar (vgl zum Folgenden BGH Urteil vom 30.7.1999 - 1 StR 618/98 - BGHSt 45, 164, 167 ff mwN; basierend ua auf dem Gutachten von Steller/Volbert, wiedergegeben in Praxis der Rechtspsychologie, 1999, 46 ff):

Bei der psychologischen Begutachtung der Glaubhaftigkeit von Aussagen besteht das methodische Grundprinzip darin, einen zu überprüfenden Sachverhalt (hier: Glaubhaftigkeit einer bestimmten Aussage) so lange zu negieren, bis diese Negation mit den gesammelten Fakten nicht mehr vereinbar ist. Der wissenschaftlich ausgebildete psychologische Sachverständige arbeitet (gedanklich) also zunächst mit der Unwahrannahme als sog Nullhypothese (Steller/Volbert, Praxis der Rechtspsychologie, 1999, 46, 61; den Begriff der Nullhypothese sowie das Ausgehen von dieser kritisierend Stanislawski/Blumer, Streit 2000, 65, 67 f). Der Sachverständige bildet dazu neben der "Wirklichkeitshypothese" (die Aussage ist mit hoher Wahrscheinlichkeit erlebnisfundiert) die Gegenhypothese, die Aussage sei unwahr. Bestehen mehrere Möglichkeiten, aus welchen Gründen eine Aussage keinen Erlebnishintergrund haben könnte, hat der Sachverständige bezogen auf den konkreten Einzelfall passende Null- bzw Alternativhypothesen zu bilden (vgl beispielhaft hierzu Greuel/Offe/Fabian/Wetzels/Fabian/Offe/Stadler, Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, 1998, S 52 f; ebenso, zudem mit den jeweiligen diagnostischen Bezügen Greuel, MschrKrim 2000, S 59, 61 ff). Die Bildung relevanter, also auf den jeweiligen Einzelfall abgestimmter Hypothesen ist von ausschlaggebender Bedeutung für Inhalt und (methodischen) Ablauf einer Glaubhaftigkeitsbegutachtung. Sie stellt nach wissenschaftlichen Prinzipien einen wesentlichen, unerlässlichen Teil des Begutachtungsprozesses dar. Im weiteren Verlauf hat der Sachverständige jede einzelne Alternativhypothese darauf zu untersuchen, ob diese mit den erhobenen Fakten in Übereinstimmung stehen kann; wird dies für sämtliche Null- bzw Alternativhypothesen verneint, gilt die Wirklichkeitshypothese, wonach es sich um eine wahre Aussage handelt.

49

Die zentralen psychologischen Konstrukte, die den Begriff der Glaubhaftigkeit - aus psychologischer Sicht - ausfüllen und somit die Grundstruktur der psychodiagnostischen Informationsaufnahme und -verarbeitung vorgeben, sind Aussagetüchtigkeit (verfügt die Person über die notwendigen kognitiven Grundvoraussetzungen zur Erstattung einer verwertbaren Aussage?), Aussagequalität (weist die Aussage Merkmale auf, die in erlebnisfundierten Schilderungen zu erwarten sind?) sowie Aussagevalidität (liegen potentielle Störfaktoren vor, die Zweifel an der Zuverlässigkeit der Aussage begründen können?). Erst wenn die Aussagetüchtigkeit bejaht wird, kann der mögliche Erlebnisbezug der Aussage unter Berücksichtigung ihrer Qualität und Validität untersucht werden (Greuel/Offe/Fabian/Wetzels/Fabian/Offe/Stadler, Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, 1998, S 49; zur eventuell erforderlichen Hinzuziehung eines Psychiaters zur Bewertung der Aussagetüchtigkeit Schumacher, StV 2003, 641 ff). Das abschließende gutachterliche Urteil über die Glaubhaftigkeit einer Aussage kann niemals allein auf einer einzigen Konstruktebene (zB der Ebene der Aussagequalität) erfolgen, sondern erfordert immer eine integrative Betrachtung der Befunde in Bezug auf sämtliche Ebenen (Greuel, MschrKrim 2000, S 59, 62).

50

Die wesentlichen methodischen Mittel, die der Sachverständige zur Überprüfung der gebildeten Hypothesen anzuwenden hat, sind die - die Aussagequalität überprüfende - Aussageanalyse (Inhalts- und Konstanzanalyse) und die - die Aussagevalidität betreffende - Fehlerquellen-, Motivations- sowie Kompetenzanalyse. Welche dieser Analyseschritte mit welcher Gewichtung durchzuführen sind, ergibt sich aus den zuvor gebildeten Null- bzw Alternativhypothesen; bei der Abgrenzung einer wahren Darstellung von einer absichtlichen Falschaussage sind andere Analysen erforderlich als bei deren Abgrenzung von einer subjektiv wahren, aber objektiv nicht zutreffenden, auf Scheinerinnerungen basierenden Darstellung (vgl hierzu Volbert, Beurteilung von Aussagen über Traumata, 2004, S 17 ff).

51

Diese Prüfungsschritte müssen nicht in einer bestimmten Prüfungsstrategie angewendet werden und verlangen keinen vom Einzelfall losgelösten, schematischen Gutachtenaufbau. Die einzelnen Elemente der Begutachtung müssen auch nicht nach einer bestimmten Reihenfolge geprüft werden (vgl BGH Beschluss vom 30.5.2000 - 1 StR 582/99 - NStZ 2001, 45 f). Es ist vielmehr ausreichend, wenn sich aus einer Gesamtbetrachtung des Gutachtens ergibt, dass der Sachverständige das dargestellte methodische Grundprinzip angewandt hat. Vor allem muss überprüfbar sein, auf welchem Weg er zu seinen Ergebnissen gelangt ist.

52

cc) Die aufgrund der dargestellten methodischen Vorgehensweise, insbesondere aufgrund des Ausgehens von der sog Nullhypothese, vorgebrachten Bedenken gegen die Zulässigkeit der Einholung und Berücksichtigung von Glaubhaftigkeitsgutachten in sozialgerichtlichen Verfahren (vgl hierzu SG Fulda Urteil vom 30.6.2008 - S 6 VG 16/06 - Juris RdNr 33 aE; LSG Berlin-Brandenburg Urteil vom 8.7.2010 - L 13 VG 25/07 - Juris RdNr 36; LSG Rheinland-Pfalz Urteil vom 27.6.2012 - L 4 VG 13/09 - Juris RdNr 44 ff; offenlassend, aber Zweifel an der Anwendbarkeit der Nullhypothese äußernd LSG Baden-Württemberg Urteil vom 15.12.2011 - L 6 VG 584/11 - ZFSH/SGB 2012, 203, 206) überzeugen nicht.

53

Nach derzeitigen Erkenntnissen gibt es für einen psychologischen Sachverständigen keine Alternative zu dem beschriebenen Vorgehen. Der Erlebnisbezug einer Aussage ist nicht anders als durch systematischen Ausschluss von Alternativhypothesen zur Wahrannahme zu belegen (Volbert, Beurteilung von Aussagen über Traumata, 2004, S 20, 22). Nach dem gegenwärtigen psychologischen Kenntnisstand kann die Wirklichkeitshypothese selbst nicht überprüft werden, da eine erlebnisbasierte Aussage eine hohe, aber auch eine niedrige Aussagequalität haben kann. Die Prüfung hat daher an der Unwahrhypothese bzw ihren möglichen Alternativen anzusetzen. Erst wenn sämtliche Unwahrhypothesen ausgeschlossen werden können, ist die Wahrannahme belegt (vgl Volbert, Beurteilung von Aussagen über Traumata, 2004, S 22). Zudem hat diese Vorgehensweise zur Folge, dass sämtliche Unwahrhypothesen geprüft werden, womit ein ausgewogenes Analyseergebnis erzielt werden kann (Schoreit, StV 2004, 284, 286).

54

Es ist zutreffend, dass dieses methodische Vorgehen ein recht strenges Verfahren der Aussageprüfung darstellt (so auch Greuel/Offe/Fabian/Wetzels/Fabian/Offe/Stadler, Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, 1998, S 205), denn die Tatsache, dass eine bestimmte Unwahrhypothese nicht ausgeschlossen werden kann, bedeutet nicht zwingend, dass diese Hypothese tatsächlich zutrifft. Gleichwohl würde das Gutachten in einem solchen Fall zu dem Ergebnis gelangen, dass eine wahre Aussage nicht belegt werden kann. Insoweit korrespondieren das methodische Grundprinzip der Aussagepsychologie und die rechtlichen Anforderungen in Strafverfahren besonders gut miteinander (vgl dazu Volbert, aaO S 20). Denn auch die Unschuldsvermutung hat zugunsten des Angeklagten bis zum Beweis des Gegenteils zu gelten. Durch beide Prinzipien soll auf jeden Fall vermieden werden, dass eine tatsächlich nicht zutreffende Aussage als glaubhaft klassifiziert wird. Zwar soll möglichst auch der andere Fehler unterbleiben, dass also eine wahre Aussage als nicht zutreffend bewertet wird. In Zweifelsfällen gilt aber eine klare Entscheidungspriorität (vgl Volbert, aaO): Bestehen noch Zweifel hinsichtlich einer Unwahrhypothese, kann diese also nicht mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden, so gilt der Erlebnisbezug der Aussage als nicht bewiesen und die Aussage als nicht glaubhaft.

55

Diese Konsequenz führt nicht dazu, dass Glaubhaftigkeitsgutachten im sozialrechtlichen Entschädigungsverfahren nach dem OEG als Beweismittel schlichtweg ungeeignet sind. Soweit der Vollbeweis gilt, ist damit die Anwendung dieser methodischen Prinzipien der Aussagepsychologie ohne Weiteres zu vereinbaren. Denn dabei gilt eine Tatsache erst dann als bewiesen, wenn sie in so hohem Grade wahrscheinlich ist, dass alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung zu begründen. Bestehen in einem solchen Verfahren noch Zweifel daran, dass eine Aussage erlebnisfundiert ist, weil eine bestimmte Unwahrhypothese nicht ausgeschlossen werden kann, geht dies zu Lasten des Klägers bzw der Klägerin (von der Zulässigkeit von Glaubhaftigkeitsgutachten ausgehend LSG Berlin-Brandenburg Urteil vom 9.9.2008 - L 11 VG 33/08 - Juris RdNr 24 ff; LSG NRW Urteil vom 29.9.2010 - L 6 (7) VG 16/05 - Juris RdNr 24; ebenso, jedoch bei Anwendung der Beweiserleichterung des § 15 S 1 KOVVfG Bayerisches LSG Urteil vom 30.6.2005 - L 15 VG 13/02 - Juris RdNr 40; LSG Niedersachsen-Bremen Urteil vom 5.6.2008 - L 13 VG 1/05 - Juris RdNr 34 sowie Urteil vom 16.9.2011 - L 10 VG 26/07 - Juris RdNr 38 ff).

56

Die grundsätzliche Bejahung der Beweiseignung von Glaubhaftigkeitsgutachten im sozialen Entschädigungsrecht wird auch dadurch gestützt, dass nach der dargestellten hypothesengeleiteten Methodik - unter Einschluss der sog Nullhypothese - erstattete Gutachten nicht nur in Strafverfahren Anwendung finden, sondern auch in Zivilverfahren (vgl BGH Beschluss vom 24.6.2003 - VI ZR 327/02 - NJW 2003, 2527, 2528 f; Saarländisches OLG Urteil vom 13.7.2011 - 1 U 32/08 - Juris RdNr 50 ff) und in arbeitsrechtlichen Verfahren (vgl LAG Berlin-Brandenburg Urteil vom 20.7.2011 - 26 Sa 1269/10 - Juris RdNr 64 ff). In diesen Verfahren ist der Vollbeweis der anspruchsbegründenden Tatsachen bzw der Voraussetzungen für einen Kündigungsgrund (zumeist eine erhebliche Pflichtverletzung) ebenfalls erforderlich.

57

dd) Soweit allerdings nach Maßgabe des § 15 S 1 KOVVfG eine Glaubhaftmachung ausreicht, ist ein nach der dargestellten Methodik erstelltes Glaubhaftigkeitsgutachten nicht ohne Weiteres geeignet, zur Entscheidungsfindung des Gerichts beizutragen. Das folgt schon daraus, dass es im Rahmen des § 15 S 1 KOVVfG ausreicht, wenn die Möglichkeit, dass die Angaben des Antragstellers zutreffen, als die wahrscheinlichste angesehen werden kann, während ein aussagepsychologischer Sachverständiger diese Angaben erst dann als glaubhaft ansieht, wenn er alle Alternativhypothesen ausschließen kann. Da ein sachgerecht erstelltes Glaubhaftigkeitsgutachten den Vollbeweis ermöglichen soll, muss ein für die Auskunftsperson ungünstiges Ergebnis eines solchen Gutachtens nicht bedeuten, dass die betreffenden Angaben nicht iS des § 15 S 1 KOVVfG als glaubhaft erscheinen können.

58

Will sich ein Gericht auch bei Anwendung des § 15 S 1 KOVVfG eines aussagepsychologischen Gutachtens bedienen, so hat es den Sachverständigen mithin auf den insoweit geltenden Beweismaßstab hinzuweisen und mit ihm zu klären, ob er sein Gutachten nach den insoweit maßgebenden Kriterien erstatten kann. Dabei sind auch die Beweisfragen entsprechend zu fassen. Im Falle von Glaubhaftigkeitsbegutachtungen lautet die übergeordnete psychologische Untersuchungsfragestellung: "Können die Angaben aus aussagepsychologischer Sicht als mit (sehr) hoher Wahrscheinlichkeit erlebnisfundiert klassifiziert werden?" (Greuel/Offe/Fabian/Wetzels/Fabian/Offe/Stadler, Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, 1998, S 49). Demgegenüber sollte dann, wenn eine Glaubhaftmachung ausreicht, darauf abgestellt werden, ob die Angaben mit relativer Wahrscheinlichkeit als erlebnisfundiert angesehen werden können.

59

Damit das Gericht den rechtlichen Begriff der Glaubhaftmachung in eigener Beweiswürdigung ausfüllen kann und nicht durch die Feststellung einer Glaubhaftigkeit seitens des Sachverständigen festgelegt ist, könnte es insoweit hilfreich sein, dem Sachverständigen aufzugeben, solange systematisch und unvoreingenommen nach Fakten zu den verschiedenen Hypothesen zu suchen, bis sich ein möglichst klarer Unterschied in ihrer Geltungswahrscheinlichkeit bzw praktischen Gewissheit ergibt (für eine solche Vorgehensweise im Asylverfahren vgl Lösel/Bender, Schriftenreihe des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge, Bd 7, 2001, S 175, 184). Denn dem Tatsachengericht ist am ehesten gedient, wenn der psychologische Sachverständige im Rahmen des Möglichen die Wahrscheinlichkeiten bzw Wahrscheinlichkeitsgrade für die unterschiedlichen Hypothesen darstellt.

60

Diesen Maßgaben wird das Berufungsurteil nicht gerecht. Das LSG hat sich bei seiner Verneinung einer Glaubhaftigkeit der Angaben der Klägerin nach § 15 S 1 KOVVfG ohne Weiteres auf das aussagepsychologische Gutachten der Sachverständigen H. vom 5.4.2005 gestützt. Dieses Glaubhaftigkeitsgutachten ist vom SG zu den Fragen eingeholt worden:

        

Sind die Angaben der Klägerin zu den Misshandlungen durch die Eltern und zum sexuellen Missbrauch durch den Vater (…) unter Berücksichtigung des aktuellen wissenschaftlich-aussagepsychologischen Kenntnisstandes insgesamt oder in Teilen glaubhaft? Sind die Angaben insbesondere inhaltlich konsistent und konstant und sind aussagerelevante Besonderheiten der Persönlichkeitsentwicklung der Klägerin zu berücksichtigen? Welche Gründe sprechen insgesamt für und gegen die Glaubhaftigkeit der Angaben?

61

Ein Hinweis auf den im Rahmen des § 15 S 1 KOVVfG geltenden Beweismaßstab der Glaubhaftmachung ist dabei nach Aktenlage nicht erfolgt. Dementsprechend lässt das Gutachten der Sachverständigen H. nicht erkennen, dass sich diese der daraus folgenden Besonderheiten bewusst gewesen ist. Vielmehr hat die Sachverständige in der Einleitung zu ihrem Gutachten ("Formaler Rahmen der Begutachtung") erklärt, dass sich das Vorgehen bei der Begutachtung und die Darstellung der Ergebnisse nach den Standards wissenschaftlich fundierter Glaubhaftigkeitsbegutachtung richte, wie sie im Grundsatzurteil des BGH vom 30.7.1999 (BGHSt 45, 164 = NJW 1999, 2746) dargelegt seien (S 1 des Gutachtens).

62

Da das Berufungsurteil mithin - soweit es die Anwendung des § 15 S 1 KOVVfG betrifft - offenbar auf einer Tatsachenwürdigung beruht, der ein unzutreffender Beweismaßstab zugrunde liegt, vermag der erkennende Senat die Beurteilung des LSG auch zu diesem Punkt nicht zu bestätigen.

63

5. Der erkennende Senat sieht sich zu einer Aufhebung des Berufungsurteils und einer Zurückverweisung der Sache an das LSG veranlasst (§ 170 Abs 2 S 2 SGG), weil die jetzt nach zutreffenden Beweismaßstäben vorzunehmenden Tatsachenfeststellungen und Beweiswürdigungen im Revisionsverfahren nicht nachgeholt werden können (§ 163 SGG).

64

6. Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

(1) Wer im Geltungsbereich dieses Gesetzes oder auf einem deutschen Schiff oder Luftfahrzeug infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes. Die Anwendung dieser Vorschrift wird nicht dadurch ausgeschlossen, daß der Angreifer in der irrtümlichen Annahme von Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrunds gehandelt hat.

(2) Einem tätlichen Angriff im Sinne des Absatzes 1 stehen gleich

1.
die vorsätzliche Beibringung von Gift,
2.
die wenigstens fahrlässige Herbeiführung einer Gefahr für Leib und Leben eines anderen durch ein mit gemeingefährlichen Mitteln begangenes Verbrechen.

(3) Einer Schädigung im Sinne des Absatzes 1 stehen Schädigungen gleich, die durch einen Unfall unter den Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 Buchstabe e oder f des Bundesversorgungsgesetzes herbeigeführt worden sind; Buchstabe e gilt auch für einen Unfall, den der Geschädigte bei der unverzüglichen Erstattung der Strafanzeige erleidet.

(4) Ausländerinnen und Ausländer haben dieselben Ansprüche wie Deutsche.

(5) Die Hinterbliebenen eines Geschädigten erhalten auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes. Partner einer eheähnlichen Gemeinschaft erhalten Leistungen in entsprechender Anwendung der §§ 40, 40a und 41 des Bundesversorgungsgesetzes, sofern ein Partner an den Schädigungsfolgen verstorben ist und der andere unter Verzicht auf eine Erwerbstätigkeit die Betreuung eines gemeinschaftlichen Kindes ausübt; dieser Anspruch ist auf die ersten drei Lebensjahre des Kindes beschränkt.

(6) Einer Schädigung im Sinne des Absatzes 1 stehen Schädigungen gleich, die ein Berechtigter oder Leistungsempfänger nach Absatz 1 oder 5 in Verbindung mit § 10 Abs. 4 oder 5 des Bundesversorgungsgesetzes, eine Pflegeperson oder eine Begleitperson bei einer notwendigen Begleitung des Geschädigten durch einen Unfall unter den Voraussetzungen des § 8a des Bundesversorgungsgesetzes erleidet.

(7) Einer gesundheitlichen Schädigung im Sinne des Absatzes 1 steht die Beschädigung eines am Körper getragenen Hilfsmittels, einer Brille, von Kontaktlinsen oder von Zahnersatz gleich.

(8) Wird ein tätlicher Angriff im Sinne des Absatzes 1 durch den Gebrauch eines Kraftfahrzeugs oder eines Anhängers verübt, werden Leistungen nach diesem Gesetz erbracht.

(9) § 1 Abs. 3, die §§ 64 bis 64d, 64f sowie 89 des Bundesversorgungsgesetzes sind mit der Maßgabe anzuwenden, daß an die Stelle der Zustimmung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales die Zustimmung der für die Kriegsopferversorgung zuständigen obersten Landesbehörde tritt, sofern ein Land Kostenträger ist (§ 4). Dabei sind die für deutsche Staatsangehörige geltenden Vorschriften auch für von diesem Gesetz erfaßte Ausländer anzuwenden.

(10) § 20 des Bundesversorgungsgesetzes ist mit den Maßgaben anzuwenden, daß an die Stelle der in Absatz 1 Satz 3 genannten Zahl die Zahl der rentenberechtigten Beschädigten und Hinterbliebenen nach diesem Gesetz im Vergleich zur Zahl des Vorjahres tritt, daß in Absatz 1 Satz 4 an die Stelle der dort genannten Ausgaben der Krankenkassen je Mitglied und Rentner einschließlich Familienangehörige die bundesweiten Ausgaben je Mitglied treten, daß Absatz 2 Satz 1 für die oberste Landesbehörde, die für die Kriegsopferversorgung zuständig ist, oder die von ihr bestimmte Stelle gilt und daß in Absatz 3 an die Stelle der in Satz 1 genannten Zahl die Zahl 1,3 tritt und die Sätze 2 bis 4 nicht gelten.

(11) Im Rahmen der Heilbehandlung sind auch heilpädagogische Behandlung, heilgymnastische und bewegungstherapeutische Übungen zu gewähren, wenn diese bei der Heilbehandlung notwendig sind.

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 18. März 2010 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Feststellungen von Schädigungsfolgen und die Gewährung von Beschädigtenrente nach dem Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (OEG) iVm dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) wegen der gesundheitlichen Folgen von Nachstellungen (sog "Stalking").

2

Die 1950 geborene Klägerin hat zwei erwachsene Kinder, ist von Beruf Sozialpädagogin und war als Nachtwache in einer Wohnstätte für behinderte Menschen in B. beschäftigt. Seit Mai 2001 lebte sie in einer Beziehung mit dem 1960 geborenen H. (im Folgenden: H.). Die Beziehung mit H. entwickelte sich konfliktreich, so dass die Klägerin sie bereits ab Oktober 2001 wieder zu beenden versuchte.

3

H. akzeptierte das nicht. Er belegte die Klägerin in der Folgezeit mit zahlreichen Telefonanrufen und elektronischen Kurznachrichten (SMS). Zudem alarmierte er wiederholt die Polizei, die Feuerwehr und den Notarzt zu vorgeblichen Streitigkeiten, Schlägereien bzw Bränden in der Wohnung der Klägerin, ohne dass bei Eintreffen der Einsatzkräfte entsprechende Gefährdungs- oder Schadenslagen festgestellt werden konnten. H. bestellte ua auch - ohne entsprechenden Bedarf - mehrfach Taxen zur Wohnanschrift der Klägerin. Ferner ließ er am Arbeitsplatz der Klägerin ausrichten, demnächst werde ein Gerichtsvollzieher "vor ihrer Tür stehen".

4

Die Klägerin erwirkte daraufhin erstmals am 7.1.2002 eine einstweilige Verfügung des Amtsgerichts (AG) B., nach der H. unter Androhung von Ordnungsgeld, ersatzweise Ordnungshaft, untersagt wurde, die Klägerin zu bedrohen oder zu belästigen sowie in ihrem Namen "die Polizei und Feuerwehr, andere Rettungsdienste, Bestattungsunternehmen, Taxiunternehmen und so weiter zu alarmieren". Dies veranlasste H. indes nicht, sein Verhalten gegenüber der Klägerin zu ändern. Unter anderem ereigneten sich im Weiteren die folgenden Vorfälle:

5

So drohte (vermutlich) H. telefonisch beim Arbeitsplatz der Klägerin mit Bombenexplosionen, insbesondere für den Fall, dass die Klägerin "noch mal in das Haus kommt". Weiter kündigte H. der - seinerzeit 81-jährigen - Mutter der Klägerin telefonisch den bevorstehenden Tod der Klägerin an und teilte ihr einige Minuten später telefonisch mit, dass die Klägerin nunmehr tot sei. Einem daraufhin alarmierten Polizeibeamten, der den Anruf in der Wohnung der Klägerin entgegennahm, teilte (vermutlich) H. wörtlich mit: "Jetzt muss sie fürchterliche Angst haben!" und legte auf. Am Abend desselben Tages meldeten sich mehrere "Pizza-Services" bei der Klägerin, die ihr eine vermeintlich von ihr bestellte Pizza bringen wollten.

6

Derartige Telefonanrufe wiederholten sich auch in der Folgezeit mehrfach sowohl gegenüber der Klägerin als auch gegenüber ihrer Mutter und ihren Arbeitskollegen. Einen daraufhin von der Klägerin gestellten Antrag, entsprechend der einstweiligen Verfügung vom 7.1.2002 ein Ordnungsgeld gegen H. festzusetzen, nahm die Klägerin am 22.5.2002 zurück, nachdem sich H. am 18.4.2002 ihr gegenüber verpflichtet hatte, entsprechende Anrufe zu unterlassen, in seinem Besitz befindliche persönliche Daten der Klägerin zu löschen, an ihrer Wohnung nicht mehr aufzutauchen oder zu klingeln, sie nicht mehr anzusprechen, "jegliche Kontaktaufnahme bei zufälligem Zusammentreffen" zu unterlassen und nichts mehr zu tun oder zu veranlassen, "was (der Klägerin) persönlich oder ihrer Familie schadet oder schaden könnte". Die Klägerin erklärte sich im Gegenzug bereit "zu dulden", dass H. ihr "ab und zu einen Brief" schreibt, "der per Post zugestellt wird".

7

Ende März 2003 bedrohte der H. die Klägerin erneut in deren Haus. Er schrie sie an, sie werde ihn nun "von einer anderen Seite" kennen lernen; sie wisse nicht, wozu er fähig sei. Er fange zuerst mit der Tochter (der Klägerin) an; er habe "Beziehungen" in ganz O. (dem damaligen Wohnort der Tochter). Dann komme der Sohn (der Klägerin) "dran"; er solle auf sein Auto aufpassen. Der H. fügte hinzu: "Wenn du überfallen, vergewaltigt oder belästigt wirst, habe ich nichts damit zu tun. Ich wasche meine Hände in Unschuld. Du hast Zeit bis morgen, um mit mir zu reden. Dann geht der Tanz los. Du hast selber schuld, du hast mich fallen lassen!". Abschließend sagte er: "In vier Wochen sind F. und J. (die Kinder der Klägerin) tot."

8

H. richtete an die Klägerin zudem eine Vielzahl von Briefen und Postkarten, teils beleidigenden, teils versöhnlichen Inhalts, lauerte ihr am Arbeitsplatz und vor ihrer Haustür auf, verfolgte sie, sprach sie an, belästigte und bedrohte sie und ihre Kinder, bestellte auf den Namen der Klägerin ungefragt Versandhausartikel und beauftragte ua ein Bestattungsunternehmen sowie einen Schlüsseldienst zur Wohnanschrift der Klägerin. Er rief auch wiederholt die Notrufnummer der Polizei an unter Vorgabe vermeintlicher Gewalttaten zu Lasten der Klägerin bzw seines eigenen (angeblich) bevorstehenden Freitodes, um entsprechende Einsätze zu bewirken.

9

Am 18.7.2003 erwartete er die Klägerin vor dem Hauseingang ihrer Wohnung in B. und folgte ihr von dort bis zur Bushaltestelle, während er ununterbrochen auf sie einredete. Er bestieg sodann denselben Bus wie die Klägerin und folgte ihr nach dem Aussteigen unter weiterem Einreden weiter. Vor dem Eingang eines Copy-Geschäfts hielt er die Klägerin am Arm fest und riss sie zu sich herum, ließ sie dann jedoch wieder los, worauf die Klägerin in dem Copy-Geschäft um Verständigung der Polizei bat.

10

Am 26.7.2003 fand die Klägerin in ihrem Briefkasten einen von H. handschriftlich verfassten Brief vor, in dem es ua hieß: "Melde Dich doch wegen dem Geld. Du bekommst ab dem 2.8. Deine Ruhe, aber anders als Du denkst. Ich habe sehr viel angeleiert. H. "

11

Mit Verfügung vom 28.7.2003 erließ die Ortspolizeibehörde B. daraufhin eine Wohnungsverweisungsverfügung mit Rückkehrverbot gegen H., ihm wurde verboten, sich ab dem 28.7.2003, 12.00 Uhr, bis zum 7.8.2003, 24.00 Uhr, in der Wohnung der Klägerin sowie einem Radius von 100 Metern darum aufzuhalten (Maßnahme nach § 14a Abs 1 Bremisches Polizeigesetz).

12

Mit Beschluss des AG B. vom 19.8.2003 wurde H. im Wege einer weiteren einstweiligen Verfügung unter Androhung von Ordnungsgeld bzw Ordnungshaft aufgegeben, es zu unterlassen, die Klägerin zu bedrohen, zu verletzen oder sonst körperlich zu misshandeln, ihr nachzustellen, in irgendeiner Form Kontakt zu ihr aufzunehmen, die Wohnung der Klägerin zu betreten oder sich auf der Straße vor ihrem Haus bzw gegenüber dem Grundstück aufzuhalten, sich der Klägerin außerhalb der Wohnung auf eine Entfernung von weniger als 100 Metern zu nähern, sie anzusprechen, ihr zu folgen oder hinterherzulaufen und den Arbeitsplatz der Klägerin zu betreten oder sich ihm auf eine Entfernung von weniger als 100 Metern zu nähern.

13

Diesen Anforderungen kam H. erneut nicht nach: Er warf ua immer wieder lose Zettel, Postkarten und Briefe in den Briefkasten der Klägerin und klingelte nahezu täglich an ihrer Haustür oder meldete sich telefonisch. Am 20.9.2003 belästigte und bedrohte er sie in einem öffentlichen Bus. Am 2. und 3.10.2003 wartete er vor dem Haus der Klägerin und ging auf sie zu, als sie das Haus auf dem Weg zur Arbeit verließ. Die Klägerin sah sich dadurch veranlasst, zunächst in das Haus zurückzukehren und sich zur Arbeit abholen zu lassen, was auch geschah. Darüber hinaus begegnete H. der Klägerin mehrfach offenbar absichtsvoll in verschiedenen Straßen B. und verfolgte sie, auch nachdem sie zur Vermeidung einer unmittelbaren Begegnung die Straßenseite gewechselt hatte.

14

Das AG B. setzte daraufhin mit Ergänzungsbeschluss vom 13.11.2003 ein Ordnungsgeld in Höhe von 1000 Euro, ersatzweise für je 100 Euro einen Tag Ordnungshaft, gegen H. fest. Die dagegen erhobene Beschwerde nahm H. nach Reduzierung des Ordnungsgeldes auf 150 Euro zurück; zu einer Änderung seines Verhaltens kam es nicht.

15

Schließlich wurde H. auf Strafanzeigen der Klägerin nach Verbindung mehrerer Verfahren vom AG B. mit Urteil vom 23.11.2004 (- 21 Gs 962 Js 31324/04 -) wegen Bedrohung (§ 241 Strafgesetzbuch - StGB) und Verstoßes gegen eine vollstreckbare Anordnung nach dem Gewaltschutzgesetz (GewSchG) in 14 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt, deren Vollstreckung zunächst zur Bewährung ausgesetzt wurde. Nach weiteren wiederholten Nachstellungen wurde die Strafaussetzung zur Bewährung mit Beschluss des AG B. vom 7.3.2005 widerrufen. H. verbüßte daraufhin vom 13.9.2005 bis 23.5.2006 die ihm auferlegte Freiheitsstrafe, bevor der Strafrest nach zwei Dritteln erneut zur Bewährung (Bewährungszeit: 2 Jahre) und mit der Auflage, sich umgehend einer ambulanten Alkoholentziehungstherapie zu unterziehen, ausgesetzt wurde (§ 57 Abs 1 StGB). Eine mit weiterem Urteil des AG B. vom 4.10.2005 (- 21 Ds 990 Js 16758/05 -) ergänzend ausgesprochene Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten wurde auf Berufung des H. mit Urteil des Landgerichts B. vom 31.5.2006 (- 26 Ns 990 Js 16758/05 -) ebenfalls (mit weiteren Auflagen) zur Bewährung (Bewährungszeit: 3 Jahre) ausgesetzt.

16

Die Klägerin wechselte im Verlaufe der Nachstellungen zweimal die Wohnanschrift, kam zeitweilig bei Bekannten unter und veranlasste eine Auskunftssperre bei der Meldebehörde. Zudem ließ sie sich vorübergehend eine Telefonnummer mit Auskunftssperre einrichten. Gleichwohl ermittelte H. jeweils nach kurzer Zeit erneut ihre Anschrift bzw Telefonnummer und setzte seine Annäherungshandlungen fort.

17

Infolge der Nachstellungen leidet die Klägerin unter psychischen Beschwerden im Sinne einer posttraumatischen Belastungsstörung mit Erschöpfungs- und Angstzuständen, Nervosität, Konzentrations- und Schlafstörungen, die ua eine psychopharmakologische Medikation und einen stationären Aufenthalt in der Fachklinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik Dr. He., B., vom 2.3. bis 11.5.2004 erforderlich machten. Bei der Klägerin wurde wegen eines "psychischen Leidens" ein Grad der Behinderung von 50 ab dem 7.3.2005 festgestellt.

18

Den Antrag der Klägerin vom 7.2.2005 auf Gewährung von Beschädigtenversorgung nach dem OEG lehnte die beklagte Freie Hansestadt durch Bescheid vom 23.5.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.10.2005 mit der Begründung ab, dass die von der Klägerin geltend gemachten "Stalking"-Aktivitäten, wie etwa Morddrohung, Verfolgung, nicht erwünschte Brief- und Telefonkontakte, Warenbestellungen auf ihren Namen etc, als "gewaltlose" Handlungen nicht unter den Begriff des tätlichen Angriffs iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG fallen würden. Dieses Tatbestandsmerkmal setze eine unmittelbar auf den Körper des anderen abzielende Einwirkung, zB einen Schlag, voraus, die im Fall der Klägerin nicht vorliege. Nach dem OEG würden nicht ausnahmslos alle Opfer von Straftaten entschädigt, sondern nur Betroffene einer Straftat mit Gewaltanwendung.

19

Nach erfolgloser Klage (Urteil des Sozialgerichts B. am 20.10.2006) hat die Klägerin beim Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen Berufung eingelegt. Mit Urteil vom 18.3.2010 hat das LSG die ablehnenden Entscheidungen des SG und der Beklagten aufgehoben sowie Letztere verurteilt, bei der Klägerin eine posttraumatische Belastungsstörung als Schädigungsfolge nach dem OEG festzustellen und eine Beschädigtenrente nach einem Grad der Schädigungsfolgen (GdS) von 50 ab dem 1.2.2005 zu gewähren. Es hat sein Urteil auf folgende Erwägungen gestützt:

20

Für die Annahme eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG reiche es aus, dass H. durch seine Übergriffe den seit 31.3.2007 geltenden Straftatbestand der Nachstellung (§ 238 StGB) verwirkliche, die Schädigung der Gesundheit der Klägerin zumindest billigend in Kauf genommen und seine Handlungen gerade auch mittels physischer Präsenz "unterstrichen" habe. Auch mit Rücksicht auf das strafrechtliche absolute Rückwirkungsverbot nach Art 103 Abs 2 GG könnten insoweit zwischenzeitliche Rechtsentwicklungen (§ 238 StGB) opferentschädigungsrechtlich nicht unberücksichtigt bleiben. Die einzelnen Handlungen des H. seien bei der opferentschädigungsrechtlichen Bewertung des Gesamtgeschehens nicht jeweils für sich als isolierte Beschimpfungen, Beleidigungen, Bedrohungen etc, sondern deliktstypisch in ihrer Gesamtheit als beharrliche, systematische Belästigungen und Nachstellungen und (insgesamt) als tätlicher Angriff iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG anzusehen. Das Handeln des H. weise keinen qualitativen Unterschied gegenüber einem Angriff auf, bei dem der Angreifer seinen Drohungen durch begleitende oder vorbereitende Sachbeschädigungen "körperlichen" Nachdruck verleihe oder das Opfer durch Versperren des Weges zu einem Flucht- oder Ausweichverhalten veranlasse, das zu einer Gesundheitsschädigung führe. Die Einordnung der Nachstellungen als tätlicher Angriff entspreche auch dem Schutzzweck des OEG, da der staatliche Schutz der Klägerin vor Gesundheitsschäden mit den (seinerzeit verfügbaren) Mitteln des GewSchG, des StGB, aber auch des allgemeinen Polizeirechts, unzureichend geblieben sei.

21

Gegen diese Entscheidung richtet sich die vom LSG zugelassene Revision der Beklagten. Mit Beschluss vom 8.3.2011 hat der Senat die Bundesrepublik Deutschland auf ihren Antrag zum Revisionsverfahren beigeladen. Zur Begründung ihrer Revision rügt die Beklagte die Verletzung materiellen Rechts (§ 1 Abs 1 Satz 1 OEG):

22

Das LSG habe in rechtlich fehlerhafter Weise das Verhalten des H. als vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriff iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG bewertet. Dieser Begriff erfordere grundsätzlich eine in feindseliger Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines Anderen zielende gewaltsame und in der Regel auch handgreifliche Einwirkung. Ausnahmen von der Körperlichkeit des Angriffs seien vom Bundessozialgericht (BSG) nur vereinzelt und unter exakt definierten Kriterien entwickelt worden; weder die Rechtsprechung zum sexuellen Missbrauch von Kindern noch die Grundsätze zur opferentschädigungsrechtlichen Bewertung von sog Schockschadensopfern seien auf die vorliegende Fallgestaltung zu übertragen. Bei einer Bedrohung oder der Drohung mit Gewalt sei maßgeblich auf eine objektiv hohe Gefährdungslage des Opfers abzustellen.

23

Im vorliegenden Fall liege - von dem einmaligen Festhalten der Klägerin am Arm abgesehen - weder eine gewaltsame bzw handgreifliche Einwirkung auf den Körper der Klägerin noch eine objektive Gefahr für Leib oder Leben vor. Entgegen der Auffassung des LSG reiche die reine "physische Präsenz" des H. nicht aus, um bei "gewaltlosen" Nachstellungen einen vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriff iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG zu bejahen. Auch könne zur Beurteilung der Strafbarkeit der Handlungen des H. nicht auf den erst seit 31.3.2007 geltenden Straftatbestand der Nachstellung (§ 238 StGB)zurückgegriffen werden; zum einen wegen des absoluten Rückwirkungsverbots des Art 103 Abs 2 GG und zum anderen wegen der möglichen Regressforderung des Staates gemäß § 5 OEG iVm § 81a BVG.

24

Schließlich habe das LSG rechtsfehlerhaft die Handlungen des H. in ihrer Gesamtheit als einheitlichen tätlichen Angriff iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG bewertet. Die Systematik des Entschädigungstatbestands gebiete, zur Beurteilung eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs an die Einzelhandlungen anzuknüpfen; die Rechtsfrage wiederum, wie eine Kette tätlicher Angriffe, die nicht jeder für sich genommen, wohl aber in ihrer Gesamtwirkung allgemein geeignet sind, eine psychische Krankheit hervorzurufen, sei opferentschädigungsrechtlich zu bewerten und noch nicht höchstrichterlich entschieden.

25

Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 18. März 2010 aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Bremen vom 20. Oktober 2006 zurückzuweisen.

26

Die Klägerin beantragt,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

27

Sie hält das Urteil des LSG für zutreffend. Ergänzend macht sie geltend: Es entspreche dem Sinn und Zweck des OEG sowie dem Europäischen Übereinkommen vom 24.11.1983 über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (BGBl II 1996, 1120), ihr eine Entschädigung für Gesundheitsschäden - auch im Hinblick auf das Versagen des staatlichen Gewaltmonopols beim Schutz vor Gewaltkriminalität - zuzubilligen. Nach der Rechtsprechung des BSG müsse ein tätlicher Angriff iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG nicht "körperlich" oder gar "handgreiflich" bzw "kämpferisch" sein, sondern könne sich insbesondere bei einem sexuellen Missbrauch von Kindern auch auf "seelische" Einwirkungen beziehen; die Hilflosigkeit und Schutzbedürftigkeit von Stalking-Opfern und das Versagen staatlichen Schutzes rechtfertige es, diese Grundsätze auch auf Stalking-Handlungen zu übertragen, auch wenn diese nicht unbedingt handgreiflich seien. Ohnehin hätten die Handlungen des H. unmittelbar auf ihren Körper eingewirkt, jedenfalls optisch und akustisch. Entscheidend sei im vorliegenden Fall, dass sich die objektive Gefahr für ihre körperliche Unversehrtheit durch die psychische Erkrankung realisiert habe und die Handlungen des H. hierfür ursächlich gewesen seien. Insoweit komme es auch nicht darauf an, ob ein Schaden unmittelbar durch eine Handlung oder durch die Summe der Einzelakte verursacht worden sei.

28

Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt. Sie teilt die Rechtsauffassung der Beklagten und trägt ua vor: Es sei der gesetzgeberische Wille zu beachten, den tätlichen Angriff über eine "Körperlichkeit" zu definieren. Ein Verweis auf den Gesetzeszweck könne nicht dazu führen, diese Anspruchsvoraussetzung auszuhebeln. Ebenso wenig könne von einer Schädigungsfolge auf das Vorliegen eines tätlichen Angriffs geschlossen werden. Auch das vom Strafgesetzgeber anerkannte Schutzbedürfnis von Stalking-Opfern reiche nicht aus, um über das Tatbestandsmerkmal des tätlichen Angriffs hinwegzusehen. Etwaige Änderungen des OEG blieben dem Gesetzgeber vorbehalten.

Entscheidungsgründe

29

Die Revision der Beklagten ist zulässig und im Sinne der Aufhebung des Urteils des LSG und der Zurückverweisung der Sache an dieses Gericht begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG).

30

Nach den im Berufungsurteil getroffenen Feststellungen, an die das BSG gemäß § 163 SGG gebunden ist, kann der Senat nicht abschließend darüber entscheiden, ob das LSG die Beklagte zu Recht oder zu Unrecht verurteilt hat, bei der Klägerin eine posttraumatische Belastungsstörung als Schädigungsfolge nach dem OEG festzustellen und eine Beschädigtenrente nach einem GdS von 50 ab dem 1.2.2005 zu gewähren. Es fehlen hinreichende Tatsachenfeststellungen des LSG zur Beurteilung, ob die Klägerin durch die von ihr geltend gemachten Übergriffe des H. - vor allem in dem Zeitraum von Oktober 2001 bis Ende 2003 - Opfer von vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffen iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG gewesen ist und ob die von dem LSG angenommene Schädigungsfolge auf diese Angriffe zurückzuführen ist.

31

Rechtsgrundlage für den von der Klägerin in zulässiger Weise mit einer kombinierten Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1, Abs 4 SGG)geltend gemachten Anspruch ist § 1 Abs 1 Satz 1 OEG iVm § 31 Abs 1 BVG. Danach erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG, ua auch Beschädigtenrente nach § 31 Abs 1 BVG, wer im Geltungsbereich des OEG oder auf einem deutschen Schiff oder Luftfahrzeug infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat.

32

Die Rechtsprechung des erkennenden Senats zur Auslegung des Rechtsbegriffs "vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff" iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG hat im Laufe der Jahre anhand einzelner Fallgestaltungen eine Entwicklung erfahren, die der Senat jüngst zur opferentschädigungsrechtlichen Beurteilung von strafbaren ärztlichen Eingriffen dargelegt hat(vgl Urteil vom 29.4.2010 - B 9 VG 1/09 R - BSGE 106, 91 = SozR 4-3800 § 1 Nr 17, RdNr 26 ff). Diese Rechtsprechung berücksichtigt seit jeher, dass die Verletzungshandlung im OEG nach dem Willen des Gesetzgebers eigenständig und ohne direkte Bezugnahme auf das StGB geregelt ist (BT-Drucks 7/2506 S 10; vgl etwa BSG Urteil vom 24.4.1991 - 9a/9 RVg 1/89 - SozR 3-3800 § 1 Nr 1 S 2; BSG Urteil vom 18.10.1995 - 9 RVg 7/93 - BSGE 77, 11, 13 = SozR 3-3800 § 1 Nr 7 S 29; vgl auch Geschwinder, SGb 1985, 95, 96); gleichwohl orientiert sich die Auslegung an der im Strafrecht gewonnenen Bedeutung des auch dort verwendeten rechtstechnischen Begriffs des "tätlichen Angriffs" (vgl insbesondere BSG Urteil vom 28.3.1984 - 9a RVg 1/83 - BSGE 56, 234, 235 f = SozR 3800 § 1 Nr 4 S 8 f; vgl auch die Anmerkung zu dieser Entscheidung von Schlamelcher, SGb 1984, 593 ff). Mit Rücksicht auf den das OEG prägenden Gedanken des lückenlosen Opferschutzes hat sie sich aber weitestgehend von subjektiven Merkmalen (wie etwa einer kämpferischen, feindseligen Absicht des Täters) gelöst (stRspr seit 1995; vgl BSG Urteil vom 18.10.1995 - 9 RVg 7/93 - BSGE 77, 11 = SozR 3-3800 § 1 Nr 7; BSG Urteil vom 4.2.1998 - B 9 VG 5/96 R - BSGE 81, 288, 292 = SozR 3-3800 § 1 Nr 12 S 46; jüngst BSG Urteil vom 8.11.2007 - B 9/9a VG 3/06 R - SozR 4-3800 § 1 Nr 11 RdNr 14, 17). Das Vorliegen eines tätlichen Angriffs hat der Senat vornehmlich aus der Sicht eines objektiven, vernünftigen Dritten beurteilt und insbesondere sozial angemessenes Verhalten ausgeschieden (vgl Urteil vom 29.4.2010 - B 9 VG 1/09 R - BSGE 106, 91 = SozR 4-3800 § 1 Nr 17, RdNr 25).

33

Mit Blick auf die hier zu entscheidende Frage der Entschädigungspflicht des Staates nach § 1 Abs 1 Satz 1 OEG bei dem Phänomen des sog "Stalking", das seit dem 31.3.2007 als Straftatbestand in das StGB aufgenommen ist (Nachstellen iS des § 238 StGB), hat der Senat erneut Veranlassung, seine Rechtsprechung zu präzisieren und dem unbestimmten Rechtsbegriff des vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG weitere Konturen zu verleihen.

34

1. Der Senat geht bei der Beurteilung einer Handlung als vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG (a) und der Eingrenzung des schädigenden Vorgangs als erstem Glied der versorgungsrechtlichen Ursachenkette (b) von folgenden Erwägungen aus:

35

a) Grundsätzlich ist der Rechtsbegriff des tätlichen Angriffs iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG unter Bezugnahme auf seine im Strafrecht gewonnene Bedeutung(§§ 113, 121 StGB) auszulegen. Danach liegt ein tätlicher Angriff bei einer in feindseliger Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielenden gewaltsamen Einwirkung vor (BSG Urteil vom 29.4.2010 - B 9 VG 1/09 R - BSGE 106, 91 = SozR 4-3800 § 1 Nr 17, RdNr 25 mwN).

36

aa) Soweit eine "gewaltsame" Einwirkung vorausgesetzt wird, hat der Senat bereits entschieden, dass der Gesetzgeber durch den Begriff des "tätlichen Angriffs" den schädigenden Vorgang iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG in rechtlich nicht zu beanstandender Weise begrenzt und den im Strafrecht uneinheitlich verwendeten Gewaltbegriff eingeschränkt hat(vgl BSG Urteil vom 28.3.1984 - 9a RVg 1/83 - BSGE 56, 234, 236 = SozR 3800 § 1 Nr 4 S 9; BSG Urteil vom 14.2.2001 - B 9 VG 4/00 R - BSGE 87, 276, 279 = SozR 3-3800 § 1 Nr 18 S 73). Abweichend von dem im Strafrecht umstrittenen Gewaltbegriff iS des § 240 StGB(vgl hierzu Fischer, StGB, 57. Aufl 2010, § 240 RdNr 8 ff mwN) zeichnet sich der tätliche Angriff iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG grundsätzlich durch eine körperliche Gewaltanwendung gegen eine Person aus(vgl insbesondere BT-Drucks 7/2506 S 10), wirkt also körperlich (physisch) auf einen anderen ein; dies entspricht in etwa dem strafrechtlichen Begriffsverständnis der Gewalt iS des § 113 Abs 1 StGB als einer durch tätiges Handeln bewirkten Kraftäußerung, dh als tätiger Einsatz materieller Zwangsmittel, insbesondere körperlicher Kraft(vgl Rosenau in Leipziger Kommentar, StGB, 12. Aufl 2009, § 113 RdNr 23 mwN; Eser in Schönke/Schröder, StGB, 28. Aufl 2010, § 113 RdNr 42).

37

Ein tätlicher Angriff iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG liegt im Regelfall bei einem gewaltsamen, handgreiflichen Vorgehen gegen eine Person vor(vgl BSG Urteil vom 7.11.1979 - 9 RVg 1/78 - BSGE 49, 98, 100 = SozR 3800 § 1 Nr 1; BSG Urteil vom 28.3.1984 - 9a RVg 1/83 - BSGE 56, 234, 236 = SozR 3800 § 1 Nr 4; BSG Urteil vom 23.10.1985 - 9a RVg 5/84 - BSGE 59, 46, 47 = SozR 3800 § 1 Nr 6; sowie Begründung des Regierungsentwurfs zum OEG, BT-Drucks 7/2506 S 10, 13 f), setzt jedoch nach seiner äußeren Gestalt nicht unbedingt ein aggressives Verhalten des Täters voraus; der Senat ist einem an Aggression orientiertem Begriffsverständnis des tätlichen Angriffs trotz dessen inhaltlicher Nähe zur Gewalttätigkeit iS des § 125 StGB(vgl Eser in Schönke/Schröder, StGB, 28. Aufl 2010, § 113 RdNr 46; zu § 125 StGB vgl BGH Urteil vom 8.8.1969 - 2 StR 171/69 - BGHSt 23, 46, 52 f) letztlich nicht gefolgt (stRspr seit 1995; vgl BSG Urteile vom 18.10.1995 - 9 RVg 4/93 und 9 RVg 7/93 - BSGE 77, 7 = SozR 3-3800 § 1 Nr 6 bzw BSGE 77, 11 = SozR 3-3800 § 1 Nr 7; Urteil vom 18.10.1995 - 9 RVg 5/95 - BSGE 77, 18 = SozR 3-3800 § 2 Nr 3; so schon Bayerisches LSG Urteil vom 16.3.1990 - L 10 Vg 1/89 - Breith 1991, 414, 415 f; offen gelassen noch von BSG Urteil vom 28.3.1984 - 9a RVg 1/83 - BSGE 56, 234, 236 = SozR 3800 § 1 Nr 4; vgl auch BSG Urteil vom 23.10.1985 - 9a RVg 5/84 - BSGE 59, 46 = SozR 3800 § 1 Nr 6; vgl zum extensiven Versorgungsschutz auch Geschwinder, SGb 1985, 95, 96; Schlamelcher, SGb 1984, 593, 595; aA Schoreit/Düsseldorf, OEG, 1. Aufl 1977, § 1 RdNr 41; Wachholz, br 1991, 84, 87). Dahinter steht der Gedanke, dass auch nicht zum (körperlichen) Widerstand fähige Opfer von Straftaten den Schutz des OEG genießen sollen.

38

Für die Annahme eines tätlichen Angriffs ist nicht maßgeblich, ob der vom Täter ggf beabsichtigte Verletzungserfolg eingetreten ist (vgl BSG Urteil vom 28.3.1984 - 9a RVg 1/83 - BSGE 56, 234, 236 = SozR 3800 § 1 Nr 4 S 9 mwN; zur strafrechtlichen Auslegung des tätlichen Angriffs bereits Reichsgericht Urteil vom 18.6.1925 - III 213/25 - RGSt 59, 264, 265). Auch über das Versuchsstadium einer Straftat gegen das Leben oder die körperliche Unversehrtheit des Opfers hinaus, kann eine Handlung des Täters als tätlicher Angriff iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG angesehen werden(vgl zu § 113 Abs 1 StGB etwa Bundesgerichtshof Urteil vom 6.5.1982 - 4 StR 127/82 - NJW 1982, 2081). Eine gewaltsame Einwirkung auf den Körper eines anderen kann auch schon bei einem physisch vermittelten Zwang vorliegen, ohne dass es zu einer körperlichen Berührung zwischen Täter und Opfer kommen muss (vgl etwa BSG Urteil vom 24.9.1992 - 9a RVg 5/91 - USK 9237 ; BSG Urteil vom 12.12.1995 - 9 RVg 1/94 - SozR 3-3800 § 10a Nr 1 S 2). Ungeachtet eines verwirklichten Verletzungserfolgs besteht in diesen Fällen wegen der Angriffshandlung bereits eine objektive Gefährdung des Lebens oder der körperlichen Unversehrtheit der anderen Person; damit geht regelmäßig die reale Gefahr eines Körperschadens einher (vgl etwa BSG Urteil vom 28.5.1997 - 9 RVg 1/95 - USK 9714; BSG Urteil vom 3.2.1999 - B 9 VG 7/97 R - SozR 3-3800 § 1 Nr 14 S 59; vgl auch zum Angriff iS des § 31 Abs 4 Satz 1 Beamtenversorgungsgesetz, Bundesverwaltungsgericht Urteil vom 29.10.2009 - 2 C 134/07 - BVerwGE 135, 176 RdNr 17 f). Ob in diesen Fällen die Grenze zum tätlichen Angriff iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG überschritten ist, beurteilt der Senat aus der objektiven Sicht eines vernünftigen Dritten und orientiert sich dabei an folgenden Grundsätzen:

39

aaa) Je gewalttätiger die Angriffshandlung gegen eine Person nach ihrem äußeren Erscheinungsbild bzw je größer der Einsatz körperlicher Gewalt oder physischer Mittel ist, desto geringere Anforderungen sind zur Bejahung eines tätlichen Angriffs in objektiver Hinsicht zu stellen. Je geringer sich die Kraftanwendung durch den Täter bei der Begehung des Angriffs darstellt, desto genauer muss geprüft werden, inwiefern durch die Handlung - unter Berücksichtigung eines möglichen Geschehensablaufs - eine Gefahr für Leib oder Leben des Opfers bestand. Die Grenze zwischen einem sozialadäquaten Verhalten und einem tätlichen Angriff ist grundsätzlich so zu bestimmen, dass auch das bereits objektiv hochgefährdete Opfer bei Abwehr-, Ausweich- oder Fluchtreaktionen den Schutz des OEG genießt; sie ist jedenfalls dann überschritten, wenn die Abwehr eines solchen Angriffs unter dem Gesichtspunkt der Notwehr gemäß § 32 StGB gerechtfertigt wäre(BSG Urteil vom 24.7.2002 - B 9 VG 4/01 R - BSGE 90, 6 = SozR 3-3800 § 1 Nr 22 S 103 f zur Drohung mit Gewalt). Die Angriffshandlung (bzw der Einsatz körperlicher Mittel) muss für sich genommen nicht gravierend sein, um - unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls - eine hinreichende Gefährdung von Leib oder Leben des Opfers und damit einen tätlichen Angriff iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG anzunehmen.

40

Der Senat hat insoweit in einem Fall der Freiheitsberaubung (§ 239 StGB) allein das Wegversperren und das Zurückstoßen und -drängen des Opfers zur Durchsetzung des Verbots, die Wohnung zu verlassen, ausreichen lassen, um das Vorliegen eines tätlichen Angriffs zu bejahen. Aus einem solchen Verhalten des Täters kann der Schluss auf eine drohende verstärkte Gewaltanwendung bei einem ggf beabsichtigten Widerstand des Opfers gezogen werden (vgl BSG Urteil vom 30.11.2006 - B 9a VG 4/05 R - SozR 4-3800 § 1 Nr 10 RdNr 14) und damit auf eine objektiv hohe Gefährdungslage für das Opfer. Entsprechendes gilt für das absichtliche Versperren eines Fahrradweges, das im Falle der Kollision mit einer erheblichen Verletzungsgefahr für das Opfer verbunden ist (vgl BSG Urteil vom 12.12.1995 - 9 RVg 1/94 - SozR 3-3800 § 10a Nr 1 S 2), sowie für das Zünden von Feuerwerkskörpern in unmittelbarer Nähe einer anderen Person (vgl hierzu BSG Urteil vom 3.2.1999 - B 9 VG 7/97 R - SozR 3-3800 § 1 Nr 14 S 57; BSG Urteil vom 28.5.1997 - 9 RVg 1/95 - USK 9714; vgl auch BSG Urteil vom 24.4.1991 - 9a/9 RVg 1/89 - SozR 3-3800 § 1 Nr 1 S 3 f).

41

bbb) Für die - insbesondere bei dem Phänomen des "Stalkings" relevanten - Fälle der Bedrohung oder Drohung mit Gewalt, bei denen es unter Umständen an einer besonderen Kraftentfaltung gegen den Körper einer anderen Person bzw an einem beabsichtigten Verletzungserfolg gänzlich fehlt, hat das BSG noch nicht abschließend geklärt, unter welchen Voraussetzungen solche Handlungen für sich allein bereits als tätlicher Angriff zu werten sind (vgl BSG Urteil vom 28.3.1984 - 9a RVg 1/83 - BSGE 56, 234, 237 = SozR 3800 § 1 Nr 4 S 9). Auch dabei ist jedenfalls auf das Kriterium der objektiven Gefahr für Leib oder Leben des Opfers abzustellen.

42

Das BSG hat es insoweit genügen lassen, dass eine erhebliche Drohung gegenüber dem Opfer mit einer unmittelbaren Gewaltanwendung gegen eine Sache einherging, die als einziges Hindernis dem unmittelbaren körperlichen Zugriff auf das Opfer durch die Täter im Wege stand, sodass der Sachverhalt nicht allein auf Drohungen beschränkt war (BSG Urteil vom 10.9.1997 - 9 RVg 1/96 - BSGE 81, 42, 44 = SozR 3-3800 § 1 Nr 11). Es hat auch die Würdigung eines Sachverhalts, bei dem ein einschlägig vorbestrafter Täter mit dem Ausruf "Jetzt hab´ ich Euch, Ihr Schweine" auf offener Straße auf das Opfer zugestürzt ist, als tätlichen Angriff iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG nicht beanstandet (BSG Beschluss vom 29.9.1993 - 9 BVg 3/93 - juris RdNr 1, 5). Als tätlichen Angriff hat es das BSG zudem angesehen, wenn der Täter das Opfer vorsätzlich mit einer scharf geladenen und entsicherten Schusswaffe bedroht hat, auch wenn ein Tötungs- oder Verletzungsvorsatz noch gefehlt hat (BSG Urteil vom 24.7.2002 - B 9 VG 4/01 R - BSGE 90, 6 = SozR 3-3800 § 1 Nr 22 S 103 f), nicht aber die bloß verbale Drohung zu schießen, wenn der Täter keine Schusswaffe bei sich führt (vgl BSG Urteil vom 2.10.2008 - B 9 VG 2/07 R - juris RdNr 20). Im Zusammenhang mit einer Aussetzung (§ 221 Abs 1 StGB) durch aktives Tun hat das BSG die bloße Aufforderung gegenüber einem 83 Jahre alten Gehbehinderten, den Wagen zu verlassen, als Ausübung von körperlichem Zwang und damit als tätlichen Angriff angesehen, weil diese erzwungene Ortsveränderung das letzte Glied in einer Kette von Gewalttaten des fortgesetzt aggressiv handelnden Täters war (BSG Urteil vom 24.9.1992 - 9a RVg 5/91 - USK 9237).

43

Bei der Würdigung des Tatgeschehens sind insoweit alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, die auf eine objektiv hohe Gefährdung des Lebens oder der körperlichen Integrität des Opfers schließen lassen. Angesichts der Vielgestaltigkeit der Lebenssachverhalte wird eine feste Grenzziehung zwischen bloßer Drohung mit Gewalt und ihrer Anwendung kaum möglich sein. Ein tätlicher Angriff wird indes umso eher zu bejahen sein, je größer die objektive Gefahr für Leib oder Leben des Bedrohten war (BSG Urteil vom 2.10.2008 - B 9 VG 2/07 R - juris RdNr 16), je mehr also eine schädigende Gewaltanwendung unmittelbar bevorsteht.

44

ccc) Mit Rücksicht auf die grundlegende gesetzgeberische Entscheidung, dass durch die Verwendung des Begriffs des tätlichen Angriffs iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG der allgemeine Gewaltbegriff im strafrechtlichen Sinn begrenzt und grundsätzlich eine Kraftentfaltung gegen eine Person erforderlich sein soll(vgl BT-Drucks 7/2506 S 10), sieht der Senat die Grenze der Wortlautinterpretation jedenfalls dann erreicht, wenn sich die auf das Opfer gerichtete Einwirkung - ohne Einsatz körperlicher Mittel - allein als intellektuell oder psychisch vermittelte Beeinträchtigung darstellt und nicht unmittelbar auf die körperliche Integrität abzielt (in diese Richtung bereits BSG Urteil vom 14.2.2001 - B 9 VG 4/00 R - BSGE 87, 276, 279 = SozR 3-3800 § 1 Nr 18 S 73). So hat der Senat für den Fall einer mit List durchgeführten, strafbaren Kindesentziehung die erheblichen Gefahren, die damit wegen der völligen Ungewissheit über das Schicksal des Kindes für die psychische Gesundheit des betroffenen Elternteils verbunden sind, für sich allein nicht ausreichen lassen, um einen tätlichen Angriff iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG anzuerkennen, sondern darüber hinaus zumindest ein Fortwirken einer körperlichen Gewaltanwendung gegenüber dem Elternteil gefordert(BSG Urteil vom 12.2.2003 - B 9 VG 2/02 R - SozR 4-3800 § 1 Nr 1 S 3).

45

Von den Kriterien eines tätlichen Angriffs iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG wird auch bei den Fällen des sog "Schockschadens"(vgl hierzu BSG Urteil vom 7.11.1979 - 9 RVg 1/78 - BSGE 49, 98 = SozR 3800 § 1 Nr 1) keine Ausnahme gemacht. Insoweit ist zwischen dem schädigenden Vorgang - der "unmittelbaren Einwirkung" auf den Körper des Primäropfers - und der geschädigten Person - der "unmittelbaren Schädigung" des Sekundäropfers - zu unterscheiden (vgl hierzu Trenk-Hinterberger in Festschrift 50 Jahre BSG, 2004, S 745, 751 ff).

46

Selbst in Fällen sexuellen Missbrauchs von Kindern iS von § 176 StGB hat der Senat nicht vollständig auf das Erfordernis körperlicher Handlungen verzichtet. Die besondere Schutzbedürftigkeit des Kindes, die Möglichkeit seiner "sekundären Viktimisierung" im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren sowie die Gefahr schwerwiegender seelischer Krankheiten hat ihn allerdings - beschränkt auf diese Fallgestaltungen - zu einem erweiterten Verständnis des Begriffs des tätlichen Angriffs veranlasst. Danach ist für die "unmittelbare Einwirkung auf den Körper des Kindes" entscheidend, dass die erfolgten sexuellen Handlungen strafbar sind, unabhängig davon, ob bei der Tatbegehung das gewaltsam handgreifliche oder das spielerische Moment im Vordergrund steht (BSG Urteile vom 18.10.1995 - 9 RVg 4/93 und 9 RVg 7/93 - BSGE 77, 7 = SozR 3-3800 § 1 Nr 6 bzw BSGE 77, 11 = SozR 3-3800 § 1 Nr 7).

47

Demnach ist nicht - wie im Schrifttum teilweise vertreten wird - darauf abzustellen, ob die Angriffshandlung "körperlich wirkt" bzw zu körperlichen Auswirkungen im Sinne eines pathologisch, somatisch, objektivierbaren Zustands führt (so Weiner in Kunz/Zellner/Gelhausen/Weiner, OEG, 5. Aufl 2010, § 1 RdNr 22 aE; Heinz, VersorgVerw 2007, 36, 37 f; ders, ZfS 2005, 266, 268; ders, ZfS 2000, 65, 69; Eppenstein in Opferentschädigungsgesetz - Intention und Praxis opfergerecht?, Mainzer Schriften zur Situation von Kriminalitätsopfern, 1995, S 92, 95) oder welches Individualrechtsgut (insbesondere körperliche Unversehrtheit, Leben) von der verletzten Strafrechtsnorm geschützt wird (vgl etwa Weiner, aaO, § 1 RdNr 16; Heinz, ZfS 2005, 266, 267 f).

48

           

Schließlich führt auch der Hinweis der Klägerin auf das Europäische Übereinkommen vom 24.11.1983 über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (Zustimmungsgesetz vom 17.7.1996, BGBl II 1120; Bekanntmachung vom 24.2.1997 über das Inkrafttreten des Übereinkommens in Deutschland am 1.3.1997, BGBl II 740) zu keiner anderen Beurteilung. Nach seinem Art 1 verpflichten sich die Vertragsparteien des Übereinkommens, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um die in dessen Teil I enthaltenen Grundsätze zu verwirklichen. Art 2 Abs 1 Buchst a des Übereinkommens bestimmt:

Soweit eine Entschädigung nicht in vollem Umfang aus anderen Quellen erhältlich ist, trägt der Staat zur Entschädigung für Personen bei, die eine schwere Körperverletzung oder Gesundheitsschädigung erlitten haben, die unmittelbar auf eine vorsätzliche Gewalttat zurückzuführen ist.

49

Eine Definition des Begriffs "vorsätzliche Gewalttat" enthält das Übereinkommen nicht (vgl Denkschrift zum Übereinkommen, BR-Drucks 508/95 S 14 = BT-Drucks 13/2477 S 14). Dementsprechend hat der bundesdeutsche Gesetzgeber durch das Tatbestandsmerkmal "vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff" in § 1 Abs 1 Satz 1 OEG in zulässiger Weise von einem durch das Übereinkommen belassenen Gestaltungsspielraum Gebrauch gemacht. Richtig ist allerdings, dass der Gesetzgeber den Zielen des Übereinkommens durchaus entsprechen würde, wenn er - über die von dem Begriff des tätlichen Angriffs erfassten Fallgestaltungen hinaus - Opfer psychischer Gewalt in den Schutzbereich des OEG einbeziehen würde. Immerhin heißt es in dem Erläuternden Bericht des Europarats zum Übereinkommen (European Convention on the Compensation of Victims of Violent Crimes, Explanatory Report, http://conventions.coe.int/treaty/EN/Reports/Html/116.htm ): Die Gewalt sei nicht notwendig, physische Gewalt; Entschädigung könne auch geschuldet werden in Fällen psychischer Gewalt, zB bei schwerwiegenden Drohungen (vgl dazu auch Denkschrift, BR-Drucks 508/95 S 14 = BT-Drucks 13/2477 S 14).

50

bb) Der tätliche Angriff iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG zeichnet sich zudem dadurch aus, dass die Einwirkung "unmittelbar" auf den Körper der anderen Person zielen muss. Dieses Tatbestandsmerkmal ist von dem Erfordernis der Unmittelbarkeit der Gesundheitsschädigung - dem zweiten Glied der versorgungsrechtlichen Ursachenkette - zu unterscheiden und begrenzt die Entschädigungspflicht des Staates auf konkrete Gefährdungen des Opfers durch zielgerichtete Angriffshandlungen. Da die Zielrichtung einer Handlung allein auf dem Willen des Täters beruht, sind Feststellungen zu diesem Merkmal in erster Linie von der inneren Tatseite, dem Vorsatz des Täters, abhängig; bleibt der Täter unbekannt, müssen wenigstens die äußeren Tatumstände überzeugende Hinweise auf den erforderlichen subjektiven Tatbestand geben (vgl BSG Urteil vom 28.3.1984 - 9a RVg 1/83 - BSGE 56, 234, 237 = SozR 3800 § 1 Nr 4 S 10; BSG Urteil vom 4.2.1998 - B 9 VG 5/96 R - BSGE 81, 288, 289 f = SozR 3-3800 § 1 Nr 12).

51

Insoweit dient das Merkmal auch der Abgrenzung von abstrakten bzw allgemeinen Gefährdungslagen, wie sie unter bestimmten Voraussetzungen von § 1 Abs 2 Nr 2 OEG erfasst sind(sog "mittelbarer Angriff", vgl hierzu Loytved, NZS 2004, 516, 517; ders MedSach 2005, 148, 149); so hat der Senat bereits entschieden, dass das Entfernen des Deckels eines Abflusslochs (Gully) allein - ohne unmittelbare Ausrichtung auf andere Menschen - kein tätlicher Angriff iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG darstellt(BSG Urteil vom 10.12.2003 - B 9 VG 3/02 R - SozR 4-3800 § 1 Nr 5). Demgegenüber hat der Senat bei der Bewertung einer Blockade des Fahrwegs einer Fahrradfahrerin maßgeblich auf den Vorsatz der Täter, den Weg durch aktives Verhalten zu versperren, und auf die damit einhergehende ernsthafte Verletzungsgefahr im Falle einer Kollision abgestellt (BSG Urteil vom 12.12.1995 - 9 RVg 1/94 - SozR 3-3800 § 10a Nr 1 S 2 f; mangels entsprechender Feststellungen offen gelassen durch BSG Urteil vom 10.12.2003 - B 9 VG 3/02 R - SozR 4-3800 § 1 Nr 5 S 20 f).

52

cc) Der tätliche Angriff iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG setzt über den natürlichen Vorsatz des Täters bezogen auf die Angriffshandlung(vgl hierzu etwa BSG Urteil vom 3.2.1999 - B 9 VG 7/97 - SozR 3-3800 § 1 Nr 14 S 56 f) hinaus an sich eine "feindselige Willensrichtung" voraus. Dieses - einem Angriff im Wortsinn immanente - Merkmal dient im Opferentschädigungsrecht vor allem zur Abgrenzung sozial adäquaten bzw gesellschaftlich noch tolerierten Verhaltens von einem auf Rechtsbruch gerichteten Handeln des Täters (so bereits BSG Urteil vom 23.10.1985 - 9a RVg 5/84 - BSGE 59, 46 = SozR 3800 § 1 Nr 6; ähnlich auch schon Bayerisches LSG Urteil vom 16.3.1990 - L 10 Vg 1/89 - Breith 1991, 414, 415). Lässt sich eine feindselige Willensrichtung im engeren Sinne nicht feststellen, kann alternativ darauf abgestellt werden, ob der Täter eine mit Gewaltanwendung (iS einer gewaltsamen Einwirkung auf eine andere Person durch Einsatz körperlicher Mittel) verbundene strafbare Vorsatztat (zumindest einen strafbaren Versuch) begangen hat (stRspr seit 1995, vgl BSG Urteile vom 18.10.1995 - 9 RVg 4/93 und 9 RVg 7/93 - BSGE 77, 7 = SozR 3-3800 § 1 Nr 6 bzw BSGE 77, 11 = SozR 3-3800 § 1 Nr 7; Urteil vom 18.10.1995 - 9 RVg 5/95 - BSGE 77, 18 = SozR 3-3800 § 2 Nr 3; Urteil vom 3.2.1999 - B 9 VG 7/97 R - SozR 3-3800 § 1 Nr 14 - juris RdNr 11, 13; jüngst BSG Urteil vom 8.11.2007 - B 9/9a VG 3/06 R - SozR 4-3800 § 1 Nr 11 RdNr 14, 17). Anstelle einer feindseligen Absicht ist dann die Rechtsfeindlichkeit des Täters entscheidend, dokumentiert durch einen willentlichen Bruch der Rechtsordnung. Die einem Angriff innewohnende Feindseligkeit manifestiert sich insoweit durch die vorsätzliche Verwirklichung der Straftat (vgl Bischofs, SGb 2010, 693, 694).

53

So verwirklicht ein Täter, der subjektiv dem Opfer helfen will oder aus Liebe handelt, dann einen rechtswidrigen tätlichen Angriff, wenn er in strafbarer Weise dessen körperliche Integrität verletzt (BSG Urteil vom 18.10.1995 - 9 RVg 7/93 - BSGE 77, 11 = SozR 3-3800 § 1 Nr 7). Dies gilt regelmäßig auch für Fälle, in denen sich der Angreifer möglicherweise nur einen groben oder gewalttätigen, aber die Grenze des sozial Üblichen überschreitenden Scherz erlauben wollte und gegenüber dem Opfer keine feindselige Einstellung gehabt hat (zum Zünden eines Feuerwerkskörpers vgl etwa BSG Urteil vom 3.2.1999 - B 9 VG 7/97 R - SozR 3-3800 § 1 Nr 14 S 57; BSG Urteil vom 28.5.1997 - 9 RVg 1/95 - USK 9714; vgl auch BSG Urteil vom 24.4.1991 - 9a/9 RVg 1/89 - SozR 3-3800 § 1 Nr 1 S 3 f). Diese Rechtsprechung hat jüngst eine Einschränkung für die besondere Fallkonstellation des ärztlichen Eingriffs erfahren. Selbst wenn ein solcher Eingriff strafrechtlich als vorsätzliche Körperverletzung anzusehen ist, müssen bestimmte weitere Voraussetzungen hinzutreten, um die Grenze zu einem vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriff iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG zu überschreiten(vgl hierzu BSG Urteil vom 29.4.2010 - B 9 VG 1/09 R - BSGE 106, 91 = SozR 4-3800 § 1 Nr 17, RdNr 42-44).

54

b) Der schädigende Vorgang iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG - das erste Glied der entschädigungsrechtlichen Ursachenkette - ist zeitlich nicht auf die Dauer des tätlichen Angriffs selbst oder die Vollendung der mit der Gewaltanwendung verbundenen Straftat begrenzt, vielmehr dauert er so lange an, wie das daraus folgende Geschehen noch wesentlich durch die Gewaltanwendung geprägt ist, also bis zu dem Zeitpunkt, in dem das Opfer in Sicherheit ist bzw die Hilfe Dritter erhält(vgl BSG Urteil vom 12.6.2003 - B 9 VG 8/01 R - SozR 4-3800 § 1 Nr 2; BSG Urteil vom 24.9.1992 - 9a RVg 5/91 - USK 9237 ). Die strafrechtliche Einordnung als Erfolgs- oder Dauerdelikt ist für die Bewertung des entschädigungsrechtlichen Kerns des Geschehens ohne Belang (vgl BSG Urteil vom 24.9.1992 - 9a RVg 5/91 - USK 9237 ; BSG Urteil vom 12.2.2003 - B 9 VG 2/02 R - SozR 4-3800 § 1 Nr 1 S 3; BSG Urteil vom 12.6.2003 - B 9 VG 8/01 R - SozR 4-3800 § 1 Nr 2; BSG Urteil vom 30.11.2006 - B 9a VG 4/05 R - SozR 4-3800 § 1 Nr 10 RdNr 15).

55

Ein vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG kann als wesentliche Ursache für Gesundheitsschäden, die während des Tatgeschehens eintreten, auch dann angesehen werden, wenn das Opfer eine eigene Ursache für den weiteren Geschehensablauf (zB Flucht, Ausweichen, Notwehr) setzt. In diesen Fällen ist - anders als im Strafverfahren - nicht darauf abzustellen, ob die Tatumstände "objektiv geeignet" waren, das Verhalten des Opfers zu erklären, sondern auf dessen subjektive Sicht (vgl BSG Urteil vom 30.11.2006 - B 9a VG 4/05 R - SozR 4-3800 § 1 Nr 10 RdNr 16-17; ähnlich auch zur Mitverursachung der Schädigung iS des § 2 Abs 1 Satz 1 OEG BSG Urteil vom 18.6.1996 - 9 RVg 7/94 - BSGE 78, 270 = SozR 3-3800 § 2 Nr 4). Insoweit rechnen zu den Folgen eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs grundsätzlich auch die Verletzungsfolgen, die während einer Flucht entstanden sind (vgl auch BSG Urteil vom 10.9.1997 - 9 RVg 1/96 - BSGE 81, 42 = SozR 3-3800 § 1 Nr 11; BSG Urteil vom 30.11.2006 - B 9a VG 4/05 R - SozR 4-3800 § 1 Nr 10, RdNr 15; vgl auch Loytved, NZS 2004, 516, 517; ders, MedSach 2005, 148, 149).

56

2. Nach diesen Grundsätzen ergibt sich für die opferentschädigungsrechtliche Bewertung von Stalking-Handlungen als vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG für den Zeitraum bis zum Inkrafttreten des § 238 StGB am 31.3.2007 und damit auch für den hier streitgegenständlichen Zeitraum (im Wesentlichen von Oktober 2001 bis Dezember 2003) Folgendes:

57

a) Das Phänomen Stalking hat in jüngster Zeit zunehmend an gesellschaftlicher Bedeutung gewonnen und zu besonderen Entwicklungen im Zivil- und Strafrecht geführt. Die unter dem englischen Begriff "Stalking" diskutierten Verhaltensweisen zeichnen sich dadurch aus, dass einer anderen Person fortwährend nachgestellt, aufgelauert oder auf andere Weise mit hoher Intensität Kontakt zu ihr gesucht bzw in ihren individuellen Lebensbereich eingegriffen wird (so der Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 8.2.2006, BT-Drucks 16/575 S 1). Eine einheitliche Begriffsbestimmung ist wegen der äußerst facettenreichen Fallgestaltungen schwierig (vgl etwa Bieszk/Sadtler, NJW 2007, 3382, 3384). Allgemein handelt es sich um ein Verhalten der fortgesetzten Verfolgung, Belästigung und Bedrohung einer anderen Person gegen deren Willen (so die Gesetzentwürfe des Bundesrates vom 27.4.2005 und 23.3.2006, BT-Drucks 15/5410 S 1 und BT-Drucks 16/1030 S 1). Dabei sind die einzelnen Handlungen des Täters sehr vielgestaltig. Sie reichen von häufigen, vielfach wiederholten Telefonanrufen zu jeder Tages- und Nachtzeit, dem Übersenden von E-Mails, SMS oder Briefen, der Übermittlung von Geschenken, dem Auflauern vor der Wohnung oder am Arbeitsplatz und Drohungen bis hin zu Zudringlichkeiten und tätlichen Angriffen. Durch ihre Häufigkeit und Kontinuität führen auch Einzelhandlungen, die jeweils für sich genommen als sozialadäquat angesehen werden könnten, zu unzumutbaren Beeinträchtigungen und einer erzwungenen Veränderung der Lebensumstände des Opfers (so der Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 8.2.2006, BT-Drucks 16/575 S 1).

58

           

In der mit Wirkung vom 31.3.2007 Gesetz gewordenen Fassung des § 238 Abs 1 StGB lautet der Tatbestand der Nachstellung:

Wer einem Menschen unbefugt nachstellt, indem er beharrlich

1.    

seine räumliche Nähe aufsucht,

2.    

unter Verwendung von Telekommunikationsmitteln oder sonstigen Mitteln der Kommunikation oder über Dritte Kontakt zu ihm herzustellen versucht,

3.    

unter missbräuchlicher Verwendung von dessen personenbezogenen Daten Bestellungen von Waren oder Dienstleistungen für ihn aufgibt oder Dritte veranlasst, mit diesem Kontakt aufzunehmen,

4.    

ihn mit der Verletzung von Leben, körperlicher Unversehrtheit, Gesundheit oder Freiheit seiner selbst oder einer ihm nahe stehenden Person bedroht oder

5.    

eine andere vergleichbare Handlung vornimmt

und dadurch seine Lebensgestaltung schwerwiegend beeinträchtigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

59

Durch § 238 StGB sollen nach dem Willen des Gesetzgebers beharrliche Nachstellungen, die einschneidend in das Leben des Opfers eingreifen, über die bereits bestehenden und in Betracht kommenden Straftatbestände - wie etwa der Nötigung(§ 240 StGB), Bedrohung (§ 241 StGB), Beleidigung (§ 185 StGB) oder des Zuwiderhandelns gegen eine Anordnung nach dem Gewaltschutzgesetz (§ 4 GewSchG) - hinaus mittels eines weiteren Straftatbestandes verfolgt werden können, um auf diese Weise einen besseren Opferschutz zu erreichen und Strafbarkeitslücken zu schließen (BT-Drucks 16/575 S 1). Der neue Straftatbestand dient damit dem Schutz der eigenen Lebensführung vor gezielten, hartnäckigen und schwerwiegenden Belästigungen der Lebensgestaltung (vgl BGH Beschluss vom 19.11.2009 - 3 StR 244/09 - BGHSt 54, 189 - juris RdNr 14 mwN).

60

Nach der Rechtsprechung des BGH (aaO) ist Tathandlung des § 238 Abs 1 StGB das unbefugte Nachstellen durch beharrliche unmittelbare und mittelbare Annäherungshandlungen an das Opfer und näher bestimmte Drohungen iS des § 238 Abs 1 Nr 1 bis 5 StGB. Das Merkmal der "Beharrlichkeit" soll ua die Deliktstypik des "Stalkings" zum Ausdruck bringen und einzelne, für sich genommen vom Gesetzgeber als sozialadäquat angesehene Handlungen (BT-Drucks 16/575 S 7) von unerwünschtem "Stalking" abgrenzen; ihm wohnen sowohl objektive Momente der Zeit sowie subjektive und normative Elemente der Uneinsichtigkeit und Rechtsfeindlichkeit inne, die in der Tatbegehung durch besondere Hartnäckigkeit und eine gesteigerte Gleichgültigkeit des Täters gegenüber dem gesetzlichen Verbot zum Ausdruck kommt. Die Beharrlichkeit ergibt sich aus einer Gesamtwürdigung der verschiedenen Handlungen, bei der insbesondere auch der zeitliche Abstand zwischen den Angriffen und deren innerer Zusammenhang von Bedeutung sind (BGH, aaO, mwN).

61

b) Solange der Gesetzgeber den Tatbestand des § 238 StGB nicht gesondert in den Schutzbereich des § 1 OEG einbezogen hat, sind die erfolgten Stalking-Handlungen daraufhin zu prüfen, ob jeweils nach den insoweit maßgeblichen Kriterien ein vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG vorliegt. Ein sich - wie hier - über Jahre erstreckendes Stalking, das aus einer Vielzahl einzelner, für sich abgeschlossener Sachverhalte besteht, kann entgegen der Auffassung des LSG nicht als ein einheitlicher schädigender Vorgang gewertet werden. Denn ein solcher umfasst nur den konkreten tätlichen Angriff und das diesem unmittelbar folgende gewaltgeprägte Geschehen.

62

Soweit sich eine feindselige Willensrichtung des Täters nicht feststellen lässt, kommt es auch beim Stalking auf das Vorliegen einer mit Gewaltanwendung verbundenen vorsätzlichen Straftat an. Der Senat hat bereits zum Phänomen des sog Mobbings entschieden, dass sich diese Vorgänge des Arbeitslebens, die den Rahmen des zwar gesellschaftlich Missbilligten, aber nicht Strafbaren nicht verlassen und die Schwelle zum kriminellen Unrecht nicht überschreiten, nicht als tätlicher Angriff iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG angesehen werden können(BSG Urteil vom 14.2.2001 - B 9 VG 4/00 R - BSGE 87, 276 = SozR 3-3800 § 1 Nr 18). Denn bei der Anwendung des OEG ist von dessen Grundgedanken auszugehen, dass nur Opfer von Gewalttaten entschädigt werden sollen (vgl BT-Drucks 7/2506 S 7). Das OEG deckt mithin nicht alle - sonstigen - aus dem Gesellschaftsleben folgenden Verletzungsrisiken ab, die einem anderen als dem Geschädigten zuzurechnen sind (BSG Urteil vom 14.2.2001 - B 9 VG 4/00 R - BSGE 87, 276 = SozR 3-3800 § 1 Nr 18). Ebenso wenig reicht das Verwirklichen eines Straftatbestandes aus, wenn es (wie zB bei Vermögensdelikten) ohne körperliche Einwirkungen auf das Opfer geschieht. Dies gilt grundsätzlich auch für Stalking-Handlungen, die jedoch nach heute geltendem Recht wegen des Tatbestands der Nachstellung gemäß § 238 StGB eine besondere strafrechtliche Relevanz aufweisen können. Allerdings kann für den Zeitraum vor Inkrafttreten dieser Norm zum 31.3.2007 zur opferentschädigungsrechtlichen Beurteilung, ob ein vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG in Gestalt einer strafbaren Vorsatztat vorliegt, nicht auf diesen Straftatbestand zurückgegriffen werden(aa). Maßgeblich ist das zum Tatzeitpunkt geltende Recht (bb).

63

aa) Entgegen der Auffassung des LSG kann hier das Vorliegen eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG - abgesehen von dem zusätzlichen Erfordernis einer Tätlichkeit - nicht mit der Begründung bejaht werden, es sei der ab dem 31.3.2007 geltende Tatbestand der Nachstellung iS des § 238 StGB erfüllt.

64

Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats dient das Merkmal der Rechtsfeindlichkeit, wie sie sich durch das Begehen einer vorsätzlichen Straftat zeigt, einer normativen Grenzziehung gegenüber Verhaltensweisen, die den Rahmen des gesellschaftlichen Lebens nicht überschreiten. Diese Abgrenzung erfordert nach Auffassung des Senats ein Abstellen auf die zum Zeitpunkt der Tat jeweils geltende Rechtslage. Ungeachtet des im Strafrecht geltenden absoluten Rückwirkungsverbots nach Art 103 Abs 2 GG drohen im Opferentschädigungsrecht anderenfalls Billigkeitserwägungen. Es müsste nämlich der Unrechtsgehalt einer erst im Zeitpunkt der Entscheidungsfindung strafbaren Handlung auf Zeiträume erstreckt werden, in denen das entsprechende Täterverhalten nicht strafbar gewesen ist. Die für die Bewertung des Täterverhaltens maßgebende normative Grenze würde dadurch klare Konturen verlieren.

65

Zum einen ist die Frage, auf welche Handlungen der Staat seinen Strafanspruch erstrecken will, dem Wandel gesellschaftlicher Phänomene und Anschauungen unterworfen (vgl hierzu auch Pollähne, NK 2002, 56, 58). Dies zeigt sich gerade auch in der Aufnahme des Tatbestands der Nachstellung in das StGB, die auf die zunehmende Bedeutung des Phänomens des Stalking und den als unzureichend angesehenen Schutz der betroffenen Personen zurückzuführen ist (vgl BT-Drucks 16/575 S 1; Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks 16/3641 S 1). Ein anderes Beispiel ist der erst seit 1.4.1998 strafbare Versuch einer Körperverletzung nach § 223 Abs 2 StGB(Gesetz vom 26.1.1998, BGBl I 164). Zum anderen kann von einer Feindlichkeit des Täters gegen das Strafgesetz nur bei einem - willentlichen - Bruch der zum Zeitpunkt der Tat geltenden Rechtsordnung gesprochen werden. Auf den von der Beklagten angesprochenen Gesichtspunkt eines Schutzes des Täters vor Regressforderungen des Staates nach § 5 OEG iVm § 81a BVG kommt es insofern nicht entscheidend an.

66

bb) Ist danach stets auf die zum Tatzeitpunkt geltende Rechtslage abzustellen, kommen im vorliegenden Fall, der insbesondere Stalkinghandlungen in der Zeit von Oktober 2001 bis Dezember 2003 (jedenfalls vor Inkrafttreten des § 238 StGB) betrifft, opferentschädigungsrechtlich als Straftatbestände insbesondere die Körperverletzung(§§ 223, 229 StGB), die Nötigung (§ 240 StGB), die sexuelle Nötigung (§ 177 StGB), die Bedrohung (§ 241 StGB) und die Beleidigung (§ 185 StGB) in Betracht (vgl BT-Drucks 16/575 S 6).

67

Zudem ist nach Auffassung des Senats für den Zeitraum ab 1.1.2002 eine Strafbarkeit des maßgeblichen Verhaltens nach § 4 GewSchG ausreichend, um - bei Vorliegen weiterer Voraussetzungen - einen Entschädigungsanspruch nach § 1 Abs 1 Satz 1 OEG begründen zu können. Mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe ist nach § 4 GewSchG ein Verstoß gegen eine vollstreckbare Anordnung nach § 1 GewSchG strafbar, die tatbestandlich eine vorangegangene vorsätzliche und rechtswidrige Verletzung des Körpers, der Gesundheit oder der Freiheit einer anderen Person voraussetzt(§ 1 Abs 1 Satz 1 GewSchG). Zum Schutz der betroffenen Person kann das Gericht gemäß § 1 Abs 1 Satz 3 GewSchG insbesondere anordnen, dass der Täter es unterlässt, die Wohnung der verletzten Person zu betreten(Nr 1), sich in einem bestimmten Umkreis der Wohnung der verletzten Person aufzuhalten (Nr 2), zu bestimmende andere Orte aufzusuchen, an denen sich die verletzte Person regelmäßig aufhält (Nr 3), Verbindung zur verletzten Person, auch unter Verwendung von Fernkommunikationsmitteln, aufzunehmen (Nr 4), Zusammentreffen mit der verletzten Person herbeizuführen (Nr 5), soweit dies nicht zur Wahrnehmung berechtigter Interessen erforderlich ist. Entsprechende Anordnungen können bei einer widerrechtlichen Drohung mit einer Verletzung des Körpers, der Gesundheit oder der Freiheit einer anderen Person (§ 1 Abs 2 Satz 1 Nr 1 GewSchG)und bei einem widerrechtlichen Eindringen in die Wohnung einer anderen Person (§ 1 Abs 2 Satz 1 Nr 2 Buchst a GewSchG) ergehen, sowie gegenüber demjenigen, der eine andere Person dadurch unzumutbar belästigt, dass er ihr gegen den ausdrücklich erklärten Willen wiederholt nachstellt oder sie unter Verwendung von Fernkommunikationsmitteln verfolgt (§ 1 Abs 2 Satz 1 Nr 2 Buchst a GewSchG).

68

Der Gesetzgeber hat insoweit den Schwerpunkt der rechtlichen Maßnahmen gegen häusliche Gewalt und "unzumutbare Belästigungen" (also "Stalking") zunächst nur auf zivilrechtlicher Ebene gesetzt und die Strafbarkeit des Verhaltens durch eine Kriminalisierung des Ungehorsams gegenüber vollstreckbaren gerichtlichen Anordnungen eröffnet (Pollähne, NK 2002, 56, 58). Wenngleich hierbei vorrangiges Ziel des Gesetzgebers war, die verfahrensrechtliche Geltendmachung von zivilrechtlichen Unterlassungsansprüchen zu erleichtern, die Effizienz der Vollstreckung zivilgerichtlicher Entscheidungen zu verbessern und bei dem Verstoß gegen eine gerichtliche Schutzanordnung ein Eingreifen der Polizei zu ermöglichen (so der Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 5.3.2001, BT-Drucks 14/5429 S 1, 10; Grziwotz, NJW 2002, 872, 873 f; vgl auch Rupp, Rechtstatsächliche Untersuchung zum Gewaltschutzgesetz, Berlin 2005, S 89 ff), ist die Einbeziehung solcher strafbaren Vorsatztaten in die opferentschädigungsrechtliche Bewertung nach § 1 Abs 1 Satz 1 OEG nicht nur wegen der sachlichen Nähe zur sog Gewaltkriminalität gerechtfertigt, sondern auch wegen der mit einem Zuwiderhandeln gegen eine entsprechende Schutzanordnung des Gerichts eindeutig hervortretenden Rechtsfeindlichkeit des Täters, des willentlichen Bruchs der Rechtsordnung.

69

Soweit der Täter durch sein Verhalten gegen eine vollstreckbare Anordnung nach § 1 GewSchG verstößt und sich dadurch nach § 4 GewSchG strafbar macht, ist die Grenze zum tätlichen Angriff iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG - ungeachtet ggf einschlägiger Straftatbestände nach dem StGB - überschritten, wenn die Tat durch Mittel körperlicher Gewalt gegen die durch die Anordnung geschützte Person begangen wird und/oder der rechtswidrig herbeigeführte Zustand mittels Tätlichkeiten aufrechterhalten wird. Insoweit gelten ähnliche Grundsätze wie bei der opferentschädigungsrechtlichen Bewertung der Freiheitsberaubung nach § 239 StGB(vgl BSG Urteil vom 30.11.2006 - B 9a VG 4/05 R - SozR 4-3800 § 1 Nr 10 RdNr 13; BSG Urteil vom 2.10.2008 - B 9 VG 2/07 R - juris RdNr 15). Auch mit einem nach § 4 GewSchG strafbaren Verhalten muss eine körperliche Gewaltanwendung einhergehen, um einen tätlichen Angriff iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG bejahen zu können(offen gelassen für die Freiheitsberaubung, vgl BSG Urteil vom 30.11.2006 - B 9a VG 4/05 R - SozR 4-3800 § 1 Nr 10 RdNr 13; BSG Urteil vom 2.10.2008 - B 9 VG 2/07 R - juris RdNr 15). Aus einem Verstoß gegen eine Schutzanordnung nach § 1 GewSchG kann nämlich nicht ohne Weiteres auf eine objektive Gefährdung der körperlichen Unversehrtheit oder des Lebens des Opfers durch eine Tätlichkeit geschlossen werden.

70

3. Gemessen an diesen Kriterien ist es dem erkennenden Senat anhand der bisherigen Tatsachenfeststellungen des LSG nicht möglich, abschließend zu beurteilen, inwiefern die einzelnen Stalkinghandlungen des H. vorsätzliche, rechtswidrige tätliche Angriffe gegen die Klägerin iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG darstellen.

71

a) Eine Wertung als tätlicher Angriff scheidet allerdings von vornherein für alle Telefonate, SMS, Briefe, Karten, Geschenke und dergleichen sowie für das bloße Klingeln an der Haustür der Klägerin aus, wodurch H. die Klägerin allerdings in erheblicher Weise belästigt hat. Denn insoweit fehlt es an einer unmittelbar drohenden Gewaltanwendung auch soweit einzelne Mitteilungen ernste Drohungen enthielten. Entsprechend verhält es sich mit den von H. missbräuchlich veranlassten Notfalleinsätzen, Dienstleistungen oder Lieferungen zur Wohnung der Klägerin, zumal die beauftragten Personen - soweit ersichtlich - in keiner Weise gegenüber der Klägerin gewalttätig geworden sind.

72

b) Nach den festgestellten Gegebenheiten kann es nur bei persönlichen Begegnungen des H. mit der Klägerin zu einem tätlichen Angriff gekommen sein. Dabei ist es nach den Feststellungen des LSG wiederholt zu Drohungen und Belästigungen gekommen. Inwieweit eine Gewaltanwendung durch H. unmittelbar bevorstand, lässt sich den berufungsgerichtlichen Tatsachenfeststellungen weitestgehend nicht entnehmen, zumal es nach der Rechtsauffassung des LSG nicht darauf ankam.

73

Eine gewisse Sonderstellung nimmt das Geschehen am 18.7.2003 ein. Unter ständigem Einreden auf die Klägerin ist H. ihr an diesem Tag vom Hauseingang ihrer Wohnung gefolgt und mit ihr in demselben Bus gefahren, bis er sie vor dem Eingang eines Copy-Geschäfts am Arm festgehalten und zu sich umgerissen hat. Hierin könnte ein vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG zu sehen sein. Jedenfalls liegt es nahe, eine strafbare, unmittelbar auf den Körper der Klägerin zielende gewaltsame Einwirkung anzunehmen.

