Landesarbeitsgericht Hamm Urteil, 14. Aug. 2015 - 10 Sa 156/15
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Dortmund, Az. 7 Ca 2967/14, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
2. Die Revision wird nicht zugelassen.
1
Tatbestand
2Die Parteien streiten um die Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch eine fristlose, hilfsweise ordentliche Kündigung der Beklagten vom 14.07.2014.
3Der am 19.09.1980 geborene, verheiratete und zwei Kindern gegenüber unterhaltsverpflichtete Kläger ist seit dem 11.09.2010 bei der Beklagten, die ca. 130 Arbeitnehmer beschäftigt, zu einem Stundenlohn in Höhe von 14,24 € bei einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 39 Stunden als Produktionshelfer beschäftigt.
4Am 30.06.2014 war der Kläger zu der um 14.00 Uhr beginnenden Spätschicht eingeteilt. Am Morgen des 30.06.2014 um 10.20 Uhr schickte er seinem direkten Vorgesetzten, dem Zeugen y2, eine WhatsApp - Nachricht mit der Mitteilung, dass er an diesem Tag kurzfristig Urlaub benötige. Kurz darauf kam es zu einem Telefonat zwischen dem Kläger und dem Zeugen y2, dessen Inhalt zwischen den Parteien streitig ist. Der Zeuge y2, dessen Schicht an diesem Tag ebenfalls um 14.00 Uhr begann, war zu diesem Zeitpunkt noch zu Hause. Er verwies deshalb den Kläger darauf, unmittelbar bei der Beklagten anzurufen oder dort hinzufahren, um abzuklären, ob dem Kläger so kurzfristig für diesen Tag Urlaub bewilligt werden könne, was der Kläger jedoch nicht tat. Gegen 13.50 Uhr kam es zu einem weiteren Telefonat zwischen dem Kläger und dem Zeugen y2, an dessen Ende der Kläger erklärte: „Dann gehe ich jetzt zum Arzt.“ Der weitere Inhalt auch dieses Gesprächs ist zwischen den Parteien streitig. Um 14.20 Uhr rief der Kläger den Zeugen y2 nochmals an und teilte ihm mit, dass er arbeitsunfähig sei. Der Zeuge y2 fertigte daraufhin einen Vermerk und meldete den gesamten Vorfall einschließlich des Inhalts der geführten Telefonate seinem Vorgesetzten.
5Am 01.07.2014 übersandte der Kläger der Beklagten eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für den Zeitraum vom 30.06. bis zum 02.07.2014 (Bl. 19 d.A.), ausgestellt am 01.07.2014 von dem Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. y.
6Am Vormittag des 02.07.2014 schickte der Kläger an den Zeugen y2 in türkischer Sprache zwei SMS, die sinngemäß lauteten: „Du hast über mich geredet, aber nur gelogen“ und „Werde mit dir reden.“ Ferner kam es am 02.07.2014 zu einem weiteren Gespräch zwischen dem Kläger und dem Zeugen y2, dessen Inhalt ebenfalls zwischen den Parteien streitig ist.
7Aufgrund dieser Vorfälle hörte die Beklagte den Betriebsrat mit Schreiben vom 04.07.2014 (Bl. 21 ff. d.A.) zu einer beabsichtigten fristlosen Kündigung und mit Schreiben vom gleichen Tag (Bl. 25 ff. d.A.) auch zu einer fristgemäßen Kündigung an. Nachdem der Betriebsrat bis zum 14.07.2014 keine Stellungnahme abgegeben hatte, kündigte die Beklagte mit Schreiben vom 14.07.2014 (Bl. 8 d.A.) das Arbeitsverhältnis fristlos, hilfsweise ordentlich zum 31.08.2014.
8Der Kläger hat erstinstanzlich behauptet, dass er bereits in dem Telefonat mit dem Zeugen y2 am Morgen des 30.06.2014 darauf hingewiesen habe, dass er sich gesundheitlich schlecht fühle, sich aber nicht krank melden, sondern Urlaub nehmen wolle. Da er sich im Laufe des Vormittags immer schlechter gefühlt habe, habe er gegenüber dem Zeugen y2 in dem Telefonat um 13.50 Uhr dann erklärt, dass er sich ab sofort krankmelde. Von Urlaub sei in diesem Telefonat nicht mehr die Rede gewesen. Einen Termin bei seinem Hausarzt habe er am 30.06.2014 nicht erhalten können, da dessen Praxis am Nachmittag des 30.06.2014 geschlossen war aufgrund der vorzunehmenden Quartalsabrechnungen. Der Kläger habe deshalb erst am Morgen des 01.07.2014 seinen Arzt, den Zeugen Dr. y, aufgesucht, der die Arbeitsunfähigkeit ab dem 30.06.2014 festgestellt habe.
9Zu keinem Zeitpunkt habe der Kläger den Zeugen y2 bedroht. Die SMS- Mitteilungen belegten lediglich, dass der Kläger mit dem Zeugen habe sprechen wollen. Auch in dem sich daran anschließenden Gespräch habe er den Zeugen nicht bedroht.
10Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt,
111. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die außerordentliche Kündigung, noch durch die hilfsweise ordentliche Kündigung vom 14.07.2014 beendet worden ist,
122. im Falle des Obsiegens mit dem Klageantrag zu 1) die Beklagte zu verurteilen, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Produktionshelfer weiterzubeschäftigen.
13Die Beklagte hat beantragt,
14die Klage abzuweisen.
15Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, dass die fristlose Kündigung zu Recht erfolgt sei, da ein wichtiger Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB vorliege. Denn der Kläger habe seine Arbeitsunfähigkeit angedroht für den Fall, dass ihm kein Urlaub bewilligt werde, und habe zusätzlich seinen Vorgesetzten bedroht.
16Die Beklagte hat erstinstanzlich vorgetragen, dass der Kläger am Vormittag des 30.06.2014 weder in seiner WhatsApp Nachricht, noch in dem nachfolgenden Telefonat mit dem Zeugen y2 darauf hingewiesen habe, dass er sich gesundheitlich nicht gut fühle. Erst nachdem er den Zeugen y2 in dem Telefonat um 13.50 Uhr nochmals erfolglos um die Bewilligung von Urlaub gebeten habe, habe er erklärt: „Dann gehe ich jetzt zum Arzt.“ Damit habe der Kläger nach der Versagung von Urlaub zu einem Zeitpunkt eine Arbeitsunfähigkeit angekündigt, zu dem diese tatsächlich nicht bestand. Darin liege – selbst wenn der Kläger danach tatsächlich erkrankt sein sollte – ein wichtiger Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB. Zudem habe der Kläger den Zeugen y2 in dem Telefongespräch am 02.07.2014 bedroht. Er habe gegenüber dem Zeugen, der in unmittelbarer Nachbarschaft des Klägers wohnt, geäußert, dass dieser was erleben werde, wenn dem Kläger wegen des Zeugen y2 gekündigt werde. Wenn durch ihn sein Leben zerstört werde, werde er auch das Leben des Zeugen y2, der ja auch verheiratet sei und Kinder habe, zerstören.
17Das Arbeitsgericht Dortmund hat aufgrund Beschlusses vom 16.12.2014 Beweis erhoben zu den Behauptungen der Parteien im Hinblick auf Hergang und Inhalt der Telefonate am 30.06.2014 sowie auf den Inhalt des Gesprächs am 02.07.2014 durch uneidliche Vernehmung des Zeugen y2. Wegen der Einzelheiten der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift (Bl. 45 ff. d. A.) Bezug genommen.
18Mit Urteil vom 16.12.2014, auf dessen Tatbestand zur näheren Darstellung des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes ergänzend Bezug genommen wird, hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen. Es hat zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, dass die Kammer aufgrund des Ergebnisses der Beweisaufnahme davon überzeugt sei, dass der Kläger gegenüber dem Zeugen y2 in den Telefonaten nicht erklärt habe, dass er sich krank fühle. Die Ankündigung, einen Arzt aufzusuchen, sei erst erfolgt, nachdem der Zeuge y2 in dem Telefonat um 13.50 Uhr zum zweiten Mal die Bewilligung von Urlaub abgelehnt habe. Aus der Erklärung des Klägers könne geschlossen werden, dass er notfalls bereit sei, seine Rechte aus dem Entgeltfortzahlungsgesetz zu missbrauchen, um sich einen unberechtigten Vorteil zu verschaffen. Selbst wenn der Kläger entsprechend den Angaben in der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bereits am 30.06.2014 arbeitsunfähig gewesen sein sollte, hätte er im Rahmen seiner sekundären Darlegungslast vortragen müssen, welche konkreten Krankheitssymptome bereits bei Ankündigung der Arbeitsunfähigkeit vorlagen und warum er darauf schließen durfte, aufgrund dieser Symptome arbeitsunfähig zu sein. Allein mit dem Vortrag, dass er sich am 30.06. schlecht gefühlt habe, genüge der Kläger seiner Darlegungslast nicht.
19Auch die Interessenabwägung falle zu Lasten des Klägers aus. Dabei sei das gezielt-planmäßige Handeln des Klägers zu Lasten der Beklagten zu berücksichtigen, ferner sein Verhalten im Nachgang zu den Gesprächen am 30.06.2014. Auch wenn die WhatsApp-Mitteilungen vom 02.07.2014 ein bedrohliches Element nicht unmittelbar erkennen ließen, so habe sich der Zeuge y2 jedenfalls aufgrund des späteren persönlichen Gesprächs bedroht gefühlt. Unter Berücksichtigung der Schutzpflichten der Beklagten auch gegenüber ihren Arbeitnehmern sei ihr eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses auch bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist nicht mehr zumutbar.
20Gegen das klageabweisende, dem Kläger am 06.01.2015 zugestellte Urteil richtet sich seine Berufung vom 02.02.2015, die er nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 07.04.2015 mit am 30.03.2015 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz begründet hat.
21Der Kläger führt zur Begründung aus, dass die Argumentation des Arbeitsgerichts widersprüchlich sei, wenn es einerseits davon ausgehe, dass der Kläger versucht habe, seinen Urlaubswunsch unter Androhung einer Arbeitsunfähigkeit durchzusetzen, andererseits aber davon, dass der Kläger seine Erkrankung bis zu seiner Erklärung, zum Arzt gehen zu wollen, gegenüber dem Zeugen y2 nicht erwähnt habe. Wenn der Kläger bis zu diesem Zeitpunkt die Arbeitsunfähigkeit nicht erwähnt habe, fehle es gerade an einer Verknüpfung zwischen dem Urlaubswunsch und der angedrohten Arbeitsunfähigkeit, um diesen Wunsch durchzusetzen. Davon sei auch die Beklagte erkennbar nicht ausgegangen, denn ausweislich der Betriebsratsanhörung werde die Kündigung allein auf die „nachweislich wahrheitswidrige“ Krankmeldung gestützt. Dem stehe aber der Inhalt der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung entgegen. Soweit das Arbeitsgericht von einer sekundären Darlegungslast im Hinblick auf die Erkrankung ausgehe, habe es darauf vorher nicht gemäß § 139 ZPO hingewiesen.
22Der Kläger sei aufgrund einer Magen-Darm-Grippe arbeitsunfähig gewesen. Er habe bereits am Vormittag des 30.06.2014 versucht, seinen Hausarzt, den Zeugen Dr. y, zu erreichen. Die Praxis sei jedoch an diesem Tag geschlossen gewesen aufgrund der vorzunehmenden Quartalsabrechnung. Nachdem dem Kläger aufgrund dessen klar gewesen sei, dass er eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für den 30.06.2014 nicht erhalten könne, habe er im Betrieb der Beklagten angerufen und– um keinen Ärger zu bekommen – sich nicht krank gemeldet, sondern die Bewilligung von Urlaub beantragt. Dem Zeugen y2 habe der Kläger in dem Telefonat am 30.06.2014 das Problem geschildert, dass er seinen behandelnden Arzt nicht erreichen könne und deshalb für diesen Tag um Urlaub bitte.
23Zu Unrecht sei das Arbeitsgericht davon ausgegangen, dass der Kläger seinen Vorgesetzten bedroht habe. Aus den WhatsApp- Mitteilungen lasse sich eine Bedrohung nicht erkennen. Da der Zeuge y2 sich an den Wortlaut des späteren persönlichen Gesprächs nicht mehr erinnern konnte, sei eine Bedrohung auch aufgrund dieses Gesprächs nicht feststellbar.
24Der Kläger hat beantragt,
25das Urteil des Arbeitsgerichts Dortmund vom 16.12.2014– Az. 7 Ca 2967/14 – abzuändern und
261. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die außerordentliche Kündigung, noch durch die hilfsweise ordentliche Kündigung vom 14.07.2014 beendet worden ist,
272. im Falle des Obsiegens mit dem Klageantrag zu 1) die Beklagte zu verurteilen, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Produktionshelfer weiterzubeschäftigen.
28Die Beklagte beantragt,
29die Berufung zurückzuweisen.
30Die Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil. Aufgrund des zeitlichen Ablaufs der Telefonate am 30.06.2014 liege eine Verknüpfung zwischen dem Urlaubswunsch des Klägers und der Ankündigung der Arbeitsunfähigkeit durchaus vor, indem der Kläger in dem Gespräch um 13.50 Uhr nach der Ablehnung seines Urlaubsgesuchs erklärt habe, dass er dann zum Arzt gehe und sich zwanzig Minuten später tatsächlich krank gemeldet habe. Selbst wenn der Kläger krank gewesen sei – was die Beklagte bestreite –, sei das Arbeitsgericht zu Recht davon ausgegangen, dass der Kläger seiner sekundären Darlegungslast nicht nachgekommen sei. Auch zweitinstanzlich habe der Kläger zu den Ursachen seiner Erkrankung nicht ausreichend vorgetragen. Die Beklagte bestreitet ferner, dass der Zeuge Dr. y am Vormittag des 30.06.2014 nicht erreichbar gewesen sei. Sowohl aufgrund des zeitlichen Zusammenhangs mit dem Urlaubswunsch des Klägers, als auch aufgrund der lediglich rückwirkenden Feststellung der Arbeitsunfähigkeit sei der Beweiswert der vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung hinreichend erschüttert.
31Wegen des weiteren Sach- und Rechtsvortrags der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die von den Parteien zu Protokoll abgegebenen Erklärungen ergänzend Bezug genommen. Das Landesarbeitsgericht hat Beweis erhoben über den Inhalt der Gespräche mit dem Zeugen y2 am 30.06. und 02.07.2014 durch uneidliche Vernehmung des Zeugen y2 sowie über die Arbeitsunfähigkeit des Klägers vom 30.06. bis zum 02.07.2014 durch uneidliche Vernehmung des Zeugen Dr. y. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll des Kammertermins vom 14. August 2015 (Bl. 121 ff. d. A.) Bezug genommen.
32Entscheidungsgründe:
33I. Die Berufung des Klägers ist an sich statthaft (§ 64 Abs. 1, Abs. 2 lit. c) ArbGG) und nach den §§ 519 ZPO, 64 Abs. 6 S. 1 ArbGG, 66 Abs. 1 S. 1 ArbGG am 02.02.2015 gegen das am 06.01.2015 zugestellte Urteil form- und fristgerecht eingelegt und innerhalb der nach § 66 Abs. 1 S. 1, S. 5 ArbGG verlängerten Frist am 30.03.2015 begründet worden. Sie ist damit zulässig.
34II. Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen. Die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 14.07.2014 ist wirksam und hat das Arbeitsverhältnis der Parteien fristlos beendet.
351. Der Beklagten steht ein wichtiger Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB zur Seite.
36a) Die am Maßstab des § 626 Abs.1 BGB vorzunehmende Prüfung einer außerordentlichen Kündigung hat zweistufig zu erfolgen. Zunächst ist zu prüfen, ob ein bestimmter Sachverhalt ohne die besonderen Umstände des Einzelfalls an sich geeignet ist, einen wichtigen Kündigungsgrund abzugeben. Liegt ein solcher Sachverhalt vor, bedarf es der weiteren Prüfung, ob die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls und der Abwägung der Interessen beider Vertragsteile bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist zumutbar ist oder nicht (BAG, Urteile vom 07. Juli 2011 – 2 AZR 355/10 – NJW 2011, 3803; vom 09. Juni 2011 – 2 AZR 323/10 – NZA 2011, 1342; vom 6. September 2007 – 2 AZR 264/06 – NJW 2008, 1097; vom 27. April 2006 – 2 AZR 415/05 – AP § 626 BGB Nr. 203).
37b) Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist bereits die Ankündigung einer zukünftigen, im Zeitpunkt der Ankündigung nicht bestehenden Erkrankung durch den Arbeitnehmer für den Fall, dass der Arbeitgeber einem Verlangen des Arbeitnehmers nicht entsprechen sollte, ohne Rücksicht auf eine später tatsächlich auftretende Krankheit an sich geeignet, einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung abzugeben (BAG, Urteile vom 12. März 2009 – 2 AZR 251/07 – NZA 2009, 779; vom 17. Juni 2003 – 2 AZR 123/02 – NZA 2004, 564; vom 5. November 1992 – 2 AZR 147/92 – AP § 626 BGB Krankheit Nr. 143). Der Arbeitnehmer darf dem Arbeitgeber keine ungerechtfertigten Nachteile androhen. Versucht der Arbeitnehmer, einen ihm nicht zustehenden Vorteil durch eine unzulässige Drohung zu erreichen, so verletzt er bereits hierdurch seine arbeitsvertragliche Rücksichtnahmepflicht (§ 241 Abs. 2 BGB), die es verbietet, die andere Seite unzulässig unter Druck zu setzen (BAG, Urteile vom 12. März 2009 – 2 AZR 251/07 – a.a.O.; vom 17. Juni 2003 – 2 AZR 123/02 – a.a.O.; vom 5. November 1992 – 2 AZR 147/92 – a.a.O.).
38Bei Ankündigung einer Krankschreibung im Falle einer objektiv nicht bestehenden Erkrankung liegt die Pflichtwidrigkeit im Zeitpunkt der Ankündigung in erster Linie darin, dass der Arbeitnehmer mit einer solchen Erklärung zum Ausdruck bringt, dass er notfalls bereit ist, seine Rechte aus dem Entgeltfortzahlungsrecht zu missbrauchen, um sich einen unberechtigten Vorteil zu verschaffen. Dabei braucht die Drohung mit der Erkrankung bei Verweigerung des begehrten Urlaubs nicht unmittelbar zu erfolgen. Es kann ausreichend sein, wenn der Erklärende eine solche Äußerung in den Zusammenhang mit seinem Urlaubswunsch stellt und ein verständiger Dritter dies nur als einen deutlichen Hinweis werten kann, bei einer Nichtgewährung des Urlaubs werde eine Krankschreibung erfolgen (BAG, Urteil vom 17. Juni 2003 – 2 AZR 123/02 –, a.a.O., Rn. 17).
39Mit einem solchem Verhalten verletzt der Arbeitnehmer seine aus der Rücksichtnahmepflicht folgende Leistungstreuepflicht erheblich. Zugleich wird durch die Pflichtverletzung das Vertrauen des Arbeitgebers in die Redlichkeit und Loyalität des Arbeitnehmers in schwerwiegender Weise beeinträchtigt, so dass in einer solchen Erklärung regelmäßig auch ohne vorausgehende Abmahnung ein die außerordentliche Kündigung an sich rechtfertigender verhaltensbedingter Grund zur Kündigung liegt. Da der wichtige Grund zur Kündigung in der ausdrücklich oder konkludent erklärten Bereitschaft des Arbeitnehmers zu sehen ist, sich die begehrte Freistellung notfalls durch eine in Wahrheit nicht vorliegende Arbeitsunfähigkeit zu verschaffen, kommt es nicht mehr darauf an, ob der Arbeitnehmer später (zufällig) tatsächlich erkrankt oder nicht (BAG, Urteile vom 12. März 2009 – 2 AZR 251/07 – a.a.O.; vom 17. Juni 2003 – 2 AZR 123/02 – a.a.O.; vom 5. November 1992– 2 AZR 147/92 – a.a.O.; LAG Köln, Urteil vom 29. Januar 2014 – 5 Sa 631/13 –, juris).
40c) Dagegen ist der krankheitsbedingt arbeitsunfähige Arbeitnehmer nicht zur Arbeitsleistung verpflichtet und der Arbeitgeber ist nicht berechtigt, diese zu verlangen. Weist ein objektiv erkrankter Arbeitnehmer den Arbeitgeber nach Ablehnung eines kurzfristig gestellten Urlaubsgesuchs darauf hin, "dann sei er eben krank", schließt dies zwar eine Pflichtverletzung des Arbeitnehmers nicht von vornherein aus. Denn auch bei tatsächlich bestehender Erkrankung ist es dem Arbeitnehmer aufgrund des Rücksichtnahmegebots verwehrt, die Krankheit und ein sich daraus ergebendes Recht, der Arbeit fern zu bleiben, gegenüber dem Arbeitgeber als "Druckmittel" einzusetzen, um den Arbeitgeber zu einem vom Arbeitnehmer gewünschten Verhalten zu veranlassen. Zudem verlangt die Rücksichtnahmepflicht, den Arbeitgeber nicht im Unklaren darüber zu belassen, ob der Arbeitnehmer berechtigterweise von seinen sich aus einer Erkrankung ergebenden Rechten Gebrauch macht. War der Arbeitnehmer im Zeitpunkt der Ankündigung eines künftigen, krankheitsbedingten Fehlens aber bereits objektiv erkrankt und durfte er davon ausgehen, auch am Tag des begehrten Urlaubs (weiterhin) wegen Krankheit arbeitsunfähig zu sein, kann nicht mehr angenommen werden, sein fehlender Arbeitswille und nicht die bestehende Arbeitsunfähigkeit sei Grund für das spätere Fehlen am Arbeitsplatz. Ebenso wenig kann dem Arbeitnehmer dann zum Vorwurf gemacht werden, er nehme notfalls eine wirtschaftliche Schädigung des Arbeitgebers in Kauf, um die von ihm erstrebte Befreiung von der Arbeitspflicht zu erreichen. Unabhängig davon, ob eine bestehende Erkrankung des Arbeitnehmers dazu führt, dass die "Ankündigung" der Krankschreibung lediglich als Hinweis auf ein ohnehin berechtigtes Fernbleiben von der Arbeit verstanden werden müsste, wiegt jedenfalls in einem solchen Fall eine mit der Erklärung verbundene Störung des Vertrauensverhältnisses zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber regelmäßig weniger schwer. Es kann dann nicht ohne Weiteres von einer erheblichen, eine außerordentliche Kündigung an sich rechtfertigenden Pflichtverletzung ausgegangen werden (BAG, Urteil vom 12. März 2009 – 2 AZR 251/07 – a.a.O.).
41d) Der Umstand, dass sich das Verhalten des Arbeitnehmers, der seinen Gesundheitszustand gegenüber dem Arbeitgeber im Zeitpunkt der Ankündigung einer Erkrankung nicht offenbart, aus der subjektiven Sicht des Arbeitgebers gleichwohl als schwerwiegende Pflichtverletzung darstellen mag, verlangt keine andere Bewertung. Der Arbeitgeber mag, soweit der Arbeitnehmer tatsächlich im Anschluss an seine Ankündigung der Arbeit fern bleibt, die Erkrankung als solche anzweifeln, wobei es nahe liegt, den Beweiswert einer vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung im Fall einer bei Nichtgewährung von Urlaub angekündigten Erkrankung als erschüttert anzusehen (vgl. Lepke Kündigung bei Krankheit 13. Aufl. Rn. 648) . Spricht der Arbeitgeber – wie vorliegend – indes eine Kündigung wegen „Androhung“ einer zukünftigen Erkrankung aus, kann eine etwaige Erkrankung des Arbeitnehmers im Zeitpunkt der „Ankündigung“ bei der kündigungsrechtlichen Bewertung des Verhaltens nicht unberücksichtigt bleiben (BAG, Urteil vom 12. März 2009 – 2 AZR 251/07 – a.a.O.).
42e) Für die insoweit zu berücksichtigende Frage, ob der Arbeitnehmer im Zeitpunkt der „Androhung“ tatsächlich erkrankt war, ist hinsichtlich der Darlegungs- und Beweislast zwar von dem Grundsatz auszugehen, dass dem Arbeitgeber der Vollbeweis für das Vorliegen eines die Kündigung rechtfertigenden Grundes obliegt (BAG, Urteile vom 12. März 2009 – 2 AZR 251/07 – a.a.O.; vom 06. September 2007 – 2 AZR 264/06 – a.a.O.; vom 17. Juni 2003 – 2 AZR 123/02 – a.a.O.). Vom Arbeitgeber kann aber nicht verlangt werden nachzuweisen, dass irgendeine Erkrankung im Zeitpunkt der erfolgten Ankündigung einer künftigen Krankmeldung überhaupt nicht vorgelegen haben kann. Es ist deshalb im Rahmen einer sekundären Behauptungslast Sache des Arbeitnehmers vorzutragen, welche konkreten Krankheiten bzw. Krankheitssymptome im Zeitpunkt der Ankündigung der Krankschreibung vorgelegen haben und weshalb der Arbeitnehmer darauf schließen durfte, (auch noch) am Tag der begehrten Freistellung arbeitsunfähig zu sein. Erst wenn der Arbeitnehmer insoweit seiner Substantiierungspflicht nachgekommen ist und ggf. seine ihn behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht entbunden hat, muss der Arbeitgeber aufgrund der ihm obliegenden Beweislast den konkreten Sachvortrag des Arbeitnehmers entkräften. Je nach den Umständen des Falls können aber auch die Indizien, die für eine widerrechtliche Drohung des Arbeitnehmers mit einer künftigen, im Zeitpunkt der Ankündigung nicht bestehenden Erkrankung sprechen, so gewichtig sein, dass es dem Arbeitnehmer obliegt, diese zu entkräften (BAG, Urteil vom 12. März 2009 – 2 AZR 251/07 –, a.a.O.; Rn. 30).
43f) Gemessen an diesen Grundsätzen ist das Arbeitsgericht zu Recht zu dem Ergebnis gekommen, das ein wichtiger Grund i.S.d. § 626 Abs. 1 BGB vorliegt.
44aa) Unstreitig hat der Kläger, wie sich aus dem Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils ergibt, am Morgen des 30.06.2014 sowohl zunächst per SMS und anschließend in zwei Telefonaten mit dem Zeugen y2 die Bewilligung von Urlaub für diesen Tag beantragt. Ferner ist danach unstreitig, dass der Zeuge y2 dem Kläger in dem zweiten Telefonat um 13.50 Uhr mitgeteilt hat, dass der begehrte Urlaub nicht gewährt werde, und dass der Kläger daraufhin geäußert hat: „Dann gehe ich jetzt zum Arzt“.
45bb) Dieses Verhalten stellt aus Sicht der Beklagten eine schwere Pflichtverletzung dar, da der Kläger in keinem der Telefonate – vor seiner Ankündigung, einen Arzt aufzusuchen – darauf hingewiesen hat, dass er sich tatsächlich krank fühlt. Der Kläger war auch nicht arbeitsunfähig erkrankt. Das steht für die Kammer nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme unter Berücksichtigung des gesamten Sach- und Streitstoffes fest.
46(1) Nach dem in § 286 ZPO verankerten Grundsatz der freien Beweiswürdigung hat das Gericht unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten sei. Angesichts der Unzulänglichkeit der menschlichen Erkenntnismöglichkeiten ist eine jeden Zweifel ausschließende Gewissheit kaum je erreichbar; sie kann daher auch nicht gefordert werden. Es kommt auf die persönliche Überzeugung des entscheidenden Richters an, der sich jedoch in zweifelhaften Fällen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit begnügen muss. Die Bestimmung des § 286 Abs. 1 ZPO verlangt einen Grad an Überzeugung, der Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen (BAG, Urteil vom 25. Februar 1998 – 2 AZR 327/97 –, juris; BAG, Urteil vom 25. Juni 2014 – 7 AZR 847/12 –, DB 2014, 246; BGH, Urteil vom 13. September 2012 – I ZR 14/11, MDR 2013, 616). § 286 Abs. 1 ZPO gebietet die Berücksichtigung des gesamten Streitstoffes (BGH, Urteil vom 15. November 1976 – VIII ZR 125/75 –, DB 1977, 1181; BAG, Urteil vom 20. August 2014 – 7 AZR 924/12 –, DB 2014, 2973). Zu würdigen sind auch die prozessualen und vorprozessualen Handlungen, Erklärungen und Unterlassungen der Parteien und ihrer Vertreter. In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass der Richter unter Umständen auch bestrittene Parteibehauptungen mittels Schlussfolgerungen aus anderen unbestrittenen oder bereits festgestellten Tatsachen ohne Beweiserhebung für wahr halten kann, wenn kein zulässiger Beweisantritt vorliegt. Der Richter kann im Einzelfall auch allein aufgrund von Indizien, sogar trotz anderslautender Zeugenaussagen, zu einer bestimmten Überzeugung gelangen (BAG, Urteil vom 25. Februar 1998, a.a.O., Rn. 19).
47(2) Gemessen an diesen Grundsätzen sieht es die Kammer nach der Vernehmung des Zeugen y2 unter Würdigung des übrigen Streitstoffes als erwiesen an, dass der Kläger in den Telefonaten mit dem Zeugen y2 vor seiner Ankündigung, nun einen Arzt aufzusuchen, nicht darauf hingewiesen hat, dass er sich krank fühle.
48Der Zeuge y2 hat den Ablauf und den Inhalt der Telefonate am 30.06.2014 nachvollziehbar und glaubhaft bekundet. Er hat dargestellt, dass der Kläger ihn am Morgen des 30.06.2015 zunächst per SMS und danach telefonisch kontaktiert und um die kurzfristige Bewilligung von Urlaub für den 30.06. gebeten habe. Der Kläger habe dazu erklärt, dass er dringend Urlaub für diesen Tag benötige, um einige Sachen zu erledigen. In dem weiteren Gespräch um 13.50 Uhr habe der Kläger nachgefragt, was denn nun mit seinem Urlaub sei. In beiden Gesprächen habe der Kläger weder auf eine etwaige Erkrankung, noch darauf hingewiesen, dass er bereits am Morgen versucht habe, seinen Arzt zu erreichen. Erst nachdem der Zeuge den Urlaubswunsch des Klägers endgültig abgelehnt habe, habe der Kläger erklärt, dass er nun zum Arzt gehe; in dem weiteren Telefonat um 14.20 Uhr habe der Kläger sich dann krank gemeldet. Damit hat der Zeuge hat bei seiner Vernehmung den Sachvortrag der Beklagten vollumfänglich bestätigt. Er hat den Ablauf der Telefongespräche am 30.06.2014 nachvollziehbar und glaubhaft geschildert.
49Die Kammer hat keine Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Zeugen, auch wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass er als Mitarbeiter der Beklagten ein gewisses Eigeninteresse am Ausgang des Verfahrens hat. Das kann jedoch nicht dazu führen, dass die Kammer der Aussage des Zeugen von vornherein keinen Glauben schenkt. Aus dem Aussageverhalten des Zeugen ergeben sich keine Anhaltspunkte, die zu Zweifeln an seiner Glaubwürdigkeit Anlass geben. Der Zeuge hat sachlich, sicher und frei von inneren Widersprüchen auch auf wiederholte Nachfrage des Gerichts Ablauf und Inhalt der Telefonate geschildert. Er hat sogar über den Sachvortrag der Beklagten hinaus weitere Details zum Ablauf des Gesprächs geschildert, insbesondere dass er den Kläger nach dem Grund für den kurzfristigen Urlaubsantrag gefragt und dass der Kläger auf dringende Erledigungen verwiesen habe. Anhaltspunkte dafür, dass der Zeuge zugunsten der Beklagten ausgesagt hat, bestehen nicht; Belastungstendenzen waren nicht erkennbar. Auch durch Zwischenrufe der Klägers, mit denen dieser versucht hat, bei der Vernehmung die Aussage des Zeugen y2 zu beeinflussen, hat dieser sich nicht beirren lassen.
50Auch unter Berücksichtigung des weiteren Sachvortrages der Parteien ist die Kammer überzeugt davon, dass die Telefonate so abgelaufen sind, wie der Zeuge sie geschildert hat. Dabei hat die Kammer auch berücksichtigt, dass der Kläger seinen Vortrag zum Ablauf des Vormittags des 30.06.2014 während des Prozesses geändert hat. Während er zunächst vorgetragen hat, dass er die Praxis am Nachmittag des 30.06. aufgrund der anstehenden Quartalsabrechnungen nicht erreichen konnte, hat er in seiner Berufungsbegründungsschrift und auch in der mündlichen Verhandlung behauptet, dass er bereits am Vormittag des 30.06. versucht habe, die Praxis des Zeugen Dr. y erreichen. Da dort aufgrund der Quartalsabrechnung niemand zu erreichen war, habe der Kläger bei dem Zeugen y2 unter Hinweis auf diesen Sachverhalt um Urlaub gebeten, um keine Schwierigkeiten bei der Beklagten zu bekommen.
51Der Zeuge Dr. y konnte diesen Vortrag nicht bestätigen; er hat bekundet, dass die Praxis zwar am Nachmittag geschlossen, am Vormittag jedoch wie üblich geöffnet war. Aufgrund dessen erscheint der gesamte Sachvortrag des Klägers zu den Gründen, warum er zunächst Urlaub beantragt und sich nicht krank gemeldet hat, sehr zweifelhaft. Demgegenüber stellt sich der Ablauf am 30.06.2014 nach der Aussage des Zeugen y2 widerspruchsfrei dar.
52Nach alledem ist die Kammer überzeugt davon, dass der Kläger in den Telefonaten mit dem Zeugen y2 - vor seiner Ankündigung, zum Arzt zu gehen - zunächst nur um Urlaub gebeten, nicht aber auf eine mögliche Erkrankung hingewiesen hat. Erst nachdem der Zeuge y2 auch in dem Telefonat um 13:50 Uhr dem Urlaubswunsch des Klägers nicht nachgegeben hat, hat der Kläger erklärt, zum Arzt zu gehen. Dieses Verhalten ist an sich geeignet, einen wichtigen Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB darzustellen.
53(3) Der Kläger kann sich nicht mit Erfolg darauf berufen, dass er tatsächlich arbeitsunfähig erkrankt war. Durch die Androhung des "Krankmachens" ist der Beweiswert der vom Kläger später für die Zeit vom 30.06. bis 02.07.2015 erlangten ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttert. Das gilt in besonderem Maße aufgrund des Umstandes, dass die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung rückwirkend ausgestellt worden ist und der Vortrag des Klägers zu den Gründen, warum er seinen Arzt nicht am 30.06.2014 aufgesucht hat, durch die Aussage des Zeugen Dr. y widerlegt worden sind. Zugunsten des Klägers kann auch nicht festgestellt werden, dass er tatsächlich arbeitsunfähig erkrankt war.
