Bundesverfassungsgericht Nichtannahmebeschluss, 16. Okt. 2014 - 2 BvR 437/12

16.10.2014

Gründe

1

Die Verfassungsbeschwerde des strafgefangenen Beschwerdeführers betrifft die fachgerichtliche Behandlung eines auf Nichtvornahme einer Durchsuchung gerichteten Eilantrages.

I.

2

1. Am 6. September 2011 wurde der in der Justizvollzugsanstalt Mannheim untergebrachte Beschwerdeführer für eine Zeugenvernehmung in einem Verfahren vor dem Amtsgericht Altenburg in die Justizvollzugsanstalt Gera überstellt. Während seines Aufenthalts dort erhielt er Besuch von seiner Großmutter. Kurz vor Beginn der Besuchsdurchführung und auch vor der Vorführung bei Gericht wurde von Beamten der Justizvollzugsanstalt Gera eine Durchsuchung durchgeführt, deren nähere Umstände streitig sind.

3

2. Mit Schreiben vom 6. September 2011 beanstandete der Beschwerdeführer bei der Justizvollzugsanstalt Gera, ohne nähere Darstellung des Vorgangs, dass er vor der Besuchsdurchführung vom selben Tage einer mit Entkleidung verbundenen körperlichen Durchsuchung unterzogen worden sei. Der Leiter der Justizvollzugsanstalt teilte dem Beschwerdeführer daraufhin mit, dass er das Schreiben im Wege der Dienstaufsicht geprüft habe. Der Umkleidungsvorgang vor einem Besuch und vor einer Aus- oder Vorführung in Anwesenheit eines Bediensteten stelle noch keine Durchsuchung im Sinne von § 84 Abs. 2 StVollzG dar. Es seien lediglich die Sachen des Beschwerdeführers durchsucht worden. Eine weitergehende Kontrolle - insbesondere die vom Beschwerdeführer behauptete körperliche Durchsuchung - sei nach schriftlicher Einlassung des zuständigen Beamten nicht erfolgt.

4

3. Mit Schriftsatz vom 17. Oktober 2011 stellte der Beschwerdeführer Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung beim Landgericht Gera. Er habe sich der Durchsuchungsprozedur (Entkleiden, Heben der Arme, Herunterziehen der Unterhose sowie Inaugenscheinnahme seiner entblößten Genitalien und seiner unverdeckten Rückenansicht) nicht nur vor dem Besuchstermin, sondern auch danach unterziehen müssen. Anlässlich eines Zeugentermins beim Amtsgericht Altenburg sei am darauffolgenden Tag ebenfalls vor und nach der Vorführung eine derartige Durchsuchung erfolgt. Zwar könne der Anstaltsleiter eine Maßnahme nach § 84 Abs. 1 StVollzG allgemein anordnen, dabei handele es sich jedoch um eine Durchsuchung ohne Entkleidung. Die Kontrolle der Person beschränke sich auf das Abtasten der Kleidung sowie auf die Suche in den Taschen oder die Überprüfung mittels elektronischer Geräte. Für den 9. November 2011 habe ihn das Landgericht Gera erneut als Zeugen geladen, so dass Wiederholungsgefahr bestehe.

5

Das Antragsschreiben ging am 20. Oktober 2011 beim Landgericht Gera ein. Mit Schriftsatz vom 18. Dezember 2011, eingegangen beim Landgericht Gera am 29. Dezember 2011, teilte der Beschwerdeführer dem Landgericht mit, dass er auf seinen Antrag vom 17. Oktober 2011 bisher keine Antwort erhalten habe. Daher sei er am 8. und 22. November 2011 erneut rechtswidrig durchsucht worden. Da eine weitere Ladung nicht ausgeschlossen sei, bestehe auch weiterhin die Gefahr, dass er rechtswidrig behandelt werde. Daher bitte er um Bearbeitung seines Antrags.

II.

6

1. Mit seiner am 24. Februar 2012 eingegangenen Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer bei sachdienlicher Auslegung seines Antrags gegen das Unterlassen des Landgerichts Gera, den Antrag auf Erlass einer einst-weiligen Anordnung seiner Dringlichkeit entsprechend zu behandeln. Das Landgericht habe auf seinen Eilantrag nicht reagiert, obwohl die mit Entkleidung verbundene Durchsuchung nach § 84 Abs. 2 und 3 StVollzG offenkundig rechtswidrig erfolgt sei und er sich zwischenzeitlich auch nach dem Verbleib seines Antrags erkundigt habe.