74

Die Handlung des H. ist nicht wegen eines Verstoßes gegen § 4 GewSchG strafbar, da sie zeitlich vor der Schutzanordnung des AG B. vom 19.8.2003 liegt. Vielmehr kommt eine Strafbarkeit als Nötigung gemäß § 240 Abs 1 StGB in Betracht, da H. die Klägerin gegen ihren klar erkennbaren Willen durch körperliche Gewalt am Fortgehen gehindert hat. Diese - an sich nicht gravierende - Gewaltanwendung dürfte unter normalen Umständen zwischenmenschlicher Auseinandersetzungen in aller Regel nicht verwerflich iS des § 240 Abs 2 StGB sein(vgl zur umstrittenen Anwendung und Auslegung der Verwerflichkeitsklausel jüngst BVerfG Kammerbeschluss vom 7.3.2011 - 1 BvR 388/05 - juris RdNr 38 ff). Dies gilt angesichts der vorangegangenen Drohungen und Belästigungen durch H. seit Oktober 2001 im vorliegenden Fall hingegen nicht. Fraglich könnte allerdings sein, ob unter Berücksichtigung der Umstände des Tatgeschehens aus der Sicht eines objektiven vernünftigen Dritten eine hinreichende Gefahr für Leib oder Leben der Klägerin anzunehmen ist. Diese Feststellung obliegt der tatrichterlichen Würdigung, die der Senat im Revisionsverfahren nicht vornehmen kann (vgl § 163 SGG).

75

Etwas anders verhält es sich mit den Vorgängen am 2. und 3.10.2003. An diesen Tagen hat H. auf die Klägerin vor ihrer Wohnungstür gewartet und ist ihr beim Verlassen des Hauses entgegengegangen, mit der Folge, dass die Klägerin in ihr Haus zurückgekehrt ist und sich zur Arbeit hat abholen lassen. Mit dieser Handlung hat H. in strafbarer Weise gegen die Schutzanordnung des AG B. vom 19.8.2003 verstoßen. Nach den bisher getroffenen Feststellungen des LSG ist darin jedoch noch keine körperliche Gewaltanwendung gegenüber der Klägerin und damit kein tätlicher Angriff iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG zu sehen. Allein die Annäherung des H. kann - ohne Hinzutreten weiterer Umstände (zB Drohungen, aggressives Verhalten etc) - nicht als eine unmittelbar auf den Körper zielende Einwirkung gewertet werden.

76

4. Da der erkennende Senat die danach noch fehlenden Tatsachenfeststellungen im Revisionsverfahren nicht nachholen kann, ist das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache an das LSG zurückzuverweisen (vgl § 170 Abs 2 Satz 2 SGG).

77

Soweit das LSG nach weiteren Ermittlungen hinsichtlich einzelner Begegnungen der Klägerin mit H. zu dem Ergebnis kommen sollte, dass die Klägerin Opfer eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG oder sogar von mehreren derartigen Angriffen geworden ist, wird es nach der entschädigungsrechtlichen Kausalitätslehre der wesentlichen Bedingung die Frage eines wahrscheinlichen Ursachenzusammenhangs zwischen den betreffenden schädigenden Vorgängen und der bei der Klägerin bestehenden psychischen Krankheit zu prüfen haben. Hierbei ist in aller Regel die Hinzuziehung medizinischen Sachverstands erforderlich.

78

Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten darüber, ob das Sozialgericht (SG) das damals zuständige (jetzt beigeladene) Land zu Recht verurteilt hat, eine bei der Klägerin vorliegende Gesundheitsstörung als Folge eines schädigenden Ereignisses iS des § 1 Abs 1 Satz 1 Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (Opferentschädigungsgesetz) festzustellen.

2

Die am 2.10.1954 geborene Klägerin ließ sich im Jahr 2000 zwei Mal von einem Arzt für Gynäkologie operieren. Zunächst saugte dieser am 13.1.2000 im Rahmen eines kosmetischen Eingriffs Fett ab. Danach traten Komplikationen auf. Am 20.6.2000 versuchte der Arzt, eine bestehende Fettschürze zu korrigieren und saugte weiteres Fett ab. Nach diesem Eingriff kam es zu erheblichen Gesundheitsstörungen, die im Krankenhaus behandelt werden mussten.

3

Zur Zeit der Operationen litt die Klägerin neben dem erheblichen Übergewicht an einer Koronarinsuffizienz, Bluthochdruck, Lungeninsuffizienz, insulinpflichtigem Diabetes mellitus sowie einer Darmerkrankung. Darauf machte sie den Arzt vor den operativen Maßnahmen aufmerksam. Dieser wies sie sodann bewusst nicht darauf hin, dass angesichts der Vorerkrankungen bei den Operationen mit einem erheblichen Gesundheitsrisiko, ggf sogar mit Todesfolge, zu rechnen sei. Die notwendige Aufklärung unterließ der Gynäkologe aus finanziellen Motiven, weil ihm bewusst war, dass die Klägerin sonst von den Operationen abgesehen hätte. Er dokumentierte weder ein Aufklärungsgespräch noch eine Einwilligung. Darüber hinaus täuschte er die Klägerin über seine Befähigung, die Eingriffe fachgerecht vornehmen zu können.

4

Das Landgericht Aachen verurteilte den Gynäkologen wegen vorsätzlicher gefährlicher Körperverletzung gemäß §§ 223, 224 Abs 1 Nr 5 Strafgesetzbuch (StGB) aufgrund des operativen Eingriffs vom 13.1.2000 zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten sowie aufgrund des weiteren Eingriffs vom 20.6.2000 zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten. Unter Einbeziehung zahlreicher weiterer Taten zum Nachteil anderer Patienten wurde der Gynäkologe zu einer mehrjährigen Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt (rechtskräftiges Urteil vom 17.7.2002 - 61 KLs/42 Js 1109/00).

5

Am 22.11.2003 beantragte die Klägerin beim seinerzeit zuständigen Versorgungsamt Aachen Leistungen der Beschädigtenversorgung nach dem OEG iVm dem Bundesversorgungsgesetz (BVG). Diesen Antrag lehnte das Versorgungsamt nach Beiziehung des Strafurteils durch Bescheid vom 9.1.2004 mit der Begründung ab, die Voraussetzungen des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG lägen nicht vor. Das OEG bezwecke ausschließlich die Entschädigung von Kriminalitätsopfern, die vom Staat trotz des von diesem in Anspruch genommenen Gewaltmonopols im Einzelfall nicht ausreichend hätten geschützt werden können. Die hier der strafrechtlichen Verurteilung zugrunde liegenden ärztlichen Kunstfehler seien von diesem Schutzzweck naturgemäß nicht erfasst. Es fehle an einer feindseligen Tendenz im Sinne des OEG. Den Widerspruch der Klägerin wies die Bezirksregierung Münster mit Bescheid vom 22.6.2004 zurück.

6

Das von der Klägerin angerufene SG Aachen hat nach Einholung mehrerer medizinischer Gutachten mit Urteil vom 21.12.2006 das (jetzt beigeladene) Land Nordrhein-Westfalen (NRW) unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide verurteilt, die bei der Klägerin vorliegende Gesundheitsstörung "Zustand nach Abdominalplastik mit zwei großen quer verlaufenden Narben im Ober- und Unterbauch mit korrigiertem Nabel mit Sensibilitätsstörungen im Narbenbereich" als durch ein schädigendes Ereignis iS von § 1 Abs 1 Satz 1 OEG hervorgerufene Gesundheitsstörung festzustellen. Die darüber hinausgehende Klage auf Gewährung von Versorgung hat das SG - mittlerweile (nach Rücknahme der Berufung der Klägerin) rechtskräftig - abgewiesen, weil die festgestellte Gesundheitsstörung lediglich eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 10 vH bedinge.

7

Gegen seine Verurteilung hat das Land NRW Berufung eingelegt. Dieses Rechtsmittel ist nach Inkrafttreten des § 4 Abs 1 Gesetz zur Eingliederung der Versorgungsämter in die allgemeine Verwaltung des Landes Nordrhein-Westfalen(= Art 1 Zweites Gesetz zur Straffung der Behördenstruktur in Nordrhein-Westfalen vom 30.10.2007, GVBl NRW 482, ) ab 1.1.2008 vom Landschaftsverband Rheinland weiter geführt und sodann vom Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (LSG) mit Urteil vom 21.5.2008 zurückgewiesen worden. Diese Entscheidung ist auf folgende Erwägungen gestützt:

8

Zum 1.1.2008 sei ein Beteiligtenwechsel kraft Gesetzes eingetreten. Berufungsführer sei seitdem der Landschaftsverband Rheinland. Ob sich dieser als neuer Beklagter gegen die Anerkennung von Schädigungsfolgen wende oder dies dem notwendig beigeladenen Land als weiterhin materiell Verpflichtetem obliege, ändere am Tenor der Berufungsentscheidung nichts, denn weder das Land noch der Landschaftsverband hätten einen Anspruch auf Aufhebung des Urteils des SG.

9

Zu Recht habe dieses die streitbefangenen ärztlichen Maßnahmen als tätliche Angriffe iS von § 1 Abs 1 Satz 1 OEG bewertet. Nach den Feststellungen des Landgerichts, die der Senat sich zu eigen mache, habe der Gynäkologe die vor den Eingriffen notwendige Aufklärung aus finanziellen Motiven unterlassen. Er habe die Klägerin bewusst nicht darauf hingewiesen, dass angesichts der Vorerkrankungen mit einem erheblichen Gesundheitsrisiko, ggf sogar mit Todesfolge, während und nach den Operationen zu rechnen gewesen sei. Auch sei ihm klar gewesen, dass sich die Klägerin bei ordnungsgemäßer Aufklärung gegen die Operationen entschieden hätte. Dies habe der Gynäkologe zumindest billigend in Kauf genommen. Damit stellten die operativen Eingriffe tatbestandlich vorsätzliche Körperverletzungen iS des § 223 StGB dar, die nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) mangels wirksamer Einwilligung auch rechtswidrig gewesen seien. Eine wirksame Einwilligung liege danach nur vor, wenn der Patient in der gebotenen Weise über den Eingriff, seinen Verlauf, seine Erfolgsaussichten, Risiken und mögliche Behandlungsalternativen aufgeklärt worden sei.

10

Der Arzt habe durch die Operationen unmittelbar in die körperliche Integrität der Klägerin eingegriffen. Zwar habe er keinen Widerstand der Klägerin überwinden müssen. Diese Situation habe er sich jedoch nur verschaffen können, weil er die Klägerin zuvor über die Risiken der Operation und seine Befähigung, die Eingriffe fachgerecht vornehmen zu können, getäuscht habe. Ob zwischen dem Arzt und der Klägerin ein besonderes Vertrauensverhältnis bestanden habe, sei in diesem Zusammenhang unerheblich. Die von dem Gynäkologen vorgenommenen Eingriffe stellten auch keine Heilbehandlung dar, denn es sei keine objektive Heiltendenz feststellbar. Zudem handle es sich bei der von § 1 Abs 1 OEG geforderten Feindseligkeit der Tathandlung nicht um eine innere Tatsache. Was feindselig sei, bestimme das Strafgesetz. Feindselig in diesem Sinne seien alle § 223 StGB zuzuordnenden, strafbewehrten Tathandlungen. Unschädlich sei, dass die im Rahmen der Operationen begangenen Kunst- und Behandlungsfehler nur fahrlässiger Natur gewesen seien.

11

Die Klägerin habe durch die beiden durchgeführten Operationen eine gesundheitliche Schädigung erlitten, an deren Folgen sie fortdauernd leide. Art und Umfang der insoweit verbliebenen Gesundheitsstörung seien von den Beteiligten unstreitig gestellt worden.

12

Der Beklagte macht mit seiner nach Zulassung durch den erkennenden Senat eingelegten Revision eine Verletzung von § 1 Abs 1 OEG geltend. Zur Begründung führt er ua aus:

13

Durch die Regelungen des OEG wolle der Staat für den Schutz der Bürgerinnen und Bürger insbesondere vor gesundheitlichen Schädigungen durch kriminelle Handlungen wie vor allem Gewalttaten einstehen. Im Lichte dieses Gesetzeszwecks seien auch die einzelnen Tatbestandsmerkmale auszulegen. Ein vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff iS des § 1 Abs 1 OEG setze daher eine in feindseliger Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielende gewaltsame, in der Regel auch handgreifliche Einwirkung voraus.

14

An einer feindseligen Willensrichtung fehle es hier. Zwar hätten Eingriffe in die körperliche Integrität eines anderen grundsätzlich die Tendenz, diesen zum bloßen Objekt herabzuwürdigen; sie seien deshalb als feindselig zu werten. Wenn aber im Rahmen eines Arzt-Patienten-Verhältnisses die Einwilligung zur Operation vorliege, verliere der Eingriff in die körperliche Integrität seine feindselige Qualität. Im vorliegenden Fall bestehe die Besonderheit, dass die Klägerin zwar ihre Einwilligung in beide Operationen gegeben habe, diese aber vom Täter erschlichen worden seien. Das LSG schließe ohne eigene Sachaufklärung aus den vom Landgericht in seinem Strafurteil benannten Motiven für das Erschleichen der Einwilligung und aus der Tatsache der strafrechtlichen Verurteilung, dass der Gynäkologe keine Heilbehandlung vorgenommen habe, weil die Eingriffe nicht zur Heilung geeignet gewesen seien. Letzteres lasse sich aber den einschlägigen Passagen des Landgerichtsurteils nicht entnehmen. Es könne daher nicht davon ausgegangen werden, dass der Operateur der Klägerin insofern rechtsfeindlich gesonnen gewesen sei, als er sie dauerhaft habe schädigen wollen. Eine rechtsfeindliche Willensrichtung lasse sich zwar für die fehlerhafte Aufklärung über die Operationsrisiken bejahen. Hieraus resultiere aber nicht gleichzeitig eine rechtsfeindliche Willensrichtung hinsichtlich der anschließenden Operationen. Das Vertrags- und Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient gestatte nur dann die Annahme einer feindseligen Willensrichtung hinsichtlich des operativen Eingriffs, wenn dies bestimmte äußere Umstände nahelegten, etwa wenn sich der Operierende fälschlich als Arzt ausgebe.

15

Der Beklagte beantragt,

die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 21.5.2008 und des Sozialgerichts Aachen vom 21.12.2006 abzuändern und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.

16

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

17

Sie hält die Ausführungen des LSG für zutreffend.

18

Die beigeladene Bundesrepublik Deutschland hat wie folgt Stellung genommen: Generell liege bei ärztlichen Kunstfehlern keine Gewalttat iS des § 1 Abs 1 OEG vor. Eine strafrechtliche Verurteilung wegen Körperverletzung führe zwar in der Regel auch zur Bejahung eines tätlichen Angriffs. Jedoch sei dies nicht zwangsläufig so. Zusätzlich sei nämlich auch ein tätlicher Angriff in feindseliger Willensrichtung erforderlich. Daran fehle es im konkreten Fall. Das LSG habe den feindseligen Akt wohl im Erschleichen der Einwilligung durch bewusst unzureichende Aufklärung gesehen. Es leuchte jedoch nicht ein, warum ein tätlicher Angriff im Sinne des OEG davon abhängen solle, dass der Arzt die Patientin mit Eventualvorsatz unzureichend aufgeklärt habe. Mit einer solchen Argumentation könne praktisch jeder ärztliche Heileingriff, bei dem eine wirksame Einwilligung fehle, als OEG-Fall anerkannt werden, und zwar selbst dann, wenn der ärztliche Eingriff richtig und erfolgreich ausgeführt worden sei und ein Kunstfehler daher überhaupt nicht vorliege. Eine entsprechende Ausweitung des vom OEG erfassten Personenkreises sei vom Gesetzgeber nicht beabsichtigt gewesen. Die Rechtsentwicklung zum Bereich des sexuellen Missbrauchs von Kindern lasse sich auf den Bereich ärztlicher Kunstfehler nicht anwenden. Die tatbestandliche Ausgangslage sei eine gänzlich andere.

Entscheidungsgründe

19

1. Die Revision des Beklagten ist zulässig. Richtiger Beklagter und Revisionskläger ist nunmehr der Direktor des Landschaftsverbandes Rheinland.

20

a) Zutreffend ist das LSG davon ausgegangen, dass es mit Inkrafttreten von § 4 Abs 1 Eingliederungsgesetz zum 1.1.2008 im Verlauf des Berufungsverfahrens zu einem Beteiligtenwechsel kraft Gesetzes auf der Beklagtenseite gekommen ist (vgl hierzu BSG, Urteil vom 5.7.2007 - B 9/9a SB 2/07 R - BSGE 99, 9 = SozR 4-3250 § 69 Nr 6, jeweils RdNr 13 f; BSG, Urteil vom 28.7.2008 - B 1 KR 5/08 R - BSGE 101, 177 = SozR 4-2500 § 109 Nr 6, jeweils RdNr 13; BSG, Urteil vom 11.12.2008 - B 9 VS 1/08 R - BSGE 102, 149 = SozR 4-1100 Art 85 Nr 1, jeweils RdNr 20; BSG, Urteil vom 11.12.2008 - B 9 V 3/07 R - juris RdNr 21; BSG, Urteil vom 23.4.2009 - B 9 VG 1/08 R -, juris RdNr 22; BSG, Urteil vom 25.6.2009 - B 10 EG 8/08 R - BSGE 103, 291 = SozR 4-7837 § 2 Nr 2, jeweils RdNr 19; BSG, Urteil vom 30.9.2009 - B 9 VG 3/08 R - BSGE 104, 245, auch zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen, RdNr 26). Durch § 4 Abs 1 Eingliederungsgesetz wurden die den Versorgungsämtern übertragenen Aufgaben des Sozialen Entschädigungsrechts einschließlich der Kriegsopferversorgung mit Wirkung vom 1.1.2008 rechtswirksam auf die Landschaftsverbände übertragen. Ab diesem Zeitpunkt ist der für die Klägerin örtlich zuständige Landschaftsverband Rheinland gemäß § 6 Abs 1 OEG für die Versorgung nach diesem Gesetz zuständig.

21

b) Das LSG hat den Landschaftsverband Rheinland selbst als Beklagten behandelt. Die Klägerin hat ihre Klage im Verlauf des Revisionsverfahrens umgestellt und nunmehr gegen die nach § 70 Nr 3 SGG beteiligtenfähige Behörde - den Direktor des Landschaftsverbandes - gerichtet. Mit dieser Umstellung trägt sie der Rechtsprechung des 8. Senats des BSG Rechnung, wonach die Klage zwingend gegen die nach § 70 Nr 3 SGG für beteiligtenfähig erklärte Behörde zu richten ist, wenn ein Land - wie hier Nordrhein-Westfalen durch § 3 Gesetz zur Ausführung des SGG - das Behördenprinzip eingeführt hat (vgl BSG, Urteil vom 29.9.2009 - B 8 SO 19/08 R - RdNr 14). Demgegenüber hat der erkennende Senat die Auffassung vertreten (vgl Urteil vom 23.4.2009 - B 9 SB 3/08 R - juris RdNr 21), dass die nach § 70 Nr 1 SGG beteiligtenfähige juristische Person (hier der Landschaftsverband Rheinland) diese Fähigkeit nicht dadurch verliert, dass die für sie handelnde Behörde (hier der Direktor des Landschaftsverbandes Rheinland) durch Landesrecht iS des § 70 Nr 3 SGG für beteiligtenfähig erklärt worden ist. Zur Vermeidung einer Divergenz hat der erkennende Senat deshalb eine Umstellung der Klage angeregt; dem steht § 168 Satz 1 SGG nicht entgegen, weil sich der Klagegrund, also der dem Klageantrag zugrunde liegende Lebenssachverhalt, nicht geändert hat(vgl § 99 Abs 3 SGG).

22

2. Die Revision des Beklagten ist unbegründet, denn das LSG hat im Ergebnis zu Recht dessen Berufung gegen das Urteil des SG zurückgewiesen, mit dem dieses die entgegenstehende ablehnende Verwaltungsentscheidung aufgehoben und das seinerzeit beklagte Land zur Feststellung einer Gesundheitsstörung als Folge eines schädigenden Ereignisses iS von § 1 Abs 1 Satz 1 OEG verurteilt hat. Eine Rechtskraft dieser Entscheidung erstreckt sich gemäß § 141 Abs 1 Nr 1 SGG auf den jetzigen Beklagten.

23

Rechtsgrundlage für den von der Klägerin in zulässiger Weise mit einer kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 SGG)geltend gemachten Anspruch auf Feststellung einer bei ihr vorliegenden Gesundheitsstörung als Folge eines schädigenden Ereignisses ist § 1 Abs 1 Satz 1 OEG(idF vom 11.5.1976, BGBl I 1181). Danach erhält ua derjenige, der im Geltungsbereich des OEG infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine Person eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG. Reicht - wie hier - der Grad der Schädigungsfolgen für einen Anspruch auf Gewährung von Beschädigtenrente nicht aus (vgl § 31 Abs 1 BVG), hat der Beschädigte nach der gefestigten Rechtsprechung des BSG einen Anspruch auf isolierte Feststellung (Anerkennung) von Schädigungsfolgen. Denn die Feststellung von Schädigungsfolgen kann als eigenständiger begünstigender Verwaltungsakt Grundlage für weitere Ansprüche oder Rechtsfolgen sein, zB Ansprüche auf Heilbehandlung wegen der anerkannten Folgen einer Schädigung (vgl zum BVG bereits BSGE 9, 80, 83 f = SozR Nr 17 zu § 55 SGG; BSGE 12, 25, 26; BSGE 27, 22, 23 = SozR Nr 59 zu § 77 SGG; BSG, Urteil vom 2.6.1970 - 10 RV 69/68 - KOV 1971, 170; zum Soldatenversorgungsgesetz etwa BSGE 57, 171, 172 = SozR 1500 § 55 Nr 24 S 17; BSGE 68, 128, 129 f = SozR 3-3200 § 81 Nr 1 S 3; BSG SozR 3-1500 § 55 Nr 18 S 39; BSG SozR 3-3200 § 81 Nr 16 S 73; zum OEG etwa BSG, Urteil vom 18.10.1995 - 9/9a RVg 4/92 - BSGE 77, 1, 6 = SozR 3-3800 § 1 Nr 4 S 15).

24

Wie SG und LSG im Ergebnis zutreffend erkannt haben, steht der Klägerin gemäß § 1 Abs 1 Satz 1 OEG nach den Umständen des vorliegenden Falles ein Anspruch auf Feststellung der Gesundheitsstörungen zu, die Folgen der im Jahre 2000 von dem Gynäkologen durchgeführten Schönheitsoperationen sind. Denn diese ärztlichen Eingriffe sind als vorsätzliche, rechtswidrige tätliche Angriffe iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG zu werten. Der erkennende Senat legt dabei zunächst seine bisherige Rechtsprechung zum Rechtsbegriff "vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff" zugrunde (dazu unter a). Darüber hinaus ist die Rechtsprechung des BGH zur Strafbarkeit eines ärztlichen Eingriffs als vorsätzliche Körperverletzung von Bedeutung (dazu unter b). Für diesen Bereich entwickelt der Senat seine bisherige Rechtsprechung dahin weiter, dass ein ärztlicher Eingriff unter bestimmten Voraussetzungen als tätlicher Angriff anzusehen ist (dazu unter c). Diese Voraussetzungen liegen nach den für den Senat verbindlichen Tatsachenfeststellungen hier vor (dazu unter d).

25

a) Die Rechtsprechung des erkennenden Senats zur Auslegung des Rechtsbegriffs "vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff" iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG hat sich im Laufe der Jahre anhand einzelner Fallgestaltungen entwickelt. Sie hat sich weitgehend von subjektiven Merkmalen (wie etwa einer kämpferischen, feindseligen Absicht des Täters) gelöst und entscheidend auf die Rechtsfeindlichkeit, vor allem verstanden als Feindlichkeit gegen das Strafgesetz, abgestellt. Dabei hat der erkennende Senat je nach Fallkonstellation unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt und verschiedene Betrachtungsweisen zugrunde gelegt. Leitlinie des erkennenden Senats war insoweit der sich aus dem Sinn und Zweck des OEG ergebende Gedanke des Opferschutzes. Das Vorliegen eines tätlichen Angriffs hat der Senat daher aus der Sicht eines objektiven, vernünftigen Dritten beurteilt und insbesondere sozial angemessenes Verhalten ausgeschieden. Allgemein ist er in seiner bisherigen Rechtsprechung davon ausgegangen, dass als tätlicher Angriff grundsätzlich eine in feindseliger Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielende gewaltsame Einwirkung anzusehen ist, wobei in aller Regel die Angriffshandlung den Tatbestand einer - jedenfalls versuchten - vorsätzlichen Straftat gegen das Leben oder die körperliche Unversehrtheit erfüllt (vgl BSG, Urteil vom 10.9.1997 - 9 RVg 1/96 - BSGE 81, 42, 43 = SozR 3-3800 § 1 Nr 11 S 38; BSG, Urteil vom 4.2.1998 - B 9 VG 5/96 R - BSGE 81, 288, 289 = SozR 3-3800 § 1 Nr 12 S 42 f; BSG, Urteil vom 24.7.2002 - B 9 VG 4/01 R - BSGE 90, 6, 8 f = SozR 3-3800 § 1 Nr 22 S 103 f; BSG, Urteil vom 10.12.2003 - B 9 VG 3/02 R - SozR 4-3800 § 1 Nr 5 RdNr 6 f und zuletzt BSG, Urteil vom 2.10.2008 - B 9 VG 2/07 R - juris RdNr 14 ff).

26

Im Einzelnen hat der erkennende Senat bislang zu folgenden Fallkonstellationen entschieden:

27

Zunächst hat er unter Bezugnahme auf die Begründung zum Regierungsentwurf eines OEG (BT-Drucks 7/2506 S 13) für die Annahme einer Angriffshandlung eine in feindseliger Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielende Einwirkung verlangt und deshalb einen tätlichen Angriff bei der Flucht vor einem Einbrecher verneint (BSG, Urteil vom 7.11.1979 - 9 RVg 1/78 - BSGE 49, 98, 99 f = SozR 3800 § 1 Nr 1 S 2; BSG, Urteil vom 28.3.1984 - 9a RVg 1/83 - BSGE 56, 234, 236 = SozR 3800 § 1 Nr 4 S 9). Diese Rechtsprechung hat er später dahingehend präzisiert, dass unter einem tätlichen Angriff ein gewaltsames, handgreifliches Vorgehen gegen eine Person in kämpferischer, feindseliger Absicht zu verstehen ist, nicht jedoch sozial angemessenes Verhalten, wie das Hochheben einer jungen Frau auf einem Straßenfest (BSG, Urteil vom 23.10.1985 - 9a RVg 5/84 - BSGE 59, 46, 47 ff = SozR 3800 § 1 Nr 6 S 18 ff).

28

In Fällen sexuellen Missbrauchs von Kindern iS von § 176 StGB hat der Senat dann den Begriff des tätlichen Angriffs umfassender im Sinne von Rechtsfeindlichkeit verstanden. Danach kommt es nicht darauf an, welche innere Einstellung der Täter zu dem Opfer hatte und wie das Opfer die Tat empfunden hat. Für den Senat war allein entscheidend, dass die Begehensweise, nämlich sexuelle Handlungen, eine Straftat war, deretwegen die Täter in diesen Fällen auch bestraft worden sind (BSG, Urteil vom 18.10.1995 - 9 RVg 4/93 - BSGE 77, 7, 8 f = SozR 3-3800 § 1 Nr 6 S 23 f; BSG, Urteil vom 18.10.1995 - 9 RVg 7/93 - BSGE 77, 11, 13 = SozR 3-3800 § 1 Nr 7 S 28 f; ähnlich auch bei einer Aids-Infektion durch ungeschützten Geschlechtsverkehr: BSG, Urteil vom 18.10.1995 - 9 RVg 5/95 - BSGE 77, 18, 19 = SozR 3-3800 § 2 Nr 3 S 7).

29

Auch eine absichtliche Blockade mit einem Kraftfahrzeug ist als tätlicher Angriff angesehen worden, wenn das Opfer dem gegen ihn gerichteten körperlichen Angriff durch Ausweichen oder Flucht entgehen will und dadurch zu Schaden kommt. Der Senat hat es für genügend erachtet, dass das Handeln des Angreifers vorsätzlich und auf Rechtsbruch gerichtet war. In der Regel reicht danach der vorsätzliche rechtswidrige Angriff gegen die körperliche Integrität oder die körperliche Bewegungsfreiheit aus, um den Tatbestand (des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG) zu erfüllen (BSG, Urteil vom 12.12.1995 - 9 RVg 1/94 - SozR 3-3800 § 10a Nr 1 S 2 f).

30

Ebenso hat es der erkennende Senat beim Zünden eines Feuerwerkskörpers durch einen unbekannt gebliebenen Täter ausreichen lassen, dass das Verhalten des Täters auf Rechtsbruch gerichtet war und dadurch seine Rechtsfeindlichkeit erkennen ließ. Rechtsfeindlich handele, wer vorsätzlich und rechtswidrig einen Angriff gegen die körperliche Integrität eines anderen richte (BSG, Urteil vom 28.5.1997 - 9 RVg 1/95 - USK 9714).

31

Diese Rechtsprechung hat der Senat in seiner Entscheidung zur Gewalt gegen Sachen verbunden mit Drohungen gegenüber dem Opfer fortgeführt: Er ist dort zwar davon ausgegangen, dass ein vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff grundsätzlich eine in feindseliger Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielende, gewaltsame und in der Regel auch handgreifliche Einwirkung erfordert. Zugleich hat er jedoch klargestellt, dass nicht ein aggressives Verhalten, sondern die Rechtsfeindlichkeit des Täterhandelns für das Vorliegen der Anspruchsvoraussetzung des "tätlichen Angriffs" maßgeblich ist. Bei Drohungen gegenüber dem Opfer verbunden mit einer unmittelbaren Gewaltanwendung gegen eine Sache hat er es deshalb als entscheidend angesehen, ob aus der Sicht eines objektiven, vernünftigen Dritten ein unmittelbares Ansetzen zu einer gezielten Gewaltanwendung gegen eine Person gegeben ist (BSG, Urteil vom 10.9.1997 - 9 RVg 1/96 - BSGE 81, 42, 43 f = SozR 3-3800 § 1 Nr 11 S 38 f, ähnlich BSG, Urteil vom 3.2.1999 - B 9 VG 7/97 R - SozR 3-3800 § 1 Nr 14 S 56 zur Verletzungshandlung eines strafrechtlich schuldunfähigen, aber handlungsfähigen Kindes).

32

In seiner Entscheidung zur Verletzung durch Signalmunition in einer Silvesternacht hat der Senat ein zielgerichtetes, vorsätzliches, aggressives Verhalten gegen eine bestimmte Person nicht für erforderlich gehalten, sondern es für die Annahme eines "tätlichen Angriffs" ausreichen lassen, dass sich der Angriff gegen andere Personen als das Opfer gerichtet hat (BSG, Urteil vom 4.2.1998 - B 9 VG 5/96 R - BSGE 81, 288, 289 f = SozR 3-3800 § 1 Nr 12 S 42 ff). Weiter ist in dieser Entscheidung ausgeführt worden, dass die "Feindseligkeit", die den "tätlichen Angriff" iS des § 1 Abs 1 OEG kennzeichnet, schon dann zu bejahen ist, wenn mit der Einwirkung auf den Körper des Opfers - zumindest versuchsweise - vorsätzlich ein Straftatbestand verwirklicht wird. "Feindselig" handelt der Täter auch dann, wenn er unter Verstoß gegen ein Strafgesetz vorsätzlich auf den Körper eines anderen einwirkt (BSGE 81, 288, 292 = SozR 3-3800 § 1 Nr 12 S 46).

33

Zum "Mobbing" als einem sich über längere Zeit hinziehenden Konflikt zwischen dem Opfer und Personen seines gesellschaftlichen Umfeldes hat der erkennende Senat entschieden, dass nur bei einzelnen "Mobbing"-Aktivitäten die Schwelle zur strafbaren Handlung und somit zum kriminellen Unrecht überschritten werden könne; tätliche Angriffe lägen allerdings nur vor, wenn auf den Körper des Opfers gezielt eingewirkt werde, wie zB durch einen Fußtritt (BSG, Urteil vom 14.2.2001 - B 9 VG 4/00 R - BSGE 87, 276, 278 = SozR 3-3800 § 1 Nr 18 S 72).

34

In dem Fall einer Bedrohung mit einer scharf geladenen, entsicherten Schusswaffe hat der erkennende Senat, anknüpfend an sein Urteil vom 10.9.1997 (BSGE 81, 42 = SozR 3-3800 § 1 Nr 11), als tätlichen Angriff grundsätzlich eine in feindseliger Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielende gewaltsame Einwirkung angesehen. Er hat darauf hingewiesen, dass in aller Regel die Angriffshandlung iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG den Tatbestand einer vorsätzlichen Straftat gegen das Leben oder die körperliche Unversehrtheit erfüllen wird. Daneben seien aber auch Begehungsweisen denkbar, bei denen kein strafrechtlich relevanter Erfolg angestrebt werde. Es sei nicht einmal die körperliche Berührung oder auch nur ein darauf zielender Vorsatz erforderlich. Bereits die absichtliche, rechtswidrige Bedrohung eines anderen mit einer scharf geladenen entsicherten Schusswaffe stellt danach einen tätlichen Angriff dar (BSG, Urteil vom 24.7.2002 - B 9 VG 4/01 R - BSGE 90, 6, 8 f = SozR 3-3800 § 1 Nr 22 S 103 f). Diese Rechtsprechung hat der Senat in seiner Entscheidung zum Entfernen eines Gullydeckels fortgeführt und darin unter Bezugnahme auf die Entscheidung vom 4.2.1998 (BSGE 81, 288, 289 f = SozR 3-3800 § 1 Nr 12) weiter festgestellt, dass eine Handlung dann nicht als tätlicher Angriff gegen eine Person angesehen werden kann, wenn ihr die erforderliche unmittelbare (feindliche) Ausrichtung auf andere Menschen fehlt (BSG, Urteil vom 10.12.2003 - B 9 VG 3/02 R - SozR 4-3800 § 1 Nr 5 RdNr 6 f). An diese Rechtsprechung hat der Senat auch in seiner Entscheidung zur körperlichen Durchsuchung einer Person durch falsche Polizeibeamte angeknüpft (BSG, Urteil vom 2.10.2008 - B 9 VG 2/07 R - juris RdNr 14 ff).

35

In Bezug auf eine Kindesentziehung durch List hat der erkennende Senat darauf hingewiesen, dass der Rechtsbegriff des tätlichen Angriffs aus Gründen des sozialen und psychischen Schutzes der Opfer unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck des OEG speziell in Fällen eines sexuellen Missbrauchs von Kindern in der Weise ausgelegt worden ist, dass er auch ohne Gewaltanwendung die Ausübung des Geschlechtsverkehrs eines erwachsenen Mannes mit einem Kind unter 14 Jahren erfasst. Bei einer Kindesentziehung hat der Senat jedoch ein entsprechendes Begriffsverständnis abgelehnt, weil dies zu einer Ausweitung der vom OEG erfassten Tatbestände führen würde, die mit der auf eine körperliche Gewaltanwendung abstellenden gesetzgeberischen Konzeption unvereinbar wäre. Eine erweiternde Auslegung ist auch nicht zum Schutz des betroffenen Kindes geboten (vgl BSG, Urteil vom 12.2.2003 - B 9 VG 2/02 R - SozR 4-3800 § 1 Nr 1 RdNr 12).

36

In seiner Entscheidung zur Freiheitsberaubung hat der erkennende Senat ebenfalls maßgeblich darauf abgestellt, dass die Grenze zur Gewalttat iS des § 1 Abs 1 OEG jedenfalls dann überschritten ist, wenn eine Person durch Mittel körperlicher Gewalt ihrer Freiheit beraubt und/oder dieser Zustand durch Tätlichkeiten aufrecht erhalten wird(BSG, Urteil vom 30.11.2006 - B 9a VG 4/05 R - SozR 4-3800 § 1 Nr 10 RdNr 13).

37

Schließlich hat der erkennende Senat in seiner Entscheidung zu einem möglichen tätlichen Angriff eines 4 ½ jährigen Kindes gegen ein anderes Kind unter Bezugnahme auf die Entscheidung vom 4.2.1998 (BSGE 81, 288 = SozR 3-3800 § 1 Nr 12)erneut hervorgehoben, dass der als "feindselige" Einwirkung auf den Körper eines anderen definierte tätliche Angriff lediglich erfordert, dass (objektiv) gegen ein Strafgesetz verstoßen wird, das die körperliche Unversehrtheit eines anderen schützt. Dies kann bei einem Stoßen ins Wasser unter Umständen der Fall sein (vgl BSG, Urteil vom 8.11.2007 - B 9/9a VG 3/06 R - SozR 4-3800 § 1 Nr 11 RdNr 14, 17).

38

b) Grundvoraussetzung für die Bewertung eines ärztlichen Eingriffs als "vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff" iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG ist danach, dass dieser als vorsätzliche Körperverletzung strafbar ist. Deshalb ist die einschlägige Rechtsprechung der Strafgerichte, insbesondere des BGH, zu beachten. Danach erfüllt jeder ärztliche Eingriff den Tatbestand einer (vorsätzlichen) Körperverletzung iS des § 223 Abs 1 StGB. Er bedarf grundsätzlich der Einwilligung, um rechtmäßig zu sein. Diese Einwilligung kann nur wirksam erteilt werden, wenn der Patient in der gebotenen Weise über den Eingriff, seinen Verlauf, seine Erfolgsaussichten, seine Risiken und mögliche Behandlungsalternativen aufgeklärt worden ist. Aufklärungsmängel können eine Strafbarkeit des Arztes wegen (vorsätzlicher) Körperverletzung jedoch nur begründen, wenn der Patient bei einer ordnungsgemäßen Aufklärung nicht in den Eingriff eingewilligt hätte. Das Fehlen einer "hypothetischen Einwilligung" ist dem Arzt nachzuweisen. Eine Beschränkung der Strafbarkeit kann sich zudem unter dem Gesichtspunkt des Schutzzweckgedankens ergeben, wenn sich ein Risiko realisiert, das nicht in den Schutzbereich der verletzten Aufklärungspflicht fällt. Dies wird etwa dann in Betracht zu ziehen sein, wenn sich der Aufklärungsmangel lediglich aus dem unterlassenen Hinweis auf Behandlungsalternativen ergibt, der Patient jedoch eine Grundaufklärung über die Art sowie den Schweregrad des Eingriffs erhalten hat und auch über die schwerstmögliche Beeinträchtigung informiert ist (vgl aus der neueren Rechtsprechung: BGH, Urteil vom 29.6.1995 - 4 StR 760/94 - BGHR StGB § 223 Abs 1 Heileingriff 4 = MedR 1996, 22, 24 ; BGH, Urteil vom 19.11.1997 - 3 StR 271/97 - BGHSt 43, 306, 308 f = NJW 1998, 1802, 1803 ; BGH, Beschluss vom 15.10.2003 - 1 StR 300/03 - JR 2004, 251, 252 ; BGH, Urteil vom 20.1.2004 - 1 StR 319/03 - JR 2004, 469, 470 ; BGH, Urteil vom 5.7.2007 - 4 StR 549/06 - BGHR StGB § 223 Abs 1 Heileingriff 8 = MedR 2008, 158, 159; BGH, Urteil vom 23.10.2007 - 1 StR 238/07 - MedR 2008, 435, 436 <"Turboentzug">; dazu auch Fischer, StGB, 57. Aufl 2010, § 223 RdNr 9, 15 ff, § 228 RdNr 12 ff).

39

c) Der erkennende Senat entwickelt seine bisherige Rechtsprechung zur Auslegung des Rechtsbegriffs "vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff" iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG für die besondere Fallkonstellation des als vorsätzliche Körperverletzung strafbaren ärztlichen Eingriffs weiter.

40

In aller Regel wird zwar eine Handlung, die den Tatbestand einer - jedenfalls versuchten - vorsätzlichen Straftat gegen das Leben oder die körperliche Unversehrtheit erfüllt, eine Angriffshandlung iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG sein. Die Verletzungshandlung im OEG hat jedoch durch das Tatbestandsmerkmal "vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff" - allerdings in Anknüpfung an die Vorschriften des StGB - eine eigenständige gesetzliche Ausprägung gefunden (vgl hierzu BSG, Urteil vom 28.3.1984 - 9a RVg 1/83 - BSGE 56, 234, 235 f = SozR 3800 § 1 Nr 4 S 8 f; BSG, Urteil vom 24.4.1991 - 9a/9 RVg 1/89 - SozR 3-3800 § 1 Nr 1 S 2; BSG, Urteil vom 10.9.1997 - 9 RVg 1/96 - BSGE 81, 42, 43 = SozR 3-3800 § 1 Nr 11 S 38; BSG, Urteil vom 3.2.1999 - B 9 VG 7/97 R - SozR 3-3800 § 1 Nr 14 S 56). Das bedeutet, dass nicht jeder als vorsätzliche Körperverletzung strafbare ärztliche Eingriff zugleich ein "vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff" iS einer in feindseliger Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielenden gewaltsamen Einwirkung sein muss.

41

Dabei ist zum einen zu berücksichtigen, dass ärztliche Eingriffe - wie die gesamte Tätigkeit des Arztes - von einem Heilauftrag iS des § 1 Abs 1 Bundesärzteordnung(danach dient der Arzt der Gesundheit des einzelnen Menschen und des gesamten Volkes; vgl dazu auch § 1 Abs 1 Musterberufsordnung für die deutschen Ärztinnen und Ärzte) bestimmt werden (vgl hierzu Laufs in Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, 6. Aufl 2009, S 17 f; Quaas/Zuck, Medizinrecht, 2. Aufl 2008, S 233 f). Ärztliche Eingriffe werden demnach grundsätzlich in der Absicht durchgeführt, zu heilen und nicht in feindseliger Willensrichtung unmittelbar auf die körperliche Unversehrtheit des Patienten einzuwirken. Zum anderen ergibt sich die Strafbarkeit eines ärztlichen Eingriffs als vorsätzliche Körperverletzung gerade aus der Verknüpfung von vorsätzlichem Aufklärungsmangel, Fehlen einer wirksamen Einwilligung und damit rechtswidrigem Eingriff in die körperliche Unversehrtheit. Eine strafbare vorsätzliche Körperverletzung kann bei einem ärztlichen Eingriff bereits dann vorliegen, wenn der Arzt nicht ordnungsgemäß aufgeklärt hat und der Patient die Einwilligung zum ärztlichen Eingriff bei ordnungsgemäßer Aufklärung nicht erteilt hätte. Es sind deshalb durchaus Fälle denkbar, bei denen der vorsätzliche Aufklärungsmangel zwar zu einer strafbaren vorsätzlichen Körperverletzung führt, es wegen einer vorhandenen Heilungsabsicht jedoch nicht gerechtfertigt ist, den ärztlichen Eingriff als eine gezielte gewaltsame Einwirkung auf die körperliche Unversehrtheit des Patienten, mithin als eine feindselige Angriffshandlung iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG, zu bewerten(vgl etwa den der Entscheidung des BGH vom 20.1.2004 - 1 StR 319/03 - JR 2004, 469 zugrunde liegenden Fall der Durchführung einer zweiten Operation zur Bergung einer bei der ersten Operation abgebrochenen Bohrerspitze bei unterlassener Aufklärung über Grund und Anlass der Maßnahme).

42

Für die besondere Fallkonstellation des ärztlichen Eingriffs müssen deshalb - neben der Strafbarkeit als Vorsatztat - bestimmte weitere Voraussetzungen hinzukommen, bei deren Vorliegen die Grenze zur Gewalttat, also zum "vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriff", überschritten ist. Nach Auffassung des erkennenden Senats wird ein Patient unter Berücksichtigung des Schutzzwecks des OEG dann zum Gewaltopfer, wenn ein als vorsätzliche Körperverletzung strafbarer ärztlicher Eingriff objektiv - also aus der Sicht eines verständigen Dritten - in keiner Weise dem Wohl des Patienten dient. Dies ist insbesondere der Fall, wenn sich der Arzt bei seiner Vorgehensweise im Wesentlichen von eigenen finanziellen Interessen leiten lässt und die gesundheitlichen Belange des Patienten hintangestellt hat. Mit dem Abstellen auf das Wohl des Patienten werden neben den Fällen der Heilung einer behandlungsbedürftigen Erkrankung auch die Fälle reiner Schönheitsoperationen erfasst, also Fälle, in denen ohne jede medizinische Indikation allein den Schönheitsvorstellungen des Patienten dienende Eingriffe (s § 52 Abs 2 SGB V)vorgenommen werden.

43

Soweit der Beklagte mit der Revision einwendet, das besondere Vertrags- und Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient gestatte die Annahme einer feindseligen Willensrichtung bei einem operativen Eingriff nur dann, wenn dies bestimmte äußere Umstände nahelegten, etwa wenn sich der Operierende fälschlich als Arzt ausgebe, vermag ihm der Senat nicht in vollem Umfang zu folgen. Allein der Umstand, dass ein in keiner Weise zum Wohle des Patienten handelnder Operateur Arzt ist, kann die Annahme einer feindseligen Haltung nicht ausschließen. Auch ein Vertrags- und Vertrauensverhältnis, das der Arzt in rücksichtsloser, krimineller Weise verletzt, hindert es nicht, eine feindselige Willensrichtung bei der Operation anzunehmen, wenn die vom Senat als maßgebend angesehenen Umstände vorliegen. Ebenso wenig greift der Einwand durch, dass der Eingriff in die körperliche Integrität dann seine feindselige Qualität verliere, wenn im Rahmen eines Arzt-Patienten-Verhältnisses die Einwilligung zur Operation vorliege. Eine durch Täuschung erschlichene Einwilligung ist unwirksam. Sie steht daher weder einer Strafbarkeit noch der Bejahung einer Gewalttat entgegen.

44

Mit der beigeladenen Bundesrepublik Deutschland stimmt der Senat dahin überein, dass ärztliche Kunstfehler für sich genommen keine Gewalttaten iS des § 1 OEG sind. Denn Kunstfehler sind sorgfaltswidrige Verstöße gegen die Regeln der ärztlichen Kunst, die lediglich eine Strafbarkeit wegen fahrlässiger Körperverletzung nach § 229 StGB oder fahrlässiger Tötung nach § 222 StGB begründen (vgl dazu Fischer, StGB, 57. Aufl 2010, § 223 RdNr 13c). Stellt der ärztliche Eingriff allerdings einen tätlichen Angriff dar, so ist es unerheblich, ob dabei Kunstfehler unterlaufen. Denn der Vorsatz des Täters muss sich nicht auf die eingetretene Schädigung beziehen (vgl BSG, Urteil vom 24.4.1991 - 9a/9 RVg 1/89 - SozR 3-3800 § 1 Nr 1 S 4; BSG, Urteil vom 12.12.1995 - 9 RVg 1/94 - SozR 3-3800 § 10a Nr 1 S 2; BSG, Urteil vom 3.2.1999 - B 9 VG 7/97 R - SozR 3-3800 § 1 Nr 14 S 57).

45

d) Gemessen an diesen Kriterien sind die von dem Gynäkologen im Jahr 2000 durchgeführten kosmetischen ärztlichen Eingriffe - im Ergebnis übereinstimmend mit dem SG und dem LSG - nicht nur als strafbare vorsätzliche gefährliche Körperverletzungen iS der §§ 223, 224 Abs 1 Nr 5 StGB, sondern auch als vorsätzliche, rechtswidrige tätliche Angriffe auf die körperliche Unversehrtheit der Klägerin iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG anzusehen. Denn sie dienten aus der Sicht eines verständigen Dritten in keiner Weise dem Wohl der Klägerin.

46

Das LSG hat dazu Folgendes festgestellt: Die Klägerin litt zum Zeitpunkt der Operationen neben dem erheblichen Übergewicht an Koronarinsuffizienz, Bluthochdruck, Lungeninsuffizienz, insulinpflichtigem Diabetes mellitus sowie einer Darmerkrankung. Obwohl sie den Gynäkologen auf ihre Vorerkrankungen aufmerksam gemacht hatte, wies sie dieser vor den Eingriffen bewusst nicht darauf hin, dass bei ihr mit einem erheblichen Gesundheitsrisiko, ggf sogar mit Todesfolge, zu rechnen war. Die notwendige Aufklärung unterließ der Gynäkologe aus finanziellen Motiven, weil ihm klar war, dass die Klägerin bei ordnungsgemäßer Aufklärung von den Operationen abgesehen hätte. Darüber hinaus täuschte er die Klägerin über seine Befähigung, die Eingriffe fachgerecht vornehmen zu können. Die an der Klägerin vorgenommenen Eingriffe waren insgesamt gesehen weder von einer objektiven noch einer subjektiven Heilungstendenz getragen. Das Landgericht hat beide kosmetischen ärztliche Eingriffe als strafbare vorsätzliche gefährliche Körperverletzungen gemäß §§ 223, 224 Abs 1 Nr 5 StGB bewertet und den Gynäkologen deswegen zu Freiheitsstrafen verurteilt.

47

Diese Tatsachenfeststellungen des LSG sind für den Senat bindend (§ 163 SGG), denn der Beklagte hat dagegen in der Revisionsbegründung keine zulässigen und begründeten Verfahrensmängel vorgebracht. Soweit er darin die Beweiswürdigung (§ 128 Abs 1 Satz 1 SGG)des LSG angreift, hat er schon nicht dargelegt, dass die Grenzen der freien Beweiswürdigung überschritten wurden, also gegen allgemeine Erfahrungssätze oder Denkgesetze verstoßen worden ist (stRspr; vgl etwa schon BSG SozR Nr 34 und Nr 56 zu § 128 SGG; hierzu auch BSG, Urteil vom 8.11.2005 - B 1 KR 18/04 R - SozR 4-2500 § 44 Nr 7 RdNr 16; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG 9. Aufl 2008, § 128 RdNr 10 ff). Der Senat hat deshalb bei der Beurteilung der Rechtslage von den Tatsachenfeststellungen des LSG auszugehen. Danach hat sich der Arzt bei seiner Vorgehensweise im Wesentlichen von eigenen Interessen leiten lassen und die gesundheitlichen Belange der Klägerin - gerade auch im Hinblick auf die erheblichen Vorerkrankungen - in sträflicher Weise hintangestellt.

48

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Tenor

Auf die Revision des Beklagten werden das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 13. Dezember 2012 und der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 23. April 2012 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Die Beteiligten haben einander in allen drei Rechtszügen keine Kosten zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten darüber, ob die Klägerin bei einem Banküberfall Opfer eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs iS des § 1 Abs 1 Opferentschädigungsgesetz (OEG) geworden ist.

2

Die 1985 geborene Klägerin ist als Bankkauffrau bei einer Bank beschäftigt. Am 13.2.2009 wurde sie während ihrer Tätigkeit bei einem Banküberfall von dem Täter (S.) mit einer ungeladenen, jedoch wie eine echte Schusswaffe aussehenden Schreckschusspistole bedroht. S. richtete dabei die Waffe aus naher Entfernung deutlich sichtbar zunächst auf den Kollegen K. der Klägerin und forderte diesen auf, Bargeld in die mitgebrachte Stofftasche zu packen und ihm zu übergeben. K. und die Klägerin, die an einem Schreibtisch hinter dem Kundenschalter saß, gingen von der Echtheit der ihnen vorgehaltenen vermeintlichen Schusswaffe aus und fürchteten um ihr Leben. Nach der Tat war die Klägerin zwei Wochen arbeitsunfähig krank und wurde psychologisch behandelt. Aufgrund dieses Vorganges wurde S. vom Landgericht H. wegen schwerer räuberischer Erpressung nach §§ 253, 255, 250 Abs 1 Nr 1b Strafgesetzbuch (StGB) rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt.

3

Der Antrag der Klägerin auf Entschädigung nach dem OEG blieb erfolglos (Bescheid des Beklagten vom 11.12.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.2.2010). Klage und Berufung sind für die Klägerin hingegen erfolgreich gewesen (Gerichtsbescheid des SG Heilbronn vom 23.4.2012 - S 2 VG 976/10 - und Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 13.12.2012 - L 6 VG 2210/12).

4

Das LSG hat die beigezogenen Überwachungsvideos vom Banküberfall in Augenschein genommen und die Berufung des Beklagten gegen den Gerichtsbescheid des SG zurückgewiesen, nachdem die Beteiligten zuvor den Streitgegenstand übereinstimmend auf die Feststellung beschränkt hatten, ob die Klägerin Opfer eines rechtswidrigen tätlichen Angriffs iS des § 1 OEG geworden ist. Das SG habe der Klage zu Recht stattgegeben, weil die Klägerin am 13.2.2009 Opfer eines Banküberfalles geworden sei. Hierbei handele es sich um einen vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriff (auch) gegenüber der Klägerin. Der Annahme eines tätlichen Angriffs stehe nicht entgegen, dass S. hierbei "nur" eine Schreckschusspistole bei sich geführt und damit beide Bankangestellten bedroht habe, weil es sich hierbei um eine täuschend echt aussehende Attrappe gehandelt habe. S. sei wegen schwerer räuberischer Erpressung verurteilt worden, dh wegen eines erschwerten Falles einer Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leben oder Leib iS des § 255 StGB. S. habe, wenn auch nicht durch unmittelbaren Körperkontakt, körperlich auf die Klägerin eingewirkt, da er sie durch die gezielte Bedrohung zur Aufgabe ihrer Bewegungsfreiheit gezwungen habe. Hierzu habe er ein physisches Mittel eingesetzt, das aus der objektiven Sicht eines vernünftigen Dritten als einsatzfähige Schusswaffe angesehen worden wäre. Mit dieser Waffe habe S. ua auf die Klägerin gezielt; aus der objektiven Sicht eines vernünftigen Dritten habe kein Zweifel daran bestehen können, dass S. bereit gewesen sei, mit der Waffe auf die Klägerin zu schießen. Für die Klägerin habe nicht nur aus deren Sicht, sondern auch aus der maßgeblichen objektiven Sicht eines vernünftigen Dritten akute Leibes- und Lebensgefahr bestanden, die sich jederzeit hätte realisieren können. Es liege andererseits eine nicht zu rechtfertigende Ungleichbehandlung vor, würde der mit einer geladenen und entsicherten Schusswaffe Bedrohte dem Schutz des OEG unterstellt, derjenige aber, der auch aus Sicht eines vernünftigen Dritten derselben Gefahrenlage ausgesetzt ist und deshalb zB beim Fluchtversuch oder einer Notwehrhandlung zu Schaden komme, vom Anwendungsbereich des OEG ausgenommen (Urteil vom 13.12.2012).

5

Mit seiner Revision rügt das beklagte Land eine Verletzung von § 1 Abs 1 S 1 OEG. Bei der Drohung mit einer ungeladenen Schreckschusspistole und somit einer lediglich vorgetäuschten, vermeintlichen Gefährdungssituation könne ein tätlicher Angriff nicht angenommen werden. Die vom Täter benutzte Waffe sei objektiv nicht geeignet gewesen, das Leben oder die körperliche Integrität der Klägerin zu gefährden. Eine intellektuell oder psychisch vermittelte Beeinträchtigung reiche insoweit nicht aus.

6

Das beklagte Land beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 13.12.2012 und den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 23.4.2012 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

7

Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

8

Sie hält die Entscheidungen der Vorinstanzen für rechtmäßig; die Revision schränke den Anwendungsbereich des § 1 OEG in unzulässiger Weise ein.

Entscheidungsgründe

9

Die zulässige Revision des Beklagten ist begründet. Das in der Berufungsinstanz reduzierte isolierte Feststellungsbegehren der Klägerin, ob sie Opfer eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs iS von § 1 Abs 1 S 1 OEG geworden ist, ist bereits unzulässig(dazu unter 1.). Aber auch die vor dem SG noch zulässig erhobene Klage ist unbegründet, weil die Klägerin am 13.2.2009 nicht Opfer eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs iS von § 1 Abs 1 S 1 OEG geworden ist(dazu unter 2.). Die bloße Bedrohung mit einer ungeladenen Schreckschusspistole erfüllt die Voraussetzungen eines tätlichen Angriffs nicht. Eine erweiternde Auslegung von § 1 Abs 1 S 1 OEG kommt nach Sinn und Zweck des Gesetzes nicht in Betracht. Der angefochtene Bescheid vom 11.12.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.2.2010 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Entsprechend waren der Gerichtsbescheid des SG vom 23.4.2012 sowie das Urteil des LSG vom 13.12.2012 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

10

1. Die Klägerin konnte ihr Begehren in der Berufungsinstanz nicht zulässig auf die isolierte Feststellung und Antwort auf die Rechtsfrage beschränken, ob sie Opfer eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs iS von § 1 Abs 1 S 1 OEG geworden sei.

11

a) Das SG hatte im Tenor seines Gerichtsbescheids noch festgestellt, dass das bei der Klägerin vorliegende posttraumatische Belastungssyndrom Folge eines tätlichen Angriffs sei. Im Berufungsverfahren stellte das LSG fest, dass es insoweit an ausreichenden Tatsachenfeststellungen fehlte. Das LSG wies die Beteiligten hierauf hin und veranlasste sie, sich darüber zu einigen, dass streitgegenständlich lediglich die Feststellung des schädigenden Ereignisses sein solle. Auf entsprechende Frage des Gerichts verzichtete die anwaltlich vertretene Klägerin sodann insoweit auf die Rechte aus dem Gerichtsbescheid, als darin ein posttraumatisches Belastungssyndrom festgestellt war.

12

Das LSG hätte in dieser prozessualen Situation in der Sache nicht mehr entscheiden dürfen. Die Klägerin konnte ihre vor dem SG ursprünglich zulässige kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage (§ 54 Abs 1 S 1, § 55 Abs 1 Nr 3 SGG; vgl Keller in Meyer-Ladewig/ Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 55 RdNr 3b und 13) im Berufungsverfahren nicht in zulässiger Weise auf die isolierte Feststellung beschränken, sie sei am 13.2.2009 Opfer eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs iS des § 1 Abs 1 S 1 OEG geworden. Ihr Feststellungsbegehren kann weder auf § 55 Abs 1 Nr 3 SGG(dazu unter b) noch auf § 55 Abs 1 Nr 1 SGG(dazu unter c) gestützt werden, weil nur eine isolierte Feststellung (Anerkennung) von Schädigungsfolgen im Sinne des OEG zulässig ist, nicht aber die Klärung einzelner Elemente als Vorfrage des Anspruchs nach § 1 Abs 1 S 1 OEG.

13

b) Nach § 55 Abs 1 Nr 3 SGG kann die Feststellung begehrt werden, ob eine Gesundheitsstörung oder der Tod die Folge eines Arbeitsunfalls, einer Berufskrankheit oder einer Schädigung im Sinne des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) ist, wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat. Die Vorschrift ist ein Sonderfall der grundsätzlich unzulässigen Elementenfeststellungsklage (vgl hierzu allgemein: Keller, aaO, RdNr 9 f und 13 mwN). Sie dient der Klärung der haftungsbegründenden Kausalität, dh ob zwischen einer Schädigung im Sinne des BVG bzw des sozialen Entschädigungsrechts und dem Eintritt eines Primär- oder Erstschadens ein hinreichender Kausal- bzw Zurechnungszusammenhang besteht (vgl BSG Urteile vom 9.12.1998 - B 9 V 46/97 R - BSGE 83, 171 = SozR 3-3100 § 7 Nr 5, RdNr 11 nach Juris und - B 9 V 45/97 R - SozR 3-1500 § 141 Nr 6, RdNr 11 nach Juris). Der Senat hat zuletzt mit Urteil vom 29.4.2010 (B 9 VG 1/09 R - BSGE 106, 91 = SozR 4-3800 § 1 Nr 17, RdNr 23 mwN) klargestellt, dass dies insbesondere dann von Bedeutung sein kann, wenn die eingetretene Gesundheitsstörung aktuell keinen Leistungsanspruch auslöst. Denn die Feststellung von Schädigungsfolgen kann als eigenständiger begünstigender Verwaltungsakt Grundlage für weitere Ansprüche oder Rechtsfolgen (zB Heilbehandlung) sein (vgl auch Keller, aaO, RdNr 13, 13a mwN). Vor diesem Hintergrund hätte für die Klägerin rechtlich keine Veranlassung bestanden, ihr Klagebegehren zu reduzieren.

14

Eine isolierte Feststellungsklage kommt auf der Grundlage des § 55 Abs 1 Nr 3 SGG aber dann nicht in Betracht, wenn mit ihr nur die selbstständige Feststellung des Vorliegens anderer als in der Vorschrift genannter Tatbestandselemente des geltend gemachten Anspruchs begehrt wird(vgl BSG Urteil vom 15.12.1999 - B 9 VS 2/98 R - SozR 3-3200 § 81 Nr 16 S 72 f mwN). Die Feststellung, ob ein bestimmtes Ereignis (hier: der Tathergang des Banküberfalls) ein vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff iS von § 1 Abs 1 S 1 OEG ist, kommt nur im Zusammenhang mit der Feststellung bestimmter Schädigungsfolgen in Betracht. Liegen solche erkennbar nicht vor oder werden sie - wie vorliegend nicht (mehr) geltend gemacht - könnte die isolierte Feststellungsklage nur der Beantwortung einer abstrakten Rechtsfrage dienen. Selbst wenn diese im Sinne der Klägerin zu beantworten wäre, könnte dies als bloßes Teilelement der Voraussetzungen des § 1 Abs 1 S 1 OEG ohne Schädigungsfolgen keinerlei Ansprüche auslösen. Denn ein Vorgang, der keinen Körperschaden ausgelöst hat, führt nicht zur "Haftung" des Staates (vgl BSG, aaO).

15

c) Ebenso scheidet eine kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage gemäß § 54 Abs 1 und § 55 Abs 1 Nr 1 SGG aus(aA LSG Niedersachsen-Bremen Urteil vom 12.12.2007 - L 5 VG 15/05 - RdNr 25 Juris; vgl allgemein Keller, aaO, RdNr 13b). Nach § 55 Abs 1 Nr 1 SGG kann die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses begehrt werden(vgl Keller, aaO, RdNr 4). Ein derartiges öffentlich-rechtliches Rechtsverhältnis entsteht aber nicht bereits durch die bloße Feststellung der Vorfrage zu § 1 Abs 1 S 1 OEG, ob ein vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff in diesem Sinne vorgelegen hat. Zwar hat das BSG eine "isolierte" Feststellungsklage nach § 55 Abs 1 Nr 1 SGG für zulässig erachtet, wenn es um die Feststellung des Eintritts des Versicherungsfalls in Fällen geht, in denen vom Versicherungsträger bereits das Vorliegen eines Arbeitsunfalls(§ 8 SGB VII) oder einer Berufskrankheit (§ 9 SGB VII) bestritten wird (vgl beispielhaft BSG Urteil vom 15.2.2005 - B 2 U 1/04 R - SozR 4-2700 § 8 Nr 12 RdNr 12 f mwN; s auch Darstellung der Rechtsprechung bei Keller, aaO, RdNr 13b). Eine Übertragung dieser Rechtsprechung auf die hier vorliegende rechtliche Konstellation im sozialen Entschädigungsrecht scheidet aus den oben genannten Gründen aus; die bloße Feststellung des schädigenden Vorgangs iS von § 1 Abs 1 S 1 OEG begründet noch kein Leistungs- oder sonstiges Rechtsverhältnis nach dem BVG bzw sozialem Entschädigungsrecht.

16

Ob das LSG auf die Berufung des beklagten Landes den Gerichtsbescheid des SG aufheben und die Klage aus den genannten Gründen hätte abweisen können, nachdem es das Begehren der Klägerin selbst auf eine - im vorliegenden Fall unzulässige - isolierte Feststellungsklage beschränken ließ, kann dahingestellt bleiben. Jedenfalls hätte das LSG den Gerichtsbescheid aufgrund der festgestellten Tatsachen auch in der Sache aufheben und die Klage abweisen müssen. Denn die Voraussetzungen des § 1 Abs 1 S 1 OEG und damit auch für einen Anspruch auf Versorgung liegen nicht vor(dazu unter 2.).

17

2. Die vom SG noch zu Recht für zulässig erachtete Klage war in der Sache materiell-rechtlich unbegründet, weil kein tätlicher Angriff vorgelegen hat.

18

Nach § 1 Abs 1 S 1 OEG(in der Fassung vom 11.5.1976, BGBl I 1181) erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG, wer im Geltungsbereich dieses Gesetzes oder auf einem deutschen Schiff oder Luftfahrzeug infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat. Zwar sind nicht nur physische Beeinträchtigungen, sondern auch psychische Gesundheitsschäden geeignet, einen Opferentschädigungsanspruch auszulösen. Sowohl physische als auch psychische Gesundheitsschäden müssen jedoch auf einen "tätlichen Angriff" zurückzuführen sein. Insoweit ist entscheidend, ob der Primärschaden und eventuelle Folgeschäden gerade die zurechenbare Folge einer körperlichen Gewaltanwendung gegen eine Person sind. Die bloße Drohung mit einer, wenn auch erheblichen Gewaltanwendung oder Schädigung reicht für einen tätlichen Angriff dagegen nicht aus, auch wenn diese Drohung beim Opfer erhebliche gesundheitliche Folgen haben sollte.

19

a) Der Senat hat in ständiger Rechtsprechung als einen "tätlichen Angriff" grundsätzlich eine in feindseliger Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielende gewaltsame Einwirkung angesehen (vgl zB Urteil vom 29.4.2010 - B 9 VG 1/09 R - BSGE 106, 91 = SozR 4-3800 § 1 Nr 17, RdNr 25 mwN; Urteil vom 2.10.2008 - B 9 VG 2/07 R - Juris RdNr 14 mwN) und die Entwicklung der Auslegung dieses Rechtsbegriffs zuletzt im Rahmen der Beurteilung von strafbaren ärztlichen Eingriffen (vgl Urteil vom 29.4.2010 - B 9 VG 1/09 R - BSGE 106, 91 = SozR 4-3800 § 1 Nr 17, RdNr 26 ff) und hinsichtlich des gesellschaftlichen Phänomens des "Stalking" umfassend dargelegt (vgl Urteil vom 7.4.2011 - B 9 VG 2/10 R - BSGE 108, 97 = SozR 4-3800 § 1 Nr 18, RdNr 33 ff). Dabei ist der Senat immer davon ausgegangen, dass die Verletzungshandlung im OEG nach dem Willen des Gesetzgebers eigenständig und ohne direkte Bezugnahme auf das StGB geregelt ist (vgl BT-Drucks 7/2506 S 10), obwohl sich die Auslegung des Begriffs des "tätlichen Angriffs" auch an der im Strafrecht zu den §§ 113, 121 StGB gewonnenen Bedeutung orientiert(vgl BSG, aaO, RdNr 32 mwN). Der Senat ist dabei soweit gegangen, eine erhebliche Drohung gegenüber dem Opfer für einen tätlichen Angriff genügen zu lassen, als sie zumindest mit einer unmittelbaren Gewaltanwendung gegen eine Sache einherging, die als einziges Hindernis dem unmittelbaren körperlichen Zugriff auf das Opfer durch die Täter noch im Wege stand, sodass der Angriff nicht lediglich auf einer Drohung, sondern auch auf Anwendung tätlicher Gewalt basierte (BSG Urteil vom 10.9.1997 - 9 RVg 1/96 - BSGE 81, 42, 44 = SozR 3-3800 § 1 Nr 11).

20

Soweit - wie im vorliegenden Fall - eine "gewaltsame" Einwirkung in Frage steht, ist nach der Senatsrechtsprechung schon immer zu berücksichtigen gewesen, "dass der Gesetzgeber durch den Begriff des 'tätlichen Angriffs' den schädigenden Vorgang iS des § 1 Abs 1 S 1 OEG in rechtlich nicht zu beanstandender Weise begrenzt und den im Strafrecht uneinheitlich verwendeten Gewaltbegriff eingeschränkt hat"(BSG Urteil vom 7.4.2011 - B 9 VG 2/10 R - BSGE 108, 97 = SozR 4-3800 § 1 Nr 18, RdNr 36; vgl auch: BSG Urteil vom 14.2.2001 - B 9 VG 4/00 R - BSGE 87, 276, 279 = SozR 3-3800 § 1 Nr 18 S 73; BSG Urteil vom 28.3.1984 - 9a RVg 1/83 - BSGE 56, 234, 236 = SozR 3800 § 1 Nr 4 S 9; s auch Darstellung bei Heinz, Zu neueren Entwicklungen im Bereich der Gewaltopferentschädigung anlässlich neuerer Rechtsprechung zur Anspruchsberechtigung nach dem OEG bei erlittenem "Mobbing" und "Stalking", br 2011, 125, 131 f). Abweichend von dem im Strafrecht umstrittenen Gewaltbegriff iS des § 240 StGB(vgl hierzu Fischer, StGB, 61. Aufl 2014, § 240 RdNr 8 ff mwN) wird der tätliche Angriff iS des § 1 Abs 1 S 1 OEG durch eine körperliche Gewaltanwendung gegen eine Person geprägt(vgl insbesondere Begründung des Regierungsentwurfs zum OEG, BT-Drucks 7/2506 S 10, 13 f) und wirkt damit körperlich (physisch) auf einen anderen ein. Dieses Verständnis der Norm entspricht am ehesten dem strafrechtlichen Begriff der Gewalt iS des § 113 Abs 1 StGB als einer durch tätiges Handeln bewirkten Kraftäußerung, also einem tätigen Einsatz materieller Zwangsmittel wie körperlicher Kraft(vgl Fischer, StGB, 61. Aufl 2014, § 113 RdNr 23; BSG Urteil vom 7.4.2011 - B 9 VG 2/10 R - aaO, RdNr 36 mwN).

21

Der "tätliche Angriff" iS des § 1 Abs 1 S 1 OEG setzt trotz seiner inhaltlichen Nähe zur Gewalttätigkeit nach § 125 StGB auch nicht unbedingt ein aggressives Verhalten des Täters voraus, sodass auch ein nicht zum (körperlichen) Widerstand fähiges Opfer von Straftaten unter dem Schutz des OEG steht(vgl BSG Urteil vom 7.4.2011 - B 9 VG 2/10 R - aaO, RdNr 37 mwN).

22

Andererseits reicht die bloße Verwirklichung eines Straftatbestandes, zB eines Vermögensdelikts, allein für die Annahme eines "tätlichen Angriffs" iS von § 1 Abs 1 S 1 OEG nicht aus(vgl BSG Urteil vom 7.4.2011 - B 9 VG 2/10 R - BSGE 108, 97, 114 = SozR, aaO, RdNr 41 und 62 f), auch wenn das Opfer über den eingetretenen Schaden "verzweifelt" und zB seelische Gesundheitsschäden davonträgt. Demgemäß hat der Senat eine Wertung als tätlicher Angriff auch für Telefonate, SMS, Briefe, Karten und dergleichen abgelehnt, weil es insoweit bereits an einer unmittelbar drohenden Gewaltanwendung fehlte (vgl BSG, aaO, RdNr 71). Der Senat sah schon immer in Fällen der Bedrohung oder Drohung mit Gewalt die Grenze der Wortlautinterpretation als erreicht an, wenn sich die auf das Opfer gerichteten Einwirkungen - ohne Einsatz körperlicher Mittel - allein als intellektuell oder psychisch vermittelte Beeinträchtigung darstellen und nicht unmittelbar auf die körperliche Integrität abzielen (vgl zuletzt: Beschlüsse vom 25.2.2014 - B 9 V 65/13 B - und vom 17. bzw 22.9.2014 - B 9 V 27 bis 29/14 B -, jeweils zu RdNr 6, wo den Opfern einer Erpressung ua damit gedroht wurde, Familienangehörige umzubringen und das Haus anzuzünden). Der Senat präzisiert dies dahingehend, dass ein tätlicher Angriff dann nicht vorliegt, wenn es an einer unmittelbaren Gewaltanwendung fehlt (dazu unter b).

23

b) Soweit der Senat darüber hinaus einen "tätlichen Angriff" iS des § 1 Abs 1 S 1 OEG auch noch in einem Fall angenommen hat, in dem der Täter das Opfer vorsätzlich mit einer scharf geladenen und entsicherten Schusswaffe bedroht hat, weil eine derartige Bedrohung das Leben und die Unversehrtheit des Opfers objektiv hoch gefährde(vgl BSG Urteil vom 24.7.2002 - B 9 VG 4/01 R - BSGE 90, 6, 9 f = SozR 3-3800 § 1 Nr 22 S 103 f), hält er hieran nicht mehr fest. Dies gilt auch für die Senatsrechtsprechung, die im Umkehrschluss die bloße Drohung zu schießen, mangels einer objektiv erhöhten Gefährdung des Bedrohten nicht hat ausreichen lassen, wenn der Täter keine Schusswaffe bei sich führt (vgl Urteil vom 2.10.2008 - B 9 VG 2/07 R - Juris RdNr 20).

24

Nach dieser Rechtsprechung läge im vorliegenden Fall ein tätlicher Angriff schon deshalb nicht vor, weil der Täter der Klägerin lediglich eine objektiv ungefährliche Schreckschusspistole vorhielt. Der Senat sieht sich vor dem Hintergrund der aktuell vorliegenden Konstellation im Verhältnis zu den Entscheidungen vom 24.7.2002 (B 9 VG 4/01 R - BSGE 90, 6 = SozR 3-3800 § 1 Nr 22 - "Drohung mit einer scharfgeladenen und entsicherten Schusswaffe") und vom 2.10.2008 (B 9 VG 2/07 R - "bloße Drohung zu schießen, ohne Besitz einer Schusswaffe") veranlasst, seine bisherige Rechtsprechung zu ändern: Der Senat lässt eine objektive Gefährdung des Lebens oder der körperlichen Unversehrtheit einer anderen Person auch ohne physische Einwirkung (Schläge, Schüsse, Stiche, Berührung etc) nicht mehr bereits aufgrund der objektiven Gefährlichkeit der Situation (zB Drohung mit geladener Schusswaffe) für die Annahme eines rechtswidrigen tätlichen Angriffs iS von § 1 Abs 1 S 1 OEG ausreichen. Für das Vorliegen eines rechtswidrigen tätlichen Angriffs kommt es nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Situation im Nachhinein als tatsächlich objektiv (lebens-)gefährlich erweist, weil die Waffe scharf geladen und entsichert war, oder als ungefährlich, weil es sich um eine bloße - echt aussehende - Schreckschusswaffe handelte. In diesen Fällen steht die Drohwirkung der vorgehaltenen Waffe auf das Opfer und dessen psychische Belastung in der konkreten Situation im Vordergrund; diese unterscheidet sich insoweit in Fällen wie dem vorliegenden regelmäßig nicht.

25

Die psychische Wirkung (hier: Drohwirkung) einer Straftat und eine hieraus resultierende zB sogenannte posttraumatische Belastungsstörung ist im Opferentschädigungsrecht keineswegs unbeachtlich. Sie ist vielmehr insoweit von Bedeutung, als für die Frage des Vorliegens eines Gesundheitsschadens nicht nur physische, sondern auch psychische Schäden beachtlich sind. Allerdings kann die psychische Wirkung einer Straftat das Erfordernis des "tätlichen Angriffs" iS von § 1 Abs 1 S 1 OEG nicht ersetzen. Der eingetretene Schaden muss gerade auf einem solchen "tätlichen Angriff" und nicht - wie vorliegend - auf einer (bloßen) Drohung mit Gewalt beruhen. Bereits in seinem Urteil vom 7.4.2011 (B 9 VG 2/10 R - BSGE 108, 97 = SozR 4-3800 § 1 Nr 18, RdNr 47) hat der Senat klargestellt, dass entgegen einer im Schrifttum teilweise vertretenen Auffassung nicht darauf abzustellen ist, ob die Angriffshandlung "körperlich wirkt" bzw zu körperlichen Auswirkungen im Sinne eines pathologisch, somatisch, objektivierbaren Zustands führt (so beispielhaft wohl Geschwinder, Der tätliche Angriff nach dem OEG, SGb 1985, 95, 96 zu Fußnote 17 und 18 mwN) oder welches Individualgut (insbesondere körperliche Unversehrtheit und Leben) von der verletzten Strafrechtsnorm geschützt wird (vgl insgesamt: BSG, aaO, RdNr 47 mwN zur Literatur). Fehlt es allerdings an einem tätlichen - körperlichen - Angriff, ergeben sich aus § 1 Abs 1 S 1 OEG für die Opfer allein psychischer Gewalt keine Entschädigungsansprüche(vgl hierzu allgemein: BSG, aaO, RdNr 49; Doering-Striening, Altes und Neues - zur Reform des Opferentschädigungsrechts, ASR 2014, 231, 233, 235).

26

c) Entscheidend für einen Anspruch nach § 1 Abs 1 S 1 OEG ist, ob die Folgen eines bestimmten Ereignisses (Primärschaden oder eventuelle Folgeschäden) gerade die zurechenbare Folge eines rechtswidrigen tätlichen Angriffs sind. Wie der Senat mit Beschlüssen vom 25.2.2014 (B 9 V 65/13 B) und vom 17.9.2014 bzw 22.9.2014 (B 9 V 27 bis 29/14 B, jeweils zu RdNr 6) zu schriftlichen Erpressungsversuchen bereits angedeutet hat, reicht die bloße Drohung mit einer, wenn auch erheblichen Gewaltanwendung oder Schädigung für einen tätlichen Angriff nicht aus. Denn dieser Umstand allein stellt über die psychische Wirkung hinaus noch keinen tatsächlichen physischen "Angriff" dar. Aus der Sicht eines objektiven Dritten wie auch des unwissenden Opfers kann es keinen Unterschied machen, ob eine Schusswaffe geladen, nicht geladen oder eine echt wirkende Attrappe ist. Der tätliche Angriff in Gestalt der körperlichen Einwirkung auf den Körper eines anderen beginnt in diesen Fallkonstellationen erst mit dem Abfeuern des Schusses oder dem Aufsetzen der Waffe auf den Körper des Opfers. Maßgeblich iS von § 1 Abs 1 S 1 OEG ist, ob ein tätlicher - körperlicher - Angriff tatsächlich begonnen hat.

27

Daran fehlt es hier. Die auf die Klägerin als Opfer gerichtete Einwirkung beruhte ohne den Einsatz körperlicher Mittel allein auf einer intellektuell bzw psychisch vermittelten Beeinträchtigung. Die Klägerin sollte mit einer (hier: vorgetäuschten) Bedrohung für Leib oder Leben zu bestimmten Handlungen bzw Unterlassungen genötigt werden. Eine derartige Bedrohung stellt keinen tätlichen Angriff iS des § 1 Abs 1 S 1 OEG dar(vgl BSG Urteil vom 7.4.2011 - B 9 VG 2/10 R - aaO, RdNr 44 mwN; Dau, jurisPR-SozR 10/2013 Anm 2 zu C).

28

d) Vor allem die Entwicklung der gesetzlichen Regelung des § 1 Abs 1 S 1 OEG lässt nach dem Verständnis des Senats eine Erstreckung der Opferentschädigung auf die bloße Drohung mit Gewalt ohne Vorliegen eines tätlichen Angriffs nicht zu. Bereits nach dem Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 10.5.1974 war der bestimmende Grundgedanke für die Schaffung des OEG der Umstand, dass Gewaltopfern ein Aufopferungsanspruch gegenüber der Gesellschaft und damit dem Staat zustehen sollte, weil es dieser nicht vermocht hat, die unschuldigen Opfer vor Gewalttaten zu schützen (vgl BT-Drucks 7/2506 S 10, 13). Damit sollte der Staat für die Unvollkommenheit staatlicher Verbrechensbekämpfung aus Solidarität für den von einer Gewalttat betroffenen Bürger eintreten (BT-Drucks 7/2506 S 10; s auch BSG Urteil vom 7.11.1979 - 9 RVg 1/78 - BSGE 49, 98, 101 = SozR 3800 § 1 Nr 1; BSG Urteil vom 7.11.1979 - 9 RVg 2/78 - BSGE 49, 104, 105 = SozR 3800 § 2 Nr 1 mwN zur Gesetzesentwicklung; BSG Urteil vom 23.10.1985 - 9a RVg 4/83 - BSGE 59, 40, 44 = SozR 3800 § 1 Nr 5; Weiner in Kunz/Zellner/Gelhausen/Weiner, OEG, 5. Aufl 2010, § 1 RdNr 1). Diese - auf Gewalt abzielende - inhaltliche Ausrichtung hat das Gesetz trotz einiger Erweiterungen seines Anwendungsbereiches (vgl dazu Rademacker in Knickrehm, Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, 2012 § 1 OEG RdNr 2 bis 6) bis heute beibehalten und wird "von dem Grundsatz der allgemeinen staatlichen Fürsorgepflicht getragen" (Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des OEG vom 17.3.2009, BT-Drucks 16/12273 S 6).

29

Für das zentrale Tatbestandsmerkmal des "tätlichen Angriffs" war von Anfang an darauf verzichtet worden, auf das Strafrecht zurückzugreifen mit seinen vielfältigen und uneinheitlich weit gefassten Gewaltbegriffen (vgl zB Heinz, Zu neueren Entwicklungen im Bereich der Gewaltopferentschädigungen anlässlich neuerer Rechtsprechung zur Anspruchsberechtigung nach dem OEG bei erlittenem "Mobbing" und "Stalking", br 2011, 125, 132). Es sollten ausschließlich die Fälle der sogenannten "Gewaltkriminalität" in die Entschädigung einbezogen werden, die mit einem willentlichen Bruch der Rechtsordnung durch körperliche Gewaltanwendung gegen eine Person einhergehen (BT-Drucks 7/2506 S 10). In Anlehnung an § 113 StGB hat der Gesetzgeber den "rechtswidrigen tätlichen Angriff gegen eine Person" als eine unmittelbare auf den Körper eines Menschen zielende feindselige Einwirkung verstanden und beim (vorsätzlichen) Tathergang als erforderlich angesehen, dass der Täter im Rahmen des bereits begonnenen tätlichen Angriffs auf einen Menschen zumindest Leib oder Leben eines anderen Menschen wenigstens fahrlässig gefährdet hat(BT-Drucks 7/2506 S 13, 14; zu aberratio ictus vgl Rademacker, aaO, § 1 OEG RdNr 11).

30

Der Gesetzgeber hat es zudem ausdrücklich vermieden, strafrechtliche Tatbestände listenmäßig, wie zB die §§ 250, 253 und 255 StGB, zu benennen, um Abgrenzungsschwierigkeiten zu der nach § 1 Abs 1 S 1 OEG allein zu berücksichtigenden körperlichen Gewaltanwendung gegen eine Person zu vermeiden(BT-Drucks 7/2506 S 10; vgl auch BSG Urteil vom 18.10.1995 - 9 RVg 4/93 - BSGE 77, 7, 10 = SozR 3-3800 § 1 Nr 6 S 25). Zwar kann auch Drohung mit Gewalt psychische Gesundheitsstörungen beim Betroffenen hervorrufen. Dieser ist aber nicht zu staatlicher Entschädigung berechtigtes Opfer krimineller Gewalt iS des § 1 Abs 1 S 1 OEG geworden, weil das Tatmittel nicht körperliche Gewalt ("tätlicher Angriff") gegen den Körper, sondern eine List oder Täuschung gewesen ist(zum Erfordernis "körperlicher Gewalt" vgl Rademacker, aaO, § 1 OEG RdNr 8, 32; Dau, jurisPR-SozR 10/2013 Anm 2 zu C).

31

e) Auch das Europäische Übereinkommen vom 24.11.1983 über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (Zustimmungsgesetz vom 17.7.1996, BGBl II 1120; Bekanntmachung vom 24.2.1997 über das Inkrafttreten des Übereinkommens in Deutschland am 1.3.1997, BGBl II 740) gebietet keine erweiternde Auslegung des § 1 Abs 1 S 1 OEG. Gemäß Art 1 des Übereinkommens verpflichten sich die Vertragsparteien, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um die in dessen Teil I enthaltenen Grundsätze zu verwirklichen. Art 2 Abs 1 Buchst a des Übereinkommens bestimmt: "Soweit eine Entschädigung nicht in vollem Umfang aus anderen Quellen erhältlich ist, trägt der Staat zur Entschädigung für Personen bei, die eine schwere Körperverletzung oder Gesundheitsschädigung erlitten haben, die unmittelbar auf eine vorsätzliche Gewalttat zurückzuführen ist." Hierzu hat der Senat bereits mit Urteil vom 7.4.2011 (B 9 VG 2/10 R - BSGE 108, 97 = SozR 4-3800 § 1 Nr 18, RdNr 48 f) ausgeführt, dass das Übereinkommen eine Definition des Begriffs "vorsätzliche Gewalttat" nicht enthält (vgl auch Denkschrift zum Übereinkommen, BR-Drucks 508/95 S 14 = BT-Drucks 13/2477 S 14), sodass der bundesdeutsche Gesetzgeber durch das Tatbestandsmerkmal "vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff" in § 1 Abs 1 S 1 OEG in zulässiger Weise von seinem durch das Übereinkommen belassenen Gestaltungsspielraum Gebrauch gemacht hat. Ein weitergehender Anspruch lässt sich aus dem Übereinkommen nicht ableiten. Zudem hat der Senat auch ausgeführt, dass es dem Gesetzgeber entsprechend den Zielen des Übereinkommens unbenommen sei, über die von dem Begriff des tätlichen Angriffs erfasste Fallgestaltung hinaus auch Opfer psychischer Gewalt in den Schutzbereich des OEG mit einzubeziehen (vgl BSG, aaO, RdNr 49 mwN).

32

f) Es ist dem Gesetzgeber vorbehalten, den Begriff des tätlichen Angriffs über den mit Bedacht gewählten und bis heute beibehaltenen engen Wortsinn des OEG auf Straftaten zu erstrecken, bei denen es an einem solchen tätlichen Angriff fehlt, weil das strafbare Verhalten zB in einer Drohung mit Gewalt, Erpressung oder einer Täuschung besteht. Soweit im Schrifttum vereinzelt vertreten wird, dass die Regelungen im OEG im Hinblick auf die Opfer von Straftaten nicht mehr zeitgemäß seien und unter Einbeziehung von Opfern psychischer Gewalt aktualisiert werden müssten (vgl hierzu insbesondere die umfassenden Ausführungen von Brettel/Bartsch, Staatliche Opferentschädigung nur bei Gewalttaten? Zum Anwendungsbereich des Opferentschädigungsgesetzes, MedSach 2014, 263 ff, 267 mwN), handelt es sich um rechtspolitische Forderungen an den Gesetzgeber. Entsprechend ersten Vorschlägen im Werkstattgespräch im Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) vom 24.6.2014 zur Reform des sozialen Entschädigungsrechts gibt es im BMAS offenbar Überlegungen, dass zukünftig psychische Schäden in größerem Umfang vom Gesetzgeber erfasst werden könnten (vgl Doering-Striening, Altes und Neues - zur Reform des Opferentschädigungsrechts, ASR 2014, 231, 235 ff mwN). Sollte der Gesetzgeber den Tatbestand des § 1 OEG im Hinblick auf solche Kritik(vgl hierzu insgesamt die Darstellung bei Doering-Striening, aaO, ASR 2014, 231; Brettel/Bartsch, aaO, MedSach 2014, 263) erweitern wollen, empfehlen sich aus der Sicht der Rechtsprechung zugleich Überlegungen, wie einer uferlosen Ausweitung von Opferentschädigungsansprüchen bei Erstreckung des OEG auf bloße Drohung mit Gewalt und psychische Einwirkungen auf das Opfer durch jedwede Straftat anderweitig als durch das Kriterium des tätlichen Angriffs entgegengewirkt werden kann.

33

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

(1) Mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr wird bestraft, wer

1.
sexuelle Handlungen an einer Person unter vierzehn Jahren (Kind) vornimmt oder an sich von dem Kind vornehmen lässt,
2.
ein Kind dazu bestimmt, dass es sexuelle Handlungen an einer dritten Person vornimmt oder von einer dritten Person an sich vornehmen lässt,
3.
ein Kind für eine Tat nach Nummer 1 oder Nummer 2 anbietet oder nachzuweisen verspricht.

(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nummer 1 kann das Gericht von Strafe nach dieser Vorschrift absehen, wenn zwischen Täter und Kind die sexuelle Handlung einvernehmlich erfolgt und der Unterschied sowohl im Alter als auch im Entwicklungsstand oder Reifegrad gering ist, es sei denn, der Täter nutzt die fehlende Fähigkeit des Kindes zur sexuellen Selbstbestimmung aus.

(1) Mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren wird bestraft, wer

1.
sexuelle Handlungen vor einem Kind vornimmt oder vor einem Kind von einer dritten Person an sich vornehmen lässt,
2.
ein Kind dazu bestimmt, dass es sexuelle Handlungen vornimmt, soweit die Tat nicht nach § 176 Absatz 1 Nummer 1 oder Nummer 2 mit Strafe bedroht ist, oder
3.
auf ein Kind durch einen pornographischen Inhalt (§ 11 Absatz 3) oder durch entsprechende Reden einwirkt.

(2) Ebenso wird bestraft, wer ein Kind für eine Tat nach Absatz 1 anbietet oder nachzuweisen verspricht oder wer sich mit einem anderen zu einer solchen Tat verabredet.

(3) Der Versuch ist in den Fällen des Absatzes 1 Nummer 1 und 2 strafbar. Bei Taten nach Absatz 1 Nummer 3 ist der Versuch in den Fällen strafbar, in denen eine Vollendung der Tat allein daran scheitert, dass der Täter irrig annimmt, sein Einwirken beziehe sich auf ein Kind.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten darüber, ob das Sozialgericht (SG) das damals zuständige (jetzt beigeladene) Land zu Recht verurteilt hat, eine bei der Klägerin vorliegende Gesundheitsstörung als Folge eines schädigenden Ereignisses iS des § 1 Abs 1 Satz 1 Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (Opferentschädigungsgesetz) festzustellen.

2

Die am 2.10.1954 geborene Klägerin ließ sich im Jahr 2000 zwei Mal von einem Arzt für Gynäkologie operieren. Zunächst saugte dieser am 13.1.2000 im Rahmen eines kosmetischen Eingriffs Fett ab. Danach traten Komplikationen auf. Am 20.6.2000 versuchte der Arzt, eine bestehende Fettschürze zu korrigieren und saugte weiteres Fett ab. Nach diesem Eingriff kam es zu erheblichen Gesundheitsstörungen, die im Krankenhaus behandelt werden mussten.

3

Zur Zeit der Operationen litt die Klägerin neben dem erheblichen Übergewicht an einer Koronarinsuffizienz, Bluthochdruck, Lungeninsuffizienz, insulinpflichtigem Diabetes mellitus sowie einer Darmerkrankung. Darauf machte sie den Arzt vor den operativen Maßnahmen aufmerksam. Dieser wies sie sodann bewusst nicht darauf hin, dass angesichts der Vorerkrankungen bei den Operationen mit einem erheblichen Gesundheitsrisiko, ggf sogar mit Todesfolge, zu rechnen sei. Die notwendige Aufklärung unterließ der Gynäkologe aus finanziellen Motiven, weil ihm bewusst war, dass die Klägerin sonst von den Operationen abgesehen hätte. Er dokumentierte weder ein Aufklärungsgespräch noch eine Einwilligung. Darüber hinaus täuschte er die Klägerin über seine Befähigung, die Eingriffe fachgerecht vornehmen zu können.

4

Das Landgericht Aachen verurteilte den Gynäkologen wegen vorsätzlicher gefährlicher Körperverletzung gemäß §§ 223, 224 Abs 1 Nr 5 Strafgesetzbuch (StGB) aufgrund des operativen Eingriffs vom 13.1.2000 zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten sowie aufgrund des weiteren Eingriffs vom 20.6.2000 zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten. Unter Einbeziehung zahlreicher weiterer Taten zum Nachteil anderer Patienten wurde der Gynäkologe zu einer mehrjährigen Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt (rechtskräftiges Urteil vom 17.7.2002 - 61 KLs/42 Js 1109/00).

5

Am 22.11.2003 beantragte die Klägerin beim seinerzeit zuständigen Versorgungsamt Aachen Leistungen der Beschädigtenversorgung nach dem OEG iVm dem Bundesversorgungsgesetz (BVG). Diesen Antrag lehnte das Versorgungsamt nach Beiziehung des Strafurteils durch Bescheid vom 9.1.2004 mit der Begründung ab, die Voraussetzungen des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG lägen nicht vor. Das OEG bezwecke ausschließlich die Entschädigung von Kriminalitätsopfern, die vom Staat trotz des von diesem in Anspruch genommenen Gewaltmonopols im Einzelfall nicht ausreichend hätten geschützt werden können. Die hier der strafrechtlichen Verurteilung zugrunde liegenden ärztlichen Kunstfehler seien von diesem Schutzzweck naturgemäß nicht erfasst. Es fehle an einer feindseligen Tendenz im Sinne des OEG. Den Widerspruch der Klägerin wies die Bezirksregierung Münster mit Bescheid vom 22.6.2004 zurück.

6

Das von der Klägerin angerufene SG Aachen hat nach Einholung mehrerer medizinischer Gutachten mit Urteil vom 21.12.2006 das (jetzt beigeladene) Land Nordrhein-Westfalen (NRW) unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide verurteilt, die bei der Klägerin vorliegende Gesundheitsstörung "Zustand nach Abdominalplastik mit zwei großen quer verlaufenden Narben im Ober- und Unterbauch mit korrigiertem Nabel mit Sensibilitätsstörungen im Narbenbereich" als durch ein schädigendes Ereignis iS von § 1 Abs 1 Satz 1 OEG hervorgerufene Gesundheitsstörung festzustellen. Die darüber hinausgehende Klage auf Gewährung von Versorgung hat das SG - mittlerweile (nach Rücknahme der Berufung der Klägerin) rechtskräftig - abgewiesen, weil die festgestellte Gesundheitsstörung lediglich eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 10 vH bedinge.

7

Gegen seine Verurteilung hat das Land NRW Berufung eingelegt. Dieses Rechtsmittel ist nach Inkrafttreten des § 4 Abs 1 Gesetz zur Eingliederung der Versorgungsämter in die allgemeine Verwaltung des Landes Nordrhein-Westfalen(= Art 1 Zweites Gesetz zur Straffung der Behördenstruktur in Nordrhein-Westfalen vom 30.10.2007, GVBl NRW 482, ) ab 1.1.2008 vom Landschaftsverband Rheinland weiter geführt und sodann vom Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (LSG) mit Urteil vom 21.5.2008 zurückgewiesen worden. Diese Entscheidung ist auf folgende Erwägungen gestützt:

8

Zum 1.1.2008 sei ein Beteiligtenwechsel kraft Gesetzes eingetreten. Berufungsführer sei seitdem der Landschaftsverband Rheinland. Ob sich dieser als neuer Beklagter gegen die Anerkennung von Schädigungsfolgen wende oder dies dem notwendig beigeladenen Land als weiterhin materiell Verpflichtetem obliege, ändere am Tenor der Berufungsentscheidung nichts, denn weder das Land noch der Landschaftsverband hätten einen Anspruch auf Aufhebung des Urteils des SG.

