Gericht

Sozialgericht Augsburg

Tenor

Der Beklagte hat ein Viertel der außergerichtlichen Kosten der Klägerinnen zu erstatten.

Gründe

Gemäß § 193 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) hat das Gericht auf Antrag durch Beschluss unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben, wenn das gerichtliche Verfahren anders als durch Urteil endet. Für die Kostenentscheidung sind insbesondere die Erfolgsaussichten der Klage zu berücksichtigen. Weiter sind die Gründe für die Klageerhebung und die Erledigung zu prüfen (vgl. BayLSG, Beschluss vom 3. Februar 2009, L 20 B 201/08 R).

Gegenstand des Verfahrens war eine Untätigkeitsklage zwecks Entscheidung über einen Überprüfungsantrag bezüglich des Bescheids des Beklagten vom 7. Februar 2017; damit wurde über die vorläufige Leistungsbewilligung für März und April 2017 geändert. Ziel des nicht konkretisierten Antrags vom 6. April 2017 war die vollständige und umfassende Überprüfung des Bescheids vom 7. Februar 2017. Am 16. Oktober 2017 ist - ohne weitere Rückfrage beim Beklagten - die vorliegende Untätigkeitsklage erhoben worden. Unter dem 30. Oktober 2017 hat der Beklagte sodann die Überprüfung des Bescheids vom 7. Februar 2017 abgelehnt. Das Verfahren ist inzwischen für erledigt erklärt und Kostenentscheidung durch das Gericht beantragt worden.

Die Klägerseite hat geltend gemacht, der Beklagte habe keine Gründe für seine Untätigkeit genannt. Dieser wiederum hat eingewendet, der Klage fehle das Rechtsschutzbedürfnis. Denn aufgrund des gestellten Überprüfungsantrags ohne Konkretisierung habe die begehrte Sachprüfung nicht vorgenommen werden können. Damit wäre dem Überprüfungsbegehren nur formell entsprochen. Hieran könne kein schutzwürdiges Interesse bestehen.

Angesichts dieser Umstände entspricht es der Billigkeit, dass der Beklagte ein Viertel der außergerichtlichen Kosten der Klägerseite erstattet.

Der Überprüfungsantrag wurde nicht innerhalb der Frist nach § 88 Abs. 1 SGG beschieden. Das Gericht geht jedoch nicht davon aus, dass die Untätigkeitsklage mangels Rechtsschutzbedürfnis bereits unzulässig war. Zu sehen ist, dass die Frage, ob ein Überprüfungsantrag eine inhaltliche Prüfpflicht des Leistungsträgers auslöst (vgl. BSG, Urteil vom 12. Oktober 2016, B 4 AS 37/15 R), nicht immer ohne Weiteres zu entscheiden ist. Grundsätzlich muss der Leistungsträger eine Überprüfung vornehmen und nur im Ausnahmefall kann dies anders sein. Dies spricht dagegen, die Prüfung bereits im Rahmen der Zulässigkeit einer (Untätigkeits-)Klage vorzunehmen, sondern dies muss regelmäßig der Begründetheit vorbehalten bleiben. So verhält es sich auch im vorliegenden Fall, bei dem nicht offenkundig ein unzureichender Überprüfungsantrag gestellt worden war. Für den Beklagten war zumindest der Umfang der Prüfung („vollständig und umfassend“) gut erkennbar, obschon keinerlei weitere Gründe für die Annahme der Unrichtigkeit genannt worden waren. Schließlich stellt der Beklagte seinen Standpunkt selbst dadurch infrage, dass er inzwischen entschieden hat, ohne dass eine weitere Konkretisierung des Überprüfungsbegehrens erfolgt wäre.

Gegen eine Kostenerstattung kann ferner nicht ins Feld geführt werden die fehlende Konkretisierung des Antrags vom 6. April 2017. Dies würde vielmehr allein bei der Kostenentscheidung zu berücksichtigen sein, falls dem Überprüfungsantrag schlussendlich Erfolg beschieden sein sollte.

Allerdings hätte sich eine Nachfrage, Aufforderung zur Entscheidung oder sonstige Reaktion gegenüber dem Beklagten vor Erhebung einer Untätigkeitsklage aufgedrängt. Der Beklagte hat außerdem zumindest zügig nach Erhebung der Untätigkeitsklage entschieden und die sechsmonatige Entscheidungsfrist war bei Klageerhebung nur unwesentlich überschritten.

In der Gesamtschau hält das Gericht deswegen eine Kostenerstattung in Höhe eines Viertels für angemessen. Dem Beklagten ist zumindest anzulasten, dass er die nun erfolgte Entscheidung, welche ohne Sachprüfung vorgenommen wurde, bereits früher ohne größeren Aufwand hätte treffen können. Dadurch hat er die Klageerhebung mit veranlasst. Dies wiegt in der Summe aber nicht derart schwer, dass eine höhere Kostenerstattungsquote gerechtfertigt wäre.

