Bundessozialgericht Urteil, 12. Okt. 2016 - B 4 AS 37/15 R

bei uns veröffentlicht am12.10.2016

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 23. Juli 2015 - L 7 AS 546/14 - wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander auch für das Revisionsverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Tatbestand

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Streitig sind höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in der Zeit vom 1.1.2006 bis 31.12.2010.

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Der Beklagte bewilligte dem 1959 geborenen Kläger, der seit 1.10.2005 durchgehend ein Gewerbe mit An- und Verkauf von Flohmarktartikeln, Computern sowie einen Ebay-Handel betreibt, vom 1.10.2005 bis 1.2.2011 SGB II-Leistungen, zuletzt ab 1.12.2010 (Bescheid vom 22.11.2010; Widerspruchsbescheid vom 8.3.2011). Der Kläger ist geschieden und Vater eines Kindes, das bei der Mutter lebt. Seit Mai 2008 tilgt er Rückstände wegen Zahlungen von Unterhaltsvorschussleistungen, in der Zeit vom 1.1.2006 bis 30.9.2008 mit einer Rate in Höhe von monatlich 100,00 Euro. Seit Juni 2009 erbringt er zusätzlich wegen aufgelaufener Schulden aus Unterhaltsverpflichtungen gegenüber seiner ehemaligen Frau Raten zu 50,00 Euro monatlich. Zeitweise erfolgten Zahlungen auf den laufenden, titulierten Kindesunterhalt.

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Mit den beiden Überprüfungsanträgen vom 15.12.2010 und 15.3.2011, jeweils "für die Zeit ab 01.01.2006", führte der Kläger aus, seine Unterhaltsverpflichtungen bzw Unterhaltszahlungen an die minderjährige Tochter und die ehemalige Ehefrau seien nicht ausreichend berücksichtigt worden. Diese Anträge lehnte der Beklagte ab. Zahlungen auf laufenden Kindesunterhalt seien zugrunde gelegt worden; solche auf Unterhaltsrückstände seien nicht vom Einkommen abzusetzen (Bescheid vom 4.8.2011; Widerspruchsbescheid vom 20.1.2012).

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Bezugnehmend auf ein Urteil des SG Augsburg vom 13.3.2012, nach dessen Inhalt für den Zeitraum vom 1.5.2008 bis 30.11.2009 wegen Tilgung von Unterhaltschulden höhere SGB II-Leistungen erbracht werden sollten, beantragte der Kläger am 8.5.2012 erneut die Überprüfung "betreffend sämtlicher Bewilligungsbescheide ab 2006 bis einschließlich Ende 2010." Dies lehnte der Beklagte mit dem Hinweis ab, dass eine Überprüfung nur für maximal ein Jahr zurückliegende Bescheide möglich sei. Frühere Bewilligungszeiträume könnten nicht über den Umweg des Überprüfungsbescheids Gegenstand eines erneuten Verfahrens werden (Bescheid vom 9.5.2012; Widerspruchsbescheid vom 6.6.2012).

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Das SG hat den Bescheid des Beklagten vom 9.5.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 6.6.2012 teilweise aufgehoben und ihn verpflichtet, den (letzten) Bewilligungsbescheid vom 22.11.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8.3.2011 abzuändern und dem Kläger für Januar 2011 höhere Leistungen zu bewilligen. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen (Urteil vom 16.6.2014). Zur Begründung seiner Entscheidung hat es ausgeführt, in den rückwirkenden Zeitraum der Überprüfung von einem Jahr falle auch der Überprüfungsbescheid vom 4.8.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.1.2012, weshalb alle Zeiträume, die im Rahmen dieses Bescheids zu überprüfen gewesen seien, nochmals zu prüfen seien, also alle Bewilligungsbescheide, die nach dem 1.1.2007 ergangen seien. Bis auf die Bewilligung von SGB II-Leistungen für Januar 2011 seien diese Bescheide rechtmäßig gewesen. Im Januar 2011 sei aber eine Zahlung auf laufenden, titulierten Kindesunterhalt nicht einkommensmindernd berücksichtigt worden. Auch wegen eines höheren Regelbedarfs hätten dem Kläger im Januar 2011 höhere Leistungen von insgesamt 841,76 Euro zugestanden.

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Das LSG hat die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 23.7.2015). Zur Begründung seiner Entscheidung hat es ausgeführt, nach dem Berufungsantrag sei Streitgegenstand ein Anspruch auf höhere SGB II-Leistungen für den Zeitraum vom 1.1.2006 bis 31.12.2010. Diesen Anspruch verfolge der Kläger prozessual zum einen dadurch, dass er Nichtigkeitsfeststellungsklagen bezüglich des Überprüfungsbescheids vom 4.8.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.1.2012 (basierend auf den Anträgen vom 15.12.2010 und 15.3.2011) und des Bescheids vom 9.5.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 6.6.2012 (Antrag vom 8.5.2012) sowie sämtlicher im Bewilligungszeitraum vom 1.1.2006 bis 31.12.2010 ergangenen Bescheide erhebe. Zum anderen begehre der Kläger im Wege der Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage höhere Leistungen nach dem SGB II. Streitgegenstand sei hier allein der Überprüfungsbescheid vom 9.5.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 6.6.2012. Zwar sei die Klage trotz fehlenden vorherigen Antrags auf Feststellung der Nichtigkeit des Bescheids vom 4.8.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.1.2012 bei dem Beklagten zulässig; auch ein Feststellungsinteresse könne bejaht werden. Die Nichtigkeitsfeststellungsklage gegen diesen Bescheid sei jedoch unbegründet, weil Nichtigkeitsgründe nicht ersichtlich seien. Die Klage auf Feststellung der Nichtigkeit des Überprüfungsbescheids vom 9.5.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 6.6.2012 sei unzulässig, weil der Kläger insoweit innerhalb der Rechtsmittelfrist eine Klage erhoben habe. Die Nichtigkeitsfeststellungsklage bezogen auf sämtliche Bewilligungsbescheide des Zeitraums vom 1.1.2006 bis 31.12.2010 sei ebenfalls unzulässig, weil ein Begünstigter kein Interesse an einer Beseitigung der Rechtsgrundlage für die erhaltenen Leistungen mit einer möglichen Erstattungsforderung des Leistungsträgers haben könne. Soweit der Kläger mit seiner Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage eine Überprüfung der in der Zeit vom 1.1.2006 bis 31.12.2010 bewilligten Leistungen begehre, sei dies unbegründet. Der Antrag vom 8.5.2012 wirke nur ein Jahr, also auf den 1.1.2011, zurück. Es bedürfe keiner Entscheidung des Beklagten darüber, ob dem Kläger bis Dezember 2010 Leistungen vorenthalten worden seien.

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Mit seiner Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 40 SGB X. Der Sachbearbeiter des Beklagten habe durch die unzutreffende Bewilligung von SGB II-Leistungen bewusst in Kauf genommen, dass er - der Kläger - sich einer Unterhaltspflichtverletzung strafbar mache. Die Regelung des § 40 Abs 2 Nr 4 SGB X sei so zu verstehen, dass die Begehung einer rechtswidrigen Tat durch die Behörde auch dann verlangt werde, wenn durch Nichtanrechnung von Unterhaltsleistungen auf das erzielte Einkommen billigend in Kauf genommen werde, dass der Sozialleistungsempfänger seinen Unterhaltsverpflichtungen nicht nachkommen könne. Werde die Nichtigkeit der Bescheide festgestellt, die den Bewilligungszeitraum vom 1.1.2006 bis 31.12.2010 regelten, müsse jeweils erneut über die Leistungsanträge entschieden werden. Der Überprüfungsbescheid vom 4.8.2011 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 20.1.2012 sei auch bezogen auf den Zeitraum vom 1.1.2006 bis 31.12.2010 erneut zu überprüfen, weil er diesen Bescheid innerhalb der Frist des § 40 Abs 1 S 2 SGB II zur Überprüfung gestellt habe. Hierbei müsse das Gericht zu dem Ergebnis gelangen, dass die von ihm nachgewiesenen Zahlungen auf Unterhaltsrückstände, die nach dem UVG bestünden, einkommensmindernd zu berücksichtigen seien. Diese seien nur deshalb entstanden, weil seine Unterhaltszahlungen nicht einkommensmindernd berücksichtigt worden seien, sodass diese letztlich durch den Beklagten verursacht seien.

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Der Kläger beantragt,
1. das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 23.7.2015 und das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 16.6.214 werden aufgehoben und die Nichtigkeit des Überprüfungsbescheids vom 4.8.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.1.2012 und des Überprüfungsbescheids vom 9.5.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 6.6.2012 sowie aller im Bewilligungszeitraum vom 1.1.2006 bis 31.12.2010 ergangenen Verwaltungsakte festgestellt,
2. der Beklagte wird unter Aufhebung des Urteils des Bayerischen Landessozialgerichts vom 23.7.2015 und Abänderung des Urteils des Sozialgerichts Augsburg vom 16.6.2014 verurteilt, die Bewilligungsbescheide für die Zeit ab 1.1.2006 bis einschließlich 31.12.2010 aufzuheben, neu zu entscheiden und dem Kläger Leistungen für diesen gesamten Zeitraum unter Anrechnung seiner Unterhaltszahlungen, auch soweit es sich um die Tilgung titulierter Unterhaltsrückstände handelt, zu bewilligen.

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Der Beklagte beantragt,
die Revision des Klägers zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

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1. Die Revision des Klägers ist zulässig.

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2. a) Sein Begehren ist zunächst darauf gerichtet, durch die Aufhebung des ablehnenden Überprüfungsbescheides vom 9.5.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 6.6.2012 eine Überprüfung sämtlicher Bewilligungsbescheide für den Zeitraum ab 1.1.2006 bis 31.12.2010 zu erreichen. Richtige Klageart ist insoweit eine kombinierte Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage (zuletzt BSG Urteil vom 13.2.2014 - B 4 AS 22/13 R - BSGE 115, 126 = SozR 4-1300 § 44 Nr 28, RdNr 11 mwN). Mit der Anfechtungsklage begehrt der Kläger die Aufhebung des - die Überprüfung ablehnenden - Verwaltungsakts vom 9.5.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 6.6.2012. Die Verpflichtungsklage ist auf die Erteilung eines Bescheids durch den Beklagen gerichtet, mit dem dieser die begehrte Änderung der Bewilligungsbescheide für die Jahre 2006 bis 2010 bewirken soll. Mit der Leistungsklage beantragt er höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts im streitigen Zeitraum.

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b) Die Revision ist jedoch insoweit unbegründet, weil das LSG die Berufung des Klägers im Ergebnis zu Recht zurückgewiesen hat (§ 170 Abs 1 S 2 SGG). Dies folgt allerdings nicht bereits daraus, dass es schon an einem hinreichend konkretisierten Antrag iS des § 44 SGB X mangelte.

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Nach § 40 Abs 1 S 1 SGB II iVm § 44 Abs 1 S 1 SGB X ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsakts das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Erfolgt die Überprüfung aufgrund eines Antrags des Leistungsberechtigten, löst dieser Antrag grundsätzlich eine Prüfpflicht des Leistungsträgers aus, bestimmt jedoch zugleich auch den Umfang des Prüfauftrags der Verwaltung im Hinblick darauf, ob bei Erlass des Verwaltungsakts das Recht unrichtig angewandt oder von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen worden ist. Insofern hat der Senat bereits entschieden, dass sich der Verwaltung aufgrund oder aus Anlass des Antrags im Einzelfall objektiv erschließen muss, aus welchem Grund - Rechtsfehler und/oder falsche Sachverhaltsgrundlage - nach Auffassung des Leistungsberechtigten eine Überprüfung erfolgen soll. Dazu muss der Antrag konkretisierbar sein. Entweder aus dem Antrag selbst (ggf nach Auslegung) oder aus einer Antwort des Leistungsberechtigten aufgrund konkreter Nachfrage des Sozialleistungsträgers muss der Umfang des Prüfauftrags für die Verwaltung bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens erkennbar werden. Ist dies nicht der Fall, ist der Sozialleistungsträger berechtigt, von einer inhaltlichen Prüfung dieses Antrags abzusehen (vgl hierzu näher zuletzt BSG Urteil vom 13.2.2014 - B 4 AS 22/13 R - BSGE 115, 126 = SozR 4-1300 § 44 Nr 28, RdNr 13 ff mwN).

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Trotz fehlender Bezeichnung der im Einzelnen aus Sicht des Klägers im Wege des § 44 SGB X zu korrigierenden Bewilligungsbescheide im Sinne seines Antrags auf Überprüfung vom 8.5.2012 mangelt es nicht schon an einem hinreichend objektiv konkretisierbaren Antrag iS des § 44 SGB X, der eine inhaltliche Prüfverpflichtung des SGB II-Trägers von vornherein entfallen ließe. Der Umfang des Prüfauftrags war für den Beklagten erkennbar, weil der Kläger konkret vorgetragen hat, für welchen Zeitraum er die Berücksichtigung seiner rückständigen Unterhaltsverpflichtungen als Absetzbetrag vom Einkommen bzw als "besonderen Bedarf" begehrt. Da er ausgeführt hat, dass er in einem bezeichneten Zeitraum der durchgehenden Leistungsbewilligung die Berücksichtigung seiner rückständigen Unterhaltsverpflichtungen als Absetzbetrag von seinem Einkommen verfolgt, waren für den Beklagten trotz fehlender Bezeichnung der aus Sicht des Klägers zu ändernden Bewilligungsbescheide diese ohne Weiteres ermittelbar und der Umfang des Prüfauftrags erkennbar.

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c) Der Bescheid vom 9.5.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 6.6.2012 ist jedoch rechtmäßig. Der Kläger hat keinen Anspruch auf eine (weitergehende) teilweise Rücknahme der in dem Zeitraum vom 1.1.2006 bis 31.12.2010 erlassenen Bewilligungsbescheide und rückwirkende Zahlung höherer Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Für den nicht mehr streitgegenständlichen Monat Januar 2011 hat das SG eine teilweise Abänderung des Bewilligungsbescheids vom 22.11.2010 und rückwirkende Leistungserbringung ausgesprochen. Bezogen auf den streitigen Zeitraum ist - anders als von den Vorinstanzen angenommen - schon eine Rücknahmeentscheidung nicht mehr zu treffen.

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Nach § 40 Abs 1 S 2 SGB II idF des Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 24.3.2011 (BGBl I 453) gilt abweichend von § 40 Abs 1 S 1 SGB II die Vorschrift des § 44 Abs 4 S 1 SGB X zur rückwirkenden Erbringung von Sozialleistungen mit der Maßgabe, dass anstelle des Zeitraums von vier Jahren ein solcher von einem Jahr gilt. Nach gefestigter Rechtsprechung des BSG hat die Verwaltung schon eine Rücknahmeentscheidung nach § 44 Abs 1 SGB X nicht mehr zu treffen, wenn die rechtsverbindliche, grundsätzlich zurückzunehmende Entscheidung ausschließlich Leistungen für Zeiten betrifft, die außerhalb der durch den Rücknahmeantrag bestimmten Verfallsfrist liegen. Die Unanwendbarkeit der "Vollzugsregelung des § 44 Abs 4 SGB X" steht dann einer isolierten Rücknahme entgegen(BSG Urteil vom 13.2.2014 - B 4 AS 19/13 R - BSGE 115, 121 = SozR 4-1300 § 44 Nr 29, RdNr 16; BSG Urteil vom 6.3.1991 - 9b RAr 7/90 - BSGE 68, 180, 181 = SozR 3-1300 § 44 Nr 1 S 3). Die Rücknahme steht unter dem Vorbehalt, dass Sozialleistungen nach § 44 Abs 4 SGB X noch zu erbringen sind (BSG Urteil vom 28.2.2013 - B 8 SO 4/12 R - juris RdNr 10). Dies gilt in gleicher Weise bei der Verkürzung der rückwirkenden Leistungserbringung auf einen Zeitraum bis zu einem Jahr nach § 40 Abs 1 S 2 SGB II, wenn der Antrag auf Rücknahme - wie vorliegend der Überprüfungsantrag vom 8.5.2012 - nach dem 31.3.2011 gestellt worden ist (vgl zum Asylbewerberleistungsrecht bereits BSG Urteil vom 26.6.2013 - B 7 AY 6/12 R - BSGE 114, 20 = SozR 4-3520 § 9 Nr 4, RdNr 10 ff). Die Übergangsregelung des § 77 Abs 13 SGB II, nach der § 40 Abs 1 S 2 SGB II nicht anwendbar ist auf Anträge nach § 44 SGB X, die vor dem 1.4.2011 gestellt worden sind, findet keine Anwendung.

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Gegen die durch § 40 Abs 1 S 2 SGB II bewirkte Beschränkung rückwirkender Leistungserbringung im Falle der Aufhebung eines rechtswidrigen, nicht begünstigenden Verwaltungsakts mit Wirkung für die Vergangenheit nach § 44 Abs 1 oder Abs 2 SGB X bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken(zur Verfassungsmäßigkeit der Vierjahresfrist des § 44 Abs 4 S 1 SGB X: BSG Urteil vom 23.7.1986 - 1 RA 31/85 - BSGE 60, 158, 161 = SozR 1300 § 44 Nr 23 S 54). Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art 1 Abs 1 iVm Art 20 Abs 1 GG verlangt nur die Erbringung von Leistungen, die zur gegenwärtigen Aufrechterhaltung eines menschenwürdigen Daseins unbedingt erforderlich sind (BVerfG Urteil vom 9.2.2010 - 1 BvL 1/09 ua - BVerfGE 125, 175, 223, 226 ff). Die rückwirkende Gewährung (höherer) existenzsichernder Leistungen ist verfassungsrechtlich nicht zwingend geboten. Es lässt sich dem Grundgesetz keine allgemeine Verpflichtung der vollziehenden Gewalt entnehmen, rechtswidrig belastende und rechtswidrig begünstigende Verwaltungsakte unbeschadet des Eintritts ihrer formellen Bestandskraft von Amts wegen oder auf Antrag des Adressaten aufzuheben oder abzuändern (vgl hierzu auch Aubel in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 4. Aufl 2015, § 40 RdNr 33). Im Ergebnis können daher Sozialleistungen rückwirkend über den 1.1.2011 hinausgehend nicht mehr erbracht werden.

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d) Entgegen der Ansicht des Klägers und der Vorinstanzen kann mit dem Überprüfungsantrag vom 8.5.2012 keine erneute Eröffnung des bereits durch den Bescheid vom 4.8.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.1.2012 abgeschlossenen Überprüfungsverfahrens eingeleitet werden. Auch hier steht die verkürzte Verfallsfrist des § 40 Abs 1 S 2 SGB II iVm § 44 Abs 4 SGB X entgegen.

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Zwar fällt der Überprüfungsbescheid vom 4.8.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.1.2012 in den Einjahreszeitraum des § 40 Abs 1 S 2 SGB II iVm § 44 Abs 4 SGB X. Durch eine Rücknahme der rechtsverbindlichen Ablehnung einer Überprüfung lebt der darauf ursprünglich gerichtet gewesene Antrag jedoch nicht in der Weise auf, dass er für die Fristberechnung der Verfallsfrist maßgebend ist (vgl zum Wiederaufleben eines entsprechenden Antrags BSG Urteil vom 17.11.1981 - 9 RV 26/81 - SozR 1200 § 44 Nr 4). Die rückwirkende Leistungserbringung ist vielmehr ausgehend von dem Antrag vom 8.5.2012 zu beurteilen, über den in diesem Verfahren allein zu entscheiden ist, nicht jedoch ausgehend von früheren, rechtsverbindlich abgelehnten Überprüfungsanträgen (so auch BSG Urteil vom 6.3.1991 - 9b RAr 7/90 - BSGE 68, 180 = SozR 3-1300 § 44 Nr 1). Dies ist der Antrag iS des § 44 Abs 4 S 3 SGB X, der für eine rückwirkende Leistungserbringung und deren Umfang sowie eine Rücknahme (teilweise) rechtswidriger Bewilligungsbescheide kausal ist. Entsprechend hat der 13. Senat des BSG bereits entschieden, dass es in Fallgestaltungen einer wiederholten Überprüfung eines Sozialleistungen bewilligenden Bescheids regelmäßig keiner gesonderten Würdigung auch eines bereits zuvor von dem Sozialleistungsträger erlassenen, eine Überprüfung gleichfalls ablehnenden Bescheids bedarf. Der 13. Senat des BSG hat ausgeführt, dass mit einer Verpflichtung zur Änderung des Bewilligungszeitraums für einen vergangenen Zeitraum aufgrund der Anwendung des § 44 SGB X notwendigerweise zugleich auch die Ablehnung seiner Aufhebung in dem früheren negativen Überprüfungsbescheid gegenstandlos wird(BSG Urteil vom 24.10.2013 - B 13 R 83/11 R - SozR 4-2600 § 43 Nr 20 RdNr 15), weil dieser sich auf andere Weise erledigt hat (§ 39 Abs 2 SGB X).

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3. Die Revision ist auch unbegründet, soweit der Kläger sein Begehren mit der Nichtigkeitsfeststellungsklage verfolgt.

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a) Die von dem Kläger erhobene Nichtigkeitsfeststellungsklage ist schon unzulässig, soweit sich diese gegen den Bescheid vom 9.5.2012 richtet.

22

Zwar ist das LSG zu Recht davon ausgegangen, dass die Nichtigkeitsfeststellungsklage nach § 55 Abs 1 Nr 4 SGG, wonach die Feststellung der Nichtigkeit eines Verwaltungsaktes mit der Klage ua begehrt werden kann, wenn ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung besteht, nicht fristgebunden ist(vgl dazu Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 55 RdNr 14a). Auch ein vorheriger Antrag an die Behörde auf Feststellung der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts nach § 40 Abs 5 SGB X wird nicht vorausgesetzt(BSG Urteil vom 23.2.1989 - 11/7 RAr 103/87 - SozR 1500 § 55 Nr 35; BSG Urteil vom 7.9.2006 - B 4 RA 43/05 R - BSGE 97, 94 = SozR 4-2600 § 118 Nr 4, RdNr 15; aA Ulmer in Hennig, SGG, § 55 RdNr 71, Stand September 2016).

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Bezogen auf die Feststellung der Nichtigkeit des Bescheids vom 9.5.2012 idF des Widerspruchsbescheids vom 6.6.2012 ist das LSG aber zu Recht davon ausgegangen, dass es schon an einer Zulässigkeit der Nichtigkeitsfeststellungsklage fehlt, weil der Kläger diese Bescheide im Wege einer Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage überprüfen kann. Von dieser Überprüfungsmöglichkeit hat der Kläger auch Gebrauch gemacht. Ein berechtigtes Interesse an einer parallelen Rechtsverfolgung ist nicht vorgetragen.

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Insofern ist die grundsätzliche Subsidiarität der Feststellungsklage zu Gestaltungsklagen zu berücksichtigen. Auch hat das Erfordernis eines Rechtsschutzinteresses in § 55 Abs 1 Nr 4 SGG für die Feststellungsklage in Gestalt des "berechtigten Interesses an der baldigen Feststellung" seinen Niederschlag und eine Konkretisierung erfahren(BSG Urteil vom 22.5.1985 - 12 RK 30/84 - BSGE 58, 150, 151 = SozR 1500 § 55 Nr 27 S 22). Ist eine solche Gestaltungsklage zulässig, kann regelmäßig nicht stattdessen eine Feststellungsklage erhoben werden (BSG Urteil vom 9.10.1984 - 12 RK 18/83 - BSGE 57, 184, 186 = SozR 2200 § 385 Nr 10 S 40; BSG Urteil vom 16.3.1978 - 11 RK 9/77 - BSGE 46, 81, 84 = SozR 5420 § 3 Nr 7 S 10 f; BSG Urteil vom 25.4.1984 - 8 RK 30/83 - BSGE 56, 255 = SozR 1500 § 55 Nr 23; BSG Urteil vom 1.9.2005 - B 3 KR 3/04 R - SozR 4-2500 § 40 Nr 2). Zwar gelten diese Grundsätze nicht uneingeschränkt; die hier vorliegende Nichtigkeitsfeststellungsklage nach § 55 Abs 1 Nr 4 SGG kann neben einer Anfechtungsklage erhoben werden. Dies soll Schwierigkeiten Rechnung tragen, die sich daraus ergeben, dass die Frage, ob ein Verwaltungsakt nur anfechtbar oder sogar nichtig ist, im Einzelfall nur schwer zu beantworten ist und möglicherweise in den Instanzen unterschiedlich beurteilt wird (BSG Urteil vom 23.2.1989 - 11/7 RAr 103/87 - SozR 1500 § 55 Nr 35 S 36). Es muss dann aber - über ein normales Rechtsschutzinteresse hinaus - noch ein zusätzliches berechtigtes Interesse des Klägers gerade an der baldigen Feststellung der Nichtigkeit des Verwaltungsaktes iS des § 55 Abs 1 Nr 4 SGG bestehen(vgl aA Ulmer in Hennig, SGG, § 55 RdNr 70, Stand September 2016 mwN).

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Ein solches zusätzliches berechtigtes Interesse, etwa wegen möglicher Vollstreckungsmaßnahmen (vgl BSG Urteil vom 7.9.2006 - B 4 RA 43/05 - BSGE 97, 94 = SozR 4-2600 § 118 Nr 4, RdNr 15) oder des Rechtsscheins eines unwirksamen Verwaltungsaktes (vgl zB BSG Urteil vom 23.2.1989 - 11/7 RAr 103/87 - SozR 1500 § 55 Nr 35 S 36 zur Untersagung der Arbeitsvermittlung), ist hier jedoch weder vorgetragen noch ersichtlich. Soweit der Kläger mit seiner Revision geltend macht, dass bezogen auf den Bescheid vom 9.5.2012 idF des Widerspruchsbescheids vom 6.6.2012 ein Feststellungsinteresse schon deshalb bestehe, weil "die Behörde bei Feststellung der Nichtigkeit uneingeschränkt über den damit offenen Antrag auf SGB II-Leistungen entscheiden müsse", kann dies kein als rechtlich schutzwürdig anzuerkennendes Interesse begründen. Es ist schon nicht erkennbar, weshalb eine erneute Entscheidung über den Überprüfungsantrag vom 8.5.2012 zu einem anderen Ergebnis als die gerichtliche Prüfung des angefochtenen Bescheids vom 9.5.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 6.6.2012 im Wege der Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage führen könnte (s oben).

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b) Soweit sich die Nichtigkeitsfeststellungsklage gegen den Bescheid vom 4.8.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.1.2012 richtet, ist diese jedenfalls unbegründet, weil keine Nichtigkeitsgründe vorliegen.

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Nach § 40 Abs 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt nichtig, soweit er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offensichtlich ist. Ohne Rücksicht auf diese Voraussetzungen ist ein Verwaltungsakt nichtig (§ 40 Abs 2 SGB X), (1.) der schriftlich oder elektronisch erlassen worden ist, die erlassende Behörde aber nicht erkennen lässt, (2.) der nach einer Rechtsvorschrift nur durch die Aushändigung einer Urkunde erlassen werden kann, aber dieser Form nicht genügt, (3.) den aus tatsächlichen Gründen niemand ausführen kann, (4.) der die Begehung einer rechtswidrigen Tat verlangt, die einen Straf- oder Bußgeldtatbestand verwirklicht oder (5.) der gegen die guten Sitten verstößt.

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Insofern hat das LSG - zu dem Nichtigkeitsgrund des § 40 Abs 2 Nr 4 SGB X - zutreffend ausgeführt, dass ein rechtswidriges Handeln der Behörde nur vorliegt, wenn im Verwaltungsakt eine mit Strafe oder Bußgeld bedrohte Handlung verlangt wird(Roos in von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl 2014, § 40 RdNr 15). Eine Strafbarkeit gemäß § 170 StGB (Verletzung der Unterhaltspflicht) kann nicht bereits durch einen Leistungs- oder Ablehnungsbescheid erfüllt werden(BSG Urteil vom 4.9.2013 - B 10 EG 7/12 R - BSGE 114, 180 = SozR 4-1300 § 31 Nr 8, RdNr 30). Für die mit der Revision des Klägers vorgetragene Ansicht, dass die Begehung einer rechtswidrigen Tat auch dann verlangt werde, wenn die Behörde durch die Nichtanrechnung von Unterhaltsleistungen auf das erzielte Einkommen billigend in Kauf nehme, dass der Sozialleistungsempfänger dadurch seinen Unterhaltsverpflichtungen nicht nachkomme, findet sich kein Anhalt im Gesetz.

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Weiter ist das LSG zutreffend davon ausgegangen, dass die vom Kläger geltend gemachten Nichtigkeitsgründe, ua die Befangenheit des Sachbearbeiters und die fehlerhafte Annahme der Behörde, dass es sich bei Zahlungen auf Unterhaltsrückstände um keine Unterhaltszahlungen handele, allenfalls nach der Generalklausel des § 40 Abs 1 SGB X zur Nichtigkeit führen können. Die bloße Befangenheit eines Sachbearbeiters - ihr Vorliegen unterstellt - ist für sich genommen kein schwerwiegender Fehler, der den Verwaltungsakt nichtig macht. Ob eine Behörde vollständig und richtig ermittelt und den Sachverhalt richtig gewürdigt und rechtlich zutreffend entschieden hat, ist allein eine Frage der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts, bedingt aber keine Nichtigkeit.

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c) Bezogen auf die Nichtigkeitsfeststellungsklage hinsichtlich sämtlicher Bewilligungsbescheide in dem Zeitraum vom 1.1.2006 bis 31.12.2010 fehlt es an einem berechtigten Interesse des Klägers, weil er - wie dargelegt - Nichtigkeitsgründe nicht schlüssig dargetan hat. Zwar macht er als berechtigtes Interesse geltend, dass die Nichtigkeitsfeststellung eines Bescheids wegen dessen dann festgestellter Unwirksamkeit zur Folge habe, dass erneut über die den Zeitraum vom 1.1.2006 bis 31.12.2010 betreffenden SGB II-Anträge entschieden werden müsse, dann aber ohne Anwendbarkeit der eingeschränkten rückwirkenden Überprüfungs- und Leistungserbringung nach § 40 Abs 1 S 2 SGB II iVm § 44 Abs 4 SGB X. In diesem Vorbringen, das auf die Möglichkeit einer Nichtanwendung der mit Wirkung zum 1.4.2011 eingeführten Einschränkungen bei der rückwirkenden Überprüfung und Erbringung von Sozialleistungen zielt, kann jedoch kein berechtigtes Interesse an einer Nichtigkeitsfeststellungsklage gesehen werden. Bei der Prüfung des berechtigten Interesses ist nicht auf die rein subjektive Ansicht des Klägers abzustellen; vielmehr ist zu prüfen, ob die Rechtsordnung das Interesse objektiv zumindest indirekt als individuelles Interesse selbst anerkennt (Ulmer in Hennig, SGG, § 55 RdNr 20, Stand September 2016). Die letztlich angestrebte Umgehung der gesetzlichen Vorgaben zum zeitlichen Umfang einer Überprüfung bestandskräftiger Bescheide ist aber - unbesehen des fehlenden Vortrags ausreichender Nichtigkeitsgründe - kein von der Rechtsordnung anerkanntes berechtigtes Interesse.

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

ra.de-Urteilsbesprechung zu Bundessozialgericht Urteil, 12. Okt. 2016 - B 4 AS 37/15 R

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Bundessozialgericht Urteil, 12. Okt. 2016 - B 4 AS 37/15 R zitiert 16 §§.

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 193


(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen ha

Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - - SGB 10 | § 44 Rücknahme eines rechtswidrigen nicht begünstigenden Verwaltungsaktes


(1) Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbrach

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 170


(1) Ist die Revision unbegründet, so weist das Bundessozialgericht die Revision zurück. Ergeben die Entscheidungsgründe zwar eine Gesetzesverletzung, stellt sich die Entscheidung selbst aber aus anderen Gründen als richtig dar, so ist die Revision eb

Sozialgesetzbuch (SGB) Zweites Buch (II) - Bürgergeld, Grundsicherung für Arbeitsuchende - (Artikel 1 des Gesetzes vom 24. Dezember 2003, BGBl. I S. 2954) - SGB 2 | § 40 Anwendung von Verfahrensvorschriften


(1) Für das Verfahren nach diesem Buch gilt das Zehnte Buch. Abweichend von Satz 1 gilt § 44 des Zehnten Buches mit der Maßgabe, dass1.rechtswidrige nicht begünstigende Verwaltungsakte nach den Absätzen 1 und 2 nicht später als vier Jahre nach Ablauf

Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - - SGB 10 | § 39 Wirksamkeit des Verwaltungsaktes


(1) Ein Verwaltungsakt wird gegenüber demjenigen, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird, in dem Zeitpunkt wirksam, in dem er ihm bekannt gegeben wird. Der Verwaltungsakt wird mit dem Inhalt wirksam, mit dem er bekannt gegeben wird.

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 55


(1) Mit der Klage kann begehrt werden 1. die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses,2. die Feststellung, welcher Versicherungsträger der Sozialversicherung zuständig ist,3. die Feststellung, ob eine Gesundheitsstörun

Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - - SGB 10 | § 40 Nichtigkeit des Verwaltungsaktes


(1) Ein Verwaltungsakt ist nichtig, soweit er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offensichtlich ist. (2) Ohne Rücksicht auf das Vorliegen der Voraussetzungen d

Strafgesetzbuch - StGB | § 170 Verletzung der Unterhaltspflicht


(1) Wer sich einer gesetzlichen Unterhaltspflicht entzieht, so daß der Lebensbedarf des Unterhaltsberechtigten gefährdet ist oder ohne die Hilfe anderer gefährdet wäre, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2)

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Bundessozialgericht Urteil, 12. Okt. 2016 - B 4 AS 37/15 R zitiert oder wird zitiert von 16 Urteil(en).

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Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 23. Juli 2015 - L 7 AS 546/14

bei uns veröffentlicht am 23.07.2015

Tenor I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 16. Juni 2014, S 11 AS 543/12, wird zurückgewiesen. II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. III. Die Revision wird zugelassen.

Bundessozialgericht Urteil, 13. Feb. 2014 - B 4 AS 19/13 R

bei uns veröffentlicht am 13.02.2014

Tenor Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 15. Februar 2013 teilweise aufgehoben.

Bundessozialgericht Urteil, 13. Feb. 2014 - B 4 AS 22/13 R

bei uns veröffentlicht am 13.02.2014

Tenor Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 26. März 2013 wird zurückgewiesen.

Bundessozialgericht Urteil, 24. Okt. 2013 - B 13 R 83/11 R

bei uns veröffentlicht am 24.10.2013

Tenor Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 18. Mai 2011 aufgehoben. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Bremen

Bundessozialgericht Urteil, 04. Sept. 2013 - B 10 EG 7/12 R

bei uns veröffentlicht am 04.09.2013

Tenor Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 13. März 2012 insoweit aufgehoben, als es die Rücknahme der mit Bescheid der Beklagten vom 20. Ju

Bundessozialgericht Urteil, 26. Juni 2013 - B 7 AY 6/12 R

bei uns veröffentlicht am 26.06.2013

Tenor Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 24. April 2012 wird zurückgewiesen.

Bundessozialgericht Urteil, 28. Feb. 2013 - B 8 SO 4/12 R

bei uns veröffentlicht am 28.02.2013

Tenor Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 29. Juni 2011 wird zurückgewiesen.
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Sozialgericht Augsburg Beschluss, 17. Nov. 2017 - S 8 AS 1191/17

bei uns veröffentlicht am 17.11.2017

Tenor Der Beklagte hat ein Viertel der außergerichtlichen Kosten der Klägerinnen zu erstatten. Gründe Gemäß § 193 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) hat das Gericht auf Antrag durch Beschluss unter Berücks

Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 21. Juni 2017 - L 10 AL 25/17

bei uns veröffentlicht am 21.06.2017

Tenor I. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Nürnberg vom 10.01.2017 wird zurückgewiesen. II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen. Tatbesta

Bayerisches Landessozialgericht Urteil, 30. Okt. 2018 - L 11 AS 230/18

bei uns veröffentlicht am 30.10.2018

Tenor I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 31.01.2018 wird zurückgewiesen. II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen. Tatbestand

Landessozialgericht Mecklenburg-Vorpommern Urteil, 29. Nov. 2018 - L 8 AS 354/16

bei uns veröffentlicht am 29.11.2018

Tenor Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts B-Stadt vom 14. April 2016 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen

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Tenor

I.

Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 16. Juni 2014, S 11 AS 543/12, wird zurückgewiesen.

II.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger begehrt für die Zeit ab 01.01.2006 bis 31.12.2010 höhere Leistungen nach dem SGB II für die Zeiten der Bewilligung von Leistungen.

Seit 01.10.2005 betreibt der Kläger ohne Unterbrechung ein Gewerbe mit An- und Verkauf von Flohmarktartikeln, Computern sowie einen Ebay-Handel.

Der 1959 geborene Kläger ist geschieden und hat ein Kind, das bei der Mutter lebt. Seit Mai 2008 tilgt der Kläger UVG-Rückstände für die Zeit vom 01.01.2006 bis 30.09.2008 mit einer Rate in Höhe von monatlich 100,00 €. Seit Juni 2009 tilgt der Kläger zusätzlich aufgelaufene Schulden aus Unterhaltsverpflichtungen wegen Trennungsunterhalt gegenüber seiner ehemaligen Frau in Raten zu 50,00 € monatlich. Zahlungen auf laufenden, titulierten Kindesunterhalt erfolgten zeitweise.

Der Kläger war zunächst vom 01.10.2005 bis einschließlich 01.02.2011 im Leistungsbezug beim Beklagten, wobei letztmalig mit Bescheid vom 22.11.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 08.03.2011 Leistungen bewilligt wurden. Vom 01.02.2011 bis 30.10.2012 war der Kläger dann nicht mehr im Leistungsbezug beim Beklagten. Seit 01.11.2012 erhält der Kläger neben seiner selbstständigen Tätigkeit wieder Leistungen nach dem SGB II.

Am 15.12.2010 und am 15.03.2011 stellte der Kläger für die Zeit ab 01.01.2006 Überprüfungsanträge nach § 44 SGB X. Seine Unterhaltsverpflichtungen bzw. Unterhaltszahlungen gegenüber seiner minderjährigen Tochter und gegenüber seiner ehemaligen Ehefrau seien in dieser Zeit nicht zutreffend berücksichtigt worden und hätten zu höheren Leistungen führen müssen. Die beiden Überprüfungsanträge wurden vom Beklagten mit Bescheid vom 04.08.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.01.2012 abgelehnt. Zahlungen auf laufenden Kindesunterhalt seien in der vom Kläger nachgewiesenen Höhe stets berücksichtigt worden. Zahlungen auf Unterhaltsrückstände seien nicht vom Einkommen abzusetzen. Der Bescheid wurde bestandskräftig.

Nachdem vor dem Sozialgericht Augsburg zwischenzeitlich noch der Zeitraum vom 01.05.2008 bis einschließlich 30.11.2009 anhängig war, entschied das Sozialgericht Augsburg mit Urteil vom 13.03.2012, dass dem Kläger für diese Zeit wegen Anrechnung der jeweiligen Tilgungsleistungen bezüglich UVG-Schulden höhere Leistungen von insgesamt 637,88 € für den gesamten Zeitraum nachzuzahlen seien. Dieses Urteil setzte der Beklagte mit Bescheid vom 30.04.2012 für den diesen Zeitraum um.