54Grundsätzlich ist der kündigende Arbeitgeber darlegungs- und beweispflichtig für alle Umstände des wichtigen Grundes im Sinne von § 626 BGB bzw. des verhaltensbedingten Grundes nach § 1 Abs. 2 L (BAG, Urteil vom 26. August 1993 – 2 AZR 154/93 –, juris; LAG Hamm, Urteil vom 13. März 2015 – 1 Sa 1534/14 –, juris; LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 08. Oktober 2013 – 6 Sa 188/13 –, juris). Ihn trifft die Darlegungs- und Beweislast auch für diejenigen Tatsachen, die einen vom Gekündigten behaupteten Rechtfertigungsgrund ausschließen (BAG, Urteil vom 06. August 1987 – 2 AZR 226/87 – AP BGB § 626 Nr. 97). Es obliegt dem Arbeitgeber daher nicht nur der Nachweis für das Fehlen des Arbeitnehmers. Er muss auch darlegen, dass der Arbeitnehmer unentschuldigt gefehlt hat und die vom Arbeitnehmer behauptete Krankheit nicht vorgelegen hat (BAG, Urteil vom 26. August 1993 – 2 AZR 154/93 – a.a.O.).
55Legt der Arbeitnehmer ein ärztliches Attest vor, so begründet dieses regelmäßig den Beweis für die Tatsache einer Arbeitsunfähigkeit. Es hat die Vermutung der inhaltlichen Richtigkeit für sich (BAG, Urteile vom 21. März 1993 – 2 AZR 543/95 –, juris; vom 15. Juli 1992 – 5 AZR 312/91 –, juris). Erhebt der Arbeitgeber trotz vorgelegter ärztlicher Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung den Vorwurf, die Arbeitsunfähigkeit sei nur vorgetäuscht, muss er einerseits vortragen, dass der Arbeitnehmer ihn vorsätzlich über das Bestehen der Arbeitsunfähigkeit getäuscht hat und darüber hinaus ausreichende Tatsachen darlegen und beweisen, die zu ernsthaften Zweifeln an einer Arbeitsunfähigkeit Anlass geben und den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeit erschüttern (BAG, Urteile vom 17. Juni 2003 – 2 AZR 123/02 –, a.a.O.; vom 21. März 1993– 2 AZR 543/95 – juris; LAG Hamm, Urteile vom 13. März 2015 – 1 Sa 1534/14 –, juris; vom 18. Dezember 2003 – 8 Sa 1401/03 – juris; LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 05. August 2004 – 1 Sa 19/04 –, juris). Ist ihm dies gelungen, so ist es unter Berücksichtigung der im Kündigungsschutzprozess greifenden abgestuften Darlegungs- und Beweislast Aufgabe des Arbeitnehmers darzulegen, welche Erkrankungen zur Arbeitsunfähigkeit geführt haben, welche gesundheitlichen Beeinträchtigungen diese mit sich gebracht haben und welche Verhaltensweisen ihm ärztlicherseits auferlegt worden sind. Bei ausreichender Substantiierung ist es sodann Sache des Arbeitgebers, den konkreten Sachvortrag des Arbeitnehmers, dem es obliegt, die ihn behandelnden Ärzte von der ärztlichen Schweigepflicht zu entbinden, zu widerlegen (vgl. BAG, Urteile vom 17. Juni 2003 – 2 AZR 123/02 – a.a.O.; vom 07. Dezember 1995 – 2 AZR 849/94 –, juris; vom 26. August 1993 – 2 AZR 154/93 –, a.a.O.; LAG Hamm, Urteil vom 09. April 2008 – 18 Sa 1938/07 – juris; Hess. LAG, Urteil vom 20. März 2012 – 19 Sa 1020/11 –, juris; LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 08. Oktober 2013 – 6 Sa 188/13 – juris).
56Zwar hat der Kläger zweitinstanzlich zu den Gründen für seine Arbeitsunfähigkeit vorgetragen und den ihn behandelnden Arzt, den Zeugen Dr. y, von der Schweigepflicht entbunden. Aufgrund dessen Aussage kann eine tatsächlich bestehende Arbeitsunfähigkeit zugunsten des Klägers aber nicht festgestellt werden. Vielmehr hält die Kammer die Behauptungen des Klägers zu seiner Arbeitsunfähigkeit ab dem 30.06.2014 aufgrund der Aussage des Zeugen Dr. y - unter Berücksichtigung des übrigen Sach- und Streitstandes - für widerlegt. Nach Überzeugung der Kammer ist mit hoher Wahrscheinlichkeit von einer vorgetäuschten Arbeitsunfähigkeit auszugehen. Denn der Zeuge hat ausgesagt, weder eine körperliche Untersuchung bei dem Kläger durchgeführt, noch objektive Befunde erhoben zu haben. Vielmehr habe er sich allein auf die Aussage des Klägers verlassen, wonach dieser seit dem Vortag Durchfall und Magenbeschwerden hatte. Der Aussage des Zeugen, dass er „annehme, auch den Bauch abgetastet“ zu haben, lässt sich keine konkrete Erinnerung an die Untersuchung entnehmen. Damit kann nicht festgestellt werden, ob und wie der Zeuge in der Lage gewesen sein will, den Gesundheitszustand des Klägers aufgrund seines ärztlichen Fachwissens zu beurteilen. Der Zeuge konnte nicht ausschließen, über die Arbeitsunfähigkeit nur getäuscht worden zu sein. Damit ist dem Kläger der Nachweis nicht gelungen, tatsächlich arbeitsunfähig erkrankt gewesen zu sein.
57Die Ankündigung, sich „krankschreiben“ zu lassen im Anschluss an den erfolglosen Wunsch, für den streitgegenständlichen Tag Urlaub zu erhalten, stellt nach alledem einen wichtigen Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB dar.
58h) Auch die Interessenabwägung fällt zu Lasten des Klägers aus.
59Bei der Abwägung der beiderseitigen Interessen fallen zu Gunsten des Klägers dessen Unterhaltsverpflichtungen sowie der Umstand ins Gewicht, dass es während seiner vierjährigen Betriebszugehörigkeit zu Beanstandungen nicht gekommen ist. Auf der anderen Seite hat er ein Verhalten an den Tag gelegt, das geeignet ist, dem Arbeitsverhältnis auf Dauer die Vertrauensgrundlage zu entziehen. Gerade im Bereich der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit ist der Arbeitgeber auf eine zuverlässige Vertrauensgrundlage angewiesen, da er die Möglichkeiten eines Missbrauchs nur sehr eingeschränkt kontrollieren kann. Der Arbeitgeber hat zudem auch zu berücksichtigen, wie es sich auf das Verhalten der übrigen Arbeitnehmer auswirkt, wenn er von einer Kündigung absieht. Insoweit handelt es sich noch um Folgen des Fehlverhaltens, für das der Arbeitnehmer einzustehen hat. Schon ein einmaliger Fall einer vorgetäuschten Arbeitsunfähigkeit kann deshalb eine Kündigung rechtfertigen, auch wenn der Arbeitnehmer damit keine Entgeltfortzahlungskosten erschleicht und der Arbeitgeber nicht in der Lage ist, zur Frage der Wiederholungsgefahr weitere Umstände vorzutragen.
60Zu Lasten des Klägers ist ferner sein Verhalten am 02.07.2014 zu berücksichtigen. Es kann dahingestellt bleiben, ob dieses Verhalten nicht einen weiteren wichtigen Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB darstellt. Jedenfalls ist die Bedrohung des Zeugen ein Aspekt, der erheblich zu Lasten des Klägers ins Gewicht fällt. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sieht die Kammer es als erweisen an, dass der Kläger den Zeugen tatsächlich bedroht hat. Der Zeuge y2 hat insoweit bekundet, dass der Kläger ihn – nachdem er zuvor unstreitig per SMS erklärt hatte, dass er mit dem Zeugen reden müsse – in einem Gespräch am 02.07.2014 gefragt habe, warum dieser ihm nicht einfach Urlaub gegeben, sondern die Sache in die Länge gezogen habe. Der Kläger habe sodann geäußert, dass der Zeuge „was erleben“ werde und er „ja auch Frau und Kinder“ habe. Dadurch habe sich der Zeuge bedroht gefühlt und Strafanzeige bei der Polizei erstattet. Auch insoweit ist das Gericht von der Glaubhaftigkeit der Aussage überzeugt. Der Zeuge hat auch hier den Ablauf nachvollziehbar und in sich schlüssig geschildert. Zur Glaubwürdigkeit des Zeugen gilt das oben (II. 1) f) (2)) Gesagte. Insbesondere waren auch hier Belastungstendenzen nicht erkennbar. Der Zeuge hat versucht, den Inhalt des Gesprächs sachlich zu schildern, hat aber auch zugegeben, sich an den genauen Wortlaut nicht zu erinnern. Die Kammer hatte den Eindruck, dass der Zeuge bestrebt war, den Sachverhalt wahrheitsgemäß zu schildern, dabei aber den Kläger so wenig wie möglich zu belasten. Nach alledem ist die Kammer überzeugt davon, dass der Kläger den Zeugen bedrohen, jedenfalls aber einschüchtern wollte im Hinblick darauf, dass dieser den Arbeitgeber von dem Verhalten des Klägers informiert hat.
61Durch sein Verhalten hat der Kläger das Vertrauen der Beklagten in seine Redlichkeit zerstört, indem er zunächst seine Arbeitsunfähigkeit der Wahrheit zuwider vorgespiegelt hat und anschließend versucht hat, seinen Vorgesetzten, der diesen Vorfall dem Arbeitgeber gemeldet hat, einzuschüchtern bzw. zu bedrohen. Dies macht es der Beklagten unzumutbar, das Arbeitsverhältnis auch nur bis zum Ende der ordentlichen Kündigungsfrist fortzusetzen. Einer vorherigen Abmahnung bedurfte es nicht, da der Kläger die Vertragswidrigkeit seines Verhaltens selbst erkennen konnte.
622. Die Kündigung erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als unwirksam.
63a) Die Beklagte hat die Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB eingehalten, indem sie auf die Vorfälle ab dem 30.06.2014 hin am 14.07.2014 gekündigt hat.
64b) Die Kündigung ist auch nicht unwirksam nach § 102 BetrVG. Nach Vorlage der an den Betriebsrat gerichteten Schreiben hat der Kläger die Ordnungsgemäßheit der Anhörung nicht weiter bestritten.
65III. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 66 Abs. 6 ArbGG, 97 Abs. 1 ZPO. Der Kläger hat die Kosten der von ihm ohne Erfolg eingelegten Berufung zu tragen. Gründe für die Zulassung der Revision im Sinne des § 72 Abs. 2 ArbGG sind nicht gegeben. Keine der entscheidungserheblichen Rechtsfragen hat grundsätzliche Bedeutung. Die Rechtsfragen berühren auch nicht wegen ihrer tatsächlichen Auswirkungen die Interessen der Allgemeinheit oder eines größeren Teils der Allgemeinheit. Ferner lagen keine Gründe vor, die die Zulassung wegen einer Abweichung von der Rechtsprechung eines der in § 72 Abs. 2 Nr. 2 ArbGG angesprochenen Gerichte rechtfertigen würde.
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Urteil einreichenLandesarbeitsgericht Hamm Urteil, 14. Aug. 2015 - 10 Sa 156/15 zitiert oder wird zitiert von 7 Urteil(en).
(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.
(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.
(1) Das Gericht hat das Sach- und Streitverhältnis, soweit erforderlich, mit den Parteien nach der tatsächlichen und rechtlichen Seite zu erörtern und Fragen zu stellen. Es hat dahin zu wirken, dass die Parteien sich rechtzeitig und vollständig über alle erheblichen Tatsachen erklären, insbesondere ungenügende Angaben zu den geltend gemachten Tatsachen ergänzen, die Beweismittel bezeichnen und die sachdienlichen Anträge stellen. Das Gericht kann durch Maßnahmen der Prozessleitung das Verfahren strukturieren und den Streitstoff abschichten.
(2) Auf einen Gesichtspunkt, den eine Partei erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten hat, darf das Gericht, soweit nicht nur eine Nebenforderung betroffen ist, seine Entscheidung nur stützen, wenn es darauf hingewiesen und Gelegenheit zur Äußerung dazu gegeben hat. Dasselbe gilt für einen Gesichtspunkt, den das Gericht anders beurteilt als beide Parteien.
(3) Das Gericht hat auf die Bedenken aufmerksam zu machen, die hinsichtlich der von Amts wegen zu berücksichtigenden Punkte bestehen.
(4) Hinweise nach dieser Vorschrift sind so früh wie möglich zu erteilen und aktenkundig zu machen. Ihre Erteilung kann nur durch den Inhalt der Akten bewiesen werden. Gegen den Inhalt der Akten ist nur der Nachweis der Fälschung zulässig.
(5) Ist einer Partei eine sofortige Erklärung zu einem gerichtlichen Hinweis nicht möglich, so soll auf ihren Antrag das Gericht eine Frist bestimmen, in der sie die Erklärung in einem Schriftsatz nachbringen kann.
(1) Die Berufung wird durch Einreichung der Berufungsschrift bei dem Berufungsgericht eingelegt.
(2) Die Berufungsschrift muss enthalten:
- 1.
die Bezeichnung des Urteils, gegen das die Berufung gerichtet wird; - 2.
die Erklärung, dass gegen dieses Urteil Berufung eingelegt werde.
(3) Mit der Berufungsschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des angefochtenen Urteils vorgelegt werden.
(4) Die allgemeinen Vorschriften über die vorbereitenden Schriftsätze sind auch auf die Berufungsschrift anzuwenden.
(1) Die Frist für die Einlegung der Berufung beträgt einen Monat, die Frist für die Begründung der Berufung zwei Monate. Beide Fristen beginnen mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung. Die Berufung muß innerhalb einer Frist von einem Monat nach Zustellung der Berufungsbegründung beantwortet werden. Mit der Zustellung der Berufungsbegründung ist der Berufungsbeklagte auf die Frist für die Berufungsbeantwortung hinzuweisen. Die Fristen zur Begründung der Berufung und zur Berufungsbeantwortung können vom Vorsitzenden einmal auf Antrag verlängert werden, wenn nach seiner freien Überzeugung der Rechtsstreit durch die Verlängerung nicht verzögert wird oder wenn die Partei erhebliche Gründe darlegt.
(2) Die Bestimmung des Termins zur mündlichen Verhandlung muss unverzüglich erfolgen. § 522 Abs. 1 der Zivilprozessordnung bleibt unberührt; die Verwerfung der Berufung ohne mündliche Verhandlung ergeht durch Beschluss des Vorsitzenden. § 522 Abs. 2 und 3 der Zivilprozessordnung findet keine Anwendung.
(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.
(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.
Tenor
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Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 3. Dezember 2009 - 5 Sa 739/09 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
Tatbestand
- 1
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Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer fristlosen Kündigung.
- 2
-
Der im Jahr 1957 geborene Kläger ist verheiratet und einem Kind zum Unterhalt verpflichtet. Er war seit dem 1. Oktober 1979 als Rettungsassistent bei dem Beklagten beschäftigt. Sein Bruttomonatsentgelt betrug zuletzt 3.110,66 Euro. Er ist mit einem Grad von 70 schwerbehindert.
-
Aufgrund seiner Schwerbehinderung war der Kläger längere Zeit arbeitsunfähig. Seit September 2006 führten die Parteien Gespräche über die Möglichkeit, ihn in anderer Weise einzusetzen. Dabei kam es am 4. Januar 2008 zu einem Gespräch zwischen dem Kläger und dem Personalleiter. Dessen genauer Verlauf ist streitig. Etwa neun Monate später - am 1. Oktober 2008 - sandte der Kläger an den Beklagten zu Händen des Personalleiters ein Schreiben, in dem es hieß:
-
„ … Des weiteren möchte ich nun noch einmal auf unser oben genanntes Personalgespräch eingehen, insbesondere auf die von Ihnen getätigte Aussage: ‚Wir wollen nur gesunde und voll einsetzbare Mitarbeiter.’ Diese Aussage ist in meinen Augen vergleichbar mit Ansichten und Verfahrensweisen aus dem Dritten Reich und gehört eigentlich auf die Titelseiten der Tageszeitungen sowie in weiteren Medien!“
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-
Mit Schreiben vom 1. Oktober 2008 hörte der Beklagte die Mitarbeitervertretung zu einer beabsichtigten außerordentlichen Kündigung an. Mit Schreiben vom 13. Oktober 2008 beantragte er beim Integrationsamt die Zustimmung zu einer solchen Kündigung. Am 28. Oktober 2008 stimmte das Integrationsamt einer außerordentlichen Kündigung des Klägers zu. Es teilte dies dem Beklagten mündlich noch am selben Tage sowie mit Schreiben vom selben Tage auch schriftlich mit.
- 5
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Mit Schreiben vom 28. Oktober 2008, dem Kläger einen Tag später zugegangen, kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien außerordentlich fristlos.
- 6
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Der Kläger wies die Kündigung mit Schreiben vom 4. November 2008 mangels Vollmacht zurück. Zudem hat er rechtzeitig Klage erhoben und die Auffassung vertreten, ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung sei nicht gegeben. Im Übrigen sei der Unterzeichner des Kündigungsschreibens zum Ausspruch der Kündigung nicht berechtigt gewesen.
-
Der Kläger hat - soweit für das Revisionsverfahren noch von Interesse - beantragt
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festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung des Beklagten vom 28. Oktober 2008 nicht beendet worden ist.
- 8
-
Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat die Ansicht vertreten, das Schreiben des Klägers vom 1. Oktober 2008 stelle eine grobe Beleidigung dar. Die darin behauptete Äußerung des Personalleiters habe dieser außerdem nicht von sich gegeben.
-
Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Mit der Revision verfolgt der Beklagte sein Begehren weiter, die Klage abzuweisen.
Entscheidungsgründe
- 10
-
Die Revision ist unbegründet. Für die außerordentliche Kündigung des Beklagten vom 28. Oktober 2008 fehlt es an einem wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB(I.). Die unwirksame außerordentliche Kündigung kann nicht nach § 140 BGB in eine ordentliche Kündigung umgedeutet werden(II.). Keiner Entscheidung bedarf, ob die Kündigung zudem nach § 174 Satz 1 BGB unwirksam ist.
- 11
-
I. Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, für die Kündigung des Beklagten vom 28. Oktober 2008 fehle es an einem wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
- 12
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1. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden kann. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, dh. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist oder nicht (BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 16, AP BGB § 626 Nr. 229 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 32; 26. März 2009 - 2 AZR 953/07 - Rn. 21 mwN, AP BGB § 626 Nr. 220).
- 13
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2. Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, die Äußerungen des Klägers im Schreiben vom 1. Oktober 2008 seien „an sich“ als wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB geeignet, hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand.
- 14
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a) Grobe Beleidigungen des Arbeitgebers, seiner Vertreter und Repräsentanten oder von Arbeitskollegen stellen einen erheblichen Verstoß des Arbeitnehmers gegen seine vertragliche Pflicht zur Rücksichtnahme dar (§ 241 Abs. 2 BGB) und sind „an sich“ geeignet, eine außerordentliche fristlose Kündigung zu rechtfertigen (BAG 24. November 2005 - 2 AZR 584/04 - zu B I 2 a der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 198 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 13; 24. Juni 2004 - 2 AZR 63/03 - AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 49 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 65; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 117; Däubler in Kittner/Däubler/Zwanziger KSchR 8. Aufl. Art. 5 GG Rn. 10; APS/Dörner Kündigungsrecht 3. Aufl. § 626 BGB Rn. 226; Preis in Stahlhacke/Preis/Vossen Kündigung und Kündigungsschutz im Arbeitsverhältnis 10. Aufl. Rn. 648; HaKo/Fiebig 3. Aufl. § 1 Rn. 416). Die Gleichsetzung noch so umstrittener betrieblicher Vorgänge mit dem nationalsozialistischen Terrorsystem und ein Vergleich von Handlungen des Arbeitgebers oder der für ihn handelnden Menschen mit den vom Nationalsozialismus geförderten Verbrechen bzw. den Menschen, die diese Verbrechen begingen, kann eine grobe Beleidigung der damit angesprochenen Personen darstellen. Darin liegt zugleich eine Verharmlosung des in der Zeit des Nationalsozialismus begangenen Unrechts und eine Verhöhnung seiner Opfer (BAG 24. November 2005 - 2 AZR 584/04 - zu B I der Gründe, aaO; 9. August 1990 - 2 AZR 623/89 - RzK I 5i 63).
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b) Ob der Sinn einer Meinungsäußerung vom Berufungsgericht zutreffend erfasst worden ist, ist vom Revisionsgericht uneingeschränkt zu überprüfen (BAG 24. November 2005 - 2 AZR 584/04 - zu B I 1 der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 198 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 13 ). Hierbei ist das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung aus Art. 5 Abs. 1 GG zu beachten(BAG 24. November 2005 - 2 AZR 584/04 - zu B I 2 b der Gründe, aaO ). Für die Ermittlung des Aussagegehalts einer schriftlichen Äußerung ist darauf abzustellen, wie sie vom Empfänger verstanden werden muss. Dabei ist eine isolierte Betrachtung eines umstrittenen Äußerungsteils regelmäßig nicht zulässig. Vielmehr sind auch der sprachliche Kontext und die sonstigen erkennbaren Begleitumstände zu berücksichtigen (vgl. BGH 30. Mai 2000 - VI ZR 276/99 - zu II 3 der Gründe, NJW 2000, 3421 ).
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c) Das Landesarbeitsgericht hat dem Schreiben vom 1. Oktober 2008 die Aussage entnommen, der Kläger vergleiche die - streitige - Bemerkung des damaligen Personalleiters mit Vorgehensweisen des nationalsozialistischen Unrechtsregimes. Es hat angenommen, diese Erklärung könne nicht mehr als eine lediglich überspitzte oder polemische Kritik gewertet werden. Sie sei daher nicht vom Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt. Dem ist im Ergebnis zuzustimmen.
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aa) Allerdings macht auch eine überzogene oder gar ausfällige Kritik eine Erklärung für sich genommen noch nicht zur Schmähung. Hinzutreten muss vielmehr, dass bei der Äußerung nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht, die diese jenseits polemischer und überspitzter Kritik in erster Linie herabsetzen soll (vgl. BVerfG 10. Oktober 1995 - 1 BvR 1476/91 ua. - zu C III 2 der Gründe, BVerfGE 93, 266; BGH 30. Mai 2000 - VI ZR 276/99 - zu II 4 a der Gründe, NJW 2000, 3421 ).
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bb) So liegt der Fall hier. Zwar hat der Kläger an einer - streitigen - Bemerkung des Personalleiters in einem konkreten Gespräch Kritik geübt. Aus dessen Sicht als des Empfängers des Schreibens konnte der Vergleich mit Ansichten und Verfahrensweisen im Dritten Reich aber nicht mehr einer sachlichen Auseinandersetzung, sondern nur einer persönlichen Herabwürdigung dienen. Der Kläger hatte das Schreiben erst Monate nach dem fraglichen Gespräch und zudem unter Hinweis auf eine mögliche Veröffentlichung der betreffenden Bemerkung an den Personalleiter geschickt.
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3. Das Landesarbeitsgericht ist ferner ohne Rechtsfehler zu dem Ergebnis gelangt, die fristlose Kündigung sei bei Beachtung aller Umstände des vorliegenden Falls und nach Abwägung der widerstreitenden Interessen nicht gerechtfertigt.
- 20
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a) Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen (BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 34, AP BGB § 626 Nr. 229 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 32). Die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumutbar ist oder nicht, lassen sich nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung - etwa im Hinblick auf das Maß eines durch sie bewirkten Vertrauensverlusts und ihre wirtschaftlichen Folgen -, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf (BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 34, aaO; 28. Januar 2010 - 2 AZR 1008/08 - Rn. 26 mwN, AP BGB § 626 Nr. 227 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 30).
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b) Die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf dürfen bei der Interessenabwägung im Rahmen der Prüfung des wichtigen Grundes iSv. § 626 Abs. 1 BGB berücksichtigt werden. Dies verstößt nicht gegen das Gebot einer unionsrechtskonformen Auslegung des nationalen Rechts (vgl. dazu EuGH 19. Januar 2010 - C-555/07 - [Kücükdeveci] Rn. 48, Slg. 2010, I-365; 5. Oktober 2004 - C-397/01 bis C-403/01 - [Pfeiffer ua.] Rn. 114, Slg. 2004, I-8835). Entgegen der Auffassung des Beklagten liegt darin keine unzulässige Benachteiligung jüngerer Arbeitnehmer wegen des Alters iSv. Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 1 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (RL 2000/78/EG, ABl. L 303, S. 16; vgl. auch Art. 21 Abs. 1 EU-GRCharta). Dies kann der Senat selbst beurteilen. Einer Vorabentscheidung durch den Gerichtshof der Europäischen Union nach Art. 267 Abs. 3 AEUV bedarf es nicht. Es stellen sich keine noch nicht geklärten Fragen der Auslegung von Unionsrecht.
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aa) Werden die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf im Rahmen der Interessenabwägung nach § 626 Abs. 1 BGB berücksichtigt, handelt es sich bei ihnen um Entlassungsbedingungen iSv. Art. 3 Abs. 1 Buchst. c RL 2000/78/EG.
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bb) Diese knüpfen nicht iSv. Art. 2 Abs. 2 Buchst. a RL 2000/78/EG unmittelbar benachteiligend an das in Art. 1 RL 2000/78/EG genannte Merkmal „Alter“ an. Zwischen der Dauer der Betriebszugehörigkeit und dem Alter besteht kein zwingender Zusammenhang, ein jüngerer Arbeitnehmer kann länger beschäftigt sein als ein älterer (vgl. Kamanabrou RdA 2007, 199, 206; v. Medem Kündigungsschutz und Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz 2008 S. 499).
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cc) Es liegt auch keine mittelbare Diskriminierung wegen des Alters iSv. Art. 2 Abs. 2 Buchst. b RL 2000/78/EG vor.
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(1) Dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren stellen nach Art. 2 Abs. 2 Buchst. b RL 2000/78/EG eine mittelbare Diskriminierung dar, wenn sie geeignet sind, Personen wegen eines in Art. 1 RL 2000/78/EG genannten Grundes gegenüber anderen Personen in besonderer Weise zu benachteiligen, es sei denn - so Unterabs. i der Regelung -, die betreffenden Vorschriften, Kriterien oder Verfahren sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel sind zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich.
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(2) Es kann dahinstehen, ob bei einer verhaltensbedingten Kündigung die Berücksichtigung der Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreien Verlaufs bei der Interessenabwägung nach § 626 Abs. 1 BGB überhaupt geeignet ist, jüngere Arbeitnehmer gegenüber älteren in diesem Sinne in besonderer Weise zu benachteiligen. Selbst wenn eine solche mittelbare Benachteiligung jüngerer Arbeitnehmer vorläge, wäre sie durch ein legitimes Ziel und verhältnismäßige Mittel zu seiner Durchsetzung iSv. Art. 2 Abs. 2 Buchst. b Unterabs. i RL 2000/78/EG gerechtfertigt. Eine mittelbare Diskriminierung ist damit schon tatbestandlich nicht gegeben (so im Ergebnis auch v. Medem aaO S. 595; Thüsing/Laux/Lembke/Jacobs/Wege KSchG 2. Aufl. § 626 BGB Rn. 48; aA Schrader/Straube ArbR 2009, 7, 9). Auf mögliche Rechtfertigungsgründe nach Art. 6 Abs. 1 RL 2000/78/EG kommt es nicht an.
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(a) Art. 2 Abs. 2 RL 2000/78/EG unterscheidet zwischen Diskriminierungen, die unmittelbar auf den in Art. 1 RL 2000/78/EG angeführten Merkmalen beruhen, und mittelbaren Diskriminierungen. Während eine unmittelbar auf dem Merkmal des Alters beruhende Ungleichbehandlung nur nach Maßgabe von Art. 6 Abs. 1 RL 2000/78/EG gerechtfertigt werden kann, stellen diejenigen Vorschriften, Kriterien oder Verfahren, die mittelbare Diskriminierungen bewirken können, nach Art. 2 Abs. 2 Buchst. b RL 2000/78/EG schon keine Diskriminierung dar, wenn sie durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich sind (EuGH 5. März 2009 - C-388/07 - [Age Concern England] Rn. 59, Slg. 2009, I-1569; vgl. auch BAG 18. August 2009 - 1 ABR 47/08 - Rn. 31, BAGE 131, 342; Kamanabrou RdA 2007, 199, 206). Bewirken die Vorschriften, Kriterien oder Verfahren wegen des Vorliegens eines sachlichen Rechtfertigungsgrundes nach Art. 2 Abs. 2 Buchst. b RL 2000/78/EG schon keine Diskriminierung, bedarf es keines Rückgriffs auf Art. 6 Abs. 1 RL 2000/78/EG(EuGH 5. März 2009 - C-388/07 - [Age Concern England] Rn. 66, aaO). Das rechtmäßige Ziel, das eine mittelbare Diskriminierung ausschließt, muss demnach nicht zugleich ein legitimes Ziel iSd. Art. 6 Abs. 1 RL 2000/78/EG insbesondere aus den Bereichen Beschäftigungspolitik, Arbeitsmarkt und berufliche Bildung sein. Es schließt andere von der Rechtsordnung anerkannte Gründe für die Verwendung des neutralen Kriteriums ein ( BAG 18. August 2009 - 1 ABR 47/08 - aaO). Die Richtlinie ist insofern klar verständlich und bedarf keiner weiteren Auslegung. Dem steht das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 26. September 2000 (- C-322/98 - [Kachelmann], Slg. 2000, I-7505) nicht entgegen. Darin prüft der Gerichtshof zwar die objektive Rechtfertigung einer Frauen mittelbar benachteiligenden Maßnahme des nationalen Gesetzgebers durch ein legitimes sozialpolitisches Ziel. Dem ist aber nicht zu entnehmen, zur Rechtfertigung einer mittelbaren Diskriminierung durch eine Rechtsnorm oder durch ihre Auslegung von Seiten der Gerichte komme auch unter Geltung von Art. 2 Abs. 2 Buchst. b Unterabs. i RL 2000/78/EG nur die Berücksichtigung eines sozialpolitischen, nicht eines anderen rechtmäßigen Ziels in Betracht (aA wohl ErfK/Schlachter 11. Aufl. § 3 AGG Rn. 9). Das Urteil betraf die Auslegung von Art. 5 Abs. 1 der am 14. August 2009 außer Kraft getretenen Richtlinie 76/207/EWG des Rates vom 9. Februar 1976 (RL 76/207/EWG, ABl. L 39, S. 40). Diese enthielt keine Art. 2 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2000/78/EG entsprechende Definition der mittelbaren Diskriminierung.
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(b) Die Kriterien der Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreien Verlaufs verfolgen im Rahmen der Interessenabwägung nach § 626 Abs. 1 BGB ein iSv. Art. 2 Abs. 2 Buchst. b Unterabs. i RL 2000/78/EG rechtmäßiges Ziel. Es besteht in der Herstellung eines angemessenen Ausgleichs zwischen dem jeweils nach Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Bestandsschutzinteresse des Arbeitnehmers und dem Beendigungsinteresse des Arbeitgebers. Beide Gesichtspunkte sind für die erforderliche Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalls unter der Fragestellung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers zumindest bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist zumutbar ist, von objektiver Bedeutung.
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(c) Die Berücksichtigung der beiden Gesichtspunkte bei der Interessenabwägung nach § 626 Abs. 1 BGB ist als Mittel zur Erreichung des Ziels eines adäquaten, befriedigenden Grundrechte-Ausgleichs erforderlich und angemessen iSv. Art. 2 Abs. 2 Buchst. b Unterabs. i RL 2000/78/EG.
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(aa) Die Berücksichtigung einer längeren unbeanstandeten Beschäftigungsdauer ist erforderlich, um dem von § 626 Abs. 1 BGB vorgegebenen Prinzip der Einzelfallprüfung Rechnung zu tragen. Ohne dieses Kriterium bliebe ein maßgeblicher Umstand für die Beurteilung der Zumutbarkeit einer Weiterbeschäftigung unberücksichtigt. Diese hängt auch bei erheblichen Pflichtverletzungen des Arbeitnehmers ua. davon ab, ob es sich um einen erstmaligen Pflichtverstoß nach einer langjährigen beanstandungsfreien Beschäftigung handelt oder ob der Verstoß bereits nach kurzer Beschäftigungsdauer oder nach zwar längerwährender, aber nicht unbeanstandeter Betriebszugehörigkeit auftrat. Ob ggf. das beeinträchtigte Vertrauensverhältnis wiederhergestellt werden kann, hängt bei objektiver Betrachtung auch davon ab, ob sich das in den Arbeitnehmer gesetzte Vertrauen bereits eine längere Zeit bewährt hatte (vgl. BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 47, AP BGB § 626 Nr. 229 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 32). Ein Pflichtverstoß kann weniger schwer wiegen, wenn es sich um das erstmalige Versagen nach einer längeren Zeit beanstandungsfrei erwiesener Betriebstreue handelt.
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(bb) Das Kriterium der Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreien Verlaufs ist auch angemessen iSv. Art. 2 Abs. 2 Buchst. b Unterabs. i RL 2000/78/EG. Es ist nur eines von mehreren Abwägungskriterien im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtwürdigung. Es wirkt damit nicht absolut, sondern nur relativ zugunsten des gekündigten Arbeitnehmers. Dadurch ist gewährleistet, dass es nur in dem für einen billigen Ausgleich der Interessen erforderlichen Maß das Ergebnis ihrer Abwägung beeinflusst. Selbst eine langjährige beanstandungsfreie Tätigkeit gibt nicht etwa notwendig den Ausschlag zu Gunsten des Arbeitnehmers. Die Pflichtverletzung kann so schwer wiegen, dass eine Wiederherstellung des Vertrauens auch nach einer solchen Zeit ausgeschlossen erscheint (vgl. BAG 9. Juni 2011 - 2 AZR 381/10 - Rn. 23; 16. Dezember 2010 - 2 AZR 485/08 - Rn. 27, AP BGB § 626 Nr. 232 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 33). Dementsprechend belastet eine Berücksichtigung der Dauer des Arbeitsverhältnisses und seines ungestörten Verlaufs jüngere Arbeitnehmer nicht unangemessen. Zu ihren Gunsten können andere Einzelfallumstände den Ausschlag bei der Interessenabwägung geben. Im Übrigen hat es jeder Arbeitnehmer, auch der mit erst kürzerer Betriebszugehörigkeit, in der Hand, sich keine Pflichtverstöße zuschulden kommen zu lassen, die eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen.