Dieser Beschluss ist nach § 172 Abs. 3 Nr. 3 SGG unanfechtbar.

ra.de-Urteilsbesprechung zu Sozialgericht Augsburg Beschluss, 17. Nov. 2017 - S 8 AS 1191/17

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Sozialgericht Augsburg Beschluss, 17. Nov. 2017 - S 8 AS 1191/17 zitiert 4 §§.

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 193


(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen ha

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 172


(1) Gegen die Entscheidungen der Sozialgerichte mit Ausnahme der Urteile und gegen Entscheidungen der Vorsitzenden dieser Gerichte findet die Beschwerde an das Landessozialgericht statt, soweit nicht in diesem Gesetz anderes bestimmt ist. (2) Pro

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 88


(1) Ist ein Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsakts ohne zureichenden Grund in angemessener Frist sachlich nicht beschieden worden, so ist die Klage nicht vor Ablauf von sechs Monaten seit dem Antrag auf Vornahme des Verwaltungsakts zulässig. Liegt

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Bundessozialgericht Urteil, 12. Okt. 2016 - B 4 AS 37/15 R

bei uns veröffentlicht am 12.10.2016

Tenor Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 23. Juli 2015 - L 7 AS 546/14 - wird zurückgewiesen.

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(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.

(1) Ist ein Antrag auf Vornahme eines Verwaltungsakts ohne zureichenden Grund in angemessener Frist sachlich nicht beschieden worden, so ist die Klage nicht vor Ablauf von sechs Monaten seit dem Antrag auf Vornahme des Verwaltungsakts zulässig. Liegt ein zureichender Grund dafür vor, daß der beantragte Verwaltungsakt noch nicht erlassen ist, so setzt das Gericht das Verfahren bis zum Ablauf einer von ihm bestimmten Frist aus, die verlängert werden kann. Wird innerhalb dieser Frist dem Antrag stattgegeben, so ist die Hauptsache für erledigt zu erklären.

(2) Das gleiche gilt, wenn über einen Widerspruch nicht entschieden worden ist, mit der Maßgabe, daß als angemessene Frist eine solche von drei Monaten gilt.

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 23. Juli 2015 - L 7 AS 546/14 - wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander auch für das Revisionsverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Tatbestand

1

Streitig sind höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in der Zeit vom 1.1.2006 bis 31.12.2010.

2

Der Beklagte bewilligte dem 1959 geborenen Kläger, der seit 1.10.2005 durchgehend ein Gewerbe mit An- und Verkauf von Flohmarktartikeln, Computern sowie einen Ebay-Handel betreibt, vom 1.10.2005 bis 1.2.2011 SGB II-Leistungen, zuletzt ab 1.12.2010 (Bescheid vom 22.11.2010; Widerspruchsbescheid vom 8.3.2011). Der Kläger ist geschieden und Vater eines Kindes, das bei der Mutter lebt. Seit Mai 2008 tilgt er Rückstände wegen Zahlungen von Unterhaltsvorschussleistungen, in der Zeit vom 1.1.2006 bis 30.9.2008 mit einer Rate in Höhe von monatlich 100,00 Euro. Seit Juni 2009 erbringt er zusätzlich wegen aufgelaufener Schulden aus Unterhaltsverpflichtungen gegenüber seiner ehemaligen Frau Raten zu 50,00 Euro monatlich. Zeitweise erfolgten Zahlungen auf den laufenden, titulierten Kindesunterhalt.

3

Mit den beiden Überprüfungsanträgen vom 15.12.2010 und 15.3.2011, jeweils "für die Zeit ab 01.01.2006", führte der Kläger aus, seine Unterhaltsverpflichtungen bzw Unterhaltszahlungen an die minderjährige Tochter und die ehemalige Ehefrau seien nicht ausreichend berücksichtigt worden. Diese Anträge lehnte der Beklagte ab. Zahlungen auf laufenden Kindesunterhalt seien zugrunde gelegt worden; solche auf Unterhaltsrückstände seien nicht vom Einkommen abzusetzen (Bescheid vom 4.8.2011; Widerspruchsbescheid vom 20.1.2012).

4

Bezugnehmend auf ein Urteil des SG Augsburg vom 13.3.2012, nach dessen Inhalt für den Zeitraum vom 1.5.2008 bis 30.11.2009 wegen Tilgung von Unterhaltschulden höhere SGB II-Leistungen erbracht werden sollten, beantragte der Kläger am 8.5.2012 erneut die Überprüfung "betreffend sämtlicher Bewilligungsbescheide ab 2006 bis einschließlich Ende 2010." Dies lehnte der Beklagte mit dem Hinweis ab, dass eine Überprüfung nur für maximal ein Jahr zurückliegende Bescheide möglich sei. Frühere Bewilligungszeiträume könnten nicht über den Umweg des Überprüfungsbescheids Gegenstand eines erneuten Verfahrens werden (Bescheid vom 9.5.2012; Widerspruchsbescheid vom 6.6.2012).

