Bundessozialgericht Beschluss, 31. Aug. 2017 - B 2 U 74/17 B

ECLI:ECLI:DE:BSG:2017:310817BB2U7417B0
bei uns veröffentlicht am31.08.2017

Tenor

Auf die Beschwerde des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 7. Februar 2017 aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Gründe

1

I. Streitig ist die Wiedergewährung einer Rente aufgrund eines 1974 erlittenen Arbeitsunfalls, den die Beklagte mit der Unfallfolge "Linsenlosigkeit nach perforierender Verletzung des rechten Auges" anerkannt und bis 1985 entschädigt hat. 1985 wurde die Rente nach einer MdE in Höhe von 20 vH unter Auszahlung von 102 468,20 DM gemäß § 604 RVO abgefunden.

2

Die Beklagte lehnte den am 5.6.2011 nach § 44 SGB X sowie nach § 48 SGB X gestellten Überprüfungs- bzw Verschlimmerungsantrag des Klägers nach Einholung eines augenärztlichen Sachverständigengutachtens durch zwei Bescheide vom 16.8.2012 ab. Das Widerspruchsverfahren war erfolglos. Das SG wies die Klage nach Einholung eines weiteren augenärztlichen Sachverständigengutachtens mit der Begründung ab, dass keine wesentliche Verschlimmerung eingetreten sei.

3

Der Kläger hat Berufung beim LSG Nordrhein-Westfalen eingelegt, mit der er die Zahlung einer Rente wegen Eintritts einer wesentlichen Verschlimmerung begehrte. Das LSG hat am 7.2.2017 in Anwesenheit des Klägers und dessen Prozessbevollmächtigten eine mündliche Verhandlung durchgeführt und auf diese mündliche Verhandlung hin die Berufung zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Voraussetzungen einer entschädigungspflichtigen Verschlimmerung seien nicht gegeben, weil keine wesentliche Änderung iS des § 73 Abs 3 SGB VII vorliege. Die aus den Sachverständigengutachten ableitbaren Beeinträchtigungen der Sehschärfe des Klägers ergäben lediglich einen Unfallfolgezustand, der mit einer MdE iHv 25 vH zu bewerten sei. Für eine relevante Entstellung des Gesichts durch die Augenverletzung bzw das Innenschielen gebe es keinerlei Anhaltspunkte. Hiervon habe sich der Senat selbst im Rahmen der mündlichen Verhandlung, bei der der Kläger anwesend gewesen sei, überzeugen können.

4

Mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde macht der Kläger im Wesentlichen geltend, dass er in der mündlichen Verhandlung zwar anwesend gewesen sei, jedoch eine Brille getragen habe. Er sei oftmals durch seinen Prozessbevollmächtigten - von der Richterbank aus gesehen - verdeckt gewesen. Die vom LSG getroffene Feststellung einer fehlenden entstellenden Wirkung habe man vom Richtertisch aus überhaupt nicht beurteilen können. Seine Augenpartie sehe für Dritte auffällig entstellt aus und löse betroffene Blicke im zwischenmenschlichen Kontakt aus. Das LSG habe damit eine heimliche Bewertung des Grades der Entstellung aus der Ferne durchgeführt und so eine Überraschungsentscheidung zu seinen Lasten gefällt. Wenn ihn alle Richter aus der Nähe angesehen hätten, wäre ihre Bewertung anders ausgefallen. Ferner sei zu berücksichtigen, dass laut Protokoll keine förmliche Augenscheinseinnahme des Entstellungsgrades, also überhaupt keine Beweisaufnahme stattgefunden habe. Nach Schönberger/Mehrtens/Valentin, 8. Aufl 2010, S 292, 293 betrage die MdE in der Unfallversicherung bei einseitiger Erblindung 25 Prozent, jedoch 30 Prozent, wenn sowohl relevante Komplikationen als auch Erschwernisse auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vorlägen, wie zB eine Gesichtsentstellung.

5

II. Die Beschwerde ist zulässig und begründet.

6

Die Beschwerdebegründung genügt den Anforderungen des § 160a Abs 2 S 3 SGG. Sie bezeichnet die Tatsachen, aus denen sich der Verfahrensmangel einer Verletzung des Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art 103 Abs 1 GG, § 62 SGG) ergibt. Die Beschwerdebegründung enthält auch hinreichende Ausführungen dazu, dass die angefochtene Entscheidung auf dem Verfahrensfehler beruhen kann.

7

Der Entscheidung des LSG liegt ein Verfahrensmangel iS des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG zugrunde, weil das LSG den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör gemäß § 62 Halbs 1 SGG iVm Art 103 GG verletzt hat, indem es das Gesicht des Klägers in Augenschein genommen hat, ohne dies und das Ergebnis der Augenscheinseinnahme dem Kläger vor seiner Entscheidung mitzuteilen.

8

Gemäß § 62 Halbs 1 SGG, der einfachrechtlich das durch Art 103 Abs 1 GG garantierte prozessuale Grundrecht wiederholt, ist den Beteiligten vor jeder Entscheidung des Gerichts rechtliches Gehör zu gewähren; dies gilt insbesondere für eine die Instanz abschließende Entscheidung, wie das am 7.2.2017 nach mündlicher Verhandlung verkündete Urteil. Demgemäß darf ein Urteil nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen sich die Beteiligten äußern konnten (§ 128 Abs 2 SGG). Darüber hinaus verlangt § 107 SGG, dass den Beteiligten der Inhalt einer Beweisaufnahme mitzuteilen ist. Letzteres ist zwar grundsätzlich nicht erforderlich, wenn der Beteiligte bei der Beweisaufnahme anwesend war (B. Schmidt in Meyer-Ladewig/ Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl 2017, § 107 RdNr 9), jedoch kann dies nur dann gelten, wenn dem Beteiligten die Durchführung der Beweisaufnahme bewusst war. Die Mitteilung des Ergebnisses muss jedenfalls vor der Entscheidung erfolgen, damit die Beteiligten ausreichend Zeit für eine Stellungnahme haben (BSG vom 19.3.1991 - 2 RU 28/90 - SozR 3-1500 § 62 Nr 5; s auch BSG vom 23.10.2003 - B 4 RA 37/03 B - SozR 4-1500 § 62 Nr 1 RdNr 7; vgl Müller in Roos/Wahrendorf, SGG, 2014, § 107 RdNr 11 f). Ansonsten liegt ein Überraschungsurteil vor, wenn das Gericht einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zum Gegenstand der Entscheidung macht und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht zu rechnen war (vgl BVerwG vom 25.5.2001 - 4 B 81.00 - Buchholz 310 § 108 Abs 2 VwGO Nr 34). Das Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs hat Vorrang vor der in § 106 Abs 2 SGG verankerten Beschleunigungspflicht, den Rechtsstreit möglichst in einer mündlichen Verhandlung zu erledigen(so BSG SozR Nr 13 zu § 106 SGG; BSG SozR 3-1500 § 62 Nr 5 S 9; BSG SozR 3-1500 § 128 Nr 14 S 28; BSG vom 11.12.2002 - B 6 KA 8/02 R - SGb 2003, 152).