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c) Danach hält die Interessenabwägung durch das Landesarbeitsgericht einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand.
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aa) Dieses hat zugunsten des Klägers darauf abgestellt, dass es sich bei seiner Pflichtverletzung um eine erstmalige Verfehlung dieser Art nach 29 Jahren Betriebszugehörigkeit gehandelt habe. Auch habe der Kläger den Beklagten und dessen Arbeitsmethoden nicht etwa generell mit dem Unrechtsregime des Nationalsozialismus verglichen. Überdies sei eine Wiederholungsgefahr nicht feststellbar.
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bb) Dies lässt keinen Rechtsfehler erkennen. Zwar wiegt auch die Gleichsetzung einer einzelnen Äußerung eines Repräsentanten des Beklagten mit Vorgehensweisen während des Nationalsozialismus schwer. Das Ausmaß der Pflichtwidrigkeit ist aber geringer, als wenn der gesamte Betrieb des Beklagten mit solchen Verfahrensweisen verglichen worden wäre. Dass das Landesarbeitsgericht unter diesen Umständen das Interesse des Klägers an einer Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses höher gewichtet hat als das Beendigungsinteresse des Beklagten, hält sich im Rahmen seines Beurteilungsspielraums.
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cc) Ob das Lebensalter des Klägers sowie weitere Umstände zu seinen Gunsten bei der Interessenabwägung hätten berücksichtigt werden dürfen, bedarf keiner Entscheidung. Das Landesarbeitsgericht hat hierauf nicht ausschlaggebend abgestellt.
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II. Eine Umdeutung der unwirksamen außerordentlichen Kündigung in eine ordentliche Kündigung nach § 140 BGB ist, wie das Landesarbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat, zumindest aus formalen Gründen nicht möglich. Es fehlt an der auch für eine ordentliche Kündigung erforderlichen vorherigen Zustimmung des Integrationsamts nach § 85 SGB IX. Dieses hat lediglich der außerordentlichen Kündigung zugestimmt. Darin ist weder eine Zustimmung zur ordentlichen Kündigung konkludent enthalten, noch kann seine Entscheidung nach § 43 Abs. 1 SGB X in eine Zustimmung zur ordentlichen Kündigung umgedeutet werden(vgl. zu §§ 18, 19 und 21 SchwbG: BAG 16. Oktober 1991 - 2 AZR 197/91 - zu III 3 der Gründe, RzK I 6b 12).
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III. Als unterlegene Partei hat der Beklagte gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten der Revision zu tragen.
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Kreft
Berger
Rachor
Jan Eulen
Sieg
Tenor
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1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 15. Oktober 2009 - 11 Sa 511/09 - aufgehoben.
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2. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Paderborn vom 5. Februar 2009 - 1 Ca 1247/08 - wird zurückgewiesen.
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3. Der Kläger hat die Kosten der Berufung und der Revision zu tragen.
Tatbestand
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Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung.
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Die Beklagte ist ein Unternehmen des Möbeleinzelhandels mit mehreren hundert Arbeitnehmern. Die Belegschaft hat einen Betriebsrat gewählt.
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Der im Jahr 1950 geborene Kläger war seit dem 1. Juli 1976, zuletzt als Einkäufer und Produktmanager bei der Beklagten beschäftigt. Sein monatliches Bruttoeinkommen betrug 6.558,10 Euro.
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Am 18. Oktober 2007 erteilte die Beklagte dem Kläger eine Abmahnung. Sie warf ihm vor, eine Mitarbeiterin mit einem Schlag auf das Gesäß belästigt zu haben.
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Am 25. und 26. Juni 2008 war der Kläger in einem Betrieb der Beklagten in K eingesetzt. Gegenüber einer 26-jährigen Einkaufsassistentin der Beklagten machte er an diesen Tagen bei vier Gelegenheiten Bemerkungen sexuellen Inhalts. Die Mitarbeiterin meldete die Vorfälle der Beklagten. Diese hörte den Kläger am 4. Juli 2008 zu den Vorwürfen an.
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Mit Schreiben vom 7. Juli 2008 leitete die Beklagte das Verfahren zur Anhörung des Betriebsrats ein. Der Betriebsrat stimmte der beabsichtigten fristlosen, hilfsweise fristgemäßen Kündigung mit Schreiben vom 10. Juli 2008 zu.
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Mit Schreiben vom 11. Juli 2008 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien fristlos, hilfsweise fristgerecht zum 28. Februar 2009.
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Dagegen hat der Kläger rechtzeitig Klage erhoben. Er hat die Auffassung vertreten, die Kündigung sei rechtsunwirksam. Er habe die Mitarbeiterin nicht sexuell belästigt, sondern lediglich „geneckt“. Die Beklagte habe allenfalls mit einer Abmahnung reagieren dürfen. Die ihm zuvor erteilte Abmahnung sei nicht einschlägig. Im Übrigen sei die Anhörung des Betriebsrats nicht ordnungsgemäß erfolgt. Die Beklagte habe den Betriebsrat tendenziös informiert. Insbesondere mit einem Hinweis auf frühere Abmahnungen habe sie in unzulässiger Weise ein negatives Bild von ihm gezeichnet, auch wenn sie zugleich mitgeteilt habe, dass diese früheren Abmahnungen - unstreitig - schon wieder aus seiner Personalakte entfernt worden seien.
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Der Kläger hat beantragt
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festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die fristlose noch durch die fristgerechte Kündigung vom 11. Juli 2008 beendet worden ist.
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Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Ansicht vertreten, das Verhalten des Klägers stelle eine sexuelle Belästigung iSv. § 3 Abs. 4 AGG dar. Darauf habe sie mit Blick auf die zuvor erteilte einschlägige Abmahnung von Oktober 2007 mit einer sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses reagieren dürfen.
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Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht der Klage in vollem Umfang stattgegeben. Mit der Revision begehrt die Beklagte die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.
Entscheidungsgründe
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Die Revision ist begründet. Dies führt zur Aufhebung des Berufungsurteils (§ 562 Abs. 1 ZPO)und zur Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung. Das Landesarbeitsgericht hat zu Unrecht angenommen, es fehle an einem wichtigen Grund für die außerordentliche Kündigung (I.). Die Entscheidung stellt sich nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO). Dies kann der Senat selbst entscheiden, da die maßgeblichen Tatsachen feststehen (§ 563 Abs. 3 ZPO). Die Beklagte hat die außerordentliche Kündigung innerhalb der Frist des § 626 Abs. 2 BGB erklärt(II.). Die Kündigung ist nicht mangels ordnungsgemäßer Anhörung des Betriebsrats unwirksam (III.). Die Klage gegen die nur hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung bleibt damit ebenfalls ohne Erfolg (IV.).
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I. Die Kündigung vom 11. Juli 2008 beruht auf einem wichtigen Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB.
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1. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden kann. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, dh. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht (BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 16, AP BGB § 626 Nr. 229 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 32; 26. März 2009 - 2 AZR 953/07 - Rn. 21, AP BGB § 626 Nr. 220).
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2. Das Verhalten des Klägers rechtfertigt „an sich“ eine außerordentliche Kündigung. Er hat eine Mitarbeiterin sexuell belästigt.
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a) Eine sexuelle Belästigung iSv. § 3 Abs. 4 AGG stellt nach § 7 Abs. 3 AGG eine Verletzung vertraglicher Pflichten dar. Sie ist „an sich“ als wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB geeignet(vgl. BAG 25. März 2004 - 2 AZR 341/03 - zu B I 2 a der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 189 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 6). Ob die sexuelle Belästigung im Einzelfall zur außerordentlichen Kündigung berechtigt, ist abhängig von den Umständen des Einzelfalls, ua. von ihrem Umfang und ihrer Intensität (vgl. BAG 25. März 2004 - 2 AZR 341/03 - aaO mwN).
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b) Der Kläger hat mit den vom Landesarbeitsgericht festgestellten Äußerungen am 25. und 26. Juni 2008 eine Mitarbeiterin der Beklagten an ihrem Arbeitsplatz wiederholt sexuell belästigt. Gegen die Feststellungen des Landesarbeitsgerichts hat der Kläger keine beachtlichen Verfahrensrügen erhoben. Sie sind damit für den Senat bindend (§ 559 Abs. 2 ZPO). Die Bewertung des Landesarbeitsgerichts, bei den Bemerkungen des Klägers habe es sich um sexuelle Belästigungen iSv. § 3 Abs. 4 AGG gehandelt, lässt keinen Rechtsfehler erkennen.
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aa) Eine sexuelle Belästigung iSv. § 3 Abs. 4 AGG liegt vor, wenn ein unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten, wozu auch unerwünschte sexuelle Handlungen und Aufforderungen zu diesen, sexuell bestimmte körperliche Berührungen, Bemerkungen sexuellen Inhalts sowie unerwünschtes Zeigen und sichtbares Anbringen von pornographischen Darstellungen gehören, bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird, insbesondere wenn ein von Einschüchterungen, Anfeindungen, Erniedrigungen, Entwürdigungen oder Beleidigungen gekennzeichnetes Umfeld geschaffen wird. Im Unterschied zu § 3 Abs. 3 AGG können danach auch einmalige sexuell bestimmte Verhaltensweisen den Tatbestand einer sexuellen Belästigung erfüllen(Bauer/Göpfert/Krieger AGG 3. Aufl. § 3 Rn. 60; Kamanabrou RdA 2006, 321, 326; Kock MDR 2006, 1088, 1089; v. Roetteken AGG § 3 Rn. 375; Däubler/Bertzbach-Schrader/Schubert AGG 2. Aufl. § 3 Rn. 77).
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Das jeweilige Verhalten muss bewirken oder bezwecken, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird. Relevant ist entweder das Ergebnis oder die Absicht (Nollert-Borasio/Perreng AGG 3. Aufl. § 3 Rn. 39). Für das „Bewirken“ genügt der bloße Eintritt der Belästigung. Gegenteilige Absichten oder Vorstellungen der für dieses Ergebnis aufgrund ihres Verhaltens objektiv verantwortlichen Person spielen keine Rolle (v. Roetteken AGG § 3 Rn. 352, 383). Auf vorsätzliches Verhalten kommt es nicht an (ErfK/Schlachter 11. Aufl. § 3 AGG Rn. 14). Im Vergleich zu § 2 Abs. 2 des mit Inkrafttreten des AGG am 18. August 2006 außer Kraft getretenen Beschäftigtenschutzgesetzes (BSchG) ist der Begriff der sexuellen Belästigung in § 3 Abs. 4 AGG in Umsetzung von Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie 76/207/EWG vom 9. Februar 1976 (ABl. EG L 39 vom 14. Februar 1976 S. 40) idF der Richtlinie 2002/73/EG vom 23. September 2002 (ABl. EG L 269 vom 5. Oktober 2002 S. 15) weiter gefasst (vgl. Entwurfsbegründung BR-Drucks. 329/06 S. 34; BT-Drucks. 16/1780 S. 33; Nollert-Borasio/Perreng aaO Rn. 36; Däubler/Bertzbach-Schrader/Schubert AGG 2. Aufl. § 3 Rn. 76; v. Roetteken aaO Rn. 375). Das Tatbestandsmerkmal der Unerwünschtheit erfordert - anders als noch § 2 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 BSchG(vgl. BAG 25. März 2004 - 2 AZR 341/03 - AP BGB § 626 Nr. 189 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 6) - nicht mehr, dass die Betroffenen ihre ablehnende Einstellung zu den fraglichen Verhaltensweisen aktiv verdeutlicht haben (v. Roetteken aaO Rn. 360; ErfK/Schlachter aaO Rn. 12; AGG/Schleusener 3. Aufl. § 3 Rn. 157; Däubler/Bertzbach-Schrader/Schubert aaO Rn. 77a). Maßgeblich ist allein, ob die Unerwünschtheit der Verhaltensweise objektiv erkennbar war (v. Roetteken aaO Rn. 360; ErfK/Schlachter aaO; Wendeling-Schröder in Wendeling-Schröder/Stein AGG § 3 Rn. 41).
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bb) Danach lässt die Bewertung der Bemerkungen des Klägers als sexuelle Belästigungen durch das Landesarbeitsgericht keinen Rechtsfehler erkennen.
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(1) Alle vier Bemerkungen hatten einen sexuellen Inhalt. Mit der ersten Bemerkung gab der Kläger in anzüglicher Weise der Erwartung Ausdruck, die Mitarbeiterin würde für ihn ihre körperlichen Reize zur Schau stellen. In Bezug auf den Zollstock stellte er einen anzüglichen Vergleich an. Beim Mittagessen sprach er die Mitarbeiterin auf ihr Sexualleben an. Schließlich machte er ihr explizit ein anzügliches Angebot.
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(2) Das Landesarbeitsgericht hat festgestellt, dass die Unerwünschtheit dieser Bemerkungen objektiv und im Übrigen auch für den Kläger erkennbar gewesen sei. Das hat dieser nicht mit beachtlichen Verfahrensrügen angegriffen.
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(3) Mit den wiederholten Bemerkungen sexuellen Inhalts hat der Kläger iSv. § 3 Abs. 4 AGG die Würde der Mitarbeiterin verletzt. Er hat diese an zwei aufeinander folgenden Arbeitstagen gleich mehrfach mit anzüglichen Bemerkungen verbal sexuell belästigt und damit zum Sexualobjekt erniedrigt. Dadurch entstand für die betroffene Mitarbeiterin zudem ein Arbeitsumfeld, in welchem sie jederzeit mit weiteren entwürdigenden Anzüglichkeiten seitens des Klägers rechnen musste.
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(4) Der Kläger hat die sexuelle Belästigung der Mitarbeiterin iSv. § 3 Abs. 4 AGG „bewirkt“. Unmaßgeblich ist, wie er selbst sein Verhalten eingeschätzt und empfunden hat oder verstanden wissen wollte.
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3. Die außerordentliche Kündigung ist unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen gerechtfertigt.
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a) Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen (BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 34, AP BGB § 626 Nr. 229 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 32).
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aa) Die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumutbar ist oder nicht, lassen sich nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf (BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 34, AP BGB § 626 Nr. 229 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 32; 28. Januar 2010 - 2 AZR 1008/08 - Rn. 26, AP BGB § 626 Nr. 227 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 30). Auch Unterhaltspflichten und der Familienstand können - je nach Lage des Falls - Bedeutung gewinnen. Sie sind jedenfalls bei der Interessenabwägung nicht generell ausgeschlossen und können berücksichtigt werden (BAG 16. Dezember 2004 - 2 ABR 7/04 - zu B II 3 b aa der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 191 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 7). Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind (BAG 16. Dezember 2010 - 2 AZR 485/08 - Rn. 24, AP BGB § 626 Nr. 232 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 33; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - aaO).
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bb) Den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz konkretisiert auch § 12 Abs. 3 AGG(vgl. BAG 25. Oktober 2007 - 8 AZR 593/06 - Rn. 68, BAGE 124, 295; noch zu § 4 Abs. 1 BSchG: BAG 25. März 2004 - 2 AZR 341/03 - zu B II 2 der Gründe, AP BGB § 626 Nr. 189 = BGB 2002 § 626 Nr. 6). Danach hat der Arbeitgeber bei Verstößen gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG, zu denen auch sexuelle Belästigungen iSv. § 3 Abs. 4 AGG gehören, im Einzelfall die geeigneten, erforderlichen und angemessenen arbeitsrechtlichen Maßnahmen wie Abmahnung, Umsetzung, Versetzung oder Kündigung zu ergreifen. Welche Maßnahmen er als verhältnismäßig ansehen darf, hängt von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab. § 12 Abs. 3 AGG schränkt das Auswahlermessen jedoch insoweit ein, als der Arbeitgeber die Benachteiligung zu „unterbinden“ hat. Geeignet im Sinne der Verhältnismäßigkeit sind daher nur solche Maßnahmen, von denen der Arbeitgeber annehmen darf, dass sie die Benachteiligung für die Zukunft abstellen, dh. eine Wiederholung ausschließen (Bauer/Göpfert/Krieger AGG 3. Aufl. § 12 Rn. 32; ErfK/Schlachter 11. Aufl. § 12 AGG Rn. 3).
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b) Dem Berufungsgericht kommt bei der im Rahmen von § 626 Abs. 1 BGB vorzunehmenden Interessenabwägung ein Beurteilungsspielraum zu. Eine eigene Abwägung durch das Revisionsgericht ist aber möglich, wenn die des Berufungsgerichts fehlerhaft oder unvollständig ist und sämtliche relevanten Tatsachen feststehen (BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 33, AP BGB § 626 Nr. 229 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 32; 13. März 2008 - 2 AZR 88/07 - Rn. 25, AP KSchG 1969 § 1 Nr. 87 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 73). Die Würdigung des Berufungsgerichts wird in der Revisionsinstanz daraufhin überprüft, ob es den anzuwendenden Rechtsbegriff in seiner allgemeinen Bedeutung verkannt hat, ob es bei der Unterordnung des Sachverhalts unter die Rechtsnormen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt und ob es alle vernünftigerweise in Betracht zu ziehenden Umstände widerspruchsfrei berücksichtigt hat (BAG 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 17, aaO; 27. November 2008 - 2 AZR 193/07 - Rn. 22, AP BGB § 626 Nr. 219).
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c) Auch unter Beachtung eines in diesem Sinne eingeschränkten Maßstabs hält die vom Landesarbeitsgericht vorgenommene einzelfallbezogene Interessenabwägung einer revisionsrechtlichen Prüfung nicht stand. Die Würdigung des Landesarbeitsgerichts, trotz der Abmahnung vom 18. Oktober 2007 rechtfertige das Fehlverhalten des Klägers keine negative Prognose, ist rechtsfehlerhaft.
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aa) Die anzustellende Prognose fällt negativ aus, wenn aus der konkreten Vertragspflichtverletzung und der daraus resultierenden Vertragsstörung geschlossen werden muss, der Arbeitnehmer werde den Arbeitsvertrag in Zukunft erneut und in gleicher oder ähnlicher Weise verletzen. Ist der Arbeitnehmer wegen gleichartiger Pflichtverletzungen schon einmal abgemahnt worden und verletzt er seine vertraglichen Pflichten gleichwohl erneut, kann regelmäßig davon ausgegangen werden, es werde auch weiterhin zu Vertragsstörungen kommen ( BAG 13. Dezember 2007 - 2 AZR 818/06 - Rn. 38, AP KSchG 1969 § 4 Nr. 64 = EzA KSchG § 4 nF Nr. 82). Dabei ist nicht erforderlich, dass es sich um identische Pflichtverletzungen handelt (vgl. BAG 13. Dezember 2007 - 2 AZR 818/06 - Rn. 40, aaO). Es reicht aus, dass die jeweiligen Pflichtwidrigkeiten aus demselben Bereich stammen und somit Abmahnungs- und Kündigungsgründe in einem inneren Zusammenhang stehen (BAG 13. Dezember 2007 - 2 AZR 818/06 - Rn. 41, aaO; 16. Januar 1992 - 2 AZR 412/91 - zu B I 2 b bb der Gründe, EzA BGB § 123 Nr. 36). Entscheidend ist letztlich, ob der Arbeitnehmer aufgrund der Abmahnung erkennen konnte, der Arbeitgeber werde weiteres Fehlverhalten nicht hinnehmen, sondern ggf. mit einer Kündigung reagieren (HaKo-Fiebig 3. Aufl. § 1 Rn. 233; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626 BGB Rn. 281).
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bb) Nach diesen Grundsätzen bestand zwischen der der Abmahnung vom 18. Oktober 2007 zugrunde liegenden Pflichtverletzung und den zur Kündigung führenden Pflichtverstößen ein ausreichender innerer Zusammenhang.
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(1) Der Kläger war nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts mit Schreiben vom 18. Oktober 2007 wegen der Belästigung einer Mitarbeiterin durch einen Schlag auf das Gesäß abgemahnt worden. Die Bewertung dieses Verhaltens als sexuelle Belästigung iSd. § 3 Abs. 4 AGG durch das Landesarbeitsgericht ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Bei einem Schlag auf das Gesäß handelt es sich um einen Eingriff in die körperliche Intimsphäre, der objektiv als sexuell bestimmt iSv. § 3 Abs. 4 AGG anzusehen ist(vgl. Bauer/Göpfert/Krieger AGG 3. Aufl. § 3 Rn. 55; v. Roetteken AGG § 3 Rn. 378; AGG/Schleusener 3. Aufl. § 3 Rn. 153; Däubler/Bertzbach-Schrader/Schubert AGG 2. Aufl. § 3 Rn. 77a; Wendeling-Schröder in Wendeling-Schröder/Stein AGG § 3 Rn. 45). Auf die Motivation des Klägers kam es nicht an.
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(2) Mit den zur Kündigung führenden verbalen sexuellen Belästigungen trat eine der körperlichen Belästigung gleichartige Unzuverlässigkeit und Grenzüberschreitung des Klägers zu Tage. Es geht in beiden Fällen um ein die Integrität der Betroffenen missachtendes, erniedrigendes Verhalten. Unerheblich ist, in welcher Form sich die Belästigungen äußerten.
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(3) Die Warnfunktion der Abmahnung vom 18. Oktober 2007 war nicht etwa auf körperlich belästigendes Verhalten beschränkt. Die Beklagte hatte zum Ausdruck gebracht, dass sie bei einer erneuten Pflichtverletzung die Kündigung erklären werde. Der Kläger konnte ohne Weiteres erkennen, dass die Beklagte die abermalige Belästigung einer Mitarbeiterin - unabhängig davon, ob diese verbal oder durch körperliche Berührung stattfände - nicht hinnehmen und zum Anlass für eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses nehmen würde.
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d) Im Hinblick darauf war der Beklagten bei Abwägung der beiderseitigen Interessen eine Weiterbeschäftigung des Klägers auch nur bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zumutbar. Eine solche Abwägung durch den Senat selbst ist möglich, weil die des Berufungsgerichts rechtsfehlerhaft ist und alle relevanten Tatsachen feststehen.
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aa) Die Pflichtverletzung des Klägers wiegt schwer. Er hat eine Mitarbeiterin an zwei Arbeitstagen hintereinander mehrmals sexuell belästigt. Verbale Belästigungen bewegen sich entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts nicht generell in einem „weniger gravierenden Bereich“ des durch § 3 Abs. 4 AGG aufgezeigten Spektrums. Auch die Intensität verbaler Belästigungen kann vielmehr erheblich sein. So liegt es im Streitfall. Der Kläger hat der Mitarbeiterin mit immer neuen Varianten verbaler Anzüglichkeiten zugesetzt. Die Äußerungen fielen bei unterschiedlichsten Gelegenheiten. Es handelte sich nicht etwa um eine einmalige „Entgleisung“. Die Belästigungen erfolgten fortgesetzt und hartnäckig. Der auf eigene körperliche Merkmale anspielende anzügliche Vergleich hatte zudem, ebenso wie das an die Mitarbeiterin gerichtete anzügliche Angebot, bedrängenden Charakter.
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bb) Der Kläger kann sich nicht auf einen Irrtum über die Unerwünschtheit seiner Verhaltensweise berufen. Sexuelle Belästigungen iSv. § 3 Abs. 4 AGG erfordern tatbestandlich kein vorsätzliches Verhalten. Zwar wird es zugunsten des Arbeitnehmers zu berücksichtigen sein, wenn er sich nachvollziehbar in einem solchen Irrtum befand. Der Kläger setzte aber nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts die Belästigungen trotz einer für ihn erkennbar ablehnenden Haltung der Mitarbeiterin fort.
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cc) Der nochmalige Ausspruch nur einer Abmahnung war kein der Beklagten zumutbares milderes Mittel. Nachdem sich der Kläger die vorhergegangene Abmahnung nicht zur Warnung hatte gereichen lassen, war davon auszugehen, dass dieses Mittel zukünftige Pflichtverletzungen nicht würde verhindern können. Schon aufgrund der Abmahnung vom 18. Oktober 2007 musste der Kläger für den Fall der erneuten sexuellen Belästigung mit einer Kündigung rechnen. Auch seine langjährige Betriebszugehörigkeit war angesichts dessen nicht mehr geeignet, Erwartungen in seine künftige Zuverlässigkeit zu begründen. Der Umstand, dass sich der Kläger noch vor Ausspruch der Kündigung bei der betroffenen Mitarbeiterin entschuldigt hatte, rechtfertigt keine andere Bewertung. Der Kläger hatte sich dazu erst nach dem Personalgespräch am 4. Juli 2008 und damit unter dem Eindruck einer bereits drohenden Kündigung entschlossen.
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dd) Der Beklagten war auch die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist nicht zuzumuten. Die Beklagte hatte gem. § 12 Abs. 1 Satz 1 AGG die Pflicht, ihr weibliches Personal effektiv vor weiteren sexuellen Belästigungen durch den Kläger zu schützen. Dies konnte sie durch den Ausspruch einer nur ordentlichen Kündigung nicht gewährleisten. Für den Lauf der Kündigungsfrist von sieben Monaten zum Ende eines Kalendermonats hätte vielmehr die Gefahr einer Belästigung durch den Kläger - möglicherweise gerade verstärkt durch das absehbare Ende des Arbeitsverhältnisses - fortbestanden. Dessen erst nach dem Personalgespräch erfolgter Entschuldigung kommt auch insoweit kein besonderes Gewicht zu. Trotz seiner langjährigen Betriebszugehörigkeit und des relativ hohen Alters des Klägers überwog damit das Interesse der Beklagten an einer sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses dessen Interesse an einer Fortsetzung zumindest für die Dauer der Kündigungsfrist.
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II. Die Kündigung vom 11. Juli 2008 ist nicht nach § 626 Abs. 2 BGB unwirksam.
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1. Nach § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB kann die außerordentliche Kündigung nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt nach § 626 Abs. 2 Satz 2 BGB in dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Dies ist dann der Fall, wenn der Kündigungsberechtigte eine zuverlässige und möglichst vollständige positive Kenntnis der für die Kündigung maßgebenden Tatsachen hat, die ihm die Entscheidung ermöglichen, ob die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zumutbar ist oder nicht (BAG 25. November 2010 - 2 AZR 171/09 - Rn. 15, AP BGB § 626 Nr. 231 = EzA BPersVG § 108 Nr. 5; 5. Juni 2008 - 2 AZR 234/07 - Rn. 18, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 44 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 7).
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2. Danach hat die Beklagte die Frist gem. § 626 Abs. 2 BGB gewahrt. Die Frist begann am 4. Juli 2008 zu laufen. Nach ihrem vom Kläger nicht bestrittenen Vorbringen hatte die Beklagte an diesem Tag erstmals Kenntnis von den Vorwürfen erlangt. Die Kündigung vom 11. Juli 2008 ist dem Kläger nach dem unbestrittenen Vortrag der Beklagten noch an diesem Tag zugegangen.
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III. Die außerordentliche Kündigung ist nicht wegen fehlerhafter Anhörung des Betriebsrats unwirksam.
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1. Eine Kündigung ist gem. § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG nicht nur unwirksam, wenn der Arbeitgeber gekündigt hat, ohne den Betriebsrat überhaupt zu beteiligen, sondern auch dann, wenn er ihn nicht richtig beteiligt hat, vor allem seiner Unterrichtungspflicht nach Satz 2 der Vorschrift nicht ausreichend nachgekommen ist. An die Mitteilungspflicht im Anhörungsverfahren sind dabei nicht dieselben Anforderungen zu stellen wie an die Darlegungen des Arbeitgebers im Prozess. Es gilt der Grundsatz der „subjektiven Determinierung“. Der Betriebsrat ist ordnungsgemäß angehört, wenn ihm der Arbeitgeber die aus seiner Sicht tragenden Umstände und Gründe für die Kündigung unterbreitet hat (BAG 22. April 2010 - 2 AZR 991/08 - Rn. 13, AP BetrVG 1972 § 102 Nr. 163 = EzA BetrVG 2001 § 102 Nr. 26; 23. Oktober 2008 - 2 AZR 163/07 - Rn. 18, AP KSchG 1969 § 1 Namensliste Nr. 18 = EzA KSchG § 1 Interessenausgleich Nr. 16). Dagegen führt eine bewusst unrichtige oder unvollständige und damit irreführende Darstellung zu einer fehlerhaften Anhörung des Betriebsrats (BAG 5. November 2009 - 2 AZR 676/08 - Rn. 40, AP KSchG 1969 § 1 Betriebsbedingte Kündigung Nr. 183 = EzA KSchG § 1 Interessenausgleich Nr. 20; 23. Oktober 2008 - 2 AZR 163/07 - aaO).
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2. Danach hat die Beklagte den Betriebsrat mit ihrem Schreiben vom 7. Juli 2008 ausreichend informiert. Sie hat ihm mit der Schilderung des belästigenden Verhaltens des Klägers am 25. und 26. Juni 2008 die aus ihrer Sicht tragenden Gründe für die beabsichtigte Kündigung unterbreitet. Darüberhinaus hat sie den Betriebsrat an „die einschlägige Abmahnung vom 18. Oktober 2007 und an die anderen einschlägigen Hinweise und Abmahnungen aus den letzten Jahren (…) erinnert“. Aus ihrer Sicht enthielt dies auch angesichts des Umstands, dass die früheren Abmahnungen aus der Personalakte des Klägers bereits entfernt waren, keine unrichtige Information.
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3. Die Beklagte brauchte nicht den Ablauf der Frist von drei Tagen abzuwarten, die dem Betriebsrat gem. § 102 Abs. 2 Satz 3 BetrVG zur Stellungnahme eingeräumt ist. Der Arbeitgeber kann eine Kündigung auch schon vor Fristablauf aussprechen, wenn der Betriebsrat erkennbar abschließend zu der Kündigungsabsicht Stellung genommen hat. Das Anhörungsverfahren ist dann beendet (vgl. BAG 24. Juni 2004 - 2 AZR 461/03 - zu B II 2 b bb der Gründe, AP BGB § 620 Kündigungserklärung Nr. 22 = EzA BetrVG 2001 § 102 Nr. 9; 15. November 1995 - 2 AZR 974/94 - zu II 2 a der Gründe, AP BetrVG 1972 § 102 Nr. 73 = EzA BetrVG 1972 § 102 Nr. 89). So liegt der Fall hier. Der Betriebsrat hatte mit Schreiben vom 10. Juli 2008, unterzeichnet vom Betriebsratsvorsitzenden, der Kündigung ausdrücklich und vorbehaltlos zugestimmt.
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IV. Da die außerordentliche Kündigung das Arbeitsverhältnis mit ihrem Zugang am 11. Juli 2008 beendet hat, bleibt die Klage gegen die ordentliche Kündigung zum 28. Februar 2009 schon deshalb ohne Erfolg.
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V. Als unterlegene Partei hat der Kläger gem. § 91 Abs. 1, § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten von Berufung und Revision zu tragen.
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Kreft
Koch
Rachor
Torsten Falke
Dr. Roeckl
(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.
(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.
(1) Kraft des Schuldverhältnisses ist der Gläubiger berechtigt, von dem Schuldner eine Leistung zu fordern. Die Leistung kann auch in einem Unterlassen bestehen.
(2) Das Schuldverhältnis kann nach seinem Inhalt jeden Teil zur Rücksicht auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils verpflichten.
Tenor
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 10. Juli 2013 – 9 Ca 10211/12 – wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
1
T a t b e s t a n d :
2Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer verhaltensbedingten Kündigung.
3Die am 1973 geborene Klägerin ist bei der Beklagten seit dem 18. Juli 2005 zuletzt in Teilzeit beschäftigt. Sie hat einen vierjährigen Sohn.
4Die Klägerin war im Oktober 2012 arbeitsunfähig erkrankt. Am 22. Oktober 2012 nahm sie wieder ihre Arbeit auf.
5Im November 2012 erkrankte Frau H aus der Registratur längerfristig. Die Vorgesetzte der Klägerin Frau E gab der Klägerinam 21. November 2012 auf, den Kollegen Peters in der Registratur zu unterstützen. Die Klägerin trug darauf hin Akten aus der Registratur im Souterrain in ihr im Erdgeschoss gelegenes Büro.
6Am 22. November 2012 wies Frau E die Klägerin an, am nächsten Arbeitstag (26. November 2012) die Arbeiten am Arbeitsplatz der erkrankten Kollegin durchzuführen. Die Klägerin machte geltend, sie habe Schmerzen im Arm, die sie an der Arbeit in der Registratur hindern würden. Frau E hielt ihr entgegen, dass von ihrer Dienstfähigkeit auszugehen sei, solange sie sich im Dienst befände. Die Klägerin arbeitete am 26. und 27. November 2012 in der Registratur. Nach Dienstende ging sie zum Arzt, der ihr eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für den Zeitraum vom 27. November 2012 bis zum 14. Dezember 2012 ausstellte.
7Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis nach vorheriger Anhörung des Personalrats mit Schreiben vom 5. Dezember 2012, welches die Klägerin am 11. Dezember 2012 erhielt, fristlos. Hiergegen richtet sich die am 27. Dezember 2012 beim Arbeitsgericht eingegangene Klage.
8Die Klägerin hat bestritten, sich pflichtwidrig verhalten zu haben. Sie habe Frau E bereits am 21. November 2012 auf ihre gesundheitlichen Probleme mit dem Arm aufmerksam gemacht und sie gefragt, ob es möglich sei, sich die Arbeit mit einem Kollegen zu teilen. Am gleichen Tag habe sie Frau E per E-Mail darüber unterrichtet, dass sie verstärkt Schmerzen im Arm verspürt habe. Frau E habe ihr kurze Zeit später im Treppenhaus bestätigt, die E-Mail erhalten zu haben. Sie habe die Akten mit in ihr Büro genommen, weil sie zunächst nicht angewiesen worden sei, in der Registratur zu arbeiten. Die Arbeiten in der Registratur erforderten rotierende Bewegungen. Sie hat die ordnungsgemäße Anhörung des Personalrats gerügt.
9Die Klägerin hat beantragt,
10- 11
1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis durch die schriftliche Kündigung der Beklagten vom 05.12.2012, zugegangen am 11.12.2012, zum 05.12.2012 nicht aufgelöst worden ist;
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2. die Beklagte zu verurteilen, sie für den Fall des Obsiegens mit dem Feststellungsantrag, dass das Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung aufgelöst wurde, als Verwaltungsangestellte bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über den Feststellungsantrag weiter zu beschäftigen.
Die Beklagte hat beantragt,
14die Klage abzuweisen.