5

Das SG hat den Bescheid des Beklagten vom 9.5.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 6.6.2012 teilweise aufgehoben und ihn verpflichtet, den (letzten) Bewilligungsbescheid vom 22.11.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8.3.2011 abzuändern und dem Kläger für Januar 2011 höhere Leistungen zu bewilligen. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen (Urteil vom 16.6.2014). Zur Begründung seiner Entscheidung hat es ausgeführt, in den rückwirkenden Zeitraum der Überprüfung von einem Jahr falle auch der Überprüfungsbescheid vom 4.8.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.1.2012, weshalb alle Zeiträume, die im Rahmen dieses Bescheids zu überprüfen gewesen seien, nochmals zu prüfen seien, also alle Bewilligungsbescheide, die nach dem 1.1.2007 ergangen seien. Bis auf die Bewilligung von SGB II-Leistungen für Januar 2011 seien diese Bescheide rechtmäßig gewesen. Im Januar 2011 sei aber eine Zahlung auf laufenden, titulierten Kindesunterhalt nicht einkommensmindernd berücksichtigt worden. Auch wegen eines höheren Regelbedarfs hätten dem Kläger im Januar 2011 höhere Leistungen von insgesamt 841,76 Euro zugestanden.

6

Das LSG hat die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 23.7.2015). Zur Begründung seiner Entscheidung hat es ausgeführt, nach dem Berufungsantrag sei Streitgegenstand ein Anspruch auf höhere SGB II-Leistungen für den Zeitraum vom 1.1.2006 bis 31.12.2010. Diesen Anspruch verfolge der Kläger prozessual zum einen dadurch, dass er Nichtigkeitsfeststellungsklagen bezüglich des Überprüfungsbescheids vom 4.8.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.1.2012 (basierend auf den Anträgen vom 15.12.2010 und 15.3.2011) und des Bescheids vom 9.5.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 6.6.2012 (Antrag vom 8.5.2012) sowie sämtlicher im Bewilligungszeitraum vom 1.1.2006 bis 31.12.2010 ergangenen Bescheide erhebe. Zum anderen begehre der Kläger im Wege der Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage höhere Leistungen nach dem SGB II. Streitgegenstand sei hier allein der Überprüfungsbescheid vom 9.5.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 6.6.2012. Zwar sei die Klage trotz fehlenden vorherigen Antrags auf Feststellung der Nichtigkeit des Bescheids vom 4.8.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.1.2012 bei dem Beklagten zulässig; auch ein Feststellungsinteresse könne bejaht werden. Die Nichtigkeitsfeststellungsklage gegen diesen Bescheid sei jedoch unbegründet, weil Nichtigkeitsgründe nicht ersichtlich seien. Die Klage auf Feststellung der Nichtigkeit des Überprüfungsbescheids vom 9.5.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 6.6.2012 sei unzulässig, weil der Kläger insoweit innerhalb der Rechtsmittelfrist eine Klage erhoben habe. Die Nichtigkeitsfeststellungsklage bezogen auf sämtliche Bewilligungsbescheide des Zeitraums vom 1.1.2006 bis 31.12.2010 sei ebenfalls unzulässig, weil ein Begünstigter kein Interesse an einer Beseitigung der Rechtsgrundlage für die erhaltenen Leistungen mit einer möglichen Erstattungsforderung des Leistungsträgers haben könne. Soweit der Kläger mit seiner Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage eine Überprüfung der in der Zeit vom 1.1.2006 bis 31.12.2010 bewilligten Leistungen begehre, sei dies unbegründet. Der Antrag vom 8.5.2012 wirke nur ein Jahr, also auf den 1.1.2011, zurück. Es bedürfe keiner Entscheidung des Beklagten darüber, ob dem Kläger bis Dezember 2010 Leistungen vorenthalten worden seien.

7

Mit seiner Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 40 SGB X. Der Sachbearbeiter des Beklagten habe durch die unzutreffende Bewilligung von SGB II-Leistungen bewusst in Kauf genommen, dass er - der Kläger - sich einer Unterhaltspflichtverletzung strafbar mache. Die Regelung des § 40 Abs 2 Nr 4 SGB X sei so zu verstehen, dass die Begehung einer rechtswidrigen Tat durch die Behörde auch dann verlangt werde, wenn durch Nichtanrechnung von Unterhaltsleistungen auf das erzielte Einkommen billigend in Kauf genommen werde, dass der Sozialleistungsempfänger seinen Unterhaltsverpflichtungen nicht nachkommen könne. Werde die Nichtigkeit der Bescheide festgestellt, die den Bewilligungszeitraum vom 1.1.2006 bis 31.12.2010 regelten, müsse jeweils erneut über die Leistungsanträge entschieden werden. Der Überprüfungsbescheid vom 4.8.2011 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 20.1.2012 sei auch bezogen auf den Zeitraum vom 1.1.2006 bis 31.12.2010 erneut zu überprüfen, weil er diesen Bescheid innerhalb der Frist des § 40 Abs 1 S 2 SGB II zur Überprüfung gestellt habe. Hierbei müsse das Gericht zu dem Ergebnis gelangen, dass die von ihm nachgewiesenen Zahlungen auf Unterhaltsrückstände, die nach dem UVG bestünden, einkommensmindernd zu berücksichtigen seien. Diese seien nur deshalb entstanden, weil seine Unterhaltszahlungen nicht einkommensmindernd berücksichtigt worden seien, sodass diese letztlich durch den Beklagten verursacht seien.