7

2. Das Justizministerium des Freistaats Thüringen hat zur Nichtbehandlung des Eilantrages durch das Landgericht Gera ausgeführt, dass der Antrag des Beschwerdeführers am 20. Oktober 2011 beim Landgericht eingegangen sei. Soweit habe ermittelt werden können, sei die Akte versehentlich unter die Prozessaufzeichnungen des Berichterstatters in dem Verfahren geraten, in dem der Beschwerdeführer als Zeuge geladen worden sei. Der Antrag des Beschwerdeführers und der mit dem Antrag zusammenhängende Schriftverkehr sei deshalb übersehen und nicht weiter bearbeitet worden. Die Akte sei erst im Zusammen-hang mit dem Verfassungsbeschwerdeverfahren aufgefunden worden. Zwischenzeitlich habe das Landgericht den Antrag abgewiesen.

8

3. Mit Schriftsatz vom 10. Januar 2013 hat Rechtsanwalt O. angezeigt, mit der Vertretung des Beschwerdeführers beauftragt worden zu sein und beantragt, dem Beschwerdeführer unter seiner Beiordnung Prozesskostenhilfe zu bewilligen.

9

4. Die Akte des fachgerichtlichen Verfahrens wurde beigezogen. Daraus ergibt sich, dass der Eilantrag des Beschwerdeführers am 20. Oktober 2011 beim Landgericht eingegangen und mit richterlicher Verfügung vom 3. November 2011 der Justizvollzugsanstalt zur Stellungnahme übersandt worden ist. Mit Schriftsatz vom 7. November 2011 nahm die Justizvollzugsanstalt zu dem Antrag Stellung, indem sie auf ein Schreiben vom 18. Oktober 2011 verwies, mit dem dem Beschwerdeführer ein Besuchsschein für seine Großmutter übersandt worden war. Auf der Rückseite des der Stellungnahme beigefügten Antragsschreibens des Beschwerdeführers auf Gewährung eines Besuchstermins befindet sich die richterliche Verfügung: "Weglegen". Der Schriftsatz des Beschwerdeführers vom 18. Dezember 2011, eingegangen beim Landgericht am 29. Dezember 2011, mit dem sich der Beschwerdeführer nach dem Verbleib seines Antrags erkundigt hatte, trägt den Vermerk: "Akte bei Kostenbeamtin angefordert"; das Zustellungsschreiben des Bundesverfassungsgerichts vom 18. September 2012 trägt den Vermerk "Akte im Archiv - im Hause - angefordert". Mit Vermerk vom 8. Oktober 2012 wurde festgestellt, dass sich die Akte noch in den Prozessaufzeichnungen zu dem Verfahren befunden habe, in dem der Beschwerdeführer als Zeuge geladen worden war. Dort sei die Akte irrtümlich verblieben und erst heute wieder aufgefunden worden.

III.

10

Die Verfassungsbeschwerde wird gemäß § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht zur Entscheidung angenommen, weil sie keine Aussicht auf Erfolg hat (vgl. BVerfGE 90, 22 <25 f.>).

11

Zwar dürfte das Unterlassen des Landgerichts, den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung seiner Dringlichkeit entsprechend zu behandeln, den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz aus Artikel 19 Absatz 4 des Grundgesetzes verletzt haben (1.); jedoch ist die Verfassungsbeschwerde aus Gründen der materiellen Subsidiarität unzulässig (2.).

12

1. a) Art. 19 Abs. 4 GG gewährleistet nicht nur das formelle Recht und die theoretische Möglichkeit, die Gerichte anzurufen, sondern gibt dem Rechtsschutzsuchenden Anspruch auf eine tatsächlich wirksame gerichtliche Kontrolle (vgl. BVerfGE 35, 382 <401 f.>; 37, 150 <153>; 101, 397 <407>; stRspr). Wirksam ist nur ein Rechtsschutz, der innerhalb angemessener Zeit gewährt wird. Namentlich der vorläufige Rechtsschutz im Eilverfahren hat so weit wie möglich der Schaffung vollendeter Tatsachen zuvorzukommen, die nicht mehr rückgängig gemacht werden können, wenn sich eine Maßnahme bei endgültiger richterlicher Prüfung als rechtswidrig erweist (vgl. BVerfGE 37, 150 <153>; 65, 1 <70>).