9

Zu Recht habe dieses die streitbefangenen ärztlichen Maßnahmen als tätliche Angriffe iS von § 1 Abs 1 Satz 1 OEG bewertet. Nach den Feststellungen des Landgerichts, die der Senat sich zu eigen mache, habe der Gynäkologe die vor den Eingriffen notwendige Aufklärung aus finanziellen Motiven unterlassen. Er habe die Klägerin bewusst nicht darauf hingewiesen, dass angesichts der Vorerkrankungen mit einem erheblichen Gesundheitsrisiko, ggf sogar mit Todesfolge, während und nach den Operationen zu rechnen gewesen sei. Auch sei ihm klar gewesen, dass sich die Klägerin bei ordnungsgemäßer Aufklärung gegen die Operationen entschieden hätte. Dies habe der Gynäkologe zumindest billigend in Kauf genommen. Damit stellten die operativen Eingriffe tatbestandlich vorsätzliche Körperverletzungen iS des § 223 StGB dar, die nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) mangels wirksamer Einwilligung auch rechtswidrig gewesen seien. Eine wirksame Einwilligung liege danach nur vor, wenn der Patient in der gebotenen Weise über den Eingriff, seinen Verlauf, seine Erfolgsaussichten, Risiken und mögliche Behandlungsalternativen aufgeklärt worden sei.

10

Der Arzt habe durch die Operationen unmittelbar in die körperliche Integrität der Klägerin eingegriffen. Zwar habe er keinen Widerstand der Klägerin überwinden müssen. Diese Situation habe er sich jedoch nur verschaffen können, weil er die Klägerin zuvor über die Risiken der Operation und seine Befähigung, die Eingriffe fachgerecht vornehmen zu können, getäuscht habe. Ob zwischen dem Arzt und der Klägerin ein besonderes Vertrauensverhältnis bestanden habe, sei in diesem Zusammenhang unerheblich. Die von dem Gynäkologen vorgenommenen Eingriffe stellten auch keine Heilbehandlung dar, denn es sei keine objektive Heiltendenz feststellbar. Zudem handle es sich bei der von § 1 Abs 1 OEG geforderten Feindseligkeit der Tathandlung nicht um eine innere Tatsache. Was feindselig sei, bestimme das Strafgesetz. Feindselig in diesem Sinne seien alle § 223 StGB zuzuordnenden, strafbewehrten Tathandlungen. Unschädlich sei, dass die im Rahmen der Operationen begangenen Kunst- und Behandlungsfehler nur fahrlässiger Natur gewesen seien.

11

Die Klägerin habe durch die beiden durchgeführten Operationen eine gesundheitliche Schädigung erlitten, an deren Folgen sie fortdauernd leide. Art und Umfang der insoweit verbliebenen Gesundheitsstörung seien von den Beteiligten unstreitig gestellt worden.

12

Der Beklagte macht mit seiner nach Zulassung durch den erkennenden Senat eingelegten Revision eine Verletzung von § 1 Abs 1 OEG geltend. Zur Begründung führt er ua aus:

13

Durch die Regelungen des OEG wolle der Staat für den Schutz der Bürgerinnen und Bürger insbesondere vor gesundheitlichen Schädigungen durch kriminelle Handlungen wie vor allem Gewalttaten einstehen. Im Lichte dieses Gesetzeszwecks seien auch die einzelnen Tatbestandsmerkmale auszulegen. Ein vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff iS des § 1 Abs 1 OEG setze daher eine in feindseliger Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielende gewaltsame, in der Regel auch handgreifliche Einwirkung voraus.

14

An einer feindseligen Willensrichtung fehle es hier. Zwar hätten Eingriffe in die körperliche Integrität eines anderen grundsätzlich die Tendenz, diesen zum bloßen Objekt herabzuwürdigen; sie seien deshalb als feindselig zu werten. Wenn aber im Rahmen eines Arzt-Patienten-Verhältnisses die Einwilligung zur Operation vorliege, verliere der Eingriff in die körperliche Integrität seine feindselige Qualität. Im vorliegenden Fall bestehe die Besonderheit, dass die Klägerin zwar ihre Einwilligung in beide Operationen gegeben habe, diese aber vom Täter erschlichen worden seien. Das LSG schließe ohne eigene Sachaufklärung aus den vom Landgericht in seinem Strafurteil benannten Motiven für das Erschleichen der Einwilligung und aus der Tatsache der strafrechtlichen Verurteilung, dass der Gynäkologe keine Heilbehandlung vorgenommen habe, weil die Eingriffe nicht zur Heilung geeignet gewesen seien. Letzteres lasse sich aber den einschlägigen Passagen des Landgerichtsurteils nicht entnehmen. Es könne daher nicht davon ausgegangen werden, dass der Operateur der Klägerin insofern rechtsfeindlich gesonnen gewesen sei, als er sie dauerhaft habe schädigen wollen. Eine rechtsfeindliche Willensrichtung lasse sich zwar für die fehlerhafte Aufklärung über die Operationsrisiken bejahen. Hieraus resultiere aber nicht gleichzeitig eine rechtsfeindliche Willensrichtung hinsichtlich der anschließenden Operationen. Das Vertrags- und Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient gestatte nur dann die Annahme einer feindseligen Willensrichtung hinsichtlich des operativen Eingriffs, wenn dies bestimmte äußere Umstände nahelegten, etwa wenn sich der Operierende fälschlich als Arzt ausgebe.

15

Der Beklagte beantragt,

die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 21.5.2008 und des Sozialgerichts Aachen vom 21.12.2006 abzuändern und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.

16

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

17

Sie hält die Ausführungen des LSG für zutreffend.

18

Die beigeladene Bundesrepublik Deutschland hat wie folgt Stellung genommen: Generell liege bei ärztlichen Kunstfehlern keine Gewalttat iS des § 1 Abs 1 OEG vor. Eine strafrechtliche Verurteilung wegen Körperverletzung führe zwar in der Regel auch zur Bejahung eines tätlichen Angriffs. Jedoch sei dies nicht zwangsläufig so. Zusätzlich sei nämlich auch ein tätlicher Angriff in feindseliger Willensrichtung erforderlich. Daran fehle es im konkreten Fall. Das LSG habe den feindseligen Akt wohl im Erschleichen der Einwilligung durch bewusst unzureichende Aufklärung gesehen. Es leuchte jedoch nicht ein, warum ein tätlicher Angriff im Sinne des OEG davon abhängen solle, dass der Arzt die Patientin mit Eventualvorsatz unzureichend aufgeklärt habe. Mit einer solchen Argumentation könne praktisch jeder ärztliche Heileingriff, bei dem eine wirksame Einwilligung fehle, als OEG-Fall anerkannt werden, und zwar selbst dann, wenn der ärztliche Eingriff richtig und erfolgreich ausgeführt worden sei und ein Kunstfehler daher überhaupt nicht vorliege. Eine entsprechende Ausweitung des vom OEG erfassten Personenkreises sei vom Gesetzgeber nicht beabsichtigt gewesen. Die Rechtsentwicklung zum Bereich des sexuellen Missbrauchs von Kindern lasse sich auf den Bereich ärztlicher Kunstfehler nicht anwenden. Die tatbestandliche Ausgangslage sei eine gänzlich andere.

Entscheidungsgründe

19

1. Die Revision des Beklagten ist zulässig. Richtiger Beklagter und Revisionskläger ist nunmehr der Direktor des Landschaftsverbandes Rheinland.

20

a) Zutreffend ist das LSG davon ausgegangen, dass es mit Inkrafttreten von § 4 Abs 1 Eingliederungsgesetz zum 1.1.2008 im Verlauf des Berufungsverfahrens zu einem Beteiligtenwechsel kraft Gesetzes auf der Beklagtenseite gekommen ist (vgl hierzu BSG, Urteil vom 5.7.2007 - B 9/9a SB 2/07 R - BSGE 99, 9 = SozR 4-3250 § 69 Nr 6, jeweils RdNr 13 f; BSG, Urteil vom 28.7.2008 - B 1 KR 5/08 R - BSGE 101, 177 = SozR 4-2500 § 109 Nr 6, jeweils RdNr 13; BSG, Urteil vom 11.12.2008 - B 9 VS 1/08 R - BSGE 102, 149 = SozR 4-1100 Art 85 Nr 1, jeweils RdNr 20; BSG, Urteil vom 11.12.2008 - B 9 V 3/07 R - juris RdNr 21; BSG, Urteil vom 23.4.2009 - B 9 VG 1/08 R -, juris RdNr 22; BSG, Urteil vom 25.6.2009 - B 10 EG 8/08 R - BSGE 103, 291 = SozR 4-7837 § 2 Nr 2, jeweils RdNr 19; BSG, Urteil vom 30.9.2009 - B 9 VG 3/08 R - BSGE 104, 245, auch zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen, RdNr 26). Durch § 4 Abs 1 Eingliederungsgesetz wurden die den Versorgungsämtern übertragenen Aufgaben des Sozialen Entschädigungsrechts einschließlich der Kriegsopferversorgung mit Wirkung vom 1.1.2008 rechtswirksam auf die Landschaftsverbände übertragen. Ab diesem Zeitpunkt ist der für die Klägerin örtlich zuständige Landschaftsverband Rheinland gemäß § 6 Abs 1 OEG für die Versorgung nach diesem Gesetz zuständig.

21

b) Das LSG hat den Landschaftsverband Rheinland selbst als Beklagten behandelt. Die Klägerin hat ihre Klage im Verlauf des Revisionsverfahrens umgestellt und nunmehr gegen die nach § 70 Nr 3 SGG beteiligtenfähige Behörde - den Direktor des Landschaftsverbandes - gerichtet. Mit dieser Umstellung trägt sie der Rechtsprechung des 8. Senats des BSG Rechnung, wonach die Klage zwingend gegen die nach § 70 Nr 3 SGG für beteiligtenfähig erklärte Behörde zu richten ist, wenn ein Land - wie hier Nordrhein-Westfalen durch § 3 Gesetz zur Ausführung des SGG - das Behördenprinzip eingeführt hat (vgl BSG, Urteil vom 29.9.2009 - B 8 SO 19/08 R - RdNr 14). Demgegenüber hat der erkennende Senat die Auffassung vertreten (vgl Urteil vom 23.4.2009 - B 9 SB 3/08 R - juris RdNr 21), dass die nach § 70 Nr 1 SGG beteiligtenfähige juristische Person (hier der Landschaftsverband Rheinland) diese Fähigkeit nicht dadurch verliert, dass die für sie handelnde Behörde (hier der Direktor des Landschaftsverbandes Rheinland) durch Landesrecht iS des § 70 Nr 3 SGG für beteiligtenfähig erklärt worden ist. Zur Vermeidung einer Divergenz hat der erkennende Senat deshalb eine Umstellung der Klage angeregt; dem steht § 168 Satz 1 SGG nicht entgegen, weil sich der Klagegrund, also der dem Klageantrag zugrunde liegende Lebenssachverhalt, nicht geändert hat(vgl § 99 Abs 3 SGG).

22

2. Die Revision des Beklagten ist unbegründet, denn das LSG hat im Ergebnis zu Recht dessen Berufung gegen das Urteil des SG zurückgewiesen, mit dem dieses die entgegenstehende ablehnende Verwaltungsentscheidung aufgehoben und das seinerzeit beklagte Land zur Feststellung einer Gesundheitsstörung als Folge eines schädigenden Ereignisses iS von § 1 Abs 1 Satz 1 OEG verurteilt hat. Eine Rechtskraft dieser Entscheidung erstreckt sich gemäß § 141 Abs 1 Nr 1 SGG auf den jetzigen Beklagten.

23

Rechtsgrundlage für den von der Klägerin in zulässiger Weise mit einer kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 SGG)geltend gemachten Anspruch auf Feststellung einer bei ihr vorliegenden Gesundheitsstörung als Folge eines schädigenden Ereignisses ist § 1 Abs 1 Satz 1 OEG(idF vom 11.5.1976, BGBl I 1181). Danach erhält ua derjenige, der im Geltungsbereich des OEG infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine Person eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG. Reicht - wie hier - der Grad der Schädigungsfolgen für einen Anspruch auf Gewährung von Beschädigtenrente nicht aus (vgl § 31 Abs 1 BVG), hat der Beschädigte nach der gefestigten Rechtsprechung des BSG einen Anspruch auf isolierte Feststellung (Anerkennung) von Schädigungsfolgen. Denn die Feststellung von Schädigungsfolgen kann als eigenständiger begünstigender Verwaltungsakt Grundlage für weitere Ansprüche oder Rechtsfolgen sein, zB Ansprüche auf Heilbehandlung wegen der anerkannten Folgen einer Schädigung (vgl zum BVG bereits BSGE 9, 80, 83 f = SozR Nr 17 zu § 55 SGG; BSGE 12, 25, 26; BSGE 27, 22, 23 = SozR Nr 59 zu § 77 SGG; BSG, Urteil vom 2.6.1970 - 10 RV 69/68 - KOV 1971, 170; zum Soldatenversorgungsgesetz etwa BSGE 57, 171, 172 = SozR 1500 § 55 Nr 24 S 17; BSGE 68, 128, 129 f = SozR 3-3200 § 81 Nr 1 S 3; BSG SozR 3-1500 § 55 Nr 18 S 39; BSG SozR 3-3200 § 81 Nr 16 S 73; zum OEG etwa BSG, Urteil vom 18.10.1995 - 9/9a RVg 4/92 - BSGE 77, 1, 6 = SozR 3-3800 § 1 Nr 4 S 15).

24

Wie SG und LSG im Ergebnis zutreffend erkannt haben, steht der Klägerin gemäß § 1 Abs 1 Satz 1 OEG nach den Umständen des vorliegenden Falles ein Anspruch auf Feststellung der Gesundheitsstörungen zu, die Folgen der im Jahre 2000 von dem Gynäkologen durchgeführten Schönheitsoperationen sind. Denn diese ärztlichen Eingriffe sind als vorsätzliche, rechtswidrige tätliche Angriffe iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG zu werten. Der erkennende Senat legt dabei zunächst seine bisherige Rechtsprechung zum Rechtsbegriff "vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff" zugrunde (dazu unter a). Darüber hinaus ist die Rechtsprechung des BGH zur Strafbarkeit eines ärztlichen Eingriffs als vorsätzliche Körperverletzung von Bedeutung (dazu unter b). Für diesen Bereich entwickelt der Senat seine bisherige Rechtsprechung dahin weiter, dass ein ärztlicher Eingriff unter bestimmten Voraussetzungen als tätlicher Angriff anzusehen ist (dazu unter c). Diese Voraussetzungen liegen nach den für den Senat verbindlichen Tatsachenfeststellungen hier vor (dazu unter d).

25

a) Die Rechtsprechung des erkennenden Senats zur Auslegung des Rechtsbegriffs "vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff" iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG hat sich im Laufe der Jahre anhand einzelner Fallgestaltungen entwickelt. Sie hat sich weitgehend von subjektiven Merkmalen (wie etwa einer kämpferischen, feindseligen Absicht des Täters) gelöst und entscheidend auf die Rechtsfeindlichkeit, vor allem verstanden als Feindlichkeit gegen das Strafgesetz, abgestellt. Dabei hat der erkennende Senat je nach Fallkonstellation unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt und verschiedene Betrachtungsweisen zugrunde gelegt. Leitlinie des erkennenden Senats war insoweit der sich aus dem Sinn und Zweck des OEG ergebende Gedanke des Opferschutzes. Das Vorliegen eines tätlichen Angriffs hat der Senat daher aus der Sicht eines objektiven, vernünftigen Dritten beurteilt und insbesondere sozial angemessenes Verhalten ausgeschieden. Allgemein ist er in seiner bisherigen Rechtsprechung davon ausgegangen, dass als tätlicher Angriff grundsätzlich eine in feindseliger Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielende gewaltsame Einwirkung anzusehen ist, wobei in aller Regel die Angriffshandlung den Tatbestand einer - jedenfalls versuchten - vorsätzlichen Straftat gegen das Leben oder die körperliche Unversehrtheit erfüllt (vgl BSG, Urteil vom 10.9.1997 - 9 RVg 1/96 - BSGE 81, 42, 43 = SozR 3-3800 § 1 Nr 11 S 38; BSG, Urteil vom 4.2.1998 - B 9 VG 5/96 R - BSGE 81, 288, 289 = SozR 3-3800 § 1 Nr 12 S 42 f; BSG, Urteil vom 24.7.2002 - B 9 VG 4/01 R - BSGE 90, 6, 8 f = SozR 3-3800 § 1 Nr 22 S 103 f; BSG, Urteil vom 10.12.2003 - B 9 VG 3/02 R - SozR 4-3800 § 1 Nr 5 RdNr 6 f und zuletzt BSG, Urteil vom 2.10.2008 - B 9 VG 2/07 R - juris RdNr 14 ff).

26

Im Einzelnen hat der erkennende Senat bislang zu folgenden Fallkonstellationen entschieden:

27

Zunächst hat er unter Bezugnahme auf die Begründung zum Regierungsentwurf eines OEG (BT-Drucks 7/2506 S 13) für die Annahme einer Angriffshandlung eine in feindseliger Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielende Einwirkung verlangt und deshalb einen tätlichen Angriff bei der Flucht vor einem Einbrecher verneint (BSG, Urteil vom 7.11.1979 - 9 RVg 1/78 - BSGE 49, 98, 99 f = SozR 3800 § 1 Nr 1 S 2; BSG, Urteil vom 28.3.1984 - 9a RVg 1/83 - BSGE 56, 234, 236 = SozR 3800 § 1 Nr 4 S 9). Diese Rechtsprechung hat er später dahingehend präzisiert, dass unter einem tätlichen Angriff ein gewaltsames, handgreifliches Vorgehen gegen eine Person in kämpferischer, feindseliger Absicht zu verstehen ist, nicht jedoch sozial angemessenes Verhalten, wie das Hochheben einer jungen Frau auf einem Straßenfest (BSG, Urteil vom 23.10.1985 - 9a RVg 5/84 - BSGE 59, 46, 47 ff = SozR 3800 § 1 Nr 6 S 18 ff).

28

In Fällen sexuellen Missbrauchs von Kindern iS von § 176 StGB hat der Senat dann den Begriff des tätlichen Angriffs umfassender im Sinne von Rechtsfeindlichkeit verstanden. Danach kommt es nicht darauf an, welche innere Einstellung der Täter zu dem Opfer hatte und wie das Opfer die Tat empfunden hat. Für den Senat war allein entscheidend, dass die Begehensweise, nämlich sexuelle Handlungen, eine Straftat war, deretwegen die Täter in diesen Fällen auch bestraft worden sind (BSG, Urteil vom 18.10.1995 - 9 RVg 4/93 - BSGE 77, 7, 8 f = SozR 3-3800 § 1 Nr 6 S 23 f; BSG, Urteil vom 18.10.1995 - 9 RVg 7/93 - BSGE 77, 11, 13 = SozR 3-3800 § 1 Nr 7 S 28 f; ähnlich auch bei einer Aids-Infektion durch ungeschützten Geschlechtsverkehr: BSG, Urteil vom 18.10.1995 - 9 RVg 5/95 - BSGE 77, 18, 19 = SozR 3-3800 § 2 Nr 3 S 7).

29

Auch eine absichtliche Blockade mit einem Kraftfahrzeug ist als tätlicher Angriff angesehen worden, wenn das Opfer dem gegen ihn gerichteten körperlichen Angriff durch Ausweichen oder Flucht entgehen will und dadurch zu Schaden kommt. Der Senat hat es für genügend erachtet, dass das Handeln des Angreifers vorsätzlich und auf Rechtsbruch gerichtet war. In der Regel reicht danach der vorsätzliche rechtswidrige Angriff gegen die körperliche Integrität oder die körperliche Bewegungsfreiheit aus, um den Tatbestand (des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG) zu erfüllen (BSG, Urteil vom 12.12.1995 - 9 RVg 1/94 - SozR 3-3800 § 10a Nr 1 S 2 f).

30

Ebenso hat es der erkennende Senat beim Zünden eines Feuerwerkskörpers durch einen unbekannt gebliebenen Täter ausreichen lassen, dass das Verhalten des Täters auf Rechtsbruch gerichtet war und dadurch seine Rechtsfeindlichkeit erkennen ließ. Rechtsfeindlich handele, wer vorsätzlich und rechtswidrig einen Angriff gegen die körperliche Integrität eines anderen richte (BSG, Urteil vom 28.5.1997 - 9 RVg 1/95 - USK 9714).

31

Diese Rechtsprechung hat der Senat in seiner Entscheidung zur Gewalt gegen Sachen verbunden mit Drohungen gegenüber dem Opfer fortgeführt: Er ist dort zwar davon ausgegangen, dass ein vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff grundsätzlich eine in feindseliger Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielende, gewaltsame und in der Regel auch handgreifliche Einwirkung erfordert. Zugleich hat er jedoch klargestellt, dass nicht ein aggressives Verhalten, sondern die Rechtsfeindlichkeit des Täterhandelns für das Vorliegen der Anspruchsvoraussetzung des "tätlichen Angriffs" maßgeblich ist. Bei Drohungen gegenüber dem Opfer verbunden mit einer unmittelbaren Gewaltanwendung gegen eine Sache hat er es deshalb als entscheidend angesehen, ob aus der Sicht eines objektiven, vernünftigen Dritten ein unmittelbares Ansetzen zu einer gezielten Gewaltanwendung gegen eine Person gegeben ist (BSG, Urteil vom 10.9.1997 - 9 RVg 1/96 - BSGE 81, 42, 43 f = SozR 3-3800 § 1 Nr 11 S 38 f, ähnlich BSG, Urteil vom 3.2.1999 - B 9 VG 7/97 R - SozR 3-3800 § 1 Nr 14 S 56 zur Verletzungshandlung eines strafrechtlich schuldunfähigen, aber handlungsfähigen Kindes).

32

In seiner Entscheidung zur Verletzung durch Signalmunition in einer Silvesternacht hat der Senat ein zielgerichtetes, vorsätzliches, aggressives Verhalten gegen eine bestimmte Person nicht für erforderlich gehalten, sondern es für die Annahme eines "tätlichen Angriffs" ausreichen lassen, dass sich der Angriff gegen andere Personen als das Opfer gerichtet hat (BSG, Urteil vom 4.2.1998 - B 9 VG 5/96 R - BSGE 81, 288, 289 f = SozR 3-3800 § 1 Nr 12 S 42 ff). Weiter ist in dieser Entscheidung ausgeführt worden, dass die "Feindseligkeit", die den "tätlichen Angriff" iS des § 1 Abs 1 OEG kennzeichnet, schon dann zu bejahen ist, wenn mit der Einwirkung auf den Körper des Opfers - zumindest versuchsweise - vorsätzlich ein Straftatbestand verwirklicht wird. "Feindselig" handelt der Täter auch dann, wenn er unter Verstoß gegen ein Strafgesetz vorsätzlich auf den Körper eines anderen einwirkt (BSGE 81, 288, 292 = SozR 3-3800 § 1 Nr 12 S 46).

33

Zum "Mobbing" als einem sich über längere Zeit hinziehenden Konflikt zwischen dem Opfer und Personen seines gesellschaftlichen Umfeldes hat der erkennende Senat entschieden, dass nur bei einzelnen "Mobbing"-Aktivitäten die Schwelle zur strafbaren Handlung und somit zum kriminellen Unrecht überschritten werden könne; tätliche Angriffe lägen allerdings nur vor, wenn auf den Körper des Opfers gezielt eingewirkt werde, wie zB durch einen Fußtritt (BSG, Urteil vom 14.2.2001 - B 9 VG 4/00 R - BSGE 87, 276, 278 = SozR 3-3800 § 1 Nr 18 S 72).

34

In dem Fall einer Bedrohung mit einer scharf geladenen, entsicherten Schusswaffe hat der erkennende Senat, anknüpfend an sein Urteil vom 10.9.1997 (BSGE 81, 42 = SozR 3-3800 § 1 Nr 11), als tätlichen Angriff grundsätzlich eine in feindseliger Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielende gewaltsame Einwirkung angesehen. Er hat darauf hingewiesen, dass in aller Regel die Angriffshandlung iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG den Tatbestand einer vorsätzlichen Straftat gegen das Leben oder die körperliche Unversehrtheit erfüllen wird. Daneben seien aber auch Begehungsweisen denkbar, bei denen kein strafrechtlich relevanter Erfolg angestrebt werde. Es sei nicht einmal die körperliche Berührung oder auch nur ein darauf zielender Vorsatz erforderlich. Bereits die absichtliche, rechtswidrige Bedrohung eines anderen mit einer scharf geladenen entsicherten Schusswaffe stellt danach einen tätlichen Angriff dar (BSG, Urteil vom 24.7.2002 - B 9 VG 4/01 R - BSGE 90, 6, 8 f = SozR 3-3800 § 1 Nr 22 S 103 f). Diese Rechtsprechung hat der Senat in seiner Entscheidung zum Entfernen eines Gullydeckels fortgeführt und darin unter Bezugnahme auf die Entscheidung vom 4.2.1998 (BSGE 81, 288, 289 f = SozR 3-3800 § 1 Nr 12) weiter festgestellt, dass eine Handlung dann nicht als tätlicher Angriff gegen eine Person angesehen werden kann, wenn ihr die erforderliche unmittelbare (feindliche) Ausrichtung auf andere Menschen fehlt (BSG, Urteil vom 10.12.2003 - B 9 VG 3/02 R - SozR 4-3800 § 1 Nr 5 RdNr 6 f). An diese Rechtsprechung hat der Senat auch in seiner Entscheidung zur körperlichen Durchsuchung einer Person durch falsche Polizeibeamte angeknüpft (BSG, Urteil vom 2.10.2008 - B 9 VG 2/07 R - juris RdNr 14 ff).

35

In Bezug auf eine Kindesentziehung durch List hat der erkennende Senat darauf hingewiesen, dass der Rechtsbegriff des tätlichen Angriffs aus Gründen des sozialen und psychischen Schutzes der Opfer unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck des OEG speziell in Fällen eines sexuellen Missbrauchs von Kindern in der Weise ausgelegt worden ist, dass er auch ohne Gewaltanwendung die Ausübung des Geschlechtsverkehrs eines erwachsenen Mannes mit einem Kind unter 14 Jahren erfasst. Bei einer Kindesentziehung hat der Senat jedoch ein entsprechendes Begriffsverständnis abgelehnt, weil dies zu einer Ausweitung der vom OEG erfassten Tatbestände führen würde, die mit der auf eine körperliche Gewaltanwendung abstellenden gesetzgeberischen Konzeption unvereinbar wäre. Eine erweiternde Auslegung ist auch nicht zum Schutz des betroffenen Kindes geboten (vgl BSG, Urteil vom 12.2.2003 - B 9 VG 2/02 R - SozR 4-3800 § 1 Nr 1 RdNr 12).

36

In seiner Entscheidung zur Freiheitsberaubung hat der erkennende Senat ebenfalls maßgeblich darauf abgestellt, dass die Grenze zur Gewalttat iS des § 1 Abs 1 OEG jedenfalls dann überschritten ist, wenn eine Person durch Mittel körperlicher Gewalt ihrer Freiheit beraubt und/oder dieser Zustand durch Tätlichkeiten aufrecht erhalten wird(BSG, Urteil vom 30.11.2006 - B 9a VG 4/05 R - SozR 4-3800 § 1 Nr 10 RdNr 13).

37

Schließlich hat der erkennende Senat in seiner Entscheidung zu einem möglichen tätlichen Angriff eines 4 ½ jährigen Kindes gegen ein anderes Kind unter Bezugnahme auf die Entscheidung vom 4.2.1998 (BSGE 81, 288 = SozR 3-3800 § 1 Nr 12)erneut hervorgehoben, dass der als "feindselige" Einwirkung auf den Körper eines anderen definierte tätliche Angriff lediglich erfordert, dass (objektiv) gegen ein Strafgesetz verstoßen wird, das die körperliche Unversehrtheit eines anderen schützt. Dies kann bei einem Stoßen ins Wasser unter Umständen der Fall sein (vgl BSG, Urteil vom 8.11.2007 - B 9/9a VG 3/06 R - SozR 4-3800 § 1 Nr 11 RdNr 14, 17).

38

b) Grundvoraussetzung für die Bewertung eines ärztlichen Eingriffs als "vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff" iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG ist danach, dass dieser als vorsätzliche Körperverletzung strafbar ist. Deshalb ist die einschlägige Rechtsprechung der Strafgerichte, insbesondere des BGH, zu beachten. Danach erfüllt jeder ärztliche Eingriff den Tatbestand einer (vorsätzlichen) Körperverletzung iS des § 223 Abs 1 StGB. Er bedarf grundsätzlich der Einwilligung, um rechtmäßig zu sein. Diese Einwilligung kann nur wirksam erteilt werden, wenn der Patient in der gebotenen Weise über den Eingriff, seinen Verlauf, seine Erfolgsaussichten, seine Risiken und mögliche Behandlungsalternativen aufgeklärt worden ist. Aufklärungsmängel können eine Strafbarkeit des Arztes wegen (vorsätzlicher) Körperverletzung jedoch nur begründen, wenn der Patient bei einer ordnungsgemäßen Aufklärung nicht in den Eingriff eingewilligt hätte. Das Fehlen einer "hypothetischen Einwilligung" ist dem Arzt nachzuweisen. Eine Beschränkung der Strafbarkeit kann sich zudem unter dem Gesichtspunkt des Schutzzweckgedankens ergeben, wenn sich ein Risiko realisiert, das nicht in den Schutzbereich der verletzten Aufklärungspflicht fällt. Dies wird etwa dann in Betracht zu ziehen sein, wenn sich der Aufklärungsmangel lediglich aus dem unterlassenen Hinweis auf Behandlungsalternativen ergibt, der Patient jedoch eine Grundaufklärung über die Art sowie den Schweregrad des Eingriffs erhalten hat und auch über die schwerstmögliche Beeinträchtigung informiert ist (vgl aus der neueren Rechtsprechung: BGH, Urteil vom 29.6.1995 - 4 StR 760/94 - BGHR StGB § 223 Abs 1 Heileingriff 4 = MedR 1996, 22, 24 ; BGH, Urteil vom 19.11.1997 - 3 StR 271/97 - BGHSt 43, 306, 308 f = NJW 1998, 1802, 1803 ; BGH, Beschluss vom 15.10.2003 - 1 StR 300/03 - JR 2004, 251, 252 ; BGH, Urteil vom 20.1.2004 - 1 StR 319/03 - JR 2004, 469, 470 ; BGH, Urteil vom 5.7.2007 - 4 StR 549/06 - BGHR StGB § 223 Abs 1 Heileingriff 8 = MedR 2008, 158, 159; BGH, Urteil vom 23.10.2007 - 1 StR 238/07 - MedR 2008, 435, 436 <"Turboentzug">; dazu auch Fischer, StGB, 57. Aufl 2010, § 223 RdNr 9, 15 ff, § 228 RdNr 12 ff).

39

c) Der erkennende Senat entwickelt seine bisherige Rechtsprechung zur Auslegung des Rechtsbegriffs "vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff" iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG für die besondere Fallkonstellation des als vorsätzliche Körperverletzung strafbaren ärztlichen Eingriffs weiter.

40

In aller Regel wird zwar eine Handlung, die den Tatbestand einer - jedenfalls versuchten - vorsätzlichen Straftat gegen das Leben oder die körperliche Unversehrtheit erfüllt, eine Angriffshandlung iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG sein. Die Verletzungshandlung im OEG hat jedoch durch das Tatbestandsmerkmal "vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff" - allerdings in Anknüpfung an die Vorschriften des StGB - eine eigenständige gesetzliche Ausprägung gefunden (vgl hierzu BSG, Urteil vom 28.3.1984 - 9a RVg 1/83 - BSGE 56, 234, 235 f = SozR 3800 § 1 Nr 4 S 8 f; BSG, Urteil vom 24.4.1991 - 9a/9 RVg 1/89 - SozR 3-3800 § 1 Nr 1 S 2; BSG, Urteil vom 10.9.1997 - 9 RVg 1/96 - BSGE 81, 42, 43 = SozR 3-3800 § 1 Nr 11 S 38; BSG, Urteil vom 3.2.1999 - B 9 VG 7/97 R - SozR 3-3800 § 1 Nr 14 S 56). Das bedeutet, dass nicht jeder als vorsätzliche Körperverletzung strafbare ärztliche Eingriff zugleich ein "vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff" iS einer in feindseliger Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielenden gewaltsamen Einwirkung sein muss.

41

Dabei ist zum einen zu berücksichtigen, dass ärztliche Eingriffe - wie die gesamte Tätigkeit des Arztes - von einem Heilauftrag iS des § 1 Abs 1 Bundesärzteordnung(danach dient der Arzt der Gesundheit des einzelnen Menschen und des gesamten Volkes; vgl dazu auch § 1 Abs 1 Musterberufsordnung für die deutschen Ärztinnen und Ärzte) bestimmt werden (vgl hierzu Laufs in Laufs/Katzenmeier/Lipp, Arztrecht, 6. Aufl 2009, S 17 f; Quaas/Zuck, Medizinrecht, 2. Aufl 2008, S 233 f). Ärztliche Eingriffe werden demnach grundsätzlich in der Absicht durchgeführt, zu heilen und nicht in feindseliger Willensrichtung unmittelbar auf die körperliche Unversehrtheit des Patienten einzuwirken. Zum anderen ergibt sich die Strafbarkeit eines ärztlichen Eingriffs als vorsätzliche Körperverletzung gerade aus der Verknüpfung von vorsätzlichem Aufklärungsmangel, Fehlen einer wirksamen Einwilligung und damit rechtswidrigem Eingriff in die körperliche Unversehrtheit. Eine strafbare vorsätzliche Körperverletzung kann bei einem ärztlichen Eingriff bereits dann vorliegen, wenn der Arzt nicht ordnungsgemäß aufgeklärt hat und der Patient die Einwilligung zum ärztlichen Eingriff bei ordnungsgemäßer Aufklärung nicht erteilt hätte. Es sind deshalb durchaus Fälle denkbar, bei denen der vorsätzliche Aufklärungsmangel zwar zu einer strafbaren vorsätzlichen Körperverletzung führt, es wegen einer vorhandenen Heilungsabsicht jedoch nicht gerechtfertigt ist, den ärztlichen Eingriff als eine gezielte gewaltsame Einwirkung auf die körperliche Unversehrtheit des Patienten, mithin als eine feindselige Angriffshandlung iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG, zu bewerten(vgl etwa den der Entscheidung des BGH vom 20.1.2004 - 1 StR 319/03 - JR 2004, 469 zugrunde liegenden Fall der Durchführung einer zweiten Operation zur Bergung einer bei der ersten Operation abgebrochenen Bohrerspitze bei unterlassener Aufklärung über Grund und Anlass der Maßnahme).

42

Für die besondere Fallkonstellation des ärztlichen Eingriffs müssen deshalb - neben der Strafbarkeit als Vorsatztat - bestimmte weitere Voraussetzungen hinzukommen, bei deren Vorliegen die Grenze zur Gewalttat, also zum "vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriff", überschritten ist. Nach Auffassung des erkennenden Senats wird ein Patient unter Berücksichtigung des Schutzzwecks des OEG dann zum Gewaltopfer, wenn ein als vorsätzliche Körperverletzung strafbarer ärztlicher Eingriff objektiv - also aus der Sicht eines verständigen Dritten - in keiner Weise dem Wohl des Patienten dient. Dies ist insbesondere der Fall, wenn sich der Arzt bei seiner Vorgehensweise im Wesentlichen von eigenen finanziellen Interessen leiten lässt und die gesundheitlichen Belange des Patienten hintangestellt hat. Mit dem Abstellen auf das Wohl des Patienten werden neben den Fällen der Heilung einer behandlungsbedürftigen Erkrankung auch die Fälle reiner Schönheitsoperationen erfasst, also Fälle, in denen ohne jede medizinische Indikation allein den Schönheitsvorstellungen des Patienten dienende Eingriffe (s § 52 Abs 2 SGB V)vorgenommen werden.

43

Soweit der Beklagte mit der Revision einwendet, das besondere Vertrags- und Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient gestatte die Annahme einer feindseligen Willensrichtung bei einem operativen Eingriff nur dann, wenn dies bestimmte äußere Umstände nahelegten, etwa wenn sich der Operierende fälschlich als Arzt ausgebe, vermag ihm der Senat nicht in vollem Umfang zu folgen. Allein der Umstand, dass ein in keiner Weise zum Wohle des Patienten handelnder Operateur Arzt ist, kann die Annahme einer feindseligen Haltung nicht ausschließen. Auch ein Vertrags- und Vertrauensverhältnis, das der Arzt in rücksichtsloser, krimineller Weise verletzt, hindert es nicht, eine feindselige Willensrichtung bei der Operation anzunehmen, wenn die vom Senat als maßgebend angesehenen Umstände vorliegen. Ebenso wenig greift der Einwand durch, dass der Eingriff in die körperliche Integrität dann seine feindselige Qualität verliere, wenn im Rahmen eines Arzt-Patienten-Verhältnisses die Einwilligung zur Operation vorliege. Eine durch Täuschung erschlichene Einwilligung ist unwirksam. Sie steht daher weder einer Strafbarkeit noch der Bejahung einer Gewalttat entgegen.

44

Mit der beigeladenen Bundesrepublik Deutschland stimmt der Senat dahin überein, dass ärztliche Kunstfehler für sich genommen keine Gewalttaten iS des § 1 OEG sind. Denn Kunstfehler sind sorgfaltswidrige Verstöße gegen die Regeln der ärztlichen Kunst, die lediglich eine Strafbarkeit wegen fahrlässiger Körperverletzung nach § 229 StGB oder fahrlässiger Tötung nach § 222 StGB begründen (vgl dazu Fischer, StGB, 57. Aufl 2010, § 223 RdNr 13c). Stellt der ärztliche Eingriff allerdings einen tätlichen Angriff dar, so ist es unerheblich, ob dabei Kunstfehler unterlaufen. Denn der Vorsatz des Täters muss sich nicht auf die eingetretene Schädigung beziehen (vgl BSG, Urteil vom 24.4.1991 - 9a/9 RVg 1/89 - SozR 3-3800 § 1 Nr 1 S 4; BSG, Urteil vom 12.12.1995 - 9 RVg 1/94 - SozR 3-3800 § 10a Nr 1 S 2; BSG, Urteil vom 3.2.1999 - B 9 VG 7/97 R - SozR 3-3800 § 1 Nr 14 S 57).

45

d) Gemessen an diesen Kriterien sind die von dem Gynäkologen im Jahr 2000 durchgeführten kosmetischen ärztlichen Eingriffe - im Ergebnis übereinstimmend mit dem SG und dem LSG - nicht nur als strafbare vorsätzliche gefährliche Körperverletzungen iS der §§ 223, 224 Abs 1 Nr 5 StGB, sondern auch als vorsätzliche, rechtswidrige tätliche Angriffe auf die körperliche Unversehrtheit der Klägerin iS des § 1 Abs 1 Satz 1 OEG anzusehen. Denn sie dienten aus der Sicht eines verständigen Dritten in keiner Weise dem Wohl der Klägerin.

46

Das LSG hat dazu Folgendes festgestellt: Die Klägerin litt zum Zeitpunkt der Operationen neben dem erheblichen Übergewicht an Koronarinsuffizienz, Bluthochdruck, Lungeninsuffizienz, insulinpflichtigem Diabetes mellitus sowie einer Darmerkrankung. Obwohl sie den Gynäkologen auf ihre Vorerkrankungen aufmerksam gemacht hatte, wies sie dieser vor den Eingriffen bewusst nicht darauf hin, dass bei ihr mit einem erheblichen Gesundheitsrisiko, ggf sogar mit Todesfolge, zu rechnen war. Die notwendige Aufklärung unterließ der Gynäkologe aus finanziellen Motiven, weil ihm klar war, dass die Klägerin bei ordnungsgemäßer Aufklärung von den Operationen abgesehen hätte. Darüber hinaus täuschte er die Klägerin über seine Befähigung, die Eingriffe fachgerecht vornehmen zu können. Die an der Klägerin vorgenommenen Eingriffe waren insgesamt gesehen weder von einer objektiven noch einer subjektiven Heilungstendenz getragen. Das Landgericht hat beide kosmetischen ärztliche Eingriffe als strafbare vorsätzliche gefährliche Körperverletzungen gemäß §§ 223, 224 Abs 1 Nr 5 StGB bewertet und den Gynäkologen deswegen zu Freiheitsstrafen verurteilt.

47

Diese Tatsachenfeststellungen des LSG sind für den Senat bindend (§ 163 SGG), denn der Beklagte hat dagegen in der Revisionsbegründung keine zulässigen und begründeten Verfahrensmängel vorgebracht. Soweit er darin die Beweiswürdigung (§ 128 Abs 1 Satz 1 SGG)des LSG angreift, hat er schon nicht dargelegt, dass die Grenzen der freien Beweiswürdigung überschritten wurden, also gegen allgemeine Erfahrungssätze oder Denkgesetze verstoßen worden ist (stRspr; vgl etwa schon BSG SozR Nr 34 und Nr 56 zu § 128 SGG; hierzu auch BSG, Urteil vom 8.11.2005 - B 1 KR 18/04 R - SozR 4-2500 § 44 Nr 7 RdNr 16; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG 9. Aufl 2008, § 128 RdNr 10 ff). Der Senat hat deshalb bei der Beurteilung der Rechtslage von den Tatsachenfeststellungen des LSG auszugehen. Danach hat sich der Arzt bei seiner Vorgehensweise im Wesentlichen von eigenen Interessen leiten lassen und die gesundheitlichen Belange der Klägerin - gerade auch im Hinblick auf die erheblichen Vorerkrankungen - in sträflicher Weise hintangestellt.

48

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

(1) Wer im Geltungsbereich dieses Gesetzes oder auf einem deutschen Schiff oder Luftfahrzeug infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes. Die Anwendung dieser Vorschrift wird nicht dadurch ausgeschlossen, daß der Angreifer in der irrtümlichen Annahme von Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrunds gehandelt hat.

(2) Einem tätlichen Angriff im Sinne des Absatzes 1 stehen gleich

1.
die vorsätzliche Beibringung von Gift,
2.
die wenigstens fahrlässige Herbeiführung einer Gefahr für Leib und Leben eines anderen durch ein mit gemeingefährlichen Mitteln begangenes Verbrechen.

(3) Einer Schädigung im Sinne des Absatzes 1 stehen Schädigungen gleich, die durch einen Unfall unter den Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 Buchstabe e oder f des Bundesversorgungsgesetzes herbeigeführt worden sind; Buchstabe e gilt auch für einen Unfall, den der Geschädigte bei der unverzüglichen Erstattung der Strafanzeige erleidet.

(4) Ausländerinnen und Ausländer haben dieselben Ansprüche wie Deutsche.

(5) Die Hinterbliebenen eines Geschädigten erhalten auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes. Partner einer eheähnlichen Gemeinschaft erhalten Leistungen in entsprechender Anwendung der §§ 40, 40a und 41 des Bundesversorgungsgesetzes, sofern ein Partner an den Schädigungsfolgen verstorben ist und der andere unter Verzicht auf eine Erwerbstätigkeit die Betreuung eines gemeinschaftlichen Kindes ausübt; dieser Anspruch ist auf die ersten drei Lebensjahre des Kindes beschränkt.

(6) Einer Schädigung im Sinne des Absatzes 1 stehen Schädigungen gleich, die ein Berechtigter oder Leistungsempfänger nach Absatz 1 oder 5 in Verbindung mit § 10 Abs. 4 oder 5 des Bundesversorgungsgesetzes, eine Pflegeperson oder eine Begleitperson bei einer notwendigen Begleitung des Geschädigten durch einen Unfall unter den Voraussetzungen des § 8a des Bundesversorgungsgesetzes erleidet.

(7) Einer gesundheitlichen Schädigung im Sinne des Absatzes 1 steht die Beschädigung eines am Körper getragenen Hilfsmittels, einer Brille, von Kontaktlinsen oder von Zahnersatz gleich.

(8) Wird ein tätlicher Angriff im Sinne des Absatzes 1 durch den Gebrauch eines Kraftfahrzeugs oder eines Anhängers verübt, werden Leistungen nach diesem Gesetz erbracht.

(9) § 1 Abs. 3, die §§ 64 bis 64d, 64f sowie 89 des Bundesversorgungsgesetzes sind mit der Maßgabe anzuwenden, daß an die Stelle der Zustimmung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales die Zustimmung der für die Kriegsopferversorgung zuständigen obersten Landesbehörde tritt, sofern ein Land Kostenträger ist (§ 4). Dabei sind die für deutsche Staatsangehörige geltenden Vorschriften auch für von diesem Gesetz erfaßte Ausländer anzuwenden.

(10) § 20 des Bundesversorgungsgesetzes ist mit den Maßgaben anzuwenden, daß an die Stelle der in Absatz 1 Satz 3 genannten Zahl die Zahl der rentenberechtigten Beschädigten und Hinterbliebenen nach diesem Gesetz im Vergleich zur Zahl des Vorjahres tritt, daß in Absatz 1 Satz 4 an die Stelle der dort genannten Ausgaben der Krankenkassen je Mitglied und Rentner einschließlich Familienangehörige die bundesweiten Ausgaben je Mitglied treten, daß Absatz 2 Satz 1 für die oberste Landesbehörde, die für die Kriegsopferversorgung zuständig ist, oder die von ihr bestimmte Stelle gilt und daß in Absatz 3 an die Stelle der in Satz 1 genannten Zahl die Zahl 1,3 tritt und die Sätze 2 bis 4 nicht gelten.

(11) Im Rahmen der Heilbehandlung sind auch heilpädagogische Behandlung, heilgymnastische und bewegungstherapeutische Übungen zu gewähren, wenn diese bei der Heilbehandlung notwendig sind.

(1) Wer durch eine militärische oder militärähnliche Dienstverrichtung oder durch einen Unfall während der Ausübung des militärischen oder militärähnlichen Dienstes oder durch die diesem Dienst eigentümlichen Verhältnisse eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der Schädigung auf Antrag Versorgung.

(2) Einer Schädigung im Sinne des Absatzes 1 stehen Schädigungen gleich, die herbeigeführt worden sind durch

a)
eine unmittelbare Kriegseinwirkung,
b)
eine Kriegsgefangenschaft,
c)
eine Internierung im Ausland oder in den nicht unter deutscher Verwaltung stehenden deutschen Gebieten wegen deutscher Staatsangehörigkeit oder deutscher Volkszugehörigkeit,
d)
eine mit militärischem oder militärähnlichem Dienst oder mit den allgemeinen Auflösungserscheinungen zusammenhängende Straf- oder Zwangsmaßnahme, wenn sie den Umständen nach als offensichtliches Unrecht anzusehen ist,
e)
einen Unfall, den der Beschädigte auf einem Hin- oder Rückweg erleidet, der notwendig ist, um eine Maßnahme der Heilbehandlung, eine Badekur, Versehrtenleibesübungen als Gruppenbehandlung oder Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nach § 26 durchzuführen oder um auf Verlangen eines zuständigen Leistungsträgers oder eines Gerichts wegen der Schädigung persönlich zu erscheinen,
f)
einen Unfall, den der Beschädigte bei der Durchführung einer der unter Buchstabe e aufgeführten Maßnahmen erleidet.

(3) Zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung genügt die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs. Wenn die zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung erforderliche Wahrscheinlichkeit nur deshalb nicht gegeben ist, weil über die Ursache des festgestellten Leidens in der medizinischen Wissenschaft Ungewißheit besteht, kann mit Zustimmung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales die Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung anerkannt werden; die Zustimmung kann allgemein erteilt werden.

(4) Eine vom Beschädigten absichtlich herbeigeführte Schädigung gilt nicht als Schädigung im Sinne dieses Gesetzes.

(5) Ist der Beschädigte an den Folgen der Schädigung gestorben, so erhalten seine Hinterbliebenen auf Antrag Versorgung. Absatz 3 gilt entsprechend.

Die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, sind, wenn Unterlagen nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen oder ohne Verschulden des Antragstellers oder seiner Hinterbliebenen verlorengegangen sind, der Entscheidung zugrunde zu legen, soweit sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen. Die Verwaltungsbehörde kann in besonderen Fällen von dem Antragsteller die eidesstattliche Versicherung verlangen, daß er bei seinen Angaben nach bestem Wissen die reine Wahrheit gesagt und nichts verschwiegen habe.

(1) Die Versorgung nach diesem Gesetz obliegt den für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständigen Behörden. Ist der Bund Kostenträger, so sind zuständig

1.
wenn der Geschädigte seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in einem Land hat, die Behörden dieses Landes; es finden die Übergangsregelungen gemäß § 4 Absatz 2 und 3 beschränkt auf die Zuständigkeit der Behörde entsprechend Anwendung, davon ausgenommen sind Versorgungen bei Schädigungen an einem Ort im Ausland,
2.
wenn der Geschädigte seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt außerhalb des Geltungsbereichs dieses Gesetzes hat, die Behörden des Landes, das die Versorgung von Kriegsopfern in dem Wohnsitz- oder Aufenthaltsland durchführt.
Abweichend von Satz 2 Nummer 2 sind, wenn die Schädigung auf einem deutschen Schiff oder Luftfahrzeug eingetreten ist, die Behörden des Landes zuständig, in dem das Schiff in das Schiffsregister eingetragen ist oder in dem der Halter des Luftfahrzeugs seinen Sitz oder Wohnsitz hat.

(2) Die örtliche Zuständigkeit der Behörden bestimmt die Landesregierung durch Rechtsverordnung.

(3) Das Gesetz über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung, mit Ausnahme der §§ 3 bis5,sowie die Vorschriften des Sozialgerichtsgesetzes über das Vorverfahren sind anzuwenden.

(4) Absatz 3 gilt nicht, soweit die Versorgung in der Gewährung von Leistungen besteht, die den Leistungen der Kriegsopferfürsorge nach den §§ 25 bis 27h des Bundesversorgungsgesetzes entsprechen.

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 4. November 2009 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger auch im Revisionsverfahren seine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Tatbestand

1

Streitig sind die Rücknahme der Bewilligung und die Rückforderung von Arbeitslosenhilfe (Alhi) und von Unterhaltsgeld (Uhg) für die Zeit vom 23.7.2003 bis 31.5.2004.

2

Der Kläger bezog im Anschluss an Arbeitslosengeld (Alg) und Uhg ab 23.7.2003 Alhi (Bescheid vom 12.8.2003). Im Zusatzblatt "Bedürftigkeitsprüfung" hatte er angegeben, einen Freistellungsauftrag erteilt zu haben und über ein Girokonto mit 2,00 Euro Guthaben zu verfügen. Im Übrigen verneinte er die Fragen nach vorhandenem Vermögen. Nach Wiederaufnahme seiner Umschulungsmaßnahme erhielt er ab 1.9.2003 erneut Uhg (Verfügung vom 7.10.2003).

3

Im Mai 2004 erfuhr die Beklagte, dass der Freistellungsauftrag der C. (nachfolgend C-Bank) erteilt worden war. Auf Anfrage legte der Kläger einen Kontoauszug ("Finanzreport") per 2.6.2003 vor, der ein Guthaben von insgesamt 7108,55 Euro auswies, und teilte mit, es handele sich um ein Tagesgeldkonto mit Onlinedepot, das er vor Jahren eingerichtet habe, weil allein für die Einrichtung WEB.DE-Aktien im Wert von 100,00 DM gutgeschrieben worden seien. Danach sei es nur von seinem Vater verwendet worden, dem er auch alle Online-Zugangsdaten überlassen habe. In der Folgezeit legte er eine eidesstattliche Versicherung seines Vaters vor, welcher die Angaben des Klägers bestätigte.

4

Die Beklagte hob die Bewilligung von Alhi für die Zeit vom 23.7. bis 31.8.2003 und von Uhg für die Zeit vom 1.9.2003 bis 31.5.2004 auf und forderte die Erstattung der gewährten Leistungen sowie der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung in Höhe von insgesamt 7784,76 Euro (Bescheid vom 1.7.2004). Den Widerspruch, den der Kläger mit zwei größeren Einzahlungen seiner Großmutter und des Käufers einer Küchenzeile zugunsten seines Vaters begründete, wies die Beklagte zurück. Der Kläger habe mangels Bedürftigkeit keinen Anspruch auf Leistungen gehabt. Die Ausführungen, wonach es sich um Vermögen seines Vaters gehandelt habe, seien nicht überzeugend (Widerspruchsbescheid vom 28.10.2005).

5

Das Sozialgericht (SG) hat der Klage stattgegeben (Urteil vom 21.11.2006). Das Landessozialgericht (LSG) hat nach Anhörung des Klägers und erneuter Beweiserhebung die Berufung der Beklagten zurückgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, es sei nach seiner Überzeugung nicht nachgewiesen, dass das auf dem Konto bei der C-Bank vorhandene Vermögen dem Kläger zuzuordnen sei. Soweit letzte Zweifel an der Zuordnung des Geldes bestünden, gingen diese zu Lasten der Beklagten. Für eine Beweislastumkehr sei kein Raum (Urteil vom 4.11.2009).

6

Mit der Revision rügt die Beklagte einen Verstoß gegen den Grundsatz der freien Beweiswürdigung und eine Verletzung materiellen Rechts, indem das LSG sie als beweisbelastet angesehen habe. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) gehe es zu Lasten des Arbeitslosen, wenn seiner Sphäre zuzuordnende Vorgänge nicht aufklärbar seien. Davon sei auch auszugehen, wenn nach Ausschöpfung aller Beweismittel Restzweifel an der Zuordnung von Vermögenswerten verblieben. Da beim LSG trotz der für die Darstellung des Klägers sprechenden Umstände letzte Zweifel verblieben seien, habe es eine Beweislast des Klägers annehmen müssen.

7

Die Beklagte beantragt,
die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Klage abzuweisen.

8

Der Kläger beantragt,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

9

Er hält das angefochtene Urteil des LSG für zutreffend.

Entscheidungsgründe

10

Die Revision der Beklagten ist nicht begründet (§ 170 Abs 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz). Das angefochtene Urteil verletzt die Beklagte nicht in ihren Rechten. Nach den für das Revisionsgericht verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz ist das LSG rechtsfehlerfrei im Rahmen seiner Beweiswürdigung zu dem Ergebnis gekommen, es sei nicht nachgewiesen, dass der Kläger bei Bewilligung der Alhi über ein den Freibetrag übersteigendes Vermögen verfügt hat. Die Rücknahme der Bewilligung von Alhi (unter 1.) und Uhg (unter 2.) ist aus diesem Grund rechtswidrig.

11

1. Rechtsgrundlage der zutreffend mit der Anfechtungsklage (§ 54 Abs 1 SGG) angegriffenen Rücknahme der Alhi-Bewilligung durch den Bescheid vom 1.7.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28.10.2005 ist § 45 Abs 1 und Abs 2 Satz 3 Nr 2 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) iVm § 330 Abs 2 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III). Rechtsgrundlage der daran anknüpfenden Rückforderung ist im Hinblick auf zu Unrecht erbrachte Leistungen § 50 Abs 1 Satz 1 SGB X und bezogen auf die gezahlten Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge § 335 Abs 1 Satz 1 und Abs 5 SGB III idF des Dritten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23.12.2003, BGBl I 2848 (zum insoweit geltenden Recht, wenn der Widerspruchsbescheid aus der Zeit nach dem 1.1.2005 datiert und der Ersatzanspruch vor dem 1.1.2005 entstanden ist: vgl BSG SozR 4-4300 § 335 Nr 1).

12

Für die vorrangige Frage der Rechtmäßigkeit der Rücknahmeentscheidung kommt es in erster Linie darauf an, ob der Bescheid über die Bewilligung der Alhi vom 12.8.2003 als den Kläger begünstigender Verwaltungsakt von Anfang an rechtswidrig ist. Die anfängliche Rechtswidrigkeit der Leistungsgewährung wiederum hängt nach den Umständen des Falles davon ab, ob bei der Bewilligung von Alhi ab 23.7.2003 die Voraussetzungen eines Alhi-Anspruchs gegeben waren. Das richtet sich nach § 190 Abs 1 Nr 1 bis 5 SGB III idF des Arbeitsförderungs-Reformgesetzes (AFRG) vom 24.3.1997 (BGBl I 594); fraglich ist hier insbesondere, ob der Kläger bedürftig war (Abs 1 Nr 5). Nicht bedürftig ist ein Arbeitsloser, solange mit Rücksicht auf sein Vermögen die Gewährung von Alhi nicht gerechtfertigt ist ( § 193 Abs 2 SGB III idF des Gesetzes zur Beendigung der Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Gemeinschaften; Lebenspartnerschaften vom 16.2.2001, BGBl I 266).

13

Nähere Bestimmungen zur Berücksichtigung von Vermögen trifft die insoweit auf der Verordnungsermächtigung nach § 206 Nr 1 SGB III idF des AFRG beruhende Arbeitslosenhilfe-Verordnung (AlhiV 2002) vom 13.12.2001 (BGBl I 3734). Danach ist das gesamte verwertbare Vermögen des Arbeitslosen zu berücksichtigen, soweit der Wert des Vermögens den Freibetrag übersteigt (§ 1 Abs 1 Nr 1 AlhiV 2002). Freibetrag ist, soweit hier von Bedeutung, ein Betrag von 200,00 Euro je vollendetem Lebensjahr des Arbeitslosen, der jedoch 13 000,00 Euro nicht übersteigen darf (§ 1 Abs 2 Satz 1 AlhiV 2002 idF des Ersten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23.12.2002, BGBl I 4607, mit Wirkung vom 1.1.2003). Für den am 23.12.1975 geborenen Kläger ergab sich demnach zu Beginn des streitigen Zeitraums (Alhi-Bezug ab 23.7.2003) ein Freibetrag von 5400,00 Euro (200,00 Euro x 27), weil er am 23.12.2002 das 27. Lebensjahr vollendet hatte.

14

Das zu Beginn des streitigen Zeitraums vorhandene Guthaben auf dem Konto bei der C-Bank überstieg damit zwar den persönlichen Freibetrag. Die Vorinstanzen sind aber zu Recht davon ausgegangen, dass nicht allein deswegen eigenes Vermögen vorhanden war und die Bedürftigkeit des Klägers fehlte. Durch die Einrichtung und Unterhaltung des Kontos im eigenen Namen hat zwar der Kläger den vor allem für seine Rechtsbeziehungen zur Bank bedeutsamen Eindruck hervorgerufen, dass er als Kontoinhaber Vertragspartner der Bank ist und damit auch Gläubiger von Kontoguthaben (vgl Gößmann in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, 3. Aufl 2007, § 29 RdNr 9 ff). Der dadurch gesetzte Rechtsschein allein genügt aber nach der Rechtsprechung des Senats nicht, um das Kontoguthaben zu Lasten des Klägers als ein die Bedürftigkeit ausschließendes Vermögen zu behandeln. Denn bei der Bedürftigkeitsprüfung ist nur Vermögen zu berücksichtigen, das dem Arbeitslosen nicht nur dem äußeren Schein nach, sondern auch nach Maßgabe des bürgerlichen Rechts als ihm gehörend zuzuordnen ist.

15

Diesen Grundsatz hat der Senat mit Urteil vom 24.5.2006 ( B 11a AL 7/05 R , BSGE 96, 238 = SozR 4-4220 § 6 Nr 4) anhand der behaupteten stillen Zession des Anspruchs auf ein Sparguthaben herausgearbeitet sowie in einer Parallelentscheidung vom selben Tag für den Fall einer verdeckten Treuhand hinsichtlich eines Sparguthabens ( B 11a AL 49/05 R ). In weiteren Entscheidungen zu angeblich verdeckten Treuhandverhältnissen vom 13.9.2006 ( B 11a AL 13/06 R und B 11a AL 19/06 R ), vom 21.3.2007 (B 11a AL 21/06 R) und vom 28.8.2007 (B 7/7a AL 10/06 R) haben die in Angelegenheiten der Arbeitsförderung zuständigen Senate diese Rechtsprechung fortgeführt und bestätigt. Der vorliegende Fall bietet keinen Anlass für eine abweichende Beurteilung, auch wenn der vom LSG festgestellte Sachverhalt einer verdeckten Überlassung der Verfügung über ein Bankkonto ("Kontenüberlassung") teilweise anders gelagert ist als die Tatbestände, mit denen sich das BSG bereits befasst hat. Denn entscheidend ist, dass der durch die Vorinstanz festgestellte Sachverhalt eine mit dem äußeren Anschein übereinstimmende rechtliche Zuordnung des Vermögens ausschließt.

16

a) Hiernach hat der Kläger das Konto zwar ursprünglich zur Erlangung einer Werbeprämie (Gutschrift von Aktien) eigennützig eingerichtet, aber dann nicht mehr selbst verwendet, sondern intern seinem Vater für Bankgeschäfte auf dessen eigene Rechnung überlassen. Für das Innenverhältnis zwischen dem Kläger und seinem Vater ist insoweit auf eine Rechtsbeziehung zu schließen, die im Hinblick auf die Frage der Vermögenszuordnung nicht anders zu behandeln ist als eine verdeckte Treuhand. Da es keinen gesetzlich typisierten Treuhandvertrag gibt, richten sich die Rechtsbeziehungen innerhalb eines als Treuhand bezeichneten Vertragsverhältnisses nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach den jeweiligen Absprachen (vgl BGH WM 1969, 935). Gemeinsames Merkmal rechtsgeschäftlicher Treuhandverhältnisse ist aber jedenfalls, dass dem Treuhänder nach außen hin eine Rechtsmacht eingeräumt ist, in deren Ausübung er im Innenverhältnis zum Treugeber als dem wirtschaftlichen Eigentümer durch eine schuldrechtliche Treuhandabrede beschränkt ist (vgl BGHZ 157, 178; Palandt/Bassenge, BGB, 69. Aufl 2010, § 903 RdNr 33; Palandt/Ellenberger, aaO, Überblick vor § 104 RdNr 25).

17

Von einer damit wenigstens vergleichbaren rechtlichen Konstellation ist auch nach den insoweit von der Beklagten nicht angegriffenen und demgemäß bindenden (§ 163 SGG) Feststellungen des LSG auszugehen. Danach sind sich der Kläger und sein Vater stillschweigend darüber einig gewesen, dass der Kläger ungeachtet der Rechtsmacht, die er im Verhältnis zur Bank aufgrund seiner Stellung als deren Vertragspartner sowie formaler Kontoinhaber und Gläubiger von Guthaben inne hatte, nicht zu eigennützigen Verfügungen über das auf Rechnung des Vaters angelegte Geld befugt war. Das gilt insbesondere für die Zahlungen der Großmutter des Klägers und des Käufers einer Küchenzeile, ohne die sich gar kein den Freibetrag übersteigendes Guthaben ergeben hätte. Denn dabei handelte es sich um Leistungen, mit denen diese Personen bewusst und zielgerichtet das Vermögen des Vaters mehren wollten, so dass sich der außerhalb dieser Leistungsbeziehungen stehende Kläger ohne rechtlichen Grund bereichert hätte (§ 812 Abs 1 Satz 1 Bürgerliches Gesetzbuch), falls er unter Ausnutzung der ihm als Kontoinhaber im Außenverhältnis zur Bank zukommenden Rechtsstellung auf eigene Rechnung über die seinem Vater zugedachten Geldbeträge verfügt hätte.

18

b) Das LSG durfte sich auf der Grundlage erschöpfender Ermittlungen rechtsfehlerfrei auch davon überzeugen, es sei nicht nachgewiesen, das am 23.7.2003 und in der Folgezeit auf dem Konto bei der C-Bank vorhandene Vermögen sei dem Kläger zuzuordnen. Im Rahmen der Amtsermittlung (§ 103 SGG) hat es - was von der Beklagten nicht beanstandet wird - alle verfügbaren Erkenntnisquellen durch Einholung von Auskünften und Befragung von Zeugen ausgeschöpft, um die nötigen Feststellungen treffen zu können, und entsprechend dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung (§ 128 Abs 1 Satz 1 SGG) alle Besonderheiten des konkreten Falles in tatsächlicher Hinsicht erfasst und gewürdigt. Die Beklagte rügt (zu Recht) weder die Verletzung des Grundsatzes der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme (§ 117 SGG ) durch die ergänzende Übernahme von Ergebnissen der erstinstanzlichen Ermittlungen (zu den Grenzen vgl BSG SozR 4-1500 § 128 Nr 7; BSG Urteil vom 8.9.2010 - B 11 AL 4/09 R) noch die Überschreitung der Grenzen der freien Beweiswürdigung durch einen Verstoß gegen Erfahrungssätze oder Denkgesetze (hierzu BSG SozR 3-2200 § 581 Nr 8; BSGE 95, 244, 254 = SozR 4-3100 § 1a Nr 1, jeweils RdNr 53 f).

19

Soweit die Beklagte demgegenüber eine Verletzung des Grundsatzes der freien Beweiswürdigung ausdrücklich damit rügt, dass nach Ausschöpfung aller Beweismittel beim LSG Restzweifel verblieben seien, die nicht zu ihren Lasten gehen könnten, macht sie inhaltlich keinen Verfahrensmangel geltend. Denn die Revision beanstandet der Sache nach gar nicht, dass sich das LSG keine tatsächliche Überzeugung vom Vorhandensein eines die Bedürftigkeit ausschließenden Vermögens des Klägers bilden konnte. Die Rüge der Beklagten beschränkt sich im Kern vielmehr darauf, dass "letzte Zweifel an der Zuordnung des Geldes" das LSG nicht zu einer Entscheidung nach Beweislastgrundsätzen zu ihren Gunsten veranlasst haben. Dieser Angriff betrifft indessen keinen Fehler bei der Beweiswürdigung, sondern die Beurteilung der Voraussetzungen für eine Entscheidung aufgrund der objektiven Beweislast (Feststellungslast).

20

Die Grundsätze der objektiven Beweislast (Feststellungslast) greifen ein, wenn der Tatrichter keine Überzeugung von der Wahrheit oder Unwahrheit einer streitigen und entscheidungserheblichen Tatsachenbehauptung gewinnen kann ("non liquet"), und sie bestimmen, zu wessen Lasten diese Unaufklärbarkeit geht (vgl zB BSGE 71, 256 = SozR 3-4100 § 119 Nr 7). Die objektive Beweislast kennzeichnet mit anderen Worten das Risiko, wegen der Nichterweislichkeit rechtlich erheblicher Tatsachen im Prozess zu unterliegen. Welchen Beteiligten dieses Risiko trifft, ist grundsätzlich eine Frage des materiellen Rechts, weil sich die Beweislastverteilung nach dem Regelungsgefüge der jeweils maßgebenden Norm richtet (vgl zB BSGE 71, 256 = SozR 3-4100 § 119 Nr 7; Schmidt-Aßmann in Maunz/Dürig, GG, Art 19 Abs 4 RdNr 228, Stand 2003; Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, § 103 RdNr 19a jeweils mwN). Eine Entscheidung nach den Grundsätzen der objektiven Beweislast darf allerdings - wie ausgeführt - erst getroffen werden, wenn alle verfügbaren Erkenntnisquellen ausgeschöpft sind und sich das Gericht dennoch keine Überzeugung in der einen oder anderen Richtung bilden konnte. Im sozialgerichtlichen Verfahren stellt sich die Frage der Beweislastverteilung daher nur, wenn es dem Tatrichter trotz Erfüllung seiner insbesondere durch § 103 SGG und § 128 Abs 1 Satz 1 SGG begründeten Pflicht zur eingehenden Erforschung des Sachverhalts und zur sorgfältigen Würdigung der erhobenen Beweise nicht gelungen ist, eine in tatsächlicher Hinsicht bestehende Ungewissheit zu beseitigen(stRspr, vgl zB BSGE 71, 256 = SozR 3-4100 § 119 Nr 7 mwN; BSGE 96, 238, 245 = SozR 4-4220 § 6 Nr 4; zuletzt Urteil des erkennenden Senats vom 8.9.2010, B 11 AL 4/09 R).

21

Beweismaßstab ist im sozialgerichtlichen Verfahren insoweit grundsätzlich der Vollbeweis. Das Gericht muss sich die volle Überzeugung vom Vorhandensein oder Nichtvorhandensein einer Tatsache verschaffen. Die Maßstäbe der Wahrscheinlichkeit und Glaubhaftmachung reichen nicht aus (vgl BSG SozR 3-3900 § 15 Nr 4). Allerdings verlangt auch der Vollbeweis keine absolute Gewissheit, sondern lässt eine an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit ausreichen. Denn ein darüber hinausgehender Grad an Gewissheit ist so gut wie nie zu erlangen (vgl Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, § 128 RdNr 3b mwN). Daraus folgt, dass auch dem Vollbeweis gewisse Zweifel innewohnen können, verbleibende Restzweifel mit anderen Worten bei der Überzeugungsbildung unschädlich sind, solange sie sich nicht zu gewichtigen Zweifeln verdichten. Übertragen auf den vorliegenden Fall hindern deshalb auch die vom LSG parallel zur Überzeugung des fehlenden Nachweises der mangelnden Bedürftigkeit des Klägers geäußerten letzten Zweifel an der Zuordnung des Geldes den Vollbeweis nicht. Es steht daher mit der nötigen wie auch ausreichenden Gewissheit fest, dass die maßgeblichen aus Überweisungen zugunsten des Vaters stammenden Gelder auf dem Konto der C-Bank nicht dem Vermögen des Klägers zuzurechnen sind. Ist somit bereits nach allgemeinen Grundsätzen des Beweisrechts der Vollbeweis erbracht, lösen die erwähnten Restzweifel entgegen der Auffassung der Revision keine Entscheidung nach der objektiven Beweislast und erst recht keine Beweislastumkehr aus.

22

Selbst wenn indes mit der Beklagten in tatsächlicher Hinsicht von einem "non liquet" ausgegangen würde, ergäbe sich hieraus keine Entscheidung zu ihren Gunsten. Im Rahmen der Rücknahme einer Leistungsbewilligung obliegt grundsätzlich der Beklagten die objektive Beweislast für das Vorhandensein der Rücknahmevoraussetzungen, hier mithin für die Rechtswidrigkeit der Bewilligung, konkret für das Fehlen der Bedürftigkeit als Voraussetzung des Alhi-Anspruchs (vgl zur Beweislast bei Aufhebung von Bewilligungsentscheidungen zuletzt Urteil des erkennenden Senats vom 8.9.2010, B 11 AL 4/09 R). Die Unerweislichkeit einer Tatsache geht grundsätzlich zu Lasten des Beteiligten, der aus ihr eine ihm günstige Rechtsfolge herleiten will. Die in arbeitsförderungsrechtlichen Angelegenheiten zuständigen Senate haben allerdings ausgesprochen, dass unter dem Gesichtspunkt einer besonderen Beweisnähe des Arbeitslosen eine Umkehr der Beweislast gerechtfertigt sein kann, wenn in seiner Sphäre wurzelnde Vorgänge nicht mehr aufklärbar sind (BSGE 96, 238, 245 f = SozR 4-4220 § 6 Nr 4; BSG Urteil vom 24.5.2006, B 11a AL 49/05 R; BSG Urteile vom 13.9.2006, B 11a AL 13/06 R und B 11a AL 19/06 R; BSG Urteil vom 21.3.2007, B 11a AL 21/06 R; BSG Urteil vom 28.8.2007, B 7a AL 10/06 R). Das bedeutet aber keineswegs eine Beweislastumkehr stets und in allen Fällen, in denen nicht zweifelsfrei geklärte Tatsachen die persönliche Sphäre des Arbeitslosen betreffen. Die Grundsätze der Beweislastumkehr können jedoch dann eingreifen, wenn es um in der Sphäre des Arbeitslosen liegende Tatsachen geht, die die Beklagte in Ermangelung entsprechender Angaben des Arbeitslosen nicht kennt und nicht kennen muss (vgl BSG SozR 4-1500 § 128 Nr 5 RdNr 17 unter Hinweis auf BSGE 71, 256, 263 = SozR 3-4100 § 119 Nr 7). Auf dieser Linie liegt es, dass das BSG im Urteil vom 24.5.2006 und in den nachfolgenden Entscheidungen (aaO) als Beispiele für eine dem Arbeitslosen anzulastende Beweisnähe, die eine Umkehr der Beweislast rechtfertigen kann, Verhaltensweisen des Arbeitslosen genannt hat, welche zu einer Erschwerung oder Verhinderung der entscheidungserheblichen Tatsachenfeststellungen führen. Anhaltspunkte für ein solches Verhalten des Klägers sind nicht ersichtlich und von der Beklagten nicht behauptet. Insoweit bedarf hier keiner näheren Vertiefung, dass - wie bereits vom LSG ausgeführt - der Kläger selbst beim Antrag auf Alhi angegeben hat, einen Freistellungsauftrag erteilt zu haben.

23

2. Sind damit die Voraussetzungen für eine Rücknahme der Alhi nicht gegeben, ist zugleich die Rücknahmeentscheidung hinsichtlich der Bewilligung des Uhg hinfällig. Insoweit kommt es nicht darauf an, ob die Bewilligung des Uhg nach Maßgabe der §§ 153 ff SGB III idF des Ersten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt vom 23.12.2002 (BGBl I 4607) überhaupt von einer Bedürftigkeitsprüfung abhängig war (vgl § 158 Abs 1 Satz 2 SGB III) oder nach Wiederaufnahme der Umschulung zum 1.9.2003 wegen der Klammerwirkung der zum 21.7.2003 abgebrochenen Weiterbildung und des dann entscheidenden Vorbezugs von Alg das Uhg nach dieser Leistung (vgl § 158 Abs 1 Satz 1 SGB III) zu bemessen war (hierzu BSG SozR 4-4300 § 158 Nr 3, BSG SozR 4-4300 § 158 Nr 4).

24

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

(1) Wer durch eine militärische oder militärähnliche Dienstverrichtung oder durch einen Unfall während der Ausübung des militärischen oder militärähnlichen Dienstes oder durch die diesem Dienst eigentümlichen Verhältnisse eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der Schädigung auf Antrag Versorgung.

(2) Einer Schädigung im Sinne des Absatzes 1 stehen Schädigungen gleich, die herbeigeführt worden sind durch

a)
eine unmittelbare Kriegseinwirkung,
b)
eine Kriegsgefangenschaft,
c)
eine Internierung im Ausland oder in den nicht unter deutscher Verwaltung stehenden deutschen Gebieten wegen deutscher Staatsangehörigkeit oder deutscher Volkszugehörigkeit,
d)
eine mit militärischem oder militärähnlichem Dienst oder mit den allgemeinen Auflösungserscheinungen zusammenhängende Straf- oder Zwangsmaßnahme, wenn sie den Umständen nach als offensichtliches Unrecht anzusehen ist,
e)
einen Unfall, den der Beschädigte auf einem Hin- oder Rückweg erleidet, der notwendig ist, um eine Maßnahme der Heilbehandlung, eine Badekur, Versehrtenleibesübungen als Gruppenbehandlung oder Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nach § 26 durchzuführen oder um auf Verlangen eines zuständigen Leistungsträgers oder eines Gerichts wegen der Schädigung persönlich zu erscheinen,
f)
einen Unfall, den der Beschädigte bei der Durchführung einer der unter Buchstabe e aufgeführten Maßnahmen erleidet.

(3) Zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung genügt die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs. Wenn die zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung erforderliche Wahrscheinlichkeit nur deshalb nicht gegeben ist, weil über die Ursache des festgestellten Leidens in der medizinischen Wissenschaft Ungewißheit besteht, kann mit Zustimmung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales die Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung anerkannt werden; die Zustimmung kann allgemein erteilt werden.

(4) Eine vom Beschädigten absichtlich herbeigeführte Schädigung gilt nicht als Schädigung im Sinne dieses Gesetzes.

(5) Ist der Beschädigte an den Folgen der Schädigung gestorben, so erhalten seine Hinterbliebenen auf Antrag Versorgung. Absatz 3 gilt entsprechend.

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 22. November 2012 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt die Feststellung von Schädigungsfolgen und die Gewährung einer Beschädigtenversorgung.

2

Der 1941 geborene Kläger war von November 1963 bis April 1968 als Zugschaffner und Zugfertigsteller bei der Deutschen Reichsbahn am Bahnhof G. beschäftigt. In den Jahren 1966 bis 1968 wurde er nach den Feststellungen des LSG durch Mitarbeiter der Staatssicherheit bedroht und unter Druck gesetzt und als inoffizieller Mitarbeiter geworben. Im April 1968 löste der Kläger sein Arbeitsverhältnis mit dem Bahnhof G. Danach war er als Reinigungsmüller bei den M., anschließend als Koch und Küchenleiter zunächst im R.-Heim und nach dortigen Verwerfungen ab 1976 im N. Krankenhaus in G. tätig.

3

Seit 1976 befand sich der Kläger nach seinen Angaben in nervenärztlicher Behandlung. In den Sozialversicherungsausweisen sind seit dieser Zeit Psychosen, Neurosen und paranoide Zustände dokumentiert. Seit 1980 bezog der Kläger eine Invalidenrente, seit 1992 als Rente wegen Erwerbsunfähigkeit. Ab dem 1.1.1991 erkannte das Land Brandenburg - Landesversorgungsamt - bei dem Kläger einen Grad der Behinderung von 80 wegen psychovegetativer Störungen an und stellte das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Merkzeichen "G" und "B" fest (Bescheide vom 11.7.1995 und 7.9.1995). Das Ministerium des Innern des Landes Brandenburg hat nach dem Gesetz über die Aufhebung rechtsstaatswidriger Verwaltungsentscheidungen im Beitrittsgebiet und die daran anknüpfenden Folgeansprüche (Verwaltungsrechtliches Rehabilitierungsgesetz - VwRehaG) später festgestellt, dass der Kläger durch Mitarbeiter der Staatssicherheit Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt war, die mit tragenden Grundsätzen eines Rechtsstaates schlechthin unvereinbar waren; diese Maßnahmen wurden nach § 1 Abs 1 und 5 VwRehaG für rechtsstaatswidrig erklärt. Des Weiteren wurde festgestellt, dass der Kläger Verfolgter iS des § 1 Abs 1 Nr 3 Berufliches Rehabilitierungsgesetz (BerRehaG) ist. Als berufliche Verfolgungszeit wurde der Zeitraum von 1968 bis 1990 angegeben (Bescheid vom 23.11.1999). Den Antrag des Klägers auf "Entschädigung aufgrund staatlicher Willkür aus der DDR-Zeit" nach dem VwRehaG lehnte das beklagte Land hingegen ua nach Einholung eines nervenärztlichen Kausalitätsgutachtens bei dem Arzt für Neurologie und Psychiatrie und Sozialmediziner Dr. T. vom 29.5.2000 ab, nachdem dieser aufgrund einer ambulanten Untersuchung zu dem Ergebnis gekommen war, dass die bei dem Kläger vorliegende schwere Zwangsneurose nicht ursächlich auf Verfolgungsmaßnahmen in den Jahren 1966 bis 1968 zurückgeführt werden könne (Bescheid vom 22.6.2000). Das Widerspruchsverfahren wurde auf Wunsch des Klägers vorläufig eingestellt (Schreiben vom 25.8.2000). Im Februar 2005 beantragte der Kläger erfolglos die Überprüfung seiner Versorgungsleistungen nach dem VwRehaG (Bescheid vom 1.7.2005; Widerspruchsbescheid vom 28.9.2005).

4

Das SG hat im anschließenden Klageverfahren auf Antrag des Klägers ein Gutachten bei dem Diplom-Psychologen und Psychologischen Psychotherapeuten Tr. eingeholt. Dieser hat nach ambulanten Untersuchungen des Klägers eine gemischte Angst-Zwangsstörung diagnostiziert, die chronifiziert und mit Wahrscheinlichkeit durch Verfolgungsmaßnahmen der Mitarbeiter der Staatssicherheit in der - vom Sachverständigen angenommenen - Verfolgungszeit von 1968 bis 1990 hervorgerufen worden sei. Der Grad der schädigungsbedingten Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) betrage 70 vH. Das SG hat weiter Beweis erhoben ua durch Einholung eines neurologisch-psychiatrischen Gutachtens des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie sowie für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie Dr. G. Dieser ist nach ambulanter Untersuchung zur Einschätzung gelangt, bei dem Kläger liege ua eine chronifizierte schwere Zwangsstörung mit Begleitphänomenen vor. Die Zwangsstörung weise entstehungsmäßig neben neurologisch relevanten Belastungsfaktoren insbesondere psychosoziale Belastungsfaktoren auf, nämlich Belastungen in Kindheit und Jugend (ua Vergewaltigung der Mutter im Krieg, Verachtung durch den Vater, Schläge durch den Bruder), die von April 1966 bis Juni 1968 erlittenen Verfolgungsmaßnahmen (ua mit der Drohung von Verfehlungen am Arbeitsplatz und Unterstellung von Straftaten) und die Vorkommnisse bei seinem späteren Arbeitgeber im R. Heim (ua Vorwurf der Gefährdung einer ordnungsgemäßen Essensversorgung der Heimbewohner). Diese psychosozial relevanten Belastungsfaktoren, die wesentlich für die Entstehung und Aufrechterhaltung der schweren Zwangsstörung des Klägers seien, seien von ihrer Bedeutung her etwa gleichwertig. Eine etwaig genauere und prozentuale Aussage sei nicht möglich. Wollte man die Kausalität bejahen, läge bei dem Kläger seit Oktober 1998 ein schädigungsbedingter Grad einer MdE von 70 vH vor. Das SG hat die Klage hierauf abgewiesen. Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens stehe nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit fest, dass die von dem Kläger geltend gemachte Angst- und Zwangsstörung Folge der rechtsstaatswidrigen Verfolgungsmaßnahmen der Mitarbeiter der Staatssicherheit der ehemaligen DDR sei (Urteil vom 13.1.2009).

5

Das LSG hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Es bestehe kein Anspruch auf Feststellung einer Schädigungsfolge und Versorgungsleistungen, auch wenn ein schädigendes Ereignis iS von § 1 VwRehaG für die Zeit von März 1966 bis Juni 1968 vorliege. Die im Kern von allen Gutachtern gestellte Diagnose einer chronifizierten schweren Zwangsstörung sei nicht wesentlich ursächlich auf das schädigende Ereignis zurückzuführen. Das in Bezug auf den richtigen Verfolgungszeitraum allein nachvollziehbare Gutachten des Sachverständigen Dr. G.
komme zu dem Ergebnis, dass die Zwangsstörung des Klägers im Wesentlichen auf drei gleichwertigen Ursachen beruhe. Nach der Rechtsprechung des 9. Senats des BSG bedeute dies, dass die streitigen Verfolgungsmaßnahmen innerhalb des Ursachenkomplexes mit ca einem Drittel eine untergeordnete Rolle einnehmen. Die Rechtsprechung des 2. Senats des BSG, nach der auch eine rechnerisch verhältnismäßig niedriger zu bewertende Ursache rechtlich wesentlich sein könne, komme im Versorgungsrecht nicht zum Tragen (Urteil vom 22.11.2012).

6

Mit seiner Revision rügt der Kläger die Verletzung der Kausalitätsnorm der (Theorie der) wesentlichen Bedingung und der Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV). Das Berufungsgericht habe gegen Denkgesetze verstoßen, indem es aus drei nebeneinander bestehenden Einzelursachen geschlossen habe, dass keine dieser Ursachen wesentlich sein könne. Das LSG habe zudem Beweisanträge übergangen und das Fragerecht aus § 116 S 2 SGG verletzt.

7

Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 22. November 2012 und das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 13. Januar 2009 sowie die Bescheide des Beklagten vom 22. Juni 2000 sowie vom 1. Juli 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. September 2005 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, bei dem Kläger nach dem Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetz in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz eine Angst- und Zwangsstörung als Schädigungsfolge anzuerkennen und dem Kläger ab dem 1. Oktober 1998 eine Beschädigtenversorgung nach einem Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit/einem Grad der Schädigungsfolgen von 70 vH zu gewähren,
hilfsweise,
das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 22. November 2012 aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.

8

Der Beklagte hält das angefochtene Urteil für zutreffend und beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

9

Die Revision des Klägers ist unbegründet (§ 170 Abs 1 S 1 SGG). Die Klage ist zwar zulässig (dazu 1.) Der Kläger hat aber keinen Anspruch auf Anerkennung der geltend gemachten Schädigungsfolgen und Gewährung von Beschädigtenversorgung (dazu 2.). Insbesondere ist das LSG bei der Prüfung des Anspruchs von einem zutreffenden rechtlichen Prüfmaßstab der Kausalität ausgegangen (dazu 3.).

10

1. Statthafte Klage ist die zutreffend vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit (§ 16 Abs 2 VwRehaG) erhobene kombinierte Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 und 5 SGG; vgl BSGE 108, 97 = SozR 4-3800 § 1 Nr 18, RdNr 31). Gegenstand des Rechtsstreits ist die Aufhebung der entgegenstehenden Bescheide vom 22.6.2000, 1.7.2005 und 28.9.2005, die Anerkennung von Schädigungsfolgen sowie die Gewährung einer Beschädigtenversorgung. Zu Recht ist das LSG deshalb auch nicht von einem auf Rücknahme des Bescheides vom 22.6.2000 gerichteten Überprüfungsbegehren iS des § 44 SGB X ausgegangen, auch wenn der Bescheid vom 1.7.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.9.2005 diese Rechtsgrundlage benennt. Wenn Unanfechtbarkeit noch nicht eingetreten ist, wird das Verfahren nach § 44 SGB X im Regelfall nicht benötigt(BSG SozR 4-4300 § 330 Nr 2 Juris RdNr 17; BVerwGE 115, 302; hierzu Merten in Hauck/Noftz, SGB X, Stand Juni 2014, K § 44 RdNr 51). So verhält es sich hier. Denn in der Sache war der Widerspruchsbescheid vom 28.9.2005 auf den noch ausstehenden Abschluss des Verfahrens über den Widerspruch gegen den Bescheid vom 22.6.2000 gerichtet (vgl § 78 SGG).

11

2. Die Voraussetzungen der für den geltend gemachten Anspruch auf Anerkennung einer Schädigungsfolge sowie auf Gewährung einer Versorgung allein in Betracht kommenden Rechtsgrundlage des § 3 VwRehaG liegen nicht vollständig vor. Nach § 3 Abs 1 S 1 VwRehaG erhält ein Betroffener, der infolge einer Maßnahme nach § 1 VwRehaG eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen dieser Schädigung auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG). Dies gilt nicht, soweit er wegen desselben schädigenden Ereignisses bereits Versorgung auf Grund des BVG oder auf Grund von Gesetzen, die eine entsprechende Anwendung des BVG vorsehen, erhält (§ 3 Abs 1 S 2 VwRehaG). Zur Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Schädigung genügt die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhanges (§ 3 Abs 5 S 1 RehaG).

12

a) Der Anspruch nach § 3 Abs 1 S 1 VwRehaG ist eine von mehreren Folgemaßnahmen im Rahmen der SED-Unrechtsbereinigung. Das VwRehaG ist zum 1.7.1994 zusammen mit dem BerRehaG als Art 1 und 2 des Zweiten SED-Unrechtsbereinigungsgesetzes vom 23.6.1994 (BGBl I 1311) mit dem Ziel eingeführt worden, neben der strafrechtlichen Rehabilitierung durch das Strafrechtliche Rehabilitierungsgesetz (StrRehaG), welches bereits Gegenstand des Ersten SED-Unrechtsbereinigungsgesetzes vom 29.10.1992 (BGBl I 1814) war, eine Rehabilitierung durch Aufhebung rechtsstaatswidriger Verwaltungsentscheidungen zu ermöglichen. Dementsprechend ist eine hoheitliche Maßnahme einer deutschen behördlichen Stelle zur Regelung eines Einzelfalls in dem in Art 3 des Einigungsvertrages genannten Gebiet (Beitrittsgebiet) aus der Zeit vom 8.5.1945 bis zum 2.10.1990 (Verwaltungsentscheidung), die zu einer gesundheitlichen Schädigung (§ 3), einem Eingriff in Vermögenswerte (§ 7) oder einer beruflichen Benachteiligung (§ 8) geführt hat, auf Antrag aufzuheben, soweit sie mit tragenden Grundsätzen eines Rechtsstaates schlechthin unvereinbar ist und ihre Folgen noch unmittelbar schwer und unzumutbar fortwirken (§ 1 Abs 1 S 1 VwRehaG). Für eine hoheitliche Maßnahme, die nicht auf die Herbeiführung einer Rechtsfolge gerichtet ist, gelten die Vorschriften dieses Gesetzes entsprechend. An die Stelle der Aufhebung der Maßnahme tritt die Feststellung ihrer Rechtsstaatswidrigkeit (§ 1 Abs 5 S 1 und 2 VwRehaG). Die Aufhebung oder die Feststellung der Rechtsstaatswidrigkeit einer Maßnahme nach § 1 begründet Ansprüche nach Maßgabe dieses Gesetzes(§ 2 Abs 1 VwRehaG). Die Rehabilitierungsentscheidung ist danach von der Entscheidung über die - hier streitgegenständlichen - Folgeansprüche zu unterscheiden. Die Entscheidung über die Rehabilitierung obliegt der Rehabilitierungsbehörde (§ 12 VwRehaG), diejenige über den Ausgleich fortwirkender Folgen (vgl § 2 Abs 1 VwRehaG) je nach der Art des Primärschadens - wie hier bei Gesundheitsschädigung - der Versorgungsverwaltung (§ 12 Abs 4 VwRehaG), der nach dem Vermögensgesetz zuständigen Behörde bei Eingriffen in Vermögenswerte (§ 7 VwRehaG iVm dem Vermögensgesetz) und verschiedenen Sozialleistungsträgern bei beruflicher Benachteiligung (§ 8 VwRehaG iVm § 1 Abs 1 Nr 3 BerRehaG).

13

b) Der Anspruch nach § 3 Abs 1 S 1 VwRehaG ist nicht wegen konkurrierender Sozialleistungen ausgeschlossen. Nach den unangegriffenen Feststellungen des LSG (§ 163 SGG)kann davon ausgegangen werden, dass anderweitige Versorgungsleistungen, die den Anspruch nach § 3 Abs 1 S 2 VwRehaG ausschließen, nicht bezogen werden.

14

c) Der Kläger ist Betroffener iS von § 3 Abs 1 S 1 VwRehaG. Er gehört zu dem nach § 1 VwRehaG berechtigten Personenkreis. Der Kläger war durch Mitarbeiter der Staatssicherheit Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt, die mit tragenden Grundsätzen eines Rechtsstaates schlechthin unvereinbar waren. Diese Maßnahmen wurden nach § 1 Abs 1 und 5 VwRehaG für rechtsstaatswidrig erklärt. Die entsprechenden Feststellungen der Rehabilitierungsbehörde im Bescheid vom 23.11.1999 sind für die nachgeschalteten Fachbehörden bindend (§ 12 Abs 1 S 3 VwRehaG; zur fehlenden Verbindlichkeit von Tatsachenfeststellungen der Behörden der ehemaligen DDR vgl BVerfG Beschluss vom 24.9.2014 - 2 BvR 2782/10). Dies betrifft zum einen die genaue Bezeichnung der hoheitlichen Maßnahme, die den Anknüpfungspunkt für mögliche Folgeansprüche bildet. Und es betrifft zum anderen die Qualifizierung dieser Maßnahme als rechtsstaatswidrig. Jedenfalls bei Eingriffen in das Rechtsgut Gesundheit hat die Rehabilitierungsbehörde sich jedoch im Übrigen auf eine bloße Schlüssigkeitsprüfung zu beschränken. Die gilt insoweit - anders als beim Rechtsgut Beruf - auch für die Bestimmung der Verfolgungszeit (BVerwGE 119, 102 Juris RdNr 10 ff). Nach dem beschriebenen zweistufigen Prüfsystem entfaltet der Rehabilitierungsbescheid deshalb lediglich eine auf die Verfügungssätze beschränkte Tatbestandswirkung (hierzu allgemein Roos in von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl 2014, vor § 39 RdNr 4 ff). Hiervon hat sich das LSG in der Sache leiten lassen und die anspruchsbegründenden Tatbestandsmerkmale im Übrigen einer eigenständigen Prüfung unterzogen. Nach den bindenden - mit Verfahrensrügen nicht angegriffenen - Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) steht danach fest, dass sich die Dauer der Verfolgungszeit im Hinblick auf das Rechtsgut Gesundheit entgegen den berufsbezogenen Ausführungen im Rehabilitierungsbescheid auf die Zeit von März 1966 bis Juni 1968 beschränkte.

15

d) Der Kläger leidet auch an einer gesundheitlichen Störung. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme durch die Tatsacheninstanzen besteht kein Zweifel, dass der Kläger an einer chronifizierten schweren Zwangsstörung leidet, auch wenn das LSG insoweit von einer exakten Klassifizierung nach ICD 10 abgesehen hat (ggf F42; zur Notwendigkeit einer solchen Feststellung im Unfallversicherungsrecht vgl BSG Urteil vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17). Das LSG hat auch keine klare Differenzierung nach Primär- und Folgeschaden getroffen, sondern insoweit einheitlich auf den Beginn der nervenärztlichen Behandlung des Klägers im Jahr 1976 abgestellt. Hierauf kommt es vorliegend jedoch nicht entscheidend an, da es jedenfalls am nötigen Zurechnungszusammenhang fehlt (dazu sogleich unter 3.).

16

3. Der Anspruch des Klägers scheitert daran, dass sich der erforderliche Zurechnungszusammenhang zwischen dem schädigenden Ereignis der Verfolgung und der gesundheitlichen Erstschädigung (haftungsbegründende Kausalität) bzw den daraus resultierenden gesundheitlichen Folgen (haftungsausfüllende Kausalität; § 3 Abs 5 S 1 VwRehaG) nicht herstellen lässt. Das LSG hat die haftungsbegründende und haftungsausfüllende Kausalität über den Bedingungszusammenhang im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne hinaus zutreffend an der Theorie der wesentlichen Bedingung orientiert und frei von Rechtsfehlern verneint. Wie sonst im sozialen Entschädigungsrecht (vgl zB parallel § 1 Abs 1 StrRehaG, § 4 Abs 1 S 1 HHG, § 1 Abs 1 S 1 OEG) gilt trotz des Verweises auf das BVG nur wegen der Folgen der Schädigung (§ 3 Abs 1 S 1 VwRehaG) gleichwohl die Kausalnorm der wesentlichen Bedingung (BT-Drucks 12/4994 S 32 zu § 3; vgl Rademacker in Knickrehm, Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, 2012, VwRehaG, §§ 1 bis 18 RdNr 9; allgemein BSG Urteil vom 12.6.2001 - B 9 V 5/00 R - BSGE 88, 153 = SozR 3-3100 § 5 Nr 9).