8

Der Kläger beantragt,
1. das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 23.7.2015 und das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 16.6.214 werden aufgehoben und die Nichtigkeit des Überprüfungsbescheids vom 4.8.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.1.2012 und des Überprüfungsbescheids vom 9.5.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 6.6.2012 sowie aller im Bewilligungszeitraum vom 1.1.2006 bis 31.12.2010 ergangenen Verwaltungsakte festgestellt,
2. der Beklagte wird unter Aufhebung des Urteils des Bayerischen Landessozialgerichts vom 23.7.2015 und Abänderung des Urteils des Sozialgerichts Augsburg vom 16.6.2014 verurteilt, die Bewilligungsbescheide für die Zeit ab 1.1.2006 bis einschließlich 31.12.2010 aufzuheben, neu zu entscheiden und dem Kläger Leistungen für diesen gesamten Zeitraum unter Anrechnung seiner Unterhaltszahlungen, auch soweit es sich um die Tilgung titulierter Unterhaltsrückstände handelt, zu bewilligen.

9

Der Beklagte beantragt,
die Revision des Klägers zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

10

1. Die Revision des Klägers ist zulässig.

11

2. a) Sein Begehren ist zunächst darauf gerichtet, durch die Aufhebung des ablehnenden Überprüfungsbescheides vom 9.5.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 6.6.2012 eine Überprüfung sämtlicher Bewilligungsbescheide für den Zeitraum ab 1.1.2006 bis 31.12.2010 zu erreichen. Richtige Klageart ist insoweit eine kombinierte Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage (zuletzt BSG Urteil vom 13.2.2014 - B 4 AS 22/13 R - BSGE 115, 126 = SozR 4-1300 § 44 Nr 28, RdNr 11 mwN). Mit der Anfechtungsklage begehrt der Kläger die Aufhebung des - die Überprüfung ablehnenden - Verwaltungsakts vom 9.5.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 6.6.2012. Die Verpflichtungsklage ist auf die Erteilung eines Bescheids durch den Beklagen gerichtet, mit dem dieser die begehrte Änderung der Bewilligungsbescheide für die Jahre 2006 bis 2010 bewirken soll. Mit der Leistungsklage beantragt er höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts im streitigen Zeitraum.

12

b) Die Revision ist jedoch insoweit unbegründet, weil das LSG die Berufung des Klägers im Ergebnis zu Recht zurückgewiesen hat (§ 170 Abs 1 S 2 SGG). Dies folgt allerdings nicht bereits daraus, dass es schon an einem hinreichend konkretisierten Antrag iS des § 44 SGB X mangelte.

13

Nach § 40 Abs 1 S 1 SGB II iVm § 44 Abs 1 S 1 SGB X ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsakts das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Erfolgt die Überprüfung aufgrund eines Antrags des Leistungsberechtigten, löst dieser Antrag grundsätzlich eine Prüfpflicht des Leistungsträgers aus, bestimmt jedoch zugleich auch den Umfang des Prüfauftrags der Verwaltung im Hinblick darauf, ob bei Erlass des Verwaltungsakts das Recht unrichtig angewandt oder von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen worden ist. Insofern hat der Senat bereits entschieden, dass sich der Verwaltung aufgrund oder aus Anlass des Antrags im Einzelfall objektiv erschließen muss, aus welchem Grund - Rechtsfehler und/oder falsche Sachverhaltsgrundlage - nach Auffassung des Leistungsberechtigten eine Überprüfung erfolgen soll. Dazu muss der Antrag konkretisierbar sein. Entweder aus dem Antrag selbst (ggf nach Auslegung) oder aus einer Antwort des Leistungsberechtigten aufgrund konkreter Nachfrage des Sozialleistungsträgers muss der Umfang des Prüfauftrags für die Verwaltung bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens erkennbar werden. Ist dies nicht der Fall, ist der Sozialleistungsträger berechtigt, von einer inhaltlichen Prüfung dieses Antrags abzusehen (vgl hierzu näher zuletzt BSG Urteil vom 13.2.2014 - B 4 AS 22/13 R - BSGE 115, 126 = SozR 4-1300 § 44 Nr 28, RdNr 13 ff mwN).

14

Trotz fehlender Bezeichnung der im Einzelnen aus Sicht des Klägers im Wege des § 44 SGB X zu korrigierenden Bewilligungsbescheide im Sinne seines Antrags auf Überprüfung vom 8.5.2012 mangelt es nicht schon an einem hinreichend objektiv konkretisierbaren Antrag iS des § 44 SGB X, der eine inhaltliche Prüfverpflichtung des SGB II-Trägers von vornherein entfallen ließe. Der Umfang des Prüfauftrags war für den Beklagten erkennbar, weil der Kläger konkret vorgetragen hat, für welchen Zeitraum er die Berücksichtigung seiner rückständigen Unterhaltsverpflichtungen als Absetzbetrag vom Einkommen bzw als "besonderen Bedarf" begehrt. Da er ausgeführt hat, dass er in einem bezeichneten Zeitraum der durchgehenden Leistungsbewilligung die Berücksichtigung seiner rückständigen Unterhaltsverpflichtungen als Absetzbetrag von seinem Einkommen verfolgt, waren für den Beklagten trotz fehlender Bezeichnung der aus Sicht des Klägers zu ändernden Bewilligungsbescheide diese ohne Weiteres ermittelbar und der Umfang des Prüfauftrags erkennbar.

