Bundessozialgericht Urteil, 30. März 2017 - B 14 AS 55/15 R

ECLI:ECLI:DE:BSG:2017:300317UB14AS5515R0
bei uns veröffentlicht am30.03.2017

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 20. Oktober 2015 aufgehoben.

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 17. September 2013 wird zurückgewiesen, auf die Berufung des Beklagten wird dieses Urteil geändert und die Klage insgesamt abgewiesen.

Kosten sind für alle drei Instanzen nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Im Streit stehen höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II, insbesondere unter Berücksichtigung der Versicherungspauschale wegen einer Schüler-Zusatzversicherung für den Zeitraum vom 1.7. bis 31.12.2012.

2

Das beklagte Jobcenter bewilligte der am 10.4.1996 geborenen, während dieser Zeit mit ihrer Mutter in Bedarfsgemeinschaft lebenden Klägerin für den streitbefangenen Zeitraum Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II zuletzt in Höhe von 111,49 Euro monatlich (letzter Bewilligungsbescheid vom 20.8.2012). Den Antrag vom 5.11.2012 auf Gewährung höherer Leistungen unter Änderung des Bescheids vom 20.8.2012 unter Verweis auf eine zu einem Jahresbeitrag von 1 Euro für die Klägerin beim Badischen Gemeinde-Versicherungsverband abgeschlossene Schüler-Zusatzversicherung lehnte der Beklagte ab. Das ihr zugerechnete Kindergeld sei nicht wegen der Schüler-Zusatzversicherung um die Versicherungspauschale nach § 6 Abs 1 Nr 2 Alg II-V in Höhe von monatlich 30 Euro zu bereinigen(Bescheid vom 27.11.2012; Widerspruchsbescheid vom 18.3.2013).

3

Auf die Klage zuletzt mit dem Ziel, der Klägerin vom 1.7. bis 31.12.2012 weitere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in Höhe von monatlich 30 Euro zu gewähren, hat das SG den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 27.11.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18.3.2013 sowie unter Änderung des Bescheids vom 20.8.2012 verurteilt, ihr für September 2012 weitere 30 Euro zu gewähren; im Übrigen hat es die Klage abgewiesen (Urteil vom 17.9.2013). Auf die vom SG zugelassene Berufung der Klägerin hat das LSG das Urteil des SG geändert, den Beklagten unter Zurückweisung dessen Berufung und unter weitergehender Änderung des Bescheids vom 20.8.2012 verurteilt, der Klägerin auch für die Monate Juli, August, Oktober, November und Dezember 2012 weitere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in Höhe von monatlich 30 Euro zu gewähren (Urteil vom 20.10.2015). Bei der Ermittlung ihres Einkommens sei die Versicherungspauschale von 30 Euro monatlich in Abzug zu bringen. Die Schüler-Zusatzversicherung sei eine nach Grund und Höhe angemessene Versicherung iS von § 6 Abs 1 Nr 2 Alg II-V, deren Leistungen über die gesetzliche Schülerunfallversicherung hinausgingen. Eine Reduzierung des Absetzbetrags sei mit dem Wortlaut der Vorschrift unvereinbar. Ebenso wenig könne der Beitrag als "Bagatellbeitrag" unbeachtlich bleiben.

4

In der Rechtsmittelbelehrung des dem Beklagten am 26.10.2015 zugestellten Urteils des LSG, nach dessen Tenor und Entscheidungsgründen die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen worden ist, ist ua ausgeführt: "Diese Entscheidung kann nur dann mit der Revision angefochten werden, wenn sie nachträglich vom Bundessozialgericht zugelassen wird. Zu diesem Zweck kann die Nichtzulassung der Revision durch das Landessozialgericht mit der Beschwerde angefochten werden".

5

Mit seiner am 23.11.2015 eingelegten und mit am 17.10.2016 beim BSG eingegangenem Schriftsatz vom 11.10.2016 begründeten Revision rügt der Beklagte die Verletzung von § 11b Abs 1 Satz 1 Nr 3 SGB II sowie von § 6 Abs 1 Nr 2 Alg II-V. Fraglich sei schon, ob der symbolische Betrag von 1 Euro jährlich einen Beitrag im Sinne der Vorschrift darstelle. Jedenfalls gewähre die gesetzliche Schülerunfallversicherung ausreichenden Schutz, weshalb die Versicherung unangemessen sei. Außer in Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen werde sie in keinem anderen Bundesland angeboten.

6

Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 20. Oktober 2015 aufzuheben, die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 17. September 2013 zurückzuweisen, auf seine Berufung dieses Urteil zu ändern und die Klage insgesamt abzuweisen.

7

Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

8

Sie rügt die Vorlage der Revisionsbegründung als verspätet und verteidigt im Übrigen die angegriffene Entscheidung.

Entscheidungsgründe

9

Die zulässige Revision des Beklagten ist begründet (§ 170 Abs 2 Satz 1 SGG). Zutreffend hat er entschieden, dass die Klägerin auch unter Berücksichtigung des Beitrags der für sie abgeschlossenen Schüler-Zusatzversicherung im streitbefangenen Zeitraum keinen Anspruch auf höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II hat.

10

1. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist der Bescheid des Beklagten vom 27.11.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18.3.2013 und der Bewilligungsbescheid vom 20.8.2012, soweit das LSG der Klägerin unter dessen Aufhebung bzw Änderung für den streitbefangenen Zeitraum um 30 Euro monatlich höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II zuerkannt hat. Nicht Gegenstand des Verfahrens ist dagegen der ursprüngliche Bewilligungsbescheid vom 12.6.2012, nachdem er durch den höhere Leistungen gewährenden Bescheid vom 20.8.2012 entgegen dessen Bezeichnung als Änderungsbescheid der Sache nach vollständig ersetzt worden und damit erledigt ist (§ 39 Abs 2 SGB X).

11

2. Der Sachentscheidung entgegenstehende Verfahrenshindernisse bestehen nicht.

12

a) Soweit die Klage den Zeitraum vor Zahlung des Jahresbeitrags zur Schüler-Zusatzversicherung für das Schuljahr 2012/13 betrifft, beansprucht die Klägerin eine Korrektur des Bewilligungsbescheids für den streitbefangenen Zeitraum vom 20.8.2012 wegen anfänglicher Rechtswidrigkeit im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens nach § 44 SGB X. Insoweit verfolgt sie ihr Begehren zutreffend im Wege der kombinierten Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 und Abs 4 iVm § 56 SGG), gerichtet auf die Aufhebung des die Überprüfung des Bewilligungsbescheids vom 20.8.2012 ablehnenden Verwaltungsakts vom 27.11.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18.3.2013 sowie auf Erteilung eines entsprechenden Änderungsbescheids und auf höhere Leistungen (vgl letztens BSG Urteil vom 12.10.2016 - B 4 AS 37/15 R - vorgesehen für BSGE und SozR 4, RdNr 11 mwN). Soweit die Klage dagegen den Zeitraum nach Entrichtung der Jahresgebühr betrifft, richtet sie sich auf eine Korrektur des Bescheids vom 20.8.2012 wegen nachträglicher Änderung nach § 48 SGB X, weshalb insoweit die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage(§ 54 Abs 1 Satz 1 und Abs 4 iVm § 56 SGG) zulässige Klageart ist (BSG Urteil vom 20.9.2012 - B 8 SO 4/11 R - BSGE 112, 54 = SozR 4-3500 § 28 Nr 8, RdNr 15).

13

b) Hierüber kann der Senat ungeachtet der erst am 17.10.2016 vorgelegten Revisionsbegründung auch in der Sache entscheiden, da die Jahresfrist gewahrt ist.

14

Wie auch die Klägerin nicht in Zweifel zieht, beginnt die Frist für ein Rechtsmittel oder einen anderen Rechtsbehelf gemäß § 66 Abs 1 SGG nur dann zu laufen, wenn der Beteiligte über den Rechtsbehelf, die Verwaltungsstelle oder das Gericht, bei denen der Rechtsbehelf anzubringen ist, den Sitz und die einzuhaltende Frist schriftlich oder elektronisch belehrt worden ist. Fehlt es an einer in diesem Sinne ordnungsgemäßen Rechtsmittelbelehrung - wie hier mit dem unzutreffenden Verweis auf die Nichtzulassungsbeschwerde nach § 160a Abs 1 Satz 1 SGG trotz nach Tenor und Entscheidungsgründen ausdrücklicher Zulassung der Revision - beginnt auch die Frist zur Vorlage der Revisionsbegründung nach § 164 Abs 2 Satz 1 SGG nicht zu laufen(Heinz in Roos/Wahrendorf, SGG, 2014, § 164 RdNr 32; iE ebenso bereits BSG Urteil vom 14.10.1955 - 2 RU 16/54 - BSGE 1, 254, 255 f). Ihren Schutzzweck entfaltet die Jahresfrist des § 66 Abs 2 Satz 1 SGG nur, wenn unter "Einlegung des Rechtsbehelfs" alle Maßnahmen verstanden werden, die für die wirksame Rechtsverfolgung prozessual erforderlich sind. Demgemäß haben BVerwG und BFH zu den entsprechenden Bestimmungen in VwGO und FGO bereits entschieden, dass der Begriff "Rechtsmittel" in dem Sinne gebraucht wird, dass Rechtsmittel nebst Begründung als Einheit angesehen werden (BVerwG Urteil vom 8.2.1968 - III C 20.67 - Buchholz 310 § 58 Nr 13 S 19, 20 zu § 58 Abs 2 Satz 1 VwGO; BFH Urteil vom 12.5.2011 - IV R 37/09 - BFH/NV 2012, 41, RdNr 19 zu § 55 Abs 2 Satz 1 FGO mwN); andernfalls wäre eine fristwahrende Begründung eines Rechtsmittels bei Ausnutzung der Jahresfrist schlechterdings unmöglich. Im Gegenzug entspricht es allgemeiner Auffassung, dass die Jahresfrist bei unterbliebener oder fehlerhafter Rechtsbehelfsbelehrung eine Ausschlussfrist darstellt, innerhalb derer der Rechtsbehelf sowohl eingelegt als auch begründet werden muss (zu § 66 Abs 2 Satz 1 SGG vgl nur BSG Beschluss vom 22.8.1995 - 5 BJ 50/95 - SozR 3-1500 § 66 Nr 5 S 21 f; zu § 58 Abs 2 Satz 1 VwGO: BVerwG Urteil vom 8.2.1968 - III C 20.67 - Buchholz 310 § 58 Nr 13 S 19, 20; zu § 55 Abs 2 Satz 1 FGO: BFH Beschluss vom 16.8.2010 - I B 132/09 - BFH/NV 2010, 2108; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 66 RdNr 13; Littmann in Lüdtke/Berchtold, SGG, 5. Aufl 2017, § 66 RdNr 6).

15

An diesem Ergebnis ändert nichts, dass der Beklagte die Revision selbst bereits am 23.11.2015 und damit - auf die Zustellung am 26.10.2015 - innerhalb der Monatsfrist des § 164 Abs 1 Satz 1 SGG eingelegt hat. Das berührt den Lauf der Jahresfrist nach § 66 Abs 2 Satz 1 SGG entgegen der Auffassung der Klägerin nicht. Zu § 66 Abs 2 SGG und den entsprechenden Vorschriften in VwGO und FGO ist vielmehr durchweg anerkannt, dass die Folgen der unrichtigen Rechtsmittelbelehrung unabhängig davon eintreten, ob der Mangel der Belehrung ursächlich für eine verspätete Einlegung oder Begründung des Rechtsmittels war oder ob der Adressat - etwa aufgrund eigener Sachkunde - die Unrichtigkeit erkannt hat(so zu § 66 Abs 2 Satz 1 SGG bereits BSG Urteil vom 14.10.1955 - 2 RU 16/54 - BSGE 1, 254, 255 f; BSG Urteil vom 3.7.2013 - B 12 KR 8/11 R - BSGE 114, 69 = SozR 4-1500 § 66 Nr 4, RdNr 25 mwN; BSG Urteil vom 9.4.2014 - B 14 AS 46/13 R - BSGE 115, 288 = SozR 4-1500 § 87 Nr 2, RdNr 17; zu § 58 Abs 2 Satz 1 VwGO: BVerwG Urteil vom 13.12.1978 - 6 C 77.78 - BVerwGE 57, 188, 191; BVerwG Urteil vom 15.12.1988 - 5 C 9.85 - BVerwGE 81, 81, 84; zu § 55 Abs 2 Satz 1 FGO: BFH Zwischenurteil vom 12.2.1987 - V R 116/86 - BFHE 149, 120, 121; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 66 RdNr 12 mwN). Darauf, dass ein Sozialversicherungsträger die Rechtsbehelfs- und Rechtsmittelfristen kennt bzw kennen muss, kommt es daher nicht an (BSG Urteil vom 3.7.2013 - B 12 KR 8/11 R - BSGE 114, 69 = SozR 4-1500 § 66 Nr 4, RdNr 25).

16

Umstände, die den Beklagten ausnahmsweise nach Treu und Glauben trotzdem an der Ausnutzung der Jahresfrist zur Vorlage der Revisionsbegründung gehindert hätten, sind nicht ersichtlich (vgl zu einem solchen Fall BSG Urteil vom 3.7.2013 - B 12 KR 8/11 R - BSGE 114, 69 = SozR 4-1500 § 66 Nr 4, RdNr 28 ff mwN). Eine zurechenbare Mitverantwortung für die Unrichtigkeit der Rechtsbehelfsbelehrung steht nicht in Rede (so die Lage bei BSG aaO). Dass er über das Zeitmoment hinaus - die Vorlage der Revisionsbegründung erst nach Ablauf der Zwei-Monats-Frist nach § 164 Abs 2 Satz 1 SGG - weiter unter Verhältnissen untätig geblieben ist, unter denen vernünftigerweise etwas zur Wahrung von Ansprüchen unternommen wird (Umstandsmoment), ist ebenfalls nicht zu erkennen. Auf Anfrage des Senats hat der Beklagte vielmehr ausdrücklich erklärt, an der Revision festhalten zu wollen (Schriftsatz vom 12.1.2016). Sonstige Umstände, die sein Abwarten gemessen an den Anforderungen an ein faires Verfahren als schlechterdings unvertretbar erscheinen lassen würden, hat die Klägerin nicht geltend gemacht und sind auch sonst nicht ersichtlich, wenngleich die Verfahrensweise mit den den Beklagten treffenden Obliegenheiten zur Verfahrensbeschleunigung und dem von ihm zu fördernden öffentlichen Interesse an einer möglichst zügigen Klärung grundsätzlich bedeutsamer Rechtsfragen (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) schwerlich zu vereinbaren ist.

17

3. In der Sache hat der Beklagte zutreffend entschieden, dass der Klägerin im streitbefangenen Zeitraum weitere 30 Euro monatlich zur Sicherung des Lebensunterhalts nicht zustehen.

18

a) Rechtsgrundlage für den von ihr geltend gemachten Anspruch im Zeitraum vom 1.7. bis 31.12.2012 in materiell-rechtlicher Hinsicht sind §§ 19 ff iVm §§ 7, 9, 11 ff SGB II idF, die das SGB II vor dem streitbefangenen Zeitraum zuletzt durch das Gesetz zur Verbesserung der Eingliederungschancen am Arbeitsmarkt vom 20.12.2011 (BGBl I 2854) erhalten hat. Die Grundvoraussetzungen, um Alg II zu erhalten (§ 7 Abs 1 Satz 1 SGB II), erfüllte die mit ihrer nach dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen des LSG ungeachtet des Bezugs einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung als erwerbsfähig anzusehenden Mutter in Bedarfsgemeinschaft lebende Klägerin (§ 7 Abs 3 Nr 1 und Nr 4 SGB II); ebenso wenig lag ein Ausschlusstatbestand vor, wie sich aus dem Gesamtzusammenhang der Feststellungen des LSG ergibt.

19

b) Die der Klägerin nach Maßgabe von § 9 SGB II zustehenden Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts hat der Beklagte - unter Außerachtlassung der Pauschale nach § 6 Abs 1 Nr 2 Alg II-V(dazu unten c) - zutreffend berechnet. Sie selbst hat folgende Bedarfe: Ihr Regelbedarf (§ 20 SGB II)ist in Höhe von 287 Euro anzuerkennen, hinzu kommt der kopfteilig umzulegende Bedarf für Unterkunft und Heizung (§ 22 Abs 1 Satz 1 SGB II) in Höhe von 220 Euro (1/2 von den tatsächlichen, angemessenen Kosten von insgesamt 440 Euro), insgesamt 507 Euro. Für ihre Mutter ist ein Regelbedarf in Höhe von 374 Euro, der Mehrbedarf für Alleinerziehende in Höhe von 44,88 Euro (§ 21 Abs 3 Nr 2 SGB II), ein der Höhe nach nicht im Streit stehender Mehrbedarf wegen einer aus medizinischen Gründen kostenaufwändigen Ernährung in Höhe von 12,62 Euro (§ 21 Abs 5 SGB II)sowie 1/2 des Bedarfs für Unterkunft und Heizung in Höhe von 220 Euro anzuerkennen, insgesamt 651,50 Euro.

20

Von dem Bedarf der Klägerin ist nach § 11 Abs 1 Satz 4, 3 SGB II das Kindergeld als Einkommen abzuziehen. Danach verbleibt ein ungedeckter Bedarf in Höhe von 323 Euro (507 Euro abzüglich 184 Euro Kindergeld).

21

Dem nach Abzug des Kindergeldes verbleibenden Gesamtbedarf der Klägerin und ihrer Mutter in Höhe von 974,50 Euro ist das nach § 11 Abs 1 Satz 1 SGB II zu berücksichtigende Einkommen der Mutter in Höhe von 638,14 Euro gegenüberzustellen(§ 9 Abs 2 Satz 2 SGB II), das sich aus Erwerbseinkommen in Höhe von 677,18 Euro abzüglich der Absetzbeträge nach § 11b SGB II in Höhe von 250,30 Euro und der Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung in Höhe von 211,26 Euro ergibt. Danach hat der Beklagte den Anspruch der Klägerin zutreffend mit monatlich 111,49 Euro bestimmt.

22

c) Zu Recht hat der Beklagte dabei das der Klägerin zuzurechnende Kindergeld (§ 11 Abs 1 Satz 4, 3 SGB II) nicht anspruchserhöhend um die Versicherungspauschale nach § 6 Abs 1 Nr 2 Alg II-V von 30 Euro bereinigt. Wie der 4. Senat des BSG bereits entschieden hat, handelt es sich bei der Schüler-Zusatzversicherung nicht um eine Versicherung iS von § 11b Abs 1 Satz 1 Nr 3 Halbsatz 1 Alt 2 SGB II und § 6 Abs 1 Nr 2 Alg II-V, weil es im Hinblick auf die Prämie von 1 Euro je Schuljahr an dem für private Versicherungen in diesem Sinne vorausgesetzten äquivalenten Austauschverhältnis zwischen den Vertragspartnern eines Versicherungsvertrags fehlt(BSG Urteil vom 8.12.2016 - B 4 AS 59/15 R - Juris RdNr 20 ff). Dem schließt sich der erkennende Senat an.

23

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 Abs 1 SGG.

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1 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Bundessozialgericht Urteil, 30. März 2017 - B 14 AS 55/15 R.

Bayerisches Landessozialgericht Beschluss, 17. Juli 2018 - L 11 AS 645/18 B PKH

bei uns veröffentlicht am 17.07.2018

Tenor Die Beschwerde gegen den Beschluss des Sozialgerichts Würzburg vom 07.05.2018 wird zurückgewiesen. Gründe I. Streitig ist die Anrechnung einer befristeten Rente wegen voller Erwerbsminderung auf die

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(1) Als Pauschbeträge sind abzusetzen

1.
von dem Einkommen volljähriger Leistungsberechtigter ein Betrag in Höhe von 30 Euro monatlich für die Beiträge zu privaten Versicherungen nach § 11b Absatz 1 Satz 1 Nr. 3 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch, die nach Grund und Höhe angemessen sind,
2.
von dem Einkommen Minderjähriger ein Betrag in Höhe von 30 Euro monatlich für die Beiträge zu privaten Versicherungen nach § 11b Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch, die nach Grund und Höhe angemessen sind, wenn der oder die Minderjährige eine entsprechende Versicherung abgeschlossen hat,
3.
von dem Einkommen Leistungsberechtigter monatlich ein Betrag in Höhe eines Zwölftels der zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Leistungsanspruch nachgewiesenen Jahresbeiträge zu den gesetzlich vorgeschriebenen Versicherungen nach § 11b Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch,
4.
von dem Einkommen Leistungsberechtigter ein Betrag in Höhe von 3 Prozent des Einkommens, mindestens 5 Euro, für die zu einem geförderten Altersvorsorgevertrag entrichteten Beiträge nach § 11b Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch; der Prozentwert mindert sich um 1,5 Prozentpunkte je zulageberechtigtes Kind im Haushalt der oder des Leistungsberechtigten,
5.
von dem Einkommen Erwerbstätiger für die Beträge nach § 11b Absatz 1 Satz 1 Nummer 5 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch bei Benutzung eines Kraftfahrzeuges für die Fahrt zwischen Wohnung und Arbeitsstätte für Wegstrecken zur Ausübung der Erwerbstätigkeit 0,20 Euro für jeden Entfernungskilometer der kürzesten Straßenverbindung, soweit der oder die erwerbsfähige Leistungsberechtigte nicht höhere notwendige Ausgaben nachweist.

(2) Sofern die Berücksichtigung des Pauschbetrags nach Absatz 1 Nummer 5 im Vergleich zu den bei Benutzung eines zumutbaren öffentlichen Verkehrsmittels anfallenden Fahrtkosten unangemessen hoch ist, sind nur diese als Pauschbetrag abzusetzen.

(3) Für Mehraufwendungen für Verpflegung ist, wenn die erwerbsfähige leistungsberechtigte Person vorübergehend von seiner Wohnung und dem Mittelpunkt seiner dauerhaft angelegten Erwerbstätigkeit entfernt erwerbstätig ist, für jeden Kalendertag, an dem die erwerbsfähige leistungsberechtigte Person wegen dieser vorübergehenden Tätigkeit von seiner Wohnung und dem Tätigkeitsmittelpunkt mindestens zwölf Stunden abwesend ist, ein Pauschbetrag in Höhe von 6 Euro abzusetzen.

(1) Vom Einkommen abzusetzen sind

1.
auf das Einkommen entrichtete Steuern,
2.
Pflichtbeiträge zur Sozialversicherung einschließlich der Beiträge zur Arbeitsförderung,
3.
Beiträge zu öffentlichen oder privaten Versicherungen oder ähnlichen Einrichtungen, soweit diese Beiträge gesetzlich vorgeschrieben oder nach Grund und Höhe angemessen sind; hierzu gehören Beiträge
a)
zur Vorsorge für den Fall der Krankheit und der Pflegebedürftigkeit für Personen, die in der gesetzlichen Krankenversicherung nicht versicherungspflichtig sind,
b)
zur Altersvorsorge von Personen, die von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit sind,
soweit die Beiträge nicht nach § 26 bezuschusst werden,
4.
geförderte Altersvorsorgebeiträge nach § 82 des Einkommensteuergesetzes, soweit sie den Mindesteigenbeitrag nach § 86 des Einkommensteuergesetzes nicht überschreiten,
5.
die mit der Erzielung des Einkommens verbundenen notwendigen Ausgaben,
6.
für Erwerbstätige ferner ein Betrag nach Absatz 3,
7.
Aufwendungen zur Erfüllung gesetzlicher Unterhaltsverpflichtungen bis zu dem in einem Unterhaltstitel oder in einer notariell beurkundeten Unterhaltsvereinbarung festgelegten Betrag,
8.
bei erwerbsfähigen Leistungsberechtigten, deren Einkommen nach dem Vierten Abschnitt des Bundesausbildungsförderungsgesetzes oder nach § 67 oder § 126 des Dritten Buches bei der Berechnung der Leistungen der Ausbildungsförderung für mindestens ein Kind berücksichtigt wird, der nach den Vorschriften der Ausbildungsförderung berücksichtigte Betrag.
Bei der Verteilung einer einmaligen Einnahme nach § 11 Absatz 3 Satz 4 sind die auf die einmalige Einnahme im Zuflussmonat entfallenden Beträge nach den Nummern 1, 2, 5 und 6 vorweg abzusetzen.

(2) Bei erwerbsfähigen Leistungsberechtigten, die erwerbstätig sind, ist anstelle der Beträge nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 bis 5 ein Betrag von insgesamt 100 Euro monatlich von dem Einkommen aus Erwerbstätigkeit abzusetzen. Beträgt das monatliche Einkommen aus Erwerbstätigkeit mehr als 400 Euro, gilt Satz 1 nicht, wenn die oder der erwerbsfähige Leistungsberechtigte nachweist, dass die Summe der Beträge nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 bis 5 den Betrag von 100 Euro übersteigt.

(2a) § 82a des Zwölften Buches gilt entsprechend.

(2b) Abweichend von Absatz 2 Satz 1 ist anstelle der Beträge nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 bis 5 der Betrag nach § 8 Absatz 1a des Vierten Buches von dem Einkommen aus Erwerbstätigkeit abzusetzen bei erwerbsfähigen Leistungsberechtigten, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und die

1.
eine nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz dem Grunde nach förderungsfähige Ausbildung durchführen,
2.
eine nach § 57 Absatz 1 des Dritten Buches dem Grunde nach förderungsfähige Ausbildung, eine nach § 51 des Dritten Buches dem Grunde nach förderungsfähige berufsvorbereitende Bildungsmaßnahme oder eine nach § 54a des Dritten Buches geförderte Einstiegsqualifizierung durchführen,
3.
einem Freiwilligendienst nach dem Bundesfreiwilligendienstgesetz oder dem Jugendfreiwilligendienstegesetz nachgehen oder
4.
als Schülerinnen und Schüler allgemein- oder berufsbildender Schulen außerhalb der in § 11a Absatz 7 genannten Zeiten erwerbstätig sind; dies gilt nach dem Besuch allgemeinbildender Schulen auch bis zum Ablauf des dritten auf das Ende der Schulausbildung folgenden Monats.
Bei der Anwendung des Satzes 1 Nummer 3 gilt das Taschengeld nach § 2 Nummer 4 des Bundesfreiwilligendienstgesetzes und nach § 2 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 des Jugendfreiwilligendienstegesetzes als Einkommen aus Erwerbstätigkeit. Bei Leistungsberechtigten, die das 25. Lebensjahr vollendet haben, tritt in den Fällen des Satzes 1 Nummer 3 an die Stelle des Betrages nach § 8 Absatz 1a des Vierten Buches der Betrag von 250 Euro monatlich. Sofern die unter Satz 1 Nummer 1 bis 4 genannten Personen die in § 11a Absatz 3 Satz 2 Nummer 3 bis 5 genannten Leistungen, Ausbildungsgeld nach dem Dritten Buch oder einen Unterhaltsbeitrag nach § 10 Absatz 2 des Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetzes erhalten, ist von diesen Leistungen für die Absetzbeträge nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 bis 5 ein Betrag in Höhe von mindestens 100 Euro abzusetzen, wenn die Absetzung nicht bereits nach Satz 1 oder nach Absatz 2 Satz 1 erfolgt ist. Satz 4 gilt auch für Leistungsberechtigte, die das 25. Lebensjahr vollendet haben.

(3) Bei erwerbsfähigen Leistungsberechtigten, die erwerbstätig sind, ist von dem monatlichen Einkommen aus Erwerbstätigkeit ein weiterer Betrag abzusetzen. Dieser beläuft sich

1.
für den Teil des monatlichen Erwerbseinkommens, der 100 Euro übersteigt und nicht mehr als 520 Euro beträgt, auf 20 Prozent,
2.
für den Teil des monatlichen Erwerbseinkommens, der 520 Euro übersteigt und nicht mehr als 1 000 Euro beträgt, auf 30 Prozent und
3.
für den Teil des monatlichen Erwerbseinkommens, der 1 000 Euro übersteigt und nicht mehr als 1 200 Euro beträgt, auf 10 Prozent.
Anstelle des Betrages von 1 200 Euro tritt für erwerbsfähige Leistungsberechtigte, die entweder mit mindestens einem minderjährigen Kind in Bedarfsgemeinschaft leben oder die mindestens ein minderjähriges Kind haben, ein Betrag von 1 500 Euro. In den Fällen des Absatzes 2b ist Satz 2 Nummer 1 nicht anzuwenden.

(1) Als Pauschbeträge sind abzusetzen

1.
von dem Einkommen volljähriger Leistungsberechtigter ein Betrag in Höhe von 30 Euro monatlich für die Beiträge zu privaten Versicherungen nach § 11b Absatz 1 Satz 1 Nr. 3 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch, die nach Grund und Höhe angemessen sind,
2.
von dem Einkommen Minderjähriger ein Betrag in Höhe von 30 Euro monatlich für die Beiträge zu privaten Versicherungen nach § 11b Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch, die nach Grund und Höhe angemessen sind, wenn der oder die Minderjährige eine entsprechende Versicherung abgeschlossen hat,
3.
von dem Einkommen Leistungsberechtigter monatlich ein Betrag in Höhe eines Zwölftels der zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Leistungsanspruch nachgewiesenen Jahresbeiträge zu den gesetzlich vorgeschriebenen Versicherungen nach § 11b Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch,
4.
von dem Einkommen Leistungsberechtigter ein Betrag in Höhe von 3 Prozent des Einkommens, mindestens 5 Euro, für die zu einem geförderten Altersvorsorgevertrag entrichteten Beiträge nach § 11b Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch; der Prozentwert mindert sich um 1,5 Prozentpunkte je zulageberechtigtes Kind im Haushalt der oder des Leistungsberechtigten,
5.
von dem Einkommen Erwerbstätiger für die Beträge nach § 11b Absatz 1 Satz 1 Nummer 5 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch bei Benutzung eines Kraftfahrzeuges für die Fahrt zwischen Wohnung und Arbeitsstätte für Wegstrecken zur Ausübung der Erwerbstätigkeit 0,20 Euro für jeden Entfernungskilometer der kürzesten Straßenverbindung, soweit der oder die erwerbsfähige Leistungsberechtigte nicht höhere notwendige Ausgaben nachweist.

(2) Sofern die Berücksichtigung des Pauschbetrags nach Absatz 1 Nummer 5 im Vergleich zu den bei Benutzung eines zumutbaren öffentlichen Verkehrsmittels anfallenden Fahrtkosten unangemessen hoch ist, sind nur diese als Pauschbetrag abzusetzen.

(3) Für Mehraufwendungen für Verpflegung ist, wenn die erwerbsfähige leistungsberechtigte Person vorübergehend von seiner Wohnung und dem Mittelpunkt seiner dauerhaft angelegten Erwerbstätigkeit entfernt erwerbstätig ist, für jeden Kalendertag, an dem die erwerbsfähige leistungsberechtigte Person wegen dieser vorübergehenden Tätigkeit von seiner Wohnung und dem Tätigkeitsmittelpunkt mindestens zwölf Stunden abwesend ist, ein Pauschbetrag in Höhe von 6 Euro abzusetzen.

(1) Ist die Revision unbegründet, so weist das Bundessozialgericht die Revision zurück. Ergeben die Entscheidungsgründe zwar eine Gesetzesverletzung, stellt sich die Entscheidung selbst aber aus anderen Gründen als richtig dar, so ist die Revision ebenfalls zurückzuweisen.

(2) Ist die Revision begründet, so hat das Bundessozialgericht in der Sache selbst zu entscheiden. Sofern dies untunlich ist, kann es das angefochtene Urteil mit den ihm zugrunde liegenden Feststellungen aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Gericht zurückverweisen, welches das angefochtene Urteil erlassen hat.

(3) Die Entscheidung über die Revision braucht nicht begründet zu werden, soweit das Bundessozialgericht Rügen von Verfahrensmängeln nicht für durchgreifend erachtet. Dies gilt nicht für Rügen nach § 202 in Verbindung mit § 547 der Zivilprozeßordnung und, wenn mit der Revision ausschließlich Verfahrensmängel geltend gemacht werden, für Rügen, auf denen die Zulassung der Revision beruht.

(4) Verweist das Bundessozialgericht die Sache bei der Sprungrevision nach § 161 zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurück, so kann es nach seinem Ermessen auch an das Landessozialgericht zurückverweisen, das für die Berufung zuständig gewesen wäre. Für das Verfahren vor dem Landessozialgericht gelten dann die gleichen Grundsätze, wie wenn der Rechtsstreit auf eine ordnungsgemäß eingelegte Berufung beim Landessozialgericht anhängig geworden wäre.

(5) Das Gericht, an das die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen ist, hat seiner Entscheidung die rechtliche Beurteilung des Revisionsgerichts zugrunde zu legen.

(1) Ein Verwaltungsakt wird gegenüber demjenigen, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird, in dem Zeitpunkt wirksam, in dem er ihm bekannt gegeben wird. Der Verwaltungsakt wird mit dem Inhalt wirksam, mit dem er bekannt gegeben wird.

(2) Ein Verwaltungsakt bleibt wirksam, solange und soweit er nicht zurückgenommen, widerrufen, anderweitig aufgehoben oder durch Zeitablauf oder auf andere Weise erledigt ist.

(3) Ein nichtiger Verwaltungsakt ist unwirksam.

(1) Soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind, ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Dies gilt nicht, wenn der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Betroffene vorsätzlich in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat.

(2) Im Übrigen ist ein rechtswidriger nicht begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft zurückzunehmen. Er kann auch für die Vergangenheit zurückgenommen werden.

(3) Über die Rücknahme entscheidet nach Unanfechtbarkeit des Verwaltungsaktes die zuständige Behörde; dies gilt auch dann, wenn der zurückzunehmende Verwaltungsakt von einer anderen Behörde erlassen worden ist.

(4) Ist ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen worden, werden Sozialleistungen nach den Vorschriften der besonderen Teile dieses Gesetzbuches längstens für einen Zeitraum bis zu vier Jahren vor der Rücknahme erbracht. Dabei wird der Zeitpunkt der Rücknahme von Beginn des Jahres an gerechnet, in dem der Verwaltungsakt zurückgenommen wird. Erfolgt die Rücknahme auf Antrag, tritt bei der Berechnung des Zeitraumes, für den rückwirkend Leistungen zu erbringen sind, anstelle der Rücknahme der Antrag.

(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts oder seine Abänderung sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts begehrt werden. Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage zulässig, wenn der Kläger behauptet, durch den Verwaltungsakt oder durch die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts beschwert zu sein.

(2) Der Kläger ist beschwert, wenn der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts rechtswidrig ist. Soweit die Behörde, Körperschaft oder Anstalt des öffentlichen Rechts ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, ist Rechtswidrigkeit auch gegeben, wenn die gesetzlichen Grenzen dieses Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist.

(3) Eine Körperschaft oder eine Anstalt des öffentlichen Rechts kann mit der Klage die Aufhebung einer Anordnung der Aufsichtsbehörde begehren, wenn sie behauptet, daß die Anordnung das Aufsichtsrecht überschreite.

(4) Betrifft der angefochtene Verwaltungsakt eine Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, so kann mit der Klage neben der Aufhebung des Verwaltungsakts gleichzeitig die Leistung verlangt werden.

(5) Mit der Klage kann die Verurteilung zu einer Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, auch dann begehrt werden, wenn ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen hatte.

Mehrere Klagebegehren können vom Kläger in einer Klage zusammen verfolgt werden, wenn sie sich gegen denselben Beklagten richten, im Zusammenhang stehen und dasselbe Gericht zuständig ist.

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 23. Juli 2015 - L 7 AS 546/14 - wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander auch für das Revisionsverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Tatbestand

1

Streitig sind höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in der Zeit vom 1.1.2006 bis 31.12.2010.

2

Der Beklagte bewilligte dem 1959 geborenen Kläger, der seit 1.10.2005 durchgehend ein Gewerbe mit An- und Verkauf von Flohmarktartikeln, Computern sowie einen Ebay-Handel betreibt, vom 1.10.2005 bis 1.2.2011 SGB II-Leistungen, zuletzt ab 1.12.2010 (Bescheid vom 22.11.2010; Widerspruchsbescheid vom 8.3.2011). Der Kläger ist geschieden und Vater eines Kindes, das bei der Mutter lebt. Seit Mai 2008 tilgt er Rückstände wegen Zahlungen von Unterhaltsvorschussleistungen, in der Zeit vom 1.1.2006 bis 30.9.2008 mit einer Rate in Höhe von monatlich 100,00 Euro. Seit Juni 2009 erbringt er zusätzlich wegen aufgelaufener Schulden aus Unterhaltsverpflichtungen gegenüber seiner ehemaligen Frau Raten zu 50,00 Euro monatlich. Zeitweise erfolgten Zahlungen auf den laufenden, titulierten Kindesunterhalt.

3

Mit den beiden Überprüfungsanträgen vom 15.12.2010 und 15.3.2011, jeweils "für die Zeit ab 01.01.2006", führte der Kläger aus, seine Unterhaltsverpflichtungen bzw Unterhaltszahlungen an die minderjährige Tochter und die ehemalige Ehefrau seien nicht ausreichend berücksichtigt worden. Diese Anträge lehnte der Beklagte ab. Zahlungen auf laufenden Kindesunterhalt seien zugrunde gelegt worden; solche auf Unterhaltsrückstände seien nicht vom Einkommen abzusetzen (Bescheid vom 4.8.2011; Widerspruchsbescheid vom 20.1.2012).

4

Bezugnehmend auf ein Urteil des SG Augsburg vom 13.3.2012, nach dessen Inhalt für den Zeitraum vom 1.5.2008 bis 30.11.2009 wegen Tilgung von Unterhaltschulden höhere SGB II-Leistungen erbracht werden sollten, beantragte der Kläger am 8.5.2012 erneut die Überprüfung "betreffend sämtlicher Bewilligungsbescheide ab 2006 bis einschließlich Ende 2010." Dies lehnte der Beklagte mit dem Hinweis ab, dass eine Überprüfung nur für maximal ein Jahr zurückliegende Bescheide möglich sei. Frühere Bewilligungszeiträume könnten nicht über den Umweg des Überprüfungsbescheids Gegenstand eines erneuten Verfahrens werden (Bescheid vom 9.5.2012; Widerspruchsbescheid vom 6.6.2012).

5

Das SG hat den Bescheid des Beklagten vom 9.5.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 6.6.2012 teilweise aufgehoben und ihn verpflichtet, den (letzten) Bewilligungsbescheid vom 22.11.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8.3.2011 abzuändern und dem Kläger für Januar 2011 höhere Leistungen zu bewilligen. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen (Urteil vom 16.6.2014). Zur Begründung seiner Entscheidung hat es ausgeführt, in den rückwirkenden Zeitraum der Überprüfung von einem Jahr falle auch der Überprüfungsbescheid vom 4.8.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.1.2012, weshalb alle Zeiträume, die im Rahmen dieses Bescheids zu überprüfen gewesen seien, nochmals zu prüfen seien, also alle Bewilligungsbescheide, die nach dem 1.1.2007 ergangen seien. Bis auf die Bewilligung von SGB II-Leistungen für Januar 2011 seien diese Bescheide rechtmäßig gewesen. Im Januar 2011 sei aber eine Zahlung auf laufenden, titulierten Kindesunterhalt nicht einkommensmindernd berücksichtigt worden. Auch wegen eines höheren Regelbedarfs hätten dem Kläger im Januar 2011 höhere Leistungen von insgesamt 841,76 Euro zugestanden.

6

Das LSG hat die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 23.7.2015). Zur Begründung seiner Entscheidung hat es ausgeführt, nach dem Berufungsantrag sei Streitgegenstand ein Anspruch auf höhere SGB II-Leistungen für den Zeitraum vom 1.1.2006 bis 31.12.2010. Diesen Anspruch verfolge der Kläger prozessual zum einen dadurch, dass er Nichtigkeitsfeststellungsklagen bezüglich des Überprüfungsbescheids vom 4.8.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.1.2012 (basierend auf den Anträgen vom 15.12.2010 und 15.3.2011) und des Bescheids vom 9.5.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 6.6.2012 (Antrag vom 8.5.2012) sowie sämtlicher im Bewilligungszeitraum vom 1.1.2006 bis 31.12.2010 ergangenen Bescheide erhebe. Zum anderen begehre der Kläger im Wege der Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage höhere Leistungen nach dem SGB II. Streitgegenstand sei hier allein der Überprüfungsbescheid vom 9.5.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 6.6.2012. Zwar sei die Klage trotz fehlenden vorherigen Antrags auf Feststellung der Nichtigkeit des Bescheids vom 4.8.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.1.2012 bei dem Beklagten zulässig; auch ein Feststellungsinteresse könne bejaht werden. Die Nichtigkeitsfeststellungsklage gegen diesen Bescheid sei jedoch unbegründet, weil Nichtigkeitsgründe nicht ersichtlich seien. Die Klage auf Feststellung der Nichtigkeit des Überprüfungsbescheids vom 9.5.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 6.6.2012 sei unzulässig, weil der Kläger insoweit innerhalb der Rechtsmittelfrist eine Klage erhoben habe. Die Nichtigkeitsfeststellungsklage bezogen auf sämtliche Bewilligungsbescheide des Zeitraums vom 1.1.2006 bis 31.12.2010 sei ebenfalls unzulässig, weil ein Begünstigter kein Interesse an einer Beseitigung der Rechtsgrundlage für die erhaltenen Leistungen mit einer möglichen Erstattungsforderung des Leistungsträgers haben könne. Soweit der Kläger mit seiner Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage eine Überprüfung der in der Zeit vom 1.1.2006 bis 31.12.2010 bewilligten Leistungen begehre, sei dies unbegründet. Der Antrag vom 8.5.2012 wirke nur ein Jahr, also auf den 1.1.2011, zurück. Es bedürfe keiner Entscheidung des Beklagten darüber, ob dem Kläger bis Dezember 2010 Leistungen vorenthalten worden seien.