9

Das LSG hat den Eindruck, den es vom äußeren Erscheinungsbild des Klägers und damit faktisch aufgrund einer Augenscheinseinnahme, nämlich einer sinnlichen Wahrnehmung, deren Gegenstand nicht der Inhalt einer gedanklichen Erklärung ist (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/ Leitherer/Schmidt, aaO, § 118 RdNr 9; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 75. Aufl 2017, Übers § 371 RdNr 4) gewonnen hat, seiner Entscheidung zugrunde gelegt, ohne diesen mit dem Kläger zu erörtern oder auch nur zur Kenntnis mit der Möglichkeit der Stellungnahme zu geben. Letzteres ergibt sich aus der negativen Beweiskraft der Sitzungsniederschrift (§ 122 SGG iVm § 165 S 1 ZPO), die eine entsprechende Anhörung des Klägers als vorgeschriebene Förmlichkeit eines wesentlichen Vorgangs der Verhandlung (§ 122 SGG iVm § 160 Abs 2 ZPO) nicht aufführt (BSG vom 8.2.2012 - B 5 RS 76/11 B - Juris RdNr 5; vgl auch BSG vom 23.7.2015 - B 5 R 196/15 B - Juris RdNr 14). Damit musste den Kläger die Verwertung seines äußeren Erscheinungsbildes für die Entscheidung überraschen, weil mit der Durchführung einer Augenscheinseinnahme nach dem Verlauf des Verfahrens nicht zu rechnen war und deren Durchführung ihm gegenüber nicht offengelegt wurde.

10

Dahinstehen kann, ob zugleich ein Verstoß gegen § 116 S 1 SGG vorliegt. Diese Norm sowie der damit verbundene Grundsatz der Parteiöffentlichkeit beinhalten, dass die Durchführung einer Beweisaufnahme selbst bei physischer Präsenz eines Beteiligten nicht im Verborgenen "hinter seinem Rücken" erfolgen darf, sondern dieser über die der Beweisaufnahme dienenden Handlungen des Gerichts unterrichtet werden muss (vgl Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, aaO, § 118 RdNr 3 und 9), damit er adäquat auf Ergebnisse der Beweisaufnahme und Erkenntnisse, die das Gericht aus der Beweisaufnahme gewinnt, reagieren kann.

11

Keiner Entscheidung bedurfte es schließlich, ob über den Verstoß gegen den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs hinaus eine Verletzung des aus Art 2 Abs 1 GG iVm dem Rechtsstaatsprinzip bzw Art 6 EMRK folgenden Anspruchs auf ein faires Verfahren (vgl EGMR vom 27.10.1993 - 37/1992/382/460 - NJW 1995, 1413 - Dombo Beheer; BSG Beschlüsse vom 12.12.2014 - B 10 ÜG 15/14 B - Juris RdNr 8 und vom 17.4.2013 - B 9 V 36/12 B - SozR 4-1500 § 118 Nr 3 RdNr 16) vorliegt, sowie, ob die den Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (Art 2 Abs 1 iVm Art 1 Abs 1 GG) tangierende Erhebung von Eindrücken des äußeren Erscheinungsbildes ohne Wissen des Betroffenen einer über § 372 ZPO iVm § 118 SGG hinausgehenden besonderen gesetzlichen Grundlage bedurft hätte(vgl LSG Nordrhein-Westfalen vom 8.6.2011 - L 12 AS 201/11 B ER - Juris; Bayerisches LSG vom 25.1.2008 - L 7 AS 72/07 - Juris RdNr 43; vgl auch Mushoff in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2017, § 103 RdNr 60; Bieresborn, SGb 2010, 501, 503, 507; Hammel, ZfSH/SGB 2011, 577, 582).

12

Der Senat hat von der durch § 160a Abs 5 SGG eröffneten Möglichkeit Gebrauch gemacht, auf die Nichtzulassungsbeschwerde das angefochtene Urteil wegen des festgestellten Verfahrensfehlers aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.

13

Das LSG wird auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden haben.

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(1) Gegen das Urteil eines Landessozialgerichts und gegen den Beschluss nach § 55a Absatz 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundessozialgericht nur zu, wenn sie in der Entscheidung des Landessozialgerichts oder in dem Beschluß des Bu

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(1) Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind. (2) Das Urteil darf nur auf Tatsache

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(1) Die Nichtzulassung der Revision kann selbständig durch Beschwerde angefochten werden. Die Beschwerde ist bei dem Bundessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils einzulegen. Der Beschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder

Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - - SGB 10 | § 48 Aufhebung eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung bei Änderung der Verhältnisse


(1) Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Der Verwaltun

Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - - SGB 10 | § 44 Rücknahme eines rechtswidrigen nicht begünstigenden Verwaltungsaktes


(1) Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbrach

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 128


(1) Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind. (2) Das Urteil darf nur auf Tatsache

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 62


Vor jeder Entscheidung ist den Beteiligten rechtliches Gehör zu gewähren; die Anhörung kann schriftlich oder elektronisch geschehen.

Zivilprozessordnung - ZPO | § 160 Inhalt des Protokolls


(1) Das Protokoll enthält 1. den Ort und den Tag der Verhandlung;2. die Namen der Richter, des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle und des etwa zugezogenen Dolmetschers;3. die Bezeichnung des Rechtsstreits;4. die Namen der erschienenen Parteien, Neben

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 106


(1) Der Vorsitzende hat darauf hinzuwirken, daß Formfehler beseitigt, unklare Anträge erläutert, sachdienliche Anträge gestellt, ungenügende Angaben tatsächlicher Art ergänzt sowie alle für die Feststellung und Beurteilung des Sachverhalts wesentlich

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 118


(1) Soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, sind auf die Beweisaufnahme die §§ 358 bis 363, 365 bis 378, 380 bis 386, 387 Abs. 1 und 2, §§ 388 bis 390, 392 bis 406 Absatz 1 bis 4, die §§ 407 bis 444, 478 bis 484 der Zivilprozeßordnung entsprech

Zivilprozessordnung - ZPO | § 165 Beweiskraft des Protokolls


Die Beachtung der für die Verhandlung vorgeschriebenen Förmlichkeiten kann nur durch das Protokoll bewiesen werden. Gegen seinen diese Förmlichkeiten betreffenden Inhalt ist nur der Nachweis der Fälschung zulässig.

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 122


Für das Protokoll gelten die §§ 159 bis 165 der Zivilprozeßordnung entsprechend.

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 116


Die Beteiligten werden von allen Beweisaufnahmeterminen benachrichtigt und können der Beweisaufnahme beiwohnen. Sie können an Zeugen und Sachverständige sachdienliche Fragen richten lassen. Wird eine Frage beanstandet, so entscheidet das Gericht.

Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes vom 7. August 1996, BGBl. I S. 1254) - SGB 7 | § 73 Änderungen und Ende von Renten


(1) Ändern sich aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen die Voraussetzungen für die Höhe einer Rente nach ihrer Feststellung, wird die Rente in neuer Höhe nach Ablauf des Monats geleistet, in dem die Änderung wirksam geworden ist. (2) Fallen aus

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(1) Das Prozessgericht kann anordnen, dass bei der Einnahme des Augenscheins ein oder mehrere Sachverständige zuzuziehen seien. (2) Es kann einem Mitglied des Prozessgerichts oder einem anderen Gericht die Einnahme des Augenscheins übertragen, au

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Den Beteiligten ist nach Anordnung des Vorsitzenden entweder eine Abschrift des Protokolls der Beweisaufnahme oder deren Inhalt mitzuteilen.

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Tenor Auf die Beschwerde der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 27. September 2017 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das

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(1) Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Dies gilt nicht, wenn der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Betroffene vorsätzlich in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat.

(2) Im Übrigen ist ein rechtswidriger nicht begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft zurückzunehmen. Er kann auch für die Vergangenheit zurückgenommen werden.

(3) Über die Rücknahme entscheidet nach Unanfechtbarkeit des Verwaltungsaktes die zuständige Behörde; dies gilt auch dann, wenn der zurückzunehmende Verwaltungsakt von einer anderen Behörde erlassen worden ist.

(4) Ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden, werden Sozialleistungen nach den Vorschriften der besonderen Teile dieses Gesetzbuches längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der Rücknahme erbracht. Dabei wird der Zeitpunkt der Rücknahme von Beginn des Jahres an gerechnet, in dem der Verwaltungsakt zurückgenommen wird. Erfolgt die Rücknahme auf Antrag, tritt bei der Berechnung des Zeitraumes, für den rückwirkend Leistungen zu erbringen sind, anstelle der Rücknahme der Antrag.

(1) Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Der Verwaltungsakt soll mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit

1.
die Änderung zugunsten des Betroffenen erfolgt,
2.
der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist,
3.
nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde, oder
4.
der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist.
Als Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse gilt in Fällen, in denen Einkommen oder Vermögen auf einen zurückliegenden Zeitraum auf Grund der besonderen Teile dieses Gesetzbuches anzurechnen ist, der Beginn des Anrechnungszeitraumes.

(2) Der Verwaltungsakt ist im Einzelfall mit Wirkung für die Zukunft auch dann aufzuheben, wenn der zuständige oberste Gerichtshof des Bundes in ständiger Rechtsprechung nachträglich das Recht anders auslegt als die Behörde bei Erlass des Verwaltungsaktes und sich dieses zugunsten des Berechtigten auswirkt; § 44 bleibt unberührt.

(3) Kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nach § 45 nicht zurückgenommen werden und ist eine Änderung nach Absatz 1 oder 2 zugunsten des Betroffenen eingetreten, darf die neu festzustellende Leistung nicht über den Betrag hinausgehen, wie er sich der Höhe nach ohne Berücksichtigung der Bestandskraft ergibt. Satz 1 gilt entsprechend, soweit einem rechtmäßigen begünstigenden Verwaltungsakt ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt zugrunde liegt, der nach § 45 nicht zurückgenommen werden kann.

(4) § 44 Abs. 3 und 4, § 45 Abs. 3 Satz 3 bis 5 und Abs. 4 Satz 2 gelten entsprechend. § 45 Abs. 4 Satz 2 gilt nicht im Fall des Absatzes 1 Satz 2 Nr. 1.

(1) Ändern sich aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen die Voraussetzungen für die Höhe einer Rente nach ihrer Feststellung, wird die Rente in neuer Höhe nach Ablauf des Monats geleistet, in dem die Änderung wirksam geworden ist.

(2) Fallen aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen die Anspruchsvoraussetzungen für eine Rente weg, wird die Rente bis zum Ende des Monats geleistet, in dem der Wegfall wirksam geworden ist. Satz 1 gilt entsprechend, wenn festgestellt wird, daß Versicherte, die als verschollen gelten, noch leben.

(3) Bei der Feststellung der Minderung der Erwerbsfähigkeit ist eine Änderung im Sinne des § 48 Abs. 1 des Zehnten Buches nur wesentlich, wenn sie mehr als 5 vom Hundert beträgt; bei Renten auf unbestimmte Zeit muß die Veränderung der Minderung der Erwerbsfähigkeit länger als drei Monate andauern.

(4) Sind Renten befristet, enden sie mit Ablauf der Frist. Das schließt eine vorherige Änderung oder ein Ende der Rente aus anderen Gründen nicht aus. Renten dürfen nur auf das Ende eines Kalendermonats befristet werden.

(5) Witwen- und Witwerrenten nach § 65 Abs. 2 Nr. 3 Buchstabe a wegen Kindererziehung werden auf das Ende des Kalendermonats befristet, in dem die Kindererziehung voraussichtlich endet. Waisenrenten werden auf das Ende des Kalendermonats befristet, in dem voraussichtlich der Anspruch auf die Waisenrente entfällt. Die Befristung kann wiederholt werden.

(6) Renten werden bis zum Ende des Kalendermonats geleistet, in dem die Berechtigten gestorben sind.

(1) Die Nichtzulassung der Revision kann selbständig durch Beschwerde angefochten werden. Die Beschwerde ist bei dem Bundessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils einzulegen. Der Beschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des Urteils, gegen das die Revision eingelegt werden soll, beigefügt werden. Satz 3 gilt nicht, soweit nach § 65a elektronische Dokumente übermittelt werden.

(2) Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Urteils zu begründen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden einmal bis zu einem Monat verlängert werden. In der Begründung muß die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt oder die Entscheidung, von der das Urteil des Landessozialgerichts abweicht, oder der Verfahrensmangel bezeichnet werden.

(3) Die Einlegung der Beschwerde hemmt die Rechtskraft des Urteils.

(4) Das Bundessozialgericht entscheidet unter Zuziehung der ehrenamtlichen Richter durch Beschluss; § 169 gilt entsprechend. Dem Beschluß soll eine kurze Begründung beigefügt werden; von einer Begründung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen. Mit der Ablehnung der Beschwerde durch das Bundessozialgericht wird das Urteil rechtskräftig. Wird der Beschwerde stattgegeben, so beginnt mit der Zustellung dieser Entscheidung der Lauf der Revisionsfrist.

(5) Liegen die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 3 vor, kann das Bundessozialgericht in dem Beschluss das angefochtene Urteil aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverweisen.

Vor jeder Entscheidung ist den Beteiligten rechtliches Gehör zu gewähren; die Anhörung kann schriftlich oder elektronisch geschehen.

(1) Gegen das Urteil eines Landessozialgerichts und gegen den Beschluss nach § 55a Absatz 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundessozialgericht nur zu, wenn sie in der Entscheidung des Landessozialgerichts oder in dem Beschluß des Bundessozialgerichts nach § 160a Abs. 4 Satz 1 zugelassen worden ist.

