Landgericht Traunstein Beschluss, 03. Nov. 2017 - 4 T 1910/17; 4 T 1944/17; 4 T 2003/17

bei uns veröffentlicht am03.11.2017

Tenor

1. Auf die Beschwerde des Betroffenen vom 07.07.2017 wird Ziffer 1. des Beschlusses des Amtsgerichts Mühldorf vom 04.07.2017 aufgehoben. Auf Antrag des Betroffenen vom 08.05.2017 wird festgestellt, dass die Ingewahrsamnahme des Betroffenen vom 16.04.2017, 17.00 Uhr, bis zum Anhörungstermin am 17.04.2017, 10.00 Uhr, rechtswidrig war. Im Übrigen wird der Antrag zurückgewiesen.

2. Es wird festgestellt, dass der Vollzug der mit Beschluss des Amtsgerichts Kempten vom 17.04.2017 angeordneten Haft zur Sicherung der Zurückschiebung rechtswidrig war.

3. Der Antrag des Betroffenen auf Feststellung, dass der bis 22.05.2017 erfolgte Vollzug des Beschlusses des Amtsgerichts Mühldorf vom 11.05.2017 ihn in seinen Rechten verletzt hat, wird als unzulässig verworfen.

4. Dem Betroffenen wird für die Beschwerdeverfahren betreffend Ziffer 1. und 2. dieses Beschlusses Verfahrenskostenhilfe gewährt und Rechtsanwalt P. F., B. Straße 1, H., zu den Bedingungen eines im Bezirk des Landgerichts Traunstein ansässigen Rechtsanwalts beigeordnet. Der Antrag des Betroffenen auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren betreffend Ziffer 3. dieses Beschlusses wird zurückgewiesen.

5. Die notwendigen Auslagen des Betroffenen betreffend die Beschwerdeverfahren zu Ziffer 1. und 2. dieses Beschlusses werden der Bundesrepublik Deutschland auferlegt. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu Ziffer 3. dieses Beschlusses trägt der Betroffene.

6. Der Geschäftswert der Beschwerdeverfahren wird auf jeweils 5.000,00 € festgesetzt.

Gründe

I.

Am 16.04.2017 gegen 07.00 Uhr wurde der Betroffene als Mitreisender in einem Fernbus an der Grenzübergangsstelle Hörbranz einer grenzpolizeilichen Kontrolle unterzogen. Der Betroffene konnte keine aufenthaltslegitimierenden Dokumente vorweisen. Eine EURODAC-Recherche ergab einen Treffer für Italien vom 10.09.2014. Dem Betroffenen wurde daraufhin schriftlich die Einreise verweigert (vgl. Einreiseverweigerung Bl. 33). Er wurde am 16.04.2017 als Beschuldigter wegen versuchter unerlaubter Einreise vernommen. Auf die polizeiliche Vernehmung (Bl. 28/31) wird Bezug genommen. Ausweislich des Vernehmungsprotokolls begann die Vernehmung um 13.51 Uhr und endete um 15.23 Uhr.

Mit Schreiben vom 16.04.2017 (Bl. 28/34 der Akte des AG Lindau), eingegangen per Fax beim Amtsgericht Kempten am 16.04.2017, 16.05 Uhr, beantragte die beteiligte Ausländerbehörde die vorläufige Freiheitsentziehung im Wege der einstweiligen Anordnung für die Dauer von vier Wochen und einem Tag. Aufgrund des EURODAC-Treffers lägen Anhaltspunkte dafür vor, dass nach der Dublin-III-VO Italien für die Bearbeitung des Asylverfahrens zuständig ist und der Betroffene nach Prüfung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) dorthin zurückgewiesen wird. Als Haftgrund führte die beteiligte Ausländerbehörde erhebliche Fluchtgefahr im Sinne von Art. 28 Abs. 2 Dublin-III-VO an. Die beantragte Haftdauer werde benötigt, bis die Ziellandbestimmung abgeschlossen ist, bzw. das ermittelte Zielland die Zusage zur Wiederaufnahme erteilt hat und die Vorführung zur Haftverlängerung erfolgt ist.

Nach persönlicher Anhörung vom 17.04.2017, 10.00 Uhr, (Bl. 49/51 der Akte des AG Lindau) ordnete das Amtsgericht Kempten mit Beschluss vom gleichen Tage (Bl. 52/56 der Akte des AG Lindau) an, den Betroffenen bis längstens 15.05.2017 in Zurückschiebehaft zu nehmen. Der Betroffene legte mit Schriftsatz seines Verfahrensbevollmächtigten vom 01.05.2017, begründet mit Schriftsatz vom 08.05.2017 (Bl. 78/79 der Akte des AG Lindau), Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts Kempten vom 17.04.2017 ein und beantragte die Feststellung, dass der angefochtene Beschluss den Betroffenen in seinen Rechten verletzt hat. Zu beklagen sei ein Verstoß gegen § 26 FamFG. Zwischenzeitlich habe die schwangere Lebensgefährtin des Betroffenen einen Asylantrag beim BAMF gestellt und sei deren Rückführung nach Italien nicht möglich. Dies habe zur Folge, dass auch eine Zurückschiebung des Betroffenen, der Vater des werdenden Kindes ist, nicht möglich sei. Das Amtsgericht verkenne, dass es sich um eine sog. „Dublin-Haft“ handelt. Der Haftbeschluss sei hinsichtlich der angeordneten Haftdauer widersprüchlich und enthalte keine Angaben dazu, warum die angeordnete Haftdauer erforderlich ist. Gerügt wurde ein Verstoß gegen Art. 104 Abs. 4 GG.

Mit weiterem Schriftsatz vom 08.05.2017 (Bl. 73 der Akte des AG Lindau) beantragte der Verfahrensbevollmächtigte des Betroffenen die Feststellung, dass die Ingewahrsamnahme des Betroffenen vom 16.04.2017, 12.00 Uhr, bis zum Erlass des Haftbeschlusses vom 17.04.2017 rechtswidrig war. Nachdem der Betroffene in den frühen Morgenstunden des 16.04.2017 kontrolliert und festgenommen wurde, sei bereits um 10.00 Uhr beim AG Kempten ein Haftantrag gestellt worden. Dass der Betroffene erst am 17.04.2017 um 10.00 Uhr dem Haftrichter vorgeführt wurde, sei mit Art. 104 Abs. 2 Satz 2 GG nicht vereinbar.

Das Amtsgericht Lindau gab das Verfahren mit Beschluss vom 11.05.2017 an das Amtsgericht Mühldorf ab. Mit Beschluss des Amtsgerichts Mühldorf vom 13.07.2017 wurde das Verfahren übernommen und der Beschwerde des Betroffenen gegen den Beschluss des Amtsgerichts Kempten vom 17.04.2017 nicht abgeholfen.

Die beteiligte Behörde beantragte mit Schreiben vom 08.05.2017 (Bl. 1/7) bei dem Amtsgericht Mühldorf Haft zur Sicherung der Zurückweisung bis 23.05.2017 anzuordnen. Nach der gemäß DÜ-III-VO vorgesehenen Zuständigkeitsbestimmung durch das BAMF sei der Betroffene gemäß der Dublin-III-VO im Wiederaufnahmeverfahren nach Italien zurückzuweisen. Die Abschiebungsanordnung ergehe mit der Zustimmung des zuständigen Mitgliedsstaates. Die Bestätigung einer bereits erfolgten Flugbuchung für den 22.05.2017 liege vor.

Nach Anhörung des Betroffenen am 11.05.2017 (Bl. 35/36) ordnete das Amtsgericht Mühldorf mit Beschluss vom selben Tag (Bl. 37/42) gegen den Betroffenen Haft zur Sicherung der Zurückweisung bis längstens 23.05.2017 an. Am 22.05.2017 wurde der Betroffene nach Italien überstellt.

Mit Schriftsatz vom 14.06.2017 (Bl. 44/45) legte der Verfahrensbevollmächtigte des Betroffenen gegen den Beschluss vom 11.05.2017 Beschwerde ein und beantragte festzustellen, dass der angefochtene Beschluss den Betroffenen in seinen Rechten verletzt hat. Vorsorglich beantragte er Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Er habe am 01.05.2017 gegen den Beschluss des Amtsgerichts Kempten vom 17.04.2017 Beschwerde eingelegt und am 14.06.2017 per Zufall auf Nachfrage bei der JVA Mühldorf erfahren, dass der Betroffene am 22.05.2017 abgeschoben wurde, nachdem das Amtsgericht Mühldorf am 11.05.2017 eine Haftverlängerungsentscheidung getroffen hat. Er habe weder einen Haftverlängerungsantrag erhalten, noch sei ihm der Anhörungstermin mitgeteilt worden. Auch der Verlängerungsbeschluss liege ihm nicht vor. Mit weiterem Schriftsatz vom 03.07.2017 begründete der Verfahrensbevollmächtigte des Betroffenen die eingelegte Beschwerde in Gestalt des Feststellungsantrags. Gegen den Betroffenen wurde die Haftverlängerung beschlossen, ohne dass dem Verfahrensbevollmächtigten zuvor der Verlängerungsantrag übersandt und/oder ihm der Anhörungstermin mitgeteilt wurde. Dass dem Amtsgericht die Tatsache, dass der Betroffene anwaltlich vertreten ist, nicht bekannt war, sei unerheblich, da davon ausgegangen werde, dass dies der beteiligten Behörde bekannt gewesen sei. Der Betroffene habe am 18.05.2017 einen Asylantrag gestellt, der erst mit Bescheid vom 21.06.2017 als unzulässig abgelehnt wurde. Der Betroffene hätte daher am 22.05.2017 nicht abgeschoben werden dürfen.