17

a) Bei der Beurteilung des Ursachenzusammenhangs hat das LSG der versorgungsrechtlich relevanten Teilursache der Verfolgungsmaßnahmen mit etwa einem Drittel rechtsfehlerfrei eine untergeordnete und für den Ursachenzusammenhang unwesentliche Bedeutung beigemessen, in dem es die Kausalitätsnorm der wesentlichen Bedingung in der spezifisch versorgungsrechtlichen Ausprägung zugrunde gelegt hat wie sie im Anschluss an die Rechtsprechung des Reichsversicherungsamtes (RVA - AN 1912, 930) in ständiger Rechtsprechung seit BSGE 1, 72 und BSGE 1, 150 durch den 9. Senat vertreten wird (zuletzt BSG Urteil vom 12.6.2001 - B 9 V 5/00 R - BSGE 88, 153 = SozR 3-3100 § 5 Nr 9). Diese Grundsätze haben ihren Niederschlag auch in den "Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz" in ihrer am 1.10.1998 geltenden Fassung der Ausgabe 1996 (AHP 1996) und nachfolgend - seit Juli 2004 - den "Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2 SGB IX)" in ihrer jeweils geltenden Fassung (AHP 2005 und 2008) gefunden, welche zum 1.1.2009 durch die Anlage zu § 2 VersMedV vom 10.12.2008 inhaltgleich ersetzt worden ist (Teil C Nr 1 b der Anl zu § 2 VersMedV; vgl BR-Drucks 767/1/08 S 3, 4).

18

Danach gilt als Ursache im Rechtssinn nicht jede Bedingung, gleichgültig mit welcher Intensität sie zum Erfolg beigetragen hat und in welchem Zusammenhang sie dazu steht. Als Ursachen sind vielmehr nur diejenigen Bedingungen anzusehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben. Das ist der Fall, wenn sie in ihrer Bedeutung und Tragweite für den Eintritt des Erfolges als annähernd gleichwertig anzusehen sind. Kommt einem der Umstände gegenüber anderen indessen eine überragende Bedeutung zu, so ist dieser Umstand allein Ursache im Rechtssinne. Bei mehr als zwei Teilursachen ist die annähernd gleichwertige Bedeutung des schädigenden Vorgangs für den Eintritt des Erfolgs entscheidend. Haben also neben einer Verfolgungsmaßnahme mehrere weitere Umstände zum Eintritt einer Schädigungsfolge beigetragen, ist die Verfolgungsmaßnahme versorgungsrechtlich nur dann im Rechtssinne wesentlich und die Schädigungsfolge der Verfolgungsmaßnahme zuzurechnen, wenn sie in ihrer Bedeutung und Tragweite für den Eintritt des Erfolges - verglichen mit den mehreren übrigen Umständen - annähernd gleichwertig ist. Das ist dann der Fall, wenn die Verfolgungsmaßnahme in ihrer Bedeutung und Tragweite für den Eintritt des Erfolges allein mindestens so viel Gewicht hat wie die übrigen Umstände zusammen (vgl zB BSG SozR Nr 23 zu § 30 BVG Juris RdNr 10; BSG Urteil vom 20.7.2005 - B 9a V 1/05 R RdNr 38). Im Einzelnen bedarf es dazu der wertenden Abwägung der in Betracht kommenden Bedingungen (vgl in diesem Zusammenhang insbesondere BSGE 16, 216, 218 = SozR Nr 58 zu § 1 BVG). Im Einzelfall muss die Entscheidung darüber, welche Bedingungen im Rechtssinne als Ursache oder Mitursache zu gelten haben und welche nicht, aus der Auffassung des praktischen Lebens abgeleitet werden (BSGE 1, 72 = SozR BVG § 1 Nr 1; BSG Urteil vom 12.6.2001 - B 9 V 5/00 R - BSGE 88, 153 = SozR 3-3100 § 5 Nr 9 Juris RdNr 32).

19

b) Das LSG hat nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme im Anschluss an das Gutachten des medizinischen Sachverständigen Dr. G. unangegriffen und verbindlich festgestellt, dass - ohne abgrenzbare Vorschäden oder Verschlimmerungsanteile - für die Entstehung wie Aufrechterhaltung der Zwangsstörung des Klägers im Wesentlichen drei Ursachen gleichermaßen in Betracht kommen: Belastungen in Kindheit und Jugend, die streitgegenständlichen Verfolgungsmaßnahmen zwischen 1966 und 1968 und die Vorkommnisse im R.-Heim. Durchgreifende Verfahrensrügen hat der Kläger hiergegen nicht erhoben. Die Rüge der unterlassenen Aufklärung (§ 103 SGG) geht fehl. Der beantragten weiteren Beweiserhebung durch Befragung des Sachverständigen Dr. G. zu den Kausalfaktoren aus der Zeit vor der Verfolgung musste das LSG nicht nachkommen, nachdem der Sachverständige die Frage nach dem Ursachenanteil von Kindheit und Jugend bereits eindeutig beantwortet hat. Insbesondere besagen die Ursachen nichts über den Zeitpunkt der Entstehung der streitbefangenen Erkrankung und steht deshalb die Aussage des Gutachters Dr. T. zur Fixierung von Neurosen an unbewusste Konfliktsituationen der Kindheit in keinem noch aufzulösenden Widerspruch zur Aussage des Gutachters Dr. G., dass die Zwangsstörung des Klägers mangels entsprechender Symptomatik vor der Verfolgungszeit nicht bestanden habe (Revisionsbegründung S 18). Objektiv sachdienliche Fragen, deren Beantwortung das LSG entgegen § 116 S 2 SGG unterbunden haben könnte, macht die Revision nicht geltend(vgl BSG Beschluss vom 27.11.2007 - B 5a/5 R 60/07 B - SozR 4-1500 § 116 Nr 1 RdNr 7 ff im Anschluss an BVerfG NJW 1998, 2273). Hiervon ausgehend hat das LSG frei von Rechtsfehlern im Wege wertender Betrachtung nach der Formel der "annähernden Gleichwertigkeit" eine untergeordnete Bedeutung des schädigenden Ereignisses für die geltend gemachten Schädigungsfolgen angenommen. Die schädigungsunabhängigen Faktoren einer belasteten Kindheit und Jugend sowie die Arbeitssituation im R.-Heim haben danach auch in rechtlicher Hinsicht den überwiegenden Anteil am Eintritt und der Aufrechterhaltung der jetzt festgestellten Angststörung oder anders formuliert letztlich rechtlich überragende Bedeutung. Ein von der Revision behaupteter logisch ungültiger Schluss liegt nicht vor (vgl im Übrigen AHP Nr 70, wonach Erkrankungen mit neurotischen Anteilen - wie hier sachverständigerseits angenommen und vom LSG unangegriffen festgestellt - nur dann mit schädigenden Ereignissen in ursächlichem Zusammenhang stehen, wenn diese in früher Kindheit über längere Zeit und in erheblichem Umfang wirksam waren; zur fortdauernden Gültigkeit der AHP als antizipierte Sachverständigengutachten, auch wenn die Kausalitätsbeurteilungen zu einzelnen Krankheitsbildern in der VersMedV nicht mehr enthalten sind, BR-Drucks 767/1/08 S 4; Rundschreiben des BMAS vom 15.12.2008 - IVc 3-48021 - 6).

20

c) Die Revision verweist allerdings mit Recht darauf, dass der im Unfallversicherungsrecht zuständige 2. Senat des BSG für die wertende Entscheidung über die Wesentlichkeit einer Ursache "wesentlich" nicht gleichsetzt mit "gleichwertig" oder "annähernd gleichwertig". Auch eine nicht annähernd gleichwertige, sondern rechnerisch verhältnismäßig niedriger zu bewertende Ursache kann danach für den Erfolg rechtlich wesentlich sein, solange die andere(n) Ursache(n) keine überragende Bedeutung hat (haben) (BSG Urteil vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17, RdNr 15). Diese Rechtsprechung, die ihren Ausgangspunkt ebenfalls in der Rechtsprechung des RVA (AN 1912, 930) und den frühen Entscheidungen des BSG in BSGE 1, 72 und BSGE 1, 150 nimmt, schließt die Wesentlichkeit einer von drei ungefähr gleichwertigen Teilursachen nicht bereits deshalb aus, weil die allein maßgebliche Teilursache nur zu einem Drittel Berücksichtigung finden kann (vgl BSG SozR Nr 6 zu § 589 RVO im Anschluss an BSGE 13, 175 = SozR Nr 32 zu § 542 RVO). In die Bewertung einfließen muss vielmehr auch, ob den verbleibenden sozialrechtlich nicht maßgeblichen Teilursachen überragende Bedeutung zukommt. Erst wenn angenommen werden kann, dass diesen eine überragende Bedeutung beizumessen ist, folgt daraus, dass die nicht annähernd gleichwertige sozialrechtlich relevante Teilursache unwesentlich ist. Es werden insoweit wohl etwas niedrigere Anforderungen an die Stärke der Mitwirkung angelegt (vgl Krasney in Becker/ Burchardt/Krasney/Kruschinsky, Gesetzliche Unfallversicherung, Bd 1, Stand Oktober 2013, § 8 RdNr 314; vgl auch Knickrehm, SGb 2010, 381, 384). Der erkennende Senat lässt offen, ob diese etwas andere Ausrichtung im Ansatz bei der nötigen Abwägung im Einzelfall die von der Revision gewünschten Ergebnisse ergäbe. Selbst wenn die behaupteten Unterschiede bestünden, sähe sich der Senat weder veranlasst, mit Blick auf eine etwaig besondere Ausrichtung der Theorie der wesentlichen Bedingung im Unfallversicherungsrecht seine langjährige Rechtsprechung zur "annähernden Gleichwertigkeit" im sozialen Entschädigungsrecht aufzugeben (dazu d) noch bestünde Anlass zu einer Anfrage bei dem mit Unfallversicherungsrecht befassten 2. Senat des BSG (dazu e).

21

d) Der 9. Senat hält an seiner bisherigen Rechtsprechung zur Theorie der wesentlichen Bedingung unter Beibehaltung des Merkmals der "annähernden Gleichwertigkeit" fest. Die Rechtsprechung des 2. Senats mag Besonderheiten der gesetzlichen Unfallversicherung Rechnung tragen, die im sozialen Entschädigungsrecht grundsätzlich nicht von Bedeutung sind. In Betracht kommt insoweit insbesondere der Gesichtspunkt, dass im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung seit jeher eine Ersetzung der zivilrechtlichen Haftung durch die Ansprüche der Unfallversicherung stattfindet (vgl §§ 104 f SGB VII; ferner die Vorläufervorschrift in § 636 Abs 1 RVO; vgl auch schon § 95 des UVG vom 6.7.1884, RGBl 69; §§ 898 f RVO vom 19.7.1911, RGBl 509; grundlegend Gitter, Schadensausgleich im Arbeitsunfallrecht, 1969, S 51 ff). Diese Regelung gehört zum Kernbestand der gesetzlichen Unfallversicherung (vgl BSG Urteil vom 26.6.2007 - B 2 U 17/06 R - BSGE 98, 285 = SozR 4-2700 § 105 Nr 2, RdNr 16)und legt damit auch wesentliche Umfangmerkmale des Schadensausgleichs fest (BSGE 73, 1 = SozR 3-2200 § 571 Nr 2 Juris RdNr 17). Strukturen dieser Art kennzeichnen das soziale Entschädigungsrecht nicht. Im sozialen Entschädigungsrecht, wo in der Regel die Folgen einer einmaligen schädigenden Einwirkung zu beurteilen sind, hat sich die Bestimmung der Wesentlichkeit nach der "annähernden Gleichwertigkeit" bewährt. Dies gilt unabhängig davon, dass in Einzelfällen auch im sozialen Entschädigungsrecht auf Wertungen etwa der gesetzlichen Unfallversicherung zurückgegriffen wird (vgl im Bereich des SVG bei der Bestimmung unfallunabhängiger Krankheiten BSG Beschluss vom 11.10.1994 - 9 BV 55/94 - HVBG-INFO 1995, 970; hierzu Keller, SGb 2007, 248, 249).

22

e) Eine Abweichung iS des § 41 Abs 2 SGG als Voraussetzung einer Anfrage beim 2. Senat bzw Vorlage an den Großen Senat kommt nur dann in Betracht, wenn es sich um die unterschiedliche Beantwortung derselben Rechtsfrage handelt, auf der die frühere Entscheidung eines anderen Senats beruht, wenn also eine Identität der Rechtsfrage in der zu entscheidenden Sache und der früheren Entscheidung des anderen Senats besteht (vgl BSGE 94, 133 = SozR 4-3200 § 81 Nr 2 Juris RdNr 29, 30 mwN). Insoweit entfiele die Vorlage auch nicht für den Fall der vorangehenden Missachtung der Vorlagepflicht durch einen anderen Senat (Roos in Roos/Wahrendorf, SGG, 2014, § 41 RdNr 14 mwN). Die genannte Entscheidung des 2. Senats (BSG Urteil vom 9.5.2006 - B 2 U 1/05 R - BSGE 96, 196 = SozR 4-2700 § 8 Nr 17, RdNr 15)ist auf dem Gebiet der gesetzlichen Unfallversicherung (§ 8 Abs 1 SGB VII) ergangen, während hier die Auslegung des § 3 Abs 1 S 1 VwRehaG Gegenstand der Entscheidung ist. Soweit der erkennende Senat in der Entscheidung vom 11.10.1994 (BSGE 75, 180, 182 mwN = SozR 3-3200 § 81 Nr 12) ausgeführt hat, die Grundentscheidungen des sozialen Unfallversicherungsrechts seien auch im Entschädigungsrecht zu beachten, würde damit die Rechtsfrage gleichwohl nicht zu einer solchen auf dem Gebiet der gesetzlichen Unfallversicherung, sondern beträfe weiterhin die Auslegung von Normen des sozialen Entschädigungsrechts, für die lediglich bestimmte Grundentscheidungen des Rechts der gesetzlichen Unfallversicherung herangezogen werden (vgl BSGE 94, 133 = SozR 4-3200 § 81 Nr 2 Juris RdNr 29, 30 mwN). Der Senat nimmt die Abgrenzung nach Wertungen vor, die sich von den Wertungen des SGB VII unterscheiden. Diese Unterscheidung ist durch das Gesetz und seine unterschiedliche Aufgabenstellung angelegt. Daran ändert sich selbst dann nichts, wenn sich der erkennende wie auch Senate anderer Rechtsgebiete für die Ursachenbewertung nach der Theorie der wesentlichen Bedingung im Ansatz maßgeblich auf die Rechtsprechung des 2. Senats beziehen (vgl BSG SozR 4-3200 § 81 Nr 5 RdNr 21 mwN; BSG SozR 4-2400 § 7 Nr 15 RdNr 25; BSG SozR 4-4200 § 21 Nr 17 RdNr 21, 22).

23

f) Das LSG brauchte deshalb den weiteren Beweisanträgen des Klägers zur bisher noch offengelassenen Brückensymptomatik (Revisionsbegründung S 19, 20; vgl zu Fällen einer möglichen Entbehrlichkeit der Brückensymptomatik BSG Beschluss vom 16.2.2012 - B 9 V 17/11 B - Juris RdNr 10) nicht nachgehen, da es auf die unter Beweis gestellten Tatsachen nicht mehr ankam (BSG Beschluss vom 31.1.2008 - B 13 R 53/07 B). Auch im Falle der Existenz der behaupteten Brückensymptome würde sich an der Zurechnung nach Maßgabe der aufgezeigten Theorie der wesentlichen Bedingung nichts ändern. Einen hinreichend klaren Beweisantrag zu einem Primärschaden vor 1976 hat der Kläger im Übrigen nicht gestellt.

24

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, sind, wenn Unterlagen nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen oder ohne Verschulden des Antragstellers oder seiner Hinterbliebenen verlorengegangen sind, der Entscheidung zugrunde zu legen, soweit sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen. Die Verwaltungsbehörde kann in besonderen Fällen von dem Antragsteller die eidesstattliche Versicherung verlangen, daß er bei seinen Angaben nach bestem Wissen die reine Wahrheit gesagt und nichts verschwiegen habe.

(1) Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.

(2) Das Urteil darf nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen sich die Beteiligten äußern konnten.

Die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, sind, wenn Unterlagen nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen oder ohne Verschulden des Antragstellers oder seiner Hinterbliebenen verlorengegangen sind, der Entscheidung zugrunde zu legen, soweit sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen. Die Verwaltungsbehörde kann in besonderen Fällen von dem Antragsteller die eidesstattliche Versicherung verlangen, daß er bei seinen Angaben nach bestem Wissen die reine Wahrheit gesagt und nichts verschwiegen habe.

(1) Wer eine tatsächliche Behauptung glaubhaft zu machen hat, kann sich aller Beweismittel bedienen, auch zur Versicherung an Eides statt zugelassen werden.

(2) Eine Beweisaufnahme, die nicht sofort erfolgen kann, ist unstatthaft.

(1) Der Grad der Schädigungsfolgen ist nach den allgemeinen Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen, die durch die als Schädigungsfolge anerkannten körperlichen, geistigen oder seelischen Gesundheitsstörungen bedingt sind, in allen Lebensbereichen zu beurteilen. Der Grad der Schädigungsfolgen ist nach Zehnergraden von 10 bis 100 zu bemessen; ein bis zu fünf Grad geringerer Grad der Schädigungsfolgen wird vom höheren Zehnergrad mit umfasst. Vorübergehende Gesundheitsstörungen sind nicht zu berücksichtigen; als vorübergehend gilt ein Zeitraum bis zu sechs Monaten. Bei beschädigten Kindern und Jugendlichen ist der Grad der Schädigungsfolgen nach dem Grad zu bemessen, der sich bei Erwachsenen mit gleicher Gesundheitsstörung ergibt, soweit damit keine Schlechterstellung der Kinder und Jugendlichen verbunden ist. Für erhebliche äußere Gesundheitsschäden können Mindestgrade festgesetzt werden.

(2) Der Grad der Schädigungsfolgen ist höher zu bewerten, wenn Beschädigte durch die Art der Schädigungsfolgen im vor der Schädigung ausgeübten oder begonnenen Beruf, im nachweisbar angestrebten oder in dem Beruf besonders betroffen sind, der nach Eintritt der Schädigung ausgeübt wurde oder noch ausgeübt wird. Das ist insbesondere der Fall, wenn

1.
auf Grund der Schädigung weder der bisher ausgeübte, begonnene oder nachweisbar angestrebte noch ein sozial gleichwertiger Beruf ausgeübt werden kann,
2.
zwar der vor der Schädigung ausgeübte oder begonnene Beruf weiter ausgeübt wird oder der nachweisbar angestrebte Beruf erreicht wurde, Beschädigte jedoch in diesem Beruf durch die Art der Schädigungsfolgen in einem wesentlich höheren Ausmaß als im allgemeinen Erwerbsleben erwerbsgemindert sind, oder
3.
die Schädigung nachweisbar den weiteren Aufstieg im Beruf gehindert hat.

(3) Rentenberechtigte Beschädigte, deren Einkommen aus gegenwärtiger oder früherer Tätigkeit durch die Schädigungsfolgen gemindert ist, erhalten nach Anwendung des Absatzes 2 einen Berufsschadensausgleich in Höhe von 42,5 vom Hundert des auf volle Euro aufgerundeten Einkommensverlustes (Absatz 4) oder, falls dies günstiger ist, einen Berufsschadensausgleich nach Absatz 6.

(4) Einkommensverlust ist der Unterschiedsbetrag zwischen dem derzeitigen Bruttoeinkommen aus gegenwärtiger oder früherer Tätigkeit zuzüglich der Ausgleichsrente (derzeitiges Einkommen) und dem höheren Vergleichseinkommen. Haben Beschädigte Anspruch auf eine in der Höhe vom Einkommen beeinflußte Rente wegen Todes nach den Vorschriften anderer Sozialleistungsbereiche, ist abweichend von Satz 1 der Berechnung des Einkommensverlustes die Ausgleichsrente zugrunde zu legen, die sich ohne Berücksichtigung dieser Rente wegen Todes ergäbe. Ist die Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung gemindert, weil das Erwerbseinkommen in einem in der Vergangenheit liegenden Zeitraum, der nicht mehr als die Hälfte des Erwerbslebens umfaßt, schädigungsbedingt gemindert war, so ist die Rentenminderung abweichend von Satz 1 der Einkommensverlust. Das Ausmaß der Minderung wird ermittelt, indem der Rentenberechnung für Beschädigte Entgeltpunkte zugrunde gelegt werden, die sich ohne Berücksichtigung der Zeiten ergäben, in denen das Erwerbseinkommen der Beschädigten schädigungsbedingt gemindert ist.

(5) Das Vergleichseinkommen errechnet sich nach den Sätzen 2 bis 5. Zur Ermittlung des Durchschnittseinkommens sind die Grundgehälter der Besoldungsgruppen der Bundesbesoldungsordnung A aus den vorletzten drei der Anpassung vorangegangenen Kalenderjahren heranzuziehen. Beträge des Durchschnittseinkommens bis 0,49 Euro sind auf volle Euro abzurunden und von 0,50 Euro an auf volle Euro aufzurunden. Der Mittelwert aus den drei Jahren ist um den Prozentsatz anzupassen, der sich aus der Summe der für die Rentenanpassung des laufenden Jahres sowie des Vorjahres maßgebenden Veränderungsraten der Bruttolöhne und -gehälter je Arbeitnehmer (§ 68 Absatz 2 in Verbindung mit § 228b des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch) ergibt; die Veränderungsraten werden jeweils bestimmt, indem der Faktor für die Veränderung der Bruttolöhne und -gehälter je Arbeitnehmer um eins vermindert und durch Vervielfältigung mit 100 in einen Prozentsatz umgerechnet wird. Das Vergleichseinkommen wird zum 1. Juli eines jeden Jahres neu festgesetzt; wenn das nach den Sätzen 1 bis 6 errechnete Vergleichseinkommen geringer ist, als das bisherige Vergleichseinkommen, bleibt es unverändert. Es ist durch das Bundesministerium für Arbeit und Soziales zu ermitteln und im Bundesanzeiger bekanntzugeben; die Beträge sind auf volle Euro aufzurunden. Abweichend von den Sätzen 1 bis 5 sind die Vergleichseinkommen der Tabellen 1 bis 4 der Bekanntmachung vom 14. Mai 1996 (BAnz. S. 6419) für die Zeit vom 1. Juli 1997 bis 30. Juni 1998 durch Anpassung der dort veröffentlichten Werte mit dem Vomhundertsatz zu ermitteln, der in § 56 Absatz 1 Satz 1 bestimmt ist; Satz 6 zweiter Halbsatz gilt entsprechend.

(6) Berufsschadensausgleich nach Absatz 3 letzter Satzteil ist der Nettobetrag des Vergleicheinkommens (Absatz 7) abzüglich des Nettoeinkommens aus gegenwärtiger oder früherer Erwerbstätigkeit (Absatz 8), der Ausgleichsrente (§§ 32, 33) und des Ehegattenzuschlages (§ 33a). Absatz 4 Satz 2 gilt entsprechend.

(7) Der Nettobetrag des Vergleichseinkommens wird bei Beschädigten, die nach dem 30. Juni 1927 geboren sind, für die Zeit bis zum Ablauf des Monats, in dem sie auch ohne die Schädigung aus dem Erwerbsleben ausgeschieden wären, längstens jedoch bis zum Ablauf des Monats, in dem der Beschädigte die Regelaltersgrenze nach dem Sechsten Buch Sozialgesetzbuch erreicht, pauschal ermittelt, indem das Vergleichseinkommen

1.
bei verheirateten Beschädigten um 18 vom Hundert, der 716 Euro übersteigende Teil um 36 vom Hundert und der 1 790 Euro übersteigende Teil um 40 vom Hundert,
2.
bei nicht verheirateten Beschädigten um 18 vom Hundert, der 460 Euro übersteigende Teil um 40 vom Hundert und der 1 380 Euro übersteigende Teil um 49 vom Hundert
gemindert wird. Im übrigen gelten 50 vom Hundert des Vergleichseinkommens als dessen Nettobetrag.

(8) Das Nettoeinkommen aus gegenwärtiger oder früherer Erwerbstätigkeit wird pauschal aus dem derzeitigen Bruttoeinkommen ermittelt, indem

1.
das Bruttoeinkommen aus gegenwärtiger Erwerbstätigkeit um die in Absatz 7 Satz 1 Nr. 1 und 2 genannten Vomhundertsätze gemindert wird,
2.
Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung sowie Renten wegen Alters, Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit und Landabgaberenten nach dem Gesetz über die Alterssicherung der Landwirte um den Vomhundertsatz gemindert werden, der für die Bemessung des Beitrags der sozialen Pflegeversicherung (§ 55 des Elften Buches Sozialgesetzbuch) gilt, und um die Hälfte des Vomhundertsatzes des allgemeinen Beitragssatzes der Krankenkassen (§ 241 des Fünften Buches Sozialgesetzbuch); die zum 1. Januar festgestellten Beitragssätze gelten insoweit jeweils vom 1. Juli des laufenden Kalenderjahres bis zum 30. Juni des folgenden Kalenderjahres,
3.
sonstige Geldleistungen von Leistungsträgern (§ 12 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch) mit dem Nettobetrag berücksichtigt werden und
4.
das übrige Bruttoeinkommen um die in Nummer 2 genannten Vomhundertsätze und zusätzlich um 19 vom Hundert des 562 Euro übersteigenden Betrages gemindert wird; Nummer 2 letzter Halbsatz gilt entsprechend.
In den Fällen des Absatzes 11 tritt an die Stelle des Nettoeinkommens im Sinne des Satzes 1 der nach Absatz 7 ermittelte Nettobetrag des Durchschnittseinkommens.

(9) Berufsschadensausgleich nach Absatz 6 wird in den Fällen einer Rentenminderung im Sinne des Absatzes 4 Satz 3 nur gezahlt, wenn die Zeiten des Erwerbslebens, in denen das Erwerbseinkommen nicht schädigungsbedingt gemindert war, von einem gesetzlichen oder einem gleichwertigen Alterssicherungssystem erfaßt sind.

(10) Der Berufsschadensausgleich wird ausschließlich nach Absatz 6 berechnet, wenn der Antrag erstmalig nach dem 21. Dezember 2007 gestellt wird. Im Übrigen trifft die zuständige Behörde letztmalig zum Stichtag nach Satz 1 die Günstigkeitsfeststellung nach Absatz 3 und legt damit die für die Zukunft anzuwendende Berechnungsart fest.

(11) Wird durch nachträgliche schädigungsunabhängige Einwirkungen oder Ereignisse, insbesondere durch das Hinzutreten einer schädigungsunabhängigen Gesundheitsstörung das Bruttoeinkommen aus gegenwärtiger Tätigkeit voraussichtlich auf Dauer gemindert (Nachschaden), gilt statt dessen als Einkommen das Grundgehalt der Besoldungsgruppe der Bundesbesoldungsordnung A, der der oder die Beschädigte ohne den Nachschaden zugeordnet würde; Arbeitslosigkeit oder altersbedingtes Ausscheiden aus dem Erwerbsleben gilt grundsätzlich nicht als Nachschaden. Tritt nach dem Nachschaden ein weiterer schädigungsbedingter Einkommensverlust ein, ist dieses Durchschnittseinkommen entsprechend zu mindern. Scheidet dagegen der oder die Beschädigte schädigungsbedingt aus dem Erwerbsleben aus, wird der Berufsschadensausgleich nach den Absätzen 3 bis 8 errechnet.

(12) Rentenberechtigte Beschädigte, die einen gemeinsamen Haushalt mit ihrem Ehegatten oder Lebenspartners, einem Verwandten oder einem Stief- oder Pflegekind führen oder ohne die Schädigung zu führen hätten, erhalten als Berufsschadensausgleich einen Betrag in Höhe der Hälfte der wegen der Folgen der Schädigung notwendigen Mehraufwendungen bei der Führung des gemeinsamen Haushalts.

(13) Ist die Grundrente wegen besonderen beruflichen Betroffenseins erhöht worden, so ruht der Anspruch auf Berufsschadensausgleich in Höhe des durch die Erhöhung der Grundrente nach § 31 Abs. 1 Satz 1 erzielten Mehrbetrags. Entsprechendes gilt, wenn die Grundrente nach § 31 Abs. 4 Satz 2 erhöht worden ist.

(14) Die Bundesregierung wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates zu bestimmen:

a)
welche Vergleichsgrundlage und in welcher Weise sie zur Ermittlung des Einkommensverlustes heranzuziehen ist,
b)
wie der Einkommensverlust bei einer vor Abschluß der Schulausbildung oder vor Beginn der Berufsausbildung erlittenen Schädigung zu ermitteln ist,
c)
wie der Berufsschadensausgleich festzustellen ist, wenn der Beschädigte ohne die Schädigung neben einer beruflichen Tätigkeit weitere berufliche Tätigkeiten ausgeübt oder einen gemeinsamen Haushalt im Sinne des Absatzes 12 geführt hätte,
d)
was als derzeitiges Bruttoeinkommen oder als Durchschnittseinkommen im Sinne des Absatzes 11 und des § 64c Abs. 2 Satz 2 und 3 gilt und welche Einkünfte bei der Ermittlung des Einkommensverlustes nicht berücksichtigt werden,
e)
wie in besonderen Fällen das Nettoeinkommen abweichend von Absatz 8 Satz 1 Nr. 3 und 4 zu ermitteln ist.

(15) Ist vor dem 1. Juli 1989 bereits über den Anspruch auf Berufsschadensausgleich für die Zeit nach dem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben entschieden worden, so verbleibt es hinsichtlich der Frage, ob Absatz 4 Satz 1 oder 3 anzuwenden ist, bei der getroffenen Entscheidung.

(16) Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales wird ermächtigt, im Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Verteidigung und mit Zustimmung des Bundesrates durch Rechtsverordnung die Grundsätze aufzustellen, die für die medizinische Bewertung von Schädigungsfolgen und die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen im Sinne des Absatzes 1 maßgebend sind, sowie die für die Anerkennung einer Gesundheitsstörung nach § 1 Abs. 3 maßgebenden Grundsätze und die Kriterien für die Bewertung der Hilflosigkeit und der Stufen der Pflegezulage nach § 35 Abs. 1 aufzustellen und das Verfahren für deren Ermittlung und Fortentwicklung zu regeln.

(1) Beschädigte erhalten eine monatliche Grundrente bei einem Grad der Schädigungsfolgen

1.
von 30in Höhe von 171 Euro,
2.
von 40in Höhe von 233 Euro,
3.
von 50in Höhe von 311 Euro,
4.
von 60in Höhe von 396 Euro,
5.
von 70in Höhe von 549 Euro,
6.
von 80in Höhe von 663 Euro,
7.
von 90in Höhe von 797 Euro,
8.
von 100in Höhe von 891 Euro.

Die monatliche Grundrente erhöht sich für Schwerbeschädigte, die das 65. Lebensjahr vollendet haben, bei einem Grad der Schädigungsfolgen

von 50 und 60um 35 Euro,
von 70 und 80um 43 Euro,
von mindestens 90um 53 Euro.

(2) Schwerbeschädigung liegt vor, wenn ein Grad der Schädigungsfolgen von mindestens 50 festgestellt ist.

(3) Beschädigte, bei denen Blindheit als Folge einer Schädigung anerkannt ist, erhalten stets die Rente nach einem Grad der Schädigungsfolgen von 100. Beschädigte mit Anspruch auf eine Pflegezulage gelten stets als Schwerbeschädigte. Sie erhalten mindestens eine Versorgung nach einem Grad der Schädigungsfolgen von 50.

(4) Beschädigte mit einem Grad der Schädigungsfolgen von 100, die durch die anerkannten Schädigungsfolgen gesundheitlich außergewöhnlich betroffen sind, erhalten eine monatliche Schwerstbeschädigtenzulage, die in folgenden Stufen gewährt wird:

Stufe I103 Euro,
Stufe II212 Euro,
Stufe III316 Euro,
Stufe IV424 Euro,
Stufe V527 Euro,
Stufe VI636 Euro.


Die Bundesregierung wird ermächtigt, mit Zustimmung des Bundesrates durch Rechtsverordnung den Personenkreis, der durch seine Schädigungsfolgen außergewöhnlich betroffen ist, sowie seine Einordnung in die Stufen I bis VI näher zu bestimmen.

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 19. Dezember 2012 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand

 
Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung einer Beschädigtenversorgung nach dem Soldatenversorgungsgesetz (SVG) streitig.
Der am … 1941 geborene Kläger war bis zu seiner Pensionierung am 01.10.1997 Berufssoldat. Am 25.12.1996 erlitt er eine Lungenembolie, welche durch eine Embolektomie mit Einbau eines Vena-Cava-Schirms operativ behandelt wurde. Seither ist eine dauerhafte Marcumar-Antikoagulations-Medikation erforderlich.
Am 21.09.1998 beantragte der Kläger beim Beklagten wegen einer Lungenembolie am 25.12.1996 in Tunis/Tunesien während seines militärischen Dienstes als Verteidigungsattaché von 1993 bis 1997 die Gewährung von Beschädigtenversorgung nach dem SVG und legte ärztliche Unterlagen hierzu vor. Mit Schreiben vom 22.10.1998 übersandte der Beklagte der Wehrbereichsverwaltung (WBV) den Antrag mit dem Hinweis, dass nach § 88 Abs. 2 SVG zuerst eine Entscheidung durch diese zu treffen sei, da der Kläger Berufssoldat gewesen sei.
Ebenfalls am 21.09.1998 beantragte der Kläger die Feststellung seines Grades der Behinderung (GdB). Nach Einholung einer versorgungsärztlichen Stellungnahme der Internistin Dr. C. (GdB 30 für die Restfolgen nach chirurgischer Embolektomie bei Lungenembolie, Vena-Cava-Schirm-Implantation) stellte das Versorgungsamt mit Bescheid vom 30.06.1999 den GdB mit 30 seit dem 21.09.1998 fest. Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies das Landesversorgungsamt B. nach Einholung einer versorgungsärztlichen Stellungnahme vom Versorgungsarzt S., wonach die Restfolgen nach Embolektomie gemäß der Befunde nicht höher als mit einem GdB von 30 einzuschätzen seien, mit Widerspruchsbescheid vom 29.09.1999 zurück.
Die WBV veranlasste ein truppenärztliches Gutachten durch Oberstabsarzt Dr. B., der in seinem Gutachten vom 03.01.2000 im Wesentlichen auf den Befundbericht von Dr. G., Internist, vom 28.02.2000 über eine Untersuchung am 25.02.2000 verwies, wonach ein Zustand nach fulminanter Lungenembolie mit Schockzustand sowie notfallmäßiger Embolektomie (1996), Cava-Schirm mit Dauer-Antikoagulatien-Therapie diagnostiziert wurde. Der Kläger sei im Wesentlichen beschwerdefrei bei Therapie mit Marcumar. Es liege kein Nachweis einer Rechtsherzbelastung oder einer sonstigen organischen Herzerkrankung vor. Es habe sich ein normaler kardialer Befund mit einer guten kardialen Leistungsbreite mit Belastbarkeit bis zur 200-Watt-Stufe gezeigt. In der daraufhin veranlassten sozialmedizinischen Versorgungsbegutachtung wurde von Dr. V. ausgeführt, die akute Erkrankung (massive Lungenembolie beidseits mit Schock am 27.12.1996), eine wehrdienstunabhängige Gesundheitsstörung, sei truppenärztlich behandelt worden, wodurch der Kläger habe überleben können. Nachteilige gesundheitliche Folgen der truppenärztlicher Behandlung könnten nicht bezeichnet werden.
Darauf gestützt lehnte die WBV mit Bescheid vom 06.09.2000 die Anerkennung einer Wehrdienstbeschädigung (WDB) und die Gewährung eines Ausgleichs ab. Hiergegen legte der Kläger am 05.10.2000 Widerspruch ein, den er damit begründete, er führe die Lungenembolie auf fehlerhafte truppenärztliche Behandlung zurück. Die unzureichende truppenärztliche Behandlung im Vorfeld der fulminanten Lungenembolie wirke sich in irreversiblen Folgen einschneidend auf seine Lebensqualität aus (Cava-Schirm/Marcumar).
Dr. C. führte in ihrer von dem Beklagten eingeholten versorgungsärztlichen Stellungnahme unter Bezugnahme auf das Gutachten von Dr. V. für die WBV aus, ein schädigendes Ereignis im Sinne eines wehrdienstbedingten ursächlichen Vorgangs bzw. eines wehrdiensteigentümlichen Geschehens könne nicht gesichert werden. Die fulminante Lungenembolie und die dadurch bedingte Behandlung und deren Dauerfolgen stellten eine nicht wehrdienstbedingte Gesundheitsstörung dar.
Mit Bescheid vom 05.02.2001 lehnte der Beklagte daraufhin die Gewährung von Beschädigtenversorgung nach dem SVG ab. Hiergegen legte der Kläger am 27.02.2001 unter Vorlage der Begründung des Widerspruchs gegenüber der WBV Widerspruch ein.
Die WBV holte ein weiteres Gutachten nach Aktenlage bei Dr. V. ein, in dem diese ausführte, es bestehe keinerlei kausaler Zusammenhang zwischen der jahrelang beobachteten Bronchitis und der fulminanten Lungenembolie am 25.12.1996. Hierauf gestützt wurde der gegen den Bescheid der WBV vom 06.09.2000 eingelegte Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 20.06.2002 zurückgewiesen.
10 
Hiergegen legte der Kläger am 24.07.2002 Klage beim Sozialgericht Karlsruhe (SG) ein (S 1 VS 2515/02). Mit Urteil vom 21.04.2005 wies das SG die Klage auf Gewährung eines Ausgleichs und Feststellung eines Zustandes nach abgelaufener, durch Embolektomie und Cava-Schirm operativ behandelter fulminanter Lungenembolie, beidseits mit kardialem Schockzustand ohne verbliebene Rechtsherzbelastung oder sonstige Herzerkrankung, mit Dauer-Antikoagulantien-Prophylaxe ab. In Übereinstimmung mit dem Gutachten von Dr. V. könne nicht festgestellt werden, dass die erlittene Lungenembolie zumindest wesentlich auf die wehrdiensteigentümlichen Besonderheiten der truppenärztlichen Versorgung zurückgeführt werden könne.
11 
Dagegen legte der Kläger am 28.06.2005 beim Landessozialgericht Baden-Württemberg Berufung ein (L 6 VS 2615/05). Schon im Dezember 1994 hätte die Diagnose einer Bronchitis in Frage gestellt werden müssen. Auch die später festgestellte Vergrößerung des Herzens deute auf eine längere Entwicklung der Lungenembolie hin. Seitens der WBV wurde ausgeführt, es treffe nicht zu, dass der Kläger die behandelnden Ärzte so über die Vorerkrankung informiert habe, dass eine abweichende Diagnose oder die Einbeziehung eines weiteren Facharztes angezeigt gewesen wäre. Zur weiteren Ermittlung wurde eine Stellungnahme von Dr. B. eingeholt. Dr. V. führte in einer weiteren sozialmedizinischen Stellungnahme aus, es sei auszuschließen, dass irgendwelche truppenärztliche Maßnahmen die fulminante Lungenembolie hätten verhindern können. Diese habe in keinerlei Zusammenhang mit der abgelaufenen, akuten Erkrankung der Bronchien oder der Lungen gestanden. Bei allen eingehenden Untersuchungen des Herzens, die vor Dezember 1996 erfolgt seien, hätten sich pathologische Auffälligkeiten wie z. B. zu Embolien prädestinierende Störungen der Herzschlagfolge (Arrhythmien) nicht ergeben.
12 
Auf Antrag und Kosten des Klägers wurde nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Dr. S., Chefarzt der Pneumologie der S.-Kliniken K., mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt. Er diagnostizierte nach ambulanten Untersuchungen des Klägers am 30.10.2006 und 02.11.2006 einen Zustand nach fulminanter beidseitiger Lungenembolie am 25.12.1996, einen Zustand nach beidseitiger Embolektomie am 25.12.1996, einen Zustand nach Einbau eines Vena-Cava-Schirmes am 25.12.1996, ein Cor pulmonale und eine leichte Gasaustauschstörung nach Lungenembolien. Sollte die Aussage des Klägers, er habe bei seinen truppenärztlichen Untersuchungen über Bluthusten und Atemnot geklagt, zutreffen, hätte die Verdachtsdiagnose einer Lungenembolie gefällt werden müssen und eine entsprechende Diagnostik hätte mit großer Wahrscheinlichkeit die lebensbedrohliche, schwere Lungenembolie vermeiden können. Eine relevante kardiopulmonale Einschränkung bestehe zum aktuellen Zeitpunkt nicht. Ebenfalls bestehe keine schmerzbedingte Einschränkung nach Pulmonal-Arterien-Embolektomie. Der Kläger erreiche das zu erwartende altersentsprechende Leistungsniveau ohne relevante funktionelle Einschränkung.
13 
Eine mündliche Verhandlung am 13.12.2007 wurde zur Durchführung weiterer Ermittlungen vertagt und eine Stellungnahme beim 1996 operierenden Arzt Dr. C. eingeholt. Dr. S. gab in einer ergänzenden gutachterlichen Stellungnahme an, wäre vor der schweren Lungenembolie im Dezember 1996 eine vorangegangene leichte Lungenembolie rechtzeitig diagnostiziert worden, hätte diese durch eine Antikoagulantien-Therapie mit Marcumar mit großer Wahrscheinlichkeit vermieden werden können. Funktionell sei der Kläger normal belastbar, eine messbare und damit quantifizierbare Einschränkung bestehe nicht. Der Kläger legte daraufhin einen Arztbrief des Internisten und Kardiologen Dr. G. vom 14.01.2008 (tachykardiale Rhythmusstörungen, wahrscheinlich mit Vorhofflattern, beginnende Linksinsuffizienz, Infekt der oberen Luftwege mit Bronchitis und Zustand nach Lungenembolie mit Cava-Schirm) und einen Arztbrief von Prof. Dr. G., Kardiologe, vom 06.03.2008 über einen stationären Aufenthalt des Klägers vom 14.01.2008 bis 28.01.2008 in den S.-Kliniken K. (Zustand nach Vorhofflattern mit folgender Ablation, Zustand nach AV-Block III° mit folgender Schrittmacher-Implantation, Zustand nach Lungenembolie und tiefer Beinvenenthrombose, Ausschluss einer signifikanten koronaren Herzkrankheit, gute Lungenvolumen-Funktion) vor.
14 
Dr. V. gab in einer weiteren versorgungsmedizinischen gutachtlichen Stellungnahme an, es sei zu fragen, ob nicht ein seinerzeit aufgetretenes vorübergehendes Vorhofflattern oder Vorhofflimmern zu den Lungenembolien geführt habe. Es sei unbekannt, worauf sich die Einschätzung des GdB im Rahmen des Schwerbehindertenrechts seitens der Versorgungsverwaltung gründe. Es werde allerdings darauf hingewiesen, dass die Einschätzung eines GdB im Schwerbehindertenverfahren niemals Grundlage der Einschätzung des GdS sei.
15 
Dr. S. legte in einer weiteren ergänzenden gutachterlichen Stellungnahme dar, bei der Begutachtung habe sich unter einem normalen von Rhythmusstörungen unbeeinträchtigten Sinusrhythmus eine vollkommen normale Leistungsfähigkeit und Belastbarkeit bis 200 Watt gezeigt. Leistungsmindernde Folgen der Lungenembolie ließen sich nicht nachweisen. Insofern sei eine MdE zu verneinen. Frau Dr. V. Aussage über die wehrdienstunabhängigen Rhythmusstörungen des Klägers als Ursache der Lungenembolien sei nicht zu folgen. Hierauf wurde von Dr. V. die Einholung eines kardiologischen Gutachtens angeregt und sodann Prof. Dr. G. mit der Erstellung eines kardiologischen Gutachtens beauftragt. Dieser gab nach ambulanter Untersuchung des Klägers am 08.09.2009 an, gehe man von der Möglichkeit einer stattgehabten Lungenembolie 1994 aus, wäre ein zweites Ereignis durch eine prophylaktisch eingeleitete Antikoagulation mit Marcumar möglicherweise zu verhindern gewesen. Hinweise auf ein intermittierendes Vorhofflattern gebe es im Krankheitsverlauf des Klägers bis 1996 nicht. Auch in den Zeiträumen zwischen 1994 und 1996 und 1996 bis 2008 seien keine Angaben über klinische Hinweise über Palpitation gemacht worden. Erst im Januar 2008 habe sich im EKG eine tachykarde Rhythmusstörung, am ehesten Vorhofflattern mit 2 : 1 -Überleitung mit einer regelmäßigen Kammerfrequenz von 124/Min. gezeigt. Die Ursache des erneut aufgetretenen Vorhofflatterns sei unklar. Möglicherweise handle es sich um eine strukturelle Veränderung der Vorhöfe infolge des chronischen Cor pulmonale. Eine durch die Lungenembolie mit nachfolgender Embolektomie verursachte Herzrhythmusstörung (Vorhofflattern) sei möglich, jedoch nach zwölfjähriger Latenz aus medizinischer Sicht nicht beweisbar, da die Wahrscheinlichkeit des Auftretens dieser Rhythmusstörungen auch mit zunehmendem Alter der Menschen zunehme. Nach Anamnese und Untersuchung sowie echokardiographischer Beurteilung der linksventrikulären Funktion sei der Kläger in seinem Alltag in Ruhe aktuell normal belastbar, habe jedoch bei mittelschwerer bis schwerer Belastung bzw. mittelschwerer körperlicher Arbeit eine Dyspnoe und müsse die Arbeit unterbrechen. Eine Echokardiographie zeige eine leicht reduzierte linksventrikuläre Funktion. Gehe man davon aus, dass die 2008 aufgetretene hämodynamisch-relevanten Rhythmusstörungen (Vorhofflattern) Folge der 1996 stattgehabten Lungenembolie seien, werde unter Berücksichtigung der Schrittmacher-Abhängigkeit und der dauerhaft notwendigen Antikoagulation mit Marcumar von einem Gesamt-GdS von 30 ausgegangen. In seiner ergänzenden Stellungnahme vom 04.03.2010 gab er noch an, eine akute Lungenembolie könne häufig Arrhythmien auslösen. Im vorliegenden Fall handle es sich jedoch um ein Vorhofflattern, das erst nach mehreren Jahren nach einer Lungenembolie aufgetreten sei und in den Zwischenjahren seien keine Rhythmusstörungen beschrieben worden. Auch mehrere echokardiographische Kontrollen hätten keine chronischen Rechtsherzbelastungszeichen mit einer Dilatation der Vorhöfe gezeigt, die eine atriale Rhythmusstörung begünstigten. Von einer Prädisposition des Klägers zum Vorhofflattern müsse ausgegangen werden. Daher spreche mehr dagegen als dafür, dass die 1999 stattgehabte Lungenembolie Ursache für das Vorhofflattern und die leichte Herzinsuffizienz sei.
16 
Mit Urteil vom 11.03.2010 änderte das Landessozialgericht das Urteil des SG vom 21.04.2005 und den Bescheid der WBV vom 06.09.2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.06.2002 ab und stellte als Wehrdienstbeschädigungsfolge einen Zustand nach abgelaufener, durch beidseitige Embolektomie und Einbau eines Vena-Cava-Schirms operativ behandelter, fulminanter Lungenembolie mit dauerhafter Marcumar-Antikoagulations-Prophylaxe fest. Im Übrigen wurde die Berufung zurückgewiesen. Es stehe mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit fest, dass im Rahmen der truppenärztlichen Behandlungen am 09.09.1996 und 10.09.1996 genügend für eine beim Kläger bereits nach 1994 abgelaufene erste Lungenembolie sprechende Verdachtsmomente vorgelegen hätten. Wenn im September 1996 truppenärztlich die Verdachtsdiagnose einer Lungenembolie gestellt worden wäre, wäre durch eine entsprechende Diagnostik mit hinreichender Wahrscheinlichkeit die vom Kläger am 25.12.1996 erlittene fulminante Lungenembolie und damit auch die durch eine beidseitige Embolektomie mit Einbau eines Vena-Cava-Schirms und dauerhafter Marcumar-Antikoagulations-Prophylaxe bedingte dauerhafte Gesundheitsstörung vermieden worden. Nicht als Wehrdienstbeschädigungsfolge festzustellen seien die Herzrhythmusstörungen und die hiermit verbundene Notwendigkeit eines Herzschrittmachers. Gegen einen ursächlichen Zusammenhang spreche insbesondere die fast zwölfjährige Latenz zwischen der im Jahr 1996 aufgetretenen Lungenembolie und der im Jahr 2008 aufgetretenen Herzproblematik und die mit zunehmendem Alter der Menschen sich erhöhende Wahrscheinlichkeit des Auftretens von Rhythmusstörungen. Dies gelte umso mehr, als sich beim Kläger bei mehreren echokardiographischen Kontrollen keine eine arterielle Rhythmusstörung begünstigenden chronischen Rechtsherzbelastungszeichen mit einer Dilatation der Vorhöfe gezeigt hätten. Der Kläger habe keinen Anspruch auf die Gewährung eines Ausgleichs. Die Folgen der am 25.12.1996 erlittenen fulminanten Lungenembolie bedingten keinen GdS von mindestens 25. Es lägen keine schädigungsbedingten Funktionsstörungen, sondern lediglich eine leichte Gasaustauschstörung und ansonsten kein GdS-relevanter Befund vor. Allein die dauerhafte Antikoagulantien-Therapie mit Marcumar sei nicht GdS-relevant.
17 
Mit Ausführungsbescheid der WBV vom 14.04.2010 wurden ein Zustand nach abgelaufener, durch beidseitige Embolektomie und Einbau eine Vena-Cava-Schirms operativ behandelter fulminanter Lungenembolie mit dauerhafter Marcumar-Antikoagulations-Prophylaxe als Folge einer WDB anerkannt. Ein Anspruch auf Ausgleich bestehe nicht. Bezüglich der übrigen Gesundheitsstörungen verbleibe es bei dem Bescheid vom 06.09.2000 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.06.2002. Der hiergegen zunächst eingelegte Widerspruch wurde zurückgenommen.
18 
Auf den Änderungsantrag des Klägers nach dem SGB IX beim Versorgungsamt wurde nach Vorlage des Arztbriefes von Prof. Dr. G. vom 06.03.2008 nach der versorgungsärztlichen Stellungnahme von Dr. B., dass ein Teil-GdB von 20 wegen Herzschrittmacher zu berücksichtigen sei, mit Bescheid vom 23.06.2010 ein GdB von 40 seit 10.02.2010 festgestellt.
19 
Mit Teil-Abhilfebescheid des Beklagten vom 20.10.2010 wurde dem Widerspruch gegen den Bescheid vom 05.02.2001 insofern abgeholfen, als ein Zustand nach abgelaufener, durch beidseitige Embolektomie und Einbau eines Vena-Cava-Schirms operativ behandelter fulminanter Lungenembolie mit dauerhafter Marcumar-Antikoagulations-Prophylaxe als Wehrdienstbeschädigungsfolge anerkannt wurde. Ein GdS von wenigstens 25 werde nicht erreicht, eine Rente stehe daher nicht zu. Die Feststellungen seien in Anlehnung an das Urteil des Landessozialgerichts- vom 11.03.2010 zu treffen. Für die Wehrdienstbeschädigungsfolgen habe er Anspruch auf Heilbehandlung nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG).
20 
Hiergegen legte der Kläger am 24.11.2010 Widerspruch ein und führte aus, das Versorgungsamt habe aufgrund der versorgungsärztlichen Stellungnahme der Internistin Dr. C. mit Bescheid vom 30.06.1999 den GdB mit 30 ab 21.09.1998 festgestellt. GdS und GdB würden nach den gleichen Grundsätzen bemessen. Durch das Urteil des Landessozialgerichts sei rechtskräftig festgestellt worden, dass der Zustand, der zu einem GdB seit 1998 von 30 führe, eine Wehrdienstbeschädigungsfolge sei. Daraus folge, dass ein GdS von 30 erreicht werde. Zwar habe das Landessozialgericht die falsche Auffassung vertreten, die Folgen der am 25.12.1996 erlittenen fulminanten Lungenembolie bedingten keinen GdS von wenigstens 25. Diese Auffassung betreffe jedoch ausschließlich den dort streitigen Anspruch auf Gewährung eines Ausgleichs.
21 
Mit Widerspruchsbescheid vom 14.09.2011 wurde der Widerspruch zurückgewiesen. Nach dem Urteil des Landessozialgerichts vom 11.03.2010 habe sich aus dem Gutachten von Dr. S. kein GdS-relevanter Befund ergeben. Soweit nach dem SGB IX ein Teil-GdB von 30 für die Lungen festgestellt worden sei, bestehe die Möglichkeit einer Überprüfung und Korrektur.
22 
Hiergegen hat der Kläger am 14.10.2011 wiederum beim SG Klage eingelegt. Es habe keine Überprüfung der Feststellung des GdB mit 30 gegeben. Es seien keine Argumente ersichtlich, die die damalige Bewertung in Frage stellen könnten. Insbesondere sei auch keine gesundheitliche Besserung eingetreten. Vielmehr seien im Januar 2008 Herzrhythmusstörungen diagnostiziert worden, die zur Implantierung eines Herzschrittmachers geführt hätten. Auch dies sei eine Folge der WDB. Allerdings habe Prof. Dr. G. in seinem Gutachten vom 27.10.2009 „vorsichtig“ formuliert, dass ein eindeutiger Zusammenhang zwischen der Lungenembolie im Jahr 1996 und dem aufgetretenen Vorhofflattern im Jahr 2008 nicht hergestellt werden könne. Allerdings habe Prof. Dr. G. anlässlich der Untersuchung des Klägers diesen Zusammenhang sehr wohl festgestellt und sich im Gespräch mit dem Kläger auch entsprechend geäußert.
23 
Der Beklagte hat ausgeführt, im Rahmen des Verfahrens L 6 VS 2615/05 habe sich herausgestellt, dass die Bewertung mit einem GdB von 30 nach dem SGB IX in Anbetracht der verbliebenen guten Belastbarkeit seitens der Lunge überhöht sei. Dies könne jedoch im Umkehrschluss nicht dazu führen, dass die überhöhte GdB-Bewertung nun auf den GdS übertragen werde.
24 
Das SG hat mit Gerichtsbescheid vom 19.12.2012 die Klage abgewiesen. Der als WDB anerkannte Gesundheitszustand bedinge keinen GdS von mindestens 25. Das Gericht schließe sich insofern den Ausführungen des Landessozialgerichts im Urteil vom 11.03.2010 (L 6 VS 2615/05) voll umfänglich an. Der unzutreffend festgesetzte Teil-GdB könne keine Bindungswirkung für das vorliegende Verfahren erzeugen. Ein Teil-GdB erwachse nicht in Bestandskraft.
25 
Hiergegen hat der Kläger am 28.01.2013 erneut Berufung beim Landessozialgericht eingelegt. Da der GdB und der GdS nach gleichen Grundsätzen zu bewerten seien, hier aber unterschiedliche Ergebnisse vorlägen, ergebe sich zwingend, dass entweder die eine oder die andere Einschätzung falsch sei. Bei richtiger Bewertung ergebe sich ein GdS von 30. Seit den Feststellungen im Jahre 1998 habe sich an den Schädigungsfolgen nichts zum Positiven verändert. Rechtsherzerweiterung und Herzrhythmusstörungen seien von Dr. C. schon beschrieben worden. Darüber hinaus sei die Abhängigkeit von Gerinnungshemmern bekannt. Dr. S. habe die Herzhöhlen allseits dilatiert und hypertrophiert beschrieben, Zeichen eines chronischen Cor pulmonale mit Dilation. Die Herzrechtserweiterung sei erst im Zuge der Embolie entstanden. In der Nachbetrachtung müsse auch festgestellt werden, dass er bei sportlichen Aktivitäten wie Tennis, Jogging, Radfahren nicht gerade selten auftretende Schwächeperioden in den Jahren, bevor die Gutachten zur Verfügung gestanden hätten, aus Unkenntnis nicht mit Herzrhythmusstörungen in Verbindung gebracht habe.
26 
Der Kläger beantragt,
27 
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 19. Dezember 2012 aufzuheben und den Bescheid vom 5. Februar 2001 in der Fassung des Bescheides vom 20. Oktober 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. September 2011 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, ihm aufgrund der festgestellten Wehrdienstbeschädigung eine Beschädigtenversorgung nach dem Soldatenversorgungsgesetz in gesetzlicher Höhe zu bewilligen,
28 
hilfsweise Prof. Dr. G. in der mündlichen Verhandlung zu der Zusammenhangsfrage der Rhythmusstörungen und der Lungenembolie zu hören.
29 
Der Beklagte beantragt,
30 
die Berufung zurückzuweisen.
31 
Der Beklagte hat zur Begründung angegeben, ein nach dem SGB IX unzutreffend festgesetzter Teil-GdB-Wert könne keine Bindungswirkung in anderen Rechtsgebieten entfalten.
32 
Die Berichterstatterin hat am 20.05.2014 den Sachverhalt nichtöffentlich erörtert.
33 
Mit Beschluss vom 04.07.2014 hat der Senat die Bundesrepublik Deutschland zum Verfahren beigeladen.
34 
Die Beigeladene beantragt,
35 
die Berufung zurückzuweisen.
36 
Zur Begründung hat sie auf den Gerichtsbescheid des SG Bezug genommen.
37 
Mit Schreiben vom 07.10.2011 hat das Versorgungsamt dem Kläger mitgeteilt, dass die gesundheitlichen Verhältnisse überprüft werden müssen. In einem Telefonat mit dem Kläger am 17.10.2011 hat dieser angegeben, dass er seit 2008 in keiner lungenfachärztlichen Behandlung sei. Auf die Anfrage bei der behandelnden Hausärztin Dr. S. hat diese mit Schreiben vom 14.02.2013 mitgeteilt, dass sich der Kläger seit Januar 2010 nicht mehr in der Sprechstunde vorgestellt habe. Ein Befund eines Lungenfacharztes liege ebenfalls nicht vor. Daher sei eine Aussage über den aktuellen Gesundheitszustand nicht möglich.
38 
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten und der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie die Gerichtsakte des Verfahrens am SG mit dem Az.: S 1 VS 2515/02 und des Verfahrens am Landessozialgericht mit dem Az.: L 6 VS 2615/05, die Verwaltungsakten des Beklagten, der Beigeladenen und die SGB IX-Akte verwiesen.

Entscheidungsgründe

 
39 
Die gemäß §§ 143 und 144 SGG statthafte sowie nach § 151 SGG form- und fristgerecht erhobene und auch im Übrigen zulässige Berufung ist unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten.
40 
Der am 12. Dezember 2014 gestellte Antrag auf erneute Anhörung von Prof. Dr. G. zu der Zusammenhangsfrage der Lungenembolie mit dem Zustand nach Vorhofflattern mit Schrittmacherimplantation war abzulehnen. Der Sachverständige hat sich hierzu bereits in seinem Gutachten vom 27.10.2009 eindeutig und zwar in negativem Sinne für den Kläger geäußert und ist auch bei seiner weiteren schriftlichen Stellungnahme vom 04.03.2010 in Würdigung der klägerischen Vorbehalte bei seiner Einschätzung verblieben. Einen weiteren Aufklärungsbedarf hat der Kläger selbst nicht deutlich gemacht, den Beweisantrag vielmehr allein darauf gestützt, dass Prof. Dr. G. als damals behandelnder Arzt mündlich eine andere Auffassung vertreten haben soll. Das mag durchaus der Fall gewesen sein, das Gutachten hat er dann aber in Kenntnis sämtlicher ärztlichen Befunde erstatten können, die ihm als behandelnder Arzt nicht vorgelegen haben und erst eine saubere Beurteilung des Zusammenhangs ermöglichen, nämlich dass von einer Prädisposition zum Vorhofflattern ausgegangen werden muss, da in den Zwischenjahren nach der Lungenembolie keine Rhythmusstörung beschrieben wurde (dazu unten). Im Übrigen entspricht es dem Beweisrecht, dass das Gericht nicht verpflichtet ist, einem Beweisantrag beliebig oft nachzukommen (BSG, Urteil vom 15.04.1991 - 5 RJ 32/90 - juris; Urteil des Senats vom 27.03.2014 - L 6 U 4001/13 - juris).
41 
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Beschädigtengrundrente nach §§ 80, 81 SVG i.V.m. §§ 30, 31 BVG.
42 
Gemäß § 80 Abs. 1 Satz 1 SVG erhält ein Soldat, der eine WDB erlitten hat, nach Beendigung des Wehrdienstverhältnisses wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der WDB auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG, soweit im SVG nichts Abweichendes bestimmt ist. Nach § 88 Abs. 1 SVG sind hierfür die Versorgungsbehörden zuständig. Nach § 81 Abs. 1 SVG ist WDB eine gesundheitliche Schädigung, die durch eine Wehrdienstverrichtung, durch einen während der Ausübung des Wehrdienstes erlittenen Unfall oder durch die dem Wehrdienst eigentümlichen Verhältnisse herbeigeführt worden ist. Nach § 30 Abs. 1 BVG ist der GdS (bis zum Inkrafttreten des BVGÄndG vom 13.12.2007 [BGBl. I S. 2904] am 21.12.2007 MdE) nach den allgemeinen Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen, die durch die als Schädigungsfolge anerkannten körperlichen, geistigen, seelischen Gesundheitsstörungen bedingt sind, in allen Lebensbereichen zu beurteilen (Satz 1 der Vorschrift). Nachdem für die Beurteilung der MdE und des GdS dieselben Grundsätze gelten, wird im Folgenden allein auf die Beurteilung des GdS Bezug genommen. Der GdS ist nach Zehnergraden von 10 bis 100 zu bemessen; ein bis zu fünf Grad geringerer GdS wird vom höheren Zehnergrad mit umfasst (Satz 2 der Vorschrift). Beschädigte erhalten gemäß § 31 Abs. 1 BVG eine monatliche Grundrente ab einem GdS von 30. Liegt der GdS unter 25 besteht kein Anspruch auf eine Rentenentschädigung.
43 
Der Senat orientiert sich bei der Beurteilung von MdE und GdS für die Zeit bis zum 31.12.2008 an den im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung als antizipierte Sachverständigengutachten angewandten (BSG, Urteil vom 23.06.1993 - 9/9a RVs 1/91 - BSGE 72, 285; BSG, Urteil vom 09.04.1997 - 9 RVs 4/95 - SozR 3-3870 § 4 Nr. 19; BSG, Urteil vom 18.09.2003 - B 9 SB 3/02 R - BSGE 190, 205; BSG, Urteil vom 29.08.1990 - 9a/9 RVs 7/89 - BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 1) „Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2 SGB IX)“ (AHP) in der jeweils geltenden Fassung, die gemäß § 30 Abs. 16 BVG (bis 30.06.2011 § 30 Abs. 17 BVG) für die Zeit ab dem 01.01.2009 durch die in der Anlage zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, des § 30 Abs. 1 und des § 35 Abs. 1 BVG - Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) - vom 10.12.2008 (BGBl. I Seite 2412) festgelegten Versorgungsmedizinischen Grundsätze (VG) abgelöst worden sind. Hinsichtlich der vorliegend einschlägigen Funktionsbeeinträchtigungen enthalten die VG gegenüber den AHP keine inhaltlichen Änderungen, sodass im Folgenden lediglich die Ziffern der VG angegeben werden.
44 
Wie in allen Zweigen des sozialen Entschädigungsrechts müssen auch im Recht der Soldatenversorgung die anspruchsbegründenden Tatsachen nachgewiesen, d. h. ohne vernünftige Zweifel oder mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bewiesen sein (st. Rspr. BSG, so zum Opferentschädigungsgesetz - OEG -: BSG SozR 1500 § 128 Nr. 34 m. w. N.; SozR 1500 § 128 Nr. 35; zur Kriegsopferversorgung BSG SozR 3-3100 § 1 Nr. 18; zum SVG: BSG SozR 3-3200 § 81 Nr. 16; SozR 3-3200 § 81 Nr. 6; zum Impfschadensrecht: BSG SozR 3850 § 51 Nr. 9 und § 52 Nr. 1), soweit nichts anderes bestimmt ist. Für Ansprüche nach §§ 80, 81 SVG bedeutet dies, dass sich - mit dem jeweils maßgeblichen Beweisgrad - zumindest drei Tatsachenkomplexe oder Glieder der Kausal-(Ursachen)kette sowie zwei dazwischenliegende Kausalzusammenhänge feststellen lassen müssen (vgl. Wilke/Fehl, Soziales Entschädigungsrecht, 7. Aufl 1992, § 1 BVG Rdnrn. 56 und 61; Rohr/Strässer, Bundesversorgungsrecht mit Verfahrensrecht, Stand: Februar 2013, § 1 BVG Anm 8 ff, § 1 -52 ff). Der erste Komplex ist die geschützte Tätigkeit, hier also die Wehrdienstverrichtung oder die Ausübung einer gleichgestellten Tätigkeit. Infolge dieser Verrichtung muss ein schädigendes Ereignis eine gesundheitliche Schädigung hervorgerufen haben. Aufgrund dieser Schädigung muss es dann zu der in MdE/GdS-Graden zu bewertenden Schädigungsfolge gekommen sein. Das "schädigende Ereignis" wird üblicherweise als weiteres selbständiges Glied der Kausalkette zwischen geschützter Tätigkeit und Primärschaden angesehen (BSG SozR 3-3200 § 81 Nr. 16 m. w. N.). Auch dieses bedarf grundsätzlich des Vollbeweises. Dagegen genügt für die Feststellung des Ursachenzusammenhangs, jedenfalls desjenigen zwischen Schädigung und Schädigungsfolge (sog "haftungsausfüllende Kausalität") der Beweisgrad der Wahrscheinlichkeit (§ 81 Abs. 6 Satz 1 SVG).
45 
Bei dem einem Soldaten während des Dienstverhältnisses zustehenden Anspruch auf Ausgleich gegenüber der WBV nach § 85 SVG und dem Versorgungsanspruch für die Zeit nach seinem Ausscheiden aus dem Dienstverhältnis gegenüber dem Beklagten nach § 80 SVG handelt es sich grundsätzlich um zwei zeitlich getrennte und konstruktiv selbständig nebeneinander stehende Ansprüche. In § 88 Abs. 3 Satz 1 SVG ist allerdings angeordnet, dass eine bekannt gegebene Entscheidung einer Behörde der Bundeswehrverwaltung sowie die rechtskräftige Entscheidung eines Gerichts der Sozialgerichtsbarkeit in Ausgleichsverfahren über eine WDB und den ursächlichen Zusammenhang einer Gesundheitsstörung unter anderem mit einem Tatbestand des § 81 SVG für die Behörde der jeweils anderen Verwaltung verbindlich sind. Diese Verbindlichkeit erstreckt sich auch auf den einer Ausgleichsleistung zugrunde liegenden GdS. Führt eine durch rechtskräftiges Urteil verurteilte Verwaltungsbehörde das Urteil durch einen Bescheid entsprechend dem Urteilstenor unter selbständiger Festsetzung des GdS und der daraus folgenden Leistung aus, besteht die Bindungswirkung durch den Ausführungsbescheid (BSG, Urteil vom 02.07.1997 - 9 RV 21/95 - juris). Für die Bindungswirkung der Entscheidungen der WBV ist es gleichgültig, ob die Erstentscheidung noch während der Dienstzeit des Soldaten oder erst danach getroffen wird. Aus dem Wortlaut des § 88 Abs. 2 SVG folgt, dass die WBV derartige Entscheidungen auch noch nach dem Ausscheiden des Soldaten aus dem Wehrdienst treffen kann (BSG, Urteil vom 28.06.2000 - B 9 VS 1/99 R - juris).
46 
Der Gesetzgeber wollte mit der Bindungswirkung im Sinne von § 88 Abs. 3 SVG den Verwaltungsaufwand im Übergang von einer Leistung auf die andere (vom Ausgleich zur Versorgung) und von einem Leistungsträger auf den anderen (Bundeswehrverwaltung und Versorgungsverwaltung) beschränken. Bei diesen Ansprüchen, die einerseits zwar zeitlich voneinander getrennt und konstruktiv selbständig nebeneinander stehen, die andererseits jedoch beide auf ein und derselben gesundheitlichen Schädigung durch einen Unfall während der Ausübung des Wehrdienstes oder die dem Wehrdienst eigentümlichen Verhältnisse im Sinne von § 81 Abs. 1 SVG gründen, sollten doppelte Prüfungen vermieden werden (vgl. auch BT-Drs. 8/3750 S. 23 und 8/4030 S. 25). Ziel ist es, der Gefahr von in wesentlichen Punkten voneinander abweichenden Entscheidungen entgegenzuwirken und vor allem eine Schlechterstellung von Soldaten nach dem Ausscheiden aus dem Dienst der Bundeswehr gegenüber Kriegsbeschädigten und sonstigen Versorgungsberechtigten zu verhindern, deren Anspruch sich nur gegen einen Leistungsträger richtet. Zweck der Regelung ist es mithin, in der Übergangssituation zwischen Ausgleich und Versorgung durch Bindung - in erster Linie der Versorgungsverwaltung - die weitere Versorgung des aus dem Dienst der Bundeswehr ausgeschiedenen Soldaten sicherzustellen (BSG, Urteil vom 25.03.2004 - B 9 VS 2/01 R -, juris).
47 
Allerdings besteht die Bindung der Versorgungsverwaltung an die Entscheidung der Wehrverwaltung nicht unbeschränkt. Nach § 88 Abs. 3 Sätze 2 und 3 SVG steht die Bindungswirkung einer anderweitigen Entscheidung der Versorgungsämter nicht entgegen, wenn sich die Feststellung von Anfang an als fehlerhaft erweist oder eine wesentliche Änderung der maßgeblichen Verhältnisse eintritt. Bei anfänglicher Unrichtigkeit kann die Versorgungsverwaltung die Entscheidung über §§ 44 bzw. 45 SGB X korrigieren, bei einer Besserung oder Verschlechterung der anerkannten WDB kann die Entscheidung der Wehrverwaltung mit Wirkung für die Zukunft nach § 48 SGB X aufgehoben bzw. abgeändert werden.
48 
Mit Urteil des Landessozialgerichts (L 6 VS 2615/05) vom 11.03.2011 ist rechtskräftig als weitere Wehrdienstbeschädigungsfolge ein Zustand nach abgelaufener, durch beidseitige Embolektomie und Einbau eines Vena-Cava-Schirms operativ behandelter fulminanter Lungenembolie mit dauerhafter Marcumar-Antikoagulations-Prophylaxe festgestellt und der Bescheid des Beigeladenen vom 06.09.2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.06.2002 insoweit abgeändert worden. Im Übrigen, soweit die Feststellung von Herzrhythmusstörungen und Notwendigkeit eines Herzschrittmachers begehrt wurde und die Gewährung eines Ausgleiches, ist die Berufung jedoch zurückgewiesen worden. Mit Ausführungsbescheid der WBV vom 14.04.2010 ist diese Wehrdienstbeschädigungsfolge anerkannt worden. Darüber hinaus ist dargelegt worden, dass ein Anspruch auf Ausgleich nach § 85 SVG jedoch weiterhin nicht besteht und es bezüglich der übrigen Gesundheitsstörungen bei dem Bescheid vom 06.09.2000 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.06.2002 verbleibt. Nach der Rechtsprechung des Senats (zuletzt Urteil vom 29.04.2014 - L 6 VK 934/12 - juris) hat ein Ausführungsbescheid insoweit einen eigenständigen Regelungscharakter, als er vorliegend das ergangene Urteil richtig umsetzen muss.
49 
Damit ist für die Versorgungsverwaltung bindend festgestellt worden, dass nur die im Verfügungssatz des Urteils des Landessozialgerichts anerkannte WDB vorliegt und keine weitere. Dies steht der Anerkennung der Herzrhythmusstörungen und der Notwendigkeit eines Herzschrittmachers als WDB durch die Beklagte entgegen.
50 
Maßgeblich ist daher, nachdem der anwaltlich vertretene Kläger selbst keine Verschlechterung des Gesundheitszustandes i. S. d. § 48 SGB X geltend macht allein, ob diese Feststellung rechtmäßig ist. Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind, der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Ist ein Verwaltungsakt rechtswidrig, hat der betroffene Bürger im Interesse der materiellen Gerechtigkeit einen einklagbaren Anspruch auf Rücknahme des Verwaltungsaktes unabhängig davon, ob der Verwaltungsakt durch ein rechtskräftiges Urteil bestätigt wurde (BSGE 51, 139, 141; BSG SozR 2200 § 1268 Nr. 29). Dabei muss die Verwaltung entsprechend dem Umfang des Vorbringens des Versicherten in eine erneute Prüfung eintreten und den Antragsteller auf der Grundlage der wirklichen Sach- und Rechtslage bescheiden (BSG, SozR 3-2600 § 243 Nr. 8; BSG SozR 2200 § 1268 Nr. 29). Ob bei Erlass des Bescheides von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen worden ist, beurteilt sich im Vergleich der Sachlage, wie sie dem zu überprüfenden Verwaltungsakt zu Grunde gelegt worden ist und wie sie sich bei Erlass des Verwaltungsaktes bei nachträglicher Betrachtung im Zeitpunkt der Überprüfung rückschauend tatsächlich darstellt. Mithin kommt es nicht auf den Erkenntnisstand bei Erlass, sondern bei Überprüfung an, die Rechtswidrigkeit beurteilt sich also nach der damaligen Sach- und Rechtslage aus heutiger Sicht (BSGE 57, 209; 90, 136). Dies gilt auch dann, wenn z. B. die richtige medizinische Beurteilung erst später möglich geworden ist. Nach Unanfechtbarkeit des zu überprüfenden Verwaltungsaktes liegt allerdings die objektive Beweislast für Tatsachen, aus denen sich eine Unrichtigkeit des Verwaltungsaktes wegen fehlerhafter Sachverhaltsannahme ergeben kann, bei dem Adressaten des Verwaltungsaktes (st. Rspr. BSG SozR 5870 § 2 Nr. 44). Hinsichtlich des Beweismaßstabs gelten die Kriterien, die auch zum Zeitpunkt der zu überprüfenden Entscheidung maßgeblich waren (BSG SozR 3-1300 § 48 Nr. 67). Genügte dort, dass eine Tatsache lediglich wahrscheinlich war, ein Vollbeweis aber nicht gefordert wurde, besteht auch im Rahmen der Überprüfung bei Wahrscheinlichkeit des maßgeblichen Sachverhalts ein Anspruch auf den Zugunstenbescheid (BSG, SGb 1998, 582).
51 
Danach liegen die Voraussetzungen für eine Rücknahme der Entscheidung nicht vor. Der Kläger hat nichts vorgetragen, was Anlass geben könnte, an eine abweichende Entscheidung zu denken. Insbesondere hat der Kläger keinerlei neue Angaben gemacht bzw. Unterlagen vorgelegt, die nunmehr ausreichend Anhaltspunkte dafür liefern, dass doch die Herzrhythmusstörungen wahrscheinlich Folge der Lungenembolie sind. Vielmehr hat er nur auf bereits im Verfahren L 6 VS 2615/05 Gewürdigtes hingewiesen. Daher wird weiterhin der Sachverhalt vom Senat als ausreichend aufgeklärt erachtet und weitere Ermittlungen nicht als erforderlich angesehen. Im Urteil des Landessozialgerichts vom 11.03.2010 ist die Entscheidung, dass nicht auch die im Januar 2008 diagnostizierten Herzrhythmusstörungen und die hiermit verbundene Notwendigkeit eines Herzschrittmachers eine WDB ist, auf die Ausführungen in dem Gutachten und der ergänzenden Stellungnahme von Prof. Dr. G. gestützt worden, die vom Senat weiterhin als schlüssig und überzeugend bewertet werden. Diesen Ausführungen hat der Kläger auch in vorliegendem Verfahren keine stichhaltigen, sie widerlegenden Argumente, gegenübergestellt. Auch wenn im Recht der Soldatenversorgung die Rechtslage auf der Grundlage von Wahrscheinlichkeitsbeurteilungen durch einen Verwaltungsakt geregelt wird, kann er nur zurück genommen werden, wenn er nach allgemeinen Beweisregeln rechtswidrig ist. Eine Aufhebung scheidet daher aus, solange und soweit die Möglichkeit der Rechtmäßigkeit besteht (vgl. Lilienfeld in Knickrehm, Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, § 88 SVG Rn. 15). Eine Rücknahme nach § 44 SGB X setzt somit die nachgewiesene Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes voraus. Dies ist vorliegend nicht gegeben.
52 
Bei dem Kläger ist erstmals bei der akuten beidseitigen Lungenembolie am 25.12.1996 im Rahmen der durchgeführten Embolektomie ein Vorhofflattern aufgetreten, wobei es sich um eine Kammertachykardie handelte, die er bei erneuter Verschlechterung des Allgemeinbefindens bemerkte. Prof. Dr. G. hat hierzu dargelegt, dass eine akute Lungenembolie zwar häufig Arrhythmien auslösen kann. Auch spielen Erkrankungen, die zu einer Rechtsherzbelastung führen, wie rezidivierende Lungenembolien, nach seinen Ausführungen eine besonders wichtige Rolle bei der Entstehung von Vorhofflattern, weshalb eine Herzrhythmusstörung, insbesondere das Vorhofflattern, eher Folge einer Lungenembolie ist, als Ursache einer Embolie. In den Zeiträumen zwischen 1994 und 1996 und insbesondere 1996 und 2008 liegen jedoch bei dem Kläger keinerlei Hinweise auf Rhythmusstörungen vor. Weder hat der Kläger Angaben über klinische Hinweise gemacht, obwohl er sowohl 1996, wie auch 2008 im Rahmen des Vorhofflatterns symptomatisch gewesen ist, weshalb nicht von einem asymptomatischen und damit nicht erkannten Vorhofflattern ausgegangen werden kann. Noch ergeben sich Hinweise aus den in dieser Zeit durchgeführten Untersuchungen auf Herzrhythmusstörungen. Insbesondere haben mehrere echokardiographische Kontrollen keine chronischen Rechtsherzbelastungszeichen mit einer Dilatation der Vorhöfe gezeigt, die eine atriale Rhythmusstörung begünstigen. Hieraus folgt, dass ein eindeutiger Zusammenhang zwischen der Lungenembolie 1996 und dem Auftreten des Vorhofflatterns 2008 nicht belegt werden kann. Die Ursache des erneut aufgetretenen Vorhofflatterns ist vielmehr unklar. Nachdem die Häufigkeit der Herzrhythmusstörungen wie Vorhofflimmern und Vorhofflattern insgesamt mit dem Lebensalter zunimmt, ist die Schlussfolgerung von Prof. Dr. G., dass eine durch die Lungenembolie mit nachfolgender Embolektomie verursachte Herzrhythmusstörung zwar möglich, jedoch nach 12-jähriger Latenz nicht wahrscheinlich ist, sondern mehr dagegen als dafür spricht, überzeugend. Es spricht vielmehr, wie Prof. Dr. G. angibt, mehr für eine Prädisposition des Klägers zum Vorhofflattern.
53 
Wie im Urteil des Landessozialgerichts vom 11.03.2010 überzeugend ausgeführt worden ist, rechtfertigt die anerkannte WDB keinen GdS von mindestens 25. Der Kläger hat auch nunmehr keinerlei Befunde mitgeteilt, die einen GdS von 30 rechtfertigen. Daher liegen auch keine Gründe vor, nach denen die Ablehnung der Gewährung eines Ausgleichs nach § 85 SVG rechtswidrig gewesen ist und ein Anspruch auf Gewährung einer Grundrente nach § 80 SVG besteht.
54 
Bei der Begutachtung durch Dr. S. ergab die pulmonale Auskultation einen unauffälligen Befund, ebenfalls lag kardial ein unauffälliger Befund vor. Es zeigte sich nur eine leichte Gasaustauschstörung bei normaler Belastbarkeit. Die Spiroergometrie zeigte eine normale Belastbarkeit bis 200 Watt mit maximaler Sauerstoffaufnahme im Normbereich (97 % des Sollwertes). Daraus folgt, wie von Dr. S. angegeben, dass keine relevanten kardiopulmonalen Einschränkungen bestanden und damit keine Funktionsbeeinträchtigungen, die die Feststellung eines GdS rechtfertigen. Prof. Dr. G. hat in seinem Gutachten ausgeführt, dass der Kläger in seinem Alltag in Ruhe normal belastbar ist und nur bei mittelschwerer bis schwerer Belastung bzw. bei mittelschwerer körperlicher Arbeit eine Dyspnoe hat und die Arbeit unterbrechen muss. Der Kläger hatte angegeben, er spiele regelmäßig Tennis, müsse aber regelmäßig Pausen machen. Eine Dyspnoe oder thorakale Schmerzen oder Palpitationen wurden jedoch verneint. Daraus folgt, dass bei dem damals bereits 68-jährigem Kläger keinesfalls einen GdS von 20 rechtfertigende Funktionsbeeinträchtigungen aufgrund der anerkannten WDB vorgelegen haben. Nach den VG, Teil B, Nr. 8.3 bzw. 9.1.1 ist ein GdS von 20 erst gerechtfertigt, wenn eine das gewöhnliche Maß übersteigende Atemnot z.B. bei forschem Gehen [5-6 km/h], mittelschwerer körperlicher Arbeit vorliegt und statische und dynamische Messwerte der Lungenfunktionsprüfung bis zu 1/3 niedriger als die Sollwerte sind und die Blutgaswerte im Normbereich bzw. bei Beschwerden und Auftreten pathologischer Messdaten bei Ergometerbelastung mit 75 Watt (wenigstens 2 Minuten). Der Kläger war jedoch bis 200 Watt belastbar und hat dort nach 2 Minuten wegen muskulärer Erschöpfung aufgehört und hat von regelmäßigem Tennisspielen berichtet.
55 
Wie bereits in dem Urteil des Landessozialgerichts vom 11.03.2010 ausgeführt worden ist, ist zwar nach den VG, Teil B, Nr. 9.1.2 bei Herzklappenprothesen der GdS nicht niedriger als 30 zu bewerten, wobei dieser Wert eine Dauerbehandlung mit Antikoagulantien einschließt. Der eingebrachte Vena-Cava-Schirm ist jedoch keinesfalls mit dem Vorliegen einer Herzklappenprothese vergleichbar und allein eine Dauerbehandlung mit Antikoagulatien rechtfertigt danach nicht die Feststellung eines GdS von 30. Vielmehr ist nach operativen und anderen therapeutischen Eingriffen am Herzen der GdS von der bleibenden Leistungsbeeinträchtigung abhängig, die vorliegend gerade nicht gegeben ist.
56 
Nachdem der Kläger keinerlei Angaben gemacht und Nachweise erbracht hat, dass seine Leistungsfähigkeit entgegen diesen Befunden deutlich reduziert ist, ist das Vorliegen eines GdS von mindestens 25 aufgrund der anerkannten WDB nicht nachgewiesen. Soweit der Kläger auf die Feststellung eines GdB von 30 aufgrund der Gesundheitsbeeinträchtigungen der anerkannten WDB hinweist und daraus einen Anspruch auf Gewährung einer Grundrente nach einem GdS von mindestens 30 herleiten möchte, besteht eine Bindungswirkung infolge der Feststellung des GdB, vergleichbar der Bindungswirkung nach § 88 Abs. 3 SVG, aber gerade nicht.
57 
Vielmehr ist nach § 69 Abs. 2 Satz 1 SGB IX eine Feststellung der Behinderung nach dem SGB IX nicht zu treffen, wenn eine Feststellung über das Vorliegen einer Behinderung und den Grad einer auf ihr beruhenden Erwerbsminderung schon in einem Rentenbescheid, einer entsprechenden Verwaltungs- oder Gerichtsentscheidung oder einer vorläufigen Bescheinigung der für diese Entscheidungen zuständigen Dienststellen getroffen worden ist und der behinderte Mensch kein Interesse an anderweitiger Feststellung nach Absatz 1 glaubhaft macht. Eine entsprechende (umgekehrte) Regelung einer Übernahme der Feststellungen nach dem SGB IX gibt es jedoch nicht. Die Feststellung eines GdB durch die Versorgungsverwaltung hat daher für die Feststellung der Höhe der MdE bzw. des GdS nach dem BVG/SVG oder dem Unfallversicherungsrecht - anders als umgekehrt - keine bindende Wirkung bei der Entscheidung über die Höhe (vgl. BSG, Beschluss vom 11.10.2006 - B 9a SB 1/06 BH). Nachdem im Rahmen der Beschädigtenversorgung bzw. der Unfallversicherung jeweils noch weitere zusätzliche Feststellungen zu treffen sind, da mit der Feststellung nach dem SGB IX nicht geprüft wird, ob Gesundheitsstörungen als Unfall- / Schädigungs-Folge anzuerkennen sind und nur der Gesamt-GdB im Verfügungssatz festgestellt wird, liegt keine § 69 Abs. 2 SGB IX vergleichbare Konstellation vor. Denn auch § 69 Abs. 2 SGB IX lässt nicht einen nur teilweisen (partiellen) Verzicht auf eigenständige Feststellungen der Versorgungsbehörden nach Abs. 1 der Vorschrift zu. Eine anderweitige Feststellung im Sinne von § 69 Abs. 2 SGB IX ist vielmehr nur dann maßgebend, wenn sie eine Feststellung nach Abs. 1 SGB IX gänzlich erübrigt und damit an deren Stelle treten kann (vgl. BSG, Urteil vom 05.07.2007 - B 9/9a SB 12/06 R - SozR 4-3250 § 69 Nr. 4). Die Regelung des § 69 Abs. 2 SGB IX ist daher nicht analogiefähig bzw. umkehrbar (vgl. Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 18.05.2010 - L 15 SB 19/07 - juris).
58 
Ergänzend weist der Senat noch darauf hin, dass der Kläger auch keine Verschlimmerung der anerkannten WDB geltend gemacht hat. Vielmehr hat er nur ausgeführt, dass der Zustand nicht besser geworden ist. Wie sich aus der Stellungnahme von Dr. S. vom 14.02.2013 im Rahmen der Überprüfung des GdB ergibt, war der Kläger seit Januar 2010 nicht mehr in Behandlung und ihr liegt kein Befund eines Lungenfacharztes vor. Damit liegen auch nicht die Voraussetzungen nach § 48 SGB X vor.
59 
Die Berufung war nach alledem zurückzuweisen.
60 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
61 
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.