13

b) Dadurch, dass das Landgericht weder auf den Eilantrag des Beschwerdeführers noch auf die seinen Eilantrag betreffende Nachfrage reagiert hat und spätestens auf die Nachfrage des Beschwerdeführers auch hätte bemerken müssen, dass über den gestellten Eilantrag, wohl versehentlich, wenn auch mit dem abschließenden Vermerk "Weglegen", nicht entschieden worden ist, ist es den sich hieraus für die Gerichte ergebenden Anforderungen an die Auslegung und Anwendung der jeweiligen Gesetzesbestimmungen über den Eilrechtsschutz (vgl. BVerfGE 49, 220 <226>; 77, 275 <284>; 93, 1 <13 f.>; stRspr) nicht gerecht geworden. Auch wenn es sich dabei um ein bloßes Versehen gehandelt hat und Versehen dieser Art auch in einem geordneten Justizbetrieb und bei pflichtbewusst arbeitenden Richtern vorkommen können, ändert dies nichts daran, dass der Anspruch des Beschwerdeführers auf effektiven Rechtsschutz durch die Nichtbehandlung seines Eilantrags verletzt worden sein dürfte (vgl. BVerfGK 19, 25 <32>).

14

2. Die Verfassungsbeschwerde ist jedoch aus Gründen der materiellen Subsidiarität unzulässig. Zwar hat sich der Beschwerdeführer darum bemüht, sich durch Nachfrage beim Landgericht über den Verbleib seines Eilantrags zu informieren, wobei die Nachfrage bei verständiger Würdigung als Verzögerungsrüge ausgelegt werden muss, die nach § 198 Abs. 3 und Abs. 6 Nr. 1 GVG auch bei einem Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes erforderlich ist (vgl. hierzu auch BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 6. Juni 2013 - 2 BvQ 26/13 -, juris).

15

Allerdings hat der Beschwerdeführer es versäumt, beim zuständigen Oberlandesgericht eine Klage auf angemessene Entschädigung für infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens erlittene Nachteile gemäß § 198 Abs. 1, § 201 GVG zu erheben (zu diesem Erfordernis vgl. BVerfGK 19, 424 <426 f.>; BVerfG, Beschlüsse der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 28. Januar 2013 - 2 BvR 1912/12 -, juris, Rn. 4, und vom 20. Juni 2012 - 2 BvR 1565/11 -, juris, Rn. 11 ff.; Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 5. September 2013 - 1 BvR 2447/11 -, juris, Rn. 12 ff.). Das Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren, das diese Rechtsschutzmöglichkeit geschaffen hat, ist zwar erst am 3. Dezember 2011 - und damit nachdem der Beschwerdeführer seinen Antrag bei dem Landgericht anhängig gemacht hatte - in Kraft getreten. Allerdings findet das Gesetz nach Art. 23 Satz 1 auch auf im Zeitpunkt des Inkrafttretens bereits anhängige Verfahren Anwendung.

16

3. Da die Verfassungsbeschwerde keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§§ 114, 121 Abs. 2 ZPO), ist auch der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung des Rechtsanwalts O. abzulehnen.

17

Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

18

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

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(1) Soweit nach diesem Grundgesetz ein Grundrecht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden kann, muß das Gesetz allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten. Außerdem muß das Gesetz das Grundrecht unter Angabe des Artikels

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(1) Ist eine Vertretung durch Anwälte vorgeschrieben, wird der Partei ein zur Vertretung bereiter Rechtsanwalt ihrer Wahl beigeordnet. (2) Ist eine Vertretung durch Anwälte nicht vorgeschrieben, wird der Partei auf ihren Antrag ein zur Vertretung

Bundesverfassungsgerichtsgesetz - BVerfGG | § 93d


(1) Die Entscheidung nach § 93b und § 93c ergeht ohne mündliche Verhandlung. Sie ist unanfechtbar. Die Ablehnung der Annahme der Verfassungsbeschwerde bedarf keiner Begründung. (2) Solange und soweit der Senat nicht über die Annahme der Verfassungsb

Bundesverfassungsgerichtsgesetz - BVerfGG | § 93a


(1) Die Verfassungsbeschwerde bedarf der Annahme zur Entscheidung. (2) Sie ist zur Entscheidung anzunehmen, a) soweit ihr grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zukommt,b) wenn es zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 genannten Rechte angez

Gerichtsverfassungsgesetz - GVG | § 201


(1) Zuständig für die Klage auf Entschädigung gegen ein Land ist das Oberlandesgericht, in dessen Bezirk das streitgegenständliche Verfahren durchgeführt wurde. Zuständig für die Klage auf Entschädigung gegen den Bund ist der Bundesgerichtshof. Diese