Aufgrund des Urteils stellte der Kläger am 08.05.2012 erneut einen Überprüfungsantrag gemäß § 44 SGB X betreffend sämtliche Bewilligungsbescheide ab 2006 bis einschließlich Ende 2010. Mit dem Urteil sei bestätigt worden, dass im gesamten Zeitraum sämtliche von ihm getätigten Unterhaltszahlungen - auch solche auf Unterhaltsrückstände - auf sein Nebenerwerbseinkommen anzurechnen gewesen seien.

Mit Bescheid vom 09.05.2012 lehnte der Beklagte den Überprüfungsantrag vom 08.05.2012 ab. Eine Überprüfung sei nur möglich für Bescheide, die maximal ein Jahr zurückliegen, also bezüglich Bescheide mit einer Geltungsdauer ab 01.01.2011. Dagegen legte der Kläger Widerspruch ein mit der Begründung, im Rahmen des Überprüfungsverfahrens müsste auch der Bescheid vom 04.08.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.01.2012 überprüft werden und dieser habe den von ihm gewünschten Überprüfungszeitraum vom 01.01.2006 bis 31.12.2010 betroffen.

Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 06.06.2012 als unbegründet zurückgewiesen. Zwar beträfe der Überprüfungsbescheid vom 04.08.2011 auch weiter zurückliegende Leistungen. Die früheren Bewilligungszeiträume würden aber über den Umweg des Überprüfungsbescheides nicht Gegenstand eines erneuten Überprüfungsverfahrens.

Hiergegen erhob der Kläger Klage zum Sozialgericht Augsburg. Seine von ihm getätigten Unterhaltszahlungen in den Jahren 2006 bis 2010 seien zu Unrecht nicht berücksichtigt worden.

Von seinem Einkommen müssten 100,00 € monatlich wegen seiner Zahlungen auf den UVG-Rückstand abgesetzt werden, dazu 50,00 € monatlich auf den rückständigen Trennungsunterhalt bezüglich seiner Frau. Zudem habe er laufend Unterhalt in Höhe von 343,00 € an seine Tochter gezahlt.

Im Laufe des erstinstanzlichen Verfahrens erhob der Kläger auch Nichtigkeitsfeststellungsklage. Alle für den Zeitraum vom 01.01.2006 bis 31.12.2010 ergangenen Verwaltungsakte seien nichtig, weil der zuständige Sachbearbeiter beim Beklagten Zahlungen auf Unterhaltsrückstände nicht als vom Einkommen abzusetzende Unterhaltszahlungen anerkannt habe und damit verursacht habe, dass der Kläger seinen Unterhaltspflichten nicht habe nachkommen können mit dem Strafbarkeitsrisiko nach § 170 StGB. Daraus ergebe sich auch der Nichtigkeitsgrund der Befangenheit des zuständigen Sachbearbeiters beim Beklagten, da dieser stets zu seinem Nachteil habe handeln wollen. Auch die fehlerhafte Annahme der Behörde, dass es sich bei Zahlungen auf Unterhaltsrückstände um keine Unterhaltszahlung handle, führe zur Nichtigkeit der Bescheide.

Mit Urteil vom 16. Juni 2014 hob das Sozialgericht Augsburg den Überprüfungsbescheid des Beklagten vom 09.05.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.06.2012 teilweise auf und verpflichtete den Beklagten, den Bewilligungsbescheid vom 22.11.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.03.2011 abzuändern und dem Kläger für Januar 2011 insgesamt Leistungen in Höhe von 841,76 € zu bewilligen. Im Übrigen wies das Sozialgericht die Klage ab.

Die Klage gegen den Überprüfungsbescheid vom 09.05.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.06.2012 sei nur für Januar 2011 begründet. Grundsätzlich sei - anders als der Beklagte meint - rückwirkend der Zeitraum ab 01.01.2007 zu überprüfen.

Zwar seien nach § 40 Abs. 1 Satz 2 SGB II, der am 01.01.2011 in Kraft getreten ist, aufgrund des Antrags vom 08.05.2012 nur Bescheide zu überprüfen, welche seit Beginn des dem Antrag vorangehenden zurückliegenden Jahres ergingen, also Bescheide, die ab 01.01.2011 ergingen.

In diesen Zeitraum ab 01.01.2011 fiele aber auch der Überprüfungsbescheid vom 04.08.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.01.2012. Nachdem dieser Bescheid damit noch in den Zeitraum bis 01.01.2011 falle, seien alle Zeiträume, die im Rahmen dieses Überprüfungsbescheides zu überprüfen gewesen wären, nochmals zu überprüfen, also alle Bewilligungsbescheide, die nach dem 01.01.2007 ergangen sind.

Die ab 01.01.2007 zu überprüfenden Bescheide seien jedoch allesamt - bis auf Januar 2011 - rechtmäßig gewesen. Mit Urteil vom 20.02.2012, Az.: B 14 AS 53/12 R, habe des Bundessozialgericht (BSG) klargestellt, dass Zahlungen auf Unterhaltsrückstände keine Absetzbeträge vom Einkommen darstellten. Auf die Frage, ob hierzu ein Titel vorliege, komme es dabei nicht an. Der Abzug scheitere bereits daran, dass es sich um rückständigen und nicht um laufenden Unterhalt handle und dass diese Zahlungen nicht von § 11 Abs. 2 Nr. 7 SGB II a. F. erfasst gewesen wären. Die Begleichung von Unterhaltsverbindlichkeiten stelle im Ergebnis mangels Pfändung nur eine nicht zwingende Einkommensverwendung dar. Dieses Urteil des BSG sei für den gesamten Zeitraum ab 01.01.2007 anzuwenden. Im Ergebnis sei daher die Ablehnung des Überprüfungsantrags nicht zu beanstanden.

Allerdings sei der letzte in den streitgegenständlichen Zeitraum fallende Bescheid vom 22.11.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.03.2011 bezüglich des Monats Januar 20011 rechtswidrig und es müßten dem Kläger in diesem Monat höhere Leistungen zu gewährt werden. Zu Unrecht sei im Januar 2011 eine Zahlung auf laufenden, titulierten Kindesunterhalt nicht mit einkommensmindernd berücksichtigt worden. Für Januar 2011 habe der Kläger eine höhere Zahlung durch Kontoauszug nachgewiesen. Außerdem habe sich ab 01.01.2011 der Regelbedarf erhöht. Dem Kläger hätten im Monat Januar 2011 deshalb höhere Leistungen von insgesamt 841,76 € zugestanden. Insoweit sei die Klage begründet.

Die Klage auf Feststellung der Nichtigkeit der Bescheide sei gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft. Ein Feststellungsinteresse liege vor, da der Kläger sich vom Beklagten die bestandskräftigen Bescheide als rechtsbindend für die Höhe der gewährten Leistungen entgegen halten lassen müsse.

Die Nichtigkeitsfeststellungsklage sei jedoch unbegründet, da die in der Zeit vom 01.01.2006 bis Januar 2011 ergangenen Verwaltungsakte nicht nichtig seien.

Soweit der Kläger im Gerichtsverfahren vorgetragen habe, dass die Bescheide ihn an der Erfüllung seiner Unterhaltspflicht gehindert hätten und er sich deshalb strafbar gemacht hätte, so dass die entsprechenden Bescheide nichtig seien, treffe dies nicht zu. Die ergangenen Bescheide verlangten vom Kläger nicht unmittelbar strafbares Verhalten. Insbesondere sei dem Kläger nicht die Erfüllung einer bestehenden Unterhaltspflicht verboten worden. Die Frage der Einkommensverwendung, wie etwa zur Zahlung von Unterhaltsrückständen, sei unabhängig von der Höhe der bewilligten Leistung.

Soweit der Kläger sich auf eine Befangenheit des Sachbearbeiters berufe, könne dies nicht zur Nichtigkeit eines Verwaltungsakts führen, da die bloße Befangenheit eines Sachbearbeiters an sich nicht zur Nichtigkeit eines Verwaltungsakts führe.

Soweit der Kläger vorgetragen habe, dass die Bescheide nichtig seien, weil seine Unterhaltszahlungen nicht hinreichend berücksichtigt worden seien, handle es sich schon nach dem Sachvortrag um keinen „offensichtlichen“ Fehler, der eine Nichtigkeit bedingen könnte.

Bis auf Januar 2011 seien alle Bescheide betreffend den Zeitraum ab 01.01.2007 bis Januar 2011 rechtmäßig gewesen. Die Rechtswidrigkeit des Bescheids für Januar 2011 stelle keinen besonders schweren Fehler dar, der zur Nichtigkeit des Verwaltungsaktes hätte führen müssen.

Hiergegen hat der Kläger Berufung zum Bayer. Landessozialgericht eingelegt. Er bezweifle die Anwendbarkeit des vom SG genannten Urteils des BSG. Der Beklagte habe ihn durch einschüchterndes und bewusst falsches Handeln „vorsätzlich taktisch“ sowie „Manipulationen“ beeinflusst und dadurch seine wirtschaftliche Not herbeigeführt. Das Handeln des Beklagten müsse auf Vorsatz überprüft werden.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 16.06.2014 aufzuheben und die Nichtigkeit des Überprüfungsbescheids vom 04.08.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.01.2012 (basierend auf den Anträgen vom 15.12.2010 und 15.03.2011) und des Überprüfungsbescheides vom 09.05.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.06.2012 (Antrag vom 08.05.2012) sowie aller im Bewilligungszeitraum vom 01.01.2006 bis 31.12.2010 ergangenen Verwaltungsakte festzustellen,

hilfsweise,

das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 16. Juni 2014 abzuändern und den Bescheid vom 09.05.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.06.2012 insgesamt aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung der Bewilligungsbescheide für die Zeit ab 01.01.2006 bis einschließlich 31.12.2010 zu verpflichten, neu zu entscheiden und ihm Leistungen für diesen gesamten Zeitraum unter Anrechnung seiner Unterhaltszahlungen, auch soweit es sich um die Tilgung titulierter Unterhaltsrückstände handelt, zu verurteilen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte hält das Urteil des Sozialgerichts für zutreffend.

Gründe

Die zulässige Berufung ist unbegründet.

Streitgegenstand ist nach dem Berufungsantrag der Anspruch des Klägers auf höhere Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 01.01.2006 bis einschließlich 31.12.2010 (vgl. insoweit BSG, Urteil vom 22.08.2012, B 14 AS 13/12 R Rz. 12).

Diesen Anspruch verfolgt der Kläger prozessual zum einen dadurch, dass er Nichtigkeitsfeststellungsklagen bezüglich des Überprüfungsbescheids vom 04.08.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.01.2012 (basierend auf den Anträgen vom 15.12.2010 und 15.03.2011) und des Überprüfungsbescheides vom 09.05.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.06.2012 (Antrag vom 08.05.2012) sowie aller im Bewilligungszeitraum vom 01.01.2006 bis 31.12.2010 ergangenen Bescheide erhebt; diese Bescheide sind Streitgegenstand des Nichtigkeitsfeststellungsverfahrens.

Zum anderen begehrt der Kläger im Wege der Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage höhere Leistungen nach den SGB II. Zulässige Klage gegen einen Überprüfungsbescheid nach § 44 SGB X ist nach der Rechtsprechung des BSG diese Klagekombination (z. B. BSG, Urteil vom 18.11.2014, Az.: B 4 AS 4/14 R Rz. 11). Streitgegenstand ist insoweit allein der Überprüfungsbescheid vom 09.05.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.06 2012.

Den erhobenen Klagen liegt allerdings nicht eine Mehrheit von Klageansprüchen zugrunde, sondern ein einziger Anspruch (vgl. BSG, Urteil vom 27.11.1962, 3 RK 31/60 Rz. 14), da als Klageziel mit allen Klagen verfolgt wird, letztlich vom Beklagten höhere Leistungen im streitgegenständlichen Zeitraum zu erhalten. Wenn ein Kläger dergestalt Klageanträge miteinander verbindet, so macht er im Ergebnis nur einen Anspruch geltend. Diesem einheitlichen Klageanspruch muss eine einheitliche Entscheidung des Gerichts entsprechen (BSG a. a. O., vgl. auch BSG, Urteil vom 07.09.2006, B 4 RA 43/05 R).

Zunächst ist gemäß dem vom Kläger gestellten Antrag über die Feststellung der Nichtigkeit der streitgegenständlichen Bescheide nach § 55 Abs. 1 Nr. 4 SGG zu entscheiden.

Anschließend ist erst über die Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 Alternative 1 SGG i. V. m. § 54 Abs. 4 SGG (vgl. BSG, Urteil vom 11.02.2015, B 4 AS 29/14 R Rz.12) gegen den Überprüfungsbescheid vom 09.05.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.06 2012 zu entscheiden, der gegenüber dem Hauptantrag vom Kläger prozessual als Hilfsantrag erhoben wurde.

1. Nichtigkeitsfeststellungsklagen nach § 55 Abs. 1 Nr. 4 SGG

Die Berufung bezüglich der Nichtigkeitsfeststellungsklagen ist unbegründet.

a) Überprüfungsbescheid vom 04.08.2011

aa) Die Klage auf Feststellung der Nichtigkeit des Überprüfungsbescheids vom 04.08.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.01.2012 (basierend auf den Anträgen vom 15.12.2010 und 15.03.2011) ist zwar zulässig.

Die Nichtigkeitsfeststellungsklage ist nicht subsidiär; vorher musste der Kläger bei der Behörde keinen Antrag auf Feststellung der Nichtigkeit stellen und ggf. mittels einer Verpflichtungsklage auf Rücknahme des nichtigen Verwaltungsaktes gegen die Behörde vorgehen (vgl. Schneider-Danwitz in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X § 40 Rz. 69). Hier hat der Kläger einen solchen Antrag auf Feststellung der Nichtigkeit nach § 40 Abs. 5 SGB X bei der Behörde nicht gestellt und einen solchen Antrag auch nicht im Klageweg verfolgt, was nicht notwendig ist (BSG, Urteil vom 23.02.1989, 11/7 RAr 103/87). Einen solchen Antrag hat er auch nicht hilfsweise zu seiner Nichtigkeitsfeststellungklage gestellt (vgl. dazu BSG, Urteil vom 07.09.2006, B 4 RA 93/05 R Rz. 9).

Auch kann ein Feststellungsinteresse bejaht werden. Zutreffend hat das Sozialgericht ausgeführt, dass der Kläger sich vom Beklagten den bestandskräftigen, ablehnenden Überprüfungsbescheid als Rechtsgrund für die Höhe der gewährten Leistungen entgegenhalten lassen muss und insoweit ein Interesse an Feststellung der Nichtigkeit des Überprüfungsbescheids besteht. Bei Feststellung der Nichtigkeit des Bescheides müsste die Behörde uneingeschränkt neu über den damit offenen Antrag des Klägers auf Leistungen nach dem SGB II für den streitgegenständlichen Zeitraum entscheiden, wobei die ursprünglichen Überprüfungsanträge Maßstab der Überprüfung sind. Dabei würden Anträge vom 15.12.2010 und 15.03.2011 nach der damaligen Rechtslage rückwirkend den vom Kläger gewünschten Zeitraum ab 01.01.2006 eröffnen, § 44 Abs. 4 Satz 5 SGB X.

bb) Die Nichtigkeitsfeststellungsklage gegen den Überprüfungsbescheid vom 04.08.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.01.2012 ist jedoch unbegründet.

Nichtigkeitsgründe gemäß § 40 Abs. 2 Nr. 1, Nr. 2, Nr. 3 oder Nr. 4 SGB X sind nicht ersichtlich.

Soweit der Kläger vorgetragen hat, dass der Bescheid ihn an der Erfüllung seiner Unterhaltspflicht gehindert hätte und er sich deshalb strafbar gemacht hätte, kommt allenfalls ein Nichtigkeitsgrund nach § 40 Abs. 2 Nr. 4 SGB X in Betracht.

Nichtigkeit nach § 40 Abs. 2 Nr. 4 SGB X liegt jedoch nur vor, wenn mit dem Verwaltungsakt eine Strafe oder bußgeldbedrohte Handlung verlangt wird. Dies war jedoch nicht der Fall. Vom Kläger wurde durch den Bescheid keine - strafbare oder nicht strafbare - Handlung verlangt, sondern ihm vielmehr im Wege eines ablehnenden Überprüfungsverfahrens lediglich höhere Leistungen verwehrt. Die Frage, wie ein Leistungsempfänger mit seiner Leistung umgeht, ist unabhängig von der Höhe der bewilligten Leistung. Darin erschöpft sich jedoch der Regelungsgehalt des Verwaltungsaktes.

Deshalb kann eine Strafbarkeit gemäß § 170 Strafgesetzbuch (StGB) niemals direkt einen Leistungs- oder sogar auch einen Ablehnungsbescheid erfüllt werden (BSG, Urteil vom 20.02.2014, B 14 AS 53/12 R, Rz. 28). § 170 StGB setzt voraus, dass der Betreffende „sich einer gesetzlichen Unterhaltspflicht entzieht“ und auch das ungeschriebene Tatbestandsmerkmal der unterhaltsrechtlichen Leistungsfähigkeit erfüllt ist.

Die beiden sonstigen vom Kläger vorgetragenen angeblichen Nichtigkeitsgründe, nämlich die Befangenheit des Sachbearbeiters und die fehlerhafte Annahme der Behörde, dass es sich bei Zahlungen auf Unterhaltsrückstände um keine Unterhaltszahlung handle, stellen keine im Gesetz explizit geregelten Fallgestaltungen dar und können daher allenfalls nach der Generalklausel des § 40 Abs. 1 SGB X zur Nichtigkeit führen.

Gemäß § 40 Abs. 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt nichtig, soweit er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offensichtlich ist.

Hiervon ist nur auszugehen, wenn zum einen ein besonders schwerwiegender Fehler vorliegt, wie beispielsweise absolute sachliche Unzuständigkeit der erlassenen Behörde, absolute rechtliche Unmöglichkeit, völlige Unbestimmtheit oder Unverständlichkeit des Verwaltungsaktes. Auch erschlichene Verwaltungsakte oder solche, die durch Drohung, arglistige Täuschung oder Bestechung erlangt worden sind, können nichtig sein.

Zudem muss der Mangel offensichtlich sein. Dafür reicht es nicht aus, dass es sich um einen besonders schwerwiegenden Fehler handelt.

Ausgehend von diesen Grundsätzen, kann die vom Kläger vorgetragene eventuelle Befangenheit eines Sachbearbeiters niemals zur Nichtigkeit eines Verwaltungsaktes führen (vgl. von Wulffen/Schütze SGB X, 8. Auflage, 2014, § 17 Rz. 8). Bloße Befangenheit eines Sachbearbeiters ist für sich genommen - wenn sie vorläge - kein so schwerwiegenden Fehler, der den Verwaltungsakt nichtig macht. Vielmehr muss der Verwaltungsakt im Ergebnis einen offensichtlichen schwerwiegenden Fehler aufweisen, was hier nicht der Fall ist.

Soweit der Kläger geltend macht, dass der Überprüfungsbescheid nichtig sei, weil die Behörde nicht anerkannt habe, dass auch die Zahlungen auf Unterhaltsrückstände vom Einkommen abzusetzen seien, kann - selbst wenn dem so wäre - hierin ebenfalls kein offensichtlicher Fehler liegen, der zur Nichtigkeit des Verwaltungsaktes nach § 40 Abs. 1 SGB X führen würde. Ob eine Behörde alles vollständig und richtig ermittelt und den Sachverhalt richtig gewürdigt und rechtlich zutreffend entschieden hat, ist eine Frage der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes, bedingt aber keine Nichtigkeit.

Im Ergebnis ist die zulässige Nichtigkeitsfeststellungsklage unbegründet.

b) Überprüfungsbescheid vom 09.05.2011

Die Klage auf Feststellung der Nichtigkeit des Überprüfungsbescheids vom 09.05.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.06.2012 ist unzulässig.

Nachdem der Kläger innerhalb der Rechtsmittelfrist Klage gegen den Überprüfungsbescheid erhoben hat, fehlt es an einem Feststellungsinteresse (vgl. BSG, Urteil vom 23.02.1989, 11/7 RAr 103/87 Rz. 16).

Bei einer Nichtigkeitsfeststellungsklage wird nur über die Nichtigkeit des Bescheides, nicht aber die Gewährung höherer Leistungen entschieden würde. Da der Kläger letztlich höhere Leistungen begehrt, fehlt ihm das Feststellungsinteresse bezüglich einer Nichtigkeitsklage bzw. Nichtigkeitsfeststellungsklage (ebenso LSG NRW, Urteil vom 14.02.2014, L 12 AS 15/05 Rz. 34).

Solange ein Überprüfungsbescheid noch nicht rechtskräftig ist, kann ein Kläger gegenüber einer Nichtigkeitsfeststellungsklage weitergehenden Rechtsschutz über die - ihm noch offenstehende - Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage gegen den Überprüfungsbescheid erlangen. Denn im Rahmen der in dieser Klagenkombination enthaltenen Anfechtungsklage sind Nichtigkeitsgründe zu prüfen. Bei erfolgreicher Anfechtung (auch mit Nichtigkeitsgründen) wird anschließend zwingend auch über höhere Leistungen entschieden (Verpflichtungs- und Leistungsklage).

c) Bewilligungsbescheide für die Zeit vom 01.01.2006 bis 31.12.2010

Die Klage auf Feststellung der Nichtigkeit sämtlicher Bewilligungsbescheide für die Zeit vom 01.01.2006 bis 31.12.2010 ist ebenfalls unzulässig.

Zwar sind die Bewilligungsbescheide alle bestandskräftig, so dass das Feststellungsinteresse nicht schon wegen einer anderen noch offen stehenden Rechtsschutzmöglichkeit, die den Interessen des Klägers mehr entspricht (vgl. oben unter b), entfallen würde.

Trotzdem fehlt es in Bezug auf bestandkräftige Bewilligungsbescheide an einem Feststellungsinteresse. Denn ein Begünstigter kann kein Interesse daran haben, dass die Rechtsgrundlage für die erhaltenen Leistungen beseitigt wird und er dadurch einer Erstattungsforderung des Leistungsträgers gegenüber steht (vgl. LSG NRW, Urteil vom 14.02.2014, L 12 AS 15/05 Rz. 34).

Ein Feststellungsinteresse ergibt sich auch nicht daraus, dass der Kläger in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich erklärt hat, er nehme das Risiko in Kauf, dass alle bestehenden Bewilligungen mit seiner Nichtigkeitsfeststellung beseitigt würden, da dann über seinen Antrag neu entschieden werden müsste. Wenn ein Kläger letztlich höhere Leistungen begehrt, fehlt ihm stets das Feststellungsinteresse bezüglich einer Nichtigkeitsklage bzw. Nichtigkeitsfeststellungsklage, mit der lediglich der Rechtsgrund für bereits erhaltene Leistungen - die Bewilligungsbescheide - beseitigt würde (ebenso LSG NRW, Urteil vom 14.02.2014, L 12 AS 15/05 Rz. 34).

2. Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage (Hilfsantrag)

Die Berufung ist auch insoweit unbegründet.

Der Überprüfungsbescheid vom 09.05.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.06 2012 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.

Eine Nichtigkeit des angefochtenen Bescheids ist nicht gegeben, da keine Nichtigkeitsgründe vorliegen. Insoweit wird auf die auch hier zutreffenden Ausführungen unter 1. a) bb) verwiesen.

Der Kläger begehrt seinem Berufungsantrag nach eine Überprüfung der ihm in der Zeit vom 01.01.2006 bis 31.12.2010 bewilligten Leistungen. Leistungen für Januar 2011 sind nach dem Berufungsantrag nicht Gegenstand des Berufungsverfahrens.

Der aufgrund des Überprüfungsantrags vom 08.05.2012 ergangene streitgegenständliche Überprüfungsbescheid vom 09.05.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.06 2012 hat zu Recht darauf abgestellt, dass der im Jahr 2012 gestellte Antrag vom 08.05.2012 nur ein Jahr, also auf den 01.01.2011, zurückwirkt.

Dies ergibt sich aus § 40 Abs. 1 Satz 2 SGB II.

Gemäß § 40 Abs. 1 Satz 2 SGB II in der Fassung des Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 24.03.2011 i. V. m. § 44 Abs. 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, wenn bei dessen Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind.

Dem Anspruch des Klägers auf Neuberechnung der Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum bis Dezember 2010 steht § 40 Abs. 1 Satz 2 SGB II i. V. m. § 44 Abs. 4 SGB X entgegen (vgl. BayLSG, Urteil vom 19.03.2014, L 16 AS 289/13 Rz. 17). Im Ergebnis kann der Kläger für die Zeit vor dem 01.01.2011 weder eine Nachzahlung von Sozialleistungen noch eine isolierte Rücknahme früherer Bescheide verlangen.

Entgegen der Regelung des § 44 Abs. 4 SGB X, wonach Sozialleistungen längstens für einen Zeitraum von bis zu vier Jahren vor der Rücknahme erbracht werden können, werden nach der am 01.04.2011 in Kraft getretenen Vorschrift des § 40 Abs. 1 Satz 2 SGB II Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende nur für ein Jahr rückwirkend erbracht, wenn der Antrag auf Überprüfung nach dem 31.03.2011 gestellt worden ist (§ 77 Abs. 13 SGB II).

Da der Kläger seinen streitgegenständlichen Überprüfungsantrag erst am 08.05.2011 gestellt hat, war eine rückwirkende Überprüfung und Nachzahlung von Leistungen nur für die Zeit ab 01.01.2011 zulässig. Der Zeitpunkt der Rücknahme wird vom Beginn des Jahres angerechnet, in dem der Antrag gestellt worden ist (§ 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II i. V. m. § 44 Abs. 4 Sätze 2 und 3 SGB X). Bei der Frist handelt es sich um eine materiell-rechtliche Ausschlussfrist.

Nachdem § 40 Abs. 1 Satz 2 SGB II eine Nachzahlung von Leistungen für die Zeit vor dem 01.01.2011 ausscheidet, bedurft es auch keiner Entscheidung des Beklagten darüber, ob dem Kläger im Leistungszeitraum bis Dezember 2010 Leistungen vorenthalten worden sind. Die Unanwendbarkeit der Regelung des § 44 Abs. 4 SGB X steht einer isolierten Rücknahme entgegen (BSG, Urteil vom 26.06.2013, B 7 Ay 6/12 R Rz. 10).

Im Ergebnis ist die Berufung insgesamt unbegründet.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und der Erwägung, dass der Kläger mit seinem Begehren erfolglos blieb.

Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen, § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG.

(1) Ein Verwaltungsakt ist nichtig, soweit er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offensichtlich ist.

(2) Ohne Rücksicht auf das Vorliegen der Voraussetzungen des Absatzes 1 ist ein Verwaltungsakt nichtig,

1.
der schriftlich oder elektronisch erlassen worden ist, die erlassende Behörde aber nicht erkennen lässt,
2.
der nach einer Rechtsvorschrift nur durch die Aushändigung einer Urkunde erlassen werden kann, aber dieser Form nicht genügt,
3.
den aus tatsächlichen Gründen niemand ausführen kann,
4.
der die Begehung einer rechtswidrigen Tat verlangt, die einen Straf- oder Bußgeldtatbestand verwirklicht,
5.
der gegen die guten Sitten verstößt.

(3) Ein Verwaltungsakt ist nicht schon deshalb nichtig, weil

1.
Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit nicht eingehalten worden sind,
2.
eine nach § 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 bis 6 ausgeschlossene Person mitgewirkt hat,
3.
ein durch Rechtsvorschrift zur Mitwirkung berufener Ausschuss den für den Erlass des Verwaltungsaktes vorgeschriebenen Beschluss nicht gefasst hat oder nicht beschlussfähig war,
4.
die nach einer Rechtsvorschrift erforderliche Mitwirkung einer anderen Behörde unterblieben ist.

(4) Betrifft die Nichtigkeit nur einen Teil des Verwaltungsaktes, ist er im Ganzen nichtig, wenn der nichtige Teil so wesentlich ist, dass die Behörde den Verwaltungsakt ohne den nichtigen Teil nicht erlassen hätte.

(5) Die Behörde kann die Nichtigkeit jederzeit von Amts wegen feststellen; auf Antrag ist sie festzustellen, wenn der Antragsteller hieran ein berechtigtes Interesse hat.

(1) Für das Verfahren nach diesem Buch gilt das Zehnte Buch. Abweichend von Satz 1 gilt § 44 des Zehnten Buches mit der Maßgabe, dass

1.
rechtswidrige nicht begünstigende Verwaltungsakte nach den Absätzen 1 und 2 nicht später als vier Jahre nach Ablauf des Jahres, in dem der Verwaltungsakt bekanntgegeben wurde, zurückzunehmen sind; ausreichend ist, wenn die Rücknahme innerhalb dieses Zeitraums beantragt wird,
2.
anstelle des Zeitraums von vier Jahren nach Absatz 4 Satz 1 ein Zeitraum von einem Jahr tritt.
Abweichend von Satz 1 gelten die §§ 45, 47 und 48 des Zehnten Buches mit der Maßgabe, dass ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit nicht aufzuheben ist, wenn sich ausschließlich Erstattungsforderungen nach § 50 Absatz 1 des Zehnten Buches von insgesamt weniger als 50 Euro für die Gesamtheit der Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft ergäben. Bei der Prüfung der Aufhebung nach Satz 3 sind Umstände, die bereits Gegenstand einer vorherigen Prüfung nach Satz 3 waren, nicht zu berücksichtigen. Die Sätze 3 und 4 gelten in den Fällen des § 50 Absatz 2 des Zehnten Buches entsprechend.

(2) Entsprechend anwendbar sind die Vorschriften des Dritten Buches über

1.
(weggefallen)
2.
(weggefallen)
3.
die Aufhebung von Verwaltungsakten (§ 330 Absatz 2, 3 Satz 1 und 4);
4.
die vorläufige Zahlungseinstellung nach § 331 mit der Maßgabe, dass die Träger auch zur teilweisen Zahlungseinstellung berechtigt sind, wenn sie von Tatsachen Kenntnis erhalten, die zu einem geringeren Leistungsanspruch führen;
5.
die Erstattung von Beiträgen zur Kranken-, Renten- und Pflegeversicherung (§ 335 Absatz 1, 2 und 5); § 335 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 5 in Verbindung mit Absatz 1 Satz 1 ist nicht anwendbar, wenn in einem Kalendermonat für mindestens einen Tag rechtmäßig Bürgergeld nach § 19 Absatz 1 Satz 1 gewährt wurde; in den Fällen des § 335 Absatz 1 Satz 2 und Absatz 5 in Verbindung mit Absatz 1 Satz 2 besteht kein Beitragserstattungsanspruch.

(3) Liegen die in § 44 Absatz 1 Satz 1 des Zehnten Buches genannten Voraussetzungen für die Rücknahme eines rechtswidrigen nicht begünstigenden Verwaltungsaktes vor, weil dieser auf einer Rechtsnorm beruht, die nach Erlass des Verwaltungsaktes

1.
durch eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts für nichtig oder für unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärt worden ist oder
2.
in ständiger Rechtsprechung anders als durch den für die jeweilige Leistungsart zuständigen Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende ausgelegt worden ist,
so ist der Verwaltungsakt, wenn er unanfechtbar geworden ist, nur mit Wirkung für die Zeit nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts oder ab dem Bestehen der ständigen Rechtsprechung zurückzunehmen. Bei der Unwirksamkeit einer Satzung oder einer anderen im Rang unter einem Landesgesetz stehenden Rechtsvorschrift, die nach § 22a Absatz 1 und dem dazu ergangenen Landesgesetz erlassen worden ist, ist abweichend von Satz 1 auf die Zeit nach der Entscheidung durch das Landessozialgericht abzustellen.

(4) Der Verwaltungsakt, mit dem über die Gewährung von Leistungen nach diesem Buch abschließend entschieden wurde, ist mit Wirkung für die Zukunft ganz aufzuheben, wenn in den tatsächlichen Verhältnissen der leistungsberechtigten Person Änderungen eintreten, aufgrund derer nach Maßgabe des § 41a vorläufig zu entscheiden wäre.

(5) Verstirbt eine leistungsberechtigte Person oder eine Person, die mit der leistungsberechtigten Person in häuslicher Gemeinschaft lebt, bleiben im Sterbemonat allein die dadurch eintretenden Änderungen in den bereits bewilligten Leistungsansprüchen der leistungsberechtigten Person und der mit ihr in Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen unberücksichtigt; die §§ 48 und 50 Absatz 2 des Zehnten Buches sind insoweit nicht anzuwenden. § 118 Absatz 3 bis 4a des Sechsten Buches findet mit der Maßgabe entsprechend Anwendung, dass Geldleistungen, die für die Zeit nach dem Monat des Todes der leistungsberechtigten Person überwiesen wurden, als unter Vorbehalt erbracht gelten.

(6) § 50 Absatz 1 des Zehnten Buches ist mit der Maßgabe anzuwenden, dass Gutscheine in Geld zu erstatten sind. Die leistungsberechtigte Person kann die Erstattungsforderung auch durch Rückgabe des Gutscheins erfüllen, soweit dieser nicht in Anspruch genommen wurde. Eine Erstattung der Leistungen nach § 28 erfolgt nicht, soweit eine Aufhebungsentscheidung allein wegen dieser Leistungen zu treffen wäre. Satz 3 gilt nicht im Fall des Widerrufs einer Bewilligungsentscheidung nach § 29 Absatz 5 Satz 2.

(7) § 28 des Zehnten Buches gilt mit der Maßgabe, dass der Antrag unverzüglich nach Ablauf des Monats, in dem die Ablehnung oder Erstattung der anderen Leistung bindend geworden ist, nachzuholen ist.

(8) Für die Vollstreckung von Ansprüchen der in gemeinsamen Einrichtungen zusammenwirkenden Träger nach diesem Buch gilt das Verwaltungs-Vollstreckungsgesetz des Bundes; im Übrigen gilt § 66 des Zehnten Buches.

(9) § 1629a des Bürgerlichen Gesetzbuchs gilt mit der Maßgabe, dass sich die Haftung eines Kindes auf das Vermögen beschränkt, das bei Eintritt der Volljährigkeit den Betrag von 15 000 Euro übersteigt.

(10) Erstattungsansprüche nach § 50 des Zehnten Buches, die auf die Aufnahme einer bedarfsdeckenden sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung zurückzuführen sind, sind in monatlichen Raten in Höhe von 10 Prozent des maßgebenden Regelbedarfs zu tilgen. Dies gilt nicht, wenn vor Tilgung der gesamten Summe erneute Hilfebedürftigkeit eintritt.

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 26. März 2013 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander auch für das Revisionsverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Tatbestand

1

Streitig ist die Überprüfung und Rücknahme aller Bescheide über die Gewährung, Aufhebung und Erstattung von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende für den Zeitraum seit Januar 2006.

2

Der 1973 geborene Kläger bezog seit Januar 2005 Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende. Auf den Antrag des anwaltlich vertretenen Klägers vom 28.7.2010, sämtliche bestandskräftige Bescheide seit dem 1.1.2006 "auf ihre Rechtmäßigkeit" zu überprüfen, forderte der Beklagte ihn unter Fristsetzung bis zum 15.8.2010 auf, eine detaillierte Aufstellung der angefochtenen Bescheide vorzulegen. Eine Überprüfung des Sachverhaltes werde ansonsten nicht vorgenommen. Nachdem keine Reaktion erfolgt war, lehnte der Beklagte eine Prüfung der Bescheide ab (Bescheid vom 16.8.2010; Widerspruchsbescheid vom 11.10.2010).

3

Im sozialgerichtlichen Verfahren hat der Kläger vorgetragen, in den Bewilligungsbescheiden vom 23.11.2005, 12.6.2006, 14.12.2006, 29.5.2007, 26.11.2007, 2.6.2008 und 24.11.2008 seien die Kosten für Unterkunft und Heizung falsch ermittelt, der Beklagte habe den Abzug der Kosten für die Warmwasseraufbereitung unrichtig vorgenommen. Im August 2006 müsse eine Nachforderung aus einer Betriebskostenabrechnung in Höhe von 108,36 Euro berücksichtigt werden. Gleiches gelte für die Betriebskostenabrechnungen für das Jahr 2006 (Bescheid vom 22.6.2007) und für das Jahr 2007 (Bescheid vom 8.5.2008). Der Beklagte habe jeweils einen zu geringen Betrag berücksichtigt.

4

Das SG hat die Klage teilweise als unzulässig zurückgewiesen, im Übrigen als unbegründet abgewiesen (Urteil vom 15.3.2011). Soweit die Klagebegründung einen erneuten Überprüfungsantrag beinhalte, fehle es an einem ordnungsgemäßen Vorverfahren. Im Übrigen handele es sich bei der in § 44 SGB X vorgesehenen Korrekturmöglichkeit um eine Einzelfallprüfung. Ein "globaler" Überprüfungsantrag werde von der Norm nicht erfasst.

5

Das LSG hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen (Urteil vom 26.3.2013). Zur Begründung seiner Entscheidung hat es ausgeführt, der Kläger habe keinen Anspruch auf eine schranken- und voraussetzungslose Sach- und Rechtsprüfung der seit Januar 2006 erlassenen Bescheide. Aus dem Wortlaut und der Systematik ergebe sich, dass jeweils nur ein Anspruch auf Überprüfung einzelner Verwaltungsentscheidungen, nicht auf ein ggf umfangreiches Verwaltungshandeln über einen mehrjährigen Zeitraum bestehe. Für den Bereich des SGB II habe der Gesetzgeber die Bedeutung der Rechtssicherheit mit Wirkung zum 1.4.2011 weiter hervorgehoben und durch eine Ergänzung in § 40 Abs 1 S 2 SGB II die Rückwirkung auf ein Jahr begrenzt. Zudem werde das Leistungsverhältnis Bürger - Behörde im Bereich des SGB II schon materiell-rechtlich, dh aufgrund des Gegenstandes und des Normprogramms, durch Veränderungen in der Lebenswirklichkeit der Betreffenden ungleich mehr als im Sozialrecht sonst üblich geprägt. Im Interesse einer funktionsfähigen Verwaltung erfahre § 44 SGB X daher im SGB II eine Einschränkung. Unter Beachtung dieser Grundsätze folge aus dem Antrag des Klägers keine Pflicht zur Überprüfung von Bescheiden in der Sache, weil er diese bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens nicht benannt habe. Soweit er mit seiner Klagebegründung die zu überprüfenden Bescheide des Beklagten und Gründe für die aus seiner Sicht rechtswidrigen Regelungen benannt habe, sei zwar bei der Beurteilung von Bescheiden im Überprüfungsverfahren bei einer zulässigen Anfechtungs- und Verpflichtungsklage der für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgebliche Zeitpunkt derjenige der letzten mündlichen Verhandlung der Tatsacheninstanz. Hänge das Überprüfungsbegehren aber von Mitwirkungsobliegenheiten im Verwaltungsverfahren ab, seien Gerichte nicht verpflichtet, auf die Nachholung der schon bestehenden Mitwirkungsobliegenheit die nunmehr konkret benannten Bescheide erstmals zu überprüfen.