Gründe

 
39 
Die gemäß §§ 143 und 144 SGG statthafte sowie nach § 151 SGG form- und fristgerecht erhobene und auch im Übrigen zulässige Berufung ist unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten.
40 
Der am 12. Dezember 2014 gestellte Antrag auf erneute Anhörung von Prof. Dr. G. zu der Zusammenhangsfrage der Lungenembolie mit dem Zustand nach Vorhofflattern mit Schrittmacherimplantation war abzulehnen. Der Sachverständige hat sich hierzu bereits in seinem Gutachten vom 27.10.2009 eindeutig und zwar in negativem Sinne für den Kläger geäußert und ist auch bei seiner weiteren schriftlichen Stellungnahme vom 04.03.2010 in Würdigung der klägerischen Vorbehalte bei seiner Einschätzung verblieben. Einen weiteren Aufklärungsbedarf hat der Kläger selbst nicht deutlich gemacht, den Beweisantrag vielmehr allein darauf gestützt, dass Prof. Dr. G. als damals behandelnder Arzt mündlich eine andere Auffassung vertreten haben soll. Das mag durchaus der Fall gewesen sein, das Gutachten hat er dann aber in Kenntnis sämtlicher ärztlichen Befunde erstatten können, die ihm als behandelnder Arzt nicht vorgelegen haben und erst eine saubere Beurteilung des Zusammenhangs ermöglichen, nämlich dass von einer Prädisposition zum Vorhofflattern ausgegangen werden muss, da in den Zwischenjahren nach der Lungenembolie keine Rhythmusstörung beschrieben wurde (dazu unten). Im Übrigen entspricht es dem Beweisrecht, dass das Gericht nicht verpflichtet ist, einem Beweisantrag beliebig oft nachzukommen (BSG, Urteil vom 15.04.1991 - 5 RJ 32/90 - juris; Urteil des Senats vom 27.03.2014 - L 6 U 4001/13 - juris).
41 
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Beschädigtengrundrente nach §§ 80, 81 SVG i.V.m. §§ 30, 31 BVG.
42 
Gemäß § 80 Abs. 1 Satz 1 SVG erhält ein Soldat, der eine WDB erlitten hat, nach Beendigung des Wehrdienstverhältnisses wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der WDB auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG, soweit im SVG nichts Abweichendes bestimmt ist. Nach § 88 Abs. 1 SVG sind hierfür die Versorgungsbehörden zuständig. Nach § 81 Abs. 1 SVG ist WDB eine gesundheitliche Schädigung, die durch eine Wehrdienstverrichtung, durch einen während der Ausübung des Wehrdienstes erlittenen Unfall oder durch die dem Wehrdienst eigentümlichen Verhältnisse herbeigeführt worden ist. Nach § 30 Abs. 1 BVG ist der GdS (bis zum Inkrafttreten des BVGÄndG vom 13.12.2007 [BGBl. I S. 2904] am 21.12.2007 MdE) nach den allgemeinen Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen, die durch die als Schädigungsfolge anerkannten körperlichen, geistigen, seelischen Gesundheitsstörungen bedingt sind, in allen Lebensbereichen zu beurteilen (Satz 1 der Vorschrift). Nachdem für die Beurteilung der MdE und des GdS dieselben Grundsätze gelten, wird im Folgenden allein auf die Beurteilung des GdS Bezug genommen. Der GdS ist nach Zehnergraden von 10 bis 100 zu bemessen; ein bis zu fünf Grad geringerer GdS wird vom höheren Zehnergrad mit umfasst (Satz 2 der Vorschrift). Beschädigte erhalten gemäß § 31 Abs. 1 BVG eine monatliche Grundrente ab einem GdS von 30. Liegt der GdS unter 25 besteht kein Anspruch auf eine Rentenentschädigung.
43 
Der Senat orientiert sich bei der Beurteilung von MdE und GdS für die Zeit bis zum 31.12.2008 an den im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung als antizipierte Sachverständigengutachten angewandten (BSG, Urteil vom 23.06.1993 - 9/9a RVs 1/91 - BSGE 72, 285; BSG, Urteil vom 09.04.1997 - 9 RVs 4/95 - SozR 3-3870 § 4 Nr. 19; BSG, Urteil vom 18.09.2003 - B 9 SB 3/02 R - BSGE 190, 205; BSG, Urteil vom 29.08.1990 - 9a/9 RVs 7/89 - BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 1) „Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2 SGB IX)“ (AHP) in der jeweils geltenden Fassung, die gemäß § 30 Abs. 16 BVG (bis 30.06.2011 § 30 Abs. 17 BVG) für die Zeit ab dem 01.01.2009 durch die in der Anlage zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, des § 30 Abs. 1 und des § 35 Abs. 1 BVG - Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) - vom 10.12.2008 (BGBl. I Seite 2412) festgelegten Versorgungsmedizinischen Grundsätze (VG) abgelöst worden sind. Hinsichtlich der vorliegend einschlägigen Funktionsbeeinträchtigungen enthalten die VG gegenüber den AHP keine inhaltlichen Änderungen, sodass im Folgenden lediglich die Ziffern der VG angegeben werden.
44 
Wie in allen Zweigen des sozialen Entschädigungsrechts müssen auch im Recht der Soldatenversorgung die anspruchsbegründenden Tatsachen nachgewiesen, d. h. ohne vernünftige Zweifel oder mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bewiesen sein (st. Rspr. BSG, so zum Opferentschädigungsgesetz - OEG -: BSG SozR 1500 § 128 Nr. 34 m. w. N.; SozR 1500 § 128 Nr. 35; zur Kriegsopferversorgung BSG SozR 3-3100 § 1 Nr. 18; zum SVG: BSG SozR 3-3200 § 81 Nr. 16; SozR 3-3200 § 81 Nr. 6; zum Impfschadensrecht: BSG SozR 3850 § 51 Nr. 9 und § 52 Nr. 1), soweit nichts anderes bestimmt ist. Für Ansprüche nach §§ 80, 81 SVG bedeutet dies, dass sich - mit dem jeweils maßgeblichen Beweisgrad - zumindest drei Tatsachenkomplexe oder Glieder der Kausal-(Ursachen)kette sowie zwei dazwischenliegende Kausalzusammenhänge feststellen lassen müssen (vgl. Wilke/Fehl, Soziales Entschädigungsrecht, 7. Aufl 1992, § 1 BVG Rdnrn. 56 und 61; Rohr/Strässer, Bundesversorgungsrecht mit Verfahrensrecht, Stand: Februar 2013, § 1 BVG Anm 8 ff, § 1 -52 ff). Der erste Komplex ist die geschützte Tätigkeit, hier also die Wehrdienstverrichtung oder die Ausübung einer gleichgestellten Tätigkeit. Infolge dieser Verrichtung muss ein schädigendes Ereignis eine gesundheitliche Schädigung hervorgerufen haben. Aufgrund dieser Schädigung muss es dann zu der in MdE/GdS-Graden zu bewertenden Schädigungsfolge gekommen sein. Das "schädigende Ereignis" wird üblicherweise als weiteres selbständiges Glied der Kausalkette zwischen geschützter Tätigkeit und Primärschaden angesehen (BSG SozR 3-3200 § 81 Nr. 16 m. w. N.). Auch dieses bedarf grundsätzlich des Vollbeweises. Dagegen genügt für die Feststellung des Ursachenzusammenhangs, jedenfalls desjenigen zwischen Schädigung und Schädigungsfolge (sog "haftungsausfüllende Kausalität") der Beweisgrad der Wahrscheinlichkeit (§ 81 Abs. 6 Satz 1 SVG).
45 
Bei dem einem Soldaten während des Dienstverhältnisses zustehenden Anspruch auf Ausgleich gegenüber der WBV nach § 85 SVG und dem Versorgungsanspruch für die Zeit nach seinem Ausscheiden aus dem Dienstverhältnis gegenüber dem Beklagten nach § 80 SVG handelt es sich grundsätzlich um zwei zeitlich getrennte und konstruktiv selbständig nebeneinander stehende Ansprüche. In § 88 Abs. 3 Satz 1 SVG ist allerdings angeordnet, dass eine bekannt gegebene Entscheidung einer Behörde der Bundeswehrverwaltung sowie die rechtskräftige Entscheidung eines Gerichts der Sozialgerichtsbarkeit in Ausgleichsverfahren über eine WDB und den ursächlichen Zusammenhang einer Gesundheitsstörung unter anderem mit einem Tatbestand des § 81 SVG für die Behörde der jeweils anderen Verwaltung verbindlich sind. Diese Verbindlichkeit erstreckt sich auch auf den einer Ausgleichsleistung zugrunde liegenden GdS. Führt eine durch rechtskräftiges Urteil verurteilte Verwaltungsbehörde das Urteil durch einen Bescheid entsprechend dem Urteilstenor unter selbständiger Festsetzung des GdS und der daraus folgenden Leistung aus, besteht die Bindungswirkung durch den Ausführungsbescheid (BSG, Urteil vom 02.07.1997 - 9 RV 21/95 - juris). Für die Bindungswirkung der Entscheidungen der WBV ist es gleichgültig, ob die Erstentscheidung noch während der Dienstzeit des Soldaten oder erst danach getroffen wird. Aus dem Wortlaut des § 88 Abs. 2 SVG folgt, dass die WBV derartige Entscheidungen auch noch nach dem Ausscheiden des Soldaten aus dem Wehrdienst treffen kann (BSG, Urteil vom 28.06.2000 - B 9 VS 1/99 R - juris).
46 
Der Gesetzgeber wollte mit der Bindungswirkung im Sinne von § 88 Abs. 3 SVG den Verwaltungsaufwand im Übergang von einer Leistung auf die andere (vom Ausgleich zur Versorgung) und von einem Leistungsträger auf den anderen (Bundeswehrverwaltung und Versorgungsverwaltung) beschränken. Bei diesen Ansprüchen, die einerseits zwar zeitlich voneinander getrennt und konstruktiv selbständig nebeneinander stehen, die andererseits jedoch beide auf ein und derselben gesundheitlichen Schädigung durch einen Unfall während der Ausübung des Wehrdienstes oder die dem Wehrdienst eigentümlichen Verhältnisse im Sinne von § 81 Abs. 1 SVG gründen, sollten doppelte Prüfungen vermieden werden (vgl. auch BT-Drs. 8/3750 S. 23 und 8/4030 S. 25). Ziel ist es, der Gefahr von in wesentlichen Punkten voneinander abweichenden Entscheidungen entgegenzuwirken und vor allem eine Schlechterstellung von Soldaten nach dem Ausscheiden aus dem Dienst der Bundeswehr gegenüber Kriegsbeschädigten und sonstigen Versorgungsberechtigten zu verhindern, deren Anspruch sich nur gegen einen Leistungsträger richtet. Zweck der Regelung ist es mithin, in der Übergangssituation zwischen Ausgleich und Versorgung durch Bindung - in erster Linie der Versorgungsverwaltung - die weitere Versorgung des aus dem Dienst der Bundeswehr ausgeschiedenen Soldaten sicherzustellen (BSG, Urteil vom 25.03.2004 - B 9 VS 2/01 R -, juris).
47 
Allerdings besteht die Bindung der Versorgungsverwaltung an die Entscheidung der Wehrverwaltung nicht unbeschränkt. Nach § 88 Abs. 3 Sätze 2 und 3 SVG steht die Bindungswirkung einer anderweitigen Entscheidung der Versorgungsämter nicht entgegen, wenn sich die Feststellung von Anfang an als fehlerhaft erweist oder eine wesentliche Änderung der maßgeblichen Verhältnisse eintritt. Bei anfänglicher Unrichtigkeit kann die Versorgungsverwaltung die Entscheidung über §§ 44 bzw. 45 SGB X korrigieren, bei einer Besserung oder Verschlechterung der anerkannten WDB kann die Entscheidung der Wehrverwaltung mit Wirkung für die Zukunft nach § 48 SGB X aufgehoben bzw. abgeändert werden.
48 
Mit Urteil des Landessozialgerichts (L 6 VS 2615/05) vom 11.03.2011 ist rechtskräftig als weitere Wehrdienstbeschädigungsfolge ein Zustand nach abgelaufener, durch beidseitige Embolektomie und Einbau eines Vena-Cava-Schirms operativ behandelter fulminanter Lungenembolie mit dauerhafter Marcumar-Antikoagulations-Prophylaxe festgestellt und der Bescheid des Beigeladenen vom 06.09.2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.06.2002 insoweit abgeändert worden. Im Übrigen, soweit die Feststellung von Herzrhythmusstörungen und Notwendigkeit eines Herzschrittmachers begehrt wurde und die Gewährung eines Ausgleiches, ist die Berufung jedoch zurückgewiesen worden. Mit Ausführungsbescheid der WBV vom 14.04.2010 ist diese Wehrdienstbeschädigungsfolge anerkannt worden. Darüber hinaus ist dargelegt worden, dass ein Anspruch auf Ausgleich nach § 85 SVG jedoch weiterhin nicht besteht und es bezüglich der übrigen Gesundheitsstörungen bei dem Bescheid vom 06.09.2000 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.06.2002 verbleibt. Nach der Rechtsprechung des Senats (zuletzt Urteil vom 29.04.2014 - L 6 VK 934/12 - juris) hat ein Ausführungsbescheid insoweit einen eigenständigen Regelungscharakter, als er vorliegend das ergangene Urteil richtig umsetzen muss.
49 
Damit ist für die Versorgungsverwaltung bindend festgestellt worden, dass nur die im Verfügungssatz des Urteils des Landessozialgerichts anerkannte WDB vorliegt und keine weitere. Dies steht der Anerkennung der Herzrhythmusstörungen und der Notwendigkeit eines Herzschrittmachers als WDB durch die Beklagte entgegen.
50 
Maßgeblich ist daher, nachdem der anwaltlich vertretene Kläger selbst keine Verschlechterung des Gesundheitszustandes i. S. d. § 48 SGB X geltend macht allein, ob diese Feststellung rechtmäßig ist. Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind, der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Ist ein Verwaltungsakt rechtswidrig, hat der betroffene Bürger im Interesse der materiellen Gerechtigkeit einen einklagbaren Anspruch auf Rücknahme des Verwaltungsaktes unabhängig davon, ob der Verwaltungsakt durch ein rechtskräftiges Urteil bestätigt wurde (BSGE 51, 139, 141; BSG SozR 2200 § 1268 Nr. 29). Dabei muss die Verwaltung entsprechend dem Umfang des Vorbringens des Versicherten in eine erneute Prüfung eintreten und den Antragsteller auf der Grundlage der wirklichen Sach- und Rechtslage bescheiden (BSG, SozR 3-2600 § 243 Nr. 8; BSG SozR 2200 § 1268 Nr. 29). Ob bei Erlass des Bescheides von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen worden ist, beurteilt sich im Vergleich der Sachlage, wie sie dem zu überprüfenden Verwaltungsakt zu Grunde gelegt worden ist und wie sie sich bei Erlass des Verwaltungsaktes bei nachträglicher Betrachtung im Zeitpunkt der Überprüfung rückschauend tatsächlich darstellt. Mithin kommt es nicht auf den Erkenntnisstand bei Erlass, sondern bei Überprüfung an, die Rechtswidrigkeit beurteilt sich also nach der damaligen Sach- und Rechtslage aus heutiger Sicht (BSGE 57, 209; 90, 136). Dies gilt auch dann, wenn z. B. die richtige medizinische Beurteilung erst später möglich geworden ist. Nach Unanfechtbarkeit des zu überprüfenden Verwaltungsaktes liegt allerdings die objektive Beweislast für Tatsachen, aus denen sich eine Unrichtigkeit des Verwaltungsaktes wegen fehlerhafter Sachverhaltsannahme ergeben kann, bei dem Adressaten des Verwaltungsaktes (st. Rspr. BSG SozR 5870 § 2 Nr. 44). Hinsichtlich des Beweismaßstabs gelten die Kriterien, die auch zum Zeitpunkt der zu überprüfenden Entscheidung maßgeblich waren (BSG SozR 3-1300 § 48 Nr. 67). Genügte dort, dass eine Tatsache lediglich wahrscheinlich war, ein Vollbeweis aber nicht gefordert wurde, besteht auch im Rahmen der Überprüfung bei Wahrscheinlichkeit des maßgeblichen Sachverhalts ein Anspruch auf den Zugunstenbescheid (BSG, SGb 1998, 582).
51 
Danach liegen die Voraussetzungen für eine Rücknahme der Entscheidung nicht vor. Der Kläger hat nichts vorgetragen, was Anlass geben könnte, an eine abweichende Entscheidung zu denken. Insbesondere hat der Kläger keinerlei neue Angaben gemacht bzw. Unterlagen vorgelegt, die nunmehr ausreichend Anhaltspunkte dafür liefern, dass doch die Herzrhythmusstörungen wahrscheinlich Folge der Lungenembolie sind. Vielmehr hat er nur auf bereits im Verfahren L 6 VS 2615/05 Gewürdigtes hingewiesen. Daher wird weiterhin der Sachverhalt vom Senat als ausreichend aufgeklärt erachtet und weitere Ermittlungen nicht als erforderlich angesehen. Im Urteil des Landessozialgerichts vom 11.03.2010 ist die Entscheidung, dass nicht auch die im Januar 2008 diagnostizierten Herzrhythmusstörungen und die hiermit verbundene Notwendigkeit eines Herzschrittmachers eine WDB ist, auf die Ausführungen in dem Gutachten und der ergänzenden Stellungnahme von Prof. Dr. G. gestützt worden, die vom Senat weiterhin als schlüssig und überzeugend bewertet werden. Diesen Ausführungen hat der Kläger auch in vorliegendem Verfahren keine stichhaltigen, sie widerlegenden Argumente, gegenübergestellt. Auch wenn im Recht der Soldatenversorgung die Rechtslage auf der Grundlage von Wahrscheinlichkeitsbeurteilungen durch einen Verwaltungsakt geregelt wird, kann er nur zurück genommen werden, wenn er nach allgemeinen Beweisregeln rechtswidrig ist. Eine Aufhebung scheidet daher aus, solange und soweit die Möglichkeit der Rechtmäßigkeit besteht (vgl. Lilienfeld in Knickrehm, Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, § 88 SVG Rn. 15). Eine Rücknahme nach § 44 SGB X setzt somit die nachgewiesene Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes voraus. Dies ist vorliegend nicht gegeben.
52 
Bei dem Kläger ist erstmals bei der akuten beidseitigen Lungenembolie am 25.12.1996 im Rahmen der durchgeführten Embolektomie ein Vorhofflattern aufgetreten, wobei es sich um eine Kammertachykardie handelte, die er bei erneuter Verschlechterung des Allgemeinbefindens bemerkte. Prof. Dr. G. hat hierzu dargelegt, dass eine akute Lungenembolie zwar häufig Arrhythmien auslösen kann. Auch spielen Erkrankungen, die zu einer Rechtsherzbelastung führen, wie rezidivierende Lungenembolien, nach seinen Ausführungen eine besonders wichtige Rolle bei der Entstehung von Vorhofflattern, weshalb eine Herzrhythmusstörung, insbesondere das Vorhofflattern, eher Folge einer Lungenembolie ist, als Ursache einer Embolie. In den Zeiträumen zwischen 1994 und 1996 und insbesondere 1996 und 2008 liegen jedoch bei dem Kläger keinerlei Hinweise auf Rhythmusstörungen vor. Weder hat der Kläger Angaben über klinische Hinweise gemacht, obwohl er sowohl 1996, wie auch 2008 im Rahmen des Vorhofflatterns symptomatisch gewesen ist, weshalb nicht von einem asymptomatischen und damit nicht erkannten Vorhofflattern ausgegangen werden kann. Noch ergeben sich Hinweise aus den in dieser Zeit durchgeführten Untersuchungen auf Herzrhythmusstörungen. Insbesondere haben mehrere echokardiographische Kontrollen keine chronischen Rechtsherzbelastungszeichen mit einer Dilatation der Vorhöfe gezeigt, die eine atriale Rhythmusstörung begünstigen. Hieraus folgt, dass ein eindeutiger Zusammenhang zwischen der Lungenembolie 1996 und dem Auftreten des Vorhofflatterns 2008 nicht belegt werden kann. Die Ursache des erneut aufgetretenen Vorhofflatterns ist vielmehr unklar. Nachdem die Häufigkeit der Herzrhythmusstörungen wie Vorhofflimmern und Vorhofflattern insgesamt mit dem Lebensalter zunimmt, ist die Schlussfolgerung von Prof. Dr. G., dass eine durch die Lungenembolie mit nachfolgender Embolektomie verursachte Herzrhythmusstörung zwar möglich, jedoch nach 12-jähriger Latenz nicht wahrscheinlich ist, sondern mehr dagegen als dafür spricht, überzeugend. Es spricht vielmehr, wie Prof. Dr. G. angibt, mehr für eine Prädisposition des Klägers zum Vorhofflattern.
53 
Wie im Urteil des Landessozialgerichts vom 11.03.2010 überzeugend ausgeführt worden ist, rechtfertigt die anerkannte WDB keinen GdS von mindestens 25. Der Kläger hat auch nunmehr keinerlei Befunde mitgeteilt, die einen GdS von 30 rechtfertigen. Daher liegen auch keine Gründe vor, nach denen die Ablehnung der Gewährung eines Ausgleichs nach § 85 SVG rechtswidrig gewesen ist und ein Anspruch auf Gewährung einer Grundrente nach § 80 SVG besteht.
54 
Bei der Begutachtung durch Dr. S. ergab die pulmonale Auskultation einen unauffälligen Befund, ebenfalls lag kardial ein unauffälliger Befund vor. Es zeigte sich nur eine leichte Gasaustauschstörung bei normaler Belastbarkeit. Die Spiroergometrie zeigte eine normale Belastbarkeit bis 200 Watt mit maximaler Sauerstoffaufnahme im Normbereich (97 % des Sollwertes). Daraus folgt, wie von Dr. S. angegeben, dass keine relevanten kardiopulmonalen Einschränkungen bestanden und damit keine Funktionsbeeinträchtigungen, die die Feststellung eines GdS rechtfertigen. Prof. Dr. G. hat in seinem Gutachten ausgeführt, dass der Kläger in seinem Alltag in Ruhe normal belastbar ist und nur bei mittelschwerer bis schwerer Belastung bzw. bei mittelschwerer körperlicher Arbeit eine Dyspnoe hat und die Arbeit unterbrechen muss. Der Kläger hatte angegeben, er spiele regelmäßig Tennis, müsse aber regelmäßig Pausen machen. Eine Dyspnoe oder thorakale Schmerzen oder Palpitationen wurden jedoch verneint. Daraus folgt, dass bei dem damals bereits 68-jährigem Kläger keinesfalls einen GdS von 20 rechtfertigende Funktionsbeeinträchtigungen aufgrund der anerkannten WDB vorgelegen haben. Nach den VG, Teil B, Nr. 8.3 bzw. 9.1.1 ist ein GdS von 20 erst gerechtfertigt, wenn eine das gewöhnliche Maß übersteigende Atemnot z.B. bei forschem Gehen [5-6 km/h], mittelschwerer körperlicher Arbeit vorliegt und statische und dynamische Messwerte der Lungenfunktionsprüfung bis zu 1/3 niedriger als die Sollwerte sind und die Blutgaswerte im Normbereich bzw. bei Beschwerden und Auftreten pathologischer Messdaten bei Ergometerbelastung mit 75 Watt (wenigstens 2 Minuten). Der Kläger war jedoch bis 200 Watt belastbar und hat dort nach 2 Minuten wegen muskulärer Erschöpfung aufgehört und hat von regelmäßigem Tennisspielen berichtet.
55 
Wie bereits in dem Urteil des Landessozialgerichts vom 11.03.2010 ausgeführt worden ist, ist zwar nach den VG, Teil B, Nr. 9.1.2 bei Herzklappenprothesen der GdS nicht niedriger als 30 zu bewerten, wobei dieser Wert eine Dauerbehandlung mit Antikoagulantien einschließt. Der eingebrachte Vena-Cava-Schirm ist jedoch keinesfalls mit dem Vorliegen einer Herzklappenprothese vergleichbar und allein eine Dauerbehandlung mit Antikoagulatien rechtfertigt danach nicht die Feststellung eines GdS von 30. Vielmehr ist nach operativen und anderen therapeutischen Eingriffen am Herzen der GdS von der bleibenden Leistungsbeeinträchtigung abhängig, die vorliegend gerade nicht gegeben ist.
56 
Nachdem der Kläger keinerlei Angaben gemacht und Nachweise erbracht hat, dass seine Leistungsfähigkeit entgegen diesen Befunden deutlich reduziert ist, ist das Vorliegen eines GdS von mindestens 25 aufgrund der anerkannten WDB nicht nachgewiesen. Soweit der Kläger auf die Feststellung eines GdB von 30 aufgrund der Gesundheitsbeeinträchtigungen der anerkannten WDB hinweist und daraus einen Anspruch auf Gewährung einer Grundrente nach einem GdS von mindestens 30 herleiten möchte, besteht eine Bindungswirkung infolge der Feststellung des GdB, vergleichbar der Bindungswirkung nach § 88 Abs. 3 SVG, aber gerade nicht.
57 
Vielmehr ist nach § 69 Abs. 2 Satz 1 SGB IX eine Feststellung der Behinderung nach dem SGB IX nicht zu treffen, wenn eine Feststellung über das Vorliegen einer Behinderung und den Grad einer auf ihr beruhenden Erwerbsminderung schon in einem Rentenbescheid, einer entsprechenden Verwaltungs- oder Gerichtsentscheidung oder einer vorläufigen Bescheinigung der für diese Entscheidungen zuständigen Dienststellen getroffen worden ist und der behinderte Mensch kein Interesse an anderweitiger Feststellung nach Absatz 1 glaubhaft macht. Eine entsprechende (umgekehrte) Regelung einer Übernahme der Feststellungen nach dem SGB IX gibt es jedoch nicht. Die Feststellung eines GdB durch die Versorgungsverwaltung hat daher für die Feststellung der Höhe der MdE bzw. des GdS nach dem BVG/SVG oder dem Unfallversicherungsrecht - anders als umgekehrt - keine bindende Wirkung bei der Entscheidung über die Höhe (vgl. BSG, Beschluss vom 11.10.2006 - B 9a SB 1/06 BH). Nachdem im Rahmen der Beschädigtenversorgung bzw. der Unfallversicherung jeweils noch weitere zusätzliche Feststellungen zu treffen sind, da mit der Feststellung nach dem SGB IX nicht geprüft wird, ob Gesundheitsstörungen als Unfall- / Schädigungs-Folge anzuerkennen sind und nur der Gesamt-GdB im Verfügungssatz festgestellt wird, liegt keine § 69 Abs. 2 SGB IX vergleichbare Konstellation vor. Denn auch § 69 Abs. 2 SGB IX lässt nicht einen nur teilweisen (partiellen) Verzicht auf eigenständige Feststellungen der Versorgungsbehörden nach Abs. 1 der Vorschrift zu. Eine anderweitige Feststellung im Sinne von § 69 Abs. 2 SGB IX ist vielmehr nur dann maßgebend, wenn sie eine Feststellung nach Abs. 1 SGB IX gänzlich erübrigt und damit an deren Stelle treten kann (vgl. BSG, Urteil vom 05.07.2007 - B 9/9a SB 12/06 R - SozR 4-3250 § 69 Nr. 4). Die Regelung des § 69 Abs. 2 SGB IX ist daher nicht analogiefähig bzw. umkehrbar (vgl. Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 18.05.2010 - L 15 SB 19/07 - juris).
58 
Ergänzend weist der Senat noch darauf hin, dass der Kläger auch keine Verschlimmerung der anerkannten WDB geltend gemacht hat. Vielmehr hat er nur ausgeführt, dass der Zustand nicht besser geworden ist. Wie sich aus der Stellungnahme von Dr. S. vom 14.02.2013 im Rahmen der Überprüfung des GdB ergibt, war der Kläger seit Januar 2010 nicht mehr in Behandlung und ihr liegt kein Befund eines Lungenfacharztes vor. Damit liegen auch nicht die Voraussetzungen nach § 48 SGB X vor.
59 
Die Berufung war nach alledem zurückzuweisen.
60 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
61 
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.

(1) Beschädigte erhalten eine monatliche Grundrente bei einem Grad der Schädigungsfolgen

1.
von 30in Höhe von 171 Euro,
2.
von 40in Höhe von 233 Euro,
3.
von 50in Höhe von 311 Euro,
4.
von 60in Höhe von 396 Euro,
5.
von 70in Höhe von 549 Euro,
6.
von 80in Höhe von 663 Euro,
7.
von 90in Höhe von 797 Euro,
8.
von 100in Höhe von 891 Euro.

Die monatliche Grundrente erhöht sich für Schwerbeschädigte, die das 65. Lebensjahr vollendet haben, bei einem Grad der Schädigungsfolgen

von 50 und 60um 35 Euro,
von 70 und 80um 43 Euro,
von mindestens 90um 53 Euro.

(2) Schwerbeschädigung liegt vor, wenn ein Grad der Schädigungsfolgen von mindestens 50 festgestellt ist.

(3) Beschädigte, bei denen Blindheit als Folge einer Schädigung anerkannt ist, erhalten stets die Rente nach einem Grad der Schädigungsfolgen von 100. Beschädigte mit Anspruch auf eine Pflegezulage gelten stets als Schwerbeschädigte. Sie erhalten mindestens eine Versorgung nach einem Grad der Schädigungsfolgen von 50.

(4) Beschädigte mit einem Grad der Schädigungsfolgen von 100, die durch die anerkannten Schädigungsfolgen gesundheitlich außergewöhnlich betroffen sind, erhalten eine monatliche Schwerstbeschädigtenzulage, die in folgenden Stufen gewährt wird:

Stufe I103 Euro,
Stufe II212 Euro,
Stufe III316 Euro,
Stufe IV424 Euro,
Stufe V527 Euro,
Stufe VI636 Euro.


Die Bundesregierung wird ermächtigt, mit Zustimmung des Bundesrates durch Rechtsverordnung den Personenkreis, der durch seine Schädigungsfolgen außergewöhnlich betroffen ist, sowie seine Einordnung in die Stufen I bis VI näher zu bestimmen.

(1) Personen, die in der Zeit vom 23. Mai 1949 bis 15. Mai 1976 geschädigt worden sind, erhalten auf Antrag Versorgung, solange sie

1.
allein infolge dieser Schädigung schwerbeschädigt sind und
2.
bedürftig sind und
3.
im Geltungsbereich dieses Gesetzes ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben.
Versorgung nach Maßgabe des Satzes 1 erhalten auch Personen, die in dem in Artikel 3 des Einigungsvertrages genannten Gebiet ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben oder zum Zeitpunkt der Schädigung hatten, wenn die Schädigung in der Zeit vom 7. Oktober 1949 bis zum 2. Oktober 1990 in dem vorgenannten Gebiet eingetreten ist. § 31 Abs. 4 Satz 2 erster Halbsatz des Bundesversorgungsgesetzes gilt.

(2) Bedürftig ist ein Anspruchsteller, wenn sein Einkommen im Sinne des § 33 des Bundesversorgungsgesetzes den Betrag, von dem an die nach der Anrechnungsverordnung (§ 33 Abs. 6 Bundesversorgungsgesetz) zu berechnenden Leistungen nicht mehr zustehen, zuzüglich des Betrages der jeweiligen Grundrente, der Schwerstbeschädigtenzulage sowie der Pflegezulage nicht übersteigt.

(3) Übersteigt das Einkommen den Betrag, von dem an die vom Einkommen beeinflußten Versorgungsleistungen nicht mehr zustehen, so sind die Versorgungsbezüge in der Reihenfolge Grundrente, Schwerstbeschädigtenzulage und Pflegezulage um den übersteigenden Betrag zu mindern. Bei der Berechnung des übersteigenden Betrages sind die Einkünfte aus gegenwärtiger Erwerbstätigkeit vor den übrigen Einkünften zu berücksichtigen. § 33 Abs. 4, § 33a Abs. 2 und § 33b Abs. 6 des Bundesversorgungsgesetzes gelten nicht.

(4) Die Hinterbliebenen eines Geschädigten erhalten auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der §§ 38 bis 52 des Bundesversorgungsgesetzes, solange sie bedürftig sind und im Geltungsbereich dieses Gesetzes ihren Wohnsitz oder ständigen Aufenthalt haben. Die Absätze 2 und 3 gelten entsprechend. Unabhängig vom Zeitpunkt des Todes des Beschädigten sind für die Witwenbeihilfe die Anspruchsvoraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 1, 5 und 6 des Bundesversorgungsgesetzes in der im Zeitpunkt der Antragstellung geltenden Fassung maßgebend.

(5) Die Versorgung umfaßt alle nach dem Bundesversorgungsgesetz vorgesehenen Leistungen mit Ausnahme von Berufsschadens- und Schadensausgleich.

(1) Beschädigte erhalten eine monatliche Grundrente bei einem Grad der Schädigungsfolgen

1.
von 30in Höhe von 171 Euro,
2.
von 40in Höhe von 233 Euro,
3.
von 50in Höhe von 311 Euro,
4.
von 60in Höhe von 396 Euro,
5.
von 70in Höhe von 549 Euro,
6.
von 80in Höhe von 663 Euro,
7.
von 90in Höhe von 797 Euro,
8.
von 100in Höhe von 891 Euro.

Die monatliche Grundrente erhöht sich für Schwerbeschädigte, die das 65. Lebensjahr vollendet haben, bei einem Grad der Schädigungsfolgen

von 50 und 60um 35 Euro,
von 70 und 80um 43 Euro,
von mindestens 90um 53 Euro.

(2) Schwerbeschädigung liegt vor, wenn ein Grad der Schädigungsfolgen von mindestens 50 festgestellt ist.

(3) Beschädigte, bei denen Blindheit als Folge einer Schädigung anerkannt ist, erhalten stets die Rente nach einem Grad der Schädigungsfolgen von 100. Beschädigte mit Anspruch auf eine Pflegezulage gelten stets als Schwerbeschädigte. Sie erhalten mindestens eine Versorgung nach einem Grad der Schädigungsfolgen von 50.

(4) Beschädigte mit einem Grad der Schädigungsfolgen von 100, die durch die anerkannten Schädigungsfolgen gesundheitlich außergewöhnlich betroffen sind, erhalten eine monatliche Schwerstbeschädigtenzulage, die in folgenden Stufen gewährt wird:

Stufe I103 Euro,
Stufe II212 Euro,
Stufe III316 Euro,
Stufe IV424 Euro,
Stufe V527 Euro,
Stufe VI636 Euro.


Die Bundesregierung wird ermächtigt, mit Zustimmung des Bundesrates durch Rechtsverordnung den Personenkreis, der durch seine Schädigungsfolgen außergewöhnlich betroffen ist, sowie seine Einordnung in die Stufen I bis VI näher zu bestimmen.

(1) Personen, die in der Zeit vom 23. Mai 1949 bis 15. Mai 1976 geschädigt worden sind, erhalten auf Antrag Versorgung, solange sie

1.
allein infolge dieser Schädigung schwerbeschädigt sind und
2.
bedürftig sind und
3.
im Geltungsbereich dieses Gesetzes ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben.
Versorgung nach Maßgabe des Satzes 1 erhalten auch Personen, die in dem in Artikel 3 des Einigungsvertrages genannten Gebiet ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben oder zum Zeitpunkt der Schädigung hatten, wenn die Schädigung in der Zeit vom 7. Oktober 1949 bis zum 2. Oktober 1990 in dem vorgenannten Gebiet eingetreten ist. § 31 Abs. 4 Satz 2 erster Halbsatz des Bundesversorgungsgesetzes gilt.

(2) Bedürftig ist ein Anspruchsteller, wenn sein Einkommen im Sinne des § 33 des Bundesversorgungsgesetzes den Betrag, von dem an die nach der Anrechnungsverordnung (§ 33 Abs. 6 Bundesversorgungsgesetz) zu berechnenden Leistungen nicht mehr zustehen, zuzüglich des Betrages der jeweiligen Grundrente, der Schwerstbeschädigtenzulage sowie der Pflegezulage nicht übersteigt.

(3) Übersteigt das Einkommen den Betrag, von dem an die vom Einkommen beeinflußten Versorgungsleistungen nicht mehr zustehen, so sind die Versorgungsbezüge in der Reihenfolge Grundrente, Schwerstbeschädigtenzulage und Pflegezulage um den übersteigenden Betrag zu mindern. Bei der Berechnung des übersteigenden Betrages sind die Einkünfte aus gegenwärtiger Erwerbstätigkeit vor den übrigen Einkünften zu berücksichtigen. § 33 Abs. 4, § 33a Abs. 2 und § 33b Abs. 6 des Bundesversorgungsgesetzes gelten nicht.

(4) Die Hinterbliebenen eines Geschädigten erhalten auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der §§ 38 bis 52 des Bundesversorgungsgesetzes, solange sie bedürftig sind und im Geltungsbereich dieses Gesetzes ihren Wohnsitz oder ständigen Aufenthalt haben. Die Absätze 2 und 3 gelten entsprechend. Unabhängig vom Zeitpunkt des Todes des Beschädigten sind für die Witwenbeihilfe die Anspruchsvoraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 1, 5 und 6 des Bundesversorgungsgesetzes in der im Zeitpunkt der Antragstellung geltenden Fassung maßgebend.

(5) Die Versorgung umfaßt alle nach dem Bundesversorgungsgesetz vorgesehenen Leistungen mit Ausnahme von Berufsschadens- und Schadensausgleich.

(1) Die Vorschriften dieses Gesetzbuchs gelten für alle Personen, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in seinem Geltungsbereich haben.

(2) Regelungen des über- und zwischenstaatlichen Rechts bleiben unberührt.

(3) Einen Wohnsitz hat jemand dort, wo er eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, daß er die Wohnung beibehalten und benutzen wird. Den gewöhnlichen Aufenthalt hat jemand dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, daß er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt.

(1) Personen, die in der Zeit vom 23. Mai 1949 bis 15. Mai 1976 geschädigt worden sind, erhalten auf Antrag Versorgung, solange sie

1.
allein infolge dieser Schädigung schwerbeschädigt sind und
2.
bedürftig sind und
3.
im Geltungsbereich dieses Gesetzes ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben.
Versorgung nach Maßgabe des Satzes 1 erhalten auch Personen, die in dem in Artikel 3 des Einigungsvertrages genannten Gebiet ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben oder zum Zeitpunkt der Schädigung hatten, wenn die Schädigung in der Zeit vom 7. Oktober 1949 bis zum 2. Oktober 1990 in dem vorgenannten Gebiet eingetreten ist. § 31 Abs. 4 Satz 2 erster Halbsatz des Bundesversorgungsgesetzes gilt.

(2) Bedürftig ist ein Anspruchsteller, wenn sein Einkommen im Sinne des § 33 des Bundesversorgungsgesetzes den Betrag, von dem an die nach der Anrechnungsverordnung (§ 33 Abs. 6 Bundesversorgungsgesetz) zu berechnenden Leistungen nicht mehr zustehen, zuzüglich des Betrages der jeweiligen Grundrente, der Schwerstbeschädigtenzulage sowie der Pflegezulage nicht übersteigt.

(3) Übersteigt das Einkommen den Betrag, von dem an die vom Einkommen beeinflußten Versorgungsleistungen nicht mehr zustehen, so sind die Versorgungsbezüge in der Reihenfolge Grundrente, Schwerstbeschädigtenzulage und Pflegezulage um den übersteigenden Betrag zu mindern. Bei der Berechnung des übersteigenden Betrages sind die Einkünfte aus gegenwärtiger Erwerbstätigkeit vor den übrigen Einkünften zu berücksichtigen. § 33 Abs. 4, § 33a Abs. 2 und § 33b Abs. 6 des Bundesversorgungsgesetzes gelten nicht.

(4) Die Hinterbliebenen eines Geschädigten erhalten auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der §§ 38 bis 52 des Bundesversorgungsgesetzes, solange sie bedürftig sind und im Geltungsbereich dieses Gesetzes ihren Wohnsitz oder ständigen Aufenthalt haben. Die Absätze 2 und 3 gelten entsprechend. Unabhängig vom Zeitpunkt des Todes des Beschädigten sind für die Witwenbeihilfe die Anspruchsvoraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 1, 5 und 6 des Bundesversorgungsgesetzes in der im Zeitpunkt der Antragstellung geltenden Fassung maßgebend.

(5) Die Versorgung umfaßt alle nach dem Bundesversorgungsgesetz vorgesehenen Leistungen mit Ausnahme von Berufsschadens- und Schadensausgleich.

Die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, sind, wenn Unterlagen nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen oder ohne Verschulden des Antragstellers oder seiner Hinterbliebenen verlorengegangen sind, der Entscheidung zugrunde zu legen, soweit sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen. Die Verwaltungsbehörde kann in besonderen Fällen von dem Antragsteller die eidesstattliche Versicherung verlangen, daß er bei seinen Angaben nach bestem Wissen die reine Wahrheit gesagt und nichts verschwiegen habe.

(1) Soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, sind auf die Beweisaufnahme die §§ 358 bis 363, 365 bis 378, 380 bis 386, 387 Abs. 1 und 2, §§ 388 bis 390, 392 bis 406 Absatz 1 bis 4, die §§ 407 bis 444, 478 bis 484 der Zivilprozeßordnung entsprechend anzuwenden. Die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Weigerung nach § 387 der Zivilprozeßordnung ergeht durch Beschluß.

(2) Zeugen und Sachverständige werden nur beeidigt, wenn das Gericht dies im Hinblick auf die Bedeutung des Zeugnisses oder Gutachtens für die Entscheidung des Rechtsstreits für notwendig erachtet.

(3) Der Vorsitzende kann das Auftreten eines Prozeßbevollmächtigten untersagen, solange die Partei trotz Anordnung ihres persönlichen Erscheinens unbegründet ausgeblieben ist und hierdurch der Zweck der Anordnung vereitelt wird.

Die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, sind, wenn Unterlagen nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen oder ohne Verschulden des Antragstellers oder seiner Hinterbliebenen verlorengegangen sind, der Entscheidung zugrunde zu legen, soweit sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen. Die Verwaltungsbehörde kann in besonderen Fällen von dem Antragsteller die eidesstattliche Versicherung verlangen, daß er bei seinen Angaben nach bestem Wissen die reine Wahrheit gesagt und nichts verschwiegen habe.

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 16. Dezember 2011 aufgehoben, soweit es einen Anspruch der Klägerin auf Beschädigtenrente wegen Folgen sexuellen Missbrauchs und körperlicher Misshandlungen im Kindes- und Jugendalter betrifft.

In diesem Umfang wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Im Übrigen wird die Revision der Klägerin zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Beschädigtenrente nach dem Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (OEG) iVm dem Bundesversorgungsgesetz (BVG).

2

Die 1962 geborene Klägerin beantragte am 16.9.1999 beim damals zuständigen Versorgungsamt B. Beschädigtenversorgung nach dem OEG. Sie gab an, ihre Gesundheitsstörungen seien Folge von Gewalttaten und sexuellem Missbrauch im Elternhaus sowie von sexuellem Missbrauch durch einen Fremden. Die Taten hätten sich zwischen ihrem Geburtsjahr 1962 mit abnehmender Tendenz bis 1980 zugetragen.

3

Nachdem das Versorgungsamt die Klägerin angehört, eine Vielzahl von Arztberichten, insbesondere über psychiatrische Behandlungen der Klägerin, sowie eine schriftliche Aussage ihrer Tante eingeholt hatte, stellte die Ärztin für Neurologie und Fachärztin für Psychotherapeutische Medizin Dr. W. mit Gutachten vom 26.9.2001 für das Versorgungsamt zusammenfassend fest, die Untersuchung der Klägerin habe nur in Ansätzen detaillierte Angaben zu den geltend gemachten Misshandlungen und dem sexuellen Missbrauch erbracht. Diagnostisch sei von einer Persönlichkeitsstörung auszugehen. Aufgrund der Symptomatik sei nicht zu entscheiden, ob die psychische Störung der Klägerin ein Milieuschaden im weitesten Sinne sei oder mindestens gleichwertig auf Gewalttaten im Sinne des OEG zurückzuführen sei. Das Versorgungsamt lehnte daraufhin den Antrag der Klägerin auf Beschädigtenversorgung mit der Begründung ab: Die psychische Störung könne nicht als Folge tätlicher Gewalt anerkannt werden. Zwar seien einzelne körperliche Misshandlungen, Schläge und sexueller Missbrauch geschildert worden, insbesondere aber insgesamt zerrüttete Familienverhältnisse. Vor allem diese frühere, allgemeine familiäre Situation sei für die psychischen Probleme verantwortlich (Bescheid vom 15.10.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.5.2002).

4

Das Sozialgericht (SG) Detmold hat die - zunächst gegen das Land Nordrhein-Westfalen (NRW) und ab 1.1.2008 gegen den jetzt beklagten Landschaftsverband gerichtete - Klage nach Anhörung der Klägerin, Vernehmung mehrerer Zeugen und Einholung eines Sachverständigengutachtens der Fachärztin für Neurologie, Psychiatrie, Psychotherapeutische Medizin und Sozialmedizin Dr. S. vom 23.6.2005 sowie eines Zusatzgutachtens der Diplom-Psychologin H. vom 5.4.2005 auf aussagepsychologischem Gebiet durch Urteil vom 29.8.2008 abgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG) NRW hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen (Urteil vom 16.12.2011), nachdem es ua zur Frage der Glaubhaftigkeit der Angaben der Klägerin ein auf Antrag der Klägerin nach § 109 SGG erstattetes Sachverständigengutachten des Facharztes für Psychiatrie, Psychotherapie und Neurologie Sp. vom 25.9.2009 sowie eine ergänzende Stellungnahme der Sachverständigen Dr. S. vom 20.4.2011 beigezogen hatte. Seine Entscheidung hat es im Wesentlichen auf folgende Erwägungen gestützt:

5

Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Gewährung von Versorgung nach § 1 OEG iVm § 31 BVG, weil sich vorsätzliche, rechtswidrige tätliche Angriffe auf die Klägerin, die zur Verursachung der bei ihr bestehenden Gesundheitsschäden geeignet wären, nicht hätten feststellen lassen. Unter Würdigung des Gesamtergebnisses des Verfahrens sei es nicht in einem die volle richterliche Überzeugung begründenden Maß wahrscheinlich, dass die Klägerin in ihrer Kindheit und Jugend Opfer der von ihr behaupteten körperlichen und sexuellen Misshandlungen und damit von Angriffen iS von § 1 Abs 1 S 1 OEG geworden sei. Keiner der durch das SG vernommenen Zeugen habe die von der Klägerin behaupteten anhaltenden und wiederholten Gewalttätigkeiten durch ihren Vater und ihre Mutter und erst recht nicht den von ihrem Vater angeblich verübten sexuellen Missbrauch bestätigt. Das LSG folge der Beweiswürdigung des SG, das keine generellen Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Zeugen dargelegt habe. Es habe daher das ihm eingeräumte Ermessen dahingehend ausgeübt, die Zeugen nicht erneut zu vernehmen. Angesichts des langen Zeitablaufs seit der Zeugenvernehmung durch das SG und mangels neuer Erkenntnisse zu den angeschuldigten Ereignissen, die noch wesentlich länger zurücklägen, gehe das LSG davon aus, dass eine erneute Zeugenvernehmung nicht ergiebig gewesen wäre und lediglich die Aussagen aus der ersten Instanz bestätigt hätte. Zudem hätten die Mutter der Klägerin sowie einer ihrer Brüder gegenüber dem LSG schriftlich angekündigt, im Fall einer Vernehmung erneut das Zeugnis aus persönlichen Gründen zu verweigern. Das LSG habe deswegen auf ihre erneute Ladung zur Vernehmung verzichtet.

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Ebenso wenig habe sich das LSG allein auf der Grundlage der Angaben der Klägerin die volle richterliche Überzeugung vom Vorliegen der Voraussetzungen des § 1 Abs 1 S 1 OEG bilden können, da es ihre Angaben in wesentlichen Teilen nicht als glaubhaft betrachte. Denn sie widersprächen im Kern den Aussagen ihres Vaters und ihres anderen Bruders. Die dadurch begründeten ernstlichen Zweifel am Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen habe die aussagepsychologische Begutachtung der Klägerin durch die vom SG beauftragte Sachverständige H. nicht ausgeräumt, sondern sogar bestärkt. Die vom Sachverständigen Sp. geäußerte Kritik an der aussagepsychologischen Begutachtung überzeuge das LSG nicht. Denn theoretischer Ansatz und methodische Vorgehensweise des vom SG eingeholten aussagepsychologischen Gutachtens entsprächen dem aktuellen Stand der psychologischen Wissenschaft. Das Gutachten stütze sich insoweit zu Recht ausdrücklich auf die in der Leitentscheidung des Bundesgerichtshofes (BGH) in Strafsachen (Urteil vom 30.7.1999 - 1 StR 618/98 - BGHSt 45, 164) dargestellten Grundsätze der aussagepsychologischen Begutachtung für Glaubhaftigkeitsgutachten, wie sie die Strafgerichte seitdem in ständiger Rechtsprechung anwendeten. Diese aussagepsychologischen Grundsätze seien auf den Sozialgerichtsprozess übertragbar. Dabei könne dahinstehen, ob im Strafprozess grundsätzlich andere Beweismaßstäbe gälten als im Sozialgerichtsprozess. Denn die genannten wissenschaftlichen Prinzipien der Glaubhaftigkeitsbegutachtung beanspruchten Allgemeingültigkeit und entsprächen dem aktuellen Stand der psychologischen Wissenschaft. Ihre Anwendung sei der anschließenden Beweiswürdigung, die etwaigen Besonderheiten des jeweiligen Prozessrechts Rechnung tragen könne, vorgelagert und lasse sich davon trennen.

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Die nach diesen aussagepsychologischen Grundsätzen von der Sachverständigen H. gebildete Alternativhypothese, dass es sich bei den Schilderungen der Klägerin um irrtümliche, dh auf Gedächtnisfehlern beruhende Falschangaben handele, lasse sich nach den überzeugenden Ausführungen der Sachverständigen nicht widerlegen, sondern gut mit den vorliegenden Daten vereinbaren. Hierfür sprächen die großen Erinnerungslücken der Klägerin hinsichtlich ihrer frühen Kindheit, wobei in der aussagepsychologischen Forschung ohnehin umstritten sei, ob es überhaupt aktuell nicht abrufbare, aber trotzdem zuverlässig gespeicherte Erinnerungen an lange zurückliegende Ereignisse gebe. Es könne dahingestellt bleiben, ob sich das Gericht bei der Beurteilung "wiedergefundener" Erinnerungen sachverständiger Hilfe nicht nur bedienen könne, sondern sogar bedienen müsse, obwohl die Beurteilung der Glaubwürdigkeit von Zeugen sowie Beteiligten und der Glaubhaftigkeit ihrer Aussagen grundsätzlich richterliche Aufgabe sei. Die Entscheidung des SG für eine aussagepsychologische Begutachtung sei angesichts der Besonderheiten der Aussageentstehung bei der Klägerin jedenfalls ermessensgerecht. Auf der Grundlage des wissenschaftlichen Kenntnisstands habe die Sachverständige H. darauf hingewiesen, dass die ursprüngliche Wahrnehmung durch die jahrelange psychotherapeutisch unterstützte mentale Auseinandersetzung der Klägerin mit den fraglichen Gewalterlebnissen durch nachträgliche Bewertungen überlagert und damit unzugänglich geworden sein könne. Daher hätten die Angaben der Klägerin, um als erlebnisbegründet angesehen zu werden, wegen der Gefahr einer möglichen Verwechslung von Gedächtnisquellen besonders handlungs- und wahrnehmungsnahe, raum-zeitlich vernetzte Situationsschilderungen enthalten müssen, die konsistent in die berichtete Gesamtdynamik eingebettet und konstant wiedergegeben würden. Diese Qualitätsanforderungen erfüllten die Schilderungen der Klägerin nicht, da sie nicht das erforderliche Maß an Detailreichtum, Konkretheit und Konstanz aufwiesen und nicht ausreichend situativ eingebettet seien.

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Das Gutachten des Sachverständigen Sp. habe das Ergebnis der aussagepsychologischen Begutachtung nicht entkräften können. Da er weder eine hypothesengeleitete Analyse der Angaben der Klägerin nach den genannten wissenschaftlichen Grundsätzen vorgenommen noch ein Wortprotokoll seiner Exploration habe zur Verfügung stellen können, sei die objektive Überprüfbarkeit seiner Untersuchungsergebnisse stark eingeschränkt. Er habe eingeräumt, als Psychiater die aussagepsychologische Begutachtung nicht überprüfen und bewerten zu können und seinerseits durch seinen klinisch-psychiatrischen Zugang nicht zur Wahrheitsfindung in der Lage zu sein. Schließlich sei der von ihm vorgenommene Rückschluss von psychiatrischen Krankheitsanzeichen der Klägerin, konkret dem Vorliegen einer von ihm festgestellten posttraumatischen Belastungsstörung, auf konkrete schädigende Ereignisse iS des § 1 OEG in der Kindheit der Klägerin wegen der Vielzahl möglicher Ursachen einer Traumatisierung methodisch nicht haltbar.

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Der abgesenkte Beweismaßstab des § 6 Abs 3 OEG iVm § 15 Gesetz über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOVVfG) komme der Klägerin nicht zugute. Zwar sei diese Regelung analog anzuwenden, wenn andere Beweismittel, wie zB Zeugen, nicht vorhanden seien. Lägen dagegen - wie hier - Beweismittel vor und stützten diese das Begehren des Anspruchstellers nicht, könne die Beweiserleichterung des § 15 KOVVfG nicht angewendet werden, weil diese Norm gerade das Fehlen von Beweismitteln voraussetze. Selbst bei Anwendung des Beweismaßstabs der Glaubhaftigkeit bliebe allerdings die Berufung der Klägerin ohne Erfolg. Denn aufgrund des methodisch einwandfreien und inhaltlich überzeugenden aussagepsychologischen Gutachtens der Sachverständigen H. stehe für das LSG fest, dass die Angaben der Klägerin nicht als ausreichend glaubhaft angesehen werden könnten, weil zu viele Zweifel an der Zuverlässigkeit ihrer Erinnerungen verblieben.

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Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin eine Verletzung des § 15 S 1 KOVVfG, des § 128 Abs 1 S 1 SGG sowie des § 1 Abs 1 OEG. Hierzu führt sie im Wesentlichen aus: Das LSG habe seiner Entscheidung nicht die Regelung des § 15 S 1 KOVVfG zugrunde gelegt und damit den anzulegenden Beweismaßstab verkannt. Richtigerweise hätte es hinsichtlich des von ihr behaupteten sexuellen Missbrauchs der Erbringung des Vollbeweises nicht bedurft; vielmehr wäre insoweit eine Glaubhaftmachung allein aufgrund ihrer Angaben ausreichend gewesen. Denn bezüglich dieses Vorbringens seien - bis auf ihren Vater als möglichen Täter - keine Zeugen vorhanden. Die Möglichkeit, dass sich die von ihr beschriebenen Vorgänge tatsächlich so zugetragen hätten, sei nicht auszuschließen; das Verbleiben gewisser Zweifel schließe die Glaubhaftmachung nicht aus. Dem stehe auch nicht entgegen, dass sie sich erst durch Therapien im Laufe des Verwaltungsverfahrens an die Geschehnisse habe erinnern können.

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Das LSG habe ferner gegen § 128 Abs 1 S 1 SGG verstoßen, da es ein aussagepsychologisches Gutachten berücksichtigt habe. Ein solches Gutachten habe nicht eingeholt und berücksichtigt werden dürfen, da aussagepsychologische Gutachten in sozialgerichtlichen Entschädigungsprozessen keine geeigneten Mittel der Sachverhaltsfeststellung darstellten. Die Arbeitsweise bei aussagepsychologischen Gutachten lasse sich entgegen der Auffassung des LSG nicht ohne Weiteres auf sozialrechtliche Entschädigungsprozesse übertragen, da diese nicht mit Strafverfahren vergleichbar seien. Denn in Strafverfahren sei die richterliche Überzeugung vom Vorliegen bestimmter Tatsachen in der Weise gefordert, dass ein nach der Lebenserfahrung ausreichendes Maß an Sicherheit bestehe, demgegenüber vernünftige Zweifel nicht laut werden dürften. Das OEG hingegen sehe gemäß § 6 Abs 3 OEG iVm § 15 S 1 KOVVfG einen herabgesetzten Beweismaßstab vor. Ein weiterer Grund, weshalb aussagepsychologische Gutachten in sozialgerichtlichen Entschädigungsprozessen nicht eingeholt werden dürften, sei die darin erfolgende Zugrundelegung der sog Nullhypothese. Diese entspreche im Strafverfahren dem Grundsatz "in dubio pro reo", sodass als Arbeitshypothese von der Unschuld des Angeklagten auszugehen sei; mit sozialgerichtlichen Verfahren sei dies jedoch nicht in Einklang zu bringen. Zudem unterscheide sich die Art der Gutachtenerstattung in den beiden Verfahrensordnungen; in sozialgerichtlichen Verfahren erstatte der Sachverständige das Gutachten aufgrund der Aktenlage und einer Untersuchung der Person, wohingegen der Sachverständige im Strafprozess während der gesamten mündlichen Verhandlung anwesend sei und dadurch weitere Eindrücke von dem Angeklagten gewinne. Schließlich könne eine aussagepsychologische Untersuchung der Aussage eines erwachsenen Zeugen zu kindlichen Traumatisierungen auf keinerlei empirisch gesicherte Datenbasis hinsichtlich der Unterscheidung zwischen auto- oder fremdsuggerierten und erlebnisbasierten Erinnerungen zurückgreifen und sei daher wissenschaftlich nicht sinnvoll.

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Ein weiterer Verstoß gegen § 128 Abs 1 S 1 SGG liege in einer widersprüchlichen, mitunter nicht nachvollziehbaren und teilweise einseitigen Beweiswürdigung des LSG begründet, womit es die Grenzen der freien richterlichen Beweiswürdigung überschritten habe. Das LSG habe den Aussagen ihres Bruders sowie ihres Vaters ein höheres Gewicht als ihren eigenen Angaben beigemessen und sich nicht kritisch mit den Zeugenaussagen auseinandergesetzt. Es sei einerseits von einer unberechenbaren Aggressivität des Vaters, einer aggressiven Atmosphäre und emotionalen Vernachlässigung in der Familie sowie einigen nachgewiesenen körperlichen Misshandlungen ausgegangen, halte andererseits jedoch ihre Angaben zu den Misshandlungen nicht für glaubhaft. Kaum berücksichtigt habe es zudem die Aussage ihrer Tante. Das LSG habe ferner ihre teilweise fehlenden, ungenauen oder verspäteten Erinnerungen nur einseitig zu ihrem Nachteil gewürdigt und dabei nicht in Erwägung gezogen, dass diese Erinnerungsfehler Folgen ihres Alters zum Zeitpunkt der Vorfälle, der großen Zeitspanne zwischen den Taten und dem durchgeführten Verfahren sowie ihrer Krankheit sein könnten. Im Rahmen des OEG könnten auch bruchstückhafte, lückenhafte oder voneinander abweichende Erinnerungen als Grundlage für eine Überzeugungsbildung ausreichen. Nicht umfassend gewürdigt habe das LSG schließlich das aussagepsychologische Gutachten, das selbst Anlass zur Kritik biete. Auch dieses habe nicht berücksichtigt, dass die Erinnerungslücken und Abweichungen in den Angaben eine Erscheinungsform ihrer Krankheit sein könnten. Dieses Gutachten entspreche daher nicht den erforderlichen wissenschaftlichen Standards und könne auch aus diesem Grunde nicht berücksichtigt werden. Zudem hätte das Gutachten von einem auf Traumatisierung spezialisierten Psychologen erstattet werden müssen.

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Das LSG habe darüber hinaus verkannt, dass die Voraussetzungen des § 1 Abs 1 OEG bereits durch ihre grobe Vernachlässigung als Schutzbefohlenen erfüllt seien. Das Verhalten ihrer Eltern sei nicht durch ein Züchtigungsrecht gedeckt gewesen. Die familiäre Atmosphäre sei - wie von den Vorinstanzen festgestellt - von elterlicher Aggression, gestörten Beziehungen und emotionaler Vernachlässigung geprägt gewesen. Zudem habe das LSG einige Schläge als erwiesen erachtet. Auch die fachärztlichen Gutachten hätten ergeben, dass ihre psychische Störung jedenfalls durch die aggressive Familienatmosphäre verursacht worden sei.

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Die Klägerin beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 16. Dezember 2011 sowie des Sozialgerichts Detmold vom 29. August 2008 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 15. Oktober 2001 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Mai 2002 zu verurteilen, ihr wegen der Folgen von sexuellem Missbrauch sowie körperlichen und seelischen Misshandlungen im Kindes- und Jugendalter Beschädigtenrente nach dem Opferentschädigungsgesetz in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz zu gewähren.

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Der Beklagte beantragt,
die Revision der Klägerin zurückzuweisen.

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Er hält das angefochtene Urteil im Ergebnis für zutreffend.

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Der Senat hat die Bundesrepublik Deutschland auf deren Antrag hin beigeladen (Beschluss vom 29.1.2013). Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.

Entscheidungsgründe

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Die Revision der Klägerin ist zulässig.

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Sie ist vom LSG zugelassen worden und damit statthaft (§ 160 Abs 1 SGG). Die Klägerin hat bei der Einlegung und Begründung der Revision Formen und Fristen eingehalten (§ 164 Abs 1 und 2 SGG). Die Revisionsbegründung genügt den Voraussetzungen des § 164 Abs 2 S 3 SGG. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Klägerin ihren Entschädigungsanspruch nach dem OEG auf eine Vielzahl von schädigenden Vorgängen stützt. Demnach ist der Streitgegenstand derart teilbar, dass die Zulässigkeit und Begründetheit der Revision für jeden durch einen abgrenzbaren Sachverhalt bestimmten Teil gesondert zu prüfen ist (vgl BSG Urteil vom 18.5.2006 - B 9a V 2/05 R - SozR 4-3100 § 1 Nr 3). Dabei bietet es sich hier an, die verschiedenen Vorgänge in drei Gruppen zusammenzufassen: seelische Misshandlungen (Vernachlässigung, beeinträchtigende Familienatmosphäre), körperliche Misshandlungen und sexueller Missbrauch.

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Soweit die Klägerin Entschädigung wegen der Folgen seelischer Misshandlungen durch ihre Eltern geltend macht, hat sie einen Verstoß gegen materielles Recht hinreichend dargetan. Sie ist der Ansicht, die betreffenden Vorgänge würden von § 1 OEG erfasst. Soweit das LSG umfangreichere körperliche Misshandlungen der Klägerin im Elternhaus sowie sexuellen Missbrauch durch ihren Vater bzw einen Fremden verneint hat, rügt die Klägerin zunächst substantiiert eine Verletzung von § 15 S 1 KOVVfG, also eine unzutreffende Verneinung der Anwendbarkeit einer besonderen Beweiserleichterung(vgl dazu BSG Urteil vom 31.5.1989 - 9 RVg 3/89 - BSGE 65, 123, 124 f = SozR 1500 § 128 Nr 39 S 46). Das LSG sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass insbesondere dafür, ob sie Opfer sexuellen Missbrauchs geworden sei, Beweismittel vorhanden seien. Im Hinblick darauf, dass die Vorinstanz hilfsweise auf § 15 S 1 KOVVfG abgestellt hat, bedarf es auch dazu einer ausreichenden Revisionsbegründung. Diese sieht der Senat vornehmlich in der Rüge der Klägerin, das LSG habe, indem es in diesem Zusammenhang auf das aussagepsychologische Gutachten der Sachverständigen H. vom 5.4.2005 Bezug genommen habe, ein ungeeignetes Beweismittel verwertet (vgl allgemein dazu zB BGH Beschluss vom 24.6.2003 - VI ZR 327/02 - NJW 2003, 2527; BGH Beschluss vom 15.3.2007 - 4 StR 66/07 - NStZ 2007, 476) und damit seiner Entscheidung zugleich einen falschen Beweismaßstab zugrunde gelegt. Dazu trägt die Klägerin ua vor, dass die Sachverständige H. ihr Glaubhaftigkeitsgutachen nach anderen Kriterien erstellt habe, als im Rahmen einer Glaubhaftmachung nach § 15 S 1 KOVVfG maßgebend seien.

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Die Revision ist im Sinne der Aufhebung des Urteils des LSG und der Zurückverweisung der Sache an dieses Gericht begründet (§ 170 Abs 2 S 2 SGG), soweit das Berufungsurteil einen Anspruch der Klägerin auf Beschädigtenrente wegen Folgen sexuellen Missbrauchs und körperlicher Misshandlungen im Kindes- und Jugendalter betrifft. Im Übrigen - also hinsichtlich Folgen seelischer Misshandlungen - ist die Revision unbegründet.

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1. Einer Sachentscheidung entgegenstehende, von Amts wegen zu berücksichtigende Verfahrenshindernisse bestehen nicht.

23

Zutreffend sind die Vorinstanzen davon ausgegangen, dass bereits während des Klageverfahrens ein Beteiligtenwechsel kraft Gesetzes stattgefunden hat und seit dem 1.1.2008 der beklagte Landschaftsverband passiv legitimiert ist (vgl hierzu BSG Urteil vom 29.4.2010 - B 9 VG 1/09 R - BSGE 106, 91 = SozR 4-3800 § 1 Nr 17, RdNr 20 mwN). Denn § 4 Abs 1 Gesetz zur Eingliederung der Versorgungsämter in die allgemeine Verwaltung(= Art 1 Zweites Gesetz zur Straffung der Behördenstruktur in NRW vom 30.10.2007, GVBl NRW 482) hat die den Versorgungsämtern übertragenen Aufgaben des sozialen Entschädigungsrechts einschließlich der Kriegsopferversorgung mit Wirkung zum 1.1.2008 auf die Landschaftsverbände übertragen. Der Senat hat bereits mehrfach entschieden, dass die Verlagerung der Zuständigkeit für die Aufgaben der Kriegsopferversorgung, der Soldatenversorgung sowie der Opferentschädigung auf die kommunalen Landschaftsverbände in NRW nicht gegen höherrangiges Bundesrecht, insbesondere nicht gegen Vorschriften des GG verstößt (vgl hierzu Urteile vom 11.12.2008 - B 9 VS 1/08 R - BSGE 102, 149 = SozR 4-1100 Art 85 Nr 1, RdNr 21, und - B 9 V 3/07 R - Juris RdNr 22; vom 23.4.2009 - B 9 VG 1/08 R - Juris RdNr 24; vom 30.9.2009 - B 9 VG 3/08 R - BSGE 104, 245 = SozR 4-3100 § 60 Nr 6, RdNr 26). Diese Übertragung hat zur Folge, dass allein der im Laufe des Verfahrens zuständig gewordene Rechtsträger die von der Klägerin beanspruchte Leistung gewähren kann, sodass sich die von der Klägerin erhobene kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 S 1 und Abs 4 SGG)ab 1.1.2008 gemäß § 6 Abs 1 OEG gegen den für die Klägerin örtlich zuständigen Landschaftsverband Westfalen-Lippe zu richten hat. Darüber hinaus hat die Klägerin in der mündlichen Revisionsverhandlung klargestellt, dass sie im vorliegenden Verfahren ausschließlich einen Anspruch auf Gewährung von Beschädigtenrente verfolgt (vgl dazu BSG Urteil vom 2.10.2008 - B 9 VG 2/07 R - Juris RdNr 12).

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2. Für einen Anspruch der Klägerin auf eine Beschädigtenrente nach dem OEG iVm dem BVG sind folgende rechtliche Grundsätze maßgebend:

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a) Ein Entschädigungsanspruch nach dem OEG setzt zunächst voraus, dass die allgemeinen Tatbestandsmerkmale des § 1 Abs 1 S 1 OEG gegeben sind(vgl hierzu BSG Urteil vom 23.4.2009 - B 9 VG 1/08 R - Juris RdNr 27 mwN). Danach erhält eine natürliche Person ("wer"), die im Geltungsbereich des OEG durch einen vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriff eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG. Somit besteht der Tatbestand des § 1 Abs 1 S 1 OEG aus drei Gliedern (tätlicher Angriff, Schädigung und Schädigungsfolgen), die durch einen Ursachenzusammenhang miteinander verbunden sind.

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In Altfällen - also bei Schädigungen zwischen dem Inkrafttreten des GG (23.5.1949) und dem Inkrafttreten des OEG (16.5.1976) - müssen daneben noch die besonderen Voraussetzungen gemäß § 10 S 2 OEG iVm § 10a Abs 1 S 1 OEG erfüllt sein. Nach dieser Härteregelung erhalten Personen, die in der Zeit vom 23.5.1949 bis 15.5.1976 geschädigt worden sind, auf Antrag Versorgung, solange sie (1.) allein infolge dieser Schädigung schwerbeschädigt und (2.) bedürftig sind und (3.) im Geltungsbereich des OEG ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben.

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b) Nach der Rechtsprechung des Senats ist bei der Auslegung des Rechtsbegriffs "vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff" iS des § 1 Abs 1 S 1 OEG entscheidend auf die Rechtsfeindlichkeit, vor allem verstanden als Feindlichkeit gegen das Strafgesetz, abzustellen; von subjektiven Merkmalen (wie etwa einer kämpferischen, feindseligen Absicht des Täters) hat sich die Auslegung insoweit weitestgehend gelöst (stRspr seit 1995; vgl hierzu BSG Urteil vom 7.4.2011 - B 9 VG 2/10 R - BSGE 108, 97 = SozR 4-3800 § 1 Nr 18, RdNr 32 mwN). Dabei hat der erkennende Senat je nach Fallkonstellation unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt und verschiedene Gesichtspunkte hervorgehoben. Leitlinie des erkennenden Senats ist insoweit der sich aus dem Sinn und Zweck des OEG ergebende Gedanke des Opferschutzes. Das Vorliegen eines tätlichen Angriffs hat der Senat daher aus der Sicht eines objektiven, vernünftigen Dritten beurteilt und insbesondere sozial angemessenes Verhalten ausgeschieden. Allgemein ist er in seiner bisherigen Rechtsprechung davon ausgegangen, dass als tätlicher Angriff grundsätzlich eine in feindseliger bzw rechtsfeindlicher Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielende gewaltsame Einwirkung anzusehen ist, wobei die Angriffshandlung in aller Regel den Tatbestand einer - jedenfalls versuchten - vorsätzlichen Straftat gegen das Leben oder die körperliche Unversehrtheit erfüllt (stRspr; vgl nur BSG Urteil vom 29.4.2010 - B 9 VG 1/09 R - BSGE 106, 91 = SozR 4-3800 § 1 Nr 17, RdNr 25 mwN). Abweichend von dem im Strafrecht umstrittenen Gewaltbegriff iS des § 240 StGB zeichnet sich der tätliche Angriff iS des § 1 Abs 1 S 1 OEG durch eine körperliche Gewaltanwendung (Tätlichkeit) gegen eine Person aus, wirkt also körperlich (physisch) auf einen anderen ein(vgl BSG Urteil vom 7.4.2011 - B 9 VG 2/10 R - BSGE 108, 97 = SozR 4-3800 § 1 Nr 18, RdNr 36 mwN).

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In Fällen sexuellen Missbrauchs von Kindern iS von § 176 StGB hat der Senat den Begriff des tätlichen Angriffs noch weiter verstanden. Danach kommt es nicht darauf an, welche innere Einstellung der Täter zu dem Opfer hatte und wie das Opfer die Tat empfunden hat. Für den Senat ist allein entscheidend, dass die Begehensweise, also sexuelle Handlungen, eine Straftat war (vgl BSG Urteil vom 29.4.2010 - B 9 VG 1/09 R - BSGE 106, 91 = SozR 4-3800 § 1 Nr 17, RdNr 28 mwN). Auch der "gewaltlose" sexuelle Missbrauch eines Kindes kann demnach ein tätlicher Angriff iS des § 1 Abs 1 S 1 OEG sein(BSG Urteile vom 18.10.1995 - 9 RVg 4/93 - BSGE 77, 7, 8 f = SozR 3-3800 § 1 Nr 6 S 23 f, und - 9 RVg 7/93 - BSGE 77, 11, 13 = SozR 3-3800 § 1 Nr 7 S 28 f). Diese erweiternde Auslegung des Begriffs des tätlichen Angriffs ist speziell in Fällen eines sexuellen Missbrauchs von Kindern aus Gründen des sozialen und psychischen Schutzes der Opfer unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck des OEG geboten. Eine Erstreckung dieses Begriffsverständnisses auf andere Fallgruppen hat das Bundessozialgericht (BSG) bislang abgelehnt (vgl BSG Urteil vom 12.2.2003 - B 9 VG 2/02 R - SozR 4-3800 § 1 Nr 1 RdNr 12).

29

Soweit Kinder Opfer körperlicher Gewalt ihrer Eltern werden, die die Erheblichkeitsschwelle überschreitet, liegt regelmäßig eine Körperverletzung iS des § 223 StGB und damit auch ein tätlicher Angriff nach § 1 Abs 1 S 1 OEG vor. Nach § 1631 Abs 2 BGB haben Kinder ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig. Daraus folgt jedoch nicht, dass jede Vernachlässigung von Kindern und jede missbräuchliche Ausübung der elterlichen Sorge, die das körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes gefährdet, als Gewalttat angesehen werden kann (Rademacker in Knickrehm, Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, 2012, § 1 OEG RdNr 51). Auch insofern ist zu beachten, dass die erweiternde Auslegung des Begriffs des tätlichen Angriffs auf die Fälle sexuellen Missbrauchs von minderjährigen Kindern beschränkt ist. Anders als bei rein seelischen Misshandlungen liegen bei sexuellem Missbrauch Tätlichkeiten vor, die gegen den Körper des Kindes gerichtet sind.

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Zum "Mobbing" als einem sich über längere Zeit hinziehenden Konflikt zwischen dem Opfer und Personen seines gesellschaftlichen Umfeldes hat der erkennende Senat entschieden, dass bei einzelnen "Mobbing"-Aktivitäten die Schwelle zur strafbaren Handlung und somit zum kriminellen Unrecht überschritten sein kann; tätliche Angriffe liegen allerdings nur vor, wenn auf den Körper des Opfers gezielt eingewirkt wird, wie zB durch einen Fußtritt (BSG Urteil vom 14.2.2001 - B 9 VG 4/00 R - BSGE 87, 276, 278 = SozR 3-3800 § 1 Nr 18 S 72).

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Auch in Fällen der Bedrohung oder Drohung mit Gewalt, in denen es unter Umständen an einer besonderen Kraftentfaltung gegen den Körper einer anderen Person bzw an einem beabsichtigten Verletzungserfolg gänzlich fehlt, ist maßgeblich auf das Kriterium der objektiven Gefahr für Leib und Leben des Opfers abzustellen. Die Grenze der Wortlautinterpretation hinsichtlich des Begriffs des tätlichen Angriffs sieht der Senat jedenfalls dann erreicht, wenn sich die auf das Opfer gerichtete Einwirkung - ohne Einsatz körperlicher Mittel - allein als intellektuell oder psychisch vermittelte Beeinträchtigung darstellt und nicht unmittelbar auf die körperliche Integrität abzielt (vgl BSG Urteil vom 7.4.2011 - B 9 VG 2/10 R - BSGE 108, 97 = SozR 4-3800 § 1 Nr 18, RdNr 44 mwN). So ist beim "Stalking" die Grenze zum tätlichen Angriff iS des § 1 Abs 1 S 1 OEG - ungeachtet ggf einschlägiger Straftatbestände nach dem StGB - erst überschritten, wenn die Tat durch Mittel körperlicher Gewalt gegen das Opfer begangen und/oder der rechtswidrig herbeigeführte Zustand mittels Tätlichkeiten aufrechterhalten wird(vgl BSG Urteil vom 7.4.2011 - B 9 VG 2/10 R - BSGE 108, 97 = SozR 4-3800 § 1 Nr 18, RdNr 69 mwN).

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c) Hinsichtlich der entscheidungserheblichen Tatsachen kennt das soziale Entschädigungsrecht, also auch das OEG, drei Beweismaßstäbe. Grundsätzlich bedürfen die drei Glieder der Kausalkette (schädigender Vorgang, Schädigung und Schädigungsfolgen) des Vollbeweises. Für die Kausalität selbst genügt gemäß § 1 Abs 3 BVG die Wahrscheinlichkeit. Nach Maßgabe des § 15 S 1 KOVVfG, der gemäß § 6 Abs 3 OEG anzuwenden ist, sind bei der Entscheidung die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung (also insbesondere auch mit dem tätlichen Angriff) im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, zugrundezulegen, wenn sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen.

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Für den Vollbeweis muss sich das Gericht die volle Überzeugung vom Vorhandensein oder Nichtvorhandensein einer Tatsache verschaffen. Allerdings verlangt auch der Vollbeweis keine absolute Gewissheit, sondern lässt eine an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit ausreichen. Denn ein darüber hinausgehender Grad an Gewissheit ist so gut wie nie zu erlangen (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 128 RdNr 3b mwN). Daraus folgt, dass auch dem Vollbeweis gewisse Zweifel innewohnen können, verbleibende Restzweifel mit anderen Worten bei der Überzeugungsbildung unschädlich sind, solange sie sich nicht zu gewichtigen Zweifeln verdichten (BSG Urteil vom 24.11.2010 - B 11 AL 35/09 R - Juris RdNr 21). Eine Tatsache ist bewiesen, wenn sie in so hohem Grade wahrscheinlich ist, dass alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung zu begründen (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 128 RdNr 3b mwN).

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Der Beweisgrad der Wahrscheinlichkeit im Sinne des § 1 Abs 3 S 1 BVG ist dann gegeben, wenn nach der geltenden wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang spricht(vgl BSG Beschluss vom 8.8.2001 - B 9 V 23/01 B - SozR 3-3900 § 15 Nr 4 S 14 mwN). Diese Definition ist der Fragestellung nach dem wesentlichen ursächlichen Zusammenhang angepasst, die nur entweder mit ja oder mit nein beantwortet werden kann. Es muss sich unter Würdigung des Beweisergebnisses ein solcher Grad von Wahrscheinlichkeit ergeben, dass ernste Zweifel hinsichtlich einer anderen Möglichkeit ausscheiden. Für die Wahrscheinlichkeit ist ein "deutliches" Übergewicht für eine der Möglichkeiten erforderlich. Sie entfällt, wenn eine andere Möglichkeit ebenfalls ernstlich in Betracht kommt.

35

Bei dem "Glaubhafterscheinen" iS des § 15 S 1 KOVVfG handelt es sich um den dritten, mildesten Beweismaßstab des Sozialrechts. Glaubhaftmachung bedeutet das Dartun einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 128 RdNr 3d mwN), dh der guten Möglichkeit, dass sich der Vorgang so zugetragen hat, wobei durchaus gewisse Zweifel bestehen bleiben können (vgl BSG Beschluss vom 8.8.2001 - B 9 V 23/01 B - SozR 3-3900 § 15 Nr 4 S 14 f mwN). Dieser Beweismaßstab ist durch seine Relativität gekennzeichnet. Es muss nicht, wie bei der Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhanges, absolut mehr für als gegen die glaubhaft zu machende Tatsache sprechen. Es reicht die gute Möglichkeit aus, dh es genügt, wenn bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten ist (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 128 RdNr 3d mwN), weil nach Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Möglichkeit spricht. Von mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Sachverhaltsvarianten muss einer den übrigen gegenüber ein gewisses (kein deutliches) Übergewicht zukommen. Wie bei den beiden anderen Beweismaßstäben reicht die bloße Möglichkeit einer Tatsache nicht aus, um die Beweisanforderungen zu erfüllen. Das Gericht ist allerdings im Einzelfall grundsätzlich darin frei, ob es die Beweisanforderungen als erfüllt ansieht (Freiheit der richterlichen Beweiswürdigung, § 128 Abs 1 S 1 SGG; vgl BSG Beschluss vom 8.8.2001 - B 9 V 23/01 B - SozR 3-3900 § 15 Nr 4 S 15).

36

3. Ausgehend von diesen rechtlichen Vorgaben hat die Klägerin keinen Anspruch auf Gewährung von Beschädigtenrente wegen der Folgen seelischer Misshandlungen durch ihre Eltern.

37

Entgegen der Ansicht der Klägerin stellen die von den Vorinstanzen angenommenen allgemeinen Verhältnisse in der Familie der Klägerin keinen tätlichen Angriff iS des § 1 Abs 1 S 1 OEG dar. Das SG hat hierzu festgestellt, die bei der Klägerin bestehenden Gesundheitsstörungen seien mehr auf ein Zusammenwirken atmosphärisch ungünstiger Entwicklungsbedingungen (ablehnende Haltung der Mutter gegenüber der Klägerin, unberechenbare Aggressivität sowie grenzüberschreitende weinerliche Anhänglichkeit des Vaters) zurückzuführen (S 23 des Urteils). Darauf hat das LSG Bezug genommen. Die Verhaltensweise der Eltern hat danach zwar seelische Misshandlungen der Klägerin umfasst, es fehlt insoweit jedoch an dem Merkmal der Gewaltanwendung im Sinne einer gegen den Körper der Klägerin gerichteten Tätlichkeit.

38

4. Soweit die Klägerin Beschädigtenrente nach dem OEG wegen der Folgen körperlicher Misshandlungen und sexuellen Missbrauchs im Kindes- und Jugendalter beansprucht, ist dem Senat eine abschließende Entscheidung unmöglich. Derartige schädigende Vorgänge werden zwar von § 1 Abs 1 S 1 OEG erfasst, soweit sie nicht von dem seinerzeit noch anerkannten elterlichen Züchtigungsrecht(vgl BGH Beschluss vom 25.11.1986 - 4 StR 605/86 - JZ 1988, 617) gedeckt waren. Es fehlen jedoch hinreichende verwertbare Tatsachenfeststellungen.

39

a) Das LSG hat unterstellt, dass als vorsätzliche, rechtswidrige tätliche Angriffe einzelne Schläge durch die Eltern (ein heftiger Schlag durch den Vater sowie zwei "Ohrfeigen" durch die Mutter) nachgewiesen seien. Diese hätten jedoch nicht genügt, um die gravierenden seelischen Erkrankungen der Klägerin zu verursachen. Das LSG verweist hierbei auf das Gutachten der Sachverständigen Dr. S. sowie auf die Ausführungen des SG, wonach diese Taten keine posttraumatische Belastungsstörung hätten auslösen können. Die hierauf gründende tatrichterliche Wertung des LSG ist aus revisionsrechtlicher Sicht nicht zu beanstanden. Weder lässt sich feststellen, dass die Vorinstanz insoweit von unrichtigen Rechtsbegriffen ausgegangen ist, noch hat die Klägerin die betreffenden Tatsachenfeststellungen mit durchgreifenden Verfahrensrügen angegriffen.

40

b) Den überwiegenden Teil der von der Klägerin angegebenen körperlichen Misshandlungen durch deren Eltern sowie den behaupteten sexuellen Missbrauch durch deren Vater und einen Fremden hat das LSG nicht als nachgewiesen erachtet. Diese Beurteilung vermag der Senat nach dem gegenwärtigen Stand des Verfahrens nicht zu bestätigen. Denn sie beruht auf einer Auslegung des § 15 S 1 KOVVfG, die der Senat nicht teilt.

41

Nach § 15 S 1 KOVVfG sind die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, der Entscheidung zugrunde zu legen, wenn Unterlagen nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen oder ohne Verschulden des Antragstellers oder seiner Hinterbliebenen verlorengegangen sind, soweit die Angaben nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen. Die Beweiserleichterung des § 15 S 1 KOVVfG ist auch dann anwendbar, wenn für den schädigenden Vorgang keine Zeugen vorhanden sind(vgl grundlegend BSG Urteil vom 31.5.1989 - 9 RVg 3/89 - BSGE 65, 123, 125 = SozR 1500 § 128 Nr 39 S 46). Nach dem Sinn und Zweck des § 15 S 1 KOVVfG sind damit nur Tatzeugen gemeint, die zu den zu beweisenden Tatsachen aus eigener Wahrnehmung Angaben machen können. Personen, die von ihrem gesetzlichen Zeugnisverweigerungsrecht (vgl §§ 383 ff ZPO) Gebrauch gemacht haben, sind dabei nicht als Zeugen anzusehen. Entsprechendes gilt für eine als Täter in Betracht kommende Person, die eine schädigende Handlung bestreitet. Denn die Beweisnot des Opfers, auf die sich § 15 S 1 KOVVfG bezieht, ist in diesem Fall nicht geringer, als wenn der Täter unerkannt geblieben oder flüchtig ist. Die Beweiserleichterung des § 15 S 1 KOVVfG gelangt damit auch zur Anwendung, wenn sich die Aussagen des Opfers und des vermeintlichen Täters gegenüberstehen und Tatzeugen nicht vorhanden sind(vgl BSG Beschluss vom 28.7.1999 - B 9 VG 6/99 B - Juris RdNr 6).

42

Diesen Kriterien hat das LSG nicht hinreichend Rechnung getragen, indem es eine Anwendbarkeit des § 15 S 1 KOVVfG mit der pauschalen Begründung verneint hat, es lägen Beweismittel vor. Zwar hat sich das LSG hinsichtlich der Verneinung umfangreicher körperlicher Misshandlungen der Klägerin durch ihre Eltern, insbesondere durch den Vater, auch auf die Zeugenaussage des Bruders T. der Klägerin gestützt. Es hätte insoweit jedoch näher prüfen müssen, inwiefern die Klägerin Misshandlungen behauptet hat, die dieser Zeuge (insbesondere wegen Abwesenheit) nicht wahrgenommen haben kann. Soweit es den angegebenen sexuellen Missbrauch betrifft, ist nicht ersichtlich, dass diesen eine als Zeuge in Betracht kommende Person wahrgenommen haben kann.

43

c) Soweit das LSG den § 15 S 1 KOVVfG hilfsweise herangezogen hat, lassen seine Ausführungen nicht hinreichend deutlich erkennen, dass es dabei den von dieser Vorschrift eröffneten Beweismaßstab der Glaubhaftmachung zugrunde gelegt hat. Aus der einschränkungslosen Bezugnahme auf das aussagepsychologische Gutachten der Sachverständigen H. vom 5.4.2005 lässt sich eher der Schluss ziehen, dass das LSG insoweit einen unzutreffenden, nämlich zu strengen Beweismaßstab angewendet hat. Diese Sachlage gibt dem Senat Veranlassung, grundsätzlich auf die Verwendung von sog Glaubhaftigkeitsgutachten in Verfahren betreffend Ansprüche nach dem OEG einzugehen.

44

aa) Die Einholung und Berücksichtigung psychologischer Glaubhaftigkeitsgutachten ist im sozialen Entschädigungsrecht nach Maßgabe der allgemeinen Grundsätze für die Einholung von Sachverständigengutachten zulässig.

45

Grundsätzlich steht das Ausmaß von Ermittlungen im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts. Einen Sachverständigen bestellt das Gericht, wenn es selbst nicht über ausreichende Sachkunde verfügt (vgl dazu Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 118 RdNr 11b). Dies gilt auch für die Einholung eines sogenannten Glaubhaftigkeitsgutachtens. Dabei handelt es sich um eine aussagepsychologische Begutachtung, deren Gegenstand die Beurteilung ist, ob auf ein bestimmtes Geschehen bezogene Angaben zutreffen, dh einem tatsächlichen Erleben der untersuchten Person entsprechen (vgl grundlegend BGH Urteil vom 30.7.1999 - 1 StR 618/98 - BGHSt 45, 164, 167). Da eine solche Beurteilung an sich zu den Aufgaben eines Tatrichters gehört, kommt die Einholung eines Glaubhaftigkeitsgutachtens nur ausnahmsweise in Betracht (vgl BGH aaO, 182; BGH Urteil vom 16.5.2002 - 1 StR 40/02 - Juris RdNr 22). Ob eine derartige Beweiserhebung erforderlich ist, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls. Die Hinzuziehung eines aussagepsychologischen Sachverständigen kann insbesondere dann geboten sein, wenn die betreffenden Angaben das einzige das fragliche Geschehen belegende Beweismittel sind und Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sie durch eine psychische Erkrankung der Auskunftsperson (Zeuge, Beteiligter) und deren Behandlung beeinflusst sein können (vgl dazu BSG Beschluss vom 7.4.2011 - B 9 VG 15/10 B - Juris RdNr 6; Beschluss vom 24.5.2012 - B 9 V 4/12 B - SozR 4-1500 § 103 Nr 9 = Juris RdNr 22). Die Entscheidung, ob eine solche Fallgestaltung vorliegt und ob daher ein Glaubhaftigkeitsgutachten einzuholen ist, beurteilt und trifft das Tatsachengericht im Rahmen der Amtsermittlung nach § 103 SGG. Fußt seine Entscheidung auf einem hinreichenden Grund, so ist deren Überprüfung dem Revisionsgericht entzogen (vgl BSG Beschluss vom 24.5.2012 - B 9 V 4/12 B - SozR 4-1500 § 103 Nr 9 = Juris RdNr 20, 23).

46

Von Seiten des Gerichts muss im Zusammenhang mit der Einholung, vor allem aber mit der anschließenden Würdigung eines Glaubhaftigkeitsgutachtens stets beachtet werden, dass sich die psychologische Begutachtung von Aussagen nicht darauf beziehen kann, Angaben über die Faktizität eines Sachverhalts zu machen. Möglich ist lediglich herauszufinden, ob sich Aussagen auf Erlebtes beziehen, dh einen Erlebnishintergrund haben. Darüber hinaus besteht die Kompetenz und damit auch die Aufgabe des Sachverständigen darin abzuklären, ob sich dieser Erlebnishintergrund in der sog Wachwirklichkeit befindet, anstatt auf Träumen, Halluzinationen oder Vorstellungen zu beruhen. Ausschließlich auf diesen Aspekt des Wirklichkeitsbezuges einer Aussage kann sich die Glaubhaftigkeitsbegutachtung beziehen (Greuel/Offe/Fabian/Wetzels/Fabian/Offe/Stadler, Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, 1998, S 27, 49). In einer Glaubhaftigkeitsbegutachtung trifft der Sachverständige erfahrungswissenschaftlich gestützte Feststellungen zu Erlebnishaltigkeit und Zuverlässigkeit von Sachverhaltskonstruktionen, die ein Zeuge oder ein Beteiligter vorträgt. Durch das Gutachten vermittelt er dem Gericht daher auf den Einzelfall bezogene wissenschaftliche Erkenntnisse und stellt diesem aufgrund von Befundtatsachen wissenschaftlich gestützte Schlussfolgerungen zur Verfügung (Greuel/Offe/Fabian/Wetzels/Fabian/Offe/Stadler, Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, 1998, S 280 f). Die umfassende rechtliche Würdigung dieser Feststellungen, Erkenntnisse und Schlussfolgerungen obliegt sodann dem Gericht.

47

Entgegen der Auffassung der Klägerin ergeben sich aus den Ausführungen in dem Urteil des LSG NRW vom 28.11.2007 - L 10 VG 13/06 - (Juris RdNr 25) keine Hinweise auf die Unzulässigkeit der Einholung und Berücksichtigung von Glaubhaftigkeitsgutachten in sozialrechtlichen Verfahren. Vielmehr hat das LSG NRW hierbei lediglich die Amtsermittlung des erstinstanzlichen Gerichts gerügt, das anstelle der Vernehmung der durch die dortige Klägerin benannten Zeugen ein Sachverständigengutachten eingeholt hatte (ua mit der Beweisfrage "Steht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit - dh es darf kein begründbarer Zweifel bestehen - fest, dass die Klägerin Opfer sexuellen Missbrauchs - in welchem Zeitraum, in welcher Weise - geworden ist?"; Juris RdNr 9). Vor diesem Hintergrund ist es vollkommen nachvollziehbar, wenn das LSG NRW zum einen die Vernehmung der Zeugen gefordert und zum anderen festgestellt hat, dass die an die Sachverständigen gestellte Frage keinem Beweis durch ein medizinisches oder aussagepsychologisches Sachverständigengutachten zugänglich sei, sondern dass das Gericht diese Tatsache selbst aufzuklären habe. Ausdrücklich zu aussagepsychologischen Gutachten hat das LSG NRW ferner zutreffend festgestellt, auch bei diesen dürfe dem Sachverständigen nicht die Entscheidung überlassen werden, ob eine behauptete Tat stattgefunden habe oder nicht. Vielmehr dürfe dieser nur beurteilen, ob aussagepsychologische Kriterien für oder gegen den Wahrheitsgehalt der Angaben Betroffener sprächen und/oder ob die Aussagen und Erklärungen möglicherweise trotz subjektiv wahrheitsgemäßer Angaben nicht auf eigenen tatsächlichen Erinnerungen der Betroffenen beruhten (LSG NRW, aaO, Juris RdNr 25). Aus diesen Ausführungen lässt sich nicht der Schluss ziehen, das LSG NRW gehe grundsätzlich davon aus, dass in sozialrechtlichen Verfahren keine Glaubhaftigkeitsgutachten eingeholt und berücksichtigt werden könnten.

48

bb) Für die Erstattung von Glaubhaftigkeitsgutachten gelten auch im Bereich des sozialen Entschädigungsrechts zunächst die Grundsätze, die der BGH in der Entscheidung vom 30.7.1999 (1 StR 618/98 - BGHSt 45, 164) dargestellt hat. Mit dieser Entscheidung hat der BGH die wissenschaftlichen Standards und Methoden für die psychologische Begutachtung der Glaubhaftigkeit von Aussagen zusammengefasst. Nicht das jeweilige Prozessrecht schafft diese Anforderungen (zum Straf- und Strafprozessrecht vgl Fabian/Greuel/Stadler, StV 1996, 347 f), vielmehr handelt es sich hierbei um wissenschaftliche Erkenntnisse der Aussagepsychologie (vgl Vogl, NJ 1999, 603), die Glaubhaftigkeitsgutachten allgemein zu beachten haben, damit diese überhaupt belastbar sind und verwertet werden können (so auch BGH Beschluss vom 30.5.2000 - 1 StR 582/99 - NStZ 2001, 45 f; vgl grundlegend hierzu Greuel/Offe/Fabian/Wetzels/Fabian/Offe/Stadler, Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, 1998, S 48 ff; Volbert, Beurteilung von Aussagen über Traumata, 2004, S 16 ff). Die grundsätzlichen wissenschaftlichen Anforderungen an Glaubhaftigkeitsgutachten stellen sich wie folgt dar (vgl zum Folgenden BGH Urteil vom 30.7.1999 - 1 StR 618/98 - BGHSt 45, 164, 167 ff mwN; basierend ua auf dem Gutachten von Steller/Volbert, wiedergegeben in Praxis der Rechtspsychologie, 1999, 46 ff):

Bei der psychologischen Begutachtung der Glaubhaftigkeit von Aussagen besteht das methodische Grundprinzip darin, einen zu überprüfenden Sachverhalt (hier: Glaubhaftigkeit einer bestimmten Aussage) so lange zu negieren, bis diese Negation mit den gesammelten Fakten nicht mehr vereinbar ist. Der wissenschaftlich ausgebildete psychologische Sachverständige arbeitet (gedanklich) also zunächst mit der Unwahrannahme als sog Nullhypothese (Steller/Volbert, Praxis der Rechtspsychologie, 1999, 46, 61; den Begriff der Nullhypothese sowie das Ausgehen von dieser kritisierend Stanislawski/Blumer, Streit 2000, 65, 67 f). Der Sachverständige bildet dazu neben der "Wirklichkeitshypothese" (die Aussage ist mit hoher Wahrscheinlichkeit erlebnisfundiert) die Gegenhypothese, die Aussage sei unwahr. Bestehen mehrere Möglichkeiten, aus welchen Gründen eine Aussage keinen Erlebnishintergrund haben könnte, hat der Sachverständige bezogen auf den konkreten Einzelfall passende Null- bzw Alternativhypothesen zu bilden (vgl beispielhaft hierzu Greuel/Offe/Fabian/Wetzels/Fabian/Offe/Stadler, Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, 1998, S 52 f; ebenso, zudem mit den jeweiligen diagnostischen Bezügen Greuel, MschrKrim 2000, S 59, 61 ff). Die Bildung relevanter, also auf den jeweiligen Einzelfall abgestimmter Hypothesen ist von ausschlaggebender Bedeutung für Inhalt und (methodischen) Ablauf einer Glaubhaftigkeitsbegutachtung. Sie stellt nach wissenschaftlichen Prinzipien einen wesentlichen, unerlässlichen Teil des Begutachtungsprozesses dar. Im weiteren Verlauf hat der Sachverständige jede einzelne Alternativhypothese darauf zu untersuchen, ob diese mit den erhobenen Fakten in Übereinstimmung stehen kann; wird dies für sämtliche Null- bzw Alternativhypothesen verneint, gilt die Wirklichkeitshypothese, wonach es sich um eine wahre Aussage handelt.

49

Die zentralen psychologischen Konstrukte, die den Begriff der Glaubhaftigkeit - aus psychologischer Sicht - ausfüllen und somit die Grundstruktur der psychodiagnostischen Informationsaufnahme und -verarbeitung vorgeben, sind Aussagetüchtigkeit (verfügt die Person über die notwendigen kognitiven Grundvoraussetzungen zur Erstattung einer verwertbaren Aussage?), Aussagequalität (weist die Aussage Merkmale auf, die in erlebnisfundierten Schilderungen zu erwarten sind?) sowie Aussagevalidität (liegen potentielle Störfaktoren vor, die Zweifel an der Zuverlässigkeit der Aussage begründen können?). Erst wenn die Aussagetüchtigkeit bejaht wird, kann der mögliche Erlebnisbezug der Aussage unter Berücksichtigung ihrer Qualität und Validität untersucht werden (Greuel/Offe/Fabian/Wetzels/Fabian/Offe/Stadler, Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, 1998, S 49; zur eventuell erforderlichen Hinzuziehung eines Psychiaters zur Bewertung der Aussagetüchtigkeit Schumacher, StV 2003, 641 ff). Das abschließende gutachterliche Urteil über die Glaubhaftigkeit einer Aussage kann niemals allein auf einer einzigen Konstruktebene (zB der Ebene der Aussagequalität) erfolgen, sondern erfordert immer eine integrative Betrachtung der Befunde in Bezug auf sämtliche Ebenen (Greuel, MschrKrim 2000, S 59, 62).

50

Die wesentlichen methodischen Mittel, die der Sachverständige zur Überprüfung der gebildeten Hypothesen anzuwenden hat, sind die - die Aussagequalität überprüfende - Aussageanalyse (Inhalts- und Konstanzanalyse) und die - die Aussagevalidität betreffende - Fehlerquellen-, Motivations- sowie Kompetenzanalyse. Welche dieser Analyseschritte mit welcher Gewichtung durchzuführen sind, ergibt sich aus den zuvor gebildeten Null- bzw Alternativhypothesen; bei der Abgrenzung einer wahren Darstellung von einer absichtlichen Falschaussage sind andere Analysen erforderlich als bei deren Abgrenzung von einer subjektiv wahren, aber objektiv nicht zutreffenden, auf Scheinerinnerungen basierenden Darstellung (vgl hierzu Volbert, Beurteilung von Aussagen über Traumata, 2004, S 17 ff).

51

Diese Prüfungsschritte müssen nicht in einer bestimmten Prüfungsstrategie angewendet werden und verlangen keinen vom Einzelfall losgelösten, schematischen Gutachtenaufbau. Die einzelnen Elemente der Begutachtung müssen auch nicht nach einer bestimmten Reihenfolge geprüft werden (vgl BGH Beschluss vom 30.5.2000 - 1 StR 582/99 - NStZ 2001, 45 f). Es ist vielmehr ausreichend, wenn sich aus einer Gesamtbetrachtung des Gutachtens ergibt, dass der Sachverständige das dargestellte methodische Grundprinzip angewandt hat. Vor allem muss überprüfbar sein, auf welchem Weg er zu seinen Ergebnissen gelangt ist.

52

cc) Die aufgrund der dargestellten methodischen Vorgehensweise, insbesondere aufgrund des Ausgehens von der sog Nullhypothese, vorgebrachten Bedenken gegen die Zulässigkeit der Einholung und Berücksichtigung von Glaubhaftigkeitsgutachten in sozialgerichtlichen Verfahren (vgl hierzu SG Fulda Urteil vom 30.6.2008 - S 6 VG 16/06 - Juris RdNr 33 aE; LSG Berlin-Brandenburg Urteil vom 8.7.2010 - L 13 VG 25/07 - Juris RdNr 36; LSG Rheinland-Pfalz Urteil vom 27.6.2012 - L 4 VG 13/09 - Juris RdNr 44 ff; offenlassend, aber Zweifel an der Anwendbarkeit der Nullhypothese äußernd LSG Baden-Württemberg Urteil vom 15.12.2011 - L 6 VG 584/11 - ZFSH/SGB 2012, 203, 206) überzeugen nicht.

53

Nach derzeitigen Erkenntnissen gibt es für einen psychologischen Sachverständigen keine Alternative zu dem beschriebenen Vorgehen. Der Erlebnisbezug einer Aussage ist nicht anders als durch systematischen Ausschluss von Alternativhypothesen zur Wahrannahme zu belegen (Volbert, Beurteilung von Aussagen über Traumata, 2004, S 20, 22). Nach dem gegenwärtigen psychologischen Kenntnisstand kann die Wirklichkeitshypothese selbst nicht überprüft werden, da eine erlebnisbasierte Aussage eine hohe, aber auch eine niedrige Aussagequalität haben kann. Die Prüfung hat daher an der Unwahrhypothese bzw ihren möglichen Alternativen anzusetzen. Erst wenn sämtliche Unwahrhypothesen ausgeschlossen werden können, ist die Wahrannahme belegt (vgl Volbert, Beurteilung von Aussagen über Traumata, 2004, S 22). Zudem hat diese Vorgehensweise zur Folge, dass sämtliche Unwahrhypothesen geprüft werden, womit ein ausgewogenes Analyseergebnis erzielt werden kann (Schoreit, StV 2004, 284, 286).

54

Es ist zutreffend, dass dieses methodische Vorgehen ein recht strenges Verfahren der Aussageprüfung darstellt (so auch Greuel/Offe/Fabian/Wetzels/Fabian/Offe/Stadler, Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, 1998, S 205), denn die Tatsache, dass eine bestimmte Unwahrhypothese nicht ausgeschlossen werden kann, bedeutet nicht zwingend, dass diese Hypothese tatsächlich zutrifft. Gleichwohl würde das Gutachten in einem solchen Fall zu dem Ergebnis gelangen, dass eine wahre Aussage nicht belegt werden kann. Insoweit korrespondieren das methodische Grundprinzip der Aussagepsychologie und die rechtlichen Anforderungen in Strafverfahren besonders gut miteinander (vgl dazu Volbert, aaO S 20). Denn auch die Unschuldsvermutung hat zugunsten des Angeklagten bis zum Beweis des Gegenteils zu gelten. Durch beide Prinzipien soll auf jeden Fall vermieden werden, dass eine tatsächlich nicht zutreffende Aussage als glaubhaft klassifiziert wird. Zwar soll möglichst auch der andere Fehler unterbleiben, dass also eine wahre Aussage als nicht zutreffend bewertet wird. In Zweifelsfällen gilt aber eine klare Entscheidungspriorität (vgl Volbert, aaO): Bestehen noch Zweifel hinsichtlich einer Unwahrhypothese, kann diese also nicht mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden, so gilt der Erlebnisbezug der Aussage als nicht bewiesen und die Aussage als nicht glaubhaft.