15Sie hat die Ansicht vertreten, die Kündigung sei wirksam. Die Klägerin habe nicht in der Registratur arbeiten wollen, obwohl sich die dort anfallenden Arbeiten von ihren sonstigen Aufgaben insbesondere in Bezug auf die körperliche Belastung nicht unterschieden. Selbstverständlich sei die Anweisung von Frau E dahingehend zu verstehen gewesen, dass die Klägerin den Arbeitsplatz in der Registratur einnehmen sollte. Der Umstand, dass sie die Akten weisungswidrig in ihr Büro getragen habe, zeige, dass sie nicht am Arm erkrankt gewesen sei. Auf die Anweisung von Frau E vom 22. November 2012 habe die Klägerin mit den Worten reagiert: „Dir ist schon klar, dass ich mich dann krankschreiben lasse?“ Am 26. und 27. September 2012 habe die Klägerin zwar ihren Arbeitsplatz in der Registratur eingenommen, aber kaum gearbeitet, sondern sich ständig mit ihrem Smartphone beschäftigt.
16Das Arbeitsgericht hat der Klage mit Urteil vom 10. Juli 2013 stattgegeben. Gegen das ihr am 17. Juli 2013 zugestellte erstinstanzliche Urteil hat die Beklagte am 16. August 2013 Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsschrift bis zum 21. Oktober 2013 am 21. Oktober 2013 begründet.
17Die Beklagte ist nach wie vor der Auffassung, die Kündigung sei wirksam. Bei Ausspruch ihrer Drohung gegenüber Frau E sei die Klägerin nicht arbeitsunfähig erkrankt gewesen, Das Arbeitsgericht habe die unstreitige Arbeitsfähigkeit der Klägerin im Zeitraum vom 21. bis zum 27. November 2012 völlig unberücksichtigt gelassen und die sekundäre Darlegungslast der Klägerin verkannt. Sie habe eine Erst- und nicht etwa eine Folgebescheinigung vorgelegt. Die Wertung des Arbeitsgerichts, sie habe Frau E lediglich auf ein „Wiederaufflammen“ einer nicht ausgeheilten Grunderkrankung hingewiesen, sei durch nichts belegt und daher unberechtigt.
18Die Beklagte beantragt,
19das angefochtene arbeitsgerichtliche Urteil abzuändern und die Klage kostenpflichtig abzuweisen.
20Die Klägerin beantragt,
21die Berufung zurückzuweisen.
22Sie verteidigt unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrags das angefochtene Urteil. Sie habe mehrfach darauf hingewiesen, an einer Sehnenscheidenentzündung im Arm zu leiden. Sie habe im November 2012 eine Schiene am Arm getragen.
23Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils, die im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze, die eingereichten Unterlagen sowie die Sitzungsniederschriften Bezug genommen.
24E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
25I. Die Berufung der Beklagten ist zulässig. Sie ist gemäß § 64 Abs. 1 und Abs. 2 ArbGG statthaft und wurde gemäß §§ 66 Abs. 1 Satz 1, 64 Abs. 6 Satz 1 und 5 ArbGG, §§ 519 und 520 ZPO frist- und formgerecht eingelegt und begründet.
26II. Das Rechtsmittel ist unbegründet. Das Arbeitsgericht hat zu Recht angenommen, dass die Kündigung vom 5. Dezember 2012 unwirksam ist, weil sie nicht durch einen wichtigen Grund i.S.v. § 626 Abs. 1 BGB gedeckt ist. Darauf, ob die Frist gemäß § 626 Abs. 2 BGB eingehalten worden ist, kommt es nicht an. Wegen der Unwirksamkeit der Kündigung hat die Klägerin einen Anspruch auf vorläufige Weiterbeschäftigung.
271. Die Kündigung vom 5. Dezember 2012 ist nicht durch einen wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB gedeckt.
28a) Die am Maßstab des § 626 Abs.1 BGB vorzunehmende Prüfung einer außerordentlichen Kündigung hat zweistufig zu erfolgen. Zunächst ist zu prüfen, ob ein bestimmter Sachverhalt ohne die besonderen Umstände des Einzelfalls an sich geeignet, ist, einen wichtigen Kündigungsgrund abzugeben. Liegt ein solcher Sachverhalt vor, bedarf es der weiteren Prüfung, ob die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls und der Abwägung der Interessen beider Vertragsteile bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist zumutbar ist oder nicht (BAG 07. Juli 2011 – 2 AZR 355/10 – NJW 2011, 3803; 09. Juni 2011 – 2 AZR 323/10 – NZA 2011, 1342; 6. September 2007 – 2 AZR 264/06 – NJW 2008, 1097; 27. April 2006 – 2 AZR 415/05 – AP § 626 BGB Nr. 203; 2. März 1989 – 2 AZR 280/88 – EzA § 626 BGB n.F. Nr. 118).
29Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist bereits die Ankündigung einer zukünftigen, im Zeitpunkt der Ankündigung nicht bestehenden Erkrankung durch den Arbeitnehmer für den Fall, dass der Arbeitgeber einem Verlangen des Arbeitnehmers nicht entsprechen sollte, ohne Rücksicht auf eine später tatsächlich auftretende Krankheit an sich geeignet, einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung abzugeben (BAG 12. März 2009 – 2 AZR 251/07 – NZA 2009, 779; 17. Juni 2003 – 2 AZR 123/02 – NZA 2004, 564; 5. November 1992 – 2 AZR 147/92 – AP § 626 BGB Krankheit Nr. 143).
30Der Arbeitnehmer darf dem Arbeitgeber keine ungerechtfertigten Nachteile androhen. Versucht der Arbeitnehmer, einen ihm nicht zustehenden Vorteil durch eine unzulässige Drohung zu erreichen, so verletzt er bereits hierdurch seine arbeitsvertragliche Rücksichtnahmepflicht (§ 241 Abs. 2 BGB). Diese verbietet es, die andere Seite unzulässig unter Druck zu setzen (BAG 12. März 2009 – 2 AZR 251/07 – NZA 2009, 779; 17. Juni 2003 – 2 AZR 123/02 – NZA 2004, 564; 5. November 1992 – 2 AZR 147/92 – AP § 626 BGB Krankheit Nr. 143).
31Die Pflichtwidrigkeit der Ankündigung einer Krankschreibung bei objektiv nicht bestehender Erkrankung im Zeitpunkt der Ankündigung liegt in erster Linie darin, dass der Arbeitnehmer mit einer solchen Erklärung zum Ausdruck bringt, er sei notfalls bereit, seine Rechte aus dem Entgeltfortzahlungsrecht zu missbrauchen, um sich einen unberechtigten Vorteil zu verschaffen. Mit einem solchem Verhalten verletzt der Arbeitnehmer seine aus der Rücksichtnahmepflicht folgende Leistungstreuepflicht erheblich. Zugleich wird durch die Pflichtverletzung das Vertrauen des Arbeitgebers in die Redlichkeit und Loyalität des Arbeitnehmers in schwerwiegender Weise beeinträchtigt, so dass in einer solchen Erklärung regelmäßig auch ohne vorausgehende Abmahnung ein die außerordentliche Kündigung an sich rechtfertigender verhaltensbedingter Grund zur Kündigung liegt. Da der wichtige Grund zur Kündigung in der ausdrücklich oder konkludent erklärten Bereitschaft des Arbeitnehmers zu sehen ist, sich die begehrte Freistellung notfalls durch eine in Wahrheit nicht vorliegende Arbeitsunfähigkeit zu verschaffen, kommt es nicht mehr darauf an, ob der Arbeitnehmer später (zufällig) tatsächlich erkrankt oder nicht (BAG 12. März 2009 – 2 AZR 251/07 – NZA 2009, 779; 17. Juni 2003 – 2 AZR 123/02 – NZA 2004, 564; 5. November 1992 – 2 AZR 147/92 – AP § 626 BGB Krankheit Nr. 143).
32Dagegen ist der krankheitsbedingt arbeitsunfähige Arbeitnehmer nicht zur Arbeitsleistung verpflichtet und der Arbeitgeber ist nicht berechtigt, diese zu verlangen. Dies gilt auch, wenn der Arbeitnehmer bislang trotz bestehender Erkrankung - insoweit ggf. überobligatorisch - dem Arbeitgeber seine Arbeitsleistung angeboten haben sollte. Weist etwa ein objektiv erkrankter Arbeitnehmer den Arbeitgeber nach Ablehnung eines kurzfristig gestellten Urlaubsgesuchs darauf hin, „dann sei er eben krank“, schließt dies zwar eine Pflichtverletzung des Arbeitnehmers nicht von vornherein aus. Auch bei tatsächlich bestehender Erkrankung ist es dem Arbeitnehmer aufgrund des Rücksichtnahmegebots verwehrt, die Krankheit und ein sich daraus ergebendes Recht, der Arbeit fern zu bleiben, gegenüber dem Arbeitgeber als „Druckmittel“ einzusetzen, um den Arbeitgeber zu einem vom Arbeitnehmer gewünschten Verhalten zu veranlassen. Zudem verlangt die Rücksichtnahmepflicht, den Arbeitgeber nicht im Unklaren darüber zu belassen, ob der Arbeitnehmer berechtigterweise von seinen sich aus einer Erkrankung ergebenden Rechten Gebrauch macht. War der Arbeitnehmer im Zeitpunkt der Ankündigung eines künftigen, krankheitsbedingten Fehlens aber bereits objektiv erkrankt und durfte er davon ausgehen, auch am Tag des begehrten Urlaubs (weiterhin) wegen Krankheit arbeitsunfähig zu sein, kann nicht mehr angenommen werden, sein fehlender Arbeitswille und nicht die bestehende Arbeitsunfähigkeit sei Grund für das spätere Fehlen am Arbeitsplatz. Ebenso wenig kann dem Arbeitnehmer dann zum Vorwurf gemacht werden, er nehme notfalls eine wirtschaftliche Schädigung des Arbeitgebers in Kauf, um die von ihm erstrebte Befreiung von der Arbeitspflicht zu erreichen. Unabhängig davon, ob eine bestehende Erkrankung des Arbeitnehmers dazu führt, dass die „Ankündigung“ der Krankschreibung lediglich als Hinweis auf ein ohnehin berechtigtes Fernbleiben von der Arbeit verstanden werden müsste, wiegt jedenfalls in einem solchen Fall eine mit der Erklärung verbundene Störung des Vertrauensverhältnisses zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber regelmäßig weniger schwer. Es kann dann nicht ohne Weiteres von einer erheblichen, eine außerordentliche Kündigung an sich rechtfertigenden Pflichtverletzung ausgegangen werden (BAG 12. März 2009 – 2 AZR 251/07 – NZA 2009, 779).
33Bei außerordentlichen Kündigungen nach § 626 BGB wie auch bei ordentlichen Kündigungen nach § 1 Abs. 2 KSchG trifft den Kündigenden die Darlegungs- und Beweislast auch für diejenigen Tatsachen, die einen vom Gekündigten behaupteten Rechtfertigungsgrund ausschließen. Somit hat der Arbeitgeber nicht nur die Darlegungs- und Beweislast für das Fehlen des Arbeitnehmers. Er muss auch darlegen und ggf. beweisen, dass der Arbeitnehmer unentschuldigt gefehlt hat und die vom Arbeitnehmer behauptete Erkrankung nicht vorlag. Der Umfang der dem Arbeitgeber obliegenden Darlegungslast ist allerdings davon abhängig, wie sich der Arbeitnehmer auf einen bestimmten Vortrag einlässt (BAG 17. Juni 2003 – 2 AZR 123/02 – NZA 2004, 564; 23. September 1992 – 2 AZR 199/92 - EzA § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 44; LAG Berlin-Brandenburg 15. März 2013 – 10 Sa 2427/12 – juris; KR/Fischermeier § 626 BGB Rn. 381).
34b) Danach erweist sich die Kündigung vom 5. Dezember 2012 als unwirksam. Dies gilt selbst dann, wenn zu Gunsten der Beklagten angenommen wird, die Klägerin habe gegenüber Frau E am 22. November 2012 angekündigt, dass sie sich krankschreiben lassen werde, wenn diese an der Weisung festhalte, dass die Klägerin in der Registratur arbeiten müsse. Vor diesem Hintergrund hat die Kammer von einer Beweisaufnahme abgesehen.
35Maßgeblich ist, dass die Beklagte die Behauptung der Klägerin, sie habe Schmerzen im Arm und die Befürchtung gehabt, ihr nicht ausgeheiltes Grundleiden (Tennisarm) werde sich wieder verschlechtern, nicht widerlegt hat. Hierzu wäre sie gehalten gewesen, weil sie nach den obigen Ausführungen auch die Darlegungs- und Beweislast für das Nichtvorliegen von Rechtfertigungsgründen trägt, welche die Klägerin konkret vorgetragen hat.
36Die Klägerin hatte zunächst ihre Vorgesetzte jedenfalls am 22. November 2012 über Schmerzen im Arm unterrichtet. Der Beklagten war darüber hinaus bekannt, dass die Klägerin im Oktober 2012 arbeitsunfähig erkrankt war. Des Weiteren ist auf das von der Klägerin vorgelegte ärztliche Attest vom 5. Dezember 2012 zu verweisen. Unabhängig davon, welche Arbeit die Klägerin konkret zu verrichten hatte, besagt das Attest ausdrücklich, dass die Klägerin „seit Anfang Oktober 2012 unter den unten aufgeführten Diagnosen leidet“.
37Die Beklagte hat bereits nicht konkret vorgetragen, aufgrund welcher tatsächlichen Umstände davon auszugehen sein sollte, dass das Grundleiden der Klägerin im November 2012 nicht mehr bestanden haben sollte. Der Hinweis, dass die Klägerin in der Zeit vom 21. bis zum 27. November 2012 arbeitsfähig gewesen sei, ist insoweit nicht ausreichend. Dies besagt nicht, dass das Grundleiden ausgeheilt gewesen wäre.
38Hinzu kommt, dass die Beklagte für ihre Behauptung, die Klägerin habe bis zur erneuten Krankschreibung nicht (mehr) an der Grunderkrankung gelitten, beweisfällig geblieben ist.
39Nach alledem musste die Kammer bei der Entscheidungsfindung davon ausgehen, dass die Klägerin objektiv an einer nicht ausgeheilten Grunderkrankung litt und subjektiv befürchtete, dass sich ihr Gesundheitszustand bei einer Tätigkeit in der Registratur verschlechtern würde. Bei dieser Annahme erweist sich die ihr zu Last gelegte Äußerung als unglücklich und ungeschickt, nicht aber als pflichtwidrig. Selbst wenn entgegen dieser Annahme von einer Pflichtwidrigkeit auszugehen wäre, wäre die Beklagte nicht ohne vorherige Abmahnung berechtigt gewesen, eine außerordentliche Kündigung, die immer nur das „letzte Mittel“ sein kann, auszusprechen.
40c) Die Kündigung erweist sich nicht aus anderen Gründen als wirksam. Auf eine vorgetäuschte Arbeitsunfähigkeit der Klägerin ab dem27. November 2012 kann sich die Beklagte schon deswegen nicht berufen, weil sie hierzu den Personalrat nicht angehört hat.
412. Die Klägerin hat einen Anspruch gegen die Beklagte auf Weiterbeschäftigung als Verwaltungsangestellte bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens.
42a) Der Arbeitgeber ist grundsätzlich verpflichtet, seinen Arbeitnehmer vertragsgemäß zu beschäftigen, wenn er dies verlangt. Der Beschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers ist aus §§ 611, 613 BGB i.V. mit § 242 BGB abzuleiten. Die Generalklausel des § 242 BGB wird dabei durch die Wertentscheidung der Art. 1 und 2 GG ausgefüllt(BAG - Großer Senat - 27. Februar 1985 – GS 1/84 - NZA 1985, 702, 703).
43Da der allgemeine Beschäftigungsanspruch aus einer sich aus Treu und Glauben ergebenden Pflicht des Arbeitgebers herzuleiten ist, muss er allerdings dort zurücktreten, wo überwiegende schutzwerte Interessen des Arbeitgebers entgegenstehen. Der Arbeitgeber ist nach Treu und Glauben nicht verpflichtet, die Interessen des Arbeitnehmers ohne Rücksicht auf eigene überwiegende und schutzwerte Interessen zu fördern. Deshalb bedarf es, wenn der Arbeitgeber die Beschäftigung des Arbeitnehmers ablehnt, einer Abwägung der beiderseitigen Interessen zur Feststellung, ob das Interesse des Arbeitgebers an der Nichtbeschäftigung schutzwürdig ist und überwiegt (BAG - Großer Senat - 27. Februar 1985 – GS 1/84 - NZA 1985, 702, 703)
44Liegt ein die Instanz abschließendes Urteil vor, das die Unwirksamkeit der Kündigung feststellt, überwiegt in der Regel das Beschäftigungsinteresse des Arbeitnehmers das Interesse des Arbeitgebers an einer Nichtbeschäftigung des Arbeitnehmers (BAG - Großer Senat - 27. Februar 1985 – GS 1/84 - NZA 1985, 702, 703).
45Dies gilt allerdings nicht, wenn der Arbeitgeber inzwischen erneut gekündigt hat und über die Wirksamkeit der erneuten Kündigung noch nicht entschieden ist. Hierfür gilt, dass der Arbeitnehmer seine vorläufige Weiterbeschäftigung verlangen kann, wenn die Folgekündigung offensichtlich unwirksam ist. Ist dies nicht der Fall, begründet die Ungewissheit über den Ausgang des Kündigungsprozesses regelmäßig ein schutzwertes Interesse des Arbeitgebers an der Nichtbeschäftigung des gekündigten Arbeitnehmers für die Dauer des Kündigungsprozesses. Dieses überwiegt in der Regel das Beschäftigungsinteresse des Arbeitnehmers bis zu dem Zeitpunkt, in dem im Kündigungsprozess ein die Unwirksamkeit der Kündigung feststellendes Urteil ergeht (BAG - Großer Senat - 27. Februar 1985 – GS 1/84 - NZA 1985, 702, 703).
46b) Danach ist die Beklagte zur Weiterbeschäftigung der Klägerin verpflichtet, weil derartige „zusätzliche Umstände“ nicht vorliegen.
47III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG i.V.m. § 97 Abs. 1 ZPO.
48IV. Die Revision war nicht gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG zuzulassen, weil die Entscheidung auf den besonderen Umständen des Einzelfalls beruht.
49Rechtsmittelbelehrung:
50Gegen dieses Urteil ist ein Rechtsmittel nicht gegeben.
51Wegen der Möglichkeit der Nichtzulassungsbeschwerde wird auf § 72a ArbGG verwiesen.
(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.
(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.
(1) Das Gericht hat unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten sei. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.
(2) An gesetzliche Beweisregeln ist das Gericht nur in den durch dieses Gesetz bezeichneten Fällen gebunden.
Tenor
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Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 8. August 2012 - 2 Sa 1733/11 - wird zurückgewiesen.
-
Die Klägerin hat die Kosten der Revision zu tragen.
Tatbestand
- 1
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Die Parteien streiten in erster Linie darüber, ob das zwischen ihnen befristete Arbeitsverhältnis am 11. Oktober 2011 beendet worden ist. Hilfsweise erstrebt die Klägerin ihre Wiedereinstellung und Weiterbeschäftigung.
- 2
-
Die Beklagte - ein Unternehmen der chemischen Industrie - schloss mit der Klägerin am 5. Oktober 2009 einen schriftlichen, bis zum 11. Oktober 2010 sachgrundlos befristeten Arbeitsvertrag.
- 3
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Im Frühjahr 2010 wurde die Klägerin in den bei der Beklagten bestehenden Betriebsrat gewählt. Am 24. September 2010 vereinbarten die Parteien eine Verlängerung ihres Arbeitsverhältnisses bis zum 11. Oktober 2011. Mit Schreiben vom 12. Juli 2011 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass sie nach Ablauf der Befristung des Arbeitsvertrags nicht weiterbeschäftigt werden könne. Die Beklagte hat auch bei vier anderen Arbeitnehmern die befristeten Arbeitsverhältnisse nicht verlängert.
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Mit ihrer am 2. August 2011 beim Arbeitsgericht eingegangenen und der Beklagten am 5. August 2011 zugestellten Klage hat die Klägerin zunächst nur die Feststellung begehrt, dass ihr Arbeitsverhältnis nicht aufgrund der Befristung zum 11. Oktober 2011 ende. Sie hat die Ansicht vertreten, die streitbefangene Befristung sei wegen der gebotenen extensiven Auslegung des § 15 KSchG unwirksam. In der Berufungsinstanz hat sie außerdem - hilfsweise - einen Wiedereinstellungsanspruch geltend gemacht. Sie hat hierzu vorgetragen, befristete Arbeitsverhältnisse würden bei der Beklagten regelmäßig verlängert oder „entfristet“. Die übliche Übernahme in ein Arbeitsverhältnis sei ihr nur aufgrund der Tätigkeit im Betriebsrat verweigert worden. Bei der Beklagten bestehe ein Bedarf an der Beschäftigung von Chemielaboranten. Gerade im Zeitraum des Auslaufens ihres befristeten Vertrags habe die Beklagte andere Beschäftigte in ein unbefristetes Arbeitsverhältnis übernommen und tatsächlich weiterbeschäftigt.
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Die Klägerin hat zuletzt beantragt
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1.
festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen ihr und der Beklagten nicht aufgrund einer Befristung zum 11. Oktober 2011 beendet ist, sondern als unbefristetes Arbeitsverhältnis über den 11. Oktober 2011 hinaus fortbesteht;
2.
hilfsweise für den Fall des Unterliegens mit dem Antrag zu 1.,
die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin mit Wirkung zum 12. Oktober 2011 ein Angebot auf Abschluss eines Arbeitsvertrags zu unterbreiten, wonach die Klägerin unbefristet und im Übrigen zu den Arbeitsbedingungen aus dem mit ihr geschlossenen und einmal verlängerten Arbeitsvertrag vom 5. Oktober 2009 zu beschäftigen ist;
3.
hilfshilfsweise für den Fall des Unterliegens mit dem Antrag zu 1. und dem Hilfsantrag zu 2.,
die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin mit Wirkung zum 12. Oktober 2011 den Abschluss eines unbefristeten Arbeitsvertrags mit im Übrigen den nachgenannten Arbeitsbedingungen zu unterbreiten:
§ 1 Beginn des Anstellungsvertrages
Die Arbeitnehmerin erhält mit Wirkung vom 12. Oktober 2011 einen Arbeitsvertrag als Chemielaborantin im Labor im Bereich ICP.
Bei Bedarf erklärt sich die Arbeitnehmerin bereit, auch an anderer Stelle im Unternehmen und unter zumutbaren Bedingungen vergleichbare Aufgaben wahrzunehmen.
§ 2 Kündigungsfristen
Das Arbeitsverhältnis wird auf unbestimmte Zeit geschlossen.
Die Kündigungsfristen richten sich nach dem Tarifvertrag der chemischen Industrie.
Im Falle einer Kündigung ist die Firma berechtigt, die Mitarbeiterin bis zum Vertragsende freizustellen.
§ 3 Vergütung
Das monatliche Bruttogehalt beträgt nach dem Tarif der chemischen Industrie:
E 7 / Anfangssatz = 2.471,00 Euro
Die Vergütung wird jeweils am Ende des Monats fällig.
Die Zahlung erfolgt bargeldlos auf das der Firma bekannte Konto der Arbeitnehmerin.
Außerdem erhält die Mitarbeiterin bei Teilnahme einen Zuschuss zum Werksessen von 0,77 Euro pro Mahlzeit.
§ 4 Arbeitszeit / Überstunden
Die Arbeitszeit beträgt derzeit wöchentlich 37,50 Stunden gem. Tarifvertrag ohne Berücksichtigung von unbezahlten Pausen.
Der Arbeitsbeginn und das Arbeitsende sowie die unbezahlten Pausen sind in einer besonderen Betriebsvereinbarung geregelt.
Die Firma ist berechtigt, aus dringenden betrieblichen Erfordernissen eine Änderung der Arbeitszeitaufteilung vorzunehmen, bzw. auch Überstunden anzuordnen. Die Überstunden einschließlich Zulagen werden nach Absprache mit der Firma durch Freizeit ausgeglichen.
§ 5 Urlaub
Der Urlaubsanspruch richtet sich nach den tarifvertraglichen Regelungen. Er beträgt z. Zt. 30 Arbeitstage (ohne Sonnabende) pro Kalenderjahr. Für jeden Urlaubstag erhält die Mitarbeiterin ein zusätzliches Urlaubsgeld von 20,45 Euro.
§ 6 Nebentätigkeit
Die Arbeitnehmerin verpflichtet sich, ihre ganze Arbeitskraft im Interesse des Arbeitgebers einzusetzen. Sie verpflichtet sich, jede bei Vertragsabschluss bereits ausgeübte oder später beabsichtigte entgeltliche Nebentätigkeit dem Arbeitgeber unaufgefordert und rechtzeitig mitzuteilen.
Der Arbeitgeber ist berechtigt, der Mitarbeiterin die Nebentätigkeit zu untersagen, wenn und soweit dadurch eine Konkurrenzsituation gegenüber dem Arbeitgeber entsteht, gegen Vorschriften des Arbeitszeitgesetzes verstoßen wird, die ordnungsgemäße Erfüllung der Pflichten der Arbeitnehmerin aus diesem Arbeitsverhältnis gefährdet wird oder sonstige berechtigte Interessen des Arbeitgebers erheblich beeinträchtigt werden können.
§ 7 Arbeitsverhinderung
Die Arbeitnehmerin ist verpflichtet, im Falle einer Arbeitsverhinderung infolge Krankheit oder aus sonstigen Gründen der Firma unverzüglich Mitteilung zu machen. Bei Arbeitsunfähigkeit infolge Erkrankung hat die Mitarbeiterin der Firma spätestens am dritten Tag der Erkrankung eine ärztliche Bescheinigung vorzulegen, aus der sich die Dauer der voraussichtlichen Arbeitsunfähigkeit ergibt.
§ 8 Verschwiegenheitspflicht
Die Arbeitnehmerin verpflichtet sich, über die ihr bekannt gewordenen oder anvertrauten Geschäftsvorgänge sowie über alle sonstigen betrieblichen Angelegenheiten sowohl während der Dauer des Arbeitsverhältnisses, als auch nach dessen Beendigung, Dritten gegenüber Stillschweigen zu bewahren. Bei Beendigung des Anstellungsverhältnisses sind alle betrieblichen Unterlagen sowie etwa angefertigte Abschriften oder Kopien an die Firma herauszugeben.
§ 9 Betriebliche Regelungen / Tarifvertrag
Die Betriebsordnung und die bestehenden Betriebsvereinbarungen können im Personalbüro eingesehen werden.
Ergänzend gelten die Regelungen des Tarifvertrages der chemischen Industrie in seiner jeweils geltenden Fassung.
§ 10 Nebenabreden
Nebenabreden und Änderungen des Vertrages bedürfen zu ihrer Rechtsgültigkeit der Schriftform.
Dieses Formerfordernis kann weder mündlich noch stillschweigend aufgehoben oder außer Kraft gesetzt werden.
§ 11 Ansprüche aus diesem Arbeitsverhältnis
Diese sind spätestens zwei Monate nach Ende der Beschäftigung geltend zu machen, da sie andernfalls ersatzlos verfallen.
§ 12 Sonstiges
Eine etwaige Ungültigkeit einzelner Vertragsbestimmungen berührt die Wirksamkeit der übrigen Bestimmungen nicht.
4.
im Falle des Obsiegens mit den Hauptanträgen oder dem Hilfsantrag oder dem Hilfshilfsantrag die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen, jedoch unbefristet tatsächlich als Chemielaborantin weiterzubeschäftigen.
- 6
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Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Der Klageänderung in der Berufungsinstanz hat sie widersprochen. Sie hat sich auf den Standpunkt gestellt, die Befristung sei nach § 14 Abs. 2 Satz 1 TzBfG zulässig; sie habe die Klägerin nicht benachteiligt.
- 7
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Das Arbeitsgericht hat die - bei ihm allein angefallene - Befristungskontrollklage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen; die Klageänderung hat es für sachdienlich, den ihr zugrunde liegenden Anspruch aber für unbegründet gehalten. Mit ihrer vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihre Klageanträge weiter. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Revision der Klägerin hat in der Sache keinen Erfolg. Das Landesarbeitsgericht hat die Befristungskontrollklage und den auf Wiedereinstellung gerichteten Hilfsantrag zu Recht abgewiesen. Die weiteren Hilfsanträge fallen nicht zur Entscheidung an.
- 9
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I. Die zulässige, mit dem Hauptantrag verfolgte Befristungskontrollklage ist unbegründet.
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1. Wie die gebotene Auslegung des Antrags ergibt, verfolgt die Klägerin damit ausschließlich eine Befristungskontrollklage nach § 17 Satz 1 TzBfG. Dem Antragsbestandteil „… sondern als unbefristetes Arbeitsverhältnis über den 11. Oktober 2011 hinaus fortbesteht“ kommt keine eigenständige Bedeutung als allgemeine Feststellungsklage nach § 256 Abs. 1 ZPO zu. Andere Beendigungstatbestände als die Befristungsabrede sind zwischen den Parteien nicht im Streit.
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2. Der Antrag ist unbegründet. Wie das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt hat, ist die kalendermäßige Befristung wirksam.
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a) Die Befristung gilt nicht bereits nach § 17 Satz 2 TzBfG iVm. § 7 Halbs. 1 KSchG als wirksam, denn die Klägerin hat deren Rechtsunwirksamkeit rechtzeitig geltend gemacht. Mit ihrer der Beklagten am 5. August 2011 zugestellten Klage hat sie die Klagefrist des § 17 Satz 1 TzBfG eingehalten. Diese wird nach ständiger Rechtsprechung des Senats auch durch die Erhebung einer Klage vor dem Ablauf der vereinbarten Vertragslaufzeit gewahrt (vgl. BAG 2. Juni 2010 - 7 AZR 136/09 - Rn. 13 mwN, BAGE 134, 339).
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b) Die Befristung ist nach § 14 Abs. 2 Satz 1 TzBfG zulässig.
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aa) Nach § 14 Abs. 2 Satz 1 TzBfG ist die Befristung eines Arbeitsvertrags ohne Vorliegen eines sachlichen Grundes bis zur Dauer von zwei Jahren zulässig; bis zu dieser Gesamtdauer von zwei Jahren ist auch die höchstens dreimalige Verlängerung eines kalendermäßig befristeten Arbeitsvertrags zulässig. Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Die Klägerin hat einen kalendermäßig befristeten Arbeitsvertrag mit der Beklagten geschlossen, dessen Gesamtdauer - vom 12. Oktober 2009 bis 11. Oktober 2011 - zwei Jahre nicht überschreitet. Bei der streitbefangenen Befristung handelt es sich um die erste Vertragsverlängerung innerhalb dieser Gesamtdauer.
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bb) Das Mandat und die Tätigkeit der Klägerin als Mitglied des Betriebsrats stehen der Anwendung von § 14 Abs. 2 TzBfG nicht entgegen.
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(1) Wie der Senat mit Urteil vom 5. Dezember 2012 (- 7 AZR 698/11 - BAGE 144, 85) entschieden und ausführlich begründet hat, enden die nach § 14 Abs. 2 TzBfG sachgrundlos befristeten Arbeitsverhältnisse von Betriebsratsmitgliedern ebenso wie diejenigen anderer Arbeitnehmer mit Ablauf der vereinbarten Befristung. Der Anwendungsbereich des § 14 Abs. 2 TzBfG ist weder aus Gründen nationalen Rechts noch aus unionsrechtlichen Gründen teleologisch zu reduzieren(BAG 5. Dezember 2012 - 7 AZR 698/11 - Rn. 36 ff., aaO). An dieser Rechtsprechung, die bislang im Schrifttum überwiegend Zustimmung erfahren hat (vgl. Buchholz ZBVR online 2013 Nr. 6 S. 9; Kaiser Anm. AP TzBfG § 14 Nr. 102; Ulrici/Uhlig jurisPR-ArbR 27/2013 Anm. 2), hält der Senat uneingeschränkt fest. Entgegen der Auffassung der Klägerin folgt auch aus dem für Arbeitnehmervertreter in § 15 KSchG geregelten Sonderkündigungsschutz keine Unzulässigkeit einer in den Grenzen des § 14 Abs. 2 TzBfG verabredeten Befristung des Arbeitsvertrags mit einem Betriebsratsmitglied. § 15 Abs. 1 Satz 1 KSchG schützt die Amtsträger vor (ordentlichen) Kündigungen, nicht vor der sonstigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses(vgl. zB APS/Linck 4. Aufl. § 15 KSchG Rn. 14; KR-Etzel 10. Aufl. § 15 KSchG Rn. 14). Bei der Beendigung eines befristeten Arbeitsvertrags mit einem Mandatsträger wegen Zeitablaufs ist § 15 KSchG daher nicht anzuwenden(vgl. BAG 17. Februar 1983 - 2 AZR 481/81 - zu B IV 2 der Gründe, BAGE 41, 391). Während des Sonderkündigungsschutzes gelten Befristungsabreden uneingeschränkt fort (BAG 18. Februar 1993 - 2 AZR 526/92 - zu II 3 b aa (1) der Gründe; ganz hM auch im Schrifttum, vgl. zB ErfK/Kiel 14. Aufl. § 15 KSchG Rn. 2 mwN).
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(2) Von der Fallgestaltung, die dem Urteil des Senats vom 5. Dezember 2012 (- 7 AZR 698/11 - BAGE 144, 85) zugrunde lag, unterscheidet sich der vorliegende Fall allerdings insoweit, als hier - anders als dort - die streitbefangene Befristung nicht vor, sondern während der Amtszeit des Betriebsratsmitglieds vereinbart wurde. In einem solchen Fall kann auch die Befristungsabrede als solche unwirksam sein, wenn dem Betriebsratsmitglied nur wegen seiner Betriebsratstätigkeit lediglich ein befristetes statt eines unbefristeten Arbeitsverhältnisses angeboten wird (vgl. BAG 5. Dezember 2012 - 7 AZR 698/11 - Rn. 47, aaO). Im vorliegenden Fall gibt es aber keine Anhaltspunkte für die Annahme, die Beklagte hätte die streitbefangene Befristung nur deshalb anstelle eines unbefristeten Vertrags mit der Klägerin verabredet, weil diese im Zeitpunkt der Befristungsvereinbarung am 24. September 2010 Betriebsratsmitglied war. Dergleichen hat auch die Klägerin nicht behauptet; sie hat immer nur vorgebracht, ihr sei wegen des Betriebsratsmandats im Anschluss an den bis zum 11. Oktober 2011 verlängerten Vertrag kein unbefristeter Anschlussvertrag angeboten worden.