6

Mit seiner Revision macht der Kläger geltend, es sei kein plausibler Grund dafür ersichtlich, warum eine Überprüfung "sämtlicher" erlassener Bescheide des Beklagten nur dann möglich sein solle, wenn der Antragsteller diese nochmals aufliste. Da der Überprüfungsantrag ausschließlich auf eine fehlerhafte Rechtsanwendung gestützt worden sei, bedürfe es keiner weiteren Darlegungen.

7

Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 26. März 2013 aufzuheben, das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 15. März 2011 abzuändern und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 16. August 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Oktober 2010 zu verpflichten, die Bescheide vom 23. November 2005, 12. Juni 2006, 14. Dezember 2006, 29. Mai 2007, 22. Juni 2007, 26. November 2007, 8. Mai 2008, 2. Juni 2008 und 24. November 2008 teilweise zurückzunehmen und dem Kläger für die in den Bescheiden geregelten Bewilligungszeiträume höhere Leistungen nach dem SGB II zu gewähren.

8

Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

9

Er bezieht sich auf das angefochtene Urteil.

Entscheidungsgründe

10

Die Revision ist zulässig, jedoch unbegründet.

11

1. Streitgegenstand ist die Gewährung höherer Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts im Zeitraum vom 1.1.2006 bis 30.6.2009, als dies durch die im Antrag bezeichneten Bescheide des Beklagten geschehen ist. Richtige Klageart ist hier eine kombinierte Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage (zuletzt BSG Urteil vom 12.12.2013 - B 4 AS 17/13 R - SozR 4-1500 § 192 Nr 2 RdNr 4; BSG Urteil vom 28.2.2013 - B 8 SO 4/12 R - RdNr 9; vgl auch Baumeister in juris-PK SGB X, § 44 RdNr 154, Stand 4/2013; Steinwedel in Kasseler Kommentar, § 44 SGB X RdNr 30, Stand 09/2013 mwN; Waschull in LPK-SGB X, 3. Aufl 2011, § 44 RdNr 59; aA in einem obiter dictum: BSGE 97, 54 = SozR 4-2700 § 8 Nr 18, jeweils RdNr 9; wohl auch Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 6. Aufl 2011, Kap IV RdNr 76). Der Kläger begehrt mit der Anfechtungsklage die Aufhebung des - die Überprüfung der zuvor benannten Bescheide ablehnenden - Verwaltungsakts vom 16.8.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.10.2010. Die Verpflichtungsklage ist auf die Erteilung eines Bescheids durch den Beklagen gerichtet, mit dem dieser die begehrte Änderung der bezeichneten Bewilligungsbescheide bewirkt. Mit der Leistungsklage beantragt er die Erbringung höherer Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts im streitigen Zeitraum.

12

2. Der Beklagte hat es hier rechtlich zutreffend abgelehnt, eine inhaltliche Überprüfung der benannten Verwaltungsakte nach § 44 SGB X vorzunehmen. Es mangelt bereits an einem hinreichend objektiv konkretisierbaren Antrag im Sinne dieser Vorschrift.

13

a) Nach § 40 Abs 1 S 1 SGB II iVm § 44 Abs 1 S 1 SGB X ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Erfolgt die Überprüfung aufgrund eines Antrags des Leistungsberechtigten, löst dieser Antrag zwar grundsätzlich eine Prüfpflicht des Leistungsträgers aus. Der Antrag bestimmt jedoch zugleich auch den Umfang des Prüfauftrags der Verwaltung im Hinblick darauf, ob bei Erlass des Verwaltungsakts das Recht unrichtig angewandt oder von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen worden ist. Aufgrund oder aus Anlass des Antrags muss sich der Verwaltung im Einzelfall objektiv erschließen, aus welchem Grund - Rechtsfehler und/oder falsche Sachverhaltsgrundlage - nach Auffassung des Leistungsberechtigten eine Überprüfung erfolgen soll. Dazu muss der Antrag konkretisierbar sein, dh entweder aus dem Antrag selbst - ggf nach Auslegung - oder aus einer Antwort des Leistungsberechtigten aufgrund konkreter Nachfrage des Sozialleistungsträgers muss der Umfang des Prüfauftrags für die Verwaltung bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens erkennbar werden. Ist dies nicht der Fall, ist der Sozialleistungsträger berechtigt, von einer inhaltlichen Prüfung dieses Antrags abzusehen. Diese Begrenzung des Prüfauftrags der Verwaltung wird durch den Wortlaut, die Gesetzesbegründung sowie den Sinn und Zweck des § 44 SGB X gestützt.

14

b) Nach dem Wortlaut von § 44 Abs 1 S 1 SGB X soll "im Einzelfall" eine Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes - sei es ein rechtswidriger belastender Verwaltungsakt, mit dem Leistungen ganz oder teilweise abgelehnt worden sind, sei es ein Rückforderungsbescheid(vgl Voelzke/Hahn, SGb 2012, 685, mwN) - erfolgen. Hieraus hat der erkennende Senat geschlossen, dass dann, wenn nicht ein einzelner oder mehrere konkrete, ihrer Zahl nach bestimmbare Verfügungssätze von Verwaltungsakten, sondern das Verwaltungshandeln - ohne jede Differenzierung - insgesamt zur Überprüfung durch die Verwaltung gestellt wird, keine Prüfung im Einzelfall begehrt wird. Trotz des Vorliegen eines "Antrags" löst ein solches Begehren bereits nach dem Wortlaut der Vorschrift noch keine inhaltliche Prüfpflicht des Sozialleistungsträgers aus (BSG Beschluss vom 14.3.2012 - B 4 AS 239/11 B - juris-RdNr 6).

15

c) Eine Entbindung von der inhaltlichen Prüfung setzt allerdings voraus, dass der Sozialleistungsträger "den Einzelfall", also die konkreten Inhalte eines bestimmten Bescheides, die zur Überprüfung gestellt werden sollen, bei objektiver Betrachtung nicht ermitteln kann. Ein Prüfanliegen "im Einzelfall" ist daher zu bejahen, wenn entweder eine bestimmte Fragestellung tatsächlicher oder rechtlicher Natur oder eine konkrete Verwaltungsentscheidung benannt wird. Auch bei einem Antrag nach § 44 SGB X hat die Verwaltung den Untersuchungsgrundsatz des § 20 SGB X zu beachten. Insofern kann es - je nach den konkreten Umständen der Antragstellung - erforderlich sein, dass der Träger auf eine Konkretisierung des Überprüfungsbegehrens durch den Leistungsberechtigten iS des § 21 Abs 2 S 1 SGB X hinwirkt. In welchem Umfang der Leistungsträger seiner Amtsermittlungspflicht nachzukommen hat, beurteilt sich jedoch nach Lage des Einzelfalls. Als Kriterium für den Umfang der Amtsermittlungspflicht des SGB II-Trägers ist beispielsweise zu berücksichtigen, ob der Leistungsberechtigte (mit juristischem Sachverstand) vertreten oder unvertreten ist oder ob sich aus vorangegangenen Kontakten zwischen ihm und der Verwaltung Anhaltspunkte für das Begehren des Antragstellers ergeben. Auch kann von Bedeutung sein, in welchem Gesamtkontext ein Überprüfungsantrag gestellt wird. Wenn - jedoch wie im vorliegenden Fall - auch auf Nachfrage des SGB II-Trägers bei dem Rechtsanwalt der Antragstellerin keine Angaben gemacht werden, die eine Konkretisierung für den Einzelfall ermöglichen, sondern weiter pauschal auf die Überprüfung sämtlicher Bescheide verwiesen wird, ist der Sozialleistungsträger objektiv nicht in der Lage, seinen Prüfauftrag zu bestimmen. In diesem Sinne wird auch in dem Entwurf zur Begründung des § 42 SGB X (heute § 44 SGB X) darauf hingewiesen, Voraussetzung für die Rücknahme solle sein, dass der Behörde im Einzelfall die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes bekannt werde(BT-Drucks 8/2034, S 34). Der Sozialleistungsträger muss also zumindest in die Lage versetzt werden, bestimmen zu können, welcher Verwaltungsakt rechtswidrig sein könnte. Dies war hier bis zur Erteilung des Widerspruchsbescheides nicht der Fall.

16

d) Es genügt nicht, wenn der Leistungsberechtigte - wie hier - eine Nachbesserung des bis dahin unbestimmten und nicht objektiv konkretisierbaren Antrags erst im Klageverfahren vornimmt. Für die Beurteilung, ob die formellen Erfordernisse eines solchen Antrags vorliegen, der überhaupt erst eine Prüfpflicht des Leistungsträgers auslöst, ist auf die zum Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung zu diesem Überprüfungsantrag vorgetragenen tatsächlichen und/oder rechtlichen Anhaltspunkte abzustellen.

17

Soweit das LSG mit Hinweis auf eine Entscheidung des 5. Senats des BSG (Urteil vom 25.1.2011 - B 5 R 47/10 R - RdNr 12) für die Bestimmung des maßgeblichen Zeitpunkts zur Beurteilung der Sach- und Rechtslage im Überprüfungsverfahren im Ansatz davon ausgegangen ist, dass dies derjenige der letzten mündlichen Verhandlung sei, handelte es sich bei der Entscheidung des 5. Senats um eine andere Ausgangslage. In dem dortigen Verfahren war umstritten, ob konkrete "Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden" sind. Ob diese neben der Antragsstellung zu beachtende (weitere) Rücknahmevoraussetzung erfüllt ist, kann sich nach der materiellen Rechtslage richten, die im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Überprüfungsentscheidung gilt. Insofern ist neues Recht und auch erstmaliges Vorbringen der Beteiligten im Klageverfahren hierzu nach der Entscheidung des 5. Senats des BSG zu berücksichtigen, wenn das neue Recht das streitige Rechtsverhältnis nach seinem Geltungswillen "mit Rückwirkung" erfassen soll. Vorliegend fehlt es jedoch bereits an der vorrangig zu prüfenden verfahrensrechtlichen Voraussetzung für ein (Wieder)Aufleben ("Ingangbringen") der Prüfverpflichtung des Sozialleistungsträgers nach § 44 SGB X.

18

e) Ohne Bedeutung für die hier behandelte Fallgestaltung des nicht einzelfallbezogenen Antrags ist es, dass nach der Rechtsprechung des 4. Senats des BSG eine Einschränkung im Verfahren nach § 44 SGB X unter Rückgriff auf § 51 Abs 1 VwVfG vorgenommen werden darf mit der Folge einer gestuften Prüfungsverpflichtung bei einem "unrichtigen Sachverhalt"(BSGE 88, 75 = SozR 3-2200 § 1265 Nr 20). Nicht einschlägig ist hier auch die Rechtsprechung des 9. Senats des BSG, der eine Prüfpflicht nur dann annehmen will, wenn Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit des der früheren Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalts vorhanden sind (BSGE 63, 33 = SozR 1300 § 44 Nr 33). Wird das Verwaltungshandeln umfassend zur Überprüfung gestellt, mangelt es bereits an einem konkreten Anlass zum Eintritt in die zuvor aufgezeigten "Prüfstadien". Bereits auf der davor liegenden Stufe fehlt es an Hinweisen, wie sich der Prüfumfang bestimmen soll, wenn - wie hier - auch auf Nachfrage bei dem Leistungsberechtigten keine weiteren Angaben gemacht werden. Gleiches gilt, wenn sich die Rechtswidrigkeit aus einer unrichtigen Anwendung des Rechts ergeben soll. Nach Auffassung des 2. Senats des BSG soll zwar im Zugunstenverfahren nach § 44 SGB X auch ohne neues Vorbringen des Antragstellers immer eine Prüfverpflichtung bestehen, ob bei Erlass des bindend gewordenen Verwaltungsakts das Recht unrichtig angewandt wurde(BSGE 97, 54 = SozR 4-2700 § 8 Nr 18, RdNr 12). Dies setzt jedoch voraus, dass die Verwaltung überhaupt "einzelfallbezogen" erkennen kann, welcher Bescheid zu überprüfen ist. Ansonsten kann sie bereits den Gegenstand der Prüfung nicht bestimmen und nicht dem Sinn und Zweck des § 44 SGB X entsprechend handeln.

19

f) Ziel des § 44 SGB X ist es, die Konfliktsituation zwischen der Bindungswirkung eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes und der materiellen Gerechtigkeit zu Gunsten letzterer aufzulösen(BSG SozR 3-1300 § 44 Nr 24, juris-RdNr 16; Merten in Hauck/Noftz, SGB X, K § 44 RdNr 2, Stand XII/12; Schütze in von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl 2013, § 44 RdNr 2, vor 44-49, RdNr 1; Steinwedel in Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, § 44 SGB X RdNr 2, Stand IX/2013; Waschull in LPK-SGB X, 3. Aufl 2011, vor §§ 44-51 RdNr 13; vgl auch Voelzke/Hahn, SGb 2012, 685). Eine Konfliktlösung in diesem Sinne ist der Verwaltung jedoch nur möglich, wenn ihr "der Konflikt" bekannt ist. Insoweit besteht kein Unterschied zwischen der Situation der Einleitung eines Überprüfungsverfahrens durch einen Antrag des Leistungsberechtigten oder der Verpflichtung der Verwaltung zur Überprüfung von Amts wegen (§ 44 Abs 3 S 2 und 3 SGB X). Der Maßstab zur Bestimmung des Prüfumfangs ist gleich. Im Rahmen der Überprüfung von Amts wegen ist die Verwaltung nach ständiger Rechtsprechung des BSG nicht verpflichtet, die Akten von sich aus auf Rücknahmemöglichkeiten durchzuarbeiten. Es müssen sich vielmehr konkret in der Bearbeitung eines Falles Anhaltspunkte für eine Aufhebung ergeben (vgl BSG Urteil vom 2.10.2008 - B 9 VH 1/07 R - juris-RdNr 48; BSG SozR 3-4100 § 119 Nr 23, juris-RdNr 24 f; s auch Baumeister in jurisPK-SGB X, § 44 SGB X, RdNr 133, Stand 4/2013; Schütze in von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl 2013, § 44 RdNr 39; Steinwedel in Kasseler Kommentar, § 44 SGB X, RdNr 24, Stand IX/2013). Anderenfalls würde der Verwaltung die Verpflichtung auferlegt, ihr bindend gewordenes Verwaltungshandeln "ins Blaue hinein" zu überprüfen. Auch bei einer Überprüfung auf Antrag ist die Verwaltung daher nicht gehalten, die Akten von Amts wegen durchzuarbeiten, um eine mögliche Rechtswidrigkeit aufzudecken. Sie kann sich vielmehr - in einer Situation wie der vorliegenden - unter dem Hinweis auf fehlende Anhaltspunkte für eine Rechtswidrigkeit nicht näher bezeichneter Ausgangsbescheide darauf stützen, es sei nicht erkennbar, dass das Recht unrichtig angewandt oder von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen worden sei und die erneute inhaltliche Prüfung ablehnen. Damit wird sowohl der materiellen Gerechtigkeit als auch der Bindungswirkung Rechnung getragen, ohne die materielle Gerechtigkeit durch eine Zugunstenentscheidung für den Leistungsberechtigten im Einzelfall hinter die Bindungswirkung zurücktreten zu lassen.

20

g) Unerheblich für die Bestimmung des Umfangs der Prüfpflicht des Leistungsträgers ist hingegen, dass es sich hier um einen Antrag auf Überprüfung eines Bescheides aus dem Leistungsbereich des SGB II handelt. Die den dortigen Leistungsvoraussetzungen geschuldete Häufigkeit der Änderungen der Leistungshöhe und der damit verbundenen erneuten Bescheiderteilung bilden keinen Anlass von anderen Sozialleistungsbereichen abweichende Maßstäbe für die Voraussetzungen der Überprüfung einer Verwaltungsentscheidung nach § 44 SGB X aufzustellen. § 40 Abs 1 SGB II enthält nur eine Begrenzung hinsichtlich der rückwirkenden Erbringung von SGB II-Leistungen nach § 44 Abs 4 SGB X, nicht jedoch abweichende Grundsätze für die vorangehenden Prüfungsschritte des § 44 SGB X(vgl in diesem Zusammenhang auch BSGE 106, 155 = SozR 4-4200 § 22 Nr 36).

21

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

(1) Ist die Revision unbegründet, so weist das Bundessozialgericht die Revision zurück. Ergeben die Entscheidungsgründe zwar eine Gesetzesverletzung, stellt sich die Entscheidung selbst aber aus anderen Gründen als richtig dar, so ist die Revision ebenfalls zurückzuweisen.

(2) Ist die Revision begründet, so hat das Bundessozialgericht in der Sache selbst zu entscheiden. Sofern dies untunlich ist, kann es das angefochtene Urteil mit den ihm zugrunde liegenden Feststellungen aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Gericht zurückverweisen, welches das angefochtene Urteil erlassen hat.

(3) Die Entscheidung über die Revision braucht nicht begründet zu werden, soweit das Bundessozialgericht Rügen von Verfahrensmängeln nicht für durchgreifend erachtet. Dies gilt nicht für Rügen nach § 202 in Verbindung mit § 547 der Zivilprozeßordnung und, wenn mit der Revision ausschließlich Verfahrensmängel geltend gemacht werden, für Rügen, auf denen die Zulassung der Revision beruht.

(4) Verweist das Bundessozialgericht die Sache bei der Sprungrevision nach § 161 zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurück, so kann es nach seinem Ermessen auch an das Landessozialgericht zurückverweisen, das für die Berufung zuständig gewesen wäre. Für das Verfahren vor dem Landessozialgericht gelten dann die gleichen Grundsätze, wie wenn der Rechtsstreit auf eine ordnungsgemäß eingelegte Berufung beim Landessozialgericht anhängig geworden wäre.

(5) Das Gericht, an das die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen ist, hat seiner Entscheidung die rechtliche Beurteilung des Revisionsgerichts zugrunde zu legen.

(1) Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Dies gilt nicht, wenn der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Betroffene vorsätzlich in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat.

(2) Im Übrigen ist ein rechtswidriger nicht begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft zurückzunehmen. Er kann auch für die Vergangenheit zurückgenommen werden.

(3) Über die Rücknahme entscheidet nach Unanfechtbarkeit des Verwaltungsaktes die zuständige Behörde; dies gilt auch dann, wenn der zurückzunehmende Verwaltungsakt von einer anderen Behörde erlassen worden ist.

(4) Ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden, werden Sozialleistungen nach den Vorschriften der besonderen Teile dieses Gesetzbuches längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der Rücknahme erbracht. Dabei wird der Zeitpunkt der Rücknahme von Beginn des Jahres an gerechnet, in dem der Verwaltungsakt zurückgenommen wird. Erfolgt die Rücknahme auf Antrag, tritt bei der Berechnung des Zeitraumes, für den rückwirkend Leistungen zu erbringen sind, anstelle der Rücknahme der Antrag.

(1) Für das Verfahren nach diesem Buch gilt das Zehnte Buch. Abweichend von Satz 1 gilt § 44 des Zehnten Buches mit der Maßgabe, dass

1.
rechtswidrige nicht begünstigende Verwaltungsakte nach den Absätzen 1 und 2 nicht später als vier Jahre nach Ablauf des Jahres, in dem der Verwaltungsakt bekanntgegeben wurde, zurückzunehmen sind; ausreichend ist, wenn die Rücknahme innerhalb dieses Zeitraums beantragt wird,
2.
anstelle des Zeitraums von vier Jahren nach Absatz 4 Satz 1 ein Zeitraum von einem Jahr tritt.
Abweichend von Satz 1 gelten die §§ 45, 47 und 48 des Zehnten Buches mit der Maßgabe, dass ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit nicht aufzuheben ist, wenn sich ausschließlich Erstattungsforderungen nach § 50 Absatz 1 des Zehnten Buches von insgesamt weniger als 50 Euro für die Gesamtheit der Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft ergäben. Bei der Prüfung der Aufhebung nach Satz 3 sind Umstände, die bereits Gegenstand einer vorherigen Prüfung nach Satz 3 waren, nicht zu berücksichtigen. Die Sätze 3 und 4 gelten in den Fällen des § 50 Absatz 2 des Zehnten Buches entsprechend.

(2) Entsprechend anwendbar sind die Vorschriften des Dritten Buches über

1.
(weggefallen)
2.
(weggefallen)
3.
die Aufhebung von Verwaltungsakten (§ 330 Absatz 2, 3 Satz 1 und 4);
4.
die vorläufige Zahlungseinstellung nach § 331 mit der Maßgabe, dass die Träger auch zur teilweisen Zahlungseinstellung berechtigt sind, wenn sie von Tatsachen Kenntnis erhalten, die zu einem geringeren Leistungsanspruch führen;
5.
die Erstattung von Beiträgen zur Kranken-, Renten- und Pflegeversicherung (§ 335 Absatz 1, 2 und 5); § 335 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 5 in Verbindung mit Absatz 1 Satz 1 ist nicht anwendbar, wenn in einem Kalendermonat für mindestens einen Tag rechtmäßig Bürgergeld nach § 19 Absatz 1 Satz 1 gewährt wurde; in den Fällen des § 335 Absatz 1 Satz 2 und Absatz 5 in Verbindung mit Absatz 1 Satz 2 besteht kein Beitragserstattungsanspruch.

(3) Liegen die in § 44 Absatz 1 Satz 1 des Zehnten Buches genannten Voraussetzungen für die Rücknahme eines rechtswidrigen nicht begünstigenden Verwaltungsaktes vor, weil dieser auf einer Rechtsnorm beruht, die nach Erlass des Verwaltungsaktes

1.
durch eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts für nichtig oder für unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärt worden ist oder
2.
in ständiger Rechtsprechung anders als durch den für die jeweilige Leistungsart zuständigen Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende ausgelegt worden ist,
so ist der Verwaltungsakt, wenn er unanfechtbar geworden ist, nur mit Wirkung für die Zeit nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts oder ab dem Bestehen der ständigen Rechtsprechung zurückzunehmen. Bei der Unwirksamkeit einer Satzung oder einer anderen im Rang unter einem Landesgesetz stehenden Rechtsvorschrift, die nach § 22a Absatz 1 und dem dazu ergangenen Landesgesetz erlassen worden ist, ist abweichend von Satz 1 auf die Zeit nach der Entscheidung durch das Landessozialgericht abzustellen.

(4) Der Verwaltungsakt, mit dem über die Gewährung von Leistungen nach diesem Buch abschließend entschieden wurde, ist mit Wirkung für die Zukunft ganz aufzuheben, wenn in den tatsächlichen Verhältnissen der leistungsberechtigten Person Änderungen eintreten, aufgrund derer nach Maßgabe des § 41a vorläufig zu entscheiden wäre.

(5) Verstirbt eine leistungsberechtigte Person oder eine Person, die mit der leistungsberechtigten Person in häuslicher Gemeinschaft lebt, bleiben im Sterbemonat allein die dadurch eintretenden Änderungen in den bereits bewilligten Leistungsansprüchen der leistungsberechtigten Person und der mit ihr in Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen unberücksichtigt; die §§ 48 und 50 Absatz 2 des Zehnten Buches sind insoweit nicht anzuwenden. § 118 Absatz 3 bis 4a des Sechsten Buches findet mit der Maßgabe entsprechend Anwendung, dass Geldleistungen, die für die Zeit nach dem Monat des Todes der leistungsberechtigten Person überwiesen wurden, als unter Vorbehalt erbracht gelten.

(6) § 50 Absatz 1 des Zehnten Buches ist mit der Maßgabe anzuwenden, dass Gutscheine in Geld zu erstatten sind. Die leistungsberechtigte Person kann die Erstattungsforderung auch durch Rückgabe des Gutscheins erfüllen, soweit dieser nicht in Anspruch genommen wurde. Eine Erstattung der Leistungen nach § 28 erfolgt nicht, soweit eine Aufhebungsentscheidung allein wegen dieser Leistungen zu treffen wäre. Satz 3 gilt nicht im Fall des Widerrufs einer Bewilligungsentscheidung nach § 29 Absatz 5 Satz 2.

(7) § 28 des Zehnten Buches gilt mit der Maßgabe, dass der Antrag unverzüglich nach Ablauf des Monats, in dem die Ablehnung oder Erstattung der anderen Leistung bindend geworden ist, nachzuholen ist.

(8) Für die Vollstreckung von Ansprüchen der in gemeinsamen Einrichtungen zusammenwirkenden Träger nach diesem Buch gilt das Verwaltungs-Vollstreckungsgesetz des Bundes; im Übrigen gilt § 66 des Zehnten Buches.

(9) § 1629a des Bürgerlichen Gesetzbuchs gilt mit der Maßgabe, dass sich die Haftung eines Kindes auf das Vermögen beschränkt, das bei Eintritt der Volljährigkeit den Betrag von 15 000 Euro übersteigt.

(10) Erstattungsansprüche nach § 50 des Zehnten Buches, die auf die Aufnahme einer bedarfsdeckenden sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung zurückzuführen sind, sind in monatlichen Raten in Höhe von 10 Prozent des maßgebenden Regelbedarfs zu tilgen. Dies gilt nicht, wenn vor Tilgung der gesamten Summe erneute Hilfebedürftigkeit eintritt.

(1) Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Dies gilt nicht, wenn der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Betroffene vorsätzlich in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat.

(2) Im Übrigen ist ein rechtswidriger nicht begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft zurückzunehmen. Er kann auch für die Vergangenheit zurückgenommen werden.

(3) Über die Rücknahme entscheidet nach Unanfechtbarkeit des Verwaltungsaktes die zuständige Behörde; dies gilt auch dann, wenn der zurückzunehmende Verwaltungsakt von einer anderen Behörde erlassen worden ist.

(4) Ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden, werden Sozialleistungen nach den Vorschriften der besonderen Teile dieses Gesetzbuches längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der Rücknahme erbracht. Dabei wird der Zeitpunkt der Rücknahme von Beginn des Jahres an gerechnet, in dem der Verwaltungsakt zurückgenommen wird. Erfolgt die Rücknahme auf Antrag, tritt bei der Berechnung des Zeitraumes, für den rückwirkend Leistungen zu erbringen sind, anstelle der Rücknahme der Antrag.

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 26. März 2013 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander auch für das Revisionsverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Tatbestand

1

Streitig ist die Überprüfung und Rücknahme aller Bescheide über die Gewährung, Aufhebung und Erstattung von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende für den Zeitraum seit Januar 2006.

2

Der 1973 geborene Kläger bezog seit Januar 2005 Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende. Auf den Antrag des anwaltlich vertretenen Klägers vom 28.7.2010, sämtliche bestandskräftige Bescheide seit dem 1.1.2006 "auf ihre Rechtmäßigkeit" zu überprüfen, forderte der Beklagte ihn unter Fristsetzung bis zum 15.8.2010 auf, eine detaillierte Aufstellung der angefochtenen Bescheide vorzulegen. Eine Überprüfung des Sachverhaltes werde ansonsten nicht vorgenommen. Nachdem keine Reaktion erfolgt war, lehnte der Beklagte eine Prüfung der Bescheide ab (Bescheid vom 16.8.2010; Widerspruchsbescheid vom 11.10.2010).

3

Im sozialgerichtlichen Verfahren hat der Kläger vorgetragen, in den Bewilligungsbescheiden vom 23.11.2005, 12.6.2006, 14.12.2006, 29.5.2007, 26.11.2007, 2.6.2008 und 24.11.2008 seien die Kosten für Unterkunft und Heizung falsch ermittelt, der Beklagte habe den Abzug der Kosten für die Warmwasseraufbereitung unrichtig vorgenommen. Im August 2006 müsse eine Nachforderung aus einer Betriebskostenabrechnung in Höhe von 108,36 Euro berücksichtigt werden. Gleiches gelte für die Betriebskostenabrechnungen für das Jahr 2006 (Bescheid vom 22.6.2007) und für das Jahr 2007 (Bescheid vom 8.5.2008). Der Beklagte habe jeweils einen zu geringen Betrag berücksichtigt.

4

Das SG hat die Klage teilweise als unzulässig zurückgewiesen, im Übrigen als unbegründet abgewiesen (Urteil vom 15.3.2011). Soweit die Klagebegründung einen erneuten Überprüfungsantrag beinhalte, fehle es an einem ordnungsgemäßen Vorverfahren. Im Übrigen handele es sich bei der in § 44 SGB X vorgesehenen Korrekturmöglichkeit um eine Einzelfallprüfung. Ein "globaler" Überprüfungsantrag werde von der Norm nicht erfasst.

5

Das LSG hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen (Urteil vom 26.3.2013). Zur Begründung seiner Entscheidung hat es ausgeführt, der Kläger habe keinen Anspruch auf eine schranken- und voraussetzungslose Sach- und Rechtsprüfung der seit Januar 2006 erlassenen Bescheide. Aus dem Wortlaut und der Systematik ergebe sich, dass jeweils nur ein Anspruch auf Überprüfung einzelner Verwaltungsentscheidungen, nicht auf ein ggf umfangreiches Verwaltungshandeln über einen mehrjährigen Zeitraum bestehe. Für den Bereich des SGB II habe der Gesetzgeber die Bedeutung der Rechtssicherheit mit Wirkung zum 1.4.2011 weiter hervorgehoben und durch eine Ergänzung in § 40 Abs 1 S 2 SGB II die Rückwirkung auf ein Jahr begrenzt. Zudem werde das Leistungsverhältnis Bürger - Behörde im Bereich des SGB II schon materiell-rechtlich, dh aufgrund des Gegenstandes und des Normprogramms, durch Veränderungen in der Lebenswirklichkeit der Betreffenden ungleich mehr als im Sozialrecht sonst üblich geprägt. Im Interesse einer funktionsfähigen Verwaltung erfahre § 44 SGB X daher im SGB II eine Einschränkung. Unter Beachtung dieser Grundsätze folge aus dem Antrag des Klägers keine Pflicht zur Überprüfung von Bescheiden in der Sache, weil er diese bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens nicht benannt habe. Soweit er mit seiner Klagebegründung die zu überprüfenden Bescheide des Beklagten und Gründe für die aus seiner Sicht rechtswidrigen Regelungen benannt habe, sei zwar bei der Beurteilung von Bescheiden im Überprüfungsverfahren bei einer zulässigen Anfechtungs- und Verpflichtungsklage der für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgebliche Zeitpunkt derjenige der letzten mündlichen Verhandlung der Tatsacheninstanz. Hänge das Überprüfungsbegehren aber von Mitwirkungsobliegenheiten im Verwaltungsverfahren ab, seien Gerichte nicht verpflichtet, auf die Nachholung der schon bestehenden Mitwirkungsobliegenheit die nunmehr konkret benannten Bescheide erstmals zu überprüfen.

6

Mit seiner Revision macht der Kläger geltend, es sei kein plausibler Grund dafür ersichtlich, warum eine Überprüfung "sämtlicher" erlassener Bescheide des Beklagten nur dann möglich sein solle, wenn der Antragsteller diese nochmals aufliste. Da der Überprüfungsantrag ausschließlich auf eine fehlerhafte Rechtsanwendung gestützt worden sei, bedürfe es keiner weiteren Darlegungen.

7

Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 26. März 2013 aufzuheben, das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 15. März 2011 abzuändern und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 16. August 2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Oktober 2010 zu verpflichten, die Bescheide vom 23. November 2005, 12. Juni 2006, 14. Dezember 2006, 29. Mai 2007, 22. Juni 2007, 26. November 2007, 8. Mai 2008, 2. Juni 2008 und 24. November 2008 teilweise zurückzunehmen und dem Kläger für die in den Bescheiden geregelten Bewilligungszeiträume höhere Leistungen nach dem SGB II zu gewähren.

8

Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

9

Er bezieht sich auf das angefochtene Urteil.

Entscheidungsgründe

10

Die Revision ist zulässig, jedoch unbegründet.

11

1. Streitgegenstand ist die Gewährung höherer Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts im Zeitraum vom 1.1.2006 bis 30.6.2009, als dies durch die im Antrag bezeichneten Bescheide des Beklagten geschehen ist. Richtige Klageart ist hier eine kombinierte Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage (zuletzt BSG Urteil vom 12.12.2013 - B 4 AS 17/13 R - SozR 4-1500 § 192 Nr 2 RdNr 4; BSG Urteil vom 28.2.2013 - B 8 SO 4/12 R - RdNr 9; vgl auch Baumeister in juris-PK SGB X, § 44 RdNr 154, Stand 4/2013; Steinwedel in Kasseler Kommentar, § 44 SGB X RdNr 30, Stand 09/2013 mwN; Waschull in LPK-SGB X, 3. Aufl 2011, § 44 RdNr 59; aA in einem obiter dictum: BSGE 97, 54 = SozR 4-2700 § 8 Nr 18, jeweils RdNr 9; wohl auch Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 6. Aufl 2011, Kap IV RdNr 76). Der Kläger begehrt mit der Anfechtungsklage die Aufhebung des - die Überprüfung der zuvor benannten Bescheide ablehnenden - Verwaltungsakts vom 16.8.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.10.2010. Die Verpflichtungsklage ist auf die Erteilung eines Bescheids durch den Beklagen gerichtet, mit dem dieser die begehrte Änderung der bezeichneten Bewilligungsbescheide bewirkt. Mit der Leistungsklage beantragt er die Erbringung höherer Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts im streitigen Zeitraum.

12

2. Der Beklagte hat es hier rechtlich zutreffend abgelehnt, eine inhaltliche Überprüfung der benannten Verwaltungsakte nach § 44 SGB X vorzunehmen. Es mangelt bereits an einem hinreichend objektiv konkretisierbaren Antrag im Sinne dieser Vorschrift.

13

a) Nach § 40 Abs 1 S 1 SGB II iVm § 44 Abs 1 S 1 SGB X ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Erfolgt die Überprüfung aufgrund eines Antrags des Leistungsberechtigten, löst dieser Antrag zwar grundsätzlich eine Prüfpflicht des Leistungsträgers aus. Der Antrag bestimmt jedoch zugleich auch den Umfang des Prüfauftrags der Verwaltung im Hinblick darauf, ob bei Erlass des Verwaltungsakts das Recht unrichtig angewandt oder von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen worden ist. Aufgrund oder aus Anlass des Antrags muss sich der Verwaltung im Einzelfall objektiv erschließen, aus welchem Grund - Rechtsfehler und/oder falsche Sachverhaltsgrundlage - nach Auffassung des Leistungsberechtigten eine Überprüfung erfolgen soll. Dazu muss der Antrag konkretisierbar sein, dh entweder aus dem Antrag selbst - ggf nach Auslegung - oder aus einer Antwort des Leistungsberechtigten aufgrund konkreter Nachfrage des Sozialleistungsträgers muss der Umfang des Prüfauftrags für die Verwaltung bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens erkennbar werden. Ist dies nicht der Fall, ist der Sozialleistungsträger berechtigt, von einer inhaltlichen Prüfung dieses Antrags abzusehen. Diese Begrenzung des Prüfauftrags der Verwaltung wird durch den Wortlaut, die Gesetzesbegründung sowie den Sinn und Zweck des § 44 SGB X gestützt.

14

b) Nach dem Wortlaut von § 44 Abs 1 S 1 SGB X soll "im Einzelfall" eine Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes - sei es ein rechtswidriger belastender Verwaltungsakt, mit dem Leistungen ganz oder teilweise abgelehnt worden sind, sei es ein Rückforderungsbescheid(vgl Voelzke/Hahn, SGb 2012, 685, mwN) - erfolgen. Hieraus hat der erkennende Senat geschlossen, dass dann, wenn nicht ein einzelner oder mehrere konkrete, ihrer Zahl nach bestimmbare Verfügungssätze von Verwaltungsakten, sondern das Verwaltungshandeln - ohne jede Differenzierung - insgesamt zur Überprüfung durch die Verwaltung gestellt wird, keine Prüfung im Einzelfall begehrt wird. Trotz des Vorliegen eines "Antrags" löst ein solches Begehren bereits nach dem Wortlaut der Vorschrift noch keine inhaltliche Prüfpflicht des Sozialleistungsträgers aus (BSG Beschluss vom 14.3.2012 - B 4 AS 239/11 B - juris-RdNr 6).

15

c) Eine Entbindung von der inhaltlichen Prüfung setzt allerdings voraus, dass der Sozialleistungsträger "den Einzelfall", also die konkreten Inhalte eines bestimmten Bescheides, die zur Überprüfung gestellt werden sollen, bei objektiver Betrachtung nicht ermitteln kann. Ein Prüfanliegen "im Einzelfall" ist daher zu bejahen, wenn entweder eine bestimmte Fragestellung tatsächlicher oder rechtlicher Natur oder eine konkrete Verwaltungsentscheidung benannt wird. Auch bei einem Antrag nach § 44 SGB X hat die Verwaltung den Untersuchungsgrundsatz des § 20 SGB X zu beachten. Insofern kann es - je nach den konkreten Umständen der Antragstellung - erforderlich sein, dass der Träger auf eine Konkretisierung des Überprüfungsbegehrens durch den Leistungsberechtigten iS des § 21 Abs 2 S 1 SGB X hinwirkt. In welchem Umfang der Leistungsträger seiner Amtsermittlungspflicht nachzukommen hat, beurteilt sich jedoch nach Lage des Einzelfalls. Als Kriterium für den Umfang der Amtsermittlungspflicht des SGB II-Trägers ist beispielsweise zu berücksichtigen, ob der Leistungsberechtigte (mit juristischem Sachverstand) vertreten oder unvertreten ist oder ob sich aus vorangegangenen Kontakten zwischen ihm und der Verwaltung Anhaltspunkte für das Begehren des Antragstellers ergeben. Auch kann von Bedeutung sein, in welchem Gesamtkontext ein Überprüfungsantrag gestellt wird. Wenn - jedoch wie im vorliegenden Fall - auch auf Nachfrage des SGB II-Trägers bei dem Rechtsanwalt der Antragstellerin keine Angaben gemacht werden, die eine Konkretisierung für den Einzelfall ermöglichen, sondern weiter pauschal auf die Überprüfung sämtlicher Bescheide verwiesen wird, ist der Sozialleistungsträger objektiv nicht in der Lage, seinen Prüfauftrag zu bestimmen. In diesem Sinne wird auch in dem Entwurf zur Begründung des § 42 SGB X (heute § 44 SGB X) darauf hingewiesen, Voraussetzung für die Rücknahme solle sein, dass der Behörde im Einzelfall die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes bekannt werde(BT-Drucks 8/2034, S 34). Der Sozialleistungsträger muss also zumindest in die Lage versetzt werden, bestimmen zu können, welcher Verwaltungsakt rechtswidrig sein könnte. Dies war hier bis zur Erteilung des Widerspruchsbescheides nicht der Fall.

16

d) Es genügt nicht, wenn der Leistungsberechtigte - wie hier - eine Nachbesserung des bis dahin unbestimmten und nicht objektiv konkretisierbaren Antrags erst im Klageverfahren vornimmt. Für die Beurteilung, ob die formellen Erfordernisse eines solchen Antrags vorliegen, der überhaupt erst eine Prüfpflicht des Leistungsträgers auslöst, ist auf die zum Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung zu diesem Überprüfungsantrag vorgetragenen tatsächlichen und/oder rechtlichen Anhaltspunkte abzustellen.