15

c) Der Bescheid vom 9.5.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 6.6.2012 ist jedoch rechtmäßig. Der Kläger hat keinen Anspruch auf eine (weitergehende) teilweise Rücknahme der in dem Zeitraum vom 1.1.2006 bis 31.12.2010 erlassenen Bewilligungsbescheide und rückwirkende Zahlung höherer Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Für den nicht mehr streitgegenständlichen Monat Januar 2011 hat das SG eine teilweise Abänderung des Bewilligungsbescheids vom 22.11.2010 und rückwirkende Leistungserbringung ausgesprochen. Bezogen auf den streitigen Zeitraum ist - anders als von den Vorinstanzen angenommen - schon eine Rücknahmeentscheidung nicht mehr zu treffen.

16

Nach § 40 Abs 1 S 2 SGB II idF des Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 24.3.2011 (BGBl I 453) gilt abweichend von § 40 Abs 1 S 1 SGB II die Vorschrift des § 44 Abs 4 S 1 SGB X zur rückwirkenden Erbringung von Sozialleistungen mit der Maßgabe, dass anstelle des Zeitraums von vier Jahren ein solcher von einem Jahr gilt. Nach gefestigter Rechtsprechung des BSG hat die Verwaltung schon eine Rücknahmeentscheidung nach § 44 Abs 1 SGB X nicht mehr zu treffen, wenn die rechtsverbindliche, grundsätzlich zurückzunehmende Entscheidung ausschließlich Leistungen für Zeiten betrifft, die außerhalb der durch den Rücknahmeantrag bestimmten Verfallsfrist liegen. Die Unanwendbarkeit der "Vollzugsregelung des § 44 Abs 4 SGB X" steht dann einer isolierten Rücknahme entgegen(BSG Urteil vom 13.2.2014 - B 4 AS 19/13 R - BSGE 115, 121 = SozR 4-1300 § 44 Nr 29, RdNr 16; BSG Urteil vom 6.3.1991 - 9b RAr 7/90 - BSGE 68, 180, 181 = SozR 3-1300 § 44 Nr 1 S 3). Die Rücknahme steht unter dem Vorbehalt, dass Sozialleistungen nach § 44 Abs 4 SGB X noch zu erbringen sind (BSG Urteil vom 28.2.2013 - B 8 SO 4/12 R - juris RdNr 10). Dies gilt in gleicher Weise bei der Verkürzung der rückwirkenden Leistungserbringung auf einen Zeitraum bis zu einem Jahr nach § 40 Abs 1 S 2 SGB II, wenn der Antrag auf Rücknahme - wie vorliegend der Überprüfungsantrag vom 8.5.2012 - nach dem 31.3.2011 gestellt worden ist (vgl zum Asylbewerberleistungsrecht bereits BSG Urteil vom 26.6.2013 - B 7 AY 6/12 R - BSGE 114, 20 = SozR 4-3520 § 9 Nr 4, RdNr 10 ff). Die Übergangsregelung des § 77 Abs 13 SGB II, nach der § 40 Abs 1 S 2 SGB II nicht anwendbar ist auf Anträge nach § 44 SGB X, die vor dem 1.4.2011 gestellt worden sind, findet keine Anwendung.

17

Gegen die durch § 40 Abs 1 S 2 SGB II bewirkte Beschränkung rückwirkender Leistungserbringung im Falle der Aufhebung eines rechtswidrigen, nicht begünstigenden Verwaltungsakts mit Wirkung für die Vergangenheit nach § 44 Abs 1 oder Abs 2 SGB X bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken(zur Verfassungsmäßigkeit der Vierjahresfrist des § 44 Abs 4 S 1 SGB X: BSG Urteil vom 23.7.1986 - 1 RA 31/85 - BSGE 60, 158, 161 = SozR 1300 § 44 Nr 23 S 54). Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art 1 Abs 1 iVm Art 20 Abs 1 GG verlangt nur die Erbringung von Leistungen, die zur gegenwärtigen Aufrechterhaltung eines menschenwürdigen Daseins unbedingt erforderlich sind (BVerfG Urteil vom 9.2.2010 - 1 BvL 1/09 ua - BVerfGE 125, 175, 223, 226 ff). Die rückwirkende Gewährung (höherer) existenzsichernder Leistungen ist verfassungsrechtlich nicht zwingend geboten. Es lässt sich dem Grundgesetz keine allgemeine Verpflichtung der vollziehenden Gewalt entnehmen, rechtswidrig belastende und rechtswidrig begünstigende Verwaltungsakte unbeschadet des Eintritts ihrer formellen Bestandskraft von Amts wegen oder auf Antrag des Adressaten aufzuheben oder abzuändern (vgl hierzu auch Aubel in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 4. Aufl 2015, § 40 RdNr 33). Im Ergebnis können daher Sozialleistungen rückwirkend über den 1.1.2011 hinausgehend nicht mehr erbracht werden.