55

Diese Konsequenz führt nicht dazu, dass Glaubhaftigkeitsgutachten im sozialrechtlichen Entschädigungsverfahren nach dem OEG als Beweismittel schlichtweg ungeeignet sind. Soweit der Vollbeweis gilt, ist damit die Anwendung dieser methodischen Prinzipien der Aussagepsychologie ohne Weiteres zu vereinbaren. Denn dabei gilt eine Tatsache erst dann als bewiesen, wenn sie in so hohem Grade wahrscheinlich ist, dass alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung zu begründen. Bestehen in einem solchen Verfahren noch Zweifel daran, dass eine Aussage erlebnisfundiert ist, weil eine bestimmte Unwahrhypothese nicht ausgeschlossen werden kann, geht dies zu Lasten des Klägers bzw der Klägerin (von der Zulässigkeit von Glaubhaftigkeitsgutachten ausgehend LSG Berlin-Brandenburg Urteil vom 9.9.2008 - L 11 VG 33/08 - Juris RdNr 24 ff; LSG NRW Urteil vom 29.9.2010 - L 6 (7) VG 16/05 - Juris RdNr 24; ebenso, jedoch bei Anwendung der Beweiserleichterung des § 15 S 1 KOVVfG Bayerisches LSG Urteil vom 30.6.2005 - L 15 VG 13/02 - Juris RdNr 40; LSG Niedersachsen-Bremen Urteil vom 5.6.2008 - L 13 VG 1/05 - Juris RdNr 34 sowie Urteil vom 16.9.2011 - L 10 VG 26/07 - Juris RdNr 38 ff).

56

Die grundsätzliche Bejahung der Beweiseignung von Glaubhaftigkeitsgutachten im sozialen Entschädigungsrecht wird auch dadurch gestützt, dass nach der dargestellten hypothesengeleiteten Methodik - unter Einschluss der sog Nullhypothese - erstattete Gutachten nicht nur in Strafverfahren Anwendung finden, sondern auch in Zivilverfahren (vgl BGH Beschluss vom 24.6.2003 - VI ZR 327/02 - NJW 2003, 2527, 2528 f; Saarländisches OLG Urteil vom 13.7.2011 - 1 U 32/08 - Juris RdNr 50 ff) und in arbeitsrechtlichen Verfahren (vgl LAG Berlin-Brandenburg Urteil vom 20.7.2011 - 26 Sa 1269/10 - Juris RdNr 64 ff). In diesen Verfahren ist der Vollbeweis der anspruchsbegründenden Tatsachen bzw der Voraussetzungen für einen Kündigungsgrund (zumeist eine erhebliche Pflichtverletzung) ebenfalls erforderlich.

57

dd) Soweit allerdings nach Maßgabe des § 15 S 1 KOVVfG eine Glaubhaftmachung ausreicht, ist ein nach der dargestellten Methodik erstelltes Glaubhaftigkeitsgutachten nicht ohne Weiteres geeignet, zur Entscheidungsfindung des Gerichts beizutragen. Das folgt schon daraus, dass es im Rahmen des § 15 S 1 KOVVfG ausreicht, wenn die Möglichkeit, dass die Angaben des Antragstellers zutreffen, als die wahrscheinlichste angesehen werden kann, während ein aussagepsychologischer Sachverständiger diese Angaben erst dann als glaubhaft ansieht, wenn er alle Alternativhypothesen ausschließen kann. Da ein sachgerecht erstelltes Glaubhaftigkeitsgutachten den Vollbeweis ermöglichen soll, muss ein für die Auskunftsperson ungünstiges Ergebnis eines solchen Gutachtens nicht bedeuten, dass die betreffenden Angaben nicht iS des § 15 S 1 KOVVfG als glaubhaft erscheinen können.

58

Will sich ein Gericht auch bei Anwendung des § 15 S 1 KOVVfG eines aussagepsychologischen Gutachtens bedienen, so hat es den Sachverständigen mithin auf den insoweit geltenden Beweismaßstab hinzuweisen und mit ihm zu klären, ob er sein Gutachten nach den insoweit maßgebenden Kriterien erstatten kann. Dabei sind auch die Beweisfragen entsprechend zu fassen. Im Falle von Glaubhaftigkeitsbegutachtungen lautet die übergeordnete psychologische Untersuchungsfragestellung: "Können die Angaben aus aussagepsychologischer Sicht als mit (sehr) hoher Wahrscheinlichkeit erlebnisfundiert klassifiziert werden?" (Greuel/Offe/Fabian/Wetzels/Fabian/Offe/Stadler, Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage, 1998, S 49). Demgegenüber sollte dann, wenn eine Glaubhaftmachung ausreicht, darauf abgestellt werden, ob die Angaben mit relativer Wahrscheinlichkeit als erlebnisfundiert angesehen werden können.

59

Damit das Gericht den rechtlichen Begriff der Glaubhaftmachung in eigener Beweiswürdigung ausfüllen kann und nicht durch die Feststellung einer Glaubhaftigkeit seitens des Sachverständigen festgelegt ist, könnte es insoweit hilfreich sein, dem Sachverständigen aufzugeben, solange systematisch und unvoreingenommen nach Fakten zu den verschiedenen Hypothesen zu suchen, bis sich ein möglichst klarer Unterschied in ihrer Geltungswahrscheinlichkeit bzw praktischen Gewissheit ergibt (für eine solche Vorgehensweise im Asylverfahren vgl Lösel/Bender, Schriftenreihe des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge, Bd 7, 2001, S 175, 184). Denn dem Tatsachengericht ist am ehesten gedient, wenn der psychologische Sachverständige im Rahmen des Möglichen die Wahrscheinlichkeiten bzw Wahrscheinlichkeitsgrade für die unterschiedlichen Hypothesen darstellt.

60

Diesen Maßgaben wird das Berufungsurteil nicht gerecht. Das LSG hat sich bei seiner Verneinung einer Glaubhaftigkeit der Angaben der Klägerin nach § 15 S 1 KOVVfG ohne Weiteres auf das aussagepsychologische Gutachten der Sachverständigen H. vom 5.4.2005 gestützt. Dieses Glaubhaftigkeitsgutachten ist vom SG zu den Fragen eingeholt worden:

        

Sind die Angaben der Klägerin zu den Misshandlungen durch die Eltern und zum sexuellen Missbrauch durch den Vater (…) unter Berücksichtigung des aktuellen wissenschaftlich-aussagepsychologischen Kenntnisstandes insgesamt oder in Teilen glaubhaft? Sind die Angaben insbesondere inhaltlich konsistent und konstant und sind aussagerelevante Besonderheiten der Persönlichkeitsentwicklung der Klägerin zu berücksichtigen? Welche Gründe sprechen insgesamt für und gegen die Glaubhaftigkeit der Angaben?

61

Ein Hinweis auf den im Rahmen des § 15 S 1 KOVVfG geltenden Beweismaßstab der Glaubhaftmachung ist dabei nach Aktenlage nicht erfolgt. Dementsprechend lässt das Gutachten der Sachverständigen H. nicht erkennen, dass sich diese der daraus folgenden Besonderheiten bewusst gewesen ist. Vielmehr hat die Sachverständige in der Einleitung zu ihrem Gutachten ("Formaler Rahmen der Begutachtung") erklärt, dass sich das Vorgehen bei der Begutachtung und die Darstellung der Ergebnisse nach den Standards wissenschaftlich fundierter Glaubhaftigkeitsbegutachtung richte, wie sie im Grundsatzurteil des BGH vom 30.7.1999 (BGHSt 45, 164 = NJW 1999, 2746) dargelegt seien (S 1 des Gutachtens).

62

Da das Berufungsurteil mithin - soweit es die Anwendung des § 15 S 1 KOVVfG betrifft - offenbar auf einer Tatsachenwürdigung beruht, der ein unzutreffender Beweismaßstab zugrunde liegt, vermag der erkennende Senat die Beurteilung des LSG auch zu diesem Punkt nicht zu bestätigen.

63

5. Der erkennende Senat sieht sich zu einer Aufhebung des Berufungsurteils und einer Zurückverweisung der Sache an das LSG veranlasst (§ 170 Abs 2 S 2 SGG), weil die jetzt nach zutreffenden Beweismaßstäben vorzunehmenden Tatsachenfeststellungen und Beweiswürdigungen im Revisionsverfahren nicht nachgeholt werden können (§ 163 SGG).

64

6. Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

Die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, sind, wenn Unterlagen nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen oder ohne Verschulden des Antragstellers oder seiner Hinterbliebenen verlorengegangen sind, der Entscheidung zugrunde zu legen, soweit sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen. Die Verwaltungsbehörde kann in besonderen Fällen von dem Antragsteller die eidesstattliche Versicherung verlangen, daß er bei seinen Angaben nach bestem Wissen die reine Wahrheit gesagt und nichts verschwiegen habe.

Tenor

Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 10. Dezember 2010 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte hat der Klägerin auch die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.

Tatbestand

 
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin zwischen 1965 und 1972 Opfer vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriffe im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 Opferentschädigungsgesetz (OEG) geworden ist.
Bei der am ... Februar 1957 geborenen, in Deutschland wohnhaften Klägerin, die als Erwerbsunfähige laufende Leistungen zum Lebensunterhalt nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) bezieht, sind seit dem 22. Mai 2006 ein Grad der Behinderung (GdB) von 80 und die Merkzeichen G und B im Wesentlichen wegen einer seelischen Störung und posttraumatischen Belastungsstörung (Teil-GdB von 70) anerkannt (Bescheid vom 3. Juli 2007, Bl. 41 SG-Akte).
Am 10. Oktober 1976 begab sich die Klägerin erstmalig in die Psychologische Ambulanz. Der Oberarzt der Klinik Dr. K. diagnostizierte eine konversionsneurotische Symptomatik einer infantilen Persönlichkeit (vielfältiger Symptomkomplex, ausgelöst durch den ersten Geschlechtsverkehr). Eine stationäre Behandlung in der psychosomatischen Klinik wurde empfohlen (Arztbericht vom 15. Oktober 1976, Bl. 43 f. Senatsakte). Von Februar 1978 bis Dezember 1979 wurde sie wegen einer Zwangsstörung mit depressiver Komponente und suicidalen Tendenzen, Angstzuständen und Rechenstörung verhaltenstherapeutisch behandelt (vgl. Befundbericht von Dipl.-Psych. M. vom 11. Juni 2011, Bl. 42 Senatsakte). Eine erste stationäre Behandlung fand vom 15. November 1983 bis 16. Februar 1984 im Psychiatrischen Landeskrankenhaus W. - Funktionsbereich Psychotherapie - wegen einer Angstneurose mit Zwangsgedanken statt (vgl. Arztbriefe vom 29. November 1983 und 1. März 1984, Bl. 37 f. und 39 f. Senatsakte).
Ihre Ausbildung zur Friseurin führte die Klägerin vom 1. Januar 1973 bis 30. Juni 1975 durch, war anschließend im Juli 1975 und dann wieder vom 23. März bis 9. Oktober 1976 versicherungspflichtig beschäftigt, unterbrochen von einer fünfmonatigen Arbeitslosigkeit. Eine weitere Versicherungspflicht bestand vom 1. Mai 1977 bis 31. Januar 1979, vom 15. Juni 1980 bis 7. November 1982, im März 1983, von März 1984 bis Januar 1986 und schließlich vom 8. März bis 12. August 1986. Danach war die Klägerin arbeitslos (vgl. Versicherungsverlauf vom 20. August 2008, Bl. 35 f. Senatsakte). Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung erfüllt die Klägerin nicht.
Mit 24 Jahren heiratete die Klägerin das erste Mal, die Ehe wurde nach kurzer Zeit geschieden. Ihren zweiten Mann heiratete sie mit 29 Jahren, er erkrankte 1997 nach einer Reise nach Kenia an Aids (nur Bluttest, nicht ausgebrochen, Bl. 41 V-Akte), 1998 trennte sie sich von ihm (vgl. Abschlussbericht Fachklinik H. vom 19. Juni 1998, Bl. 28 V-Akte).
Am 19. September 2006 beantragte die Klägerin die Gewährung von Beschädigtenversorgung unter Hinweis auf den sexuellen Missbrauch durch ihren Vater von frühester Kindheit an bis zu dessen Tod in ihrem 15. Lebensjahr. Sie leide an Depressionen, Angststörung, Tinnitus, Zwängen, Alpträumen, Dissoziationsstörungen, sexueller Störung und Schwierigkeiten mit der Sexualität im Allgemeinen als Folge einer posttraumatischen Belastungsstörung.
Zur weiteren Aufklärung des Sachverhaltes befragte der Beklagte den behandelnden Psychotherapeuten sowie die Schwester und die Mutter der Klägerin schriftlich. Der Psychotherapeut H., bei dem die Klägerin seit 2002 in regelmäßiger ambulanter Betreuung steht, legte die Entlassungsberichte der Fachklinik H. (stationäre psychiatrische Behandlung vom 2. Februar bis 27. Mai 1998 und 21. Juni bis 2. August 2000) vor. Er berichtete, dass zunächst eine Zwangssymptomatik im Vordergrund der Behandlung gestanden habe. Erst im Verlauf der Therapie seit 1997 sei die verdrängte schwere Traumatisierung (psychogene Amnesie) mit dem Grundgefühl des hilflos Ausgeliefertseins und tiefer Selbstwertproblematik in den Vordergrund getreten. In dem beigefügten Erstantrag auf Gewährung einer Psychotherapie führte Psychotherapeutin H. aus, sie habe die Klägerin bereits von September 1992 bis zum Mai 1996 psychotherapeutisch behandelt.
Die Schwester der Klägerin, R. Q., gab an, ihre Schwester habe im Alter von 12 Jahren das erste Mal über Ängste und Zwänge berichtet, diese aber nicht als ausdrücklichen Missbrauch geschildert. Ihre Schwester habe gegen ihren Willen beim Vater liegen müssen. Es sei wie ein Ritual gewesen. Er habe an die Wand geklopft, sie habe aufstehen und ins Schlafzimmer gehen müssen. Manchmal sei ihr anzusehen gewesen, dass sie am liebsten nicht gegangen wäre. Dann habe die Mutter sie aufgefordert zu gehen. Sie sei lange beim Vater geblieben. Sie habe auch beobachtet, wie ihr Vater die Brüste ihrer Schwester in der Badewanne eingeseift habe. Damals müsse sie 13 bis 14 Jahre alt gewesen sein. Eines Tages habe ihre Schwester erzählt, sie wolle nicht mehr, dass der Vater zu ihr ins Bad komme, um die Brüste einzuseifen. Das habe sie auch dem Vater gesagt, worauf ein großer Streit in der Familie entstanden sei. Es sei das erste Mal gewesen, dass die Klägerin sich gegen den Willen des Vaters aufgelehnt habe. Ihr selbst sei es zwar nicht verboten gewesen, das Schlafzimmer zu betreten, sie habe aber gewusst, dass das nicht gut sei. Eines Tages habe sie gesehen, dass ihr Vater und ihre Schwester ineinander verkeilt auf dem Bett gelegen hätten. Die Mutter habe vor ihrem Mann Angst um ihr eigenes Leben gehabt, sie habe sich nicht gegen ihn stellen können.
Die Mutter, E. Q., teilte mit, bei ihren Eltern habe es solche Sachen nicht gegeben. Darum habe sie sich niemals vorstellen können, dass ihr Mann sich an ihrer Tochter vergangen habe. Sie habe dies nicht gewusst und sie habe sich nichts dabei gedacht, wenn er die Tochter allein mit ins Schlafzimmer genommen habe. Außerdem habe er die Tochter oft brutal geschlagen und beschimpft. Dass er ihr mit 15 Jahren den Busen eingeseift habe, habe sie mitbekommen. Ihre Tochter habe es ihr damals erzählt (Bl. 53 f.; 55 Verwaltungsakte).
10 
Nach Beiziehung der Schwerbehindertenakte lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 28. November 2006 den Antrag mit der Begründung ab, die Klägerin könne nicht nachweisen, dass sie durch vorsätzliche, rechtswidrige und tätliche Handlungen geschädigt worden sei. Den Antrag habe sie mehr als 30 Jahre nach dem Tod des Vaters und den letzten Schädigungshandlungen gestellt. Zeugen für die Vorfälle gebe es nicht. Die Klägerin habe selbst eingeräumt, sie wisse nicht mehr, was „hinter der verschlossen Tür geschah“. Somit lägen ausschließlich die Angaben der Klägerin gegenüber den behandelnden Ärzten vor und ihr könne der Nachweis sexueller Schädigungen nicht gelingen.
11 
Die Klägerin legte hiergegen unter Beifügung eines Attests vom Facharzt H. Widerspruch ein. Dieser führte aus, es gebe auf Grund der Anamnese und der Lebensgeschichte der Klägerin keinen Zweifel daran, dass sie missbraucht worden sei. Es müsse eine Retraumatisierung befürchtet werden. Die Dokumente müssten dringend einem medizinischen Sachverständigen vorgelegt werden, einer Behörde fehle der medizinische Sachverstand.
12 
Mit Widerspruchsbescheid vom 8. Februar 2007 wies der Beklagte den Widerspruch mit der Begründung zurück, bei lange zurückliegenden Ereignissen sei erfahrungsgemäß die Sachverhaltsaufklärung schwierig, da oftmals nur wenige oder gar keine Beweise vorlägen. Ein strafrechtliches Verfahren gegen den Vater als mutmaßlichen Schädiger sei zu keinem Zeitpunkt durchgeführt worden, sodass es an zeitnahen polizeilichen und staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen fehle. Die Zeuginnen hätten nur bestätigen können, dass die Klägerin in das elterliche Schlafzimmer gerufen worden wäre, hätten indessen nicht gewusst, was sich dort konkret ereignet habe. Der sexuelle Missbrauch sei der Klägerin erst im Rahmen einer Therapie durch einen Traum bewusst geworden. Die Therapeutin habe eine psychogene Amnesie diagnostiziert. Nach alledem bestünden Zweifel daran, ob die Darstellungen tatsächlich auf erlittenen Missbrauchshandlungen beruhten.
13 
Mit ihrer hiergegen am 7. März 2007 beim Sozialgericht Freiburg (SG) erhobenen Klage hat die Klägerin, nunmehr anwaltlich vertreten, ausgeführt, dass die ambulanten und stationären Einrichtungen einen klaren Zusammenhang zwischen den gestellten Diagnosen und einem in der Kindheit stattgefundenen schädigenden Ereignis in Form des sexuellen Missbrauchs bestätigt hätten. Der Beklagte habe auch nicht beachtet, dass ihre Schwester den Missbrauch aus eigener Anschauung geschildert habe.
14 
Sie hat eine weitere schriftliche Aussage ihrer Schwester R. Q. vom 16. Januar 2008 vorgelegt: „Ich habe verschwiegen, was ich damals wirklich gesehen habe. In unserer Familie wurde immer geschwiegen. Der Schande wegen. Meine Mutter und ich hatten damals nicht den Mut, das zu verhindern, was geschehen ist. Immer wieder habe ich gesehen, wie meine Schwester vom Vater mit ins Badezimmer genommen wurde, gegen ihren Willen. Auch habe ich gesehen, wie ihre Brüste eingeseift wurden. Als ich einmal meine Schwester im Schlafzimmer weinen hörte, habe ich die Tür geöffnet. Da sah ich, wie der Penis meines Vaters in dem Mund meiner Schwester steckte. Ich war so gelähmt und konnte damals mit dieser Situation nicht umgehen.“ (Bl. 46 SG-Akte).
15 
E. Q. hat ebenfalls mit Schreiben vom 19. Januar 2008 ergänzend zu ihrer ersten schriftlichen Aussage vorgetragen, dass sie doch gewusst habe, dass ihr Mann ihre Tochter im Schlafzimmer sexuell missbrauche. Sie habe indessen die Augen zugemacht, weil sie sich vor ihrer Familie geschämt habe. Sie habe nicht gewollt, dass diese Schande an die Öffentlichkeit gelange. Nur einmal habe sie ihren Mann zur Rede gestellt. Der habe ihr gesagt: „Die Sachen, die ich mit dir nicht machen will, die mache ich mit E..“ (Bl. 48 SG-Akte).
16 
Zur weiteren Aufklärung des Sachverhaltes hat der damals zuständige Richter die Klägerin angehört und ihre Schwester als Zeugin vernommen. Hinsichtlich der Einzelheiten der Angaben wird auf die Niederschrift des Erörterungstermins vom 5. Dezember 2008 (Bl. 63 ff. SG-Akte) verwiesen. Des Weiteren ist die Klägerin nervenärztlich begutachtet worden.
17 
Der Sachverständige, Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Psychiatrie und Neurologie Dr. Sch. hat in seinem Gutachten vom 15. Juli 2010 ausgeführt, dass die Klägerin an einer komplexen posttraumatischen Belastungs-/Persönlichkeitsstörung sowie einer andauernden Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung leide, die mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit im Sinne der Alleinverursachung auf die Gewaltvorfälle in Kindheit und Jugend zurückzuführen sei. Er habe keinen vernünftigen Zweifel daran, dass die Klägerin bis zum Tode ihres Vaters im Frühjahr 1972 unter körperlicher Gewalt durch ihren Vater gelitten habe, auch wenn sie sich nicht, kaum oder nur eingeschränkt erinnern könne. Bei ihr liege eine sogenannte „psychogene Amnesie“ vor. Die erhebliche Störung der Sexualität sei ebenfalls auf den Missbrauch zurückführen. Den Grad der Schädigungsfolgen (GdS) schätze er mit 80 ein, da es sich um schwere Störungen handle, die im Grenzbereich zwischen erheblichen mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten und schweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten lägen.
18 
Gestützt hierauf hat das SG mit Urteil vom 10. Dezember 2010 den Beklagten verurteilt, bei der Klägerin das Vorliegen einer seelischen Störung im Sinne einer posttraumatischen Belastungsstörung sowie einer rezidivierenden depressiven Störung als Folge von vorsätzlichen rechtswidrigen Angriffen ihres Vaters in der Zeit von 1961 bis 1972 anzuerkennen und ihr wegen dieser Folgen Versorgung aus dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) ab dem 1. September 2006 nach einem GdS von 80 zu gewähren. Die Klägerin sei seit ihrem 4. Lebensjahr (1961) bis zum Tod ihres Vaters in ihrem 15. Lebensjahr (1972) fortgesetzt sexuell missbraucht worden und zwar unabhängig von einem eventuellen Einvernehmen mit dem Kind oder gegen dessen Willen. Die Schwester der Klägerin habe glaubhaft geschildert, dass die Klägerin in der fraglichen Zeit als „Lieblingskind“ des gemeinsamen Vaters von ihm beim Baden abgeseift worden sei und zu ihm in das Schlafzimmer habe gehen müssen, wenn dieser an die Wand geklopft habe. Außerdem habe sie eindrücklich eine konkrete Begebenheit von sexuellem Missbrauch wiedergeben können. Dass die Klägerin von ihrem Vater sexuell missbraucht worden sei, habe auch die Mutter in ihrem Schreiben vom 19. Januar 2008 bestätigt. Sie habe berichtet, dass sie ihren Mann einmal zur Rede gestellt und dieser ihr gesagt habe, dass er die „Sachen“, die er mit seiner Frau nicht machen wolle, mit der Klägerin mache. Diese Einlassungen bestätigten den Vortrag der Klägerin glaubhaft. Dem stehe auch nicht entgegen, dass die Schwester im Verwaltungsverfahren keine konkreten sexuellen Übergriffe geschildert habe. Nachvollziehbar habe die Zeugin angegeben, dass sie aus Scham nichts Konkretes geschrieben habe, nun aber ihr Gewissen erleichtern wolle. Dies treffe auch auf die Auskunft der Mutter zu. Die vom Beklagten gerügten „Diskrepanzen“ in den Aussagen seien damit hinreichend aufgelöst. Auch die Ausführungen der Klägerin seien in sich schlüssig und glaubhaft. Es bestünden solide ausgeprägte so genannte Realkennzeichen, wie sie eine glaubhafte Aussage charakterisierten. Das zeige sich insbesondere bei der Darstellung von Details wie dem Klopfen gegen die Wand, dem Krankenhausaufenthalt der Mutter oder dem Urlaub in Thüringen, von dem die Klägerin schildere, dass sie dort jeweils keinen Übergriffen des Vaters ausgesetzt gewesen sei, was ihre Schwester bestätigt habe. Dass die Klägerin erst im Jahr 2006 einen Antrag gestellt habe, könne ihr nicht entgegen gehalten werden. Sie sei glaubhaft erst im Jahr 2006 durch die behandelnde Therapeutin auf diese Möglichkeit aufmerksam gemacht worden. Die Glaubhaftigkeit der Klägerin werde weiter durch das Gutachten von Dr. Sch. bestätigt. Dieser sei nach Auswertung verschiedener psychologischer Tests zu dem Ergebnis gelangt, dass er keinen vernünftigen Zweifel an den von der Klägerin geschilderten Fällen sexuellen Missbrauchs habe. Er habe die Klägerin zwar nicht im Einzelnen zu den realen Missbrauchsereignissen befragt. Inwieweit sich diese Vorgehensweise nicht vollständig mit denen in der Rechtsprechung anerkannten wissenschaftlichen Anforderungen an Aussagen von psychologischen Begutachtungen decke, könne jedoch dahin gestellt bleiben. Denn allein auf Grund der Zeugenaussagen sei das erkennende Gericht vom Wahrheitsgehalt des Klägervorbringens überzeugt und der Vollbeweis des schädigenden Ereignisses somit bereits erbracht. Der Sachverständige habe auch überzeugend dargelegt, dass die gesundheitliche Schädigung auf die nachgewiesenen vorsätzlichen rechtswidrigen tätlichen Angriffe zurückgeführt werden könnten und mit einem GdS von 80 zu bewerten sei. Die von ihm diagnostizierten Gesundheitsstörungen beeinträchtigten die Teilhabe der Klägerin am Leben in der Gemeinschaft in hohem Maße. Sie bedürfe selbst zur Bewältigung alltäglicher Aufgaben der Unterstützung durch Psychotherapeuten und befinde sich seit ihrem 18. Lebensjahr fast vollständig in ambulanter oder stationärer Behandlung. Deswegen handle es sich um eine schwere Persönlichkeitsstörung, der mit dem GdS von 80 ausreichend Rechnung getragen werde, welches sich auch mit den Feststellungen des Landratsamtes Breisgau-Hochschwarzwald im Bescheid vom 3. Juli 2007 decke. Die Klägerin erfülle auch die zusätzlichen Voraussetzungen des § 10 a Abs. 1 OEG. Das sei erforderlich, weil die Schädigung in der Zeit von 1961 bis 1972 und damit im Zeitraum vom 23. Mai 1949 bis 15. Mai 1976 geschehen sei. Die Klägerin sei allein infolge dieser Schädigung des sexuellen Missbrauchs schwerbeschädigt mit einem GdS von mindestens 50. Zudem sei sie, da sie Sozialhilfeleistungen nach dem SGB XII beziehe, auch bedürftig und habe ihren Wohnsitz in Deutschland im Geltungsbereich des OEG.
19 
Gegen das am 20. Januar 2011 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 10. Februar 2011 mit der Begründung Berufung eingelegt, es sei nicht nachvollziehbar, warum das SG noch ein aussagepsychologisches Gutachten über die Glaubwürdigkeit der Klägerin eingeholt habe, wenn es denn den Zeugenaussagen Glauben schenke. Das Gericht habe nicht ausreichend gewürdigt, warum die Zeugen zunächst keine konkreten Angaben gemacht hätten, obwohl sie bereits zuvor im Verwaltungsverfahren die Gelegenheit zur Schilderung konkreter Vorfälle gehabt hätten. Auch die selbst vorgetragene Erinnerungslosigkeit der Klägerin sei in keiner Weise berücksichtigt worden. Das Gutachten genüge nicht wissenschaftlichen Anforderungen. Denn der Sachverständige hätte nach der sogenannten Null-Hypothese vorgehen, d. h. zunächst unterstellen müssen, dass die Aussage der Klägerin unwahr sei. Hierzu bestünde auch deswegen besonderer Anlass, weil die Klägerin selbst zeitnah den damals behandelnden Ärzten geschildert habe, dass sie an ihrem Vater sehr gehangen und auch während mehrerer stationärer Behandlungen keine Angaben über einen sexuellen Missbrauch durch den Vater gemacht habe. Damals hätten die Ärzte zunächst auch erhebliche narzisstische Anteile oder eine schizoide Symptomatik beschrieben. Insoweit müsse auch geprüft werden, ob die therapeutischen Sitzungen nicht suggestive Einflüsse verfolgt hätten. Bei der Schilderung des Einseifens der Brust müsse berücksichtigt werden, dass das Waschen im Bad in der Badewanne erfolgt sei und es deswegen an einer Sexualbezogenheit der Handlung fehle. Auch habe die Schwester als Zeugin zunächst keine sexuellen Handlungen im Schlafzimmer geschildert, denn weder Vater noch Klägerin seien nackt gewesen oder hätten sexuelle Handlungen durchgeführt. Dies habe sie erst im Nachhinein angegeben.
20 
Der Beklagte beantragt,
21 
das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 10. Dezember 2010 insoweit aufzuheben, als die Klägerin nicht auf die Rechte aus dem Urteil verzichtet hat und die Klage insoweit abzuweisen,
22 
hilfsweise von Amts wegen ein Gutachten über die Glaubhaftigkeit der Angaben der Zeugin R. Q. sowie der Klägerin bei dem Institut für Gerichtspsychologie B. bei der Diplom Psychologin S. J. von J. einzuholen,
23 
hilfsweise die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zum BSG zuzulassen.
24 
Die Klägerin beantragt,
25 
die Berufung zurückzuweisen.
26 
Sie hat darauf hingewiesen, dass das SG keineswegs ein sogenanntes Glaubwürdigkeitsgutachten eingeholt habe, sondern der Auftrag an den Gutachter habe gelautet, die Angaben der Klägerin als wahr zu unterstellen. Deswegen finde die zitierte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) nur bedingt Anwendung. Grundsätzlich sei es ureigene Aufgabe des Gerichts, die Glaubwürdigkeit von Zeugen und Parteien zu beurteilen.
27 
Die Klägerin hat dem Senat den Versicherungsverlauf der Klägerin, erstellt durch die Deutsche Rentenversicherung, sowie weitere ärztliche Befundberichte vorgelegt.
28 
Die Vorsitzende hat den Rechtsstreit mit den Beteiligten am 30. August 2011 erörtert. Der daraufhin von dem Beklagten gestellte Befangenheitsantrag gegen die Vorsitzende wurde mit Beschluss des Senats vom 26. Oktober 2011 zurückgewiesen.
29 
Der Senat hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vom 15. Dezember 2011 noch einmal befragt und ihre Schwester R. Q. als Zeugin vernommen. Hinsichtlich der Einzelheiten ihrer Angaben wird auf die Niederschrift verwiesen. Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung auf die Rechte aus dem Urteil vom 10.12.2010 insoweit verzichtet, als ein sexueller Missbrauch auch für die Zeit von 1961 bis 1964 geltend gemacht und soweit der Klägerin Versorgung zugesprochen wurde.
30 
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtskaten erster und zweiter Instanz sowie die von dem Beklagten vorgelegte Verwaltungsakte verwiesen.

Entscheidungsgründe

 
31 
Die nach den §§ 143 und 144 SGG statthafte und nach § 151 SGG form- und fristgemäß eingelegte sowie auch im Übrigen zulässige Berufung des Beklagten ist unbegründet. Das SG hat zu Recht einen Anspruch der Klägerin auf Anerkennung einer seelischen Störung im Sinne einer posttraumatischen Belastungsstörung sowie einer rezidivierenden depressiven Störung als Folge von vorsätzlichen rechtswidrigen Angriffen ihres Vaters in der Zeit von 1965 bis 1972 bejaht und den Bescheid der Beklagten vom 28. November 2006 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 8. Februar 2007 deshalb aufgehoben. Soweit im angefochtenen Urteil ein Missbrauch auch für die Zeit von 1961 bis 1964 festgestellt und der Klägerin wegen der Folgen Versorgung aus dem OEG ab dem 1. September 2006 nach einem GdS von 80 zuerkannt worden ist, hat die Klägerin auf die Rechte aus dem Urteil verzichtet.
32 
Streitbefangen ist, nachdem die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat insoweit auf die Rechte aus dem angefochtenen Urteil verzichtet hat, im Wege der kombinierten Anfechtungs- und Feststellungsklage gemäß § 54 Abs. 1 und § 55 Abs. 1 Nr. 3 SGG die gerichtliche Feststellung des Vorliegens vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriffe im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG. Denn nachdem der Beklagte die Gewährung von Leistungen insgesamt mit der Begründung abgelehnt hat, ein solcher Angriff liege nicht vor, ist vorliegend in Ermangelung einer vom Beklagten getroffenen Verwaltungsentscheidung über konkrete Entschädigungsleistungen ein gerichtlicher Leistungsausspruch auf Gewährung von (unbenannten) Versorgungsleistungen nicht zulässig (vgl. zur Verneinung eines Versicherungsfalls durch den Unfallversicherungsträger im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung BSG, Urteil vom 15.02.2005 - B 2 U 1/04 R; Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 4. Auflage, Seite 162-165). Vielmehr ist zunächst die in Rede stehende und vom Beklagten verneinte Voraussetzung möglicher Leistungsansprüche im Wege der Feststellungsklage zu klären. Einem auf Gewährung von Beschädigtenversorgung gerichteten Leistungs- oder Verpflichtungsantrag kommt bei dieser Sachlage keine eigenständige Bedeutung zu (vgl. BSG, Urteil vom 15.02.2005, a. a. O., Urteil vom 07.09.2004, B 2 U 45/03 R in SozR 4-2700 § 2 Nr. 2).
33 
Anspruchsgrundlage für das klägerische Begehren ist § 1 OEG.
34 
Die Klägerin hat einen Anspruch auf Feststellung, denn sie wurde auch zur Überzeugung des Senats Opfer eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs im Sinne des § 1 Abs. 1 OEG, da sie während des Zeitraums von 1965 bis 1972 von ihrem Vater in der elterlichen Wohnung sexuell missbraucht wurde. Das hat das SG ausführlich begründet und überzeugend dargelegt. Der Senat nimmt daher ergänzend auf die Entscheidungsgründe des sorgfältig begründeten Urteils nach § 153 Abs. 2 SGG Bezug.
35 
Gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG, wer im Geltungsbereich des OEG infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat. Über die Voraussetzung hinaus, dass der tätliche Angriff im strafrechtlichen Sinn rechtswidrig sein muss, bestimmt § 2 Abs. 1 Satz 1 OEG, dass Leistungen zu versagen sind, wenn der Geschädigte die Schädigung verursacht hat oder wenn es aus sonstigen, insbesondere in dem eigenen Verhalten des Antragstellers liegenden Gründen unbillig wäre, Entschädigung zu gewähren.
36 
Der Senat geht bei der Beurteilung einer Handlung als vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG und der Eingrenzung des schädigenden Vorgangs als erstem Glied der versorgungsrechtlichen Ursachenkette von folgenden Erwägungen aus (vgl. zum Folgenden auch BSG, Urteil vom 07.04.2011 - B 9 VG 2/10 R - SGb 2011, 329):
37 
Grundsätzlich ist der Rechtsbegriff des tätlichen Angriffs nach § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG unter Bezugnahme auf seine im Strafrecht gewonnene Bedeutung (§§ 113, 121 Strafgesetzbuch - StGB) auszulegen. Danach liegt ein tätlicher Angriff bei einer in feindseliger Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielenden gewaltsamen Einwirkung vor (BSG, Urteil vom 29.04.2010 - B 9 VG 1/09 R - SozR 4-3800 § 1 Nr. 17). Soweit eine "gewaltsame" Einwirkung vorausgesetzt wird, zeichnet sich der tätliche Angriff abweichend von dem im Strafrecht umstrittenen Gewaltbegriff im Sinne des § 240 StGB grundsätzlich durch eine körperliche Gewaltanwendung gegen eine Person aus, wirkt also körperlich (physisch) auf einen anderen ein; dies entspricht in etwa dem strafrechtlichen Begriffsverständnis der Gewalt im Sinne des § 113 Abs. 1 StGB als einer durch tätiges Handeln bewirkten Kraftäußerung, d.h. als tätiger Einsatz materieller Zwangsmittel, insbesondere körperlicher Kraft. Ein tätlicher Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG liegt im Regelfall bei einem gewaltsamen, handgreiflichen Vorgehen gegen eine Person vor, setzt jedoch nach seiner äußeren Gestalt nicht unbedingt ein aggressives Verhalten des Täters voraus (vgl. BSG, Urteile vom 18.10.1995 - 9 RVg 4/93 und 9 RVg 7/93 - SozR 3-3800 § 1 Nr. 6 bzw SozR 3-3800 § 1 Nr. 7 zum sexuellen Missbrauch an Kindern). Gewalttat im Sinne des OEG kann daher auch der "gewaltlose" sexuelle Missbrauch eines Kindes sein.
38 
Dabei müssen die von der Klägerin geltend gemachten Missbrauchshandlungen nachgewiesen, d.h. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bzw. mit einem so hohen Grad der Wahrscheinlichkeit festgestellt worden sein, dass kein vernünftiger Mensch noch zweifelt (vgl. BSG, Urteil vom 28.06.2000 - B 9 VG 3/99 R - SozR 3-3900 § 15 Nr. 3 m.w.N; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 9. Aufl. 2008, § 128 Rn 3b).
39 
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme vor dem Senat, insbesondere der Zeugenvernehmung ihrer Schwester in der mündlichen Verhandlung, ist der Senat davon überzeugt, dass die Klägerin von 1965 bis 1972 von ihrem Vater in der elterlichen Wohnung sexuell missbraucht worden ist. Keiner Entscheidung bedurfte, ob auch für die Zeit von 1961 bis 1964 entsprechende Missbrauchshandlungen nachgewiesen sind, nachdem die Klägerin insoweit auf ihre Rechte aus dem stattgebenden Urteil des SG verzichtet hat. Wie bereits das SG stützt sich der Senat auf die glaubhaften Angaben der Zeugin Q. sowie ihre schriftlichen Aussagen, die schriftlichen Angaben ihrer Mutter und die Einlassungen der Klägerin. Ob der Sachverständige Dr. Sch. bei der Einschätzung der Glaubwürdigkeit der Klägerin den wissenschaftlichen Anforderungen an aussagepsychologische Begutachtungen (Glaubhaftigkeitsgutachten) entsprochen hat, kommt es daher nicht an.
40 
Da der Senat seine Überzeugung anhand der Zeugenaussage wie des Akteninhalts getroffen hat, kann dahingestellt bleiben, ob bei der Glaubhaftigkeitsprüfung der klägerischen Angaben durch einen medizinischen Sachverständigen von der sogenannten Nullhypothese (BGH, Urteil vom 30. Juli 1999 - 1 StR 618/98 - BGHSt 45, 164) ausgegangen werden muss, wonach die Glaubhaftigkeit der spezifischen Aussage so lange zu negieren ist, bis die Negation mit den gesammelten Fakten nicht mehr vereinbar ist und weitere Hypothesen gebildet werden, in denen Möglichkeiten als Erklärung für eine - unterstellt - unwahre Aussage zu prüfen sind (so aber Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 30.06.2005 - L 15 VG 13/02 - zit. nach Juris). Der Senat weist indessen darauf hin, dass aus seiner Sicht erhebliche Zweifel an der Anwendbarkeit der Nullhypothese im sozialgerichtlichen Verfahren bestehen. Denn während im OEG der Grundsatz des § 15 KOVVfG, also eine Beweiserleichterung für das Opfer gilt, geht das strafgerichtliche Verfahren von der Unschuldsvermutung des Täters (in dubio pro reo) aus. Deswegen ist es auch aufgrund der Besonderheiten des Strafrechts gerechtfertigt, als Arbeitshypothese des im Strafverfahren erstatteten Gutachtens von der Unschuld des Täters auszugehen. Des Weiteren gestaltet sich die Gutachtenserstattung in beiden Verfahrensordnungen wesentlich anders; während im sozialgerichtlichen Verfahren der Sachverständige sein Gutachten allein aufgrund der Aktenlage und der Untersuchung der klägerischen Partei erstattet, ist der Sachverständige im Strafprozess während der kompletten Strafverhandlung anwesend, kann also ganz andere Momente - hier insbesondere den Eindruck vom Täter, aber auch von Tatzeugen - in die Begutachtung einfließen lassen, deren Ergebnis er erst am Ende der Hauptverhandlung dem erkennenden Gericht übermittelt.
41 
Der Senat konnte vorliegend entscheiden, ohne die von dem Beklagten beantragten Gutachten über die Glaubhaftigkeit der Angaben der Zeugin R. Q. sowie der Klägerin einzuholen. Denn die Würdigung von Aussagen nicht nur erwachsener, sondern auch kindlicher oder jugendlicher Zeugen gehört zum Wesen richterlicher Rechtsfindung und ist daher grundsätzlich dem Tatrichter anvertraut. Eine aussagepsychologische Begutachtung (Glaubhaftigkeitsgutachten) kommt nur in besonderen Ausnahmefällen in Betracht, nämlich wenn dem Gericht die Sachkunde für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit fehlt (BGHSt 45, 182). Die Einholung eines Glaubhaftigkeitsgutachtens kann nur geboten sein, wenn der Sachverhalt oder die Aussageperson solche Besonderheiten aufweist, die eine Sachkunde erfordern, die ein Richter normalerweise nicht hat (st.Rspr.; BGH, Beschluss vom 25.04.2006 - 1 StR 579/05 und BGH, Beschluss vom 22.06.2000 - 5 StR 209/00; zuletzt Saarländisches OLG, Urteil vom 13.07.2011 - 1 U 32/08 - jeweils zit. nach Juris). Das ist vorliegend nicht der Fall. Weder weisen die Aussagepersonen solche Besonderheiten auf, diese sind von dem Beklagten trotz dem ausdrücklichen Hinweis auf die Rechtsprechung auch nicht aufgezeigt worden, noch ist der Sachverhalt besonders gelagert, sondern kann im Kern durch die Beobachtungen einer Zeugin gestützt werden.
42 
Als aufgrund der Zeugenaussage nachgewiesene sexuelle Handlungen im Sinne eines Missbrauchs der Klägerin nimmt der Senat das Waschen der weiblichen Brust sowie die Vorgänge im elterlichen Schlafzimmer mit der beobachteten oralen Befriedigung an. Dabei muss nicht im Einzelnen jeder sexuelle Missbrauch in zeitlicher Hinsicht weiter konkretisiert werden, was gerade bei Sexualdelikten deliktstypisch im Nachhinein nicht mehr möglich ist (so auch LArbG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 20.07.2011 - 26 Sa 1269/10 - zit. nach Juris).
43 
Der Senat hält die Aussagen der Zeugin Q. für glaubhaft. Die Konstanzanalyse ihrer Aussage ergibt, dass die dem Vater vorgeworfenen Handlungen im Kern übereinstimmend dargestellt werden. Die Aussage erweist sich somit über die beiden Vernehmungen beim SG und LSG hinweg als konstant. Die kriterienorientierte Analyse der getätigten Aussage weist im Ergebnis deutliche Kennzeichen einer erlebnisbezogenen Darstellung auf, so z.B. die Schilderung des verdunkelten Zimmers und der Schlafgewohnheiten der unter beengten Verhältnissen lebenden Familie. Es finden sich in ihrer Aussage zudem Einzelheiten, wie der genaue Ablauf des Waschens der Brust ihrer Schwester, der Klägerin, ein Sachverhalt, der nicht nur von ihrer Mutter bestätigt wurde, sondern im Falle einer bewussten Falschbeschuldigung eher unwahrscheinlich ist. Sie hat sich nicht als suggestibel erwiesen und generell keinen besonderen Belastungseifer gezeigt, so nur den einen Vorfall oraler Befriedigung geschildert und auf wiederholte Nachfrage angegeben, dass sie nicht wusste, was ihr Vater so lange im Zimmer mit der Klägerin macht. Ihre Scham über das Erlebte hat sie dem Senat authentisch zu vermitteln vermocht. Die Zeugin hat auch keine Persönlichkeitsauffälligkeiten (etwa im Sinne histrionischer, geltungsbedürftiger Bestrebungen) gezeigt.
44 
Die Zeugin hat glaubhaft bereits in einem sehr frühen Verfahrensstadium, nämlich schriftlich am 16. Oktober 2006 geschildert, dass sie selbst gesehen hat, wie ihr Vater der Klägerin gegen ihren Willen die Brüste eingeseift und mit ihr bei dem „mittäglichen Schlafritual“ regelrecht verkeilt im Bett gelegen ist. Letztere Haltung lässt bereits ohne die konkrete Schilderung sexueller Handlungen Rückschlüsse auf sexuellen Missbrauch zu, denn bei einem reinen Mittagsschlaf liegen die Körper, schon um in Ruhe zu kommen, nebeneinander. Sie hat diese Angaben als Zeugin beim SG und in der Senatsverhandlung bestätigt. Insofern ist unbeachtlich, dass sie zunächst schriftlich angegeben hat, dass die Klägerin ihr nichts von einem Missbrauch erzählt hat, denn sie kannte ihn bereits aus eigener Anschauung. Dieser Umstand macht aber die Aussage der Klägerin, sie habe unter einer Amnesie gelitten, d.h. ihre Wahrnehmung habe an der Schlafzimmertür geendet, umso glaubhafter. Denn das erklärt, warum die Klägerin zunächst weder ihren Angehörigen - bis auf die Vorfalle mit dem Einseifen der Brust, die aber bereits von den anderen beobachtet wurden - wie den damals behandelnden Ärzten keine Missbrauchserlebnisse geschildert hat und auch nicht konnte.
45 
Dass der Beklagte darin keine sexuelle Handlung sehen will, weil das Einseifen in der Badewanne geschehen ist und der Vater im Bett angezogen war, ist aus Sicht des Senats lebensfremd. Denn die Zeugin hat nicht nur bestätigt, dass die Handlungen gegen den ausdrücklichen Willen der Klägerin geschehen sind. Der Beklagte hat auch unbeachtet gelassen, dass solche Handlungen vielleicht noch bei einem Kleinkind normal sein können, nicht aber bei einer Heranwachsenden mit sich entwickelnden Brüsten und Geschlechtsreife. Wenn es sich bei dieser Familie um eine normale Waschung oder den normalen Mittagsschlaf gehandelt hätte, so hätte der Vater auch das andere Kind, nämlich die Zeugin waschen und mit ins Bett nehmen müssen. Das hat aber die Zeugin auf Nachfrage ausdrücklich verneint. Die sexuelle Motivation des Vaters wird schließlich eindrucksvoll durch die schriftliche Einlassung der Mutter bestätigt, die, als sie ihren Mann zur Rede gestellt hat, sich von diesem sagen lassen musste, dass er mit seiner Tochter, der Klägerin, die Sachen machen kann, die er mit seiner Ehefrau nicht machen will.
46 
Dass die konkrete Begebenheit, dass die Klägerin den Penis ihres Vaters in den Mund nehmen musste, von der Zeugin erst während des gerichtlichen Verfahrens geschildert worden ist, macht ihre Angaben auch aus Sicht des Senats nicht insgesamt unglaubwürdig. Denn die Zeugin hat das Geschehen nicht nur so detailgetreu geschildert, dass sie den Vorgang selbst erlebt haben muss. Sie hat auch ein nachvollziehbares Motiv für ihre späte Aussage geschildert, nämlich die anfängliche Scham zum einen über die familiären Vorgänge überhaupt, dann aber die Schuldgefühle, darüber geschwiegen und damit den Missbrauch erst möglich gemacht zu haben. Diese Motivation erklärt auch hinlänglich die angeblichen Diskrepanzen in den Aussagen der Familienangehörigen.
47 
Die durch die beiden Zeuginnen, nämlich die Mutter und die Schwester, beschriebenen einzelnen Handlungen bestätigten die Angaben der Klägerin über den jahrelangen sexuellen Missbrauch durch ihren Vater insgesamt. Der Missbrauch ging naturgemäß mit einer engen Vater-Tochter-Beziehung einher (so auch Fachklinik H., Entlassungsbericht vom 19.06.1998, Bl. 32 V-Akte), was die Angaben aus Sicht des Senats deswegen aber nicht - wie der Beklagte meint - unglaubhaft macht. Vielmehr handelt es sich zur Überzeugung des Senats um das geradezu typische Umfeld, in dem Gewalt und sexuelle Übergriffe auf Kinder geschehen. Die Klägerin erinnert nunmehr auch die sexuellen Übergriffe ihres Vaters (Entlassungsbericht Fachklinik H., Bl. 29 V-Akte). So hat sie dem SG glaubhaft geschildert, dass sie, während sie zwischen den Beinen ihres Vaters lag, sein Glied nicht nur anfassen, sondern in den Mund nehmen musste. Dabei hat er ihren Kopf in beide Hände genommen und ihn dahin geführt, wo er ihn haben wollte. Hingegen ist ein Geschlechtsverkehr nicht nachgewiesen, die Klägerin kann einen solchen auch nicht erinnern. Der Umstand, dass die Klägerin solche Einzelheiten schildern kann und dabei genau abgrenzt, was sie nicht mehr weiß, belegt die Glaubhaftigkeit ihrer Angaben. Denn Aussagekonstanz und die fehlende Motivation, zu Unrecht zu belasten, sind gerade Kriterien für die Bewertung einer Aussage.
48 
Der fortgesetzte Missbrauch hat dann zu einer posttraumatischen Belastungsstörung wie einer andauernden Persönlichkeitsveränderung nach Extrembelastung geführt. Der Senat stützt sich insoweit auf das Gutachten von Dr. Sch., dessen Diagnostik in Übereinstimmung mit den Befunden der behandelnden Ärzte steht.
49 
Der Senat orientiert sich bei der Prüfung, welche gesundheitlichen Schäden Folge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs sind, an der seit 01.01.2009 an die Stelle der bis zum 31.12.2008 im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung als antizipierte Sachverständigengutachten angewandten (BSG, Urteil vom 23.06.1993 - 9/9a RVs 1/91 - BSGE 72, 285; BSG, Urteil vom 09.04.1997 - 9 RVs 4/95 - SozR 3-3870 § 4 Nr. 19; BSG, Urteil vom 18.09.2003 - B 9 SB 3/02 R - BSGE 190, 205; BSG, Urteil vom 29.08.1990 - 9a/9 RVs 7/89 - BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 1) Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2 SGB IX)“ (AHP) 2008 getretenen Anlage „Versorgungsmedizinische Grundsätze“ (VG) zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG (Versorgungsmedizin-Verordnung; VersMedV).
50 
Danach wird als Schädigungsfolge im sozialen Entschädigungsrecht jede Gesundheitsstörung bezeichnet, die in ursächlichem Zusammenhang mit einer Schädigung steht, die nach dem entsprechenden Gesetz zu berücksichtigen ist (VG Teil A Nr. 1 a) und ist Ursache im Sinne der Versorgungsgesetze die Bedingung im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg an dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt hat (VG Teil C Nr. 1 b Satz 1).
51 
Zu den Fakten, die vor der Beurteilung eines ursächlichen Zusammenhangs geklärt („voll bewiesen“) sein müssen, gehören der schädigende Vorgang (dazu siehe oben), die gesundheitliche Schädigung und die zu beurteilende Gesundheitsstörung (VG Teil C Nr. 2 a). Der schädigende Vorgang ist das Ereignis, das zu einer Gesundheitsschädigung führt (VG Teil C Nr. 2 b Satz 1 Halbsatz 1). Die gesundheitliche Schädigung ist die primäre Beeinträchtigung der Gesundheit durch den schädigenden Vorgang (VG Teil C Nr. 2 c Halbsatz 1). Zwischen dem schädigenden Vorgang und der Gesundheitsstörung muss eine nicht unterbrochene Kausalkette bestehen, die mit den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft und den ärztlichen Erfahrungen im Einklang steht. Dabei sind Brückensymptome oft notwendige Bindeglieder. Fehlen Brückensymptome, so ist die Zusammenhangsfrage besonders sorgfältig zu prüfen und die Stellungnahme anhand eindeutiger objektiver Befunde überzeugend wissenschaftlich zu begründen (VG Teil C Nr. 2 d Sätze 1 bis 3).
52 
Für die Annahme, dass eine Gesundheitsstörung Folge einer Schädigung ist, genügt versorgungsrechtlich die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs. Sie ist gegeben, wenn nach der geltenden medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang spricht (VG Teil C Nr. 3 a Sätze 1 und 2). Grundlage für die medizinische Beurteilung sind die von der herrschenden wissenschaftlichen Lehrmeinung vertretenen Erkenntnisse über Ätiologie und Pathogenese (VG Teil C Nr. 3 b Satz 1). Aus dem Umstand, dass der Zusammenhang der Gesundheitsstörung mit einem schädigenden Vorgang nach wissenschaftlicher Erkenntnis nicht ausgeschlossen werden kann, lässt sich nicht folgern, dass er darum wahrscheinlich sei. Ebenso wenig kann das Vorliegen einer Schädigungsfolge bejaht werden, wenn ein ursächlicher Zusammenhang nur möglich ist (VG Teil C Nr. 3 d Sätze 1 und 2).
53 
Unter Berücksichtigung der oben dargelegten Grundsätze ist der Senat ebenso wie das SG zu dem Ergebnis gelangt, dass die seelische Störung im Sinne einer posttraumatischen Belastungsstörung sowie einer rezidivierenden depressiven Störung Folge der vorsätzlichen rechtswidrigen Angriffe ihres Vaters in der Zeit von 1961 bis 1972 ist.
54 
Zur Anerkennung einer psychischen Störung als Folge eines tätlichen rechtswidrigen Angriffs ist eine exakte Diagnose der Krankheit nach einem der international anerkannten Diagnosesysteme erforderlich (so BSG, Urteil vom 09.05.2006 - B 2 U 1/05 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 17). Bei der Beurteilung der Frage, ob bei der Klägerin eine posttraumatische Belastungsstörung oder andauernde Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung vorliegt, berücksichtigt der Senat die Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme - 10. Revision - (ICD 10) und das Diagnostische und Statistische Manual psychischer Störungen - Textrevision - (DSM-IV-TR).
55 
Bei der posttraumatischen Belastungsstörung handelt es sich um eine Gesundheitsstörung nach ICD-10 F 43.1 beziehungsweise DSM-IV-TR 309.81.
56 
Typische Merkmale im Rahmen einer posttraumatischen Belastungsstörung sind danach das wiederholte Erleben des Traumas in sich aufdrängenden Erinnerungen (Nachhallerinnerungen, Flashbacks), Träumen oder Alpträumen, die vor dem Hintergrund eines andauernden Gefühls von Betäubtsein und emotionaler Stumpfheit auftreten. Ferner finden sich Gleichgültigkeit gegenüber anderen Menschen, Teilnahmslosigkeit der Umgebung gegenüber, Freudlosigkeit sowie Vermeidung von Aktivitäten und Situationen, die Erinnerungen an das Trauma wachrufen könnten. Meist tritt ein Zustand von vegetativer Übererregtheit mit Vigilanzsteigerung, einer übermäßigen Schreckhaftigkeit und Schlafstörung auf. Angst und Depression sind häufig mit den genannten Symptomen und Merkmalen assoziiert und Suizidgedanken sind nicht selten (vgl. BSG, Urteil vom 09.05.2006 - B 2 U 40/05 R - a.a.O.).
57 
Unter Zugrundelegung dieser Kriterien ist die erforderliche Belastung katastrophalen Ausmaßes in dem jahrelangen fortgesetzten sexuellen Missbrauch bereits als kleines Kind zu sehen, der bei der Klägerin zu einer erheblichen Störung ihrer Sexualität und letztlich dazu geführt hat, dass sie nicht nur andauernder Medikation und ärztlicher Hilfe bedarf, sondern weder in Beziehungen noch im Berufsleben Fuß fassen konnte. Dr. Sch. hat in diesem Zusammenhang ein ausgeprägtes Misstrauen bis hin zur Vermeidung sozialer Kontakte aufgrund der traumatischen Beziehungserfahrungen beschrieben. Sie leidet an einer gestörten Affektregulation bei Suizidalität, Risikoverhalten und fremdaggressiven Verhalten, so dass das Krankheitsbild deswegen diagnostisch genau von der Borderline-Störung abgegrenzt werden kann. Auch die früher diskutierte Schizophrenie oder affektive Psychose mit den typischen Symptomen haben sich, wie Dr. Sch. herausgearbeitet hat, im jahrzehntelangen Verlauf nicht bestätigen lassen. Auch insoweit geht der Einwand des Beklagten fehl. Dabei war für den Senat auch von maßgebender Bedeutung, dass die Klägerin schon in sehr frühem Alter erstmals psychisch auffällig wurde, nämlich bemerkenswerterweise im Zusammenhang mit dem ersten Geschlechtsverkehr mit ihrem damaligen Freund. Der Senat entnimmt das dem Arztbericht vom 15. Oktober 1976, in dem die Klägerin als infantil („wie eine Schülerin“) geschildert wird, die beim Thema Geschlechtsverkehr rot wird, aufspringt und weinend das Zimmer verlässt, was in der damaligen Zeit und bei dem Lebensalter der Klägerin höchst ungewöhnlich war und deswegen auch zu der Therapieempfehlung in einer Psychosomatischen Klinik geführt hat. Dass damals und in der Folgezeit die Fehldiagnose einer konversationsneurotischen Symptomatik gestellt wurde, ist aus Sicht des Senats hinlänglich durch den Psychotherapeuten H. erklärt worden. Die Richtigkeit seiner Einschätzung wird aus Sicht des Senats dadurch belegt, dass die Klägerin auch noch bei dem Sachverständigen Dr. Sch. ihre körperlichen und psychischen Beschwerden in keiner Weise demonstrativ verdeutlichte, es an jeglichem „zweckgerichteten Verhalten“ fehlen ließ, sondern sich bemühte einen die Situation beherrschenden Eindruck zu hinterlassen, was aber deutlich als Schutz- und Abwehrmechanismus zu erkennen war.
58 
Dass mit hinreichender Wahrscheinlichkeit die Erkrankung der Klägerin im Sinne der Alleinverursachung auf die beschriebenen Gewaltvorfälle in Kindheit und Jugend zurückgeführt werden kam, hat der Sachverständige Dr. Sch. auch zur Überzeugung des Senats nachvollziehbar dargelegt. Soweit der Beklagte bemängelt hat, dass er sich mit Alternativursachen nicht ausreichend auseinander gesetzt hat, so übersieht der Beklagte bereits, dass die Klägerin andere ähnlich traumatisierende Erfahrungen in ihren beiden Ehen nicht gehabt und demzufolge auch niemals geschildert hat. Vielmehr ist die Aidserkrankung bei ihrem zweiten Mann nicht ausgebrochen, sie kann auch heute noch täglich telefonischen Umgang mit ihm pflegen. Außerdem war die Klägerin bereits psychisch vor ihren Ehen auffällig, die Otosklerose ist erst weit nach der posttraumatischen Belastungsstörung diagnostiziert worden.
59 
Bei der andauernden Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung handelt es sich um eine Gesundheitsstörung nach ICD-10 F 62.0. Eine entsprechende Kodierung im DSM-IV-TR ist nicht erfolgt. In DSM-IV-TR sind diverse Arten von Persönlichkeitsstörungen, allerdings nicht eine solche nach Extrembelastung, definiert. In DSM-IV-TR 301.9 ist die „nicht näher bezeichnete Persönlichkeitsstörung“ beschrieben. Hierzu wird ausgeführt, es sei auch die Vergabe einer spezifischen Diagnose nach ICD-10 F 61 oder 62 zu erwägen (Saß, Wittchen, Zaudig, Houben; Diagnostische Kriterien DSM-IV-TR, S. 35 und 265).
60 
Der Senat hat in Auswertung des Sachverständigengutachtens auch keine Zweifel daran, dass bei der Klägerin eine andauernde Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung vorliegt.
61 
Die Berufung war daher zurückzuweisen, wobei die Kostenentscheidung auf § 193 SGG beruht. Hierbei fiel die Verurteilung des Beklagten zu einer Leistung, auf die die Klägerin in der Senatsverhandlung verzichtet hat, kostenmäßig nicht ins Gewicht, so dass der Senat von einer Kostenquotelung abgesehen hat.
62 
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.

Gründe

 
31 
Die nach den §§ 143 und 144 SGG statthafte und nach § 151 SGG form- und fristgemäß eingelegte sowie auch im Übrigen zulässige Berufung des Beklagten ist unbegründet. Das SG hat zu Recht einen Anspruch der Klägerin auf Anerkennung einer seelischen Störung im Sinne einer posttraumatischen Belastungsstörung sowie einer rezidivierenden depressiven Störung als Folge von vorsätzlichen rechtswidrigen Angriffen ihres Vaters in der Zeit von 1965 bis 1972 bejaht und den Bescheid der Beklagten vom 28. November 2006 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 8. Februar 2007 deshalb aufgehoben. Soweit im angefochtenen Urteil ein Missbrauch auch für die Zeit von 1961 bis 1964 festgestellt und der Klägerin wegen der Folgen Versorgung aus dem OEG ab dem 1. September 2006 nach einem GdS von 80 zuerkannt worden ist, hat die Klägerin auf die Rechte aus dem Urteil verzichtet.
32 
Streitbefangen ist, nachdem die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat insoweit auf die Rechte aus dem angefochtenen Urteil verzichtet hat, im Wege der kombinierten Anfechtungs- und Feststellungsklage gemäß § 54 Abs. 1 und § 55 Abs. 1 Nr. 3 SGG die gerichtliche Feststellung des Vorliegens vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriffe im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG. Denn nachdem der Beklagte die Gewährung von Leistungen insgesamt mit der Begründung abgelehnt hat, ein solcher Angriff liege nicht vor, ist vorliegend in Ermangelung einer vom Beklagten getroffenen Verwaltungsentscheidung über konkrete Entschädigungsleistungen ein gerichtlicher Leistungsausspruch auf Gewährung von (unbenannten) Versorgungsleistungen nicht zulässig (vgl. zur Verneinung eines Versicherungsfalls durch den Unfallversicherungsträger im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung BSG, Urteil vom 15.02.2005 - B 2 U 1/04 R; Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 4. Auflage, Seite 162-165). Vielmehr ist zunächst die in Rede stehende und vom Beklagten verneinte Voraussetzung möglicher Leistungsansprüche im Wege der Feststellungsklage zu klären. Einem auf Gewährung von Beschädigtenversorgung gerichteten Leistungs- oder Verpflichtungsantrag kommt bei dieser Sachlage keine eigenständige Bedeutung zu (vgl. BSG, Urteil vom 15.02.2005, a. a. O., Urteil vom 07.09.2004, B 2 U 45/03 R in SozR 4-2700 § 2 Nr. 2).
33 
Anspruchsgrundlage für das klägerische Begehren ist § 1 OEG.
34 
Die Klägerin hat einen Anspruch auf Feststellung, denn sie wurde auch zur Überzeugung des Senats Opfer eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs im Sinne des § 1 Abs. 1 OEG, da sie während des Zeitraums von 1965 bis 1972 von ihrem Vater in der elterlichen Wohnung sexuell missbraucht wurde. Das hat das SG ausführlich begründet und überzeugend dargelegt. Der Senat nimmt daher ergänzend auf die Entscheidungsgründe des sorgfältig begründeten Urteils nach § 153 Abs. 2 SGG Bezug.
35 
Gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG, wer im Geltungsbereich des OEG infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat. Über die Voraussetzung hinaus, dass der tätliche Angriff im strafrechtlichen Sinn rechtswidrig sein muss, bestimmt § 2 Abs. 1 Satz 1 OEG, dass Leistungen zu versagen sind, wenn der Geschädigte die Schädigung verursacht hat oder wenn es aus sonstigen, insbesondere in dem eigenen Verhalten des Antragstellers liegenden Gründen unbillig wäre, Entschädigung zu gewähren.
36 
Der Senat geht bei der Beurteilung einer Handlung als vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG und der Eingrenzung des schädigenden Vorgangs als erstem Glied der versorgungsrechtlichen Ursachenkette von folgenden Erwägungen aus (vgl. zum Folgenden auch BSG, Urteil vom 07.04.2011 - B 9 VG 2/10 R - SGb 2011, 329):
37 
Grundsätzlich ist der Rechtsbegriff des tätlichen Angriffs nach § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG unter Bezugnahme auf seine im Strafrecht gewonnene Bedeutung (§§ 113, 121 Strafgesetzbuch - StGB) auszulegen. Danach liegt ein tätlicher Angriff bei einer in feindseliger Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielenden gewaltsamen Einwirkung vor (BSG, Urteil vom 29.04.2010 - B 9 VG 1/09 R - SozR 4-3800 § 1 Nr. 17). Soweit eine "gewaltsame" Einwirkung vorausgesetzt wird, zeichnet sich der tätliche Angriff abweichend von dem im Strafrecht umstrittenen Gewaltbegriff im Sinne des § 240 StGB grundsätzlich durch eine körperliche Gewaltanwendung gegen eine Person aus, wirkt also körperlich (physisch) auf einen anderen ein; dies entspricht in etwa dem strafrechtlichen Begriffsverständnis der Gewalt im Sinne des § 113 Abs. 1 StGB als einer durch tätiges Handeln bewirkten Kraftäußerung, d.h. als tätiger Einsatz materieller Zwangsmittel, insbesondere körperlicher Kraft. Ein tätlicher Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG liegt im Regelfall bei einem gewaltsamen, handgreiflichen Vorgehen gegen eine Person vor, setzt jedoch nach seiner äußeren Gestalt nicht unbedingt ein aggressives Verhalten des Täters voraus (vgl. BSG, Urteile vom 18.10.1995 - 9 RVg 4/93 und 9 RVg 7/93 - SozR 3-3800 § 1 Nr. 6 bzw SozR 3-3800 § 1 Nr. 7 zum sexuellen Missbrauch an Kindern). Gewalttat im Sinne des OEG kann daher auch der "gewaltlose" sexuelle Missbrauch eines Kindes sein.
38 
Dabei müssen die von der Klägerin geltend gemachten Missbrauchshandlungen nachgewiesen, d.h. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bzw. mit einem so hohen Grad der Wahrscheinlichkeit festgestellt worden sein, dass kein vernünftiger Mensch noch zweifelt (vgl. BSG, Urteil vom 28.06.2000 - B 9 VG 3/99 R - SozR 3-3900 § 15 Nr. 3 m.w.N; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 9. Aufl. 2008, § 128 Rn 3b).
39 
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme vor dem Senat, insbesondere der Zeugenvernehmung ihrer Schwester in der mündlichen Verhandlung, ist der Senat davon überzeugt, dass die Klägerin von 1965 bis 1972 von ihrem Vater in der elterlichen Wohnung sexuell missbraucht worden ist. Keiner Entscheidung bedurfte, ob auch für die Zeit von 1961 bis 1964 entsprechende Missbrauchshandlungen nachgewiesen sind, nachdem die Klägerin insoweit auf ihre Rechte aus dem stattgebenden Urteil des SG verzichtet hat. Wie bereits das SG stützt sich der Senat auf die glaubhaften Angaben der Zeugin Q. sowie ihre schriftlichen Aussagen, die schriftlichen Angaben ihrer Mutter und die Einlassungen der Klägerin. Ob der Sachverständige Dr. Sch. bei der Einschätzung der Glaubwürdigkeit der Klägerin den wissenschaftlichen Anforderungen an aussagepsychologische Begutachtungen (Glaubhaftigkeitsgutachten) entsprochen hat, kommt es daher nicht an.
40 
Da der Senat seine Überzeugung anhand der Zeugenaussage wie des Akteninhalts getroffen hat, kann dahingestellt bleiben, ob bei der Glaubhaftigkeitsprüfung der klägerischen Angaben durch einen medizinischen Sachverständigen von der sogenannten Nullhypothese (BGH, Urteil vom 30. Juli 1999 - 1 StR 618/98 - BGHSt 45, 164) ausgegangen werden muss, wonach die Glaubhaftigkeit der spezifischen Aussage so lange zu negieren ist, bis die Negation mit den gesammelten Fakten nicht mehr vereinbar ist und weitere Hypothesen gebildet werden, in denen Möglichkeiten als Erklärung für eine - unterstellt - unwahre Aussage zu prüfen sind (so aber Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 30.06.2005 - L 15 VG 13/02 - zit. nach Juris). Der Senat weist indessen darauf hin, dass aus seiner Sicht erhebliche Zweifel an der Anwendbarkeit der Nullhypothese im sozialgerichtlichen Verfahren bestehen. Denn während im OEG der Grundsatz des § 15 KOVVfG, also eine Beweiserleichterung für das Opfer gilt, geht das strafgerichtliche Verfahren von der Unschuldsvermutung des Täters (in dubio pro reo) aus. Deswegen ist es auch aufgrund der Besonderheiten des Strafrechts gerechtfertigt, als Arbeitshypothese des im Strafverfahren erstatteten Gutachtens von der Unschuld des Täters auszugehen. Des Weiteren gestaltet sich die Gutachtenserstattung in beiden Verfahrensordnungen wesentlich anders; während im sozialgerichtlichen Verfahren der Sachverständige sein Gutachten allein aufgrund der Aktenlage und der Untersuchung der klägerischen Partei erstattet, ist der Sachverständige im Strafprozess während der kompletten Strafverhandlung anwesend, kann also ganz andere Momente - hier insbesondere den Eindruck vom Täter, aber auch von Tatzeugen - in die Begutachtung einfließen lassen, deren Ergebnis er erst am Ende der Hauptverhandlung dem erkennenden Gericht übermittelt.
41 
Der Senat konnte vorliegend entscheiden, ohne die von dem Beklagten beantragten Gutachten über die Glaubhaftigkeit der Angaben der Zeugin R. Q. sowie der Klägerin einzuholen. Denn die Würdigung von Aussagen nicht nur erwachsener, sondern auch kindlicher oder jugendlicher Zeugen gehört zum Wesen richterlicher Rechtsfindung und ist daher grundsätzlich dem Tatrichter anvertraut. Eine aussagepsychologische Begutachtung (Glaubhaftigkeitsgutachten) kommt nur in besonderen Ausnahmefällen in Betracht, nämlich wenn dem Gericht die Sachkunde für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit fehlt (BGHSt 45, 182). Die Einholung eines Glaubhaftigkeitsgutachtens kann nur geboten sein, wenn der Sachverhalt oder die Aussageperson solche Besonderheiten aufweist, die eine Sachkunde erfordern, die ein Richter normalerweise nicht hat (st.Rspr.; BGH, Beschluss vom 25.04.2006 - 1 StR 579/05 und BGH, Beschluss vom 22.06.2000 - 5 StR 209/00; zuletzt Saarländisches OLG, Urteil vom 13.07.2011 - 1 U 32/08 - jeweils zit. nach Juris). Das ist vorliegend nicht der Fall. Weder weisen die Aussagepersonen solche Besonderheiten auf, diese sind von dem Beklagten trotz dem ausdrücklichen Hinweis auf die Rechtsprechung auch nicht aufgezeigt worden, noch ist der Sachverhalt besonders gelagert, sondern kann im Kern durch die Beobachtungen einer Zeugin gestützt werden.
42 
Als aufgrund der Zeugenaussage nachgewiesene sexuelle Handlungen im Sinne eines Missbrauchs der Klägerin nimmt der Senat das Waschen der weiblichen Brust sowie die Vorgänge im elterlichen Schlafzimmer mit der beobachteten oralen Befriedigung an. Dabei muss nicht im Einzelnen jeder sexuelle Missbrauch in zeitlicher Hinsicht weiter konkretisiert werden, was gerade bei Sexualdelikten deliktstypisch im Nachhinein nicht mehr möglich ist (so auch LArbG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 20.07.2011 - 26 Sa 1269/10 - zit. nach Juris).
43 
Der Senat hält die Aussagen der Zeugin Q. für glaubhaft. Die Konstanzanalyse ihrer Aussage ergibt, dass die dem Vater vorgeworfenen Handlungen im Kern übereinstimmend dargestellt werden. Die Aussage erweist sich somit über die beiden Vernehmungen beim SG und LSG hinweg als konstant. Die kriterienorientierte Analyse der getätigten Aussage weist im Ergebnis deutliche Kennzeichen einer erlebnisbezogenen Darstellung auf, so z.B. die Schilderung des verdunkelten Zimmers und der Schlafgewohnheiten der unter beengten Verhältnissen lebenden Familie. Es finden sich in ihrer Aussage zudem Einzelheiten, wie der genaue Ablauf des Waschens der Brust ihrer Schwester, der Klägerin, ein Sachverhalt, der nicht nur von ihrer Mutter bestätigt wurde, sondern im Falle einer bewussten Falschbeschuldigung eher unwahrscheinlich ist. Sie hat sich nicht als suggestibel erwiesen und generell keinen besonderen Belastungseifer gezeigt, so nur den einen Vorfall oraler Befriedigung geschildert und auf wiederholte Nachfrage angegeben, dass sie nicht wusste, was ihr Vater so lange im Zimmer mit der Klägerin macht. Ihre Scham über das Erlebte hat sie dem Senat authentisch zu vermitteln vermocht. Die Zeugin hat auch keine Persönlichkeitsauffälligkeiten (etwa im Sinne histrionischer, geltungsbedürftiger Bestrebungen) gezeigt.
44 
Die Zeugin hat glaubhaft bereits in einem sehr frühen Verfahrensstadium, nämlich schriftlich am 16. Oktober 2006 geschildert, dass sie selbst gesehen hat, wie ihr Vater der Klägerin gegen ihren Willen die Brüste eingeseift und mit ihr bei dem „mittäglichen Schlafritual“ regelrecht verkeilt im Bett gelegen ist. Letztere Haltung lässt bereits ohne die konkrete Schilderung sexueller Handlungen Rückschlüsse auf sexuellen Missbrauch zu, denn bei einem reinen Mittagsschlaf liegen die Körper, schon um in Ruhe zu kommen, nebeneinander. Sie hat diese Angaben als Zeugin beim SG und in der Senatsverhandlung bestätigt. Insofern ist unbeachtlich, dass sie zunächst schriftlich angegeben hat, dass die Klägerin ihr nichts von einem Missbrauch erzählt hat, denn sie kannte ihn bereits aus eigener Anschauung. Dieser Umstand macht aber die Aussage der Klägerin, sie habe unter einer Amnesie gelitten, d.h. ihre Wahrnehmung habe an der Schlafzimmertür geendet, umso glaubhafter. Denn das erklärt, warum die Klägerin zunächst weder ihren Angehörigen - bis auf die Vorfalle mit dem Einseifen der Brust, die aber bereits von den anderen beobachtet wurden - wie den damals behandelnden Ärzten keine Missbrauchserlebnisse geschildert hat und auch nicht konnte.
45 
Dass der Beklagte darin keine sexuelle Handlung sehen will, weil das Einseifen in der Badewanne geschehen ist und der Vater im Bett angezogen war, ist aus Sicht des Senats lebensfremd. Denn die Zeugin hat nicht nur bestätigt, dass die Handlungen gegen den ausdrücklichen Willen der Klägerin geschehen sind. Der Beklagte hat auch unbeachtet gelassen, dass solche Handlungen vielleicht noch bei einem Kleinkind normal sein können, nicht aber bei einer Heranwachsenden mit sich entwickelnden Brüsten und Geschlechtsreife. Wenn es sich bei dieser Familie um eine normale Waschung oder den normalen Mittagsschlaf gehandelt hätte, so hätte der Vater auch das andere Kind, nämlich die Zeugin waschen und mit ins Bett nehmen müssen. Das hat aber die Zeugin auf Nachfrage ausdrücklich verneint. Die sexuelle Motivation des Vaters wird schließlich eindrucksvoll durch die schriftliche Einlassung der Mutter bestätigt, die, als sie ihren Mann zur Rede gestellt hat, sich von diesem sagen lassen musste, dass er mit seiner Tochter, der Klägerin, die Sachen machen kann, die er mit seiner Ehefrau nicht machen will.
46 
Dass die konkrete Begebenheit, dass die Klägerin den Penis ihres Vaters in den Mund nehmen musste, von der Zeugin erst während des gerichtlichen Verfahrens geschildert worden ist, macht ihre Angaben auch aus Sicht des Senats nicht insgesamt unglaubwürdig. Denn die Zeugin hat das Geschehen nicht nur so detailgetreu geschildert, dass sie den Vorgang selbst erlebt haben muss. Sie hat auch ein nachvollziehbares Motiv für ihre späte Aussage geschildert, nämlich die anfängliche Scham zum einen über die familiären Vorgänge überhaupt, dann aber die Schuldgefühle, darüber geschwiegen und damit den Missbrauch erst möglich gemacht zu haben. Diese Motivation erklärt auch hinlänglich die angeblichen Diskrepanzen in den Aussagen der Familienangehörigen.
47 
Die durch die beiden Zeuginnen, nämlich die Mutter und die Schwester, beschriebenen einzelnen Handlungen bestätigten die Angaben der Klägerin über den jahrelangen sexuellen Missbrauch durch ihren Vater insgesamt. Der Missbrauch ging naturgemäß mit einer engen Vater-Tochter-Beziehung einher (so auch Fachklinik H., Entlassungsbericht vom 19.06.1998, Bl. 32 V-Akte), was die Angaben aus Sicht des Senats deswegen aber nicht - wie der Beklagte meint - unglaubhaft macht. Vielmehr handelt es sich zur Überzeugung des Senats um das geradezu typische Umfeld, in dem Gewalt und sexuelle Übergriffe auf Kinder geschehen. Die Klägerin erinnert nunmehr auch die sexuellen Übergriffe ihres Vaters (Entlassungsbericht Fachklinik H., Bl. 29 V-Akte). So hat sie dem SG glaubhaft geschildert, dass sie, während sie zwischen den Beinen ihres Vaters lag, sein Glied nicht nur anfassen, sondern in den Mund nehmen musste. Dabei hat er ihren Kopf in beide Hände genommen und ihn dahin geführt, wo er ihn haben wollte. Hingegen ist ein Geschlechtsverkehr nicht nachgewiesen, die Klägerin kann einen solchen auch nicht erinnern. Der Umstand, dass die Klägerin solche Einzelheiten schildern kann und dabei genau abgrenzt, was sie nicht mehr weiß, belegt die Glaubhaftigkeit ihrer Angaben. Denn Aussagekonstanz und die fehlende Motivation, zu Unrecht zu belasten, sind gerade Kriterien für die Bewertung einer Aussage.
48 
Der fortgesetzte Missbrauch hat dann zu einer posttraumatischen Belastungsstörung wie einer andauernden Persönlichkeitsveränderung nach Extrembelastung geführt. Der Senat stützt sich insoweit auf das Gutachten von Dr. Sch., dessen Diagnostik in Übereinstimmung mit den Befunden der behandelnden Ärzte steht.
49 
Der Senat orientiert sich bei der Prüfung, welche gesundheitlichen Schäden Folge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs sind, an der seit 01.01.2009 an die Stelle der bis zum 31.12.2008 im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung als antizipierte Sachverständigengutachten angewandten (BSG, Urteil vom 23.06.1993 - 9/9a RVs 1/91 - BSGE 72, 285; BSG, Urteil vom 09.04.1997 - 9 RVs 4/95 - SozR 3-3870 § 4 Nr. 19; BSG, Urteil vom 18.09.2003 - B 9 SB 3/02 R - BSGE 190, 205; BSG, Urteil vom 29.08.1990 - 9a/9 RVs 7/89 - BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 1) Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2 SGB IX)“ (AHP) 2008 getretenen Anlage „Versorgungsmedizinische Grundsätze“ (VG) zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG (Versorgungsmedizin-Verordnung; VersMedV).
50 
Danach wird als Schädigungsfolge im sozialen Entschädigungsrecht jede Gesundheitsstörung bezeichnet, die in ursächlichem Zusammenhang mit einer Schädigung steht, die nach dem entsprechenden Gesetz zu berücksichtigen ist (VG Teil A Nr. 1 a) und ist Ursache im Sinne der Versorgungsgesetze die Bedingung im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg an dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt hat (VG Teil C Nr. 1 b Satz 1).
51 
Zu den Fakten, die vor der Beurteilung eines ursächlichen Zusammenhangs geklärt („voll bewiesen“) sein müssen, gehören der schädigende Vorgang (dazu siehe oben), die gesundheitliche Schädigung und die zu beurteilende Gesundheitsstörung (VG Teil C Nr. 2 a). Der schädigende Vorgang ist das Ereignis, das zu einer Gesundheitsschädigung führt (VG Teil C Nr. 2 b Satz 1 Halbsatz 1). Die gesundheitliche Schädigung ist die primäre Beeinträchtigung der Gesundheit durch den schädigenden Vorgang (VG Teil C Nr. 2 c Halbsatz 1). Zwischen dem schädigenden Vorgang und der Gesundheitsstörung muss eine nicht unterbrochene Kausalkette bestehen, die mit den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft und den ärztlichen Erfahrungen im Einklang steht. Dabei sind Brückensymptome oft notwendige Bindeglieder. Fehlen Brückensymptome, so ist die Zusammenhangsfrage besonders sorgfältig zu prüfen und die Stellungnahme anhand eindeutiger objektiver Befunde überzeugend wissenschaftlich zu begründen (VG Teil C Nr. 2 d Sätze 1 bis 3).
52 
Für die Annahme, dass eine Gesundheitsstörung Folge einer Schädigung ist, genügt versorgungsrechtlich die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs. Sie ist gegeben, wenn nach der geltenden medizinisch-wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang spricht (VG Teil C Nr. 3 a Sätze 1 und 2). Grundlage für die medizinische Beurteilung sind die von der herrschenden wissenschaftlichen Lehrmeinung vertretenen Erkenntnisse über Ätiologie und Pathogenese (VG Teil C Nr. 3 b Satz 1). Aus dem Umstand, dass der Zusammenhang der Gesundheitsstörung mit einem schädigenden Vorgang nach wissenschaftlicher Erkenntnis nicht ausgeschlossen werden kann, lässt sich nicht folgern, dass er darum wahrscheinlich sei. Ebenso wenig kann das Vorliegen einer Schädigungsfolge bejaht werden, wenn ein ursächlicher Zusammenhang nur möglich ist (VG Teil C Nr. 3 d Sätze 1 und 2).
53 
Unter Berücksichtigung der oben dargelegten Grundsätze ist der Senat ebenso wie das SG zu dem Ergebnis gelangt, dass die seelische Störung im Sinne einer posttraumatischen Belastungsstörung sowie einer rezidivierenden depressiven Störung Folge der vorsätzlichen rechtswidrigen Angriffe ihres Vaters in der Zeit von 1961 bis 1972 ist.
54 
Zur Anerkennung einer psychischen Störung als Folge eines tätlichen rechtswidrigen Angriffs ist eine exakte Diagnose der Krankheit nach einem der international anerkannten Diagnosesysteme erforderlich (so BSG, Urteil vom 09.05.2006 - B 2 U 1/05 R - SozR 4-2700 § 8 Nr. 17). Bei der Beurteilung der Frage, ob bei der Klägerin eine posttraumatische Belastungsstörung oder andauernde Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung vorliegt, berücksichtigt der Senat die Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme - 10. Revision - (ICD 10) und das Diagnostische und Statistische Manual psychischer Störungen - Textrevision - (DSM-IV-TR).
55 
Bei der posttraumatischen Belastungsstörung handelt es sich um eine Gesundheitsstörung nach ICD-10 F 43.1 beziehungsweise DSM-IV-TR 309.81.
56 
Typische Merkmale im Rahmen einer posttraumatischen Belastungsstörung sind danach das wiederholte Erleben des Traumas in sich aufdrängenden Erinnerungen (Nachhallerinnerungen, Flashbacks), Träumen oder Alpträumen, die vor dem Hintergrund eines andauernden Gefühls von Betäubtsein und emotionaler Stumpfheit auftreten. Ferner finden sich Gleichgültigkeit gegenüber anderen Menschen, Teilnahmslosigkeit der Umgebung gegenüber, Freudlosigkeit sowie Vermeidung von Aktivitäten und Situationen, die Erinnerungen an das Trauma wachrufen könnten. Meist tritt ein Zustand von vegetativer Übererregtheit mit Vigilanzsteigerung, einer übermäßigen Schreckhaftigkeit und Schlafstörung auf. Angst und Depression sind häufig mit den genannten Symptomen und Merkmalen assoziiert und Suizidgedanken sind nicht selten (vgl. BSG, Urteil vom 09.05.2006 - B 2 U 40/05 R - a.a.O.).
57 
Unter Zugrundelegung dieser Kriterien ist die erforderliche Belastung katastrophalen Ausmaßes in dem jahrelangen fortgesetzten sexuellen Missbrauch bereits als kleines Kind zu sehen, der bei der Klägerin zu einer erheblichen Störung ihrer Sexualität und letztlich dazu geführt hat, dass sie nicht nur andauernder Medikation und ärztlicher Hilfe bedarf, sondern weder in Beziehungen noch im Berufsleben Fuß fassen konnte. Dr. Sch. hat in diesem Zusammenhang ein ausgeprägtes Misstrauen bis hin zur Vermeidung sozialer Kontakte aufgrund der traumatischen Beziehungserfahrungen beschrieben. Sie leidet an einer gestörten Affektregulation bei Suizidalität, Risikoverhalten und fremdaggressiven Verhalten, so dass das Krankheitsbild deswegen diagnostisch genau von der Borderline-Störung abgegrenzt werden kann. Auch die früher diskutierte Schizophrenie oder affektive Psychose mit den typischen Symptomen haben sich, wie Dr. Sch. herausgearbeitet hat, im jahrzehntelangen Verlauf nicht bestätigen lassen. Auch insoweit geht der Einwand des Beklagten fehl. Dabei war für den Senat auch von maßgebender Bedeutung, dass die Klägerin schon in sehr frühem Alter erstmals psychisch auffällig wurde, nämlich bemerkenswerterweise im Zusammenhang mit dem ersten Geschlechtsverkehr mit ihrem damaligen Freund. Der Senat entnimmt das dem Arztbericht vom 15. Oktober 1976, in dem die Klägerin als infantil („wie eine Schülerin“) geschildert wird, die beim Thema Geschlechtsverkehr rot wird, aufspringt und weinend das Zimmer verlässt, was in der damaligen Zeit und bei dem Lebensalter der Klägerin höchst ungewöhnlich war und deswegen auch zu der Therapieempfehlung in einer Psychosomatischen Klinik geführt hat. Dass damals und in der Folgezeit die Fehldiagnose einer konversationsneurotischen Symptomatik gestellt wurde, ist aus Sicht des Senats hinlänglich durch den Psychotherapeuten H. erklärt worden. Die Richtigkeit seiner Einschätzung wird aus Sicht des Senats dadurch belegt, dass die Klägerin auch noch bei dem Sachverständigen Dr. Sch. ihre körperlichen und psychischen Beschwerden in keiner Weise demonstrativ verdeutlichte, es an jeglichem „zweckgerichteten Verhalten“ fehlen ließ, sondern sich bemühte einen die Situation beherrschenden Eindruck zu hinterlassen, was aber deutlich als Schutz- und Abwehrmechanismus zu erkennen war.
58 
Dass mit hinreichender Wahrscheinlichkeit die Erkrankung der Klägerin im Sinne der Alleinverursachung auf die beschriebenen Gewaltvorfälle in Kindheit und Jugend zurückgeführt werden kam, hat der Sachverständige Dr. Sch. auch zur Überzeugung des Senats nachvollziehbar dargelegt. Soweit der Beklagte bemängelt hat, dass er sich mit Alternativursachen nicht ausreichend auseinander gesetzt hat, so übersieht der Beklagte bereits, dass die Klägerin andere ähnlich traumatisierende Erfahrungen in ihren beiden Ehen nicht gehabt und demzufolge auch niemals geschildert hat. Vielmehr ist die Aidserkrankung bei ihrem zweiten Mann nicht ausgebrochen, sie kann auch heute noch täglich telefonischen Umgang mit ihm pflegen. Außerdem war die Klägerin bereits psychisch vor ihren Ehen auffällig, die Otosklerose ist erst weit nach der posttraumatischen Belastungsstörung diagnostiziert worden.
59 
Bei der andauernden Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung handelt es sich um eine Gesundheitsstörung nach ICD-10 F 62.0. Eine entsprechende Kodierung im DSM-IV-TR ist nicht erfolgt. In DSM-IV-TR sind diverse Arten von Persönlichkeitsstörungen, allerdings nicht eine solche nach Extrembelastung, definiert. In DSM-IV-TR 301.9 ist die „nicht näher bezeichnete Persönlichkeitsstörung“ beschrieben. Hierzu wird ausgeführt, es sei auch die Vergabe einer spezifischen Diagnose nach ICD-10 F 61 oder 62 zu erwägen (Saß, Wittchen, Zaudig, Houben; Diagnostische Kriterien DSM-IV-TR, S. 35 und 265).
60 
Der Senat hat in Auswertung des Sachverständigengutachtens auch keine Zweifel daran, dass bei der Klägerin eine andauernde Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung vorliegt.
61 
Die Berufung war daher zurückzuweisen, wobei die Kostenentscheidung auf § 193 SGG beruht. Hierbei fiel die Verurteilung des Beklagten zu einer Leistung, auf die die Klägerin in der Senatsverhandlung verzichtet hat, kostenmäßig nicht ins Gewicht, so dass der Senat von einer Kostenquotelung abgesehen hat.
62 
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.

Tenor

Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 15. Dezember 2011 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin für das Beschwerdeverfahren.

Gründe

1

I. Die 1957 geborene Klägerin beansprucht von dem beklagten Land Leistungen der Beschädigtenversorgung nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) iVm dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) wegen der Folgen eines in der Zeit vor 1973 jahrelang erlittenen sexuellen Missbrauchs durch ihren Vater.

2

Den im September 2006 gestellten Versorgungsantrag der Klägerin lehnte das beklagte Land nach Durchführung von Ermittlungen mit Bescheid vom 28.11.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8.2.2007 ab, weil es nicht als erwiesen angesehen werden könne, dass die Klägerin infolge eines vorsätzlichen rechtswidrigen tätlichen Angriffs eine gesundheitliche Schädigung iS des § 1 Abs 1 OEG erlitten habe. Die Klägerin habe ihren Antrag auf Leistungen mehr als 30 Jahre nach dem Tod des Vaters und den erklärten letzten Schädigungshandlungen gestellt. Zeugen für die Vorfälle gebe es nicht. Die Klägerin selbst habe in ihrem Antrag angegeben, sie wisse nicht mehr, was "hinter der verschlossenen Tür geschah". Es lägen also ausschließlich die Angaben der Klägerin gegenüber den behandelnden Ärzten (nach 1990) vor. Die Mutter und die Schwester der Klägerin könnten nur wiedergeben, was diese ihnen selbst berichtet habe.

3

Das von der Klägerin angerufene Sozialgericht Freiburg (SG) hat die Klägerin persönlich angehört, ihre Schwester R. Q. als Zeugin vernommen sowie ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten von Dr. S., eingeholt. Durch Urteil vom 10.12.2010 hat das SG den angefochtenen Bescheid aufgehoben und den Beklagten verurteilt, bei der Klägerin das Vorliegen einer seelischen Störung im Sinne einer posttraumatischen Belastungsstörung sowie einer rezidivierenden depressiven Störung als Folge von vorsätzlichen rechtswidrigen Angriffen ihres Vaters in der Zeit von 1961 bis 1972 anzuerkennen und ihr wegen dieser Folgen ab dem 1.9.2006 Versorgung nach dem OEG nach einem Grad der Schädigungsfolgen (GdS) von 80 zu gewähren.

4

Das vom Beklagten angerufene Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) hat zunächst durch die Senatsvorsitzende einen Erörterungstermin durchgeführt und sodann in der mündlichen Verhandlung vom 15.12.2011 die Klägerin persönlich befragt und deren Schwester R. Q. als Zeugin vernommen. Nach dem Hinweis des Senats, "dass es schwierig sein dürfte, auch einen sexuellen Missbrauch vom 4. bis 8. Lebensjahr nachzuweisen und nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) eigentlich eine Verurteilung zu Lasten des Beklagten in diesem Verfahrensstadium ausscheide, da die Beklagte selbst noch nicht über die Versorgung entschieden habe", hat die Klägerin durch ihre Bevollmächtigte erklärt, es werde auf die Rechte aus dem Urteil vom 10.12.2010 insoweit verzichtet, als ein sexueller Missbrauch auch für die Zeit von 1961 bis 1964 geltend gemacht worden sei. Des Weiteren werde auf die Rechte aus dem Urteil verzichtet, soweit der Klägerin Versorgung zugesprochen worden sei.

5

Der Beklagte hat danach beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 10. Dezember 2010 insoweit aufzuheben, als die Klägerin nicht auf die Rechte aus dem Urteil verzichtet hat, und die Klage insoweit abzuweisen,
hilfsweise von Amts wegen ein Gutachten über die Glaubhaftigkeit der Angaben der Zeugin R. Q. sowie der Klägerin … einzuholen.

6

Durch Urteil vom selben Tag (15.12.2011) hat das LSG die Berufung des Beklagten zurückgewiesen. Seine Entscheidung hat es im Wesentlichen wie folgt begründet:

7

Die Klägerin sei zur Überzeugung des Senats Opfer eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs iS des § 1 Abs 1 OEG geworden. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme vor dem Senat, insbesondere der Zeugenvernehmung ihrer Schwester in der mündlichen Verhandlung, sei der Senat davon überzeugt, dass die Klägerin von 1965 bis 1972 von ihrem Vater in der elterlichen Wohnung sexuell missbraucht worden sei. Als aufgrund der Zeugenaussage nachgewiesene sexuelle Handlungen im Sinne eines Missbrauchs der Klägerin nehme der Senat das Waschen der weiblichen Brust sowie die Vorgänge im elterlichen Schlafzimmer mit der beobachteten oralen Befriedigung an. Dabei müsse nicht im Einzelnen jeder sexuelle Missbrauch in zeitlicher Hinsicht weiter konkretisiert werden, was gerade bei Sexualdelikten deliktstypisch im Nachhinein nicht mehr möglich sei.

8

Der Senat halte die Aussagen der Zeugin Q. für glaubhaft. Die Konstanzanalyse ihrer Aussagen ergebe, dass die dem Vater vorgeworfenen Handlungen im Kern übereinstimmend dargestellt würden. Die Aussage erweise sich somit über die beiden Vernehmungen beim SG und LSG hinweg als konstant. Die kriterienorientierte Analyse der Aussage weise im Ergebnis deutliche Kennzeichen einer erlebnisbezogenen Darstellung auf, so zB die Schilderung des verdunkelten Zimmers und der Schlafgewohnheiten der unter beengten Verhältnissen lebenden Familie. Es fänden sich in ihrer Aussage zudem Einzelheiten, die von ihrer Mutter nicht bestätigt worden seien. Zudem habe sich die Zeugin nicht als suggestibel erwiesen und generell keinen besonderen Belastungseifer gezeigt. Die Zeugin habe glaubhaft bereits in einem sehr frühen Verfahrensstadium, nämlich schriftlich am 16.10.2006, geschildert, dass sie selbst gesehen habe, wie ihr Vater der Klägerin gegen deren Willen die Brüste eingeseift und mit ihr bei dem "mittäglichen Schlafritual" regelrecht verkeilt im Bett gelegen habe. Letztere Haltung lasse bereits ohne die konkrete Schilderung sexueller Handlungen Rückschlüsse auf sexuellen Missbrauch zu. Dass der Beklagte darin keine sexuelle Handlung sehen wolle, weil das Einseifen in der Badewanne geschehen sei und der Vater im Bett angezogen gewesen sei, sei aus Sicht des Senats lebensfremd. Dass die konkrete Begebenheit, dass die Klägerin den Penis ihres Vaters habe in den Mund nehmen müssen, von der Zeugin erst während des gerichtlichen Verfahrens geschildert worden sei, mache ihre Angaben auch aus Sicht des Senats nicht insgesamt unglaubwürdig. Denn die Zeugin habe den Vorgang so detailgetreu geschildert, dass sie ihn selbst erlebt haben müsse. Sie habe auch ein nachvollziehbares Motiv für ihre späte Aussage angegeben, nämlich die anfängliche Scham über die familiären Vorgänge überhaupt und ihre Schuldgefühle, darüber geschwiegen und damit den Missbrauch erst möglich gemacht zu haben. Diese Motivation erkläre auch hinlänglich die angeblichen Diskrepanzen in den Aussagen der Familienangehörigen.