7

Mit seiner Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 40 SGB X. Der Sachbearbeiter des Beklagten habe durch die unzutreffende Bewilligung von SGB II-Leistungen bewusst in Kauf genommen, dass er - der Kläger - sich einer Unterhaltspflichtverletzung strafbar mache. Die Regelung des § 40 Abs 2 Nr 4 SGB X sei so zu verstehen, dass die Begehung einer rechtswidrigen Tat durch die Behörde auch dann verlangt werde, wenn durch Nichtanrechnung von Unterhaltsleistungen auf das erzielte Einkommen billigend in Kauf genommen werde, dass der Sozialleistungsempfänger seinen Unterhaltsverpflichtungen nicht nachkommen könne. Werde die Nichtigkeit der Bescheide festgestellt, die den Bewilligungszeitraum vom 1.1.2006 bis 31.12.2010 regelten, müsse jeweils erneut über die Leistungsanträge entschieden werden. Der Überprüfungsbescheid vom 4.8.2011 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 20.1.2012 sei auch bezogen auf den Zeitraum vom 1.1.2006 bis 31.12.2010 erneut zu überprüfen, weil er diesen Bescheid innerhalb der Frist des § 40 Abs 1 S 2 SGB II zur Überprüfung gestellt habe. Hierbei müsse das Gericht zu dem Ergebnis gelangen, dass die von ihm nachgewiesenen Zahlungen auf Unterhaltsrückstände, die nach dem UVG bestünden, einkommensmindernd zu berücksichtigen seien. Diese seien nur deshalb entstanden, weil seine Unterhaltszahlungen nicht einkommensmindernd berücksichtigt worden seien, sodass diese letztlich durch den Beklagten verursacht seien.

8

Der Kläger beantragt,
1. das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 23.7.2015 und das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 16.6.214 werden aufgehoben und die Nichtigkeit des Überprüfungsbescheids vom 4.8.2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.1.2012 und des Überprüfungsbescheids vom 9.5.2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 6.6.2012 sowie aller im Bewilligungszeitraum vom 1.1.2006 bis 31.12.2010 ergangenen Verwaltungsakte festgestellt,
2. der Beklagte wird unter Aufhebung des Urteils des Bayerischen Landessozialgerichts vom 23.7.2015 und Abänderung des Urteils des Sozialgerichts Augsburg vom 16.6.2014 verurteilt, die Bewilligungsbescheide für die Zeit ab 1.1.2006 bis einschließlich 31.12.2010 aufzuheben, neu zu entscheiden und dem Kläger Leistungen für diesen gesamten Zeitraum unter Anrechnung seiner Unterhaltszahlungen, auch soweit es sich um die Tilgung titulierter Unterhaltsrückstände handelt, zu bewilligen.

9

Der Beklagte beantragt,
die Revision des Klägers zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

10

1. Die Revision des Klägers ist zulässig.

11

2. a) Sein Begehren ist zunächst darauf gerichtet, durch die Aufhebung des ablehnenden Überprüfungsbescheides vom 9.5.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 6.6.2012 eine Überprüfung sämtlicher Bewilligungsbescheide für den Zeitraum ab 1.1.2006 bis 31.12.2010 zu erreichen. Richtige Klageart ist insoweit eine kombinierte Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage (zuletzt BSG Urteil vom 13.2.2014 - B 4 AS 22/13 R - BSGE 115, 126 = SozR 4-1300 § 44 Nr 28, RdNr 11 mwN). Mit der Anfechtungsklage begehrt der Kläger die Aufhebung des - die Überprüfung ablehnenden - Verwaltungsakts vom 9.5.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 6.6.2012. Die Verpflichtungsklage ist auf die Erteilung eines Bescheids durch den Beklagen gerichtet, mit dem dieser die begehrte Änderung der Bewilligungsbescheide für die Jahre 2006 bis 2010 bewirken soll. Mit der Leistungsklage beantragt er höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts im streitigen Zeitraum.

12

b) Die Revision ist jedoch insoweit unbegründet, weil das LSG die Berufung des Klägers im Ergebnis zu Recht zurückgewiesen hat (§ 170 Abs 1 S 2 SGG). Dies folgt allerdings nicht bereits daraus, dass es schon an einem hinreichend konkretisierten Antrag iS des § 44 SGB X mangelte.

13

Nach § 40 Abs 1 S 1 SGB II iVm § 44 Abs 1 S 1 SGB X ist der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsakts das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Erfolgt die Überprüfung aufgrund eines Antrags des Leistungsberechtigten, löst dieser Antrag grundsätzlich eine Prüfpflicht des Leistungsträgers aus, bestimmt jedoch zugleich auch den Umfang des Prüfauftrags der Verwaltung im Hinblick darauf, ob bei Erlass des Verwaltungsakts das Recht unrichtig angewandt oder von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen worden ist. Insofern hat der Senat bereits entschieden, dass sich der Verwaltung aufgrund oder aus Anlass des Antrags im Einzelfall objektiv erschließen muss, aus welchem Grund - Rechtsfehler und/oder falsche Sachverhaltsgrundlage - nach Auffassung des Leistungsberechtigten eine Überprüfung erfolgen soll. Dazu muss der Antrag konkretisierbar sein. Entweder aus dem Antrag selbst (ggf nach Auslegung) oder aus einer Antwort des Leistungsberechtigten aufgrund konkreter Nachfrage des Sozialleistungsträgers muss der Umfang des Prüfauftrags für die Verwaltung bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens erkennbar werden. Ist dies nicht der Fall, ist der Sozialleistungsträger berechtigt, von einer inhaltlichen Prüfung dieses Antrags abzusehen (vgl hierzu näher zuletzt BSG Urteil vom 13.2.2014 - B 4 AS 22/13 R - BSGE 115, 126 = SozR 4-1300 § 44 Nr 28, RdNr 13 ff mwN).

14

Trotz fehlender Bezeichnung der im Einzelnen aus Sicht des Klägers im Wege des § 44 SGB X zu korrigierenden Bewilligungsbescheide im Sinne seines Antrags auf Überprüfung vom 8.5.2012 mangelt es nicht schon an einem hinreichend objektiv konkretisierbaren Antrag iS des § 44 SGB X, der eine inhaltliche Prüfverpflichtung des SGB II-Trägers von vornherein entfallen ließe. Der Umfang des Prüfauftrags war für den Beklagten erkennbar, weil der Kläger konkret vorgetragen hat, für welchen Zeitraum er die Berücksichtigung seiner rückständigen Unterhaltsverpflichtungen als Absetzbetrag vom Einkommen bzw als "besonderen Bedarf" begehrt. Da er ausgeführt hat, dass er in einem bezeichneten Zeitraum der durchgehenden Leistungsbewilligung die Berücksichtigung seiner rückständigen Unterhaltsverpflichtungen als Absetzbetrag von seinem Einkommen verfolgt, waren für den Beklagten trotz fehlender Bezeichnung der aus Sicht des Klägers zu ändernden Bewilligungsbescheide diese ohne Weiteres ermittelbar und der Umfang des Prüfauftrags erkennbar.

15

c) Der Bescheid vom 9.5.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 6.6.2012 ist jedoch rechtmäßig. Der Kläger hat keinen Anspruch auf eine (weitergehende) teilweise Rücknahme der in dem Zeitraum vom 1.1.2006 bis 31.12.2010 erlassenen Bewilligungsbescheide und rückwirkende Zahlung höherer Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Für den nicht mehr streitgegenständlichen Monat Januar 2011 hat das SG eine teilweise Abänderung des Bewilligungsbescheids vom 22.11.2010 und rückwirkende Leistungserbringung ausgesprochen. Bezogen auf den streitigen Zeitraum ist - anders als von den Vorinstanzen angenommen - schon eine Rücknahmeentscheidung nicht mehr zu treffen.

16

Nach § 40 Abs 1 S 2 SGB II idF des Gesetzes zur Ermittlung von Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 24.3.2011 (BGBl I 453) gilt abweichend von § 40 Abs 1 S 1 SGB II die Vorschrift des § 44 Abs 4 S 1 SGB X zur rückwirkenden Erbringung von Sozialleistungen mit der Maßgabe, dass anstelle des Zeitraums von vier Jahren ein solcher von einem Jahr gilt. Nach gefestigter Rechtsprechung des BSG hat die Verwaltung schon eine Rücknahmeentscheidung nach § 44 Abs 1 SGB X nicht mehr zu treffen, wenn die rechtsverbindliche, grundsätzlich zurückzunehmende Entscheidung ausschließlich Leistungen für Zeiten betrifft, die außerhalb der durch den Rücknahmeantrag bestimmten Verfallsfrist liegen. Die Unanwendbarkeit der "Vollzugsregelung des § 44 Abs 4 SGB X" steht dann einer isolierten Rücknahme entgegen(BSG Urteil vom 13.2.2014 - B 4 AS 19/13 R - BSGE 115, 121 = SozR 4-1300 § 44 Nr 29, RdNr 16; BSG Urteil vom 6.3.1991 - 9b RAr 7/90 - BSGE 68, 180, 181 = SozR 3-1300 § 44 Nr 1 S 3). Die Rücknahme steht unter dem Vorbehalt, dass Sozialleistungen nach § 44 Abs 4 SGB X noch zu erbringen sind (BSG Urteil vom 28.2.2013 - B 8 SO 4/12 R - juris RdNr 10). Dies gilt in gleicher Weise bei der Verkürzung der rückwirkenden Leistungserbringung auf einen Zeitraum bis zu einem Jahr nach § 40 Abs 1 S 2 SGB II, wenn der Antrag auf Rücknahme - wie vorliegend der Überprüfungsantrag vom 8.5.2012 - nach dem 31.3.2011 gestellt worden ist (vgl zum Asylbewerberleistungsrecht bereits BSG Urteil vom 26.6.2013 - B 7 AY 6/12 R - BSGE 114, 20 = SozR 4-3520 § 9 Nr 4, RdNr 10 ff). Die Übergangsregelung des § 77 Abs 13 SGB II, nach der § 40 Abs 1 S 2 SGB II nicht anwendbar ist auf Anträge nach § 44 SGB X, die vor dem 1.4.2011 gestellt worden sind, findet keine Anwendung.

17

Gegen die durch § 40 Abs 1 S 2 SGB II bewirkte Beschränkung rückwirkender Leistungserbringung im Falle der Aufhebung eines rechtswidrigen, nicht begünstigenden Verwaltungsakts mit Wirkung für die Vergangenheit nach § 44 Abs 1 oder Abs 2 SGB X bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken(zur Verfassungsmäßigkeit der Vierjahresfrist des § 44 Abs 4 S 1 SGB X: BSG Urteil vom 23.7.1986 - 1 RA 31/85 - BSGE 60, 158, 161 = SozR 1300 § 44 Nr 23 S 54). Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art 1 Abs 1 iVm Art 20 Abs 1 GG verlangt nur die Erbringung von Leistungen, die zur gegenwärtigen Aufrechterhaltung eines menschenwürdigen Daseins unbedingt erforderlich sind (BVerfG Urteil vom 9.2.2010 - 1 BvL 1/09 ua - BVerfGE 125, 175, 223, 226 ff). Die rückwirkende Gewährung (höherer) existenzsichernder Leistungen ist verfassungsrechtlich nicht zwingend geboten. Es lässt sich dem Grundgesetz keine allgemeine Verpflichtung der vollziehenden Gewalt entnehmen, rechtswidrig belastende und rechtswidrig begünstigende Verwaltungsakte unbeschadet des Eintritts ihrer formellen Bestandskraft von Amts wegen oder auf Antrag des Adressaten aufzuheben oder abzuändern (vgl hierzu auch Aubel in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 4. Aufl 2015, § 40 RdNr 33). Im Ergebnis können daher Sozialleistungen rückwirkend über den 1.1.2011 hinausgehend nicht mehr erbracht werden.

18

d) Entgegen der Ansicht des Klägers und der Vorinstanzen kann mit dem Überprüfungsantrag vom 8.5.2012 keine erneute Eröffnung des bereits durch den Bescheid vom 4.8.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.1.2012 abgeschlossenen Überprüfungsverfahrens eingeleitet werden. Auch hier steht die verkürzte Verfallsfrist des § 40 Abs 1 S 2 SGB II iVm § 44 Abs 4 SGB X entgegen.

19

Zwar fällt der Überprüfungsbescheid vom 4.8.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.1.2012 in den Einjahreszeitraum des § 40 Abs 1 S 2 SGB II iVm § 44 Abs 4 SGB X. Durch eine Rücknahme der rechtsverbindlichen Ablehnung einer Überprüfung lebt der darauf ursprünglich gerichtet gewesene Antrag jedoch nicht in der Weise auf, dass er für die Fristberechnung der Verfallsfrist maßgebend ist (vgl zum Wiederaufleben eines entsprechenden Antrags BSG Urteil vom 17.11.1981 - 9 RV 26/81 - SozR 1200 § 44 Nr 4). Die rückwirkende Leistungserbringung ist vielmehr ausgehend von dem Antrag vom 8.5.2012 zu beurteilen, über den in diesem Verfahren allein zu entscheiden ist, nicht jedoch ausgehend von früheren, rechtsverbindlich abgelehnten Überprüfungsanträgen (so auch BSG Urteil vom 6.3.1991 - 9b RAr 7/90 - BSGE 68, 180 = SozR 3-1300 § 44 Nr 1). Dies ist der Antrag iS des § 44 Abs 4 S 3 SGB X, der für eine rückwirkende Leistungserbringung und deren Umfang sowie eine Rücknahme (teilweise) rechtswidriger Bewilligungsbescheide kausal ist. Entsprechend hat der 13. Senat des BSG bereits entschieden, dass es in Fallgestaltungen einer wiederholten Überprüfung eines Sozialleistungen bewilligenden Bescheids regelmäßig keiner gesonderten Würdigung auch eines bereits zuvor von dem Sozialleistungsträger erlassenen, eine Überprüfung gleichfalls ablehnenden Bescheids bedarf. Der 13. Senat des BSG hat ausgeführt, dass mit einer Verpflichtung zur Änderung des Bewilligungszeitraums für einen vergangenen Zeitraum aufgrund der Anwendung des § 44 SGB X notwendigerweise zugleich auch die Ablehnung seiner Aufhebung in dem früheren negativen Überprüfungsbescheid gegenstandlos wird(BSG Urteil vom 24.10.2013 - B 13 R 83/11 R - SozR 4-2600 § 43 Nr 20 RdNr 15), weil dieser sich auf andere Weise erledigt hat (§ 39 Abs 2 SGB X).

20

3. Die Revision ist auch unbegründet, soweit der Kläger sein Begehren mit der Nichtigkeitsfeststellungsklage verfolgt.

21

a) Die von dem Kläger erhobene Nichtigkeitsfeststellungsklage ist schon unzulässig, soweit sich diese gegen den Bescheid vom 9.5.2012 richtet.

22

Zwar ist das LSG zu Recht davon ausgegangen, dass die Nichtigkeitsfeststellungsklage nach § 55 Abs 1 Nr 4 SGG, wonach die Feststellung der Nichtigkeit eines Verwaltungsaktes mit der Klage ua begehrt werden kann, wenn ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung besteht, nicht fristgebunden ist(vgl dazu Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl 2014, § 55 RdNr 14a). Auch ein vorheriger Antrag an die Behörde auf Feststellung der Nichtigkeit eines Verwaltungsakts nach § 40 Abs 5 SGB X wird nicht vorausgesetzt(BSG Urteil vom 23.2.1989 - 11/7 RAr 103/87 - SozR 1500 § 55 Nr 35; BSG Urteil vom 7.9.2006 - B 4 RA 43/05 R - BSGE 97, 94 = SozR 4-2600 § 118 Nr 4, RdNr 15; aA Ulmer in Hennig, SGG, § 55 RdNr 71, Stand September 2016).

23

Bezogen auf die Feststellung der Nichtigkeit des Bescheids vom 9.5.2012 idF des Widerspruchsbescheids vom 6.6.2012 ist das LSG aber zu Recht davon ausgegangen, dass es schon an einer Zulässigkeit der Nichtigkeitsfeststellungsklage fehlt, weil der Kläger diese Bescheide im Wege einer Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage überprüfen kann. Von dieser Überprüfungsmöglichkeit hat der Kläger auch Gebrauch gemacht. Ein berechtigtes Interesse an einer parallelen Rechtsverfolgung ist nicht vorgetragen.

24

Insofern ist die grundsätzliche Subsidiarität der Feststellungsklage zu Gestaltungsklagen zu berücksichtigen. Auch hat das Erfordernis eines Rechtsschutzinteresses in § 55 Abs 1 Nr 4 SGG für die Feststellungsklage in Gestalt des "berechtigten Interesses an der baldigen Feststellung" seinen Niederschlag und eine Konkretisierung erfahren(BSG Urteil vom 22.5.1985 - 12 RK 30/84 - BSGE 58, 150, 151 = SozR 1500 § 55 Nr 27 S 22). Ist eine solche Gestaltungsklage zulässig, kann regelmäßig nicht stattdessen eine Feststellungsklage erhoben werden (BSG Urteil vom 9.10.1984 - 12 RK 18/83 - BSGE 57, 184, 186 = SozR 2200 § 385 Nr 10 S 40; BSG Urteil vom 16.3.1978 - 11 RK 9/77 - BSGE 46, 81, 84 = SozR 5420 § 3 Nr 7 S 10 f; BSG Urteil vom 25.4.1984 - 8 RK 30/83 - BSGE 56, 255 = SozR 1500 § 55 Nr 23; BSG Urteil vom 1.9.2005 - B 3 KR 3/04 R - SozR 4-2500 § 40 Nr 2). Zwar gelten diese Grundsätze nicht uneingeschränkt; die hier vorliegende Nichtigkeitsfeststellungsklage nach § 55 Abs 1 Nr 4 SGG kann neben einer Anfechtungsklage erhoben werden. Dies soll Schwierigkeiten Rechnung tragen, die sich daraus ergeben, dass die Frage, ob ein Verwaltungsakt nur anfechtbar oder sogar nichtig ist, im Einzelfall nur schwer zu beantworten ist und möglicherweise in den Instanzen unterschiedlich beurteilt wird (BSG Urteil vom 23.2.1989 - 11/7 RAr 103/87 - SozR 1500 § 55 Nr 35 S 36). Es muss dann aber - über ein normales Rechtsschutzinteresse hinaus - noch ein zusätzliches berechtigtes Interesse des Klägers gerade an der baldigen Feststellung der Nichtigkeit des Verwaltungsaktes iS des § 55 Abs 1 Nr 4 SGG bestehen(vgl aA Ulmer in Hennig, SGG, § 55 RdNr 70, Stand September 2016 mwN).

25

Ein solches zusätzliches berechtigtes Interesse, etwa wegen möglicher Vollstreckungsmaßnahmen (vgl BSG Urteil vom 7.9.2006 - B 4 RA 43/05 - BSGE 97, 94 = SozR 4-2600 § 118 Nr 4, RdNr 15) oder des Rechtsscheins eines unwirksamen Verwaltungsaktes (vgl zB BSG Urteil vom 23.2.1989 - 11/7 RAr 103/87 - SozR 1500 § 55 Nr 35 S 36 zur Untersagung der Arbeitsvermittlung), ist hier jedoch weder vorgetragen noch ersichtlich. Soweit der Kläger mit seiner Revision geltend macht, dass bezogen auf den Bescheid vom 9.5.2012 idF des Widerspruchsbescheids vom 6.6.2012 ein Feststellungsinteresse schon deshalb bestehe, weil "die Behörde bei Feststellung der Nichtigkeit uneingeschränkt über den damit offenen Antrag auf SGB II-Leistungen entscheiden müsse", kann dies kein als rechtlich schutzwürdig anzuerkennendes Interesse begründen. Es ist schon nicht erkennbar, weshalb eine erneute Entscheidung über den Überprüfungsantrag vom 8.5.2012 zu einem anderen Ergebnis als die gerichtliche Prüfung des angefochtenen Bescheids vom 9.5.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 6.6.2012 im Wege der Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage führen könnte (s oben).

26

b) Soweit sich die Nichtigkeitsfeststellungsklage gegen den Bescheid vom 4.8.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20.1.2012 richtet, ist diese jedenfalls unbegründet, weil keine Nichtigkeitsgründe vorliegen.

27

Nach § 40 Abs 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt nichtig, soweit er an einem besonders schwerwiegenden Fehler leidet und dies bei verständiger Würdigung aller in Betracht kommenden Umstände offensichtlich ist. Ohne Rücksicht auf diese Voraussetzungen ist ein Verwaltungsakt nichtig (§ 40 Abs 2 SGB X), (1.) der schriftlich oder elektronisch erlassen worden ist, die erlassende Behörde aber nicht erkennen lässt, (2.) der nach einer Rechtsvorschrift nur durch die Aushändigung einer Urkunde erlassen werden kann, aber dieser Form nicht genügt, (3.) den aus tatsächlichen Gründen niemand ausführen kann, (4.) der die Begehung einer rechtswidrigen Tat verlangt, die einen Straf- oder Bußgeldtatbestand verwirklicht oder (5.) der gegen die guten Sitten verstößt.

28

Insofern hat das LSG - zu dem Nichtigkeitsgrund des § 40 Abs 2 Nr 4 SGB X - zutreffend ausgeführt, dass ein rechtswidriges Handeln der Behörde nur vorliegt, wenn im Verwaltungsakt eine mit Strafe oder Bußgeld bedrohte Handlung verlangt wird(Roos in von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl 2014, § 40 RdNr 15). Eine Strafbarkeit gemäß § 170 StGB (Verletzung der Unterhaltspflicht) kann nicht bereits durch einen Leistungs- oder Ablehnungsbescheid erfüllt werden(BSG Urteil vom 4.9.2013 - B 10 EG 7/12 R - BSGE 114, 180 = SozR 4-1300 § 31 Nr 8, RdNr 30). Für die mit der Revision des Klägers vorgetragene Ansicht, dass die Begehung einer rechtswidrigen Tat auch dann verlangt werde, wenn die Behörde durch die Nichtanrechnung von Unterhaltsleistungen auf das erzielte Einkommen billigend in Kauf nehme, dass der Sozialleistungsempfänger dadurch seinen Unterhaltsverpflichtungen nicht nachkomme, findet sich kein Anhalt im Gesetz.

29

Weiter ist das LSG zutreffend davon ausgegangen, dass die vom Kläger geltend gemachten Nichtigkeitsgründe, ua die Befangenheit des Sachbearbeiters und die fehlerhafte Annahme der Behörde, dass es sich bei Zahlungen auf Unterhaltsrückstände um keine Unterhaltszahlungen handele, allenfalls nach der Generalklausel des § 40 Abs 1 SGB X zur Nichtigkeit führen können. Die bloße Befangenheit eines Sachbearbeiters - ihr Vorliegen unterstellt - ist für sich genommen kein schwerwiegender Fehler, der den Verwaltungsakt nichtig macht. Ob eine Behörde vollständig und richtig ermittelt und den Sachverhalt richtig gewürdigt und rechtlich zutreffend entschieden hat, ist allein eine Frage der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsakts, bedingt aber keine Nichtigkeit.

30

c) Bezogen auf die Nichtigkeitsfeststellungsklage hinsichtlich sämtlicher Bewilligungsbescheide in dem Zeitraum vom 1.1.2006 bis 31.12.2010 fehlt es an einem berechtigten Interesse des Klägers, weil er - wie dargelegt - Nichtigkeitsgründe nicht schlüssig dargetan hat. Zwar macht er als berechtigtes Interesse geltend, dass die Nichtigkeitsfeststellung eines Bescheids wegen dessen dann festgestellter Unwirksamkeit zur Folge habe, dass erneut über die den Zeitraum vom 1.1.2006 bis 31.12.2010 betreffenden SGB II-Anträge entschieden werden müsse, dann aber ohne Anwendbarkeit der eingeschränkten rückwirkenden Überprüfungs- und Leistungserbringung nach § 40 Abs 1 S 2 SGB II iVm § 44 Abs 4 SGB X. In diesem Vorbringen, das auf die Möglichkeit einer Nichtanwendung der mit Wirkung zum 1.4.2011 eingeführten Einschränkungen bei der rückwirkenden Überprüfung und Erbringung von Sozialleistungen zielt, kann jedoch kein berechtigtes Interesse an einer Nichtigkeitsfeststellungsklage gesehen werden. Bei der Prüfung des berechtigten Interesses ist nicht auf die rein subjektive Ansicht des Klägers abzustellen; vielmehr ist zu prüfen, ob die Rechtsordnung das Interesse objektiv zumindest indirekt als individuelles Interesse selbst anerkennt (Ulmer in Hennig, SGG, § 55 RdNr 20, Stand September 2016). Die letztlich angestrebte Umgehung der gesetzlichen Vorgaben zum zeitlichen Umfang einer Überprüfung bestandskräftiger Bescheide ist aber - unbesehen des fehlenden Vortrags ausreichender Nichtigkeitsgründe - kein von der Rechtsordnung anerkanntes berechtigtes Interesse.

31

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

(1) Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Der Verwaltungsakt soll mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit

1.
die Änderung zugunsten des Betroffenen erfolgt,
2.
der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist,
3.
nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde, oder
4.
der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist.
Als Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse gilt in Fällen, in denen Einkommen oder Vermögen auf einen zurückliegenden Zeitraum auf Grund der besonderen Teile dieses Gesetzbuches anzurechnen ist, der Beginn des Anrechnungszeitraumes.

(2) Der Verwaltungsakt ist im Einzelfall mit Wirkung für die Zukunft auch dann aufzuheben, wenn der zuständige oberste Gerichtshof des Bundes in ständiger Rechtsprechung nachträglich das Recht anders auslegt als die Behörde bei Erlass des Verwaltungsaktes und sich dieses zugunsten des Berechtigten auswirkt; § 44 bleibt unberührt.

(3) Kann ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nach § 45 nicht zurückgenommen werden und ist eine Änderung nach Absatz 1 oder 2 zugunsten des Betroffenen eingetreten, darf die neu festzustellende Leistung nicht über den Betrag hinausgehen, wie er sich der Höhe nach ohne Berücksichtigung der Bestandskraft ergibt. Satz 1 gilt entsprechend, soweit einem rechtmäßigen begünstigenden Verwaltungsakt ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt zugrunde liegt, der nach § 45 nicht zurückgenommen werden kann.

(4) § 44 Abs. 3 und 4, § 45 Abs. 3 Satz 3 bis 5 und Abs. 4 Satz 2 gelten entsprechend. § 45 Abs. 4 Satz 2 gilt nicht im Fall des Absatzes 1 Satz 2 Nr. 1.

(1) Durch Klage kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts oder seine Abänderung sowie die Verurteilung zum Erlaß eines abgelehnten oder unterlassenen Verwaltungsakts begehrt werden. Soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, ist die Klage zulässig, wenn der Kläger behauptet, durch den Verwaltungsakt oder durch die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts beschwert zu sein.

(2) Der Kläger ist beschwert, wenn der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung eines Verwaltungsakts rechtswidrig ist. Soweit die Behörde, Körperschaft oder Anstalt des öffentlichen Rechts ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, ist Rechtswidrigkeit auch gegeben, wenn die gesetzlichen Grenzen dieses Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist.

(3) Eine Körperschaft oder eine Anstalt des öffentlichen Rechts kann mit der Klage die Aufhebung einer Anordnung der Aufsichtsbehörde begehren, wenn sie behauptet, daß die Anordnung das Aufsichtsrecht überschreite.

(4) Betrifft der angefochtene Verwaltungsakt eine Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, so kann mit der Klage neben der Aufhebung des Verwaltungsakts gleichzeitig die Leistung verlangt werden.

(5) Mit der Klage kann die Verurteilung zu einer Leistung, auf die ein Rechtsanspruch besteht, auch dann begehrt werden, wenn ein Verwaltungsakt nicht zu ergehen hatte.

Mehrere Klagebegehren können vom Kläger in einer Klage zusammen verfolgt werden, wenn sie sich gegen denselben Beklagten richten, im Zusammenhang stehen und dasselbe Gericht zuständig ist.

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Dresden vom 3. Dezember 2010 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Beklagte verurteilt wird, dem Kläger für den Zeitraum vom 1. Oktober 2007 bis 31. Dezember 2007 weitere 27,76 Euro monatlich zu zahlen.

Der Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten für das Revisionsverfahren zu erstatten.

Tatbestand

1

Im Streit ist (nach Abschluss eines Teilvergleichs nur noch) eine um 27,76 Euro monatlich höhere Regelsatzleistung der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) für die Zeit vom 1.10.2007 bis zum 31.12.2009.

2

Der 1949 geborene Kläger ist einkommens- und vermögenslos und bezieht seit Jahren Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. Seit dem 1.10.2007 bewohnt er ein möbliertes Zimmer in P Mit dem Vermieter wurde im "Nutzungsvertrag" eine Inklusivmiete von 245,19 Euro vereinbart. Sie umfasst neben der Überlassung des Zimmers auch die Nutzung von Gemeinschaftsräumen sowie sämtliche Nebenkosten. Der Beklagte bewilligte für die Zeit ab Oktober 2007 Grundsicherungsleistungen; den individuellen Bedarf legte er dabei abweichend vom Regelsatz in Höhe von 347 Euro ua unter Abzug einer Möblierungspauschale in Höhe von 27,76 Euro fest, weil als Kosten der Unterkunft (schon) die Höhe der Inklusivmiete von monatlich 245,19 Euro gewährt wurde (Bescheide vom 11.12.2007, 14.12.2007, 15.1.2008, 8.2.2008 und 24.4.2008; Widerspruchsbescheid vom 13.6.2008; Änderungsbescheid vom 14.1.2009).

3

Das Sozialgericht Dresden (SG) hat den Beklagten verurteilt, "dem Kläger monatlich Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung in Höhe von 704,78 Euro im Zeitraum 1.10.2007 bis 31.12.2007, in Höhe von 706,70 Euro im Zeitraum 1.1.2008 bis 30.06.2008, in Höhe von 712,76 Euro im Zeitraum 1.7.2008 bis 31.12.2008, in Höhe von 718,08 Euro im Zeitraum 1.1.2009 bis 28.2.2009, in Höhe von 717,72 Euro im Zeitraum 1.3.2009 bis 30.6.2009 und in Höhe von 720,53 Euro im Zeitraum 1.7.2009 bis 31.12.2009 zu zahlen". Zur Begründung seiner Entscheidung hat es ausgeführt, der nach § 28 Abs 1 Satz 2 1. Alt SGB XII vom Regelsatz vorgenommene Abzug einer Möblierungspauschale sei unzulässig. Diese Regelung solle Doppelleistungen im Rahmen der Sozialhilfe verhindern. Ihre Anwendung setze voraus, dass der Bedarf des Leistungsempfängers durch andere Sozialhilfeleistungen ganz oder teilweise gedeckt sei. Gemeint seien dabei andere Leistungen als die der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung, etwa nach dem 5. bis 9. Kapitel des SGB XII, die der Kläger jedoch nicht erhalte. Auch eine Berücksichtigung der in den Kosten der Unterkunft enthaltenen Möblierungspauschale als Einkommen scheide aus. Hierdurch werde der Kläger gegenüber unmöbliert wohnenden Leistungsempfängern nicht privilegiert.

4

Mit seiner Revision rügt der Beklagte die Verletzung von § 28 Abs 1 Satz 2 SGB XII. Danach seien die Bedarfe abweichend vom Eckregelsatz festzulegen, wenn im Einzelfall ein Bedarf ganz oder teilweise durch andere Sozialhilfeleistungen gedeckt sei. Dies bedeute aber nicht, dass es sich um Sozialhilfeleistungen handeln müsse, die nach anderen Kapiteln des SGB XII gewährt würden. Der Abzug einer im Regelsatz enthaltenen Möblierungspauschale sei vorzunehmen, weil in dem vom Kläger zu zahlenden und von dem Beklagten vollständig übernommenen Nutzungsentgelt bereits ein Anteil für die Nutzung der Möbel enthalten sei. Der Kläger benötige keine eigenen Möbel und müsse auch keine Beträge für die Wiederbeschaffung oder den Erhalt der Möbel ansparen.

5

Der Beklagte beantragt,
das Urteil des SG Dresden aufzuheben und die Klage abzuweisen.

6

Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

7

Er hält die Entscheidung des SG für zutreffend.

8

In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat haben die Beteiligten einen Teilvergleich geschlossen und darin den Streitgegenstand zeitlich auf den 1.10.2007 bis 31.12.2007 sowie inhaltlich auf die Regelsatzleistung beschränkt. Daneben haben sie sich darüber geeinigt, dass der Kläger im streitbefangenen Zeitraum dauerhaft erwerbsunfähig war und vom dem Kläger zustehenden Regelbedarf in Höhe von 347 Euro 6,53 Euro als Warmwasserpauschale und 15,22 Euro als Stromkostenpauschale abzuziehen sind.

Entscheidungsgründe

9

Die zulässige Sprungrevision ist nicht begründet (§ 170 Abs 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz).

10

Die Sprungrevision ist zulässig, sie ist insbesondere formgerecht erhoben. Zwar hat der Beklagte als Revisionskläger in seiner fristgerechten Revisionsbegründung entgegen § 164 Abs 2 Satz 3 SGG keinen förmlichen und oder genau formulierten Antrag gestellt; dem Antragserfordernis wird aber ausreichend Rechnung getragen, wenn das mit der Revision erstrebte prozessuale Ziel aus dem Inhalt rechtzeitig eingereichter Schriftsätze erkennbar ist (BSG SozR 1500 § 164 Nr 8 S 8 und Nr 10 S 15; Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 6. Aufl 2011, IX RdNr 312). Der Beklagte hat mit hinreichender Deutlichkeit in der Revisionsbegründung dargetan, dass er die Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils erstrebt. Er widerspricht nämlich in seiner Revisionsbegründung dem Ergebnis und der Begründung des Urteils des SG; er ist der Auffassung, dass der Regelsatz um eine Möblierungspauschale zu kürzen sei.

11

Gegenstand des Verfahrens ist nach Abschluss des Teilvergleichs allein noch die Höhe der Regelsatzleistung für die Zeit von Oktober bis Dezember 2007, soweit sie im Änderungsbescheid vom 14.1.2009 um die Möblierungspauschale in Höhe von 27,76 Euro vermindert wurde. Der Änderungsbescheid vom 14.1.2009 ist dabei nach § 96 SGG Gegenstand des Verfahrens geworden und hat alle zuvor ergangenen Bescheide, soweit der streitbefangene Zeitraum betroffen ist, ersetzt(vgl § 39 Abs 2 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch - Sozialverwaltungs-verfahren und Sozialdatenschutz).

12

Die Beteiligten durften den Streitgegenstand - wie geschehen - durch Teilvergleich beschränken; ein solcher Vergleich ist möglich und zulässig. Soweit es die zeitliche und inhaltliche Beschränkung auf den Regelsatz betrifft, ist der Abschluss eines Teilvergleichs nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) schon deshalb möglich, weil in zeitlicher Hinsicht lediglich eine Begrenzung erfolgt, die auch im Rahmen einer Bewilligung zulässigerweise vorgenommen werden könnte (BSG, Urteil vom 12.7.2012 - B 14 AS 153/11 R - RdNr 11; BSG, Urteil vom 2.7.2009 - B 14 AS 32/07 R - RdNr 16) und es sich bei der Beschränkung auf den Regelsatz um einen rechtlich abtrennbaren Streitgegenstand handelt (BSGE 103, 181 ff RdNr 13 = SozR 4-3500 § 42 Nr 2; zum Recht des Sozialgesetzbuchs Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - : BSGE 97, 217 ff RdNr 18 ff = SozR 4-4200 § 22 Nr 1; BSGE 104, 41 ff RdNr 13 = SozR 4-4200 § 22 Nr 23, und BSG, Urteil vom 22.9.2009 - B 4 AS 70/08 R - RdNr 10). Der Bescheid vom 14.1.2009 enthält insoweit auch abtrennbare Verfügungssätze.

13

Soweit in einem Teilvergleich einzelne Berechnungselemente - wie hier - konkret bezeichnet und beziffert werden, gilt nichts anderes (BSG SozR 4-3500 § 90 Nr 1 RdNr 14; BSGE 97, 217 ff RdNr 22 = SozR 4-4200 § 22 Nr 1; BSG, Urteil vom 28.11.2002 - B 7 AL 36/01 R - RdNr 15). Während ein Teilanerkenntnis zu Berechnungselementen ausgeschlossen ist, weil nach § 101 Abs 2 SGG nur (Teil-)Ansprüche anerkannt werden können(BSGE 103, 153 ff RdNr 12 = SozR 4-4200 § 12 Nr 13; BSGE 108, 241 ff RdNr 22 = SozR 4-3500 § 82 Nr 8; BSG, Urteil vom 9.6.2011 - B 8 SO 1/10 R - RdNr 12), trifft dies für einen Teilvergleich nicht zu. Ein Rechtssatz, der einen Vergleich über Berechnungselemente ausschließen würde, existiert nicht (vgl § 54 Abs 1 SGB X). Dessen Zulässigkeit folgt nicht zuletzt daraus, dass nach der Rechtsprechung des BSG im Einzelfall auch eine Elementenfeststellungsklage erhoben werden kann, wenn sicher anzunehmen ist, dass durch sie der Streit der Beteiligten insgesamt bereinigt wird (BSGE 31, 235, 240 = SozR Nr 14 zu § 141 SGG Da 8, und BSGE 43, 134, 137 = SozR 4100 § 34 Nr 6 S 8; SozR 3-2500 § 124 Nr 9 S 58; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 55 RdNr 9a). Insoweit besteht - ebenso wie beim Teilvergleich (vgl Diering in Lehr- und Praxiskommentar SGB X, 3. Aufl 2011, § 54 RdNr 11)über Berechnungselemente - nur eine Teilbindungswirkung. Anders als in der Entscheidung des 14. Senats des BSG vom 23.8.2011 - B 14 AS 165/10 R - (SozR 4-4200 § 11 Nr 43 RdNr 16) haben die Beteiligten bei Abschluss des Vergleichs auch gegenseitig nachgegeben (vgl zur weiten Auslegung dieses Kriteriums: Engelmann in von Wulffen, SGB X, 7. Aufl 2010, § 54 RdNr 8; Sprau in Palandt, BGB, 71. Aufl 2012, § 779 RdNr 9 mwN), weil der Kläger einerseits die Kürzung des Regelsatzes um die Energie- und Warmwasserkostenpauschale billigt, andererseits die Kosten der Unterkunft aus dem Verfahren herausgebrochen und vom Beklagten in voller Höhe (Inklusivmiete) erbracht werden. Der Teilvergleich ermöglicht vorliegend eine abschließende Entscheidung, weil sich die Beteiligten in allen Punkten - außer dem streitigen - geeinigt haben; weder wird der Rechtsschutz des Leistungsempfängers verkompliziert noch der Verwaltung zusätzliche Arbeit auferlegt (zum Ganzen Coseriu in juris Praxiskommentar SGB XII, § 19 SGB XII RdNr 76.3).

14

Der Senat weicht damit nicht von den vom 14. Senat des BSG im Urteil vom 23.5.2012 - B 14 AS 148/11 R - dargelegten Grundsätzen ab. Diese Entscheidung betraf eine Teilvereinbarung, wonach die Bedarfsberechnung in den angefochtenen Bescheiden zutreffend erfolgt sei. Insoweit haben die Beteiligten keine Einigung über einzelne Berechnungselemente erzielt, sondern im Ergebnis nur erklärt, dass sie hinsichtlich der Berechnung des Bedarfs keine Einwände erhöben. Die Erklärung der Beteiligten, dass sie übereinstimmend von einem bestimmten Sachverhalt ausgehen, suspendiert die Amtsermittlungspflicht des Gerichts nicht (vgl § 103 Abs 2 SGG); sie entbindet allenfalls Behörden und Gerichte, Tatsachen zu ermitteln, für deren Bestehen weder das Beteiligtenvorbringen noch sonstige Umstände des Einzelfalls Anhaltspunkte liefern. Erklärungen der Beteiligten in einem "Teilvergleich", dass die tatsächlichen Grundlagen des Rechtsstreits aus ihrer Sicht geklärt seien, beeinflussen also nur die Amtsermittlung des Gerichts. Wenn die Annahme naheliegt, dass weitere oder abweichende Tatsachen für die Entscheidung des Rechtsstreits von Bedeutung sind, muss es nach § 103 SGG in eine weitere Ermittlung des tatsächlichen Streitstoffseinsteigen (BSGE 103, 153 ff RdNr 13 = SozR 4-4200 § 12 Nr 13; BSGE 102, 258 ff RdNr 10 = SozR 4-4225 § 1 Nr 1). Ein solcher "Teilvergleich" entfaltet deshalb auch nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats keine Teilbindungswirkung.

15

Zulässige Klageart ist die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 und Abs 4 iVm § 56 SGG). Dies gilt auch dann, wenn die Leistung ab 1.10.2007 in Abänderung einer früheren Leistungsbewilligung um den Betrag der Möblierungspauschale verringert wurde, die Rechtmäßigkeit der angegriffenen Entscheidung sich also an § 48 Abs 1 SGB X misst. Zwar soll nach der Rechtsprechung des BSG für eine Klage auf Leistung in der Regel das Rechtsschutzbedürfnis fehlen, soweit die ausgesprochene (abgeänderte) Bewilligung reicht, weil diese schon dann wiederhergestellt wird, wenn der abändernde Verwaltungsakt aufgehoben wird (BSGE 48, 33, 34 = SozR 4100 § 44 Nr 19 S 54; BSGE 49, 197 ff, 198 f = SozR 4100 § 119 Nr 11 S 45; BSG SozR 3-4100 § 138 Nr 2 S 8; BSG SozR 4100 § 113 Nr 9 S 52).