Strafvollzugsgesetz - StVollzG | § 84 Durchsuchung


(1) Gefangene, ihre Sachen und die Hafträume dürfen durchsucht werden. Die Durchsuchung männlicher Gefangener darf nur von Männern, die Durchsuchung weiblicher Gefangener darf nur von Frauen vorgenommen werden. Das Schamgefühl ist zu schonen. (2) Nu

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(1) Gefangene, ihre Sachen und die Hafträume dürfen durchsucht werden. Die Durchsuchung männlicher Gefangener darf nur von Männern, die Durchsuchung weiblicher Gefangener darf nur von Frauen vorgenommen werden. Das Schamgefühl ist zu schonen.

(2) Nur bei Gefahr im Verzug oder auf Anordnung des Anstaltsleiters im Einzelfall ist es zulässig, eine mit einer Entkleidung verbundene körperliche Durchsuchung vorzunehmen. Sie darf bei männlichen Gefangenen nur in Gegenwart von Männern, bei weiblichen Gefangenen nur in Gegenwart von Frauen erfolgen. Sie ist in einem geschlossenen Raum durchzuführen. Andere Gefangene dürfen nicht anwesend sein.

(3) Der Anstaltsleiter kann allgemein anordnen, daß Gefangene bei der Aufnahme, nach Kontakten mit Besuchern und nach jeder Abwesenheit von der Anstalt nach Absatz 2 zu durchsuchen sind.

(1) Die Verfassungsbeschwerde bedarf der Annahme zur Entscheidung.

(2) Sie ist zur Entscheidung anzunehmen,

a)
soweit ihr grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zukommt,
b)
wenn es zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 genannten Rechte angezeigt ist; dies kann auch der Fall sein, wenn dem Beschwerdeführer durch die Versagung der Entscheidung zur Sache ein besonders schwerer Nachteil entsteht.

(1) Soweit nach diesem Grundgesetz ein Grundrecht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden kann, muß das Gesetz allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten. Außerdem muß das Gesetz das Grundrecht unter Angabe des Artikels nennen.

(2) In keinem Falle darf ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden.

(3) Die Grundrechte gelten auch für inländische juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind.

(4) Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg offen. Soweit eine andere Zuständigkeit nicht begründet ist, ist der ordentliche Rechtsweg gegeben. Artikel 10 Abs. 2 Satz 2 bleibt unberührt.

(1) Wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet, wird angemessen entschädigt. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter.

(2) Ein Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, wird vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat. Hierfür kann Entschädigung nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalles Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß Absatz 4 ausreichend ist. Die Entschädigung gemäß Satz 2 beträgt 1 200 Euro für jedes Jahr der Verzögerung. Ist der Betrag gemäß Satz 3 nach den Umständen des Einzelfalles unbillig, kann das Gericht einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzen.

(3) Entschädigung erhält ein Verfahrensbeteiligter nur, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat (Verzögerungsrüge). Die Verzögerungsrüge kann erst erhoben werden, wenn Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in einer angemessenen Zeit abgeschlossen wird; eine Wiederholung der Verzögerungsrüge ist frühestens nach sechs Monaten möglich, außer wenn ausnahmsweise eine kürzere Frist geboten ist. Kommt es für die Verfahrensförderung auf Umstände an, die noch nicht in das Verfahren eingeführt worden sind, muss die Rüge hierauf hinweisen. Anderenfalls werden sie von dem Gericht, das über die Entschädigung zu entscheiden hat (Entschädigungsgericht), bei der Bestimmung der angemessenen Verfahrensdauer nicht berücksichtigt. Verzögert sich das Verfahren bei einem anderen Gericht weiter, bedarf es einer erneuten Verzögerungsrüge.

(4) Wiedergutmachung auf andere Weise ist insbesondere möglich durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war. Die Feststellung setzt keinen Antrag voraus. Sie kann in schwerwiegenden Fällen neben der Entschädigung ausgesprochen werden; ebenso kann sie ausgesprochen werden, wenn eine oder mehrere Voraussetzungen des Absatzes 3 nicht erfüllt sind.

(5) Eine Klage zur Durchsetzung eines Anspruchs nach Absatz 1 kann frühestens sechs Monate nach Erhebung der Verzögerungsrüge erhoben werden. Die Klage muss spätestens sechs Monate nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung, die das Verfahren beendet, oder einer anderen Erledigung des Verfahrens erhoben werden. Bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Klage ist der Anspruch nicht übertragbar.

(6) Im Sinne dieser Vorschrift ist

1.
ein Gerichtsverfahren jedes Verfahren von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss einschließlich eines Verfahrens auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes und zur Bewilligung von Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe; ausgenommen ist das Insolvenzverfahren nach dessen Eröffnung; im eröffneten Insolvenzverfahren gilt die Herbeiführung einer Entscheidung als Gerichtsverfahren;
2.
ein Verfahrensbeteiligter jede Partei und jeder Beteiligte eines Gerichtsverfahrens mit Ausnahme der Verfassungsorgane, der Träger öffentlicher Verwaltung und sonstiger öffentlicher Stellen, soweit diese nicht in Wahrnehmung eines Selbstverwaltungsrechts an einem Verfahren beteiligt sind.

(1) Zuständig für die Klage auf Entschädigung gegen ein Land ist das Oberlandesgericht, in dessen Bezirk das streitgegenständliche Verfahren durchgeführt wurde. Zuständig für die Klage auf Entschädigung gegen den Bund ist der Bundesgerichtshof. Diese Zuständigkeiten sind ausschließliche.

(2) Die Vorschriften der Zivilprozessordnung über das Verfahren vor den Landgerichten im ersten Rechtszug sind entsprechend anzuwenden. Eine Entscheidung durch den Einzelrichter ist ausgeschlossen. Gegen die Entscheidung des Oberlandesgerichts findet die Revision nach Maßgabe des § 543 der Zivilprozessordnung statt; § 544 der Zivilprozessordnung ist entsprechend anzuwenden.

(3) Das Entschädigungsgericht kann das Verfahren aussetzen, wenn das Gerichtsverfahren, von dessen Dauer ein Anspruch nach § 198 abhängt, noch andauert. In Strafverfahren, einschließlich des Verfahrens auf Vorbereitung der öffentlichen Klage, hat das Entschädigungsgericht das Verfahren auszusetzen, solange das Strafverfahren noch nicht abgeschlossen ist.

(4) Besteht ein Entschädigungsanspruch nicht oder nicht in der geltend gemachten Höhe, wird aber eine unangemessene Verfahrensdauer festgestellt, entscheidet das Gericht über die Kosten nach billigem Ermessen.

Gründe

A.

1

Der Beschwerdeführer wendet sich insbesondere gegen die erneute Ablehnung der Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung durch das Bundesverwaltungsgericht.

2

Nachdem ein erster Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts in der gleichen Sache vom Bundesverfassungsgericht wegen fehlender Berücksichtigung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte aufgehoben worden war (siehe BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 19. Oktober 2011 - 2 BvR 754/10 -, juris) und das Bundesverwaltungsgericht zwischenzeitlich in zwei anderen Verfahren entschieden hat, dass Art. 6 Abs. 1 EMRK auch unter Berücksichtigung der genannten Rechtsprechung kein Absehen von einer gebotenen Entfernung aus dem Beamtenverhältnis rechtfertigen könne (BVerwG, Urteil vom 29. März 2012 - 2 A 11.10 -, juris, Rn. 84 ff. und Beschluss vom 16. Mai 2012 - 2 B 3.12 -, juris, Rn. 10 ff.), wies es die Revisionszulassungsbeschwerde des Beschwerdeführers mit dem hier angegriffenen Beschluss erneut zurück.

B.

3

Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil die Annahmevoraussetzungen (§ 93a Abs. 2 BVerfGG) nicht erfüllt sind. Die Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg. Sie ist - ohne grundsätzliche verfassungsrechtliche Fragen aufzuwerfen - teilweise bereits unzulässig und im Übrigen - jedenfalls unbegründet.

I.

4

Soweit die Verfassungsbeschwerde - was nicht zweifelsfrei auszuschließen ist - dahin zu verstehen sein sollte, dass der Beschwerdeführer unabhängig von der beanstandeten Nichtzulassung der Revision einen Grundrechtsverstoß durch die überlange Dauer des Disziplinarverfahrens begründet sieht, ist die Verfassungsbeschwerde bereits unzulässig. Denn der Beschwerdeführer hat es versäumt, beim zuständigen Oberverwaltungsgericht eine Klage auf angemessene Entschädigung für infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens erlittene Nachteile gemäß § 198 Abs. 1, § 201 GVG zu erheben (vgl. hierzu BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 20. Juni 2012 - 2 BvR 1565/11 -, juris, Rn. 11 ff.; Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 30. Mai 2012 - 1 BvR 2292/11, juris, Rn. 8 f.). Dem stand nicht entgegen, dass gemäß § 198 Abs. 3 Satz 1 GVG eine Entschädigung grundsätzlich nur erlangt werden kann, wenn zuvor bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt wird (Verzögerungsrüge). Denn der vorherigen Erhebung einer Verzögerungsrüge bedarf es gemäß Art. 23 Satz 4 des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren vom 24. November 2011 (BGBl I S. 2302) nicht, wenn - wie hier - in einem zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes bereits anhängigen Verfahren die Verzögerung in einer schon abgeschlossenen Instanz erfolgt ist.