(2) Sie ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs. 1 Satz 1 und auf eine Verletzung des § 103 nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das Landessozialgericht ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

(3) Das Bundessozialgericht ist an die Zulassung gebunden.

Vor jeder Entscheidung ist den Beteiligten rechtliches Gehör zu gewähren; die Anhörung kann schriftlich oder elektronisch geschehen.

(1) Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.

(2) Das Urteil darf nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen sich die Beteiligten äußern konnten.

Den Beteiligten ist nach Anordnung des Vorsitzenden entweder eine Abschrift des Protokolls der Beweisaufnahme oder deren Inhalt mitzuteilen.

(1) Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.

(2) Das Urteil darf nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden, zu denen die Beteiligten sich äußern konnten.

(1) Der Vorsitzende hat darauf hinzuwirken, daß Formfehler beseitigt, unklare Anträge erläutert, sachdienliche Anträge gestellt, ungenügende Angaben tatsächlicher Art ergänzt sowie alle für die Feststellung und Beurteilung des Sachverhalts wesentlichen Erklärungen abgegeben werden.

(2) Der Vorsitzende hat bereits vor der mündlichen Verhandlung alle Maßnahmen zu treffen, die notwendig sind, um den Rechtsstreit möglichst in einer mündlichen Verhandlung zu erledigen.

(3) Zu diesem Zweck kann er insbesondere

1.
um Mitteilung von Urkunden sowie um Übermittlung elektronischer Dokumente ersuchen,
2.
Krankenpapiere, Aufzeichnungen, Krankengeschichten, Sektions- und Untersuchungsbefunde sowie Röntgenbilder beiziehen,
3.
Auskünfte jeder Art einholen,
4.
Zeugen und Sachverständige in geeigneten Fällen vernehmen oder, auch eidlich, durch den ersuchten Richter vernehmen lassen,
5.
die Einnahme des Augenscheins sowie die Begutachtung durch Sachverständige anordnen und ausführen,
6.
andere beiladen,
7.
einen Termin anberaumen, das persönliche Erscheinen der Beteiligten hierzu anordnen und den Sachverhalt mit diesen erörtern.

(4) Für die Beweisaufnahme gelten die §§ 116, 118 und 119 entsprechend.

Für das Protokoll gelten die §§ 159 bis 165 der Zivilprozeßordnung entsprechend.

Die Beachtung der für die Verhandlung vorgeschriebenen Förmlichkeiten kann nur durch das Protokoll bewiesen werden. Gegen seinen diese Förmlichkeiten betreffenden Inhalt ist nur der Nachweis der Fälschung zulässig.

Für das Protokoll gelten die §§ 159 bis 165 der Zivilprozeßordnung entsprechend.

(1) Das Protokoll enthält

1.
den Ort und den Tag der Verhandlung;
2.
die Namen der Richter, des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle und des etwa zugezogenen Dolmetschers;
3.
die Bezeichnung des Rechtsstreits;
4.
die Namen der erschienenen Parteien, Nebenintervenienten, Vertreter, Bevollmächtigten, Beistände, Zeugen und Sachverständigen und im Falle des § 128a den Ort, von dem aus sie an der Verhandlung teilnehmen;
5.
die Angabe, dass öffentlich verhandelt oder die Öffentlichkeit ausgeschlossen worden ist.

(2) Die wesentlichen Vorgänge der Verhandlung sind aufzunehmen.

(3) Im Protokoll sind festzustellen

1.
Anerkenntnis, Anspruchsverzicht und Vergleich;
2.
die Anträge;
3.
Geständnis und Erklärung über einen Antrag auf Parteivernehmung sowie sonstige Erklärungen, wenn ihre Feststellung vorgeschrieben ist;
4.
die Aussagen der Zeugen, Sachverständigen und vernommenen Parteien; bei einer wiederholten Vernehmung braucht die Aussage nur insoweit in das Protokoll aufgenommen zu werden, als sie von der früheren abweicht;
5.
das Ergebnis eines Augenscheins;
6.
die Entscheidungen (Urteile, Beschlüsse und Verfügungen) des Gerichts;
7.
die Verkündung der Entscheidungen;
8.
die Zurücknahme der Klage oder eines Rechtsmittels;
9.
der Verzicht auf Rechtsmittel;
10.
das Ergebnis der Güteverhandlung.

(4) Die Beteiligten können beantragen, dass bestimmte Vorgänge oder Äußerungen in das Protokoll aufgenommen werden. Das Gericht kann von der Aufnahme absehen, wenn es auf die Feststellung des Vorgangs oder der Äußerung nicht ankommt. Dieser Beschluss ist unanfechtbar; er ist in das Protokoll aufzunehmen.

(5) Der Aufnahme in das Protokoll steht die Aufnahme in eine Schrift gleich, die dem Protokoll als Anlage beigefügt und in ihm als solche bezeichnet ist.

Tenor

Auf die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision wird das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 23. August 2011 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Gründe

1

I. Mit Gerichtsbescheid vom 12.4.2011, der dem Kläger am 18.4.2011 zugestellt worden ist, hat das SG Chemnitz die Feststellung der Zeiten vom 1.10.1966 bis 16.1.1972 und vom 1.7.1986 bis 16.4.1990 als Zeiten der Zugehörigkeit zur zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz (AVItech) einschließlich der dabei erzielten Arbeitsentgelte verneint. Der Berufungsschriftsatz des Klägers vom 17.5.2011 trägt den Posteingangsstempel des Sächsischen LSG von Donnerstag, den "19. Mai 2011", sowie den Zusatz "Nachtbriefkasten". Das LSG wies den Kläger darauf hin, dass die Berufung nach Lage der Akten verfristet sei, und übermittelte ihm eine Auskunft der Poststelle zur Funktionsweise des Nachtbriefkastens. Der Klägerbevollmächtigte versicherte anwaltlich, er habe den kuvertierten Berufungsschriftsatz am 18.5.2011 zwischen 18.30 Uhr und 18.45 Uhr persönlich in den Nachtbriefkasten des LSG eingelegt, hilfsweise werde Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt. Mit Urteil vom 23.8.2011 hat das LSG die Berufung als unzulässig verworfen. Der Vortrag des Prozessbevollmächtigten des Klägers sei - ebenso wie seine anwaltliche, gegebenenfalls eidesstattliche Versicherung - nicht geeignet, "die Richtigkeit des Posteingangsstempels" zu widerlegen und den Nachweis eines fristgerechten Berufungseingangs zu erbringen. Zum streitgegenständlichen Zeitpunkt seien am Nachtbriefkasten keine technischen Defekte aufgetreten; Anhaltspunkte für eine fehlerhafte Bearbeitung durch das zuständige Personal bestünden nicht. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand komme nicht in Betracht.

2

II. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist zulässig und im Sinne der Aufhebung und Zurückverweisung begründet.