Mit Beschluss vom 04.07.2017 wies das Amtsgericht Mühldorf den Antrag des Betroffenen auf Feststellung, dass dessen Ingewahrsamnahme vom 16.04.2017, 12.00 Uhr, bis zum Erlass des Haftbeschlusses vom 17.04.2017 rechtswidrig war, zurück (Ziffer 1). Weiter wies es den Antrag des Betroffenen auf Feststellung, dass der Beschluss des Amtsgerichts Mühldorf vom 11.05.2017 den Betroffenen in seinen Rechten verletzt hat, zurück (Ziffer 2). Das Amtsgericht Mühldorf half der Beschwerde des Betroffenen gegen den Beschluss vom 11.05.2017 nicht ab (Ziffer 3).

Der Verfahrensbevollmächtigte des Betroffenen legte mit Schriftsatz vom 07.07.2017 (Bl. 57) Beschwerde gegen Ziffer 1) des Beschlusses des Amtsgerichts Mühldorf vom 04.07.2017 ein Die beteiligte Behörde nahm mit Schreiben vom 03.08.2017 (Bl. 61/63/70) Stellung. Zu einem Hinweis der Kammer vom 10.07.2017 nahm der Verfahrensbevollmächtigte des Betroffenen mit Schriftsatz vom 23.08.2017 (Bl. 71/72) Stellung.

II.

1. Die zulässige Beschwerde des Betroffenen vom 07.07.2017 gegen Ziffer 1. des Beschlusses des Amtsgerichts Mühldorf vom 04.07.2017 ist begründet.

Gemäß § 62 Abs. 5 Satz 1 AufenthG kann die für den Haftantrag zuständige Behörde einen Ausländer ohne vorherige richterliche Anhörung festhalten und vorläufig in Gewahrsam nehmen, wenn der dringende Verdacht für das Vorliegen der Voraussetzungen nach Abs. 3 Satz 1 besteht, die richterliche Entscheidung über die Anordnung der Sicherungshaft nicht vorher eingeholt werden kann und der begründete Verdacht vorliegt, dass sich der Ausländer der Anordnung der Sicherungshaft entziehen will. Diese Voraussetzungen waren bis zur Erstellung des Haftantrages durch die beteiligte Behörde gegeben. Wie die beteiligte Behörde in ihrer Stellungnahme vom 03.08.2017 ausführt, ist das EURODAC-Ergebnis am 16.04.2017 um 14.10 Uhr eingegangen. Die Vernehmung des Betroffenen erfolgte bis 15.23 Uhr. Der Betroffene gab zu verstehen, dass er sich einer Rückführung nach Italien nicht zur Verfügung halten würde.

Gemäß § 62 Abs. 5 Satz 2 AufenthG ist der Ausländer unverzüglich dem Richter zur Entscheidung über die Anordnung der Sicherungshaft vorzuführen. Die beteiligte Behörde hat ausweislich ihrer Stellungnahme vom 03.08.2017 am 16.04.2017 um 15.30 Uhr den Bereitschaftsrichter des Amtsgerichts Kempten kontaktiert. Die beteiligte Behörde teilte mit, dass die Fahrzeit von Lindau nach Kempten ca. eine Stunde beträgt. Warum eine Anhörung am 16.04.2017 seitens des Gerichts nicht mehr möglich war, ist nicht dokumentiert. Im Hinblick auf unvermeidbare Verzögerungen sind die an der freiheitsentziehenden Maßnahme beteiligten staatlichen Organe dokumentationspflichtig, um bei einer späteren gerichtlichen Überprüfung dem Betroffenen effektiven Rechtsschutz zu ermöglichen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19.01.2007, 2 BvR 1206/04). Es ist daher vorliegend unter Berücksichtigung der Fahrzeit davon auszugehen, dass eine Anhörung des Betroffenen noch am 16.04.2017 möglich gewesen wäre.

2. Der Antrag des Betroffenen auf Feststellung, dass der Vollzug des Beschlusses des Amtsgerichts Kempten vom 17.04.2017 ihn in seinen Rechten verletzt hat, ist zulässig. Gegen die Verhängung von Überstellungshaft durch das Amtsgericht ist gemäß § 106 Abs. 2 AufenthG in Verbindung mit § 58 Abs. 1 FamFG das Rechtsmittel der Beschwerde gegeben. Die Beschwerde des Betroffenen gegen den bezeichneten Beschluss wurde fristgerecht eingelegt. Da sich das Verfahren durch Zeitablauf erledigt hat, kann nach § 62 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 FamFG die Feststellung der Rechtswidrigkeit begehrt werden.

Der Feststellungsantrag des Betroffenen ist begründet, da das Amtsgericht Kempten mit Beschluss vom 17.04.2017 bereits eine Entscheidung in der Hauptsache getroffen hat, obwohl die Voraussetzungen hierfür noch nicht vorlagen.

Die beteiligte Behörde beantragte am 16.04.2017 bei dem Amtsgericht Kempten die vorläufige Freiheitsentziehung im Wege der einstweiligen Anordnung für die Dauer von vier Wochen und einem Tag. In dem beantragten Zeitraum sollte durch das BAMF das zur Anwendung kommende Verfahren und der Mitgliedstaat bestimmt werden, an den das Rücknahmeersuchen zu richten ist. Darüber hinaus wurde dargelegt, dass die beantragte Haftdauer die prognostizierte Dauer der Erteilung der Zusage durch das ermittelte Zielland beinhaltet.

Das Amtsgericht Kempten hat aber mit Beschluss vom 17.04.2017 nicht im Wege der einstweiligen Anordnung entschieden, sondern eine Entscheidung in der Hauptsache erlassen. Sowohl der Tenor des Beschlusses, als auch dessen Begründung („Für die Abwicklung der erforderlichen Formalitäten mit den ausländischen Behörden und die Durchführung der Zurückschiebung ist die beantragte Zurückschiebehaft angemessen; Schließlich steht nicht fest, dass die Zurückschiebung des Betroffenen nicht innerhalb der angeordneten Dauer möglich ist“) und die Rechtsbehelfsbelehrung:(Beschwerdefrist 1 Monat) lassen keine Auslegung dahingehend zu, dass es sich um eine einstweilige Anordnung handelte.

Die Verfahren über einstweilige Anordnungen § 51 Abs. 3 Satz 1 FamFG sind selbständige, von der Hauptsache unabhängige Verfahren. Die gebotene Unterscheidung zwischen dem Verfahren auf Erlass einer vorläufigen Anordnung und dem Beschluss in der Hauptsache hat zur Folge, dass der Antrag einer Behörde auf eine vorläufige Freiheitsentziehung im Wege einstweiliger Anordnung keine Grundlage für den Erlass einer Haftanordnung im Hauptsacheverfahren ist (vgl. BGH, Beschluss vom 16.09.2015, Az. V ZB 40/15). Nachdem die Voraussetzungen für den Erlass einer Haftanordnung im Hauptsacheverfahren auch noch nicht vorlagen, hätte der Beschluss des Amtsgerichts Kempten vom 17.04.2017 dergestalt nicht ergehen dürfen.

3. Der Antrag des Betroffenen auf Feststellung, dass der Vollzug des Beschlusses des Amtsgerichts Mühldorf vom 11.05.2017 ihn in seinen Rechten verletzt hat, ist unzulässig.

Der Beschluss mit Rechtsmittelbelehrungwurde dem Betroffenen in der Sitzung des Amtsgerichts Mühldorf vom 11.05.2017 ausgehändigt und übersetzt und damit wirksam bekanntgegeben. Die einmonatige Frist für die Einlegung der Beschwerde (§ 63 Abs. 1 FamFG) endete daher, da der 11.06.2017 ein Sonntag war, am 12.06.2017. Der Beschwerdeschriftsatz des Verfahrensbevollmächtigten des Betroffenen vom 14.06.2017, beim Amtsgericht per Fax eingegangen am selben Tag, ist daher verspätet.

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand war nicht zu gewähren, weil die Fristversäumung nicht unverschuldet war. Der Betroffene wurde in einer ihm verständlichen Sprache über die Möglichkeit der Beschwerdeeinlegung belehrt. Der Umstand, dass der Verfahrensbevollmächtigte vom Amtsgericht über den Anhörungstermin nicht verständigt und ihm der Beschluss des Amtsgerichts Mühldorf vom 11.05.2017 nicht mitgeteilt wurde, begründet nicht den Wiedereinsetzungsantrag. Der Verfahrensbevollmächtigte hatte in dem vorliegenden Verfahren zur Verlängerung der Haft seine Vertretung nicht angezeigt. Das Amtsgericht hatte auch sonst keine Kenntnis davon erlangt, dass der Verfahrensbevollmächtigte den Betroffenen bereits in dem vorangegangenen Verfahren vor dem Amtsgericht Kempten vertreten hatte und daher keinen Anlass, ihn im hiesigen Verfahren zu beteiligen.

