Bundessozialgericht Beschluss, 24. Okt. 2013 - B 13 R 230/13 B

bei uns veröffentlicht am24.10.2013

Tenor

Auf die Beschwerde des Klägers wird das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 14. Mai 2013 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

Gründe

1

I. Der Kläger wendet sich in der Sache dagegen, dass die Beklagte rückständige Beitragsforderungen gegen seine Altersrente aufrechnet.

2

Der im Jahre 1938 geborene Kläger (GdB von 90, Merkzeichen G, B; Bescheid des Versorgungsamtes vom 17.9.2012) ist als Rechtsanwalt tätig. Die Beklagte errechnete rückständige Pflichtbeiträge aufgrund versicherter selbständiger Tätigkeit des Klägers (iHv 48 677,60 €), mit denen sie ab November 2009 gegen seine laufende Altersrente mit einem Betrag iHv 800 € monatlich aufrechnete (Bescheid vom 10.9.2009; Widerspruchsbescheid vom 4.2.2010). Das SG Frankfurt am Main hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 25.10.2011 abgewiesen. Das Hessische LSG hat auf die mündliche Verhandlung vom 14.5.2013 die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid zurückgewiesen.

3

Der Kläger ist mit Schreiben der Berichterstatterin des LSG vom 26.3.2013 vom Termin zur mündlichen Verhandlung am 14.5.2013 benachrichtigt worden. Mit Schriftsatz vom 26.3.2013 hat er Akteneinsicht in seinen Kanzleiräumen beantragt mit der Begründung, dass sein Gesundheitszustand, insbesondere seine Sehbehinderung, die ihm zuvor eingeräumte Einsichtnahme auf der Geschäftsstelle ausschließe. Mit Schreiben vom 10.5.2013, das vorab per Telefax am 11.5.2013 beim LSG eingegangen ist, hat der Kläger beantragt, den Termin aufzuheben. Er hat darauf hingewiesen, dass seine am 23.4.2013 durchgeführte Augenoperation nicht den erhofften Erfolg gehabt habe. Beim Lesen und Erfassen von Texten sei er auf den Einsatz einer Lupe angewiesen. Seine "nochmals anwaltlich versicherte Sehbehinderung" lasse derzeit keine Terminswahrnehmung zu, auch mangels ausreichender Vorbereitungszeit. Mit Schreiben der Berichterstatterin vom 13.5.2013 wurde der Kläger gebeten, glaubhaft zu machen (§ 227 Abs 2 ZPO), dass er seit der Terminsmitteilung gesundheitlich gehindert sei, den Termin ausreichend vorzubereiten. In der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vor der Berichterstatterin mit zwei ehrenamtlichen Richtern vom 14.5.2013 ist festgehalten, dass der Kläger trotz ordnungsgemäßer Terminsmitteilung nicht erschienen sei. Zudem ist dort vermerkt, dass die Sitzung am 14.5.2013 um 11.40 Uhr begann und um 11.50 Uhr endete. Der Kläger hat mit Schreiben vom 14.5.2013, das am selben Tag um 11.04 Uhr per Telefax beim LSG eingegangen ist, eine ärztliche Bescheinigung vom 13.5.2013 eingereicht, wonach er vom 13.5.2013 bis einschließlich 24.5.2013 nicht arbeitsfähig sei. Mit Schreiben vom 16.5.2013 hat die Berichterstatterin dem Kläger mitgeteilt, dass sein Schreiben vom 14.5.2013 die zuständige Serviceeinheit an diesem Tag erst um 13.00 Uhr erreicht habe.

4

Mit der gegen das seine Berufung zurückweisende Urteil des LSG vom 14.5.2013 eingelegten Nichtzulassungsbeschwerde rügt der Kläger Verfahrensmängel (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG), ua die Verletzung seines Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs (§ 62 SGG, Art 103 Abs 1 GG). Das LSG habe seinen Verlegungsantrag zu Unrecht abgelehnt. Das LSG habe den Rechtsstreit entschieden, ohne ihn anzuhören.

5

II. Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist zulässig und im Sinne der Aufhebung und Zurückverweisung begründet.

6

Der Kläger hat den Zulassungsgrund des Verfahrensmangels (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG) formgerecht (§ 160a Abs 2 S 3 SGG) gerügt.

7

Der Verfahrensmangel liegt auch vor. Denn das LSG hat mit der Entscheidung über die Berufung des Klägers im Termin zur mündlichen Verhandlung am 14.5.2013 den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs 1 GG, § 62 SGG) verletzt.