16

Diese Rechtsprechung verkennt aber die Reichweite des verfassungsrechtlich garantierten effektiven Rechtsschutzes aus Art 19 Abs 4 Satz 1 Grundgesetz (GG). Art 19 Abs 4 Satz 1 GG enthält ein Grundrecht auf effektiven und möglichst lückenlosen richterlichen Rechtsschutz gegen Akte der öffentlichen Gewalt (stRspr des BVerfG; zB: BVerfGE 96, 27, 39; 67, 43, 58; 51, 268, 284) und erschöpft sich nicht darin, demjenigen den Rechtsweg zu eröffnen, der geltend macht, durch die öffentliche Gewalt in eigenen Rechten verletzt zu sein; es garantiert auch wirksamen Rechtsschutz im Sinne einer im Tatsächlichen gewährleisteten gerichtlichen Kontrolle (BVerfGE 84, 34, 49; 61, 82, 111; 51, 268, 284; 40, 272, 275; 35, 382, 401). Die Ausgestaltung des Rechtswegs und die Intensität der gerichtlichen Kontrolle müssen auch der Durchsetzung des materiellen Rechts wirkungsvoll dienen, für diesen Zweck also geeignet und angemessen sein (BVerfGE 84, 34, 49; 60, 253, 269). Damit das materielle Recht umfassend und in angemessener Zeit auch tatsächlich verwirklicht (durchgesetzt) werden kann, muss eine richterliche Entscheidung nicht nur der Rechtskraft fähig, sondern (gleich bedeutsam) auch vollstreckbar sein (BSG SozR 3-1500 § 199 Nr 1 S 5 f mwN). Diesem allgemeinen rechtsstaatlichen Grundsatz liefe es zuwider, wenn die gerichtliche Entscheidung, sofern sie nicht schon - wie etwa Gestaltungsurteile nach der isolierten Anfechtungsklage (§ 54 Abs 1 Satz 1 SGG) - ihre Wirkung mit der Rechtskraft aus sich selbst entfaltet, nicht erzwingbar wäre. Im Rahmen der Sozialgerichtsbarkeit ist eine Vollstreckung aus Verwaltungsakten gegen die öffentliche Hand nicht vorgesehen. Ohne eine Vollstreckungsmöglichkeit wäre die Rechtsschutzgarantie damit unvollständig (lückenhaft), weil die richterliche Entscheidung bloße Feststellung, dh folgenlos, bliebe oder ihre Umsetzung - hier eine Leistungsklage aus dem wiederauflebenden Bescheid - für den Berechtigten mit iS von Art 19 Abs 4 Satz 1 GG unzumutbarem Aufwand verbunden sein könnte (BSG aaO; BSGE 50, 82, 83 = SozR 1500 § 54 Nr 40 S 23).

17

Es bedarf allerdings keiner abschließenden Entscheidung, wie die Rechtsprechung des BSG zum Rechtsschutzbedürfnis für eine Leistungsklage in diesen Fällen zu verstehen ist; jedenfalls vorliegend könnte der Kläger sein Ziel (höhere Leistungen) ohnedies nicht ohne Weiteres allein mit der Anfechtungsklage verwirklichen. Angesichts unzähliger Ausgangs- und Änderungsbescheide, eines Vergleichs in einem Eilverfahren und des Teilvergleichs in der mündlichen Verhandlung wäre bei einer bloßen Aufhebung des Bescheids vom 14.1.2009 die Bescheidlage so unübersichtlich, dass ein Streit über den dann maßgebenden Bescheid nicht auszuschließen wäre. Die Verurteilung zur Leistung ist jedenfalls in einem solchen Fall sachgerecht und erforderlich.

18

Mangels Anordnung einer Beteiligtenfähigkeit von Behörden (§ 70 Nr 3 SGG) im Land Sachsen (Gesetz über die Justiz im Freistaat Sachsen vom 24.11.2000, zuletzt geändert durch Gesetz vom 8.6.2012 - Gesetz- und Verordnungsblatt - 308, 318) richtet sich die Klage zu Recht gegen den Beklagten als Rechtsträger, der als Landkreis auch der für die Leistung örtlich (§ 10 des Sächsischen Gesetzes zur Ausführung des Sozialgesetzbuches vom 6.6.2002 - GVBl 168 - zuletzt geändert durch Gesetz vom 27.1.2012 - GVBl 130) und sachlich (§ 97 Abs 1, § 98 Abs 1 Satz 2 SGB XII, § 13 SächsAGSGB) zuständige Träger der Sozialhilfe ist. Sozial erfahrene Dritte waren gemäß § 21 SächsAGSGB vor Erlass des Widerspruchsbescheids nicht nach § 116 Abs 2 SGB XII zu beteiligen.

19

Ob die Rechtmäßigkeit des durch den angegriffenen Bescheid ersetzten Bescheids an § 48 Abs 1 SGB X oder ob bzw inwieweit der ersetzende Bescheid selbst an §§ 44 ff SGB X zu messen ist oder für die Zeit ab 1.10.2007 ein neuer Bewilligungsabschnitt begann und deshalb die Höhe des Regelsatzes als Neubewilligung allein unter Anwendung der Vorschriften des SGB XII zu prüfen ist, kann hier dahinstehen; denn sieht man von der nach dem Teilvergleich nicht mehr in Streit stehenden Warmwasser- und Stromkostenpauschale ab, steht dem Kläger in jedem Fall der ungekürzte Regelsatz zu. Der Kläger hat einen Anspruch auf (höhere) Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach § 19 Abs 2 SGB XII(in der Fassung des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch vom 27.12.2003 - BGBl I 3022) iVm § 41 SGB XII(in der Fassung, die die Norm durch das Gesetz zur Änderung des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 2.12.2006 - BGBl I 2670 - erhalten hat). Danach werden Personen mit gewöhnlichem Aufenthalt im Inland, die ihren Lebensunterhalt nicht aus Einkommen und Vermögen beschaffen können, auf Antrag Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel des SGB XII gewährt, wenn sie das 65. Lebensjahr bzw die angehobene Altersgrenze vollendet haben oder das 18. Lebensjahr vollendet haben, unabhängig von der jeweiligen Arbeitsmarktlage voll erwerbsgemindert iS von § 43 Abs 2 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch - Gesetzliche Rentenversicherung - (SGB VI) sind und bei ihnen unwahrscheinlich ist, dass die volle Erwerbsminderung behoben werden kann.

20

Diese Voraussetzungen liegen beim Kläger vor. Er war im streitbefangenen Zeitraum dauerhaft voll erwerbsgemindert sowie einkommens- und vermögenslos. Für diesen Zeitraum steht ihm entgegen der Auffassung des Beklagten eine um 27,76 Euro höhere Regelsatzleistung (§ 28 Abs 2 Satz 1, § 40 SGB XII iVm § 3 Regelsatzverordnung in der Fassung vom 3.6.2004 - BGBl I 1067) zu, weil die Regelsatzleistung bei der Leistungsbewilligung zu Unrecht um diesen Betrag als "Möblierungspauschale" gekürzt wurde.

21

Nach § 28 Abs 1 Satz 1 SGB XII(in der Fassung, die die Norm durch das Gesetz vom 2.12.2006 erhalten hat), der über § 42 SGB XII(ebenfalls in der Fassung dieses Gesetzes) auch bei Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung Anwendung findet (BSGE 99, 252 ff RdNr 20 = SozR 4-3500 § 28 Nr 3), wird der gesamte Bedarf des notwendigen Lebensunterhalts außerhalb von Einrichtungen mit Ausnahme von Leistungen für Unterkunft und Heizung und der Sonderbedarfe nach den §§ 30 bis 34 SGB XII nach Regelsätzen erbracht. Die Bedarfe können aber gemäß § 28 Abs 1 Satz 2 SGB XII abweichend festgelegt werden, wenn im Einzelfall ein Bedarf ganz oder teilweise anderweitig gedeckt ist (1. Alt) oder unabweisbar seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweicht (2. Alt).

22

Eine abweichende Festlegung des Regelsatzes wegen der Möblierungspauschale - hier nach § 28 Abs 1 Satz 2 1. Alt SGB XII - ist nicht vorzunehmen. Die Vorschrift soll verhindern, dass Träger der Sozialhilfe im Rahmen der Sozialhilfeleistungen gegenüber dem Leistungsempfänger Leistungen doppelt erbringen. Der Anwendungsbereich dieser Norm ist deshalb zur Vermeidung solcher Doppelleistungen nur dann eröffnet, wenn es bei der Gewährung von Sozialhilfeleistungen (vgl dazu grundlegend BSGE 102, 126 ff = SozR 4-3500 § 54 Nr 3) zu Überschneidungen mit den durch den Regelsatz nach § 28 Abs 1 Satz 1 SGB XII pauschal abgegoltenen tatsächlichen Bedarfen kommt. Einer solchen Überschneidung kann nicht im Rahmen der Einkommensberücksichtigung, sondern allein durch Minderung des Bedarfs nach § 28 Abs 1 Satz 2 SGB XII begegnet werden, soweit die Voraussetzungen dieser Vorschrift für eine Absenkung des Regelsatzes vorliegen(BSGE 106, 62 ff RdNr 36 = SozR 4-3500 § 82 Nr 6; BSGE 99, 252 ff RdNr 19 = SozR 4-3500 § 28 Nr 3).

23

Für eine Anwendung des § 28 Abs 1 Satz 2 1. Alt SGB XII ist es zwar schon ausreichend, dass überhaupt eine Doppelzahlung aus Mitteln der Sozialhilfe erfolgt. Nicht erforderlich ist demgegenüber, dass unterschiedliche Sozialhilfeleistungen - etwa Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung sowie Eingliederungshilfe - aufeinandertreffen. Lediglich Leistungen anderer Sozialleistungsträger schließen eine Anwendung des § 28 Abs 1 Satz 2 1. Alt SGB XII aus, weil diese anders als Sozialhilfeleistungen nicht bei der (vorrangig zu erfolgenden) Berücksichtigung als Einkommen nach § 82 Abs 1 SGB XII ausgeschlossen sind(vgl BSGE 106, 62 ff RdNr 36 = SozR 4-3500 § 82 Nr 6).

24

Der Regelsatz kann aber nur in dem Umfang abgesenkt werden, in dem der Bedarf des Leistungsberechtigten durch eine anderweitige Leistung tatsächlich ("im Einzelfall") gedeckt wird (BSGE 99, 252 ff RdNr 23 = SozR 4-3500 § 28 Nr 3). Nur hypothetisch anfallende Bedarfe rechtfertigen hingegen keine Absenkung des Regelsatzes, weil dann eine konkrete Bestimmung ersparter Aufwendungen nicht möglich ist (BSG, aaO, RdNr 28); so liegt der Fall hier. Die vom Beklagten angenommenen Ersparnisse des Klägers sind bereits tatsächlich ungewiss und von der individuellen Lebensgestaltung des Klägers abhängig. Ersparte Aufwendungen können noch nicht einmal im Wege der Schätzung (§ 287 Zivilprozessordnung) ermittelt werden. Selbst wenn ihm Möbel in der Wohnung zur Verfügung gestellt wurden, bleibt es ihm überlassen, ob er neben den vorhandenen Gegenständen weitere anschafft, existierende Einrichtungsgegenstände - ggf mit Einverständnis des Vermieters - seinen persönlichen Wünschen entsprechend mit den vorhandenen austauscht oder funktionsuntüchtige bzw verbrauchte Gegenstände ersetzt. Zudem fallen Ausgaben für Möbel und andere Einrichtungsgegenstände, Haushaltsgeräte und deren Instandhaltungskosten nicht typischerweise monatlich an. Der in der Regelleistung enthaltene Anteil muss vielmehr angespart werden, um gegebenenfalls Ersatzbeschaffungen von Einrichtungsgegenständen zu ermöglichen. Daher ist auch bei Leistungsempfängern nach dem SGB XII, die in einer unmöblierten Wohnung wohnen, nicht sicher, ob sie den Anteil, welcher für die Beschaffung von Möbeln im Regelsatz enthalten ist, bis zu ihrem Ausscheiden aus dem Leistungsbezug tatsächlich einsetzen müssen. Letztlich ist es dem Einzelnen überlassen, ob und wann er eine Ersatzbeschaffung für abgenutztes Mobiliar oder Ergänzungskäufe tätigt oder hierauf auch gänzlich verzichtet. Unterliegt das "Ob" der Deckung eines Bedarfs also der individuellen Entscheidung des Leistungsempfängers, ist aber auch aus rechtlichen Gründen eine abweichende Festlegung des Regelsatzes nicht möglich (Gutzler in jurisPK-SGB XII, § 27a SGB XII RdNr 98; Wahrendorf in Grube/Wahrendorf, SGB XII, 4. Aufl 2012, § 27a SGB XII RdNr 31). Derartigen Unwägbarkeiten soll die Pauschalierung des Regelsatzes gerade Rechnung tragen (so schon BSGE 99, 252 ff RdNr 28 = SozR 4-3500 § 28 Nr 3).

25

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs 1 Satz 1 SGG.

(1) Die Frist für ein Rechtsmittel oder einen anderen Rechtsbehelf beginnt nur dann zu laufen, wenn der Beteiligte über den Rechtsbehelf, die Verwaltungsstelle oder das Gericht, bei denen der Rechtsbehelf anzubringen ist, den Sitz und die einzuhaltende Frist schriftlich oder elektronisch belehrt worden ist.

(2) Ist die Belehrung unterblieben oder unrichtig erteilt, so ist die Einlegung des Rechtsbehelfs nur innerhalb eines Jahres seit Zustellung, Eröffnung oder Verkündung zulässig, außer wenn die Einlegung vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich war oder eine schriftliche oder elektronische Belehrung dahin erfolgt ist, daß ein Rechtsbehelf nicht gegeben sei. § 67 Abs. 2 gilt für den Fall höherer Gewalt entsprechend.

(1) Die Nichtzulassung der Revision kann selbständig durch Beschwerde angefochten werden. Die Beschwerde ist bei dem Bundessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils einzulegen. Der Beschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des Urteils, gegen das die Revision eingelegt werden soll, beigefügt werden. Satz 3 gilt nicht, soweit nach § 65a elektronische Dokumente übermittelt werden.

(2) Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Urteils zu begründen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden einmal bis zu einem Monat verlängert werden. In der Begründung muß die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt oder die Entscheidung, von der das Urteil des Landessozialgerichts abweicht, oder der Verfahrensmangel bezeichnet werden.

(3) Die Einlegung der Beschwerde hemmt die Rechtskraft des Urteils.

(4) Das Bundessozialgericht entscheidet unter Zuziehung der ehrenamtlichen Richter durch Beschluss; § 169 gilt entsprechend. Dem Beschluß soll eine kurze Begründung beigefügt werden; von einer Begründung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen. Mit der Ablehnung der Beschwerde durch das Bundessozialgericht wird das Urteil rechtskräftig. Wird der Beschwerde stattgegeben, so beginnt mit der Zustellung dieser Entscheidung der Lauf der Revisionsfrist.

(5) Liegen die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 3 vor, kann das Bundessozialgericht in dem Beschluss das angefochtene Urteil aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverweisen.

(1) Die Revision ist bei dem Bundessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils oder des Beschlusses über die Zulassung der Revision (§ 160a Absatz 4 Satz 1 oder § 161 Abs. 3 Satz 2) schriftlich einzulegen. Die Revision muß das angefochtene Urteil angeben; eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des angefochtenen Urteils soll beigefügt werden, sofern dies nicht schon nach § 160a Abs. 1 Satz 3 geschehen ist. Satz 2 zweiter Halbsatz gilt nicht, soweit nach § 65a elektronische Dokumente übermittelt werden.

(2) Die Revision ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Urteils oder des Beschlusses über die Zulassung der Revision zu begründen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden verlängert werden. Die Begründung muß einen bestimmten Antrag enthalten, die verletzte Rechtsnorm und, soweit Verfahrensmängel gerügt werden, die Tatsachen bezeichnen, die den Mangel ergeben.

(1) Die Frist für ein Rechtsmittel oder einen anderen Rechtsbehelf beginnt nur dann zu laufen, wenn der Beteiligte über den Rechtsbehelf, die Verwaltungsstelle oder das Gericht, bei denen der Rechtsbehelf anzubringen ist, den Sitz und die einzuhaltende Frist schriftlich oder elektronisch belehrt worden ist.

(2) Ist die Belehrung unterblieben oder unrichtig erteilt, so ist die Einlegung des Rechtsbehelfs nur innerhalb eines Jahres seit Zustellung, Eröffnung oder Verkündung zulässig, außer wenn die Einlegung vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich war oder eine schriftliche oder elektronische Belehrung dahin erfolgt ist, daß ein Rechtsbehelf nicht gegeben sei. § 67 Abs. 2 gilt für den Fall höherer Gewalt entsprechend.

(1) Die Frist für ein Rechtsmittel oder einen anderen Rechtsbehelf beginnt nur zu laufen, wenn der Beteiligte über den Rechtsbehelf, die Verwaltungsbehörde oder das Gericht, bei denen der Rechtsbehelf anzubringen ist, den Sitz und die einzuhaltende Frist schriftlich oder elektronisch belehrt worden ist.

(2) Ist die Belehrung unterblieben oder unrichtig erteilt, so ist die Einlegung des Rechtsbehelfs nur innerhalb eines Jahres seit Zustellung, Eröffnung oder Verkündung zulässig, außer wenn die Einlegung vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich war oder eine schriftliche oder elektronische Belehrung dahin erfolgt ist, daß ein Rechtsbehelf nicht gegeben sei. § 60 Abs. 2 gilt für den Fall höherer Gewalt entsprechend.

Tatbestand

1

I. Die Klägerinnen und Revisionsklägerinnen (Klägerinnen) sind Erben nach ihrem verstorbenen Sohn bzw. Bruder (Erblasser). Dieser betrieb auf eigenen Grundstücken eine Gärtnerei, aus der er Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft erzielte.

2

Mit notariellem Vertrag vom 13. April 2000 verkaufte der Erblasser nahezu sämtliche Flächen seines Betriebs an die Gesellschafter einer Grundstücksgesellschaft (Käufer). Der Verkauf erfolgte unter der aufschiebenden Bedingung, dass die zur Wohnbebauung notwendigen bauplanungsrechtlichen Voraussetzungen vorlagen, ein weiterer Kaufvertrag mit dem Käufer abgeschlossen wurde sowie zwischen dem Käufer und der Stadt ein Erschließungsvertrag und eine Ablösevereinbarung zustande kamen. Der Käufer konnte die Bedingungen als gegeben erklären, womit der Vertrag sofort wirksam werden sollte. Die Besitzübergabe sollte zum 1. des übernächsten Kalendermonats erfolgen, nachdem dem Käufer die Mitteilung des Notars über den Eintritt der Bedingungen zugegangen war. Mit notarieller Urkunde vom 16. August 2002 wurden die Bedingungen als erfüllt erklärt.

3

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) gewährte dem Erblasser den Freibetrag nach § 14a Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) für das Streitjahr (2002) nicht. Die Veräußerung sei nicht --wie die Vorschrift voraussetze-- vor dem 1. Januar 2001 erfolgt.

4

Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) entschied, dass der Freibetrag nach § 14a Abs. 1 EStG in Höhe von 150.000 DM nicht gewährt werden könne, weil die Veräußerung erst nach dem 31. Dezember 2000 wirksam geworden sei. Der Freibetrag sei nur zu gewähren, wenn das rechtliche oder wirtschaftliche Eigentum vor dem 1. Januar 2001 übertragen worden sei. Die Revision ließ das FG wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zu. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 2010, 211 veröffentlicht.

5

Dem Urteil ist eine Rechtsmittelbelehrung beigefügt, die sich auf solche Fälle bezieht, in denen die Revision nicht zugelassen wurde. Das Urteil wurde den Klägerinnen am 18. Juni 2009 zugestellt.

6

Am 6. Juli 2009 legten die Klägerinnen Revision ein. Die Begründung ging am 21. September 2009 beim Bundesfinanzhof (BFH) ein. Darin machen die Klägerinnen geltend, die Fristen für die Einlegung und die Begründung der Revision seien wegen der fehlerhaften Rechtsmittelbelehrung noch nicht abgelaufen.

7

In der Sache tragen die Klägerinnen vor, der Erblasser habe bewusst den Kaufvertrag am 13. April 2000 abgeschlossen, da er die Frist des 1. Januar 2001 gekannt habe. Er habe danach keinen Einfluss auf die weitere Durchführung des Vertrags gehabt und sich von diesem auch nicht lösen können. Es habe nicht mehr in seiner Macht gelegen, den wirtschaftlichen oder rechtlichen Übergang des Grundstücks zu beeinflussen.

8

Aus dem Wortlaut der Vorschrift lasse sich nicht entnehmen, dass nicht das schuldrechtliche, sondern das dingliche Geschäft für die zeitliche Anwendung maßgebend sei. § 14a Abs. 1 EStG sei auch im EStG 2008 noch enthalten. Daran lasse sich erkennen, dass das obligatorische Rechtsgeschäft für die Gewährung des Freibetrags maßgeblich sein müsse. Käme es auf das dingliche Rechtsgeschäft an, das schon im Jahr 2000 abgeschlossen sein müsste, wäre die Vorschrift seit dem 1. Januar 2001 nicht mehr anwendbar und müsste nicht mehr im Gesetz stehen. Dieses verlange ausdrücklich weder den Übergang des wirtschaftlichen noch des rechtlichen Eigentums.

9

Auch bei § 23 EStG sei das obligatorische Geschäft maßgebend (BFH-Urteil vom 15. Dezember 1993 X R 49/91, BFHE 173, 144, BStBl II 1994, 687). Die Veräußerung könne vor dem Erfüllungsgeschäft anzunehmen sein (BFH-Urteil vom 23. Januar 1992 IV R 95/90, BFHE 167, 81, BStBl II 1992, 553; Gmach in Herrmann/Heuer/Raupach, § 14a EStG Rz 58). Der Grundstückskaufvertrag sei wirksam, wenn er materiell abgeschlossen worden sei, unabhängig davon, ob aufschiebende Bedingungen erst später einträten (BFH-Urteil vom 2. Februar 1982 VIII R 59/81, BFHE 135, 300, BStBl II 1982, 390). Aus § 14a Abs. 2 Satz 3 EStG a.F. lasse sich wegen der Zweijahresfrist auch der Bezug zu § 23 EStG genau erkennen.

10

§ 14a Abs. 1 Satz 1 EStG beginne ebenso wie Abs. 4 der Vorschrift mit dem Wort "veräußert". In beiden Fällen müsse eine aktive Handlung gemeint sein. Der Zeitpunkt der Gewinnrealisierung mit endgültiger Wirksamkeit des Kaufvertrags --hier im Veranlagungszeitraum 2002-- erlaube die Gewährung des Freibetrags gemäß § 14a Abs. 1 EStG, da nach § 52 Abs. 32 EStG die Anwendung der Vorschrift in der Fassung vom 19. Dezember 2000 erstmals für Wirtschaftsjahre, die nach dem 31. Dezember 2001 enden, bestimmt sei.

11

Ein Veräußerungsvorgang beginne in der Regel schon vor Abschluss eines Vertrags und ende erst mit der Abwicklung aller Folgen des Vertrags. Der erste dokumentierte Vorgang sei immer ein notarieller Vertrag. Der Gesetzgeber habe einen bestimmten Zeitpunkt genannt, vor dem 1. Januar 2001, um Klarheit zu schaffen. Der Zeitpunkt des Vertragsabschlusses vor dem Notar sei genau bestimmbar, während der Übergang wirtschaftlichen oder dinglichen Eigentums häufig noch von verschiedensten Unwägbarkeiten abhängen könne. Das spreche dafür, dass es vorliegend auf den Abschluss des obligatorischen Geschäfts vor dem 1. Januar 2001 ankommen müsse.

12

Der Gesetzgeber habe bewusst einen Zeitpunkt ins Gesetz geschrieben, um die Parteien zum Handeln zu veranlassen, damit der Zweck der Verbesserung der Agrarstruktur erreicht werden könne (Schmidt/Seeger, EStG, 27. Aufl., § 14a Rz 1).

13

Die Klägerinnen beantragen sinngemäß,

das angefochtene Urteil aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid 2002 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 15. Mai 2006 in der Weise zu ändern, dass der Veräußerungsgewinn um den Freibetrag nach § 14a Abs. 1 EStG in Höhe von 150.000 DM gemindert wird.

14

Das FA beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

15

II. Die Revision der Klägerinnen ist zulässig, aber nicht begründet. Sie war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

A.

16

Der Zulässigkeit der Revision steht nicht entgegen, dass sie nicht innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des angefochtenen Urteils begründet wurde.

17

1. Nach Zustellung des vollständigen Urteils ist die Revision beim BFH innerhalb eines Monats einzulegen (§ 120 Abs. 1 Satz 1 FGO) und --sofern sie vom FG zugelassen wurde-- innerhalb von zwei Monaten zu begründen (§ 120 Abs. 2 Satz 1 FGO).

18

2. Die Frist für einen Rechtsbehelf beginnt nur zu laufen, wenn der Beteiligte ordnungsgemäß über den Rechtsbehelf belehrt worden ist (§ 55 Abs. 1 FGO). Der Begriff "Rechtsbehelf" ist weit zu verstehen. Er umfasst als Oberbegriff außergerichtliche und gerichtliche Rechtsbehelfe, darunter die prozessualen Mittel zur Rechtsverwirklichung im Wege gerichtlicher Verfahren, einschließlich Antrag, Klage und Rechtsmittel (vgl. § 136 Abs. 2 FGO; BFH-Urteil vom 18. Februar 1997 VII R 96/95, BFHE 182, 282, BStBl II 1997, 339, unter 1. der Gründe).

19

3. Auch die Frist zur Begründung der Revision nach § 120 Abs. 2 Satz 1 FGO ist eine "Frist für einen Rechtsbehelf" i.S. des § 55 Abs. 1 FGO (gleicher Ansicht Rüsken in Beermann/ Gosch, FGO § 120 Rz 124; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 120 Rz 43; Dürr in Schwarz, FGO § 120 Rz 26; Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 120 FGO Rz 129). Denn die Zulässigkeit des Rechtsmittels hängt (auch) von der Einhaltung dieser Frist ab.

20

4. Die Revisionsbegründung ist danach im Streitfall rechtzeitig beim BFH eingegangen. Die Klägerinnen waren nicht zutreffend über die Fristen zur Einlegung und zur Begründung der Revision belehrt worden. Diese Fristen begannen daher nach § 55 Abs. 1 FGO nicht zu laufen. Die deshalb maßgebliche Jahresfrist für die Einlegung des Rechtsbehelfs nach § 55 Abs. 2 Satz 1 FGO war bei Eingang der Revisionsbegründung noch nicht abgelaufen. Es bedarf daher keiner Entscheidung, ob diese Frist auch für die Begründung der Revision anzuwenden ist (vgl. zur früheren Rechtslage --§ 53 Abs. 2 FGO a.F. i.V.m. §§ 9, 14 des Verwaltungszustellungsgesetzes-- BFH-Beschluss vom 5. Februar 1985 VII R 173/82, BFH/NV 1986, 29).

B.

21

Die Revision ist nicht begründet. FA und FG haben den Veräußerungsgewinn zu Recht nicht um den Freibetrag nach § 14a Abs. 1 EStG vermindert, weil der Erblasser seinen land- und forstwirtschaftlichen Betrieb nicht vor dem 1. Januar 2001 veräußert hat.

22

1. Zu den Einkünften aus Land- und Forstwirtschaft gehören gemäß § 14 EStG auch Gewinne, die bei der Veräußerung eines land- oder forstwirtschaftlichen Betriebs erzielt werden. § 16 EStG gilt entsprechend; der Freibetrag nach § 16 Abs. 4 EStG ist jedoch nicht zu gewähren, wenn der Freibetrag nach § 14a Abs. 1 EStG gewährt wird (§ 14 Satz 2 EStG). Auf Antrag wird der Veräußerungsgewinn nur insoweit zur Einkommensteuer herangezogen, als er den Betrag von 150.000 DM übersteigt, wenn ein Steuerpflichtiger seinen land- und forstwirtschaftlichen Betrieb im Ganzen u.a. vor dem 1. Januar 2001 veräußert hat und weitere Voraussetzungen erfüllt sind (§ 14a Abs. 1 Satz 1 EStG).

23

2. Die Möglichkeit, den Freibetrag nach § 14a Abs. 1 EStG in Anspruch nehmen zu können, hängt --wie darin ausdrücklich geregelt ist-- vom Zeitpunkt der Veräußerung des Betriebs ab. Maßgebend dafür ist, wann der Tatbestand der Betriebsveräußerung verwirklicht wird. Das ist der Zeitpunkt, an dem --mindestens-- das wirtschaftliche Eigentum an den wesentlichen Betriebsgrundlagen auf den Erwerber übergeht (Beschluss des Großen Senats des BFH vom 19. Juli 1993 GrS 2/92, BFHE 172, 66, BStBl II 1993, 897, unter C.II.2.b der Gründe; BFH-Urteile vom 25. Juni 2009 IV R 3/07, BFHE 226, 62, BStBl II 2010, 182, unter II.2.a aa der Gründe; vom 28. November 2007 X R 12/07, BFHE 219, 335, BStBl II 2008, 193, unter II.2.d aa der Gründe, jeweils m.w.N.).

24

Der Zeitpunkt, an dem der Tatbestand der Betriebsveräußerung verwirklicht wird, ist für die Entstehung und die Ermittlung des Veräußerungsgewinns sowie die Beurteilung der Frage maßgebend, ob es sich bei dem Veräußerungsobjekt um einen Betrieb im Ganzen, einen Teilbetrieb oder um einen Mitunternehmeranteil handelt; ebenso entscheidet sich danach, ob der Steuerpflichtige das 55. Lebensjahr vollendet hat und deshalb den Freibetrag nach § 16 Abs. 4 EStG in Anspruch nehmen kann (BFH-Urteil in BFHE 219, 335, BStBl II 2008, 193, unter II.2.d bb der Gründe). Wegen des systematischen Zusammenhangs mit der Ermittlung des Veräußerungsgewinns nach § 14 EStG und mit dem Freibetrag nach § 16 Abs. 4 EStG kann für § 14a Abs. 1 EStG kein anderer Zeitpunkt gelten. Nur so lässt sich nicht zuletzt auch eine weitere Komplizierung vermeiden, zu der unterschiedliche Regeln zur Ermittlung des Veräußerungszeitpunkts führen müssten.

25

3. Bei einer Grundstücksübertragung geht das wirtschaftliche Eigentum grundsätzlich zu dem Zeitpunkt über, von dem an nach dem Willen der Beteiligten und nach der tatsächlichen Durchführung Besitz und Gefahr, Nutzungen und Lasten übergehen (BFH-Urteil vom 2. Mai 1974 IV R 47/73, BFHE 113, 195, BStBl II 1974, 707, unter 5. der Gründe). Erfolgt die Veräußerung unter einer aufschiebenden Bedingung, deren Eintritt nicht allein vom Willen und Verhalten des Erwerbers abhängt, geht das wirtschaftliche Eigentum allerdings auch dann erst mit dem Eintritt der Bedingung auf den Erwerber über, wenn ein früherer dinglicher Übergang vereinbart wurde (BFH-Urteil in BFHE 226, 62, BStBl II 2010, 182, unter II.3.a der Gründe, zur Übertragung eines Gesellschaftsanteils).

26

4. Als Veräußerungszeitpunkt kommt danach der Tag, an dem das Verpflichtungsgeschäft abgeschlossen wurde, nicht in Betracht (BFH-Urteil in BFHE 219, 335, BStBl II 2008, 193, unter II.2.d aa der Gründe). Vielmehr kommt es darauf an, wann das wirtschaftliche Eigentum auf den Käufer übergegangen ist. Das wirtschaftliche Eigentum ging jedoch --wie zwischen den Beteiligten nicht streitig ist-- erst im Streitjahr über.

27

a) Zwar nimmt § 14a Abs. 1 EStG dem Wortlaut nach ausdrücklich weder auf das schuldrechtliche noch auf das dingliche Geschäft Bezug. Daraus lässt sich jedoch nicht ableiten, dass es dabei auf den Zeitpunkt ankommen soll, an dem das (schuldrechtliche) Verpflichtungsgeschäft abgeschlossen wurde. Ausschlaggebend ist vielmehr der einkommensteuerrechtlich maßgebliche Zeitpunkt der Betriebsveräußerung, für den der Übergang des wirtschaftlichen Eigentums maßgeblich ist (s. oben unter II.B.2.).

28

b) Sinn und Zweck der Vorschrift führen zu keiner anderen Beurteilung. Insbesondere der Zweck der zeitlich befristeten Freibetragsregelung, einen Anstoß zur Betriebsveräußerung im Interesse einer agrarpolitisch erwünschten Strukturverbesserung zu geben (vgl. dazu Kleeberg, in: Kirchhof/Söhn/ Mellinghoff, EStG, § 14a Rz A 39) sagt --entgegen der Ansicht der Klägerinnen-- selbst wenn man von den vorliegend vereinbarten aufschiebenden Bedingungen absieht nichts darüber aus, ob auch solche Veräußerungen zu begünstigen sind, bei denen nur das bindende Verpflichtungsgeschäft innerhalb der gesetzlichen Frist erfolgt ist. Die Einbeziehung solcher Veräußerungen würde aber zu einer weiteren Ausdehnung der früher bereits mehrfach verlängerten Frist führen. Anhaltspunkte dafür, dass dies vom Gesetzgeber beabsichtigt sein könnte, sind nicht erkennbar und auch von den Klägerinnen nicht geltend gemacht worden.

29

c) Soweit der BFH bei der Berechnung des Zeitraums zwischen Anschaffung und Veräußerung bei privaten Veräußerungsgeschäften grundsätzlich auf die Zeitpunkte abstellt, an denen die obligatorischen Verträge abgeschlossen wurden (u.a. BFH-Urteil vom 13. Dezember 2005 IX R 14/03, BFHE 212, 127, BStBl II 2006, 513, unter II.1.c der Gründe, m.w.N.), rechtfertigt dies keine andere Beurteilung. Dieser Rechtsprechung liegt der Normzweck des § 23 EStG zu Grunde, im Privatvermögen innerhalb der Frist erzielte Werterhöhungen der Einkommensteuer zu unterwerfen (BFH-Urteil vom 2. Oktober 2001 IX R 45/99, BFHE 196, 567, BStBl II 2002, 10, unter II.1.b bb der Gründe, m.w.N.). Dieser Zweck erfordert die eindeutige Bestimmung des für die Frist maßgeblichen Zeitraums. Vorliegend geht es dagegen nicht um die Bestimmung eines Zeitraums, sondern um die Begünstigung des Veräußerungsgewinns, für die es auf den Zeitpunkt der Realisierung ankommt.

30

d) Im Übrigen kann auch nach § 23 EStG ein rechtlich bindendes Verkaufsangebot nur dann als Veräußerung angesehen werden, wenn ein für beide Seiten verbindlicher Vertrag vorliegt (vgl. BFH-Urteil in BFHE 212, 127, BStBl II 2006, 513, unter II.1.c der Gründe). Daran fehlt es, wenn die Vertragsparteien durch die Vereinbarung einer aufschiebenden Bedingung in Verbindung mit tatsächlichen und rechtlichen Ungewissheiten einen im Zeitpunkt des Vertragsschlusses noch fehlenden Bindungswillen zum Ausdruck gebracht haben (BFH-Urteil in BFHE 212, 127, BStBl II 2006, 513, unter II.2.b der Gründe). Anders als die Klägerinnen offenbar annehmen, genügt es nicht, wenn allein der Grundstücksveräußerer rechtlich gebunden ist. So verhielt es sich aber im Streitfall. Der Grundstückskäufer wollte sich nur dann binden, wenn die bauplanungsrechtlichen Voraussetzungen geschaffen wurden. Das war jedoch zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses noch nicht der Fall.

31

e) Auch das BFH-Urteil vom 21. September 1995 IV R 1/95 (BFHE 178, 444, BStBl II 1995, 893) führt zu keiner anderen Beurteilung. Darin hat der Senat entschieden (unter 1. der Gründe), dass es für die Frage, ob ein Betrieb "wegen dauernder Berufsunfähigkeit" veräußert wurde und deshalb der erhöhte Freibetrag nach § 16 Abs. 4 Satz 3 EStG a.F. zu gewähren war, auf das Verpflichtungsgeschäft ankommt. Denn es sei dafür auf das Rechtsgeschäft abzustellen, mit dem die Veranlassungskette rechtlich bindend in Gang gesetzt wurde. Diese Überlegungen lassen sich jedoch auf den vorliegenden Streitfall nicht übertragen. Denn maßgeblich ist nach § 14a Abs. 1 EStG --anders als nach § 16 Abs. 4 Satz 3 EStG a.F.-- nicht der Grund der Veräußerung, sondern deren Zeitpunkt.

32

f) Ebenso wenig sagt die fortbestehende Übergangsregelung in § 52 Abs. 32 EStG --nach der § 14a EStG i.d.F. des Gesetzes zur Umrechnung und Glättung steuerlicher Euro-Beträge (StEuglG) vom 19. Dezember 2000 (BGBl I 2000, 1790) erstmals für das Wirtschaftsjahr anzuwenden ist, das nach dem 31. Dezember 2001 endet-- etwas darüber aus, ob § 14a Abs. 1 EStG an den Zeitpunkt der Realisierung des Veräußerungsgewinns oder an den Zeitpunkt, an dem das maßgebliche Verpflichtungsgeschäft abgeschlossen wurde, anknüpft. Zum einen ist § 14a Abs. 1 EStG von der Übergangsregelung nicht betroffen, weil er durch das StEuglG nicht geändert wurde. Dieses führte lediglich zu einer Änderung des Abs. 4 der Vorschrift. Zum anderen knüpft die Übergangsregelung an das Ende des Wirtschaftsjahrs an, während es für § 14a Abs. 1 EStG auf den Veräußerungszeitpunkt ankommt.

33

5. Im Übrigen läge der Zeitpunkt der Veräußerung im Streitfall selbst dann nicht vor dem 1. Januar 2001, wenn man mit den Klägerinnen diesbezüglich auf das zugrunde liegende Verpflichtungsgeschäft abstellen würde. Denn dieses wurde erst im Streitjahr mit Eintritt der aufschiebenden Bedingung wirksam (§ 158 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs). Auf die Abgabe der notariellen Vertragserklärungen, auf die sich die Klägerinnen unter Hinweis auf das BFH-Urteil in BFHE 135, 300, BStBl II 1982, 390 berufen, käme es hingegen nicht an, denn jener Entscheidung lag eine Rechtsnorm zugrunde, deren Wortlaut ausdrücklich auf einen rechtswirksam abgeschlossenen obligatorischen Vertrag abstellte. Kommt es nach § 14a Abs. 1 Satz 1 EStG auf die Veräußerung an, so wäre selbst bei Zugrundelegung des obligatorischen Verpflichtungsgeschäfts darauf abzustellen, zu welchem Zeitpunkt dieses Geschäft --hier nach Eintritt einer aufschiebenden Bedingung-- zivilrechtlich wirksam geworden ist.

34

6. Das angefochtene Urteil entspricht den vorstehend dargelegten Grundsätzen. Die Revision der Klägerinnen hat daher keinen Erfolg.

(1) Die Frist für einen Rechtsbehelf beginnt nur zu laufen, wenn der Beteiligte über den Rechtsbehelf, die Behörde oder das Gericht, bei denen der Rechtsbehelf anzubringen ist, den Sitz und die einzuhaltende Frist schriftlich oder elektronisch belehrt worden ist.

(2) Ist die Belehrung unterblieben oder unrichtig erteilt, so ist die Einlegung des Rechtsbehelfs nur innerhalb eines Jahres seit Bekanntgabe im Sinne des § 54 Abs. 1 zulässig, es sei denn, dass die Einlegung vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich war oder eine schriftliche oder elektronische Belehrung dahin erfolgt ist, dass ein Rechtsbehelf nicht gegeben sei. § 56 Abs. 2 gilt für den Fall höherer Gewalt sinngemäß.

(1) Die Frist für ein Rechtsmittel oder einen anderen Rechtsbehelf beginnt nur dann zu laufen, wenn der Beteiligte über den Rechtsbehelf, die Verwaltungsstelle oder das Gericht, bei denen der Rechtsbehelf anzubringen ist, den Sitz und die einzuhaltende Frist schriftlich oder elektronisch belehrt worden ist.

(2) Ist die Belehrung unterblieben oder unrichtig erteilt, so ist die Einlegung des Rechtsbehelfs nur innerhalb eines Jahres seit Zustellung, Eröffnung oder Verkündung zulässig, außer wenn die Einlegung vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich war oder eine schriftliche oder elektronische Belehrung dahin erfolgt ist, daß ein Rechtsbehelf nicht gegeben sei. § 67 Abs. 2 gilt für den Fall höherer Gewalt entsprechend.

(1) Die Frist für ein Rechtsmittel oder einen anderen Rechtsbehelf beginnt nur zu laufen, wenn der Beteiligte über den Rechtsbehelf, die Verwaltungsbehörde oder das Gericht, bei denen der Rechtsbehelf anzubringen ist, den Sitz und die einzuhaltende Frist schriftlich oder elektronisch belehrt worden ist.

(2) Ist die Belehrung unterblieben oder unrichtig erteilt, so ist die Einlegung des Rechtsbehelfs nur innerhalb eines Jahres seit Zustellung, Eröffnung oder Verkündung zulässig, außer wenn die Einlegung vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich war oder eine schriftliche oder elektronische Belehrung dahin erfolgt ist, daß ein Rechtsbehelf nicht gegeben sei. § 60 Abs. 2 gilt für den Fall höherer Gewalt entsprechend.

(1) Die Frist für einen Rechtsbehelf beginnt nur zu laufen, wenn der Beteiligte über den Rechtsbehelf, die Behörde oder das Gericht, bei denen der Rechtsbehelf anzubringen ist, den Sitz und die einzuhaltende Frist schriftlich oder elektronisch belehrt worden ist.

(2) Ist die Belehrung unterblieben oder unrichtig erteilt, so ist die Einlegung des Rechtsbehelfs nur innerhalb eines Jahres seit Bekanntgabe im Sinne des § 54 Abs. 1 zulässig, es sei denn, dass die Einlegung vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich war oder eine schriftliche oder elektronische Belehrung dahin erfolgt ist, dass ein Rechtsbehelf nicht gegeben sei. § 56 Abs. 2 gilt für den Fall höherer Gewalt sinngemäß.