Die beteiligte Behörde wurde ausweislich des Akteninhalts des Amtsgerichts Kempten von der Bevollmächtigung nicht in Kenntnis gesetzt. Dem Verfahrensbevollmächtigten des Betroffenen wurde auf dessen Antrag vom 01.05.2017 durch das Amtsgericht Kempten durch Übersendung der Akte per Fax Akteneinsicht übermittelt. Der Verfahrensbevollmächtigte des Betroffenen wusste damit, dass die beteiligte Behörde die vorläufige Freiheitsentziehung im Wege der einstweiligen Anordnung beantragt hat und die Stellung eines weiteren Haftantrages beabsichtigt war. Dem Verfahrensbevollmächtigten des Betroffenen war aus einer Vielzahl von Verfahren bekannt, dass die Haft des Betroffenen in der Abschiebehafteinrichtung in Mühldorf vollzogen wurde und für den weiteren Antrag das Amtsgericht Mühldorf zuständig war, bzw. weitere Anträge dort gestellt wurden. Mit Beschluss des Amtsgerichts Kempten war Haft bis längstens 15.05.2017 angeordnet. Nachdem dem Verfahrensbevollmächtigten des Betroffenen keine weiteren Mitteilungen übersandt wurden, hätte er seine Bestellung gegenüber der beteiligten Behörde oder dem Amtsgericht Mühldorf anzeigen müssen.

4. Dem Betroffenen war antragsgemäß für die Beschwerdeverfahren zu Ziffer 1. und 2. dieses Beschlusses Verfahrenskostenhilfe zu gewähren und wegen der Schwierigkeit der Rechtslage ein Rechtsanwalt beizuordnen (§ 76 Abs. 1 FamFG; § 114 ZPO). Der Antrag auf Gewährung von Verfahrenskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren zu Ziffer 3. dieses Beschlusses war zurückzuweisen, da die Beschwerde keine Aussicht auf Erfolg hatte (§ 76 Abs. 1 FamFG, § 114 Satz 1 ZPO). Die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe setzt neben der Bedürftigkeit des Betroffenen voraus, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint (vgl. BGH vom 20.05.2016, V ZB 140/15). Die Beschwerde war nicht erfolgreich.

5. Betreffend Ziffer 1. und 2. dieses Beschlusses war nach § 430 FamFG auszusprechen, dass die Körperschaft, der die beteiligte Ausländerbehörde angehört, die Auslagen des Betroffenen zu tragen hat. Hinsichtlich des Beschwerdeverfahrens zu Ziffer 3. dieses Beschlusses beruht die Kostenentscheidung auf § 84 FamFG

6. Die Festsetzung des Geschäftswerts der Anträge beruht auf §§ 61 Abs. 1 Satz 1, 36 Abs. 3 GNotKG.

7. Die Rechtsbeschwerde betreffend Ziffer 1. und 2. dieses Beschlusses ist für die Ausländerbehörde nach § 70 Abs. 3 Satz 2 FamFG nicht ohne Zulassung statthaft. Sie war nicht zuzulassen, da die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts nicht erfordert.

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Das Gericht hat von Amts wegen die zur Feststellung der entscheidungserheblichen Tatsachen erforderlichen Ermittlungen durchzuführen.

(1) Die Freiheit der Person kann nur auf Grund eines förmlichen Gesetzes und nur unter Beachtung der darin vorgeschriebenen Formen beschränkt werden. Festgehaltene Personen dürfen weder seelisch noch körperlich mißhandelt werden.

(2) Über die Zulässigkeit und Fortdauer einer Freiheitsentziehung hat nur der Richter zu entscheiden. Bei jeder nicht auf richterlicher Anordnung beruhenden Freiheitsentziehung ist unverzüglich eine richterliche Entscheidung herbeizuführen. Die Polizei darf aus eigener Machtvollkommenheit niemanden länger als bis zum Ende des Tages nach dem Ergreifen in eigenem Gewahrsam halten. Das Nähere ist gesetzlich zu regeln.

(3) Jeder wegen des Verdachtes einer strafbaren Handlung vorläufig Festgenommene ist spätestens am Tage nach der Festnahme dem Richter vorzuführen, der ihm die Gründe der Festnahme mitzuteilen, ihn zu vernehmen und ihm Gelegenheit zu Einwendungen zu geben hat. Der Richter hat unverzüglich entweder einen mit Gründen versehenen schriftlichen Haftbefehl zu erlassen oder die Freilassung anzuordnen.

(4) Von jeder richterlichen Entscheidung über die Anordnung oder Fortdauer einer Freiheitsentziehung ist unverzüglich ein Angehöriger des Festgehaltenen oder eine Person seines Vertrauens zu benachrichtigen.

(1) Die Abschiebungshaft ist unzulässig, wenn der Zweck der Haft durch ein milderes Mittel erreicht werden kann. Die Inhaftnahme ist auf die kürzest mögliche Dauer zu beschränken. Minderjährige und Familien mit Minderjährigen dürfen nur in besonderen Ausnahmefällen und nur so lange in Abschiebungshaft genommen werden, wie es unter Berücksichtigung des Kindeswohls angemessen ist.

(2) Ein Ausländer ist zur Vorbereitung der Ausweisung oder der Abschiebungsanordnung nach § 58a auf richterliche Anordnung in Haft zu nehmen, wenn über die Ausweisung oder die Abschiebungsanordnung nach § 58a nicht sofort entschieden werden kann und die Abschiebung ohne die Inhaftnahme wesentlich erschwert oder vereitelt würde (Vorbereitungshaft). Die Dauer der Vorbereitungshaft soll sechs Wochen nicht überschreiten. Im Falle der Ausweisung bedarf es für die Fortdauer der Haft bis zum Ablauf der angeordneten Haftdauer keiner erneuten richterlichen Anordnung.

(3) Ein Ausländer ist zur Sicherung der Abschiebung auf richterliche Anordnung in Haft zu nehmen (Sicherungshaft), wenn

1.
Fluchtgefahr besteht,
2.
der Ausländer auf Grund einer unerlaubten Einreise vollziehbar ausreisepflichtig ist oder
3.
eine Abschiebungsanordnung nach § 58a ergangen ist, diese aber nicht unmittelbar vollzogen werden kann.
Von der Anordnung der Sicherungshaft nach Satz 1 Nummer 2 kann ausnahmsweise abgesehen werden, wenn der Ausländer glaubhaft macht, dass er sich der Abschiebung nicht entziehen will. Die Sicherungshaft ist unzulässig, wenn feststeht, dass aus Gründen, die der Ausländer nicht zu vertreten hat, die Abschiebung nicht innerhalb der nächsten drei Monate durchgeführt werden kann; bei einem Ausländer, bei dem ein Fall des § 54 Absatz 1 Nummer 1 bis 1b oder Absatz 2 Nummer 1 oder 3 vorliegt und auf den nicht das Jugendstrafrecht angewendet wurde oder anzuwenden wäre, gilt abweichend ein Zeitraum von sechs Monaten. Abweichend von Satz 3 ist die Sicherungshaft bei einem Ausländer, von dem eine erhebliche Gefahr für Leib und Leben Dritter oder bedeutende Rechtsgüter der inneren Sicherheit ausgeht, auch dann zulässig, wenn die Abschiebung nicht innerhalb der nächsten drei Monate durchgeführt werden kann.

(3a) Fluchtgefahr im Sinne von Absatz 3 Satz 1 Nummer 1 wird widerleglich vermutet, wenn

1.
der Ausländer gegenüber den mit der Ausführung dieses Gesetzes betrauten Behörden über seine Identität täuscht oder in einer für ein Abschiebungshindernis erheblichen Weise und in zeitlichem Zusammenhang mit der Abschiebung getäuscht hat und die Angabe nicht selbst berichtigt hat, insbesondere durch Unterdrückung oder Vernichtung von Identitäts- oder Reisedokumenten oder das Vorgeben einer falschen Identität,
2.
der Ausländer unentschuldigt zur Durchführung einer Anhörung oder ärztlichen Untersuchung nach § 82 Absatz 4 Satz 1 nicht an dem von der Ausländerbehörde angegebenen Ort angetroffen wurde, sofern der Ausländer bei der Ankündigung des Termins auf die Möglichkeit seiner Inhaftnahme im Falle des Nichtantreffens hingewiesen wurde,
3.
die Ausreisefrist abgelaufen ist und der Ausländer seinen Aufenthaltsort trotz Hinweises auf die Anzeigepflicht gewechselt hat, ohne der zuständigen Behörde eine Anschrift anzugeben, unter der er erreichbar ist,
4.
der Ausländer sich entgegen § 11 Absatz 1 Satz 2 im Bundesgebiet aufhält und er keine Betretenserlaubnis nach § 11 Absatz 8 besitzt,
5.
der Ausländer sich bereits in der Vergangenheit der Abschiebung entzogen hat oder
6.
der Ausländer ausdrücklich erklärt hat, dass er sich der Abschiebung entziehen will.