3

Der Kläger hat ordnungsgemäß dargetan, dass das LSG gegen §§ 62, 128 Abs 2 SGG verstoßen habe und das angefochtene Urteil auf diesem Verfahrensmangel beruhen könne(§ 160 Abs 2 Nr 3 iVm § 160a Abs 2 S 3 SGG).

4

Der gerügte Verfahrensmangel liegt auch vor. Der Eingangsstempel auf der bei Gericht eingegangenen Berufungsschrift des Klägers ist eine öffentliche Urkunde iS von § 418 Abs 1 ZPO und erbringt damit grundsätzlich den vollen Beweis für den Zeitpunkt der Ausstellung(BSG SozR 4100 § 59e Nr 1). Auch die rechtzeitige Vornahme einer Prozesshandlung - hier die fristgerechte Einlegung der Berufung - wird im Regelfall durch den Eingangsstempel des angegangenen Gerichts auf dem Berufungsschriftsatz bewiesen (BSG Beschluss vom 9.3.2011 - B 4 AS 60/10 BH - Juris RdNr 5). Das LSG ist davon ausgegangen, dass der durch den Eingangsstempel bezeugte Tag vorliegend dem Tag des Eingangs, dh des Zugangs in den Zugriffsbereich des Berufungsgerichts entspricht. Doch ist vorbehaltlich abweichenden Landesrechts gemäß § 418 Abs 2 ZPO grundsätzlich der Gegenbeweis zulässig. Hinsichtlich dieses Gegenbeweises hat das LSG gegen § 128 Abs 2 SGG verstoßen. Bei den negativen Feststellungen des LSG, zum "streitgegenständlichen Zeitpunkt" seien am Nachtbriefkasten keine technischen Defekte aufgetreten und es hätten auch keine Anhaltspunkte für eine fehlerhafte Bearbeitung durch das zuständige Personal bestanden, kann es sich jeweils nur um die schlussfolgernde Erkenntnis des Wahrheitsgehalts dieser Aussagen im Sinne des Beweises handeln. Ihnen müssen daher denknotwendig vom Berufungsgericht bereits als feststehend und rechtlich relevant erkannte Einzelumstände (Tatsachen) und/oder Beweismittel und Beweisergebnisse vorangehen, die nach der Auffassung des Tatsachengerichts derartige Schlussfolgerungen mit der notwendigen Verlässlichkeit erlauben. Umstände dieser Art hat das LSG dem Kläger indessen weder vor dem noch im Termin zur mündlichen Verhandlung mitgeteilt; auch ergibt sich nicht umgekehrt, dass er hiervon auf sonstige Weise Kenntnis erlangt und Stellung genommen bzw die an sich eröffnete Gelegenheit zur Stellungnahme nur ungenutzt gelassen hat. Er hatte damit vor Abschluss des Verfahrens in der Tatsacheninstanz keine Gelegenheit zur Stellungnahme, obwohl § 62 SGG gebietet, den Beteiligten vor jeder Entscheidung rechtliches Gehör zu gewähren und das Urteil nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden darf, zu denen sich die Beteiligten äußern konnten(§ 128 Abs 2 SGG).

5

Um den Verfahrensmangel darzulegen, durfte sich die Beschwerdebegründung zunächst auf die negative Beweiskraft der Sitzungsniederschrift (§ 122 SGG iVm § 165 S 1 ZPO) berufen. Diese erbringt vorbehaltlich der Fälle des § 165 S 2 ZPO grundsätzlich abschließend ("nur") Beweis über die Beachtung der für die Verhandlung vorgeschriebenen Förmlichkeiten, beweist also bei Fehlen einer Feststellung im Protokoll auch negativ, dass eine Förmlichkeit nicht beachtet wurde (Stöber in Zöller, ZPO, 29. Aufl 2012, § 165 RdNr 3). Zu den Förmlichkeiten in diesem Sinne gehören ua die wesentlichen Vorgänge der Verhandlung iS von § 160 Abs 2 ZPO, dh der Verfahrensablauf, soweit er für die Entscheidung und die Prüfung der Ordnungsmäßigkeit des Verfahrens durch das Rechtsmittelgericht erforderlich ist(Stöber aaO § 160 RdNr 3). Im Rahmen der entsprechenden Anwendung von § 160 Abs 2 ZPO in Verfahren der Sozialgerichtsbarkeit gehört hierzu ua § 128 Abs 2 SGG. Die Vorschrift gebietet, dass das Urteil nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse gestützt werden darf, zu denen sich die Beteiligten äußern konnten. Ein Hinweis darauf, dass der Kläger zu den Tatsachen und Beweisergebnissen hätte Stellung nehmen können, die den genannten Feststellungen des LSG zugrunde liegen, findet sich im Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 23.8.2011 nicht. Nicht anders als bei Verletzungen der Pflicht der Zivilgerichte, das Beweisergebnis mit den Parteien "zu erörtern" (§ 279 Abs 3 ZPO) steht damit hinsichtlich der mündlichen Verhandlung der Verstoß gegen § 128 Abs 2 SGG und damit zugleich gegen das Verfahrensgrundrecht auf rechtliches Gehör bereits allein aufgrund der fehlenden Erwähnung im Protokoll exklusiv und abschließend fest(vgl BGH Beschluss vom 20.12.2005 - VI ZR 307/04 - BGHReport 2006, 529).

6

Der in der Sitzungsniederschrift enthaltene Satz "Das Sach- und Streitverhältnis wird mit ihnen (den Beteiligten) erörtert", ist demgegenüber für sich allein keinesfalls geeignet, verlässlichen Nachweis für eine ausreichende Unterrichtung der Beteiligten über die entscheidungserheblichen Tatsachen und Erkenntnisquellen zu liefern. Als bloß formelhafte Wiederholung des Gesetzeswortlauts lässt er weder Inhalt noch Umfang der Erörterung erkennen, sondern gibt Raum für Spekulationen. Infolge dieser Unschärfe kann er keinesfalls Grundlage für die Entscheidung sein, ob das Gericht seine konkreten Mitteilungs- und Erörterungspflichten erfüllt, dh den Grundsatz des rechtlichen Gehörs im Einzelfall be- oder missachtet hat (BSG SozR 3-1500 § 62 Nr 4 S 5 f).

7

Hinsichtlich des Gangs der mündlichen Verhandlung kommt es unter diesen Umständen auch von vornherein weder auf die nachrangige und allein positive Beweiskraft des Protokolls als öffentlicher Urkunde iS von § 418 ZPO(vgl BGH Urteil vom 8.12.1993 - XII ZR 133/92 - FamRZ 1994, 300 ff) noch auf die ebenfalls nachrangige und nur positiv auf das mündliche Parteivorbringen beschränkte Beweiskraft des Urteilstatbestandes (§ 314 S 1 ZPO) an. Beide haben neben der exklusiven negativen Beweiswirkung des § 165 S 1 ZPO keine eigenständige Bedeutung.