Gründe

1

Die Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision ist unzulässig, weil die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) sie nicht innerhalb der Frist des § 55 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) begründet hat. Das Urteil ist zwar nicht mit einer Rechtsmittelbelehrung versehen, so dass an die Stelle der gesetzlichen Rechtsmittelfrist gemäß § 55 Abs. 2 FGO eine Ausschlussfrist von einem Jahr seit Zustellung des angefochtenen Urteils getreten ist, innerhalb derer das Rechtsmittel sowohl eingelegt als auch begründet werden muss (Spindler in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 55 FGO Rz 45; Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 120 FGO Rz 72; Bundessozialgericht, Beschluss vom 22. August 1995  5 BJ 50/95, Monatsschrift für Deutsches Recht 1996, 414; Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 8. Februar 1968 III C 20.67, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1969, 38). Die Klägerin hat ihre Beschwerde jedoch bis heute nicht begründet, obwohl ihr das Urteil des Finanzgerichts bereits am 24. Juli 2009 zugestellt wurde.

(1) Die Revision ist bei dem Bundessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils oder des Beschlusses über die Zulassung der Revision (§ 160a Absatz 4 Satz 1 oder § 161 Abs. 3 Satz 2) schriftlich einzulegen. Die Revision muß das angefochtene Urteil angeben; eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des angefochtenen Urteils soll beigefügt werden, sofern dies nicht schon nach § 160a Abs. 1 Satz 3 geschehen ist. Satz 2 zweiter Halbsatz gilt nicht, soweit nach § 65a elektronische Dokumente übermittelt werden.

(2) Die Revision ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Urteils oder des Beschlusses über die Zulassung der Revision zu begründen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden verlängert werden. Die Begründung muß einen bestimmten Antrag enthalten, die verletzte Rechtsnorm und, soweit Verfahrensmängel gerügt werden, die Tatsachen bezeichnen, die den Mangel ergeben.

(1) Die Frist für ein Rechtsmittel oder einen anderen Rechtsbehelf beginnt nur dann zu laufen, wenn der Beteiligte über den Rechtsbehelf, die Verwaltungsstelle oder das Gericht, bei denen der Rechtsbehelf anzubringen ist, den Sitz und die einzuhaltende Frist schriftlich oder elektronisch belehrt worden ist.

(2) Ist die Belehrung unterblieben oder unrichtig erteilt, so ist die Einlegung des Rechtsbehelfs nur innerhalb eines Jahres seit Zustellung, Eröffnung oder Verkündung zulässig, außer wenn die Einlegung vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich war oder eine schriftliche oder elektronische Belehrung dahin erfolgt ist, daß ein Rechtsbehelf nicht gegeben sei. § 67 Abs. 2 gilt für den Fall höherer Gewalt entsprechend.

Tenor

Auf die Revision des Klägers werden die Urteile des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 17. Februar 2011 und des Sozialgerichts Speyer vom 27. November 2009 aufgehoben.

Der Bescheid der Beklagten vom 24. Juli 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. August 2007 wird aufgehoben.

Die Beklagte sowie die Beigeladenen zu 1. und 4. tragen die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers in allen Rechtszügen als Gesamtschuldner. Im Übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Berechtigung der beklagten Krankenkasse als Einzugsstelle, einen Bescheid über die Feststellung des Nichtbestehens von Sozialversicherungspflicht wegen Beschäftigung aufzuheben.

2

Der Kläger war von 1981 bis 30.9.2000 bei der A. KG tätig, deren Gesellschafter seine Eltern waren. Auf seinen Antrag stellte die Beklagte durch Bescheid vom 5.7.2005 unter der Überschrift "Prüfung der Versicherungspflicht" fest, dass er seine Tätigkeit ab 1.7.1986 als Selbstständiger und damit nicht versicherungspflichtig ausgeübt habe. Nach der durch Schreiben vom 6.2.2006 korrigierten Begründung sah sie dafür als ausschlaggebend an, dass er nicht an Weisungen der Betriebsinhaber gebunden gewesen sei, über seine Tätigkeit habe frei bestimmen können und auf Gehaltsteile verzichtet habe. Mit Antrag vom 18.8.2005 begehrte der Kläger bei der Beklagten die Erstattung seiner zu Unrecht gezahlten Beiträge zur Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung. Mit Schreiben vom 17.2.2006 übersandte die Beklagte dem Rentenversicherungsträger (Beigeladene zu 1.) den Erstattungsantrag sowie eine Kopie des Bescheides vom 5.7.2005, nachdem der Kläger zuvor einen gegen diesen Bescheid erhobenen Widerspruch zurückgenommen hatte. Gegen den Bescheid vom 5.7.2005 erhob die Beigeladene zu 1. am 19.2.2007 Klage zum SG Berlin. Die Beklagte nahm ihren Bescheid vom 5.7.2005 im Laufe dieses Klageverfahrens zurück und stellte stattdessen fest, dass der Kläger im streitigen Zeitraum als Beschäftigter der Versicherungspflicht in der Kranken-, Pflege- (ab 1.1.1995), und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung unterlegen habe (Bescheid vom 24.7.2007; Widerspruchsbescheid vom 30.8.2007). Das SG Berlin behandelte den Rechtsstreit daraufhin als erledigt, weil er durch ein von der (hiesigen) Beigeladenen zu 1. angenommenes "Anerkenntnis" der Beklagten beendet worden sei.

3

Die sodann vom Kläger gegen Rücknahmebescheid und Widerspruchsbescheid der Beklagten beim SG Speyer erhobene Klage ist in erster und zweiter Instanz erfolglos geblieben (Urteil des SG vom 27.11.2009; Urteil des LSG vom 17.2.2011). Das LSG hat darauf abgestellt, dass die Beklagte den Bescheid vom 5.7.2005 nach § 45 SGB X habe zurücknehmen dürfen, weil er von Anfang an wegen der Beurteilung der Tätigkeit des Klägers als selbstständig rechtswidrig gewesen sei. Der Kläger könne sich mit Blick auf § 49 SGB X nicht mit Erfolg auf Vertrauensschutz berufen. Die Anfechtungsklage der Beigeladenen zu 1. gegen den mit einer unzutreffenden Rechtsbehelfsbelehrung versehenen Bescheid sei rechtzeitig erhoben worden, da für die Beigeladene gem § 66 Abs 2 S 1 SGG eine Frist von einem Jahr seit der ihr gegenüber am 23.2.2006 erfolgten Bekanntgabe des Bescheides vom 5.7.2005 gegolten habe. Diese Regelung sei nicht nach den Grundsätzen von Treu und Glauben oder wegen Verwirkung unanwendbar. Insoweit reiche es nicht aus, dass die Einzugsstellen Rentenversicherungsträgern bei Entscheidungen über die Versicherungspflicht üblicherweise keine Rechtsbehelfs- bzw Rechtsmittelbelehrung erteilten, selbst wenn diese Verfahrensweise zwischen den beteiligten Sozialversicherungsträgern ausdrücklich so vereinbart worden sei. Dies begegne zwar Bedenken, jedoch müsse die Nichtanwendung von § 66 Abs 2 S 1 SGG auf besondere, hier nicht vorliegende Ausnahmefälle beschränkt bleiben. Es sei auch unschädlich, dass die Beklagte kein Rücknahmeermessen ausgeübt habe. In Verfahren, in denen es um die Feststellung von Versicherungspflicht gehe, sei das Ermessen der Einzugsstelle hinsichtlich der Rücknahme eines rechtswidrigen Bescheides regelmäßig auf Null reduziert. Vertrauensschutzgesichtspunkte, die eine andere Entscheidung rechtfertigen könnten, seien nicht ersichtlich.

4

Mit seiner Revision wendet sich der Kläger gegen die vorinstanzlichen Urteile. Er rügt sinngemäß eine Verletzung der §§ 45, 49 SGB X durch das LSG und macht Verfahrensmängel geltend. Die Rücknahme des Bescheides vom 5.7.2005 durch die Beklagte sei - entgegen der Ansicht des LSG - rechtswidrig gewesen, weil sich die Beklagte zu Unrecht auf dessen angeblich fehlende Bestandskraft berufe und die gesetzlichen Rücknahmevoraussetzungen nicht vorlägen. Zunächst habe sich die Drittanfechtung des Bescheides vom 5.7.2005 durch die Beigeladene zu 1. - unter dem Blickwinkel der Klagebefugnis - zulässig nur auf die Rentenversicherungspflicht beziehen können. Zudem habe die Beigeladene zu 1. ihre Klage verspätet erhoben, weil als Beginn für die einmonatige Klagefrist der Zugang des Erstattungsantrags vom 18.8.2005 bei der Beklagten entscheidend sei. Die Jahresfrist des § 66 Abs 2 SGG gelte nicht, weil sich die Beigeladene zu 1. nicht darauf berufen dürfe, dass die Rechtsbehelfsbelehrung des Bescheides vom 5.7.2005 falsch gewesen sei. Sie habe in einer "Gemeinsamen Verlautbarung zur Behandlung von Beitragsbescheiden durch die am gemeinsamen Beitragseinzug beteiligten Versicherungsträger vom 29.3.2001" und in einem "Rundschreiben an die Leistungsabteilungen von März 2006" ausdrücklich auf die Erteilung einer Rechtsbehelfsbelehrung verzichtet und den Mangel einer fehlerhaften Rechtsbehelfs- bzw Rechtsmittelbelehrung auf diese Weise selbst herbeigeführt. Die Beigeladene zu 1. sei deshalb hier mit einem Anfechtungsrecht ausgeschlossen. Sie habe spätestens am 23.2.2006 Kenntnis von den Umständen des Falles erlangt, sich dann aber gleichwohl mit ihrer Klage ca ein Jahr Zeit gelassen. Die Beklagte habe auch ihr Aufhebungsermessen fehlerhaft ausgeübt, weil sie das Verhalten der Versicherungsträger gänzlich unberücksichtigt gelassen habe. Insgesamt sehe er (der Kläger) sich "arglistiger Behördenwillkür" ausgesetzt. Dem LSG seien zudem Verfahrensfehler anzulasten.

5

Der Kläger beantragt sinngemäß,
die Urteile des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 17. Februar 2011 und des Sozialgerichts Speyer vom 27. November 2009 sowie den Bescheid der Beklagten vom 24. Juli 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. August 2007 aufzuheben.

6

Die Beklagte und die Beigeladenen zu 1. und zu 2. beantragen sinngemäß,
die Revision des Klägers zurückzuweisen.

7

Sie verteidigen das Urteil des LSG, ebenso die Beigeladene zu 4.

8

Die Beigeladene zu 3. hat sich nicht geäußert.

9

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt (§ 165 S 1, § 153 Abs 1, § 124 Abs 2 SGG).

Entscheidungsgründe

10

Die zulässige Revision des Klägers ist begründet. Die Urteile der Vorinstanzen können ebenso wie die angefochtenen Bescheide keinen Bestand haben.

11

Zu Unrecht hat das SG die Anfechtungsklage abgewiesen und hat das LSG die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Der Bescheid der beklagten Krankenkasse vom 24.7.2007 und der Widerspruchsbescheid vom 30.8.2007, die sie in ihrer Eigenschaft als Einzugsstelle erließ und welche allein den Streitgegenstand des Revisionsverfahrens bilden, erweisen sich als rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten. Die Bescheide sind - entgegen den Ausführungen in den vorinstanzlichen Urteilen - rechtswidrig, weil die Beklagte ihren ursprünglichen Bescheid vom 5.7.2005, der die Versicherungspflicht des Klägers als Beschäftigter in den Zweigen der Sozialversicherung ab 1.7.1986 verneinte (wegen dessen anzunehmender Selbstständigkeit), nicht in Einklang mit dem Recht zurücknahm.

12

1. Die mit den angefochtenen Bescheiden der Beklagten erfolgte Rücknahme ihres Bescheides vom 5.7.2005 ist rechtswidrig.

13

Dabei kann offenbleiben, ob dieser ursprüngliche Bescheid rechtswidrig oder rechtmäßig war, weil sich die Beklagte für die Rücknahme des Bescheides - bei unterstellter Rechtswidrigkeit - jedenfalls zu Unrecht auf § 45 Abs 1 SGB X stützte; denn sie ließ in den angefochtenen Bescheiden die für die Rücknahme rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakte geltenden und hier einschlägigen Einschränkungen nach § 45 Abs 2 bis 4 SGB X unbeachtet(dazu a). Die Nichtheranziehung dieser Einschränkungen lässt sich entgegen der Ansicht des LSG nicht auf § 49 SGB X stützen; dies beruht darauf, dass die von der Beigeladenen zu 1. (Rentenversicherungsträger) gegen den Bescheid der Beklagten vom 5.7.2005 vor dem SG Berlin (erst) am 19.2.2007 erhobene Klage unzulässig war (dazu im Einzelnen b). Die Unzulässigkeit resultierte daraus, dass die Klage über die - die Belange der Beigeladenen zu 1. allein berührende - Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung hinaus auch die Versicherungspflicht in den anderen Zweigen der Sozialversicherung betraf; ferner war die beim SG Berlin von der Beigeladenen zu 1. erhobene Klage verfristet, mit der Folge, dass die Regelungen des § 45 Abs 2 bis 4 SGB X nicht wegen § 49 SGB X zu Lasten des Klägers suspendiert waren.

14

a) Das LSG hat im Ausgangspunkt zu Recht § 45 Abs 1 SGB X als Rechtsgrundlage für die angefochtenen Bescheide herangezogen.

15

Danach darf ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden, soweit er rechtswidrig ist, allerdings nur unter den Einschränkungen der Abs 2 bis 4 des § 45 SGB X. Gemäß § 49 SGB X gelten jedoch ua § 45 Abs 1 bis 4 SGB X nicht, wenn ein begünstigender Verwaltungsakt, der von einem Dritten angefochten worden ist, während des Vorverfahrens oder während des sozial- oder verwaltungsgerichtlichen Verfahrens aufgehoben wird, soweit dadurch dem Widerspruch abgeholfen oder der Klage stattgegeben wird. Auch wenn nach dem Wortlaut von § 49 SGB X auch Abs 1 des § 45 SGB X ebenfalls von dessen Geltung ausgenommen ist, nimmt die Rechtsprechung des BSG an, dass § 45 Abs 1 SGB X gleichwohl Rechtsgrundlage für die Rücknahme rechtswidriger begünstigender Bescheide in Drittwiderspruchs- und -klagefällen bleibt, und durch § 49 SGB X lediglich die Prüfung der Vertrauensschutz- und Fristvorschriften(§ 45 Abs 2 bis 4 SGB X) ausgeschlossen wird (vgl BSGE 84, 136, 145 = SozR 3-2400 § 28h Nr 9 S 38; BSG SozR 4-2600 § 243 Nr 4 RdNr 61 mwN). Dem folgt auch der erkennende Senat.

16

b) Entgegen der Auffassung des LSG greifen im vorliegenden Fall zugunsten des Klägers die in § 45 Abs 2 bis 4 SGB X geregelten Einschränkungen ein. Diese sind hier nicht durch die Anwendung von § 49 SGB X ausgeschlossen.

17

aa) Zwar wurde der ursprüngliche Bescheid der Beklagten vom 5.7.2005 von der Beigeladenen zu 1. - die als Rentenversicherungsträger Dritter im Sinne dieser Vorschrift sein kann (vgl BSGE 84, 136, 139 = SozR 3-2400 § 28h Nr 9 S 31)- durch die am 19.2.2007 zum SG Berlin erhobene Klage angefochten. Zu den Voraussetzungen für das Eingreifen des § 49 SGB X und die einschränkungslose Möglichkeit zur Rücknahme eines vorangegangenen Bescheides gehört es allerdings auch, dass die Anfechtung des zurückgenommenen Bescheides mittels Widerspruch oder Klage überhaupt die gesetzlichen Zulässigkeitsanforderungen erfüllt(vgl zB BSGE 84, 136, 143 = SozR 3-2400 § 28h Nr 9 S 35; BSGE 89, 119, 120 = SozR 3-3870 § 2 Nr 2 S 10 mwN). Daran fehlte es hier, denn die Klage der Beigeladenen zu 1. war unzulässig.

18

bb) Die Unzulässigkeit der von der Beigeladenen zu 1. beim SG Berlin erhobenen Anfechtungsklage folgt hinsichtlich der Frage der Versicherungspflicht des Klägers in der gesetzlichen Kranken- und sozialen Pflegeversicherung sowie im Recht der Arbeitsförderung bereits daraus, dass sie als Rentenversicherungsträger gegen einen Verwaltungsakt der Einzugsstelle gemäß § 28h Abs 2 S 1 SGB IV nur hinsichtlich ihres eigenen sachlichen Zuständigkeitsbereichs, dh hinsichtlich der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung klagebefugt war(vgl BSG Urteil vom 28.9.2011 - USK 2011, 124; BSGE 84, 136, 139 = SozR 3-2400 § 28h Nr 9 S 31).

19

cc) Die Klage der Beigeladenen zu 1. war darüber hinausgehend hinsichtlich der Versicherungspflicht in gesetzlichen Rentenversicherung unzulässig, weil sie nicht den Anforderungen von § 87 Abs 1 S 1, §§ 66, 67, 78 Abs 1 S 2 Nr 3 SGG entsprechend fristgemäß erhoben wurde.

20

(1) Ob die Klage eines von einem Verwaltungsakt betroffenen Dritten innerhalb einer bestimmten Frist erhoben werden muss, richtet sich zunächst danach, ob ihm der Verwaltungsakt überhaupt bekannt gegeben wurde (vgl zB BSGE 34, 211, 213 = SozR Nr 14 zu § 242 BGB S Aa7; Waschull in Diering/Timme/Waschull, LPK-SGB X, 3. Aufl 2011, § 36 RdNr 9; zur vergleichbaren Vorschrift des § 58 Abs 2 VwGO vgl BVerwGE 44, 294, 296 mwN; Kopp/Schenke, VwGO, 19. Aufl 2013, § 58 RdNr 17). Ist der Verwaltungsakt dem Dritten nicht bekannt gegeben worden, so kommt auch eine analoge Anwendung der Vorschriften über die einzuhaltende Rechtsbehelfsfrist nicht in Betracht. Der von einem Dritten eingelegte Rechtsbehelf kann in einem solchen Fall gleichwohl unzulässig sein, soweit er seine Befugnis zur Einlegung des Rechtsbehelfs verwirkt hat (vgl BVerfGE 32, 305, 308; BVerfG Beschluss vom 28.3.2006 - 1 BvR 1127/04 - Juris RdNr 2; BVerfG Beschluss vom 27.12.2012 - 1 BvR 2862/11, 1 BvR 21 BvR 2046/12 - Juris RdNr 3; BSGE 34, 211, 213 = SozR Nr 14 zu § 242 BGB S Aa7; BSGE 51, 260, 262 = SozR 2200 § 730 Nr 2 S 4; BVerwGE 44, 339, 343; BVerwG Urteil vom 10.8.2000 - 4 A 11/99 - DVBl 2000, 1862; BVerwG Urteil vom 27.7.2005 - 8 C 15/04 - NVwZ 2005, 1334). Dieselbe Rechtsfolge gilt hier ausgehend von den vom LSG festgestellten, nicht mit Revisionsrügen angegriffenen und daher für den Senat bindenden Umständen (vgl § 163 SGG) in Bezug auf die Einhaltung einer in Gang gesetzten gesetzlichen Rechtsbehelfs- bzw Klagefrist (dazu näher unten <4>).

21

Der ursprüngliche Bescheid der Beklagten vom 5.7.2005 wurde der Beigeladenen zu 1. am 23.2.2006 bekannt gegeben. Nach den Feststellungen des LSG ging an diesem Tag das Schreiben der Beklagten zusammen mit dem Erstattungsantrag des Klägers sowie einer Kopie des Bescheides vom 5.7.2005 bei der Beigeladenen zu 1. ein. Die Bekanntgabe durch Übersendung einer Kopie des betreffenden Bescheides an den Dritten reicht grundsätzlich aus (vgl BSGE 101, 234 = SozR 4-1300 § 44 Nr 17, RdNr 24 mwN).

22

Es kann offenbleiben, ob im vorliegenden Fall der Eingang der Kopie des ursprünglichen Bescheides der Beklagten am 23.2.2006 den Beginn der Frist für die von der Beigeladenen zu 1. erhobene Klage markiert oder ob hierfür im Hinblick auf die durch eine - unten näher zu thematisierende - "Gemeinsame Verlautbarung" fixierte, ständige Verwaltungspraxis der Beklagten und der Beigeladenen zu 1. ein früherer, fiktiver Fristbeginn zB unter Zugrundelegung einer auf § 37 Abs 1 S 1 SGB X zu stützenden Bekanntgabe anzunehmen ist(zur grundsätzlichen Pflicht der Einzugsstelle zur Bekanntgabe an alle Beteiligten vgl bereits BSGE 84, 136, 146 = SozR 3-2400 § 28h Nr 9 S 38 f). Jedenfalls war die Klagefrist selbst unter Zugrundelegung des 23.2.2006 als Fristbeginn für die am 19.2.2007 erhobene Klage der Beigeladenen zu 1. abgelaufen. Die Beigeladene zu 1. konnte und kann sich nämlich nicht auf die Geltung der Jahresfrist nach § 66 Abs 2 S 1 SGG berufen, weil ihr die Unrichtigkeit der Rechtsbehelfsbelehrung im ursprünglichen Bescheid der Beklagten vom 5.7.2005 entgegenzuhalten ist (dazu im Folgenden <2> bis <6>).

23

(2) Gemäß § 87 Abs 1 S 1 SGG ist die Klage binnen eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsakts zu erheben. Nach § 66 Abs 1 SGG beginnt die Frist für ein Rechtsmittel oder einen anderen Rechtsbehelf allerdings nur dann zu laufen, wenn der Beteiligte über den Rechtsbehelf, die Verwaltungsstelle oder das Gericht, bei denen der Rechtsbehelf anzubringen ist, den Sitz und die einzuhaltende Frist schriftlich oder elektronisch belehrt worden ist. Ist die Belehrung unterblieben oder unrichtig erteilt, so ist die Einlegung des Rechtsbehelfs gemäß § 66 Abs 2 S 1 SGG nur innerhalb eines Jahres seit Zustellung, Eröffnung oder Verkündung zulässig, außer wenn die Einlegung vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich war oder eine schriftliche oder elektronische Belehrung dahin erfolgt ist, dass ein Rechtsbehelf nicht gegeben sei. In Fällen der Anfechtung eines Verwaltungsakts durch einen Dritten ist die Richtigkeit der Rechtsbehelfsbelehrung im Hinblick auf die Rechtssphäre des Dritten zu beurteilen (vgl BVerwG, NJW 2010, 1686).

24

Die im ursprünglichen Bescheid der Beklagten vom 5.7.2005 enthaltene Rechtsbehelfsbelehrung ("Gegen diesen Bescheid kann innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe schriftlich oder zur Niederschrift bei der Barmer Ersatzkasse, Berliner Platz 1, 67001 Ludwigshafen Widerspruch erhoben werden") ist - bezogen auf die Beigeladene zu 1. - inhaltlich unrichtig, da es gemäß § 78 Abs 1 S 2 Nr 3 SGG eines Vorverfahrens ua dann nicht bedarf, wenn ein Versicherungsträger klagen will(vgl hierzu näher BSG SozR 3-1500 § 87 Nr 1 S 4). Da die Rechtsbehelfsbelehrung inhaltlich unrichtig war, stellt sich vorliegend nicht das Problem, was bei einer an sich inhaltlich richtigen Rechtsbehelfsbelehrung zu gelten hat, die aufgrund ihrer adressatenbezogenen Formulierung von einem Dritten dahingehend missverstanden werden konnte, die Belehrung gelte für ihn nicht (vgl hierzu BVerwG Beschluss vom 7.7.2008 - DÖV 2008, 962; BVerwG Beschluss vom 11.3.2010 - NJW 2010, 1686).

25

(3) Für die Klage der Beigeladenen zu 1. galt zwar aufgrund der inhaltlich unrichtigen Rechtsbehelfsbelehrung grundsätzlich die Jahresfrist gemäß § 66 Abs 2 S 1 SGG(hierzu allgemein auch BSGE 84, 136, 145 = SozR 3-2400 § 28h Nr 9 S 37; BSG Urteil vom 28.9.2011 - B 12 KR 15/10 R - USK 2011, 124 = Juris RdNr 18). In diesem Zusammenhang ist es grundsätzlich unbeachtlich, ob der Betroffene selbst die Unrichtigkeit erkannt hat. Es bedarf nämlich an sich keines Kausalzusammenhangs zwischen fehlerhafter Belehrung und unterbliebenem bzw nicht fristgemäß eingelegtem/erhobenem Rechtsbehelf/Rechtsmittel (vgl zur vergleichbaren Vorschrift in § 58 VwGO BVerwGE 25, 191, 193 f; BVerwGE 37, 85, 86 f; BVerwGE 81, 81, 84; BVerwG, Beschluss vom 24.9.1992 - Buchholz 310 § 58 VwGO Nr 60; Czybulka in Sodan/Ziekow, VwGO, 3. Aufl 2010, § 58 RdNr 74; Kopp/Schenke, VwGO, 19. Aufl 2013, § 58 RdNr 1; Redeker/von Oertzen, VwGO, 15. Aufl 2010, § 58 RdNr 15a). Darauf, dass ein Sozialversicherungsträger die Rechtsbehelfs- und Rechtsmittelfristen kennt bzw kennen muss, kommt es daher nicht an (aA für § 66 Abs 2 S 1 SGG LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 5.4.2011 - L 11 KR 965/09 - Juris RdNr 37).

26

(4) Von dem fehlenden Erfordernis eines Kausalzusammenhangs zwischen unrichtiger Rechtsbehelfsbelehrung und der "verspäteten" Einlegung eines Rechtsbehelfs ist jedoch vor dem Hintergrund systematischer Gesichtspunkte, des Sinn und Zwecks von § 66 Abs 2 S 1 SGG und des Gebots redlichen prozessualen Verhaltens jedenfalls dann eine Ausnahme zu machen, wenn - wie vorliegend die Beigeladene zu 1. - ein Sozialversicherungsträger gegen einen Verwaltungsakt eines anderen Sozialversicherungsträgers klagt und dem klagenden Träger entgegenzuhalten ist, dass die dem Verwaltungsakt beigefügte Rechtsbehelfsbelehrung unrichtig ist.

27

(a) Die nach § 66 Abs 2 S 1 SGG für die Erhebung einer Klage geltende Jahresfrist stellt nach der Systematik der Anfechtungsfristen nicht die Regel, sondern die Ausnahme dar. Von einem Sozialversicherungsträger kann und muss nicht zuletzt aufgrund seiner Bindung an Gesetz und Recht nach Art 20 Abs 3 GG erwartet werden, dass er Verwaltungsakte nicht nur - wie von § 36 SGB X ausdrücklich vorgesehen - überhaupt mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versieht, sondern dass diese auch inhaltlich zutreffend ist. Dies gilt auch und gerade in den vorliegenden Fällen der Feststellung von Versicherungspflicht durch die Krankenkassen als Einzugsstellen gemäß § 28h Abs 2 S 1 SGB IV. Die Betroffenheit anderer, potentiell klageberechtigter Dritter ist bei der zu treffenden Entscheidung stets immanent und strukturell angelegt, weil die Krankenkassen als nach § 28i S 1 SGB IV zuständige Einzugsstellen kraft gesetzlicher Anordnung über die Versicherungspflicht in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung entscheiden, und dabei notwendigerweise gleichermaßen über die Sphäre des direkten Adressaten hinaus in die Sphäre Dritter rechtsgestaltend eingreifen.

28

(b) Wie bereits im Zusammenhang mit der Möglichkeit der Verwirkung der Befugnis zur Einlegung eines Rechtsbehelfs bei fehlender Bekanntgabe eines Verwaltungsakts dargestellt (oben <1>), muss sich auch die Ausübung prozessualer Befugnisse am Gebot von Treu und Glauben messen lassen. Prozessuale Befugnisse können daher verwirkt sein, wenn die verspätete Geltendmachung eines Anspruchs gegen Treu und Glauben verstößt, dh wenn ein gewisser Zeitraum verstrichen ist (Zeitmoment) und der Berechtigte unter Verhältnissen untätig bleibt, unter denen vernünftigerweise etwas zur Wahrung von Ansprüchen unternommen wird (Umstandsmoment); erst durch die Kombination beider Elemente wird eine Situation geschaffen, auf die der jeweilige Gegner vertrauen, sich einstellen und einrichten darf (zum Ganzen vgl zB Palandt/Grüneberg, BGB, 72. Aufl 2013, § 242 RdNr 93 ff mwN). Weiterhin ist bei der Verwirkung prozessualer Befugnisse im öffentlichen Recht zu berücksichtigen, dass es nicht nur ein schutzwürdiges Vertrauen des Adressaten auf das Untätigbleiben eines Anfechtungsberechtigten rechtfertigen kann, die Anrufung eines Gerichts erst nach langer Zeit als unzulässig anzusehen, sondern auch ein öffentliches Interesse an der Erhaltung des Rechtsfriedens (vgl grundlegend BVerfGE 32, 305, 308 f mwN).

29

(c) Vor diesem Hintergrund macht der Kläger zu Recht geltend, dass in Fallkonstellationen der vorliegenden Art aufgrund des Verhaltens der betroffenen Sozialversicherungsträger von einer Verwirkung prozessualer Rechte ausgegangen werden muss, soweit sich drittbetroffene Träger darauf berufen, noch innerhalb der Jahresfrist des § 66 Abs 2 SGG Klage gegen Bescheide der Einzugsstelle über den versicherungsrechtlichen Status eines Erwerbstätigen erheben zu dürfen, die ihnen nicht sogleich im Zusammenhang mit dem Erlass solcher Bescheide bekannt gegeben wurden, sondern von denen sie erst zu einem späteren Zeitpunkt Kenntnis erlangten. Insoweit besteht nämlich eine Verwaltungspraxis, die eine Verkürzung von Rechten derjenigen bewirkt, deren Sozialversicherungs- und/oder Beitragspflicht zu beurteilen ist. Die im Folgenden beschriebenen, zwischen den Versicherungsträgern verabredete und betätigte Verwaltungspraxis ist, soweit sie den hier vorliegenden Zusammenhang der Anfechtung von Bescheiden der Einzugsstellen durch Fremdversicherungsträger betrifft, mit dem Recht nicht in Einklang zu bringen.

30

Manifestiert wird dies durch vom LSG zu den Gerichtsakten genommenen Unterlagen, auf die es auch in seinem Urteil ausdrücklich Bezug genommen hat: Die Spitzenorganisationen der Sozialversicherungsträger (ua der Arbeiter-Ersatzkassen-Verband eV, der Verband der Angestellten-Krankenkassen eV, der Verband Deutscher Rentenversicherungsträger sowie die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte ) kamen danach in einer "Gemeinsame(n) Verlautbarung zur Behandlung von Beitragsbescheiden durch die am gemeinsamen Beitragseinzug beteiligten Versicherungsträger" vom 29.3.2001, die nach dem einleitenden Klassifizierungsvermerk ausdrücklich "nur für den Dienstgebrauch bei den am gemeinsamen Beitragseinzug beteiligten Versicherungsträgern bestimmt" sein sollte, überein, Fälle der vorliegenden Art verwaltungstechnisch in einer Art zu behandeln, die keine uneingeschränkte Entsprechung in den gesetzlichen Vorschriften des Sozialverwaltungsverfahrensrechts findet. Obwohl die "Gemeinsame Verlautbarung" ausdrücklich das - ihren Inhalt vermeintlich billigende - Urteil des Senats vom 1.7.1999 (BSGE 84, 136 = SozR 3-2400 § 28h Nr 9) erwähnt, sind die von den Spitzenverbänden getroffenen Abreden auch mit den Entscheidungsgründen dieses Urteils nicht in Einklang zu bringen.

31

Die Verlautbarung hat ua folgenden Inhalt:

        

"1 Allgemeines

        

Ein Beitragsbescheid über Versicherungspflicht, Versicherungsfreiheit oder eine nicht bestehende Versicherungspflicht stellt in der Regel einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung dar, der als begünstigender Verwaltungsakt nach § 45 Abs. 3 SGB X grundsätzlich nur bis zum Ablauf von zwei Jahren nach seiner Bekanntgabe zurückgenommen werden kann. Nach Ablauf von zwei Jahren kann ein solcher Verwaltungsakt nur unter den Voraussetzungen des § 45 Abs. 3 Sätze 2 und 3 SGB X aufgehoben werden.

        

Der Träger der Rentenversicherung kann im Rahmen der Betriebsprüfung, die allgemein nur alle vier Jahre stattfindet, somit einen von der Einzugsstelle vor mehr als zwei Jahren erlassenen (fehlerhaften) begünstigenden Verwaltungsakt mit Dauerwirkung in der Regel nicht mehr aufheben.

        

Der durch den Beitragsbescheid beschwerte Fremdversicherungsträger ist aber befugt, den Verwaltungsakt anzufechten, um dessen Rücknahme nach Maßgabe des § 49 SGB X zu erwirken.

        

Die Anfechtungsfristen laufen für jeden Beteiligten - Arbeitgeber, Arbeitnehmer und Versicherungsträger - gesondert von der Bekanntgabe des Bescheides bzw. der Zustellung des Widerspruchsbescheides an (vgl. Urteile des Bundessozialgerichts vom 1.7.1999 - B 12 KR 2/99 R - m.w.N., USK 9939). Für die den Beteiligten mit Rechtsbehelfsbelehrung bekannt gegebenen Beitragsbescheide gilt eine Anfechtungsfrist von einem Monat. Bei Erlass eines nicht mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehenen Bescheides, der den Beteiligten zu unterschiedlichen Zeiten bekannt gegeben, aber noch innerhalb der Jahresfrist angefochten wird, ist § 49 SGB X anzuwenden. Allerdings unterliegt der den Verwaltungsakt erlassende Versicherungsträger nach Meinung des Bundessozialgerichts grundsätzlich der Pflicht, seinen Beitragsbescheid mit einer Rechtsbehelfsbelehrung zu versehen und allen Beteiligten gleichzeitig bekannt zu geben, um Unsicherheiten unter den Beteiligten, vor allem beim Arbeitgeber, in Grenzen zu halten. Sofern dies nicht geschieht, können Schadenersatzansprüche des Arbeitgebers in Frage kommen, wenn später Beiträge nachgefordert werden und anschließend auf Grund von § 28g SGB IV die Arbeitnehmeranteile nicht mehr einbehalten werden können.

        

       

        

3 Bekanntgabe des Beitragsbescheides gegenüber dem betroffenen Fremdversicherungs-
 träger

        

Ein Beitragsbescheid kann von dem Fremdversicherungsträger nur dahingehend überprüft werden, ob der Bescheid in sich logisch und richtig ist. Ob ein Beitragsbescheid der tatsächlichen Sach- und Rechtslage entspricht, könnte der Fremdversicherungsträger nur dann prüfen, wenn ihm alle zur Entscheidungsfindung notwendigen Unterlagen übersandt würden und er ggf. ergänzende Ermittlungen zum Sachverhalt vornähme. Zu solchen ergänzenden Ermittlungen sind die Rentenversicherungsträger im Beitragsverfahren aber nur im Rahmen der Betriebsprüfung und die Bundesanstalt für Arbeit überhaupt nicht ermächtigt.

        

Auf Grund der Zuständigkeitszuweisungen und Ermächtigungsnormen im Beitragsrecht gilt deshalb folgender Grundsatz:

        

Der einen Beitragsbescheid erlassende Versicherungsträger übersendet dem beteiligten Fremdversicherungsträger - ungeachtet des § 37 Abs. 1 SGB X - diesen Bescheid nur dann, wenn

        

-       

dies im Gesetz ausdrücklich vorgeschrieben ist oder

        

-       

die Übersendung auf Grund der Rechtsstellung des Fremdversicherungsträgers (als Einzugsstelle oder Prüfinstitution) erforderlich ist oder

        

-       

der Fremdversicherungsträger, der Arbeitgeber oder Arbeitnehmer dies ausdrücklich verlangt.

        

Gegenüber dem Fremdversicherungsträger soll grundsätzlich keine Rechtsbehelfsbelehrung erteilt werden.

        

       

        

3.2 Übersendung von Beitragsbescheiden an den Träger der Rentenversicherung

        

Die Einzugsstelle übersendet dem Träger der Rentenversicherung eine Mehrfertigung des Beitragsbescheides nur dann, wenn

        

-       

der Bescheid von der in gemeinsamen Verlautbarungen, Rundschreiben, Grundsätzen oder Niederschriften vertretenen Auffassung des Verbandes Deutscher Rentenversicherungsträger abweicht
oder

        

-       

der zuständige Rentenversicherungsträger im Einzelfall bzw. zu besonderen Fallgestaltungen die Übersendung verlangt oder

        

-       

der Arbeitgeber oder Arbeitnehmer die Übersendung im Einzelfall ausdrücklich verlangt.

        

       

        

Die Übersendung soll zeitgleich mit der Bekanntgabe des Bescheides gegenüber dem Arbeitgeber und Arbeitnehmer vorgenommen werden.

        

4 Abstimmung der Rechtsauffassung unter den Versicherungsträgern vor Erteilung eines
 Beitragsbescheides

        

In besonders schwierigen Fällen (Ausnahmefällen), in denen nach umfassender Sachaufklärung durch den für die Entscheidung zuständigen Versicherungsträger

        

-       

zur versicherungsrechtlichen Beurteilung unterschiedliche Auffassungen vermutet werden (z.B. weil nach dem Sachverhalt die Kriterien für eine selbständige Tätigkeit und eine abhängige Beschäftigung in etwa gleichgewichtig erfüllt sind)
und

        

-       

auf Versicherungsfreiheit oder eine nicht bestehende Versicherungspflicht entschieden werden soll,

        

 kann die Einzugsstelle bzw. der Rentenversicherungsträger vor der Erteilung des Beitragsbescheides eine mit dem beteiligten Fremdversicherungsträger abgestimmte Entscheidung herbeiführen. Im Abstimmungsverfahren sollen dem Fremdversicherungsträger der Entwurf des beabsichtigten Beitragsbescheides und die entscheidungsbegründenden Unterlagen in Ablichtung zur Stellungnahme vorgelegt werden.

        

Zuständiger Fremdversicherungsträger ist

        

-       

die Einzugsstelle, die zuletzt bzw. aktuell gewählt wurde oder die kraft Gesetzes zuständig ist (§ 28i SGB IV)

        

-       

der für die Prüfung des Arbeitgebers verantwortliche Rentenversicherungsträger,

        

-       

das Landesarbeitsamt, in dessen Bezirk die Stelle (z.B. Geschäftsstelle der Einzugsstelle) ihren Sitz hat, die den Beitragsbescheid erlassen will.

        

       

        

5 Anfechtung von Beitragsbescheiden durch den Fremdversicherungsträger

        

Die Fremdversicherungsträger verzichten auf die Anfechtung von (fehlerhaften) Beitragsbescheiden, die

        

-       

gegenüber dem Arbeitgeber und dem Arbeitnehmer bereits bestandskräftig geworden sind

                 

und     

        

-       

dem Fremdversicherungsträger gemäß dieser Verlautbarung nicht zu übersenden waren.

        

Dies gilt sowohl für die mit als auch für die ohne Rechtsbehelfsbelehrung versehenen Beitragsbescheide.

        

Der allgemeine Anfechtungsverzicht erstreckt sich somit nicht auf Beitragsbescheide, die dem Fremdversicherungsträger entgegen Abschnitt 3.1 bis 3.3 nicht oder im Wesentlichen nicht zeitgleich übersandt wurden. Der allgemeine Anfechtungsverzicht erstreckt sich auch nicht auf Fälle, in denen der Arbeitgeber oder der Arbeitnehmer den Fremdversicherungsträger zur Anfechtung des ihm gegenüber bestandskräftigen Beitragsbescheides veranlasst."

32

Die dargestellte Verlautbarung wurde später - zu einem Zeitpunkt nach Erlass des Bescheides der Beklagten vom 5.7.2005 - durch die "Gemeinsame Verlautbarung zur Behandlung von Verwaltungsakten (Beitragsbescheiden) durch die am gemeinsamen Beitragseinzug beteiligten Versicherungsträger" vom 21.11.2006 aktualisiert und leicht modifiziert, was unter Hinweis auf die "zwischenzeitlichen Vereinbarungen über die Abstimmung der Rechtsauffassung zur versicherungsrechtlichen Beurteilung von mitarbeitenden Ehegatten/Lebenspartner und GmbH-Gesellschaftern" erfolgte. Eine wesentliche Änderung der Verwaltungspraxis wurde dadurch nicht vereinbart. So wurde insbesondere der Begriff "Beitragsbescheid" durch "Verwaltungsakt" ersetzt. Darüber hinaus wurde ua Abschnitt 4 neu gefasst und ua eine Passage eingefügt, wonach in besonders problematischen Fällen, in denen die Einzugsstelle um Überprüfung des zum Teil langjährigen Versicherungsverhältnisses von beschäftigten Familienangehörigen bzw GmbH-Gesellschaftern angegangen wird und die Entscheidung möglicherweise auf das Vorliegen einer selbstständigen Tätigkeit und damit auf eine regelmäßig durch die Rentenversicherungsträger vorzunehmende Beitragserstattung hinauslaufen könnte, die Einzugsstelle unabhängig davon, ob ein Beitragserstattungsanspruch ganz oder teilweise verjährt war - vor einer abschließenden Entscheidung ihre begründete Auffassung mit dem für die Betriebsprüfung nach § 28p SGB IV zuständigen Rentenversicherungsträger abstimmen sollte. Abschnitt 3.2 wurde ebenfalls neu gefasst und enthielt seither ua eine Bestimmung, wonach die Einzugsstelle dem Träger der Rentenversicherung eine Mehrfertigung des Verwaltungsaktes nur dann übersendet, wenn … sie nach Anhörung des Rentenversicherungsträgers (vgl Abschnitt 4) eine von dessen Auffassung abweichende Entscheidung trifft.