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II. Der erstmals in der Berufungsinstanz gestellte, auf die Verurteilung zur Abgabe eines Vertragsangebots gerichtete echte Hilfsantrag ist ebenfalls zulässig, aber unbegründet.
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1. Der Antrag ist zulässig.
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a) Der Zulässigkeit des Antrags steht nicht entgegen, dass er erst in der Berufungsinstanz angebracht wurde. Das Landesarbeitsgericht hat die Voraussetzungen einer Klageänderung in der Berufungsinstanz nach § 533 ZPO bejaht und über den Antrag sachlich entschieden. Das ist in der Revisionsinstanz nicht mehr zu überprüfen (vgl. BAG 21. April 2009 - 3 AZR 674/07 - Rn. 15 mwN; BGH 25. Oktober 2007 - VII ZR 27/06 - Rn. 9).
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b) Der Antrag ist hinreichend bestimmt iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO.
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aa) Ein auf die Abgabe einer Willenserklärung gerichteter Antrag ist bestimmt iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO, wenn er so gefasst ist, dass der Inhalt der nach § 894 Satz 1 ZPO fingierten Erklärung klar ist. Geht es um den Abschluss eines Arbeitsvertrags, muss die nach § 894 Satz 1 ZPO als abgegeben geltende Willenserklärung den für eine Vertragseinigung notwendigen Mindestinhalt umfassen (essentialia negotii). Nach § 611 Abs. 1 BGB gehören hierzu auf jeden Fall die „versprochenen Dienste“, also Art und Beginn der Arbeitsleistung. Der Umfang der Arbeitsleistung und die Dauer des Arbeitsverhältnisses bestimmen sich ggf. nach den üblichen Umständen. Eine Einigung über weitere Inhalte ist nicht erforderlich, solange klar ist, dass eine bezahlte Tätigkeit vereinbart ist (vgl. hierzu näher BAG 13. Juni 2012 - 7 AZR 169/11 - Rn. 20 mwN).
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bb) Danach ist vorliegend der Inhalt des mit der Angebotserklärung zu unterbreitenden Arbeitsvertrags ausreichend konkretisiert. Der Zeitpunkt der Wirkung der Willenserklärung ist bezeichnet. Die wesentlichen Vertragsbestandteile sind wegen der Bezugnahme auf die bisherigen Arbeitsbedingungen hinlänglich beschrieben.
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c) Dem Antrag fehlt nicht das Rechtsschutzbedürfnis, weil die Klägerin auch die Möglichkeit gehabt hätte, selbst ein Vertragsangebot abzugeben und auf dessen Annahme durch die Beklagte zu klagen. Ein berechtigtes Interesse an der Abgabe eines Angebots durch die Beklagte, über dessen Annahme die Klägerin sodann entscheiden kann, hat sie bereits deshalb, weil es im Falle des Zustandekommens des Vertrags kein einseitiges, § 12 Satz 1 KSchG entsprechendes Lösungsrecht des Arbeitnehmers gibt(vgl. BAG 9. Februar 2011 - 7 AZR 91/10 - Rn. 23).
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2. Der Antrag ist unbegründet.
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a) Dies folgt nicht bereits daraus, dass die Klägerin eine Angebotserklärung zum Abschluss eines Arbeitsvertrags „mit Wirkung zum 12. Oktober 2011“ begehrt. Eine rückwirkende Begründung eines Arbeitsverhältnisses durch Urteil, die mit der Fiktion der Abgabe der Angebotserklärung vorbereitet werden soll, ist zulässig (vgl. BAG 9. Februar 2011 - 7 AZR 91/10 - Rn. 26 mwN).
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b) Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Abgabe eines Vertragsangebots durch die Beklagte. Ein solcher ergibt sich vorliegend insbesondere nicht aus § 78 Satz 2 BetrVG iVm. § 280 Abs. 1, § 823 Abs. 2, § 249 Abs. 1 BGB. Diese Regelungen sind zwar grundsätzlich geeignet, einen auf Abschluss eines Folgevertrags gerichteten Anspruch eines befristet beschäftigten Betriebsratsmitglieds zu begründen, wenn ein solcher vom Arbeitgeber gerade wegen der Betriebsratstätigkeit verweigert wird. Dies war vorliegend aber nicht der Fall.
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aa) § 78 Satz 2 BetrVG iVm. § 280 Abs. 1, § 823 Abs. 2, § 249 Abs. 1 BGB können einen Anspruch eines befristet beschäftigten Betriebsratsmitglieds auf Abschluss eines Folgevertrags begründen, wenn der Arbeitgeber einen solchen gerade wegen der Betriebsratstätigkeit ablehnt.
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(1) Nach § 78 Satz 1 BetrVG dürfen die Mitglieder des Betriebsrats und anderer - näher bezeichneter - Gremien in der Ausübung ihrer Tätigkeit nicht gestört oder behindert werden. Gemäß § 78 Satz 2 BetrVG dürfen sie wegen ihrer Tätigkeit nicht benachteiligt oder begünstigt werden; dies gilt auch für ihre berufliche Entwicklung. Eine Benachteiligung iSv. § 78 Satz 2 BetrVG ist jede Schlechterstellung im Vergleich zu anderen Arbeitnehmern, die nicht auf sachlichen Gründen, sondern auf der Tätigkeit als Betriebsratsmitglied beruht. Eine Benachteiligungsabsicht ist nicht erforderlich. Es genügt die objektive Schlechterstellung gegenüber Nichtbetriebsratsmitgliedern (vgl. BAG 20. Januar 2010 - 7 ABR 68/08 - Rn. 11; 5. Dezember 2012 - 7 AZR 698/11 - Rn. 47, BAGE 144, 85). Die verbotene Benachteiligung kann sowohl in einer einseitigen Maßnahme des Arbeitgebers als auch in einer vertraglichen Vereinbarung liegen. Eine Maßnahme rechtsgeschäftlicher oder tatsächlicher Art kann auch in einem Unterlassen liegen, etwa indem einem von § 78 Satz 2 BetrVG geschützten Mandatsträger Vorteile vorenthalten werden, die der Arbeitgeber anderen Arbeitnehmern gewährt(BAG 5. Dezember 2012 - 7 AZR 698/11 - Rn. 47, aaO; vgl. zu § 612a BGB BAG 21. September 2011 - 7 AZR 150/10 - Rn. 34 mwN). Die Nichtübernahme eines befristet beschäftigten Betriebsratsmitglieds in ein unbefristetes oder auch nur in ein weiteres befristetes Arbeitsverhältnis stellt daher eine nach § 78 Satz 2 BetrVG unzulässige Benachteiligung dar, wenn sie gerade wegen der Betriebsratstätigkeit oder wegen des Betriebsratsmandats erfolgt(vgl. BAG 5. Dezember 2012 - 7 AZR 698/11 - Rn. 47, aaO; Thüsing in Richardi BetrVG 14. Aufl. § 78 Rn. 23).
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(2) Benachteiligt der Arbeitgeber unter Verstoß gegen § 78 Satz 2 BetrVG ein befristet beschäftigtes Betriebsratsmitglied, indem er wegen dessen Betriebsratstätigkeit den Abschluss eines Folgevertrags ablehnt, hat das Betriebsratsmitglied sowohl nach § 280 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 BGB als auch nach § 823 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2 BGB Anspruch auf Schadensersatz. § 78 Satz 2 BetrVG begründet ein gesetzliches Schuldverhältnis, auf das, wie auf andere gesetzliche Schuldverhältnisse, § 280 Abs. 1 BGB Anwendung findet(vgl. BGH 25. Oktober 2012 - I ZR 162/11 - Rn. 52; Palandt/Grüneberg 73. Aufl. § 280 Rn. 9). § 78 Satz 2 BetrVG ist, jedenfalls soweit er Benachteiligungen verbietet, auch ein Schutzgesetz iSv. § 823 Abs. 2 BGB(vgl. zu der § 78 Satz 2 BetrVG entsprechenden Regelung des § 107 BPersVG BAG 9. Juni 1982 - 4 AZR 766/79 - BAGE 39, 118; zu § 8 BPersVG BAG 31. Oktober 1985 - 6 AZR 129/83 - zu II 3 a der Gründe; vgl. ferner DKKW-Buschmann 14. Aufl. § 78 Rn. 36; Fitting 27. Aufl. § 78 Rn. 21; Kreutz GK-BetrVG 10. Aufl. § 78 Rn. 23; HWGNRH-Worzalla 9. Aufl. § 78 Rn. 5; Palandt/Sprau 73. Aufl. § 823 Rn. 62a). Nach § 249 Abs. 1 BGB hat, wer zum Schadensersatz verpflichtet ist, den Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre. Der Schaden ist durch Naturalrestitution auszugleichen. Wenn daher ohne die gegen § 78 Satz 2 BetrVG verstoßende Benachteiligung ein Folgevertrag mit dem Betriebsratsmitglied abgeschlossen worden wäre, kann dieses als Schadensersatz den Abschluss eben eines solchen Vertrags verlangen.
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(3) Mit Urteil vom 21. September 2011 (- 7 AZR 150/10 -) hat der Senat allerdings entschieden, dass in Fällen der Verletzung des in § 612a BGB normierten Maßregelungsverbots die im Abschluss eines Folgevertrags bestehende Naturalrestitution nach § 249 Abs. 1 BGB aufgrund der entsprechenden Anwendung des § 15 Abs. 6 AGG ausgeschlossen sei. Bei einer Verletzung des § 78 Satz 2 BetrVG ist aber die entsprechende Anwendung von § 15 Abs. 6 AGG weder geboten noch gerechtfertigt(vgl. zu den Voraussetzungen einer Analogie zB BAG 27. Juli 2011 - 7 AZR 402/10 - Rn. 30; 9. Februar 2011 - 7 AZR 221/10 - Rn. 22, BAGE 137, 113).
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(a) Im Unterschied zum Maßregelungsverbot des § 612a BGB fehlt es beim Benachteiligungsverbot des § 78 Satz 2 BetrVG an einer mit dem Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 iVm. § 1 AGG vergleichbaren Interessenlage. Das AGG verfolgt ebenso wie § 612a BGB im Wesentlichen einen personenbezogenen Schutzzweck. Dagegen schützt § 78 Satz 2 BetrVG ebenso wie § 78 Satz 1 BetrVG neben den Betriebsratsmitgliedern als Personen auch den Betriebsrat als Organ(vgl. zu § 78 Satz 1 BetrVG BAG 12. November 1997 - 7 ABR 14/97 - zu B 1 der Gründe; vgl. ferner DKKW-Buschmann 14. Aufl. § 78 Rn. 15; Fitting 27. Aufl. § 78 Rn. 6; Kreutz GK-BetrVG 10. Aufl. § 78 Rn. 3; Thüsing in Richardi BetrVG 14. Aufl. § 78 Rn. 8; WPK/Preis BetrVG 4. Aufl. § 78 Rn. 1; vgl. zum BPersVG BVerwG 16. Juni 1989 - 6 P 10.86 - BVerwGE 82, 131; Treber in Richardi/Dörner/Weber Personalvertretungsrecht 4. Aufl. § 8 BPersVG Rn. 9 mwN). Die Regelungen sichern zugleich sowohl die Tätigkeit der Betriebsverfassungsorgane als auch die ihrer Mitglieder. Dies zeigt auch die Gesetzesbegründung, wonach der Schutzbereich des § 78 BetrVG gegenüber dem der Vorgängerregelung des § 53 BetrVG 1952 - in dieser war der Betriebsrat ausdrücklich genannt - erweitert und nicht beschränkt werden sollte. So heißt es in der Gesetzesbegründung (BT-Drs. VI/1786 S. 47): „Die Schutzbestimmung des § 78 entspricht im wesentlichen § 53 des geltenden Rechts. Sie dehnt jedoch ihren Geltungsbereich auf Mitglieder aller nach dem Betriebsverfassungsgesetz möglichen Institutionen aus, da insoweit eine gleiche Schutzbedürftigkeit besteht.“
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(b) Indem § 78 Satz 1 und Satz 2 BetrVG jedenfalls auch den Betriebsrat als Organ schützen, sichern sie ua. auch die sachliche und personelle Kontinuität seiner Arbeit. Sie haben damit insoweit eine vergleichbare Funktion wie andere betriebsverfassungsrechtliche Schutzbestimmungen, die - wie etwa § 15 Abs. 1 Satz 1 KSchG, § 103 BetrVG und § 78a BetrVG - nicht nur die Unabhängigkeit der Mandatsträger, sondern auch die Kontinuität der Betriebsratsarbeit sichern(vgl. BAG 21. Juni 2012 - 2 AZR 343/11 - Rn. 13 mwN; 18. September 1997 - 2 ABR 15/97 - zu C II 2 a der Gründe, BAGE 86, 298; 15. November 2006 - 7 ABR 15/06 - Rn. 24, BAGE 120, 205).
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(c) Der somit nicht nur individuell personenbezogene, sondern zugleich kollektiv gremienbezogene Normzweck des § 78 Satz 2 BetrVG unterscheidet dieses Benachteiligungsverbot maßgeblich von den personenbezogenen Benachteiligungsverboten des § 7 Abs. 1 iVm. § 1 AGG und des § 612a BGB. Die analoge Anwendung des eine Wiedereinstellung ausschließenden § 15 Abs. 6 AGG verbietet sich damit schon wegen des Fehlens einer vergleichbaren Interessenlage. Eine entsprechende Anwendung des § 15 Abs. 6 AGG wäre mit dem mit § 78 BetrVG auch verfolgten Zweck der Sicherung der Ämterkontinuität des Betriebsrats nicht vereinbar.
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(4) Besteht zwischen einem Betriebsratsmitglied und dem Arbeitgeber Streit darüber, ob der Arbeitgeber das Betriebsratsmitglied durch die Ablehnung eines Folgevertrags unzulässig wegen seiner Betriebsratstätigkeit benachteiligt hat, gilt im Prozess ein abgestuftes System der Darlegungs-, Einlassungs- und Beweislast.
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(a) Grundsätzlich trägt das Betriebsratsmitglied, das den Arbeitgeber auf Abschluss eines Folgevertrags in Anspruch nimmt, die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen einer unzulässigen Benachteiligung (vgl. zu § 612a BGB BAG 21. September 2011 - 7 AZR 150/10 - Rn. 37; 23. April 2009 - 6 AZR 189/08 - Rn. 13, BAGE 130, 347). Das entspricht dem allgemeinen Grundsatz, wonach derjenige, der ein Recht für sich in Anspruch nimmt, die Darlegungs- und Beweislast für die anspruchsbegründenden Tatsachen trägt (vgl. etwa BAG 25. April 2013 - 8 AZR 287/08 - Rn. 35).
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(b) Es gibt keinen Erfahrungssatz, wonach die Entscheidung eines Arbeitgebers, mit einem befristet beschäftigten Betriebsratsmitglied keinen Folgevertrag zu schließen, auf dessen Betriebsratstätigkeit beruht. Daher ist weder Raum für eine entsprechende tatsächliche Vermutung noch für die Grundsätze des Anscheinsbeweises. Auch die Beweislastregel des § 22 AGG(vgl. dazu näher BAG 25. April 2013 - 8 AZR 287/08 - Rn. 36 ff.) findet weder unmittelbar noch entsprechend Anwendung. Allerdings ist durchaus die darin zum Ausdruck kommende gesetzgeberische Wertung zu berücksichtigen, wonach es demjenigen, der eine Benachteiligung aus einem von der Rechtsordnung missbilligten Grund geltend macht, nicht durch die prozessuale Verteilung der Beweislast in unzumutbarer Weise erschwert werden darf, die sich daraus ergebenden Ansprüche gerichtlich durchzusetzen. Insbesondere ist dem Umstand Rechnung zu tragen, dass es sich bei der Frage, ob der Abschluss eines Folgevertrags vom Arbeitgeber wegen der Betriebsratstätigkeit abgelehnt wird, um eine in der Sphäre des Arbeitgebers liegende „innere Tatsache“ handelt, die einer unmittelbaren Wahrnehmung durch den Arbeitnehmer oder Dritte nicht zugänglich ist (vgl. dazu, dass den Schwierigkeiten des Arbeitnehmers, wegen fehlender eigener Kenntnis die Missbräuchlichkeit einer sachgrundlosen Befristung darzulegen, durch die Grundsätze der abgestuften Darlegungs- und Beweislast Rechnung zu tragen ist, BAG 4. Dezember 2013 - 7 AZR 290/12 - Rn. 26; 19. März 2014 - 7 AZR 527/12 - Rn. 26).
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(c) Hieraus folgt zum einen, dass der klagende Arbeitnehmer trotz fehlender genauer Kenntnis ohne Verstoß gegen seine zivilprozessuale Wahrheitspflicht (§ 138 Abs. 1 ZPO) die Behauptung aufstellen darf, ihm sei gerade wegen seiner Betriebsratstätigkeit der Abschluss eines Folgevertrags verweigert worden (vgl. in diesem Zusammenhang etwa BGH 20. September 2002 - V ZR 170/01 - zu II 2 b der Gründe mwN; 13. Juli 1988 - IVa ZR 67/87 - zu II 1 der Gründe). Der beklagte Arbeitgeber muss sich zu der Behauptung wahrheitsgemäß erklären (§ 138 Abs. 1 und Abs. 2 ZPO; vgl. dazu BAG 20. November 2003 - 8 AZR 580/02 - zu II 3 b aa der Gründe). Bestreitet er diese nicht ausdrücklich, gilt sie nach Maßgabe des § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden. Eine Erklärung mit Nichtwissen ist, nachdem dem Arbeitgeber seine eigenen Motive bekannt sind, nicht zulässig (§ 138 Abs. 4 ZPO).
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(d) Der Umstand, dass es sich bei der entscheidungserheblichen Haupttatsache um eine „innere Tatsache“ des Arbeitgebers handelt, bedeutet zum anderen, dass der Arbeitnehmer für das Vorliegen dieser Tatsache - außer einem Antrag nach § 445 Abs. 1 ZPO auf Vernehmung des Arbeitgebers als Partei - keinen unmittelbaren Beweis antreten kann. Vielmehr ist er auf eine Beweisführung durch den Vortrag von Hilfstatsachen (Indizien) verwiesen, die ihrerseits den Schluss auf die zu beweisende Haupttatsache rechtfertigen (vgl. BAG 20. November 2003 - 8 AZR 580/02 - zu II 3 a aa der Gründe; zu § 22 AGG BAG 25. April 2013 - 8 AZR 287/08 - Rn. 37; vgl. auch BGH 26. April 2010 - II ZR 60/09 - Rn. 9). So kann das Betriebsratsmitglied etwa darlegen, dass der Arbeitgeber allen anderen Arbeitnehmern Folgeverträge angeboten hat, oder es kann Äußerungen des Arbeitgebers im Zusammenhang mit der Betriebsratstätigkeit des Arbeitnehmers schildern, welche darauf schließen lassen, dass der Arbeitgeber einen Folgevertrag gerade wegen der Betriebsratstätigkeit abgelehnt hat. Auch zu diesen Hilfstatsachen muss sich der Arbeitgeber nach § 138 Abs. 2 ZPO im Einzelnen konkret erklären. Er hat die Möglichkeit, die Hilfstatsachen zu bestreiten oder seinerseits Umstände darzutun, die geeignet sind, die Indizwirkung der vom Arbeitnehmer vorgetragenen Hilfstatsachen zu entkräften. Insbesondere kann er die Gründe offenlegen, die für ihn maßgeblich waren, mit dem Arbeitnehmer keinen Folgevertrag zu schließen. Hierzu kann sich sodann wiederum der Arbeitnehmer erklären.
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(e) Nach § 286 Abs. 1 ZPO ist es schließlich Sache des Tatsachengerichts, sich unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme eine Überzeugung darüber zu bilden, ob der Arbeitgeber den Abschluss eines Folgevertrags mit dem befristet beschäftigten Betriebsratsmitglied gerade wegen dessen Betriebsratstätigkeit abgelehnt hat(vgl. BAG 5. Dezember 2012 - 7 AZR 698/11 - Rn. 47, BAGE 144, 85; 20. November 2003 - 8 AZR 580/02 - zu II 3 b bb (4) der Gründe). Dabei darf das Gericht keine unerfüllbaren Beweisanforderungen stellen und keine unumstößliche Gewissheit bei der Prüfung verlangen, ob die Behauptung wahr und bewiesen ist. Vielmehr darf und muss sich der Richter in tatsächlich zweifelhaften Fällen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit begnügen, der den Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen (vgl. BGH 14. Januar 1993 - IX ZR 238/91 - zu B II 3 a der Gründe mwN). An die Würdigung des Berufungsgerichts ist das Revisionsgericht grundsätzlich gemäß § 559 Abs. 2 ZPO gebunden. Es kann lediglich überprüfen, ob das Berufungsgericht die Voraussetzungen des § 286 Abs. 1 ZPO gewahrt und eingehalten hat(BAG 20. November 2003 - 8 AZR 580/02 - zu II 3 b bb (4) der Gründe).
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bb) Nach diesen Grundsätzen ist das Landesarbeitsgericht vorliegend in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise zu dem Ergebnis gelangt, dass die Beklagte nicht gegen § 78 Satz 2 BetrVG verstoßen hat und die Klägerin daher nach § 280 Abs. 1, § 823 Abs. 2 BGB keinen auf Abschluss eines Folgevertrags gerichteten Schadensersatzanspruch hat. Das Landesarbeitsgericht ist von den Grundsätzen einer abgestuften Darlegungs- und Beweislast ausgegangen und hat bei der Subsumtion des festgestellten Sachverhalts alle wesentlichen Umstände widerspruchsfrei berücksichtigt. Es hat die Behauptung der Klägerin geprüft, wonach die Nichtverlängerung des Arbeitsverhältnisses auf ihrer Mitgliedschaft im Betriebsrat beruhe, und dabei den Vortrag der Klägerin gewürdigt, bei der Beklagten würden befristete Arbeitsverhältnisse regelmäßig verlängert und in unbefristete Arbeitsverhältnisse überführt. Es hat ferner in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise angenommen, die Beklagte sei diesem Vortrag substantiiert entgegengetreten, indem sie - von der Klägerin unwidersprochen - vorgetragen habe, dass die von der Klägerin benannten Mitarbeiter Frau G und Herr B nur befristet beschäftigt seien. Außerdem habe die Beklagte vier Mitarbeiter namentlich benannt, deren befristete Arbeitsverhältnisse nicht verlängert worden seien. Schließlich habe die Beklagte nachvollziehbare, in keinem Zusammenhang mit der Betriebsratstätigkeit der Klägerin stehende Gründe dafür vorgetragen, das Arbeitsverhältnis der Klägerin nicht fortzusetzen. Die Klägerin hat diese Feststellungen nicht mit beachtlichen Revisionsrügen angegriffen. Sie hat lediglich versucht, die Würdigung des Landesarbeitsgerichts durch eine eigene, abweichende Würdigung zu ersetzen. Die vom Landesarbeitsgericht gewonnene Überzeugung (§ 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO) ist daher für den Senat bindend (§ 559 Abs. 2 ZPO). Umstände, die ausnahmsweise die Berücksichtigung weiteren Tatsachenvorbringens der Klägerin im Revisionsverfahren rechtfertigen könnten, liegen nicht vor.
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III. Der „hilfshilfsweise“ gestellte Antrag zu 3. fällt, nachdem der Senat über den ersten Hilfsantrag in der Sache entscheidet, nicht zur Entscheidung an. Er ist nur für den Fall der Unzulässigkeit des ersten Hilfsantrags gestellt.
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IV. Auch der zu 4. für den Fall des Obsiegens mit dem Befristungskontrollantrag oder mindestens einem der beiden Hilfsanträge gestellte Weiterbeschäftigungsantrag fällt nicht zur Entscheidung an.
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V. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
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Linsenmaier
Zwanziger
Kiel
Schuh
Krollmann
BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
- 1
- Die Klägerin ist Transportversicherer der G. B.V. mit Sitz in Amsterdam und der in Nürnberg ansässigen G. GmbH (im Weiteren: Versicherungsnehmerin). Sie nimmt die Beklagte aus übergegangenem und abgetretenem Recht wegen des Verlusts von Transportgut auf Schadensersatz in Anspruch.
- 2
- Die Versicherungsnehmerin beauftragte die Beklagte im Juni 2007 mit der Beförderung eines Containers von Istanbul/Türkei nach Nürnberg. Der Container enthielt nach dem Vortrag der Klägerin Fernsehgeräte. Mit der Durchführung des Transports beauftragte die Beklagte ihre Streithelferin zu 1, die ihrerseits die ebenfalls auf der Seite der Beklagten beigetretene Streithelferin zu 2 beauftragte. Von Istanbul bis Wien erfolgte der Transport auf der Schiene. Nach der Ankunft in Wien übernahm ein Fahrer der Streithelferinnen den Container zum Weitertransport nach Nürnberg zur Versicherungsnehmerin. Dort kam der Container nicht an, weil er am 29. Juni 2007 auf einem Parkplatz in Wien von unbekannten Tätern entwendet wurde.
- 3
- Die Klägerin hat behauptet, die in dem Container transportierten Fernsehgeräte hätten einen Wert von 145.778,20 € gehabt. Sie habe an die G. B.V., die die Geräte zum Zeitpunkt des Verlusts bereits gekauft gehabt habe, unter Berücksichtigung einer im Versicherungsvertrag vereinbarten Selbstbeteiligung von 1.500 € eine Entschädigung in Höhe von 144.278,20 € gezahlt. Den von ihr nicht erstatteten Betrag von 1.500 € könne sie aus abgetretenem Recht der G. B.V. geltend machen.
- 4
- Die Klägerin hat die Beklagte daher auf Zahlung von 145.778,20 € nebst Zinsen in Anspruch genommen.
- 5
- Die Beklagte und ihre Streithelferinnen haben die Aktivlegitimation der Klägerin bestritten und darüber hinaus insbesondere in Abrede gestellt, dass das Gut in dem behaupteten Umfang während ihrer Obhutszeit abhandengekommen ist.
- 6
- Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Die dagegen gerichtete Berufung ist erfolglos geblieben.
- 7
- Mit der vom Senat beschränkt auf die vom Berufungsgericht festgestellte Höhe des Schadens zugelassenen Revision verfolgt die Streithelferin zu 1 ihren Antrag auf Abweisung der Klage weiter. Die Klägerin beantragt, das Rechtsmittel zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe:
- 8
- I. Das Berufungsgericht hat den geltend gemachten Schadensersatzanspruch gemäß § 452 Satz 1, § 452a Satz 1 HGB, Art. 17 Abs. 1, Art. 29 Abs. 1, Art. 13 Abs. 1 Satz 2 CMR in Verbindung mit § 398 BGB, § 67 Abs. 1 VVG aF für begründet erachtet. Zur Schadenshöhe, um die es in der Revisionsinstanz allein noch geht, hat es ausgeführt:
- 9
- Der Schadensersatz verlangende Kläger müsse grundsätzlich darlegen und gegebenenfalls beweisen, dass der Verlust des Transportguts während der Obhut des Beklagten eingetreten und wie hoch der Schaden sei. Im Streitfall spreche ein Anscheinsbeweis für die Richtigkeit des von der Klägerin zum Inhalt des entwendeten Containers gehaltenen Vortrags, da das Frachtgut dem Frachtführer unstreitig in einem verschlossenen Transportcontainer übergeben worden und dieser - ebenfalls unstreitig - in der Obhut des Frachtführers verlorengegangen sei. Dieser Anschein werde durch die vorgelegten Urkunden verstärkt. Der Beklagten sei es nicht gelungen, den zugunsten der Klägerin sprechenden Anscheinsbeweis zu erschüttern. Einer zusätzlichen Beweiserhebung durch Vernehmung der von den Parteien benannten Zeugen bedürfe es unter diesen Umständen nicht.
- 10
- Der zu ersetzende Schaden bestehe in Höhe der Klageforderung. Nach Art. 23 Abs. 2 CMR sei der Marktpreis zu ersetzen, der sich aus der von der Klägerin vorgelegten Handelsrechnung ergebe und 193.580 US-Dollar (umgerechnet 145.778,20 €) betrage. Bei einer Berechnung des Schadens nach § 429 HGB ergebe sich ebenfalls ein Schadensersatzanspruch in der zuerkannten Höhe. Auf die Haftungshöchstgrenzen des Art. 23 Abs. 3 CMR und des § 431 HGB könne sich die Beklagte nicht berufen, da ihr ein qualifiziertes Verschulden im Sinne von Art. 29 Abs. 1 CMR in Verbindung mit § 435 HGB anzulasten sei.
- 11
- II. Die gegen diese Beurteilung gerichteten Angriffe der Revision führen zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
- 12
- 1. Die Rügen der Revision gegen die Beurteilung des Berufungsgerichts, aufgrund eines von der Beklagten nicht erschütterten Anscheinsbeweises stehe fest, dass der entwendete Container die von der Klägerin behauptete Anzahl von Fernsehgeräten enthalten habe, sind begründet.
- 13
- a) Die Klägerin macht gegen die Beklagte wegen des Verlusts von Transportgut (Fernsehgeräte) einen Schadensersatzanspruch gemäß Art. 17 Abs. 1, Art. 29 Abs. 1 CMR in Verbindung mit § 435 HGB geltend. Sie muss daher substantiiert darlegen und, da die Beklagte die Sachdarstellung der Klägerin insoweit bestritten hat, auch beweisen, dass das Gut während der Obhutszeit der Beklagten abhandengekommen und wie hoch der eingetretene Schaden ist (st. Rspr.; BGH, Urteil vom 16. November 1995 - I ZR 245/93, TranspR 1996, 72, 74 = VersR 1996, 913 zu § 407 HGB aF; Urteil vom 26. April 2007 - I ZR 31/05, TranspR 2007, 418 Rn. 13 mwN zu Art. 17 CMR; Koller, Transportrecht, 7. Aufl., Art. 17 CMR Rn. 12; MünchKomm.HGB/Jesser-Huß, 2. Aufl., Art. 18 CMR Rn. 5). Dies umfasst neben dem Beweis der Übernahme von Gütern als solchen auch den Nachweis ihrer Identität, ihrer Art, ihrer Menge und ihres Zustands (BGH, TranspR 2007, 418 Rn. 13; Koller aaO Art. 17 CMR Rn. 12). Die Frage, ob der Schadensersatz verlangende Kläger den ihm obliegenden Beweis geführt hat, ist grundsätzlich nach den allgemeinen Regeln des Zivilprozessrechts, insbesondere nach § 286 ZPO, zu beurteilen (BGH, TranspR 2007, 418 Rn. 13; Helm, Frachtrecht II, CMR, Art. 17 Rn. 46). Die Bildung der richterlichen Überzeugung davon, dass sich in dem entwendeten Container bei Übernahme durch die Beklagte Fernsehgeräte in der von der Klägerin behaupteten Anzahl befanden, setzt einen Grad an Gewissheit voraus, der Zweifeln Schweigen gebietet (vgl. BGH, Urteil vom 4. November 2003 - VI ZR 28/03, NJW 2004, 777, 778 = VersR 2004, 118; BGH, TranspR 2007, 418 Rn. 13).
- 14
- b) Danach steht der Klägerin im Streitfall der Anscheinsbeweis nicht zur Seite.
- 15
- aa) Das Berufungsgericht hat angenommen, es gehe im vorliegenden Fall um die Frage, ob sich die von der Klägerin behaupteten Güter in dem abhandengekommenen Transportcontainer befunden hätten. Bei einer solchen Fallgestaltung greife zugunsten der Klägerin ein Anscheinsbeweis ein, da das Transportgut dem Frachtführer unstreitig in einem verschlossenen Behältnis (dem Transportcontainer) übergeben worden und dieser unstreitig in der Obhut des Frachtführers verlorengegangen sei. Die Rechtsprechung wende den Anscheinsbeweis zwar dann nicht an, wenn darüber gestritten werde, ob nur ein Teil der Lieferung in die Obhut des Frachtführers gelangt sei. Eine solche Fallkonstellation sei im Streitfall jedoch nicht gegeben, weil die Beklagte den gesamten Container erhalten habe und es daher darum gehe, welche Waren sich in diesem der Beklagten zum Transport übergebenen verschlossenen Behältnis befunden hätten. Die vorgelegten Urkunden rechtfertigten im vorliegenden Fall auch einen Anscheinsbeweis zugunsten der Klägerin. Diese Beurteilung hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
- 16
- bb) Das Berufungsgericht hat zu Unrecht angenommen, dass die Klägerin sich im Streitfall auf die Grundsätze des Anscheinsbeweises stützen kann. Soweit es sich dabei auf die Senatsrechtsprechung berufen hat, hat es unberücksichtigt gelassen, dass der Senat von seiner früher vertretenen Auffassung mittlerweile abgerückt ist. Nach dieser - nicht mehr aktuellen - Rechtsprechung konnte der Anscheinsbeweis in Fallgestaltungen angewendet werden, in denen das zu befördernde Gut dem Frachtführer in einem verschlossenen Behältnis (Karton) übergeben worden und in dessen Obhut verlorengegangen war (vgl. nur BGH, Urteil vom 24. Oktober 2002 - I ZR 104/00, TranspR 2003, 156, 159; Urteil vom 20. Juli 2006 - I ZR 9/05, TranspR 2006, 394, 395 = VersR 2007, 564). Nach der neueren Senatsrechtsprechung unterliegt die Würdigung der Umstände, die für Umfang und Wert einer verlorengegangenen Sendung sprechen , stets der freien richterlichen Beweiswürdigung gemäß § 286 ZPO (BGH, TranspR 2007, 418 Rn. 13; BGH, Urteil vom 2. April 2009 - I ZR 60/06, TranspR 2009, 262 Rn. 24; Urteil vom 29. Oktober 2009 - I ZR 191/07, TranspR 2010, 200 Rn. 31). Der Tatrichter hat sich die Überzeugung von der Richtigkeit des behaupteten Umfangs einer Sendung daher anhand der gesamten Umstände des Einzelfalls, insbesondere aufgrund von vorgelegten Lieferscheinen und da- zu korrespondierenden Rechnungen, zu bilden. Dafür ist es grundsätzlich nicht erforderlich, dass sowohl Lieferscheine als auch korrespondierende Rechnungen zum Nachweis des Sendungsumfangs vorgelegt werden. Der Tatrichter kann sich die Überzeugung von der Richtigkeit des behaupteten Inhalts einer Sendung auch dann bilden, wenn nur eines der beiden Dokumente vorgelegt wird und der beklagte Frachtführer dagegen keine substantiierten Einwände erhebt (BGH, Urteil vom 20. September 2007 - I ZR 44/05, TranspR 2008, 163 Rn. 34 f.; Versäumnisurteil vom 22. Oktober 2009 - I ZR 119/07, TranspR 2010, 73 Rn. 20; BGH, TranspR 2010, 200 Rn. 31).