(3b) Konkrete Anhaltspunkte für Fluchtgefahr im Sinne von Absatz 3 Satz 1 Nummer 1 können sein:

1.
der Ausländer hat gegenüber den mit der Ausführung dieses Gesetzes betrauten Behörden über seine Identität in einer für ein Abschiebungshindernis erheblichen Weise getäuscht und hat die Angabe nicht selbst berichtigt, insbesondere durch Unterdrückung oder Vernichtung von Identitäts- oder Reisedokumenten oder das Vorgeben einer falschen Identität,
2.
der Ausländer hat zu seiner unerlaubten Einreise erhebliche Geldbeträge, insbesondere an einen Dritten für dessen Handlung nach § 96, aufgewandt, die nach den Umständen derart maßgeblich sind, dass daraus geschlossen werden kann, dass er die Abschiebung verhindern wird, damit die Aufwendungen nicht vergeblich waren,
3.
von dem Ausländer geht eine erhebliche Gefahr für Leib und Leben Dritter oder bedeutende Rechtsgüter der inneren Sicherheit aus,
4.
der Ausländer ist wiederholt wegen vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu mindestens einer Freiheitsstrafe verurteilt worden,
5.
der Ausländer hat die Passbeschaffungspflicht nach § 60b Absatz 3 Satz 1 Nummer 1, 2 und 6 nicht erfüllt oder der Ausländer hat andere als die in Absatz 3a Nummer 2 genannten gesetzlichen Mitwirkungshandlungen zur Feststellung der Identität, insbesondere die ihm nach § 48 Absatz 3 Satz 1 obliegenden Mitwirkungshandlungen, verweigert oder unterlassen und wurde vorher auf die Möglichkeit seiner Inhaftnahme im Falle der Nichterfüllung der Passersatzbeschaffungspflicht nach § 60b Absatz 3 Satz 1 Nummer 1, 2 und 6 oder der Verweigerung oder Unterlassung der Mitwirkungshandlung hingewiesen,
6.
der Ausländer hat nach Ablauf der Ausreisefrist wiederholt gegen eine Pflicht nach § 61 Absatz 1 Satz 1, Absatz 1a, 1c Satz 1 Nummer 3 oder Satz 2 verstoßen oder eine zur Sicherung und Durchsetzung der Ausreisepflicht verhängte Auflage nach § 61 Absatz 1e nicht erfüllt,
7.
der Ausländer, der erlaubt eingereist und vollziehbar ausreisepflichtig geworden ist, ist dem behördlichen Zugriff entzogen, weil er keinen Aufenthaltsort hat, an dem er sich überwiegend aufhält.

(4) Die Sicherungshaft kann bis zu sechs Monaten angeordnet werden. Sie kann in Fällen, in denen die Abschiebung aus von dem Ausländer zu vertretenden Gründen nicht vollzogen werden kann, um höchstens zwölf Monate verlängert werden. Eine Verlängerung um höchstens zwölf Monate ist auch möglich, soweit die Haft auf der Grundlage des Absatzes 3 Satz 1 Nummer 3 angeordnet worden ist und sich die Übermittlung der für die Abschiebung erforderlichen Unterlagen oder Dokumente durch den zur Aufnahme verpflichteten oder bereiten Drittstaat verzögert. Die Gesamtdauer der Sicherungshaft darf 18 Monate nicht überschreiten. Eine Vorbereitungshaft ist auf die Gesamtdauer der Sicherungshaft anzurechnen.

(4a) Ist die Abschiebung gescheitert, bleibt die Anordnung bis zum Ablauf der Anordnungsfrist unberührt, sofern die Voraussetzungen für die Haftanordnung unverändert fortbestehen.

(5) Die für den Haftantrag zuständige Behörde kann einen Ausländer ohne vorherige richterliche Anordnung festhalten und vorläufig in Gewahrsam nehmen, wenn

1.
der dringende Verdacht für das Vorliegen der Voraussetzungen nach Absatz 3 Satz 1 besteht,
2.
die richterliche Entscheidung über die Anordnung der Sicherungshaft nicht vorher eingeholt werden kann und
3.
der begründete Verdacht vorliegt, dass sich der Ausländer der Anordnung der Sicherungshaft entziehen will.
Der Ausländer ist unverzüglich dem Richter zur Entscheidung über die Anordnung der Sicherungshaft vorzuführen.

(6) Ein Ausländer kann auf richterliche Anordnung zum Zwecke der Abschiebung für die Dauer von längstens 14 Tagen zur Durchführung einer Anordnung nach § 82 Absatz 4 Satz 1, bei den Vertretungen oder ermächtigten Bediensteten des Staates, dessen Staatsangehörigkeit er vermutlich besitzt, persönlich zu erscheinen, oder eine ärztliche Untersuchung zur Feststellung seiner Reisefähigkeit durchführen zu lassen, in Haft genommen werden, wenn er

1.
einer solchen erstmaligen Anordnung oder
2.
einer Anordnung nach § 82 Absatz 4 Satz 1, zu einem Termin bei der zuständigen Behörde persönlich zu erscheinen,
unentschuldigt ferngeblieben ist und der Ausländer zuvor auf die Möglichkeit einer Inhaftnahme hingewiesen wurde (Mitwirkungshaft). Eine Verlängerung der Mitwirkungshaft ist nicht möglich. Eine Mitwirkungshaft ist auf die Gesamtdauer der Sicherungshaft anzurechnen. § 62a Absatz 1 findet entsprechende Anwendung.

(1) Die Grundrechte der körperlichen Unversehrtheit (Artikel 2 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes) und der Freiheit der Person (Artikel 2 Abs. 2 Satz 2 des Grundgesetzes) werden nach Maßgabe dieses Gesetzes eingeschränkt.

(2) Das Verfahren bei Freiheitsentziehungen richtet sich nach Buch 7 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit. Ist über die Fortdauer der Zurückweisungshaft oder der Abschiebungshaft zu entscheiden, so kann das Amtsgericht das Verfahren durch unanfechtbaren Beschluss an das Gericht abgeben, in dessen Bezirk die Zurückweisungshaft oder Abschiebungshaft jeweils vollzogen wird.

(1) Die Beschwerde findet gegen die im ersten Rechtszug ergangenen Endentscheidungen der Amtsgerichte und Landgerichte in Angelegenheiten nach diesem Gesetz statt, sofern durch Gesetz nichts anderes bestimmt ist.

(2) Der Beurteilung des Beschwerdegerichts unterliegen auch die nicht selbständig anfechtbaren Entscheidungen, die der Endentscheidung vorausgegangen sind.

(1) Hat sich die angefochtene Entscheidung in der Hauptsache erledigt, spricht das Beschwerdegericht auf Antrag aus, dass die Entscheidung des Gerichts des ersten Rechtszugs den Beschwerdeführer in seinen Rechten verletzt hat, wenn der Beschwerdeführer ein berechtigtes Interesse an der Feststellung hat.

(2) Ein berechtigtes Interesse liegt in der Regel vor, wenn

1.
schwerwiegende Grundrechtseingriffe vorliegen oder
2.
eine Wiederholung konkret zu erwarten ist.

(3) Hat der Verfahrensbeistand oder der Verfahrenspfleger die Beschwerde eingelegt, gelten die Absätze 1 und 2 entsprechend.

(1) Die einstweilige Anordnung wird nur auf Antrag erlassen, wenn ein entsprechendes Hauptsacheverfahren nur auf Antrag eingeleitet werden kann. Der Antragsteller hat den Antrag zu begründen und die Voraussetzungen für die Anordnung glaubhaft zu machen.

(2) Das Verfahren richtet sich nach den Vorschriften, die für eine entsprechende Hauptsache gelten, soweit sich nicht aus den Besonderheiten des einstweiligen Rechtsschutzes etwas anderes ergibt. Das Gericht kann ohne mündliche Verhandlung entscheiden. Eine Versäumnisentscheidung ist ausgeschlossen.

(3) Das Verfahren der einstweiligen Anordnung ist ein selbständiges Verfahren, auch wenn eine Hauptsache anhängig ist. Das Gericht kann von einzelnen Verfahrenshandlungen im Hauptsacheverfahren absehen, wenn diese bereits im Verfahren der einstweiligen Anordnung vorgenommen wurden und von einer erneuten Vornahme keine zusätzlichen Erkenntnisse zu erwarten sind.

(4) Für die Kosten des Verfahrens der einstweiligen Anordnung gelten die allgemeinen Vorschriften.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
V ZB 40/15
vom
16. September 2015
in der Abschiebungshaftsache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Steht - gegebenenfalls nach einer Auslegung der vom Amtsgericht in einer Abschiebehaftsache
getroffenen Entscheidung - fest, ob im Hauptsacheverfahren (§ 417 ff.
FamFG) oder im einstweiligen Anordnungsverfahren (§ 427 FamFG) entschieden
worden ist, wird hierdurch auch der Gegenstand eines sich anschließenden Rechtsmittelverfahrens
festgelegt.
Das Beschwerdegericht ist nicht befugt, eine tatsächlich im Hauptsacheverfahren
ergangene Entscheidung des Amtsgerichts nachträglich als eine einstweilige Anordnung
oder einen im Wege der einstweiligen Anordnung getroffenen Beschluss nachträglich
als Hauptsachentscheidung anzusehen.
BGH, Beschluss vom 16. September 2015 - V ZB 40/15 - LG Nürnberg-Fürth
AG Nürnberg
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 16. September 2015 durch die
Vorsitzende Richterin Dr. Stresemann, die Richterinnen Prof. Dr. Schmidt-Räntsch
und Weinland und die Richter Dr. Kazele und Dr. Göbel

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss des Landgerichts Nürnberg-Fürth - 18. Zivilkammer - vom 13. März 2015 aufgehoben. Die Sache wird zur anderweitigen Behandlung und Entscheidung , auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Beschwerdegericht zurückverwiesen. Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt 5.000 €.

Gründe:

I.