17

Soweit das LSG mit Hinweis auf eine Entscheidung des 5. Senats des BSG (Urteil vom 25.1.2011 - B 5 R 47/10 R - RdNr 12) für die Bestimmung des maßgeblichen Zeitpunkts zur Beurteilung der Sach- und Rechtslage im Überprüfungsverfahren im Ansatz davon ausgegangen ist, dass dies derjenige der letzten mündlichen Verhandlung sei, handelte es sich bei der Entscheidung des 5. Senats um eine andere Ausgangslage. In dem dortigen Verfahren war umstritten, ob konkrete "Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden" sind. Ob diese neben der Antragsstellung zu beachtende (weitere) Rücknahmevoraussetzung erfüllt ist, kann sich nach der materiellen Rechtslage richten, die im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Überprüfungsentscheidung gilt. Insofern ist neues Recht und auch erstmaliges Vorbringen der Beteiligten im Klageverfahren hierzu nach der Entscheidung des 5. Senats des BSG zu berücksichtigen, wenn das neue Recht das streitige Rechtsverhältnis nach seinem Geltungswillen "mit Rückwirkung" erfassen soll. Vorliegend fehlt es jedoch bereits an der vorrangig zu prüfenden verfahrensrechtlichen Voraussetzung für ein (Wieder)Aufleben ("Ingangbringen") der Prüfverpflichtung des Sozialleistungsträgers nach § 44 SGB X.

18

e) Ohne Bedeutung für die hier behandelte Fallgestaltung des nicht einzelfallbezogenen Antrags ist es, dass nach der Rechtsprechung des 4. Senats des BSG eine Einschränkung im Verfahren nach § 44 SGB X unter Rückgriff auf § 51 Abs 1 VwVfG vorgenommen werden darf mit der Folge einer gestuften Prüfungsverpflichtung bei einem "unrichtigen Sachverhalt"(BSGE 88, 75 = SozR 3-2200 § 1265 Nr 20). Nicht einschlägig ist hier auch die Rechtsprechung des 9. Senats des BSG, der eine Prüfpflicht nur dann annehmen will, wenn Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit des der früheren Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalts vorhanden sind (BSGE 63, 33 = SozR 1300 § 44 Nr 33). Wird das Verwaltungshandeln umfassend zur Überprüfung gestellt, mangelt es bereits an einem konkreten Anlass zum Eintritt in die zuvor aufgezeigten "Prüfstadien". Bereits auf der davor liegenden Stufe fehlt es an Hinweisen, wie sich der Prüfumfang bestimmen soll, wenn - wie hier - auch auf Nachfrage bei dem Leistungsberechtigten keine weiteren Angaben gemacht werden. Gleiches gilt, wenn sich die Rechtswidrigkeit aus einer unrichtigen Anwendung des Rechts ergeben soll. Nach Auffassung des 2. Senats des BSG soll zwar im Zugunstenverfahren nach § 44 SGB X auch ohne neues Vorbringen des Antragstellers immer eine Prüfverpflichtung bestehen, ob bei Erlass des bindend gewordenen Verwaltungsakts das Recht unrichtig angewandt wurde(BSGE 97, 54 = SozR 4-2700 § 8 Nr 18, RdNr 12). Dies setzt jedoch voraus, dass die Verwaltung überhaupt "einzelfallbezogen" erkennen kann, welcher Bescheid zu überprüfen ist. Ansonsten kann sie bereits den Gegenstand der Prüfung nicht bestimmen und nicht dem Sinn und Zweck des § 44 SGB X entsprechend handeln.

19

f) Ziel des § 44 SGB X ist es, die Konfliktsituation zwischen der Bindungswirkung eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes und der materiellen Gerechtigkeit zu Gunsten letzterer aufzulösen(BSG SozR 3-1300 § 44 Nr 24, juris-RdNr 16; Merten in Hauck/Noftz, SGB X, K § 44 RdNr 2, Stand XII/12; Schütze in von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl 2013, § 44 RdNr 2, vor 44-49, RdNr 1; Steinwedel in Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, § 44 SGB X RdNr 2, Stand IX/2013; Waschull in LPK-SGB X, 3. Aufl 2011, vor §§ 44-51 RdNr 13; vgl auch Voelzke/Hahn, SGb 2012, 685). Eine Konfliktlösung in diesem Sinne ist der Verwaltung jedoch nur möglich, wenn ihr "der Konflikt" bekannt ist. Insoweit besteht kein Unterschied zwischen der Situation der Einleitung eines Überprüfungsverfahrens durch einen Antrag des Leistungsberechtigten oder der Verpflichtung der Verwaltung zur Überprüfung von Amts wegen (§ 44 Abs 3 S 2 und 3 SGB X). Der Maßstab zur Bestimmung des Prüfumfangs ist gleich. Im Rahmen der Überprüfung von Amts wegen ist die Verwaltung nach ständiger Rechtsprechung des BSG nicht verpflichtet, die Akten von sich aus auf Rücknahmemöglichkeiten durchzuarbeiten. Es müssen sich vielmehr konkret in der Bearbeitung eines Falles Anhaltspunkte für eine Aufhebung ergeben (vgl BSG Urteil vom 2.10.2008 - B 9 VH 1/07 R - juris-RdNr 48; BSG SozR 3-4100 § 119 Nr 23, juris-RdNr 24 f; s auch Baumeister in jurisPK-SGB X, § 44 SGB X, RdNr 133, Stand 4/2013; Schütze in von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl 2013, § 44 RdNr 39; Steinwedel in Kasseler Kommentar, § 44 SGB X, RdNr 24, Stand IX/2013). Anderenfalls würde der Verwaltung die Verpflichtung auferlegt, ihr bindend gewordenes Verwaltungshandeln "ins Blaue hinein" zu überprüfen. Auch bei einer Überprüfung auf Antrag ist die Verwaltung daher nicht gehalten, die Akten von Amts wegen durchzuarbeiten, um eine mögliche Rechtswidrigkeit aufzudecken. Sie kann sich vielmehr - in einer Situation wie der vorliegenden - unter dem Hinweis auf fehlende Anhaltspunkte für eine Rechtswidrigkeit nicht näher bezeichneter Ausgangsbescheide darauf stützen, es sei nicht erkennbar, dass das Recht unrichtig angewandt oder von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen worden sei und die erneute inhaltliche Prüfung ablehnen. Damit wird sowohl der materiellen Gerechtigkeit als auch der Bindungswirkung Rechnung getragen, ohne die materielle Gerechtigkeit durch eine Zugunstenentscheidung für den Leistungsberechtigten im Einzelfall hinter die Bindungswirkung zurücktreten zu lassen.

20

g) Unerheblich für die Bestimmung des Umfangs der Prüfpflicht des Leistungsträgers ist hingegen, dass es sich hier um einen Antrag auf Überprüfung eines Bescheides aus dem Leistungsbereich des SGB II handelt. Die den dortigen Leistungsvoraussetzungen geschuldete Häufigkeit der Änderungen der Leistungshöhe und der damit verbundenen erneuten Bescheiderteilung bilden keinen Anlass von anderen Sozialleistungsbereichen abweichende Maßstäbe für die Voraussetzungen der Überprüfung einer Verwaltungsentscheidung nach § 44 SGB X aufzustellen. § 40 Abs 1 SGB II enthält nur eine Begrenzung hinsichtlich der rückwirkenden Erbringung von SGB II-Leistungen nach § 44 Abs 4 SGB X, nicht jedoch abweichende Grundsätze für die vorangehenden Prüfungsschritte des § 44 SGB X(vgl in diesem Zusammenhang auch BSGE 106, 155 = SozR 4-4200 § 22 Nr 36).

21

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

(1) Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Dies gilt nicht, wenn der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Betroffene vorsätzlich in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat.

(2) Im Übrigen ist ein rechtswidriger nicht begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft zurückzunehmen. Er kann auch für die Vergangenheit zurückgenommen werden.

(3) Über die Rücknahme entscheidet nach Unanfechtbarkeit des Verwaltungsaktes die zuständige Behörde; dies gilt auch dann, wenn der zurückzunehmende Verwaltungsakt von einer anderen Behörde erlassen worden ist.

(4) Ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden, werden Sozialleistungen nach den Vorschriften der besonderen Teile dieses Gesetzbuches längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der Rücknahme erbracht. Dabei wird der Zeitpunkt der Rücknahme von Beginn des Jahres an gerechnet, in dem der Verwaltungsakt zurückgenommen wird. Erfolgt die Rücknahme auf Antrag, tritt bei der Berechnung des Zeitraumes, für den rückwirkend Leistungen zu erbringen sind, anstelle der Rücknahme der Antrag.

(1) Für das Verfahren nach diesem Buch gilt das Zehnte Buch. Abweichend von Satz 1 gilt § 44 des Zehnten Buches mit der Maßgabe, dass

1.
rechtswidrige nicht begünstigende Verwaltungsakte nach den Absätzen 1 und 2 nicht später als vier Jahre nach Ablauf des Jahres, in dem der Verwaltungsakt bekanntgegeben wurde, zurückzunehmen sind; ausreichend ist, wenn die Rücknahme innerhalb dieses Zeitraums beantragt wird,
2.
anstelle des Zeitraums von vier Jahren nach Absatz 4 Satz 1 ein Zeitraum von einem Jahr tritt.
Abweichend von Satz 1 gelten die §§ 45, 47 und 48 des Zehnten Buches mit der Maßgabe, dass ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit nicht aufzuheben ist, wenn sich ausschließlich Erstattungsforderungen nach § 50 Absatz 1 des Zehnten Buches von insgesamt weniger als 50 Euro für die Gesamtheit der Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft ergäben. Bei der Prüfung der Aufhebung nach Satz 3 sind Umstände, die bereits Gegenstand einer vorherigen Prüfung nach Satz 3 waren, nicht zu berücksichtigen. Die Sätze 3 und 4 gelten in den Fällen des § 50 Absatz 2 des Zehnten Buches entsprechend.

(2) Entsprechend anwendbar sind die Vorschriften des Dritten Buches über

1.
(weggefallen)
2.
(weggefallen)
3.
die Aufhebung von Verwaltungsakten (§ 330 Absatz 2, 3 Satz 1 und 4);
4.
die vorläufige Zahlungseinstellung nach § 331 mit der Maßgabe, dass die Träger auch zur teilweisen Zahlungseinstellung berechtigt sind, wenn sie von Tatsachen Kenntnis erhalten, die zu einem geringeren Leistungsanspruch führen;
5.
die Erstattung von Beiträgen zur Kranken-, Renten- und Pflegeversicherung (§ 335 Absatz 1, 2 und 5); § 335 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 5 in Verbindung mit Absatz 1 Satz 1 ist nicht anwendbar, wenn in einem Kalendermonat für mindestens einen Tag rechtmäßig Bürgergeld nach § 19 Absatz 1 Satz 1 gewährt wurde; in den Fällen des § 335 Absatz 1 Satz 2 und Absatz 5 in Verbindung mit Absatz 1 Satz 2 besteht kein Beitragserstattungsanspruch.

(3) Liegen die in § 44 Absatz 1 Satz 1 des Zehnten Buches genannten Voraussetzungen für die Rücknahme eines rechtswidrigen nicht begünstigenden Verwaltungsaktes vor, weil dieser auf einer Rechtsnorm beruht, die nach Erlass des Verwaltungsaktes

1.
durch eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts für nichtig oder für unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärt worden ist oder
2.
in ständiger Rechtsprechung anders als durch den für die jeweilige Leistungsart zuständigen Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende ausgelegt worden ist,
so ist der Verwaltungsakt, wenn er unanfechtbar geworden ist, nur mit Wirkung für die Zeit nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts oder ab dem Bestehen der ständigen Rechtsprechung zurückzunehmen. Bei der Unwirksamkeit einer Satzung oder einer anderen im Rang unter einem Landesgesetz stehenden Rechtsvorschrift, die nach § 22a Absatz 1 und dem dazu ergangenen Landesgesetz erlassen worden ist, ist abweichend von Satz 1 auf die Zeit nach der Entscheidung durch das Landessozialgericht abzustellen.

(4) Der Verwaltungsakt, mit dem über die Gewährung von Leistungen nach diesem Buch abschließend entschieden wurde, ist mit Wirkung für die Zukunft ganz aufzuheben, wenn in den tatsächlichen Verhältnissen der leistungsberechtigten Person Änderungen eintreten, aufgrund derer nach Maßgabe des § 41a vorläufig zu entscheiden wäre.

(5) Verstirbt eine leistungsberechtigte Person oder eine Person, die mit der leistungsberechtigten Person in häuslicher Gemeinschaft lebt, bleiben im Sterbemonat allein die dadurch eintretenden Änderungen in den bereits bewilligten Leistungsansprüchen der leistungsberechtigten Person und der mit ihr in Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen unberücksichtigt; die §§ 48 und 50 Absatz 2 des Zehnten Buches sind insoweit nicht anzuwenden. § 118 Absatz 3 bis 4a des Sechsten Buches findet mit der Maßgabe entsprechend Anwendung, dass Geldleistungen, die für die Zeit nach dem Monat des Todes der leistungsberechtigten Person überwiesen wurden, als unter Vorbehalt erbracht gelten.

(6) § 50 Absatz 1 des Zehnten Buches ist mit der Maßgabe anzuwenden, dass Gutscheine in Geld zu erstatten sind. Die leistungsberechtigte Person kann die Erstattungsforderung auch durch Rückgabe des Gutscheins erfüllen, soweit dieser nicht in Anspruch genommen wurde. Eine Erstattung der Leistungen nach § 28 erfolgt nicht, soweit eine Aufhebungsentscheidung allein wegen dieser Leistungen zu treffen wäre. Satz 3 gilt nicht im Fall des Widerrufs einer Bewilligungsentscheidung nach § 29 Absatz 5 Satz 2.

(7) § 28 des Zehnten Buches gilt mit der Maßgabe, dass der Antrag unverzüglich nach Ablauf des Monats, in dem die Ablehnung oder Erstattung der anderen Leistung bindend geworden ist, nachzuholen ist.

(8) Für die Vollstreckung von Ansprüchen der in gemeinsamen Einrichtungen zusammenwirkenden Träger nach diesem Buch gilt das Verwaltungs-Vollstreckungsgesetz des Bundes; im Übrigen gilt § 66 des Zehnten Buches.

(9) § 1629a des Bürgerlichen Gesetzbuchs gilt mit der Maßgabe, dass sich die Haftung eines Kindes auf das Vermögen beschränkt, das bei Eintritt der Volljährigkeit den Betrag von 15 000 Euro übersteigt.

(10) Erstattungsansprüche nach § 50 des Zehnten Buches, die auf die Aufnahme einer bedarfsdeckenden sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung zurückzuführen sind, sind in monatlichen Raten in Höhe von 10 Prozent des maßgebenden Regelbedarfs zu tilgen. Dies gilt nicht, wenn vor Tilgung der gesamten Summe erneute Hilfebedürftigkeit eintritt.

(1) Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Dies gilt nicht, wenn der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Betroffene vorsätzlich in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat.

(2) Im Übrigen ist ein rechtswidriger nicht begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft zurückzunehmen. Er kann auch für die Vergangenheit zurückgenommen werden.

(3) Über die Rücknahme entscheidet nach Unanfechtbarkeit des Verwaltungsaktes die zuständige Behörde; dies gilt auch dann, wenn der zurückzunehmende Verwaltungsakt von einer anderen Behörde erlassen worden ist.

(4) Ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden, werden Sozialleistungen nach den Vorschriften der besonderen Teile dieses Gesetzbuches längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der Rücknahme erbracht. Dabei wird der Zeitpunkt der Rücknahme von Beginn des Jahres an gerechnet, in dem der Verwaltungsakt zurückgenommen wird. Erfolgt die Rücknahme auf Antrag, tritt bei der Berechnung des Zeitraumes, für den rückwirkend Leistungen zu erbringen sind, anstelle der Rücknahme der Antrag.

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Cottbus vom 15. Februar 2013 teilweise aufgehoben.

Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 19,75 Euro zu zahlen.

Im Übrigen wird die Revision wegen des Zinsanspruches zurückgewiesen.

Der Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits.

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt von dem Beklagten die Rückzahlung eines Erstattungsbetrages.

2

Die Klägerin lebte mit ihrem damaligen Lebensgefährten und ihren beiden minderjährigen Kindern in einer Bedarfsgemeinschaft. Die Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft erhielten im Zeitraum vom 1.6.2008 bis 30.11.2008 Leistungen nach dem SGB II.

3

Mit dem Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 23.10.2008 wurde die Leistungsbewilligung für die Klägerin in Höhe von 19,75 Euro aufgehoben und die Erstattung des Betrages verlangt. Nach einer Mahnung durch das Hauptzollamt erstattete der Lebensgefährte der Klägerin den geforderten Betrag im Zeitraum vor dem 5.8.2009.

4

Am 17.10.2011 beantragte die Klägerin die Überprüfung des Aufhebungs- und Erstattungsbescheides vom 23.10.2008. Daraufhin hob der Beklagte den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid mit dem Bescheid vom 13.12.2011 auf. Eine Rückzahlung des fraglichen Betrages erfolgte nicht.

5

Die Klägerin hat beim SG Klage auf Rückzahlung des Erstattungsbetrages erhoben. Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 15.2.2013). Es hat zur Begründung ausgeführt, die Klage sei als sog echte Leistungsklage zulässig. Der Umstand, dass der Lebensgefährte der Klägerin der Rückzahlungspflicht nachgekommen sei, berühre das Leistungsverhältnis zwischen den Beteiligten nicht. Vielmehr bleibe die Klägerin gegenüber dem Beklagten aktiv legitimiert. Der geltend gemachte Zahlungsanspruch stehe der Klägerin unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu. Dem Klagebegehren stehe § 40 Abs 1 SGB II in der seit 1.4.2011 geltenden Fassung iVm § 44 Abs 4 SGB X entgegen. Mit Rücksicht auf die Stellung des Antrages am 17.10.2011 gelte die kürzere Jahresfrist des § 40 Abs 1 S 2 SGB II. Danach habe der Beklagte den Überprüfungsantrag bereits wegen Verfristung ablehnen müssen. Aus dem Umstand, dass der Beklagte den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 13.12.2011 aufgehoben habe, ergebe sich ein Anspruch ebenfalls nicht. Rechtsgrundlage für das Begehren der Klägerin könne - nachdem der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid aufgehoben worden sei - nur der letzte Bewilligungsbescheid sein. Für die Nachzahlung von Sozialleistungen gelte die Ausschlussfrist des § 44 Abs 4 SGB X ohne Weiteres. Habe der Leistungsberechtigte bereits erhaltene Sozialleistungen erstattet und werde der Rückforderungsbescheid aufgehoben, begehre er erneut die Auszahlung von Sozialleistungen. Der geltend gemachte Anspruch sei auch nicht als Herstellungsanspruch oder öffentlich-rechtlicher Bereicherungsanspruch begründet.

6

Die Klägerin hat die vom SG zugelassene Revision eingelegt. Sie ist der Auffassung, sie habe aus den Grundsätzen des öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs einen Anspruch auf die Zahlung. § 44 Abs 4 SGB X schränke allenfalls die nachträgliche Erbringung von Sozialleistungen ein. Bei der Rückabwicklung rechtsgrundloser Zahlungen handele es sich schon nicht um Sozialleistungen. Des Weiteren erbringe der Grundsicherungsträger die Leistungen nicht nachträglich.

7

Die Klägerin beantragt,
den Beklagten unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Cottbus vom 15. Februar 2013 zu verurteilen, an die Klägerin 19,75 Euro nebst Zinsen seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

8

Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

9

Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Entscheidungsgründe

10

Die zulässige Sprungrevision (§ 161 SGG) der Klägerin ist im Wesentlichen begründet.

11

Zutreffend ist das SG davon ausgegangen, dass die Klägerin ihr Begehren auf Rückzahlung des Erstattungsbetrages mit der echten Leistungsklage verfolgen kann (§ 54 Abs 5 SGG). Zwar ist richtige Klageart im Rahmen eines Zugunstenverfahrens bei der Überprüfung einer rechtswidrigen Leistungsablehnung grundsätzlich die kombinierte Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage (BSG SozR 4-1300 § 44 RdNr 9; BSG vom 28.2.2013 - B 8 SO 4/12 R - NZS 2013, 518, jeweils mwN). Hier war jedoch die Besonderheit zu beachten, dass der Beklagte auf den Antrag der Klägerin nach § 44 SGB X mit dem Bescheid vom 13.12.2011 den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 23.10.2008 bereits aufgehoben hat und damit dem Anfechtungs- und Verpflichtungsbegehren der Klägerin insoweit nachgekommen ist. Dieser Bescheid enthielt jedoch keine Regelung zur Frage der Rückgewähr des Erstattungsbetrages. Einer zusätzlichen Anfechtung des Ablehnungsbescheides und eines auf die Rücknahme der belastenden Entscheidung gerichteten Verpflichtungsantrages sowie einer Nachholung des Leistungsverfahrens bedurfte es daher ausnahmsweise nicht.

12

Rechtsgrundlage für den Anspruch der Klägerin auf (Rück-)Zahlung von 19,75 Euro ist § 44 SGB X. Der Anwendbarkeit dieser Vorschrift für die Vergangenheit stehen im Recht der Grundsicherung für Arbeitsuchende - wie der erkennende Senat bereits ausdrücklich entschieden hat - keine über die gesetzlich normierten Einschränkungen hinausgehenden Besonderheiten des SGB II entgegen (BSG SozR 4-4200 § 22 Nr 36).

13

1. Die Klägerin war zur Geltendmachung des Rückzahlungsbetrages materiell berechtigt. Hieran ändert sich nichts dadurch, dass nach den Feststellungen des SG der damalige Lebensgefährte der Klägerin den von dem Beklagten auf der Grundlage des § 50 SGB X geforderten Erstattungsbetrag an diesen überwiesen hatte. Die Zahlung erfolgte allein mit Rücksicht auf das zwischen der Klägerin und dem Beklagten bestehende Sozialrechtsverhältnis und ist deshalb allein in diesem Verhältnis rückabzuwickeln. Eine andere Beurteilung könnte sich nur ergeben, wenn die Klägerin den hier streitigen Rückzahlungsanspruch wirksam an ihren früheren Lebensgefährten abgetreten hätte.

14

2. Nach dem Wortlaut des § 44 Abs 1 S 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass des Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder - hier nicht von Interesse - Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind. Zutreffend ist der Beklagte zunächst davon ausgegangen, dass diese Regelung entsprechende Anwendung findet, soweit mit einem Aufhebungsbescheid eine Leistungsbewilligung zurückgenommen worden ist. Die entsprechende Anwendung folgt - wie der 11. Senat des BSG überzeugend ausgeführt hat (BSG SozR 3-1300 § 44 Nr 19; ebenso BSG SozR 3-1300 § 44 Nr 21 und 24; BVerwGE 97, 103, 107) - aus dem Regelungszweck der Vorschrift, die nicht nur Fälle erfasst, in denen den Betroffenen ein rechtlicher Nachteil durch unrechtmäßiges Vorenthalten einer Sozialleistung entstanden ist, sondern auch solche, in denen der Bürger zwar Sozialleistungen erhalten hat, die Leistungsbewilligung nachträglich jedoch zurückgenommen worden ist. Dieser Rechtsprechung, der die Literatur überwiegend gefolgt ist (Baumeister in jurisPK-SGB X, 2013, § 44 RdNr 65; Schütze in von Wulffen/Schütze, 8. Aufl 2014, § 44 RdNr 16 f; Waschull in LPK-SGB X, 3. Aufl 2011, § 44 RdNr 22; aA Steinwedel in KassKomm, § 44 RdNr 42, Stand September 2013), schließt sich der Senat an.

15

Der Senat geht davon aus, dass der Anspruch auf Rückzahlung des Betrages in Höhe von 19,75 Euro allein daraus folgt, dass der Beklagte den ursprünglichen Aufhebungs- und Erstattungsbescheid zurückgenommen und damit die Rechtsgrundlage für das Behaltendürfen des Erstattungsbetrages beseitigt hat. Ob der Beklagte den ursprünglichen - auf § 45 SGB X gestützten - Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 23.10.2008 zu Recht wegen anfänglicher Rechtswidrigkeit zurückgenommen hat, weil die Voraussetzungen des § 44 SGB X erfüllt waren, brauchte vom Senat im Übrigen nicht geprüft zu werden, weil der Beklagte den fraglichen Bescheid bereits aufgehoben hat.

16

Zu der Aufhebung wäre der Beklagte zwar ausgehend von seinem Rechtsstandpunkt, die rückwirkende Gewährung des Betrages sei nach § 44 Abs 4 SGB X iVm § 40 Abs 1 S 2 SGB II ausgeschlossen, nicht verpflichtet gewesen. Denn das BSG hat die Regelung des § 44 Abs 4 S 1 SGB X über ihren engen Wortlaut hinaus dahin ausgelegt, dass bereits die Rücknahme des belastenden Verwaltungsaktes bei Eingreifen der "Verfallklausel" des § 44 Abs 4 SGB X "schlechthin" ausgeschlossen ist(BSG SozR 3-1300 § 44 Nr 1; BSG SozR 3-6610 Art 5 Nr 1). Die Verwaltung hat dementsprechend schon eine Rücknahmeentscheidung nach § 44 Abs 1 SGB X nicht mehr zu treffen, wenn die rechtsverbindliche, grundsätzlich zurückzunehmende Entscheidung ausschließlich Leistungen für eine Zeit betrifft, die außerhalb der durch den Rücknahmeantrag bestimmten Verfallfrist liegen. Die zwingend anzuwendende Vollzugsregelung des § 44 Abs 4 SGB X steht folglich für länger zurückliegende Zeiten bereits dem Erlass eines Rücknahme- und Ersetzungsaktes entgegen. In anderem Falle darf die Verwaltung einen den Anspruch nach § 44 SGB X vollziehenden Verwaltungsakt nicht erlassen(BSG SozR 3-1300 § 44 Nr 1 S 3), denn bereits die Rücknahme steht unter dem Vorbehalt, dass Leistungen nach § 44 Abs 4 SGB X noch zu erbringen sind(so etwa BSG vom 28.2.2013 - B 8 SO 4/12 R - RdNr 10).

17

Aus dieser Begrenzung der Rücknahmeverpflichtung dürfte andererseits im Umkehrschluss folgen, dass die Verwaltung zur Anwendung der zwingend anzuwendenden Vollzugsregelung des § 44 Abs 4 SGB X verpflichtet bleibt, wenn sie den beanstandeten Verwaltungsakt ungeachtet einer etwaig eingreifenden Verfallfrist zurückgenommen hat. Hierbei ist hinsichtlich des Vollzugs des Rückzahlungsanspruchs nicht auf den ursprünglichen Bewilligungsbescheid zurückzugreifen. Denn der Anspruch auf die durch Verwaltungsakt zugesprochenen SGB II-Leistungen war von dem Beklagten durch Zahlung erfüllt (§ 362 BGB). Der bereits erfüllte Sozialleistungsanspruch lebt durch die Rücknahme der Aufhebungsentscheidung nicht wieder auf.

18

Hat die Verwaltung einen rechtswidrigen nicht begünstigenden Verwaltungsakt zurückgenommen, so ergibt sich der Rückzahlungsanspruch unmittelbar aus § 44 Abs 4 S 1 SGB X. Diese Vorschrift ist vom BSG - soweit nicht eine länger zurückliegende Zeit betroffen ist - als zwingend anzuwendende Vollzugsregelung angesehen worden (BSG SozR 3-1300 § 44 Nr 1 S 3 mwN). Die genannte Regelung verpflichtet die zuständige Behörde nach der Rücknahme eines Verwaltungsaktes zur Erbringung der bisher vorenthaltenen Leistungen. Sie folgt der dem SGB X zugrundeliegenden Unterscheidung von der Korrektur des Verfügungssatzes von Verwaltungsakten einerseits (§§ 44 bis 49 SGB X) und dem Vollzug der Korrektur in finanzieller Hinsicht andererseits (§ 44 Abs 4, § 50 SGB X; vgl zu dieser Unterscheidung BSGE 61, 134, 156 f = SozR 1300 § 48 Nr 32). Diesem systematischen Konzept entspricht es, die Korrektur des Verfügungssatzes jeweils unmittelbar mit dem finanziellen Ausgleich zu verkoppeln und eine nochmalige Prüfung der Aufhebungsvoraussetzungen bei der finanziellen Korrektur auszuschließen (so zum Verhältnis von § 48 Abs 1 SGB X und § 50 SGB X: BSG 1300 SozR § 50 Nr 16).

19

3. Der Senat kann dies aber im Ergebnis dahinstehen lassen, denn die Verpflichtung des Beklagten zur Rücknahme des Aufhebungsbescheides und zur Erstattung des Rückzahlbetrages war ohnehin nicht durch die Verfallfristen § 44 Abs 4 SGB X iVm § 40 Abs 1 S 2 SGB II ausgeschlossen. Nach § 44 Abs 4 S 1 SGB X werden Sozialleistungen nach den Vorschriften der besonderen Teile des SGB längstens für einen Zeitraum von bis zu vier Jahren vor der Rücknahme eines Verwaltungsaktes erbracht, wenn der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden ist. Der Zeitraum der Rücknahme wird von Beginn des Jahres an gerechnet, in dem der Verwaltungsakt zurückgenommen wird (Abs 4 S 2). Für die Berechnung tritt nach S 3 an die Stelle der Rücknahme der Antrag, wenn dieser zur Rücknahme führt. Diese Regelungen werden durch § 40 Abs 1 S 2 SGB II in der Weise modifiziert, dass anstelle des Zeitraums von vier Jahren ein Zeitraum von einem Jahr tritt. § 40 Abs 1 S 2 SGB II ist nach der Übergangsregelung in § 77 Abs 13 SGB II - hier mit Rücksicht auf den am 17.10.2011 gestellten Antrag nicht einschlägig - nicht anwendbar auf Anträge nach § 44 SGB X, die vor dem 1.4.2011 gestellt worden sind (zu den Gründen für die Übergangsregelung Voelzke in Hauck/Noftz, SGB II, § 77 RdNr 30, Stand 10/11; S. Knickrehm/Hahn in Eicher, SGB II, 3. Aufl 2013, § 77 RdNr 27).

20

Eine entsprechende Anwendung des § 44 Abs 4 SGB X iVm § 40 Abs 1 S 2 SGB II auf die vorliegende Gestaltung scheidet allerdings aus, denn Voraussetzung für die Anwendbarkeit der genannten Regelung ist stets, dass infolge der unrichtigen Entscheidung Sozialleistungen nicht erbracht worden sind(BSG SozR 3-1300 § 44 Nr 19; vgl auch schon BSGE 68, 180 = SozR 3-1300 § 44 Nr 1). Der Senat folgt auch insoweit der überzeugenden Entscheidung des 11. Senats des BSG (SozR 3-1300 § 44 Nr 19), der eine Anwendung des § 44 Abs 4 SGB X ausgeschlossen hat, soweit eine Erstattungsforderung des Leistungsträgers gegen einen Leistungsbezieher über eine bestimmte Geldsumme streitig ist. Danach rechtfertigt es insbesondere der Zweck der Vorschrift nicht, sie auch auf Fälle auszudehnen, in denen es nicht um rückwirkend zu erbringende Sozialleistungen geht. Denn der Gesetzgeber wollte mit der Vorschrift lediglich die materiell-rechtliche Begrenzung rückwirkender Leistungsansprüche prinzipiell für vier Jahre regeln (BT-Drucks 8/2034 S 34). Die analoge Übertragung der Regelung auf die Rücknahme von Aufhebungs- und Erstattungsbescheiden scheitert deshalb daran, dass ein dem geregelten nicht vergleichbarer Sachverhalt zu beurteilen ist. Denn die Klägerin fordert nicht die rückwirkende Gewährung von Sozialleistungen, sondern die Rückzahlung eines zu Unrecht geleisteten Erstattungsbetrages.

21

Die vom 11. Senat des BSG entwickelten Grundsätze sind auf die vorliegende Gestaltung übertragbar. Zwar unterscheidet sich der hier zu entscheidende Fall - worauf das SG zu Recht hingewiesen hat - von demjenigen Sachverhalt, der der Entscheidung des 11. Senats zugrunde lag, dadurch, dass die Verwaltung den Leistungsberechtigten wegen einer Geldforderung aus dem ursprünglichen Rücknahmebescheid noch aktuell in Anspruch genommen hatte. Hingegen war der im vorliegenden Verfahren streitige Erstattungsbetrag in Höhe von 19,75 Euro an den Beklagten bereits gezahlt worden, sodass es um die Rückgewähr dieses Geldbetrages geht. Hieraus folgt jedoch keine anderweitige Bewertung der Interessenlage. Vielmehr geht es auch in der vorliegenden Gestaltung um das rechtliche Schicksal einer von der Behörde rechtswidrig geltend gemachten Erstattungsforderung. Ausschlaggebend ist insoweit, dass derjenige rechtstreue Leistungsberechtigte, der eine von der Behörde geltend gemachte rechtswidrige Erstattungsforderung beglichen hat, im Ergebnis nicht schlechter stehen kann, als wenn diese Zahlung unterblieben wäre. Zudem greift unabhängig von der Frage der auf der Grundlage des § 50 SGB X durch den Leistungsberechtigten erfolgten Erstattung in beiden Konstellationen die Grundüberlegung für die Beschränkung des § 44 Abs 4 SGB X, dass laufende Sozialleistungen wegen ihres Unterhaltscharakters nicht für einen längeren Zeitraum nachgezahlt werden sollen(BT-Drucks 8/2034 S 34; vgl auch Schütze in von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl 2014, § 44 RdNr 28; aA Baumeister in jurisPK-SGB X, 2013, § 44 RdNr 113, der auf die Schaffung von Rechtssicherheit abstellt), nicht ein. Die Nachzahlung von rechtswidrig vorenthaltenen Sozialleistungen kann dem Einbehalten von rechtswidrig erlangten Erstattungsbeträgen wertungsmäßig nicht gleichgestellt werden.

22

4. Die Revision ist jedoch hinsichtlich der begehrten Verurteilung des Beklagten zur Zahlung von Zinsen seit Rechtshängigkeit unbegründet; insoweit erfolgte die Klageabweisung zu Recht. Bei dem geltend gemachten Anspruch auf Rückgewähr des ursprünglich an den Beklagten gezahlten Erstattungsbetrages handelt es sich nicht um eine Geldleistung iS des § 44 Abs 1 SGB I. Unter Geldleistung im Sinne der Regelung über die Verzinsung von Ansprüchen im SGB sind grundsätzlich nur Sozialleistungen zu verstehen (vgl nur Hänlein in KSW, 3. Aufl 2013, § 44 RdNr 2; Wagner, jurisPK-SGB I, 2. Aufl 2012, § 44 RdNr 14 jeweils mwN). Nicht ausreichend ist insoweit, dass der Rückzahlung des Erstattungsbetrages ursprünglich die Gewährung von Sozialleistungen zugrunde lag. Der Klägerin kann auch kein Anspruch auf Verzugs- (§ 288 BGB) oder Prozesszinsen (§ 291 BGB) zugebilligt werden. Ein derartiger Anspruch kommt jedenfalls nicht in Betracht, wenn der Hauptanspruch nicht nach § 44 SGB I zu verzinsen ist(vgl nur BSGE 71, 72 = SozR 3-7610 § 291 Nr 1 zu einem Anspruch auf Rückerstattung von vom Arbeitgeber zu Unrecht erstattetem Arbeitslosengeld).

23

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

(1) Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Dies gilt nicht, wenn der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Betroffene vorsätzlich in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat.

(2) Im Übrigen ist ein rechtswidriger nicht begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft zurückzunehmen. Er kann auch für die Vergangenheit zurückgenommen werden.

(3) Über die Rücknahme entscheidet nach Unanfechtbarkeit des Verwaltungsaktes die zuständige Behörde; dies gilt auch dann, wenn der zurückzunehmende Verwaltungsakt von einer anderen Behörde erlassen worden ist.

(4) Ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden, werden Sozialleistungen nach den Vorschriften der besonderen Teile dieses Gesetzbuches längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der Rücknahme erbracht. Dabei wird der Zeitpunkt der Rücknahme von Beginn des Jahres an gerechnet, in dem der Verwaltungsakt zurückgenommen wird. Erfolgt die Rücknahme auf Antrag, tritt bei der Berechnung des Zeitraumes, für den rückwirkend Leistungen zu erbringen sind, anstelle der Rücknahme der Antrag.

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 29. Juni 2011 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Im Streit ist die Gewährung von Sozialhilfe für die Zeit von Februar 1992 bis Juni 1995 als Zuschuss statt als Darlehen.

2

Die Klägerin bezog vom 24.2.1992 bis 30.9.2004 - davon bis 30.6.1995 darlehensweise (bestandskräftiger Bescheid vom 29.6.1992) - Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Bundessozialhilfegesetz. Sie war im Februar 1992 Eigentümerin einer Wohnung, deren Wert nach Auffassung des Beklagten die maßgebliche Angemessenheitsgrenze um 33 100 DM überstieg. Deshalb bewilligte der Beklagte zunächst Sozialhilfe nur darlehensweise bis zum fiktiven Verbrauch dieser Summe. Für den Beklagten war zur Sicherung des Darlehens samt darauf zu zahlender Zinsen eine Sicherungsgrundschuld im Grundbuch eingetragen worden. Seit August 2004 erhält die Klägerin Altersrente. Im Februar 2007 beglich sie das Darlehen samt Zinsen (insgesamt 42 194,37 Euro; davon 16 923,76 Euro Darlehenssumme und 25 270,61 Euro Zinsen), nachdem sie die Wohnung verkauft hatte. Der Beklagte hat jedoch aufgrund einer rechtskräftigen Entscheidung des Sozialgerichts (SG) Freiburg die auf die Zinsforderung geleisteten Zahlungen wieder an die Klägerin zurückbezahlt.

3

Im Juli 2008 beantragte die Klägerin die Überprüfung des Bescheids vom 29.6.1992, weil ihr zu Unrecht Hilfe zum Lebensunterhalt nur als Darlehen gewährt worden sei. Die Rücknahme des Bescheids lehnte der Beklagte ab (Bescheid vom 13.10.2008; Widerspruchsbescheid vom 29.1.2009). Das SG hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, bereits die Frist von vier Jahren zur rückwirkenden Leistungserbringung nach § 44 Abs 4 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) stehe dem geltend gemachten Begehren entgegen(Urteil vom 21.9.2010). Die dagegen eingelegte Berufung ist ohne Erfolg geblieben (Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 29.6.2011). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG im Wesentlichen ausgeführt, § 44 SGB X finde nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) vorliegend wegen des sog Gegenwärtigkeitsprinzips der Sozialhilfe keine Anwendung, weil die Bedürftigkeit der Klägerin durch den Bezug bedarfsdeckender Altersrente entfallen sei. Ob Hilfe zum Lebensunterhalt zu Unrecht darlehensweise gewährt worden sei, könne deshalb offen bleiben.

4

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin eine Verletzung des § 44 SGB X. Sie ist der Ansicht, die vom LSG herangezogene Rechtsprechung des BSG finde vorliegend keine Anwendung.

5

Sie beantragt,
die Urteile des LSG und des SG sowie den Bescheid vom 13.10.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29.1.2009 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, unter Aufhebung des Bescheids vom 29.6.1992, soweit darin die Gewährung eines nichtrückzahlbaren Zuschusses abgelehnt worden ist, Sozialhilfe für die Zeit vom 24.2.1992 bis 30.6.1995 als Zuschuss zu zahlen.

6

Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

7

Er hält die angefochtene Entscheidung des LSG für zutreffend.