18

d) Entgegen der Ansicht des Klägers und der Vorinstanzen kann mit dem Überprüfungsantrag vom 8.5.2012 keine erneute Eröffnung des bereits durch den Bescheid vom 4.8.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.1.2012 abgeschlossenen Überprüfungsverfahrens eingeleitet werden. Auch hier steht die verkürzte Verfallsfrist des § 40 Abs 1 S 2 SGB II iVm § 44 Abs 4 SGB X entgegen.

19

Zwar fällt der Überprüfungsbescheid vom 4.8.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.1.2012 in den Einjahreszeitraum des § 40 Abs 1 S 2 SGB II iVm § 44 Abs 4 SGB X. Durch eine Rücknahme der rechtsverbindlichen Ablehnung einer Überprüfung lebt der darauf ursprünglich gerichtet gewesene Antrag jedoch nicht in der Weise auf, dass er für die Fristberechnung der Verfallsfrist maßgebend ist (vgl zum Wiederaufleben eines entsprechenden Antrags BSG Urteil vom 17.11.1981 - 9 RV 26/81 - SozR 1200 § 44 Nr 4). Die rückwirkende Leistungserbringung ist vielmehr ausgehend von dem Antrag vom 8.5.2012 zu beurteilen, über den in diesem Verfahren allein zu entscheiden ist, nicht jedoch ausgehend von früheren, rechtsverbindlich abgelehnten Überprüfungsanträgen (so auch BSG Urteil vom 6.3.1991 - 9b RAr 7/90 - BSGE 68, 180 = SozR 3-1300 § 44 Nr 1). Dies ist der Antrag iS des § 44 Abs 4 S 3 SGB X, der für eine rückwirkende Leistungserbringung und deren Umfang sowie eine Rücknahme (teilweise) rechtswidriger Bewilligungsbescheide kausal ist. Entsprechend hat der 13. Senat des BSG bereits entschieden, dass es in Fallgestaltungen einer wiederholten Überprüfung eines Sozialleistungen bewilligenden Bescheids regelmäßig keiner gesonderten Würdigung auch eines bereits zuvor von dem Sozialleistungsträger erlassenen, eine Überprüfung gleichfalls ablehnenden Bescheids bedarf. Der 13. Senat des BSG hat ausgeführt, dass mit einer Verpflichtung zur Änderung des Bewilligungszeitraums für einen vergangenen Zeitraum aufgrund der Anwendung des § 44 SGB X notwendigerweise zugleich auch die Ablehnung seiner Aufhebung in dem früheren negativen Überprüfungsbescheid gegenstandlos wird(BSG Urteil vom 24.10.2013 - B 13 R 83/11 R - SozR 4-2600 § 43 Nr 20 RdNr 15), weil dieser sich auf andere Weise erledigt hat (§ 39 Abs 2 SGB X).

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3. Die Revision ist auch unbegründet, soweit der Kläger sein Begehren mit der Nichtigkeitsfeststellungsklage verfolgt.

21

a) Die von dem Kläger erhobene Nichtigkeitsfeststellungsklage ist schon unzulässig, soweit sich diese gegen den Bescheid vom 9.5.2012 richtet.

22

Zwar ist das LSG zu Recht davon ausgegangen, dass die Nichtigkeitsfeststellungsklage nach § 55 Abs 1 Nr 4 SGG, wonach die Feststellung der Nichtigkeit eines Verwaltungsaktes mit der Klage ua begehrt werden kann, wenn ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung besteht, nicht fristgebunden ist(vgl dazu Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 55 RdNr 14a). Auch ein vorheriger Antrag an die Behörde auf Feststellung der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts nach § 40 Abs 5 SGB X wird nicht vorausgesetzt(BSG Urteil vom 23.2.1989 - 11/7 RAr 103/87 - SozR 1500 § 55 Nr 35; BSG Urteil vom 7.9.2006 - B 4 RA 43/05 R - BSGE 97, 94 = SozR 4-2600 § 118 Nr 4, RdNr 15; aA Ulmer in Hennig, SGG, § 55 RdNr 71, Stand September 2016).

23

Bezogen auf die Feststellung der Nichtigkeit des Bescheids vom 9.5.2012 idF des Widerspruchsbescheids vom 6.6.2012 ist das LSG aber zu Recht davon ausgegangen, dass es schon an einer Zulässigkeit der Nichtigkeitsfeststellungsklage fehlt, weil der Kläger diese Bescheide im Wege einer Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage überprüfen kann. Von dieser Überprüfungsmöglichkeit hat der Kläger auch Gebrauch gemacht. Ein berechtigtes Interesse an einer parallelen Rechtsverfolgung ist nicht vorgetragen.