- 17
- cc) Dem angefochtenen Urteil kann nicht entnommen werden, dass das Berufungsgericht auch auf der Grundlage des § 286 ZPO davon überzeugt gewesen wäre, dass der entwendete Transportcontainer den von der Klägerin behaupteten Inhalt hatte. Die von der Klägerin vorgelegten Unterlagen (CMRFrachtbrief , Handelsrechnung, Lieferschein und Fahrzeugcheckliste) rechtfertigen eine solche Annahme nicht ohne weiteres. Für vom Anspruchsteller behauptete Paketinhalte hat der Senat zwar entschieden, dass sich der Tatrichter die Überzeugung von der Richtigkeit anhand eines Lieferscheins oder einer dazu korrespondierenden Rechnung bilden kann, wenn der beklagte Frachtführer dagegen keine substantiierten Einwände vorbringt. Der Tatrichter muss aber prüfen, ob die zum Nachweis eines behaupteten Schadens vorgelegten Dokumente in sich schlüssig und geeignet sind, den Vortrag des Anspruchstellers zum entstandenen Schaden zu belegen (BGH, TranspR 2010, 73 Rn. 20).
- 18
- Das Berufungsgericht hat lediglich geprüft, ob die vorgelegten Unterlagen im Streitfall die Anwendung eines Anscheinsbeweises zugunsten der Klägerin rechtfertigen. Es hat dies bejaht, weil im CMR-Frachtbrief, im Lieferschein vom 21. Juni 2007, in der Handelsrechnung vom 22. Juni 2007 und in der Fahrzeugcheckliste an verschiedenen Stellen - jeweils übereinstimmend - die Con- tainernummer, die Anzahl der im Container befindlichen Packstücke und der Verkaufspreis angegeben seien. Es hat zudem darauf abgestellt, dass die Vertragsparteien "des Transportvertrags" (gemeint ist ersichtlich: des Kaufvertrags) jeweils Kaufleute seien und deshalb davon auszugehen sei, dass die Verkäuferin die in den vorgelegten Urkunden bezeichneten Waren auch tatsächlich zum Versand gebracht habe. Diesen Ausführungen kann nicht mit der gebotenen Deutlichkeit entnommen werden, dass das Berufungsgericht im Rahmen von § 286 Abs. 1 ZPO geprüft hat, ob die vorgelegten Dokumente geeignet sind, den Vortrag der Klägerin zum entstandenen Schaden zu belegen.
- 19
- dd) Das Berufungsgericht hat darüber hinaus nicht beachtet, dass die zum Inhalt von verlorengegangenen Paketen aufgestellten Grundsätze auf die im Streitfall zu beurteilende Fallgestaltung nicht ohne weiteres übertragbar sind. Es hat zugunsten der Beklagten unterstellt, dass sie einen bereits vorgeladenen und anschließend verschlossenen und verplombten Container zum Transport übernommen hat. Mit seiner Unterschrift auf dem CMR-Frachtbrief (Anlage K 1) konnte der den Transportcontainer übernehmende Lkw-Fahrer mithin nur bestätigen , bei der türkischen Absenderin einen Container mit der Nummer PSSU982346-4 übernommen zu haben (vgl. BGH, TranspR 2003, 156, 158). Die Revision weist mit Recht darauf hin, dass das Verpacken von Waren in Kartons nicht gleichgesetzt werden kann mit dem Beladen eines Lkw, einer Wechselbrücke oder eines Containers. Bei einem Container handelt es sich nicht um ein vom kaufmännischen Absender zum Versand gebrachtes verschlossenes Behältnis (Karton) (so BGH, TranspR 2003, 156, 159), sondern um ein Transportmittel. Bei der Versendung von Paketen ist eine in Täuschungsabsicht vorgenommene Fehlbestückung durch den Verkäufer oder seine Bediensteten im Allgemeinen eher unwahrscheinlich, weil nicht vorausgesehen werden kann, ob gerade dasjenige Paket verlorengeht, das nur unzureichend bestückt wurde. Bei einem vom Versender selbst vorgeladenen und verplombten Transportcon- tainer, dessen Inhalt vom Frachtführer bei der Übernahme nicht überprüft werden kann, besteht dagegen die Möglichkeit, gerade diesen Container gezielt entwenden zu lassen. Der Anreiz für eine Fehlbeladung eines vom Versender selbst verschlossenen und verplombten Transportcontainers ist daher deutlich größer als bei einem Paket.
- 20
- Das Berufungsgericht wird daher im wiedereröffneten Berufungsverfahren - gegebenenfalls nach Vernehmung weiterer Zeugen - klären müssen, ob nach diesen Grundsätzen zur Überzeugung des Gerichts festgestellt werden kann, dass der entwendete Transportcontainer den von der Klägerin behaupteten Inhalt hatte. Dabei wird das Berufungsgericht auch den Vortrag der Streithelferin zu 1 zu berücksichtigen haben, in drei Fällen hätten von derselben Absenderin beladene und verplombte Container bei der Ankunft am Abladeort weniger Frachtstücke enthalten als in den dazugehörigen Frachtpapieren ausgewiesen gewesen seien.
- 21
- 3. Die Angriffe der Revision gegen die Ausführungen des Berufungsgerichts zur Höhe des zu ersetzenden Schadens greifen nicht durch.
- 22
- a) Die Rüge, das Berufungsgericht hätte bei der Schadensberechnung nach Art. 23 Abs. 2 CMR auch die Haftungshöchstgrenze gemäß Art. 23 Abs. 3 CMR berücksichtigen müssen (vgl. BGH, Urteil vom 30. September 2010 - I ZR 39/09, BGHZ 187, 141 Rn. 41 ff. = TranspR 2010, 437), hat schon deshalb keinen Erfolg, weil das Berufungsgericht den Schaden nicht nur auf der Grundlage der CMR-Bestimmungen, sondern - rechtsfehlerfrei (dazu nachfolgend ) - auch nach § 429 HGB berechnet hat und dabei zum identischen Ergebnis gelangt ist.
- 23
- b) Ohne Erfolg bleibt auch die weitere Rüge der Revision, soweit das Berufungsgericht die Schadensberechnung auf die Vermutung des § 429 Abs. 3 Satz 2 HGB gestützt habe, habe es verfahrensfehlerhaft angenommen, der von der Klägerin vorgelegten Handelsrechnung (Anlage K 2) habe ein Kaufgeschäft zwischen der türkischen Produzentin der Fernsehgeräte und der niederländischen G. B.V. zugrunde gelegen. Die Beklagte habe dies bereits in erster Instanz bestritten und daher in ihrer Berufungsbegründung auch gerügt, dass das Landgericht ihr Bestreiten zu Unrecht nicht berücksichtigt habe. Gleichwohl sei das Berufungsgericht von einem Kaufvertrag ausgegangen. Damit habe es seinem Urteil zu Lasten der Beklagten eine streitige Tatsache zugrunde gelegt.
- 24
- Entgegen der Ansicht der Revision liegt der gerügte Verfahrensverstoß des Berufungsgerichts nicht vor. Das Berufungsgericht ist angesichts der vorgelegten Handelsrechnung ersichtlich davon ausgegangen, dass die Beklagte das Zustandekommen eines Kaufvertrags über das entwendete Gut nicht hinreichend substantiiert bestritten hat. Es konnte daher als unstreitig annehmen, dass das Gut schon vor der Entwendung an die G. B.V. veräußert worden war. Ohne nähere konkrete Anhaltspunkte musste das Berufungsgericht nicht davon ausgehen, dass es nicht zum Abschluss des von der Klägerin dargelegten Kaufvertrags gekommen war.
- 25
- Die von der Revision gerügte rechtsfehlerhafte Auslegung des § 429 Abs. 3 Satz 2 HGB liegt ebenfalls nicht vor, weil das verlorengegangene Gut bereits vor der Übernahme zur Beförderung veräußert wurde, und zwar von der rechtlich selbständigen türkischen Produzentin an die ebenfalls rechtlich selbständige G. B.V.
- 26
- III. Danach ist das Berufungsurteil auf die Revision der Streithelferin zu 1 der Beklagten aufzuheben. Die Sache ist, da weitere tatrichterliche Feststellungen erforderlich sind, an das Berufungsgericht zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 ZPO).
Schaffert Koch
Vorinstanzen:
LG Nürnberg-Fürth, Entscheidung vom 25.09.2009 - 2 HKO 5518/08 -
OLG Nürnberg, Entscheidung vom 15.12.2010 - 12 U 2150/09 -
(1) Das Gericht hat unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten sei. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.
(2) An gesetzliche Beweisregeln ist das Gericht nur in den durch dieses Gesetz bezeichneten Fällen gebunden.
Tenor
-
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts München vom 21. August 2012 - 6 Sa 1149/11 - aufgehoben.
-
Der Rechtsstreit wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens - an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
- 1
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Die Parteien streiten über die Wirksamkeit der Befristung des letzten zwischen ihnen geschlossenen Arbeitsvertrages.
- 2
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Die Klägerin arbeitete ab dem 5. Mai 1999 aufgrund mehrfacher Befristung ununterbrochen für den Beklagten im Klinikum der Ludwig-Maximilians-Universität München, Campus G, in der Herzchirurgischen Klinik und Poliklinik. Sie ist promovierte Fachärztin für Herzchirurgie. In diesem Fachgebiet wurde ihr von der Ludwig-Maximilians-Universität unter dem 5. Januar 2011 aufgrund des während des Arbeitsverhältnisses zum Beklagten durchgeführten Habilitationsverfahrens auch die Lehrbefugnis mit dem Recht zur Führung der Bezeichnung Privatdozentin erteilt. Arbeits- und Forschungsschwerpunkt der Klägerin ist Gender-Medizin.
- 3
-
Die letzte Befristung beruhte auf einem Dokument, das datiert auf den „26.5.09“ erstellt wurde. Danach wurde das Arbeitsverhältnis der Parteien auf der Basis einer Vollbeschäftigung ab dem 1. Juni 2009 befristet bis zum 28. Februar 2011 verlängert. Als Befristungsbegründung war durch Ankreuzen entsprechender Kästchen in dem vorgedruckten Dokument angegeben zum einen „Beschäftigung nach abgeschlossener Promotion (§ 2 Abs. 1 S. 2 WissZeitVG)“ sowie zum anderen unter Hinweis auf „§ 14 Abs. 1 Nr. 7 TzBfG“ Vergütung aus „Haushaltsmitteln, die haushaltsrechtlich für eine befristete Beschäftigung bestimmt sind,“ und eine entsprechende Beschäftigung. In dem Dokument war ua. der Tarifvertrag für Ärztinnen und Ärzte an Universitätskliniken in Bezug genommen. Mit der vorgesehenen Befristung war die Höchstbefristungsdauer nach § 2 Abs. 1 Satz 2 WissZeitVG nicht überschritten. Datiert auf den 3. Juli 2009 wurde die Eingruppierung der Klägerin geändert.
- 4
-
Unter dem 26. Mai 2009 erhielt die Klägerin ferner von der Abteilung für Personal und Rechtsangelegenheiten ein Schreiben, das wie folgt lautet:
-
„Bestellung zur Oberärztin gem. § 12 des Tarifvertrages für Ärztinnen und Ärzte an Universitätskliniken (TV-Ärzte)
Sehr geehrte Frau Dr. E,
gemäß § 12 TV-Ärzte werden Sie im Namen und im Auftrag des Klinikumsvorstandes mit Wirkung vom 01.12.2008 zur Oberärztin in der Herzchirurgischen Klinik und Poliklinik bestellt.
Die Bestellung erfolgt unbefristet.
Es wird hiermit festgestellt, dass die medizinische Verantwortung für den Teil-/Funktionsbereich bereits seit dem 01.12.2008 übertragen wurde.
…“
- 5
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§ 12 TV-Ärzte betrifft die „Eingruppierung“ und lautet auszugsweise:
-
„Ärzte sind entsprechend ihrer nicht nur vorübergehend und zeitlich mindestens zur Hälfte auszuübenden Tätigkeit wie folgt eingruppiert:
Entgeltgruppe
Bezeichnung
…
Ä 3
Oberärztin/Oberarzt
Oberarzt ist derjenige Arzt, dem die medizinische Verantwortung für Teil- oder Funktionsbereiche der Klinik beziehungsweise Abteilung vom Arbeitgeber übertragen worden ist.
…“
- 6
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Obwohl sich Ende des Jahres 2010 sowohl der geschäftsführende Oberarzt der Herzchirurgischen Klinik und Poliklinik des Klinikums, in der die Klägerin tätig war, als auch der Klinikdirektor für eine unbefristete Beschäftigung der Klägerin einsetzten, hielt der Beklagte am Ablauf des Arbeitsverhältnisses Ende Februar 2011 fest. Das teilte er der Klägerin unter dem 21. Dezember 2010 mit. Die Klägerin schaltete daraufhin zur Klärung der Wirksamkeit ihrer Befristung ihren späteren Prozessbevollmächtigten ein. Dieser zeigte dem Beklagten mit Schreiben vom 4. Februar 2011 seine Vertretungsbefugnis an, beantragte Akteneinsicht unter Hinweis darauf, es müssten die vollständigen Personalakten im materiellen Sinne vorgelegt werden, und bat um die Möglichkeit zur Erstellung von Kopien bei Gelegenheit der Akteneinsicht. In dem Schreiben heißt es dann weiter:
-
„Im Arbeitsvertrag vom 26.05.2009 wird für die Zeit bis 28.02.2011 nicht auf Beschäftigung aus Drittmitteln und auf Vergütung aus Drittmitteln verwiesen. Wir bitten deshalb um Klarstellung, dass der Arbeitsvertrag nicht zusätzlich, neben beiden genannten Begründungen nach § 2 Abs. 1 Satz 2 Wissenschaftszeitvertragsgesetz und § 14 Abs. 1 Nr. 7 TzBfG, als Drittmittelbefristung vereinbart worden ist.“
- 7
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Am 15. Februar 2011 nahm der Klägerinvertreter Akteneinsicht. Die Personalakte der Klägerin weist keine frühere Akteneinsicht durch die Klägerin persönlich aus. In der Personalakte befindet sich als „Entwurf“ das Dokument vom 26. Mai 2009 über das befristete Arbeitsverhältnis.
- 8
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Mit Schreiben vom 25. Februar 2011 machte der Klägerinvertreter rechtliche Bedenken gegen die Wirksamkeit der Befristung des Arbeitsverhältnisses der Parteien geltend, erklärte jedoch gleichzeitig, diese Bedenken seien noch nicht abschließend geklärt und über die Frage einer arbeitsgerichtlichen Überprüfung der Befristung noch nicht entschieden, es werde eine einvernehmliche außergerichtliche Lösung mit Weiterarbeit der Klägerin angestrebt.
- 9
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Die Personalabteilung des Klinikums bestellte die Klägerin am 2. März 2011 zu einem Gespräch. Ihr wurde mitgeteilt, eine weitere befristete Beschäftigung sei möglich. Sie müsse jedoch zunächst eine Erklärung unterzeichnen. Diese unter dem Briefkopf des Klinikums der Ludwig-Maximilians-Universität München „Kaufmännische Direktion ABT. II - Personalangelegenheiten“ erstellte Erklärung lautete:
-
„Zwischen dem Freistaat Bayern, vertreten durch das Klinikum der Universität München, und Frau Dr. E wird festgehalten, dass die Parteien sich darüber einig sind, dass der Arbeitsvertrag vom 26.05.2009, zuletzt geändert am 03.07.2009, am 28.02.2011 geendet hat.“
- 10
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Von Seiten des Beklagten war dieses Schriftstück bereits vom Leiter der Abteilung für Personalangelegenheiten unterzeichnet. Die Klägerin unterzeichnete es ebenfalls. Daraufhin wurde ihr das Vertragsangebot für eine befristete Weiterbeschäftigung vorgelegt. Es handelte sich um eine Weiterbeschäftigung für zwei Monate auf einer halben Stelle bei einem Viertel der bisherigen Vergütung. Den dahingehenden Vertrag unterzeichnete die Klägerin nicht. Ihre am 2. März 2011 abgegebene Erklärung ließ sie vorsorglich durch ihren späteren Prozessbevollmächtigten mit Schreiben vom 3. März 2011 anfechten.
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Eingehend beim Arbeitsgericht am 21. März 2011 und dem Beklagten zugestellt am 28. März 2011 hat die Klägerin Befristungskontrollklage erhoben und ihre Weiterbeschäftigung als Oberärztin verlangt. Mit ihrer Klage hat sie als Anlage in Ablichtung das mit „26.5.09“ datierte Dokument vorgelegt. Es ist mit „Entwurf“ überschrieben und enthält die Unterschrift der Klägerin. Arbeitgeberseitig ist das Schreiben jeweils unter Beifügung des Datums „15.4.09“ mit den Buchstaben „Ba“ und „Ei“ paraphiert.
- 12
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Erstmals in der Berufungsinstanz hat die Klägerin vorgebracht, das Dokument vom 26. Mai 2009 wahre hinsichtlich der Befristungsabrede nicht die Schriftform, da es von Seiten des Arbeitgebers lediglich paraphiert, jedoch nicht unterschrieben sei. Im Hinblick auf Vorhalte des Beklagten erklärte der Klägerinvertreter in der ersten Berufungsverhandlung vor dem Landesarbeitsgericht, die Unterlagen der Klägerin seien nicht vollständig gewesen. Der hier gegenständliche und andere Verträge hätten gefehlt, weswegen er Akteneinsicht beantragt habe. In den Akten des Beklagten habe er nur das vorgelegte Dokument unterzeichnet mit einer Paraphe vorgefunden. Nachdem das Landesarbeitsgericht darauf hingewiesen hatte, der zwischenzeitlich erfolgte Vortrag des Beklagten, in dessen Akten habe sich nur ein Entwurf befunden, das beidseitig unterzeichnete Exemplar sei der Klägerin ausgehändigt worden, sei seitens der Klägerin bislang nicht bestritten worden, hat der Klägerinvertreter weiter erklärt, es müsse bestritten werden, dass der Klägerin ein arbeitgeberseitig unterzeichnetes Vertragsexemplar ausgehändigt worden sei.
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Die Klägerin hat dann weiter schriftsätzlich vorgetragen, sie könne sich nicht mehr erinnern, wie ihre jeweiligen Verlängerungen befristeter Arbeitsverträge abgelaufen seien. Sie sei wohl bei Verlängerungen, jedenfalls bei einigen, persönlich in der Verwaltung der Klinik gewesen und habe dort ihre Unterschrift jeweils mit vollem Namen unter einen Vertrag geleistet. Ihre eigenen Unterlagen seien - wohl aufgrund zweier Umzüge - unvollständig. Als sie ihren späteren Prozessvertreter im Januar 2011 bevollmächtigt habe, habe sie nur die dem Gericht vorgelegte Version des Vertrages in den Händen gehabt, es habe sich um eine beidseitig bedruckte Fotokopie gehandelt. Sie gehe davon aus, dass sie dieses Dokument entweder am 26. Mai 2009 oder später in genau diesem Exemplar erhalten habe. Soweit im Büro des Prozessbevollmächtigten der Klägerin Kopien gefertigt würden, geschehe dies nur jeweils einseitig. Auch aus der Personalakte der Klägerin und der Praxis des Beklagten ergebe sich nicht, dass ständig jeder Vorgang schriftlich dokumentiert werde. Sie erinnere sich auch nicht, schon im Mai 2009 das vorgelegte Dokument unterzeichnet zu haben und nicht erst im Nachgang, etwa bei Änderung der Eingruppierung am 3. Juli 2009 und damit nach Arbeitsaufnahme. Die Klägerin hat Sachverständigenbeweis hinsichtlich des Alters der bei ihr vorhandenen Kopie des auf den 26. Mai 2009 datierten Dokuments im Verhältnis zu anderen Kopien angetreten.
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Die Klägerin hat zuletzt beantragt
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1.
festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht aufgrund vereinbarter Befristung zum 28. Februar 2011 geendet hat, sondern unbefristet fortbesteht,
2.
den Beklagten zu verurteilen, die Klägerin als Oberärztin in der Herzchirurgischen Klinik und Poliklinik weiterzubeschäftigen.
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Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
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Er hat geltend gemacht, der Sachvortrag der Klägerin sei unglaubhaft. Ihr Prozessbevollmächtigter habe bereits vor der Akteneinsicht aus dem Arbeitsvertrag zitiert. Da er das später bei Gericht eingereichte Dokument bereits bei den Akten gehabt habe, könne die Unvollständigkeit im Hinblick auf die vertragliche Regelung kein Grund gewesen sein, Akteneinsicht in die Personalakte zu beantragen. Die Angaben des Prozessbevollmächtigten der Klägerin gegenüber dem Landesarbeitsgericht könnten deshalb nicht stimmen. Beim Klinikum sei es - wie allgemein beim Beklagten - üblich gewesen, Schriftstücke nur im paraphierten Entwurf bei den Akten zu behalten, jedoch im Original unterzeichnet an den anderen Beteiligten herauszugeben.
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Im Übrigen sei von einer wirksamen Befristung jedenfalls aufgrund der Vereinbarung vom 2. März 2011 auszugehen. Es habe sich um eine rechtsverbindliche Vereinbarung gehandelt. Sie sei auch nicht ohne Gegenleistung erfolgt, weil immerhin ein Angebot über eine befristete Beschäftigung seitens des Beklagten unterbreitet worden sei.
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Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Einen Hinweis nach § 17 Satz 2 TzBfG iVm. § 6 KSchG hat es nicht erteilt. Auf die Berufung der Klägerin hat das Landesarbeitsgericht der Klage stattgegeben. Mit seiner vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte seinen Klageabweisungsantrag weiter. Die Klägerin begehrt die Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe
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Die Revision ist begründet. Sie führt zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Landesarbeitsgericht, die beide Anträge erfasst, da die Entscheidung über den Beschäftigungsantrag von der Entscheidung über die Befristungskontrollklage abhängig ist. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, der Beklagte habe den Beweis, es gebe ein von beiden Parteien mit Unterschrift versehenes Dokument, in dem die Befristungsabrede enthalten ist, nicht geführt. Zu dieser Annahme ist es in revisionsrechtlich zu beanstandender Weise gekommen. Die Entscheidung stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar. Ebenso wenig ist der Rechtsstreit zugunsten des Beklagten entscheidungsreif.
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I. Zu seiner Annahme, der Beklagte habe den ihm obliegenden Beweis, es habe eine dem Schriftformerfordernis entsprechende Befristungsabrede vorgelegen, nicht geführt und daher sei von einer unwirksamen Befristung auszugehen, ist das Landesarbeitsgericht in revisionsrechtlich zu beanstandender Weise gekommen. Das führt zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Landesarbeitsgericht.
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1. Im Ergebnis zu Recht ist das Landesarbeitsgericht davon ausgegangen, dass die Klägerin nicht gehindert war, diesen Unwirksamkeitsgrund erstmals im Berufungsverfahren vorzubringen. § 17 Satz 2 TzBfG iVm. § 6 KSchG steht nicht entgegen. Danach kann der Kläger im Rahmen eines Befristungskontrollverfahrens alle Gründe für die Unwirksamkeit der Befristung bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz geltend machen, worauf ihn das Arbeitsgericht hinweisen soll. Wird - wie hier - ein derartiger Hinweis nicht einmal in allgemeiner Form erteilt, steht die Regelung der Einführung weiterer möglicher Unwirksamkeitsgründe im Berufungsverfahren nicht entgegen (vgl. BAG 4. Mai 2011 - 7 AZR 252/10 - Rn. 20, BAGE 138, 9; vgl. auch BAG 18. Januar 2012 - 6 AZR 407/10 - Rn. 12 ff., BAGE 140, 261).
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2. Zu Recht ist das Landesarbeitsgericht auch davon ausgegangen, dass das von der Klägerin in Ablichtung in das Verfahren eingeführte in den Personalakten beim Beklagten befindliche Dokument keine wirksame Befristungsabrede enthält.
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a) Nach § 14 Abs. 4 TzBfG bedarf die Befristung eines Arbeitsvertrages zur ihrer Wirksamkeit der Schriftform. Das erfordert nach § 126 Abs. 1 BGB eine eigenhändig vom Aussteller durch Namensunterschrift oder mittels notariell beglaubigten Handzeichens unterzeichnete Urkunde. Bei einem Vertrag muss nach § 126 Abs. 2 Satz 1 BGB die Unterzeichnung der Parteien auf derselben Urkunde erfolgen. Werden über den Vertrag mehrere gleichlautende Urkunden aufgenommen, genügt es, wenn jede Partei die für die andere Partei bestimmte Urkunde unterzeichnet (§ 126 Abs. 2 Satz 2 BGB; vgl. zum Ganzen BAG 25. März 2009 - 7 AZR 59/08 - Rn. 29). Nach § 1 Abs. 1 Satz 5 WissZeitVG gilt dies auch, soweit eine Befristung - wie hier - allein oder zusätzlich auf das Wissenschaftszeitvertragsgesetz gestützt wird. Das gesetzliche Schriftformerfordernis ist eine arbeitsvertragliche Vorschrift über befristete Arbeitsverträge. Das WissZeitVG enthält keine gegenteiligen Regelungen.
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b) Das im Verfahren in Ablichtung vorgelegte Dokument erfüllt diese Voraussetzungen nicht. Es ist arbeitgeberseitig nicht unterzeichnet iSv. § 126 BGB. Eine Unterzeichnung iSd. gesetzlichen Regelung verlangt einen Schriftzug, der sich als Wiedergabe eines Namens darstellt und die Absicht einer vollen Unterschriftsleistung erkennen lässt. Ein bloßes Handzeichen (Paraphe) - wie es hier vorliegt - wahrt nach der gesetzlichen Regelung die Schriftform nur im Falle notarieller Beglaubigungen (vgl. BAG 24. Januar 2008 - 6 AZR 519/07 - Rn. 11, BAGE 125, 325); eine solche liegt nicht vor.
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3. Folgte man jedoch der Behauptung des Beklagten, es sei eine Urkunde erstellt und beidseitig mit vollem Namen unterzeichnet worden, die dem vorgelegten „Entwurf“ hinsichtlich der Befristungsabrede entspricht, läge eine formwirksame Befristungsabrede vor. Das Landesarbeitsgericht ist davon ausgegangen, die Existenz einer solchen Urkunde könne der Entscheidung nicht zugrunde gelegt werden. Zu dieser Annahme ist das Landesarbeitsgericht in revisionsrechtlich zu beanstandender Weise gekommen.
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a) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, der Sachvortrag der Klägerin erscheine nicht vollständig stimmig. Sie habe erst in zweiter Instanz und erst auf Hinweis des Gerichts, es sei bislang der Erhalt eines beidseits unterschriebenen Exemplars nicht bestritten, dieses Bestreiten nachgeholt. Bis dahin habe sie, die in einer Vielzahl befristeter Arbeitsverhältnisse beim Beklagten beschäftigt gewesen sei und der die Verwaltungspraxis des Beklagten bekannt gewesen sein müsse, nur auf ihre unvollständigen Unterlagen hingewiesen und dies mit Wohnungswechseln erklärt. Später habe sie zwar erklärt, das von ihr vorgelegte Vertragsexemplar sei das einzige, das ihr vorgelegen habe und vorliegt, aber auch insoweit ihre Wohnungswechsel in Bezug genommen. Trotz dieser äußeren und zu Bedenken Anlass gebenden Umstände sei von einem ausreichenden Bestreiten der Erstellung eines beidseits eigenhändig unterschriebenen Vertrages auszugehen, das die Beweisplicht des Beklagten auslöse. Das Landesarbeitsgericht hat sodann Zeugenbeweis erhoben und unter ausschließlicher Würdigung der Zeugenaussagen den Beweis als nicht geführt angesehen.
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b) Das hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Zu Recht ist das Landesarbeitsgericht zwar davon ausgegangen, dass die Klägerin das Vorhandensein eines der Schriftform genügenden Vertrages bestritten hat. Ebenso hat es im Ergebnis zu Recht angenommen, dass die Beweislast für das Vorhandensein eines solchen Dokuments den Beklagten trifft. In revisionsrechtlich zu beanstandender Weise ist das Landesarbeitsgericht jedoch nach Beweisaufnahme davon ausgegangen, dass der Beklagte den dahingehenden Beweis nicht geführt hat. Das führt zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Landesarbeitsgericht.
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aa) Mit dem Landesarbeitsgericht ist davon auszugehen, dass die Klägerin das Vorhandensein eines beidseitig unterzeichneten Exemplars des Arbeitsvertrages mit der Befristungsabrede wirksam bestritten hat.
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(1) Die Klägerin hat angegeben, sich nicht mehr genau an den Ablauf der Unterzeichnung der Vereinbarung über ihr letztes befristetes Arbeitsverhältnis erinnern zu können. Sie hat ferner darauf verwiesen, bei ihr lägen keine Unterlagen mehr vor. Damit hat die Klägerin mit Nichtwissen bestritten, dass ein solches Dokument jeweils vorgelegen hat.
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(2) Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht angenommen, dass die von ihm herausgearbeiteten Widersprüchlichkeiten der Angaben der Klägerin einer Berücksichtigung dieses Bestreitens nicht entgegenstehen. Soweit sich im Laufe des Verfahrens Widersprüche hinsichtlich der Frage ergeben haben, welche Dokumente die Klägerin zu welchem Zeitpunkt in Händen hielt, sind sie durch die Ausführungen der Klägerin im weiteren Berufungsverfahren bereinigt worden, so dass kein wegen Widersprüchlichkeit unbeachtlicher Vortag vorlag. Eine solche Klarstellung ist zulässig (vgl. BGH 13. März 2012 - II ZR 50/09 - Rn. 16).
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(3) Die Klägerin war auch berechtigt, das Verhalten einer beidseits unterzeichneten Urkunde mit Nichtwissen iSv. § 138 Abs. 4 ZPO zu bestreiten, obwohl es um Gegenstände ihrer eigenen Wahrnehmung geht.
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Nach § 138 Abs. 4 ZPO ist eine Erklärung mit Nichtwissen nur über Tatsachen zulässig, die weder eigene Handlung der Partei noch Gegenstand ihrer eigenen Wahrnehmung gewesen sind. Da es um ein Schriftstück geht, das die Klägerin selbst unterzeichnet und erhalten haben soll, lägen diese Voraussetzungen an sich nicht vor. Jedoch fordert der Anspruch auf rechtliches Gehör nach Art. 103 GG iVm. Art. 2 Abs. 1 GG und dem in Art. 20 Abs. 3 GG verankerten Rechtsstaatsprinzip ein Ausmaß an rechtlichem Gehör, das sachgemäß ist. Es muss einer Prozesspartei möglich sein, Tatsachen, die sie zum Zeitpunkt ihres Prozessvortrages nicht mehr weiß und auch nicht zumutbar durch Nachforschungen feststellen kann, mit Nicht-mehr-wissen zu bestreiten (BAG 13. November 2007 - 3 AZN 449/07 -). Dies ist hier der Fall. Die Klägerin hat plausibel gemacht, sich an den maßgeblichen Vorgang nicht mehr erinnern und aus den ihr vorliegenden Unterlagen keine Feststellungen treffen zu können.
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bb) Im Ergebnis zu Recht ist das Landesarbeitsgericht auch davon ausgegangen, dass der Beweis für eine formwirksame Befristungsabrede iSv. § 14 Abs. 4 TzBfG hier dem Beklagten obliegt. Der Beklagte hat sich auf die Wirksamkeit der Befristung berufen. Die Formwirksamkeit der Befristungsabrede ist deshalb für ihn günstig. Nach dem Grundsatz, dass jede Partei die für sie günstigen Tatbestandsmerkmale beweisen muss (vgl. Kittner/Zwanziger/Deinert-Zwanziger 7. Aufl. § 147 Rn. 51, 133), hat der Beklagte zu beweisen, dass eine formwirksame Befristungsabrede vorliegt.
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cc) Zu seiner Annahme, der Beklagte habe den ihm obliegenden Beweis nicht geführt, ist das Landesarbeitsgericht in revisionsrechtlich zu beanstandender Weise gekommen.
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(1) Die freie richterliche Beweiswürdigung des Tatsachengerichts ist nur beschränkt revisibel. Die revisionsrechtliche Kontrolle beschränkt sich darauf, dass sich der Tatrichter entsprechend dem Gebot des § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO mit dem Prozessstoff umfassend und widerspruchsfrei auseinandergesetzt hat, die Beweiswürdigung also vollständig und rechtlich möglich ist und nicht gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstößt(BAG 27. März 2014 - 6 AZR 989/12 - Rn. 37). Der Angriff gegen die Beweiswürdigung des Landesarbeitsgerichts bedarf einer Verfahrensrüge (§ 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b, § 557 Abs. 3 Satz 2 ZPO; BAG 16. Januar 2008 - 7 AZR 603/06 - Rn. 20, BAGE 125, 248).
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(2) Der Beklagte hat hier eine Verfahrensrüge erhoben, die sich als begründet erweist. Das Landesarbeitsgericht hat gegen § 286 ZPO verstoßen.
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(a) Nach dieser Bestimmung hat das Gericht seine nach freier Überzeugung zu treffende Entscheidung, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten ist, nicht nur unter Berücksichtigung des Ergebnisses einer Beweisaufnahme, sondern des gesamten Inhalts der Verhandlungen zu treffen.
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(b) Das Landesarbeitsgericht hat fehlerhafterweise die von ihm selbst angeführten Punkte hinsichtlich der Widersprüchlichkeit des Vortrages der Klägerin seiner Entscheidung lediglich hinsichtlich der Frage zugrunde gelegt, ob die Klägerin das Vorhandensein einer bereits unterzeichneten Urkunde wirksam bestritten hat. Es hat sie jedoch nicht in die Tatsachenfeststellung miteinbezogen, ob tatsächlich eine solche Urkunde vorlag oder nicht, und insoweit allein auf das Ergebnis der Beweisaufnahme abgestellt. Das ist unzureichend (vgl. BGH 13. März 2012 - II ZR 50/09 - Rn. 16).