33

Für die im vorliegenden Fall zu prüfende Frage, ob einer rechtzeitigen Klageerhebung durch die Beigeladene zu 1. als drittbetroffenem Versicherungsträger Verwirkungsgesichtspunkte entgegenstehen, sind die Abreden der Spitzenverbände der Sozialversicherungsträger - zu denen hier die zitierte "Gemeinsame Verlautbarung" ähnlich wie "Besprechungsergebnisse" gehört - mit zu würdigen. Dem steht nicht entgegen, dass die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit an derartige Abreden zwischen Sozialversicherungsträgern und ihren Verbänden nicht gebunden sind, da sie als bloße verwaltungsinterne Auslegungs- und Abgrenzungshilfen keine Rechtsnormqualität besitzen (vgl BSG SozR 3-2400 § 7 Nr 19 S 74). Denn aus dem Regelwerk ergeben sich für die Sozialversicherungsträger konkrete, in der Verwaltungspraxis umzusetzende Handlungsanweisungen, die auf die Betätigung einer solchermaßen von den Spitzenorganisationen verabredeten Verwaltungspraxis hindeuten und die an den gesetzlichen verwaltungsverfahrensrechtlichen Regelungen, die das Versicherungs- und Beitragsrecht ergänzen, zu messen sind. Die "Gemeinsame Verlautbarung" lässt damit Rückschlüsse auf tatsächliche Verwaltungsabläufe zu und ist in ihren Auswirkungen auch in Bezug auf die betroffenen privaten Rechtssubjekte wie den Kläger mit in den Blick zu nehmen.

34

Der Inhalt der - ihre Binnenbeziehungen betreffenden - "Gemeinsamen Verlautbarung" dokumentiert an mehreren Stellen ein konsensuales Vorgehen zwischen den Sozialversicherungsträgern, das gegen mehrere gesetzliche Bestimmungen des Sozialverwaltungsverfahrensrechts verstößt. Dies gilt insbesondere für den in Abschnitt 3 der Verlautbarung aufgestellten Grundsatz, wonach sich die Versicherungsträger bzw ihre Verbände für berechtigt halten, Verwaltungsakte über die Sozialversicherungspflicht "ungeachtet § 37 Abs 1 SGB X" anderen Sozialversicherungsträgern nicht - wie gesetzlich vorgesehen - stets, sondern "nur" in bestimmten Fällen bekannt zu geben. Die Abrede der Träger, dass Fremdversicherungsträgern keine Rechtsbehelfsbelehrung erteilt werden soll, ist zudem mit § 36 SGB X unvereinbar, wonach durch den Verwaltungsakt beschwerte Beteiligte über den dagegen möglichen Rechtsbehelf zu belehren sind. Auf die in Fällen der vorliegenden Art vermeintlich fehlende Beteiligteneigenschaft der Fremdversicherungsträger können sich die Sozialversicherungsträger nicht berufen (vgl § 12 Abs 1 Nr 4 iVm Abs 2 S 1 SGB X). In jedem Fall ist nach § 12 Abs 2 S 2 SGB X ein Dritter, für den der Ausgang des Verfahrens rechtsgestaltende Wirkung hat, als Beteiligter auf Antrag hinzuzuziehen; ist er der Behörde bekannt, hat sie ihn von der Einleitung des Verfahrens zu benachrichtigen. Indem die Spitzenorganisationen der Sozialversicherungsträger in Abschnitt 4 der "Gemeinsamen Verlautbarung" demgegenüber nur in "Ausnahmefällen" ein Abstimmungsverfahren mit Fremdversicherungsträgern vorsehen, bestehen Anhaltspunkte dafür, dass auch die Regelungen über die Hinzuziehung in § 12 SGB X planmäßig unterlaufen werden sollen. Schließlich sind die Regelungen der "Gemeinsamen Verlautbarung" nicht mit § 86 SGB X in Einklang zu bringen, wonach die Leistungsträger, ihre Verbände und die im SGB genannten öffentlich-rechtlichen Vereinigungen verpflichtet sind, bei der Erfüllung ihrer Aufgaben nach diesem Gesetzbuch eng zusammenzuarbeiten. Wie bereits dargelegt, ist die Betroffenheit anderer Sozialversicherungsträger im hier streitigen Komplex der Feststellung von Versicherungspflicht durch die Einzugsstellen gemäß § 28h Abs 2 S 1 SGB IV systematisch immanent und strukturell angelegt, weil die Krankenkassen als nach § 28i S 1 SGB IV zuständige Einzugsstellen kraft gesetzlicher Anordnung über die Versicherungspflicht in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung entscheiden. Der durch § 86 SGB X normierten Pflicht zur Zusammenarbeit tragen die Regelungen in der "Gemeinsamen Verlautbarung" schon deshalb nicht Rechnung, weil sie eine Beteiligung anderer Träger nicht - wie vom Gesetz vorgesehen - zur Regel, sondern zur Ausnahme machen.

35

Die von der Beklagten und der Beigeladenen zu 1. angeführten Gründe für die Beachtlichkeit und Unbedenklichkeit der Verwaltungspraxis, die in der "Gemeinsamen Verlautbarung" festgelegt ist, rechtfertigen keine Abweichung von den gesetzlichen Verfahrensvorschriften in § 12 Abs 2, § 36, § 37 Abs 1 S 1, § 86 SGB X.

36

Insoweit können sich die Sozialversicherungsträger auch nicht auf die zwischenzeitlich erfolgte Aufhebung des § 28h Abs 3 S 1 SGB IV stützen: Nach dieser bis 31.12.1995 geltenden Regelung hatten die Einzugsstellen darauf hinzuwirken, dass gegenüber dem Arbeitgeber eine abgestimmte Entscheidung ergeht, wenn zwischen den Einzugsstellen, den Trägern der Rentenversicherung oder der Bundesanstalt für Arbeit unterschiedliche Meinungen hinsichtlich des gleichen Sachverhalts bestehen (vgl dazu näher bereits BSGE 84, 136, 142 = SozR 3-2400 § 28h Nr 9 S 34). Nach den Gesetzesmaterialien erfolgte die Aufhebung dieser Regelung nämlich nur deshalb, weil sie in der Vergangenheit keine praktische Bedeutung erlangt hatte, zumal strittige Rechtsfragen und Zweifelsfälle aus der Praxis in Besprechungen aller am Beitragseinzug beteiligten Institutionen erörtert und einer Lösung zugeführt wurden; lasse sich eine Einigung nicht herbeiführen, so seien auch künftig Musterprozesse unvermeidbar (vgl Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Entwurf eines 3. SGB-ÄndG, BT-Drucks 13/1559 S 13 zu Art 1 Nr 2 Buchst c). Die Aufhebung des § 28h Abs 3 SGB IV aF aus den genannten Gründen rechtfertigt damit gerade nicht den Schluss, im Vorfeld einer Entscheidung der Einzugsstelle habe gar keine Beteiligung der anderen Sozialversicherungsträger mehr erfolgen sollen.

37

Schließlich kann der - gleichsam im Gegenzug zum Unterbleiben der Bekanntgabe eines Bescheides mit Rechtsbehelfsbelehrung - in Punkt 5 der "Gemeinsamen Verlautbarung" hervorgehobene Verzicht auf eine Anfechtung durch den Fremdversicherungsträger nicht zugunsten der Rechtmäßigkeit der verabredeten Verfahrensweise herangezogen werden. Zum einen enthält der Anfechtungsverzicht der drittbetroffenen Träger eine Vielzahl von Ausnahmen. Zum anderen können sich die Hauptadressaten eines Verwaltungsakts der Einzugsstelle über die Versicherungspflicht (idR der Selbstständige/Versicherte bzw dessen Arbeitgeber) umgekehrt gegenüber einem Fremdversicherungsträger auf der Grundlage geltenden Rechts regelmäßig nicht auf den praktizierten Anfechtungsverzicht berufen, weil es sich bei der Verlautbarung nur um eine bloße verwaltungsinterne Vereinbarung handelt, die ausdrücklich als "nur für den Dienstgebrauch" klassifiziert wurde und nicht dazu bestimmt und geeignet ist, Betroffenen außerhalb der Sphäre der Sozialverwaltung unmittelbar oder mittelbar Rechte mit Blick auf ein fehlendes Tätigwerden der drittbetroffenen Träger einzuräumen.

38

Es kann offenbleiben, ob die Unrichtigkeit der Rechtsbehelfsbelehrung im ursprünglichen Bescheid der Beklagten vom 5.7.2005 ausschließlich oder überwiegend auf die tatsächliche Anwendung der "Gemeinsamen Verlautbarung" zurückgeht. Jedenfalls haben weder die Beklagte noch die Beigeladene zu 1. im Verfahren geltend gemacht, dass die in der Verlautbarung getroffenen Abreden nicht oder nicht mehr ihrer tatsächlichen Verwaltungspraxis entsprächen, obwohl der Kläger hierzu wiederholt ausführlich vorgetragen hat. Das Verhalten der Beklagten, insbesondere die Unrichtigkeit der Rechtsbehelfsbelehrung in ihrem Bescheid vom 5.7.2005, ist der Beigeladenen zu 1. jedenfalls entgegenzuhalten, da sowohl der VDR als auch die BfA als Rechtsvorgänger der inzwischen neu geordneten Trägerschaft im Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung zum hier betroffenen Zeitpunkt am Zustandekommen der "Gemeinsamen Verlautbarung" beteiligt waren.

39

(5) Auch die bisherige Rechtsprechung des Senats steht der dargestellten rechtlichen Würdigung nicht entgegen.

40

Zwar hat der Senat in seinem Urteil vom 1.7.1999 (BSGE 84, 136 = SozR 3-2400 § 28h Nr 9) für die Klage des Dritten die Jahresfrist des § 66 Abs 2 S 1 SGG angewandt, wenn dem angefochtenen Verwaltungsakt jede Rechtsbehelfsbelehrung fehlte. Eine dem vorliegenden Fall vergleichbare Sachverhaltskonstellation lag der seinerzeitigen Entscheidung jedoch nicht zugrunde, da die "Gemeinsame Verlautbarung" überhaupt erst als Reaktion auf dieses Urteil geschaffen wurde. Entgegen der im Berufungsverfahren von der Beigeladenen zu 1. geäußerten Rechtsauffassung hat sich das BSG bislang auch noch nicht mit den aus der "Gemeinsamen Verlautbarung" zu ziehenden Konsequenzen befasst. Die gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 23.7.2009 erhobene Beschwerde, auf die sie ua hinweist, wurde durch Beschluss vom 25.3.2010 (B 12 KR 75/09 B - unveröffentlicht) als unzulässig verworfen, weil die Klärungsfähigkeit der darin aufgeworfenen Rechtsfrage als Voraussetzung für den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) aufgrund der fehlenden Feststellungen zu der og "Gemeinsamen Verlautbarung" nicht iS von § 160a Abs 2 S 3 SGG hinreichend dargelegt worden war, sodass der Senat auf die sich nun stellende rechtliche Problematik inhaltlich gar nicht einzugehen hatte und auch nicht eingegangen ist

41

(6) Der Kläger musste folglich nicht damit rechnen, dass der ihm gegenüber nach Rücknahme seines Widerspruchs am 23.1.2006 bestandskräftig gewordene Bescheid vom 5.7.2005 noch ca eineinhalb Jahre nach seinem Erlass durch die Beigeladene zu 1. am 19.2.2007 angefochten werden würde. Vielmehr durfte er - im Sinne eines aus seiner Sicht bei verständiger Würdigung anzunehmenden Verwirkungsverhaltens - durchaus davon ausgehen, dass die Beklagte sich im Rahmen des damaligen Verwaltungsverfahrens gesetzeskonform verhielt, nämlich die Hinzuziehungsregelungen des § 12 SGB X, die Pflicht zur Erteilung einer allen Beteiligten und Betroffenen gegenüber inhaltlich zutreffenden Rechtsbehelfsbelehrung des § 36 SGB X sowie die Pflicht zur Bekanntgabe des Verwaltungsakts nach § 37 Abs 1 S 1 SGB X beachten würde und beachtet hatte.

42

c) Da sich die Beigeladene zu 1. nach alledem im Rahmen ihrer am 19.2.2007 vor dem SG Berlin erhobenen Klage auf die Jahresfrist nach § 66 Abs 2 S 1 SGG nicht berufen durfte, war ihre Klage somit - auch hinsichtlich der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung - verspätet und ihre seinerzeitige Klage insgesamt unzulässig. Daraus folgt - wie bereits oben unter b) aa) dargestellt -, dass die Beklagte bei der Rücknahme des Bescheides vom 5.7.2005 nicht unter Berufung auf § 49 SGB X von der Anwendung der in § 45 Abs 2 bis 4 SGB X genannten Voraussetzungen entbunden war. Die Beklagte unterließ es vielmehr rechtswidrig in ihrer zu Lasten des Klägers getroffenen Rücknahmeentscheidung, dessen Belange - insbesondere Vertrauensschutzaspekte - in den Blick zu nehmen und sodann das ihr dabei eingeräumte Rücknahmeermessen auszuüben; auch in der Folgezeit berief sie sich noch zu Unrecht darauf, hierzu wegen § 49 SGB X nicht verpflichtet gewesen zu sein. Dies führt zur Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides der Beklagten vom 24.7.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.8.2007, zur Verletzung von Rechten des Klägers und infolgedessen zu seiner Aufhebung. Demzufolge waren auch die entgegenstehenden vorinstanzlichen Urteile aufzuheben.

43

Dabei kann offenbleiben, ob eine Anwendung von § 49 SGB X in der vorliegenden Konstellation nicht ohnehin voraussetzt, dass der Kläger vor der auf § 45 Abs 1, § 49 SGB X gestützten Rücknahme eines ursprünglichen Verwaltungsakts zumindest zum Rechtsstreit des Dritten gegen die Anfechtung des Bescheides über die Feststellung des Nichtbestehens von Versicherungspflicht wegen Beschäftigung hätte beigeladen werden müssen(vgl hierzu allgemein BSG SozR 4100 § 141n Nr 18 S 46; Rieker, jurisPR-SozR 4/2011 Anm 5; Waschull in Diering/Timme/Waschull, LPK-SGB X, 3. Aufl 2011, § 49 RdNr 12: "idR") und ob auch im Rahmen von § 45 Abs 1, § 49 SGB X ein Aufhebungsermessen auszuüben ist(offengelassen bei BSG <13. Senat> SozR 4-2600 § 243 Nr 4 RdNr 60; bejahend: Schaer jurisPR-SozR 15/2011 Anm 6 mwN).

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2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs 1 S 1 SGG.

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Sächsischen Landessozialgerichts vom 11. April 2013 - L 3 AS 639/12 - wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Umstritten sind in der Sache höhere Leistungen für Unterkunft und Heizung nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) für April 2009, formell zunächst die Einhaltung der Klagefrist.

2

Die im Jahr 1979 geborene Klägerin bezog seit Januar 2005 von der Rechtsvorgängerin des beklagten Jobcenters (im Folgenden: einheitlich Beklagter) Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Sie bewohnt eine ca 49 qm große Wohnung, für die monatlich 248,66 Euro Kaltmiete zuzüglich 120 Euro Betriebs- und Heizkosten zu zahlen sind. Der Beklagte bewilligte ihr ua für April 2009 - nach einer zuvor erfolgten vorläufigen Bewilligung - endgültig monatliche Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe von 308,70 Euro (Bescheide vom 19. und 26.10.2009). Ihr hiergegen eingelegter Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 1.12.2009 zurückgewiesen, der dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 2.12.2009 gegen Empfangsbekenntnis zugestellt wurde und dessen Rechtsbehelfsbelehrung auszugsweise lautet: "Gegen diese Entscheidung kann innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe beim Sozialgericht Dresden, Hans-Oster-Str. 4, 01099 Dresden, Klage erhoben werden."

3

Die am 4.6.2010 erhobene Klage hat das Sozialgericht (SG) wegen Versäumung der Klagefrist als unzulässig abgewiesen und die Sprungrevision zugelassen (Urteil vom 14.5.2012). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen (Urteil vom 11.4.2013) und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Das SG habe die Klage zu Recht als unzulässig abgewiesen, weil die Klagefrist von einem Monat nach Bekanntgabe des Widerspruchsbescheides gemäß § 87 Abs 1 Satz 1, Abs 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) versäumt sei. Die Rechtsbehelfsbelehrung des Widerspruchsbescheides sei nicht unrichtig, da für die Bekanntgabe keine bestimmte Form vorgeschrieben sei, könne diese auch im Wege der Zustellung erfolgen. Soweit die Klägerin sich auf die Urteile des Bundessozialgerichts (BSG) vom 27.9.1983 (12 RK 75/82) und vom 15.12.1983 (12 RK 22/82) beziehe, werde verkannt, dass sich die Rechtslage zwischenzeitlich grundlegend geändert habe, dies gelte auch für das Urteil des BSG vom 9.12.2008 (B 8/9b SO 13/07 R). Nach der heutigen Rechtslage umfasse der Begriff "Bekanntgabe" auch eine Zustellung. Wiedereinsetzung in die Klagefrist könne der Klägerin nicht gewährt werden, weil in der Rechtsbehelfsbelehrung ordnungsgemäß belehrt worden sei und sie keinen Hinderungsgrund vorgebracht habe.

4

In ihrer vom LSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin die Verletzung von § 66 Abs 2 iVm § 85 Abs 3 Satz 3 SGG und macht geltend, die Rechtsbehelfsbelehrung des Widerspruchsbescheides sei unrichtig und die Klagefrist würde ein Jahr betragen, weil für den Beginn der Klagefrist über eine Bekanntgabe belehrt werde, obgleich eine Zustellung erfolgt sei. Dies sei missverständlich, die vom LSG angeführte Gesetzesänderung sei insofern nicht wesentlich. Zudem werde auf eine Klageerhebung durch ein Mitglied der Bedarfsgemeinschaft verwiesen, obwohl § 38 SGB II nach der Rechtsprechung des BSG(Hinweis auf das Urteil vom 2.7.2009 - B 14 AS 54/08 R - BSGE 104, 48 = SozR 4-1500 § 71 Nr 2) keine Vollmacht zur Klageerhebung beinhalte. Die Rechtsbehelfsbelehrung enthalte eine verwirrende Belehrung zum Klageinhalt und zu weiteren Abschriften.

5

Die Klägerin beantragt,
die Urteile des Sächsischen Landessozialgerichts vom 11. April 2013 - L 3 AS 639/12 - und des Sozialgerichts Dresden vom 14. Mai 2012 - S 3 AS 3499/10 - aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung der Bescheide vom 19. und 26. Oktober 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. Dezember 2009 zu verurteilen, ihr für April 2009 weitere Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe von 59,96 Euro zu zahlen.

6

Der Beklagte beantragt,
 die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

7

Die zulässige Revision der Klägerin gegen das Urteil des Sächsischen LSG vom 11.4.2013 ist als unbegründet zurückzuweisen (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG), weil das LSG zu Recht die Abweisung ihrer Klage als unzulässig wegen Versäumung der Klagefrist durch das SG bestätigt hat.

8

Von Amts wegen zu berücksichtigende Verfahrensmängel, die das Urteil des LSG insgesamt betreffen, liegen nicht vor. Beide Beteiligten haben einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des SG war zulässig, insbesondere war sie statthaft, weil in der im Urteil des SG erfolgten Zulassung der Sprungrevision (vgl § 161 SGG) zugleich eine Zulassung der Berufung (vgl § 144 SGG) liegt, da die Gründe für die Zulassung der Sprungrevision auch Gründe für die Zulassung der Berufung sind (Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 6. Aufl 2011, IX RdNr 24, VIII RdNr 42; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 162 RdNr 2; Fichte in Breitkreuz/Fichte, SGG, 2. Aufl 2014, § 161 RdNr 5; Lüdtke in HK-SGG, 4. Aufl 2012, § 161 RdNr 3).

9

Die Klage ist jedoch zu Recht vom SG wegen Versäumung der Klagefrist als unzulässig abgewiesen worden.

10

Voraussetzung für die Zulässigkeit einer kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage, wie sie vorliegend zutreffender Weise von der Klägerin erhoben wurde (vgl § 54 Abs 1, 4 SGG), ist ua die Wahrung der einmonatigen Klagefrist nach § 87 Abs 1 Satz 1, Abs 2 SGG. Nach § 87 Abs 1 Satz 1 SGG in der Fassung des 6. SGG-Änderungsgesetzes vom 17.8.2001 (BGBl I 2144) ist die Klage binnen eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsakts zu erheben, nach dessen Abs 2 beginnt die Frist mit der Bekanntgabe des Widerspruchsbescheides, wenn ein Vorverfahren - wie in diesem Verfahren - stattgefunden hat.

11

1. Diese einmonatige Klagefrist hat die Klägerin versäumt.

12

Die Bekanntgabe eines Verwaltungsaktes (vgl § 37 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Verwaltungsverfahren -) ist die zielgerichtete Mitteilung des Inhalts des Verwaltungsakts durch die Behörde an den Bekanntgabe-Empfänger; auf dessen tatsächliche Kenntnisnahme kommt es nicht an, es genügt, dass er nach dem normalen Verlauf der Umstände die Möglichkeit hatte, Kenntnis zu nehmen (vgl zuletzt BSG vom 4.9.2013 - B 10 EG 7/12 R, vorgesehen für BSGE und SozR, RdNr 24 ff mwN; Engelmann in von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl 2014, § 37 RdNr 3a, 4; Littmann in Hauck/Noftz, SGB X, Stand 12/2013, § 37 RdNr 7, 13 f, jeweils mwN). Eine bestimmte Form der Bekanntgabe, insbesondere eines Widerspruchsbescheides, ist nicht vorgeschrieben (vgl § 37 SGB X, § 85 Abs 1 Satz 1 SGG).

13

Diese Voraussetzungen für eine Bekanntgabe werden durch die Zustellung (vgl § 65 SGB X, §§ 2 ff Verwaltungszustellungsgesetz) des Widerspruchsbescheides vom 1.12.2009 an den Bevollmächtigten der Klägerin mit Empfangsbekenntnis am 2.12.2009 erfüllt. Die einmonatige Klagefrist lief bis zum 4.1.2010, weil der 2.1.2010 ein Samstag war (§ 64 Abs 2 Satz 1, Abs 3 SGG). Mit der - verspäteten - Klageerhebung erst am 4.6.2010 ist diese Monatsfrist versäumt.

14

2. Anstelle dieser Monatsfrist galt keine Jahresfrist für die Erhebung der Klage (vgl § 66 SGG), weil die in dem Widerspruchsbescheid vom 1.12.2009 erteilte Rechtsbehelfsbelehrung nicht unrichtig war.

15

Nach § 85 Abs 3 Satz 4 SGG sind die Beteiligten in einem Widerspruchsbescheid über die Zulässigkeit der Klage, die einzuhaltende Frist und den Sitz des zuständigen Gerichts zu belehren. Nach § 66 Abs 1 SGG beginnt die Frist für ein Rechtsmittel oder einen anderen Rechtsbehelf nur dann zu laufen, wenn der Beteiligte über den Rechtsbehelf, die Verwaltungsstelle oder das Gericht, bei denen der Rechtsbehelf anzubringen ist, den Sitz und die einzuhaltende Frist schriftlich oder elektronisch belehrt worden ist.

16

Die Voraussetzungen für eine richtige, die Monatsfrist in Lauf setzende Rechtsbehelfsbelehrung sind nach beiden Vorschriften - neben der Form schriftlich oder elektronisch - als inhaltliche Anforderungen die Bezeichnung des statthaften Rechtsbehelfs, hier einer "Klage", des Gerichts mit Angabe seines Sitzes, an die sie zu richten ist, und die einzuhaltende Klagefrist. Nach dem Sinn und Zweck der Vorschriften, den Beteiligten ohne Gesetzeslektüre die ersten Schritte zur Wahrung ihrer Rechte zu ermöglichen, muss die Rechtsbehelfsbelehrung auch eine Belehrung über den wesentlichen Inhalt der bei der Einlegung des Rechtsbehelfs zu beachtenden Formvorschriften beinhalten ("Wegweiserfunktion"). Andererseits darf die Rechtsbehelfsbelehrung nicht mit weiteren Informationen überfrachtet sein; diese sind jedoch unschädlich, wenn sie richtig und vollständig sind, dürfen aber nicht Verwirrung stiften oder den Eindruck erwecken, die Rechtsverfolgung sei schwieriger als sie in Wirklichkeit ist (stRspr: BSG vom 7.7.1999 - B 3 P 4/99 R - SozR 3-1500 § 67 Nr 13; BSG vom 18.10.2007 - B 3 P 24/07 B - , SozR 4-1500 § 66 Nr 1 RdNr 6; BSG vom 14.3.2013 - B 13 R 19/12 R -, SozR 4-1500 § 66 Nr 3 RdNr 15 f; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 66 RdNr 5, 10 f; Littmann in HK-SGG, 4. Aufl 2012, § 66 RdNr 5; Wolf-Dellen in Breitkreuz/Fichte, SGG, 2. Aufl 2014, § 66 RdNr 22; vgl auch Bundesverwaltungsgericht vom 27.4.1990 - 8 C 70.88 - juris-RdNr 15).

17

Ob die unrichtige Rechtsbehelfsbelehrung für die Fristversäumnis des Betroffenen ursächlich war, ist grundsätzlich unerheblich (stRspr: BSG vom 14.10.1955 - 2 RU 16/54 - BSGE 1, 254; BSG vom 21.5.2003 - B 6 KA 20/03 B). Nur bei an sich in der Rechtsbehelfsbelehrung nicht notwendigen, aber fehlerhaften Angaben müssen diese zumindest abstrakt Einfluss auf die verspätete Einlegung des Rechtsbehelfs gehabt haben, um zu einer Unrichtigkeit der Rechtsbehelfsbelehrung zu führen (stRspr: BSG Urteil vom 22.7.1982 - 7 RAr 115/81 - SozR 1500 § 93 Nr 1; BSG Urteil vom 28.5.1991 - 13/5 RJ 48/90 - BSGE 69, 9, 14 = SozR 3-1500 § 66 Nr 1; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 10. Aufl 2012, § 66 RdNr 12; Wolf-Dellen in Breitkreuz/Fichte, SGG, 2. Aufl 2014, § 66 RdNr 31).

18

a) Die von einer Rechtsbehelfsbelehrung zu wahrenden (Mindest-)Voraussetzungen werden von der des Widerspruchsbescheides vom 1.12.2009 erfüllt, wie sich aus dem in ihr enthaltenen Satz: "Gegen diese Entscheidung kann innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe beim Sozialgericht Dresden, Hans-Oster-Str. 4, 01099 Dresden, Klage erhoben werden." ergibt. Hinsichtlich der schriftlichen Form und der inhaltlichen Anforderungen an die Bezeichnung des statthaften Rechtsbehelfs, hier einer Klage, und des Gerichts mit Angabe seines Sitzes, an die sie zu richten ist, ist dies zwischen den Beteiligten nicht umstritten. Entgegen dem Vorbringen der Revision wird mit diesem Satz auch in zutreffender Weise über den Beginn der Klagefrist mit der Bekanntgabe des Widerspruchsbescheides als weitere Voraussetzung für eine richtige Rechtsbehelfsbelehrung belehrt, obgleich der Widerspruchsbescheid dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin zugestellt wurde.

19

Dies folgt schon aus dem Wortlaut des heutigen § 87 SGG in der Fassung des 6. SGG-Änderungsgesetzes vom 17.8.2001 (BGBl I 2144), nach dessen Abs 1 Satz 1 die Klage binnen eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsakts zu erheben ist und nach dessen Abs 2 die Frist mit der Bekanntgabe des Widerspruchsbescheides beginnt, wenn ein Vorverfahren - wie vorliegend - stattgefunden hat. Die in beiden Absätzen angesprochene Bekanntgabe umfasst auch eine Zustellung.

20

Dies entspricht auch der Definition des Begriffs Zustellung in § 2 Abs 1 VwZG: "Zustellung ist die Bekanntgabe eines … Dokuments in der in diesem Gesetz bestimmten Form …", ähnlich lautet auch § 166 Abs 1 Zivilprozessordnung und nach der in § 37 Abs 5 SGB X enthaltene Regelung bleiben die "Vorschriften über die Bekanntgabe eines Verwaltungsakts mittels Zustellung … unberührt."

21

Der Begriff der Bekanntgabe ist zumindest heute - rund 30 Jahre nach dem Inkrafttreten des SGB X (vgl zur Rechtslage vorher Littmann in Hauck/Noftz, SGB X, § 37 RdNr 6) - entgegen den von der Revision angeführten Urteilen (vgl nur BSG Urteil vom 27.9.1983 - 12 RK 75/82 - RdNr 14) nicht mehr ungenau und missverständlich, wie seine obige Beschreibung und die angeführte Rechtsprechung und Literatur belegen. Vielmehr ist in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des BVerwG eine Rechtsbehelfsbelehrung, die für den Beginn der Klagefrist den im Gesetz verwandten Begriff der Bekanntgabe gebraucht, weder irreführend noch unrichtig, auch wenn der angefochtene Widerspruchsbescheid in der besonderen Form der Zustellung - vorliegend mit Empfangsbekenntnis an den anwaltlichen Vertreter der Klägerin - bekanntgegeben wird. Die Bekanntgabe, die den Fristlauf auslöst, besteht dann in der Zustellung. Eine genauere Bezeichnung des die Klagefrist in Lauf setzenden Ereignisses bedarf es in einem solchen Falle nicht. Die Belehrung, die Klagefrist beginne mit der Bekanntgabe des Widerspruchsbescheides zu laufen, kann keinen Irrtum des Adressaten über den Beginn der Rechtsbehelfsfrist hervorrufen und dadurch die rechtzeitige Klageerhebung erschweren, wenn der Widerspruchsbescheid dem Adressaten im Wege der Zustellung mit Empfangsbekenntnis an seinen Rechtsanwalt bekannt gegeben worden ist. Denn bei dieser Zustellungsart ist die Zustellung auch aus Sicht des Empfängers stets zugleich die Bekanntgabe. Daran kann ein Zustellungsempfänger bei vernünftiger Überlegung nicht zweifeln (vgl BVerwG Urteil vom 27.4.1990 - 8 C 70.88 - juris-RdNr 18; BVerwG Beschluss vom 31.5.2006 - 6 B 65.05 - juris-RdNr 9).

22

Bestätigt wird dieses Ergebnis durch die Gesetzgebungsgeschichte einschließlich der Gesetzesbegründungen, die eine Entwicklung von der aufwändigeren Zustellung zu der technisch einfacheren Bekanntgabe aufzeigt. Zunächst war § 87 Abs 2 SGG geändert worden, der bis zum 31.12.1999 lautete "Hat ein Vorverfahren stattgefunden, so beginnt die Frist mit der Zustellung des Widerspruchsbescheides." und durch Art 8 des GKV-Gesundheitsreformgesetzes 2000 vom 22.12.1999 (BGBl I 2626) ab 1.1.2000 seine heutige Fassung erhielt, nach der die Frist mit der Bekanntgabe des Widerspruchsbescheides beginnt. Bei der Ersetzung des Wortes "Zustellung" durch das Wort "Bekanntgabe" (vgl Art 8 Nr 3 GKV-Gesundheitsreformgesetz 2000) handele es sich - so die Gesetzesbegründung (BT-Drucks 14/1245 S 118 zu dem entsprechenden Art 10 des Entwurfs) - um eine Folgeänderung zur Änderung des § 85 Abs 3 Satz 1 SGG durch das 5. SGG-Änderungsgesetz vom 30.3.1998 (BGBl I 638), nach der Widerspruchsbescheide nicht mehr zugestellt werden müssen, sondern eine Bekanntgabe ausreicht; weiter wird ausgeführt, die Neuregelung beseitige die Verpflichtung zur Zustellung des Widerspruchsbescheides, lasse aber die Möglichkeit unberührt, im Einzelfall dennoch eine Zustellung vorzunehmen (BT-Drucks 13/9609 S 6). In der Gesetzesbegründung zum 6. SGG-Änderungsgesetz (BT-Drucks 14/5943 S 26) ist zur Änderung des § 87 Abs 1 SGG nur ausgeführt, eine Bekanntgabe umfasse eine Zustellung.

23

Aus den früheren, von der Revision angeführten Urteilen (BSG Urteil vom 27.3.1980 - 12 RK 61/79; BSG Urteil vom 27.9.1983 - 12 RK 75/82; BSG Urteil vom 15.12.1983 - 12 RK 22/82; BSG Urteil vom 26.10.1989 - 12 RK 21/89 - SozR 1500 § 84 Nr 6) kann für die heutige Rechtslage nichts Gegenteiliges abgeleitet werden, weil die einschlägigen Regelungen in § 87 SGG zwischenzeitlich, wie aufgezeigt, geändert wurden; der früher verwandte Begriff "Zustellung" kommt in ihnen heute nicht mehr vor. Gleiches gilt im Hinblick auf das Urteil des 13. Senats des BSG vom 6.12.1996 (13 RJ 19/96 - BSGE 79, 293 = SozR 3-1500 § 66 Nr 6), das die Wahrung einer Klagefrist nach einem Widerspruchsbescheid betraf, der dem Prozessbevollmächtigten des Klägers mit eingeschriebenem Brief zugestellt worden war und dessen Rechtsbehelfsbelehrung - entgegen dem damaligen § 87 Abs 2 SGG - auf eine Klagefrist von einem Monat "nach seiner Bekanntgabe" verwies. Denn das Urteil des 13. Senats ist zur alten Rechtslage ergangen, als Widerspruchsbescheide noch grundsätzlich zuzustellen waren, nicht aber wie heute eine Bekanntgabe genügte.

24

Eine Anfrage an den 8. Senat des BSG (vgl § 41 Abs 2, 3 SGG)wegen seines Urteils vom 9.12.2008 (B 8/9b SO 13/07 R), das sich dieser früheren Rechtsprechung angeschlossen hat, wegen dessen das LSG die Revision zugelassen hat und auf das sich die Klägerin bezieht, ist nicht notwendig, weil in diesem Urteil kein tragender Rechtssatz aufgestellt wird, von dem der erkennende Senat in der vorliegenden Entscheidung abweicht. In jenem Verfahren war dem Kläger der angefochtene Widerspruchsbescheid per Einschreiben zugestellt worden. Die Rechtsbehelfsbelehrung, wonach die Klage einen Monat "nach Zustellung" (nicht nach Bekanntgabe) zu erheben war, wurde als richtig angesehen, weil es nicht nur folgerichtig, sondern sogar erforderlich sei, dass in der Rechtsbehelfsbelehrung auf den Zeitpunkt der Zustellung und nicht der Bekanntgabe abgestellt werde, wenn der Versicherungsträger sich für den Weg der förmlichen Zustellung entscheide. Daraus kann jedoch für die Entscheidung des vorliegenden Verfahrens nichts Zwingendes hergeleitet werden. Auch wenn in solchen Fallkonstellationen, in denen in der Rechtsbehelfsbelehrung auf die tatsächliche Art der Bekanntgabe durch Zustellung Bezug genommen wird, die Rechtsbehelfsbelehrung nicht unrichtig ist, bedeutet dies nicht in einer Art Umkehrschluss, dass eine Rechtsbehelfsbelehrung, die auf die gesetzlich vorgesehene Bekanntgabe verweist, unrichtig ist, wenn nicht nur eine formlose Bekanntgabe, sondern eine Zustellung erfolgt. Denn aus der tragenden Aussage des Urteils vom 9.12.2008, dass eine Rechtsbehelfsbelehrung nicht unrichtig ist, die nicht auf den im Gesetz verwendeten Begriff Bekanntgabe verweist, sondern auf die tatsächlich vorgenommene Zustellung, folgt nicht zwingend, dass immer, wenn seitens der Behörde eine Zustellung erfolgt, in der Rechtsbehelfsbelehrung begrifflich nur auf die Zustellung und nicht auf die in der Zustellung liegende Bekanntgabe für den Fristbeginn Bezug genommen werden darf.

25

b) Aus dem weiteren Vorbringen der Revision folgt ebenfalls keine Unrichtigkeit der Rechtsbehelfsbelehrung des Widerspruchsbescheides.

26

Der Vortrag, die Rechtsbehelfsbelehrung sei unrichtig, weil darauf verwiesen werde, dass die Klage auch durch ein Mitglied der Bedarfsgemeinschaft erhoben werden könne, soweit eine Bevollmächtigung dazu gegeben sei, obwohl § 38 SGB II nach der Rechtsprechung des BSG(Hinweis auf das Urteil vom 2.7.2009 - B 14 AS 54/08 R - BSGE 104, 48 = SozR 4-1500 § 71 Nr 2) keine Vollmacht zur Klageerhebung umfasst, kann nicht zum Erfolg der Revision führen, weil dieser Teil der Rechtsbehelfsbelehrung nicht im Widerspruch zu dem genannten Urteil des BSG steht. Die Klageerhebung durch ein Mitglied einer Bedarfsgemeinschaft für ein anderes Mitglied der Bedarfsgemeinschaft bedarf für ihre Wirksamkeit eine Bevollmächtigung des einen Mitglieds durch das andere.

27

Der Vortrag, die Rechtsbehelfsbelehrung enthalte eine verwirrende Belehrung zum Klageinhalt und zu weiteren Abschriften, ist nicht durchgreifend, weil die von der Klägerin angeführten Passagen der Rechtsbehelfsbelehrung den - damaligen - Wortlaut von § 92 Abs 1 und § 93 Satz 1 SGG wiedergeben. Damit besteht ein grundlegender Unterschied zum Urteil des BSG vom 22.7.1982 (7 RAr 115/81 - SozR 1500 § 93 Nr 1), in dem der Wortlaut der Rechtsbehelfsbelehrung von dem des Gesetzes abwich. Vielmehr erfüllen die genannten Passagen der Rechtsbehelfsbelehrung in dem angefochtenen Widerspruchsbescheid die oben dargestellte Wegweiserfunktion einer Rechtsbehelfsbelehrung und sind auch nicht geeignet, bei dem Adressaten aufgrund einer Überfrachtung Verwirrung zu stiften oder den Eindruck zu erwecken, die Rechtsverfolgung sei schwieriger, als sie in Wirklichkeit ist.

28

c) Von Amts wegen sind keine Gesichtspunkte zu erkennen, aus denen sich eine Unrichtigkeit der Rechtsbehelfsbelehrung des angefochtenen Widerspruchsbescheides nach § 66 Abs 1, § 85 Abs 3 Satz 4 SGG ergibt.

29

3. Wiedereinsetzung in die Klagefrist nach § 67 SGG ist der Klägerin nicht zu gewähren, weil sie eine solche nicht beantragt hat und - wie das LSG zu Recht ausgeführt hat - kein Grund zu erkennen ist, wieso sie ohne Verschulden verhindert war, die Klagefrist einzuhalten.

30

4. Die von der Klägerin erhobene Verfahrensrüge, das Urteil des LSG verletzte ihren Anspruch auf rechtliches Gehör, weil es sich mit ihren über die fehlende Belehrung zum Beginn der Klagefrist hinausgehenden Einwendungen gegen die Richtigkeit der Rechtsbehelfsbelehrung nicht auseinandersetze, führt ebenfalls nicht zu einem Erfolg der Revision.

31

Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG und des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) soll der Anspruch auf rechtliches Gehör (Art 103 Grundgesetz, § 62 SGG) verhindern, dass die Beteiligten durch eine Entscheidung überrascht werden, die auf Rechtsauffassungen, Tatsachen oder Beweisergebnissen beruht, zu denen sie sich nicht äußern konnten (vgl BSG vom 13.10.1993 - 2 BU 79/93 - SozR 3-1500 § 153 Nr 1 mwN; BVerfG vom 29.5.1991 - 1 BvR 1383/90 - BVerfGE 84, 188, 190 mwN), und sicherstellen, dass ihr Vorbringen vom Gericht in seine Erwägungen miteinbezogen wird (BVerfG vom 8.7.1997 - 1 BvR 1621/94 - BVerfGE 96, 205, 216 f mwN). Das Gericht muss aber nicht ausdrücklich jedes Vorbringen der Beteiligten bescheiden; ein Verstoß gegen die Pflicht zur Berücksichtigung von Vorbringen ist nur dann anzunehmen, wenn sich dies aus den besonderen Umständen des Falles ergibt (BVerfG vom 8.7.1997 aaO).

32

Derartige besondere Umstände hat die Revision nicht angeführt und sind dem Verfahren auch nicht zu entnehmen. Dass die weiteren, von der Klägerin geltend gemachten Einwände gegen die Richtigkeit der Rechtsbehelfsbelehrung von nachgeordneter Bedeutung sind, kann den vorstehenden Ausführungen entnommen werden.

33

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.

(1) Die Frist für ein Rechtsmittel oder einen anderen Rechtsbehelf beginnt nur zu laufen, wenn der Beteiligte über den Rechtsbehelf, die Verwaltungsbehörde oder das Gericht, bei denen der Rechtsbehelf anzubringen ist, den Sitz und die einzuhaltende Frist schriftlich oder elektronisch belehrt worden ist.

(2) Ist die Belehrung unterblieben oder unrichtig erteilt, so ist die Einlegung des Rechtsbehelfs nur innerhalb eines Jahres seit Zustellung, Eröffnung oder Verkündung zulässig, außer wenn die Einlegung vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich war oder eine schriftliche oder elektronische Belehrung dahin erfolgt ist, daß ein Rechtsbehelf nicht gegeben sei. § 60 Abs. 2 gilt für den Fall höherer Gewalt entsprechend.

(1) Die Frist für einen Rechtsbehelf beginnt nur zu laufen, wenn der Beteiligte über den Rechtsbehelf, die Behörde oder das Gericht, bei denen der Rechtsbehelf anzubringen ist, den Sitz und die einzuhaltende Frist schriftlich oder elektronisch belehrt worden ist.