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Insofern ist die grundsätzliche Subsidiarität der Feststellungsklage zu Gestaltungsklagen zu berücksichtigen. Auch hat das Erfordernis eines Rechtsschutzinteresses in § 55 Abs 1 Nr 4 SGG für die Feststellungsklage in Gestalt des "berechtigten Interesses an der baldigen Feststellung" seinen Niederschlag und eine Konkretisierung erfahren(BSG Urteil vom 22.5.1985 - 12 RK 30/84 - BSGE 58, 150, 151 = SozR 1500 § 55 Nr 27 S 22). Ist eine solche Gestaltungsklage zulässig, kann regelmäßig nicht stattdessen eine Feststellungsklage erhoben werden (BSG Urteil vom 9.10.1984 - 12 RK 18/83 - BSGE 57, 184, 186 = SozR 2200 § 385 Nr 10 S 40; BSG Urteil vom 16.3.1978 - 11 RK 9/77 - BSGE 46, 81, 84 = SozR 5420 § 3 Nr 7 S 10 f; BSG Urteil vom 25.4.1984 - 8 RK 30/83 - BSGE 56, 255 = SozR 1500 § 55 Nr 23; BSG Urteil vom 1.9.2005 - B 3 KR 3/04 R - SozR 4-2500 § 40 Nr 2). Zwar gelten diese Grundsätze nicht uneingeschränkt; die hier vorliegende Nichtigkeitsfeststellungsklage nach § 55 Abs 1 Nr 4 SGG kann neben einer Anfechtungsklage erhoben werden. Dies soll Schwierigkeiten Rechnung tragen, die sich daraus ergeben, dass die Frage, ob ein Verwaltungsakt nur anfechtbar oder sogar nichtig ist, im Einzelfall nur schwer zu beantworten ist und möglicherweise in den Instanzen unterschiedlich beurteilt wird (BSG Urteil vom 23.2.1989 - 11/7 RAr 103/87 - SozR 1500 § 55 Nr 35 S 36). Es muss dann aber - über ein normales Rechtsschutzinteresse hinaus - noch ein zusätzliches berechtigtes Interesse des Klägers gerade an der baldigen Feststellung der Nichtigkeit des Verwaltungsaktes iS des § 55 Abs 1 Nr 4 SGG bestehen(vgl aA Ulmer in Hennig, SGG, § 55 RdNr 70, Stand September 2016 mwN).

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Ein solches zusätzliches berechtigtes Interesse, etwa wegen möglicher Vollstreckungsmaßnahmen (vgl BSG Urteil vom 7.9.2006 - B 4 RA 43/05 - BSGE 97, 94 = SozR 4-2600 § 118 Nr 4, RdNr 15) oder des Rechtsscheins eines unwirksamen Verwaltungsaktes (vgl zB BSG Urteil vom 23.2.1989 - 11/7 RAr 103/87 - SozR 1500 § 55 Nr 35 S 36 zur Untersagung der Arbeitsvermittlung), ist hier jedoch weder vorgetragen noch ersichtlich. Soweit der Kläger mit seiner Revision geltend macht, dass bezogen auf den Bescheid vom 9.5.2012 idF des Widerspruchsbescheids vom 6.6.2012 ein Feststellungsinteresse schon deshalb bestehe, weil "die Behörde bei Feststellung der Nichtigkeit uneingeschränkt über den damit offenen Antrag auf SGB II-Leistungen entscheiden müsse", kann dies kein als rechtlich schutzwürdig anzuerkennendes Interesse begründen. Es ist schon nicht erkennbar, weshalb eine erneute Entscheidung über den Überprüfungsantrag vom 8.5.2012 zu einem anderen Ergebnis als die gerichtliche Prüfung des angefochtenen Bescheids vom 9.5.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 6.6.2012 im Wege der Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage führen könnte (s oben).

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b) Soweit sich die Nichtigkeitsfeststellungsklage gegen den Bescheid vom 4.8.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.1.2012 richtet, ist diese jedenfalls unbegründet, weil keine Nichtigkeitsgründe vorliegen.

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Nach § 40 Abs 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt nichtig, soweit er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offensichtlich ist. Ohne Rücksicht auf diese Voraussetzungen ist ein Verwaltungsakt nichtig (§ 40 Abs 2 SGB X), (1.) der schriftlich oder elektronisch erlassen worden ist, die erlassende Behörde aber nicht erkennen lässt, (2.) der nach einer Rechtsvorschrift nur durch die Aushändigung einer Urkunde erlassen werden kann, aber dieser Form nicht genügt, (3.) den aus tatsächlichen Gründen niemand ausführen kann, (4.) der die Begehung einer rechtswidrigen Tat verlangt, die einen Straf- oder Bußgeldtatbestand verwirklicht oder (5.) der gegen die guten Sitten verstößt.