9

Da der Senat seine Überzeugung anhand der Zeugenaussage sowie des Akteninhalts getroffen habe, könne dahingestellt bleiben, ob bei der Glaubhaftigkeitsprüfung der klägerischen Angaben durch einen medizinischen Sachverständigen von der sogenannten Nullhypothese ausgegangen werden müsse. Zudem habe der Senat entscheiden können, ohne die von dem Beklagten beantragten Gutachten über die Glaubhaftigkeit der Angaben der Zeugin R. Q. sowie der Klägerin einzuholen. Denn die Würdigung von Aussagen nicht nur erwachsener, sondern auch kindlicher oder jugendlicher Zeugen gehöre zum Wesen richterlicher Rechtsfindung und sei daher grundsätzlich dem Tatrichter anvertraut. Eine aussagepsychologische Begutachtung (Glaubhaftigkeitsgutachten) komme nur in besonderen Ausnahmefällen in Betracht, nämlich dann, wenn dem Gericht die Sachkunde für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit fehle. Die Einholung eines entsprechenden Gutachtens sei nur geboten, wenn der Sachverhalt oder die Aussageperson solche Besonderheiten aufweise, die eine Sachkunde erforderten, die ein Richter normalerweise nicht habe. Das sei vorliegend nicht der Fall. Weder wiesen die Aussagepersonen solche Besonderheiten auf noch sei der Sachverhalt besonders gelagert, sondern könne im Kern durch die Beobachtungen einer Zeugin gestützt werden.

10

Der fortgesetzte Missbrauch der Klägerin habe iS einer Alleinverursachung wahrscheinlich zu einer posttraumatischen Belastungsstörung sowie einer andauernden Persönlichkeitsveränderung nach Extrembelastung geführt. Der Senat stütze sich insoweit auf das Gutachten des Dr. S., dessen Diagnostik in Übereinstimmung mit den Befunden der behandelnden Ärzte stehe.

11

Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat der Beklagte beim BSG Beschwerde eingelegt, die er mit dem Vorliegen einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache sowie von Verfahrensmängeln (§ 160 Abs 2 Nr 1 und 3 SGG) begründet.

12

II. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist zulässig, aber unbegründet.

13

Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde - wie vorliegend - darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG), so müssen zur Bezeichnung des Verfahrensmangels die diesen (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 24, 34, 36). Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG - ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht - auf dem Mangel beruhen kann, dass also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht (vgl BSG SozR 1500 § 160a Nr 14, 36). Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel allerdings nicht auf eine Verletzung der §§ 109 (Anhörung eines bestimmten Arztes) und 128 Abs 1 S 1 SGG (freie richterliche Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des § 103 SGG (Aufklärung des Sachverhalts von Amts wegen) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

14

Soweit der Beklagte als Verfahrensmangel rügt, das LSG habe mit der Entscheidung selbst gegen den "Bestimmtheitsgrundsatz" und das "Gebot der Rechtsklarheit" verstoßen, hat er die für die Annahme eines Verfahrensmangels relevanten Tatsachen dargestellt. Entscheidet ein Gericht, ohne hinreichend deutlich zu machen, worin die Entscheidung liegt, handelt es sich um einen das Urteil selbst betreffenden Verfahrensmangel (vgl Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/ Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 160 RdNr 16a und Keller, aaO, § 136 RdNr 5d). Der behauptete Verfahrensmangel liegt jedoch nicht vor.

15

Dem Beklagten ist hier zwar einzuräumen, dass sich für ihn als dem unterlegenen Prozessbeteiligten der Inhalt der Entscheidung des LSG als unübersichtlich darstellt. Bei Heranziehung der Prozessgeschichte, also des Urteils des SG, des der Klägerin in der mündlichen Verhandlung des LSG gegebenen verfahrensrechtlichen Hinweises, der daraufhin von der Klägerin abgegebenen Erklärung sowie des Inhalts der Entscheidungsgründe (vgl dazu Keller, aaO, § 136 RdNr 5c) ist indes eindeutig zu erkennen, worüber und mit welchem Ergebnis das LSG entschieden hat.

16

Das LSG selbst hat nicht positiv tenoriert, sondern die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des SG vom 10.12.2010 zurückgewiesen, nachdem die Klägerin zuvor einen Verzicht auf einen Teil ihrer Rechte aus dem Urteil des SG erklärt hatte. Das SG hatte den Beklagten verurteilt, bei der Klägerin das Vorliegen einer näher bezeichneten seelischen Störung als Folge von vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffen in der Zeit von 1961 bis 1972 anzuerkennen und ihr wegen dieser Folgen Versorgung nach dem OEG ab dem 1.9.2006 nach einem GdS von 80 zu gewähren. Hinsichtlich des auf Gewährung von "Versorgung" nach einem GdS von 80 gerichteten Teils hat die Klägerin auf ihre Rechte aus dem Urteil verzichtet, sodass dieses insoweit nicht auszuführen ist und auch nicht vollstreckt werden kann.

17

Soweit das SG den Beklagten zur "Anerkennung" bestimmter Gesundheitsstörungen als Folge von vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffen auf die Klägerin verurteilt hat, hat es sich im Rahmen der als zulässig anzusehenden kombinierten Klage auf Anfechtung des entgegenstehenden Bescheides und Verpflichtung zur Feststellung von Folgen eines versorgungsrechtlich relevanten Tatbestandes (s nur BSG Urteil vom 29.4.2010 - B 9 VS 2/09 R - SozR 4-3200 § 88 Nr 4 RdNr 32; für den Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung s jüngst BSG Urteil vom 5.7.2011 - B 2 U 17/10 R - BSGE 108, 274 RdNr 12 bis 14, auch zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen) - hier: eines tätlichen Angriffs iS des § 1 Abs 1 S 1 OEG - gehalten. Da die Klägerin auf ihre Rechte aus diesem Urteil verzichtet hat, soweit ein sexueller Missbrauch auch für die Zeit von 1961 bis 1964 geltend gemacht worden war, entfaltet der Urteilsausspruch des SG nur insoweit Wirkung als es sich um die Folgen von tätlichen Angriffen in den Jahren 1965 bis 1972 handelt. Soweit der Beklagte diesen Zusammenhang rügt, es sei unbestimmt, was das LSG letztlich als schädigenden Vorgang angesehen habe, bezieht er sich darauf, dass das LSG in den Entscheidungsgründen einmal als Schädigungszeitraum die Jahre 1961 bis 1972 genannt hat. Dabei handelt es sich um eine offensichtliche Unrichtigkeit, die nicht den Inhalt des Urteils in Frage stellt.

18

Erwächst dieses Urteil in Rechtskraft, verpflichtet es den Beklagten unmittelbar zur Erteilung eines Ausführungsbescheides. Daneben bleibt der Beklagte aufgrund des Leistungsantrages der Klägerin verpflichtet, über die der Klägerin zustehenden konkreten Leistungen der Beschädigtenversorgung - auch soweit es den GdS betrifft und soweit sie von dessen Höhe abhängen - durch anfechtbaren Verwaltungsakt zu entscheiden. Bei dem Verzicht der Klägerin auf die Rechte aus dem Urteil des SG, soweit ihr ein Anspruch auf Versorgung zugesprochen worden war, handelt es sich nicht um eine auf die Anfechtung des ablehnenden Verwaltungakts bezogene Klagerücknahme, sodass dieser dadurch nicht bestandkräftig geworden ist (vgl § 77 SGG). Er ist und bleibt durch das Urteil des SG aufgehoben.

19

Den Darlegungsanforderungen des § 160a Abs 2 S 3 SGG nicht entsprochen hat der Beklagte, soweit er beanstandet, dass ihm nicht klar sei, ob das LSG bei seiner Entscheidung auch auf die Glaubhaftigkeit der Angaben der Klägerin oder ausschließlich auf die Glaubhaftigkeit der Angaben der als Zeugin vernommenen Schwester und nach Aktenlage auch deren Mutter abgestellt habe. Dabei handelt es sich nicht um einen - rügbaren - Verfahrensfehler, also einen Verstoß gegen das gerichtliche Verfahren regelnde Vorschriften oder einen das Urteil selbst betreffenden Verfahrensmangel, sondern um eine mögliche Unklarheit des Urteils, die nicht zu dessen Fehlerhaftigkeit führt. Soweit in dieser Begründung des Beklagten ein Angriff auf die Beweiswürdigung des LSG zu sehen ist, kann die Nichtzulassungsbeschwerde nach § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG darauf nicht gestützt werden.

20

Soweit der Beklagte als Verfahrensfehler eine Verletzung des § 103 SGG mit der Begründung rügt, das LSG sei seinem bis zuletzt aufrechterhaltenen Beweisantrag auf Einholung eines Gutachtens über die Glaubhaftigkeit der Angaben der Zeugin R. Q. sowie der Klägerin ohne hinreichende Begründung nicht nachgekommen, kann offenbleiben, ob der Beklagte insoweit den Anforderungen des § 160a Abs 2 S 3 SGG in allen notwendigen Punkten Rechnung getragen hat. Denn jedenfalls ist das LSG diesem Beweisantrag nicht ohne hinreichende Begründung, dh nicht ohne hinreichenden Grund (BSG SozR 1500 § 160 Nr 5), nicht gefolgt (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG). Das LSG musste sich nicht gedrängt fühlen, die beantragte Beweiserhebung durchzuführen (BSG SozR 1500 § 160 Nr 5, 49). Es hat sich seine Überzeugung davon, dass die Klägerin in den Jahren 1965 bis 1972 durch ihren Vater sexuell missbraucht worden ist, im Wesentlichen aufgrund der Zeugenaussagen der Schwester der Klägerin, insbesondere in der mündlichen Berufungsverhandlung, gebildet und war auch nach Auffassung des erkennenden Beschwerdesenats nicht verpflichtet, Glaubhaftigkeitsgutachten der beantragten Art einzuholen.

21

Grundsätzlich steht das Ausmaß von Ermittlungen im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts (vgl dazu BSGE 30, 192, 205 = SozR Nr 20 zu § 1247 RVO S Aa 25 Rückseite). Einen Sachverständigen bestellt das Gericht, wenn es selbst nicht über ausreichende Sachkunde verfügt (vgl dazu Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 118 RdNr 11b). Dies gilt auch für die Einholung eines sogenannten Glaubhaftigkeitsgutachtens. Dabei handelt es sich um eine aussagepsychologische Begutachtung, deren Gegenstand die Beurteilung ist, ob auf ein bestimmtes Geschehen bezogene Angaben zutreffen, dh einem tatsächlichen Erleben der untersuchten Person entsprechen (vgl BGHSt 45, 164, 167). Da eine solche Beurteilung an sich zu den Aufgaben eines Tatrichters gehört, kommt die Einholung eines Glaubhaftigkeitsgutachtens nur ausnahmsweise in Betracht (vgl BGH aaO, 182).

22

Ob eine derartige Beweiserhebung erforderlich ist, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls. Die Hinzuziehung eines aussagepsychologischen Sachverständigen kann insbesondere dann geboten sein, wenn die betreffenden Angaben das einzige das fragliche Geschehen belegende Beweismittel sind und Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sie durch eine psychische Erkrankung der Auskunftsperson (Zeuge, Beteiligter) und deren Behandlung beeinflusst sein können (vgl dazu BSG Beschluss vom 7.4.2011 - B 9 VG 15/10 B - juris). Eine solche Fallgestaltung ist hier nicht ersichtlich.

23

Möglicherweise wäre eine Glaubhaftigkeitsbegutachtung bezüglich der Angaben der psychisch kranken Klägerin erforderlich gewesen, wenn das LSG seine Entscheidung maßgebend darauf hätte stützen wollen. Das ist jedoch nicht der Fall. Das LSG hat vielmehr im Rahmen einer eingehenden Abwägung insbesondere die Aussagen der Zeugin Q. als glaubhaft angesehen und sie bei der Bejahung eines jahrelangen sexuellen Missbrauchs der Klägerin durch ihren Vater entscheidend zugrunde gelegt. Hinsichtlich der Angaben dieser Zeugin sind keine Umstände zu erkennen, die eine darauf bezogene Glaubhaftigkeitsbegutachtung hätten gebieten können. Die berufungsgerichtliche Beweiswürdigung selbst kann auch insoweit nicht mit einer Nichtzulassungsbeschwerde angegriffen werden (vgl § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG).

24

Soweit der Beklagte geltend macht, die Rechtssache habe grundsätzliche Bedeutung, kann dahinstehen, ob der Beklagte den Zulassungsgrund in allen notwendigen Punkten dargetan hat (§ 160a Abs 2 S 3 SGG).

25

Grundsätzliche Bedeutung iS des § 160 Abs 2 Nr 1 SGG hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Ein Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts sowie unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung und des Schrifttums angeben, welche Rechtsfragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Um seiner Darlegungspflicht zu genügen, muss der Beschwerdeführer mithin Folgendes aufzeigen: (1) eine bestimmte Rechtsfrage, (2) ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, (3) ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit sowie (4) die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung, also eine Breitenwirkung (vgl BSG SozR 1500 § 160 Nr 17; BSGE 40, 158 = SozR 1500 § 160a Nr 11; BSG SozR 1500 § 160a Nr 7, 13, 31, 59, 65).

26

Die vom Beklagten als klärungsbedürftig, klärungsfähig und über den Einzelfall hinaus bedeutsam angesehene Frage, ob für ein im Verfahren des sozialen Entschädigungsrechtes eingeholtes aussagepsychologisches Gutachten über die Glaubhaftigkeit der Angaben eines Antragstellers/Zeugen die nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) für Strafsachen zu berücksichtigenden methodischen Mindeststandards Anwendung finden oder ob andere und ggf welche Anforderungen zu gelten haben, ist für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits nicht erheblich. Zunächst hat das LSG seine Tatsachenfeststellungen dahin, dass der Vater der Klägerin diese in den Jahren 1965 bis 1972 fortgesetzt sexuell missbraucht hat, ohne Verwertung eines Sachverständigengutachtens über die Glaubhaftigkeit der Angaben der Klägerin oder der Zeugin Q. getroffen. Darüber hinaus ist die Vorinstanz - wie der Senat zu der entsprechenden Verfahrensrüge des Beklagten bereits ausgeführt hat - nicht verpflichtet gewesen, ein Glaubhaftigkeitsgutachten einzuholen.

27

Der Beklagte übersieht in diesem Zusammenhang, dass die Beurteilung, ob eine grundsätzliche Bedeutung vorliegt, auf der Tatsachengrundlage der Vorinstanz zu erfolgen hat (vgl dazu Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 160 RdNr 9f). Danach kommt es hier auf die Auswertung eines Glaubhaftigkeitsgutachtens nicht an. Insofern kann in dem vom Beklagten angestrebten Revisionsverfahren nicht geklärt werden, nach welchen methodischen Standards Glaubhaftigkeitsgutachten in sozialgerichtlichen Leistungsstreitigkeiten zu fertigen sind.

28

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 SGG.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 579/05
vom
25. April 2006
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u. a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 25. April 2006 gemäß § 349
Abs. 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts München II vom 16. August 2005 mit den Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte verurteilt worden ist. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts München II zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in 27 Fällen , wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in drei Fällen, wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Misshandlung von Schutzbefohlenen in 43 Fällen und wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in 15 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt. Von weiteren Tatvorwürfen hat es ihn freigesprochen. Gegen das Urteil wendet der Angeklagte sich mit Verfahrensrügen und der näher ausgeführten Sachrüge. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
2
I. Die Revision beanstandet die Behandlung von zwei Hilfsbeweisanträgen , die auf die Einholung aussagepsychologischer Sachverständigengutachten zur Glaubhaftigkeit der Angaben der Geschädigten E. und M. G. gerichtet waren und von der Strafkammer unter Hinweis auf eigene Sachkunde abgelehnt worden sind. Die Rüge nach § 244 Abs. 4 Satz 1 StPO greift durch.
3
1. Gegenstand der Verurteilung sind Misshandlungen und sexuelle Übergriffe des Angeklagten zum Nachteil seiner Ehefrau E. G. , seines am 1. Mai 1989 geborenen Sohnes M. und seiner am 7. November 1993 geborenen Tochter S. . Das Landgericht hat den nicht vorbestraften Angeklagten für schuldig befunden, in den Jahren 1998 bis 2002 im Abstand von jeweils zwei Monaten den Geschlechtsverkehr mit seiner Ehefrau erzwun- gen zu haben, indem er sie würgte und bedrohte (“Wenn ich Dich jetzt umbringe , kannst Du gar nichts tun.”). Nach den Urteilsfeststellungen missbrauchte der Angeklagte zwischen 1994 und 2000 seinen behinderten Sohn M. fünfzehn Mal, indem er das fünf bis elf Jahre alte Kind auf dessen Bett warf, es mit der einen Hand würgte und mit der anderen vor ihm masturbierende Bewegungen an sich vollzog. Mit der vier bis sechs Jahre alten S. führte der Angeklagte nach den Feststellungen in drei Fällen den Geschlechtsverkehr durch. Daneben kam es - so das Landgericht - wiederholt zu Gewalttätigkeiten, indem der Angeklagte S. mit einem eisernen Pfannenwender und M. mit einem Gürtel schlug, M. zudem in zwei weiteren Fällen mit einem Messer in den Arm schnitt.
4
Der Angeklagte hat die Taten bestritten. Das Landgericht hat sich in seiner Beweiswürdigung im Wesentlichen auf die jeweiligen Aussagen der Geschädigten zu den an ihnen begangenen Taten gestützt. Ergänzend hat es Angaben der Zeugin E. G. zu Begleitumständen des Missbrauchs von S. und zu den Misshandlungen von M. berücksichtigt, weiterhin Angaben der Zeugin K. G. , Schwester von S. und M. , die einen Fall des Missbrauchs von S. beobachtet haben will. Die Kammer hat die Zeugin S. G. einer aussagepsychologischen Begutachtung unterzogen ; sie ist der Bewertung der Sachverständigen, wonach die Schilderungen der Zeugin keinen Erlebnisbezug aufweisen, Aussageentstehung und –inhalt vielmehr deutliche Hinweise auf suggestive Prozesse und die Entstehung von Scheinerinnerungen ergeben, indes nicht gefolgt. Auch die Zeugin K. G. war im Ermittlungsverfahren im Hinblick auf Missbrauchsvorwürfe, die sie gegenüber dem Angeklagten erhoben hatte, Gegenstand einer aussagepsychologischen Begutachtung. Die Sachverständige ist auch hinsichtlich dieser Zeugin zu dem Ergebnis gelangt, dass die Annahme von Scheinerinnerungen und einer darauf beruhenden Falschaussage nicht zurückzuweisen sei. Die Kammer hat dem in die Verhandlung eingeführten Gutachten keine durchgreifende Bedeutung beigemessen, da es sich hauptsächlich auf Berichte der Zeugin über an ihr selbst begangene Taten beziehe, nicht aber auf solche zu Lasten ihrer Schwester S. .
5
Die Verteidigung hat Hilfsbeweisanträge auf Einholung aussagepsychologischer Sachverständigengutachten zum Beweis dafür gestellt, dass die Aussagen der Zeugen E. und M. G. nicht erlebnisfundiert seien. Die Kammer hat die Anträge abgelehnt, weil sie selbst über die erforderliche Sachkunde verfüge.
6
2. Dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Ablehnung der Beweisanträge erweist sich in Anbetracht der ungewöhnlichen Besonderheiten des Falles als rechtsfehlerhaft.
7
Die Würdigung von Aussagen nicht nur erwachsener, sondern auch kindlicher oder jugendlicher Zeugen gehört zum Wesen richterlicher Rechtsfindung und ist daher grundsätzlich dem Tatrichter anvertraut (BGHSt 8, 130; BGH NStZ 2001, 105). Die Einholung eines aussagepsychologischen Sachverständigengutachtens ist allerdings dann geboten, wenn der Sachverhalt oder die Person des Zeugen solche Besonderheiten aufweist, dass Zweifel daran aufkommen können, ob die Sachkunde des Gerichts auch zur Beurteilung der Glaubwürdigkeit unter den gegebenen besonderen Umständen ausreicht (st. Rspr.; BGHR StPO § 244 Abs. 4 Satz 1 Glaubwürdigkeitsgutachten 2; BGH StV 1994, 173). Um einen solchen Fall handelt es sich hier.
8
a) Auffälligkeiten im Hinblick auf die Aussage der Zeugin E. G. liegen in ihrer Person und in den Umständen der Aussageentstehung begründet. Den Urteilsfeststellungen ist zu entnehmen, dass die Zeugin nach ihren eigenen Angaben von ihrem vierten bis zum achtzehnten Lebensjahr in ihrer eigenen Familie sexuellen Übergriffen ausgesetzt gewesen ist. Solche Übergriffe habe sie auch von einem Freund hinnehmen müssen, mit dem sie eine Beziehung unterhielt, bevor sie den Angeklagten kennen gelernt habe.
9
Zur Entstehung der den Angeklagten belastenden Aussagen verhält sich das Urteil nicht näher. Ihm ist aber zu entnehmen, dass die Zeugin in Gesprächen mit Ärzten eines psychiatrischen Krankenhauses, in dem der Angeklagte sich im Jahr 2004 zur Behandlung einer Depression aufgehalten hatte, verbalaggressives Verhalten des Angeklagten geschildert, körperliche Übergriffe jedoch entschieden verneint hatte. Den Inhalt weiterer in diesem Zeitraum geführter Unterredungen der Zeugin mit einem Vertrauten, dem Zeugen Ge. Ei. , teilt das Urteil nicht mit. Aus den polizeilichen Vernehmungen des Zeugen Ei. und der Zeugin G. ergibt sich, dass beide Zeugen zahlreiche intensive Gespräche über die familiäre Situation der Zeugin G. geführt haben. Die Zeugin brachte dabei zunächst ihre Überzeugung zum Ausdruck, in einer glücklichen Ehe und heilen Familie zu leben. Nach dem Eindruck des - von der Zeugin G. als “Hobbypsychologen” beschriebenen - Zeugen Ei. lagen dieser Überzeugung jedoch verdrängte familiäre Probleme zugrunde. Auf Anraten des Zeugen unterzog die Zeugin G. sich einer „Familienaufstellung“; hierbei und hiernach sei ihr nach Aussage des Zeugen Ei. “nach und nach zu Be- wusstsein gekommen, was überhaupt passiert ist”.
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b) Besonderheiten hinsichtlich des Zeugen M. G. finden sich in dessen organischer Hirnschädigung sowie auch hier in den Umständen der Aussageentstehung. Der Zeuge hatte bei seiner von der Revision mitgeteilten polizeilichen Vernehmung sexuelle Übergriffe und Schläge mit Gegenständen seitens des Angeklagten noch ausdrücklich verneint. Erst in seiner ermittlungsrichterlichen Vernehmung schilderte der Zeuge die Geschehnisse, wie sie später Gegenstand der Feststellungen geworden sind, ohne dass ihm seine frühere gegenteilige Aussage hierbei vorgehalten wurde. Die der ermittlungsrichterlichen Vernehmung des Zeugen beiwohnende aussagepsychologische Sachverständige vermutete ausweislich eines von der Revision mitgeteilten Aktenvermerkes der Staatsanwaltschaft, dass der Aussage durch Suggestion hervorgerufene Pseudoerinnerungen zugrunde liegen könnten.
11
c) Hinsichtlich beider Zeugen war zudem zu berücksichtigen, dass Sachverständigengutachten über die Glaubwürdigkeit der über ähnliche Missbrauchserfahrungen berichtenden familienangehörigen Zeugen S. und K. G. vorlagen, in welchen die Sachverständige erhebliche Anzeichen für eine wechselseitige innerfamiliäre Beeinflussung der Zeuginnen dokumentiert hatte. Auch wenn die Kammer dem Ergebnis der Gutachten nicht gefolgt ist, boten sie bei Würdigung der Aussagen weiterer als Zeugen vernommener Familienmitglieder doch Anlass für eine besonders kritische Prüfung möglicher suggestiver Einflüsse und hierdurch hervorgerufener Fehlerinnerungen.
12
Vor dem Hintergrund all dieser Besonderheiten durfte die Kammer sich nicht für befugt halten, über die Glaubhaftigkeit der den Angeklagten belastenden Aussagen der Zeugen E. und M. G. aus eigener Sachkunde zu entscheiden; vielmehr hätte es der Einholung eines aussagepsychologischen Sachverständigengutachtens bedurft (vgl. BGH NStZ 2001, 105).
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3. Der Verfahrensmangel führt zur Aufhebung aller Urteilsfeststellungen, soweit sie der Verurteilung des Angeklagten zugrunde liegen. Denn die Kammer hat die Aussagen dieser beiden Zeugen zur Feststellung sämtlicher Tatkomplexe in wechselnder Beteiligung herangezogen.
14
Auf die weiteren von der Revision erhobenen verfahrensrechtlichen Beanstandungen und auf die Sachrüge kommt es hiernach nicht mehr an.
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II. Der Senat hat Anlaß zu folgendem Hinweis: Der Tatrichter ist nicht gehindert, die Glaubwürdigkeit eines Zeugen anders zu beurteilen als ein hierfür herangezogener Sachverständiger, denn das von diesem erstattete Gutachten kann stets nur eine Grundlage der eigenen Überzeugungsbildung sein. Er muss dann aber die wesentlichen Ausführungen des Sachverständigen im Einzelnen darlegen, insbesondere die Stellungnahme des Sachverständigen zu den Gesichtspunkten, auf die er seine abweichende Auffassung stützt. Dem Revisionsgericht ist ansonsten keine Prüfung möglich, ob der Tatrichter das Gutachten zutreffend gewürdigt und aus ihm rechtlich zulässige Schlüsse gezogen hat (st. Rspr.; BGH NStZ 2000, 550f.; BGHR StPO § 261 Sachverständiger 1 und 5). Zu den Anforderungen an ein aussagepsychologisches Gutachten , welche von der herangezogenen Sachverständigen hier beachtet wurden, weist der Senat auf BGHSt 45, 164 hin.
16
Im Hinblick auf die bisherige Länge der Untersuchungshaft wird der neue Tatrichter im weiteren Verfahren das Beschleunigungsgebot besonders zu beachten haben.
Nack Kolz Hebenstreit Elf Herr RiBGH Dr. Graf ist erkrankt und deshalb an der Unterschrift gehindert. Nack
5 StR 209/00

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 22. Juni 2000
in der Strafsache
gegen
wegen sexuellen Mißbrauchs von Kindern u. a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 22. Juni 2000

beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 13. September 1999 nach § 349 Abs. 4 StPO mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Jugendschutzkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

G r ü n d e Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Mißbrauchs von Kindern in sieben Fällen, davon in fünf Fällen in Tateinheit mit sexuellem Mißbrauch von Schutzbefohlenen, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Die Revision des Angeklagten führt mit einer Verfahrensrüge zur Urteilsaufhebung und Zurückverweisung der Sache.
Gegenstand der Verurteilung sind Taten zum Nachteil zweier Söhne des Angeklagten sowie der Tochter seines Bruders. Die Kinder waren zu den Tatzeiten zwischen fünf und acht Jahre alt. Die Jugendschutzkammer durfte den Antrag der Verteidigung, zur Frage der „Glaubwürdigkeit und Zeugentauglichkeit” der drei betroffenen Kinder ein „jugendpsychologisches bzw. jugendpsychiatrisches Gutachten” einzuholen, hier nicht unter Berufung auf eigene Sachkunde ablehnen.
Die Würdigung von Zeugenaussagen gehört zwar zum Wesen richterlicher Rechtsfindung und ist daher grundsätzlich dem Tatrichter anvertraut. Das gilt nicht nur bei erwachsenen Zeugen, sondern regelmäßig auch für die Aussage eines Kindes oder eines jugendlichen Zeugen, der Opfer eines an ihm begangenen Sexualdelikts ist. Die Hinzuziehung eines Sachverständigen ist aber dann geboten, wenn der zur Aburteilung stehende Sachverhalt ausnahmsweise solche Besonderheiten aufweist, daß Zweifel daran aufkommen können, ob die Sachkunde des Gerichts auch zur Beurteilung der Glaubwürdigkeit unter den gegebenen besonderen Umständen ausreicht (st. Rspr.; BGHR StPO § 244 Abs. 4 Satz 1 – Glaubwürdigkeitsgutachten 2 m.w.N.).
Solche Besonderheiten liegen hier vor. Sie finden sich insbesondere in der intensiven, teilweise suggestiven Befragung der drei Kinder durch die Ehefrau des Angeklagten, seinen Bruder und dessen Ehefrau (UA S. 14). Dies gilt zumal angesichts des geringen Alters der betroffenen Zeugen und des beträchtlichen zeitlichen Abstands von mehr als einem Jahr zwischen den letzten Taten und deren Offenbarung, im Blick auf die Offenbarungssituation – Erwischtwerden der Kinder beim „Doktorspiel” – und schließlich auch unter Berücksichtigung der Verwendung der kindlichen Aussagen durch die Ehefrau des Angeklagten im Sorgerechtsstreit. Es kommen noch hinzu im Urteil abgehandelte Besonderheiten im Aussageverhalten des jüngeren Sohnes des Angeklagten (UA S. 15 f.) und seiner Nichte (UA S. 17 f.).
Unter Berücksichtigung aller dieser Umstände durfte sich die Jugendschutzkammer die Beurteilung der Glaubhaftigkeit und Zuverlässigkeit der den Schuldspruch tragenden Angaben der kindlichen Zeugen hier ohne Zuziehung eines Sachverständigen, zumal nach entsprechender Antragstellung unter Hinweis auf jene Besonderheiten, nicht zutrauen. Die Kammer hat auch keine besonders signifikanten Begleitumstände ermittelt und in den Urteilsgründen belegt, welche die Beiziehung eines Sachverständigen mög- licherweise hätte erübrigen können. Hierzu hätte es zunächst schon einer näheren, genauen Schilderung der Offenbarungssituation und des Inhalts der anschließenden Angaben der Kinder vor Einsetzen der Befragungen bedurft; insoweit trifft das Landgericht nur eher pauschale Feststellungen, aus denen es dann freilich weitgehende Folgerungen ableitet (vgl. UA S. 11, 14). Zudem läßt die Annahme des Landgerichts, eine suggestive Befragung der Kinder könne „allenfalls zu einer Intensivierung” ihrer Schilderungen geführt haben, weshalb die Aburteilung jeweils nur eines Falles der angegebenen Sexualpraktiken unbedenklich sei (UA S. 14 f.), befürchten, daß in diesem Zusammenhang die Möglichkeit nicht in Betracht gezogen worden ist, die Kinder könnten fremde Erlebnisse, die sie beobachtet oder von denen sie sonst erfahren haben, als eigene dargestellt haben. Gerade daher wären auch zum Informationsaustausch zwischen den Kindern über die Taten nähere Feststellungen zu erwarten gewesen, auch zur – für die letzten beiden Fälle bislang sehr pauschal geschilderten – Beobachtung einzelner Taten durch nicht betroffene Kinder, die gegebenenfalls nach den Begleitumständen auch kritisch zu hinterfragen wäre. Schließlich sind zum Unterlassen einer früheren Tatoffenbarung bei der Nichte – im Gegensatz zu den Söhnen (UA S. 11) – gar keine näheren Überlegungen angestellt worden. Zum persönlichen Kontakt des Angeklagten zu den Kindern nach der Trennung von der Familie unmittelbar nach Tatende fehlt es ebenfalls an Feststellungen.
Die Sache bedarf umfassender neuer tatrichterlicher Überprüfung, naheliegend unter Heranziehung eines mit der Auswertung möglicher suggestiver Beeinflussungen besonders erfahrenen jugendpsychologischen Sachverständigen. Der neue Tatrichter wird auch den von der Revision aufgezeigten Hinweisen auf Mißbrauchsanschuldigungen des Angeklagten gegen seinen Bruder vor Aufdeckung der Taten durch die Kinder näher nachzugehen und sie zu bewerten haben. Bereits im angefochtenen Urteil sind entsprechende „Andeutungen” des Angeklagten vor dem Aufdeckungszeit- punkt festgestellt, indes kaum folgerichtig vollständig ausgewertet worden (UA S. 13).
Tepperwien Häger Basdorf Gerhardt Raum

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 27. Oktober 2015 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand

 
Die Klägerin begehrt Beschädigtenversorgung nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG).
Die Klägerin wurde 1973 als Einzelkind geboren. Während eines dreimonatigen stationären Aufenthaltes in der M.-B.-Klinik in K., einer Fachklinik für Psychosomatik und Ganzheitsmedizin, Anfang 1998 beschrieb sie die Beziehung zur Mutter seit jeher als höchst ambivalent und von Abhängigkeit geprägt. Diese habe ihr Zuneigung und körperliche Nähe vorenthalten. Ihr Vater habe in ihrem Erleben zwischen äußerster Freundlichkeit bis hin zur Bösartigkeit sehr geschwankt, vor allem wenn er unter Alkoholeinfluss gestanden habe. Die Ehe der Eltern sei von häufigen Streitereien und Handgreiflichkeiten geprägt gewesen. Das Familienleben sei wegen der von ihren Eltern betriebenen Gaststätten sehr chaotisch gewesen. Sie habe als Mädchen immer das Gefühl gehabt, zu kurz zu kommen. Sie sei für ihre Mutter ein offensichtlich ungewolltes Kind gewesen und wegen deren Ausbildungsabsichten bereits nach der Geburt zu Pflegefamilien gegeben worden, wogegen sie sich zwar laut, aber erfolglos gewehrt habe. Im Alter von zwei Jahren fand die Klägerin den Nachbarn tot im Garten. Ein Jahr später erlebte sie den Suizidversuch ihres alkoholabhängigen depressiven Vaters mit. Als sie elf Jahre alt war, trennten sich ihre Eltern. Zwei Jahre später ließen sie sich scheiden (Entlassungsbericht vom 5. Mai 1998). Die Klägerin heiratete 2004 einen Mann, zu dem sie bereits seit 1998 eine Beziehung unterhielt.
Nach dem Hauptschulabschluss im Jahre 1990 besuchte sie erfolgreich die einjährige Hauswirtschaftliche Schule in B.. Anschließend leistete sie ein zweiwöchiges Praktikum in der Krankenpflege im Städtischen Krankenhaus in S.. Die im Oktober 1991 begonnene Ausbildung zur Krankenpflegehelferin in Düsseldorf brach sie bereits zum Jahresende aus gesundheitlichen Gründen ab. Nach zwei stationären Klinikaufenthalten in der neurologischen Abteilung des Städtischen Krankenhauses S. von Ende Februar bis Mitte März 1992 und in der Psychotherapeutischen Klinik in S. von April bis September 1992 nahm sie eine Aushilfstätigkeit an, bevor sie im August 1993 einen einjährigen Grundbildungslehrgang für Jugendliche beim Berufsfortbildungswerk in S. belegte. Eine im September 1994 begonnene Ausbildung zur Kauffrau im Einzelhandel brach sie wiederum aus gesundheitlichen Gründen ab. Ab Januar 1997 war sie ein Jahr L. als Bürohilfskraft bei einer Hausverwaltung tätig. Die im September 1998 begonnene Ausbildung zur Bürokauffrau im Berufsbildungswerk N. schloss sie, unterbrochen durch einen stationären Klinikaufenthalt in der Fachklinik am H. in Wald-M., Ende August 2003 ab. Ab Mitte Mai 2004 wurde sie sechs Wochen zur Call-Center-Agentin ausgebildet, was sie anschließend bis Anfang August 2004 im Rahmen eines Praktikums ausübte. In der Folgezeit war sie arbeitsuchend. Anfang September 2010 war sie in den Arbeitsbereich. der Werkstatt für Menschen mit Behinderung in N. aufgenommen worden. Die Deutsche Rentenversicherung Bund gewährt ihr, nach vorherigen Befristungen, seit 1. März 2014 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze (Bescheid vom 4. Dezember 2013).
Zwischenzeitlich war sie von März 1993 bis Dezember 1997 von dem Dipl.-Psych. U. betreut worden, anfangs im Rahmen der Hilfe für junge Volljährige (§§ 27 ff. Kinder- und Jugendhilfegesetz - KJHG), später als Eingliederungshilfe für Menschen mit Behinderung (§§ 39 ff. Bundessozialhilfegesetz - BSHG). Während dieser Zeit lebte sie bis Juli 1994 in einer Wohngemeinschaft der Einrichtung „Therapeutische Wohngemeinschaften E.“ in P., anschließend mit einem Freund in S..
Bei ihr wurde der Grad der Behinderung mit 50 seit 17. September 2008 festgestellt (Bescheid des Landratsamtes Böblingen vom 25. März 2009). Dieser Feststellung lag die versorgungsärztliche Einschätzung von Dr. M.-T. vom 18. März 2009 zugrunde, wonach die Funktionsbeeinträchtigungen „Persönlichkeitsstörung, funktionelle Organbeschwerden, Fibromyalgiesyndrom“ mit einem Teil-GdB von 40 und „Bronchialasthma, Allergie, chronische Nebenhöhlenentzündung“ mit einem Teil-GdB von 20 bewertet wurden.
Während die Klägerin an einer Rehabilitationsmaßnahme teilnahm, erstattete sie am 20. Juli 1995 bei der Polizeidirektion B. Anzeige wegen sexuellen Missbrauchs. Sie gab an, der Tierarzt Dr. M. (im Folgenden: M.), der möglicherweise K. mit Vornamen heiße, habe sie vor etwa sechzehn Jahren, möglicherweise auch 1978, sexuell missbraucht. Sie sei seit etwa zehn Jahren regelmäßig in psychotherapeutischer Behandlung. Bereits im Alter von sechs oder sieben Jahren habe sie psychotherapeutische Gespräche geführt, wobei es sich um eine Spieltherapie gehandelt habe. Durch die Psychotherapie in den vergangenen Jahren sei letztlich herausgekommen, dass ihre ganze seelische Verfassung zum größten Teil darauf basiere, dass sie im Alter von fünf Jahren von M. sexuell missbraucht worden sei. Als sie vier Jahre alt gewesen sei, seien ihre Eltern nach St. gezogen, wo diese im Stadtteil D. die Vereinsgaststätte des H Club e. V. gepachtet hätten. M. sei dort Gast gewesen. Es sei schließlich zu dem Übergriff gekommen. Sie erstatte erst jetzt Anzeige, da sie erst mit zehn oder elf Jahren die ersten Vermutungen gehegt habe und eigentlich erst seit eineinhalb Jahren sicher wisse, dass sie sexuell missbraucht worden sei. Sie wohne derzeit zusammen mit einem Freund, U. L., in S.. Sie seien nicht intim befreundet, sondern hätten lediglich eine Wohngemeinschaft. Die Staatsanwaltschaft S stellte das Verfahren mit Verfügung vom 13. September 1995 nach § 170 Abs. 2 Strafprozessordnung wegen Strafverfolgungsverjährung ein. Mit Schreiben vom 19. Juni 1997 teilte die Staatsanwaltschaft S der Klägerin auf ihr erneutes Begehren, ein Ermittlungsverfahren gegen M. durchzuführen, mit, es liege kein Fall von § 78 b Abs. 1 Nr. 1 Strafgesetzbuch (StGB) vor. Diese Regelung sei am 30. Juni 1994 in Kraft getreten und erfasse nur Taten, deren Verfolgung zu diesem Zeitpunkt noch nicht verjährt gewesen seien. Die von der Klägerin angezeigten Taten hätten sich demgegenüber 1978 oder im Folgejahr ereignet, weshalb diese jedenfalls 1989 verjährt gewesen seien. Daran habe das im Jahre 1994 erlassene Gesetz nichts geändert.
Über einen stationären Aufenthalt vom 1. April bis 30. September 1992 berichtete der Ärztliche Direktor der Psychotherapeutischen Klinik in St., Dr. Sch., es seien eine schwere Adoleszentenkrise bei retardierter Persönlichkeitsentwicklung und vorwiegend depressiv-hysterisch-schizoiden Anteilen auf dem Boden einer Borderline-Persönlichkeitsstörung diagnostiziert worden. Es bestehe ein Zustand nach Derealisationserscheinungen. Es seien multiple Körpersymptome wie Kreislaufbeschwerden, Schwindel, Kopfschmerzen, Herzrasen und Hautausschlag aufgetreten. Eine ambulante psychotherapeutische Behandlung von etwa sechzig Stunden habe in B. stattgefunden. Die Therapie sei wegen der begonnenen Ausbildung zur Krankenpflegerin in Düsseldorf nicht fortgesetzt worden. Diese Tätigkeit habe die Klägerin jedoch bereits während der Probezeit aus Krankheitsgründen abgebrochen. Sie sei wieder zu ihren Eltern zurückgekehrt. Bei der Aufnahme habe sie den Beginn ihrer Erkrankung in Zusammenhang mit panikartigen Angstanfällen während eines Jugendlagers im März 1991 gebracht. Einen Bekannten habe sie für einen Verfolger und Vergewaltiger gehalten und sei in starker Erregung schreiend in den Wald gelaufen. Nur mühsam habe sie ihr gleichfalls anwesender Freund wieder beruhigen können. Weil sie unter der großen Entfernung und den häufigen Trennungen von ihm gelitten habe, habe sie auf sein Zureden hin eine Lehrstelle in einem Krankenhaus in Düsseldorf angenommen. Entgegen ihren Hoffnungen sei es ihr dort noch wesentlich schlechter ergangen. Sie habe die Belastung im Pflegeberuf nicht ertragen können, sei häufig umgekippt oder habe wegen Kopf- und Bauchschmerzen des Öfteren fernbleiben müssen. Sie habe unter zunehmender Platzangst, Luftnot und Herzrasen sowie unter Ängsten und Selbstmordgedanken gelitten. Die erhoffte Hilfe von Seiten des fünf Jahre älteren, noch sehr muttergebundenen und durch angeborene Hüftluxation belasteten Freundes sei ausgeblieben. Er habe sich überfordert gefühlt. Die Beziehung sei schließlich gescheitert. Mit dem Ausbruch der Ängste im Jugendlager seien traumatische frühe Kindheitserfahrungen wiederbelebt worden. Die Klägerin habe vermutet, dass sie als Kind sexuell missbraucht worden sei, ohne sich jedoch im Einzelnen an ein derartiges Erlebnis erinnern zu können. Jedenfalls sei sie als kleines Mädchen einem Mann gefolgt, habe sich in sein Gartenhaus mitnehmen lassen und sei erst Stunden später total zerstört von den Eltern in der Nähe des Hauses wiedergefunden worden. Sie habe sich außerdem immer von einer Hand bedroht gefühlt und noch weitere Angstbilder mit sich herumgetragen.
Der Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. P. berichtete in einem Attest vom 10. September 1993 zur Vorlage bei der Führerscheinstelle, aufgrund von psychischen Problemen komme es des Öfteren zu Ohnmachtsanfällen, welche die Klägerin als Kreislaufdysregulationen schildere. Wegen einer neurotischen Störung sei sie in psychologischer Behandlung. Sie neige zu konversionssymptomen und hyperventilationstetanischen Anfällen. Es lägen deutliche narzisstische Züge vor. Sie sei psychisch und physisch vermindert belastbar.
Im Gutachten des Dipl.-Psych. G. nach einer Untersuchung der Klägerin am 29. Mai 1996 zur Beurteilung ihrer beruflichen Eingliederung führte dieser aus, es existierten Ängste, Probleme mit Konfliktsituationen und eine herabgesetzte Kritikfähigkeit. Den Anforderungen einer Ausbildung auf dem freien Arbeitsmarkt sei sie im Augenblick nicht gewachsen. Sie bedürfe wegen der beschriebenen Probleme besonderer Hilfe.
10 
Dr. D., Chefarzt der Kitzberg-Klinik in Bad M., einer Fachklinik für psychosomatische Medizin, berichtete über den stationären Aufenthalt der Klägerin vom 17. Juli bis 30. Oktober 1996, er habe eine Reifungskrise bei Verdacht auf eine Borderline-Persönlichkeitsstörung mit hysterischen Anteilen (ICD-10 F60.31) und eine Somatisierungsstörung (ICD-10 F45.0) diagnostiziert. Die Klägerin habe über multiple körperliche Beschwerden wie etwa Kopf-, Bauch- und Knochenschmerzen geklagt. Seit ihrem elften Lebensjahr habe sie psychogene Anfälle, auch werde sie sehr häufig ohnmächtig. Weiter leide sie unter starken, hauptsächlich nächtlichen Ängsten. Sie habe Albträume und Schlafschwierigkeiten. Bisweilen hege sie Selbstmordgedanken. Vor allem in Menschengruppen fühle sie sich äußerst unwohl und verunsichert. Nähe könne sie kaum aushalten, sehne sich aber andererseits danach. In Beziehungen habe sie die Tendenz, sich an andere zu klammern. Es falle ihr schwer, alleine in ihrer Wohnung zu sein. Sie habe bereits einen Selbstmordversuch hinter sich und verletze sich bisweilen selbst, indem sie mit dem Kopf gegen die Wand schlage. Die Klägerin habe alleine in einer vom Sozialamt geförderten Wohnung gelebt. Die Eltern hätten sich 1984 getrennt und zwei Jahre später scheiden lassen, als die Klägerin dreizehn Jahre alt gewesen sei. Ab diesem Zeitpunkt hätten die psychogenen Anfälle begonnen. Mit neunzehn Jahren sei sie eine symbiotische Partnerschaft zu einem elf Jahre älteren Mann eingegangen, von dem sie sich vor drei Monaten wegen seines Alkoholkonsums getrennt habe. Sie habe jedoch weiterhin Kontakt zu ihm. Mit acht Jahren sei sie erstmals psychotherapeutisch behandelt worden. Im Alter von neunzehn Jahren sei ein sechsmonatiger stationärer Therapieaufenthalt erfolgt, ein Jahr später ein achtwöchiger. Von 1993 bis zum Folgejahr habe sie sich in einer Einrichtung des betreuten Wohnens aufgehalten, sei dann mit ihrem gemeinsamen Freund in eine eigene Wohnung gezogen. Bei der Untersuchung auffällig gewesen sei, dass sie mehrmals erwähnt habe, sexuell missbraucht worden zu sein. Mit ihrem beharrlichen Willen und dem langen Redefluss erzeuge sie im Gegenüber das Gefühl von Ungeduld. Auffällig gewesen sei auch die Diskrepanz zwischen ihrer eigenen Schilderung ihrer Schwächen und Ängste sowie ihrer zielstrebigen Beharrlichkeit, hinter der eine große Energie stecke. Die Klägerin habe sich als eher feindselig und im Kontakt abweisend beschrieben, weshalb sie auch einsam sei. Psychische Probleme und Niedergeschlagenheit würden dadurch überspielt. Sie vermeide Konflikte, reagiere schnell verbittert oder enttäuscht und sei leicht kränkbar. Sie neige zu impulsiven Verhaltensausbrüchen und leide unter einer ausgeprägten Minderwertigkeitsproblematik. Weiter hätten sich Hinweise auf eine sehr geringe Bereitschaft zur Selbstöffnung bei jedoch intensivem Leidensdruck und massiven Angstgefühlen sowie großen Schwierigkeiten bei vernunftorientierter Steuerung von destruktiven Impulsen ergeben. Insgesamt hätten eindeutige Anhaltspunkte auf eine ausgeprägte frühe Störung vorgelegen. Zu Beginn der Behandlung habe die Klägerin hauptsächlich ihre Ängste, ihre soziale Inkompetenz und ihre „schlimme Vergangenheit“ benutzt, um in Kontakt zu treten. Nachvollziehbarerweise habe sie bald Ungeduld oder Ablehnung erfahren und habe sich missverstanden oder vernachlässigt gefühlt. In dieser Spirale habe sie zu Eskalationen in Form verbalen Ausagierens bei Konflikten, plötzlichem Umfallen oder Abtriften in ihre Phantasiewelt geneigt.
11 
Dr. K., Chefarzt der M.-B.-Klinik, diagnostizierte nach dem stationären Aufenthalt der Klägerin vom 27. Januar bis 24. April 1998 eine emotionale instabile Persönlichkeitsstörung, Borderline-Typus (ICD-10 F60.31) mit histrionischen und aggressiven Zügen. Als belastende Erlebnisse habe die Klägerin angeführt, im Alter von zwei Jahren den Nachbar tot im Garten gefunden zu haben. Ein Jahr später habe sie erlebt, wie sich ihr Vater das Leben habe nehmen wollen. Im Alter von fünf Jahren sei sie von einem ihr gut vertrauten Mann, einem Tierarzt, der ihr eine Katze geschenkt habe, im elterlichen Gaststättenbetrieb sexuell oral missbraucht worden. Da der Mann ihr gedroht habe, wenn sie über dieses Erlebnis anderen erzähle, werde die Katze ihm das berichten, habe sie in ihrer Verzweiflung versucht, diese zu ertränken, was allerdings misslungen sei. Die Klägerin habe als Kind im Verhältnis zu einem offenbar unberechenbaren, da mal gewalttätigen, mal sehr zugewandten Vater und in ambivalenter Abhängigkeit von einer sich oft verweigernden Mutter wenig emotionalen Halt für ihre Entwicklung erfahren. Ihre stark nach Unterstützung fordernde Eigenart und ihre große Verletzbarkeit sei den Eltern schon früh offenbar oft lästig geworden. Die Mutter habe, oft von Schuldgefühlen geplagt, sich dem Kind nur scheinbar zugewandt. Es habe sich bereits früh ein brüchiges Selbst ausgebildet, welches durch ängstigende Gewalterlebnisse und einen offenbar sehr frühen sexuellen Missbrauch durch einen bekannten älteren Mann traumatisiert worden sei. Der Autonomie-Abhängigkeits-Konflikt zur Mutter sei bis zum heutigen Zeitpunkt nicht wirklich gelöst. In Beziehungen erfahre die Klägerin wegen ihres anklammernden und fordernden Verhaltens immer wieder ihr unverständliche Zurückweisungen, welche sie depressiv verarbeite.
12 
Dr. T., Leitender Arzt der Fachklinik am H. in Wald-M., einer Klinik für Abhängigkeitserkrankungen sowie Psychosomatik und Psychotherapie, diagnostizierte nach dem stationären Aufenthalt der Klägerin vom 2. Mai bis 22. Juli 2001 eine andauernde Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastung (ICD-10 F62.0) mit posttraumatischer Belastungsstörung nach erneuter Traumatisierung (ICD-10 F43.1), Zwangsgedanken und
-handlungen gemischt (ICD-10 F42.2) sowie eine Panikstörung (ICD-10 F41.0). Die Klägerin sei im Gespräch zugänglich und kooperativ sowie psychomotorisch unauffällig gewesen. Die Stimmung habe sich während der Aufnahmesituation adäquat gezeigt, verbunden mit einem leichten Misstrauen. Sie sei ausreichend schwingungsfähig gewesen. Der Antrieb habe sich in der Norm gehalten. Das Denken sei formal und inhaltlich geordnet, ferner seien keine wahnhaften Störungen zu eruieren gewesen. Ängste und Phobien hätten sich auf Mitmenschen bezogen. Zwänge seien zumindest als Zwangsgedanken wahrgenommen worden.
13 
Dr. C., Arzt für Psychiatrie und Psychotherapie, Tagesklinik im Sch. in N., einer Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, berichtete Anfang Juli 2002, er gehe von einer emotional instabilen Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typ aus (ICD-10 F60.31). Zudem habe die Klägerin über eine Traumatisierung berichtet, die sie in der Vorgesprächssituation nicht näher habe benennen wollen. Sie habe eine phobische und generalisiert angstvolle Symptomatik angeführt.
14 
Die Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie K.-E. berichtete nach einer Untersuchung der Klägerin am 12. November 2002, diese leide an einer Persönlichkeitsstörung und Kopfschmerzen ungeklärter Ätiologie. Zudem bestehe der Verdacht auf Spannungskopfschmerzen. Bei der Klägerin handele es sich um eine Borderline-Persönlichkeit. Sie habe deshalb mehrere Traumatherapien und andere psychotherapeutische Klinikaufenthalte hinter sich. Sie nehme jedoch grundsätzlich keine Psychopharmaka ein, nur Baldrian und Johanniskraut. Sie lebe mit einem Partner zusammen. Wegen ihrer schweren Traumata sei das Zusammenleben jedoch nicht einfach. Der Kontakt mit ihr habe sich als äußerst schwierig gestaltet, da sie jegliche Behandlungsvorschläge vehement entwertet habe, gleichzeitig aber sehr fordernd aufgetreten sei. Nachdem sie versucht habe, ihr versuchsweise Amitriptylin, 25 mg zur Kopfschmerzprophylaxe aufzuschreiben, habe sie sehr unzufrieden die Praxis verlassen.
15 
Nach dem Attest der Ärztin für Psychotherapeutische Medizin J. vom 3. Dezember 2002 litt die Klägerin an einer komplexen posttraumatischen Belastungsstörung mit ausgeprägter Angst, das Haus zu verlassen.
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Prof. Dr. P., Ärztlicher Direktor des Psychotherapeutischen Zentrums Bad M., diagnostizierte nach dem stationären Aufenthalt der Klägerin vom 9. Mai bis 27. Juni 2006 eine dissoziative Störung (Konversionsstörungen) gemischt (ICD-10 F44.7), Angst und depressive Störung, gemischt (ICD-10 F41.2), eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung (ICD-10 F45.4), eine chronifizierte komplexe posttraumatische Belastungsstörung (ICD-10 F43.1) sowie eine emotional instabile Persönlichkeitsstörung (ICD-10 F60.31). Die Klägerin sei zusammen mit ihrem Ehemann erschienen, welcher bei dem ersten Teil der Anamnese anwesend gewesen sei. Die beiden hätten Händchen gehalten. Die Klägerin habe ein Missbrauchserlebnis mit fünf Jahren durch einen Tierarzt angegeben, ohne dass sie danach gefragt worden sei. Nach der Scheidung der Eltern habe die Klägerin erstmals psychogene Ohnmachtsanfälle gehabt. Diesbezüglich sei sie öfter in einem Krankenhaus gewesen. Eine Ursache für die Anfälle sei nirgends gefunden worden. Die psychogenen Krampfanfälle träten überwiegend in Stresssituationen auf. Die Klägerin habe mit monotoner Stimme berichtet. Es habe eine deutliche Aggravationstendenz bestanden. So habe sie etwa über Schmerzen am ganzen Körper berichtet, an die sie sich gewöhnt habe. Kleinste Beschwerden seien als Krankheit definiert worden. Während der Untersuchung habe mehrmals die Neigung zur Dissoziation bestanden, sie habe aber durch das Gespräch in Kontakt gehalten werden können. Die Kontaktaufnahme sei freundlich, der Affekt allerdings depressiv herabgedrückt gewesen. Die affektive Schwingungsfähigkeit sei eingeschränkt erhalten gewesen. Die Klägerin habe auffällig unkonkret über ihre Beschwerden berichtet und habe gewirkt, als ob sie deren Kenntnis eigentlich voraussetze. Die Psychomotorik sei leicht angespannt sowie der Antrieb, die Gestik und die Mimik ebenfalls leicht reduziert gewesen. Eine einfach strukturierte Auffassungsfähigkeit sei aufgefallen. Die Klägerin habe kurz andauernde psychotische Episoden beschrieben, in denen sie einen Mann mit einem Messer real vor sich gesehen habe, etwa dass dieser durch die Steckdose gekommen sei. Auch habe sie ein nicht existentes großes Spinnennetz wahrgenommen. Die Klägerin habe von zwei länger zurückliegenden Suizidversuchen mit fünf und fünfzehn Jahren berichtet, wobei aktuell keine Suizidalität bestanden habe. Sie sei mit fünf Jahren sexuell missbraucht worden, woraufhin sie begonnen habe, wieder einzunässen. Sie habe zudem unter Bauch- und Kopfschmerzen sowie Albträumen gelitten. Mit sechs Jahren sei sie zum ersten Mal in einer psychologischen Beratungsstelle gewesen. Zum Entlassungszeitpunkt habe weiterhin eine hohe Tendenz zur Verantwortungsabgabe und stark dysfunktionalen Interaktionsstrategien bestanden.
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Über ein psychosomatisches Heilverfahren zur medizinischen Rehabilitation in der Klinik am H. in Bad W. vom 22. Juli bis 2. September 2008 berichtete der Chefarzt der Abteilung Psychosomatik Dr. Sch., es seien eine posttraumatische Belastungsstörung (ICD-10 F43.1), eine Fibromyalgie (M79.70) und eine anhaltende somatoforme Schmerzstörung (ICD-10 F45.4) diagnostiziert worden. Der Vater der Klägerin sei alkoholabhängig gewesen. Die Klägerin habe sich bereits seit acht Jahren in psychotherapeutischer Behandlung befunden. Sie habe über anhaltende Flashbacks bis zum achtzehnten Lebensjahr berichtet, nach einer Vergewaltigung im fünften Lebensjahr. Ihre Mutter habe damals indes gemeint, sie sei hysterisch und solle sich nicht so anstellen. Ihr zweiter Freund, von dem sie sich nach drei Jahren getrennt habe, sei Alkoholiker gewesen. Danach seien Panikzustände und zunehmend Ganzkörperschmerzen aufgetreten. Es sei ihre Rettung gewesen, dass sie mit ihrem jetzigen Ehemann im Jahre 1998 eine Partnerschaft eingegangen sei. Durch dessen Unterstützung habe sie ihren Aktionsradius deutlich erweitern können. In der Beziehung gebe es seit acht Jahren keine sexuellen Kontakte. Sie wohnten zur Miete im Haus ihrer Großmutter. Die Wohnumgebung stelle eine Retraumatisierung für sie dar. Denn im Hof des Hauses befinde sich eine Gastwirtschaft. Die Gäste, der Lärm und der Küchengeruch erinnerten sie an das dramatische Erlebnis in ihrer Kindheit. Die Klägerin sei in einem behüteten Elternhaus aufgewachsen, wobei ihr wenig Verantwortung für das eigene Handeln übertragen worden sei. Es sei ein vorwiegend ängstlich-vermeidender Interaktionsstil zu finden gewesen, so dass die Klägerin wenig Möglichkeiten gehabt habe, Strategien zur Problembewältigung zu erlernen. Erschwerend habe sich als Organismusvariable eine vegetative Hyperreagibilität ausgewirkt. Die Persönlichkeitsstruktur sei vorrangig von dependenten und selbstunsicheren Charaktermerkmalen geprägt gewesen. Auslösende Bedingungen für die Symptomatik seien Konfrontationen mit angstauslösenden Situationen gewesen, wie etwa ein Fahrstuhl, das Alleinsein, soziale Situationen, der Verlust von Bezugspersonen oder die Konfrontation mit Krankheiten. Auf kognitiver Ebene seien vorrangig katastrophisierende Gedanken aufgetreten, welche auf emotionaler Ebene mit Angst verbunden gewesen seien. Weiterhin hätten Gefühle von Hilflosigkeit, Resignation, Selbstunsicherheit und Angst bestanden. Auf körperlicher Ebene sei es zu vegetativen Begleitsymptomen in Form von Schwindel, Herzrasen, Blutdruckanstieg, Atemnot, Schwitzen oder Zittern im Rahmen der sympathikotonen Reaktion gekommen. Die Verhaltensebene sei von einem ausgeprägten Vermeidungsverhalten angstauslösender Situationen geprägt gewesen. Dies habe kurzfristig zu einer Symptomreduktion geführt, sei jedoch als negative und langfristige Konsequenz eine Generalisierung der Angst auf weitere Situationen gewesen. Bewältigungsstrategien seien häufige Arztbesuche bei körperlichen Beschwerden zur Absicherung, die Einnahme von Beruhigungsmitteln oder das Hinzuziehen von Begleitpersonen gewesen. Die Funktionalität der Symptomatik habe unter anderem darin bestanden, Sozialpartner an sich zu binden und das Alleinsein zu vermeiden.
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Der Arzt für Anästhesiologie und spezielle Schmerztherapie Dr. B., bei dem sich die Klägerin ab Ende Februar 2008 in Behandlung befand, berichtete Anfang Mai 2008, schmerztherapeutisch habe eine ausgeprägte Fibromyalgie im Vordergrund gestanden. Es hätten schwerpunktmäßig Kopfschmerzen vorgelegen, daneben Syndrome in den Bereichen der Halswirbelsäule sowie der Schulter und im ganzen Arm, ferner eine Lumbalgie. Biographisch habe eine posttraumatische Belastungsstörung bestanden.
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Die Fachärztin für Psychotherapeutische Medizin Dr. L.-K. teilte in ihrer Bescheinigung von Anfang August 2013 mit, die Klägerin habe sich von Dezember 2002 bis April 2008 und dann wieder ab Mai 2010 in ihrer psychotherapeutischen Behandlung befunden. Diagnostiziert worden seien eine komplexe posttraumatische Belastungsstörung (ICD-10 F43.1) mit dissoziativen Krampfanfällen (ICD-10 F44.5), eine dissoziative Fugue (ICD-10 F44.1), dissoziative Lähmungen und Sensibilitätsstörungen von Extremitäten, ein Sprachverlust, eine rezidivierende depressive Störung (ICD-10 F38.10) sowie eine somatoforme Schmerzstörung (ICD-10 F45.40). Differentialdiagnostisch habe ein Fibromyalgiesyndrom vorgelegen. Die zeitweise gestellte Borderline-Diagnose habe bei Testung in der Sprechstunde der Psychiatrischen Institutsambulanz des Universitätsklinikums T. Ende Mai 2013 nicht vollständig erhärtet werden können. Bei ihrer Untersuchung habe sich ebenfalls kein aktueller Hinweis auf eine solche Erkrankung gezeigt, so dass lediglich von einer Akzentuierung auszugehen gewesen sei (ICD-10 Z73.1). Im Vordergrund der Symptomatik habe demgegenüber eine Traumafolgestörung bestanden, welche auf Traumatisierungen in der Kindheit und Jugend durch Vergewaltigung und weitere sexuelle Übergriffe, die fehlende Geborgenheit in der elterlichen Gastwirtschaft sowie dem Erleben von körperlicher Gewalt zurückzuführen sei. Dabei erscheine das Bindungsverhalten der Klägerin überwiegend von Abhängigkeit und Trennungsängsten bestimmt.
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Prof. Dr. E., Ärztlicher Direktor der Klinik für Psychosomatik und Psychotherapie der A. Kliniken in B.-B. diagnostizierte nach dem stationären Aufenthalt der Klägerin vom 22. Juni bis zum 9. Juli 2011 unter anderem ein Fibromyalgiesyndrom, eine vorbekannte posttraumatische Belastungsstörung, eine vorbekannte anhaltende somatoforme Schmerzstörung und eine rezidivierende Depression. Die Aufnahme der Klägerin sei wegen einer akuten Schmerzexacerbation trotz Ausschöpfens der ambulanten Therapiemaßnahmen erfolgt. Der Schwerpunkt der Behandlung habe auf der abgestuften medikamentösen Schmerztherapie gelegen sowie auch auf dem ganzen Spektrum der aktiven und passiven physikalischen Therapie und der psychologischen Schmerz- und Entspannungstherapie. Medikamentös habe mit Lyrica, beginnend mit 25 mg und später mit 50 mg zur Nacht, eine Verbesserung der neuropathischen Schmerzsymptomatik und des Nachtschlafes erreicht werden können. Bei einem akuten Schmerzschub könne die Klägerin bedarfsweise mit Ibuprofen, 400 mg entgegenwirken.
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Nach dem stationären Aufenthalt der Klägerin in der Klinik für Neurologie und Neurophysiologie des Klinikums S.-B. vom 9. bis 11. März 2011 diagnostizierte der Chefarzt Prof. Dr. A. eine dissoziative Gangstörung bei einem Zustand nach wiederholter Traumatisierung und ein Fibromyalgiesyndrom.
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Die Klägerin hatte erstmals am 13. November 2000 einen Antrag auf Gewährung von Beschädigtenversorgung nach dem OEG gestellt, der mit Bescheid vom 5. August 2002 abgelehnt wurde. Der Nachweis, dass sie Opfer einer Gewalttat geworden sei, habe nicht erbracht werden können. Das durch ihre Anzeige eingeleitete Strafverfahren sei wegen der zwischenzeitlich eingetretenen Strafverfolgungsverjährung eingestellt worden. Durch das in Auftrag gegebene neurologisch-psychiatrische Fachgutachten vom 6. März 2001 sei bestätigt worden, dass die Klägerin an einer Borderline-Störung leide. Vom Weißen Ring e. V. erhielt sie Ende 2002 wegen der „durch die Straftat eingetretenen besonderen Lebenslage“ eine Beihilfe in Höhe von 1.500 EUR. Der Antrag der Klägerin, die Verwaltungsentscheidung im Wege des Zugunstenverfahrens nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) zu überprüfen, wurde mit bestandskräftigem Bescheid vom 9. Juni 2011 abgelehnt. Die getroffene negative Feststellung sei aufgrund des neurologisch-psychiatrischen Gutachtens von März 2001 erfolgt. Danach habe der Nachweis des geltend gemachten schädigenden Ereignisses nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit erbracht werden können. Zwischenzeitlich hatte die Klägerin Anfang März 2006 schriftlich festgehalten, dass sie mit fünf Jahren auf der Kegelbahn einer Gaststätte von einem Gast sexuell missbraucht worden sei, welcher ihr eine Katze geschenkt habe und das als Gegenleistung erwartet habe. Sie habe versucht, das Tier in der Badewanne zu ertränken. Vermutlich sei das nicht das einzige Erlebnis dieser Art gewesen. Sie habe oft Bauchschmerzen gehabt und wieder angefangen einzunässen.
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Unter Hinweis auf das Urteil des Bundessozialgericht (BSG) vom 17. April 2013 (Az. B 9 V 1/12 R) stellte die Klägerin am 17. Juni 2013 sinngemäß erneut einen Überprüfungsantrag in Bezug auf die Gewährung einer Beschädigtenrente. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung könnten Versorgungsleistungen beansprucht werden, selbst wenn kein Tatzeuge vorhanden sei. Sie gab an, als Kind im Ser Stadtteil D. zweimal sexuell missbraucht worden zu sein. Ein Tierarzt habe sie auf der Kegelbahn der von ihren Eltern betriebenen Gaststätte zum Oralverkehr gezwungen und ihr als Gegenleistung ein Kätzchen geschenkt. Er habe gesagt, wenn sie etwas äußere, höre diese es, worüber sie ihm berichte. Daher habe sie das Tier vermutlich ertränken wollen. Ein zweiter Missbrauch sei in einer Schrebergartensiedlung in der Nähe ihres Elternhauses erfolgt. Sie sei von einem Mann mit Hund angesprochen und gefragt worden, ob sie sehen möchte, wo dieser schlafe. Sie sei mit ihm gegangen. Sie wisse jedoch nur noch, in einem Gartenhäuschen etwas getrunken zu haben. Sie könne sich indes an nichts mehr erinnern. Mit hoher Wahrscheinlichkeit seien ihr so genannte. „K.-o.-Tropfen“ verabreicht worden, wodurch sie das Bewusstsein verloren habe. Vermutlich sei es zu einem Ritus gekommen, denn sie habe immer Erinnerungen an drei schwarze Kapuzenmenschen. Sie habe weitere einschneidende Erlebnisse in ihrer Kindheit erfahren. Die sexuellen Übergriffe seien jedoch die schlimmsten gewesen. Der ganze Alltag richte sich nach den Traumata aus. In der Küche habe sie weder Messer noch Scheren mit schwarzen Griffen. An manchen Tagen könne sie nicht zum Frisör gehen, weil sie Panik vor einer Schere habe. Sie könne nicht im Erdgeschoss wohnen. Wegen der oralen Vergewaltigung nutze sie eine elektronische Zahnbürste, was für sie stressfreier sei. Zahnarztbesuche seien blanker Horror und hätten früher nicht selten mit einem dissoziativen Krampfanfall geendet. Selbst eine Banane könne sie nicht normal essen. Sie könne weder arbeiten gehen noch alleine Bus oder S-Bahn fahren. Der Antrag wurde mit Bescheid vom 18. Juli 2013 abgelehnt, der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 25. November 2013 zurückgewiesen.
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Hiergegen hat die Klägerin am 23. Dezember 2013 Klage beim Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhoben, welches verschiedene, sie behandelnde Ärztinnen und Ärzte als sachverständige Zeugen befragt hat.
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Dr. L.-K. hat im April 2014 im Wesentlichen den Inhalt ihrer Bescheinigung von Anfang August 2013 wiedergegeben und ergänzend ausgeführt, die depressiven Episoden, welche zum Teil Tage bis unter zwei Wochen, manchmal auch Monate anhielten, hätten eine teils mittelgradige, teils schwere Ausprägung mit Suizidgedanken, also bis hin zur Lebensmüdigkeit. Der Klägerin werde ein Antidepressivum in Form von Doxepin, 75 mg abends verabreicht. Bei den gemischten dissoziativen Zuständen handele es sich um eine dissoziative Fugue (ICD-10 F44.1), wobei sich die Klägerin in einem kindlich-ängstlichen Ich-Zustand befinde, und um dissoziative Krampfanfälle (ICD-10 F44.5), nach Fremdanamnese zum Teil mit Somnolenz. Ein beginnendes Krampfen habe sie in Verbindung mit traumatischen Erinnerungen an einen Schrebergarten beobachtet. Anamnestisch habe zeitweise die Stimme in Erregungszuständen versagt, in denen die Klägerin getriggert gewesen sei. Zudem seien Taubheits- und Lähmungserscheinungen in den Extremitäten aufgetreten. Diese dissoziativen Zustände in Verbindung mit Flashbacks seien als Traumafolgezustände zu werten und ergänzten die Symptomatik der posttraumatischen Belastungsstörung. Bei der Überwindung agoraphobischer Ängste unterstütze sie ihr Ehemann, auch der Hund helfe ihr. Alleinsein in der Wohnung über viele Stunden führe wiederholt zu Angst- und Panikzuständen.
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Von Dr. L.-K. ist unter anderem der Bericht des Oberarztes der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie mit Poliklinik des Universitätsklinikums T., Prof. Dr. E., vom 29. Mai 2013 über ambulante Vorstellungen der Klägerin am 24. Mai und „angeblich“ 3. Juni 2013 vorgelegt worden, wonach eine Akzentuierung von Persönlichkeitszügen einer Borderline-Persönlichkeitsstörung (ICD-10 Z73.1) sowie der Verdacht auf eine posttraumatische Belastungsstörung und eine Zwangsstörung diagnostiziert worden seien. Eine inhaltliche Denkstörung in Form von Verfolgungsideen sei gegeben gewesen. Ein Anhalt für Halluzinationen habe nicht bestanden. Es hätten jedoch andere Wahrnehmungsstörungen in Form von dissoziativen Anfällen vorgelegen. Zudem seien Ich-Störungen in Form von Depersonalisations- und Derealisationserleben unter Belastung gegeben gewesen. Zwänge in Form von Kontaminierungs- und Kathastrophisierungsängsten sowie Wasch- und Kontrollzwänge seien erkannt worden. Die Stimmung sei leicht gedrückt sowie die Klägerin im Antrieb etwas unruhig und im Gespräch teilweise schwer zu begrenzen gewesen. Ein Anhalt für eine Selbst- oder Fremdgefährdung habe sich nicht gefunden. Im Ergebnis hätten aktuell keine ausreichenden Hinweise auf eine Borderline-Persönlichkeitsstörung vorgelegen, so dass lediglich von einer Akzentuierung auszugehen gewesen sei.
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Die Frauenärztin Dr. Dipl.-Psych. V. hat im Juli 2014 kundgetan, bei der Klägerin erstmals Mitte Oktober 2006 eine gynäkologische Vorsorgeuntersuchung durchgeführt zu haben. Zuletzt sei sie Anfang September 2010 zu einem Gesprächstermin in Begleitung ihres Ehemannes mit dem Wunsch nach stationärer Einweisung wegen einer Psychose in ihrer Praxis gewesen. Es habe unter anderem ein Zustand nach einer posttraumatischen Belastungsstörung mit dissoziativen Zuständen mit Erstdiagnose im Jahre 2006 bestanden. Es habe sich um eine schwergradige posttraumatische Belastungsstörung mit Panikattacken und schwergradigen psychosomatischen Beschwerden gehandelt.
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Die Ärztin für Psychotherapeutische Medizin J. hat im April 2014 mitgeteilt, dass die Klägerin nicht in ihrer psychologischen Behandlung gewesen sei. Die Dipl.-Psych. O. hat die Anfrage mit dem Vermerk zurückgeschickt, dass ihr diese unbekannt sei. Die Dipl.-Psych. E. hat Ende Juni 2014 mitgeteilt, keine Unterlagen über sie nach dem Jahre 2000 mehr gefunden zu haben.
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In nichtöffentlichen Sitzungen am 16. April, 14. Juli und 13. August 2015 sind die Klägerin gehört sowie M. und ihre leiblichen Eltern H. H. und H. L. als Zeugin und Zeugen befragt worden.
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Die Klägerin hat im April 2015 berichtet, sie habe damals auf der Kegelbahn allein gespielt. Sie sei auf die Toilette gegangen. Nach der Rückkehr von dort sei ihr aufgefallen, dass der Kühlschrank offen gestanden sei. Schließlich sei die Tür zugegangen und M. sei vor ihr gestanden. Sie habe ihn gekannt, da er ihr bereits zuvor eine schwarzweiße Katze geschenkt habe. Er habe dann scheinbar eine Art Gegenleistung von ihr gewollt, was sie jedoch nicht mehr genau wisse. Es sei zum Missbrauch gekommen. Er habe gesagt, die Katze sehe und höre alles, wenn sie etwas erzähle. Diese berichte ihm davon. Dann passiere etwas Schlimmes. Was genau, wisse sie nicht mehr. An den Namen von M. könne sie sich erst jetzt wieder erinnern. lange sei er ihr nicht bekannt gewesen. Sie sehe nur eine schwarze Gestalt mit Vollbart und Brille vor sich. Ihr Vater habe spontan geäußert, M. habe ausgesehen wie der Räuber Hotzenplotz. Damit erkläre sich nun für sie, weshalb sie sich als Kind vor dieser Figur immer geekelt habe. M. sei Tierarzt gewesen. Sie habe bereits mit zehn Jahren Albträume gehabt. Irgendwie habe sich alles wie ein Puzzle zusammengefügt. Sie habe angefangen zu malen, das sei ihr einziges Sprachrohr gewesen. Ihr sei ja ein Schweigegelübde eingehämmert worden. Später als Jugendliche habe sie eine Katze gehabt, da habe sich das Ganze fortgesetzt. Sie könne sich an einen Vorfall erinnern, bei dem sie das Gefühl gehabt habe, diese beobachte sie. Sie sei auf dem Fensterbrett gegessen. Schließlich habe sie einen Schrei losgelassen, bis ihr klar geworden sei, dass es sich um ihr eigenes Tier gehandelt habe. Sie wolle klarstellen, dass sie bereits vor dem zehnten Lebensjahr häufiger unter Albträumen gelitten habe. Ab diesem Zeitpunkt habe sie jedoch einen ganz prägnanten gehabt. Sie habe ein erigiertes Glied mit einem Kondom angefasst. Bereits als Kind sei sie in einer Spieltherapie gewesen. Allerdings sei nichts aus ihr herausgebracht worden. Wahrscheinlich sei das Schweigegelübde so stark in ihr verankert gewesen, dass es nicht funktioniert habe. Sie habe immer Albträume mit Hunden, Blut und Schlangen gehabt, was noch anhalte. Sie träume auch davon, am Hals gewürgt zu werden. Dies komme wohl daher, dass M. sie damals an dieser Stelle gepackt habe. Mittlerweile wisse sie, dass es einen Griff gebe, welcher verhindere, dass zugebissen werden könne. M. habe als Tierarzt sicherlich Kenntnis von dieser Technik gehabt. Dies erkläre ihre Kopf-, Hals- und Genickschmerzen. Zu dem Vorfall im Schrebergarten könne sie nur sagen, dass sie mit einem Mann mitgegangen sei, um dessen Hunde anzusehen. Er habe ihr zeigen wollen, wo diese schlafen. Sie habe ihr blaues Fahrrad dabei gehabt. Sie wisse noch, dass sie an einem Tisch gesessen sei und etwas getrunken habe. Dann sei alles weg. Ihre Therapeutin habe gesagt, wegen der krampfhaften Anfälle müsse etwas Extremes passiert sein, was über einen normalen Missbrauch hinausgegangen sei. Sie könne nicht mehr sagen, welcher Vorfall sich zuerst ereignet habe. Beide ereigneten sich jedoch als sie im Ser Stadtteil D. gewohnt hätten. Das sei wohl in der Zeit von 1977/78 bis 1981 gewesen. Sicher sei sie sich aber auch hier nicht. Jedenfalls hätten sich dort die Vorkommnisse ereignet. Sie könne sich nicht mehr an den Zeitpunkt oder die Jahreszeit erinnern, als sie auf der Kegelbahn missbraucht worden sei. Sie sei etwa vier oder fünf Jahre alt gewesen. Der Täter müsse K. geheißen haben. Sicher sei sie sich jedoch nicht. Er sei jedenfalls Clubmitglied gewesen. Vor etwa zwanzig Jahren sei sie zusammen mit ihrem Therapeuten nochmals am Ort des Geschehens im Vereinsheim gewesen. Die Kegelbahn habe indes nicht mehr existiert, da ein Umbau vorgenommen worden sei. Sie habe die Kegelbahn immer wieder gezeichnet. Als ihre Mutter ein Bild gesehen habe, habe sie spontan gesagt, genau so habe es damals ausgesehen. Später sei sie nochmal mit ihrem Ehemann in S-D. gewesen. An die Person des Täters könne sie sich nicht mehr erinnern. Sie wisse nur noch, dass er große, riesige Hände gehabt habe. Er müsse wohl zwischen dreißig und vierzig Jahre alt gewesen sein. Dies wisse sie aber nicht mehr genau. M. habe sie auf einen Tisch gesetzt und festgehalten. Er habe sie dann oral missbraucht. Ihr Kopf habe gegen seine Rippen geschlagen. Er sei höchstwahrscheinlich zum Samenerguss gekommen, daran erinnern könne sie sich hingegen nicht. Sie habe heute noch massive Probleme, eine Banane zu essen oder sich die Zähne zu putzen. Sie habe mittlerweile herausgefunden, dass es mit einer elektrischen Zahnbürste einfacher sei, da sie diese nicht in den Mund hinein- und wieder herausführen müsse, sondern kreisende Bewegungen vornehmen könne. Sie befinde sich noch immer in einer EMDR-Therapie. Sie habe etwa mit siebzehn oder achtzehn Jahren realisiert, dass in Richtung eines Missbrauches etwas gewesen sein müsse. Mit sechzehn oder siebzehn Jahren habe sie ihren ersten Freund gehabt. Damals habe sie festgestellt, dass mit ihr etwas nicht stimme. Sie habe das schon einmal erlebt und habe gedacht, dass könne ja nicht sein, sie habe noch gar keinen Freund gehabt. Zu den von ihr gemalten und im Termin vorgelegten Bildern hat sie ausgeführt, diese seien teilweise in der Therapie entstanden. Es sei Teil davon gewesen, die gemalten Erinnerungen in einen Tresor wegzustecken, wo sie auch aufbewahrt würden. Zu dem Geschehen im Schrebergarten habe sie einzig von ihr nachträglich gemalte Bilder, welche schwarze Kapuzenmänner mit weißen Augen zeigten. Sie könne sich nur noch daran erinnern, dass da ein oder zwei Hunde gewesen seien. Nach ihrer Erinnerung habe dort eine Frau gestanden. Dann sei ein Mann anwesend gewesen, der sich als Frau verkleidet habe. Sie wisse aber nicht mehr mit letzter Sicherheit, ob es sich dabei um den Missbrauch im Schrebergartenhäuschen handele.
31 
Der Zeuge M. hat im Juli 2015 ausgesagt, er sei aktiver H.spieler in S-D. gewesen. Er sei auch als X im Vorstand gewesen. Ob dies im Jahre 1978 oder 1979 gewesen sei, könne er nicht mehr sagen. Zu seiner aktiven Zeit habe er ein- bis zweimal in der Woche trainiert und am Wochenende gespielt. Er habe sich auch in der Vereinsgaststätte aufgehalten. In seiner Vorstandsfunktion sei er für den Bereich Sport zuständig gewesen, nicht Wirtschaft. Er habe daher auch nicht die Pachtverträge mit den jeweiligen Betreibenden der Gaststätte geschlossen. An die Pächter könne er sich nicht mehr erinnern, diese hätten damals schnell gewechselt. Er könne sich auch nicht an ein Kind von Pächtern erinnern. Er würde einem Kind nie eine Katze schenken. Das sei das Allerschlimmste, was getan werden könne. Insbesondere als Tierarzt gehe das nicht. Dies sei ein ethisches Problem. Tiere sollten nicht verschenkt werden. Zu den ihm entgegengehaltenen Vorwürfen könne er nichts sagen. Der Name der Klägerin sei ihm unbekannt. Er könne sich nicht mehr daran erinnern, ob zu der Vereinsgaststätte eine Kegelbahn gehört habe. Möglich sei es, er habe jedenfalls nie gekegelt. In der damaligen Zeit habe er sicher einen Bart getragen. Er sei damals knallig schwarz und dunkel gewesen. Wenn er einen getragen habe, dann stets einen Vollbart. Er habe etwa schulterlange Haare gehabt. Eine Brille habe er eigentlich schon immer getragen, auch als Kind. Denn er habe sehr schlechte Augen.
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Die Zeugin H. hat im August 2015 geäußert, sie seien ungefähr von September 1978 bis September 1981 in S-D. gewesen. Die Klägerin sei schon anhänglich gewesen, bevor sie dorthin gezogen seien. Sie sei mit etwa siebzehn Jahren für ein halbes Jahr in der S. Klinik in S. gewesen, wo sie therapeutisch behandelt worden sei. Nach der Vermutung der Therapeuten habe es nahegelegen, dass sie missbraucht worden sei. Sie gehe davon aus, dass es der Klägerin zu dieser Zeit bewusst geworden sei. Während der Zeit in S-D. sei sie noch anhänglicher und ängstlicher geworden. Diese habe von M. eine Katze geschenkt bekommen. Sie könne sich jedoch nicht daran erinnern, bei der Übergabe des Tieres dabei gewesen zu sein. Es könne auch sein, dass die Katze zugelaufen sei und die Klägerin M. nur gefragt habe, ob das Tier gut oder gesund sei. Jedenfalls habe sie über die Katze einen Bezug zu M. hergestellt. An einen Missbrauchsvorfall in einem Schrebergartenhäuschen könne sie sich nicht genau erinnern. Die Klägerin sei zwar einmal für ein paar Stunden verschwunden gewesen. Sie könne allerdings nichts dazu sagen, was passiert sei.
33 
Der Zeuge L. hat im August 2015 kundgetan, M. habe sich als Gast häufiger in der Vereinsgaststätte aufgehalten. Er sei Mitglied der H.mannschaft gewesen. Er erinnere sich daran, dass irgendwann bei der Klägerin Bauchschmerzen aufgetreten seien, insbesondere am Wochenende. Er denke, dass es im Zusammenhang mit einem Urlaub im Bayerischen Wald gewesen sei. Entweder dort oder kurz danach hätten die Auffälligkeiten angefangen. Er könne sich auch an eine schwarze Katze erinnern. Sie sei von M. gewesen. Diese hätten sie damals nur ein paar Wochen gehabt. Die Katze sei nicht zugelaufen. Er gehe sehr stark davon aus, dass sie ein Geschenk gewesen sei. M. habe auch Tiere zur Betreuung gehabt, weshalb er annehme, dass sie von ihm gewesen sei. M. habe die Klägerin auf jeden Fall gekannt. Beide hätten sich insbesondere am Wochenende gesehen. Er könne sich nicht daran erinnern, dass diese ihm speziell aus dem Weg gegangen sei oder sich ihm zugewandt habe. Er sei jedoch als Koch in der Küche tätig gewesen und habe nur wenig davon mitbekommen, was sich in der Vereinsgaststätte abgespielt habe. Wann die Katze abgegeben oder wohin diese gebracht worden sei, könne er nicht sagen. An einen Missbrauch in einem Schrebergartenhäuschen habe er keine Erinnerung.
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Im Termin im April 2015 hat das SG darauf hingewiesen, dass die Feststellungsklage vorliegend die richtige Klageart sein dürfte und der Streitgegenstand darauf zu begrenzen sei, dass die Klägerin Opfer eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs geworden sei. In der Niederschrift über den Termin am 14. Juli 2015, bei dem die Klägerin nicht anwesend gewesen ist, sondern von einem ihrer Prozessbevollmächtigten vertreten worden ist, ist aufgeführt: „Die Klägerin beantragt sodann, es wird festgestellt, dass sie Opfer eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs im Alter von fünf bis sechs Jahren auf dem Gelände des H. gewesen ist.“ und „laut diktiert und genehmigt“. Mit Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten der Klägerin vom 2. August 2015 ist vorgetragen worden, trotz des gerichtlichen Hinweises im Erörterungstermin am 16. April 2015 halte sie unter Bezugnahme auf die Entscheidung des BSG vom 16. Dezember 2014 (Az. B 9 V 1/13 R) am kombinierten Feststellungs- und Leistungsantrag fest.
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In der mündlichen Verhandlung am 27. Oktober 2015 hat die Klägerin schließlich beantragt, unter Aufhebung der angefochtenen Verwaltungsentscheidung und unter Abänderung des Bescheides vom 5. August 2002 den Beklagten zu verpflichten, ihr Leistungen nach dem OEG ab 13. November 2000 zu gewähren. Das SG hat die Klage durch Urteil mit der Begründung abgewiesen, selbst unter Zugrundelegung des abgesenkten Beweismaßstabes der Glaubhaftmachung sei es nicht gut möglich, dass die Klägerin 1978 oder im Folgejahr Opfer vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriffe geworden sei, insbesondere in Bezug auf den vorgetragenen sexuellen Missbrauch durch den Zeugen M. Angesichts der detaillierten Schilderung des vermeintlichen sexuellen Missbrauches durch die Klägerin seit Beginn des Verwaltungsverfahrens und im gerichtlichen Verfahren sei es nicht nachvollziehbar, weshalb diese angesichts ihrer vielfältigen ambulanten und stationären psychotherapeutischen Gespräche und Behandlungen in der Zeit seit 1979 bis zu ihrer Erkenntnis im Jahre 1994, sexuell missbraucht worden zu sein, niemals eine sexuelle oder sonstige Gewalttätigkeit auch nur angedeutet habe. Die ersten Schilderungen von Übergriffen seien erst im Rahmen einer mehrjährigen Psychotherapie erfolgt und daher mit Vorsicht zu betrachten. Die Aussage der Klägerin sei erst zu einem Zeitpunkt erfolgt, zu dem sie sich wegen der streitgegenständlichen Gesundheitsstörungen bereits in Therapie befunden habe. Es sei daher nicht auszuschließen, dass etwa im Zusammenhang mit den therapeutischen Bemühungen Gedächtnisinhalte erzeugt oder verändert worden seien. Die Klägerin habe erstmals im Alter von sechs oder sieben Jahren psychotherapeutische Gespräche geführt. Seit etwa dem elften Lebensjahr habe sie sich in psychotherapeutischer Behandlung befunden. Sie habe im Rahmen der Anzeigenerstattung im Jahre 1995 angegeben, erst mit zehn oder elf Jahren die ersten Vermutung gehegt zu haben. Erst etwa eineinhalb Jahren zuvor sei sie sicher gewesen, von M. sexuell missbraucht worden zu sein. Nach dem Klinikaufenthalt in St. mit etwa siebzehn Jahren habe sie an ihre Eltern vermehrt Fragen zu den Gästen in S-D. gerichtet. Ob es sich um ihre eigene Erinnerung gehandelt habe, sei jedoch fraglich. Darüber hinaus habe sie im Laufe ihres Lebens trotz der immer weiter zurückliegenden Ereignisse neue Episoden wie etwa den Vorfall im Schrebergartenhaus oder den Namen des vermeintlichen Täters geschildert. Nach ihrer eigenen Aussage habe sich alles nach und nach wie ein Puzzle zusammengesetzt. Als besonders problematisch seien jedoch solch vermeintlich wiederentdeckten Aussagen etwa dann zu betrachten, wenn mit oder ohne therapeutische Unterstützung explizite Bemühungen vorgenommen worden seien, sich an nicht zugängliche Erlebnisse zu erinnern, wenn Erinnerungen erst im Laufe wiederholter Erinnerungsbemühungen entstanden seien, wenn im Laufe der Zeit immer mehr Erlebnisse berichtet würden oder wenn die berichteten Erlebnisse bizarre oder extreme Erfahrungen beinhalteten. Die Kammer habe sich nicht davon überzeugen können, dass die Erinnerungen der Klägerin nicht in den Therapien erzeugt oder verändert worden seien. Bereits bei der nervenärztlichen Begutachtung im Jahre 2006 habe die Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie E. beschrieben, es habe der Eindruck bestanden, die Klägerin wisse aufgrund ihrer jahrelangen Erfahrung mit Psychotherapeuten genau, welche Argumente sie bei Untersuchungen vorbringen müsse. Auch die Aussagen der gehörten Zeugen hätten die Kammer nicht von der guten Möglichkeit des Tatgeschehens überzeugen können. Die Zeugin H. und der Zeuge L. hätten sich trotz des geschilderten Vorfalles in der Badewanne nicht daran erinnern können, was mit der Katze geschehen sei. Diese hätten im Wesentlichen lediglich die Erinnerungen der Klägerin bestätigt, welche sie über Jahre wiederholt von ihr berichtet bekommen hätten. Zwar gehe die Kammer davon aus, dass die Klägerin selbst von dem von ihr geschilderten Tatgeschehen auf der Kegelbahn überzeugt sei. Diese habe allerdings im Laufe ihres Lebens eine Vielzahl von Schicksalsschlägen erleiden müssen. Sie sei trotz heftiger Gegenwehr zeitweise durch eine Pflegefamilie betreut worden. Die Ehe ihrer Eltern sei von häufigen Streitereien und Handgreiflichkeiten geprägt gewesen. Als sie etwa elf Jahre alt gewesen sei, hätten diese sich getrennt und zwei Jahre später schließlich scheiden lassen. Als Kind habe die Klägerin immer das Gefühl gehabt, zu kurz zu kommen. Die ersten psychogenen Ohnmachtsanfälle seien nach der Scheidung der Eltern erfolgt. Zudem habe sie im Alter von zwei Jahren den Nachbarn tot im Garten gefunden. Ein Jahr später habe ihr Vater einen Suizidversuch unternommen, bei dem sie ihn aufgefunden habe. Es sei daher nicht ausgeschlossen, dass der geschilderte Missbrauch für die Klägerin lediglich eine Erklärung für ihre gesundheitlichen, insbesondere psychischen Leiden darstelle. Zur Überzeugung der Kammer spreche daher nach der Gesamtwürdigung aller Umstände nicht besonders viel für den von der Klägerin behaupteten Vorgang. Hinsichtlich eines etwaigen Missbrauches in einem Schrebergartenhaus sei der abgesenkte Beweismaßstab der Glaubhaftmachung bereits nicht anwendbar. Dieser erfordere zumindest, dass die Betroffenen Bekundungen aus eigenem Wissen, jedenfalls aber überhaupt Angaben machten. Die Klägerin habe indes angegeben, sie könne sich nur teilweise an den Übergriff erinnern. Sie wisse lediglich noch, einen Mann zu einem Schrebergartenhäuschen begleitet zu haben, welcher einen Hund mitgeführt habe. Dort habe sie etwas getrunken und anschließend einen Blackout gehabt. Sie wisse nur noch, wie sie von ihren Eltern gefunden und mit nach Hause genommen worden sei. Ein tätlicher Angriff müsse vorgefallen sein, da sie Bilder aus ihrer Erinnerung male, die durch jahrelange Therapie mittlerweile ans Licht gekommen seien. An einen eigentlichen Übergriff könne sie sich jedoch nicht erinnern. Auch die gehörten Zeugen hätten insoweit nichts zur Sachverhaltsaufklärung beitragen können. Zu weiteren, über die Auswertung der vorliegenden ärztlichen Unterlagen hinausgehenden medizinischen Ermittlungen habe kein Anlass bestanden. Ein Rückschluss von einer psychiatrischen Erkrankung auf die zugrundeliegende Tat sei nicht möglich, sondern beinhalte einen Zirkelschluss. Auch gäben die psychischen Probleme der Klägerin nicht einmal einen brauchbaren Hinweis auf die Möglichkeit der Faktizität des geltend gemachten Geschehens. Die Einholung eines Glaubhaftigkeitsgutachtens von Amts wegen sei nicht erforderlich. Eine solche aussagepsychologische Begutachtung komme nur in besonderen Ausnahmefällen in Betracht, etwa wenn dem Gericht die Sachkunde für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit fehle. Dies sei vorliegend nicht der Fall. Weder weise die Aussageperson Besonderheiten auf, noch sei der Sachverhalt besonders gelagert. Es handele sich um eine durchaus typische Fallgestaltung für das Recht der Opferentschädigung. Der Beitrag von aussagepsychologischen Glaubhaftigkeitsgutachten zur Aufklärung sei gerade in Fällen zweifelhaft, in denen in der Vergangenheit mit therapeutischer Unterstützung explizit Bemühungen unternommen worden seien, sich an nicht zugängliche Erlebnisse zu erinnern oder in denen die Erinnerungen erst im Laufe wiederholter Erinnerungsbemühungen entstanden seien. Zu berücksichtigen sei, dass auch Personen, die einer Gedächtnistäuschung unterlägen, von der Richtigkeit ihrer Erinnerung überzeugt seien. Dies sei bei der Klägerin auch aufgrund des persönlichen Eindruckes der Kammer der Fall. Nach alledem sei der Nachweis für das Vorliegen eines Angriffes nicht erbracht.
36 
Gegen die den Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 5. November 2015 zugestellte Entscheidung hat diese am Montag, 7. Dezember 2015 Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingelegt.
37 
Mit gerichtlichem Schreiben vom 4. April 2016 ist den Prozessbevollmächtigten der Klägerin mitgeteilt worden, dass nicht beabsichtigt ist, von Amts wegen weitere Ermittlungen durchzuführen, insbesondere ein Gutachten zur Feststellung der Glaubhaftigkeit ihrer Angaben einzuholen. Weiter sind sie darüber in Kenntnis gesetzt worden, dass beabsichtigt ist, den Rechtsstreit am 23. Juni 2016 mündlich zu verhandeln. Nachdem ihnen die Ladung am 25. April 2016 zugestellt worden ist, hat die Klägerin am 3. Mai 2016 beantragt, Dr. H. im Rahmen von § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) gutachtlich zu hören.
38 
Die in der mündlichen Verhandlung anwesende Klägerin trägt im Wesentlichen vor, das SG sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass sie den sexuellen Missbrauch im Kindesalter nicht glaubhaft gemacht habe. Es habe maßgeblich darauf abgestellt, dass ihre ersten Schilderungen der sexuellen Übergriffe erst im Rahmen einer mehrjährigen Psychotherapie erfolgt und daher mit Vorsicht zu betrachten seien. Der Umstand, dass sie erst mit siebzehn oder achtzehn Jahren davon gesprochen habe, könne ihr jedoch nicht zum Nachteil gereichen. Dies sei vielmehr normal. Kinder, die Missbrauchserfahrungen machten, verarbeiteten diese in der Regel so, dass sie verdrängt und nicht ausgesprochen würden. Nur so sei ein Schutz möglich. Vor diesem Hintergrund sei auch die Verjährungsregelung für die Straftatbestände im Zusammenhang mit dem sexuellen Missbrauch von Minderjährigen geändert worden. Die Verjährung beginne erst mit der Volljährigkeit des Opfers. Das SG hätte daher nicht auf das Alter oder die Zeitdauer zwischen dem sexuellen Missbrauch und ihrer erstmaligen Äußerung dazu abstellen dürfen. Vielmehr sei zu bewerten, ob ihre Aussagen in sich stimmig und nach mehrmaligen Wiederholungen gleichbleibend seien. Sie habe im Verlaufe ihrer Behandlungen und den Schilderungen über den sexuellen Missbrauch nichts weggelassen oder hinzuerfunden. Ferner habe sie sich nicht in Widersprüche verwickelt. Ihre Aussagen seien auch durch die Angaben ihrer Eltern gestützt worden, die hierzu passten. Selbst die Angaben des Zeugen M. stimmten mit ihrem Vortrag überein. Lediglich die Tat bestreite dieser vollumfänglich. Dessen Äußerungen seien insoweit indes nicht glaubhaft. Angeblich erinnere er sich nicht an eine Kegelbahn, obwohl er in dem Verein jahrelang regelmäßig ein- und ausgegangen und dort im Vereinsvorstand tätig gewesen sei. Dass er nie gekegelt habe, sei eine Lüge. Ihr Vater habe ihr gegenüber ausdrücklich bestätigt, dass er sich daran erinnern könne, der Zeuge M. habe in der Vereinsgaststätte diese Freizeittätigkeit ausgeübt. Der Antrag nach § 109 SGG sei im Übrigen rechtzeitig gestellt worden.
39 
Die Klägerin beantragt,
40 
das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 27. Oktober 2015 und den Bescheid vom 18. Juli 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. November 2013 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, den Bescheid vom 5. August 2002 zurückzunehmen und ihr Beschädigtenversorgung nach dem Opferentschädigungsgesetz zu gewähren,
41 
hilfsweise Dr. F. H., T. 21, 10559 B. nach § 109 Sozialgerichtsgesetz gutachtlich dazu zu hören, dass ihre Angaben zum sexuellen Missbrauch durch den Zeugen M. glaubhaft sind.
42 
Der Beklagte beantragt,
43 
die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
44 
Er trägt im Wesentlichen vor, ein vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff sei von der Klägerin weiterhin nicht glaubhaft gemacht worden.
45 
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten sowie die Verwaltungsakte des Beklagten (3 Bände) verwiesen.