1
Der Betroffene ist mazedonischer Staatsangehöriger. Er reiste spätestens am 1. September 2012 visumsfrei in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte die Erteilung eines Aufenthaltstitels zur Ausübung einer Beschäftigung. Nachdem er diesen Antrag zurückgenommen hatte, tauchte er unter. Mit bestandskräftiger Verfügung der Beteiligten zu 2 vom 16. September 2014 wurde der Betroffene ausgewiesen und unter Abschiebungsandrohung zur Ausreise bis spätestens 28. September 2014 aufgefordert. Nachdem er am 14. Februar 2015 in Polizeigewahrsam genommen worden war, beantragte die Beteiligte zu 2 am selben Tag die Anordnung der Abschiebehaft gegen den Betroffenen bis zum 29. März 2015. Für den Fall, dass über den Antrag nicht sofort entschieden werden könnte, beantragte sie die Anordnung der Sicherungshaft im Wege der einstweiligen Anordnung für die Dauer von sechs Wochen. Das Amtsgericht hat mit Beschluss vom 15. Februar 2015 durch einstweilige Anordnung gemäß § 106 Abs. 2 Satz 1 AufenthG, § 427 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 FamFG die vorläufige Freiheitsentziehung des Betroffenen zum Zwecke der Sicherungshaft bis zur Entscheidung in der Hauptsache, längstens bis Ablauf des 29. März 2015 angeordnet. Die hiergegen gerichtete Beschwerde hat das Landgericht mit Beschluss vom 13. März 2015 mit der Feststellung zurückgewiesen, dass die angefochtene Entscheidung nicht im Wege der einstweiligen Anordnung erlassen worden sei. Mit der Rechtsbeschwerde erstrebt der Betroffene, der am 24. März 2015 in sein Heimatland abgeschoben worden ist, die Aufhebung des Beschlusses des Landgerichts und die Feststellung, dass er durch den Beschluss des Amtsgerichts vom 15. Februar 2015 in seinen Rechten verletzt sei.

II.

2
Das Beschwerdegericht meint, die Anordnung der Sicherungshaft sei in der Sache nicht zu beanstanden. Zur Klarstellung sei jedoch auszusprechen, dass die Entscheidung tatsächlich keine einstweilige Anordnung, sondern eine endgültige Entscheidung in der Sache gemäß § 106 Abs. 2 Satz 1 AufenthG, §§ 417 ff. FamFG darstelle. Das Amtsgericht habe keinerlei Feststellungen dazu getroffen, warum eine endgültige Entscheidung nicht habe ergehen können. Insbesondere lasse der Beschluss nicht erkennen, warum die Voraussetzungen für eine Freiheitsentziehung noch nicht abschließend hätten festgestellt werden können. Auch habe das Amtsgericht die Sicherungshaft für den gesamten durch die Behörde beantragten Zeitraum ausgesprochen, so dass eine Haupt- sacheentscheidung vorweggenommen worden sei. Insofern habe das Amtsgericht tatsächlich eine endgültige Entscheidung getroffen, für die es sämtliche Formalitäten eingehalten habe. Die antragstellende Behörde habe eine einstweilige Anordnung auch nur hilfsweise beantragt. Diese Feststellung werde zugunsten des Betroffenen getroffen, um ihm das gegen die endgültige Entscheidung zustehende Rechtsmittel der Rechtsbeschwerde nicht durch die falsche Bezeichnung als einstweilige Anordnung zu nehmen.

III.

3
1. Die Rechtsbeschwerde ist zulässig.
4
a) Nach § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 FamFG ist die Rechtsbeschwerde gegen die Freiheitsentziehung anordnende Beschlüsse - nach Erledigung der Hauptsache auch mit dem Feststellungsantrag nach § 62 FamFG - ohne Zulassung statthaft (vgl. Senat, Beschluss vom 18. Dezember 2014 - V ZB 114/13, FGPrax 2015, 91 Rn. 6 mwN). Hiervon ausgenommen sind allerdings nach § 70 Abs. 4 FamFG die im Wege einer einstweiligen Anordnung nach § 427 FamFG ergangenen Beschlüsse über vorläufige Freiheitsentziehungen. Das gilt auch für auf § 62 FamFG gestützte Feststellungsanträge, da der Gesetzgeber mit der Regelung in § 70 Abs. 4 FamFG klar zum Ausdruck gebracht hat, dass einstweilige Anordnungen keiner rechtlichen Überprüfung im Rechtsbeschwerdeverfahren unterworfen sein sollen (Senat, Beschluss vom 20. Januar 2011 - V ZB 116/10, FGPrax 2011, 143 Rn. 7).
5
b) Das - im Übrigen form- und fristgerecht eingelegte - Rechtsmittel des Betroffenen richtet sich gegen eine im Hauptsacheverfahren erlassene freiheitsentziehende Maßnahme und ist deshalb statthaft. Dem steht nicht entgegen , dass das Amtsgericht eine einstweilige Anordnung im Sinne des § 427 FamFG erlassen hat. Das Beschwerdegericht hat unmissverständlich zum Aus- druck gebracht, eine Entscheidung zur Hauptsache treffen zu wollen, indem es „zur Klarstellung“ ausgesprochen hat, dass die Entscheidung des Amtsgerichts keine einstweilige Anordnung, sondern eine endgültige Entscheidung gemäß §§ 417 ff. FamFG darstelle. Ob das Beschwerdegericht zu einer solchen Vorgehensweise verfahrensrechtlich befugt war, ist keine Frage der Zulässigkeit, sondern der Begründetheit der Rechtsbeschwerde.
6
2. Die Rechtsbeschwerde ist auch in der Sache begründet. Das Beschwerdegericht hat eine Entscheidung in der Hauptsache getroffen, obwohl Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ausschließlich ein im Wege der einstweiligen Anordnung ergangener Beschluss des Amtsgerichts war.
7
a) Die Verfahren über einstweilige Anordnungen (§§ 49 ff. FamFG) sind nach § 51 Abs. 3 Satz 1 FamFG selbständige, von der Hauptsache unabhängige Verfahren. Der Gesetzgeber des FGG-Reformgesetzes hat sich dafür entschieden , die Hauptsacheabhängigkeit der Verfahren über einstweilige Anordnungen zu beseitigen und diese - wie die Verfahren über den Arrest und die einstweilige Verfügung nach §§ 916 ff. ZPO - von den Hauptsacheverfahren zu trennen (BT-Drucks. 16/6308 S. 199). Diesen Grundsatz hat er auch für vorläufige Freiheitsentziehungen nach § 427 FamFG übernommen (BT-Drucks. 16/6308 S. 293). Die verfahrensrechtlichen Anforderungen für einstweilige Anordnungen nach § 427 FamFG unterscheiden sich von denen für freiheitsentziehende Beschlüsse in der Hauptsache nach § 422 FamFG. Deshalb kann eine Freiheitsentziehung als vorläufige Anordnung nach § 427 FamFG rechtmäßig , als Beschluss in der Hauptsache nach § 422 FamFG jedoch rechtswidrig sein (vgl. Senat, Beschlüsse vom 31. Mai 2012 - V ZB 167/11, NJW 2012, 2448 Rn. 10 und vom 18. Dezember 2014 - V ZB 114/13, FGPrax 2015, 91 Rn. 13). Umgekehrt kann eine Freiheitsentziehung als Beschluss in der Hauptsache rechtmäßig sein, mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 427 FamFG jedoch als vorläufige Anordnung rechtswidrig sein. Die hiernach gebotene Unterscheidung zwischen dem Verfahren auf Erlass einer vorläufigen Anordnung und dem Beschluss in der Hauptsache hat zur Folge, dass der Antrag einer Behörde auf eine vorläufige Freiheitsentziehung im Wege einstweiliger Anordnung keine Grundlage für den Erlass einer Haftanordnung im Hauptsacheverfahren ist (vgl. Senat, Beschluss vom 18. Dezember 2014 - V ZB 114/13, FGPrax 2015, 91 Rn. 11, 13).
8
b) Wenn eine Behörde - wie hier in Gestalt eines Haupt- und Hilfsantrages - sowohl eine Entscheidung in der Hauptsache als auch eine vorläufige Freiheitsentziehung im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 427 FamFG beantragt, kann sich die Frage stellen, ob die auf einen solchen Antrag ausgesprochene Haftanordnung im Wege der einstweiligen Anordnung oder im Hauptsacheverfahren ergangen ist. Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Haftanordnung im Hauptsacheverfahren können insbesondere das Fehlen von Feststellungen zur Notwendigkeit einer einstweiligen Anordnung, eine abschließende , nicht nur vorläufige Feststellung der Haftgründe, die Überschreitung der für einstweilige Haftanordnungen geltenden Höchstdauer von sechs Wochen und die Rechtsmittelbelehrung sein (vgl. hierzu Senat, Beschluss vom 18. Dezember 2014 - V ZB 114/13, FGPrax 2015, 91 Rn. 7).
9
c) Steht - gegebenenfalls nach einer Auslegung der vom Amtsgericht getroffenen Entscheidung - fest, ob im Hauptsacheverfahren oder im einstweiligen Anordnungsverfahren entschieden worden ist, wird hierdurch auch der Gegenstand eines sich anschließenden Rechtsmittelverfahrens festgelegt. Das Beschwerdegericht ist nicht befugt, eine tatsächlich im Hauptsacheverfahren ergangene Entscheidung des Amtsgerichts nachträglich als eine einstweilige Anordnung oder einen im Wege der einstweiligen Anordnung getroffenen Beschluss nachträglich als Hauptsachentscheidung anzusehen. Durch einen sol- chen Wechsel von der einen in die andere Verfahrensart würde die vom Gesetzgeber angeordnete Unterscheidung von Hauptsacheverfahren und einstweiligen Anordnungsverfahren, für die jeweils unterschiedliche Voraussetzungen gelten, missachtet. Zudem würde auch die Regelung des § 70 Abs. 4 FamFG unterlaufen. Hierin hat der Gesetzgeber eindeutig zum Ausdruck gebracht, dass einstweilige Anordnungen - im Unterschied zu den Hauptsachentscheidungen - keiner rechtlichen Überprüfung im Rechtsbeschwerdeverfahren unterworfen sein sollen. Vielmehr endet der Rechtsmittelzug in diesen Verfahren beim Beschwerdegericht, das auch die Voraussetzungen für das Vorliegen einer einstweiligen Anordnung zu überprüfen hat.
10
d) Vorliegend war für die von dem Beschwerdegericht vorgenommene „Klarstellung“, dass es sich bei dem Beschluss des Amtsgerichts vom 15. Feb- ruar 2015 um eine endgültige Entscheidung im Sinne des § 417 ff. FamFG handele, kein Raum. Aus dem Tenor und den Beschlussgründen ergibt sich eindeutig, dass das Amtsgericht die Entscheidung nicht versehentlich als einstweilige Anordnung bezeichnet hat, sondern eine solche tatsächlich auch erlassen wollte. Hierin fügt sich, dass in der Rechtsmittelbelehrung die für Beschwerden gegen einstweilige Anordnungen geltende Beschwerdefrist von zwei Wochen (§ 63 Abs. 2 Nr. 1 FamFG) angegeben wird. Die Frist zur Einlegung einer Beschwerde gegen eine Hauptsachentscheidung beträgt demgegenüber einen Monat (§ 63 Abs. 1 FamFG). Auch die Beteiligten haben den Beschluss, den der Betroffene mit der Beschwerde angegriffen hat, nicht als Entscheidung in der Hauptsache verstanden. Da hiernach Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ausschließlich eine einstweilige Anordnung war, durfte das Beschwerdegericht keine Entscheidung in der Hauptsache treffen.
11
3. Die Sache ist nicht zur Entscheidung reif und daher nach § 74 Abs. 6 Satz 2 FamFG an das Beschwerdegericht zurückzuverweisen. Eine eigene Entscheidung des Senats ist bereits deshalb ausgeschlossen, weil es um die Rechtmäßigkeit einer im einstweiligen Anordnungsverfahren ergangenen Entscheidung des Amtsgerichts geht und in diesem Verfahren eine Rechtsbeschwerde gemäß § 70 Abs. 4 FamFG nicht vorgesehen ist. Über den im Rechtsbeschwerdeverfahren gestellten Antrag festzustellen, dass der Beschluss des Amtsgerichts vom 15. Februar 2015 den Betroffenen in seinen Rechten verletzt hat, hat deshalb abschließend das Beschwerdegericht zu befinden. Wie es selbst - wenn auch im Zusammenhang mit der von ihm vorgenommenen Klarstellung des Beschlusses des Amtsgerichts - ausführt, hatdas Amtsgericht keine Feststellungen dazu getroffen, warum anstelle einer endgültige Entscheidung eine einstweilige Anordnung nach § 427 FamFG ergehen musste.
Stresemann Schmidt-Räntsch Weinland Kazele Göbel