Entscheidungsgründe

8

Die Revision der Klägerin ist unbegründet (§ 170 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz). Das LSG hat die Berufung der Klägerin im Ergebnis zu Recht zurückgewiesen; die Klägerin hat keinen Anspruch gegen den Beklagten auf "Umwandlung" der darlehensweisen Bewilligung von Sozialhilfe in einen Zuschuss und (erneuter) Zahlung der Leistung, nachdem das Darlehen bereits beglichen ist.

9

Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid vom 13.10.2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29.1.2009 (§ 95 SGG), bei dessen Erlass sozial erfahrene Dritte nicht zu beteiligen waren (§ 116 Abs 2 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - iVm § 9 Gesetz zur Ausführung des SGB XII vom 1.7.2004 - Gesetzblatt 534) und mit dem der Beklagte es abgelehnt hat, den Bescheid vom 29.6.1992 insoweit aufzuheben, als darin die nicht rückzahlbare zuschussweise Gewährung von Sozialhilfe (konkludent) abgelehnt worden ist. Hiergegen wendet sich die Klägerin mit der kombinierten Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage gemäß § 54 Abs 1 Satz 1 iVm Abs 4, § 56 SGG, auf die auch bei Anwendung des § 44 SGB X ein Grundurteil(§ 130 Abs 1 SGG) ergehen kann (BSGE 88, 299, 300 = SozR 3-4300 § 137 Nr 1 S 2; BSG SozR 4-4300 § 122 Nr 8 RdNr 9). Mit dem Überprüfungsantrag kann - neben der Anfechtung - nicht die bloße Verpflichtung des Beklagten zur "Umwandlung" der darlehensweise gewährten Leistung in eine solche als Zuschuss begehrt werden; dem steht die Rechtsprechung zur Korrektur einer darlehensweisen Bewilligung außerhalb des Verfahrens nach § 44 SGB X nicht entgegen(siehe zu dieser Rechtsprechung: BSGE 102, 68 ff RdNr 13 = SozR 4-4200 § 23 Nr 1; BSG SozR 4-3500 § 90 Nr 1 RdNr 13; SozR 4-4200 § 12 Nr 12 RdNr 16; SozR 4-5910 § 88 Nr 3 RdNr 10; BSG, Urteil vom 18.2.2010 - B 4 AS 5/09 R -, juris RdNr 10). Denn das Klageziel kann auch im Rahmen des § 44 SGB X mit der Anfechtungs- und Verpflichtungsklage allein jedenfalls dann nicht erreicht werden, wenn - wie vorliegend - die darlehensweise gewährte Leistung bereits zurückgezahlt worden ist(Becker in juris PraxisKommentar SGB XII, § 37 SGB XII RdNr 72.6; zur Korrektur im Rahmen einer Klage gegen den noch nicht bestandskräftigen Darlehensbescheid BSG SozR 4-5910 § 88 Nr 3 RdNr 10).

10

Die Voraussetzungen für eine Rücknahme des bestandskräftigen Bescheids und eine nachträgliche Zahlung von Sozialhilfe liegen nicht vor. Nach § 44 Abs 1 SGB X, der auch im Sozialhilferecht Anwendung findet(vgl nur BSG SozR 4-1300 § 44 Nr 15 RdNr 19), ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt worden oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist und deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht sind. Die Rücknahme steht jedoch unter dem Vorbehalt, dass Leistungen nach § 44 Abs 4 SGB X noch zu erbringen sind.

11

Der Klägerin sind für die streitbefangene Zeit zwar Sozialleistungen iS des § 44 Abs 1 SGB X "nicht erbracht" worden. Denn Maßstab dafür ist, welche Sozialleistung (§ 11 Satz 1 Sozialgesetzbuch Erstes Buch - Allgemeiner Teil -) tatsächlich gewollt war, hier also Sozialhilfe als Zuschuss. Diese Leistung ist im Verhältnis zur darlehensweisen gewährten Sozialhilfe ein Aliud (vgl: BVerwG Buchholz 436.36 § 17 BAföG Nr 15; BSGE 68, 180, 183 = SozR 3-1300 § 44 Nr 1 S 4) und vom Beklagten im Bescheid vom 29.6.1992 konkludent neben der die Klägerin begünstigenden, hier nicht im Streit stehenden Darlehensbewilligung abgelehnt worden (vgl BSGE 68, 180, 181 = SozR 3-1300 § 44 Nr 1 S 2; siehe zur Rückabwicklung insgesamt Becker in jurisPK-SGB XII, § 37 SGB XII RdNr 72.1 ff).

12

Ob die Entscheidung des Beklagten, Sozialhilfe nicht als Zuschuss zu erbringen, rechtswidrig war, kann jedoch dahinstehen. Eine Rücknahme ist jedenfalls, wie das SG zutreffend ausgeführt hat, durch die im vorliegenden Fall zwingend (vgl BSGE 60, 158, 160 f = SozR 1300 § 44 Nr 23 S 53) und uneingeschränkt anwendbare (vgl: BSGE 68, 180, 181 = SozR 3-1300 § 44 Nr 1 S 2; BSG, Urteil vom 31.3.1992 - 9b RAr 17/90; BVerwG, Beschluss vom 1.2.1993 - 11 B 91/92 -, juris RdNr 9) Regelung des § 44 Abs 4 Satz 1 SGB X ausgeschlossen. Danach werden Sozialleistungen, falls ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen wird, längstens für einen Zeitraum von vier Jahren vor der Rücknahme erbracht. Der Zeitraum der Rücknahme wird von Beginn des Jahres an gerechnet, in dem der Verwaltungsakt zurückgenommen wird (Abs 4 Satz 2). Für die Berechnung tritt nach Satz 3 an die Stelle der Rücknahme der Antrag, wenn dieser zur Rücknahme führt. Dass die Klägerin das Darlehen erst im Jahr 2007 zurückbezahlt hat, ist deshalb ohne Belang (BSG aaO; BVerwG aaO).

13

Da § 44 Abs 1 SGB X im Ergebnis auf die Ersetzung eines rechtswidrigen ablehnenden Verwaltungsakts durch einen die Leistung gewährenden Verwaltungsakt abzielt, kann die Klägerin, die Leistungen für den weit außerhalb der Vierjahresfrist des § 44 Abs 4 Satz 1 SGB X liegenden Zeitraum (Februar 1992 bis Juni 1995) begehrt, keine Leistungen mehr für die Vergangenheit beanspruchen; Folge davon ist, dass sie auch kein rechtliches Interesse mehr an der Rücknahme iS des § 44 Abs 1 SGB X geltend machen kann(vgl dazu BSGE 104, 213 ff RdNr 22 = SozR 4-1300 § 44 Nr 20) und kein Anspruch auf Rücknahme des bestandskräftigen Bescheids besteht. Auf die Frage der fortbestehenden Bedürftigkeit der Klägerin (vgl dazu: BSGE 99, 137 ff = SozR 4-1300 § 44 Nr 11; BSGE 104, 213 ff = SozR 4-1300 § 44 Nr 20; BSG SozR 4-1300 § 44 Nr 15), auf die das LSG seine Entscheidung vorrangig und die Klägerin ihre Revision gestützt hat, kommt es damit nicht an.

14

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

(1) Für das Verfahren nach diesem Buch gilt das Zehnte Buch. Abweichend von Satz 1 gilt § 44 des Zehnten Buches mit der Maßgabe, dass

1.
rechtswidrige nicht begünstigende Verwaltungsakte nach den Absätzen 1 und 2 nicht später als vier Jahre nach Ablauf des Jahres, in dem der Verwaltungsakt bekanntgegeben wurde, zurückzunehmen sind; ausreichend ist, wenn die Rücknahme innerhalb dieses Zeitraums beantragt wird,
2.
anstelle des Zeitraums von vier Jahren nach Absatz 4 Satz 1 ein Zeitraum von einem Jahr tritt.
Abweichend von Satz 1 gelten die §§ 45, 47 und 48 des Zehnten Buches mit der Maßgabe, dass ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit nicht aufzuheben ist, wenn sich ausschließlich Erstattungsforderungen nach § 50 Absatz 1 des Zehnten Buches von insgesamt weniger als 50 Euro für die Gesamtheit der Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft ergäben. Bei der Prüfung der Aufhebung nach Satz 3 sind Umstände, die bereits Gegenstand einer vorherigen Prüfung nach Satz 3 waren, nicht zu berücksichtigen. Die Sätze 3 und 4 gelten in den Fällen des § 50 Absatz 2 des Zehnten Buches entsprechend.

(2) Entsprechend anwendbar sind die Vorschriften des Dritten Buches über

1.
(weggefallen)
2.
(weggefallen)
3.
die Aufhebung von Verwaltungsakten (§ 330 Absatz 2, 3 Satz 1 und 4);
4.
die vorläufige Zahlungseinstellung nach § 331 mit der Maßgabe, dass die Träger auch zur teilweisen Zahlungseinstellung berechtigt sind, wenn sie von Tatsachen Kenntnis erhalten, die zu einem geringeren Leistungsanspruch führen;
5.
die Erstattung von Beiträgen zur Kranken-, Renten- und Pflegeversicherung (§ 335 Absatz 1, 2 und 5); § 335 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 5 in Verbindung mit Absatz 1 Satz 1 ist nicht anwendbar, wenn in einem Kalendermonat für mindestens einen Tag rechtmäßig Bürgergeld nach § 19 Absatz 1 Satz 1 gewährt wurde; in den Fällen des § 335 Absatz 1 Satz 2 und Absatz 5 in Verbindung mit Absatz 1 Satz 2 besteht kein Beitragserstattungsanspruch.

(3) Liegen die in § 44 Absatz 1 Satz 1 des Zehnten Buches genannten Voraussetzungen für die Rücknahme eines rechtswidrigen nicht begünstigenden Verwaltungsaktes vor, weil dieser auf einer Rechtsnorm beruht, die nach Erlass des Verwaltungsaktes

1.
durch eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts für nichtig oder für unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärt worden ist oder
2.
in ständiger Rechtsprechung anders als durch den für die jeweilige Leistungsart zuständigen Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende ausgelegt worden ist,
so ist der Verwaltungsakt, wenn er unanfechtbar geworden ist, nur mit Wirkung für die Zeit nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts oder ab dem Bestehen der ständigen Rechtsprechung zurückzunehmen. Bei der Unwirksamkeit einer Satzung oder einer anderen im Rang unter einem Landesgesetz stehenden Rechtsvorschrift, die nach § 22a Absatz 1 und dem dazu ergangenen Landesgesetz erlassen worden ist, ist abweichend von Satz 1 auf die Zeit nach der Entscheidung durch das Landessozialgericht abzustellen.

(4) Der Verwaltungsakt, mit dem über die Gewährung von Leistungen nach diesem Buch abschließend entschieden wurde, ist mit Wirkung für die Zukunft ganz aufzuheben, wenn in den tatsächlichen Verhältnissen der leistungsberechtigten Person Änderungen eintreten, aufgrund derer nach Maßgabe des § 41a vorläufig zu entscheiden wäre.

(5) Verstirbt eine leistungsberechtigte Person oder eine Person, die mit der leistungsberechtigten Person in häuslicher Gemeinschaft lebt, bleiben im Sterbemonat allein die dadurch eintretenden Änderungen in den bereits bewilligten Leistungsansprüchen der leistungsberechtigten Person und der mit ihr in Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen unberücksichtigt; die §§ 48 und 50 Absatz 2 des Zehnten Buches sind insoweit nicht anzuwenden. § 118 Absatz 3 bis 4a des Sechsten Buches findet mit der Maßgabe entsprechend Anwendung, dass Geldleistungen, die für die Zeit nach dem Monat des Todes der leistungsberechtigten Person überwiesen wurden, als unter Vorbehalt erbracht gelten.

(6) § 50 Absatz 1 des Zehnten Buches ist mit der Maßgabe anzuwenden, dass Gutscheine in Geld zu erstatten sind. Die leistungsberechtigte Person kann die Erstattungsforderung auch durch Rückgabe des Gutscheins erfüllen, soweit dieser nicht in Anspruch genommen wurde. Eine Erstattung der Leistungen nach § 28 erfolgt nicht, soweit eine Aufhebungsentscheidung allein wegen dieser Leistungen zu treffen wäre. Satz 3 gilt nicht im Fall des Widerrufs einer Bewilligungsentscheidung nach § 29 Absatz 5 Satz 2.

(7) § 28 des Zehnten Buches gilt mit der Maßgabe, dass der Antrag unverzüglich nach Ablauf des Monats, in dem die Ablehnung oder Erstattung der anderen Leistung bindend geworden ist, nachzuholen ist.

(8) Für die Vollstreckung von Ansprüchen der in gemeinsamen Einrichtungen zusammenwirkenden Träger nach diesem Buch gilt das Verwaltungs-Vollstreckungsgesetz des Bundes; im Übrigen gilt § 66 des Zehnten Buches.

(9) § 1629a des Bürgerlichen Gesetzbuchs gilt mit der Maßgabe, dass sich die Haftung eines Kindes auf das Vermögen beschränkt, das bei Eintritt der Volljährigkeit den Betrag von 15 000 Euro übersteigt.

(10) Erstattungsansprüche nach § 50 des Zehnten Buches, die auf die Aufnahme einer bedarfsdeckenden sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung zurückzuführen sind, sind in monatlichen Raten in Höhe von 10 Prozent des maßgebenden Regelbedarfs zu tilgen. Dies gilt nicht, wenn vor Tilgung der gesamten Summe erneute Hilfebedürftigkeit eintritt.

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 24. April 2012 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Im Streit sind höhere Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) im Rahmen eines Zugunstenverfahrens nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungs-verfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X) für die Zeit vom 1.1.2007 bis 30.6.2009.

2

Am 22.8.2011 beantragte der 1997 geborene Kläger rückwirkend ab 1.1.2007 bis 30.6.2009 höhere Leistungen nach § 2 AsylbLG. Die Beklagte lehnte den Antrag mit der Begründung ab, die Frist für die Nachzahlung von Leistungen nach § 44 Abs 4 SGB X sei durch Einfügen des § 116a Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) auch für das Asylbewerberleistungsrecht auf ein Jahr begrenzt worden. Für Leistungen nach § 2 AsylbLG sei das SGB XII entsprechend anzuwenden, sodass Nachzahlungen nur noch für die Zeit ab 1.1.2010 möglich seien (Bescheid vom 16.9.2011; Widerspruchsbescheid vom 23.9.2011).

3

Die hiergegen erhobene Klage ist ohne Erfolg geblieben (Urteil des Sozialgerichts Münster vom 24.4.2012). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das SG ausgeführt, einer Überprüfung des streitbefangenen Zeitraums stehe § 116a SGB XII entgegen, wonach für die Rücknahme eines rechtswidrigen nicht begünstigenden Verwaltungsaktes § 44 Abs 4 SGB X mit der Maßgabe gelte, dass anstelle des (Nachzahlungs-)Zeitraums von vier Jahren ein Zeitraum von einem Jahr trete, gerechnet von Beginn des Jahres an, in dem der Antrag gestellt worden sei. Diese Regelung sei nach § 136 SGB XII auf Überprüfungsanträge anzuwenden, die ab dem 1.4.2011 gestellt worden seien. Zwar finde sich keine § 116a SGB XII entsprechende Regelung im AsylbLG, die Vorschrift sei aber wegen einer planwidrigen Lücke im Gesetz analog anzuwenden.

4

Mit seiner Revision rügt der Kläger einen Verstoß gegen § 9 Abs 3 AsylbLG iVm § 44 Abs 4 SGB X. Danach seien rechtswidrig vorenthaltene Leistungen für bis zu vier Jahre rückwirkend nachzuzahlen. § 116a SGB XII, der die Frist auf ein Jahr verkürze, sei nicht analog auf Leistungen nach dem AsylbLG anwendbar. Dem Gesetzgebungsverfahren zum Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch lasse sich entnehmen, dass der Gesetzgeber bewusst auf eine Verkürzung der Frist von vier Jahren bei den Überprüfungsanträgen nach § 44 SGB X für diesen Bereich verzichtet habe, sodass es an einer planwidrigen Regelungslücke mangele. Es fehle auch eine vergleichbare Interessenlage, weil Anträge nach § 44 SGB X nicht nur die Erhöhung der Leistungsgewährung auf die Regelsätze nach dem SGB XII, sondern auch die Überprüfung der Leistungsgewährung nach §§ 1a und 3 AsylbLG beträfen.

5

Der Kläger hat sinngemäß schriftsätzlich beantragt,
das Urteil des SG und den Bescheid vom 16.9.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23.9.2011 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm unter Rücknahme entgegenstehender Verwaltungsakte für die Zeit vom 1.1.2007 bis 30.6.2009 höhere Leistungen zu zahlen.

6

Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

7

Sie hält die Entscheidung des SG für zutreffend.

Entscheidungsgründe

8

Die zulässige Sprungrevision (§ 161 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz) ist nicht begründet (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG). Der Kläger hat schon deshalb keinen Anspruch auf rückwirkend zu gewährende höhere Leistungen für den streitbefangenen Zeitraum, weil er seinen Überprüfungsantrag erst im August 2011 gestellt hat und § 116a SGB XII der rückwirkenden Leistungsgewährung entgegensteht.

9

Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid vom 16.9.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23.9.2011 (§ 95 SGG), mit dem die Beklagte es abgelehnt hat, dem Kläger unter Aufhebung entgegenstehender bestandskräftiger Bescheide rückwirkend höhere Leistungen nach dem AsylbLG zu zahlen. Gegen diesen wendet sich der Kläger mit der kombinierten Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage nach § 54 Abs 1 Satz 1 iVm Abs 4 SGG, § 56 SGG(BSG SozR 4-1300 § 44 Nr 22 RdNr 9; BSG, Urteil vom 20.12.2012 - B 7 AY 4/11 R - RdNr 10), auf die auch bei Anwendung des § 44 SGB X ein Grundurteil nach § 130 Abs 1 SGG ergehen kann (BSGE 88, 299, 300 = SozR 3-4300 § 137 Nr 1 S 2; BSG SozR 4-3520 § 3 Nr 3 RdNr 10; BSG, Urteil vom 28.2.2013 - B 8 SO 4/12 R - RdNr 9).

10

Gemäß § 9 Abs 3 AsylbLG iVm § 44 Abs 1 SGB X(zur Anwendbarkeit des § 44 SGB X im Asylbewerberleistungsrecht vgl: BSGE 104, 213 ff = SozR 4-1300 § 44 Nr 20; BSG SozR 4-1300 § 44 Nr 22)ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, wenn bei dessen Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind. Einer Entscheidung darüber, ob dem Kläger in der Zeit vom 1.1.2007 bis zum 30.6.2009 Leistungen zu Unrecht vorenthalten wurden und die insoweit ergangenen Bescheide rechtswidrig waren (§ 44 Abs 1 SGB X), bedarf es nicht. § 44 Abs 1 SGB X zielt im Ergebnis auf die Ersetzung des rechtswidrigen Verwaltungsakts, mit dem eine (höhere) Leistung zu Unrecht abgelehnt wurde, durch einen die (höhere) Leistung gewährenden Verwaltungsakt ab. Einem Antragsteller, der über § 44 Abs 4 SGB X keine Leistungen mehr für die Vergangenheit erhalten kann, kann regelmäßig kein rechtliches Interesse an der Rücknahme iS von § 44 Abs 1 SGB X zugebilligt werden. Die Unanwendbarkeit der "Vollzugsregelung des § 44 Abs 4 SGB X" steht dann einer isolierten Rücknahme entgegen(BSGE 104, 213 ff RdNr 22 = SozR 4-1300 § 44 Nr 20; BSGE 68, 180 ff = SozR 3-1300 § 44 Nr 1). So liegt der Fall hier. Selbst im Falle der Rechtswidrigkeit bestandskräftiger Bescheide über Leistungen nach dem AsylbLG könnten höhere Leistungen rückwirkend allenfalls für die Zeit ab 1.1.2010 erbracht werden, die nicht streitbefangen ist; insoweit ist § 116a SGB XII analog im Asylbewerberleistungsrecht anzuwenden.

11

Zu Unrecht vorenthaltene Leistungen nach dem AsylbLG werden zwar gemäß § 9 Abs 3 AsylbLG iVm § 44 Abs 4 SGB X längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der mit Wirkung für die Vergangenheit erfolgten Rücknahme eines rechtswidrigen nicht begünstigenden Verwaltungsaktes erbracht; dabei wird der Zeitpunkt der Rücknahme von Beginn des Jahres an gerechnet, in dem der Verwaltungsakt zurückgenommen wird (§ 44 Abs 4 Satz 2 SGB X). Erfolgt die Rücknahme - wie hier - auf Antrag, tritt bei der Berechnung des Zeitraums, für den rückwirkend Leistungen zu erbringen sind, anstelle der Rücknahme der Antrag. Die 4-Jahresfrist verkürzt sich aber für Anträge, die - wie hier - nach dem 31.3.2011 gestellt wurden, in entsprechender Anwendung des die Regelung des § 44 Abs 4 SGB X modifizierenden § 116a SGB XII iVm dem bis 31.12.2012 geltenden § 136 SGB XII(jeweils in der Normfassung des Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 24.3.2011 - BGBl I 453) auf ein Jahr, sodass angesichts der im August 2011 erfolgten Antragstellung keine für den streitbefangenen Zeitraum zu Unrecht vorenthaltenen Leistungen mehr zu erbringen sind. Wann ein bestandskräftiger Bescheid über die Ablehnung von Leistungen nach dem AsylbLG für den streitbefangenen Zeitraum - ausdrücklich durch förmlichen Verwaltungsakt oder konkludent (dazu BSG, Urteil vom 28.2.2013 - B 8 SO 4/12 R- RdNr 9) - ergangen ist, ist für die Anwendung des § 44 Abs 1 iVm Abs 4 SGB X ohne Bedeutung.

12

§ 116a SGB XII ist im Zusammenhang mit § 9 Abs 3 AsylbLG iVm § 44 SGB X analog anzuwenden, weil das Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch durch das Unterlassen einer Änderung in § 9 Abs 3 AsylbLG eine planwidrige Regelungslücke enthält, die durch richterliche Rechtsfortbildung zu schließen ist(Greiser in juris PraxisKommentar SGB XII, § 116a SGB XII RdNr 21 ff). Eine direkte Anwendung des § 116a SGB XII scheidet hingegen aus. Zwar werden Leistungen nach § 2 AsylbLG in entsprechender Anwendung des SGB XII erbracht (§ 2 Abs 1 AsylbLG); jedoch betrifft diese Regelung nach ihrem Wortlaut ("abweichend von §§ 3 bis 7"), gleich ob sie eine Rechtsgrund- oder eine Rechtsfolgenverweisung enthält(offengelassen in BSGE 101, 49 ff RdNr 14 = SozR 4-3520 § 2 Nr 2), nur das Leistungsrecht des AsylbLG. Deshalb bedarf es für eine direkte Anwendung der den Zeitraum des § 44 Abs 4 SGB X von vier auf ein Jahr verkürzenden Regelung eines besonderen Anwendungsbefehls, der in § 9 Abs 3 AsylbLG aber nicht enthalten ist. § 9 Abs 3 AsylbLG sieht selbst (noch) keine Modifikation des § 44 Abs 4 SGB X vor.

13

Eine Analogie, die Übertragung einer gesetzlichen Regelung - hier des § 116a SGB XII - auf einen Sachverhalt, der von der betreffenden Vorschrift nicht erfasst wird, ist geboten, wenn dieser Sachverhalt mit dem geregelten vergleichbar ist und nach dem Grundgedanken der Norm und damit dem mit ihr verfolgten Zweck dieselbe rechtliche Bewertung erfordert(BSG SozR 3-2500 § 38 Nr 2 RdNr 15). Daneben muss eine (unbewusste) planwidrige Regelungslücke vorliegen (BVerfGE 82, 6, 11 ff mwN; BSGE 77, 102, 104 = SozR 3-2500 § 38 Nr 1 S 3; BSGE 89, 199, 202 f = SozR 3-3800 § 1 Nr 21 S 95 f mwN). Diese Voraussetzungen liegen vor.

14

Die zu regelnden Sachverhalte sind nicht nur im Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II, dort § 40 Abs 1 Satz 2) und im SGB XII, für die die Jahresbegrenzung eingefügt worden ist, sondern auch im AsylbLG in diesem Sinn gleichartig. Das SGB II, das SGB XII und das AsylbLG sind Existenzsicherungssysteme, die alle das Ziel haben, den Leistungsberechtigten ein menschenwürdiges Dasein zu ermöglichen (§ 1 Abs 1 SGB II; § 1 Abs 1 Satz 1 SGB XII; BT-Drucks 12/4451 Satz 1 und 3, wonach die fürsorgerischen Gesichtspunkte der Leistungen an Asylbewerber durch das AsylbLG gewahrt bleiben). Ebenso ist allen drei Existenzsicherungssystemen gemeinsam, dass die gewährten Leistungen einen aktuellen Bedarf bei aktueller Hilfebedürftigkeit decken sollen (sog Aktualitätsgrundsatz, vgl nur Pattar in Existenzsicherungsrecht, 2. Aufl 2013, S 136) und nicht als nachträgliche Geldleistung ausgestaltet sind (BVerfG, Beschluss vom 12.5.2005 - 1 BvR 569/05; BVerwGE 60, 236, 238; 66, 335, 338), sodass Leistungen im Rahmen eines Zugunstenverfahrens für die Vergangenheit nur zu erbringen sind, wenn die Existenzsicherungsleistungen ihre Aufgabe noch erfüllen können (BSGE 104, 213 ff RdNr 12 ff = SozR 4-1300 § 44 Nr 20; SozR 4-1300 § 44 Nr 12 RdNr 14 f).

15

Dieser Gedanke war auch Beweggrund für den Gesetzgeber zur Einführung des § 116a SGB XII. Ausweislich der Gesetzesbegründung sei die Vierjahresfrist des § 44 Abs 4 SGB X für die Leistungen, die als steuerfinanzierte Leistungen der Sicherung des Lebensunterhalts dienten und dabei in besonderem Maße die Deckung gegenwärtiger Bedarfe bewirken sollten(sog Aktualitätsgrundsatz), zu lang. Eine kürzere Frist von einem Jahr sei sach- und interessengerecht (BT-Drucks 17/3404, S 114, 129). Nichts anderes kann aber angesichts der Gleichartigkeit der zu regelnden Sachverhalte für Leistungen nach dem AsylbLG gelten. Die in den Regelungen des § 40 Abs 1 Satz 2 SGB II und § 116a SGB XII zum Ausdruck kommende gesetzgeberische Wertung muss deshalb für das AsylbLG übernommen werden. Erst recht gilt dies unter Berücksichtigung der Tatsache, dass ursprüngliches Ziel der Leistungen nach dem AsylbLG eine "deutliche Absenkung" der früher nach § 120 Abs 2 Bundessozialhilfegesetz gewährten Leistungen war, also eine Schlechterstellung der Leistungsberechtigten nach dem AsylbLG(BT-Drucks 12/4451 Satz 1; vgl insoweit aber BVerfG SozR 4-3520 § 3 Nr 2). Dieses Ziel würde konterkariert, wären im Zugunstenverfahren Leistungen nach dem AsylblG (anders als nach dem SGB II bzw dem SGB XII) annähernd bis zu fünf Jahren rückwirkend zu erbringen.

16

Die Gleichartigkeit der Sachverhalte im SGB II, dem SGB XII und dem AsylbLG gebietet auch eine gleiche Behandlung. Dies bestätigt die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zur Verfassungswidrigkeit des § 3 AsylbLG(BVerfG SozR 4-3520 § 3 Nr 2), wonach das Grundrecht auf Gewährung eines menschenwürdigen Existenzminimums deutschen und ausländischen Staatsangehörigen, die sich in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten, gleichermaßen zusteht. Umgekehrt muss das aber auch für Einschränkungen bei der Nachzahlung zu Unrecht vorenthaltener Leistungen gelten. Deshalb soll nach dem Referentenentwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des AsylbLG (Bearbeitungsstand 4.12.2012; http://www.fluechtlingsinfo-berlin.de/fr/asylblg/bverfg-asylblg-novelle.html) der Vorschrift des § 9 Abs 3 folgender Satz 2 angefügt werden(Referentenentwurf S 4): "§ 44 Abs 4 Satz 1 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch gilt mit der Maßgabe, dass anstelle des Zeitraums von vier Jahren ein Zeitraum von einem Jahr tritt." Zur Begründung wird ausgeführt, es werde den Besonderheiten des AsylbLG nicht gerecht, Bedarfe, die tatsächlich nicht mehr vorhanden seien, auch für Zeiträume, die länger in die Vergangenheit zurückreichten, rückwirkend zu gewähren. Die Vierjahresfrist des § 44 SGB X sei für steuerfinanzierte Leistungen, die der Sicherung des Lebensunterhalts und damit in besonderem Maße der Deckung gegenwärtiger Bedarfe dienten, zu lang. Eine kürzere Frist von einem Jahr sei sach- und interessengerecht. Insofern müssten dieselben Grundsätze wie in § 116a SGB XII und in § 40 Abs 1 SGB XII gelten. Entsprechend werde § 9 Abs 3 AsylbLG so abgeändert, dass § 44 SGB X zukünftig auch im AsylbLG nur mit der Maßgabe Anwendung finde, dass anstelle des Zeitraums von vier Jahren ein solcher von einem Jahr trete(Referentenentwurf S 15 f, aaO). Die Begründung im Referentenentwurf ist damit annähernd wortgleich zu der Begründung der Änderung des § 40 Abs 1 SGB II und der Einfügung des § 116a SGB XII(BT-Drucks aaO).

17

Es fehlt auch nicht deshalb an der vergleichbaren Interessenlage, weil die Anträge nach § 44 SGB X auch die Überprüfung der Leistungsgewährung nach §§ 1a und 3 AsylbLG betreffen und das System des AsylbLG in erster Linie als Sachleistungssystem ausgestattet ist. Zum einen sind hier solche Leistungen nicht betroffen, sondern Leistungen nach § 2 AsylbLG, die in entsprechender Anwendung des SGB XII erbracht werden, sodass es nicht einzusehen ist, weshalb insoweit eine Besserstellung des Leistungsberechtigten nach dem AsylbLG erfolgen soll; zum anderen wären Sachleistungen für die Vergangenheit nicht zu erbringen, sondern allenfalls ohnehin Geldleistungen im Sinne eines Sekundäranspruchs. Im Übrigen sehen auch das SGB II und das SGB XII die - allerdings eingeschränkte - Möglichkeit vor, Sachleistungen zu erbringen. Bei der Prüfung, ob die beiden verglichenen Sachverhalte in einer die Analogie ermöglichenden Weise "gleich" bzw "ähnlich" sind, ist die Grenze (erst) dort zu ziehen, wo durch die entsprechende Anwendung die Regelungsabsicht des Gesetzgebers vereitelt würde. Dies ist zwar schon dann zu bejahen, wenn es nur zweifelhaft ist, ob der Unterschied zwischen den verglichenen Sachverhalten nicht doch so groß ist, dass durch eine Gleichstellung die gesetzliche Wertung in Frage gestellt sein könnte (BSGE 57, 195 ff = SozR 1500 § 149 Nr 7). Derartige Zweifel bestehen aber nach oben Gesagtem gerade nicht. So sieht auch der Referentenentwurf (aaO) eine § 116a SGB XII identische Regelung bei annähernd identischer Begründung vor, ohne zwischen den jeweiligen Leistungen nach dem AsylbLG zu unterscheiden.

18

Dies rechtfertigt auch die Folgerung einer durch das Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch entstandenen (unbewussten) planwidrigen Regelungslücke (vgl auch: Greiser in jurisPK-SGB XII, § 116a SGB XII RdNr 27; Scheider in Hohm, AsylbLG, § 9 RdNr 73, Stand Dezember 2012, der ein gesetzgeberisches Versehen wegen unterschiedlicher ministerieller Zuständigkeiten vermutet). Diese hat der Gesetzgeber mittlerweile selbst erkannt, der, wie die beabsichtigte Ergänzung von § 9 Abs 3 AsylbLG und insbesondere die Begründung im Referentenentwurf zeigen, die Gesetzeslücke nachträglich schließen will. Die Annahme einer Gesetzeslücke verbietet sich - anders als der Kläger meint - nicht etwa deshalb, weil in der BT-Drucks 17/3404 die Leistungen nach dem AsylbLG bei der Bewertung der finanziellen Auswirkungen des Entwurfs der Fraktionen der CDU/CSU und FDP zum Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch ausdrücklich genannt werden (S 45 und 47) und in der dritten Beratung des Gesetzentwurfs (Plenarprotokoll 17/79) über den Entschließungsantrag der Fraktion "Die Linke" zur Ergänzung des Kreises der Leistungsberechtigten nach dem SGB II und dem SGB XII um bisherige Leistungsberechtigte nach dem dann aufzuhebenden AsylbLG (BT-Drucks 17/4106) abgestimmt wurde. Denn die Ausführungen in der BT-Drucks 17/3404 betreffen nur die finanziellen Auswirkungen des Regelbedarfsermittlungsgesetzes, die natürlich auch Asylbewerber betreffen, die Leistungen entsprechend dem SGB XII erhalten. Auch der Entschließungsantrag der Fraktion "Die Linke" betrifft allein die Höhe der Leistungen. Der Entwurf eines Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch war eine Reaktion des Gesetzgebers auf die den Regelbedarf nach dem SGB II und dem SGB XII betreffende Entscheidung des BVerfG vom 9.2.2010 (BVerfGE 125, 175 ff = SozR 4-4200 § 20 Nr 12). Die zitierten amtlichen Drucksachen und Protokolle betreffen ebenfalls unmittelbar oder mittelbar nur den Regelbedarf bzw die Höhe der Leistungsgewährung, haben jedoch keinen Bezug zur Ergänzung des § 40 Abs 1 Satz 2 SGB II bzw des § 116a SGB XII. Sie sind deshalb weder Beleg dafür, dass Leistungen nach dem AsylbLG bewusst ausgeklammert worden sind, noch begründen sie einen solchen Zweifel. Der Referentenentwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des AsylbLG belegt insoweit sogar das Gegenteil (dazu oben).

19

An diesem Ergebnis ändert die beabsichtigte Übergangsregelung in § 14 AsylbLG des Referentenentwurfs(Referentenentwurf S 5) nichts, wonach § 9 Abs 3 Satz 2 AsylbLG nicht bei Anträgen nach § 44 SGB X anwendbar sein soll, die vor dem Zeitpunkt des Inkrafttretens der Neuregelung gestellt worden sind. Damit ist bereits keine die Analogie verbietende Regelung beabsichtigt. Ohnedies verbleibt es bis zum möglichen Inkrafttreten bei der Gesetzeslücke, die durch richterliche Rechtsfortbildung zu schließen ist.

20

Schließlich besteht im öffentlichen Recht auch kein allgemeines Analogieverbot zum Nachteil von Bürgern, also der analogen Anwendung einer "belastenden" Norm (BSGE 104, 285 ff = SozR 4-4300 § 335 Nr 2; BSG SozR 3-4100 § 59e Nr 1 S 6; SozR 4-1300 § 44 Nr 22 RdNr 23). Aus der Bindung an "Gesetz und Recht" (Art 20 Abs 3 Grundgesetz ) ergibt sich, dass Exekutive und Judikative bei der Normanwendung - von speziellen verfassungsrechtlichen Analogieverboten wie Art 103 Abs 2 GG abgesehen - nicht auf den ausdrücklich bestimmten Anwendungsbereich der gesetzlichen Bestimmungen beschränkt sind, sondern das Recht insgesamt anwenden müssen (BSGE 104, 285 ff = SozR 4-4300 § 335 Nr 2). Infolgedessen sind auch belastende Normen des öffentlichen Rechts analog anzuwenden, sofern sich die Übertragung auf einen gesetzlich nicht ausdrücklich geregelten Fall - wie hier - wegen der Gleichartigkeit der Sachverhalte gebietet und die Regelungsabsicht des Gesetzgebers sicherstellt.

21

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

(1) Für das Verfahren nach diesem Buch gilt das Zehnte Buch. Abweichend von Satz 1 gilt § 44 des Zehnten Buches mit der Maßgabe, dass

1.
rechtswidrige nicht begünstigende Verwaltungsakte nach den Absätzen 1 und 2 nicht später als vier Jahre nach Ablauf des Jahres, in dem der Verwaltungsakt bekanntgegeben wurde, zurückzunehmen sind; ausreichend ist, wenn die Rücknahme innerhalb dieses Zeitraums beantragt wird,
2.
anstelle des Zeitraums von vier Jahren nach Absatz 4 Satz 1 ein Zeitraum von einem Jahr tritt.
Abweichend von Satz 1 gelten die §§ 45, 47 und 48 des Zehnten Buches mit der Maßgabe, dass ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit nicht aufzuheben ist, wenn sich ausschließlich Erstattungsforderungen nach § 50 Absatz 1 des Zehnten Buches von insgesamt weniger als 50 Euro für die Gesamtheit der Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft ergäben. Bei der Prüfung der Aufhebung nach Satz 3 sind Umstände, die bereits Gegenstand einer vorherigen Prüfung nach Satz 3 waren, nicht zu berücksichtigen. Die Sätze 3 und 4 gelten in den Fällen des § 50 Absatz 2 des Zehnten Buches entsprechend.

(2) Entsprechend anwendbar sind die Vorschriften des Dritten Buches über

1.
(weggefallen)
2.
(weggefallen)
3.
die Aufhebung von Verwaltungsakten (§ 330 Absatz 2, 3 Satz 1 und 4);
4.
die vorläufige Zahlungseinstellung nach § 331 mit der Maßgabe, dass die Träger auch zur teilweisen Zahlungseinstellung berechtigt sind, wenn sie von Tatsachen Kenntnis erhalten, die zu einem geringeren Leistungsanspruch führen;
5.
die Erstattung von Beiträgen zur Kranken-, Renten- und Pflegeversicherung (§ 335 Absatz 1, 2 und 5); § 335 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 5 in Verbindung mit Absatz 1 Satz 1 ist nicht anwendbar, wenn in einem Kalendermonat für mindestens einen Tag rechtmäßig Bürgergeld nach § 19 Absatz 1 Satz 1 gewährt wurde; in den Fällen des § 335 Absatz 1 Satz 2 und Absatz 5 in Verbindung mit Absatz 1 Satz 2 besteht kein Beitragserstattungsanspruch.

(3) Liegen die in § 44 Absatz 1 Satz 1 des Zehnten Buches genannten Voraussetzungen für die Rücknahme eines rechtswidrigen nicht begünstigenden Verwaltungsaktes vor, weil dieser auf einer Rechtsnorm beruht, die nach Erlass des Verwaltungsaktes

1.
durch eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts für nichtig oder für unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärt worden ist oder
2.
in ständiger Rechtsprechung anders als durch den für die jeweilige Leistungsart zuständigen Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende ausgelegt worden ist,
so ist der Verwaltungsakt, wenn er unanfechtbar geworden ist, nur mit Wirkung für die Zeit nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts oder ab dem Bestehen der ständigen Rechtsprechung zurückzunehmen. Bei der Unwirksamkeit einer Satzung oder einer anderen im Rang unter einem Landesgesetz stehenden Rechtsvorschrift, die nach § 22a Absatz 1 und dem dazu ergangenen Landesgesetz erlassen worden ist, ist abweichend von Satz 1 auf die Zeit nach der Entscheidung durch das Landessozialgericht abzustellen.