(2) Ist die Belehrung unterblieben oder unrichtig erteilt, so ist die Einlegung des Rechtsbehelfs nur innerhalb eines Jahres seit Bekanntgabe im Sinne des § 54 Abs. 1 zulässig, es sei denn, dass die Einlegung vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich war oder eine schriftliche oder elektronische Belehrung dahin erfolgt ist, dass ein Rechtsbehelf nicht gegeben sei. § 56 Abs. 2 gilt für den Fall höherer Gewalt sinngemäß.

Tenor

Auf die Revision des Klägers werden die Urteile des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 17. Februar 2011 und des Sozialgerichts Speyer vom 27. November 2009 aufgehoben.

Der Bescheid der Beklagten vom 24. Juli 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. August 2007 wird aufgehoben.

Die Beklagte sowie die Beigeladenen zu 1. und 4. tragen die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers in allen Rechtszügen als Gesamtschuldner. Im Übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Berechtigung der beklagten Krankenkasse als Einzugsstelle, einen Bescheid über die Feststellung des Nichtbestehens von Sozialversicherungspflicht wegen Beschäftigung aufzuheben.

2

Der Kläger war von 1981 bis 30.9.2000 bei der A. KG tätig, deren Gesellschafter seine Eltern waren. Auf seinen Antrag stellte die Beklagte durch Bescheid vom 5.7.2005 unter der Überschrift "Prüfung der Versicherungspflicht" fest, dass er seine Tätigkeit ab 1.7.1986 als Selbstständiger und damit nicht versicherungspflichtig ausgeübt habe. Nach der durch Schreiben vom 6.2.2006 korrigierten Begründung sah sie dafür als ausschlaggebend an, dass er nicht an Weisungen der Betriebsinhaber gebunden gewesen sei, über seine Tätigkeit habe frei bestimmen können und auf Gehaltsteile verzichtet habe. Mit Antrag vom 18.8.2005 begehrte der Kläger bei der Beklagten die Erstattung seiner zu Unrecht gezahlten Beiträge zur Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung. Mit Schreiben vom 17.2.2006 übersandte die Beklagte dem Rentenversicherungsträger (Beigeladene zu 1.) den Erstattungsantrag sowie eine Kopie des Bescheides vom 5.7.2005, nachdem der Kläger zuvor einen gegen diesen Bescheid erhobenen Widerspruch zurückgenommen hatte. Gegen den Bescheid vom 5.7.2005 erhob die Beigeladene zu 1. am 19.2.2007 Klage zum SG Berlin. Die Beklagte nahm ihren Bescheid vom 5.7.2005 im Laufe dieses Klageverfahrens zurück und stellte stattdessen fest, dass der Kläger im streitigen Zeitraum als Beschäftigter der Versicherungspflicht in der Kranken-, Pflege- (ab 1.1.1995), und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung unterlegen habe (Bescheid vom 24.7.2007; Widerspruchsbescheid vom 30.8.2007). Das SG Berlin behandelte den Rechtsstreit daraufhin als erledigt, weil er durch ein von der (hiesigen) Beigeladenen zu 1. angenommenes "Anerkenntnis" der Beklagten beendet worden sei.

3

Die sodann vom Kläger gegen Rücknahmebescheid und Widerspruchsbescheid der Beklagten beim SG Speyer erhobene Klage ist in erster und zweiter Instanz erfolglos geblieben (Urteil des SG vom 27.11.2009; Urteil des LSG vom 17.2.2011). Das LSG hat darauf abgestellt, dass die Beklagte den Bescheid vom 5.7.2005 nach § 45 SGB X habe zurücknehmen dürfen, weil er von Anfang an wegen der Beurteilung der Tätigkeit des Klägers als selbstständig rechtswidrig gewesen sei. Der Kläger könne sich mit Blick auf § 49 SGB X nicht mit Erfolg auf Vertrauensschutz berufen. Die Anfechtungsklage der Beigeladenen zu 1. gegen den mit einer unzutreffenden Rechtsbehelfsbelehrung versehenen Bescheid sei rechtzeitig erhoben worden, da für die Beigeladene gem § 66 Abs 2 S 1 SGG eine Frist von einem Jahr seit der ihr gegenüber am 23.2.2006 erfolgten Bekanntgabe des Bescheides vom 5.7.2005 gegolten habe. Diese Regelung sei nicht nach den Grundsätzen von Treu und Glauben oder wegen Verwirkung unanwendbar. Insoweit reiche es nicht aus, dass die Einzugsstellen Rentenversicherungsträgern bei Entscheidungen über die Versicherungspflicht üblicherweise keine Rechtsbehelfs- bzw Rechtsmittelbelehrung erteilten, selbst wenn diese Verfahrensweise zwischen den beteiligten Sozialversicherungsträgern ausdrücklich so vereinbart worden sei. Dies begegne zwar Bedenken, jedoch müsse die Nichtanwendung von § 66 Abs 2 S 1 SGG auf besondere, hier nicht vorliegende Ausnahmefälle beschränkt bleiben. Es sei auch unschädlich, dass die Beklagte kein Rücknahmeermessen ausgeübt habe. In Verfahren, in denen es um die Feststellung von Versicherungspflicht gehe, sei das Ermessen der Einzugsstelle hinsichtlich der Rücknahme eines rechtswidrigen Bescheides regelmäßig auf Null reduziert. Vertrauensschutzgesichtspunkte, die eine andere Entscheidung rechtfertigen könnten, seien nicht ersichtlich.

4

Mit seiner Revision wendet sich der Kläger gegen die vorinstanzlichen Urteile. Er rügt sinngemäß eine Verletzung der §§ 45, 49 SGB X durch das LSG und macht Verfahrensmängel geltend. Die Rücknahme des Bescheides vom 5.7.2005 durch die Beklagte sei - entgegen der Ansicht des LSG - rechtswidrig gewesen, weil sich die Beklagte zu Unrecht auf dessen angeblich fehlende Bestandskraft berufe und die gesetzlichen Rücknahmevoraussetzungen nicht vorlägen. Zunächst habe sich die Drittanfechtung des Bescheides vom 5.7.2005 durch die Beigeladene zu 1. - unter dem Blickwinkel der Klagebefugnis - zulässig nur auf die Rentenversicherungspflicht beziehen können. Zudem habe die Beigeladene zu 1. ihre Klage verspätet erhoben, weil als Beginn für die einmonatige Klagefrist der Zugang des Erstattungsantrags vom 18.8.2005 bei der Beklagten entscheidend sei. Die Jahresfrist des § 66 Abs 2 SGG gelte nicht, weil sich die Beigeladene zu 1. nicht darauf berufen dürfe, dass die Rechtsbehelfsbelehrung des Bescheides vom 5.7.2005 falsch gewesen sei. Sie habe in einer "Gemeinsamen Verlautbarung zur Behandlung von Beitragsbescheiden durch die am gemeinsamen Beitragseinzug beteiligten Versicherungsträger vom 29.3.2001" und in einem "Rundschreiben an die Leistungsabteilungen von März 2006" ausdrücklich auf die Erteilung einer Rechtsbehelfsbelehrung verzichtet und den Mangel einer fehlerhaften Rechtsbehelfs- bzw Rechtsmittelbelehrung auf diese Weise selbst herbeigeführt. Die Beigeladene zu 1. sei deshalb hier mit einem Anfechtungsrecht ausgeschlossen. Sie habe spätestens am 23.2.2006 Kenntnis von den Umständen des Falles erlangt, sich dann aber gleichwohl mit ihrer Klage ca ein Jahr Zeit gelassen. Die Beklagte habe auch ihr Aufhebungsermessen fehlerhaft ausgeübt, weil sie das Verhalten der Versicherungsträger gänzlich unberücksichtigt gelassen habe. Insgesamt sehe er (der Kläger) sich "arglistiger Behördenwillkür" ausgesetzt. Dem LSG seien zudem Verfahrensfehler anzulasten.

5

Der Kläger beantragt sinngemäß,
die Urteile des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 17. Februar 2011 und des Sozialgerichts Speyer vom 27. November 2009 sowie den Bescheid der Beklagten vom 24. Juli 2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30. August 2007 aufzuheben.

6

Die Beklagte und die Beigeladenen zu 1. und zu 2. beantragen sinngemäß,
die Revision des Klägers zurückzuweisen.

7

Sie verteidigen das Urteil des LSG, ebenso die Beigeladene zu 4.

8

Die Beigeladene zu 3. hat sich nicht geäußert.

9

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt (§ 165 S 1, § 153 Abs 1, § 124 Abs 2 SGG).

Entscheidungsgründe

10

Die zulässige Revision des Klägers ist begründet. Die Urteile der Vorinstanzen können ebenso wie die angefochtenen Bescheide keinen Bestand haben.

11

Zu Unrecht hat das SG die Anfechtungsklage abgewiesen und hat das LSG die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Der Bescheid der beklagten Krankenkasse vom 24.7.2007 und der Widerspruchsbescheid vom 30.8.2007, die sie in ihrer Eigenschaft als Einzugsstelle erließ und welche allein den Streitgegenstand des Revisionsverfahrens bilden, erweisen sich als rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten. Die Bescheide sind - entgegen den Ausführungen in den vorinstanzlichen Urteilen - rechtswidrig, weil die Beklagte ihren ursprünglichen Bescheid vom 5.7.2005, der die Versicherungspflicht des Klägers als Beschäftigter in den Zweigen der Sozialversicherung ab 1.7.1986 verneinte (wegen dessen anzunehmender Selbstständigkeit), nicht in Einklang mit dem Recht zurücknahm.

12

1. Die mit den angefochtenen Bescheiden der Beklagten erfolgte Rücknahme ihres Bescheides vom 5.7.2005 ist rechtswidrig.

13

Dabei kann offenbleiben, ob dieser ursprüngliche Bescheid rechtswidrig oder rechtmäßig war, weil sich die Beklagte für die Rücknahme des Bescheides - bei unterstellter Rechtswidrigkeit - jedenfalls zu Unrecht auf § 45 Abs 1 SGB X stützte; denn sie ließ in den angefochtenen Bescheiden die für die Rücknahme rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakte geltenden und hier einschlägigen Einschränkungen nach § 45 Abs 2 bis 4 SGB X unbeachtet(dazu a). Die Nichtheranziehung dieser Einschränkungen lässt sich entgegen der Ansicht des LSG nicht auf § 49 SGB X stützen; dies beruht darauf, dass die von der Beigeladenen zu 1. (Rentenversicherungsträger) gegen den Bescheid der Beklagten vom 5.7.2005 vor dem SG Berlin (erst) am 19.2.2007 erhobene Klage unzulässig war (dazu im Einzelnen b). Die Unzulässigkeit resultierte daraus, dass die Klage über die - die Belange der Beigeladenen zu 1. allein berührende - Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung hinaus auch die Versicherungspflicht in den anderen Zweigen der Sozialversicherung betraf; ferner war die beim SG Berlin von der Beigeladenen zu 1. erhobene Klage verfristet, mit der Folge, dass die Regelungen des § 45 Abs 2 bis 4 SGB X nicht wegen § 49 SGB X zu Lasten des Klägers suspendiert waren.

14

a) Das LSG hat im Ausgangspunkt zu Recht § 45 Abs 1 SGB X als Rechtsgrundlage für die angefochtenen Bescheide herangezogen.

15

Danach darf ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden, soweit er rechtswidrig ist, allerdings nur unter den Einschränkungen der Abs 2 bis 4 des § 45 SGB X. Gemäß § 49 SGB X gelten jedoch ua § 45 Abs 1 bis 4 SGB X nicht, wenn ein begünstigender Verwaltungsakt, der von einem Dritten angefochten worden ist, während des Vorverfahrens oder während des sozial- oder verwaltungsgerichtlichen Verfahrens aufgehoben wird, soweit dadurch dem Widerspruch abgeholfen oder der Klage stattgegeben wird. Auch wenn nach dem Wortlaut von § 49 SGB X auch Abs 1 des § 45 SGB X ebenfalls von dessen Geltung ausgenommen ist, nimmt die Rechtsprechung des BSG an, dass § 45 Abs 1 SGB X gleichwohl Rechtsgrundlage für die Rücknahme rechtswidriger begünstigender Bescheide in Drittwiderspruchs- und -klagefällen bleibt, und durch § 49 SGB X lediglich die Prüfung der Vertrauensschutz- und Fristvorschriften(§ 45 Abs 2 bis 4 SGB X) ausgeschlossen wird (vgl BSGE 84, 136, 145 = SozR 3-2400 § 28h Nr 9 S 38; BSG SozR 4-2600 § 243 Nr 4 RdNr 61 mwN). Dem folgt auch der erkennende Senat.

16

b) Entgegen der Auffassung des LSG greifen im vorliegenden Fall zugunsten des Klägers die in § 45 Abs 2 bis 4 SGB X geregelten Einschränkungen ein. Diese sind hier nicht durch die Anwendung von § 49 SGB X ausgeschlossen.

17

aa) Zwar wurde der ursprüngliche Bescheid der Beklagten vom 5.7.2005 von der Beigeladenen zu 1. - die als Rentenversicherungsträger Dritter im Sinne dieser Vorschrift sein kann (vgl BSGE 84, 136, 139 = SozR 3-2400 § 28h Nr 9 S 31)- durch die am 19.2.2007 zum SG Berlin erhobene Klage angefochten. Zu den Voraussetzungen für das Eingreifen des § 49 SGB X und die einschränkungslose Möglichkeit zur Rücknahme eines vorangegangenen Bescheides gehört es allerdings auch, dass die Anfechtung des zurückgenommenen Bescheides mittels Widerspruch oder Klage überhaupt die gesetzlichen Zulässigkeitsanforderungen erfüllt(vgl zB BSGE 84, 136, 143 = SozR 3-2400 § 28h Nr 9 S 35; BSGE 89, 119, 120 = SozR 3-3870 § 2 Nr 2 S 10 mwN). Daran fehlte es hier, denn die Klage der Beigeladenen zu 1. war unzulässig.

18

bb) Die Unzulässigkeit der von der Beigeladenen zu 1. beim SG Berlin erhobenen Anfechtungsklage folgt hinsichtlich der Frage der Versicherungspflicht des Klägers in der gesetzlichen Kranken- und sozialen Pflegeversicherung sowie im Recht der Arbeitsförderung bereits daraus, dass sie als Rentenversicherungsträger gegen einen Verwaltungsakt der Einzugsstelle gemäß § 28h Abs 2 S 1 SGB IV nur hinsichtlich ihres eigenen sachlichen Zuständigkeitsbereichs, dh hinsichtlich der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung klagebefugt war(vgl BSG Urteil vom 28.9.2011 - USK 2011, 124; BSGE 84, 136, 139 = SozR 3-2400 § 28h Nr 9 S 31).

19

cc) Die Klage der Beigeladenen zu 1. war darüber hinausgehend hinsichtlich der Versicherungspflicht in gesetzlichen Rentenversicherung unzulässig, weil sie nicht den Anforderungen von § 87 Abs 1 S 1, §§ 66, 67, 78 Abs 1 S 2 Nr 3 SGG entsprechend fristgemäß erhoben wurde.

20

(1) Ob die Klage eines von einem Verwaltungsakt betroffenen Dritten innerhalb einer bestimmten Frist erhoben werden muss, richtet sich zunächst danach, ob ihm der Verwaltungsakt überhaupt bekannt gegeben wurde (vgl zB BSGE 34, 211, 213 = SozR Nr 14 zu § 242 BGB S Aa7; Waschull in Diering/Timme/Waschull, LPK-SGB X, 3. Aufl 2011, § 36 RdNr 9; zur vergleichbaren Vorschrift des § 58 Abs 2 VwGO vgl BVerwGE 44, 294, 296 mwN; Kopp/Schenke, VwGO, 19. Aufl 2013, § 58 RdNr 17). Ist der Verwaltungsakt dem Dritten nicht bekannt gegeben worden, so kommt auch eine analoge Anwendung der Vorschriften über die einzuhaltende Rechtsbehelfsfrist nicht in Betracht. Der von einem Dritten eingelegte Rechtsbehelf kann in einem solchen Fall gleichwohl unzulässig sein, soweit er seine Befugnis zur Einlegung des Rechtsbehelfs verwirkt hat (vgl BVerfGE 32, 305, 308; BVerfG Beschluss vom 28.3.2006 - 1 BvR 1127/04 - Juris RdNr 2; BVerfG Beschluss vom 27.12.2012 - 1 BvR 2862/11, 1 BvR 21 BvR 2046/12 - Juris RdNr 3; BSGE 34, 211, 213 = SozR Nr 14 zu § 242 BGB S Aa7; BSGE 51, 260, 262 = SozR 2200 § 730 Nr 2 S 4; BVerwGE 44, 339, 343; BVerwG Urteil vom 10.8.2000 - 4 A 11/99 - DVBl 2000, 1862; BVerwG Urteil vom 27.7.2005 - 8 C 15/04 - NVwZ 2005, 1334). Dieselbe Rechtsfolge gilt hier ausgehend von den vom LSG festgestellten, nicht mit Revisionsrügen angegriffenen und daher für den Senat bindenden Umständen (vgl § 163 SGG) in Bezug auf die Einhaltung einer in Gang gesetzten gesetzlichen Rechtsbehelfs- bzw Klagefrist (dazu näher unten <4>).

21

Der ursprüngliche Bescheid der Beklagten vom 5.7.2005 wurde der Beigeladenen zu 1. am 23.2.2006 bekannt gegeben. Nach den Feststellungen des LSG ging an diesem Tag das Schreiben der Beklagten zusammen mit dem Erstattungsantrag des Klägers sowie einer Kopie des Bescheides vom 5.7.2005 bei der Beigeladenen zu 1. ein. Die Bekanntgabe durch Übersendung einer Kopie des betreffenden Bescheides an den Dritten reicht grundsätzlich aus (vgl BSGE 101, 234 = SozR 4-1300 § 44 Nr 17, RdNr 24 mwN).

22

Es kann offenbleiben, ob im vorliegenden Fall der Eingang der Kopie des ursprünglichen Bescheides der Beklagten am 23.2.2006 den Beginn der Frist für die von der Beigeladenen zu 1. erhobene Klage markiert oder ob hierfür im Hinblick auf die durch eine - unten näher zu thematisierende - "Gemeinsame Verlautbarung" fixierte, ständige Verwaltungspraxis der Beklagten und der Beigeladenen zu 1. ein früherer, fiktiver Fristbeginn zB unter Zugrundelegung einer auf § 37 Abs 1 S 1 SGB X zu stützenden Bekanntgabe anzunehmen ist(zur grundsätzlichen Pflicht der Einzugsstelle zur Bekanntgabe an alle Beteiligten vgl bereits BSGE 84, 136, 146 = SozR 3-2400 § 28h Nr 9 S 38 f). Jedenfalls war die Klagefrist selbst unter Zugrundelegung des 23.2.2006 als Fristbeginn für die am 19.2.2007 erhobene Klage der Beigeladenen zu 1. abgelaufen. Die Beigeladene zu 1. konnte und kann sich nämlich nicht auf die Geltung der Jahresfrist nach § 66 Abs 2 S 1 SGG berufen, weil ihr die Unrichtigkeit der Rechtsbehelfsbelehrung im ursprünglichen Bescheid der Beklagten vom 5.7.2005 entgegenzuhalten ist (dazu im Folgenden <2> bis <6>).

23

(2) Gemäß § 87 Abs 1 S 1 SGG ist die Klage binnen eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsakts zu erheben. Nach § 66 Abs 1 SGG beginnt die Frist für ein Rechtsmittel oder einen anderen Rechtsbehelf allerdings nur dann zu laufen, wenn der Beteiligte über den Rechtsbehelf, die Verwaltungsstelle oder das Gericht, bei denen der Rechtsbehelf anzubringen ist, den Sitz und die einzuhaltende Frist schriftlich oder elektronisch belehrt worden ist. Ist die Belehrung unterblieben oder unrichtig erteilt, so ist die Einlegung des Rechtsbehelfs gemäß § 66 Abs 2 S 1 SGG nur innerhalb eines Jahres seit Zustellung, Eröffnung oder Verkündung zulässig, außer wenn die Einlegung vor Ablauf der Jahresfrist infolge höherer Gewalt unmöglich war oder eine schriftliche oder elektronische Belehrung dahin erfolgt ist, dass ein Rechtsbehelf nicht gegeben sei. In Fällen der Anfechtung eines Verwaltungsakts durch einen Dritten ist die Richtigkeit der Rechtsbehelfsbelehrung im Hinblick auf die Rechtssphäre des Dritten zu beurteilen (vgl BVerwG, NJW 2010, 1686).

24

Die im ursprünglichen Bescheid der Beklagten vom 5.7.2005 enthaltene Rechtsbehelfsbelehrung ("Gegen diesen Bescheid kann innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe schriftlich oder zur Niederschrift bei der Barmer Ersatzkasse, Berliner Platz 1, 67001 Ludwigshafen Widerspruch erhoben werden") ist - bezogen auf die Beigeladene zu 1. - inhaltlich unrichtig, da es gemäß § 78 Abs 1 S 2 Nr 3 SGG eines Vorverfahrens ua dann nicht bedarf, wenn ein Versicherungsträger klagen will(vgl hierzu näher BSG SozR 3-1500 § 87 Nr 1 S 4). Da die Rechtsbehelfsbelehrung inhaltlich unrichtig war, stellt sich vorliegend nicht das Problem, was bei einer an sich inhaltlich richtigen Rechtsbehelfsbelehrung zu gelten hat, die aufgrund ihrer adressatenbezogenen Formulierung von einem Dritten dahingehend missverstanden werden konnte, die Belehrung gelte für ihn nicht (vgl hierzu BVerwG Beschluss vom 7.7.2008 - DÖV 2008, 962; BVerwG Beschluss vom 11.3.2010 - NJW 2010, 1686).

25

(3) Für die Klage der Beigeladenen zu 1. galt zwar aufgrund der inhaltlich unrichtigen Rechtsbehelfsbelehrung grundsätzlich die Jahresfrist gemäß § 66 Abs 2 S 1 SGG(hierzu allgemein auch BSGE 84, 136, 145 = SozR 3-2400 § 28h Nr 9 S 37; BSG Urteil vom 28.9.2011 - B 12 KR 15/10 R - USK 2011, 124 = Juris RdNr 18). In diesem Zusammenhang ist es grundsätzlich unbeachtlich, ob der Betroffene selbst die Unrichtigkeit erkannt hat. Es bedarf nämlich an sich keines Kausalzusammenhangs zwischen fehlerhafter Belehrung und unterbliebenem bzw nicht fristgemäß eingelegtem/erhobenem Rechtsbehelf/Rechtsmittel (vgl zur vergleichbaren Vorschrift in § 58 VwGO BVerwGE 25, 191, 193 f; BVerwGE 37, 85, 86 f; BVerwGE 81, 81, 84; BVerwG, Beschluss vom 24.9.1992 - Buchholz 310 § 58 VwGO Nr 60; Czybulka in Sodan/Ziekow, VwGO, 3. Aufl 2010, § 58 RdNr 74; Kopp/Schenke, VwGO, 19. Aufl 2013, § 58 RdNr 1; Redeker/von Oertzen, VwGO, 15. Aufl 2010, § 58 RdNr 15a). Darauf, dass ein Sozialversicherungsträger die Rechtsbehelfs- und Rechtsmittelfristen kennt bzw kennen muss, kommt es daher nicht an (aA für § 66 Abs 2 S 1 SGG LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 5.4.2011 - L 11 KR 965/09 - Juris RdNr 37).

26

(4) Von dem fehlenden Erfordernis eines Kausalzusammenhangs zwischen unrichtiger Rechtsbehelfsbelehrung und der "verspäteten" Einlegung eines Rechtsbehelfs ist jedoch vor dem Hintergrund systematischer Gesichtspunkte, des Sinn und Zwecks von § 66 Abs 2 S 1 SGG und des Gebots redlichen prozessualen Verhaltens jedenfalls dann eine Ausnahme zu machen, wenn - wie vorliegend die Beigeladene zu 1. - ein Sozialversicherungsträger gegen einen Verwaltungsakt eines anderen Sozialversicherungsträgers klagt und dem klagenden Träger entgegenzuhalten ist, dass die dem Verwaltungsakt beigefügte Rechtsbehelfsbelehrung unrichtig ist.

27

(a) Die nach § 66 Abs 2 S 1 SGG für die Erhebung einer Klage geltende Jahresfrist stellt nach der Systematik der Anfechtungsfristen nicht die Regel, sondern die Ausnahme dar. Von einem Sozialversicherungsträger kann und muss nicht zuletzt aufgrund seiner Bindung an Gesetz und Recht nach Art 20 Abs 3 GG erwartet werden, dass er Verwaltungsakte nicht nur - wie von § 36 SGB X ausdrücklich vorgesehen - überhaupt mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versieht, sondern dass diese auch inhaltlich zutreffend ist. Dies gilt auch und gerade in den vorliegenden Fällen der Feststellung von Versicherungspflicht durch die Krankenkassen als Einzugsstellen gemäß § 28h Abs 2 S 1 SGB IV. Die Betroffenheit anderer, potentiell klageberechtigter Dritter ist bei der zu treffenden Entscheidung stets immanent und strukturell angelegt, weil die Krankenkassen als nach § 28i S 1 SGB IV zuständige Einzugsstellen kraft gesetzlicher Anordnung über die Versicherungspflicht in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung entscheiden, und dabei notwendigerweise gleichermaßen über die Sphäre des direkten Adressaten hinaus in die Sphäre Dritter rechtsgestaltend eingreifen.

28

(b) Wie bereits im Zusammenhang mit der Möglichkeit der Verwirkung der Befugnis zur Einlegung eines Rechtsbehelfs bei fehlender Bekanntgabe eines Verwaltungsakts dargestellt (oben <1>), muss sich auch die Ausübung prozessualer Befugnisse am Gebot von Treu und Glauben messen lassen. Prozessuale Befugnisse können daher verwirkt sein, wenn die verspätete Geltendmachung eines Anspruchs gegen Treu und Glauben verstößt, dh wenn ein gewisser Zeitraum verstrichen ist (Zeitmoment) und der Berechtigte unter Verhältnissen untätig bleibt, unter denen vernünftigerweise etwas zur Wahrung von Ansprüchen unternommen wird (Umstandsmoment); erst durch die Kombination beider Elemente wird eine Situation geschaffen, auf die der jeweilige Gegner vertrauen, sich einstellen und einrichten darf (zum Ganzen vgl zB Palandt/Grüneberg, BGB, 72. Aufl 2013, § 242 RdNr 93 ff mwN). Weiterhin ist bei der Verwirkung prozessualer Befugnisse im öffentlichen Recht zu berücksichtigen, dass es nicht nur ein schutzwürdiges Vertrauen des Adressaten auf das Untätigbleiben eines Anfechtungsberechtigten rechtfertigen kann, die Anrufung eines Gerichts erst nach langer Zeit als unzulässig anzusehen, sondern auch ein öffentliches Interesse an der Erhaltung des Rechtsfriedens (vgl grundlegend BVerfGE 32, 305, 308 f mwN).

29

(c) Vor diesem Hintergrund macht der Kläger zu Recht geltend, dass in Fallkonstellationen der vorliegenden Art aufgrund des Verhaltens der betroffenen Sozialversicherungsträger von einer Verwirkung prozessualer Rechte ausgegangen werden muss, soweit sich drittbetroffene Träger darauf berufen, noch innerhalb der Jahresfrist des § 66 Abs 2 SGG Klage gegen Bescheide der Einzugsstelle über den versicherungsrechtlichen Status eines Erwerbstätigen erheben zu dürfen, die ihnen nicht sogleich im Zusammenhang mit dem Erlass solcher Bescheide bekannt gegeben wurden, sondern von denen sie erst zu einem späteren Zeitpunkt Kenntnis erlangten. Insoweit besteht nämlich eine Verwaltungspraxis, die eine Verkürzung von Rechten derjenigen bewirkt, deren Sozialversicherungs- und/oder Beitragspflicht zu beurteilen ist. Die im Folgenden beschriebenen, zwischen den Versicherungsträgern verabredete und betätigte Verwaltungspraxis ist, soweit sie den hier vorliegenden Zusammenhang der Anfechtung von Bescheiden der Einzugsstellen durch Fremdversicherungsträger betrifft, mit dem Recht nicht in Einklang zu bringen.

30

Manifestiert wird dies durch vom LSG zu den Gerichtsakten genommenen Unterlagen, auf die es auch in seinem Urteil ausdrücklich Bezug genommen hat: Die Spitzenorganisationen der Sozialversicherungsträger (ua der Arbeiter-Ersatzkassen-Verband eV, der Verband der Angestellten-Krankenkassen eV, der Verband Deutscher Rentenversicherungsträger sowie die Bundesversicherungsanstalt für Angestellte ) kamen danach in einer "Gemeinsame(n) Verlautbarung zur Behandlung von Beitragsbescheiden durch die am gemeinsamen Beitragseinzug beteiligten Versicherungsträger" vom 29.3.2001, die nach dem einleitenden Klassifizierungsvermerk ausdrücklich "nur für den Dienstgebrauch bei den am gemeinsamen Beitragseinzug beteiligten Versicherungsträgern bestimmt" sein sollte, überein, Fälle der vorliegenden Art verwaltungstechnisch in einer Art zu behandeln, die keine uneingeschränkte Entsprechung in den gesetzlichen Vorschriften des Sozialverwaltungsverfahrensrechts findet. Obwohl die "Gemeinsame Verlautbarung" ausdrücklich das - ihren Inhalt vermeintlich billigende - Urteil des Senats vom 1.7.1999 (BSGE 84, 136 = SozR 3-2400 § 28h Nr 9) erwähnt, sind die von den Spitzenverbänden getroffenen Abreden auch mit den Entscheidungsgründen dieses Urteils nicht in Einklang zu bringen.

31

Die Verlautbarung hat ua folgenden Inhalt:

        

"1 Allgemeines

        

Ein Beitragsbescheid über Versicherungspflicht, Versicherungsfreiheit oder eine nicht bestehende Versicherungspflicht stellt in der Regel einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung dar, der als begünstigender Verwaltungsakt nach § 45 Abs. 3 SGB X grundsätzlich nur bis zum Ablauf von zwei Jahren nach seiner Bekanntgabe zurückgenommen werden kann. Nach Ablauf von zwei Jahren kann ein solcher Verwaltungsakt nur unter den Voraussetzungen des § 45 Abs. 3 Sätze 2 und 3 SGB X aufgehoben werden.

        

Der Träger der Rentenversicherung kann im Rahmen der Betriebsprüfung, die allgemein nur alle vier Jahre stattfindet, somit einen von der Einzugsstelle vor mehr als zwei Jahren erlassenen (fehlerhaften) begünstigenden Verwaltungsakt mit Dauerwirkung in der Regel nicht mehr aufheben.

        

Der durch den Beitragsbescheid beschwerte Fremdversicherungsträger ist aber befugt, den Verwaltungsakt anzufechten, um dessen Rücknahme nach Maßgabe des § 49 SGB X zu erwirken.

        

Die Anfechtungsfristen laufen für jeden Beteiligten - Arbeitgeber, Arbeitnehmer und Versicherungsträger - gesondert von der Bekanntgabe des Bescheides bzw. der Zustellung des Widerspruchsbescheides an (vgl. Urteile des Bundessozialgerichts vom 1.7.1999 - B 12 KR 2/99 R - m.w.N., USK 9939). Für die den Beteiligten mit Rechtsbehelfsbelehrung bekannt gegebenen Beitragsbescheide gilt eine Anfechtungsfrist von einem Monat. Bei Erlass eines nicht mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehenen Bescheides, der den Beteiligten zu unterschiedlichen Zeiten bekannt gegeben, aber noch innerhalb der Jahresfrist angefochten wird, ist § 49 SGB X anzuwenden. Allerdings unterliegt der den Verwaltungsakt erlassende Versicherungsträger nach Meinung des Bundessozialgerichts grundsätzlich der Pflicht, seinen Beitragsbescheid mit einer Rechtsbehelfsbelehrung zu versehen und allen Beteiligten gleichzeitig bekannt zu geben, um Unsicherheiten unter den Beteiligten, vor allem beim Arbeitgeber, in Grenzen zu halten. Sofern dies nicht geschieht, können Schadenersatzansprüche des Arbeitgebers in Frage kommen, wenn später Beiträge nachgefordert werden und anschließend auf Grund von § 28g SGB IV die Arbeitnehmeranteile nicht mehr einbehalten werden können.

        

       

        

3 Bekanntgabe des Beitragsbescheides gegenüber dem betroffenen Fremdversicherungs-
 träger

        

Ein Beitragsbescheid kann von dem Fremdversicherungsträger nur dahingehend überprüft werden, ob der Bescheid in sich logisch und richtig ist. Ob ein Beitragsbescheid der tatsächlichen Sach- und Rechtslage entspricht, könnte der Fremdversicherungsträger nur dann prüfen, wenn ihm alle zur Entscheidungsfindung notwendigen Unterlagen übersandt würden und er ggf. ergänzende Ermittlungen zum Sachverhalt vornähme. Zu solchen ergänzenden Ermittlungen sind die Rentenversicherungsträger im Beitragsverfahren aber nur im Rahmen der Betriebsprüfung und die Bundesanstalt für Arbeit überhaupt nicht ermächtigt.

        

Auf Grund der Zuständigkeitszuweisungen und Ermächtigungsnormen im Beitragsrecht gilt deshalb folgender Grundsatz:

        

Der einen Beitragsbescheid erlassende Versicherungsträger übersendet dem beteiligten Fremdversicherungsträger - ungeachtet des § 37 Abs. 1 SGB X - diesen Bescheid nur dann, wenn

        

-       

dies im Gesetz ausdrücklich vorgeschrieben ist oder

        

-       

die Übersendung auf Grund der Rechtsstellung des Fremdversicherungsträgers (als Einzugsstelle oder Prüfinstitution) erforderlich ist oder

        

-       

der Fremdversicherungsträger, der Arbeitgeber oder Arbeitnehmer dies ausdrücklich verlangt.

        

Gegenüber dem Fremdversicherungsträger soll grundsätzlich keine Rechtsbehelfsbelehrung erteilt werden.

        

       

        

3.2 Übersendung von Beitragsbescheiden an den Träger der Rentenversicherung

        

Die Einzugsstelle übersendet dem Träger der Rentenversicherung eine Mehrfertigung des Beitragsbescheides nur dann, wenn

        

-       

der Bescheid von der in gemeinsamen Verlautbarungen, Rundschreiben, Grundsätzen oder Niederschriften vertretenen Auffassung des Verbandes Deutscher Rentenversicherungsträger abweicht
oder

        

-       

der zuständige Rentenversicherungsträger im Einzelfall bzw. zu besonderen Fallgestaltungen die Übersendung verlangt oder

        

-       

der Arbeitgeber oder Arbeitnehmer die Übersendung im Einzelfall ausdrücklich verlangt.

        

       

        

Die Übersendung soll zeitgleich mit der Bekanntgabe des Bescheides gegenüber dem Arbeitgeber und Arbeitnehmer vorgenommen werden.

        

4 Abstimmung der Rechtsauffassung unter den Versicherungsträgern vor Erteilung eines
 Beitragsbescheides

        

In besonders schwierigen Fällen (Ausnahmefällen), in denen nach umfassender Sachaufklärung durch den für die Entscheidung zuständigen Versicherungsträger

        

-       

zur versicherungsrechtlichen Beurteilung unterschiedliche Auffassungen vermutet werden (z.B. weil nach dem Sachverhalt die Kriterien für eine selbständige Tätigkeit und eine abhängige Beschäftigung in etwa gleichgewichtig erfüllt sind)
und

        

-       

auf Versicherungsfreiheit oder eine nicht bestehende Versicherungspflicht entschieden werden soll,

        

 kann die Einzugsstelle bzw. der Rentenversicherungsträger vor der Erteilung des Beitragsbescheides eine mit dem beteiligten Fremdversicherungsträger abgestimmte Entscheidung herbeiführen. Im Abstimmungsverfahren sollen dem Fremdversicherungsträger der Entwurf des beabsichtigten Beitragsbescheides und die entscheidungsbegründenden Unterlagen in Ablichtung zur Stellungnahme vorgelegt werden.

        

Zuständiger Fremdversicherungsträger ist

        

-       

die Einzugsstelle, die zuletzt bzw. aktuell gewählt wurde oder die kraft Gesetzes zuständig ist (§ 28i SGB IV)

        

-       

der für die Prüfung des Arbeitgebers verantwortliche Rentenversicherungsträger,

        

-       

das Landesarbeitsamt, in dessen Bezirk die Stelle (z.B. Geschäftsstelle der Einzugsstelle) ihren Sitz hat, die den Beitragsbescheid erlassen will.

        

       

        

5 Anfechtung von Beitragsbescheiden durch den Fremdversicherungsträger

        

Die Fremdversicherungsträger verzichten auf die Anfechtung von (fehlerhaften) Beitragsbescheiden, die

        

-       

gegenüber dem Arbeitgeber und dem Arbeitnehmer bereits bestandskräftig geworden sind

                 

und     

        

-       

dem Fremdversicherungsträger gemäß dieser Verlautbarung nicht zu übersenden waren.

        

Dies gilt sowohl für die mit als auch für die ohne Rechtsbehelfsbelehrung versehenen Beitragsbescheide.

        

Der allgemeine Anfechtungsverzicht erstreckt sich somit nicht auf Beitragsbescheide, die dem Fremdversicherungsträger entgegen Abschnitt 3.1 bis 3.3 nicht oder im Wesentlichen nicht zeitgleich übersandt wurden. Der allgemeine Anfechtungsverzicht erstreckt sich auch nicht auf Fälle, in denen der Arbeitgeber oder der Arbeitnehmer den Fremdversicherungsträger zur Anfechtung des ihm gegenüber bestandskräftigen Beitragsbescheides veranlasst."

32

Die dargestellte Verlautbarung wurde später - zu einem Zeitpunkt nach Erlass des Bescheides der Beklagten vom 5.7.2005 - durch die "Gemeinsame Verlautbarung zur Behandlung von Verwaltungsakten (Beitragsbescheiden) durch die am gemeinsamen Beitragseinzug beteiligten Versicherungsträger" vom 21.11.2006 aktualisiert und leicht modifiziert, was unter Hinweis auf die "zwischenzeitlichen Vereinbarungen über die Abstimmung der Rechtsauffassung zur versicherungsrechtlichen Beurteilung von mitarbeitenden Ehegatten/Lebenspartner und GmbH-Gesellschaftern" erfolgte. Eine wesentliche Änderung der Verwaltungspraxis wurde dadurch nicht vereinbart. So wurde insbesondere der Begriff "Beitragsbescheid" durch "Verwaltungsakt" ersetzt. Darüber hinaus wurde ua Abschnitt 4 neu gefasst und ua eine Passage eingefügt, wonach in besonders problematischen Fällen, in denen die Einzugsstelle um Überprüfung des zum Teil langjährigen Versicherungsverhältnisses von beschäftigten Familienangehörigen bzw GmbH-Gesellschaftern angegangen wird und die Entscheidung möglicherweise auf das Vorliegen einer selbstständigen Tätigkeit und damit auf eine regelmäßig durch die Rentenversicherungsträger vorzunehmende Beitragserstattung hinauslaufen könnte, die Einzugsstelle unabhängig davon, ob ein Beitragserstattungsanspruch ganz oder teilweise verjährt war - vor einer abschließenden Entscheidung ihre begründete Auffassung mit dem für die Betriebsprüfung nach § 28p SGB IV zuständigen Rentenversicherungsträger abstimmen sollte. Abschnitt 3.2 wurde ebenfalls neu gefasst und enthielt seither ua eine Bestimmung, wonach die Einzugsstelle dem Träger der Rentenversicherung eine Mehrfertigung des Verwaltungsaktes nur dann übersendet, wenn … sie nach Anhörung des Rentenversicherungsträgers (vgl Abschnitt 4) eine von dessen Auffassung abweichende Entscheidung trifft.

33

Für die im vorliegenden Fall zu prüfende Frage, ob einer rechtzeitigen Klageerhebung durch die Beigeladene zu 1. als drittbetroffenem Versicherungsträger Verwirkungsgesichtspunkte entgegenstehen, sind die Abreden der Spitzenverbände der Sozialversicherungsträger - zu denen hier die zitierte "Gemeinsame Verlautbarung" ähnlich wie "Besprechungsergebnisse" gehört - mit zu würdigen. Dem steht nicht entgegen, dass die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit an derartige Abreden zwischen Sozialversicherungsträgern und ihren Verbänden nicht gebunden sind, da sie als bloße verwaltungsinterne Auslegungs- und Abgrenzungshilfen keine Rechtsnormqualität besitzen (vgl BSG SozR 3-2400 § 7 Nr 19 S 74). Denn aus dem Regelwerk ergeben sich für die Sozialversicherungsträger konkrete, in der Verwaltungspraxis umzusetzende Handlungsanweisungen, die auf die Betätigung einer solchermaßen von den Spitzenorganisationen verabredeten Verwaltungspraxis hindeuten und die an den gesetzlichen verwaltungsverfahrensrechtlichen Regelungen, die das Versicherungs- und Beitragsrecht ergänzen, zu messen sind. Die "Gemeinsame Verlautbarung" lässt damit Rückschlüsse auf tatsächliche Verwaltungsabläufe zu und ist in ihren Auswirkungen auch in Bezug auf die betroffenen privaten Rechtssubjekte wie den Kläger mit in den Blick zu nehmen.