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Insofern hat das LSG - zu dem Nichtigkeitsgrund des § 40 Abs 2 Nr 4 SGB X - zutreffend ausgeführt, dass ein rechtswidriges Handeln der Behörde nur vorliegt, wenn im Verwaltungsakt eine mit Strafe oder Bußgeld bedrohte Handlung verlangt wird(Roos in von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl 2014, § 40 RdNr 15). Eine Strafbarkeit gemäß § 170 StGB (Verletzung der Unterhaltspflicht) kann nicht bereits durch einen Leistungs- oder Ablehnungsbescheid erfüllt werden(BSG Urteil vom 4.9.2013 - B 10 EG 7/12 R - BSGE 114, 180 = SozR 4-1300 § 31 Nr 8, RdNr 30). Für die mit der Revision des Klägers vorgetragene Ansicht, dass die Begehung einer rechtswidrigen Tat auch dann verlangt werde, wenn die Behörde durch die Nichtanrechnung von Unterhaltsleistungen auf das erzielte Einkommen billigend in Kauf nehme, dass der Sozialleistungsempfänger dadurch seinen Unterhaltsverpflichtungen nicht nachkomme, findet sich kein Anhalt im Gesetz.

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Weiter ist das LSG zutreffend davon ausgegangen, dass die vom Kläger geltend gemachten Nichtigkeitsgründe, ua die Befangenheit des Sachbearbeiters und die fehlerhafte Annahme der Behörde, dass es sich bei Zahlungen auf Unterhaltsrückstände um keine Unterhaltszahlungen handele, allenfalls nach der Generalklausel des § 40 Abs 1 SGB X zur Nichtigkeit führen können. Die bloße Befangenheit eines Sachbearbeiters - ihr Vorliegen unterstellt - ist für sich genommen kein schwerwiegender Fehler, der den Verwaltungsakt nichtig macht. Ob eine Behörde vollständig und richtig ermittelt und den Sachverhalt richtig gewürdigt und rechtlich zutreffend entschieden hat, ist allein eine Frage der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts, bedingt aber keine Nichtigkeit.

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c) Bezogen auf die Nichtigkeitsfeststellungsklage hinsichtlich sämtlicher Bewilligungsbescheide in dem Zeitraum vom 1.1.2006 bis 31.12.2010 fehlt es an einem berechtigten Interesse des Klägers, weil er - wie dargelegt - Nichtigkeitsgründe nicht schlüssig dargetan hat. Zwar macht er als berechtigtes Interesse geltend, dass die Nichtigkeitsfeststellung eines Bescheids wegen dessen dann festgestellter Unwirksamkeit zur Folge habe, dass erneut über die den Zeitraum vom 1.1.2006 bis 31.12.2010 betreffenden SGB II-Anträge entschieden werden müsse, dann aber ohne Anwendbarkeit der eingeschränkten rückwirkenden Überprüfungs- und Leistungserbringung nach § 40 Abs 1 S 2 SGB II iVm § 44 Abs 4 SGB X. In diesem Vorbringen, das auf die Möglichkeit einer Nichtanwendung der mit Wirkung zum 1.4.2011 eingeführten Einschränkungen bei der rückwirkenden Überprüfung und Erbringung von Sozialleistungen zielt, kann jedoch kein berechtigtes Interesse an einer Nichtigkeitsfeststellungsklage gesehen werden. Bei der Prüfung des berechtigten Interesses ist nicht auf die rein subjektive Ansicht des Klägers abzustellen; vielmehr ist zu prüfen, ob die Rechtsordnung das Interesse objektiv zumindest indirekt als individuelles Interesse selbst anerkennt (Ulmer in Hennig, SGG, § 55 RdNr 20, Stand September 2016). Die letztlich angestrebte Umgehung der gesetzlichen Vorgaben zum zeitlichen Umfang einer Überprüfung bestandskräftiger Bescheide ist aber - unbesehen des fehlenden Vortrags ausreichender Nichtigkeitsgründe - kein von der Rechtsordnung anerkanntes berechtigtes Interesse.

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

(1) Gegen die Entscheidungen der Sozialgerichte mit Ausnahme der Urteile und gegen Entscheidungen der Vorsitzenden dieser Gerichte findet die Beschwerde an das Landessozialgericht statt, soweit nicht in diesem Gesetz anderes bestimmt ist.

(2) Prozeßleitende Verfügungen, Aufklärungsanordnungen, Vertagungsbeschlüsse, Fristbestimmungen, Beweisbeschlüsse, Beschlüsse über Ablehnung von Beweisanträgen, über Verbindung und Trennung von Verfahren und Ansprüchen und über die Ablehnung von Gerichtspersonen und Sachverständigen können nicht mit der Beschwerde angefochten werden.

(3) Die Beschwerde ist ausgeschlossen

1.
in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes, wenn in der Hauptsache die Berufung der Zulassung bedürfte,
2.
gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe, wenn
a)
das Gericht die persönlichen oder wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Prozesskostenhilfe verneint,
b)
in der Hauptsache die Berufung der Zulassung bedürfte oder
c)
das Gericht in der Sache durch Beschluss entscheidet, gegen den die Beschwerde ausgeschlossen ist,
3.
gegen Kostengrundentscheidungen nach § 193,
4.
gegen Entscheidungen nach § 192 Abs. 4, wenn in der Hauptsache kein Rechtsmittel gegeben ist und der Wert des Beschwerdegegenstandes 200 Euro nicht übersteigt.