(4) Der Verwaltungsakt, mit dem über die Gewährung von Leistungen nach diesem Buch abschließend entschieden wurde, ist mit Wirkung für die Zukunft ganz aufzuheben, wenn in den tatsächlichen Verhältnissen der leistungsberechtigten Person Änderungen eintreten, aufgrund derer nach Maßgabe des § 41a vorläufig zu entscheiden wäre.

(5) Verstirbt eine leistungsberechtigte Person oder eine Person, die mit der leistungsberechtigten Person in häuslicher Gemeinschaft lebt, bleiben im Sterbemonat allein die dadurch eintretenden Änderungen in den bereits bewilligten Leistungsansprüchen der leistungsberechtigten Person und der mit ihr in Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen unberücksichtigt; die §§ 48 und 50 Absatz 2 des Zehnten Buches sind insoweit nicht anzuwenden. § 118 Absatz 3 bis 4a des Sechsten Buches findet mit der Maßgabe entsprechend Anwendung, dass Geldleistungen, die für die Zeit nach dem Monat des Todes der leistungsberechtigten Person überwiesen wurden, als unter Vorbehalt erbracht gelten.

(6) § 50 Absatz 1 des Zehnten Buches ist mit der Maßgabe anzuwenden, dass Gutscheine in Geld zu erstatten sind. Die leistungsberechtigte Person kann die Erstattungsforderung auch durch Rückgabe des Gutscheins erfüllen, soweit dieser nicht in Anspruch genommen wurde. Eine Erstattung der Leistungen nach § 28 erfolgt nicht, soweit eine Aufhebungsentscheidung allein wegen dieser Leistungen zu treffen wäre. Satz 3 gilt nicht im Fall des Widerrufs einer Bewilligungsentscheidung nach § 29 Absatz 5 Satz 2.

(7) § 28 des Zehnten Buches gilt mit der Maßgabe, dass der Antrag unverzüglich nach Ablauf des Monats, in dem die Ablehnung oder Erstattung der anderen Leistung bindend geworden ist, nachzuholen ist.

(8) Für die Vollstreckung von Ansprüchen der in gemeinsamen Einrichtungen zusammenwirkenden Träger nach diesem Buch gilt das Verwaltungs-Vollstreckungsgesetz des Bundes; im Übrigen gilt § 66 des Zehnten Buches.

(9) § 1629a des Bürgerlichen Gesetzbuchs gilt mit der Maßgabe, dass sich die Haftung eines Kindes auf das Vermögen beschränkt, das bei Eintritt der Volljährigkeit den Betrag von 15 000 Euro übersteigt.

(10) Erstattungsansprüche nach § 50 des Zehnten Buches, die auf die Aufnahme einer bedarfsdeckenden sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung zurückzuführen sind, sind in monatlichen Raten in Höhe von 10 Prozent des maßgebenden Regelbedarfs zu tilgen. Dies gilt nicht, wenn vor Tilgung der gesamten Summe erneute Hilfebedürftigkeit eintritt.

(1) Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Dies gilt nicht, wenn der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Betroffene vorsätzlich in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat.

(2) Im Übrigen ist ein rechtswidriger nicht begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft zurückzunehmen. Er kann auch für die Vergangenheit zurückgenommen werden.

(3) Über die Rücknahme entscheidet nach Unanfechtbarkeit des Verwaltungsaktes die zuständige Behörde; dies gilt auch dann, wenn der zurückzunehmende Verwaltungsakt von einer anderen Behörde erlassen worden ist.

(4) Ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden, werden Sozialleistungen nach den Vorschriften der besonderen Teile dieses Gesetzbuches längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der Rücknahme erbracht. Dabei wird der Zeitpunkt der Rücknahme von Beginn des Jahres an gerechnet, in dem der Verwaltungsakt zurückgenommen wird. Erfolgt die Rücknahme auf Antrag, tritt bei der Berechnung des Zeitraumes, für den rückwirkend Leistungen zu erbringen sind, anstelle der Rücknahme der Antrag.

(1) Für das Verfahren nach diesem Buch gilt das Zehnte Buch. Abweichend von Satz 1 gilt § 44 des Zehnten Buches mit der Maßgabe, dass

1.
rechtswidrige nicht begünstigende Verwaltungsakte nach den Absätzen 1 und 2 nicht später als vier Jahre nach Ablauf des Jahres, in dem der Verwaltungsakt bekanntgegeben wurde, zurückzunehmen sind; ausreichend ist, wenn die Rücknahme innerhalb dieses Zeitraums beantragt wird,
2.
anstelle des Zeitraums von vier Jahren nach Absatz 4 Satz 1 ein Zeitraum von einem Jahr tritt.
Abweichend von Satz 1 gelten die §§ 45, 47 und 48 des Zehnten Buches mit der Maßgabe, dass ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit nicht aufzuheben ist, wenn sich ausschließlich Erstattungsforderungen nach § 50 Absatz 1 des Zehnten Buches von insgesamt weniger als 50 Euro für die Gesamtheit der Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft ergäben. Bei der Prüfung der Aufhebung nach Satz 3 sind Umstände, die bereits Gegenstand einer vorherigen Prüfung nach Satz 3 waren, nicht zu berücksichtigen. Die Sätze 3 und 4 gelten in den Fällen des § 50 Absatz 2 des Zehnten Buches entsprechend.

(2) Entsprechend anwendbar sind die Vorschriften des Dritten Buches über

1.
(weggefallen)
2.
(weggefallen)
3.
die Aufhebung von Verwaltungsakten (§ 330 Absatz 2, 3 Satz 1 und 4);
4.
die vorläufige Zahlungseinstellung nach § 331 mit der Maßgabe, dass die Träger auch zur teilweisen Zahlungseinstellung berechtigt sind, wenn sie von Tatsachen Kenntnis erhalten, die zu einem geringeren Leistungsanspruch führen;
5.
die Erstattung von Beiträgen zur Kranken-, Renten- und Pflegeversicherung (§ 335 Absatz 1, 2 und 5); § 335 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 5 in Verbindung mit Absatz 1 Satz 1 ist nicht anwendbar, wenn in einem Kalendermonat für mindestens einen Tag rechtmäßig Bürgergeld nach § 19 Absatz 1 Satz 1 gewährt wurde; in den Fällen des § 335 Absatz 1 Satz 2 und Absatz 5 in Verbindung mit Absatz 1 Satz 2 besteht kein Beitragserstattungsanspruch.

(3) Liegen die in § 44 Absatz 1 Satz 1 des Zehnten Buches genannten Voraussetzungen für die Rücknahme eines rechtswidrigen nicht begünstigenden Verwaltungsaktes vor, weil dieser auf einer Rechtsnorm beruht, die nach Erlass des Verwaltungsaktes

1.
durch eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts für nichtig oder für unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärt worden ist oder
2.
in ständiger Rechtsprechung anders als durch den für die jeweilige Leistungsart zuständigen Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende ausgelegt worden ist,
so ist der Verwaltungsakt, wenn er unanfechtbar geworden ist, nur mit Wirkung für die Zeit nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts oder ab dem Bestehen der ständigen Rechtsprechung zurückzunehmen. Bei der Unwirksamkeit einer Satzung oder einer anderen im Rang unter einem Landesgesetz stehenden Rechtsvorschrift, die nach § 22a Absatz 1 und dem dazu ergangenen Landesgesetz erlassen worden ist, ist abweichend von Satz 1 auf die Zeit nach der Entscheidung durch das Landessozialgericht abzustellen.

(4) Der Verwaltungsakt, mit dem über die Gewährung von Leistungen nach diesem Buch abschließend entschieden wurde, ist mit Wirkung für die Zukunft ganz aufzuheben, wenn in den tatsächlichen Verhältnissen der leistungsberechtigten Person Änderungen eintreten, aufgrund derer nach Maßgabe des § 41a vorläufig zu entscheiden wäre.

(5) Verstirbt eine leistungsberechtigte Person oder eine Person, die mit der leistungsberechtigten Person in häuslicher Gemeinschaft lebt, bleiben im Sterbemonat allein die dadurch eintretenden Änderungen in den bereits bewilligten Leistungsansprüchen der leistungsberechtigten Person und der mit ihr in Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen unberücksichtigt; die §§ 48 und 50 Absatz 2 des Zehnten Buches sind insoweit nicht anzuwenden. § 118 Absatz 3 bis 4a des Sechsten Buches findet mit der Maßgabe entsprechend Anwendung, dass Geldleistungen, die für die Zeit nach dem Monat des Todes der leistungsberechtigten Person überwiesen wurden, als unter Vorbehalt erbracht gelten.

(6) § 50 Absatz 1 des Zehnten Buches ist mit der Maßgabe anzuwenden, dass Gutscheine in Geld zu erstatten sind. Die leistungsberechtigte Person kann die Erstattungsforderung auch durch Rückgabe des Gutscheins erfüllen, soweit dieser nicht in Anspruch genommen wurde. Eine Erstattung der Leistungen nach § 28 erfolgt nicht, soweit eine Aufhebungsentscheidung allein wegen dieser Leistungen zu treffen wäre. Satz 3 gilt nicht im Fall des Widerrufs einer Bewilligungsentscheidung nach § 29 Absatz 5 Satz 2.

(7) § 28 des Zehnten Buches gilt mit der Maßgabe, dass der Antrag unverzüglich nach Ablauf des Monats, in dem die Ablehnung oder Erstattung der anderen Leistung bindend geworden ist, nachzuholen ist.

(8) Für die Vollstreckung von Ansprüchen der in gemeinsamen Einrichtungen zusammenwirkenden Träger nach diesem Buch gilt das Verwaltungs-Vollstreckungsgesetz des Bundes; im Übrigen gilt § 66 des Zehnten Buches.

(9) § 1629a des Bürgerlichen Gesetzbuchs gilt mit der Maßgabe, dass sich die Haftung eines Kindes auf das Vermögen beschränkt, das bei Eintritt der Volljährigkeit den Betrag von 15 000 Euro übersteigt.

(10) Erstattungsansprüche nach § 50 des Zehnten Buches, die auf die Aufnahme einer bedarfsdeckenden sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung zurückzuführen sind, sind in monatlichen Raten in Höhe von 10 Prozent des maßgebenden Regelbedarfs zu tilgen. Dies gilt nicht, wenn vor Tilgung der gesamten Summe erneute Hilfebedürftigkeit eintritt.

(1) Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Dies gilt nicht, wenn der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Betroffene vorsätzlich in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat.

(2) Im Übrigen ist ein rechtswidriger nicht begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft zurückzunehmen. Er kann auch für die Vergangenheit zurückgenommen werden.

(3) Über die Rücknahme entscheidet nach Unanfechtbarkeit des Verwaltungsaktes die zuständige Behörde; dies gilt auch dann, wenn der zurückzunehmende Verwaltungsakt von einer anderen Behörde erlassen worden ist.

(4) Ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden, werden Sozialleistungen nach den Vorschriften der besonderen Teile dieses Gesetzbuches längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der Rücknahme erbracht. Dabei wird der Zeitpunkt der Rücknahme von Beginn des Jahres an gerechnet, in dem der Verwaltungsakt zurückgenommen wird. Erfolgt die Rücknahme auf Antrag, tritt bei der Berechnung des Zeitraumes, für den rückwirkend Leistungen zu erbringen sind, anstelle der Rücknahme der Antrag.

(1) Für das Verfahren nach diesem Buch gilt das Zehnte Buch. Abweichend von Satz 1 gilt § 44 des Zehnten Buches mit der Maßgabe, dass

1.
rechtswidrige nicht begünstigende Verwaltungsakte nach den Absätzen 1 und 2 nicht später als vier Jahre nach Ablauf des Jahres, in dem der Verwaltungsakt bekanntgegeben wurde, zurückzunehmen sind; ausreichend ist, wenn die Rücknahme innerhalb dieses Zeitraums beantragt wird,
2.
anstelle des Zeitraums von vier Jahren nach Absatz 4 Satz 1 ein Zeitraum von einem Jahr tritt.
Abweichend von Satz 1 gelten die §§ 45, 47 und 48 des Zehnten Buches mit der Maßgabe, dass ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit nicht aufzuheben ist, wenn sich ausschließlich Erstattungsforderungen nach § 50 Absatz 1 des Zehnten Buches von insgesamt weniger als 50 Euro für die Gesamtheit der Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft ergäben. Bei der Prüfung der Aufhebung nach Satz 3 sind Umstände, die bereits Gegenstand einer vorherigen Prüfung nach Satz 3 waren, nicht zu berücksichtigen. Die Sätze 3 und 4 gelten in den Fällen des § 50 Absatz 2 des Zehnten Buches entsprechend.

(2) Entsprechend anwendbar sind die Vorschriften des Dritten Buches über

1.
(weggefallen)
2.
(weggefallen)
3.
die Aufhebung von Verwaltungsakten (§ 330 Absatz 2, 3 Satz 1 und 4);
4.
die vorläufige Zahlungseinstellung nach § 331 mit der Maßgabe, dass die Träger auch zur teilweisen Zahlungseinstellung berechtigt sind, wenn sie von Tatsachen Kenntnis erhalten, die zu einem geringeren Leistungsanspruch führen;
5.
die Erstattung von Beiträgen zur Kranken-, Renten- und Pflegeversicherung (§ 335 Absatz 1, 2 und 5); § 335 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 5 in Verbindung mit Absatz 1 Satz 1 ist nicht anwendbar, wenn in einem Kalendermonat für mindestens einen Tag rechtmäßig Bürgergeld nach § 19 Absatz 1 Satz 1 gewährt wurde; in den Fällen des § 335 Absatz 1 Satz 2 und Absatz 5 in Verbindung mit Absatz 1 Satz 2 besteht kein Beitragserstattungsanspruch.

(3) Liegen die in § 44 Absatz 1 Satz 1 des Zehnten Buches genannten Voraussetzungen für die Rücknahme eines rechtswidrigen nicht begünstigenden Verwaltungsaktes vor, weil dieser auf einer Rechtsnorm beruht, die nach Erlass des Verwaltungsaktes

1.
durch eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts für nichtig oder für unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärt worden ist oder
2.
in ständiger Rechtsprechung anders als durch den für die jeweilige Leistungsart zuständigen Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende ausgelegt worden ist,
so ist der Verwaltungsakt, wenn er unanfechtbar geworden ist, nur mit Wirkung für die Zeit nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts oder ab dem Bestehen der ständigen Rechtsprechung zurückzunehmen. Bei der Unwirksamkeit einer Satzung oder einer anderen im Rang unter einem Landesgesetz stehenden Rechtsvorschrift, die nach § 22a Absatz 1 und dem dazu ergangenen Landesgesetz erlassen worden ist, ist abweichend von Satz 1 auf die Zeit nach der Entscheidung durch das Landessozialgericht abzustellen.

(4) Der Verwaltungsakt, mit dem über die Gewährung von Leistungen nach diesem Buch abschließend entschieden wurde, ist mit Wirkung für die Zukunft ganz aufzuheben, wenn in den tatsächlichen Verhältnissen der leistungsberechtigten Person Änderungen eintreten, aufgrund derer nach Maßgabe des § 41a vorläufig zu entscheiden wäre.

(5) Verstirbt eine leistungsberechtigte Person oder eine Person, die mit der leistungsberechtigten Person in häuslicher Gemeinschaft lebt, bleiben im Sterbemonat allein die dadurch eintretenden Änderungen in den bereits bewilligten Leistungsansprüchen der leistungsberechtigten Person und der mit ihr in Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen unberücksichtigt; die §§ 48 und 50 Absatz 2 des Zehnten Buches sind insoweit nicht anzuwenden. § 118 Absatz 3 bis 4a des Sechsten Buches findet mit der Maßgabe entsprechend Anwendung, dass Geldleistungen, die für die Zeit nach dem Monat des Todes der leistungsberechtigten Person überwiesen wurden, als unter Vorbehalt erbracht gelten.

(6) § 50 Absatz 1 des Zehnten Buches ist mit der Maßgabe anzuwenden, dass Gutscheine in Geld zu erstatten sind. Die leistungsberechtigte Person kann die Erstattungsforderung auch durch Rückgabe des Gutscheins erfüllen, soweit dieser nicht in Anspruch genommen wurde. Eine Erstattung der Leistungen nach § 28 erfolgt nicht, soweit eine Aufhebungsentscheidung allein wegen dieser Leistungen zu treffen wäre. Satz 3 gilt nicht im Fall des Widerrufs einer Bewilligungsentscheidung nach § 29 Absatz 5 Satz 2.

(7) § 28 des Zehnten Buches gilt mit der Maßgabe, dass der Antrag unverzüglich nach Ablauf des Monats, in dem die Ablehnung oder Erstattung der anderen Leistung bindend geworden ist, nachzuholen ist.

(8) Für die Vollstreckung von Ansprüchen der in gemeinsamen Einrichtungen zusammenwirkenden Träger nach diesem Buch gilt das Verwaltungs-Vollstreckungsgesetz des Bundes; im Übrigen gilt § 66 des Zehnten Buches.

(9) § 1629a des Bürgerlichen Gesetzbuchs gilt mit der Maßgabe, dass sich die Haftung eines Kindes auf das Vermögen beschränkt, das bei Eintritt der Volljährigkeit den Betrag von 15 000 Euro übersteigt.

(10) Erstattungsansprüche nach § 50 des Zehnten Buches, die auf die Aufnahme einer bedarfsdeckenden sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung zurückzuführen sind, sind in monatlichen Raten in Höhe von 10 Prozent des maßgebenden Regelbedarfs zu tilgen. Dies gilt nicht, wenn vor Tilgung der gesamten Summe erneute Hilfebedürftigkeit eintritt.

(1) Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Dies gilt nicht, wenn der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Betroffene vorsätzlich in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat.

(2) Im Übrigen ist ein rechtswidriger nicht begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft zurückzunehmen. Er kann auch für die Vergangenheit zurückgenommen werden.

(3) Über die Rücknahme entscheidet nach Unanfechtbarkeit des Verwaltungsaktes die zuständige Behörde; dies gilt auch dann, wenn der zurückzunehmende Verwaltungsakt von einer anderen Behörde erlassen worden ist.

(4) Ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden, werden Sozialleistungen nach den Vorschriften der besonderen Teile dieses Gesetzbuches längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der Rücknahme erbracht. Dabei wird der Zeitpunkt der Rücknahme von Beginn des Jahres an gerechnet, in dem der Verwaltungsakt zurückgenommen wird. Erfolgt die Rücknahme auf Antrag, tritt bei der Berechnung des Zeitraumes, für den rückwirkend Leistungen zu erbringen sind, anstelle der Rücknahme der Antrag.

(1) Für das Verfahren nach diesem Buch gilt das Zehnte Buch. Abweichend von Satz 1 gilt § 44 des Zehnten Buches mit der Maßgabe, dass

1.
rechtswidrige nicht begünstigende Verwaltungsakte nach den Absätzen 1 und 2 nicht später als vier Jahre nach Ablauf des Jahres, in dem der Verwaltungsakt bekanntgegeben wurde, zurückzunehmen sind; ausreichend ist, wenn die Rücknahme innerhalb dieses Zeitraums beantragt wird,
2.
anstelle des Zeitraums von vier Jahren nach Absatz 4 Satz 1 ein Zeitraum von einem Jahr tritt.
Abweichend von Satz 1 gelten die §§ 45, 47 und 48 des Zehnten Buches mit der Maßgabe, dass ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit nicht aufzuheben ist, wenn sich ausschließlich Erstattungsforderungen nach § 50 Absatz 1 des Zehnten Buches von insgesamt weniger als 50 Euro für die Gesamtheit der Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft ergäben. Bei der Prüfung der Aufhebung nach Satz 3 sind Umstände, die bereits Gegenstand einer vorherigen Prüfung nach Satz 3 waren, nicht zu berücksichtigen. Die Sätze 3 und 4 gelten in den Fällen des § 50 Absatz 2 des Zehnten Buches entsprechend.

(2) Entsprechend anwendbar sind die Vorschriften des Dritten Buches über

1.
(weggefallen)
2.
(weggefallen)
3.
die Aufhebung von Verwaltungsakten (§ 330 Absatz 2, 3 Satz 1 und 4);
4.
die vorläufige Zahlungseinstellung nach § 331 mit der Maßgabe, dass die Träger auch zur teilweisen Zahlungseinstellung berechtigt sind, wenn sie von Tatsachen Kenntnis erhalten, die zu einem geringeren Leistungsanspruch führen;
5.
die Erstattung von Beiträgen zur Kranken-, Renten- und Pflegeversicherung (§ 335 Absatz 1, 2 und 5); § 335 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 5 in Verbindung mit Absatz 1 Satz 1 ist nicht anwendbar, wenn in einem Kalendermonat für mindestens einen Tag rechtmäßig Bürgergeld nach § 19 Absatz 1 Satz 1 gewährt wurde; in den Fällen des § 335 Absatz 1 Satz 2 und Absatz 5 in Verbindung mit Absatz 1 Satz 2 besteht kein Beitragserstattungsanspruch.

(3) Liegen die in § 44 Absatz 1 Satz 1 des Zehnten Buches genannten Voraussetzungen für die Rücknahme eines rechtswidrigen nicht begünstigenden Verwaltungsaktes vor, weil dieser auf einer Rechtsnorm beruht, die nach Erlass des Verwaltungsaktes

1.
durch eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts für nichtig oder für unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärt worden ist oder
2.
in ständiger Rechtsprechung anders als durch den für die jeweilige Leistungsart zuständigen Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende ausgelegt worden ist,
so ist der Verwaltungsakt, wenn er unanfechtbar geworden ist, nur mit Wirkung für die Zeit nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts oder ab dem Bestehen der ständigen Rechtsprechung zurückzunehmen. Bei der Unwirksamkeit einer Satzung oder einer anderen im Rang unter einem Landesgesetz stehenden Rechtsvorschrift, die nach § 22a Absatz 1 und dem dazu ergangenen Landesgesetz erlassen worden ist, ist abweichend von Satz 1 auf die Zeit nach der Entscheidung durch das Landessozialgericht abzustellen.

(4) Der Verwaltungsakt, mit dem über die Gewährung von Leistungen nach diesem Buch abschließend entschieden wurde, ist mit Wirkung für die Zukunft ganz aufzuheben, wenn in den tatsächlichen Verhältnissen der leistungsberechtigten Person Änderungen eintreten, aufgrund derer nach Maßgabe des § 41a vorläufig zu entscheiden wäre.

(5) Verstirbt eine leistungsberechtigte Person oder eine Person, die mit der leistungsberechtigten Person in häuslicher Gemeinschaft lebt, bleiben im Sterbemonat allein die dadurch eintretenden Änderungen in den bereits bewilligten Leistungsansprüchen der leistungsberechtigten Person und der mit ihr in Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen unberücksichtigt; die §§ 48 und 50 Absatz 2 des Zehnten Buches sind insoweit nicht anzuwenden. § 118 Absatz 3 bis 4a des Sechsten Buches findet mit der Maßgabe entsprechend Anwendung, dass Geldleistungen, die für die Zeit nach dem Monat des Todes der leistungsberechtigten Person überwiesen wurden, als unter Vorbehalt erbracht gelten.

(6) § 50 Absatz 1 des Zehnten Buches ist mit der Maßgabe anzuwenden, dass Gutscheine in Geld zu erstatten sind. Die leistungsberechtigte Person kann die Erstattungsforderung auch durch Rückgabe des Gutscheins erfüllen, soweit dieser nicht in Anspruch genommen wurde. Eine Erstattung der Leistungen nach § 28 erfolgt nicht, soweit eine Aufhebungsentscheidung allein wegen dieser Leistungen zu treffen wäre. Satz 3 gilt nicht im Fall des Widerrufs einer Bewilligungsentscheidung nach § 29 Absatz 5 Satz 2.

(7) § 28 des Zehnten Buches gilt mit der Maßgabe, dass der Antrag unverzüglich nach Ablauf des Monats, in dem die Ablehnung oder Erstattung der anderen Leistung bindend geworden ist, nachzuholen ist.

(8) Für die Vollstreckung von Ansprüchen der in gemeinsamen Einrichtungen zusammenwirkenden Träger nach diesem Buch gilt das Verwaltungs-Vollstreckungsgesetz des Bundes; im Übrigen gilt § 66 des Zehnten Buches.

(9) § 1629a des Bürgerlichen Gesetzbuchs gilt mit der Maßgabe, dass sich die Haftung eines Kindes auf das Vermögen beschränkt, das bei Eintritt der Volljährigkeit den Betrag von 15 000 Euro übersteigt.

(10) Erstattungsansprüche nach § 50 des Zehnten Buches, die auf die Aufnahme einer bedarfsdeckenden sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung zurückzuführen sind, sind in monatlichen Raten in Höhe von 10 Prozent des maßgebenden Regelbedarfs zu tilgen. Dies gilt nicht, wenn vor Tilgung der gesamten Summe erneute Hilfebedürftigkeit eintritt.

(1) Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Dies gilt nicht, wenn der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Betroffene vorsätzlich in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat.

(2) Im Übrigen ist ein rechtswidriger nicht begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft zurückzunehmen. Er kann auch für die Vergangenheit zurückgenommen werden.

(3) Über die Rücknahme entscheidet nach Unanfechtbarkeit des Verwaltungsaktes die zuständige Behörde; dies gilt auch dann, wenn der zurückzunehmende Verwaltungsakt von einer anderen Behörde erlassen worden ist.

(4) Ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden, werden Sozialleistungen nach den Vorschriften der besonderen Teile dieses Gesetzbuches längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der Rücknahme erbracht. Dabei wird der Zeitpunkt der Rücknahme von Beginn des Jahres an gerechnet, in dem der Verwaltungsakt zurückgenommen wird. Erfolgt die Rücknahme auf Antrag, tritt bei der Berechnung des Zeitraumes, für den rückwirkend Leistungen zu erbringen sind, anstelle der Rücknahme der Antrag.

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 18. Mai 2011 aufgehoben. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Bremen vom 27. Mai 2010 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander für alle Rechtszüge keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Tatbestand

1

Zwischen den Beteiligten besteht Streit, ob die Klägerin die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Rente wegen Erwerbsminderung (sog Drei-Fünftel-Belegung) erfüllt.

2

Die 1962 geborene Klägerin absolvierte von 1978 bis 1980 eine Ausbildung als Verkäuferin und arbeitete in der Folgezeit als Bürohilfskraft. Ausweislich ihres Versicherungsverlaufs legte sie bis Ende 1983 62 Monate an Pflichtbeitragszeiten zurück. In der Folgezeit weist ihr Versicherungskonto im Dezember 1994 sowie für die Monate Dezember 1997 bis November 1998 keine Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit aus. Vom 19.4.1999 bis 19.3.2004 verbüßte die Klägerin eine Freiheitsstrafe. Während der Haft ging sie vom 5.6. bis 24.7.2000 sowie vom 1.8.2000 bis 31.7.2002 als Freigängerin einer Bürotätigkeit nach, für die Pflichtbeiträge entrichtet wurden. In den übrigen Haftzeiten leistete die Klägerin Gefangenenarbeiten, für die keine Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) abgeführt wurden. Nach ihrer Haftentlassung wurden für sie ab 20.3.2004 jedenfalls bis Ende 2006 Pflichtbeiträge aufgrund des Bezugs von Alg oder Alg II entrichtet.

3

Im August 2004 wurde bei der Klägerin eine fortgeschrittene Tumorerkrankung festgestellt. Ihr Antrag auf Rente wegen Erwerbsminderung vom 9.11.2004 blieb ohne Erfolg. Zwar liege seit dem 23.8.2004 volle Erwerbsminderung vor, doch seien im maßgeblichen Fünf-Jahres-Zeitraum vom 23.8.1999 bis 22.8.2004 nur 26 Monate (Bescheid vom 16.12.2004) bzw 32 Monate (Widerspruchsbescheid vom 17.3.2005 - hier wurden zusätzliche sechs Monate für den Zeitraum März bis August 2004 berücksichtigt) an Pflichtbeiträgen vorhanden und daher die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Rente nicht erfüllt. Ein Überprüfungsantrag der Klägerin vom Oktober 2005 wurde ebenfalls abgelehnt (Bescheid vom 4.11.2005, Widerspruchsbescheid vom 12.1.2006).

4

Ende August 2006 beantragte die Klägerin unter Hinweis auf zwischenzeitlich zurückgelegte weitere Pflichtbeitragszeiten erneut eine Erwerbsminderungsrente. Nach medizinischer Sachaufklärung ging die Beklagte weiterhin von einer seit 23.8.2004 fortbestehenden dauerhaften vollen Erwerbsminderung aus und lehnte auch diesen Antrag wegen fehlender versicherungsrechtlicher Voraussetzungen ab (Bescheid vom 3.11.2006, Widerspruchsbescheid vom 12.3.2007).

5

Das SG hat die Klage auf Rente wegen Erwerbsminderung nach einem Leistungsfall im August 2006 abgewiesen (Urteil vom 27.5.2010). Im Berufungsverfahren hat die Klägerin die Zahlung der Rente bereits ab September 2004 begehrt. Das LSG hat die erstinstanzliche Entscheidung sowie die Bescheide vom 3.11.2006/12.3.2007 aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, die Bescheide vom 16.12.2004/17.3.2005 sowie vom 4.11.2005/12.1.2006 zurückzunehmen und der Klägerin ab September 2004 Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Dauer zu gewähren (Urteil vom 18.5.2011).

6

Zur Begründung hat das LSG im Wesentlichen ausgeführt, der Antrag der Klägerin vom 29.8.2006 sei zugleich als auf die Überprüfung der vorangegangenen Rentenablehnungs- und Überprüfungsbescheide gemäß § 44 SGB X gerichtet anzusehen. In medizinischer Hinsicht stehe - wovon auch die Beklagte ausgehe - fest, dass die Klägerin seit dem 23.8.2004 aufgrund ihrer Erkrankung fortlaufend nicht einmal mehr täglich drei Stunden auch nur leichte Tätigkeiten verrichten könne; dass nach zwischenzeitlicher Wiedererlangung des Leistungsvermögens später ein weiterer Leistungsfall eingetreten sei, lasse sich hingegen nicht objektivieren. Bezogen auf den Leistungsfall im August 2004 erfülle die Klägerin auch die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen. Zwar seien bei einer nur am Wortlaut ausgerichteten Anwendung des § 43 SGB VI in den fünf Jahren ab August 1999 statt der geforderten 36 lediglich 32 Monate mit Pflichtbeiträgen belegt. Bei verfassungskonformer, die Vorgaben aus Art 14 GG berücksichtigender Auslegung der Vorschrift müsse jedoch auch die Zeit der Inhaftierung im Hinblick auf die dokumentierte fortbestehende Nähe der Klägerin zum aktiven Erwerbsleben als Aufschubtatbestand iS von § 43 Abs 4 SGB VI einbezogen werden.

7

Die Klägerin habe zum Zeitpunkt ihrer Inhaftierung die Drei-Fünftel-Belegung erfüllt und damit eine Anwartschaft auf Erwerbsminderungsrente erlangt, die den Schutz der Eigentumsgarantie genieße. Während der Haftzeit habe das Gesetz ihr jedoch keine Möglichkeit eröffnet, diese geschützte Rechtsposition aufrechtzuerhalten, obgleich sie die ihr - nur mit Zustimmung der Anstaltsleitung - offenstehenden Möglichkeiten zur Ausübung einer versicherungspflichtigen Beschäftigung ausgeschöpft habe. Insbesondere habe ihr die Anstaltsleitung keine abstrakte Gestattung eines freien Beschäftigungsverhältnisses außerhalb der Anstalt erteilt, sodass sie keine Möglichkeit gehabt habe, während der Haft anwartschaftserhaltende Zeiten wegen Arbeitslosigkeit (§ 43 Abs 4 Nr 1 und 3 SGB VI)zurückzulegen. Auch durch Zahlung freiwilliger Beiträge habe sie sich die Anwartschaft auf Erwerbsminderungsrente nicht erhalten können. Es sei aber mit Art 14 Abs 1 GG nicht vereinbar, wenn die Anwartschaft aufgrund einer Haftzeit ersatzlos und ohne Abwendungsmöglichkeit verloren gehe. Deshalb sei § 43 Abs 4 SGB VI iS einer Erhaltung der Anwartschaft auszulegen und eine Verlängerung des Fünf-Jahres-Zeitraums anzunehmen, soweit aufgrund sowohl vorausgegangener als auch nachfolgender Zeiten der Beschäftigung (bzw aufgrund vergleichbarer Zeiten einer durch entsprechende Meldungen bei der Arbeitsverwaltung belegten Arbeitssuche) und gegebenenfalls auch durch das Verhalten des Versicherten während der Haft der Wunsch zur weiteren Ausübung einer versicherungspflichtigen Beschäftigung belegt sei. Dann bestehe auch während haftbedingter Lücken noch ein hinreichender innerer Zusammenhang zum aktiven Erwerbsleben fort. Ein "Totalentzug" der Rentenanwartschaft aufgrund einer hoheitlich angeordneten Haftzeit überschreite bei Berücksichtigung des Gebots der Resozialisierung die Grenze zu einer übermäßigen Belastung.

8

Die Grenzen einer zulässigen Gesetzesinterpretation würden durch diese verfassungskonforme Auslegung nicht verletzt. Sie stehe nicht im Widerspruch zu dem klar geäußerten Willen des Gesetzgebers, denn ein solcher Wille sei nicht feststellbar; vielmehr sei ihm die besondere Problematik mehrjährig Inhaftierter offenbar verborgen geblieben.

9

Die Beklagte rügt mit ihrer - vom LSG wegen Abweichung vom Urteil des 5. Senats des BSG vom 26.5.1988 (SozR 2200 § 1246 Nr 157) zugelassenen - Revision eine Verletzung des § 43 Abs 2 und 4 SGB VI. Haftzeiten seien nach dem eindeutigen Wortlaut des § 43 Abs 4 SGB VI kein Verlängerungstatbestand. Im Hinblick auf die Entscheidung des BSG vom 26.5.1988 bestehe keine planwidrige Gesetzeslücke, die eine erweiternde Anwendung dieser Vorschrift im Wege der Analogie ermöglichen würde, zumal es sich bei Haftzeiten nicht um sozialversicherungsrechtlich anerkennenswerte Sachverhalte handele. Der Klägerin sei die Anwartschaft auf Erwerbsminderungsrente nicht von hoher Hand entzogen worden; sie habe vielmehr deren Entwertung eigenverantwortlich aufgrund schuldhaften Verhaltens herbeigeführt.

10

Die Beklagte beantragt,

        

das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 18. Mai 2011 aufzuheben und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Bremen vom 27. Mai 2010 zurückzuweisen.

11

Die Klägerin beantragt,

        

die Revision zurückzuweisen.

12

Sie hält die Entscheidung des LSG für zutreffend. Ergänzend verweist sie darauf, dass die Entziehung einer Rentenanwartschaft aufgrund einer Straftat faktisch eine weitere Bestrafung bedeute, die gegen das Verbot der Doppelbestrafung (Art 103 Abs 3 GG) verstoße und zudem als enteignungsgleicher Eingriff einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung bedürfe, welche bislang fehle. Der Hinweis der Beklagten auf die Eigenverantwortlichkeit der Klägerin für die Folgen ihrer rechtswidrigen Tat könne einer verfassungsrechtlichen Betrachtung nicht standhalten. Denn es hänge vom Zufall ab, zu welcher Freiheitsstrafe jemand verurteilt und ob er vorzeitig aus der Haft entlassen werde, ob also bei Haftentlassung die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen und damit die Rentenanwartschaft noch Bestand hätten.

Entscheidungsgründe

13

Die Revision der Beklagten ist begründet (§ 170 Abs 2 S 1 SGG). Das SG hat zutreffend entschieden, dass der Klägerin kein Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung zusteht, da sie bei Eintritt des Versicherungsfalls der vollen Erwerbsminderung im August 2004 die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen dieser Rentenart nicht erfüllte.

14

A) Gegenstand des Revisionsverfahrens sind der ablehnende Rentenbescheid der Beklagten vom 3.11.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12.3.2007. Das LSG ist zu Recht davon ausgegangen, dass im vorliegenden Verfahren auch der vorausgegangene Rentenablehnungsbescheid vom 16.12.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17.3.2005 zu überprüfen ist. Denn die Klägerin hatte sich mit ihrem Widerspruch gegen den erneut ablehnenden Rentenbescheid vom 3.11.2006 insbesondere dagegen gewandt, dass die Beklagte von voller Erwerbsminderung durchgehend seit August 2004 ausgegangen war; vielmehr habe sie ihre Erwerbsfähigkeit im Februar 2006 vorübergehend wiedererlangt. Wenn die Beklagte daraufhin sozialmedizinische Ermittlungen zur Prüfung dieses Vorbringens durchgeführt hat und im Widerspruchsbescheid vom 12.3.2007 zu dem Ergebnis gelangt ist, dass es bei der zuvor festgestellten Leistungsminderung ab 23.8.2004 verbleibe, hat sie damit zugleich (erneut) eine Korrektur des auf dieser Feststellung beruhenden Rentenbescheids vom 16.12.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17.3.2005 nach § 44 SGB X abgelehnt.

15

Einer gesonderten Würdigung auch des bereits zuvor von der Beklagten erlassenen, eine Überprüfung nach § 44 SGB X ablehnenden Bescheids vom 4.11.2005 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12.1.2006 bedarf es allerdings nicht. Denn sollte sich aufgrund der genannten Vorschrift eine Verpflichtung zur Änderung des Rentenbescheids vom 16.12.2004 ergeben, würde damit notwendig zugleich auch die Ablehnung seiner Aufhebung im Bescheid vom 4.11.2005 (in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12.1.2006) gegenstandslos (vgl BSG vom 31.7.2013 - B 5 RS 8/12 R - Juris RdNr 18), weil sie sich auf andere Weise erledigt hätte (§ 39 Abs 2 SGB X).

16

B) Die eine Zahlung von Rente wegen voller Erwerbsminderung ablehnenden Bescheide der Beklagten sind rechtmäßig (§ 54 Abs 2 S 1 SGG). Dem Berufungsgericht kann nicht darin gefolgt werden, dass bei der Klägerin - ausgehend von dem im August 2004 eingetretenen und seitdem unverändert fortbestehenden Versicherungsfall der vollen Erwerbsminderung - auch die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen einer Rente wegen voller Erwerbsminderung erfüllt sind und sie entsprechende Leistungen beanspruchen kann.

17

1. Rechtsgrundlage für einen solchen Anspruch ist § 43 Abs 2 SGB VI(hier noch anzuwenden idF der Bekanntmachung vom 19.2.2002 - BGBl I 754). Danach haben Versicherte bis zur Vollendung des 65. Lebensjahrs Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie (1.) voll erwerbsgemindert sind, (2.) in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und (3.) vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.