34

Der Inhalt der - ihre Binnenbeziehungen betreffenden - "Gemeinsamen Verlautbarung" dokumentiert an mehreren Stellen ein konsensuales Vorgehen zwischen den Sozialversicherungsträgern, das gegen mehrere gesetzliche Bestimmungen des Sozialverwaltungsverfahrensrechts verstößt. Dies gilt insbesondere für den in Abschnitt 3 der Verlautbarung aufgestellten Grundsatz, wonach sich die Versicherungsträger bzw ihre Verbände für berechtigt halten, Verwaltungsakte über die Sozialversicherungspflicht "ungeachtet § 37 Abs 1 SGB X" anderen Sozialversicherungsträgern nicht - wie gesetzlich vorgesehen - stets, sondern "nur" in bestimmten Fällen bekannt zu geben. Die Abrede der Träger, dass Fremdversicherungsträgern keine Rechtsbehelfsbelehrung erteilt werden soll, ist zudem mit § 36 SGB X unvereinbar, wonach durch den Verwaltungsakt beschwerte Beteiligte über den dagegen möglichen Rechtsbehelf zu belehren sind. Auf die in Fällen der vorliegenden Art vermeintlich fehlende Beteiligteneigenschaft der Fremdversicherungsträger können sich die Sozialversicherungsträger nicht berufen (vgl § 12 Abs 1 Nr 4 iVm Abs 2 S 1 SGB X). In jedem Fall ist nach § 12 Abs 2 S 2 SGB X ein Dritter, für den der Ausgang des Verfahrens rechtsgestaltende Wirkung hat, als Beteiligter auf Antrag hinzuzuziehen; ist er der Behörde bekannt, hat sie ihn von der Einleitung des Verfahrens zu benachrichtigen. Indem die Spitzenorganisationen der Sozialversicherungsträger in Abschnitt 4 der "Gemeinsamen Verlautbarung" demgegenüber nur in "Ausnahmefällen" ein Abstimmungsverfahren mit Fremdversicherungsträgern vorsehen, bestehen Anhaltspunkte dafür, dass auch die Regelungen über die Hinzuziehung in § 12 SGB X planmäßig unterlaufen werden sollen. Schließlich sind die Regelungen der "Gemeinsamen Verlautbarung" nicht mit § 86 SGB X in Einklang zu bringen, wonach die Leistungsträger, ihre Verbände und die im SGB genannten öffentlich-rechtlichen Vereinigungen verpflichtet sind, bei der Erfüllung ihrer Aufgaben nach diesem Gesetzbuch eng zusammenzuarbeiten. Wie bereits dargelegt, ist die Betroffenheit anderer Sozialversicherungsträger im hier streitigen Komplex der Feststellung von Versicherungspflicht durch die Einzugsstellen gemäß § 28h Abs 2 S 1 SGB IV systematisch immanent und strukturell angelegt, weil die Krankenkassen als nach § 28i S 1 SGB IV zuständige Einzugsstellen kraft gesetzlicher Anordnung über die Versicherungspflicht in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung entscheiden. Der durch § 86 SGB X normierten Pflicht zur Zusammenarbeit tragen die Regelungen in der "Gemeinsamen Verlautbarung" schon deshalb nicht Rechnung, weil sie eine Beteiligung anderer Träger nicht - wie vom Gesetz vorgesehen - zur Regel, sondern zur Ausnahme machen.

35

Die von der Beklagten und der Beigeladenen zu 1. angeführten Gründe für die Beachtlichkeit und Unbedenklichkeit der Verwaltungspraxis, die in der "Gemeinsamen Verlautbarung" festgelegt ist, rechtfertigen keine Abweichung von den gesetzlichen Verfahrensvorschriften in § 12 Abs 2, § 36, § 37 Abs 1 S 1, § 86 SGB X.

36

Insoweit können sich die Sozialversicherungsträger auch nicht auf die zwischenzeitlich erfolgte Aufhebung des § 28h Abs 3 S 1 SGB IV stützen: Nach dieser bis 31.12.1995 geltenden Regelung hatten die Einzugsstellen darauf hinzuwirken, dass gegenüber dem Arbeitgeber eine abgestimmte Entscheidung ergeht, wenn zwischen den Einzugsstellen, den Trägern der Rentenversicherung oder der Bundesanstalt für Arbeit unterschiedliche Meinungen hinsichtlich des gleichen Sachverhalts bestehen (vgl dazu näher bereits BSGE 84, 136, 142 = SozR 3-2400 § 28h Nr 9 S 34). Nach den Gesetzesmaterialien erfolgte die Aufhebung dieser Regelung nämlich nur deshalb, weil sie in der Vergangenheit keine praktische Bedeutung erlangt hatte, zumal strittige Rechtsfragen und Zweifelsfälle aus der Praxis in Besprechungen aller am Beitragseinzug beteiligten Institutionen erörtert und einer Lösung zugeführt wurden; lasse sich eine Einigung nicht herbeiführen, so seien auch künftig Musterprozesse unvermeidbar (vgl Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Entwurf eines 3. SGB-ÄndG, BT-Drucks 13/1559 S 13 zu Art 1 Nr 2 Buchst c). Die Aufhebung des § 28h Abs 3 SGB IV aF aus den genannten Gründen rechtfertigt damit gerade nicht den Schluss, im Vorfeld einer Entscheidung der Einzugsstelle habe gar keine Beteiligung der anderen Sozialversicherungsträger mehr erfolgen sollen.

37

Schließlich kann der - gleichsam im Gegenzug zum Unterbleiben der Bekanntgabe eines Bescheides mit Rechtsbehelfsbelehrung - in Punkt 5 der "Gemeinsamen Verlautbarung" hervorgehobene Verzicht auf eine Anfechtung durch den Fremdversicherungsträger nicht zugunsten der Rechtmäßigkeit der verabredeten Verfahrensweise herangezogen werden. Zum einen enthält der Anfechtungsverzicht der drittbetroffenen Träger eine Vielzahl von Ausnahmen. Zum anderen können sich die Hauptadressaten eines Verwaltungsakts der Einzugsstelle über die Versicherungspflicht (idR der Selbstständige/Versicherte bzw dessen Arbeitgeber) umgekehrt gegenüber einem Fremdversicherungsträger auf der Grundlage geltenden Rechts regelmäßig nicht auf den praktizierten Anfechtungsverzicht berufen, weil es sich bei der Verlautbarung nur um eine bloße verwaltungsinterne Vereinbarung handelt, die ausdrücklich als "nur für den Dienstgebrauch" klassifiziert wurde und nicht dazu bestimmt und geeignet ist, Betroffenen außerhalb der Sphäre der Sozialverwaltung unmittelbar oder mittelbar Rechte mit Blick auf ein fehlendes Tätigwerden der drittbetroffenen Träger einzuräumen.

38

Es kann offenbleiben, ob die Unrichtigkeit der Rechtsbehelfsbelehrung im ursprünglichen Bescheid der Beklagten vom 5.7.2005 ausschließlich oder überwiegend auf die tatsächliche Anwendung der "Gemeinsamen Verlautbarung" zurückgeht. Jedenfalls haben weder die Beklagte noch die Beigeladene zu 1. im Verfahren geltend gemacht, dass die in der Verlautbarung getroffenen Abreden nicht oder nicht mehr ihrer tatsächlichen Verwaltungspraxis entsprächen, obwohl der Kläger hierzu wiederholt ausführlich vorgetragen hat. Das Verhalten der Beklagten, insbesondere die Unrichtigkeit der Rechtsbehelfsbelehrung in ihrem Bescheid vom 5.7.2005, ist der Beigeladenen zu 1. jedenfalls entgegenzuhalten, da sowohl der VDR als auch die BfA als Rechtsvorgänger der inzwischen neu geordneten Trägerschaft im Bereich der gesetzlichen Rentenversicherung zum hier betroffenen Zeitpunkt am Zustandekommen der "Gemeinsamen Verlautbarung" beteiligt waren.

39

(5) Auch die bisherige Rechtsprechung des Senats steht der dargestellten rechtlichen Würdigung nicht entgegen.

40

Zwar hat der Senat in seinem Urteil vom 1.7.1999 (BSGE 84, 136 = SozR 3-2400 § 28h Nr 9) für die Klage des Dritten die Jahresfrist des § 66 Abs 2 S 1 SGG angewandt, wenn dem angefochtenen Verwaltungsakt jede Rechtsbehelfsbelehrung fehlte. Eine dem vorliegenden Fall vergleichbare Sachverhaltskonstellation lag der seinerzeitigen Entscheidung jedoch nicht zugrunde, da die "Gemeinsame Verlautbarung" überhaupt erst als Reaktion auf dieses Urteil geschaffen wurde. Entgegen der im Berufungsverfahren von der Beigeladenen zu 1. geäußerten Rechtsauffassung hat sich das BSG bislang auch noch nicht mit den aus der "Gemeinsamen Verlautbarung" zu ziehenden Konsequenzen befasst. Die gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 23.7.2009 erhobene Beschwerde, auf die sie ua hinweist, wurde durch Beschluss vom 25.3.2010 (B 12 KR 75/09 B - unveröffentlicht) als unzulässig verworfen, weil die Klärungsfähigkeit der darin aufgeworfenen Rechtsfrage als Voraussetzung für den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) aufgrund der fehlenden Feststellungen zu der og "Gemeinsamen Verlautbarung" nicht iS von § 160a Abs 2 S 3 SGG hinreichend dargelegt worden war, sodass der Senat auf die sich nun stellende rechtliche Problematik inhaltlich gar nicht einzugehen hatte und auch nicht eingegangen ist

41

(6) Der Kläger musste folglich nicht damit rechnen, dass der ihm gegenüber nach Rücknahme seines Widerspruchs am 23.1.2006 bestandskräftig gewordene Bescheid vom 5.7.2005 noch ca eineinhalb Jahre nach seinem Erlass durch die Beigeladene zu 1. am 19.2.2007 angefochten werden würde. Vielmehr durfte er - im Sinne eines aus seiner Sicht bei verständiger Würdigung anzunehmenden Verwirkungsverhaltens - durchaus davon ausgehen, dass die Beklagte sich im Rahmen des damaligen Verwaltungsverfahrens gesetzeskonform verhielt, nämlich die Hinzuziehungsregelungen des § 12 SGB X, die Pflicht zur Erteilung einer allen Beteiligten und Betroffenen gegenüber inhaltlich zutreffenden Rechtsbehelfsbelehrung des § 36 SGB X sowie die Pflicht zur Bekanntgabe des Verwaltungsakts nach § 37 Abs 1 S 1 SGB X beachten würde und beachtet hatte.

42

c) Da sich die Beigeladene zu 1. nach alledem im Rahmen ihrer am 19.2.2007 vor dem SG Berlin erhobenen Klage auf die Jahresfrist nach § 66 Abs 2 S 1 SGG nicht berufen durfte, war ihre Klage somit - auch hinsichtlich der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung - verspätet und ihre seinerzeitige Klage insgesamt unzulässig. Daraus folgt - wie bereits oben unter b) aa) dargestellt -, dass die Beklagte bei der Rücknahme des Bescheides vom 5.7.2005 nicht unter Berufung auf § 49 SGB X von der Anwendung der in § 45 Abs 2 bis 4 SGB X genannten Voraussetzungen entbunden war. Die Beklagte unterließ es vielmehr rechtswidrig in ihrer zu Lasten des Klägers getroffenen Rücknahmeentscheidung, dessen Belange - insbesondere Vertrauensschutzaspekte - in den Blick zu nehmen und sodann das ihr dabei eingeräumte Rücknahmeermessen auszuüben; auch in der Folgezeit berief sie sich noch zu Unrecht darauf, hierzu wegen § 49 SGB X nicht verpflichtet gewesen zu sein. Dies führt zur Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides der Beklagten vom 24.7.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.8.2007, zur Verletzung von Rechten des Klägers und infolgedessen zu seiner Aufhebung. Demzufolge waren auch die entgegenstehenden vorinstanzlichen Urteile aufzuheben.

43

Dabei kann offenbleiben, ob eine Anwendung von § 49 SGB X in der vorliegenden Konstellation nicht ohnehin voraussetzt, dass der Kläger vor der auf § 45 Abs 1, § 49 SGB X gestützten Rücknahme eines ursprünglichen Verwaltungsakts zumindest zum Rechtsstreit des Dritten gegen die Anfechtung des Bescheides über die Feststellung des Nichtbestehens von Versicherungspflicht wegen Beschäftigung hätte beigeladen werden müssen(vgl hierzu allgemein BSG SozR 4100 § 141n Nr 18 S 46; Rieker, jurisPR-SozR 4/2011 Anm 5; Waschull in Diering/Timme/Waschull, LPK-SGB X, 3. Aufl 2011, § 49 RdNr 12: "idR") und ob auch im Rahmen von § 45 Abs 1, § 49 SGB X ein Aufhebungsermessen auszuüben ist(offengelassen bei BSG <13. Senat> SozR 4-2600 § 243 Nr 4 RdNr 60; bejahend: Schaer jurisPR-SozR 15/2011 Anm 6 mwN).

44

2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs 1 S 1 SGG.

(1) Die Revision ist bei dem Bundessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils oder des Beschlusses über die Zulassung der Revision (§ 160a Absatz 4 Satz 1 oder § 161 Abs. 3 Satz 2) schriftlich einzulegen. Die Revision muß das angefochtene Urteil angeben; eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des angefochtenen Urteils soll beigefügt werden, sofern dies nicht schon nach § 160a Abs. 1 Satz 3 geschehen ist. Satz 2 zweiter Halbsatz gilt nicht, soweit nach § 65a elektronische Dokumente übermittelt werden.

(2) Die Revision ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Urteils oder des Beschlusses über die Zulassung der Revision zu begründen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden verlängert werden. Die Begründung muß einen bestimmten Antrag enthalten, die verletzte Rechtsnorm und, soweit Verfahrensmängel gerügt werden, die Tatsachen bezeichnen, die den Mangel ergeben.

(1) Gegen das Urteil eines Landessozialgerichts und gegen den Beschluss nach § 55a Absatz 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundessozialgericht nur zu, wenn sie in der Entscheidung des Landessozialgerichts oder in dem Beschluß des Bundessozialgerichts nach § 160a Abs. 4 Satz 1 zugelassen worden ist.

(2) Sie ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs. 1 Satz 1 und auf eine Verletzung des § 103 nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das Landessozialgericht ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

(3) Das Bundessozialgericht ist an die Zulassung gebunden.

(1) Leistungen nach diesem Buch erhalten Personen, die

1.
das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben,
2.
erwerbsfähig sind,
3.
hilfebedürftig sind und
4.
ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Leistungsberechtigte).
Ausgenommen sind
1.
Ausländerinnen und Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbständige noch aufgrund des § 2 Absatz 3 des Freizügigkeitsgesetzes/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts,
2.
Ausländerinnen und Ausländer,
a)
die kein Aufenthaltsrecht haben oder
b)
deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt,
und ihre Familienangehörigen,
3.
Leistungsberechtigte nach § 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes.
Satz 2 Nummer 1 gilt nicht für Ausländerinnen und Ausländer, die sich mit einem Aufenthaltstitel nach Kapitel 2 Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten. Abweichend von Satz 2 Nummer 2 erhalten Ausländerinnen und Ausländer und ihre Familienangehörigen Leistungen nach diesem Buch, wenn sie seit mindestens fünf Jahren ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet haben; dies gilt nicht, wenn der Verlust des Rechts nach § 2 Absatz 1 des Freizügigkeitsgesetzes/EU festgestellt wurde. Die Frist nach Satz 4 beginnt mit der Anmeldung bei der zuständigen Meldebehörde. Zeiten des nicht rechtmäßigen Aufenthalts, in denen eine Ausreisepflicht besteht, werden auf Zeiten des gewöhnlichen Aufenthalts nicht angerechnet. Aufenthaltsrechtliche Bestimmungen bleiben unberührt.

(2) Leistungen erhalten auch Personen, die mit erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in einer Bedarfsgemeinschaft leben. Dienstleistungen und Sachleistungen werden ihnen nur erbracht, wenn dadurch Hemmnisse bei der Eingliederung der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten beseitigt oder vermindert werden. Zur Deckung der Bedarfe nach § 28 erhalten die dort genannten Personen auch dann Leistungen für Bildung und Teilhabe, wenn sie mit Personen in einem Haushalt zusammenleben, mit denen sie nur deshalb keine Bedarfsgemeinschaft bilden, weil diese aufgrund des zu berücksichtigenden Einkommens oder Vermögens selbst nicht leistungsberechtigt sind.

(3) Zur Bedarfsgemeinschaft gehören

1.
die erwerbsfähigen Leistungsberechtigten,
2.
die im Haushalt lebenden Eltern oder der im Haushalt lebende Elternteil eines unverheirateten erwerbsfähigen Kindes, welches das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, und die im Haushalt lebende Partnerin oder der im Haushalt lebende Partner dieses Elternteils,
3.
als Partnerin oder Partner der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten
a)
die nicht dauernd getrennt lebende Ehegattin oder der nicht dauernd getrennt lebende Ehegatte,
b)
die nicht dauernd getrennt lebende Lebenspartnerin oder der nicht dauernd getrennt lebende Lebenspartner,
c)
eine Person, die mit der erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person in einem gemeinsamen Haushalt so zusammenlebt, dass nach verständiger Würdigung der wechselseitige Wille anzunehmen ist, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen.
4.
die dem Haushalt angehörenden unverheirateten Kinder der in den Nummern 1 bis 3 genannten Personen, wenn sie das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, soweit sie die Leistungen zur Sicherung ihres Lebensunterhalts nicht aus eigenem Einkommen oder Vermögen beschaffen können.

(3a) Ein wechselseitiger Wille, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen, wird vermutet, wenn Partner

1.
länger als ein Jahr zusammenleben,
2.
mit einem gemeinsamen Kind zusammenleben,
3.
Kinder oder Angehörige im Haushalt versorgen oder
4.
befugt sind, über Einkommen oder Vermögen des anderen zu verfügen.

(4) Leistungen nach diesem Buch erhält nicht, wer in einer stationären Einrichtung untergebracht ist, Rente wegen Alters oder Knappschaftsausgleichsleistung oder ähnliche Leistungen öffentlich-rechtlicher Art bezieht. Dem Aufenthalt in einer stationären Einrichtung ist der Aufenthalt in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung gleichgestellt. Abweichend von Satz 1 erhält Leistungen nach diesem Buch,

1.
wer voraussichtlich für weniger als sechs Monate in einem Krankenhaus (§ 107 des Fünften Buches) untergebracht ist oder
2.
wer in einer stationären Einrichtung nach Satz 1 untergebracht und unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 15 Stunden wöchentlich erwerbstätig ist.
Die Sätze 1 und 3 Nummer 2 gelten für Bewohner von Räumlichkeiten im Sinne des § 42a Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 und Satz 3 des Zwölften Buches entsprechend.

(4a) (weggefallen)

(5) Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes dem Grunde nach förderungsfähig ist, haben über die Leistungen nach § 27 hinaus keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Satz 1 gilt auch für Auszubildende, deren Bedarf sich nach § 61 Absatz 2, § 62 Absatz 3, § 123 Nummer 2 sowie § 124 Nummer 2 des Dritten Buches bemisst.

(6) Absatz 5 Satz 1 ist nicht anzuwenden auf Auszubildende,

1.
die aufgrund von § 2 Absatz 1a des Bundesausbildungsförderungsgesetzes keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung haben,
2.
deren Bedarf sich nach den §§ 12, 13 Absatz 1 in Verbindung mit Absatz 2 Nummer 1 oder nach § 13 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit Absatz 2 Nummer 2 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes bemisst und die Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz
a)
erhalten oder nur wegen der Vorschriften zur Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen nicht erhalten oder
b)
beantragt haben und über deren Antrag das zuständige Amt für Ausbildungsförderung noch nicht entschieden hat; lehnt das zuständige Amt für Ausbildungsförderung die Leistungen ab, findet Absatz 5 mit Beginn des folgenden Monats Anwendung, oder
3.
die eine Abendhauptschule, eine Abendrealschule oder ein Abendgymnasium besuchen, sofern sie aufgrund des § 10 Absatz 3 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung haben.

(1) Hilfebedürftig ist, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen, erhält.

(2) Bei Personen, die in einer Bedarfsgemeinschaft leben, sind auch das Einkommen und Vermögen des Partners zu berücksichtigen. Bei unverheirateten Kindern, die mit ihren Eltern oder einem Elternteil in einer Bedarfsgemeinschaft leben und die ihren Lebensunterhalt nicht aus eigenem Einkommen oder Vermögen sichern können, sind auch das Einkommen und Vermögen der Eltern oder des Elternteils und dessen in Bedarfsgemeinschaft lebender Partnerin oder lebenden Partners zu berücksichtigen. Ist in einer Bedarfsgemeinschaft nicht der gesamte Bedarf aus eigenen Kräften und Mitteln gedeckt, gilt jede Person der Bedarfsgemeinschaft im Verhältnis des eigenen Bedarfs zum Gesamtbedarf als hilfebedürftig, dabei bleiben die Bedarfe nach § 28 außer Betracht. In den Fällen des § 7 Absatz 2 Satz 3 ist Einkommen und Vermögen, soweit es die nach Satz 3 zu berücksichtigenden Bedarfe übersteigt, im Verhältnis mehrerer Leistungsberechtigter zueinander zu gleichen Teilen zu berücksichtigen.

(3) Absatz 2 Satz 2 findet keine Anwendung auf ein Kind, das schwanger ist oder sein Kind bis zur Vollendung des sechsten Lebensjahres betreut.

(4) Hilfebedürftig ist auch derjenige, dem der sofortige Verbrauch oder die sofortige Verwertung von zu berücksichtigendem Vermögen nicht möglich ist oder für den dies eine besondere Härte bedeuten würde.

(5) Leben Hilfebedürftige in Haushaltsgemeinschaft mit Verwandten oder Verschwägerten, so wird vermutet, dass sie von ihnen Leistungen erhalten, soweit dies nach deren Einkommen und Vermögen erwartet werden kann.

(1) Leistungen nach diesem Buch erhalten Personen, die

1.
das 15. Lebensjahr vollendet und die Altersgrenze nach § 7a noch nicht erreicht haben,
2.
erwerbsfähig sind,
3.
hilfebedürftig sind und
4.
ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben (erwerbsfähige Leistungsberechtigte).
Ausgenommen sind
1.
Ausländerinnen und Ausländer, die weder in der Bundesrepublik Deutschland Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmer oder Selbständige noch aufgrund des § 2 Absatz 3 des Freizügigkeitsgesetzes/EU freizügigkeitsberechtigt sind, und ihre Familienangehörigen für die ersten drei Monate ihres Aufenthalts,
2.
Ausländerinnen und Ausländer,
a)
die kein Aufenthaltsrecht haben oder
b)
deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt,
und ihre Familienangehörigen,
3.
Leistungsberechtigte nach § 1 des Asylbewerberleistungsgesetzes.
Satz 2 Nummer 1 gilt nicht für Ausländerinnen und Ausländer, die sich mit einem Aufenthaltstitel nach Kapitel 2 Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes in der Bundesrepublik Deutschland aufhalten. Abweichend von Satz 2 Nummer 2 erhalten Ausländerinnen und Ausländer und ihre Familienangehörigen Leistungen nach diesem Buch, wenn sie seit mindestens fünf Jahren ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet haben; dies gilt nicht, wenn der Verlust des Rechts nach § 2 Absatz 1 des Freizügigkeitsgesetzes/EU festgestellt wurde. Die Frist nach Satz 4 beginnt mit der Anmeldung bei der zuständigen Meldebehörde. Zeiten des nicht rechtmäßigen Aufenthalts, in denen eine Ausreisepflicht besteht, werden auf Zeiten des gewöhnlichen Aufenthalts nicht angerechnet. Aufenthaltsrechtliche Bestimmungen bleiben unberührt.

(2) Leistungen erhalten auch Personen, die mit erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in einer Bedarfsgemeinschaft leben. Dienstleistungen und Sachleistungen werden ihnen nur erbracht, wenn dadurch Hemmnisse bei der Eingliederung der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten beseitigt oder vermindert werden. Zur Deckung der Bedarfe nach § 28 erhalten die dort genannten Personen auch dann Leistungen für Bildung und Teilhabe, wenn sie mit Personen in einem Haushalt zusammenleben, mit denen sie nur deshalb keine Bedarfsgemeinschaft bilden, weil diese aufgrund des zu berücksichtigenden Einkommens oder Vermögens selbst nicht leistungsberechtigt sind.

(3) Zur Bedarfsgemeinschaft gehören

1.
die erwerbsfähigen Leistungsberechtigten,
2.
die im Haushalt lebenden Eltern oder der im Haushalt lebende Elternteil eines unverheirateten erwerbsfähigen Kindes, welches das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, und die im Haushalt lebende Partnerin oder der im Haushalt lebende Partner dieses Elternteils,
3.
als Partnerin oder Partner der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten
a)
die nicht dauernd getrennt lebende Ehegattin oder der nicht dauernd getrennt lebende Ehegatte,
b)
die nicht dauernd getrennt lebende Lebenspartnerin oder der nicht dauernd getrennt lebende Lebenspartner,
c)
eine Person, die mit der erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person in einem gemeinsamen Haushalt so zusammenlebt, dass nach verständiger Würdigung der wechselseitige Wille anzunehmen ist, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen.
4.
die dem Haushalt angehörenden unverheirateten Kinder der in den Nummern 1 bis 3 genannten Personen, wenn sie das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, soweit sie die Leistungen zur Sicherung ihres Lebensunterhalts nicht aus eigenem Einkommen oder Vermögen beschaffen können.

(3a) Ein wechselseitiger Wille, Verantwortung füreinander zu tragen und füreinander einzustehen, wird vermutet, wenn Partner

1.
länger als ein Jahr zusammenleben,
2.
mit einem gemeinsamen Kind zusammenleben,
3.
Kinder oder Angehörige im Haushalt versorgen oder
4.
befugt sind, über Einkommen oder Vermögen des anderen zu verfügen.

(4) Leistungen nach diesem Buch erhält nicht, wer in einer stationären Einrichtung untergebracht ist, Rente wegen Alters oder Knappschaftsausgleichsleistung oder ähnliche Leistungen öffentlich-rechtlicher Art bezieht. Dem Aufenthalt in einer stationären Einrichtung ist der Aufenthalt in einer Einrichtung zum Vollzug richterlich angeordneter Freiheitsentziehung gleichgestellt. Abweichend von Satz 1 erhält Leistungen nach diesem Buch,

1.
wer voraussichtlich für weniger als sechs Monate in einem Krankenhaus (§ 107 des Fünften Buches) untergebracht ist oder
2.
wer in einer stationären Einrichtung nach Satz 1 untergebracht und unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 15 Stunden wöchentlich erwerbstätig ist.
Die Sätze 1 und 3 Nummer 2 gelten für Bewohner von Räumlichkeiten im Sinne des § 42a Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 und Satz 3 des Zwölften Buches entsprechend.

(4a) (weggefallen)

(5) Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes dem Grunde nach förderungsfähig ist, haben über die Leistungen nach § 27 hinaus keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Satz 1 gilt auch für Auszubildende, deren Bedarf sich nach § 61 Absatz 2, § 62 Absatz 3, § 123 Nummer 2 sowie § 124 Nummer 2 des Dritten Buches bemisst.

(6) Absatz 5 Satz 1 ist nicht anzuwenden auf Auszubildende,

1.
die aufgrund von § 2 Absatz 1a des Bundesausbildungsförderungsgesetzes keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung haben,
2.
deren Bedarf sich nach den §§ 12, 13 Absatz 1 in Verbindung mit Absatz 2 Nummer 1 oder nach § 13 Absatz 1 Nummer 1 in Verbindung mit Absatz 2 Nummer 2 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes bemisst und die Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz
a)
erhalten oder nur wegen der Vorschriften zur Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen nicht erhalten oder
b)
beantragt haben und über deren Antrag das zuständige Amt für Ausbildungsförderung noch nicht entschieden hat; lehnt das zuständige Amt für Ausbildungsförderung die Leistungen ab, findet Absatz 5 mit Beginn des folgenden Monats Anwendung, oder
3.
die eine Abendhauptschule, eine Abendrealschule oder ein Abendgymnasium besuchen, sofern sie aufgrund des § 10 Absatz 3 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes keinen Anspruch auf Ausbildungsförderung haben.

(1) Hilfebedürftig ist, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen, erhält.

(2) Bei Personen, die in einer Bedarfsgemeinschaft leben, sind auch das Einkommen und Vermögen des Partners zu berücksichtigen. Bei unverheirateten Kindern, die mit ihren Eltern oder einem Elternteil in einer Bedarfsgemeinschaft leben und die ihren Lebensunterhalt nicht aus eigenem Einkommen oder Vermögen sichern können, sind auch das Einkommen und Vermögen der Eltern oder des Elternteils und dessen in Bedarfsgemeinschaft lebender Partnerin oder lebenden Partners zu berücksichtigen. Ist in einer Bedarfsgemeinschaft nicht der gesamte Bedarf aus eigenen Kräften und Mitteln gedeckt, gilt jede Person der Bedarfsgemeinschaft im Verhältnis des eigenen Bedarfs zum Gesamtbedarf als hilfebedürftig, dabei bleiben die Bedarfe nach § 28 außer Betracht. In den Fällen des § 7 Absatz 2 Satz 3 ist Einkommen und Vermögen, soweit es die nach Satz 3 zu berücksichtigenden Bedarfe übersteigt, im Verhältnis mehrerer Leistungsberechtigter zueinander zu gleichen Teilen zu berücksichtigen.

(3) Absatz 2 Satz 2 findet keine Anwendung auf ein Kind, das schwanger ist oder sein Kind bis zur Vollendung des sechsten Lebensjahres betreut.

(4) Hilfebedürftig ist auch derjenige, dem der sofortige Verbrauch oder die sofortige Verwertung von zu berücksichtigendem Vermögen nicht möglich ist oder für den dies eine besondere Härte bedeuten würde.

(5) Leben Hilfebedürftige in Haushaltsgemeinschaft mit Verwandten oder Verschwägerten, so wird vermutet, dass sie von ihnen Leistungen erhalten, soweit dies nach deren Einkommen und Vermögen erwartet werden kann.

(1) Als Pauschbeträge sind abzusetzen

1.
von dem Einkommen volljähriger Leistungsberechtigter ein Betrag in Höhe von 30 Euro monatlich für die Beiträge zu privaten Versicherungen nach § 11b Absatz 1 Satz 1 Nr. 3 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch, die nach Grund und Höhe angemessen sind,
2.
von dem Einkommen Minderjähriger ein Betrag in Höhe von 30 Euro monatlich für die Beiträge zu privaten Versicherungen nach § 11b Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch, die nach Grund und Höhe angemessen sind, wenn der oder die Minderjährige eine entsprechende Versicherung abgeschlossen hat,
3.
von dem Einkommen Leistungsberechtigter monatlich ein Betrag in Höhe eines Zwölftels der zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Leistungsanspruch nachgewiesenen Jahresbeiträge zu den gesetzlich vorgeschriebenen Versicherungen nach § 11b Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch,
4.
von dem Einkommen Leistungsberechtigter ein Betrag in Höhe von 3 Prozent des Einkommens, mindestens 5 Euro, für die zu einem geförderten Altersvorsorgevertrag entrichteten Beiträge nach § 11b Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch; der Prozentwert mindert sich um 1,5 Prozentpunkte je zulageberechtigtes Kind im Haushalt der oder des Leistungsberechtigten,
5.
von dem Einkommen Erwerbstätiger für die Beträge nach § 11b Absatz 1 Satz 1 Nummer 5 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch bei Benutzung eines Kraftfahrzeuges für die Fahrt zwischen Wohnung und Arbeitsstätte für Wegstrecken zur Ausübung der Erwerbstätigkeit 0,20 Euro für jeden Entfernungskilometer der kürzesten Straßenverbindung, soweit der oder die erwerbsfähige Leistungsberechtigte nicht höhere notwendige Ausgaben nachweist.

(2) Sofern die Berücksichtigung des Pauschbetrags nach Absatz 1 Nummer 5 im Vergleich zu den bei Benutzung eines zumutbaren öffentlichen Verkehrsmittels anfallenden Fahrtkosten unangemessen hoch ist, sind nur diese als Pauschbetrag abzusetzen.

(3) Für Mehraufwendungen für Verpflegung ist, wenn die erwerbsfähige leistungsberechtigte Person vorübergehend von seiner Wohnung und dem Mittelpunkt seiner dauerhaft angelegten Erwerbstätigkeit entfernt erwerbstätig ist, für jeden Kalendertag, an dem die erwerbsfähige leistungsberechtigte Person wegen dieser vorübergehenden Tätigkeit von seiner Wohnung und dem Tätigkeitsmittelpunkt mindestens zwölf Stunden abwesend ist, ein Pauschbetrag in Höhe von 6 Euro abzusetzen.

(1) Der Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts umfasst insbesondere Ernährung, Kleidung, Körperpflege, Hausrat, Haushaltsenergie ohne die auf die Heizung und Erzeugung von Warmwasser entfallenden Anteile sowie persönliche Bedürfnisse des täglichen Lebens. Zu den persönlichen Bedürfnissen des täglichen Lebens gehört in vertretbarem Umfang eine Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben in der Gemeinschaft. Der Regelbedarf wird als monatlicher Pauschalbetrag berücksichtigt. Über die Verwendung der zur Deckung des Regelbedarfs erbrachten Leistungen entscheiden die Leistungsberechtigten eigenverantwortlich; dabei haben sie das Eintreten unregelmäßig anfallender Bedarfe zu berücksichtigen.

(1a) Der Regelbedarf wird in Höhe der jeweiligen Regelbedarfsstufe entsprechend § 28 des Zwölften Buches in Verbindung mit dem Regelbedarfs-Ermittlungsgesetz und den §§ 28a und 40 des Zwölften Buches in Verbindung mit der für das jeweilige Jahr geltenden Regelbedarfsstufen-Fortschreibungsverordnung anerkannt. Soweit in diesem Buch auf einen Regelbedarf oder eine Regelbedarfsstufe verwiesen wird, ist auf den Betrag der für den jeweiligen Zeitraum geltenden Neuermittlung entsprechend § 28 des Zwölften Buches in Verbindung mit dem Regelbedarfs-Ermittlungsgesetz abzustellen. In Jahren, in denen keine Neuermittlung nach § 28 des Zwölften Buches erfolgt, ist auf den Betrag abzustellen, der sich für den jeweiligen Zeitraum entsprechend der Regelbedarfsstufen-Fortschreibungsverordnung nach den §§ 28a und 40 des Zwölften Buches ergibt.

(2) Als Regelbedarf wird bei Personen, die alleinstehend oder alleinerziehend sind oder deren Partnerin oder Partner minderjährig ist, monatlich ein Betrag in Höhe der Regelbedarfsstufe 1 anerkannt. Für sonstige erwerbsfähige Angehörige der Bedarfsgemeinschaft wird als Regelbedarf anerkannt:

1.
monatlich ein Betrag in Höhe der Regelbedarfsstufe 4, sofern sie das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben,
2.
monatlich ein Betrag in Höhe der Regelbedarfsstufe 3 in den übrigen Fällen.

(3) Abweichend von Absatz 2 Satz 1 ist bei Personen, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und ohne Zusicherung des zuständigen kommunalen Trägers nach § 22 Absatz 5 umziehen, bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres der in Absatz 2 Satz 2 Nummer 2 genannte Betrag als Regelbedarf anzuerkennen.

(4) Haben zwei Partner der Bedarfsgemeinschaft das 18. Lebensjahr vollendet, ist als Regelbedarf für jede dieser Personen monatlich ein Betrag in Höhe der Regelbedarfsstufe 2 anzuerkennen.

(5) (weggefallen)

(1) Bedarfe für Unterkunft und Heizung werden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind. Für die Anerkennung der Bedarfe für Unterkunft gilt eine Karenzzeit von einem Jahr ab Beginn des Monats, für den erstmals Leistungen nach diesem Buch bezogen werden. Innerhalb dieser Karenzzeit werden die Bedarfe für Unterkunft in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt; Satz 6 bleibt unberührt. Wird der Leistungsbezug in der Karenzzeit für mindestens einen Monat unterbrochen, verlängert sich die Karenzzeit um volle Monate ohne Leistungsbezug. Eine neue Karenzzeit beginnt, wenn zuvor mindestens drei Jahre keine Leistungen nach diesem oder dem Zwölften Buch bezogen worden sind. Erhöhen sich nach einem nicht erforderlichen Umzug die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung, wird nur der bisherige Bedarf anerkannt. Soweit die Aufwendungen für die Unterkunft und Heizung den der Besonderheit des Einzelfalles angemessenen Umfang übersteigen, sind sie nach Ablauf der Karenzzeit als Bedarf so lange anzuerkennen, wie es der oder dem alleinstehenden Leistungsberechtigten oder der Bedarfsgemeinschaft nicht möglich oder nicht zuzumuten ist, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken, in der Regel jedoch längstens für sechs Monate. Nach Ablauf der Karenzzeit ist Satz 7 mit der Maßgabe anzuwenden, dass der Zeitraum der Karenzzeit nicht auf die in Satz 7 genannte Frist anzurechnen ist. Verstirbt ein Mitglied der Bedarfs- oder Haushaltsgemeinschaft und waren die Aufwendungen für die Unterkunft und Heizung davor angemessen, ist die Senkung der Aufwendungen für die weiterhin bewohnte Unterkunft für die Dauer von mindestens zwölf Monaten nach dem Sterbemonat nicht zumutbar. Eine Absenkung der nach Satz 1 unangemessenen Aufwendungen muss nicht gefordert werden, wenn diese unter Berücksichtigung der bei einem Wohnungswechsel zu erbringenden Leistungen unwirtschaftlich wäre.

(1a) (weggefallen)

(2) Als Bedarf für die Unterkunft werden auch unabweisbare Aufwendungen für Instandhaltung und Reparatur bei selbst bewohntem Wohneigentum im Sinne des § 12 Absatz 1 Satz 2 Nummer 5 anerkannt, soweit diese unter Berücksichtigung der im laufenden sowie den darauffolgenden elf Kalendermonaten anfallenden Aufwendungen insgesamt angemessen sind. Übersteigen unabweisbare Aufwendungen für Instandhaltung und Reparatur den Bedarf für die Unterkunft nach Satz 1, kann der kommunale Träger zur Deckung dieses Teils der Aufwendungen ein Darlehen erbringen, das dinglich gesichert werden soll. Für die Bedarfe nach Satz 1 gilt Absatz 1 Satz 2 bis 4 nicht.

(3) Rückzahlungen und Guthaben, die dem Bedarf für Unterkunft und Heizung zuzuordnen sind, mindern die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung nach dem Monat der Rückzahlung oder der Gutschrift; Rückzahlungen, die sich auf die Kosten für Haushaltsenergie oder nicht anerkannte Aufwendungen für Unterkunft und Heizung beziehen, bleiben außer Betracht.

(4) Vor Abschluss eines Vertrages über eine neue Unterkunft soll die leistungsberechtigte Person die Zusicherung des für die neue Unterkunft örtlich zuständigen kommunalen Trägers zur Berücksichtigung der Aufwendungen für die neue Unterkunft einholen. Innerhalb der Karenzzeit nach Absatz 1 Satz 2 bis 5 werden nach einem Umzug höhere als angemessene Aufwendungen nur dann als Bedarf anerkannt, wenn der nach Satz 1 zuständige Träger die Anerkennung vorab zugesichert hat. Der kommunale Träger ist zur Zusicherung verpflichtet, wenn die Aufwendungen für die neue Unterkunft angemessen sind.

(5) Sofern Personen, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, umziehen, werden Bedarfe für Unterkunft und Heizung für die Zeit nach einem Umzug bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres nur anerkannt, wenn der kommunale Träger dies vor Abschluss des Vertrages über die Unterkunft zugesichert hat. Der kommunale Träger ist zur Zusicherung verpflichtet, wenn

1.
die oder der Betroffene aus schwerwiegenden sozialen Gründen nicht auf die Wohnung der Eltern oder eines Elternteils verwiesen werden kann,
2.
der Bezug der Unterkunft zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt erforderlich ist oder
3.
ein sonstiger, ähnlich schwerwiegender Grund vorliegt.
Unter den Voraussetzungen des Satzes 2 kann vom Erfordernis der Zusicherung abgesehen werden, wenn es der oder dem Betroffenen aus wichtigem Grund nicht zumutbar war, die Zusicherung einzuholen. Bedarfe für Unterkunft und Heizung werden bei Personen, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, nicht anerkannt, wenn diese vor der Beantragung von Leistungen in eine Unterkunft in der Absicht umziehen, die Voraussetzungen für die Gewährung der Leistungen herbeizuführen.

(6) Wohnungsbeschaffungskosten und Umzugskosten können bei vorheriger Zusicherung durch den bis zum Umzug örtlich zuständigen kommunalen Träger als Bedarf anerkannt werden; Aufwendungen für eine Mietkaution und für den Erwerb von Genossenschaftsanteilen können bei vorheriger Zusicherung durch den am Ort der neuen Unterkunft zuständigen kommunalen Träger als Bedarf anerkannt werden. Die Zusicherung soll erteilt werden, wenn der Umzug durch den kommunalen Träger veranlasst oder aus anderen Gründen notwendig ist und wenn ohne die Zusicherung eine Unterkunft in einem angemessenen Zeitraum nicht gefunden werden kann. Aufwendungen für eine Mietkaution und für Genossenschaftsanteile sollen als Darlehen erbracht werden.

(7) Soweit Bürgergeld für den Bedarf für Unterkunft und Heizung geleistet wird, ist es auf Antrag der leistungsberechtigten Person an den Vermieter oder andere Empfangsberechtigte zu zahlen. Es soll an den Vermieter oder andere Empfangsberechtigte gezahlt werden, wenn die zweckentsprechende Verwendung durch die leistungsberechtigte Person nicht sichergestellt ist. Das ist insbesondere der Fall, wenn

1.
Mietrückstände bestehen, die zu einer außerordentlichen Kündigung des Mietverhältnisses berechtigen,
2.
Energiekostenrückstände bestehen, die zu einer Unterbrechung der Energieversorgung berechtigen,
3.
konkrete Anhaltspunkte für ein krankheits- oder suchtbedingtes Unvermögen der leistungsberechtigten Person bestehen, die Mittel zweckentsprechend zu verwenden, oder
4.
konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die im Schuldnerverzeichnis eingetragene leistungsberechtigte Person die Mittel nicht zweckentsprechend verwendet.
Der kommunale Träger hat die leistungsberechtigte Person über eine Zahlung der Leistungen für die Unterkunft und Heizung an den Vermieter oder andere Empfangsberechtigte schriftlich zu unterrichten.