8

Schließlich ergibt sich hinsichtlich des Verfahrensgangs im Übrigen aus den Akten des Berufungsgerichts kein positiver Hinweis darauf, dass der Kläger außerhalb der mündlichen Verhandlung auf Tatsachen und Beweisergebnisse hingewiesen worden wäre, denen das Berufungsgericht entnehmen will, zum "streitgegenständlichen Zeitpunkt" seien am Nachtbriefkasten keine technischen Defekte aufgetreten und es hätten auch keine Anhaltspunkte für eine fehlerhafte Bearbeitung durch das zuständige Personal bestanden. Insofern hätte sich bei Beachtung des sozialgerichtlichen Verfahrensrechts ein Hinweis darauf finden müssen, dass dem Kläger gemäß § 107 SGG nach Anordnung des Vorsitzenden entweder eine Abschrift der Niederschrift einer durchgeführten Beweisaufnahme oder deren Inhalt und bei Anordnungen nach § 106 SGG jedenfalls eine Unterrichtung von der durchgeführten Maßnahme und ihrer Bedeutung für eine Entscheidung des Rechtsstreits mitgeteilt wurde(vgl BSG Beschluss vom 19.1.2005 - B 11a/11 AL 215/04 B -, Juris RdNr 9 f). Ebenso wenig lässt der Akteninhalt auch nur andeutungsweise erkennen, dass dem Kläger entsprechende Umstände auf sonstige Weise bekannt gewesen sein könnten und er hierzu schriftlich Stellung genommen haben oder trotz Kenntnis der rechtlichen Relevanz dieser Umstände von einer Stellungnahme Abstand genommen haben könnte. Da auch die Beweiskraft in der Gerichtsakte des Berufungsgerichts enthaltener öffentlicher und privater Urkunden stets nur auf einen positiven Inhalt beschränkt wäre (§§ 415 ff ZPO), steht damit die Verletzung von § 128 Abs 2 SGG zwar hinsichtlich des Verfahrensgangs außerhalb der mündlichen Verhandlung nicht auch abschließend negativ fest, doch gilt auch bei der Feststellung der Sachurteilsvoraussetzungen, dass § 103 S 1 Halbs 1 SGG keine Ermittlungen "ins Blaue hinein" gebietet. Gibt daher auch der Akteninhalt keinen Anlass, der Frage weiter nachzugehen, ob sich der Kläger zu den Grundlagen der in Frage stehenden Beweisfeststellungen des LSG äußern konnte, darf das Revisionsgericht seine abschließende Überzeugung, dass dies entsprechend dem Beschwerdevorbringen nicht der Fall war, auch ohne Durchführung aller nur denkbaren Maßnahmen der Sachaufklärung bilden. Dies gilt vorliegend umso mehr, als auch der Prozessgegner des Klägers dessen Vorbringen im Rahmen der Nichtzulassungsbeschwerde nur mit einer nicht näher substantiierten Verneinung der gesetzlichen Revisionszulassungsgründe entgegentritt.

9

Auf dem Verfahrensmangel kann die angefochtene Entscheidung auch beruhen. Denn es ist nicht auszuschließen, dass das Urteil anders ausgefallen wäre, wenn der Kläger zuvor Gelegenheit gehabt hätte, sich zu denjenigen Tatsachen und Beweisergebnissen zu äußern, denen das LSG entnehmen will, dass am Nachtbriefkasten keine technischen Defekte aufgetreten seien und auch keine Anhaltspunkte für eine fehlerhafte Bearbeitung durch das zuständige Personal bestanden hätten. Er hätte dann ihm während des Verfahrens bekannt gewordene Umstände möglicherweise qualifiziert bestreiten und damit erreichen können, dass das LSG - nach einer etwaigen weiteren Beweiserhebung - zu einer abweichenden Entscheidung gekommen wäre (BSG vom 19.1.2005 aaO RdNr 11). Mögliche Konkretisierungsdefizite bei der Darlegung dieses Vorbringens im Rahmen der Nichtzulassungsbeschwerde können dem Kläger, dem das rechtliche Gehör durch das Verschweigen entscheidungsrelevanter Umstände verweigert wurde und der die für die Beweiserkenntnis des LSG maßgeblichen Umstände auch nicht wenigstens nachträglich dem angefochtenen Urteil oder den Prozessakten entnehmen konnte, nicht entgegengehalten werden. Eine Verpflichtung "ins Blaue hinein" vorzutragen, obwohl das Berufungsgericht Tatsachen oder Beweisergebnisse nicht mitgeteilt hat, stünde Art 19 Abs 4 GG entgegen. Der Kläger hat darüber hinaus auch Umstände dargelegt, die es als möglich erscheinen lassen, dass der gemäß § 418 Abs 2 ZPO erforderliche Beweis der Unrichtigkeit des gerichtlichen Eingangsstempels als öffentliche Urkunde aufgrund am Schluss der mündlichen Verhandlung gestellter Beweisanträge zu seinen Gunsten als geführt angesehen werden könnte. Er hätte dann zumindest die Zeugenvernehmungen seines Prozessbevollmächtigten, der Rechtsanwaltsfachangestellten R. und der Auszubildenden G. zum Zeitpunkt von Kuvertierung und Einwurf des Berufungsschriftsatzes, die Zeugenvernehmung des zuständigen Poststellenmitarbeiters zur Nachtbriefkastenleerung und Postbearbeitung sowie die Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Funktionsweise des Nachtbriefkastens beantragen können, um der Tatsacheninstanz unmittelbar vor deren Entscheidung zu signalisieren, dass er die bisherige Sachaufklärung für defizitär hält ("Warnfunktion") und wie diesem Mangel konkret abgeholfen werden kann ("Hinweisfunktion").

10

Darauf, ob sich aus den Darlegungen des Klägers weitere Verfahrensfehler - so etwa eine weitere Verletzung des rechtlichen Gehörs durch die Zurückweisung seines Vorbringens zu den Umständen der Berufungseinlegung ohne jede inhaltliche Auseinandersetzung oder das teilweise Fehlen von Urteilsgründen - ergeben, bedarf unter diesen Umständen keiner näheren Erörterung.

11

Nach § 160a Abs 5 SGG kann das erkennende Gericht in dem Beschluss über die Nichtzulassungsbeschwerde das angefochtene Urteil aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverweisen, wenn - wie hier - die Voraussetzungen des § 160 Abs 2 Nr 3 SGG vorliegen. Der Senat macht von dieser Möglichkeit Gebrauch. Damit entfällt gleichzeitig auch die Ablehnungsentscheidung des LSG über den hilfsweise gestellten Wiedereinsetzungsantrag. Denn über ihn ist erst und nur dann zu entscheiden, wenn nicht festgestellt werden kann, dass der Kläger die Berufungsfrist gewahrt hat (vgl dazu BGH Beschluss vom 27.5.2003 - VI ZB 77/02 - NJW 2003, 2460). Diese Voraussetzung ist hier nicht erfüllt, weil ungeklärt ist, ob der Prozessbevollmächtigte des Klägers die Berufungsschrift noch fristgerecht am 18.5.2011 in den Nachtbriefkasten des LSG eingeworfen hat.