18

a) Nach den tatsächlichen Feststellungen des LSG, die weder die Beklagte mit Revisionsrügen angegriffen noch die Klägerin und Revisionsbeklagte mit Gegenrügen (zur Beachtlichkeit solcher Rügen s BSGE 88, 96, 97 = SozR 3-3800 § 2 Nr 10 S 44; BSG SozR 4-2500 § 95 Nr 5 RdNr 7)in Frage gestellt hat und deshalb für den Senat bindend sind (§ 163 SGG), ist die Klägerin seit 23.8.2004 ohne Unterbrechung krankheitsbedingt nicht mehr in der Lage, täglich mindestens drei Stunden auch nur leichte Tätigkeiten zu verrichten. Damit steht fest, dass volle Erwerbsminderung (§ 43 Abs 2 S 1 Nr 1 iVm S 2 SGB VI)zu dem genannten Zeitpunkt eingetreten und später auch nicht wieder weggefallen ist. Die Klägerin hat auch die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren erfüllt (§ 43 Abs 2 S 1 Nr 3 iVm § 50 Abs 1 Nr 2, § 51 Abs 1 SGB VI; s hierzu auch unten 2. b aa).

19

b) Die Klägerin erfüllte jedoch zu dem maßgeblichen Zeitpunkt nicht die (besonderen) versicherungsrechtlichen Voraussetzungen einer Rente wegen Erwerbsminderung. Auf der Grundlage des von der Beklagten erstellten Versicherungsverlaufs kann sie im Fünf-Jahres-Zeitraum vor Eintritt der vollen Erwerbsminderung (23.8.1999 bis 22.8.2004) nicht wenigstens drei Jahre (36 Monate) - wie § 43 Abs 2 S 1 Nr 2 SGB VI es fordert -, sondern lediglich 26 Kalendermonate mit Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit(s hierzu auch § 55 Abs 2 SGB VI)aufgrund ihrer außerhalb der Haftanstalt als Freigängerin ausgeübten Beschäftigungsverhältnisse sowie möglicherweise weitere sechs Monate aufgrund des Bezugs von Entgeltersatzleistungen wegen Arbeitslosigkeit nach Haftentlassung vorweisen (zu der für eine Versicherungspflicht aufgrund des Bezugs von Arbeitslosengeld erforderlichen Vorversicherungszeit s § 3 S 1 Nr 3 iVm § 55 Abs 2 Nr 2 SGB VI). Dabei ist das LSG ohne Rechtsfehler davon ausgegangen, dass eine während der Verbüßung von Freiheitsstrafe verrichtete Arbeit, die aufgrund der Arbeitspflicht nach § 41 Abs 1 StVollzG in der Haftanstalt ausgeübt wird, kein versicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis iS des § 1 S 1 Nr 1 SGB VI begründet(s bereits BSG SozR 2200 § 1246 Nr 157 S 508; Senatsurteil vom 6.5.2010 - B 13 R 118/08 R - Juris RdNr 26, jeweils unter Hinweis auf die Regelung in § 190 Nr 13 iVm § 198 Abs 3 StVollzG; zur Verfassungsmäßigkeit vgl BVerfG vom 1.7.1998 - 2 BvR 441/90 ua - BVerfGE 98, 169, 204, 212; BVerfG vom 14.11.2000 - 1 BvL 9/89 - SozR 3-2200 § 1246 Nr 64 S 293, 298). Auch die Haftzeit selbst ist rentenrechtlich keine Beitragszeit (Senatsurteil vom 6.5.2010 - aaO).

20

Die nicht mit Pflichtbeitragszeiten belegten Haftzeiten innerhalb des Fünf-Jahres-Zeitraums (23.8.1999 bis 4.6.2000, 1.8.2002 bis 19.3.2004 - insgesamt 29 Monate) führen hier auch nicht gemäß § 43 Abs 4 SGB VI zu einer Verlängerung der Zeitspanne, innerhalb der vor Eintritt der Erwerbsminderung mindestens 36 Monate mit Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit erforderlich sind.

21

Nach § 43 Abs 4 S 1 SGB VI verlängert sich der für die Drei-Fünftel-Belegung maßgebliche Zeitraum von fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung um Anrechnungszeiten und Zeiten des Bezugs einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit(Nr 1), um Berücksichtigungszeiten (Nr 2) sowie - unter weiteren Voraussetzungen - um Zeiten, die nur deshalb keine Anrechnungszeiten sind, weil durch sie eine versicherte Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit nicht unterbrochen ist (Nr 3) oder um Zeiten einer schulischen Ausbildung nach Vollendung des 17. Lebensjahres bis zu sieben Jahren (Nr 4). Zu diesem Katalog gehören, wie das LSG zutreffend ausgeführt hat, Zeiten einer Strafhaft als solche schon nach dem Wortlaut der Vorschrift nicht. Im Fall der Klägerin lag in den oben genannten Zeiträumen der Strafhaft auch kein Aufschubtatbestand aufgrund einer Anrechnungszeit wegen Arbeitslosigkeit gemäß § 43 Abs 4 S 1 iVm § 58 Abs 1 Nr 3 SGB VI vor. Insoweit fehlte es bereits mangels Verfügbarkeit (§§ 119, 120 SGB III in der bis 31.12.2004 geltenden Fassung; nunmehr §§ 138, 139 SGB III in der ab 1.4.2012 geltenden Fassung) an einer Arbeitslosigkeit im Rechtssinn. Denn neben einer entsprechenden Arbeitslosmeldung setzte die Verfügbarkeit im Falle von Inhaftierten voraus, dass die Aufnahme eines freien Beschäftigungsverhältnisses außerhalb der Haftanstalt als Freigänger seitens der Anstaltsleitung abstrakt gestattet war (BSG SozR 3-4100 § 103 Nr 24 S 99). Nach den Feststellungen des LSG hatte die Klägerin keine derartige Gestattung erhalten.

22

2. Die in § 43 Abs 2 S 1 Nr 2 SGB VI normierte besondere versicherungsrechtliche Voraussetzung der sog Drei-Fünftel-Belegung in den fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung begegnet auch für davon betroffene Strafgefangene keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.

23

a) Das Erfordernis der Drei-Fünftel-Belegung selbst ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Es geht auf Art 1 Nr 32 bzw Art 2 Nr 9 des Haushaltsbegleitgesetzes 1984 (vom 22.12.1983, BGBl I 1532) zurück. Die Regelung ist mit dem GG, insbesondere mit Art 14 GG, nicht zuletzt auch deshalb vereinbar, weil Versicherte, die vor dem 1.1.1984 eine Versicherungszeit von 60 Kalendermonaten zurückgelegt und damit eine Absicherung gegen das Risiko der Erwerbsminderung erworben hatten, ihre vom Eigentumsgrundrecht geschützten Anwartschaften durch Weiterzahlung freiwilliger Beiträge aufrechterhalten konnten und können (BVerfGE 75, 78, 96 ff, 103 = SozR 2200 § 1246 Nr 142 S 460 ff, 466; BVerfG SozR 3-2200 § 1246 Nr 64 S 297; BVerfG vom 20.9.2001 - 1 BvR 1423/94 - Juris RdNr 32).

24

b) Im Hinblick auf die besondere Situation von Strafgefangenen ist eine abweichende verfassungsrechtliche Beurteilung nicht geboten. Zwar führt das Erfordernis der Drei-Fünftel-Belegung dazu, dass eine länger dauernde Freiheitsstrafe nicht zuletzt wegen fehlender rentenrechtlicher Beitragszeiten für Gefangenenarbeit während der Haft (dazu oben unter 1. b - zur Versicherungs- und Beitragspflicht in der Arbeitslosenversicherung s aber § 26 Abs 1 Nr 4, § 345 Nr 3, § 347 Nr 3 SGB III) der Aufrechterhaltung einer bereits erworbenen Anwartschaft auf Erwerbsminderungsschutz in der GRV durch den Strafgefangenen entgegenstehen kann. Die Verhinderung des Verlusts einer rentenrechtlichen Anwartschaft als mögliche mittelbare Folge einer mit Freiheitsstrafe sanktionierten Straftat ist jedoch entgegen der Rechtsmeinung des LSG von Verfassungs wegen nicht geboten.

25

aa) Das Auslaufen einer Anwartschaft auf Rente wegen Erwerbsminderung während bzw aufgrund einer Strafhaft bewirkt keine Verletzung des von Art 14 Abs 1 GG geschützten Eigentumsgrundrechts.

26

Allerdings sind auch Anwartschaften auf eine Rente wegen Erwerbsminderung vom Schutzbereich der Eigentumsgarantie umfasst, soweit sie auf einer nicht unerheblichen eigenen Leistung beruhen (stRspr, vgl BVerfGE 116, 96, 121 = SozR 4-5050 § 22 Nr 5 RdNr 80; BVerfGE 128, 138, 147 = SozR 4-2600 § 77 Nr 9 RdNr 28 mwN; BVerfGE 131, 66, 79 f). Die konkrete Reichweite der Eigentumsgarantie ergibt sich für rentenrechtliche Anwartschaften aber erst aus der Bestimmung von Inhalt und Schranken des (Renten-)Eigentums, die nach Art 14 Abs 1 S 2 GG Sache des Gesetzgebers ist (BVerfGE 116, 96, 124 f = SozR 4-5050 § 22 Nr 5 RdNr 85; BVerfGE 128, 138, 148 = SozR 4-2600 § 77 Nr 9 RdNr 34). Inhaltsbestimmungen, die den Umfang einer Rentenanwartschaft reduzieren oder zu deren Verfall führen, müssen dabei einem Gemeinwohlzweck dienen und verhältnismäßig sein, dh sie müssen zur Erreichung des angestrebten Ziels geeignet und erforderlich sein und dürfen die davon Betroffenen nicht übermäßig (unzumutbar) belasten (BVerfGE 128, 138, 149 = SozR 4-2600 § 77 Nr 9 RdNr 35 mwN). Die Modifizierung des Anspruchs auf Rente wegen Erwerbsminderung in der GRV durch das Erfordernis der Drei-Fünftel-Belegung (§ 43 Abs 2 S 1 Nr 2 SGB VI) in der Weise, dass eine bereits erlangte Anwartschaft nur bei weiteren Pflichtbeitragszeiten für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit in hinreichender Belegungsdichte erhalten bleibt, andernfalls aber wegfällt und erneut erworben werden muss, enthält eine solche dem Gemeinwohl dienende und verhältnismäßige Inhaltsbestimmung (s dazu näher BVerfGE 75, 78, 96 ff, 103 = SozR 2200 § 1246 Nr 142 S 460 ff, 466; BSGE 70, 43, 45 f = SozR 3-2200 § 1247 Nr 9 S 26).

27

Eine Verfassungswidrigkeit des Erfordernisses der Drei-Fünftel-Belegung ergibt sich auch nicht für Versicherte, bei denen diese Regelung im Zusammenhang mit der Verbüßung von Strafhaft dazu führt, dass die Anwartschaft auf Rente wegen Erwerbsminderung verloren geht. Es fehlt insoweit an einer Beeinträchtigung des Eigentums iS der abwehrrechtlichen Dimension des Grundrechts. Dieses soll seinen Trägern einen Freiheitsraum im vermögensrechtlichen Bereich sichern und dadurch den Menschen eine eigenverantwortliche Gestaltung ihres Lebens ermöglichen (BVerfGE 131, 66, 80). Durch den Vollzug einer Freiheitsstrafe wird aber nicht von hoher Hand in eine (gegebenenfalls) bestehende Anwartschaft auf Rente wegen Erwerbsminderung aus der GRV eingegriffen und diese entwertet. Vielmehr verwirklicht sich - je nach den individuellen Umständen des betroffenen Gefangenen - im Einzelfall lediglich eine dieser Rechtsposition nach ihrer gesetzlichen Ausgestaltung von vornherein immanente Verfallsmöglichkeit (vgl Krause, Eigentum an subjektiven öffentlichen Rechten, 1982, S 171; Schirmer, Soziale Sicherung von Strafgefangenen, Diss Jena 2007, S 163 f). Verfällt die Rentenanwartschaft im Zusammenhang mit einer Strafhaft, ist dies somit Folge einer vorangegangenen eigenverantwortlichen - wenn auch strafrechtlich sanktionierten - Lebensgestaltung des Strafgefangenen, die ihm zuzurechnen ist und nicht dem Staat (vgl BVerfG SozR 3-2200 § 1246 Nr 64 S 298).

28

Insoweit gilt einerseits für Rentenanwartschaften nichts anderes als für sonstige Rechtspositionen, die im Gefolge einer Inhaftierung verloren gehen können (zB ein Arbeitsverhältnis aufgrund Kündigung durch den Arbeitgeber; eine angemietete Wohnung - zum Eigentumsschutz s BVerfGE 89, 1, 5 ff - wegen fehlender Finanzierbarkeit während der Haft; zum Verlust des Anspruchs auf Elterngeld während der Haft vgl BSG vom 4.9.2013 - B 10 EG 4/12 R - zur Veröffentlichung in SozR 4-7837 § 1 Nr 5 vorgesehen). Andererseits gilt für die Strafhaft nichts anderes als für sonstige Umstände, aufgrund derer gegebenenfalls die weitere Entrichtung von Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit unterbleibt (etwa der Wechsel in eine nicht pflichtversicherte selbständige Tätigkeit oder in ein Beamtenverhältnis oder auch längere Erwerbslosigkeit).

29

Soweit die Klägerin schließlich ihre Anwartschaft auf Rente wegen Erwerbsminderung nicht aufgrund der Übergangsregelung in Art 2 § 7b AnVNG (eingefügt durch Art 5 Nr 5 Haushaltsbegleitgesetz 1984, fortgeführt in § 241 Abs 2 SGB VI) aufrechterhalten konnte, beruht dies auf Umständen, die sich bereits vor Beginn ihrer Strafhaft verwirklicht hatten. Dabei kann offenbleiben, ob die Klägerin zum 1.1.1984 bereits die allgemeine Wartezeit erfüllt hatte. Das LSG ist zwar insoweit von lediglich 57 Kalendermonaten mit Pflichtbeitragszeiten ausgegangen, während sich aus dem in seinem Urteil in Bezug genommenen Versicherungsverlauf der Klägerin zum angegebenen Stichtag bereits Pflichtbeitragszeiten im Umfang von 62 Kalendermonaten ergeben. Das LSG hat jedoch zutreffend darauf hingewiesen, dass die Klägerin schon wegen der noch vor Beginn ihrer Inhaftierung entstandenen Lücken im Versicherungsverlauf (Dezember 1994 und Dezember 1997 bis November 1998) während der Haftzeit keine Möglichkeit mehr hatte, von der für sie günstigen Übergangsregelung Gebrauch zu machen und ihre Anwartschaft auf Rente wegen Erwerbsminderung durch Zahlung freiwilliger Beiträge aufrechtzuerhalten.

30

Entgegen der Rechtsmeinung der Klägerin begegnet es keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, dass die Verantwortung für den Verlust der Anwartschaft auf Rente wegen Erwerbsminderung bei ihr verbleibt (s hierzu auch BVerfG SozR 3-2200 § 1246 Nr 64 S 298). Wenn sie behauptet, es sei faktisch dem Zufall überlassen, zu welcher Freiheitsstrafe jemand verurteilt werde und ob er diese vollständig zu verbüßen habe oder vorzeitig entlassen werde, übersieht sie, dass sie diese Ausgangslage durch eine Straftat selbst herbeigeführt hat. Deshalb kann auch in ihrem Fall der Anwartschaftsverlust nicht als willkürlich iS von Art 3 Abs 1 GG angesehen werden.

31

bb) Wenn als Folge längerer Zeiten einer Inhaftierung die Anwartschaft auf Rente wegen Erwerbsminderung nicht erhalten bleibt, kann hierin auch kein Verstoß gegen Art 103 Abs 3 GG gesehen werden. Das dort niedergelegte Verbot der Doppelbestrafung beschränkt sich auf Kriminalstrafen nach den allgemeinen Strafgesetzen iS des Kern- und Nebenstrafrechts (BVerfGE 27, 180, 185). Rentenrechtliche Rechtsfolgen zählen hierzu ebenso wenig wie zB ein Verlust von Versorgungsbezügen (s hierzu BVerfGE 22, 387, 420).

32

cc) Aus dem aus Art 2 Abs 1 iVm Art 1 Abs 1 GG abgeleiteten Gebot, den Strafvollzug auf das Ziel der Resozialisierung hin auszurichten (BVerfGE 98, 169, 200; 116, 69, 85; 117, 71, 91), erwächst ebenfalls kein Anspruch auf Behandlung einer Haftzeit als für die Aufrechterhaltung einer Anwartschaft auf Rente wegen Erwerbsminderung unschädlichen Sachverhalt. Das verfassungsrechtliche Resozialisierungsgebot betrifft in erster Linie die Ausgestaltung des Strafvollzugs durch den Gesetzgeber und die Vollzugsanstalten. Gefangenen soll die Fähigkeit und der Wille zu verantwortlicher Lebensführung vermittelt werden, damit sie sich in Zukunft unter den Bedingungen einer freien Gesellschaft ohne Rechtsbruch behaupten, ihre Chancen wahrnehmen und ihre Risiken bestehen können (Vollzugsziel der sozialen Integration - s BVerfGE 98, 169, 200; 116, 69, 85). Die Vollzugsanstalten sind deshalb verpflichtet, schädlichen Auswirkungen des Freiheitsentzugs auf die Persönlichkeit im Rahmen des Möglichen zu begegnen und durch eine Vorbereitung des Inhaftierten auf die Entlassung dafür Sorge zu tragen, dass dieser wenigstens ansatzweise Orientierung für ein normales Leben finden kann (BVerfGE 109, 133, 150; 117, 71, 91; BVerfGK 8, 36, 41). Soweit das Resozialisierungsgebot sich an den Gesetzgeber richtet und auch die Ausgestaltung der Rahmenbedingungen einer Wiedereingliederung in die Gesellschaft betrifft, legt es den Gesetzgeber allerdings nicht auf ein bestimmtes Regelungskonzept fest. Vielmehr ist ihm ein weiter Gestaltungsspielraum eröffnet, der ihn nicht dazu verpflichten kann, von Strafgefangenen jegliche negative Auswirkungen der Haft - hier: auf ihre rentenrechtlichen Anwartschaften - abzuwenden (vgl BVerfGE 98, 169, 201, 204). Diesen Gestaltungsspielraum haben die Gerichte zu respektieren; sie dürfen eine verfassungsgemäße Regelung des Gesetzgebers nicht unter Berufung auf bessere Resozialisierungsmöglichkeiten abändern oder ausweiten, sondern sind darauf beschränkt, diesen Gesichtspunkt im Rahmen einer methodengerechten Auslegung von unbestimmten Rechtsbegriffen oder von Generalklauseln zur Geltung zu bringen (vgl BVerfGE 98, 169, 201).

33

Nichts anderes folgt aus der Entscheidung des 9a-Senats des BSG vom 29.3.2007 (BSGE 98, 178 = SozR 4-3800 § 2 Nr 2, RdNr 20), auf die sich das LSG für seinen Lösungsvorschlag beruft. Wenn das BSG dort ausführt, der Staat sei aufgrund des Resozialisierungsgrundsatzes verpflichtet, schädlichen Auswirkungen des Freiheitsentzugs auf die Inhaftierten im Rahmen des Möglichen zu begegnen, so bezieht sich das auf die Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs der "Unbilligkeit" in § 2 Abs 1 S 1 OEG(aaO RdNr 16); in diesem Rahmen sei die Versagung von Leistungen der Opferentschädigung gegenüber einem von Mithäftlingen tätlich angegriffenen Strafgefangenen unter Hinweis auf die Verwirklichung "gefängniseigentümlicher Gefahren des Strafvollzugs" ausgeschlossen. Eine generelle Befugnis zur Ausweitung gesetzlicher Regelungen unter Berufung auf das Resozialisierungsgebot, wie das LSG sie befürwortet, nimmt die genannte BSG-Entscheidung hingegen nicht in Anspruch.

34

3. Auf dieser Grundlage ist die vom LSG vorgenommene erweiternde Auslegung der Aufschubtatbestände in § 43 Abs 4 SGB VI iS einer Verlängerung des maßgeblichen Fünf-Jahres-Zeitraums auch in Fällen von dort nicht erfassten Haftzeiten nicht statthaft.

35

a) Eine solche Auslegung kann nicht mit dem Gebot verfassungskonformer Gesetzesauslegung (s hierzu BVerfGE 119, 247, 274 mwN; BVerfG Beschluss vom 11.7.2013 - 2 BvR 2302/11 ua - NJW 2013, 3151 RdNr 77) gerechtfertigt werden. Denn die bestehende Regelung in § 43 Abs 2 S 1 Nr 2 iVm Abs 4 SGB VI, die auch nach Ansicht des LSG gemäß dem Gesetzeswortlaut keine Berücksichtigung von Haftzeiten als Verlängerungstatbestand zulässt, ist - wie oben näher begründet - auch in Bezug auf Strafgefangene nicht verfassungswidrig.

36

b) Eine analoge Anwendung der Regelungen zu Aufschubtatbeständen in § 43 Abs 4 SGB VI auf dort nicht genannte Haftzeiten scheidet ebenfalls aus. Insoweit fehlt es an einer dem erkennbaren Willen des Gesetzgebers zuwiderlaufenden Gesetzeslücke als Voraussetzung eines jeden Analogieschlusses (vgl BSGE 109, 147 = SozR 4-3800 § 1 Nr 19, RdNr 39; Senatsurteil SozR 4-3250 § 49 Nr 2 RdNr 43, jeweils mwN). Das ergibt sich schon daraus, dass der Gesetzgeber des Rentenreformgesetzes 1992 (RRG 1992) in § 43 Abs 4 SGB VI die bislang in § 1246 Abs 2a S 2 RVO bzw § 23 Abs 2a S 2 AVG enthaltenen Regelungen zu den Aufschubtatbeständen im Wesentlichen unverändert übernommen hat (vgl BT-Drucks 11/4124 S 163 - zu § 43). Wenn er dabei von einer Berücksichtigung von Haftzeiten abgesehen hat, obwohl ihm die Entscheidung des BSG vom 26.5.1988 (SozR 2200 § 1246 Nr 157 S 509)bekannt sein musste, ist davon auszugehen, dass diese (Nicht-)Regelung dem gesetzgeberischen Willen entspricht. Zudem macht auch die noch immer nicht in Kraft gesetzte Sonderregelung zur Sozialversicherung für Strafgefangene (§ 190 Nr 13 iVm § 198 Abs 3 StVollzG) deutlich, dass deren Ausschluss von der GRV erst zukünftig beseitigt werden soll. Ebenso zeigt die ausdrückliche, aber auf das Recht der Arbeitsförderung beschränkte Anerkennung der Versicherungspflicht von Gefangenenarbeit (§ 26 Abs 1 Nr 4 SGB III, zuvor § 168 Abs 3 AFG), dass der Gesetzgeber die sozialversicherungsrechtlichen Folgen einer Strafhaft durchaus im Blick hatte.

37

Das Fehlen einer planwidrigen Lücke verdeutlicht auch die Regelung in § 241 Abs 1 SGB VI(vgl Schirmer, aaO S 156 f). Nach ihr verlängert sich der für die Drei-Fünftel-Belegung maßgebliche Fünf-Jahres-Zeitraum vor Eintritt der Erwerbsminderung auch um Ersatzzeiten vor dem 1.1.1992. Hierzu zählen - unter weiteren Voraussetzungen - nach § 250 Abs 1 Nr 5 und 5a SGB VI auch Zeiten, in denen Versicherte in Gewahrsam genommen worden sind, wenn sie zum Personenkreis des § 1 des Häftlingshilfegesetzes gehören oder nur deshalb nicht gehören, weil sie vor dem 3.10.1990 ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Beitrittsgebiet genommen haben (Nr 5), oder im Beitrittsgebiet in der Zeit vom 8.5.1945 bis 30.6.1990 einen Freiheitsentzug erlitten haben, soweit eine auf Rehabilitierung oder Kassation erkennende Entscheidung ergangen ist (Nr 5a). Diese ausdrücklich geregelten Aufschubtatbestände erfassen Fälle einer unrechtmäßigen Inhaftierung aus politischen Gründen oder einer rechtsstaatswidrigen Freiheitsentziehung in der DDR. Sie bestätigen zugleich die Wertung des Gesetzgebers, dass eine rechtmäßige Inhaftierung keinen Aufschubtatbestand begründen soll (vgl auch die durch das RRG 1992 in § 205 Abs 1 SGB VI für den Fall entschädigungspflichtiger Strafverfolgungsmaßnahmen neu eröffnete Möglichkeit der Nachzahlung freiwilliger Beiträge, die unter bestimmten Umständen als Pflichtbeiträge gelten und damit gemäß § 55 Abs 2 Nr 1 SGB VI auch bei der Drei-Fünftel-Belegung Berücksichtigung finden; s hierzu näher BT-Drucks 11/4124 S 191 - zu § 200).

38

C) Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

(1) Ein Verwaltungsakt wird gegenüber demjenigen, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird, in dem Zeitpunkt wirksam, in dem er ihm bekannt gegeben wird. Der Verwaltungsakt wird mit dem Inhalt wirksam, mit dem er bekannt gegeben wird.

(2) Ein Verwaltungsakt bleibt wirksam, solange und soweit er nicht zurückgenommen, widerrufen, anderweitig aufgehoben oder durch Zeitablauf oder auf andere Weise erledigt ist.

(3) Ein nichtiger Verwaltungsakt ist unwirksam.

(1) Mit der Klage kann begehrt werden

1.
die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses,
2.
die Feststellung, welcher Versicherungsträger der Sozialversicherung zuständig ist,
3.
die Feststellung, ob eine Gesundheitsstörung oder der Tod die Folge eines Arbeitsunfalls, einer Berufskrankheit oder einer Schädigung im Sinne des Bundesversorgungsgesetzes ist,
4.
die Feststellung der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts,
wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat.

(2) Unter Absatz 1 Nr. 1 fällt auch die Feststellung, in welchem Umfang Beiträge zu berechnen oder anzurechnen sind.

(3) Mit Klagen, die sich gegen Verwaltungsakte der Deutschen Rentenversicherung Bund nach § 7a des Vierten Buches Sozialgesetzbuch richten, kann die Feststellung begehrt werden, ob eine Erwerbstätigkeit als Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit ausgeübt wird.

(1) Ein Verwaltungsakt ist nichtig, soweit er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offensichtlich ist.

(2) Ohne Rücksicht auf das Vorliegen der Voraussetzungen des Absatzes 1 ist ein Verwaltungsakt nichtig,

1.
der schriftlich oder elektronisch erlassen worden ist, die erlassende Behörde aber nicht erkennen lässt,
2.
der nach einer Rechtsvorschrift nur durch die Aushändigung einer Urkunde erlassen werden kann, aber dieser Form nicht genügt,
3.
den aus tatsächlichen Gründen niemand ausführen kann,
4.
der die Begehung einer rechtswidrigen Tat verlangt, die einen Straf- oder Bußgeldtatbestand verwirklicht,
5.
der gegen die guten Sitten verstößt.

(3) Ein Verwaltungsakt ist nicht schon deshalb nichtig, weil

1.
Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit nicht eingehalten worden sind,
2.
eine nach § 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 bis 6 ausgeschlossene Person mitgewirkt hat,
3.
ein durch Rechtsvorschrift zur Mitwirkung berufener Ausschuss den für den Erlass des Verwaltungsaktes vorgeschriebenen Beschluss nicht gefasst hat oder nicht beschlussfähig war,
4.
die nach einer Rechtsvorschrift erforderliche Mitwirkung einer anderen Behörde unterblieben ist.

(4) Betrifft die Nichtigkeit nur einen Teil des Verwaltungsaktes, ist er im Ganzen nichtig, wenn der nichtige Teil so wesentlich ist, dass die Behörde den Verwaltungsakt ohne den nichtigen Teil nicht erlassen hätte.

(5) Die Behörde kann die Nichtigkeit jederzeit von Amts wegen feststellen; auf Antrag ist sie festzustellen, wenn der Antragsteller hieran ein berechtigtes Interesse hat.

(1) Mit der Klage kann begehrt werden

1.
die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses,
2.
die Feststellung, welcher Versicherungsträger der Sozialversicherung zuständig ist,
3.
die Feststellung, ob eine Gesundheitsstörung oder der Tod die Folge eines Arbeitsunfalls, einer Berufskrankheit oder einer Schädigung im Sinne des Bundesversorgungsgesetzes ist,
4.
die Feststellung der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts,
wenn der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat.

(2) Unter Absatz 1 Nr. 1 fällt auch die Feststellung, in welchem Umfang Beiträge zu berechnen oder anzurechnen sind.

(3) Mit Klagen, die sich gegen Verwaltungsakte der Deutschen Rentenversicherung Bund nach § 7a des Vierten Buches Sozialgesetzbuch richten, kann die Feststellung begehrt werden, ob eine Erwerbstätigkeit als Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit ausgeübt wird.

(1) Ein Verwaltungsakt ist nichtig, soweit er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offensichtlich ist.

(2) Ohne Rücksicht auf das Vorliegen der Voraussetzungen des Absatzes 1 ist ein Verwaltungsakt nichtig,

1.
der schriftlich oder elektronisch erlassen worden ist, die erlassende Behörde aber nicht erkennen lässt,
2.
der nach einer Rechtsvorschrift nur durch die Aushändigung einer Urkunde erlassen werden kann, aber dieser Form nicht genügt,
3.
den aus tatsächlichen Gründen niemand ausführen kann,
4.
der die Begehung einer rechtswidrigen Tat verlangt, die einen Straf- oder Bußgeldtatbestand verwirklicht,
5.
der gegen die guten Sitten verstößt.

(3) Ein Verwaltungsakt ist nicht schon deshalb nichtig, weil

1.
Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit nicht eingehalten worden sind,
2.
eine nach § 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 bis 6 ausgeschlossene Person mitgewirkt hat,
3.
ein durch Rechtsvorschrift zur Mitwirkung berufener Ausschuss den für den Erlass des Verwaltungsaktes vorgeschriebenen Beschluss nicht gefasst hat oder nicht beschlussfähig war,
4.
die nach einer Rechtsvorschrift erforderliche Mitwirkung einer anderen Behörde unterblieben ist.

(4) Betrifft die Nichtigkeit nur einen Teil des Verwaltungsaktes, ist er im Ganzen nichtig, wenn der nichtige Teil so wesentlich ist, dass die Behörde den Verwaltungsakt ohne den nichtigen Teil nicht erlassen hätte.

(5) Die Behörde kann die Nichtigkeit jederzeit von Amts wegen feststellen; auf Antrag ist sie festzustellen, wenn der Antragsteller hieran ein berechtigtes Interesse hat.

(1) Wer sich einer gesetzlichen Unterhaltspflicht entzieht, so daß der Lebensbedarf des Unterhaltsberechtigten gefährdet ist oder ohne die Hilfe anderer gefährdet wäre, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Wer einer Schwangeren zum Unterhalt verpflichtet ist und ihr diesen Unterhalt in verwerflicher Weise vorenthält und dadurch den Schwangerschaftsabbruch bewirkt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 13. März 2012 insoweit aufgehoben, als es die Rücknahme der mit Bescheid der Beklagten vom 20. Juni 2008 erfolgten Elterngeldbewilligung sowie die Erstattung der entsprechenden Leistungen in Höhe von 9450 Euro betrifft. In diesem Umfang wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Im Übrigen wird die Revision der Beklagten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Streitig ist die Aufhebung eines Elterngeld bewilligenden Bescheides sowie die Erstattung von Elterngeldzahlungen in Höhe von insgesamt 28 350 Euro.

2

Der 1988 geborene Kläger wurde im Sommer 2008 von dem damaligen Mitarbeiter der Beklagten, Herrn Z. (im Folgenden: Z.), angesprochen, ob er ihm sein Bankkonto für den Eingang von Geldzahlungen zur Verfügung stellen könne. Z. war dem Kläger durch eine gemeinsame Mitgliedschaft im Sportverein und über eine Freundschaft der Familie der Frau des Z. mit den Eltern des Klägers bekannt. Zur Herkunft des Geldes gab Z. an, dieses stamme von seinem Arbeitgeber bzw seiner Mutter und könne nicht auf sein eigenes Konto gezahlt werden, da seine Frau von dem Geld nichts erfahren solle. Nach Eingang solle der Kläger das Geld an ihn weitergeben. Weiter teilte Z. dem Kläger mit, dass dieser von seinem Arbeitgeber, also der Beklagten, an diesen - den Kläger - adressierte Schreiben erhalten werde, die er ihm ungeöffnet aushändigen solle.

3

In der Folgezeit fälschte Z. einen Antrag des kinderlosen Klägers auf Elterngeld für vermeintliche Kinder, die Zwillinge Elias und Linus, angeblich geboren am 31.3.2007. Unter Zusammenwirken weiterer Mitarbeiter der Beklagten bewilligte diese dem Kläger mit Bescheid vom 20.6.2008 Elterngeld nach dem Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG) für die Lebensmonate eins bis vierzehn der nicht existierenden Zwillinge in Höhe von monatlich 675 Euro, insgesamt 9450 Euro. Sämtliche an ihn adressierten Sendungen der Beklagten, auch die mit dem Bescheid vom 20.6.2008, öffnete der Kläger (nach seinen Angaben) nicht und übergab sie so dem Z. Am 24.6.2008 wurden in 14 einzelnen Gutschriften auf dem Konto des Klägers die Monatsbeträge in Höhe von 675 Euro unter der Bezeichnung "VERGUETUNG PN:931" sowie mit dem Hinweis "Bundeskasse W., Konto: 0 BLZ: 7 , BEEG 1, LM Auszahlung" gutgeschrieben. Anschließend legte der Kläger diese Beträge auf seinem Tagesgeldkonto an und händigte das Geld in der Folgezeit vollständig dem Z. aus, ohne hierfür ein Entgelt oder eine Beteiligung zu erhalten. Dieser lud ihn lediglich ab und zu nach dem Sport "auf ein Bier" ein.

4

Ende 2008/Anfang 2009 nahm Z. erneut Kontakt zum Kläger auf mit der Frage, ob er ihm nochmals sein Konto für den Eingang von Geldzahlungen zur Verfügung stellen könne. Daraufhin fälschte Z. zwei Anträge nicht existierender Personen, Frau Marylin Alison und Frau Sinem Connor, auf Elterngeld für deren vermeintliche jeweilige Zwillingskinder Dave und Michel Alison bzw Ahmad und Efnur Connor. Als Bankverbindung gab Z. jeweils das Konto des Klägers an, dem hierauf nochmals zweimal 9450 Euro (jeweils 14 mal 675 Euro) zuflossen. Grundlage der Überweisungen waren die Bescheide vom 7.1.2009 und 4.2.2009, die zwar an die fiktiven Personen versandt wurden, jedoch als unzustellbar an die Beklagte zurückliefen. Der Kläger hat in der Folgezeit auch diese Geldbeträge vollständig dem Z. übergeben. Ein Schreiben oder einen Bescheid der Beklagten erhielt er in diesen beiden Fällen nicht.

5

Z. und die mit ihm zusammenwirkenden Mitarbeiter verursachten durch ihr Vorgehen bei der Beklagten einen Schaden in Höhe von insgesamt 108 450 Euro. Nachdem Z. die volle Verantwortung für sein Tun übernommen hatte und auch gegenüber dem Kläger hatte anwaltlich erklären lassen, die volle Haftung zu übernehmen, nahm er sich im September 2009 das Leben. Die Erben des Z. schlugen das Erbe aus, die Mittäter wurden strafrechtlich verurteilt. Ein Strafverfahren gegen den Kläger wurde nach § 170 Abs 2 Strafprozessordnung eingestellt.

6

Durch Anhörungsschreiben vom 27.5.2009 teilte die Beklagte dem Kläger mit, er habe ohne rechtlichen Grund für nicht existierende Kinder Elterngeld in Höhe von insgesamt 28 350 Euro erhalten, die zu erstatten seien. Mit Bescheid vom 2.7.2009 nahm die Beklagte dann den Bescheid vom 20.6.2008 zurück und stellte eine Erstattungspflicht des Klägers in Höhe von 28 350 Euro fest. Soweit der Bewilligungsbescheid vom 20.6.2008 nicht bereits wegen Betruges bzw Untreue nichtig sei, werde er für die Vergangenheit zurückgenommen, weil er rechtswidrig sei. Es sei dem Kläger Elterngeld für nicht existierende Kinder bewilligt worden. Dieser könne sich nicht auf schutzwürdiges Vertrauen berufen, da er grob fahrlässig gehandelt habe. Die Rechtswidrigkeit des Bescheides sei ihm angesichts der Bewilligung von Elterngeld für nicht existierende Kinder bekannt gewesen. Er sei auch zur Rückzahlung des durch die Bescheide vom 7.1.2009 und 4.2.2009 bewilligten Elterngeldes verpflichtet, da er den fehlenden rechtlichen Grund für diese Überweisungen hätte erkennen müssen. Aus den Angaben auf seinem Kontoauszug habe ihm die überweisende Stelle - die Bundeskasse - und die Gewährung der Leistungen für fortlaufende Lebensmonate bekannt sein müssen. Der hiergegen gerichtete Widerspruch des Klägers, der dabei auf das Protokoll seiner Vernehmung bei der Polizei vom 9.6.2009 Bezug nahm, blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 31.8.2009).

7

Die vom Kläger anschließend erhobene Klage ist vom Sozialgericht Karlsruhe (SG) abgewiesen worden (Urteil vom 16.12.2010). Dabei hat das SG die Auffassung vertreten: Die Beklagte habe zu Recht den Bescheid vom 20.6.2008 zurückgenommen und die Erstattung des mit diesem Bescheid bewilligten Elterngeldes sowie die Erstattung des aufgrund der Bescheide vom 7.1. und 4.2.2009 ausbezahlten Elterngeldes geltend gemacht. Der Bescheid vom 20.6.2008 sei ein für den Kläger erkennbarer rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt gewesen, da durch diesen Elterngeld für nicht existierende Kinder des Klägers bewilligt worden sei. Diese Rechtswidrigkeit habe der Kläger infolge grober Fahrlässigkeit nicht gekannt. Hätte er den Bescheid gelesen, wäre dies ohne Weiteres erkennbar gewesen. Für den Kläger bestehe aber eine Obliegenheit, an ihn gerichtete Bescheide zu lesen und zur Kenntnis zu nehmen. Hiervon sei er auch nicht dadurch befreit, dass Z. ihn gebeten habe, die Schreiben ungeöffnet an ihn zu übergeben.

8

Die weiteren, aufgrund der Bescheide vom 7.1. und 4.2.2009 überwiesenen Beträge habe der Kläger gemäß § 50 Abs 2 SGB X zu erstatten, weil für ihn aus den Angaben auf seinen Kontoauszügen ersichtlich nur infolge grober Fahrlässigkeit nicht ersichtlich gewesen sei, dass es sich bei der überweisenden Stelle um eine staatliche Stelle gehandelt habe. Somit hätte er den Charakter der Leistung als öffentlich-rechtlich erkennen müssen. Da die Bescheide vom 7.1. und 4.2.2009 nicht wirksam geworden seien, sei dieses Elterngeld ohne Verwaltungsakt an den Kläger erbracht worden. Dieser könne sich nicht auf ein schutzwürdiges Vertrauen berufen, da er grob fahrlässig nicht erkannt habe, dass die auf sein Konto überwiesenen Beträge weder ihm noch Z. zugestanden hätten. Allein aus der Nennung der überweisenden Stelle, der Bundeskasse W., habe dem Kläger ersichtlich sein müssen, dass die Beträge nicht von der Mutter des Z. überwiesen worden sein konnten. Auch habe sich dem Kläger die Frage aufdrängen müssen, ob es sich wirklich um Lohnzahlungen an Z. gehandelt habe. Insoweit hätte bei dem Kläger Anlass bestanden, bei Z. nachzufragen. Im Übrigen habe die Beklagte das ihr zustehende Ermessen rechtsfehlerfrei ausgeübt. Auch könne sich der Kläger nicht auf einen Wegfall der Bereicherung berufen.