Vorinstanzen:
AG Nürnberg, Entscheidung vom 15.02.2015 - 59 XIV 5/15 (B) -
LG Nürnberg-Fürth, Entscheidung vom 13.03.2015 - 18 T 1191/15 -

(1) Die Beschwerde ist, soweit gesetzlich keine andere Frist bestimmt ist, binnen einer Frist von einem Monat einzulegen.

(2) Die Beschwerde ist binnen einer Frist von zwei Wochen einzulegen, wenn sie sich gegen folgende Entscheidungen richtet:

1.
Endentscheidungen im Verfahren der einstweiligen Anordnung oder
2.
Entscheidungen über Anträge auf Genehmigung eines Rechtsgeschäfts.

(3) Die Frist beginnt jeweils mit der schriftlichen Bekanntgabe des Beschlusses an die Beteiligten. Kann die schriftliche Bekanntgabe an einen Beteiligten nicht bewirkt werden, beginnt die Frist spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach Erlass des Beschlusses.

(1) Auf die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe finden die Vorschriften der Zivilprozessordnung über die Prozesskostenhilfe entsprechende Anwendung, soweit nachfolgend nichts Abweichendes bestimmt ist.

(2) Ein Beschluss, der im Verfahrenskostenhilfeverfahren ergeht, ist mit der sofortigen Beschwerde in entsprechender Anwendung der §§ 567 bis 572, 127 Abs. 2 bis 4 der Zivilprozessordnung anfechtbar.

(1) Eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, erhält auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Für die grenzüberschreitende Prozesskostenhilfe innerhalb der Europäischen Union gelten ergänzend die §§ 1076 bis 1078.

(2) Mutwillig ist die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung, wenn eine Partei, die keine Prozesskostenhilfe beansprucht, bei verständiger Würdigung aller Umstände von der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung absehen würde, obwohl eine hinreichende Aussicht auf Erfolg besteht.

(1) Auf die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe finden die Vorschriften der Zivilprozessordnung über die Prozesskostenhilfe entsprechende Anwendung, soweit nachfolgend nichts Abweichendes bestimmt ist.

(2) Ein Beschluss, der im Verfahrenskostenhilfeverfahren ergeht, ist mit der sofortigen Beschwerde in entsprechender Anwendung der §§ 567 bis 572, 127 Abs. 2 bis 4 der Zivilprozessordnung anfechtbar.

(1) Eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, erhält auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Für die grenzüberschreitende Prozesskostenhilfe innerhalb der Europäischen Union gelten ergänzend die §§ 1076 bis 1078.

(2) Mutwillig ist die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung, wenn eine Partei, die keine Prozesskostenhilfe beansprucht, bei verständiger Würdigung aller Umstände von der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung absehen würde, obwohl eine hinreichende Aussicht auf Erfolg besteht.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
V ZB 140/15
vom
20. Mai 2016
in der Abschiebungshaftsache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
2013/33/EU (Aufnahmerichtlinie) Art. 9 Abs. 6

a) Fragt der Betroffene in einer Anhörung in einer Freiheitsentziehungssache
(§ 420 Abs. 1 FamFG) nach einem Anwalt, ist dies im Zweifel als Antrag
auf Beiordnung eines Rechtsanwalts im Wege der Verfahrenskostenhilfe
auszulegen.

b) Unterlässt das Gericht eine Entscheidung über einen solchen Antrag,
führt dies nicht zur Rechtswidrigkeit der Haftanordnung, wenn Verfahrenskostenhilfe
im Zeitpunkt der Antragstellung nicht zu bewilligen gewesen
wäre (Abgrenzung zu Senat, Beschluss vom 12. September 2013
- V ZB 121/12, InfAuslR 2014, 6).

c) Aus Art. 9 Abs. 6 der Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments
und des Rats vom 26. Juni 2013 (Aufnahmerichtlinie) ergibt sich
kein Recht des Betroffenen auf Beiordnung eines Rechtsanwalts auch
ohne Erfolgsaussicht der Rechtsverteidigung gegen einen Haftantrag.
ECLI:DE:BGH:2016:200516BVZB140.15.0
BGH, Beschluss vom 20. Mai 2016 - V ZB 140/15 - LG Münster AG Borken
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 20. Mai 2016 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Stresemann, die Richterin Prof. Dr. Schmidt-Räntsch, die Richter Dr. Kazele und Dr. Göbel und die Richterin Haberkamp

beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss der 5. Zivilkammer des Landgerichts Münster vom 21. September 2015 wird auf Kosten des Betroffenen zurückgewiesen.
Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens beträgt 5.000 €.

Gründe:


I.


1
Auf Antrag der beteiligten Behörde ordnete das Amtsgericht mit Beschluss vom 30. Juli 2015 gegen den Betroffenen nach dessen Anhörung Abschiebungshaft bis zum 29. September 2015 an. Die gegen den Haftanordnungsbeschluss des Amtsgerichts gerichtete Beschwerde und den Antrag auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe hat das Landgericht zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde will der Betroffene, der zwischenzeitlich nach Georgien abgeschoben worden ist, die Feststellung erreichen, durch die Haftanordnung in seinen Rechten verletzt zu sein.

II.


2
Nach Auffassung des Beschwerdegerichts ist die Entscheidung des Amtsgerichts nicht verfahrensfehlerhaft ergangen. Der Betroffene sei in dem Anhörungstermin vor dem Amtsgericht darüber informiert worden, dass er jederzeit einen Rechtsanwalt habe konsultieren können. Er habe aber keinen Rechtsanwalt benannt, den er hätte anrufen wollen. Ebenso wenig habe er die 15-minütige Unterbrechung der Anhörung bis zur Verkündung des angefochtenen Beschlusses genutzt, um einen Rechtsanwalt anzurufen. Da er nicht erklärt habe, über kein Geld zu verfügen, habe das Amtsgericht auch keinen Anlass gehabt, ihn auf die Möglichkeit der Beantragung von Verfahrenskostenhilfe hinzuweisen. Es habe davon ausgehen können, dass der Betroffene auf sein Recht auf anwaltlichen Beistand im Anhörungstermin habe verzichten wollen.

III.