12

Das LSG wird schließlich auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden haben.

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 23. Februar 2015 wird als unzulässig verworfen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Gründe

1

Mit Urteil vom 23.2.2015 hat das LSG Nordrhein-Westfalen einen Anspruch des Klägers auf Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung verneint.

2

Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat der Kläger Beschwerde beim BSG eingelegt. Er beruft sich auf einen Verfahrensmangel iS von § 160 Abs 2 Nr 3 SGG.

3

Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig, weil sie nicht formgerecht begründet ist.

4

Die Revision ist nur zuzulassen, wenn

-       

die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG),

-       

das Urteil von einer Entscheidung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung beruht (aaO Nr 2) oder

-       

ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (aaO Nr 3).

5

Derartige Gründe werden in der Beschwerdebegründung nicht nach Maßgabe der Erfordernisse des § 160a Abs 2 S 3 SGG dargetan. Die Beschwerde ist daher gemäß § 160a Abs 4 S 1 iVm § 169 SGG zu verwerfen.

6

Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne (§ 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 1 SGG), so müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels (§ 160a Abs 2 S 3 SGG) zunächst die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht. Gemäß § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs 1 S 1 SGG und auf eine Verletzung des § 103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

7

Der Kläger rügt eine Verletzung des § 103 SGG.

8

Hierzu trägt er vor, er habe die im Schriftsatz vom 8.8.2012 gestellten Anträge auf Einholung einer ergänzenden Stellungnahme der Ärztin Dr. M. bzw ihre Anhörung zu verschiedenen Punkten in der mündlichen Verhandlung vom 23.2.2015 wiederholt. Diese Beweisanträge hätten allerdings keinen Eingang in das Sitzungsprotokoll gefunden. Seinen Protokollberichtigungsantrag vom 20.5.2015 habe das LSG mit der Begründung abgelehnt, es habe kein von Amts wegen zu protokollierender Beweisantrag vorgelegen. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts habe er aber einen formell konkreten Beweisantrag gestellt, den der Berufungssenat hätte berücksichtigen müssen.

9

Mit diesem Vorbringen ist eine Verletzung der tatrichterlichen Sachaufklärungspflicht nicht schlüssig bezeichnet.

10

Dabei lässt der Senat dahinstehen, ob die vom Kläger im Schriftsatz vom 8.8.2012 formulierten Beweisanträge prozessordnungsgemäß iS der ZPO sind. Aus der Beschwerdebegründung ergibt sich jedenfalls, dass der Kläger diese nicht bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung aufrechterhalten hat.

11

Ein Beweisantrag hat im sozialgerichtlichen Verfahren Warnfunktion und soll der Tatsacheninstanz vor der Entscheidung vor Augen führen, dass die gerichtliche Aufklärungspflicht von einem Beteiligten noch nicht als erfüllt angesehen wird. Dieser Vorgabe ist nicht genügt, wenn ein Beweisantrag lediglich in einem vorbereitenden Schriftsatz gestellt wird (BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 35 S 73 f; BSG Beschluss vom 6.3.2008 - B 5a R 426/07 B - Juris RdNr 9). Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG kann ein rechtskundig vertretener Beteiligter - wie der Kläger - nur dann mit der Rüge des Übergehens eines Beweisantrags nach § 160 Abs 2 Nr 3 Halbs 2 iVm § 103 SGG gehört werden, wenn er diesen bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung aufrechterhalten, dh wenigstens hilfsweise wiederholt hat, was sich aus dem Sitzungsprotokoll oder dem angefochtenen Urteil ergeben muss(vgl BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 35 S 73 mwN; BSG SozR 4-1500 § 160 Nr 13 RdNr 11 mwN). Anderenfalls ist davon auszugehen, dass der Beweisantrag nicht (mehr) gestellt wird.

12

Die Beschwerdebegründung zeigt nicht auf, dass das LSG in seinem Urteil Beweisanträge aufführt oder solche ins Sitzungsprotokoll aufgenommen sind. Aus dem Vorbringen des Klägers ergibt sich vielmehr, dass das Sitzungsprotokoll vom 23.2.2015 ursprünglich nur einen Sachantrag enthalten hat und auch nicht nachträglich im Wege der Berichtigung gemäß § 164 ZPO iVm § 122 SGG um Beweisanträge ergänzt worden ist. Damit steht nach der Beschwerdebegründung fest, dass im Termin vom 23.2.2015 Beweisanträge nicht gestellt worden sind.

13

Dies ist unabhängig davon der Fall, ob Beweisanträge zu den Förmlichkeiten der mündlichen Verhandlung zählen (dafür: zB BSG SozR 1500 § 160 Nr 64 S 68; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 73. Aufl 2015, § 165 RdNr 5; offengelassen: BFH Beschluss vom 4.9.2001 - I B 14/01 - Juris RdNr 4) und dementsprechend insoweit für die Beweiskraft des Protokolls § 165 ZPO maßgeblich ist oder sie keine Förmlichkeiten darstellen(so zB BVerwG Urteil vom 6.10.1982 - 7 C 17/80 - Juris RdNr 14; BVerwG Beschluss vom 2.11.1987 - 4 B 204/87 - Juris; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 122 RdNr 10)mit der Folge, dass sich die Beweiskraft nach § 415 Abs 1 ZPO richtet.

14

Die Förmlichkeiten der mündlichen Verhandlung können nur durch das Protokoll bewiesen werden; jedes andere Beweismittel ist ausgeschlossen. Die positive Feststellung im Protokoll beweist, dass die Förmlichkeit gewahrt ist, das Schweigen des Protokolls beweist, dass sie nicht gewahrt ist (Reichold in Thomas/Putzo, ZPO, 35. Aufl 2014, § 165 RdNr 5). Gegen den Inhalt der Niederschrift, soweit er Förmlichkeiten betrifft, ist nur der Nachweis der Fälschung zulässig (§ 165 S 2 ZPO iVm § 122 SGG), also der wissentlich falschen Beurkundung (BGH NJW-RR 1994, 386, 387) oder der nachträglichen Fälschung (Reichold aaO). Dass das Sitzungsprotokoll vom 23.2.2015 gefälscht ist, hat der Kläger nicht behauptet.

15

Sollten Beweisanträge nicht zu den Förmlichkeiten iS des § 165 S 1 ZPO iVm § 122 SGG gehören, müsste die gemäß § 415 Abs 1 ZPO iVm § 118 Abs 1 S 1 SGG bestehende Beweiskraft des Protokolls darüber, dass im vorliegenden Fall keine Beweisanträge gestellt worden sind, entkräftet werden. Aus dem Vorbringen des Klägers ergibt sich indes, dass er den Gegenbeweis iS von § 415 Abs 2 ZPO nicht geführt hat. Das LSG hat die beantragte Protokollberichtigung in Form der Aufnahme eines Beweisantrags in das Protokoll abgelehnt. Diese Entscheidung ist gemäß § 177 SGG nicht anfechtbar.