9

Auf die Berufung des Klägers hat das Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) mit Urteil vom 13.3.2012 das Urteil des SG sowie die angefochtenen Bescheide der Beklagten im Wesentlichen aus folgenden Gründen aufgehoben: Sowohl der Erstattungsanspruch nach § 50 Abs 1 SGB X als auch der nach § 50 Abs 2 SGB X setze voraus, dass die Beklagte dem Kläger sozialrechtliche Leistungen habe zufließen lassen und ihm auf sozialrechtlichem bzw öffentlich-rechtlichem Gebiet gegenübergetreten sei. Vorliegend sei der Beklagten aber das Handeln des Z. nicht zuzurechnen, weshalb sie gegenüber dem Kläger nicht auf der Grundlage einer öffentlich-rechtlichen Norm (BEEG) eine öffentliche Aufgabe (Entscheidung über die Bewilligung bzw die Auszahlung von Elterngeld) wahrgenommen habe. Dies gelte auch, wenn Z. im Außenverhältnis befugt gewesen sei, für die Beklagte Elterngeldzahlungen freizugeben und Entscheidungen mit Wirkung für und gegen die Beklagte zu treffen (vgl § 164 BGB). Bei einer bewussten und gewollten Straftat, wie der vorliegenden, überschreite der Mitarbeiter die ihm eingeräumte Befugnis, eine Behörde zu vertreten. Dieses strafbare Handeln könne dem Handeln einer zum Erlass von Verwaltungsakten allgemein nicht befugten Person gleichgestellt werden, sodass es auf die Frage, ob der Kläger die Kompetenzüberschreitung durch Z. kannte oder hätte kennen müssen, nicht ankomme. Damit sei die Beklagte dem Kläger nicht hoheitlich in Wahrnehmung einer öffentlich-rechtlichen Verwaltungstätigkeit gegenübergetreten und könne die geleisteten Zahlungen nicht aufgrund öffentlich-rechtlicher Erstattungsregelungen zurückfordern, und zwar weder gemäß § 50 Abs 3 SGB X durch Verwaltungsakt noch im Wege eines öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs. Eventuelle zivilrechtliche Ansprüche seien nicht Streitgegenstand.

10

Bei dem Bescheid vom 20.6.2008 habe es sich um einen sog Nichtakt gehandelt, sodass der Beklagten für dessen Aufhebung keine sozialrechtlichen Normen zur Verfügung gestanden hätten. Dieses Schreiben vom 20.6.2008 sei kein Verwaltungsakt nach § 31 S 1 SGB X gewesen, weil es nicht als Maßnahme einer Behörde der Beklagten zugerechnet werden könne. Denn ihre Mitarbeiter hätten insoweit ihre grundsätzlich bestehende Zeichnungsbefugnis bzw Freigabeberechtigung zur Begehung von Straftaten ausgenutzt. Schließlich sei der Bescheid vom 20.6.2008 niemals bekannt gegeben worden und habe daher seine (äußere) Wirksamkeit iS des § 39 Abs 1 SGB X nicht erlangt. Z. habe bei der Freigabe einen wirklichen Willen zum Erstellen und zur Bekanntgabe eines die Beklagte bindenden Bescheides über eine Sozialleistung nicht haben können, sodass durch seine Handlung die Beklagte nicht habe rechtlich gebunden werden können und eine wirksame Bekanntgabe des Bescheides nicht gegeben sei. Handele es sich somit um einen Nichtakt, der der Beklagten nicht zuzurechnen sei, so könne dieser weder nach § 40 SGB X nichtig sein, noch könne die Beklagte den Nichtakt nach § 45 SGB X zurücknehmen. Es liege keine nach den Regeln des SGB X fassbare Verwaltungsentscheidung vor.

11

Zur Begründung ihrer vom LSG zugelassenen Revision trägt die Beklagte ua vor: Entgegen der Auffassung des LSG habe Z. innerhalb des Umfangs der ihm zugewiesenen Vertretungsbefugnis gehandelt. Das Risiko, dass der Vertreter von seiner Vertretungsmacht unbefugt Gebrauch mache, trage der Vertretene. Aus der Regelung des § 40 SGB X könne abgeleitet werden, dass auch gesetzlose Verwaltungsakte oder reine Willkürmaßnahmen einer Behörde zuzurechnen seien und damit "Maßnahmen einer Behörde" sein könnten. Die Lehre vom Missbrauch der Vertretungsmacht finde im Verwaltungsverfahren keine Anwendung. Folge des Missbrauchs der eingeräumten Vertretungsmacht durch Z. sei somit die Rechtswidrigkeit, allenfalls die Nichtigkeit der Maßnahme, unter keinen Umständen jedoch deren Qualifizierung als der Beklagten nicht zurechenbares Handeln im Sinne eines sog Nichtakts. Die unstreitige Tatsache, dass Z. die ihm eingeräumte Vertretungsmacht und Freigabebefugnis dadurch missbraucht habe, dass er die Überweisung von Elterngeld für in Wahrheit überhaupt nicht existierende Kinder bewirkt habe, wodurch der Straftatbestand der Untreue iS von § 266 Abs 1 Strafgesetzbuch verwirklicht worden sei, habe aus den vorstehend erwähnten Gründen nicht zur Folge, dass dieses Verhalten der Beklagten schlechthin nicht zurechenbar wäre. Mit Blick auf die Regelung des § 45 Abs 2 S 3 Nr 1 SGB X, die durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkte Verwaltungsakte für rücknehmbar und folglich nicht für nichtig erkläre, bleibe kein Raum für die Annahme, dass es sich bei Maßnahmen oder Entscheidungen, die auf einer strafbaren Untreue von Behördenmitarbeitern beruhten, um einen der Behörde unter keinen Umständen zurechenbaren Nichtakt handele. Entgegen der Auffassung des LSG sei der Bescheid vom 20.6.2008 auch bekannt gegeben und habe seine äußere Wirksamkeit iS von § 39 Abs 1 SGB X erlangt. Z. sei im Außenverhältnis zur Freigabe von Bescheiden über Bundeselterngeld und von entsprechenden Überweisungen befugt gewesen. Entgegen dem vom LSG vertretenen Standpunkt sei sein Handeln nicht als Überschreitung dieser Vertretungsmacht, sondern als Missbrauch der ihm eingeräumten Vertretungsmacht zu qualifizieren. Dieses Verhalten sei der Beklagten somit zuzurechnen. Vor diesem Hintergrund sei nicht ersichtlich, weshalb es an einem Bekanntgabewillen des Z. gefehlt haben sollte. Daran ändere auch der Umstand nichts, dass der Bescheid im Rahmen eines automatisierten Verfahrens erstellt und versandt worden sei. In den Fällen der maschinellen Fertigung eines Bescheides im Anschluss an die "Papierakten gestützte" Bearbeitung werde der Bekanntgabewille bei abschließender Zeichnung der Aktenverfügung durch den zuständigen Amtsträger - hier Z. - gebildet (Hinweis auf BFH Urteil vom 27.6.1986 - VI R 23/83 - BFHE 147, 205).

12

Die Beklagte beantragt sinngemäß,
das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 13. März 2012 aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 16. Dezember 2010 zurückzuweisen.

13

Der Kläger beantragt,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

14

Er hält das vorinstanzliche Urteil für zutreffend und führt ergänzend ua aus: Ein bewusstes Zusammenwirken der kriminellen Bediensteten mit dem Kläger sei ausweislich der Ermittlungen der Staatsanwaltschaft nicht gegeben gewesen. Die Qualifizierung der Handlungen der Bediensteten der Beklagten als Nichtakte unterliege keinen Zweifeln, da durch deren in Bereicherungsabsicht konstruierte Scheinfälle kein Handeln vorliege, welches der Behörde als solcher zugerechnet werden könne. In § 44 Abs 2 Nr 6 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) sei ausdrücklich erwähnt, dass einem Verwaltungsakt keinerlei Bedeutung oder Wirkung zukommen könne, der gegen die guten Sitten verstoße. Eine entsprechende Wertung enthalte § 138 BGB, wonach sittenwidrige Handlungen grundsätzlich keine rechtlichen Wirkungen entfalten könnten. Insoweit sei für einen Verstoß gegen § 44 Abs 2 Nr 6 VwVfG im Ergebnis ein Widerspruch zu den Mindestanforderungen anständigen und rechtlichen Verhaltens ausreichend.

Entscheidungsgründe

15

Die Revision der Beklagten ist zulässig. Sie ist gemäß § 160 Abs 1 SGG statthaft, weil sie vom LSG mit Urteil vom 13.3.2012 zugelassen worden ist. Einlegung und Begründung der Revision sind ordnungsgemäß erfolgt (§ 164 SGG). Das BSG ist für die Entscheidung des Rechtsstreits in der Revisionsinstanz zuständig (§ 39 Abs 1, §§ 160 ff SGG). Ob der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit begründet ist (§ 51 Abs 1 SGG), ist im Revisionsverfahren nicht mehr zu prüfen, nachdem die Zulässigkeit des Rechtswegs von der ersten Instanz in einem Sachurteil bejaht worden ist (§ 17a Abs 5 GVG; vgl BSG Urteil vom 24.7.2001 - B 4 RA 102/00 R - SozR 3-1300 § 50 Nr 24 S 78 = Juris RdNr 12 mwN und Urteil vom 22.8.2012 - B 14 AS 165/11 R - SozR 4-1300 § 50 Nr 3 RdNr 9).

16

Die Revision ist insoweit teilweise begründet, als das Berufungsurteil die Rücknahme der mit Bescheid der Beklagten vom 20.6.2008 an den Kläger erfolgten Elterngeldbewilligung sowie die Erstattung der entsprechenden Leistungen in Höhe von 9450 Euro betrifft. In diesem Umfang ist die Sache an das LSG zurückzuverweisen, weil für eine abschließende Entscheidung weitere Tatsachenfeststellungen erforderlich sind. Im Übrigen ist die Revision unbegründet.

17

Der Kläger erstrebt mit einer isolierten Anfechtungsklage (§ 54 Abs 1 S 1 SGG) die Aufhebung des Bescheides der Beklagten vom 2.7.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31.8.2009. Der angefochtene Verwaltungsakt enthält zwei Regelungen:

-       

Rücknahme des Bescheides der Beklagten vom 20.6.2008 über die Bewilligung von Elterngeld an den Kläger in Höhe von insgesamt 9450 Euro

-       

Feststellung einer Erstattungspflicht des Klägers in Höhe von 28 350 Euro.

Dabei setzt sich der zu erstattende Betrag wie folgt zusammen:

-       

9450 Euro (dem Kläger bewilligtes Elterngeld)

-       

9450 Euro (der fiktiven Antragstellerin Marylin Alison bewilligtes Elterngeld, das von der Beklagten "antragsgemäß" auf das Konto des Klägers überwiesen worden ist)

-       

9450 Euro (der fiktiven Antragstellerin Sinem Connor bewilligtes Elterngeld, das von der Beklagten "antragsgemäß" auf das Konto des Klägers überwiesen worden ist).

18

Dieser Verwaltungsakt ist in formeller Hinsicht rechtlich nicht zu beanstanden. Die grundsätzlich erforderliche Anhörung (§ 24 SGB X) ist erfolgt. Der Verwaltungsakt enthält auch eine ausreichende Begründung (§ 35 SGB X). In materieller Hinsicht ist eine differenzierte Prüfung geboten.

19

1. Die Beklagte hat die Rücknahme der an den Kläger gerichteten Elterngeldbewilligung im Grundsatz zutreffend auf § 45 SGB X gestützt. Danach kann ein rechtswidriger Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, für die Vergangenheit nur unter den Einschränkungen des § 45 Abs 2 bis 4 SGB X zurückgenommen werden.

20

a) Bei dem Bewilligungsbescheid vom 20.6.2008 handelt es sich entgegen der Auffassung des LSG nicht um einen sog Nichtakt, sondern um einen Verwaltungsakt. Gemäß § 31 S 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalls auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist.

21

Seiner Form und seinem Inhalt nach erfüllt der Bescheid vom 20.6.2008 diese Kriterien. Er ist auf dem Gebiet des Elterngeldrechts ergangen und regelt einen entsprechenden vermeintlichen Anspruch des Klägers. Dass dieser Bescheid von Z. zur Begehung einer Straftat erstellt worden ist, ändert an seiner Qualität als Verwaltungsakt nichts. Diese ist insoweit nach dem objektiven Empfängerhorizont zu bewerten (vgl BSG SozR 3-1300 § 50 Nr 13 S 34).

22

Die in dem Bescheid vom 20.6.2008 enthaltene Regelung ist der Beklagten zuzurechnen. Wie das LSG festgestellt hat, war Z. zur Erteilung von Verwaltungsakten dieser Art befugt. Nach zivilrechtlichen Grundsätzen trägt der Vertretene iS von § 164 BGB grundsätzlich das Risiko, dass der Vertreter die ihm eingeräumte Vertretungsmacht nach außen hin missbraucht(vgl Schramm in Münchner Komm, BGB, 6. Aufl 2012, § 164 RdNr 96; Ellenberger in Palandt, BGB, 72. Aufl 2013, § 164 RdNr 1 und 13 mwN). Etwas anderes gilt nur im Falle kollusiven Zusammenwirkens zwischen dem Vertreter und dem Empfänger der Willenserklärung zum Nachteil des Vertretenen wegen sittenwidrigen Verhaltens gemäß § 138 Abs 1 BGB(BGH Urteil vom 17.5.1988 - VI ZR 233/87 - NJW 1989, 26) sowie bei einem für den Empfänger offensichtlichen Missbrauch der Vertretungsmacht (vgl BGH Urteil vom 29.6.1999 - VI ZR 227/98 - NJW 1999, 2883). Diese Grundsätze sind im Prinzip auch bei der Vertretung von Behörden anzuwenden (vgl Wolff/Bachof/Stober/Kluth, Verwaltungsrecht I, 12. Aufl 2007, § 35 RdNr 1 ff). Ein Grund, hier davon abzuweichen, ist nicht ersichtlich. Ein kollusives Zusammenwirken zwischen Z. und dem Kläger hat nach den Feststellungen des LSG nicht vorgelegen, Z. hat den Kläger über seine wahre Absicht getäuscht.

23

Von einem Verwaltungsakt zu unterscheiden ist ein sog Nichtakt, also eine Handlung, die von jemandem herrührt, der unter keinem denkbaren Gesichtspunkt zu behördlichem Handeln befugt ist (vgl BFHE 125, 347, 349; 150, 70; BVerwGE 140, 245; BSG Urteil vom 28.1.2009 - B 6 KA 11/08 R - SozR 4-1500 § 77 Nr 2 RdNr 16, 23 f). Dazu gehören auch erzwungene Handlungen und Scherzerklärungen (vgl insgesamt Steinwedel in Kasseler Komm, Stand März 2013, § 40 SGB X RdNr 8 mwN). Ein solcher Nichtakt liegt hier nicht vor. Die Beklagte hat - handelnd durch den dazu befugten Z. - mit dem an den Kläger gesandten Bescheid vom 20.6.2008 den Anschein einer rechtmäßigen Amtsausübung erweckt (vgl auch BSG SozR 4-2600 § 2 Nr 6 RdNr 16; SozR 3-1300 § 50 Nr 13 S 34).

24

b) Der Bescheid vom 20.6.2008 ist auch gemäß § 39 Abs 1 S 1 SGB X durch Bekanntgabe iS von § 37 SGB X wirksam geworden. Nach der erstgenannten Vorschrift wird ein Verwaltungsakt gegenüber demjenigen, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird, in dem Zeitpunkt wirksam, in dem er ihm bekannt gegeben wird. Ein schriftlicher Verwaltungsakt, der - wie hier - im Inland durch die Post übermittelt wird, gilt gemäß § 37 Abs 2 S 1 SGB X am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben. Dies gilt nicht, wenn der Verwaltungsakt nicht oder zu einem späteren Zeitpunkt zugegangen ist (§ 37 Abs 2 S 3 Halbs 1 SGB X). Die Wirksamkeit iS von § 39 Abs 1 S 1 SGB X betrifft die Außenwirkung des Verwaltungsaktes, nicht dessen formelle oder materielle Rechtmäßigkeit(vgl Steinwedel in Kasseler Komm, SGB X, Stand März 2013, § 39 RdNr 6 ff mwN). Mit seiner Bekanntgabe iS von § 37 SGB X erlangt ein Verwaltungsakt seine äußere Wirksamkeit gegenüber dem Adressaten und wird für die erlassende Behörde bindend(vgl BSG SozR 4-4200 § 22 Nr 13 RdNr 18; BSGE 53, 284, 286 f = SozR 5550 § 15 Nr 1).

25

Solange ein grundsätzlich dazu berechtigter Mitarbeiter die Bekanntgabe veranlasst hat, sind interne behördliche Befugnisse oder Zuständigkeiten ohne Belang (vgl BFHE 147, 205; 152, 32; BSGE 58, 63, 65 f = SozR 1300 § 45 Nr 16; Steinwedel, aaO, RdNr 8; Krasney in Kasseler Komm, Stand März 2013, § 37 SGB X RdNr 3; Engelmann in von Wulffen, SGB X, 7. Aufl 2010, § 37 RdNr 3 mwN),es sei denn, der Verwaltungsakt ist wegen Nichtigkeit (§ 40 SGB X) unwirksam (§ 39 Abs 3 SGB X). Dies umfasst denknotwendig, wie im vorliegenden Fall, auch die durch Computer unterstützte Verfahrensbearbeitung.

26

Die zielgerichtete Mitteilung des Verwaltungsaktes durch die Behörde gegenüber dem Adressaten stellt eine ausreichende Bekanntgabe iS von § 37 Abs 1 S 1 SGB X dar, auch wenn dieser den Inhalt des Schreibens (Bescheides) nicht zur Kenntnis nimmt. Der Adressat eines ausdrücklich an ihn gerichteten Verwaltungsaktes kann den Eintritt dessen Wirksamkeit nicht durch Verweigerung der Annahme oder Unterlassen der Kenntnisnahme verhindern. Es besteht grundsätzlich eine Obliegenheit, Bescheide zu lesen und deren Inhalt zur Kenntnis zu nehmen. Anderenfalls wären die Regelungen über Inhalt, Form, Begründung und Bekanntgabe von Verwaltungsakten (vgl §§ 31 ff SGB X) kaum verständlich (vgl BSG Urteil vom 8.2.2001 - B 11 AL 21/00 R - SozR 3-1300 § 45 Nr 45 S 153 f = Juris RdNr 25 f mwN). Es genügt, wenn der Verwaltungsakt so in den Machtbereich eines Adressaten gelangt ist, dass dieser die Möglichkeit der Kenntnisnahme hat (vgl insgesamt hierzu: Krasney in Kasseler Komm, Stand März 2013, § 37 SGB X RdNr 3 mwN).

27

Nach den bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) hat der dazu befugte Z. die Versendung des Bescheides vom 20.6.2008 an den Kläger veranlasst. Der Kläger hat "seinen Angaben zufolge" die Sendung des an ihn andressierten Bescheides vom 20.6.2008 erhalten, diese Sendung aber - abredegemäß - ungeöffnet an Z. weitergegeben. Dem entgegenstehende Anhaltspunkte liegen nicht vor. Da die Sendung mit dem Bewilligungsbescheid den Kläger erreicht hat und er sie in seinen Händen gehabt hat, ist von einer erfolgten Bekanntgabe auszugehen, unabhängig davon, ob der Kläger die Sendung geöffnet und den Bescheid gelesen hat.

28

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der angeblich zwischen Z. und dem Kläger getroffenen Absprache, wonach der Kläger die Sendung ungeöffnet an Z. weitergeben sollte. Seinem Inhalt nach sollte durch den Bescheid vom 20.6.2008 dem Kläger Elterngeld bewilligt werden (vgl dazu Steinwedel in Kasseler Komm, Stand März 2013, § 39 RdNr 19); also war dieser Verwaltungsakt für den Kläger bestimmt. Er sollte diesem bekannt gegeben werden (vgl § 37 Abs 1 SGB X). Diese Bekanntgabe konnte der Kläger nicht durch eine Vereinbarung mit Z. verhindern. Was er mit der ihm zugegangenen Sendung getan hat, fällt in seinen Risikobereich. Dementsprechend ist es unerheblich, ob er sich im Verhältnis zur Beklagten irrtümlich für einen Empfangsbevollmächtigten oder Empfangsboten des Z. gehalten hat. Ein solcher konnte er nur für Sendungen der Beklagten sein, die tatsächlich für Z. bestimmt gewesen wären.

29

c) Der Bescheid vom 20.6.2008 war auch nicht gemäß § 39 Abs 3 SGB X wegen Nichtigkeit unwirksam, eine solche hat weder gemäß § 40 Abs 1 noch nach Abs 2 SGB X vorgelegen.

30

Zum einen liegen die enumerativ aufgeführten Voraussetzungen nach § 40 Abs 2 SGB X erkennbar nicht vor. Insbesondere eine Nichtigkeit nach § 40 Abs 2 Nr 4 SGB X scheidet bereits deshalb aus, weil der betreffende Bescheid von dem Kläger keine rechtswidrige Tat verlangt, sondern diesem lediglich rechtswidrig eine Leistung gewährt. Aus der Tatsache, dass Z. seine Stellung bei der Beklagten missbraucht hat, um sich durch den Erlass des Bescheides vom 20.6.2008 zu bereichern, folgt auch keine Nichtigkeit gemäß § 40 Abs 2 Nr 5 SGB X wegen eines Verstoßes gegen die guten Sitten(§ 138 Abs 1 BGB). Denn die in dem Bescheid enthaltene Regelung der Gewährung von Elterngeld ist zwar inhaltlich unrichtig, weil der Kläger keine Kinder hatte, verletzt aber aus sich heraus nach seinem Regelungsgehalt nicht das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden (vgl hierzu BSG SozR 3-1300 § 40 Nr 2 S 18).

31

Schließlich führt der Umstand, dass der Bescheid vom 20.6.2008 vom zuständigen Sachbearbeiter Z. zur Begehung einer Straftat erlassen worden ist, nicht zur Nichtigkeit gemäß § 40 Abs 1 SGB X. Dieser Bescheid ist zwar inhaltlich unrichtig, weil er Elterngeld für nicht existierende Kinder des Klägers gewährt. Soweit darin ein schwerwiegender Fehler liegt, ist dieser jedoch nicht offensichtlich, da er nicht jedem ohne Weiteres erkennbar ist. Vielmehr bedarf es dazu einer Kenntnis der persönlichen Verhältnisse des Klägers. Darauf ist jedoch nicht abzustellen, zumal auch ein durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkter Verwaltungsakt - wie § 45 Abs 2 S 3 Nr 1 SGB X zeigt - vom Gesetzgeber nicht als nichtig (und damit unwirksam), sondern als rücknehmbar eingestuft wird(vgl dazu Steinwedel in Kasseler Komm, Stand März 2013, § 40 RdNr 16 mwN).

32

d) Eine Rücknahme des rechtswidrigen begünstigenden Bescheides vom 20.6.2008 für die Vergangenheit ist nur unter den Voraussetzungen des § 45 Abs 2 SGB X zulässig, der einen weitgehenden Vertrauensschutz vorsieht. Nach § 45 Abs 2 S 3 SGB X kann sich der Begünstigte allerdings auf Vertrauen nicht berufen, soweit

-       

er den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung, Drohung oder Bestechung erwirkt hat (Nr 1),

-       

der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat (Nr 2), oder

-       

er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat.

Allein die letztgenannte Bestimmung kommt hier in Betracht.

33

Das LSG hat § 45 SGB X nicht als einschlägig angesehen und demzufolge dessen Voraussetzungen nicht geprüft. Insbesondere wird im Berufungsurteil nicht darauf eingegangen, inwiefern der Kläger infolge grober Fahrlässigkeit den Inhalt des Bewilligungsbescheides und damit dessen Rechtswidrigkeit nicht kannte. Diese tatrichterliche Prüfung kann das BSG nicht selbst nachholen (vgl BSGE 62, 103, 107 = SozR 1300 § 48 Nr 39; BSG SozR 3-1300 § 45 Nr 45 S 154 f = Juris RdNr 27 mwN; Steinwedel in Kasseler Komm, Stand März 2013, § 45 SGB X, RdNr 39 mwN), sodass ihm eine abschließende Beurteilung in diesem Punkt verwehrt ist. Daher ist das Berufungsurteil insoweit aufzuheben und die Sache gemäß § 170 Abs 2 S 2 SGG an das LSG zurückzuverweisen.

34

2. Soweit die Beklagte mit dem angefochtenen Verwaltungsakt das dem Kläger in Höhe von 9450 Euro gezahlte Elterngeld zurückfordert, ist § 50 Abs 1 SGB X einschlägig, weil diese Leistung aufgrund des Bewilligungsbescheides vom 20.6.2008 erfolgt ist. Da eine Erstattungspflicht des Klägers in Bezug auf diesen Betrag nur besteht, soweit dieser Verwaltungsakt aufgehoben worden ist, hängt sie davon ab, ob der Bescheid der Beklagten vom 2.7.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31.8.2009 insoweit Bestand hat. Dazu kann auf der Grundlage der Tatsachenfeststellungen des LSG noch keine abschließende Entscheidung ergehen. Folglich ist das Berufungsurteil auch insoweit aufzuheben, als es eine Pflicht des Klägers zur Erstattung des ihm bewilligten und gezahlten Elterngeldes in Höhe von 9450 Euro betrifft. Ebenso ist dieser Gegenstand in die Zurückverweisung der Sache an das LSG einzubeziehen.

35

3. Die Revision der Beklagten ist unbegründet, soweit diese mit Bescheid vom 2.7.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31.8.2009 vom Kläger eine Erstattung des Elterngeldes gefordert hat, das aufgrund der Bescheide vom 7.1. und 4.2.2009 zu Gunsten von zwei fiktiven Antragstellerinnen (Marylin Alison und Sinem Connor) in Höhe von zusammen 18 900 Euro auf das Konto des Klägers überwiesen worden ist. Das LSG hat im Ergebnis zutreffend entschieden, dass der Erstattungsbescheid insoweit rechtswidrig ist.

36

Als Ermächtigungsgrundlage für den angefochtenen Verwaltungsakt kommt insoweit § 50 Abs 2 SGB X in Betracht. Nach dieser Vorschrift sind Leistungen zu erstatten, soweit sie ohne Verwaltungsakt zu Unrecht erbracht worden sind (S 1). Die Regelungen der §§ 45 und 48 SGB X gelten entsprechend(S 2). Dabei ist die zu erstattende Leistung gemäß § 50 Abs 3 S 1 SGB X durch schriftlichen Verwaltungsakt festzusetzen. Zwar sind die der Zahlung zugrundeliegenden Bescheide vom 7.1. und 4.2.2009 mangels Bekanntgabe nicht wirksam geworden (§ 39 Abs 1 S 1 SGB X), sodass die Beträge ohne Verwaltungsakt an den Kläger geflossen sind. Soweit die Beklagte jedoch mit dem angefochtenen Verwaltungsakt den Kläger zur Rückzahlung des den nicht existierenden Personen Marylin Alison und Sinem Connor bewilligten Elterngeldes in Höhe von 18 900 Euro verpflichtet hat, kann sie sich nicht auf § 50 Abs 2 SGB X stützen.

37

Der Erstattungsanspruch nach § 50 SGB X ist die Kehrseite des Leistungsanspruchs(vgl BSGE 61, 11, 12 = SozR 1300 § 50 Nr 13 S 19). Dementsprechend können gestützt auf diese Vorschrift nur Sozialleistungen iS der §§ 1, 11 SGB I zurückgefordert werden. Elterngeld ist eine solche Leistung (§ 25 Abs 2 SGB I). Die fraglichen Beträge sind von der Beklagten aufgrund der (allerdings nicht wirksam gewordenen) Bescheide vom 7.1. und 4.2.2009 über die Bewilligung von Elterngeld auf das Konto des Klägers überwiesen worden. Es sollte sich mithin um Elterngeldzahlungen handeln, die für die (nicht existierenden) Antragstellerinnen Marylin Alison und Sinem Connor bestimmt waren. Es kann offenbleiben, ob der Kläger die Eigenschaft der Zahlungseingänge als Sozialleistung erkennen konnte. Jedenfalls sind an ihn keine Sozialleistungen erbracht worden.

38

Nach § 50 Abs 2 SGB X sind Leistungen nur von dem zu erstatten, dem sie erbracht worden sind. Wann ein "Erbringen" vorliegt, wird in der Literatur unterschiedlich beurteilt; insbesondere ist streitig, ob die Leistung im Rahmen eines bestehenden Sozialleistungsverhältnisses bewirkt worden sein muss (vgl dazu Schütze in von Wulffen, SGB X, 7. Aufl 2010, § 50 RdNr 6 mwN). Auf diese Meinungsunterschiede kommt es hier nicht an. Ist nämlich bei der Leistungserbringung lediglich ein "Durchlaufempfänger" dazwischengeschaltet, wird die Leistung nicht an diesen, sondern an die vom Leistungsträger als berechtigt angesehene Person erbracht (vgl Steinwedel in Kasseler Komm, Stand März 2013, § 50 SGB X RdNr 16). Dies trifft gerade auch dann zu, wenn die Zahlung - wie hier - auf ein vom (vermeintlichen) Antragsteller angegebenes Konto einer anderen Person überwiesen wird, der ersichtlich keine eigene Einzugsberechtigung zusteht (vgl BSGE 61, 11, 12 = SozR 1300 § 50 Nr 13 S 19 f; allgemein dazu auch BSG SozR 1300 § 50 Nr 16, 17; BSG SozR 3-1300 § 50 Nr 10; BSG SozR 4-1300 § 50 Nr 3).

39

4. Das LSG wird - soweit erforderlich - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

(1) Ein Verwaltungsakt ist nichtig, soweit er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offensichtlich ist.

(2) Ohne Rücksicht auf das Vorliegen der Voraussetzungen des Absatzes 1 ist ein Verwaltungsakt nichtig,

1.
der schriftlich oder elektronisch erlassen worden ist, die erlassende Behörde aber nicht erkennen lässt,
2.
der nach einer Rechtsvorschrift nur durch die Aushändigung einer Urkunde erlassen werden kann, aber dieser Form nicht genügt,
3.
den aus tatsächlichen Gründen niemand ausführen kann,
4.
der die Begehung einer rechtswidrigen Tat verlangt, die einen Straf- oder Bußgeldtatbestand verwirklicht,
5.
der gegen die guten Sitten verstößt.

(3) Ein Verwaltungsakt ist nicht schon deshalb nichtig, weil

1.
Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit nicht eingehalten worden sind,
2.
eine nach § 16 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 bis 6 ausgeschlossene Person mitgewirkt hat,
3.
ein durch Rechtsvorschrift zur Mitwirkung berufener Ausschuss den für den Erlass des Verwaltungsaktes vorgeschriebenen Beschluss nicht gefasst hat oder nicht beschlussfähig war,
4.
die nach einer Rechtsvorschrift erforderliche Mitwirkung einer anderen Behörde unterblieben ist.

(4) Betrifft die Nichtigkeit nur einen Teil des Verwaltungsaktes, ist er im Ganzen nichtig, wenn der nichtige Teil so wesentlich ist, dass die Behörde den Verwaltungsakt ohne den nichtigen Teil nicht erlassen hätte.

(5) Die Behörde kann die Nichtigkeit jederzeit von Amts wegen feststellen; auf Antrag ist sie festzustellen, wenn der Antragsteller hieran ein berechtigtes Interesse hat.

(1) Für das Verfahren nach diesem Buch gilt das Zehnte Buch. Abweichend von Satz 1 gilt § 44 des Zehnten Buches mit der Maßgabe, dass

1.
rechtswidrige nicht begünstigende Verwaltungsakte nach den Absätzen 1 und 2 nicht später als vier Jahre nach Ablauf des Jahres, in dem der Verwaltungsakt bekanntgegeben wurde, zurückzunehmen sind; ausreichend ist, wenn die Rücknahme innerhalb dieses Zeitraums beantragt wird,
2.
anstelle des Zeitraums von vier Jahren nach Absatz 4 Satz 1 ein Zeitraum von einem Jahr tritt.
Abweichend von Satz 1 gelten die §§ 45, 47 und 48 des Zehnten Buches mit der Maßgabe, dass ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit nicht aufzuheben ist, wenn sich ausschließlich Erstattungsforderungen nach § 50 Absatz 1 des Zehnten Buches von insgesamt weniger als 50 Euro für die Gesamtheit der Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft ergäben. Bei der Prüfung der Aufhebung nach Satz 3 sind Umstände, die bereits Gegenstand einer vorherigen Prüfung nach Satz 3 waren, nicht zu berücksichtigen. Die Sätze 3 und 4 gelten in den Fällen des § 50 Absatz 2 des Zehnten Buches entsprechend.

(2) Entsprechend anwendbar sind die Vorschriften des Dritten Buches über

1.
(weggefallen)
2.
(weggefallen)
3.
die Aufhebung von Verwaltungsakten (§ 330 Absatz 2, 3 Satz 1 und 4);
4.
die vorläufige Zahlungseinstellung nach § 331 mit der Maßgabe, dass die Träger auch zur teilweisen Zahlungseinstellung berechtigt sind, wenn sie von Tatsachen Kenntnis erhalten, die zu einem geringeren Leistungsanspruch führen;
5.
die Erstattung von Beiträgen zur Kranken-, Renten- und Pflegeversicherung (§ 335 Absatz 1, 2 und 5); § 335 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 5 in Verbindung mit Absatz 1 Satz 1 ist nicht anwendbar, wenn in einem Kalendermonat für mindestens einen Tag rechtmäßig Bürgergeld nach § 19 Absatz 1 Satz 1 gewährt wurde; in den Fällen des § 335 Absatz 1 Satz 2 und Absatz 5 in Verbindung mit Absatz 1 Satz 2 besteht kein Beitragserstattungsanspruch.

(3) Liegen die in § 44 Absatz 1 Satz 1 des Zehnten Buches genannten Voraussetzungen für die Rücknahme eines rechtswidrigen nicht begünstigenden Verwaltungsaktes vor, weil dieser auf einer Rechtsnorm beruht, die nach Erlass des Verwaltungsaktes

1.
durch eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts für nichtig oder für unvereinbar mit dem Grundgesetz erklärt worden ist oder
2.
in ständiger Rechtsprechung anders als durch den für die jeweilige Leistungsart zuständigen Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende ausgelegt worden ist,
so ist der Verwaltungsakt, wenn er unanfechtbar geworden ist, nur mit Wirkung für die Zeit nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts oder ab dem Bestehen der ständigen Rechtsprechung zurückzunehmen. Bei der Unwirksamkeit einer Satzung oder einer anderen im Rang unter einem Landesgesetz stehenden Rechtsvorschrift, die nach § 22a Absatz 1 und dem dazu ergangenen Landesgesetz erlassen worden ist, ist abweichend von Satz 1 auf die Zeit nach der Entscheidung durch das Landessozialgericht abzustellen.

(4) Der Verwaltungsakt, mit dem über die Gewährung von Leistungen nach diesem Buch abschließend entschieden wurde, ist mit Wirkung für die Zukunft ganz aufzuheben, wenn in den tatsächlichen Verhältnissen der leistungsberechtigten Person Änderungen eintreten, aufgrund derer nach Maßgabe des § 41a vorläufig zu entscheiden wäre.

(5) Verstirbt eine leistungsberechtigte Person oder eine Person, die mit der leistungsberechtigten Person in häuslicher Gemeinschaft lebt, bleiben im Sterbemonat allein die dadurch eintretenden Änderungen in den bereits bewilligten Leistungsansprüchen der leistungsberechtigten Person und der mit ihr in Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen unberücksichtigt; die §§ 48 und 50 Absatz 2 des Zehnten Buches sind insoweit nicht anzuwenden. § 118 Absatz 3 bis 4a des Sechsten Buches findet mit der Maßgabe entsprechend Anwendung, dass Geldleistungen, die für die Zeit nach dem Monat des Todes der leistungsberechtigten Person überwiesen wurden, als unter Vorbehalt erbracht gelten.

(6) § 50 Absatz 1 des Zehnten Buches ist mit der Maßgabe anzuwenden, dass Gutscheine in Geld zu erstatten sind. Die leistungsberechtigte Person kann die Erstattungsforderung auch durch Rückgabe des Gutscheins erfüllen, soweit dieser nicht in Anspruch genommen wurde. Eine Erstattung der Leistungen nach § 28 erfolgt nicht, soweit eine Aufhebungsentscheidung allein wegen dieser Leistungen zu treffen wäre. Satz 3 gilt nicht im Fall des Widerrufs einer Bewilligungsentscheidung nach § 29 Absatz 5 Satz 2.

(7) § 28 des Zehnten Buches gilt mit der Maßgabe, dass der Antrag unverzüglich nach Ablauf des Monats, in dem die Ablehnung oder Erstattung der anderen Leistung bindend geworden ist, nachzuholen ist.

(8) Für die Vollstreckung von Ansprüchen der in gemeinsamen Einrichtungen zusammenwirkenden Träger nach diesem Buch gilt das Verwaltungs-Vollstreckungsgesetz des Bundes; im Übrigen gilt § 66 des Zehnten Buches.

(9) § 1629a des Bürgerlichen Gesetzbuchs gilt mit der Maßgabe, dass sich die Haftung eines Kindes auf das Vermögen beschränkt, das bei Eintritt der Volljährigkeit den Betrag von 15 000 Euro übersteigt.

(10) Erstattungsansprüche nach § 50 des Zehnten Buches, die auf die Aufnahme einer bedarfsdeckenden sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung zurückzuführen sind, sind in monatlichen Raten in Höhe von 10 Prozent des maßgebenden Regelbedarfs zu tilgen. Dies gilt nicht, wenn vor Tilgung der gesamten Summe erneute Hilfebedürftigkeit eintritt.

(1) Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Dies gilt nicht, wenn der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Betroffene vorsätzlich in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat.

(2) Im Übrigen ist ein rechtswidriger nicht begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft zurückzunehmen. Er kann auch für die Vergangenheit zurückgenommen werden.

(3) Über die Rücknahme entscheidet nach Unanfechtbarkeit des Verwaltungsaktes die zuständige Behörde; dies gilt auch dann, wenn der zurückzunehmende Verwaltungsakt von einer anderen Behörde erlassen worden ist.

(4) Ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden, werden Sozialleistungen nach den Vorschriften der besonderen Teile dieses Gesetzbuches längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der Rücknahme erbracht. Dabei wird der Zeitpunkt der Rücknahme von Beginn des Jahres an gerechnet, in dem der Verwaltungsakt zurückgenommen wird. Erfolgt die Rücknahme auf Antrag, tritt bei der Berechnung des Zeitraumes, für den rückwirkend Leistungen zu erbringen sind, anstelle der Rücknahme der Antrag.

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.