3
Die mit dem Feststellungsantrag analog § 62 Abs. 1 FamFG statthafte (§ 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 FamFG) und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde hat im Ergebnis keinen Erfolg. Die Haftanordnung des Amtsgerichts verletzt den Beschwerdeführer nicht in seinen Rechten. Insbesondere folgt die Rechtswidrigkeit entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde nicht daraus, dass der Betroffene während seiner Anhörung nicht anwaltlich vertreten war.
4
1. Allerdings weist die Anhörung des Betroffenen durch das Amtsgericht entgegen der Ansicht des Beschwerdegerichts einen Verfahrensfehler auf.
5
a) Ausweislich des in der Rechtsbeschwerde in Bezug genommenen Protokolls der Anhörung „fragte der Betroffene nach einem Anwalt“. Es liegt bei verständiger Würdigung dieser Frage nahe, hierin die konkludente Stellung eines Antrags auf Beiordnung eines Rechtsanwalts im Wege der Verfahrenskostenhilfe zu sehen (§ 76 Abs. 1, § 78 Abs. 2 FamFG). Sie zielte erkennbar auf ein Tätigwerden des Gerichts und beschränkte sich nicht auf die Bitte, dem Betroffenen (nur) die Gelegenheit einzuräumen, sich selbst und auf eigene Kosten eine anwaltliche Vertretung zu beschaffen. Es lagen auch keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der Betroffene über die finanziellen Möglichkeiten verfügte, ohne staatliche Unterstützung einen Rechtsanwalt zu beauftragen. Dass er gegenüber dem Amtsgericht nicht ausdrücklich erklärt hat, kein Geld zu haben, steht, anders, als das Beschwerdegericht meint, der konkludenten Stellung eines Antrags auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe nicht entgegen, da auch diese Erklärung in der Bitte um einen Anwalt konkludent enthalten ist. Schließlich spricht für eine dahingehende Auslegung der Erklärung - mittelbar - auch die Frage des Betroffenen unmittelbar nach Bekanntmachung der Haftanordnung , warum er keinen Anwalt erhalten habe. Über den Verfahrenskostenhilfeantrag hätte entschieden werden müssen.
6
b) Das Verfahren des Amtsgerichts wäre aber auch dann zu beanstanden , wenn die Frage nach einem Anwalt nur zum Ziel gehabt hätte, einen Wahlanwalt kontaktieren zu können. In diesem Fall hätte sich das Amtsgericht nicht auf den schlichten Hinweis an den Betroffenen, er können sich jederzeit anwaltlicher Hilfe bedienen, beschränken dürfen. Ebensowenig hätte es genügt, die Anhörung für 15 Minuten für eine Kontaktaufnahme zu einem Rechtsanwalt zu unterbrechen. Der in dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) wurzelnde Grundsatz des fairen Verfahrens garantiert dem Betroffenen, sich zur Wahrung seiner Rechte in einem Freiheitsentziehungsverfahren von einem Bevollmäch- tigten seiner Wahl vertreten zu lassen und billigt ihm das Recht zu, diesen Bevollmächtigten zu der Anhörung hinzuzuziehen (Senat, Beschluss vom 10. Juli 2014 - V ZB 32/14, FGPrax 2014, 228 Rn. 8; siehe auch BVerfG, StV 1994, 552 f.; NJW 1993, 2301 f. - jeweils zur mündlichen Anhörung des Verurteilten im Strafvollstreckungsverfahren). Dies setzt voraus, dass der Betroffene nicht nur theoretisch Kontakt zu einem Wahlanwalt aufnehmen kann, sondern eine solche Kontaktaufnahme effektiv möglich ist. Aus dem Protokoll der Anhörung ist jedoch - wie die Rechtsbeschwerde zu Recht beanstandet - nicht ersichtlich, in welcher Weise der Betroffene einen Wahlanwalt hätte beauftragen können. Ein Telefonbuch oder eine Liste mit Rechtsanwälten lag ihm nicht vor. Sein Mobiltelefon sollte ihm erst nach Aufnahme in die Abschiebehafteinrichtung wieder ausgehändigt werden. Ein Angebot, von einem freien Fernsprecher im Gerichtsgebäude oder vom Richterzimmer aus zu telefonieren, ist ebenfalls nicht protokolliert.
7
c) Keinesfalls konnte das Amtsgericht nach der 15-minütigen Unterbrechung davon ausgehen, dass der Betroffene auf anwaltlichen Beistand verzichten wollte, wie das Beschwerdegericht annimmt. An einen solchen Verzicht sind strenge Anforderungen zu stellen, die hier nicht erfüllt sind. Auch nach der Unterbrechung der Anhörung stand die Bitte des Betroffenen um einen Anwalt im Raum. Sowohl zur Gewährung rechtlichen Gehörs als auch zur Wahrung eines fairen Verfahrens hätte das Amtsgericht zumindest bei dem Betroffenen nachfragen müssen, ob die Kontaktaufnahme zu einem Anwalt erfolgreich war und ob er weiter auf der Teilnahme eines Anwalts bestehe. Spätestens zu diesem Zeitpunkt hätte die Möglichkeit einer Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe erörtert werden müssen.
8
2. Der Verfahrensfehler des Amtsgerichts führt hier jedoch nicht zur Rechtwidrigkeit der Haft, so dass sich die Entscheidung des Beschwerdegerichts aus anderen Gründen als richtig erweist (§ 74 Abs. 2 FamFG).
9
a) Grundsätzlich kommt die Aufhebung der Haftanordnung oder (nach Erledigung) die Feststellung der Rechtswidrigkeit wegen eines Verfahrensfehlers nur in Betracht, wenn das Verfahren ohne diesen Fehler zu einem anderen Ergebnis hätte führen können. Grund hierfür ist, dass gemäß § 72 Abs. 1 Satz 1 FamFG eine Rechtsbeschwerde nur darauf gestützt werden kann, dass die angefochtene Entscheidung auf einer Verletzung des Rechts beruht. Dies erfordert , wenn - wie hier - kein Fall eines absoluten Beschwerdegrundes i.S.d. § 72 Abs. 3 FamFG i.V.m. § 547 ZPO vorliegt, entsprechende Darlegungen in der Rechtsbeschwerde zur Ursächlichkeit des Verfahrensfehlers für die Entscheidung. Hieran fehlt es. Dass der Betroffene bei der von ihm gewünschten anwaltlichen Vertretung während der Anhörung tatsächliche oder rechtliche Umstände mit der Folge vorgebracht hätte, dass die Haftanordnung nicht ergangen oder von dem Beschwerdegericht aufgehoben worden wäre, ergibt sich aus der Begründung der Rechtsbeschwerde nicht.
10
b) Da gemäß Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG die Freiheit der Person nur auf Grund eines förmlichen Gesetzes und nur unter Beachtung der darin vorgeschriebenen Formen beschränkt werden kann, kommt es auf die Ergebnisrelevanz des Verfahrensfehlers allerdings nicht an, wenn die verletzte Verfahrensvorschrift eine Voraussetzung für den Erlass der freiheitsentziehenden Maßnahme darstellt. Dies ist bei der erstinstanzlich gebotenen Anhörung des Betroffenen (§ 420 Abs.1 FamFG) der Fall. Fehlt sie, führt dies ohne Rücksicht auf die inhaltliche Richtigkeit der Haftanordnung zu deren Rechtswidrigkeit. Rechtlich gleich zu behandeln ist der Fall, dass eine Anhörung zwar stattgefunden hat, hierbei dem Gericht jedoch ein Verfahrensfehler unterlaufen ist, der die Grundlagen der Anhörung betrifft und ihr den Charakter einer „Nichtanhörung“ verleiht (vgl. näher Senat, Beschluss vom 18. Februar 2016 - V ZB 23/15, juris Rn. 26). Das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 10. September 2013 (Rs. C-383/13 - PPU - G. and R., ECLI:EU:C:2013:533 Rn. 44 f.) ändert an dieser Unterscheidung nichts, weil der deutsche Gesetzgeber unionsrechtlich nicht gehindert ist, die persönliche Anhörung des Betroffenen als eine Voraussetzung für die Anordnung von Sicherungshaft einzuführen (Senat, Beschluss vom 18. Februar 2016 - V ZB 23/15, juris Rn. 25).
11
c) Der Verfahrensfehler des Amtsgerichts hat aber nicht ein solches Ge- wicht, dass die Anhörung als „Nichtanhörung“ zu qualifizieren wäre.
12
aa) Dies gilt zunächst für den Fall, dass die Frage des Betroffenen nach einem Anwalt naheliegend als konkludenter Antrag auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe (§ 76 Abs. 1 FamFG) unter Beiordnung eines Rechtsanwalts zu verstehen wäre und das Amtsgericht deshalb verfahrenswidrig über einen solchen Antrag nicht entschieden hat.
13
(1) Nach der Rechtsprechung des Senats ist einem unbemittelten Betroffenen , dem nach § 76 Abs. 1 FamFG i.V.m. § 114 Satz 1 ZPO Verfahrenskostenhilfe zu bewilligen ist, in der Regel auch ein Rechtsanwalt nach § 78 Abs. 2 FamFG beizuordnen. Hat das Gericht dem Betroffenen Verfahrenskostenhilfe bewilligt, den Antrag auf Beiordnung eines Rechtsanwalts jedoch rechtsfehlerhaft abgelehnt und die Anhörung des Betroffenen ohne Beisein eines Rechtsanwalts durchgeführt, drückt eine solche Anhörung der Anordnung oder der Fortsetzung der Haft den Makel der Grundrechtsverletzung (Art. 104 Abs. 1 GG) auf (Senat, Beschluss vom 28. Februar 2013 - V ZB 138/12, FGPrax 2013, 132 Rn. 12 ff.; Beschluss vom 12. September 2013 - V ZB 121/12, InfAuslR 2014, 6 Rn. 11).
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(2) Hier hätte das Amtsgericht jedoch bereits den Antrag auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe zurückweisen müssen, so dass die Anwesenheit eines Anwalts während der Anhörung nicht geboten war.
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(a) Gemäß § 76 Abs. 1 FamFG i.V.m. § 114 Abs. 1 ZPO setzt die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe neben der Bedürftigkeit des Betroffenen voraus , dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Da das Prozesskostenhilfe - bzw. Verfahrenskostenhilfeverfahren nicht dem Zweck dient, über zweifelhafte Rechtsfragen abschließend vorweg zu entscheiden, darf ein Gericht zwar die Erfolgsaussicht nicht verneinen, wenn eine solche Rechtsfrage zu klären ist, auch wenn das Gericht in der Sache zu Ungunsten des Antragstellers entscheiden möchte (vgl. nur BVerfG, NJW 2013, 1148, 1150; BGH, Beschluss vom 8. Mai 2013 - XII ZB 624/12, NJW 2013, 2198 Rn. 8 mwN). Entsprechendes muss dann gelten, wenn sich in tatsächlicher Hinsicht schwierige und komplexe Fragen stellen.
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(b) Vorliegend bot die Rechtsverteidigung des Betroffenen aber keine Aussicht auf Erfolg, weil sämtliche Voraussetzungen für die Haftanordnung vorlagen und sich auch keine zweifelhaften Rechts- oder Tatsachenfragen stellten, die unter dem Gesichtspunkt der in Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG verbürgten Rechtsschutzgleichheit die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe auch ohne Vorliegen von Erfolgsaussicht im engeren Sinne gebieten würde.
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(c) Aus Art. 9 Abs. 6 der Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rats vom 26. Juni 2013 (Aufnahmerichtlinie) ergibt sich kein weitergehendes Recht des Betroffenen auf Beiordnung eines Rechtsanwalts auch ohne Erfolgsaussicht der Rechtsverteidigung. Nach ihrem Wortlaut wird die unentgeltliche Rechtsberatung und -vertretung nur für den Fall „einer gerichtlichen Überprüfung der Haftanordnung“ gefordert, nicht jedoch bereits für die Verteidigung gegen einen von der Behörde gestellten Haftantrag. Unabhängig davon entspricht die derzeitige Regelung der Verfahrenskostenhilfe den Vorgaben des Art. 9 Abs. 6 bis 8 der Richtlinie. Gemäß Art. 9 Abs. 8 b) der Richtlinie können die Mitgliedsstaaten nämlich vorsehen, dass Antragstellern hinsichtlich der Gebühren und anderen Kosten keine günstigere Behandlung zuteil wird, als sie den eigenen Staatsangehörigen in Fragen der Rechtsberatung im Allgemeinen gewährt wird. So verhält es sich bei den Vorschriften der § 76 Abs. 1 FamFG, § 114 Abs. 1 ZPO; sie setzen eine hinreichende Erfolgsaussicht der Rechtsverfolgung bzw. Rechtsverteidigung voraus und gelten in gleicher Weise für deutsche und ausländische Staatsangehörige.
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Der Senat ist nicht verpflichtet, die Sache dem Gerichtshof der Europäischen Union nach Art. 267 AEUV vorzulegen, da die zitierten Vorschriften der Richtlinie in dem hier interessierenden Zusammenhang klar und eindeutig sind. Bei solchen Vorschriften besteht eine unionsrechtliche Pflicht zur Vorlage nicht (EuGH, Urteil vom 6. Oktober 1982 - Rs. 283/81 - C.I.L.F.I.T., Slg. 1982, 3415 Rn. 16).
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bb) Die Grundlagen der gemäß § 420 Abs. 1 FamFG vorgeschriebenen Anhörung sind auch dann nicht berührt, wenn die Frage des Betroffenen nach einem Anwalt als Bitte zu verstehen gewesen wäre, ihm die Kontaktaufnahme mit einem Wahlanwalt zu ermöglichen.