Entscheidungsgründe

 
46 
Die am Montag, 7. Dezember 2015 eingelegte Berufung der Klägerin gegen das ihren Prozessbevollmächtigten am 5. November 2015 zugestellte Urteil des SG ist form- und fristgerecht (§ 151 Abs. 1 i. V. m. § 64 Abs. 3 SGG) erfolgt sowie im Übrigen zulässig, insbesondere statthaft (§ 143, § 144 SGG), aber unbegründet.
47 
Gegenstand des Berufungsverfahrens ist die angefochtene Entscheidung des SG vom 27. Oktober 2015, soweit damit die in der dortigen mündlichen Verhandlung als kombinierte Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG; vgl. BSG, Urteil vom 11. April 2013 - B 2 U 34/11 R -, SozR 4-2700 § 200 Nr. 4, Rz. 30 m. w. N. zur Zulässigkeit einer Kombination von solchen Klagen) erhobene Klage, mit welcher die Klägerin sinngemäß unter Aufhebung des Bescheides vom 18. Juli 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. November 2013 die Verpflichtung des Beklagten zur Rücknahme des Bescheides vom 5. August 2002 und Gewährung von Beschädigtenversorgung nach dem OEG verfolgt hat, abgewiesen worden ist.
48 
Die Berufung der Klägerin ist nicht bereits wegen der Unzulässigkeit der Klage unbegründet. Die Klägerin konnte diese zwar neben der Anfechtungs- und Verpflichtungsklage nicht zulässigerweise auf die isolierte Feststellung beschränken (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 18. September 2009 - L 8 U 5884/08 -, juris, Rz. 32 ff. zu einer Teilrücknahme der Klage durch spätere Antragsbeschränkung), dass sie Opfer eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffes im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG geworden ist, wie sie es in der nichtöffentlichen Sitzung am 14. Juli 2015 beim SG ausweislich der hierüber erstellten Niederschrift (§ 122 SGG i. V. m. § 165 Satz 1 Zivilprozessordnung - ZPO) vornahm. Ein solches Feststellungsbegehren kann weder auf § 55 Abs. 1 Nr. 3 SGG noch auf § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG gestützt werden, da nur eine isolierte Feststellung von Schädigungsfolgen im Sinne des OEG zulässig ist, nicht aber die Klärung einzelner Elemente als Vorfrage des Anspruches nach § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 16. Dezember 2014 - B 9 V 1/13 R -, SozR 4-3800 § 1 Nr. 21, Rz. 10 ff.). In der mündlichen Verhandlung am 27. Oktober 2015 erfolgte indes die bereits mit Schriftsatz vom 2. August 2015 angekündigte und wegen § 99 Abs. 3 Nr. 2 SGG mögliche Erweiterung der Hauptsache (vgl. Leitherer, in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 11. Aufl. 2014, § 99 Rz. 4), weshalb die Klägerin im Übrigen durch die ablehnende Entscheidung des SG insoweit auch beschwert ist (vgl. Leitherer, a. a. O., vor § 143 Rz. 6). Die Anfechtungsklage ist zudem bis zuletzt durchgängig aufrechterhalten worden, weshalb die mit Bescheid vom 18. Juli 2013 getroffene negative Regelung nicht bestandskräftig geworden und die Klägerin klagebefugt im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG ist.
49 
Soweit die Klägerin mit der kombinierten Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage die Beseitigung des ablehnenden Bescheides vom 18. Juli 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. November 2013 sowie die Verpflichtung des Beklagten zur Rücknahme der Verwaltungsentscheidung vom 5. August 2002 und die Gewährung von Beschädigtenversorgung nach dem OEG begehrt, ist die Berufung indes wegen der Unbegründetheit der Klage nicht begründet. Denn mangels Vorliegen der Voraussetzungen für die Leistungsgewährung ist die negative Feststellung im Bescheid vom 5. August 2002 nicht rechtswidrig und folglich auch nicht zurückzunehmen gewesen. Eine Regelung wurde darin, gestützt auf die Anzeige der Klägerin bei der Polizeidirektion B., allerdings nur in Anknüpfung an einen sexuellen Missbrauch durch den Zeugen M. als vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriff getroffen. Das von der Klägerin angeführte mögliche Geschehen in einem Schrebergarten im S. Stadtteil D. hat dieser Verwaltungsentscheidung nicht zugrunde gelegen, weshalb die Beschädigtenversorgung nach dem OEG in Bezug darauf nicht Gegenstand einer materiell-rechtlichen Prüfung in diesem Berufungsverfahren sein kann.
50 
Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 1 SGB X ist, soweit es sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind, der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen.
51 
Ziel dieser Norm ist es, die Konfliktsituation zwischen der Bindungswirkung eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes und der materiellen Gerechtigkeit zugunsten letzterer aufzulösen (vgl. BSG, Urteil vom 4. Februar 1998 - B 9 V 16/96 R -, SozR 3-1300 § 44 Nr. 24). Ist ein Verwaltungsakt rechtswidrig, haben Betroffene einen einklagbaren Anspruch auf Rücknahme des Verwaltungsaktes unabhängig davon, ob dieser durch ein rechtskräftiges Urteil bestätigt wurde (BSG, Urteil vom 28. Januar 1981 - 9 RV 29/80 -, BSGE 51, 139 <141>). Auch wenn Betroffene, wie die Klägerin, schon einmal einen Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X gestellt haben, darf die Verwaltung ein erneutes Begehren nicht ohne Rücksicht auf die wirkliche Sach- und Rechtslage zurückweisen. Entsprechend dem Umfang des Vorbringens muss sie in eine erneute Prüfung eintreten und Antragstellende bescheiden (BSG, Urteil vom 5. September 2006 - B 2 U 24/05 R -, BSGE 97, 54 <57>). Dem ist der Beklagte hinreichend nachgekommen. Die Klägerin hat den weiteren Überprüfungsantrag insbesondere unter Hinweis auf das Urteil des BSG vom 17. April 2013 (Az. B 9 V 1/12 R) gestellt.
52 
Die Voraussetzungen von § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X sind vorliegend indes nicht erfüllt. Der Beklagte hat bei Erlass seines Ausgangsbescheides vom 5. August 2002 über die Gewährung von Beschädigtenversorgung nach dem OEG aufgrund des von der Klägerin angeführten sexuellen Missbrauches durch den Zeugen M. weder das Recht unrichtig angewandt noch ist er von einem Sachverhalt ausgegangen, der sich als unrichtig erweist. Dass der Beklagte einen unrichtigen Sachverhalt zugrunde legte, hat auch die Klägerin nicht behauptet. Sie meint im Kern nur, der Beklagte habe es aufgrund einer fehlerhaften Rechtsanwendung unterlassen, ihr Beschädigtenversorgung nach dem OEG zu gewähren. Ihre Ansicht trifft indes nicht zu.
53 
Für einen Anspruch der Klägerin auf Beschädigtenversorgung nach dem OEG in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) sind folgende rechtlichen Grundsätze maßgebend (vgl. BSG, Urteil vom 17. April 2013 - B 9 V 1/12 R -, BSGE 113, 205 <208 ff.>):
54 
Ein Entschädigungsanspruch nach dem OEG setzt zunächst voraus, dass die allgemeinen Tatbestandsmerkmale des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG gegeben sind (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 23. April 2009 - B 9 VG 1/08 R -, juris, Rz. 27 m. w. N). Danach erhält eine natürliche Person ("wer"), die im Geltungsbereich des OEG durch einen vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriff eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG. Somit besteht der Tatbestand des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG aus drei Gliedern (tätlicher Angriff, Schädigung und Schädigungsfolgen), die durch einen Ursachenzusammenhang miteinander verbunden sind. In Altfällen, also bei Schädigungen zwischen dem Inkrafttreten des Grundgesetzes am 23. Mai 1949 und dem Inkrafttreten des OEG am 16. Mai 1976 (BGBl I S. 1181), müssen daneben noch die besonderen Voraussetzungen gemäß § 10 Satz 2 OEG in Verbindung mit § 10a Abs. 1 Satz 1 OEG erfüllt sein. Nach dieser Härteregelung erhalten Personen, die in diesem Zeitraum geschädigt worden sind, auf Antrag Versorgung, solange sie allein infolge dieser Schädigung schwerbeschädigt und bedürftig sind sowie im Geltungsbereich des OEG ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben.
55 
Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ist bei der Auslegung des Rechtsbegriffes "vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff" im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG entscheidend auf die Rechtsfeindlichkeit, vor allem verstanden als Feindlichkeit gegen das Strafgesetz, abzustellen; von subjektiven Merkmalen, wie etwa einer kämpferischen, feindseligen Absicht, hat sich die Auslegung insoweit weitestgehend gelöst (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 7. April 2011 - B 9 VG 2/10 R -, SozR 4-3800 § 1 Nr. 18, Rz. 32 m. w. N.). Dabei sind je nach Fallkonstellation unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt und verschiedene Gesichtspunkte hervorgehoben worden. Leitlinie ist insoweit der sich aus dem Sinn und Zweck des OEG ergebende Gedanke des Opferschutzes. Das Vorliegen eines tätlichen Angriffes hat das BSG daher aus der Sicht von objektiven, vernünftigen Dritten beurteilt und insbesondere sozial angemessenes Verhalten ausgeschieden. Allgemein ist es in seiner bisherigen Rechtsprechung davon ausgegangen, dass als tätlicher Angriff grundsätzlich eine in feindseliger oder rechtsfeindlicher Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielende gewaltsame Einwirkung anzusehen ist, wobei die Angriffshandlung in aller Regel den Tatbestand einer - jedenfalls versuchten - vorsätzlichen Straftat gegen das Leben oder die körperliche Unversehrtheit erfüllt (st. Rspr.; vgl. nur BSG, Urteil vom 29. April 2010 - B 9 VG 1/09 R -, SozR 4-3800 § 1 Nr. 17, Rz. 25 m. w. N.). Abweichend von dem im Strafrecht umstrittenen Gewaltbegriff im Sinne des § 240 StGB zeichnet sich der tätliche Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG durch eine körperliche Gewaltanwendung (Tätlichkeit) gegen eine Person aus, wirkt also körperlich (physisch) auf einen anderen ein (vgl. BSG, Urteil vom 7. April 2011 - B 9 VG 2/10 R -, SozR 4-3800 § 1 Nr. 18, Rz. 36 m. w. N.). Ein solcher Angriff setzt eine unmittelbar auf den Körper einer anderen Person zielende, gewaltsame physische Einwirkung voraus; die bloße Drohung mit einer wenn auch erheblichen Gewaltanwendung oder Schädigung reicht hierfür demgegenüber nicht aus (vgl. BSG, Urteil vom 16. Dezember 2014 - B 9 V 1/13 R -, juris, Rz. 23 ff.).
56 
In Fällen sexuellen Missbrauchs von Kindern im Sinne von § 176 StGB hat das BSG den Begriff des tätlichen Angriffes noch weiter verstanden. Danach kommt es nicht darauf an, welche innere Einstellung der Täter zu dem Opfer hatte und wie das Opfer die Tat empfunden hat. Es ist allein entscheidend, dass die Begehensweise, also sexuelle Handlungen, eine Straftat war (vgl. BSG, Urteil vom 29. April 2010 - B 9 VG 1/09 R -, SozR 4-3800 § 1 Nr. 17, Rz. 28 m. w. N.). Auch der "gewaltlose" sexuelle Missbrauch eines Kindes kann demnach ein tätlicher Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG sein (BSG, Urteile vom 18. Oktober 1995 - 9 RVg 4/93 -, BSGE 77, 7, <8 f.> und - 9 RVg 7/93 -, BSGE 77, 11 <13>). Diese erweiternde Auslegung des Begriffes des tätlichen Angriffs ist speziell in Fällen eines sexuellen Missbrauchs von Kindern aus Gründen des sozialen und psychischen Schutzes der Opfer unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck des OEG geboten.
57 
Hinsichtlich der entscheidungserheblichen Tatsachen kennen das soziale Entschädigungsrecht und damit auch das OEG drei Beweismaßstäbe. Grundsätzlich bedürfen die drei Glieder der Kausalkette (schädigender Vorgang, Schädigung und Schädigungsfolgen) des Vollbeweises. Für die Kausalität selbst genügt gemäß § 1 Abs. 3 BVG die Wahrscheinlichkeit. Nach Maßgabe des § 15 Satz 1des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOVVfG), der gemäß § 6 Abs. 3 OEG anzuwenden ist, sind bei der Entscheidung die Angaben der Antragstellenden, die sich auf die mit der Schädigung, also insbesondere auch mit dem tätlichen Angriff im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, zugrunde zu legen, wenn sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen.
58 
Für den Vollbeweis muss sich das Gericht die volle Überzeugung vom Vorhandensein oder Nichtvorhandensein einer Tatsache verschaffen. Allerdings verlangt auch der Vollbeweis keine absolute Gewissheit, sondern lässt eine an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit ausreichen. Denn ein darüber hinausgehender Grad an Gewissheit ist so gut wie nie zu erlangen (vgl. Keller, in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 11. Aufl. 2014, § 128 Rz. 3b m. w. N.). Daraus folgt, dass auch dem Vollbeweis gewisse Zweifel innewohnen können, verbleibende Restzweifel mit anderen Worten bei der Überzeugungsbildung unschädlich sind, solange sie sich nicht zu gewichtigen Zweifeln verdichten (vgl. BSG, Urteil vom 24. November 2010 - B 11 AL 35/09 R -, juris, Rz. 21). Eine Tatsache ist bewiesen, wenn sie in so hohem Grade wahrscheinlich ist, dass alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung zu begründen (vgl. Keller, a. a. O.).
59 
Der Beweisgrad der Wahrscheinlichkeit im Sinne des § 1 Abs. 3 Satz 1 BVG ist dann gegeben, wenn nach der geltenden wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang spricht (vgl. BSG, Beschluss vom 8. August 2001 - B 9 V 23/01 B -, SozR 3-3900 § 15 Nr. 4, S. 14 m. w. N.). Diese Definition ist der Fragestellung nach dem wesentlichen ursächlichen Zusammenhang (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 16. Dezember 2014 - B 9 V 6/13 R -, juris, Rz. 18 ff.) angepasst, die nur entweder mit ja oder mit nein beantwortet werden kann. Es muss sich unter Würdigung des Beweisergebnisses ein solcher Grad von Wahrscheinlichkeit ergeben, dass ernste Zweifel hinsichtlich einer anderen Möglichkeit ausscheiden. Für die Wahrscheinlichkeit ist ein "deutliches" Übergewicht für eine der Möglichkeiten erforderlich. Sie entfällt, wenn eine andere Möglichkeit ebenfalls ernstlich in Betracht kommt.
60 
Bei dem "Glaubhafterscheinen" im Sinne des § 15 Satz 1 KOVVfG handelt es sich um den dritten, mildesten Beweismaßstab des Sozialrechts. Glaubhaftmachung bedeutet das Dartun einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit (vgl. Keller, a. a. O., Rz. 3d m. w. N.), also der guten Möglichkeit, dass sich der Vorgang so zugetragen hat, wobei durchaus gewisse Zweifel bestehen bleiben können (vgl. BSG, Beschluss vom 8. August 2001 - B 9 V 23/01 B -, SozR 3-3900 § 15 Nr. 4, S. 14 f. m. w. N.). Dieser Beweismaßstab ist durch seine Relativität gekennzeichnet. Es muss nicht, wie bei der Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhanges, absolut mehr für als gegen die glaubhaft zu machende Tatsache sprechen. Es reicht die gute Möglichkeit aus, also es genügt, wenn bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten ist (vgl. Keller, a. a. O.), weil nach der Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Möglichkeit spricht. Von mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Sachverhaltsvarianten muss einer den übrigen gegenüber ein gewisses, aber kein deutliches Übergewicht zukommen. Wie bei den beiden anderen Beweismaßstäben reicht die bloße Möglichkeit einer Tatsache nicht aus, um die Beweisanforderungen zu erfüllen. Das Tatsachengericht ist allerdings mit Blick auf die Freiheit der richterlichen Beweiswürdigung (§ 128 Abs. 1 Satz 1 SGG) im Einzelfall grundsätzlich darin frei, ob es die Beweisanforderungen als erfüllt ansieht (vgl. BSG, Beschluss vom 8. August 2001 - B 9 V 23/01 B -, SozR 3-3900 § 15 Nr. 4, S. 15). Diese Grundsätze haben ihren Niederschlag auch in den "Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz" in ihrer am 1. Oktober 1998 geltenden Fassung der Ausgabe 1996 (AHP 1996) und nachfolgend - seit Juli 2004 - den "Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2 SGB IX)" in ihrer jeweils geltenden Fassung (AHP 2005 und 2008) gefunden, welche zum 1. Januar 2009 durch die Anlage zu § 2 Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) vom 10. Dezember 2008 (Teil C, Nrn. 1 bis 3 und 12 der Anlage zu § 2 VersMedV; vgl. BR-Drucks 767/1/08 S. 3, 4) inhaltsgleich ersetzt worden ist (vgl. BSG, Urteil vom 16. Dezember 2014 - B 9 V 6/13 R -, juris, Rz. 17).
61 
Ausgehend von diesen rechtlichen Vorgaben hat die Klägerin keinen Anspruch auf Gewährung von Beschädigtenversorgung wegen des behaupteten sexuellen Missbrauches durch den Zeugen M. Nicht erwiesen ist, dass es einen solchen tätlichen Angriff gegeben hat. Es besteht nach den umfassenden Ermittlungen des SG noch nicht einmal die gute Möglichkeit einer derartigen Einwirkung.
62 
Nach § 15 Satz 1 KOVVfG sind die Angaben der Antragstellenden, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, der Entscheidung zugrunde zu legen, wenn Unterlagen nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen oder ohne Verschulden der Antragstellenden oder ihrer Hinterbliebenen verlorengegangen sind, soweit die Angaben nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen. Die Beweiserleichterung des § 15 Satz 1 KOVVfG ist auch dann anwendbar, wenn für den schädigenden Vorgang keine Zeugen vorhanden sind (vgl. BSG, Urteil vom 31. Mai 1989 - 9 RVg 3/89 -, BSGE 65, 123 <125>). Nach dem Sinn und Zweck des § 15 Satz 1 KOVVfG sind damit nur Tatzeugen gemeint, die zu den zu beweisenden Tatsachen aus eigener Wahrnehmung Angaben machen können. Personen etwa, die von ihrem gesetzlichen Zeugnisverweigerungsrecht (§ 118 Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. §§ 383 ff. ZPO) Gebrauch gemacht haben, sind dabei nicht als solche Zeugen anzusehen. Entsprechendes gilt für eine für die Tatbegehung in Betracht kommende Person, die eine schädigende Handlung bestreitet. Denn die Beweisnot des Opfers, auf die sich § 15 Satz 1 KOVVfG bezieht, ist in diesem Fall nicht geringer, als wenn Angreifende unerkannt geblieben oder flüchtig sind. Die Beweiserleichterung des § 15 Satz 1 KOVVfG gelangt damit auch zur Anwendung, wenn sich die Aussagen des Opfers und des vermeintlichen Täters gegenüberstehen und Tatzeugen nicht vorhanden sind (BSG, Urteil vom 17. April 2013 - B 9 V 1/12 R -, juris, Rz. 41 m. w. N.). Eine solche, vom Anwendungsbereich des § 15 Satz 1 KOVVfG erfasste Konstellation liegt vor, da M. als für die Tatbegehung von der Klägerin benannte Person den Tathergang bei der Vernehmung durch das SG in der nichtöffentlichen Sitzung am 14. Juli 2015 bestritten hat. Für den behaupteten schädigenden Vorgang sind auch sonst keine unmittelbaren Tatzeugen vorhanden, die Eltern haben die angeschuldigte Tat nur von der Klägerin erfahren.
63 
Es ist zwar nicht gänzlich auszuschließen, dass der Zeuge M. die Klägerin, wie sie behauptet, Ende der 1970er Jahre auf der Kegelbahn der Vereinsgaststätte des H. Club e. V. sexuell missbrauchte und dieser, um sich der wegen der Verfolgungsverjährung (§ 78 StGB) zwar nicht strafrechtlichen, aber doch moralischen Verantwortung für eine begangene Straftat zu entziehen, bei der Vernehmung durch das SG Erinnerungslücken angeführt hat, ohne dass solche wirklich bestanden haben. Mehr als bloß möglich erscheint dies jedoch nicht. Zur Begründung nimmt der Senat auf die überzeugenden ausführlichen und die jüngere Entscheidung des Senats vom 21. April 2015 (L 6 VG 2096/13, juris) hinreichend beachtenden Ausführungen des SG im angefochtenen Urteil vom 27. Oktober 2015 Bezug und sieht zur Vermeidung von Wiederholungen von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 153 Abs. 2 SGG). Im Hinblick auf das weitere Vorbringen der Klägerin im Berufungsverfahren ist lediglich ergänzend darauf hinzuweisen, dass der Senat ihren Angaben nicht deshalb kein größeres Gewicht beigemessen hat, weil sie die Umstände des sexuellen Missbrauches nicht vor dem 18. Lebensjahr angeführt hat, sondern dass nicht auszuschließen gewesen ist, dass bei ihr Gedächtnisinhalte erst im Zusammenhang mit therapeutischen Bemühungen erzeugt worden sind, die bei ihr in diesem Alter erfolgten.
64 
Die Einholung eines Glaubhaftigkeitsgutachtens von Amts wegen (§ 103 SGG) war unabhängig davon, ob die Klägerin überhaupt über die erforderliche Aussagetüchtigkeit verfügt, nicht erforderlich. Der Senat konnte, nachdem das SG die Klägerin im erstinstanzlichen Verfahren anhörte und sie im Übrigen in der mündlichen Verhandlung beim LSG anwesend war, entscheiden. Denn die Würdigung von Aussagen nicht nur erwachsener, sondern auch kindlicher oder jugendlicher Personen gehört zum Wesen richterlicher Rechtsfindung und ist daher grundsätzlich einem Tatgericht anvertraut. Eine aussagepsychologische Begutachtung kommt nur in besonderen Ausnahmefällen in Betracht, nämlich wenn dem Gericht die Sachkunde für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit fehlt. Die Einholung eines Glaubhaftigkeitsgutachtens ist nur geboten, wenn der Sachverhalt oder die Aussageperson solche Besonderheiten aufweist, die eine Sachkunde erfordern, welche eine Richterin oder ein Richter normalerweise nicht haben (Urteil des Senats vom 21. April 2015, a. a. O., Rz. 49). Das ist vorliegend nicht der Fall. Weder weist die Aussageperson solche Besonderheiten auf, noch ist der Sachverhalt besonders gelagert, sondern im Opferentschädigungsrecht eine durchaus typische Fallgestaltung. Der Beitrag von aussagepsychologischen Glaubhaftigkeitsgutachten zur Aufklärung ist gerade in Fällen zweifelhaft, in denen in der Vergangenheit mit therapeutischer Unterstützung explizit Bemühungen unternommen worden sind, sich an nicht zugängliche Erlebnisse zu erinnern oder in denen die Erinnerungen erst im Laufe wiederholter Erinnerungsbemühungen entstanden sind. Zu berücksichtigen ist, dass auch Personen, die einer Gedächtnistäuschung unterliegen, von der Richtigkeit ihrer Erinnerung überzeugt sein können (Urteil des Senats vom 21. April 2015, a. a. O., Bayerisches LSG, Urteil vom 26. Januar 2016 -, juris, Rz. 83). Dies ist bei der Klägerin zur Überzeugung des Senats ausweislich der vorliegenden Entlassungsberichte über mehrere mehrwöchige und sogar mehrmonatige stationäre Klinikaufenthalte gegeben.
65 
Dem hilfsweisen Antrag auf Einholung eines aussagepsychologischen Gutachtens bei Dr. H. nach § 109 SGG war nicht stattzugeben. Das Gericht kann ein solches Gesuch gemäß § 109 Abs. 2 SGG ablehnen, wenn durch die Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits verzögert werden würde und der Antrag nach der freien Überzeugung des Gerichts in der Absicht, das Verfahren zu verschleppen, oder aus grober Nachlässigkeit nicht früher vorgebracht worden ist. Eine Verzögerung in diesem Sinne tritt ein, wenn sich wegen der Beweisaufnahme nach § 109 SGG der durch eine erfolgte oder bevorstehende Terminierung bereits ins Auge gefasste Zeitpunkt der Verfahrensbeendigung verschieben würde (vgl. Keller, in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 11. Aufl. 2014, § 109 Rz. 11). Dies wäre vorliegend der Fall gewesen, denn der Antrag wurde erst gestellt, nachdem die mündliche Verhandlung am 23. Juni 2016 anberaumt wurde. Zudem handelte die Klägerin, welcher das Verhalten ihrer Prozessbevollmächtigten zuzurechnen ist, aus grober Nachlässigkeit. Diese liegt beim Verabsäumen jeglicher prozessualer Sorgfalt vor (BSG, Urteil vom 10. Juni 1958 - 9 RV 836/55 -, BSGE 7, 218). Daher müssen Beteiligte den Antrag spätestens innerhalb einer angemessenen Frist stellen, wenn sie erkennen müssen, dass das Gericht keine - weiteren - Erhebungen von Amts wegen durchführt (vgl. LSG für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 16. Januar 2015 - L 13 SB 348/11 -, juris, Rz. 32; Keller, a. a. O.). Dies hat die Klägerin versäumt. Das Gesuch ist am 3. Mai 2016 und damit erst mehr als eine Woche nach der am 25. April 2016 erfolgten Ladung zur mündlichen Verhandlung angebracht und damit offensichtlich überhaupt erst durch diese veranlasst worden, obwohl der Berichterstatter mit Schreiben vom 4. April 2016 der Klägerin mitgeteilt hat, dass in diesem Verfahren keine weiteren Ermittlungen von Amts wegen durchgeführt werden, insbesondere kein Gutachten zur Feststellung der Glaubhaftigkeit ihrer Angaben eingeholt wird.
66 
Nach alledem war die Berufung zurückzuweisen.
67 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
68 
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.

Gründe

 
46 
Die am Montag, 7. Dezember 2015 eingelegte Berufung der Klägerin gegen das ihren Prozessbevollmächtigten am 5. November 2015 zugestellte Urteil des SG ist form- und fristgerecht (§ 151 Abs. 1 i. V. m. § 64 Abs. 3 SGG) erfolgt sowie im Übrigen zulässig, insbesondere statthaft (§ 143, § 144 SGG), aber unbegründet.
47 
Gegenstand des Berufungsverfahrens ist die angefochtene Entscheidung des SG vom 27. Oktober 2015, soweit damit die in der dortigen mündlichen Verhandlung als kombinierte Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG; vgl. BSG, Urteil vom 11. April 2013 - B 2 U 34/11 R -, SozR 4-2700 § 200 Nr. 4, Rz. 30 m. w. N. zur Zulässigkeit einer Kombination von solchen Klagen) erhobene Klage, mit welcher die Klägerin sinngemäß unter Aufhebung des Bescheides vom 18. Juli 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. November 2013 die Verpflichtung des Beklagten zur Rücknahme des Bescheides vom 5. August 2002 und Gewährung von Beschädigtenversorgung nach dem OEG verfolgt hat, abgewiesen worden ist.
48 
Die Berufung der Klägerin ist nicht bereits wegen der Unzulässigkeit der Klage unbegründet. Die Klägerin konnte diese zwar neben der Anfechtungs- und Verpflichtungsklage nicht zulässigerweise auf die isolierte Feststellung beschränken (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 18. September 2009 - L 8 U 5884/08 -, juris, Rz. 32 ff. zu einer Teilrücknahme der Klage durch spätere Antragsbeschränkung), dass sie Opfer eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffes im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG geworden ist, wie sie es in der nichtöffentlichen Sitzung am 14. Juli 2015 beim SG ausweislich der hierüber erstellten Niederschrift (§ 122 SGG i. V. m. § 165 Satz 1 Zivilprozessordnung - ZPO) vornahm. Ein solches Feststellungsbegehren kann weder auf § 55 Abs. 1 Nr. 3 SGG noch auf § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG gestützt werden, da nur eine isolierte Feststellung von Schädigungsfolgen im Sinne des OEG zulässig ist, nicht aber die Klärung einzelner Elemente als Vorfrage des Anspruches nach § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 16. Dezember 2014 - B 9 V 1/13 R -, SozR 4-3800 § 1 Nr. 21, Rz. 10 ff.). In der mündlichen Verhandlung am 27. Oktober 2015 erfolgte indes die bereits mit Schriftsatz vom 2. August 2015 angekündigte und wegen § 99 Abs. 3 Nr. 2 SGG mögliche Erweiterung der Hauptsache (vgl. Leitherer, in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 11. Aufl. 2014, § 99 Rz. 4), weshalb die Klägerin im Übrigen durch die ablehnende Entscheidung des SG insoweit auch beschwert ist (vgl. Leitherer, a. a. O., vor § 143 Rz. 6). Die Anfechtungsklage ist zudem bis zuletzt durchgängig aufrechterhalten worden, weshalb die mit Bescheid vom 18. Juli 2013 getroffene negative Regelung nicht bestandskräftig geworden und die Klägerin klagebefugt im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG ist.
49 
Soweit die Klägerin mit der kombinierten Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage die Beseitigung des ablehnenden Bescheides vom 18. Juli 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. November 2013 sowie die Verpflichtung des Beklagten zur Rücknahme der Verwaltungsentscheidung vom 5. August 2002 und die Gewährung von Beschädigtenversorgung nach dem OEG begehrt, ist die Berufung indes wegen der Unbegründetheit der Klage nicht begründet. Denn mangels Vorliegen der Voraussetzungen für die Leistungsgewährung ist die negative Feststellung im Bescheid vom 5. August 2002 nicht rechtswidrig und folglich auch nicht zurückzunehmen gewesen. Eine Regelung wurde darin, gestützt auf die Anzeige der Klägerin bei der Polizeidirektion B., allerdings nur in Anknüpfung an einen sexuellen Missbrauch durch den Zeugen M. als vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriff getroffen. Das von der Klägerin angeführte mögliche Geschehen in einem Schrebergarten im S. Stadtteil D. hat dieser Verwaltungsentscheidung nicht zugrunde gelegen, weshalb die Beschädigtenversorgung nach dem OEG in Bezug darauf nicht Gegenstand einer materiell-rechtlichen Prüfung in diesem Berufungsverfahren sein kann.
50 
Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 1 SGB X ist, soweit es sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind, der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen.
51 
Ziel dieser Norm ist es, die Konfliktsituation zwischen der Bindungswirkung eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes und der materiellen Gerechtigkeit zugunsten letzterer aufzulösen (vgl. BSG, Urteil vom 4. Februar 1998 - B 9 V 16/96 R -, SozR 3-1300 § 44 Nr. 24). Ist ein Verwaltungsakt rechtswidrig, haben Betroffene einen einklagbaren Anspruch auf Rücknahme des Verwaltungsaktes unabhängig davon, ob dieser durch ein rechtskräftiges Urteil bestätigt wurde (BSG, Urteil vom 28. Januar 1981 - 9 RV 29/80 -, BSGE 51, 139 <141>). Auch wenn Betroffene, wie die Klägerin, schon einmal einen Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X gestellt haben, darf die Verwaltung ein erneutes Begehren nicht ohne Rücksicht auf die wirkliche Sach- und Rechtslage zurückweisen. Entsprechend dem Umfang des Vorbringens muss sie in eine erneute Prüfung eintreten und Antragstellende bescheiden (BSG, Urteil vom 5. September 2006 - B 2 U 24/05 R -, BSGE 97, 54 <57>). Dem ist der Beklagte hinreichend nachgekommen. Die Klägerin hat den weiteren Überprüfungsantrag insbesondere unter Hinweis auf das Urteil des BSG vom 17. April 2013 (Az. B 9 V 1/12 R) gestellt.
52 
Die Voraussetzungen von § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X sind vorliegend indes nicht erfüllt. Der Beklagte hat bei Erlass seines Ausgangsbescheides vom 5. August 2002 über die Gewährung von Beschädigtenversorgung nach dem OEG aufgrund des von der Klägerin angeführten sexuellen Missbrauches durch den Zeugen M. weder das Recht unrichtig angewandt noch ist er von einem Sachverhalt ausgegangen, der sich als unrichtig erweist. Dass der Beklagte einen unrichtigen Sachverhalt zugrunde legte, hat auch die Klägerin nicht behauptet. Sie meint im Kern nur, der Beklagte habe es aufgrund einer fehlerhaften Rechtsanwendung unterlassen, ihr Beschädigtenversorgung nach dem OEG zu gewähren. Ihre Ansicht trifft indes nicht zu.
53 
Für einen Anspruch der Klägerin auf Beschädigtenversorgung nach dem OEG in Verbindung mit dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) sind folgende rechtlichen Grundsätze maßgebend (vgl. BSG, Urteil vom 17. April 2013 - B 9 V 1/12 R -, BSGE 113, 205 <208 ff.>):
54 
Ein Entschädigungsanspruch nach dem OEG setzt zunächst voraus, dass die allgemeinen Tatbestandsmerkmale des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG gegeben sind (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 23. April 2009 - B 9 VG 1/08 R -, juris, Rz. 27 m. w. N). Danach erhält eine natürliche Person ("wer"), die im Geltungsbereich des OEG durch einen vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriff eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des BVG. Somit besteht der Tatbestand des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG aus drei Gliedern (tätlicher Angriff, Schädigung und Schädigungsfolgen), die durch einen Ursachenzusammenhang miteinander verbunden sind. In Altfällen, also bei Schädigungen zwischen dem Inkrafttreten des Grundgesetzes am 23. Mai 1949 und dem Inkrafttreten des OEG am 16. Mai 1976 (BGBl I S. 1181), müssen daneben noch die besonderen Voraussetzungen gemäß § 10 Satz 2 OEG in Verbindung mit § 10a Abs. 1 Satz 1 OEG erfüllt sein. Nach dieser Härteregelung erhalten Personen, die in diesem Zeitraum geschädigt worden sind, auf Antrag Versorgung, solange sie allein infolge dieser Schädigung schwerbeschädigt und bedürftig sind sowie im Geltungsbereich des OEG ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt haben.
55 
Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ist bei der Auslegung des Rechtsbegriffes "vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff" im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG entscheidend auf die Rechtsfeindlichkeit, vor allem verstanden als Feindlichkeit gegen das Strafgesetz, abzustellen; von subjektiven Merkmalen, wie etwa einer kämpferischen, feindseligen Absicht, hat sich die Auslegung insoweit weitestgehend gelöst (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 7. April 2011 - B 9 VG 2/10 R -, SozR 4-3800 § 1 Nr. 18, Rz. 32 m. w. N.). Dabei sind je nach Fallkonstellation unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt und verschiedene Gesichtspunkte hervorgehoben worden. Leitlinie ist insoweit der sich aus dem Sinn und Zweck des OEG ergebende Gedanke des Opferschutzes. Das Vorliegen eines tätlichen Angriffes hat das BSG daher aus der Sicht von objektiven, vernünftigen Dritten beurteilt und insbesondere sozial angemessenes Verhalten ausgeschieden. Allgemein ist es in seiner bisherigen Rechtsprechung davon ausgegangen, dass als tätlicher Angriff grundsätzlich eine in feindseliger oder rechtsfeindlicher Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielende gewaltsame Einwirkung anzusehen ist, wobei die Angriffshandlung in aller Regel den Tatbestand einer - jedenfalls versuchten - vorsätzlichen Straftat gegen das Leben oder die körperliche Unversehrtheit erfüllt (st. Rspr.; vgl. nur BSG, Urteil vom 29. April 2010 - B 9 VG 1/09 R -, SozR 4-3800 § 1 Nr. 17, Rz. 25 m. w. N.). Abweichend von dem im Strafrecht umstrittenen Gewaltbegriff im Sinne des § 240 StGB zeichnet sich der tätliche Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG durch eine körperliche Gewaltanwendung (Tätlichkeit) gegen eine Person aus, wirkt also körperlich (physisch) auf einen anderen ein (vgl. BSG, Urteil vom 7. April 2011 - B 9 VG 2/10 R -, SozR 4-3800 § 1 Nr. 18, Rz. 36 m. w. N.). Ein solcher Angriff setzt eine unmittelbar auf den Körper einer anderen Person zielende, gewaltsame physische Einwirkung voraus; die bloße Drohung mit einer wenn auch erheblichen Gewaltanwendung oder Schädigung reicht hierfür demgegenüber nicht aus (vgl. BSG, Urteil vom 16. Dezember 2014 - B 9 V 1/13 R -, juris, Rz. 23 ff.).
56 
In Fällen sexuellen Missbrauchs von Kindern im Sinne von § 176 StGB hat das BSG den Begriff des tätlichen Angriffes noch weiter verstanden. Danach kommt es nicht darauf an, welche innere Einstellung der Täter zu dem Opfer hatte und wie das Opfer die Tat empfunden hat. Es ist allein entscheidend, dass die Begehensweise, also sexuelle Handlungen, eine Straftat war (vgl. BSG, Urteil vom 29. April 2010 - B 9 VG 1/09 R -, SozR 4-3800 § 1 Nr. 17, Rz. 28 m. w. N.). Auch der "gewaltlose" sexuelle Missbrauch eines Kindes kann demnach ein tätlicher Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG sein (BSG, Urteile vom 18. Oktober 1995 - 9 RVg 4/93 -, BSGE 77, 7, <8 f.> und - 9 RVg 7/93 -, BSGE 77, 11 <13>). Diese erweiternde Auslegung des Begriffes des tätlichen Angriffs ist speziell in Fällen eines sexuellen Missbrauchs von Kindern aus Gründen des sozialen und psychischen Schutzes der Opfer unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck des OEG geboten.
57 
Hinsichtlich der entscheidungserheblichen Tatsachen kennen das soziale Entschädigungsrecht und damit auch das OEG drei Beweismaßstäbe. Grundsätzlich bedürfen die drei Glieder der Kausalkette (schädigender Vorgang, Schädigung und Schädigungsfolgen) des Vollbeweises. Für die Kausalität selbst genügt gemäß § 1 Abs. 3 BVG die Wahrscheinlichkeit. Nach Maßgabe des § 15 Satz 1des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOVVfG), der gemäß § 6 Abs. 3 OEG anzuwenden ist, sind bei der Entscheidung die Angaben der Antragstellenden, die sich auf die mit der Schädigung, also insbesondere auch mit dem tätlichen Angriff im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, zugrunde zu legen, wenn sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen.
58 
Für den Vollbeweis muss sich das Gericht die volle Überzeugung vom Vorhandensein oder Nichtvorhandensein einer Tatsache verschaffen. Allerdings verlangt auch der Vollbeweis keine absolute Gewissheit, sondern lässt eine an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit ausreichen. Denn ein darüber hinausgehender Grad an Gewissheit ist so gut wie nie zu erlangen (vgl. Keller, in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 11. Aufl. 2014, § 128 Rz. 3b m. w. N.). Daraus folgt, dass auch dem Vollbeweis gewisse Zweifel innewohnen können, verbleibende Restzweifel mit anderen Worten bei der Überzeugungsbildung unschädlich sind, solange sie sich nicht zu gewichtigen Zweifeln verdichten (vgl. BSG, Urteil vom 24. November 2010 - B 11 AL 35/09 R -, juris, Rz. 21). Eine Tatsache ist bewiesen, wenn sie in so hohem Grade wahrscheinlich ist, dass alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung zu begründen (vgl. Keller, a. a. O.).
59 
Der Beweisgrad der Wahrscheinlichkeit im Sinne des § 1 Abs. 3 Satz 1 BVG ist dann gegeben, wenn nach der geltenden wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang spricht (vgl. BSG, Beschluss vom 8. August 2001 - B 9 V 23/01 B -, SozR 3-3900 § 15 Nr. 4, S. 14 m. w. N.). Diese Definition ist der Fragestellung nach dem wesentlichen ursächlichen Zusammenhang (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 16. Dezember 2014 - B 9 V 6/13 R -, juris, Rz. 18 ff.) angepasst, die nur entweder mit ja oder mit nein beantwortet werden kann. Es muss sich unter Würdigung des Beweisergebnisses ein solcher Grad von Wahrscheinlichkeit ergeben, dass ernste Zweifel hinsichtlich einer anderen Möglichkeit ausscheiden. Für die Wahrscheinlichkeit ist ein "deutliches" Übergewicht für eine der Möglichkeiten erforderlich. Sie entfällt, wenn eine andere Möglichkeit ebenfalls ernstlich in Betracht kommt.
60 
Bei dem "Glaubhafterscheinen" im Sinne des § 15 Satz 1 KOVVfG handelt es sich um den dritten, mildesten Beweismaßstab des Sozialrechts. Glaubhaftmachung bedeutet das Dartun einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit (vgl. Keller, a. a. O., Rz. 3d m. w. N.), also der guten Möglichkeit, dass sich der Vorgang so zugetragen hat, wobei durchaus gewisse Zweifel bestehen bleiben können (vgl. BSG, Beschluss vom 8. August 2001 - B 9 V 23/01 B -, SozR 3-3900 § 15 Nr. 4, S. 14 f. m. w. N.). Dieser Beweismaßstab ist durch seine Relativität gekennzeichnet. Es muss nicht, wie bei der Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhanges, absolut mehr für als gegen die glaubhaft zu machende Tatsache sprechen. Es reicht die gute Möglichkeit aus, also es genügt, wenn bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten ist (vgl. Keller, a. a. O.), weil nach der Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Möglichkeit spricht. Von mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Sachverhaltsvarianten muss einer den übrigen gegenüber ein gewisses, aber kein deutliches Übergewicht zukommen. Wie bei den beiden anderen Beweismaßstäben reicht die bloße Möglichkeit einer Tatsache nicht aus, um die Beweisanforderungen zu erfüllen. Das Tatsachengericht ist allerdings mit Blick auf die Freiheit der richterlichen Beweiswürdigung (§ 128 Abs. 1 Satz 1 SGG) im Einzelfall grundsätzlich darin frei, ob es die Beweisanforderungen als erfüllt ansieht (vgl. BSG, Beschluss vom 8. August 2001 - B 9 V 23/01 B -, SozR 3-3900 § 15 Nr. 4, S. 15). Diese Grundsätze haben ihren Niederschlag auch in den "Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz" in ihrer am 1. Oktober 1998 geltenden Fassung der Ausgabe 1996 (AHP 1996) und nachfolgend - seit Juli 2004 - den "Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2 SGB IX)" in ihrer jeweils geltenden Fassung (AHP 2005 und 2008) gefunden, welche zum 1. Januar 2009 durch die Anlage zu § 2 Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) vom 10. Dezember 2008 (Teil C, Nrn. 1 bis 3 und 12 der Anlage zu § 2 VersMedV; vgl. BR-Drucks 767/1/08 S. 3, 4) inhaltsgleich ersetzt worden ist (vgl. BSG, Urteil vom 16. Dezember 2014 - B 9 V 6/13 R -, juris, Rz. 17).
61 
Ausgehend von diesen rechtlichen Vorgaben hat die Klägerin keinen Anspruch auf Gewährung von Beschädigtenversorgung wegen des behaupteten sexuellen Missbrauches durch den Zeugen M. Nicht erwiesen ist, dass es einen solchen tätlichen Angriff gegeben hat. Es besteht nach den umfassenden Ermittlungen des SG noch nicht einmal die gute Möglichkeit einer derartigen Einwirkung.
62 
Nach § 15 Satz 1 KOVVfG sind die Angaben der Antragstellenden, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, der Entscheidung zugrunde zu legen, wenn Unterlagen nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen oder ohne Verschulden der Antragstellenden oder ihrer Hinterbliebenen verlorengegangen sind, soweit die Angaben nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen. Die Beweiserleichterung des § 15 Satz 1 KOVVfG ist auch dann anwendbar, wenn für den schädigenden Vorgang keine Zeugen vorhanden sind (vgl. BSG, Urteil vom 31. Mai 1989 - 9 RVg 3/89 -, BSGE 65, 123 <125>). Nach dem Sinn und Zweck des § 15 Satz 1 KOVVfG sind damit nur Tatzeugen gemeint, die zu den zu beweisenden Tatsachen aus eigener Wahrnehmung Angaben machen können. Personen etwa, die von ihrem gesetzlichen Zeugnisverweigerungsrecht (§ 118 Abs. 1 Satz 1 SGG i. V. m. §§ 383 ff. ZPO) Gebrauch gemacht haben, sind dabei nicht als solche Zeugen anzusehen. Entsprechendes gilt für eine für die Tatbegehung in Betracht kommende Person, die eine schädigende Handlung bestreitet. Denn die Beweisnot des Opfers, auf die sich § 15 Satz 1 KOVVfG bezieht, ist in diesem Fall nicht geringer, als wenn Angreifende unerkannt geblieben oder flüchtig sind. Die Beweiserleichterung des § 15 Satz 1 KOVVfG gelangt damit auch zur Anwendung, wenn sich die Aussagen des Opfers und des vermeintlichen Täters gegenüberstehen und Tatzeugen nicht vorhanden sind (BSG, Urteil vom 17. April 2013 - B 9 V 1/12 R -, juris, Rz. 41 m. w. N.). Eine solche, vom Anwendungsbereich des § 15 Satz 1 KOVVfG erfasste Konstellation liegt vor, da M. als für die Tatbegehung von der Klägerin benannte Person den Tathergang bei der Vernehmung durch das SG in der nichtöffentlichen Sitzung am 14. Juli 2015 bestritten hat. Für den behaupteten schädigenden Vorgang sind auch sonst keine unmittelbaren Tatzeugen vorhanden, die Eltern haben die angeschuldigte Tat nur von der Klägerin erfahren.
63 
Es ist zwar nicht gänzlich auszuschließen, dass der Zeuge M. die Klägerin, wie sie behauptet, Ende der 1970er Jahre auf der Kegelbahn der Vereinsgaststätte des H. Club e. V. sexuell missbrauchte und dieser, um sich der wegen der Verfolgungsverjährung (§ 78 StGB) zwar nicht strafrechtlichen, aber doch moralischen Verantwortung für eine begangene Straftat zu entziehen, bei der Vernehmung durch das SG Erinnerungslücken angeführt hat, ohne dass solche wirklich bestanden haben. Mehr als bloß möglich erscheint dies jedoch nicht. Zur Begründung nimmt der Senat auf die überzeugenden ausführlichen und die jüngere Entscheidung des Senats vom 21. April 2015 (L 6 VG 2096/13, juris) hinreichend beachtenden Ausführungen des SG im angefochtenen Urteil vom 27. Oktober 2015 Bezug und sieht zur Vermeidung von Wiederholungen von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab (§ 153 Abs. 2 SGG). Im Hinblick auf das weitere Vorbringen der Klägerin im Berufungsverfahren ist lediglich ergänzend darauf hinzuweisen, dass der Senat ihren Angaben nicht deshalb kein größeres Gewicht beigemessen hat, weil sie die Umstände des sexuellen Missbrauches nicht vor dem 18. Lebensjahr angeführt hat, sondern dass nicht auszuschließen gewesen ist, dass bei ihr Gedächtnisinhalte erst im Zusammenhang mit therapeutischen Bemühungen erzeugt worden sind, die bei ihr in diesem Alter erfolgten.
64 
Die Einholung eines Glaubhaftigkeitsgutachtens von Amts wegen (§ 103 SGG) war unabhängig davon, ob die Klägerin überhaupt über die erforderliche Aussagetüchtigkeit verfügt, nicht erforderlich. Der Senat konnte, nachdem das SG die Klägerin im erstinstanzlichen Verfahren anhörte und sie im Übrigen in der mündlichen Verhandlung beim LSG anwesend war, entscheiden. Denn die Würdigung von Aussagen nicht nur erwachsener, sondern auch kindlicher oder jugendlicher Personen gehört zum Wesen richterlicher Rechtsfindung und ist daher grundsätzlich einem Tatgericht anvertraut. Eine aussagepsychologische Begutachtung kommt nur in besonderen Ausnahmefällen in Betracht, nämlich wenn dem Gericht die Sachkunde für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit fehlt. Die Einholung eines Glaubhaftigkeitsgutachtens ist nur geboten, wenn der Sachverhalt oder die Aussageperson solche Besonderheiten aufweist, die eine Sachkunde erfordern, welche eine Richterin oder ein Richter normalerweise nicht haben (Urteil des Senats vom 21. April 2015, a. a. O., Rz. 49). Das ist vorliegend nicht der Fall. Weder weist die Aussageperson solche Besonderheiten auf, noch ist der Sachverhalt besonders gelagert, sondern im Opferentschädigungsrecht eine durchaus typische Fallgestaltung. Der Beitrag von aussagepsychologischen Glaubhaftigkeitsgutachten zur Aufklärung ist gerade in Fällen zweifelhaft, in denen in der Vergangenheit mit therapeutischer Unterstützung explizit Bemühungen unternommen worden sind, sich an nicht zugängliche Erlebnisse zu erinnern oder in denen die Erinnerungen erst im Laufe wiederholter Erinnerungsbemühungen entstanden sind. Zu berücksichtigen ist, dass auch Personen, die einer Gedächtnistäuschung unterliegen, von der Richtigkeit ihrer Erinnerung überzeugt sein können (Urteil des Senats vom 21. April 2015, a. a. O., Bayerisches LSG, Urteil vom 26. Januar 2016 -, juris, Rz. 83). Dies ist bei der Klägerin zur Überzeugung des Senats ausweislich der vorliegenden Entlassungsberichte über mehrere mehrwöchige und sogar mehrmonatige stationäre Klinikaufenthalte gegeben.
65 
Dem hilfsweisen Antrag auf Einholung eines aussagepsychologischen Gutachtens bei Dr. H. nach § 109 SGG war nicht stattzugeben. Das Gericht kann ein solches Gesuch gemäß § 109 Abs. 2 SGG ablehnen, wenn durch die Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits verzögert werden würde und der Antrag nach der freien Überzeugung des Gerichts in der Absicht, das Verfahren zu verschleppen, oder aus grober Nachlässigkeit nicht früher vorgebracht worden ist. Eine Verzögerung in diesem Sinne tritt ein, wenn sich wegen der Beweisaufnahme nach § 109 SGG der durch eine erfolgte oder bevorstehende Terminierung bereits ins Auge gefasste Zeitpunkt der Verfahrensbeendigung verschieben würde (vgl. Keller, in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 11. Aufl. 2014, § 109 Rz. 11). Dies wäre vorliegend der Fall gewesen, denn der Antrag wurde erst gestellt, nachdem die mündliche Verhandlung am 23. Juni 2016 anberaumt wurde. Zudem handelte die Klägerin, welcher das Verhalten ihrer Prozessbevollmächtigten zuzurechnen ist, aus grober Nachlässigkeit. Diese liegt beim Verabsäumen jeglicher prozessualer Sorgfalt vor (BSG, Urteil vom 10. Juni 1958 - 9 RV 836/55 -, BSGE 7, 218). Daher müssen Beteiligte den Antrag spätestens innerhalb einer angemessenen Frist stellen, wenn sie erkennen müssen, dass das Gericht keine - weiteren - Erhebungen von Amts wegen durchführt (vgl. LSG für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 16. Januar 2015 - L 13 SB 348/11 -, juris, Rz. 32; Keller, a. a. O.). Dies hat die Klägerin versäumt. Das Gesuch ist am 3. Mai 2016 und damit erst mehr als eine Woche nach der am 25. April 2016 erfolgten Ladung zur mündlichen Verhandlung angebracht und damit offensichtlich überhaupt erst durch diese veranlasst worden, obwohl der Berichterstatter mit Schreiben vom 4. April 2016 der Klägerin mitgeteilt hat, dass in diesem Verfahren keine weiteren Ermittlungen von Amts wegen durchgeführt werden, insbesondere kein Gutachten zur Feststellung der Glaubhaftigkeit ihrer Angaben eingeholt wird.
66 
Nach alledem war die Berufung zurückzuweisen.
67 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
68 
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.

Die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, sind, wenn Unterlagen nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen oder ohne Verschulden des Antragstellers oder seiner Hinterbliebenen verlorengegangen sind, der Entscheidung zugrunde zu legen, soweit sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen. Die Verwaltungsbehörde kann in besonderen Fällen von dem Antragsteller die eidesstattliche Versicherung verlangen, daß er bei seinen Angaben nach bestem Wissen die reine Wahrheit gesagt und nichts verschwiegen habe.

1. Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Koblenz vom 11.04.2013 wird zurückgewiesen.

2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Versorgung nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG).

2

Die im Jahr 1974 geborene Klägerin beantragte im März 2009 die Gewährung von Versorgung nach dem OEG. Sie gab an, sie sei von ihrem 6. bis zum 16. Lebensjahr von ihrem Stiefvater M B B sexuell missbraucht und geschlagen worden. Daher beständen bei ihr eine emotionale instabile Persönlichkeitsstörung (Borderline), Angststörung, Angst vor Männern, die wie ihr Stiefvater aussehen würden, Essstörung und Depressionen.

3

Der Beklagte zog die Unterlagen eines Schwerbehindertenverfahrens der Klägerin bei. Nach dem Schwerbehindertenrecht ist durch Bescheid des Amts für soziale Angelegenheiten Koblenz vom 15.08.2005 ein Grad der Behinderung (GdB) von 40 wegen einer seelischen Behinderung (GdB 40) und degenerativer Wirbelsäulenveränderung (GdB 10) festgestellt. Sodann zog der Beklagte Unterlagen eines Rentenverfahrens von der Deutschen Rentenversicherung Bund bei, holte Auskünfte der Mutter der Klägerin sowie einer ehemaligen Lehrerin, Frau E R , ein. Die Mutter der Klägerin, S B , teilt mit, sie bestätige den Missbrauch ihrer Tochter durch ihren geschiedenen Mann, B B . Direkte Einzelheiten könne sie aber nicht nennen, da er es immer in ihrer Abwesenheit getan haben müsse. Details könne daher nur die Klägerin schildern. Frau R teilte mit, die Klägerin habe ihr während der Schulzeit erzählt, sie habe Angst vor ihrem Stiefvater. Erst Jahre später habe die Klägerin sich ihr offenbart. Ein Ermittlungsverfahren gegen den Schädiger wurde durch Verfügung der Staatsanwaltschaft Dresden nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt, da die Taten verjährt seien.

4

Mit Bescheid vom 20.10.2012 lehnte der Beklagte den Antrag der Klägerin ab. Die von der Klägerin geschilderten Gewalttaten hätten sich zwischen 1980 bis 1990 ereignet, so dass § 10a OEG anzuwenden sei. Trotz umfangreicher Sachaufklärung habe der Nachweis nicht erbracht werden können, dass die Klägerin Opfer eines sexuellen Missbrauchs geworden sei. Den Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 17.02.2011 zurück.

5

Im vor dem Sozialgericht Koblenz durchgeführten Klageverfahren hat das Sozialgericht Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens des Arztes für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. H . Der Sachverständige hat die Klägerin im Oktober 2011 untersucht und ist im Wesentlichen zu dem Ergebnis gelangt, bei der Klägerin beständen eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig leichte Episode, komplexe posttraumatische Belastungsstörung mit traumaassoziierter Borderline-Persönlichkeitsstörung und sonstige somatoforme Störung. Es bestehe eine Identitätsstörung mit einer andauernden und ausgeprägten Instabilität des Selbstbildes. Der komplexen posttraumatischen Belastungsstörung lägen nicht nur lange Zeit einwirkende Traumatisierungen, sondern auch ein Beziehungstrauma zugrunde. Die posttraumatische Belastungsstörung mit den dazu gehörigen traumaassoziierten Störungen sei wahrscheinlich auf den im Zeitraum 1979 bis 1990 erfolgten sexuellen Missbrauch zurückzuführen. Die Krankheitsbilder führten zu einer mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeit, da es zwar eheliche Probleme gebe, nicht jedoch Kontaktverlust oder affektive Nivellierung oder Isolierung oder sozialen Rückzug. Die Gesundheitsstörung sei mit einem GdS von 40 zu bewerten.

6

Mit Gerichtsbescheid vom 11.04.2013 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der Klägerin stehe kein Anspruch auf Leistungen nach dem OEG zu. Es sei in Übereinstimmung mit dem Gutachten des Dr. H davon auszugehen, dass ein sexueller Missbrauch an der Klägerin zumindest glaubhaft sei. Das könne allerdings dahinstehen. Nach den überzeugenden Darstellungen des Dr. H sei der GdS für die Folgen der Gewalttat mit 40 anzuerkennen. Dies sei überzeugend. Die Klägerin leide an einer depressiven Störung, die im Wesentlichen auf schädigungsunabhängige Faktoren zurückzuführen sei, etwa die Eheproblematik und die finanzielle Situation. Die komplexe posttraumatische Belastungsstörung bedinge isoliert einen GdS von 40. Ein GdS von 50, wie er nach § 10a Abs. 1 S. 2 OEG im Fall der Härteversorgung erforderlich sei, werde nicht erreicht.

7

Am 22.04.2013 hat die Klägerin gegen den ihr am 15.04.2013 zugestellten Gerichtsbescheid Berufung eingelegt.

8

Die Klägerin trägt vor,
für die komplexe posttraumatische Belastungsstörung sei ein GdS von mindestens 50 gerechtfertigt. Es bestehe eine Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit, die mit einer Zwangskrankheit vergleichbar sei. Die rezidivierende Depression sei mittelgradig bis schwer, wie sich auch aus der bisherigen Behandlungsdauer mit stationärer Behandlungsbedürftigkeit zeige. Im Mittelpunkt stehe nicht ein reaktives Geschehen aufgrund der ehelichen Situation, sondern die Lebens- und Missbrauchsgeschichte.

9

Die Klägerin beantragt,

10

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Koblenz vom 11.04.2013 sowie den Bescheid des Beklagten vom 10.10.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 07.02.2011 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, als Schädigungsfolgen nach dem OEG eine komplexe posttraumatische Belastungsstörung mit einem GdS von mindestens 50 anzuerkennen.

11

Der Beklagte beantragt,

12

die Berufung zurückzuweisen
und nimmt zur Begründung Bezug auf den angefochtenen Gerichtsbescheid.

13

Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung eines Befundberichts der Psychiatrischen Institutsambulanz K sowie eines Gutachtens des Arztes für Psychiatrie und Neurologie, Forensische Psychiatrie Dr. B nebst aussagepsychologischem Gutachten der Dipl. Psych. B D .

14

Dr. B hat die Klägerin im Januar und Februar 2014 untersucht und ist in seinem Gutachten im Wesentlichen zu dem Ergebnis gelangt, aktuell bestehe bei der Klägerin eine Dysthymia, eine depressive Stimmungslage ohne Konzentrationsstörungen. Eine Depression im Sinne einer Major Depression sei nicht aufweisbar, ebenso keine schwere depressive Störung oder eine rezidivierende depressive Störung. Es beständen bei der Klägerin dissoziative Probleme und histrionische Elemente, wobei noch nicht die Qualität einer Persönlichkeitsstörung im Sinne einer histrionischen Persönlichkeitsstörung erreicht werde. Ob oder wieweit eine posttraumatische Belastungsstörung bestehe, könne erst nach Einholung eines aussagepsychologischen Gutachtens beantwortet werden.

15

Dem Gutachten des Dr. H könne nicht gefolgt werden, da sich Dr. H auf ältere aussagepsychologische Literatur stütze, die mittlerweile methodisch für forensische Beurteilungen in keiner Weise mehr als haltbar anzusehen sei. Die Begründung dafür liege darin, dass nach diesem Ansatz gleichsam die fragmentierten Erinnerungen vollkommen ungeprüft schlussendlich zusammengesetzt würden mit der Konsequenz, dass ohne Erwägung alternativer Hypothesen oder ohne Erwägung anderer Möglichkeiten für die Aussageentstehung dies ungeprüft als hochspezifisches Kriterium für einen sexuellen Missbrauch oder Erlebnistrauma angewandt werde. Dr. H habe in keiner Weise Aspekte wie mögliche Fremdbeeinflussungen, Autosuggestionen oder sonstige Wahrnehmungen beachtet. Er sei vollkommen unwissenschaftlich, d. h. intuitiv ohne alternative Erklärungsmöglichkeiten vorgegangen und habe auch nicht dargelegt, dass gerade Probanden mit einer Borderline-Störung dazu tendieren könnten, einen nicht erlebten sexuellen Missbrauch zu schildern. Dr. H habe keine Validitätsprüfung im Rahmen einer Sozialanalyse vorgenommen. Auch die Suggestionshypothese sei unberücksichtigt geblieben. Die in der Literatur verwendeten Merkmale im Rahmen einer Glaubhaftigkeitsbegutachtung habe Dr. H in keiner Weise ausgelotet.

16

Frau D hat die Klägerin im August 2014 untersucht und in ihrem Gutachten zusammenfassend ausgeführt, eine spezielle tatbezogene Aussagetüchtigkeit sei bei der Klägerin noch gewährleistet. Die Aussagestruktur erscheine bei den Angaben zur Sache aus aussagepsychologischer Sicht überdetailliert, erwartbare Gedächtnisunsicherheiten oder -lücken seien so gut wie nicht zu erkennen. Die Analyse der Aussagezuverlässigkeit fördere interne, in der Persönlichkeit, im Erleben und Verhalten der Klägerin gelegene Fehlerquellen zu Tage, wie eine Empfänglichkeit für Suggestionen und Autosuggestionen, ein mit auf demonstrative Tendenzen ausgerichteter Interaktions- und Kommunikationsstil, ein magisch-mystischer Wahrnehmungs- und Kognitionsmodus. Zudem hätten sich Hinweise auf manipulative Tendenzen ergeben; weder Simulation noch Aggravation oder Dissimulation ließen sich ausschließen. Die Aussagezuverlässigkeit scheine beeinträchtigt. Aus der Analyse des Erinnerungsverlaufs, der Aussageentstehung und der weiteren Aussageentwicklung würden sich Hinweise auf externe Störfaktoren ergeben, die ebenfalls auf die nicht ausreichend gewährleistete Zuverlässigkeit der Bekundungen verweisen würden. Die in ihrem Umfang kontinuierlich zunehmenden „Erinnerungen“ an die dargelegten sexuellen missbräuchlichen Handlungen in der Kindheit seien zum überwiegenden Teil auf nach Angaben der Klägerin wiederentdeckte Erinnerungen im Zusammenhang mit therapeutischen Gesprächen, Maltherapie, Flashbacks sowie Albträume zurückzuführen. Es fänden sich hier Hinweise auf die Wirksamkeit einer Quellenkonfusionsproblematik, wobei Inhalte von Flashbacks und Albtrauminhalte für eine Eins-zu-Eins-Abbildung der Realität gehalten würden, was wissenschaftlich in keiner Weise gedeckt erscheine. Eine Glaubhaftigkeit der Bekundungen der Klägerin könne mit aussagepsychologischen Mitteln nicht positiv belegt werden. Es könne mit aussagepsychologischen Mitteln nicht festgestellt werden, dass die Möglichkeit der Erlebnisfundierung des Vorgetragenen im Vergleich zu den im Gutachten genannten Alternativhypothesen relativ am wahrscheinlichsten sei.

17

Im Übrigen wird Bezug genommen auf den Inhalt der beigezogenen und die Klägerin betreffenden Verwaltungsakte des Beklagten sowie der Gerichtsakte, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung war.

Entscheidungsgründe

18

Die zulässige Berufung der Klägerin ist nicht begründet, da der Klägerin kein Anspruch auf Anerkennung einer Gesundheitsstörung als Folge einer Gewalttag und Gewährung von Versorgung nach dem OEG zusteht.

19

Voraussetzung für die Anerkennung von Schädigungsfolgen gemäß § 1 OEG ist, dass die Klägerin an Gesundheitsstörungen leidet, die rechtlich wesentlich durch einen vorsätzlichen, rechtswidrigen, tätlichen Angriff verursacht worden sind. Dies setzt nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (vgl. SozR 3-3800 § 1 Nr. 23) eine unmittelbare Schädigung des Opfers voraus, was grundsätzlich einen engen zeitlichen und örtlichen Zusammenhang zwischen dem Schädigungstatbestand und der schädigenden Einwirkung ohne örtliche und zeitliche Zwischenglieder voraussetzt. Als Schädigungsfolgen sind dabei nur solche nachgewiesenen Gesundheitsstörungen anzuerkennen, die wenigstens mit Wahrscheinlichkeit durch das schädigende Ereignis verursacht worden sind. Wahrscheinlichkeit in dem genannten Sinn liegt vor, wenn nach geltender medizinischer Lehrmeinung mehr für als gegen einen Ursachenzusammenhang spricht. Ursache einer Gesundheitsstörung sind in dem hier erheblichen Sinn diejenigen Bedingungen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben. Haben zu dem Eintritt einer Gesundheitsstörung mehrere Bedingungen beigetragen, so sind nur diejenigen Ursache im Rechtssinn, die von ihrer Bedeutung und Tragweite für den Eintritt des Schadens wenigstens den anderen Bedingungen gleichwertig sind. Kommt dagegen einem der Umstände gegenüber den anderen eine überragende Bedeutung zu, ist er allein Ursache im Rechtssinn (Theorie der rechtlich wesentlichen Bedingung, vgl. Rohr/Strässer/Dahm, Kommentar zum BVG, Anm. 10 zu § 1). Bei der Beurteilung des Kausalzusammenhangs ist die Wahrscheinlichkeit nach der herrschenden wissenschaftlichen medizinischen Lehrmeinung zu ermitteln. Als Grundlage für die Beurteilung der erheblichen medizinischen Sachverhalte dienten der Praxis die jeweils vom zuständigen Bundesministerium herausgegebenen "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht", die nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts als vorweggenommene Sachverständigengutachten eine normähnliche Wirkung hatten (vgl. BSG, SozR 4-3800, § 1 Nr. 3 Rdnr. 12, m.w.N.). Auf Grund des § 30 Abs. 17 BVG hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales die am 1. Januar 2009 in Kraft getretene Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) erlassen. Nach ihrem § 1 regelt diese unter anderem die Grundsätze für die medizinische Bewertung von Schädigungsfolgen und die Feststellung ihres Schweregrades im Sinne des § 30 Abs. 1 BVG. Nach § 2 VersMedV sind die in § 1 genannten Grundsätze und Kriterien in der Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" festgelegt. Die in den Anhaltspunkten (letzte Ausgabe von 2008) enthaltenen Texte und Tabellen, nach denen sich die Bewertung des GdB bzw. GdS bisher richtete, sind in diese Anlage übernommen worden (vgl. die Begründung BR-Drucks. 767/08, S. 3 f.). Anders als die Anhaltspunkte 1983 bis 2008 enthält die VersMedV keine Bestimmungen über die Kausalitätsbeurteilung bei einzelnen Krankheitsbildern, so dass insoweit entweder auf die letzte Fassung der Anhaltspunkte (2008) zurückgegriffen werden muss oder bei Anzeichen dafür, dass diese den aktuellen Kenntnisstand der medizinischen Wissenschaft nicht mehr beinhalten, andere Erkenntnisquellen, insbesondere Sachverständigengutachten, genutzt werden müssen (BSG, Urteil vom 07.04.2011 - B 9 VJ 1/10 R -, juris; Urteil des Senats vom 12.12.2012, Az.: L 4 VG 5/10).

20

Die anspruchsbegründenden Voraussetzungen für eine soziale Entschädigung nach dem OEG, zu denen das Vorliegen eines rechtswidrigen Angriffs zählt, müssen nachgewiesen, d.h. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bzw. mit einem so hohen Grad der Wahrscheinlichkeit festgestellt worden sein, dass kein vernünftiger Mensch hieran noch zweifelt (vgl. BSG, Urteil vom 28.06.2000, B 9 VG 3/99 R m.w.N., in SozR 3-3900 § 15 Nr. 3). Fehlt es daran, geht dies zu Lasten der Klägerin (objektive Beweis- oder Feststellungslast). Die im Verfahren nach dem OEG häufig auftretenden Beweisschwierigkeiten rechtfertigen keine generelle Beweiserleichterung oder gar eine Beweislastumkehr. Vielmehr gelten auch hier die allgemein anerkannten Beweisgrundsätze. Zu diesen zählen freilich auch die Grundsätze des Beweises des ersten Anscheins sowie die für Kriegsopfer geschaffene besondere Beweiserleichterung nach § 15 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der KriegsopferversorgungKOV-VfG -, die auch für Gewaltopfer gilt (BSG, Urteil vom 28.06.2000, B 9 VG 3/99 R; Urteil des Senats vom 18.05.2011, Az.: L 4 VG 14/09 mwN)

21

Die von der Klägerin geschilderten Gewalttaten sind nicht nachgewiesen, da keinerlei Beweismittel vorliegen, die die Angaben der Klägerin stützen. Die Mutter der Klägerin hat ebenso wie die ehemalige Lehrerin der Klägerin aus eigenem Wissen keine Angaben zu den behaupteten Gewalttaten tätigen können, wie sich aus den schriftlichen Stellungnahmen im Verwaltungsverfahren ergibt. Weitere Zeugen können hierzu nicht befragt werden, da der Schädiger und die Schwester der Klägerin insoweit Angaben nicht gemacht haben.

22

Schließlich geht der Senat davon aus, dass allein aus den bei der Klägerin gestellten Diagnosen keine Ableitungen auf das Vorliegen einer sexuellen Missbrauchserfahrung in der Kindheit möglich sind. Es mag zwar sein, dass ein sexueller Missbrauch als Kind in einer großen Anzahl von Fällen zu speziellen psychischen Erkrankungen führt. Die Wahrscheinlichkeit hinsichtlich des Kausalzusammenhangs vermag jedoch nicht die Notwendigkeit einer vollen richterlichen Überzeugung von der Erfüllung des objektiven Tatbestandsmerkmals „eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs“ gerade im Falle der Klägerin zu ersetzen. Denn es gibt auch Fälle von emotionalen Störungen bzw. Bindungsstörungen im Kindesalter sowie Entwicklungsstörungen, die nicht mit einem sexuellen Missbrauch in Zusammenhang stehen. Allein die Möglichkeit, dass ein frühkindlicher Missbrauch zu derartigen Krankheitsbildern und Verhaltensweisen wie bei der Klägerin führen kann, reicht nicht aus, den Beweis als geführt anzusehen, der angeschuldigte Angriff habe so tatsächlich stattgefunden (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 05.06.2008, Az. L 13 VG 1/05; Urteil vom 29.01.2015 – L 10 VE 28/11 –, Rn. 33, juris), wie auch die vom Senat gehörte Sachverständige überzeigend dargelegt hat.

23

Das Vorliegen eines sexuellen Missbrauchs der Klägerin durch den Stiefvater der Klägerin lässt sich auch nicht unter Zugrundelegung der Beweiserleichterung nach § 6 Abs. 3 OEG i.V.m. § 15 KOV-VfG annehmen. Nach § 15 S. 1 KOV-VfG sind die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, der Entscheidung zugrunde zu legen, wenn Unterlagen nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen oder ohne Verschulden des Antragstellers oder seiner Hinterbliebenen verlorengegangen sind, soweit die Angaben nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen. Die Beweiserleichterung des § 15 S. 1 KOV-VfG ist auch anwendbar, wenn für den schädigenden Vorgang keine Zeugen vorhanden sind (vgl. BSG, SozR 1500 § 128 Nr. 39 S 46). Dabei genügt es, wenn bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten ist, weil nach Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Möglichkeit sprich (BSG, Urteil vom 17.04.2013 – B 9 V 3/12 R –, juris)

24

Die Behauptung der Klägerin, sie sei in ihrer Kindheit sexuell missbraucht worden, ist für den Senat jedoch nicht glaubhaft. Er stützt sich dabei insbesondere auf das von ihm veranlasste Gutachten der Sachverständigen Dr. B und Frau D . Den Maßgaben in dem Urteil des BSG vom 17.04.2013 (Az. B 9 V 3/12 R) folgend hat der Senat Beweis erhoben auch durch Einholung eines Glaubhaftigkeitsgutachtens über die Klägerin unter besonderer Berücksichtigung von § 15 KOV-VfG durch diese Sachverständigen.

25

Danach ist vor dem Hintergrund des besonders großen Zeitfensters davon auszugehen, dass auch natürliche Erinnerungsverluste anzunehmen sind. Aus gedächtnispsychologischer Sicht wäre zu erwarten, dass bei derart lang zurückliegenden Vorfällen im normalen Umfang Vergessensprozesse am Werk gewesen sein dürften, aus gedächtnispsychologischer Sicht wäre zu erwarten, dass die wesentlichen, das Kerngeschehen bestimmenden Handlungselemente sowie auch die damit einhergehenden Affekte erinnerlich sein dürften, auch vor dem Hintergrund der guten Begabungsstruktur der Klägerin, dass aber im Hinblick auf Details, die im Sinne der differenzierten Konstanz zu Inhalten gehören, welche auch von erlebnisbasiert Aussagenden leichter vergessen werden, Erinnerungsunsicherheiten oder -lücken auftreten. Denn insoweit sind auch die das Verfahren betreffenden großen Zeiträume zu berücksichtigen: zwischen dem angegebenem Beginn der sexualbezogenen Handlungen im sechsten Lebensjahr und den dokumentierten Aussagen im Rahmen dieses Verfahrens, insbesondere auch der aussagepsychologischen Begutachtung, liegen 34 bis 35 Jahre. Es wäre somit eine Aussage zu erwarten, welche auch Lücken und Unsicherheiten aufweist, was Rahmengeschehnisse anbetrifft, was verbale Interaktionen anbetrifft, was die Zuordnung von Nebenhandlungen zu Haupthandlungen anbetrifft, z.B. was Datierungen anbetrifft.

26

Dagegen erscheinen Aussagen der Klägerin überdetailliert. Einerseits macht sie sehr genaue Angaben, auch zu Körperpositionen, zum Ablauf von Teilhandlungen und Haupthandlungen, zu verbalen Interaktionen und benennt kaum Erinnerungsunsicherheiten oder Lücken, was allerdings vorwiegend ein Ereignis mit ihrem roten Nachthemd betrifft. Anderseits wäre vor dem Hintergrund der großen Zeitfenster aus gedächtnispsychologischer Sicht nicht erwartbar, dass eine Aussage eine solche Konkretheit und Detaillierung aufweist und dass es so gut wie keine Hinweise auf Erinnerungsunsicherheiten und Erinnerungslücken im Bericht der Klägerin gibt. Auf der anderen Seite gibt die Klägerin in der biografischen Anamnese an, an ihre Biografie wenige Erinnerungen zu haben. In manchen Bereichen habe sie Lücken, anderes könne sie erinnern. Sehr wenig könne sie sich an die Zeit vor der Einschulung erinnern. Dann sei sie in der Unterstufe gewesen, Klasse 1 bis 4. An die Zeit der Unterstufe könne sie sich sehr wenig erinnern, mehr an die Zeit der Oberstufe, vom fünften bis zum zehnten Schuljahr. Diese entspricht nach den überzeugenden Darlegungen der Sachverständigen auch weitgehend dem Erwartbaren, denn aus gedächtnispsychologischer Sicht erscheint es nachvollziehbar, dass sie an Ereignisse vor 1978, der Zeit des Zusammenlebens mit dem leiblichen Vater, der Kindergartenzeit, kaum Erinnerungen hat und dass die Erinnerungen mit dem Lebensalter ansteigen, so dass sie für die Zeit der Oberstufe mehr Erinnerungen zur Verfügung hat. Vor dem Hintergrund dieser Untersuchungsergebnisse ist aus aussagepsychologischer Sicht von einer leistungsbedingt intakten allgemeinen und insbesondere vor dem Hintergrund der das Verfahren betreffenden sehr großen Zeitfenster von einer noch ausreichenden speziellen, tatzeitbezogenen Aussagetüchtigkeit auszugehen, was auch Dr. B angenommen hat, während die Aussage zur Sache aus aussagepsychologischer Sicht mit ihrer Überdetaillierung dabei nicht dem im Hinblick auf die spezielle, tatzeitbezogene Aussagetüchtigkeit Erwarteten entspricht.

27

Hinsichtlich der Aussagezuverlässigkeit ist nach wissenschaftlichen Erkenntnissen, die Frau D dargelegt hat, zu beachten, dass wenn falsche Kindheitserinnerungen konstruiert werden, es neben autosuggestiven Prozessen häufig äußere Einflüsse sind; oft seien an der Genese von komplexen autobiografischen Scheinerinnerungen heterosuggestive Anregungen oder Verstärkungen durch Dritte beteiligt, beispielsweise im Rahmen einer Therapie. Dabei gehe es auch um die Aufnahmebereitschaft für vermeintliche Ursachenerklärungen. Deutungsangebote in Psychotherapien stellen dabei die aktive Komponente der Suggestion dar. Insoweit fällt auf, dass die Klägerin erstmals einen sexuellen Missbrauch erwähnt hat, als sie 1994 von der Gynäkologin Frau Dr. G behandelt worden ist, die den Verdacht des sexuellen Missbrauchs geäußert und den die Klägerin bestätigt habe, ohne Weiteres dazu zu sagen. Therapien hat sich die Klägerin in der Vergangenheit zahlreich unterzogen, wobei sich insbesondere aus dem psychologischen Bericht der Frau Dipl. Psych. d l R vom 21.05.2005 ergibt, dass die kindlichen Verhaltensmuster der Klägerin „in einer geleiteten Reflexion“ als Schutzmechanismen erklärt wurden aufgrund von Erlebnissen in der Kindheit wie Herabsetzung, Demütigung bis zum sexuellen Missbrauch. Erst in der Folgezeit finden sich Angaben der Klägerin in Arztbriefen, wonach die Klägerin sich nun an sexuelle Übergriffe durch den Stiefvater erinnerte.

28

Betrachtet man nun die Art und Weise, wie die „Erinnerungen“ der Klägerin entstanden sind, so ist der Erinnerungsverlauf dadurch charakterisiert, dass die Erinnerungen kontinuierlich zugenommen haben und, so wie die Klägerin der Sachverständigen D mitgeteilt hat, auch immer noch mehr würden. Ausgelöst worden seien neue „Erinnerungen“ unter anderem durch Außenreize sowie Gerüche, dann durch therapeutische Gespräche und durch Albträume. Allerdings besteht bei der Klägerin eine hohe Autosuggestibilität. Dabei besteht das Bedürfnis, die massiven psychischen und körperlichen Beschwerden, welche über die Jahre hinweg aufgetreten sind, erklären zu können. Über die Missbräuche hat die Klägerin nach ihren Angaben das erste Mal im April 1996 erzählt, die Sache mit dem roten Nachthemd, aber nicht genau alle Einzelheiten, da sie zurzeit einiges davon verdrängt und vergessen gehabt habe; nur durch Flashbacks seien die Erinnerungen daran wieder zum Vorschein gekommen. Ein direkter Rückschluss von Trauminhalten auf eine tatsächlich erlebte Realität ist aber nach den überzeugenden Erläuterungen der Sachverständigen unter aussagepsychologischen Aspekten nicht zulässig, da dieser an mindestens drei nicht erfüllte Voraussetzungen geknüpft ist: Zum einen ist keineswegs gesichert, dass Träume immer auch tatsächlich Erfahrenes darstellen, sie können auch Wünsche, Ängste oder anderweitige Vorstellungen repräsentieren. Zum anderen bestünde, selbst wenn diese erste Voraussetzung erfüllt wäre, keine Gewähr dafür, dass diese Erfahrungen in ihrem tatsächlichen Ablauf und nicht in verzerrter oder bearbeiteter Form geträumt werden. Darüber hinaus ist der Transfer von einer im Traum vorgenommenen Personenzuordnung auf die Realitätsebene nicht zwangsläufig gegeben. Es gibt keine empirischen und nur sehr wenige klinische Anzeichen dafür, dass bestimmte traumatische Erfahrungen unverändert in den Trauminhalt übergehen. Deshalb ist die Vorstellung, dass ein Traum mit einem traumatischen Erlebnis identisch oder isomorph sein kann, aus wissenschaftlicher Sicht höchst fragwürdig. Der von der Klägerin geschilderte Prozess (Traumwirklichkeit als Ausgangspunkt für weitere Erinnerungen) begünstigt im Gegenteil gerade die Entstehung von Pseudoerinnerungen. Gleiches gilt, wenn sogenannte Wiedererinnerungen nach therapeutischen Gesprächen, im Rahmen der Maltherapie oder während des Schreibens in einem dissoziativen Zustand auftreten, wie ihn die Klägerin geschildert hat.

29

Aus wissenschaftlicher Sicht ist damit von einer Korrektheit und Zuverlässigkeit längerfristig nicht bewusst zugänglicher Erinnerungsinhalte auf der Basis aktueller wissenschaftlicher Befunde nicht auszugehen. Damit ist von einer Aussagezuverlässigkeit der Angaben der Klägerin nicht auszugehen, vielmehr stellen die tatbezogenen Angaben der Klägerin irrtümliche Falschaussagen, sei es in der Form der Suggestion, sei es in der Form der Autosuggestion, sei es in der Kombination beider, dar.

30

Dem Gutachten des Dr. H vermag sich der Senat nicht anzuschließen, da dieser, worauf Dr. B und Frau D in ihren Gutachten eingehend und zutreffend hinweisen, die an eine Glaubhaftigkeitsbeurteilung zu richtende Kriterien hat unberücksichtigt gelassen. Insbesondere hat Dr. H nach überholten wissenschaftlichen Kriterien geurteilt und in keiner Weise die Entstehungsgeschichte der Angaben der Klägerin hinterfragt. Deshalb sind von ihm auch die Problematik der Autosuggestion nicht geprüft und Realkennzeichen nicht kategorisiert worden. Zudem hat Dr. H seine Beurteilung, es bestehe kein Zweifel an den Angaben der Klägerin über den sexuellen Missbrauch insbesondere auf das Verhalten während der Schilderung der Missbrauchsereignisse der Klägerin gestützt. Bei der Besprechung der Missbrauchserlebnisse fixiere die Klägerin mit einem Tunnelblick die von einem Baumstamm ausgehende Verzweigung der Äste, der Blickkontakt zum Gutachter sei weitestgehend aufgegeben worden, sie habe motorisch unruhig gewirkt, es sei zu ruckartigen Kopfbewegungen, auch zu einem Wackeln des Kopfes und zu einem Zucken der Gesichtsmuskulatur gekommen, wobei sie maximal angespannt gewirkt habe und auch ihre Hände krampfhaft zusammengehalten habe. Die Schilderung der Missbrauchsereignisse sei mit starrem Blick und wie aus der Perspektive eines Zuschauers ohne sichtbare affektive Beteiligung erfolgt, was für das Vorliegen einer Dissoziation spreche.

31

Dabei hat Dr. H aber nicht berücksichtigt, dass die Verhaltensbeobachtung zum gleichen Ergebnis bei Scheinerinnerungen führt. Denn beim Vorliegen einer Scheinerinnerung geht der Berichtende selbst davon aus, von tatsächlich in der Wachwirklichkeit Erlebtem zu berichten, wiewohl sich das Berichtete wie in diesem Fall im Wesentlichen aus Trauminhalten, Flashbacks, das heißt auch Worst-Fear-Visionen speist und zum Teil im Rahmen von therapeutischen Sitzungen generiert wurde. Da die Aussageperson in einem solchen Falle nicht lügt, sondern davon ausgeht, dass Berichtete erlebt zu haben, können sich in gleicher Weise wie wenn eine Aussageperson erlebnisbasiert berichtet, Verhaltensauffälligkeiten und Symptome zeigen, welche auf eine innere Anspannung und eine intensive emotionale Beteiligung schließen lassen, so dass es auch zu motorischen Entäußerungen wie z.B. ruckartigen Kopfbewegungen, unruhigen Händen etc. kommen kann. Die Abwendung von der äußeren Realität und das Horchen nach innen, was zu einem akommunikativ erscheinenden Verhalten bis hin zu einem dissoziativ erscheinenden Verhalten führen kann, kann sich somit zum einen dann einstellen, wenn erlebnisbasiert über eine tatsächliche traumatische Erfahrung berichtet wird, sowie auch dann, wenn eine Pseudoerinnerung generiert und verbalisiert wird. Dies hat Frau D in ihrem Gutachten überzeugend dargelegt.

32

Daher kann sich der Senat, gestützt auf die Gutachten des Dr. B und der Dipl. Psych. D nicht davon überzeugen, dass die gute Möglichkeit besteht, dass die Angaben der Klägerin über einen sexuellen Missbrauch in der Kindheit zutreffen. Die in ihrem Umfang kontinuierlich zunehmenden „Erinnerungen“ an die angegebenen sexuell missbräuchlichen Handlungen in der Kindheit sind zum überwiegenden Teil sogenannte wiederentdeckte Erinnerungen, die im Zusammenhang mit therapeutischen Gesprächen, Maltherapie, Flashbacks sowie Albträumen entstanden sein sollen. Es finden sich Hinweise auf die Wirksamkeit der Quellenkonfusionsproblematik, wobei Inhalte von Flashbacks und Albtrauminhalte für eine Eins-zu-eins-Abbildung der Realität gehalten wurden, was wissenschaftlich in keiner Weise gedeckt erscheint. Es ergeben sich auch Hinweise auf die Wirksamkeit von Suggestionen und Autosuggestionen, so dass der Senat die Angaben der Klägerin nicht für am wahrscheinlichsten halten kann.

33

Aber selbst wenn man dem dennoch folgen wollte, stände der Klägerin keine Versorgung nach dem OEG zu, wie das Sozialgericht zutreffend ausgeführt hat, da die bei der Klägerin bestehenden Gesundheitsstörungen auf psychiatrischem Gebiet nicht mit einem GdS von wenigstens 50 zu bewerten sind, wovon auch Dr. H ausgegangen ist. Nach den von Dr. B erhobenen Befunden ist sogar daran zu zweifeln, ob ein solcher GdS erreicht wird.

34

Die Berufung ist daher zurückzuweisen.

35

Die Entscheidung über die Kosten stützt sich auf § 193 SGG.

36

Die Revision wird nicht zugelassen, da Revisionszulassungsgründe (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 SGG) nicht vorliegen.

(1) Wer im Geltungsbereich dieses Gesetzes oder auf einem deutschen Schiff oder Luftfahrzeug infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, erhält wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes. Die Anwendung dieser Vorschrift wird nicht dadurch ausgeschlossen, daß der Angreifer in der irrtümlichen Annahme von Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrunds gehandelt hat.

(2) Einem tätlichen Angriff im Sinne des Absatzes 1 stehen gleich

1.
die vorsätzliche Beibringung von Gift,
2.
die wenigstens fahrlässige Herbeiführung einer Gefahr für Leib und Leben eines anderen durch ein mit gemeingefährlichen Mitteln begangenes Verbrechen.

(3) Einer Schädigung im Sinne des Absatzes 1 stehen Schädigungen gleich, die durch einen Unfall unter den Voraussetzungen des § 1 Abs. 2 Buchstabe e oder f des Bundesversorgungsgesetzes herbeigeführt worden sind; Buchstabe e gilt auch für einen Unfall, den der Geschädigte bei der unverzüglichen Erstattung der Strafanzeige erleidet.

(4) Ausländerinnen und Ausländer haben dieselben Ansprüche wie Deutsche.

(5) Die Hinterbliebenen eines Geschädigten erhalten auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes. Partner einer eheähnlichen Gemeinschaft erhalten Leistungen in entsprechender Anwendung der §§ 40, 40a und 41 des Bundesversorgungsgesetzes, sofern ein Partner an den Schädigungsfolgen verstorben ist und der andere unter Verzicht auf eine Erwerbstätigkeit die Betreuung eines gemeinschaftlichen Kindes ausübt; dieser Anspruch ist auf die ersten drei Lebensjahre des Kindes beschränkt.

(6) Einer Schädigung im Sinne des Absatzes 1 stehen Schädigungen gleich, die ein Berechtigter oder Leistungsempfänger nach Absatz 1 oder 5 in Verbindung mit § 10 Abs. 4 oder 5 des Bundesversorgungsgesetzes, eine Pflegeperson oder eine Begleitperson bei einer notwendigen Begleitung des Geschädigten durch einen Unfall unter den Voraussetzungen des § 8a des Bundesversorgungsgesetzes erleidet.

(7) Einer gesundheitlichen Schädigung im Sinne des Absatzes 1 steht die Beschädigung eines am Körper getragenen Hilfsmittels, einer Brille, von Kontaktlinsen oder von Zahnersatz gleich.

(8) Wird ein tätlicher Angriff im Sinne des Absatzes 1 durch den Gebrauch eines Kraftfahrzeugs oder eines Anhängers verübt, werden Leistungen nach diesem Gesetz erbracht.

(9) § 1 Abs. 3, die §§ 64 bis 64d, 64f sowie 89 des Bundesversorgungsgesetzes sind mit der Maßgabe anzuwenden, daß an die Stelle der Zustimmung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales die Zustimmung der für die Kriegsopferversorgung zuständigen obersten Landesbehörde tritt, sofern ein Land Kostenträger ist (§ 4). Dabei sind die für deutsche Staatsangehörige geltenden Vorschriften auch für von diesem Gesetz erfaßte Ausländer anzuwenden.

(10) § 20 des Bundesversorgungsgesetzes ist mit den Maßgaben anzuwenden, daß an die Stelle der in Absatz 1 Satz 3 genannten Zahl die Zahl der rentenberechtigten Beschädigten und Hinterbliebenen nach diesem Gesetz im Vergleich zur Zahl des Vorjahres tritt, daß in Absatz 1 Satz 4 an die Stelle der dort genannten Ausgaben der Krankenkassen je Mitglied und Rentner einschließlich Familienangehörige die bundesweiten Ausgaben je Mitglied treten, daß Absatz 2 Satz 1 für die oberste Landesbehörde, die für die Kriegsopferversorgung zuständig ist, oder die von ihr bestimmte Stelle gilt und daß in Absatz 3 an die Stelle der in Satz 1 genannten Zahl die Zahl 1,3 tritt und die Sätze 2 bis 4 nicht gelten.

(11) Im Rahmen der Heilbehandlung sind auch heilpädagogische Behandlung, heilgymnastische und bewegungstherapeutische Übungen zu gewähren, wenn diese bei der Heilbehandlung notwendig sind.

Die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, sind, wenn Unterlagen nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen oder ohne Verschulden des Antragstellers oder seiner Hinterbliebenen verlorengegangen sind, der Entscheidung zugrunde zu legen, soweit sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen. Die Verwaltungsbehörde kann in besonderen Fällen von dem Antragsteller die eidesstattliche Versicherung verlangen, daß er bei seinen Angaben nach bestem Wissen die reine Wahrheit gesagt und nichts verschwiegen habe.

(1) Wer eine tatsächliche Behauptung glaubhaft zu machen hat, kann sich aller Beweismittel bedienen, auch zur Versicherung an Eides statt zugelassen werden.

(2) Eine Beweisaufnahme, die nicht sofort erfolgen kann, ist unstatthaft.

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.

(1) Gegen das Urteil eines Landessozialgerichts und gegen den Beschluss nach § 55a Absatz 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundessozialgericht nur zu, wenn sie in der Entscheidung des Landessozialgerichts oder in dem Beschluß des Bundessozialgerichts nach § 160a Abs. 4 Satz 1 zugelassen worden ist.

(2) Sie ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs. 1 Satz 1 und auf eine Verletzung des § 103 nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das Landessozialgericht ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

(3) Das Bundessozialgericht ist an die Zulassung gebunden.