(8) Sofern Bürgergeld für den Bedarf für Unterkunft und Heizung erbracht wird, können auch Schulden übernommen werden, soweit dies zur Sicherung der Unterkunft oder zur Behebung einer vergleichbaren Notlage gerechtfertigt ist. Sie sollen übernommen werden, wenn dies gerechtfertigt und notwendig ist und sonst Wohnungslosigkeit einzutreten droht. Vermögen nach § 12 Absatz 2 Satz 1 und Absatz 4 Satz 1 ist vorrangig einzusetzen. Geldleistungen sollen als Darlehen erbracht werden.

(9) Geht bei einem Gericht eine Klage auf Räumung von Wohnraum im Falle der Kündigung des Mietverhältnisses nach § 543 Absatz 1, 2 Satz 1 Nummer 3 in Verbindung mit § 569 Absatz 3 des Bürgerlichen Gesetzbuchs ein, teilt das Gericht dem örtlich zuständigen Träger nach diesem Buch oder der von diesem beauftragten Stelle zur Wahrnehmung der in Absatz 8 bestimmten Aufgaben unverzüglich Folgendes mit:

1.
den Tag des Eingangs der Klage,
2.
die Namen und die Anschriften der Parteien,
3.
die Höhe der monatlich zu entrichtenden Miete,
4.
die Höhe des geltend gemachten Mietrückstandes und der geltend gemachten Entschädigung und
5.
den Termin zur mündlichen Verhandlung, sofern dieser bereits bestimmt ist.
Außerdem kann der Tag der Rechtshängigkeit mitgeteilt werden. Die Übermittlung unterbleibt, wenn die Nichtzahlung der Miete nach dem Inhalt der Klageschrift offensichtlich nicht auf Zahlungsunfähigkeit der Mieterin oder des Mieters beruht.

(10) Zur Beurteilung der Angemessenheit der Aufwendungen für Unterkunft und Heizung nach Absatz 1 Satz 1 ist die Bildung einer Gesamtangemessenheitsgrenze zulässig. Dabei kann für die Aufwendungen für Heizung der Wert berücksichtigt werden, der bei einer gesonderten Beurteilung der Angemessenheit der Aufwendungen für Unterkunft und der Aufwendungen für Heizung ohne Prüfung der Angemessenheit im Einzelfall höchstens anzuerkennen wäre. Absatz 1 Satz 2 bis 4 gilt entsprechend.

(11) Die für die Erstellung von Mietspiegeln nach § 558c Absatz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs nach Landesrecht zuständigen Behörden sind befugt, die in Artikel 238 § 2 Absatz 2 Nummer 1 Buchstabe a, d und e des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuche genannten Daten zu verarbeiten, soweit dies für die Erstellung von Übersichten über die Angemessenheit von Aufwendungen für eine Unterkunft nach Absatz 1 Satz 1 erforderlich ist. Erstellen die nach Landesrecht zuständigen Behörden solche Übersichten nicht, so sind sie befugt, die Daten nach Satz 1 auf Ersuchen an die kommunalen Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende für ihren örtlichen Zuständigkeitsbereich zu übermitteln, soweit dies für die Erstellung von Übersichten über die Angemessenheit von Aufwendungen für die Unterkunft erforderlich ist. Werden den kommunalen Trägern der Grundsicherung für Arbeitsuchende die Übersichten nicht zur Verfügung gestellt, so sind sie befugt, die Daten nach Satz 1 für ihren örtlichen Zuständigkeitsbereich bei den nach Landesrecht für die Erstellung von Mietspiegeln zuständigen Behörden zu erheben und in sonstiger Weise zu verarbeiten, soweit dies für die Erstellung von Übersichten über und die Bestimmung der Angemessenheit von Aufwendungen für die Unterkunft nach Absatz 1 Satz 1 erforderlich ist.

(12) Die Daten nach Absatz 11 Satz 1 und 3 sind zu löschen, wenn sie für die dort genannten Zwecke nicht mehr erforderlich sind.

(1) Mehrbedarfe umfassen Bedarfe nach den Absätzen 2 bis 7, die nicht durch den Regelbedarf abgedeckt sind.

(2) Bei werdenden Müttern wird nach der zwölften Schwangerschaftswoche bis zum Ende des Monats, in welchen die Entbindung fällt, ein Mehrbedarf von 17 Prozent des nach § 20 maßgebenden Regelbedarfs anerkannt.

(3) Bei Personen, die mit einem oder mehreren minderjährigen Kindern zusammenleben und allein für deren Pflege und Erziehung sorgen, ist ein Mehrbedarf anzuerkennen

1.
in Höhe von 36 Prozent des nach § 20 Absatz 2 maßgebenden Bedarfs, wenn sie mit einem Kind unter sieben Jahren oder mit zwei oder drei Kindern unter 16 Jahren zusammenleben, oder
2.
in Höhe von 12 Prozent des nach § 20 Absatz 2 maßgebenden Bedarfs für jedes Kind, wenn sich dadurch ein höherer Prozentsatz als nach der Nummer 1 ergibt, höchstens jedoch in Höhe von 60 Prozent des nach § 20 Absatz 2 maßgebenden Regelbedarfs.

(4) Bei erwerbsfähigen Leistungsberechtigten mit Behinderungen, denen Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nach § 49 des Neunten Buches mit Ausnahme der Leistungen nach § 49 Absatz 3 Nummer 2 und 5 des Neunten Buches sowie sonstige Hilfen zur Erlangung eines geeigneten Platzes im Arbeitsleben oder Eingliederungshilfen nach § 112 des Neunten Buches erbracht werden, wird ein Mehrbedarf von 35 Prozent des nach § 20 maßgebenden Regelbedarfs anerkannt. Satz 1 kann auch nach Beendigung der dort genannten Maßnahmen während einer angemessenen Übergangszeit, vor allem einer Einarbeitungszeit, angewendet werden.

(5) Bei Leistungsberechtigten, die aus medizinischen Gründen einer kostenaufwändigen Ernährung bedürfen, wird ein Mehrbedarf in angemessener Höhe anerkannt.

(6) Bei Leistungsberechtigten wird ein Mehrbedarf anerkannt, soweit im Einzelfall ein unabweisbarer, besonderer Bedarf besteht; bei einmaligen Bedarfen ist weitere Voraussetzung, dass ein Darlehen nach § 24 Absatz 1 ausnahmsweise nicht zumutbar oder wegen der Art des Bedarfs nicht möglich ist. Der Mehrbedarf ist unabweisbar, wenn er insbesondere nicht durch die Zuwendungen Dritter sowie unter Berücksichtigung von Einsparmöglichkeiten der Leistungsberechtigten gedeckt ist und seiner Höhe nach erheblich von einem durchschnittlichen Bedarf abweicht.

(6a) Soweit eine Schülerin oder ein Schüler aufgrund der jeweiligen schulrechtlichen Bestimmungen oder schulischen Vorgaben Aufwendungen zur Anschaffung oder Ausleihe von Schulbüchern oder gleichstehenden Arbeitsheften hat, sind sie als Mehrbedarf anzuerkennen.

(7) Bei Leistungsberechtigten wird ein Mehrbedarf anerkannt, soweit Warmwasser durch in der Unterkunft installierte Vorrichtungen erzeugt wird (dezentrale Warmwassererzeugung) und deshalb keine Bedarfe für zentral bereitgestelltes Warmwasser nach § 22 anerkannt werden. Der Mehrbedarf beträgt für jede im Haushalt lebende leistungsberechtigte Person jeweils

1.
2,3 Prozent des für sie geltenden Regelbedarfs nach § 20 Absatz 2 Satz 1 oder Satz 2 Nummer 2, Absatz 3 oder 4,
2.
1,4 Prozent des für sie geltenden Regelbedarfs nach § 20 Absatz 2 Satz 2 Nummer 1 oder § 23 Nummer 1 bei Leistungsberechtigten im 15. Lebensjahr,
3.
1,2 Prozent des Regelbedarfs nach § 23 Nummer 1 bei Leistungsberechtigten vom Beginn des siebten bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres oder
4.
0,8 Prozent des Regelbedarfs nach § 23 Nummer 1 bei Leistungsberechtigten bis zur Vollendung des sechsten Lebensjahres.
Höhere Aufwendungen sind abweichend von Satz 2 nur zu berücksichtigen, soweit sie durch eine separate Messeinrichtung nachgewiesen werden.

(8) Die Summe des insgesamt anerkannten Mehrbedarfs nach den Absätzen 2 bis 5 darf die Höhe des für erwerbsfähige Leistungsberechtigte maßgebenden Regelbedarfs nicht übersteigen.

(1) Als Einkommen zu berücksichtigen sind Einnahmen in Geld abzüglich der nach § 11b abzusetzenden Beträge mit Ausnahme der in § 11a genannten Einnahmen sowie Einnahmen, die nach anderen Vorschriften des Bundesrechts nicht als Einkommen im Sinne dieses Buches zu berücksichtigen sind. Dies gilt auch für Einnahmen in Geldeswert, die im Rahmen einer Erwerbstätigkeit, des Bundesfreiwilligendienstes oder eines Jugendfreiwilligendienstes zufließen. Als Einkommen zu berücksichtigen sind auch Zuflüsse aus darlehensweise gewährten Sozialleistungen, soweit sie dem Lebensunterhalt dienen. Der Kinderzuschlag nach § 6a des Bundeskindergeldgesetzes ist als Einkommen dem jeweiligen Kind zuzurechnen. Dies gilt auch für das Kindergeld für zur Bedarfsgemeinschaft gehörende Kinder, soweit es bei dem jeweiligen Kind zur Sicherung des Lebensunterhalts, mit Ausnahme der Bedarfe nach § 28, benötigt wird.

(2) Einnahmen sind für den Monat zu berücksichtigen, in dem sie zufließen. Dies gilt auch für Einnahmen, die an einzelnen Tagen eines Monats aufgrund von kurzzeitigen Beschäftigungsverhältnissen erzielt werden.

(3) Würde der Leistungsanspruch durch die Berücksichtigung einer als Nachzahlung zufließenden Einnahme, die nicht für den Monat des Zuflusses erbracht wird, in diesem Monat entfallen, so ist diese Einnahme auf einen Zeitraum von sechs Monaten gleichmäßig aufzuteilen und monatlich ab dem Monat des Zuflusses mit einem entsprechenden monatlichen Teilbetrag zu berücksichtigen.

(1) Hilfebedürftig ist, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen, erhält.

(2) Bei Personen, die in einer Bedarfsgemeinschaft leben, sind auch das Einkommen und Vermögen des Partners zu berücksichtigen. Bei unverheirateten Kindern, die mit ihren Eltern oder einem Elternteil in einer Bedarfsgemeinschaft leben und die ihren Lebensunterhalt nicht aus eigenem Einkommen oder Vermögen sichern können, sind auch das Einkommen und Vermögen der Eltern oder des Elternteils und dessen in Bedarfsgemeinschaft lebender Partnerin oder lebenden Partners zu berücksichtigen. Ist in einer Bedarfsgemeinschaft nicht der gesamte Bedarf aus eigenen Kräften und Mitteln gedeckt, gilt jede Person der Bedarfsgemeinschaft im Verhältnis des eigenen Bedarfs zum Gesamtbedarf als hilfebedürftig, dabei bleiben die Bedarfe nach § 28 außer Betracht. In den Fällen des § 7 Absatz 2 Satz 3 ist Einkommen und Vermögen, soweit es die nach Satz 3 zu berücksichtigenden Bedarfe übersteigt, im Verhältnis mehrerer Leistungsberechtigter zueinander zu gleichen Teilen zu berücksichtigen.

(3) Absatz 2 Satz 2 findet keine Anwendung auf ein Kind, das schwanger ist oder sein Kind bis zur Vollendung des sechsten Lebensjahres betreut.

(4) Hilfebedürftig ist auch derjenige, dem der sofortige Verbrauch oder die sofortige Verwertung von zu berücksichtigendem Vermögen nicht möglich ist oder für den dies eine besondere Härte bedeuten würde.

(5) Leben Hilfebedürftige in Haushaltsgemeinschaft mit Verwandten oder Verschwägerten, so wird vermutet, dass sie von ihnen Leistungen erhalten, soweit dies nach deren Einkommen und Vermögen erwartet werden kann.

(1) Vom Einkommen abzusetzen sind

1.
auf das Einkommen entrichtete Steuern,
2.
Pflichtbeiträge zur Sozialversicherung einschließlich der Beiträge zur Arbeitsförderung,
3.
Beiträge zu öffentlichen oder privaten Versicherungen oder ähnlichen Einrichtungen, soweit diese Beiträge gesetzlich vorgeschrieben oder nach Grund und Höhe angemessen sind; hierzu gehören Beiträge
a)
zur Vorsorge für den Fall der Krankheit und der Pflegebedürftigkeit für Personen, die in der gesetzlichen Krankenversicherung nicht versicherungspflichtig sind,
b)
zur Altersvorsorge von Personen, die von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung befreit sind,
soweit die Beiträge nicht nach § 26 bezuschusst werden,
4.
geförderte Altersvorsorgebeiträge nach § 82 des Einkommensteuergesetzes, soweit sie den Mindesteigenbeitrag nach § 86 des Einkommensteuergesetzes nicht überschreiten,
5.
die mit der Erzielung des Einkommens verbundenen notwendigen Ausgaben,
6.
für Erwerbstätige ferner ein Betrag nach Absatz 3,
7.
Aufwendungen zur Erfüllung gesetzlicher Unterhaltsverpflichtungen bis zu dem in einem Unterhaltstitel oder in einer notariell beurkundeten Unterhaltsvereinbarung festgelegten Betrag,
8.
bei erwerbsfähigen Leistungsberechtigten, deren Einkommen nach dem Vierten Abschnitt des Bundesausbildungsförderungsgesetzes oder nach § 67 oder § 126 des Dritten Buches bei der Berechnung der Leistungen der Ausbildungsförderung für mindestens ein Kind berücksichtigt wird, der nach den Vorschriften der Ausbildungsförderung berücksichtigte Betrag.
Bei der Verteilung einer einmaligen Einnahme nach § 11 Absatz 3 Satz 4 sind die auf die einmalige Einnahme im Zuflussmonat entfallenden Beträge nach den Nummern 1, 2, 5 und 6 vorweg abzusetzen.

(2) Bei erwerbsfähigen Leistungsberechtigten, die erwerbstätig sind, ist anstelle der Beträge nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 bis 5 ein Betrag von insgesamt 100 Euro monatlich von dem Einkommen aus Erwerbstätigkeit abzusetzen. Beträgt das monatliche Einkommen aus Erwerbstätigkeit mehr als 400 Euro, gilt Satz 1 nicht, wenn die oder der erwerbsfähige Leistungsberechtigte nachweist, dass die Summe der Beträge nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 bis 5 den Betrag von 100 Euro übersteigt.

(2a) § 82a des Zwölften Buches gilt entsprechend.

(2b) Abweichend von Absatz 2 Satz 1 ist anstelle der Beträge nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 bis 5 der Betrag nach § 8 Absatz 1a des Vierten Buches von dem Einkommen aus Erwerbstätigkeit abzusetzen bei erwerbsfähigen Leistungsberechtigten, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und die

1.
eine nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz dem Grunde nach förderungsfähige Ausbildung durchführen,
2.
eine nach § 57 Absatz 1 des Dritten Buches dem Grunde nach förderungsfähige Ausbildung, eine nach § 51 des Dritten Buches dem Grunde nach förderungsfähige berufsvorbereitende Bildungsmaßnahme oder eine nach § 54a des Dritten Buches geförderte Einstiegsqualifizierung durchführen,
3.
einem Freiwilligendienst nach dem Bundesfreiwilligendienstgesetz oder dem Jugendfreiwilligendienstegesetz nachgehen oder
4.
als Schülerinnen und Schüler allgemein- oder berufsbildender Schulen außerhalb der in § 11a Absatz 7 genannten Zeiten erwerbstätig sind; dies gilt nach dem Besuch allgemeinbildender Schulen auch bis zum Ablauf des dritten auf das Ende der Schulausbildung folgenden Monats.
Bei der Anwendung des Satzes 1 Nummer 3 gilt das Taschengeld nach § 2 Nummer 4 des Bundesfreiwilligendienstgesetzes und nach § 2 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 des Jugendfreiwilligendienstegesetzes als Einkommen aus Erwerbstätigkeit. Bei Leistungsberechtigten, die das 25. Lebensjahr vollendet haben, tritt in den Fällen des Satzes 1 Nummer 3 an die Stelle des Betrages nach § 8 Absatz 1a des Vierten Buches der Betrag von 250 Euro monatlich. Sofern die unter Satz 1 Nummer 1 bis 4 genannten Personen die in § 11a Absatz 3 Satz 2 Nummer 3 bis 5 genannten Leistungen, Ausbildungsgeld nach dem Dritten Buch oder einen Unterhaltsbeitrag nach § 10 Absatz 2 des Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetzes erhalten, ist von diesen Leistungen für die Absetzbeträge nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 bis 5 ein Betrag in Höhe von mindestens 100 Euro abzusetzen, wenn die Absetzung nicht bereits nach Satz 1 oder nach Absatz 2 Satz 1 erfolgt ist. Satz 4 gilt auch für Leistungsberechtigte, die das 25. Lebensjahr vollendet haben.

(3) Bei erwerbsfähigen Leistungsberechtigten, die erwerbstätig sind, ist von dem monatlichen Einkommen aus Erwerbstätigkeit ein weiterer Betrag abzusetzen. Dieser beläuft sich

1.
für den Teil des monatlichen Erwerbseinkommens, der 100 Euro übersteigt und nicht mehr als 520 Euro beträgt, auf 20 Prozent,
2.
für den Teil des monatlichen Erwerbseinkommens, der 520 Euro übersteigt und nicht mehr als 1 000 Euro beträgt, auf 30 Prozent und
3.
für den Teil des monatlichen Erwerbseinkommens, der 1 000 Euro übersteigt und nicht mehr als 1 200 Euro beträgt, auf 10 Prozent.
Anstelle des Betrages von 1 200 Euro tritt für erwerbsfähige Leistungsberechtigte, die entweder mit mindestens einem minderjährigen Kind in Bedarfsgemeinschaft leben oder die mindestens ein minderjähriges Kind haben, ein Betrag von 1 500 Euro. In den Fällen des Absatzes 2b ist Satz 2 Nummer 1 nicht anzuwenden.

(1) Als Einkommen zu berücksichtigen sind Einnahmen in Geld abzüglich der nach § 11b abzusetzenden Beträge mit Ausnahme der in § 11a genannten Einnahmen sowie Einnahmen, die nach anderen Vorschriften des Bundesrechts nicht als Einkommen im Sinne dieses Buches zu berücksichtigen sind. Dies gilt auch für Einnahmen in Geldeswert, die im Rahmen einer Erwerbstätigkeit, des Bundesfreiwilligendienstes oder eines Jugendfreiwilligendienstes zufließen. Als Einkommen zu berücksichtigen sind auch Zuflüsse aus darlehensweise gewährten Sozialleistungen, soweit sie dem Lebensunterhalt dienen. Der Kinderzuschlag nach § 6a des Bundeskindergeldgesetzes ist als Einkommen dem jeweiligen Kind zuzurechnen. Dies gilt auch für das Kindergeld für zur Bedarfsgemeinschaft gehörende Kinder, soweit es bei dem jeweiligen Kind zur Sicherung des Lebensunterhalts, mit Ausnahme der Bedarfe nach § 28, benötigt wird.

(2) Einnahmen sind für den Monat zu berücksichtigen, in dem sie zufließen. Dies gilt auch für Einnahmen, die an einzelnen Tagen eines Monats aufgrund von kurzzeitigen Beschäftigungsverhältnissen erzielt werden.

(3) Würde der Leistungsanspruch durch die Berücksichtigung einer als Nachzahlung zufließenden Einnahme, die nicht für den Monat des Zuflusses erbracht wird, in diesem Monat entfallen, so ist diese Einnahme auf einen Zeitraum von sechs Monaten gleichmäßig aufzuteilen und monatlich ab dem Monat des Zuflusses mit einem entsprechenden monatlichen Teilbetrag zu berücksichtigen.

(1) Als Pauschbeträge sind abzusetzen

1.
von dem Einkommen volljähriger Leistungsberechtigter ein Betrag in Höhe von 30 Euro monatlich für die Beiträge zu privaten Versicherungen nach § 11b Absatz 1 Satz 1 Nr. 3 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch, die nach Grund und Höhe angemessen sind,
2.
von dem Einkommen Minderjähriger ein Betrag in Höhe von 30 Euro monatlich für die Beiträge zu privaten Versicherungen nach § 11b Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch, die nach Grund und Höhe angemessen sind, wenn der oder die Minderjährige eine entsprechende Versicherung abgeschlossen hat,
3.
von dem Einkommen Leistungsberechtigter monatlich ein Betrag in Höhe eines Zwölftels der zum Zeitpunkt der Entscheidung über den Leistungsanspruch nachgewiesenen Jahresbeiträge zu den gesetzlich vorgeschriebenen Versicherungen nach § 11b Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch,
4.
von dem Einkommen Leistungsberechtigter ein Betrag in Höhe von 3 Prozent des Einkommens, mindestens 5 Euro, für die zu einem geförderten Altersvorsorgevertrag entrichteten Beiträge nach § 11b Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch; der Prozentwert mindert sich um 1,5 Prozentpunkte je zulageberechtigtes Kind im Haushalt der oder des Leistungsberechtigten,
5.
von dem Einkommen Erwerbstätiger für die Beträge nach § 11b Absatz 1 Satz 1 Nummer 5 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch bei Benutzung eines Kraftfahrzeuges für die Fahrt zwischen Wohnung und Arbeitsstätte für Wegstrecken zur Ausübung der Erwerbstätigkeit 0,20 Euro für jeden Entfernungskilometer der kürzesten Straßenverbindung, soweit der oder die erwerbsfähige Leistungsberechtigte nicht höhere notwendige Ausgaben nachweist.

(2) Sofern die Berücksichtigung des Pauschbetrags nach Absatz 1 Nummer 5 im Vergleich zu den bei Benutzung eines zumutbaren öffentlichen Verkehrsmittels anfallenden Fahrtkosten unangemessen hoch ist, sind nur diese als Pauschbetrag abzusetzen.

(3) Für Mehraufwendungen für Verpflegung ist, wenn die erwerbsfähige leistungsberechtigte Person vorübergehend von seiner Wohnung und dem Mittelpunkt seiner dauerhaft angelegten Erwerbstätigkeit entfernt erwerbstätig ist, für jeden Kalendertag, an dem die erwerbsfähige leistungsberechtigte Person wegen dieser vorübergehenden Tätigkeit von seiner Wohnung und dem Tätigkeitsmittelpunkt mindestens zwölf Stunden abwesend ist, ein Pauschbetrag in Höhe von 6 Euro abzusetzen.

Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 17. November 2015 aufgehoben und die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 6. März 2014 zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander für das Berufungs- und Revisionsverfahren außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Zwischen den Beteiligten steht im Streit, ob die Kläger Anspruch auf höhere Leistungen nach dem SGB II haben. Streitig ist insbesondere, ob bei der Ermittlung des anzurechnenden Einkommens der Kläger in der Zeit vom 1.11.2012 bis 30.4.2013 monatlich jeweils eine Pauschale von 30 Euro in Abzug zu bringen ist, weil sie eine Schüler-Zusatzversicherung abgeschlossen haben.

2

Der 1998 geborene Kläger zu 1. und die 2001 geborene Klägerin zu 2. lebten im streitigen Zeit-raum zusammen mit ihrer 1972 geborenen Mutter sowie zwei weiteren Geschwistern in einer Bedarfsgemeinschaft und bezogen Leistungen nach dem SGB II. Die Mutter schloss am 28.9.2012 als gesetzliche Vertreterin der Kläger, die im Schuljahr 2012/2013 eine Gesamtschule in Freiburg besuchten, eine Schüler-Zusatzversicherung bei dem Badischen Gemeinde-Versicherungsverband im Rahmen einer Gruppenversicherung ab. Für die Versicherung war ein Jahresbeitrag von 1 Euro zu entrichten. Der Kläger zu 1. zahlte den Versicherungsbeitrag am 8.10.2012, die Klägerin zu 2. am 19.10.2012.

3

Im Zeitraum vom 1.11.2012 bis 30.4.2013 verfügte die Mutter im Wesentlichen über ein zu berücksichtigendes monatliches Einkommen von 300 Euro in Form von Elterngeld. Der Kläger zu 1. hatte vom 1.11.2012 bis 31.3.2013 ein monatliches Einkommen von 438 Euro (184 Euro Kindergeld, 254 Euro Unterhalt) und für April 2013 von 317 Euro (184 Euro Kindergeld, 133 Euro Unterhalt). Die Klägerin zu 2. verfügte im November 2012 über ein monatliches Einkommen von 438 Euro (184 Euro Kindergeld, 254 Euro Unterhalt), ab 1.12.2012 von 444 Euro (190 Euro Kindergeld, 254 Euro Unterhalt) sowie ab 1.4.2013 in Höhe von 323 Euro (190 Euro Kindergeld, 133 Euro Unterhalt).

4

Der Beklagte bewilligte den Mitgliedern der Bedarfsgemeinschaft für die Zeit vom 1.11.2012 bis 30.4.2013 Leistungen nach dem SGB II unter Berücksichtigung des jeweiligen Regelbedarfs sowie der Kosten für Unterkunft und Heizung (KdU), die der Beklagte allerdings begrenzte (Bescheid vom 27.12.2012). Bei der Berechnung des zu berücksichtigenden Gesamteinkommens der Kläger setzte er im Hinblick auf die Schüler-Zusatzversicherungen keine Versicherungspauschalen ab.

5

Dem Widerspruch der Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft half der Beklagte insoweit ab, als er ab 1.1.2013 Leistungen für KdU in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen bewilligte (Ände-rungsbescheid vom 22.2.2013), im Übrigen wies er den Widerspruch zurück (Widerspruchsbe-scheid vom 25.2.2013). Den begehrten Abzug der Versicherungspauschale von monatlich 30 Euro von den Einkünften der Kläger wegen der Schüler-Zusatzversicherungen lehnte er weiter ab, weil die Aufwendungen für die Versicherungen nicht angemessen seien.

6

Die Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft haben Klage zum SG Freiburg erhoben, mit welcher sie die Übernahme der tatsächlichen KdU bereits ab 1.11.2012 geltend gemacht haben. Auch seien von den Einkünften der Kläger wegen der Schüler-Zusatzversicherungen jeweils monatlich 30 Euro abzuziehen. Das SG hat die angefochtenen Bescheide abgeändert und den Beklagten verurteilt, die KdU auch für die Zeit vom 1.11. bis 31.12.2012 in tatsächlicher Höhe zu übernehmen; im Übrigen hat es die Klage abgewiesen (Urteil vom 6.3.2014).

7

Das LSG hat die angefochtenen Bescheide und das Urteil des SG abgeändert und den Beklagten verpflichtet, höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zu zahlen (Urteil vom 17.11.2015). Insbesondere sei bei der Ermittlung des anzurechnenden Einkommens der Kläger zu Unrecht die Versicherungspauschale von 30 Euro pro Monat nicht in Abzug gebracht worden. Deshalb sei der Beklagte von einem zu hohen anzurechnenden Einkommen ausgegangen und habe zu geringe Leistungen bewilligt.

8

Der Beklagte hat Revision eingelegt. Er rügt die Verletzung von § 11b Abs 1 S 1 Nr 3 SGB II sowie § 6 Abs 1 S 2 Alg II-V (2008). Nach der historischen Entwicklung der Alg II-V, die zum 1.8.2009 geändert worden sei, um den pauschalen Abzug von Versicherungsaufwendungen ohne Nachweis auf volljährige Leistungsberechtigte zu begrenzen, sollten Minderjährige die Pauschale nur erhalten, wenn und soweit sie eine nach Grund und Höhe angemessene Versicherung abgeschlossen hätten. Zwar hätten die Kläger eine Versicherung abgeschlossen, da aber der symbolische Betrag von 1 Euro nur in einem Monat tatsächlich anfalle, könne nur für diesen Monat der pauschale Bezug von 30 Euro erfolgen.

9

Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 17. November 2015 aufzuheben und die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Sozialgerichts Freiburg vom 6. März 2014 zurückzuweisen.

10

Die Kläger beantragen,
die Revision zurückzuweisen.

11

Sie halten das Urteil des LSG für zutreffend.

Entscheidungsgründe

12

Die zulässige Revision des Beklagten ist begründet. Das Urteil des LSG vom 17.11.2015 ist aufzuheben und die Berufung der Kläger gegen das Urteil des SG zurückzuweisen.

13

1. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist das Urteil des LSG vom 17.11.2015, mit dem dieses den Klägern unter Abänderung der angefochtenen Bescheide vom 27.12.2013, 22.2.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 25.2.2013 sowie der Änderungsbescheide vom 24.3.2014 und 17.6.2014, weitere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II zugesprochen hat. Soweit zunächst auch höhere Leistungen der KdU streitig waren, hat das SG den Beklagten verurteilt, KdU für den streitigen Zeitraum in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen zu übernehmen. Der Beklagte hat gegen das Urteil des SG keine Berufung eingelegt. Daher ist bereits das Berufungsverfahren auf die Frage beschränkt gewesen, ob die Kläger höhere Leistungsansprüche haben, weil von ihrem zu berücksichtigenden Einkommen eine monatliche Versicherungspauschale von jeweils 30 Euro abzusetzen ist. Gegen die entsprechende Verurteilung des Beklagten durch das LSG richtet sich dessen Revision.

14

2. Das Urteil des LSG ist aufzuheben und die Berufung der Kläger zurückzuweisen, denn die Entscheidungen des Beklagten über die Höhe der Leistungen der Kläger, die ohne Abzug einer Versicherungspauschale von deren Einkommen berechnet worden sind, sind rechtmäßig und verletzen die Kläger nicht in ihren Rechten.

15

a) Die Kläger waren im streitigen Zeitraum dem Grunde nach leistungsberechtigt.

16

Die zum streitigen Zeitraum minderjährigen Kläger lebten mit ihrer ebenfalls leistungsberechtigten Mutter und zwei weiteren Geschwistern in Bedarfsgemeinschaft (§ 7 Abs 3 Nr 4 SGB II). Ihre Mutter hatte das 15. Lebensjahr vollendet, war erwerbsfähig (§ 7 Abs 1 S 1 Nr 1, 2 SGB II) und hatte ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland (§ 7 Abs 1 S 1 Nr 4 SGB II). Die Kläger waren auch hilfebedürftig (§ 7 Abs 1 S 1 Nr 3 iVm § 9 Abs 1 SGB II), denn sie konnten ihren Bedarf nicht vollständig durch eigenes Einkommen oder durch Einkommen oder Vermögen der mit ihnen in Bedarfsgemeinschaft lebenden Mutter oder der Geschwister decken (§ 9 Abs 2 S 2 SGB II).

17

Als Einkommen zu berücksichtigen sind Einnahmen in Geld oder Geldeswert abzüglich der nach § 11b SGB II abzusetzenden Beträge und mit Ausnahme der in § 11a SGB II genannten privilegierten Arten von Einnahmen(§ 11 Abs 1 S 1 SGB II in der bis zum 31.7.2016 geltenden Neufassung vom 13.5.2011, BGBl I 850). Gemäß § 11 Abs 1 S 2 SGB II sind als Einkommen auch Zuflüsse aus Sozialleistungen, soweit sie dem Lebensunterhalt dienen, zu berücksichtigen. Das Kindergeld ist als Einkommen den zur Bedarfsgemeinschaft gehörenden Kindern zuzurechnen, soweit es bei dem jeweiligen Kind zur Sicherung des Lebensunterhalts benötigt wird (§ 11 Abs 1 S 4 SGB II aF). Da dies hier so ist, ist neben dem Unterhalt jeweils auch das Kindergeld als Einkommen der Kläger zu berücksichtigen.

18

Der Kläger zu 1. hatte demnach von November 2012 bis März 2013 ein Einkommen von 438 Euro monatlich sowie für April 2013 von 317 Euro. Die Klägerin zu 2. hatte im November 2012 ein Einkommen von 438 Euro sowie ab Dezember 2012 von 444 Euro. Das jeweilige Einkommen war bei der Berechnung der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zu berücksichtigen (§ 19 Abs 3 S 1 SGB II).

19

Das Einkommen der Kläger reichte zur Deckung ihres Bedarfs nicht vollständig aus. Der Bedarf des Klägers zu 1. hat im November und Dezember 2012 bei jeweils 287 Euro (Sozialgeld) zuzüglich anteiliger KdU gelegen (November 2012: 197,51 Euro, Dezember 2012: 215,46 Euro). Ab 1.1.2013 lag sein Bedarf bei 289 Euro (Sozialgeld) zuzüglich 214,19 Euro anteilige KdU. Der Bedarf der Klägerin zu 2. lag im November 2012 bei 251 Euro (Sozialgeld) zuzüglich 197,51 Euro anteilige KdU sowie im Dezember 2012 bei 251 Euro zuzüglich 215,46 Euro anteilige KdU. Von Januar bis April 2013 lag ihr Bedarf bei 289 Euro (Sozialgeld) zuzüglich 214,19 Euro anteilige KdU.

20

b) Das Einkommen der Kläger war in der Zeit vom 1.11.2012 bis 30.4.2013 nicht um die Versicherungspauschale von 30 Euro pro Person und Monat zu verringern.

21

§ 11b Abs 1 S 1 Nr 3 Halbs 1 SGB II ordnet im Hinblick auf "öffentliche oder private Versicherungen" zunächst an, dass die "Beiträge" als Abzug vom Einkommen zu berücksichtigen sind. Bei erwerbstätigen Leistungsberechtigten gehen diese Abzüge regelmäßig in dem Grundfreibetrag auf (§ 11b Abs 2 S 1 SGB II). Aus § 6 Abs 1 Nr 2 Alg II-V ergibt sich weiter, dass von dem Einkommen eines minderjährigen Leistungsberechtigten ein Pauschalbetrag in Höhe von 30 Euro monatlich für Beiträge zu Versicherungen iS des § 11b Abs 1 S 1 Nr 3 SGB II abzusetzen ist, wenn diese nach Grund und Höhe angemessen sind und der/die Minderjährige eine entsprechende Versicherung abgeschlossen hat.

22

Die Kläger haben als Minderjährige, gesetzlich vertreten durch ihre Mutter, am 28.9.2012 die Schüler-Zusatzversicherungen abgeschlossen und die Versicherungsbeiträge für das Schuljahr 2012/2013 am 8. bzw 19.10.2012 gezahlt. Auch wenn das Einkommen der Kläger lediglich aus Kindergeld und Unterhalt besteht, kann von diesen Einkommensarten grundsätzlich die Versicherungspauschale von 30 Euro abgesetzt werden (BSG Urteil vom 19.3.2008 - B 11b AS 7/06 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 10). Bei der Schüler-Zusatzversicherung des Landes Baden-Württemberg handelt es sich jedoch nicht um eine "öffentliche oder private Versicherung" iS von § 11b Abs 1 S 1 Nr 3 SGB II oder § 6 Abs 1 Nr 2 Alg II-V.

23

Zunächst ist die Schüler-Zusatzversicherung nicht als öffentliche Versicherung iS der genannten Vorschriften zu qualifizieren, denn deren Abschluss ist nicht durch Normen des öffentlichen Rechts vorgeschrieben.

24

Es handelt sich auch nicht um eine private Versicherung, wie sie in § 11b Abs 1 S 1 Nr 3 SGB II und § 6 Abs 1 Nr 2 Alg II-V vorausgesetzt wird. Zwar ist der Abschluss des Versicherungsvertrags über eine Schüler-Zusatzversicherung freiwillig. Es würde sich deshalb ggf um eine private Versicherung handeln, weil diese nach Maßgabe des Versicherungsvertragsgesetzes (VVG) und der Versicherungsbedingungen für die private Haftpflicht-, Unfall- und Sachschadensversicherung durchgeführt wird (Verwaltungsvorschrift des Ministeriums für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg vom 11.9.2009, KuU 1998, 310; sowie "Besondere Bedingungen und Risikobeschreibungen zur Schülerzusatzversicherung" idF vom 11.9.2009).

25

Allerdings handelt es sich nicht um eine "Versicherung" iS der § 11b Abs 1 S 1 Nr 3 SGB II, § 6 Abs 1 Nr 2 Alg II-V. Beide Regelungen erfassen als "private Versicherung" Versicherungsverträge iS des VVG, die am Markt und zu marktgerechten Preisen zwischen Versicherungsunternehmen und Versicherten angeboten und abgeschlossen werden. Für solche Versicherungen sieht § 1 VVG vor, dass der Versicherer sich mit dem Versicherungsvertrag verpflichtet, ein bestimmtes Risiko des Versicherungsnehmers oder eines Dritten durch eine Leistung abzusichern; diese hat er bei Eintritt des vereinbarten Versicherungsfalls zu erbringen. Der Versicherungsnehmer ist verpflichtet, an den Versicherer die vereinbarte Zahlung (Prämie) zu leisten. Beide Leistungen des Versicherungsvertrags stehen in einem Austauschverhältnis (Synallagma).

26

An einem äquivalenten Austauschverhältnis zwischen den Vertragspartnern eines Versicherungsvertrags fehlt es vorliegend. Im Rahmen der Schüler-Zusatzversicherung, wie sie im Land Baden-Württemberg angeboten wird, sichert der Versicherer die Versicherungsnehmer gegen das Risiko der privaten Haftung, das Risiko des Personenschadens durch Unfall, soweit er nicht durch die gesetzliche Unfallversicherung gedeckt ist, sowie des schulspezifischen Sachschadens ab. Für die nicht unerheblichen versicherten Risiken, insbesondere im Bereich privater Haftung, haben die Versicherungsnehmer mit einer Prämie von 1 Euro pro Jahr keine adäquate Gegenleistung zu erbringen. Dies beruht darauf, dass - wie das LSG für den Senat bindend festgestellt hat - die Versicherung vom Land Baden-Württemberg subventioniert wird. Eine solche Subvention muss nicht in einer Geldleistung bestehen, die das Land an den Versicherer abführt. Sie kann - wie vorliegend praktiziert - auch darin liegen, dass das Land einen Gruppenversicherungsvertrag mit Versicherungsunternehmen aushandelt und abschließt, der diese weitgehend von Aufgaben entlastet und es ihnen auf diese Weise ermöglicht, die Absicherung sehr preisgünstig, zu subventionierten Bedingungen anzubieten.

27

Nach dem Gruppenversicherungsvertrag zwischen dem Land Baden-Württemberg und zwei Versicherern übernehmen es die Schulen des Landes, die Schüler-Zusatzversicherung zu bewerben, die Formularvordrucke bereitzuhalten, einzusammeln und zu verwahren, die Versicherungsbeiträge zu erheben und die eingezogenen Beiträge gesammelt an eines der beiden in Betracht kommenden Versicherungsunternehmen weiterzuleiten. Der Abschluss der Verträge, die Verwaltung/Verwahrung der Verträge und der Beitragseinzug werden den Versicherungsunternehmen durch öffentliche Stellen abgenommen, sodass diese sich ggf nur um die Abwicklung von Versicherungsfällen kümmern müssen. Nur durch diese spezifische, im Gruppenversicherungsvertrag vereinbarte Arbeitsteilung, in die die Schulen eingebunden sind, können die Versicherungsunternehmen die Schüler-Zusatzversicherung zu dieser sehr günstigen "Prämie" anbieten.

28

Die Berücksichtigungsfähigkeit der Versicherung lässt sich auch nicht darauf gründen, dass die vom Land erbrachten Entlastungen den Klägern als eigene Leistungen zugerechnet werden können. Insoweit ergeben sich - möglicherweise abweichend von Gruppenversicherungen durch Arbeitgeber - keine durchgreifenden Gründe für eine Zurechnung.

29

Da die von den Klägern abgeschlossene Schüler-Zusatzversicherung keinen Absetzbetrag nach § 11b Abs 1 S 1 Nr 3 Halbs 1 SGB II oder § 6 Abs 1 Nr 2 Alg II-V auslöst, ist auf die Revision des Beklagten das Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 17.11.2015 aufzuheben und die Berufung der Kläger gegen das Urteil des SG Freiburg vom 6.3.2014 zurückzuweisen.

30

Für die Kosten des Klageverfahrens lebt mit der Beseitigung des Urteils des LSG der Kosten-ausspruch des SG wieder auf, wonach der Beklagte den Klägern die Hälfte der notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klageverfahrens zu erstatten hat. Für das Berufungs- und Revisionsverfahren sind Kosten nicht zu erstatten (§ 193 Abs 1 SGG).

Das Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit ist für Versicherte, Leistungsempfänger einschließlich Hinterbliebenenleistungsempfänger, behinderte Menschen oder deren Sonderrechtsnachfolger nach § 56 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch kostenfrei, soweit sie in dieser jeweiligen Eigenschaft als Kläger oder Beklagte beteiligt sind. Nimmt ein sonstiger Rechtsnachfolger das Verfahren auf, bleibt das Verfahren in dem Rechtszug kostenfrei. Den in Satz 1 und 2 genannten Personen steht gleich, wer im Falle des Obsiegens zu diesen Personen gehören würde. Leistungsempfängern nach Satz 1 stehen Antragsteller nach § 55a Absatz 2 Satz 1 zweite Alternative gleich. § 93 Satz 3, § 109 Abs. 1 Satz 2, § 120 Absatz 1 Satz 2 und § 192 bleiben unberührt. Die Kostenfreiheit nach dieser Vorschrift gilt nicht in einem Verfahren wegen eines überlangen Gerichtsverfahrens (§ 202 Satz 2).

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.