16

An Entscheidungen, die dem Endurteil des LSG vorausgegangen sind, ist das BSG gemäß § 557 Abs 2 ZPO iVm § 202 S 1 SGG gebunden, sofern sie - wie hier - unanfechtbar sind. Eine Bindung an unanfechtbare Vorentscheidungen besteht allerdings nach der Rechtsprechung des BSG bei der Zurückweisung von Befangenheitsanträgen gegen Richter oder Sachverständige und der Ablehnung von Prozesskostenhilfe durch das LSG ausnahmsweise nicht, wenn der Beschwerdeführer im Rahmen einer Nichtzulassungsbeschwerde einen Verfahrensmangel rügt, der als Folge der beanstandeten Vorentscheidung fortwirkt und damit dem angefochtenen Urteil anhaftet, sofern die Vorentscheidung gegen das Willkürverbot oder ein Verfahrensgrundrecht verstößt (vgl zur Zurückweisung eines Befangenheitsantrags gegen einen Richter: zB BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 1; BSG SozR 4-1100 Art 101 Nr 3; BSG SozR 4-1500 § 60 Nr 6; BSG Beschlüsse vom 9.1.2008 - B 12 KR 24/07 B - Juris, vom 27.10.2009 - B 1 KR 68/09 B - Juris, vom 19.11.2009 - B 11 AL 76/09 B - Juris, vom 11.12.2013 - B 6 KA 36/13 B - Juris und vom 9.4.2014 - B 14 AS 363/13 B - Juris; zur Zurückweisung eines Ablehnungsgesuchs gegen einen Sachverständigen: zB BSG Beschluss vom 24.5.2013 - B 1 KR 50/12 B - Juris; zur Ablehnung eines Antrags auf Prozesskostenhilfe: zB BSG Beschluss vom 3.12.2013 - B 13 R 447/12 B - Juris; BSG SozR 4-1500 § 160 Nr 21). Ob dies auch in Fällen der Ablehnung von Protokollberichtigungsanträgen gilt, ist indes nicht unzweifelhaft.

17

Nach der Rechtsprechung insbesondere des BGH (Beschluss vom 14.7.2004 - XII ZB 268/03 - Juris RdNr 8; vgl auch BAG Beschluss vom 25.11.2008 - 3 AZB 64/08 - Juris RdNr 10) ist die Beschwerde gegen eine sachliche Berichtigung des Protokolls nicht statthaft, weil das Beschwerdegericht mangels Teilnahme an der Sitzung zu einer Überprüfung nicht imstande sei. Eine Anfechtungsmöglichkeit des Berichtigungsvermerks schließt der BGH (aaO, RdNr 11; vgl auch BAG, aaO RdNr 24) selbst unter dem Gesichtspunkt einer greifbaren Gesetzeswidrigkeit oder einer Verletzung wesentlicher Verfahrensgrundrechte aus. Auf der Grundlage dieser Rechtsprechung hat das OLG Koblenz (Beschluss vom 19.3.2012 - 5 W 142/12 - Juris RdNr 3) zu Recht ausgeführt, dass das Argument, das Beschwerdegericht könne die inhaltliche Protokollberichtigung durch das Instanzgericht mangels Anwesenheit in der mündlichen Verhandlung nicht beurteilen, genauso gelte, wenn die Vorinstanz die Protokollberichtigung abgelehnt habe, weil der Inhalt des Berichtigungsantrags sachlich nicht zutreffe.

18

Ob ablehnende Entscheidungen über Protokollberichtigungsanträge im sozialgerichtlichen Verfahren unter den dargestellten Voraussetzungen ausnahmsweise mittelbar überprüfbar sind, bedarf hier letztendlich keiner Entscheidung. Der Kläger hat weder willkürliche Erwägungen des LSG noch eine Verletzung von Verfahrensgrundrechten vorgetragen.

19

Von einer weiteren Begründung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen (vgl § 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).

20

Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 und 4 SGG.

Die Beteiligten werden von allen Beweisaufnahmeterminen benachrichtigt und können der Beweisaufnahme beiwohnen. Sie können an Zeugen und Sachverständige sachdienliche Fragen richten lassen. Wird eine Frage beanstandet, so entscheidet das Gericht.

(1) Das Prozessgericht kann anordnen, dass bei der Einnahme des Augenscheins ein oder mehrere Sachverständige zuzuziehen seien.

(2) Es kann einem Mitglied des Prozessgerichts oder einem anderen Gericht die Einnahme des Augenscheins übertragen, auch die Ernennung der zuzuziehenden Sachverständigen überlassen.

(1) Soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, sind auf die Beweisaufnahme die §§ 358 bis 363, 365 bis 378, 380 bis 386, 387 Abs. 1 und 2, §§ 388 bis 390, 392 bis 406 Absatz 1 bis 4, die §§ 407 bis 444, 478 bis 484 der Zivilprozeßordnung entsprechend anzuwenden. Die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Weigerung nach § 387 der Zivilprozeßordnung ergeht durch Beschluß.

(2) Zeugen und Sachverständige werden nur beeidigt, wenn das Gericht dies im Hinblick auf die Bedeutung des Zeugnisses oder Gutachtens für die Entscheidung des Rechtsstreits für notwendig erachtet.

(3) Der Vorsitzende kann das Auftreten eines Prozeßbevollmächtigten untersagen, solange die Partei trotz Anordnung ihres persönlichen Erscheinens unbegründet ausgeblieben ist und hierdurch der Zweck der Anordnung vereitelt wird.

(1) Die Nichtzulassung der Revision kann selbständig durch Beschwerde angefochten werden. Die Beschwerde ist bei dem Bundessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils einzulegen. Der Beschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des Urteils, gegen das die Revision eingelegt werden soll, beigefügt werden. Satz 3 gilt nicht, soweit nach § 65a elektronische Dokumente übermittelt werden.

(2) Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Urteils zu begründen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden einmal bis zu einem Monat verlängert werden. In der Begründung muß die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt oder die Entscheidung, von der das Urteil des Landessozialgerichts abweicht, oder der Verfahrensmangel bezeichnet werden.

(3) Die Einlegung der Beschwerde hemmt die Rechtskraft des Urteils.

(4) Das Bundessozialgericht entscheidet unter Zuziehung der ehrenamtlichen Richter durch Beschluss; § 169 gilt entsprechend. Dem Beschluß soll eine kurze Begründung beigefügt werden; von einer Begründung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen. Mit der Ablehnung der Beschwerde durch das Bundessozialgericht wird das Urteil rechtskräftig. Wird der Beschwerde stattgegeben, so beginnt mit der Zustellung dieser Entscheidung der Lauf der Revisionsfrist.

(5) Liegen die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 3 vor, kann das Bundessozialgericht in dem Beschluss das angefochtene Urteil aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverweisen.