Bundesverfassungsgericht Einstweilige Anordnung, 08. Juli 2016 - 1 BvR 1534/16
Gericht
Tenor
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1. Die Ziffern IV. Nr. 2 Satz 2 und Nr. 3 der Anordnung des Vorsitzenden Richters des 7. Strafsenats des Oberlandesgerichts München vom 6. Juni 2016 - 7 St 1/16 - werden bis zu einer Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde in der Hauptsache, längstens jedoch für die Dauer von sechs Monaten, in ihrer Wirksamkeit ausgesetzt.
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2. Die Anordnung des Vorsitzenden Richters des 7. Strafsenats des Oberlandesgerichts München vom 15. Juni 2016 - 7 St 1/16 - wird bis zu einer Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde in der Hauptsache, längstens jedoch für die Dauer von sechs Monaten, in ihrer Wirksamkeit ausgesetzt.
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3. Der Freistaat Bayern hat den Antragstellerinnen die notwendigen Auslagen im Verfahren der einstweiligen Anordnung zu erstatten.
Gründe
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Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat Erfolg. Die vom Bundesverfassungsgericht im Rahmen der Entscheidung nach § 32 Abs. 1 BVerfGG vorzunehmende Folgenabwägung (vgl. BVerfGE 71, 158 <161>; 88, 185 <186>; 91, 252 <257 f.>; stRspr) führt zu dem Ergebnis, dass die für den Erlass einer einstweiligen Anordnung sprechenden Gründe überwiegen.
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1. Im verfassungsgerichtlichen Eilverfahren braucht nicht geklärt zu werden, ob sitzungspolizeiliche Anordnungen, die der Vorsitzende Richter des Oberlandesgerichts im ersten Rechtszuge trifft, mit Blick auf die Garantie effektiven Rechtsschutzes in grundrechtskonformer Erweiterung des § 304 Abs. 4 Satz 2 Halbsatz 2 StPO fachgerichtlichem Rechtsschutz zugänglich sind (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 17. April 2015 - 1 BvR 3276/08 -, NJW 2015, S. 2175 <2176>). Jedenfalls war den Antragstellerinnen die vorrangige Inanspruchnahme des Rechtsbehelfs der Beschwerde unter Berücksichtigung der entgegenstehenden Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs unzumutbar (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Oktober 2015 - StB 10/15, StB 11/15 -, NJW 2015, S. 3671 <3671 f.>).
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2. Über den Antrag auf einstweilige Anordnung ist nach Maßgabe einer Folgenabwägung zu entscheiden. Diese fällt zugunsten der Antragstellerinnen aus. Die Verfassungsbeschwerde ist hinsichtlich der angegriffenen sitzungspolizeilichen Anordnungen offensichtlich begründet. Die Anordnungen des Vorsitzenden genügen den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht, weil der Vorsitzende die für seine Entscheidung maßgebenden Gründe nicht offengelegt und dadurch den Betroffenen nicht zu erkennen gegeben hat, dass in die Abwägung alle dafür erheblichen Umstände eingestellt worden sind (vgl. BVerfGE 119, 309 <327 f.>; vgl. auch BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 3. April 2009 - 1 BvR 654/09 -, NJW 2009, S. 2117 <2118>; Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 31. Juli 2014 - 1 BvR 1858/14 -, NJW 2014, S. 3013 <3013 f.>). Weder die Anordnung vom 6. Juni 2016 noch die sitzungspolizeiliche Verfügung vom 15. Juni 2016 lassen die für die Entscheidung maßgeblichen Gründe erkennen. Bereits aus diesem Grund war die beantragte einstweilige Anordnung zu erlassen. Dem Vorsitzenden bleibt es unbenommen, neuerlich eine Anordnung zu erlassen, in der die maßgebenden Gründe offengelegt werden.
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3. Die Entscheidung über die Erstattung der Auslagen beruht auf § 34a Abs. 3 BVerfGG.
Annotations
(1) Das Bundesverfassungsgericht kann im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist.
(2) Die einstweilige Anordnung kann ohne mündliche Verhandlung ergehen. Bei besonderer Dringlichkeit kann das Bundesverfassungsgericht davon absehen, den am Verfahren zur Hauptsache Beteiligten, zum Beitritt Berechtigten oder Äußerungsberechtigten Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.
(3) Wird die einstweilige Anordnung durch Beschluß erlassen oder abgelehnt, so kann Widerspruch erhoben werden. Das gilt nicht für den Beschwerdeführer im Verfahren der Verfassungsbeschwerde. Über den Widerspruch entscheidet das Bundesverfassungsgericht nach mündlicher Verhandlung. Diese muß binnen zwei Wochen nach dem Eingang der Begründung des Widerspruchs stattfinden.
(4) Der Widerspruch gegen die einstweilige Anordnung hat keine aufschiebende Wirkung. Das Bundesverfassungsgericht kann die Vollziehung der einstweiligen Anordnung aussetzen.
(5) Das Bundesverfassungsgericht kann die Entscheidung über die einstweilige Anordnung oder über den Widerspruch ohne Begründung bekanntgeben. In diesem Fall ist die Begründung den Beteiligten gesondert zu übermitteln.
(6) Die einstweilige Anordnung tritt nach sechs Monaten außer Kraft. Sie kann mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der Stimmen wiederholt werden.
(7) Ist ein Senat nicht beschlußfähig, so kann die einstweilige Anordnung bei besonderer Dringlichkeit erlassen werden, wenn mindestens drei Richter anwesend sind und der Beschluß einstimmig gefaßt wird. Sie tritt nach einem Monat außer Kraft. Wird sie durch den Senat bestätigt, so tritt sie sechs Monate nach ihrem Erlaß außer Kraft.
(1) Erweist sich der Antrag auf Verwirkung der Grundrechte (§ 13 Nr. 1), die Anklage gegen den Bundespräsidenten (§ 13 Nr. 4) oder einen Richter (§ 13 Nr. 9) als unbegründet, so sind dem Antragsgegner oder dem Angeklagten die notwendigen Auslagen einschließlich der Kosten der Verteidigung zu ersetzen.
(2) Erweist sich eine Verfassungsbeschwerde als begründet, so sind dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen ganz oder teilweise zu erstatten.
(3) In den übrigen Fällen kann das Bundesverfassungsgericht volle oder teilweise Erstattung der Auslagen anordnen.