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(1) Allerdings weist die Rechtsbeschwerde im Ausganspunkt zu Recht darauf hin, dass der Grundsatz des fairen Verfahrens einem Betroffenen garantiert , sich zur Wahrung seiner Rechte in einem Freiheitsentziehungsverfahren von einem Bevollmächtigten seiner Wahl vertreten zu lassen und ihm das Recht zubilligt, diesen Bevollmächtigten zu der Anhörung hinzuzuziehen (Senat, Beschluss vom 10. Juli 2014 - V ZB 32/14, FGPrax 2014, 228 Rn. 8; siehe auch BVerfG, StV 1994, 552 f.; NJW 1993, 2301 f.; Verfassungsgericht des Landes Brandenburg, NJW 2001, 2533, 2534 - jeweils zur mündlichen Anhörung des Verurteilten im Strafvollstreckungsverfahren). Vereitelt das Gericht durch seine Verfahrensgestaltung eine Teilnahme des Bevollmächtigten an der Anhörung, indem es etwa einen Verlegungsantrag des Bevollmächtigten nicht berücksichtigt , kann dies nach der Rechtsprechung des Senats zur Rechtswidrigkeit der Haft führen (Senat, aaO, Rn. 12).
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(2) Hier lässt sich jedoch bereits nicht feststellen, dass der Betroffene in der Lage gewesen wäre, einen Wahlanwalt zu finden, der bereit gewesen wäre, an der Anhörung teilzunehmen, wenn das Amtsgericht ihm ein Telefonbuch oder eine Liste mit Rechtsanwälten zur Verfügung gestellt hätte und ihn hätte telefonieren lassen. Dass er bereits im Zeitpunkt der Anhörung anwaltlich vertreten war, wird in der Rechtsbeschwerde nicht behauptet. Ebensowenig wird dargelegt, ob der Betroffene über die finanziellen Mittel verfügte, einen Rechtsanwalt mit seiner Vertretung zu beauftragen. Hiergegen spricht der im Beschwerdeverfahren gestellte Antrag auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe, der eine Bedürftigkeit des Betroffenen voraussetzt. Da schließlich der Betroffene keinen Rechtsanwalt benennt, der zu seiner unentgeltlichen Vertretung bereit gewesen wäre, kann nicht angenommen werden, dass das Amtsgericht durch seine Verfahrensweise die Teilnahme eines Rechtsanwalts an der Anhörung vereitelt hat.
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3. Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 74 Abs. 7 FamFG abgesehen.
Stresemann Schmidt-Räntsch Kazele
Göbel Haberkamp

Vorinstanzen:
AG Borken, Entscheidung vom 30.07.2015 - 29 XIV (B) 15/15 -
LG Münster, Entscheidung vom 21.09.2015 - 5 T 558/15 -

Wird ein Antrag der Verwaltungsbehörde auf Freiheitsentziehung abgelehnt oder zurückgenommen und hat das Verfahren ergeben, dass ein begründeter Anlass zur Stellung des Antrags nicht vorlag, hat das Gericht die Auslagen des Betroffenen, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig waren, der Körperschaft aufzuerlegen, der die Verwaltungsbehörde angehört.

Das Gericht soll die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels dem Beteiligten auferlegen, der es eingelegt hat.

(1) Im Rechtsmittelverfahren bestimmt sich der Geschäftswert nach den Anträgen des Rechtsmittelführers. Endet das Verfahren, ohne dass solche Anträge eingereicht werden, oder werden bei einer Rechtsbeschwerde innerhalb der Frist für die Begründung Anträge nicht eingereicht, ist die Beschwer maßgebend.

(2) Der Wert ist durch den Geschäftswert des ersten Rechtszugs begrenzt. Dies gilt nicht, soweit der Gegenstand erweitert wird.

(3) Im Verfahren über den Antrag auf Zulassung der Sprungrechtsbeschwerde ist Gegenstandswert der für das Rechtsmittelverfahren maßgebende Wert.

(1) Die Rechtsbeschwerde eines Beteiligten ist statthaft, wenn sie das Beschwerdegericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug in dem Beschluss zugelassen hat.

(2) Die Rechtsbeschwerde ist zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.
Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.

(3) Die Rechtsbeschwerde gegen einen Beschluss des Beschwerdegerichts ist ohne Zulassung statthaft in

1.
Betreuungssachen zur Bestellung eines Betreuers, zur Aufhebung einer Betreuung, zur Anordnung oder Aufhebung eines Einwilligungsvorbehalts,
2.
Unterbringungssachen und Verfahren nach § 151 Nr. 6 und 7 sowie
3.
Freiheitsentziehungssachen.
In den Fällen des Satzes 1 Nr. 2 und 3 gilt dies nur, wenn sich die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss richtet, der die Unterbringungsmaßnahme oder die Freiheitsentziehung anordnet. In den Fällen des Satzes 1 Nummer 3 ist die Rechtsbeschwerde abweichend von Satz 2 auch dann ohne Zulassung statthaft, wenn sie sich gegen den eine freiheitsentziehende Maßnahme ablehnenden oder zurückweisenden Beschluss in den in § 417 Absatz 2 Satz 2 Nummer 5 genannten Verfahren richtet.

(4) Gegen einen Beschluss im Verfahren über die Anordnung, Abänderung oder Aufhebung einer einstweiligen Anordnung oder eines Arrests findet die Rechtsbeschwerde nicht statt.