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Zudem hat das Berufungsgericht nicht alle Widersprüche im Prozessverhalten der KIägerin berücksichtigt. Insbesondere hat es bei seiner Überzeugungsbildung nicht den Umstand gewürdigt, dass der spätere Verfahrensbevollmächtigte der Klägerin jedenfalls nicht - wie von ihm in der ersten Berufungsverhandlung ua. zu Protokoll erklärt - auch wegen Fehlens des hier gegenständlichen Vertrages die Akteneinsicht beim Beklagten beantragt haben kann. Denn er hat bereits vor der Akteneinsicht aus dem von ihm so bezeichneten „Arbeitsvertrag vom 26.05.2009“ zitiert.
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dd) Das führt zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Landesarbeitsgericht. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Landesarbeitsgericht bei rechtsfehlerfreier Gesamtwürdigung zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre. Daher ist durch Zurückverweisung dem Landesarbeitsgericht Gelegenheit zur Vornahme einer erneuten und vollständigen Gesamtwürdigung zu geben (§ 563 Abs. 1 ZPO; vgl. BAG 27. März 2014 - 6 AZR 989/12 - Rn. 42). Entgegen der Ansicht des Beklagten ist dabei aber nicht von einer Umkehr der Beweislast oder einem gegenüber dem normalen verringerten Beweismaß zugunsten des Beklagten auszugehen. Es wäre dem Beklagten ohne weiteres möglich gewesen, ein beidseitig unterzeichnetes Exemplar des Arbeitsvertrages mit der Befristungsabrede auch für sich zu erstellen und zur Personalakte zu nehmen. Dass er dies nicht getan hat, führt nicht dazu, dass ihm im gerichtlichen Verfahren Erleichterungen zugutekommen. Zweifel, die bei einer vollständigen Würdigung des Parteivortrages verbleiben, gehen zu seinen Lasten. Ggf. wird das Landesarbeitsgericht zu prüfen haben, ob entsprechend dem Beweisantritt der Klägerin sachverständige Feststellungen über das Alter der bei ihr vorhandenen Unterlagen möglich sind und ob das für die Frage, ob ein beidseitig unterzeichnetes Exemplar des Arbeitsvertrages mit der Befristungsabrede erstellt wurde, aussagekräftig wäre.
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II. Die Zurückverweisung ist nicht deshalb entbehrlich, weil sich die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO).
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1. Aus ihrer unbefristeten Bestellung zur Oberärztin gemäß § 12 TV-Ärzte kann die Klägerin nichts herleiten.
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Selbst wenn man davon ausgeht, dass es sich insoweit um eine nichttypische Willenserklärung handelt, kann der Senat als Revisionsgericht sie selbst auslegen. Das Landesarbeitsgericht hat keine Auslegung vorgenommen und eine weitere Sachverhaltsaufklärung ist nicht erforderlich (vgl. BAG 24. November 2005 - 2 AZR 614/04 - Rn. 33, BAGE 116, 254).
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Wie sich aus der in der Bestellung enthaltenen Verweisung auf § 12 TV-Ärzte ergibt, ging es in dem Schreiben allein darum, die Grundlagen für die Eingruppierung der Klägerin nach § 12 TV-Ärzte zugunsten der Klägerin rechtsverbindlich festzulegen. Denn § 12 TV-Ärzte setzt die nicht nur vorübergehende Übertragung medizinischer Verantwortung für Teil- oder Funktionsbereiche der Klinik voraus(vgl. BAG 9. Dezember 2009 - 4 AZR 495/08 - BAGE 132, 365). Genau eine solche Übertragung enthielt das Schreiben vom 26. Mai 2009. Die unbefristete Bestellung diente lediglich dazu klarzustellen, dass es sich nicht nur um eine vorübergehende Übertragung im tariflichen Sinne handeln sollte.
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2. Mit den Parteien kann davon ausgegangen werden, dass die Voraussetzungen einer Befristung nach § 2 Abs. 1 Satz 2 WissZeitVG vorliegen. Bedenken sind insoweit nicht ersichtlich. Die Klägerin arbeitete an ihrer Habilitation und forschte deswegen. Damit gehörte sie zum wissenschaftlichen Personal nach § 1 Abs. 1 Satz 1 WissZeitVG. Die Ludwig-Maximilians-Universität München ist nach Landesrecht eine staatliche Hochschule (Art. 1 Abs. 2 Nr. 1 BayHSchG). Im Arbeitsvertrag war auch angegeben, dass die Befristung auf den Vorschriften des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes beruhte (§ 2 Abs. 4 Satz 1 WissZeitVG).
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III. Der Rechtsstreit ist auch nicht zugunsten des Beklagten entscheidungsreif (§ 563 Abs. 3 ZPO).
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1. Die Kündigung gilt nicht bereits nach § 17 Satz 2 TzBfG iVm. § 7 KSchG als wirksam. Die dreiwöchige Klagefrist nach § 17 Satz 1 TzBfG, die mit dem vereinbarten Ende des Arbeitsverhältnisses beginnt, ist eingehalten. Das Arbeitsverhältnis sollte mit dem 28. Februar 2011 auslaufen. Die Klage ging am 21. März 2011 beim Arbeitsgericht ein und wurde dem Beklagten am 28. März 2011 - also „demnächst“ - zugestellt (§ 188 Abs. 2, § 187 Abs. 1 BGB; § 167 ZPO).
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2. Der Beklagte kann auch nichts aus der von der Klägerin am 2. März 2011 unterzeichneten Erklärung herleiten.
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a) Das ergibt sich entgegen der Ansicht des Landesarbeitsgerichts allerdings nicht daraus, dass es sich bei dieser Erklärung um eine Wissens- und keine Willenserklärung gehandelt hat. Denn es liegt eine Willenserklärung vor. Die gegenteilige Auslegung des Landesarbeitsgerichts hält der revisionsrechtlichen Prüfung nicht stand.
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aa) Bei dem von der Klägerin mit unterzeichnetem Text vom 2. März 2011 handelt es sich um atypische Erklärungen der Parteien. Die Auslegung solcher individueller Erklärungen ist vom Revisionsgericht nur daraufhin zu überprüfen, ob das Berufungsgericht Auslegungsregeln verletzt, gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstoßen und wesentliche Tatsachen unberücksichtigt gelassen hat (BAG 22. Mai 2012 - 9 AZR 453/10 - Rn. 13 mwN). Diese Maßstäbe gelten auch, wenn es um die Frage geht, ob überhaupt eine Willenserklärung vorliegt (BAG 4. Dezember 1986 - 2 AZR 33/86 - zu II 1 der Gründe).
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bb) Auch diesem beschränkten Überprüfungsmaßstab wird die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts nicht gerecht. Die Auslegung des Landesarbeitsgerichts lässt wesentliche Tatsachen außer Acht. Es gab für die Parteien keinerlei Anlass, den völlig klaren Umstand, dass in dem die Befristung regelnden Dokument vom 26. Mai 2009 ein Ende des Arbeitsvertrages mit dem 28. Februar 2011 vorgesehen war, nochmals festzuhalten. Sinn der Vereinbarung durch die Parteien konnte deshalb nur sein, etwas rechtlich zu regeln. Da die Klägerin bereits die Unwirksamkeit ihrer Befristung geltend gemacht hatte, konnte es nur darum gehen, die Wirksamkeit dieser Befristung gemeinsam festzuhalten.
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b) Ungeachtet der Unterzeichnung des Dokuments durch die Klägerin ist jedoch am 2. März 2011 zwischen den Parteien noch keine wirksame Vereinbarung zustande gekommen. Das ergibt sich aus § 154 Abs. 1 BGB.
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aa) Nach dieser gesetzlichen Bestimmung ist im Zweifel ein Vertrag nicht geschlossen, solange nicht die Parteien sich über alle Punkte des Vertrages geeinigt haben, über die nach der Erklärung auch nur einer Partei eine Vereinbarung getroffen werden soll (§ 154 Abs. 1 Satz 1 BGB). Die Verständigung über einzelne Punkte ist auch dann nicht bindend, wenn eine Aufzeichnung stattgefunden hat (§ 154 Abs. 1 Satz 2 BGB).
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Maßgeblich dafür, was im Einzelfall Gegenstand einer einheitlichen Vereinbarung ist, ist wie bei jedem zusammengesetzten Rechtsgeschäft der Parteiwille. Es genügt, dass ein Vertragspartner erkennbar die Zusammengehörigkeit mehrerer Verhandlungspunkte gewollt hat (BGH 14. Oktober 1965 - II ZR 214/63 - zu 1 der Gründe). Die Regelung gilt daher auch, wenn das Ziel der Verhandlungen der Abschluss eines aus mehreren Teilen bestehenden einheitlichen Gesamtvertrages ist (MüKoBGB/Busche 6. Aufl. § 154 Rn. 4). Es reicht aus, wenn eine Partei bei den Vertragsverhandlungen durch schlüssiges Verhalten erkennbar gemacht hat, sie halte eine Einigung über den betreffenden, noch offenen Punkt für erforderlich (BGH 9. Mai 1990 - VIII ZR 222/89 - zu II 2 c dd der Gründe).
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bb) Hier ergibt sich aus dem Ablauf der Verhandlungen, dass die Klägerin die Einigung über die Wirksamkeit ihrer Befristung von einer gleichzeitigen Einigung über den Abschluss eines weiteren befristeten Arbeitsvertrages abhängig machen wollte und insoweit ein einheitlicher Gesamtvertrag zustande kommen sollte. Der Beklagte hatte selbst die Abgabe seines Angebotes auf Abschluss eines weiteren befristeten Arbeitsvertrages davon abhängig gemacht, dass die Klägerin die Vereinbarung über die Wirksamkeit der letzten Befristung des Arbeitsvertrages unterzeichnete. Damit war ersichtlich ein innerer Zusammenhang zwischen beiden Vorgängen hergestellt. Ebenso musste für den Beklagten erkennbar sein, dass die Klägerin nicht auf alle ihre Rechte hinsichtlich der Unwirksamkeit der Befristung ihres Arbeitsvertrages, die sie mit anwaltlicher Hilfe gerade geltend machte, verzichten wollte, wenn nicht zugleich auch eine von ihr als angemessen angesehene Regelung über ein weiteres befristetes Arbeitsverhältnis zustande kam. Die Annahme, die Klägerin wolle sich insoweit allein in die Hand des Beklagten begeben und ihre eigenen Interessen völlig vernachlässigen, liegt dagegen fern.
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Dass die Vereinbarung über die gegenseitige Akzeptanz der Wirksamkeit der letzten Befristung bereits unterzeichnet war, ist unerheblich.
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cc) Der Senat ist als Revisionsgericht befugt, diese Umstände selbständig zu würdigen. Das Landesarbeitsgericht hat die Vereinbarung der Parteien fehlerhaft ausgelegt. Weitere Sachverhaltsaufklärungen über die Umstände der Vereinbarung stehen nicht zu erwarten (vgl. BAG 26. April 1985 - 7 AZR 78/83 -).
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dd) Es kann deshalb dahingestellt bleiben, ob in der Vereinbarung vom 2. März 2011 ein bestätigendes Schuldanerkenntnis zu sehen ist, das einer Angemessenheitskontrolle nach § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB nicht standhält, weil mit der Unterzeichnung dieser Vereinbarung für sich genommen keine Gegenleistung verbunden war(vgl. zur Inhaltskontrolle bestätigender Schuldanerkenntnisse nach dem Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen BAG 15. März 2005 - 9 AZR 502/03 - zu II 2 c bb (3) der Gründe, BAGE 114, 97). Das würde die Anwendbarkeit dieser Bestimmung nach § 310 Abs. 3 BGB voraussetzen. Hierzu müsste angenommen werden, dass der Beklagte als „Unternehmer“ iSv. § 14 BGB anzusehen wäre. Dem stünde das Fehlen einer Gewinnerzielungsabsicht des Beklagten nicht entgegen (dazu BGH 29. März 2006 - VIII ZR 173/05 - Rn. 16, BGHZ 167, 40). Allenfalls könnte angeführt werden, dass es sich beim Beklagten um einen öffentlichen Arbeitgeber handelt.
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IV. Das Landesarbeitsgericht wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.
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Linsenmaier
M. Rennpferdt
Zwanziger
Deinert
Willms
(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.
(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hamm vom 24.09.2014 – 3 Ca 739/14 – wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
Tatbestand
2Die Parteien streiten um die Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch eine fristlose Kündigung der Beklagten vom 25.04.2015.
3Die Klägerin war bei der Beklagten als Gesundheits- und Altenpflegerin zu einem Bruttomonatsverdienst von 1.696,24 € beschäftigt. Mit Schreiben ohne Datum kündigte die Klägerin das Arbeitsverhältnis zum 15.05.2014. Die Beklagte bestätigte diese Eigenkündigung mit Schreiben vom 15.04.2014 und teilte der Klägerin mit, unter Berücksichtigung offener Urlaubsansprüche und vorhandener Mehrarbeitsstunden müsse sie nicht mehr zur Arbeit erscheinen.
4Die Klägerin legte für die Zeit vom 17.03.2014 bis zum 21.03.2014 und vom 02.04.2014 bis zum 17.04.2014 Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vor, ausgestellt von der Fachärztin für Allgemeinmedizinerin Dr. N.
5Während des zweiten Arbeitsunfähigkeitszeitraums befand sich die Klägerin für etwa eine Woche auf der Insel Sylt. Dort verbrachte sie die Zeit in einem Haus, in dem ihr Freund Renovierungsarbeiten verrichtete. Die Klägerin stellte auf der ihr zugehörigen Seite des Internet-Anbieters „Facebook“ am Ende ihres Aufenthalts folgenden Satz ein: „(…) Wunderbaren urlaub auf sylt mit meinem liebsten verbracht…morgen geht’s leider schon wieder nach hause (…)“. Die Beklagte nahm den Eintrag zu Kenntnis und forderte die gesetzliche Krankenkasse der Klägerin auf, die Klägerin zur vertrauensärztlichen Untersuchung einzubestellen. Zu einem Untersuchungstermin kam es aus Gründen, die zwischen den Parteien streitig sind, nicht mehr.
6Die Klägerin hat behauptet, sie sei psychisch erkrankt gewesen und habe unter einer Belastungsreaktion gelitten. Sie habe ihre Ärztin darüber in Kenntnis gesetzt, die Insel Sylt aufsuchen zu wollen. Der Aufenthalt sei angesichts ihres Erkrankungsbildes von der Ärztin empfohlen worden.
7Die Klägerin hat beantragt,
8festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis nicht durch die fristlose Kündigung der Beklagten vom 25.04.2014 sein Ende gefunden hat, sondern erst mit Ablauf des 15.05.2014.
9Die Beklagte hat beantragt,
10die Klage abzuweisen.
11Sie hat bestritten, dass die Klägerin arbeitsunfähig erkrankt gewesen sei und behauptet, wäre sie erkrankt gewesen, so hätte sie sich angesichts des Urlaubs auf Sylt genesungswidrig verhalten. Die Klägerin habe die Arbeitsunfähigkeit nur vorgetäuscht. Eine Fachärztin für Allgemeinmedizin sei nicht in der Lage, eine psychische Erkrankung festzustellen. Die Klägerin sei in der Lage gewesen, einen Urlaub auf Sylt zuzubringen. Die Eintragungen der Klägerin auf deren Facebook-Seite hätten eine frohgelaunte, glückliche und gesunde Frau gezeigt. Die Klägerin habe sich der vertrauensärztlichen Untersuchung nicht unterzogen. Die Beweiskraft der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung sei - so die von der Beklagten vertretene Auffassung - angesichts dieser Tatsachen jedenfalls erschüttert.
12Mit Urteil vom 24.09.2014 hat das Arbeitsgericht der Klage stattgegeben, im Wesentlichen mit folgender Begründung: Die Beklagte könne das Arbeitsverhältnis nicht aus wichtigem Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB beenden. Ihr sei es nicht gelungen, den hohen Beweiswert des vorgelegten ärztlichen Attestes zu erschüttern. Er erschließe sich nicht, warum ein Allgemeinmediziner nicht in der Lage sein solle, eine Belastungsreaktion festzustellen. Der Aufenthalt auf Sylt spreche nicht dagegen, dass eine Erkrankung vorliege. Die Beklagte habe nicht zu Aktivitäten der Klägerin während des Urlaubs auf Sylt vorgetragen, die mit der attestierten Belastungsreaktion nicht in Übereinstimmung zu bringen wären. Die Beklagte habe den in der Kammerverhandlung vorgebrachten Einwand der Klägerin nicht bestritten, dass die Krankenkasse der Klägerin auf deren Nachfrage mitgeteilt habe, sie müsse zur vertrauensärztlichen Untersuchung nicht mehr erscheinen, da der dafür vorgesehene Termin für einen Zeitpunkt nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses anberaumt worden sei. Der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung werde daher auch nicht dadurch erschüttert, dass die Klägerin sich nicht mehr zur Untersuchung vorgestellt habe. Letztlich stünde der Rechtswirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung aber auch im Rahmen der erforderlichen Interessenabwägung entgegen, dass die Klägerin von der Beklagten mit Schreiben vom 15.04.2015 ohnehin bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses freigestellt worden sei. Ein überwiegendes Interesse der Beklagten an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses sei nicht zu erkennen.
13Gegen das am 07.10.2014 zugestellte Urteil richtet sich die am 05.11.2014 eingelegte und am 07.01.2015 innerhalb der bis dahin verlängerten Frist begründete Berufung der Beklagten, die sie unter Wiederholung und Vertiefung ihres Sachvortrags erster Instanz ergänzend wie folgt begründet:
14Der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung sei erschüttert. Sie habe bestritten, dass die Klägerin arbeitsunfähig erkrankt gewesen sei und die Ärztin empfohlen habe, den Urlaub auf Sylt anzutreten. Dem hätte das Gericht durch Erhebung der angebotenen Beweise nachgehen müssen. Das Gericht habe aus eigener Sachkunde nicht darüber befinden können, dass der Urlaub auf Sylt genesungskonform gewesen sei. Entweder wäre eine etwaige Belastungsreaktion der Klägerin so gering gewesen, dass sie nicht arbeitsunfähig gewesen sei, oder aber die Klägerin hätte sich bei angenommener Erkrankung genesungswidrig verhalten. Falsch sei es, nehme das Gericht an, sie habe nicht bestritten, dass die Klägerin den Termin zur vertrauensärztlichen Untersuchung deshalb nicht wahrgenommen habe, weil er bereits außerhalb des Bestandes des Arbeitsverhältnisses gelegen habe. Der Vortrag der Klägerin dazu sei nicht schlüssig. Unberücksichtigt gelassen habe das Arbeitsgericht auch, dass die Klägerin sich nicht in eine fachärztliche Behandlung begeben habe. Das Gericht übersehe ferner, dass sie, die Beklagte, auch bei angenommener Freistellung bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses ein Interesse daran habe, sich von der Klägerin zu trennen.
15Die Beklagte beantragt,
16das Urteil des Arbeitsgerichts Hamm vom 24.09.2014 - 3 Ca 739/14 - abzuändern und die Klage abzuweisen.
17Die Klägerin beantragt,
18die Berufung zurückzuweisen,
19legte zweitinstanzlich die mit dem Diagnosekürzel 43 F. G versehene Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für die Zeit vom 02.04.2014 bis zum 17.04.2014 vor und führte dazu aus, hinter diesem Kürzel verberge sich das Krankheitsbild „Reaktion auf eine schwere psychische Belastung“. Sie verteidigt das arbeitsgerichtliche Urteil und weist in rechtlicher Hinsicht darauf hin, dass eine Erschütterung des Beweiswertes der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht zu erkennen sei, weshalb auch eine Beweisaufnahme nicht durchzuführen sei.
20Wegen des weiteren Sach- und Rechtsvortrags der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die von den Parteien zu Protokoll abgegebenen Erklärungen ergänzend Bezug genommen.
21Entscheidungsgründe
22I. Die Berufung der Beklagten ist an sich statthaft (§ 64 Abs. 1, Abs. 2 lit. c) ArbGG) und nach den §§ 519 ZPO, 64 Abs. 6 S. 1 ArbGG, 66 Abs. 1 S. 1 ArbGG am 05.11.2014 gegen das am 07.10.2014 zugestellte Urteil form- und fristgerecht eingelegt und innerhalb der nach § 66 Abs. 1 S. 1, S. 5 ArbGG verlängerten Frist am 07.01.2015 begründet worden. Sie ist damit zulässig.
23II. Die Berufung ist nicht begründet. Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das Arbeitsgericht festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis nicht durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 25.04.2014 aufgelöst worden ist, sondern bis zum 15.05.2014 - dem durch die Eigenkündigung der Klägerin ausgelösten Ende des Vertragsverhältnisses - fortbestanden hat.
24Auf die Gründe des arbeitsgerichtlichen Urteils wird Bezug genommen, § 69 Abs. 2 ArbGG. Die Berufung gibt Anlass zu folgenden, ergänzenden Ausführungen:
25Der Beklagten stand kein wichtiger Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB zur Seite, das Arbeitsverhältnis fristlos zu kündigen. Nach § 626 Abs. 1 BGB kann der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund kündigen, ohne eine Kündigungsfrist einhalten zu müssen, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder dessen Beendigung nicht zugemutet werden kann.
26Zu Recht hat das Arbeitsgericht eine zweitstufige Prüfung durchgeführt und festgestellt, dass bereits auf der ersten Prüfungsstufe keine Tatsachen vorliegen, die eine solche Kündigung rechtfertigen könnten. Auch für die Berufungskammer war nicht erkennbar, dass die Klägerin eine Arbeitsunfähigkeit vorgetäuscht oder sich genesungswidrig verhalten haben könnte.
27- 28
1. Täuscht ein Arbeitnehmer eine Arbeitsunfähigkeit vor, ist dies auf der ersten Stufe zur Prüfung der Rechtswirksamkeit einer darauf gestützten außerordentlichen Kündigung für sich gesehen geeignet, eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen. Der täuschende Arbeitnehmer verwirklicht regelmäßig den Straftatbestand des Betrugs oder versucht dies zumindest, weil er den Arbeitgeber über das Vorliegen der Arbeitsunfähigkeit täuscht oder täuschen will, um diesen zu veranlassen, ihm Entgeltfortzahlung zu gewähren, auf die er keinen Anspruch hat (BAG 23.06.2009 - 2 AZR 532/08 - juris; BAG 17.06.2003 - 2 AZR 123/02 - juris; 07.12.1995 - 2 AZR 849/94 - juris; LAG Hamm 16.11.2011 - 10 Sa 884/11 - juris; LAG Rheinland-Pfalz 08.10.2013 - 6 Sa 188/13 - juris; 11.07.2013 - 10 Sa 100/13 - juris; 12.02.2010 - 9 Sa 275/09 - juris).
a) Dabei obliegt es dem Arbeitgeber im Kündigungsschutzprozess, den Beweis für den erhobenen Kündigungsvorwurf zu führen (BAG 26.08.1993 - 2 AZR 154/93 - juris; Hessisches Landesarbeitsgericht 20.03.2012 - 19 Sa 1020/11 - juris; LAG Rheinland-Pfalz 08.10.2013 - 6 Sa 188/13 - juris; 12.02.2010 - 9 Sa 275/09 - juris). Einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung kommt ein hoher Beweiswert zu (BAG 21.03.1993 - 2 AZR 543/95 - juris; 11.08.1976 - 5 AZR 422/75 - juris). Sie hat die Vermutung der inhaltlichen Richtigkeit für sich (BAG 21.03.1993 - 2 AZR 543/95 - juris; 15.07.1992 - 5 AZR 312/91 - juris). Erhebt der Arbeitgeber trotz vorgelegter ärztlicher Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung den Vorwurf, die Arbeitsunfähigkeit sei nur vorgetäuscht, muss er einerseits vortragen, dass der Arbeitnehmer ihn vorsätzlich über das Bestehen der Arbeitsunfähigkeit getäuscht hat (LAG Hamm 18.12.2003 - 8 Sa 1401/03 - juris; LAG Mecklenburg-Vorpommern 05.08.2004 - 1 Sa 19/04 - juris) und darüber hinaus ausreichende Tatsachen darlegen und beweisen, die zu ernsthaften Zweifeln an einer Arbeitsunfähigkeit Anlass geben und den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeit erschüttern (BAG 21.03.1993 - 2 AZR 543/95 - juris). Ist ihm dies gelungen, so ist es unter Berücksichtigung der im Kündigungsschutzprozess greifenden abgestuften Darlegungs- und Beweislast Aufgabe des Arbeitnehmers darzulegen, welche Erkrankungen zur Arbeitsunfähigkeit geführt haben, welche gesundheitlichen Beeinträchtigungen diese mit sich gebracht haben und welche Verhaltensweisen ihm ärztlicherseits auferlegt worden sind. Bei ausreichender Substantiiertung ist es sodann Sache des Arbeitgebers, den konkreten Sachvortrag des Arbeitnehmers, dem es obliegt, die ihn behandelnden Ärzte von der ärztlichen Schweigepflicht zu entbinden, zu widerlegen (vgl. BAG 07.12.1995 - 2 AZR 849/94 - juris; 26.08.1993 - 2 AZR 154/93 - juris; LAG Hamm 09.04.2008 - 18 Sa 1938/07 - juris; Hessisches Landesarbeitsgericht 20.03.2012 - 19 Sa 1020/11- juris; LAG Rheinland-Pfalz 08.10.2013 - 6 Sa 188/13 - juris; 12.02.2010 - 9 Sa 275/09 - juris).
30b) Der Beklagten ist es nicht gelungen, ausreichende Tatsachen vorzutragen, die den Beweiswert der vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen für den Zeitraum vom 02.04.2014 bis zum 17.04.2014 erschüttern und damit ausreichende Zweifel an der Vermutung auslösen, dass die Bescheinigung inhaltlich zutrifft.
31aa) Dabei geht die Kammer in tatsächlicher Hinsicht davon aus, dass der attestierten Arbeitsunfähigkeit für den Zeitraum vom 02.04.2014 bis zum 17.04.2014 eine ärztliche Diagnose mit der Kurzbezeichnung 43 F. G zugrundeliegt, hinter der sich eine „Reaktion auf eine schwere psychische Belastung“ verbirgt. Die Klägerin hat im Laufe des Berufungsverfahrens eine für die Vorlage bei der gesetzlichen Krankenkasse bestimmte und von ihrer Ärztin ausgefüllte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung mit dem Diagnosekürze 43 F. G eingebracht, die mit der an die Arbeitgeberin übergebenen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung korrespondiert. In der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht hat die Klägerin ausgeführt, hinter dem Diagnosekürzel verberge sich das Krankheitsbild „Reaktion auf eine schwere psychische Belastung“. Die Beklagte, die erstinstanzlich nicht nur bestritten hat, dass die Klägerin arbeitsunfähig erkrankt war, sondern auch, dass die Attestierung der Arbeitsunfähigkeit wegen einer Belastungsreaktion erfolgt sei, hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht nicht bestritten, dass die zuvor schriftsätzlich vorgelegte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung von der die Klägerin behandelnden Ärztin mit dem Diagnosekürzel des näher bezeichneten Inhalts versehen worden ist. Da die Tatsache, dass die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung wegen der Diagnose 43 F.G ausgestellt worden ist, von der Beklagten nicht mehr ausdrücklich bestritten worden ist, gilt sie als zugestanden, § 138 Abs. 3 ZPO.
32bb) Die von der Beklagten vorgetragenen Hilfs-Tatsachen sind nicht geeignet, den hohen Beweiswert eine ärztlich attestierte Arbeitsunfähigkeit wegen einer Reaktion auf eine schwere psychische Belastung und die damit einhergehende Vermutung der inhaltlichen Richtigkeit zu erschüttern.
33(1) Dies gilt zunächst für die Tatsache, dass sich die Klägerin während des attestierten Arbeitsunfähigkeitszeitraums für etwa eine Woche auf Sylt aufgehalten und dies in einem Facebook-Eintrag als „Urlaub“ bezeichnet hat. Das Arbeitsgericht hat zu Recht darauf hingewiesen, dass eine Arbeitsunfähigkeit nicht bedeutet, der Arbeitnehmer müsse sich ausschließlich zu Hause, möglicherweise auch zu Bett aufhalten. Ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung besteht nach § 3 Abs. 1 EntgeltfortzahlungsG, wenn ein Arbeitnehmer infolge Erkrankung an seiner Arbeitsleistung verhindert ist. Damit muss ein Ursachenzusammenhang zwischen Erkrankung und Arbeitsverhinderung bestehen. Dieser Ursachenzusammenhang kann vielfältiger Art sein und auch, aber nicht notwendig, dazu führen, dass der Arbeitnehmer nicht in der Lage ist, sein häusliches Umfeld zu verlassen. Liegt der attestierten Arbeitsunfähigkeit eine „Reaktion auf eine schwere psychische Belastung“ zugrunde und soll dies den nötigen Ursachenzusammenhang zwischen Krankheit und Arbeitsunfähigkeit begründen, ist nichts dafür ersichtlich, dass ein einwöchiger Aufenthalt auf einer Nordseeinsel damit nicht in Übereinstimmung zu bringen ist. Um dies festzustellen, bedarf es keines ärztlichen Sachverstands. Es ist nicht die – therapeutische - Frage zu beantworten, ob ein einwöchiger Aufenthalt auf Sylt – sei es nun Urlaub oder nicht – den Heilungsprozess fördert. Das Gericht muss nach den zuvor dargestellten Rechtsgrundsätzen alleine entscheiden, ob das Verhalten der Klägerin zu ernsthaften Zweifeln an einer Arbeitsunfähigkeit Anlass gibt, weil die Aktivitäten der Klägerin sich mit dem Inhalt der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht in Übereinstimmung bringen lassen. Dieser Inhalt besteht darin, dass die Klägerin aufgrund einer Reaktion auf eine schwere psychische Belastung nicht in der Lage war, ihrer Arbeit bei der Beklagten nachzukommen. Auch das Berufungsgericht kann an einem einwöchigen Aufenthalt auf einer Nordseeinsel, den die Klägerin gemeinsam mit ihrem Freund verbracht hat, nichts erkennen, was geeignet wäre, die vermutete Richtigkeit der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ernsthaft in Zweifel zu stellen.
34(2) Weil es auf ernsthafte Zweifel an der Richtigkeit der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ankommt, ist es für den Ausgang des Rechtsstreits ohne Bedeutung, ob der Aufenthalt auf Sylt dem Heilungsprozess nicht nur nicht geschadet, sondern ihn sogar gefördert hat und von der die Klägerin behandelnden Ärztin empfohlen worden ist, was von der Klägerin behauptet und von der Beklagten bestritten worden ist.
35(3) Auch der Eintrag über einen einwöchigen Urlaub auf Sylt auf der Facebook-Seite sowie die dort eingestellten Fotos, die nach den Behauptungen der Beklagten eine frohgelaunte, glückliche und gesunde Frau zeigen, sind keine Tatsachen, die zu ernsthaften Zweifeln an der attestierten Arbeitsunfähigkeit Anlass geben. Fotoanlagen geben lediglich eine Momentaufnahme wieder. Das gilt auch für einen Eintrag über ein im Moment des Eintragens empfundenes Wohlbefinden. Bei einer attestierten Belastungsreaktion sprechen solche Eintragungen aber vor allem dafür, dass sich der erkrankte Arbeitnehmer auf dem Weg der Besserung befindet und im Übrigen für die – nicht streitentscheidende – Behauptung der Klägerin, der Aufenthalt auf Sylt sei mit ihrer Ärztin besprochen und von dieser aus Gründen eines positiven Heilungsverlaufs empfohlen worden.
36(4) Ernsthafte Zweifel ergeben sich nicht daraus, dass die Ärztin, die die Klägerin behandelt und die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ausgestellt hat, eine Fachärztin für Allgemeinmedizin ist und keine für psychische oder psychiatrische Erkrankungen einschlägige Facharztausbildung aufzuweisen hat. Für das Berufungsgericht ist unter keinem Gesichtspunkt erkennbar, warum eine Fachärztin für Allgemeinmedizin keine Reaktion auf eine schwere psychische Belastung diagnostizieren können sollte. Daran ändert auch die zweitinstanzliche Annahme der Beklagten nichts, die Klägerin habe verabsäumt, sich bei einem Facharzt vorzustellen.
37(5) Die Klägerin hat sich nicht einer vertrauensärztlichen Untersuchung unterzogen, zu der sie von ihrer gesetzlichen Krankenkasse auf Veranlassung der Beklagten einbestellt worden ist. Zwar mag dies dem Grunde nach geeignet sein, Anlass zu ernsthaften Zweifeln an der Arbeitsunfähigkeit zu bieten. Hier vermochte das Gericht dem jedoch keine Bedeutung beizumessen. Die Beklagte hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht ausgeführt, die Krankenkasse der Klägerin aufgefordert zu haben, die Klägerin zu einer vertrauensärztlichen Untersuchung einzubestellen, nachdem sie die Facebook-Eintragungen der Klägerin zur Kenntnis genommen hat. Eine vertrauensärztliche Untersuchung kommt dann in Betracht, wenn Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit beseitigt werden sollen. Da hier weder durch die Facebook-Eintragungen noch durch den Aufenthalt der Klägerin auf Sylt Zweifel an der attestierten Arbeitsunfähigkeit der Klägerin begründet sind, können solche Zweifel auch nicht dadurch begründet werden, dass die Klägerin zu einer vertrauensärztliche Untersuchung nicht einfindet, die der Aufklärung der – nicht vorhandenen – Zweifel dienen soll. Außerdem hat die Klägerin behauptet, ihr sei von der Krankenkasse ein Termin zur Durchführung der Untersuchung angeboten worden, der nach dem Ende des Arbeitsverhältnisses gelegen hätte, weshalb die Krankenkasse vom Untersuchungstermin wieder Abstand genommen. Wenn auch die Beklagte diese Behauptung der Klägerin bestritten haben mag und als nicht schlüssig bezeichnet hat, fehlt es gleichwohl an eigenem Sachvortrag der Beklagten zu den zeitlichen Umständen und näheren Vorgaben der Krankenkasse zum Untersuchungstermin. Es ist aber nach den oben näher dargelegten Grundsätzen zunächst Aufgabe der Beklagten, die Tatsachen konkret darzulegen und unter Beweis zu stellen, die Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit aufwerfen. Es oblag mithin der Beklagten, zur Anberaumung des Untersuchungstermins nach Ort, Zeit und näheren Umständen konkret vorzutragen.
38- 39
2. Die Beklagte kann sich auch nicht darauf stützen, die Klägerin habe den Heilungserfolg durch ein grob genesungswidriges Verhalten gefährdet. Zwar kann auch dies eine außerordentliche Kündigung im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB auf der ersten Prüfungsstufe an sich rechtfertigen (BAG 02.03.2006 - 2 AZR 53/05 - juris; 26.08.1993 - 2 AZR 154/93 - juris; LAG Hamm 15.02.2013 - 13 Sa 9/13 - juris; 13.12.2006 - 10 TaBV 72/06 - juris; LAG Köln 09.10.1998 - 11 Sa 400/98 - juris). Denn ein arbeitsunfähig erkrankter Arbeitnehmer ist angehalten, alles zu unternehmen, um zu gesunden, und alles zu unterlassen, was diesem Prozess entgegenwirken könnte (BAG 02.03.2006 - 2 AZR 53/05 - juris; 26.08.1993 - 2 AZR 154/93 juris; LAG Hamm 16.09.2005 - 10 Sa 2425/04 - juris; LAG Nürnberg 27.11.2013 - 8 Sa 89/13) - juris). Da das Verhalten der Klägerin, einen einwöchigen Aufenthalt auf Sylt zu absolvieren, nicht geeignet ist, ernsthafte Zweifel am Beweiswert der vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung hervorzurufen, gibt es erst Recht keinen Anlass anzunehmen, ein einwöchiger Aufenthalt auf einer Nordseeinsel gefährde den Prozess der Heilung einer Erkrankung wegen einer Reaktion auf eine schwere psychische Belastung. Das Gegenteil dürfte der Fall sein.
3. Da bereits auf der ersten Stufe der Prüfung einer außerordentlichen Kündigung keine Tatsachen ersichtlich sind, die einen wichtigen Grund für eine fristlose Kündigung rechtfertigen könnten, kommt es nicht mehr darauf an, ob die ausgesprochene außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 25.04.2014 auch unter Abwägung der wechselseitigen Interessen auf der zweiten Prüfungsstufe unverhältnismäßig wäre, wie es das Arbeitsgericht unter Hinweis auf die erfolgte Freistellung der Klägerin nach deren Eigenkündigung angenommen hat.
41III. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 66 Abs. 6 ArbGG, 97 Abs. 1, 92 ZPO. Gründe für die Zulassung der Revision im Sinne des § 72 Abs. 2 ArbGG sind nicht gegeben. Keine der entscheidungserheblichen Rechtsfragen hat grundsätzliche Bedeutung. Die Rechtsfragen berühren auch nicht wegen ihrer tatsächlichen Auswirkungen die Interessen der Allgemeinheit oder eines größeren Teils der Allgemeinheit. Ferner lagen keine Gründe vor, die die Zulassung wegen einer Abweichung von der Rechtsprechung eines der in § 72 Abs. 2 Nr. 2 ArbGG angesprochenen Gerichte rechtfertigen würde.
(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.
(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hamm vom 24.09.2014 – 3 Ca 739/14 – wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
Tatbestand
2Die Parteien streiten um die Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch eine fristlose Kündigung der Beklagten vom 25.04.2015.
3Die Klägerin war bei der Beklagten als Gesundheits- und Altenpflegerin zu einem Bruttomonatsverdienst von 1.696,24 € beschäftigt. Mit Schreiben ohne Datum kündigte die Klägerin das Arbeitsverhältnis zum 15.05.2014. Die Beklagte bestätigte diese Eigenkündigung mit Schreiben vom 15.04.2014 und teilte der Klägerin mit, unter Berücksichtigung offener Urlaubsansprüche und vorhandener Mehrarbeitsstunden müsse sie nicht mehr zur Arbeit erscheinen.
4Die Klägerin legte für die Zeit vom 17.03.2014 bis zum 21.03.2014 und vom 02.04.2014 bis zum 17.04.2014 Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vor, ausgestellt von der Fachärztin für Allgemeinmedizinerin Dr. N.
5Während des zweiten Arbeitsunfähigkeitszeitraums befand sich die Klägerin für etwa eine Woche auf der Insel Sylt. Dort verbrachte sie die Zeit in einem Haus, in dem ihr Freund Renovierungsarbeiten verrichtete. Die Klägerin stellte auf der ihr zugehörigen Seite des Internet-Anbieters „Facebook“ am Ende ihres Aufenthalts folgenden Satz ein: „(…) Wunderbaren urlaub auf sylt mit meinem liebsten verbracht…morgen geht’s leider schon wieder nach hause (…)“. Die Beklagte nahm den Eintrag zu Kenntnis und forderte die gesetzliche Krankenkasse der Klägerin auf, die Klägerin zur vertrauensärztlichen Untersuchung einzubestellen. Zu einem Untersuchungstermin kam es aus Gründen, die zwischen den Parteien streitig sind, nicht mehr.
6Die Klägerin hat behauptet, sie sei psychisch erkrankt gewesen und habe unter einer Belastungsreaktion gelitten. Sie habe ihre Ärztin darüber in Kenntnis gesetzt, die Insel Sylt aufsuchen zu wollen. Der Aufenthalt sei angesichts ihres Erkrankungsbildes von der Ärztin empfohlen worden.
7Die Klägerin hat beantragt,
8festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis nicht durch die fristlose Kündigung der Beklagten vom 25.04.2014 sein Ende gefunden hat, sondern erst mit Ablauf des 15.05.2014.
9Die Beklagte hat beantragt,
10die Klage abzuweisen.
11Sie hat bestritten, dass die Klägerin arbeitsunfähig erkrankt gewesen sei und behauptet, wäre sie erkrankt gewesen, so hätte sie sich angesichts des Urlaubs auf Sylt genesungswidrig verhalten. Die Klägerin habe die Arbeitsunfähigkeit nur vorgetäuscht. Eine Fachärztin für Allgemeinmedizin sei nicht in der Lage, eine psychische Erkrankung festzustellen. Die Klägerin sei in der Lage gewesen, einen Urlaub auf Sylt zuzubringen. Die Eintragungen der Klägerin auf deren Facebook-Seite hätten eine frohgelaunte, glückliche und gesunde Frau gezeigt. Die Klägerin habe sich der vertrauensärztlichen Untersuchung nicht unterzogen. Die Beweiskraft der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung sei - so die von der Beklagten vertretene Auffassung - angesichts dieser Tatsachen jedenfalls erschüttert.
12Mit Urteil vom 24.09.2014 hat das Arbeitsgericht der Klage stattgegeben, im Wesentlichen mit folgender Begründung: Die Beklagte könne das Arbeitsverhältnis nicht aus wichtigem Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB beenden. Ihr sei es nicht gelungen, den hohen Beweiswert des vorgelegten ärztlichen Attestes zu erschüttern. Er erschließe sich nicht, warum ein Allgemeinmediziner nicht in der Lage sein solle, eine Belastungsreaktion festzustellen. Der Aufenthalt auf Sylt spreche nicht dagegen, dass eine Erkrankung vorliege. Die Beklagte habe nicht zu Aktivitäten der Klägerin während des Urlaubs auf Sylt vorgetragen, die mit der attestierten Belastungsreaktion nicht in Übereinstimmung zu bringen wären. Die Beklagte habe den in der Kammerverhandlung vorgebrachten Einwand der Klägerin nicht bestritten, dass die Krankenkasse der Klägerin auf deren Nachfrage mitgeteilt habe, sie müsse zur vertrauensärztlichen Untersuchung nicht mehr erscheinen, da der dafür vorgesehene Termin für einen Zeitpunkt nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses anberaumt worden sei. Der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung werde daher auch nicht dadurch erschüttert, dass die Klägerin sich nicht mehr zur Untersuchung vorgestellt habe. Letztlich stünde der Rechtswirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung aber auch im Rahmen der erforderlichen Interessenabwägung entgegen, dass die Klägerin von der Beklagten mit Schreiben vom 15.04.2015 ohnehin bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses freigestellt worden sei. Ein überwiegendes Interesse der Beklagten an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses sei nicht zu erkennen.
13Gegen das am 07.10.2014 zugestellte Urteil richtet sich die am 05.11.2014 eingelegte und am 07.01.2015 innerhalb der bis dahin verlängerten Frist begründete Berufung der Beklagten, die sie unter Wiederholung und Vertiefung ihres Sachvortrags erster Instanz ergänzend wie folgt begründet:
14Der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung sei erschüttert. Sie habe bestritten, dass die Klägerin arbeitsunfähig erkrankt gewesen sei und die Ärztin empfohlen habe, den Urlaub auf Sylt anzutreten. Dem hätte das Gericht durch Erhebung der angebotenen Beweise nachgehen müssen. Das Gericht habe aus eigener Sachkunde nicht darüber befinden können, dass der Urlaub auf Sylt genesungskonform gewesen sei. Entweder wäre eine etwaige Belastungsreaktion der Klägerin so gering gewesen, dass sie nicht arbeitsunfähig gewesen sei, oder aber die Klägerin hätte sich bei angenommener Erkrankung genesungswidrig verhalten. Falsch sei es, nehme das Gericht an, sie habe nicht bestritten, dass die Klägerin den Termin zur vertrauensärztlichen Untersuchung deshalb nicht wahrgenommen habe, weil er bereits außerhalb des Bestandes des Arbeitsverhältnisses gelegen habe. Der Vortrag der Klägerin dazu sei nicht schlüssig. Unberücksichtigt gelassen habe das Arbeitsgericht auch, dass die Klägerin sich nicht in eine fachärztliche Behandlung begeben habe. Das Gericht übersehe ferner, dass sie, die Beklagte, auch bei angenommener Freistellung bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses ein Interesse daran habe, sich von der Klägerin zu trennen.
15Die Beklagte beantragt,
16das Urteil des Arbeitsgerichts Hamm vom 24.09.2014 - 3 Ca 739/14 - abzuändern und die Klage abzuweisen.
17Die Klägerin beantragt,
18die Berufung zurückzuweisen,
19legte zweitinstanzlich die mit dem Diagnosekürzel 43 F. G versehene Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für die Zeit vom 02.04.2014 bis zum 17.04.2014 vor und führte dazu aus, hinter diesem Kürzel verberge sich das Krankheitsbild „Reaktion auf eine schwere psychische Belastung“. Sie verteidigt das arbeitsgerichtliche Urteil und weist in rechtlicher Hinsicht darauf hin, dass eine Erschütterung des Beweiswertes der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht zu erkennen sei, weshalb auch eine Beweisaufnahme nicht durchzuführen sei.
20Wegen des weiteren Sach- und Rechtsvortrags der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die von den Parteien zu Protokoll abgegebenen Erklärungen ergänzend Bezug genommen.
21Entscheidungsgründe
22I. Die Berufung der Beklagten ist an sich statthaft (§ 64 Abs. 1, Abs. 2 lit. c) ArbGG) und nach den §§ 519 ZPO, 64 Abs. 6 S. 1 ArbGG, 66 Abs. 1 S. 1 ArbGG am 05.11.2014 gegen das am 07.10.2014 zugestellte Urteil form- und fristgerecht eingelegt und innerhalb der nach § 66 Abs. 1 S. 1, S. 5 ArbGG verlängerten Frist am 07.01.2015 begründet worden. Sie ist damit zulässig.
23II. Die Berufung ist nicht begründet. Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das Arbeitsgericht festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis nicht durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 25.04.2014 aufgelöst worden ist, sondern bis zum 15.05.2014 - dem durch die Eigenkündigung der Klägerin ausgelösten Ende des Vertragsverhältnisses - fortbestanden hat.
24Auf die Gründe des arbeitsgerichtlichen Urteils wird Bezug genommen, § 69 Abs. 2 ArbGG. Die Berufung gibt Anlass zu folgenden, ergänzenden Ausführungen:
25Der Beklagten stand kein wichtiger Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB zur Seite, das Arbeitsverhältnis fristlos zu kündigen. Nach § 626 Abs. 1 BGB kann der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund kündigen, ohne eine Kündigungsfrist einhalten zu müssen, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder dessen Beendigung nicht zugemutet werden kann.
26Zu Recht hat das Arbeitsgericht eine zweitstufige Prüfung durchgeführt und festgestellt, dass bereits auf der ersten Prüfungsstufe keine Tatsachen vorliegen, die eine solche Kündigung rechtfertigen könnten. Auch für die Berufungskammer war nicht erkennbar, dass die Klägerin eine Arbeitsunfähigkeit vorgetäuscht oder sich genesungswidrig verhalten haben könnte.
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1. Täuscht ein Arbeitnehmer eine Arbeitsunfähigkeit vor, ist dies auf der ersten Stufe zur Prüfung der Rechtswirksamkeit einer darauf gestützten außerordentlichen Kündigung für sich gesehen geeignet, eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen. Der täuschende Arbeitnehmer verwirklicht regelmäßig den Straftatbestand des Betrugs oder versucht dies zumindest, weil er den Arbeitgeber über das Vorliegen der Arbeitsunfähigkeit täuscht oder täuschen will, um diesen zu veranlassen, ihm Entgeltfortzahlung zu gewähren, auf die er keinen Anspruch hat (BAG 23.06.2009 - 2 AZR 532/08 - juris; BAG 17.06.2003 - 2 AZR 123/02 - juris; 07.12.1995 - 2 AZR 849/94 - juris; LAG Hamm 16.11.2011 - 10 Sa 884/11 - juris; LAG Rheinland-Pfalz 08.10.2013 - 6 Sa 188/13 - juris; 11.07.2013 - 10 Sa 100/13 - juris; 12.02.2010 - 9 Sa 275/09 - juris).
a) Dabei obliegt es dem Arbeitgeber im Kündigungsschutzprozess, den Beweis für den erhobenen Kündigungsvorwurf zu führen (BAG 26.08.1993 - 2 AZR 154/93 - juris; Hessisches Landesarbeitsgericht 20.03.2012 - 19 Sa 1020/11 - juris; LAG Rheinland-Pfalz 08.10.2013 - 6 Sa 188/13 - juris; 12.02.2010 - 9 Sa 275/09 - juris). Einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung kommt ein hoher Beweiswert zu (BAG 21.03.1993 - 2 AZR 543/95 - juris; 11.08.1976 - 5 AZR 422/75 - juris). Sie hat die Vermutung der inhaltlichen Richtigkeit für sich (BAG 21.03.1993 - 2 AZR 543/95 - juris; 15.07.1992 - 5 AZR 312/91 - juris). Erhebt der Arbeitgeber trotz vorgelegter ärztlicher Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung den Vorwurf, die Arbeitsunfähigkeit sei nur vorgetäuscht, muss er einerseits vortragen, dass der Arbeitnehmer ihn vorsätzlich über das Bestehen der Arbeitsunfähigkeit getäuscht hat (LAG Hamm 18.12.2003 - 8 Sa 1401/03 - juris; LAG Mecklenburg-Vorpommern 05.08.2004 - 1 Sa 19/04 - juris) und darüber hinaus ausreichende Tatsachen darlegen und beweisen, die zu ernsthaften Zweifeln an einer Arbeitsunfähigkeit Anlass geben und den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeit erschüttern (BAG 21.03.1993 - 2 AZR 543/95 - juris). Ist ihm dies gelungen, so ist es unter Berücksichtigung der im Kündigungsschutzprozess greifenden abgestuften Darlegungs- und Beweislast Aufgabe des Arbeitnehmers darzulegen, welche Erkrankungen zur Arbeitsunfähigkeit geführt haben, welche gesundheitlichen Beeinträchtigungen diese mit sich gebracht haben und welche Verhaltensweisen ihm ärztlicherseits auferlegt worden sind. Bei ausreichender Substantiiertung ist es sodann Sache des Arbeitgebers, den konkreten Sachvortrag des Arbeitnehmers, dem es obliegt, die ihn behandelnden Ärzte von der ärztlichen Schweigepflicht zu entbinden, zu widerlegen (vgl. BAG 07.12.1995 - 2 AZR 849/94 - juris; 26.08.1993 - 2 AZR 154/93 - juris; LAG Hamm 09.04.2008 - 18 Sa 1938/07 - juris; Hessisches Landesarbeitsgericht 20.03.2012 - 19 Sa 1020/11- juris; LAG Rheinland-Pfalz 08.10.2013 - 6 Sa 188/13 - juris; 12.02.2010 - 9 Sa 275/09 - juris).
30b) Der Beklagten ist es nicht gelungen, ausreichende Tatsachen vorzutragen, die den Beweiswert der vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen für den Zeitraum vom 02.04.2014 bis zum 17.04.2014 erschüttern und damit ausreichende Zweifel an der Vermutung auslösen, dass die Bescheinigung inhaltlich zutrifft.
31aa) Dabei geht die Kammer in tatsächlicher Hinsicht davon aus, dass der attestierten Arbeitsunfähigkeit für den Zeitraum vom 02.04.2014 bis zum 17.04.2014 eine ärztliche Diagnose mit der Kurzbezeichnung 43 F. G zugrundeliegt, hinter der sich eine „Reaktion auf eine schwere psychische Belastung“ verbirgt. Die Klägerin hat im Laufe des Berufungsverfahrens eine für die Vorlage bei der gesetzlichen Krankenkasse bestimmte und von ihrer Ärztin ausgefüllte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung mit dem Diagnosekürze 43 F. G eingebracht, die mit der an die Arbeitgeberin übergebenen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung korrespondiert. In der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht hat die Klägerin ausgeführt, hinter dem Diagnosekürzel verberge sich das Krankheitsbild „Reaktion auf eine schwere psychische Belastung“. Die Beklagte, die erstinstanzlich nicht nur bestritten hat, dass die Klägerin arbeitsunfähig erkrankt war, sondern auch, dass die Attestierung der Arbeitsunfähigkeit wegen einer Belastungsreaktion erfolgt sei, hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht nicht bestritten, dass die zuvor schriftsätzlich vorgelegte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung von der die Klägerin behandelnden Ärztin mit dem Diagnosekürzel des näher bezeichneten Inhalts versehen worden ist. Da die Tatsache, dass die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung wegen der Diagnose 43 F.G ausgestellt worden ist, von der Beklagten nicht mehr ausdrücklich bestritten worden ist, gilt sie als zugestanden, § 138 Abs. 3 ZPO.
32bb) Die von der Beklagten vorgetragenen Hilfs-Tatsachen sind nicht geeignet, den hohen Beweiswert eine ärztlich attestierte Arbeitsunfähigkeit wegen einer Reaktion auf eine schwere psychische Belastung und die damit einhergehende Vermutung der inhaltlichen Richtigkeit zu erschüttern.
33(1) Dies gilt zunächst für die Tatsache, dass sich die Klägerin während des attestierten Arbeitsunfähigkeitszeitraums für etwa eine Woche auf Sylt aufgehalten und dies in einem Facebook-Eintrag als „Urlaub“ bezeichnet hat. Das Arbeitsgericht hat zu Recht darauf hingewiesen, dass eine Arbeitsunfähigkeit nicht bedeutet, der Arbeitnehmer müsse sich ausschließlich zu Hause, möglicherweise auch zu Bett aufhalten. Ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung besteht nach § 3 Abs. 1 EntgeltfortzahlungsG, wenn ein Arbeitnehmer infolge Erkrankung an seiner Arbeitsleistung verhindert ist. Damit muss ein Ursachenzusammenhang zwischen Erkrankung und Arbeitsverhinderung bestehen. Dieser Ursachenzusammenhang kann vielfältiger Art sein und auch, aber nicht notwendig, dazu führen, dass der Arbeitnehmer nicht in der Lage ist, sein häusliches Umfeld zu verlassen. Liegt der attestierten Arbeitsunfähigkeit eine „Reaktion auf eine schwere psychische Belastung“ zugrunde und soll dies den nötigen Ursachenzusammenhang zwischen Krankheit und Arbeitsunfähigkeit begründen, ist nichts dafür ersichtlich, dass ein einwöchiger Aufenthalt auf einer Nordseeinsel damit nicht in Übereinstimmung zu bringen ist. Um dies festzustellen, bedarf es keines ärztlichen Sachverstands. Es ist nicht die – therapeutische - Frage zu beantworten, ob ein einwöchiger Aufenthalt auf Sylt – sei es nun Urlaub oder nicht – den Heilungsprozess fördert. Das Gericht muss nach den zuvor dargestellten Rechtsgrundsätzen alleine entscheiden, ob das Verhalten der Klägerin zu ernsthaften Zweifeln an einer Arbeitsunfähigkeit Anlass gibt, weil die Aktivitäten der Klägerin sich mit dem Inhalt der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht in Übereinstimmung bringen lassen. Dieser Inhalt besteht darin, dass die Klägerin aufgrund einer Reaktion auf eine schwere psychische Belastung nicht in der Lage war, ihrer Arbeit bei der Beklagten nachzukommen. Auch das Berufungsgericht kann an einem einwöchigen Aufenthalt auf einer Nordseeinsel, den die Klägerin gemeinsam mit ihrem Freund verbracht hat, nichts erkennen, was geeignet wäre, die vermutete Richtigkeit der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ernsthaft in Zweifel zu stellen.
34(2) Weil es auf ernsthafte Zweifel an der Richtigkeit der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ankommt, ist es für den Ausgang des Rechtsstreits ohne Bedeutung, ob der Aufenthalt auf Sylt dem Heilungsprozess nicht nur nicht geschadet, sondern ihn sogar gefördert hat und von der die Klägerin behandelnden Ärztin empfohlen worden ist, was von der Klägerin behauptet und von der Beklagten bestritten worden ist.
35(3) Auch der Eintrag über einen einwöchigen Urlaub auf Sylt auf der Facebook-Seite sowie die dort eingestellten Fotos, die nach den Behauptungen der Beklagten eine frohgelaunte, glückliche und gesunde Frau zeigen, sind keine Tatsachen, die zu ernsthaften Zweifeln an der attestierten Arbeitsunfähigkeit Anlass geben. Fotoanlagen geben lediglich eine Momentaufnahme wieder. Das gilt auch für einen Eintrag über ein im Moment des Eintragens empfundenes Wohlbefinden. Bei einer attestierten Belastungsreaktion sprechen solche Eintragungen aber vor allem dafür, dass sich der erkrankte Arbeitnehmer auf dem Weg der Besserung befindet und im Übrigen für die – nicht streitentscheidende – Behauptung der Klägerin, der Aufenthalt auf Sylt sei mit ihrer Ärztin besprochen und von dieser aus Gründen eines positiven Heilungsverlaufs empfohlen worden.
36(4) Ernsthafte Zweifel ergeben sich nicht daraus, dass die Ärztin, die die Klägerin behandelt und die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ausgestellt hat, eine Fachärztin für Allgemeinmedizin ist und keine für psychische oder psychiatrische Erkrankungen einschlägige Facharztausbildung aufzuweisen hat. Für das Berufungsgericht ist unter keinem Gesichtspunkt erkennbar, warum eine Fachärztin für Allgemeinmedizin keine Reaktion auf eine schwere psychische Belastung diagnostizieren können sollte. Daran ändert auch die zweitinstanzliche Annahme der Beklagten nichts, die Klägerin habe verabsäumt, sich bei einem Facharzt vorzustellen.
37(5) Die Klägerin hat sich nicht einer vertrauensärztlichen Untersuchung unterzogen, zu der sie von ihrer gesetzlichen Krankenkasse auf Veranlassung der Beklagten einbestellt worden ist. Zwar mag dies dem Grunde nach geeignet sein, Anlass zu ernsthaften Zweifeln an der Arbeitsunfähigkeit zu bieten. Hier vermochte das Gericht dem jedoch keine Bedeutung beizumessen. Die Beklagte hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht ausgeführt, die Krankenkasse der Klägerin aufgefordert zu haben, die Klägerin zu einer vertrauensärztlichen Untersuchung einzubestellen, nachdem sie die Facebook-Eintragungen der Klägerin zur Kenntnis genommen hat. Eine vertrauensärztliche Untersuchung kommt dann in Betracht, wenn Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit beseitigt werden sollen. Da hier weder durch die Facebook-Eintragungen noch durch den Aufenthalt der Klägerin auf Sylt Zweifel an der attestierten Arbeitsunfähigkeit der Klägerin begründet sind, können solche Zweifel auch nicht dadurch begründet werden, dass die Klägerin zu einer vertrauensärztliche Untersuchung nicht einfindet, die der Aufklärung der – nicht vorhandenen – Zweifel dienen soll. Außerdem hat die Klägerin behauptet, ihr sei von der Krankenkasse ein Termin zur Durchführung der Untersuchung angeboten worden, der nach dem Ende des Arbeitsverhältnisses gelegen hätte, weshalb die Krankenkasse vom Untersuchungstermin wieder Abstand genommen. Wenn auch die Beklagte diese Behauptung der Klägerin bestritten haben mag und als nicht schlüssig bezeichnet hat, fehlt es gleichwohl an eigenem Sachvortrag der Beklagten zu den zeitlichen Umständen und näheren Vorgaben der Krankenkasse zum Untersuchungstermin. Es ist aber nach den oben näher dargelegten Grundsätzen zunächst Aufgabe der Beklagten, die Tatsachen konkret darzulegen und unter Beweis zu stellen, die Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit aufwerfen. Es oblag mithin der Beklagten, zur Anberaumung des Untersuchungstermins nach Ort, Zeit und näheren Umständen konkret vorzutragen.
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2. Die Beklagte kann sich auch nicht darauf stützen, die Klägerin habe den Heilungserfolg durch ein grob genesungswidriges Verhalten gefährdet. Zwar kann auch dies eine außerordentliche Kündigung im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB auf der ersten Prüfungsstufe an sich rechtfertigen (BAG 02.03.2006 - 2 AZR 53/05 - juris; 26.08.1993 - 2 AZR 154/93 - juris; LAG Hamm 15.02.2013 - 13 Sa 9/13 - juris; 13.12.2006 - 10 TaBV 72/06 - juris; LAG Köln 09.10.1998 - 11 Sa 400/98 - juris). Denn ein arbeitsunfähig erkrankter Arbeitnehmer ist angehalten, alles zu unternehmen, um zu gesunden, und alles zu unterlassen, was diesem Prozess entgegenwirken könnte (BAG 02.03.2006 - 2 AZR 53/05 - juris; 26.08.1993 - 2 AZR 154/93 juris; LAG Hamm 16.09.2005 - 10 Sa 2425/04 - juris; LAG Nürnberg 27.11.2013 - 8 Sa 89/13) - juris). Da das Verhalten der Klägerin, einen einwöchigen Aufenthalt auf Sylt zu absolvieren, nicht geeignet ist, ernsthafte Zweifel am Beweiswert der vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung hervorzurufen, gibt es erst Recht keinen Anlass anzunehmen, ein einwöchiger Aufenthalt auf einer Nordseeinsel gefährde den Prozess der Heilung einer Erkrankung wegen einer Reaktion auf eine schwere psychische Belastung. Das Gegenteil dürfte der Fall sein.
3. Da bereits auf der ersten Stufe der Prüfung einer außerordentlichen Kündigung keine Tatsachen ersichtlich sind, die einen wichtigen Grund für eine fristlose Kündigung rechtfertigen könnten, kommt es nicht mehr darauf an, ob die ausgesprochene außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 25.04.2014 auch unter Abwägung der wechselseitigen Interessen auf der zweiten Prüfungsstufe unverhältnismäßig wäre, wie es das Arbeitsgericht unter Hinweis auf die erfolgte Freistellung der Klägerin nach deren Eigenkündigung angenommen hat.
41III. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 66 Abs. 6 ArbGG, 97 Abs. 1, 92 ZPO. Gründe für die Zulassung der Revision im Sinne des § 72 Abs. 2 ArbGG sind nicht gegeben. Keine der entscheidungserheblichen Rechtsfragen hat grundsätzliche Bedeutung. Die Rechtsfragen berühren auch nicht wegen ihrer tatsächlichen Auswirkungen die Interessen der Allgemeinheit oder eines größeren Teils der Allgemeinheit. Ferner lagen keine Gründe vor, die die Zulassung wegen einer Abweichung von der Rechtsprechung eines der in § 72 Abs. 2 Nr. 2 ArbGG angesprochenen Gerichte rechtfertigen würde.
(1) Das Dienstverhältnis kann von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann.
(2) Die Kündigung kann nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Der Kündigende muss dem anderen Teil auf Verlangen den Kündigungsgrund unverzüglich schriftlich mitteilen.
(1) Der Betriebsrat ist vor jeder Kündigung zu hören. Der Arbeitgeber hat ihm die Gründe für die Kündigung mitzuteilen. Eine ohne Anhörung des Betriebsrats ausgesprochene Kündigung ist unwirksam.
(2) Hat der Betriebsrat gegen eine ordentliche Kündigung Bedenken, so hat er diese unter Angabe der Gründe dem Arbeitgeber spätestens innerhalb einer Woche schriftlich mitzuteilen. Äußert er sich innerhalb dieser Frist nicht, gilt seine Zustimmung zur Kündigung als erteilt. Hat der Betriebsrat gegen eine außerordentliche Kündigung Bedenken, so hat er diese unter Angabe der Gründe dem Arbeitgeber unverzüglich, spätestens jedoch innerhalb von drei Tagen, schriftlich mitzuteilen. Der Betriebsrat soll, soweit dies erforderlich erscheint, vor seiner Stellungnahme den betroffenen Arbeitnehmer hören. § 99 Abs. 1 Satz 3 gilt entsprechend.
(3) Der Betriebsrat kann innerhalb der Frist des Absatzes 2 Satz 1 der ordentlichen Kündigung widersprechen, wenn
- 1.
der Arbeitgeber bei der Auswahl des zu kündigenden Arbeitnehmers soziale Gesichtspunkte nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat, - 2.
die Kündigung gegen eine Richtlinie nach § 95 verstößt, - 3.
der zu kündigende Arbeitnehmer an einem anderen Arbeitsplatz im selben Betrieb oder in einem anderen Betrieb des Unternehmens weiterbeschäftigt werden kann, - 4.
die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers nach zumutbaren Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen möglich ist oder - 5.
eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers unter geänderten Vertragsbedingungen möglich ist und der Arbeitnehmer sein Einverständnis hiermit erklärt hat.
(4) Kündigt der Arbeitgeber, obwohl der Betriebsrat nach Absatz 3 der Kündigung widersprochen hat, so hat er dem Arbeitnehmer mit der Kündigung eine Abschrift der Stellungnahme des Betriebsrats zuzuleiten.
(5) Hat der Betriebsrat einer ordentlichen Kündigung frist- und ordnungsgemäß widersprochen, und hat der Arbeitnehmer nach dem Kündigungsschutzgesetz Klage auf Feststellung erhoben, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst ist, so muss der Arbeitgeber auf Verlangen des Arbeitnehmers diesen nach Ablauf der Kündigungsfrist bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits bei unveränderten Arbeitsbedingungen weiterbeschäftigen. Auf Antrag des Arbeitgebers kann das Gericht ihn durch einstweilige Verfügung von der Verpflichtung zur Weiterbeschäftigung nach Satz 1 entbinden, wenn
- 1.
die Klage des Arbeitnehmers keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet oder mutwillig erscheint oder - 2.
die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers zu einer unzumutbaren wirtschaftlichen Belastung des Arbeitgebers führen würde oder - 3.
der Widerspruch des Betriebsrats offensichtlich unbegründet war.
(6) Arbeitgeber und Betriebsrat können vereinbaren, dass Kündigungen der Zustimmung des Betriebsrats bedürfen und dass bei Meinungsverschiedenheiten über die Berechtigung der Nichterteilung der Zustimmung die Einigungsstelle entscheidet.
(7) Die Vorschriften über die Beteiligung des Betriebsrats nach dem Kündigungsschutzgesetz bleiben unberührt.
(1) Die Frist für die Einlegung der Berufung beträgt einen Monat, die Frist für die Begründung der Berufung zwei Monate. Beide Fristen beginnen mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung. Die Berufung muß innerhalb einer Frist von einem Monat nach Zustellung der Berufungsbegründung beantwortet werden. Mit der Zustellung der Berufungsbegründung ist der Berufungsbeklagte auf die Frist für die Berufungsbeantwortung hinzuweisen. Die Fristen zur Begründung der Berufung und zur Berufungsbeantwortung können vom Vorsitzenden einmal auf Antrag verlängert werden, wenn nach seiner freien Überzeugung der Rechtsstreit durch die Verlängerung nicht verzögert wird oder wenn die Partei erhebliche Gründe darlegt.
(2) Die Bestimmung des Termins zur mündlichen Verhandlung muss unverzüglich erfolgen. § 522 Abs. 1 der Zivilprozessordnung bleibt unberührt; die Verwerfung der Berufung ohne mündliche Verhandlung ergeht durch Beschluss des Vorsitzenden. § 522 Abs. 2 und 3 der Zivilprozessordnung findet keine Anwendung.
(1) Gegen das Endurteil eines Landesarbeitsgerichts findet die Revision an das Bundesarbeitsgericht statt, wenn sie in dem Urteil des Landesarbeitsgerichts oder in dem Beschluß des Bundesarbeitsgerichts nach § 72a Abs. 5 Satz 2 zugelassen worden ist. § 64 Abs. 3a ist entsprechend anzuwenden.
(2) Die Revision ist zuzulassen, wenn
- 1.
eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung hat, - 2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, von einer Entscheidung des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes, von einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts oder, solange eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts in der Rechtsfrage nicht ergangen ist, von einer Entscheidung einer anderen Kammer desselben Landesarbeitsgerichts oder eines anderen Landesarbeitsgerichts abweicht und die Entscheidung auf dieser Abweichung beruht oder - 3.
ein absoluter Revisionsgrund gemäß § 547 Nr. 1 bis 5 der Zivilprozessordnung oder eine entscheidungserhebliche Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör geltend gemacht wird und vorliegt.
(3) Das Bundesarbeitsgericht ist an die Zulassung der Revision durch das Landesarbeitsgericht gebunden.
(4) Gegen Urteile, durch die über die Anordnung, Abänderung oder Aufhebung eines Arrests oder einer einstweiligen Verfügung entschieden wird, ist die Revision nicht zulässig.
(5) Für das Verfahren vor dem Bundesarbeitsgericht gelten, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über die Revision mit Ausnahme des § 566 entsprechend.
(6) Die Vorschriften der §§ 46c bis 46g, 49 Abs. 1, der §§ 50, 52 und 53, des § 57 Abs. 2, des § 61 Abs. 2 und des § 63 dieses Gesetzes über den elektronischen Rechtsverkehr, Ablehnung von Gerichtspersonen, Zustellung, Öffentlichkeit, Befugnisse des Vorsitzenden und der ehrenamtlichen Richter, gütliche Erledigung des Rechtsstreits sowie Inhalt des Urteils und Übersendung von Urteilen in Tarifvertragssachen und des § 169 Absatz 3 und 4 des Gerichtsverfassungsgesetzes über die Ton- und Fernseh-Rundfunkaufnahmen sowie Ton- und Filmaufnahmen bei der Entscheidungsverkündung gelten entsprechend.