II.

5

Im Übrigen ist die Verfassungsbeschwerde jedenfalls unbegründet. Der angegriffene Beschluss ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, weil er keine Auslegungs- oder Anwendungsfehler der Vorschriften über die Revisionszulassung erkennen lässt, die die Annahme objektiver Willkür rechtfertigen oder die auf einer grundsätzlich unrichtigen Auffassung von der Bedeutung und Tragweite eines Grundrechts, insbesondere vom Umfang seines Schutzbereiches, beruhen (vgl. hierzu BVerfGE 18, 85 <93>; 42, 143 <149>).

6

So erscheint es insbesondere vertretbar, wenn das Bundesverwaltungsgericht angesichts der zwischenzeitlich erfolgten Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte zur Anwendbarkeit von Art. 6 Abs. 1 EMRK auf das deutsche Disziplinarverfahren davon ausgeht, dass die Rechtsfrage der Möglichkeit einer mildernden Berücksichtigung einer überlangen Verfahrensdauer in Fällen einer gebotenen Entfernung des Beamten aus dem Beamtenverhältnis mittlerweile geklärt ist, und diese Rechtsauffassung auf die Aberkennung des Ruhegehalts erstreckt.

III.

7

Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

8

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Gründe

A.

1

Gegenstand der angegriffenen verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen ist eine Zahlungsklage einer Hochschule gegen den Beschwerdeführer - einen mittlerweile pensionierten Professor dieser Hochschule -, mit der diese in erster Linie die Herausgabe von Geldern verlangte, die der Beschwerdeführer während einer früheren Tätigkeit als Rektor einer neu gegründeten privaten Fachhochschule vereinnahmt hatte.

2

Die Verwaltungsgerichte entsprachen der Zahlungsklage, weil dem Beschwerdeführer seine frühere Tätigkeit für die private Hochschule von der Klägerin des Ausgangsverfahrens als dienstliche Aufgabe übertragen worden sei. Dabei begründete das Oberverwaltungsgericht in seinem Beschluss über die Ablehnung der Berufungszulassung den dienstlichen Charakter der Übertragung der Tätigkeit bei der privaten Hochschule anders als das Verwaltungsgericht nicht mit einer Vereinbarung zwischen der Klägerin des Ausgangsverfahrens und der privaten Hochschule, sondern mit mehreren, erst im Berufungszulassungsverfahren auf Betreiben des Oberverwaltungsgerichts beigezogenen, gegenüber dem Beschwerdeführer ergangenen Bescheiden der Klägerin.

B.

3

Der Beschwerdeführer rügt mit seiner gegen die verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen gerichteten Verfassungsbeschwerde eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG sowie die Verletzung weiterer Grundrechte. Indem das Oberverwaltungsgericht in den erst im Zulassungsverfahren beigezogenen Bescheiden die inzidente Übertragung einer Dienstaufgabe gesehen habe, stelle es letztlich tragend auf einen Gesichtspunkt ab, der vom Verwaltungsgericht nicht erörtert worden sei und mit dem er (der Beschwerdeführer) auch nicht habe rechnen müssen.

4

Sein Recht aus Art. 19 Abs. 4 GG sei durch eine überlange Dauer des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens verletzt worden. Das erstinstanzliche verwaltungsgerichtliche Verfahren habe nahezu vier Jahre gedauert. Durch die Verfahrensverzögerung sei ihm eine erhebliche Zinslast entstanden. Noch schwerer wiege, dass im Laufe des Verfahrens ein wesentlicher, für ihn sprechender Zeuge verstorben sei, weswegen in beiden Instanzen die überlange Verfahrensdauer bei der Frage der Beweislast hätte berücksichtigt werden müssen.

C.

5

Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil Annahmegründe nach § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht gegeben sind. Sie hat weder grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung noch ist ihre Annahme zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt. Die Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg, weil sie bereits unzulässig ist.

I.

6

Soweit der Beschwerdeführer eine Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG sowie weiterer Grundrechte (mit Ausnahme der überlangen Verfahrensdauer) rügt, ist die Verfassungsbeschwerde wegen fehlender Rechtswegerschöpfung sowie aus Gründen der materiellen Subsidiarität unzulässig.

7

1. Wird mit der Verfassungsbeschwerde eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) geltend gemacht, so zählt die Anhörungsrüge an das Fachgericht zum Rechtsweg, von dessen Erschöpfung die Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde gemäß § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG im Regelfall abhängig ist (vgl. BVerfGE 122, 190 <198>). Das Unterlassen einer Anhörungsrüge, wenn diese nicht offensichtlich aussichtslos wäre, hat zudem zur Folge, dass die Verfassungsbeschwerde nicht nur in Bezug auf die behauptete Verletzung des grundrechtsgleichen Rechts aus Art. 103 Abs. 1 GG, sondern insgesamt unzulässig ist (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 25. April 2005 - 1 BvR 644/05 -, NJW 2005, S. 3059).

8

2. Hieran gemessen ist die Verfassungsbeschwerde (abgesehen von der gerügten überlangen Verfahrensdauer) insgesamt unzulässig.

9

Wie der Beschwerdeführer zu Recht anmerkt, spricht einiges dafür, dass das Oberverwaltungsgericht ihm vor Ablehnung des Berufungszulassungsantrags Gelegenheit zur Stellungnahme hätte geben müssen, weil es die Begründetheit der gegen den Beschwerdeführer gerichteten Klage mit anderen tragenden Erwägungen begründen wollte, als dies die Vorinstanz getan hatte (vgl. dazu etwa BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 15. Februar 2011 - 1 BvR 980/10 -, NVwZ-RR 2011, S. 460 f.). Da dem Beschwerdeführer nach eigenen Angaben keine solche Gelegenheit zur Stellungnahme gewährt wurde, wäre eine gemäß § 152a VwGO gegen den Beschluss des Oberverwaltungsgerichts statthafte Anhörungsrüge jedenfalls nicht offensichtlich aussichtslos gewesen.

10

Es erscheint auch nicht ausgeschlossen, dass das Oberverwaltungsgericht auf die Anhörungsrüge das Berufungszulassungsverfahren fortgeführt und sodann (möglicherweise mit Ausnahme der gerügten überlangen Verfahrensdauer) auch die weiteren geltend gemachten Grundrechtsverstöße geheilt hätte.

II.

11

Ob auch der gerügte Verstoß gegen das Verbot überlanger Verfahrensdauer hätte beseitigt werden können, etwa durch eine Feststellung des Rechtsverstoßes (vgl. dazu EGMR, Urteil vom 10. Februar 2005 - 64387/01 -, juris, Rn. 39 sowie § 198 Abs. 4 Satz 1 GVG in der seit dem 3. Dezember 2011 geltenden Fassung) oder durch eine Berücksichtigung der Verfahrensdauer im Rahmen der Beweiswürdigung (vgl. BFH, Beschluss vom 22. Juli 2008 - II B 18/08 -, juris, Rn. 33), kann offen bleiben, weil die Verfassungsbeschwerde insoweit bereits deswegen aus Gründen der materiellen Subsidiarität unzulässig ist, weil es nicht von vornherein ausgeschlossen erscheint, dass der Beschwerdeführer nach den Vorschriften des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren vom 24. November 2011 (BGBl I S. 2302) eine Kompensation des gerügten Verstoßes gegen das Verbot überlanger Verfahrensdauer hätte erreichen können.

12

1. Nach dem Grundsatz der materiellen Subsidiarität muss ein Beschwerdeführer das ihm Mögliche tun, damit eine Grundrechtsverletzung im fachgerichtlichen Instanzenzug unterbleibt oder beseitigt wird und alle nach Lage der Sache zur Verfügung stehenden prozessualen Möglichkeiten ergreifen, um die geltend gemachte Grundrechtsverletzung in dem unmittelbar mit ihr zusammenhängenden sachnächsten Verfahren zu verhindern oder zu beseitigen (vgl. BVerfGE 107, 395 <414>; 112, 50 <60>; stRspr).

13

2. Gemessen hieran wäre es dem Beschwerdeführer nach Erhebung der Verfassungsbeschwerde zumutbar gewesen, zu versuchen, den gerügten Grundrechtsverstoß durch die Geltendmachung eines Entschädigungsanspruchs nach dem Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren ganz oder zumindest teilweise zu beseitigen.

14

a) Gemäß § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG in der Fassung des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren vom 24. November 2011 (BGBl I S. 2302) wird entschädigt, wer als Verfahrensbeteiligter infolge unangemessen langer Dauer eines Verfahrens einen Nachteil erleidet. Gemäß Art. 23 Satz 1 des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren gilt das Gesetz auch für abgeschlossene Verfahren, "deren Dauer bei seinem Inkrafttreten Gegenstand von anhängigen Beschwerden beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ist oder noch werden kann". Die Klage zur Durchsetzung eines Anspruchs nach § 198 Abs. 1 GVG kann bei abgeschlossenen Verfahren sofort und muss spätestens am 3. Juni 2012 erhoben werden (vgl. Art. 23 Satz 6 des Gesetzes).

15

b) Danach erscheint es nicht ausgeschlossen, dass der Beschwerdeführer nach Erhebung seiner Verfassungsbeschwerde noch Gelegenheit gehabt hätte, einen Entschädigungsanspruch nach § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG geltend zu machen.

16

Das verwaltungsgerichtliche Verfahren war zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren bereits abgeschlossen. Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts wurde dem Beschwerdeführer am 23. Juni 2011 zugestellt. Gemäß Art. 35 Abs. 1 EMRK beträgt die Frist zur Erhebung einer Individualbeschwerde zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte sechs Monate nach der endgültigen innerstaatlichen Entscheidung. Danach dürfte der Beschwerdeführer bis zum Ablauf des 23. Dezember 2011 Gelegenheit gehabt haben, einen Entschädigungsanspruch geltend zu machen. Der vorherigen Erhebung einer Verzögerungsrüge nach § 198 Abs. 3 Satz 1 GVG bedurfte es gemäß Art. 23 Satz 5 des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren nicht.

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Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

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Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

(1) Eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, erhält auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Für die grenzüberschreitende Prozesskostenhilfe innerhalb der Europäischen Union gelten ergänzend die §§ 1076 bis 1078.

(2) Mutwillig ist die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung, wenn eine Partei, die keine Prozesskostenhilfe beansprucht, bei verständiger Würdigung aller Umstände von der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung absehen würde, obwohl eine hinreichende Aussicht auf Erfolg besteht.

(1) Ist eine Vertretung durch Anwälte vorgeschrieben, wird der Partei ein zur Vertretung bereiter Rechtsanwalt ihrer Wahl beigeordnet.

(2) Ist eine Vertretung durch Anwälte nicht vorgeschrieben, wird der Partei auf ihren Antrag ein zur Vertretung bereiter Rechtsanwalt ihrer Wahl beigeordnet, wenn die Vertretung durch einen Rechtsanwalt erforderlich erscheint oder der Gegner durch einen Rechtsanwalt vertreten ist.

(3) Ein nicht in dem Bezirk des Prozessgerichts niedergelassener Rechtsanwalt kann nur beigeordnet werden, wenn dadurch weitere Kosten nicht entstehen.

(4) Wenn besondere Umstände dies erfordern, kann der Partei auf ihren Antrag ein zur Vertretung bereiter Rechtsanwalt ihrer Wahl zur Wahrnehmung eines Termins zur Beweisaufnahme vor dem ersuchten Richter oder zur Vermittlung des Verkehrs mit dem Prozessbevollmächtigten beigeordnet werden.

(5) Findet die Partei keinen zur Vertretung bereiten Anwalt, ordnet der Vorsitzende ihr auf Antrag einen Rechtsanwalt bei.

(1) Die Entscheidung nach § 93b und § 93c ergeht ohne mündliche Verhandlung. Sie ist unanfechtbar. Die Ablehnung der Annahme der Verfassungsbeschwerde bedarf keiner Begründung.

(2) Solange und soweit der Senat nicht über die Annahme der Verfassungsbeschwerde entschieden hat, kann die Kammer alle das Verfassungsbeschwerdeverfahren betreffenden Entscheidungen erlassen. Eine einstweilige Anordnung, mit der die Anwendung eines Gesetzes ganz oder teilweise ausgesetzt wird, kann nur der Senat treffen; § 32 Abs. 7 bleibt unberührt. Der Senat entscheidet auch in den Fällen des § 32 Abs. 3.

(3) Die Entscheidungen der Kammer ergehen durch einstimmigen Beschluß. Die Annahme durch den Senat ist beschlossen, wenn mindestens drei Richter ihr zustimmen.