8

Der Anspruch auf rechtliches Gehör im Sinne der aufgezeigten Vorschriften gebietet, den an einem gerichtlichen Verfahren Beteiligten Gelegenheit zu geben, sich zu dem der Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt vor Erlass der Entscheidung zu äußern. Wird aufgrund mündlicher Verhandlung entschieden, muss den Beteiligten unabhängig davon, ob sie die Möglichkeit zur schriftlichen Vorbereitung des Verfahrens genutzt haben, Gelegenheit gegeben werden, ihren Standpunkt in einer mündlichen Verhandlung darzulegen (vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 4 S 5 mwN). Ferner ist dem Anspruch auf rechtliches Gehör in der Regel dadurch genügt, dass das Gericht die mündliche Verhandlung anberaumt (§ 110 Abs 1 S 1 SGG), der Beteiligte bzw sein Prozessbevollmächtigter ordnungsgemäß geladen und die mündliche Verhandlung zu dem festgesetzten Zeitpunkt eröffnet wird (vgl BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 33; BSG vom 28.4.1999 - B 6 KA 40/98 R - Juris RdNr 16).

9

Grundsätzlich stellt zwar allein der Umstand, dass ein Beteiligter außer Stande ist, zur mündlichen Verhandlung zu erscheinen, und dies vorher mitteilt, noch keinen zwingenden Grund für eine Terminsverlegung dar (vgl Senatsbeschluss vom 24.9.2002 - B 13 RJ 55/02 B - Juris RdNr 9; BSG vom 12.2.2003 - B 9 SB 5/02 R - Juris RdNr 11). Dies gilt insbesondere dann, wenn das Gericht auf die Möglichkeit hingewiesen hat, dass bei Fernbleiben eines Beteiligten nach Lage der Akten entschieden werden kann (vgl dazu § 110 Abs 1 S 2 SGG).

10

Ein Termin zur mündlichen Verhandlung kann - und ggf muss - jedoch gemäß § 202 SGG iVm dem entsprechend anwendbaren § 227 Abs 1 S 1 ZPO bei Vorliegen erheblicher Gründe aufgehoben werden, auch wenn - wie vorliegend - das persönliche Erscheinen des Klägers nicht angeordnet worden ist(vgl Senatsbeschlüsse vom 29.3.2006 - B 13 RJ 199/05 B; vom 13.11.2008 - B 13 R 277/08 B - Juris RdNr 15 mwN). Ein iS des § 227 Abs 1 S 1 ZPO ordnungsgemäß gestellter Verlegungsantrag mit einem hinreichend substantiiert geltend und ggf glaubhaft gemachten Terminsverlegungsgrund begründet grundsätzlich eine entsprechende Pflicht des Gerichts zur Terminsverlegung(BSG SozR 3-1750 § 227 Nr 1 S 2; BSG vom 12.2.2003 - B 9 SB 5/02 R - Juris RdNr 11). Die Behandlung von Anträgen auf Terminsverlegung hat dabei der zentralen Gewährleistungsfunktion der mündlichen Verhandlung für den Anspruch der Beteiligten auf rechtliches Gehör zu genügen (vgl hierzu BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 33 S 58).

11

Die Verletzung des rechtlichen Gehörs ist unabhängig von einem Verschulden des Gerichts (BVerfGE 62, 347, 352), insbesondere auch davon, wen innerhalb des Gerichts ggf ein Verschulden trifft (vgl BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 33 S 59 f; BVerwG vom 29.11.1985 - 9 C 49/85 - NJW 1986, 1125; BFH vom 7.2.1995 - VIII R 48/92 - Juris RdNr 20). Vielmehr ist das Gericht insgesamt dafür verantwortlich, dass dem Gebot des rechtlichen Gehörs Rechnung getragen wird (vgl BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 33 S 59 f; BSG SozR 1500 § 62 Nr 17 S 17 mwN). Im Übrigen gilt, dass der Anspruch auf ein faires Verfahren verbietet, dass ein Gericht aus eigenen oder ihm zuzurechnenden Fehlern oder Versäumnissen Verfahrensnachteile für die Beteiligten ableitet (vgl BVerfGE 60, 1, 6 f; 69, 381, 386; 75, 183, 190; BVerfG vom 2.6.2010 - 1 BvR 448/06 - NZS 2011, 133; Senatsbeschluss vom 31.10.2012 - B 13 R 165/12 B - Juris RdNr 15). Wenn daher ein Terminsverlegungsantrag unberücksichtigt bleibt, der erst am Tage der mündlichen Verhandlung bei Gericht eingeht und dem Richter bis zur Urteilsverkündung nicht mehr vorgelegt wird, ist das rechtliche Gehör verletzt (vgl BSG SozR 1500 § 62 Nr 17 S 17; vgl auch BSG SozR Nr 16 zu § 62 SGG zu einem am Tag vor der mündlichen Verhandlung bei Gericht eingegangenen, aber unberücksichtigt gebliebenen Verlegungsantrag).

12

Der Kläger hat seinen mit Schriftsatz vom 10.5.2013 gestellten Antrag auf Terminsaufhebung mit dem Hinweis auf seine Augenerkrankung begründet, die eine Terminswahrnehmung nicht zulasse. Seine seit 13.5.2013 bestehende Arbeitsunfähigkeit hat er durch ärztliches Attest belegt. Obwohl das Attest noch vor der mündlichen Verhandlung beim Gericht eingegangen ist, hat es das LSG bei seiner Entscheidung über die Berufung des Klägers nicht berücksichtigt. Im Ergebnis unerheblich ist, dass das Attest erst ca eine halbe Stunde vor Sitzungsbeginn beim LSG eingegangen ist (Eingang des Faxes um 11.04 Uhr; Terminierung 11.15 Uhr, tatsächlicher Sitzungsbeginn 11.40 Uhr) und die zuständige Serviceeinheit erst nach Sitzungsende um 13.00 Uhr erreicht hat.

13

Das rechtliche Gehör des Klägers wäre nur dann nicht verletzt, wenn das Attest des Klägers so kurzfristig beim LSG eingegangen wäre, dass es nach den Umständen des Einzelfalls ausgeschlossen gewesen wäre, dass es die zuständige Richterin noch erreicht hätte (vgl BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 33 S 59). Eine solche Situation lag hier nicht vor. Der Kläger hat auf die Dringlichkeit in seinem Schreiben vom 14.5.2013 deutlich hingewiesen, indem er es mit dem Zusatz "Eilt! Sofort vorlegen! Termin: Heute!" versehen hatte. Die verbleibende Zeit von ca 30 Minuten bis zum Sitzungsbeginn war nicht unangemessen zu kurz, weil diese Zeitspanne innerhalb der ortsüblichen Geschäftszeiten eines Gerichts lag (hier vor 12.00 Uhr), in der die Posteingangsstelle des Gerichts regelmäßig besetzt ist. Im Übrigen wäre es ausreichend gewesen, wenn das Telefax des Klägers die zuständige Richterin bis zur Urteilsverkündung erreicht hätte.

14

Da die Richterin den Kläger am Vortag der mündlichen Verhandlung selbst zur Vorlage eines Nachweises seiner Verhinderung aufgefordert hatte, hätte nahegelegen, die Posteingangsstelle zu bitten, evtl eingehende Post sofort vorzulegen oder jedenfalls unmittelbar vor Sitzungsbeginn nachzufragen, ob ein Schreiben des Klägers eingegangen ist. Denn üblicherweise sind der Posteingangsstelle die am selben Tag stattfindenden Sitzungen bekannt und dazugehörige Posteingänge werden entsprechend sorgfältig behandelt. Die Ungewissheit, aus welchem Grund das Attest des Klägers den Senat nicht rechtzeitig vor der Urteilsverkündung erreicht hat, kann aber aus den dargelegten Gründen nicht zu Lasten des Klägers gehen. Vielmehr ist davon auszugehen, dass bei sofortiger Weiterleitung des Schriftverkehrs das Attest den Senat noch rechtzeitig erreicht hätte. Hindernisse in der Gerichtsorganisation, die einer sofortigen Weitergabe des Faxes entgegengestanden hätten, sind nicht ersichtlich.

15

Die unterbliebene Verlegung oder Vertagung des Termins stellt sich als Verstoß gegen die Verpflichtung zur Gewährung des rechtlichen Gehörs im gerichtlichen Verfahren dar (Art 103 Abs 1 GG, § 62 SGG) und ist damit ein wesentlicher Verfahrensmangel. Die angefochtene Entscheidung kann darauf auch beruhen. Es ist grundsätzlich davon auszugehen, dass eine Verletzung des rechtlichen Gehörs, die einen Verfahrensbeteiligten daran gehindert hat, an der mündlichen Verhandlung teilzunehmen, die darauf ergangene Entscheidung beeinflusst hat; einer Angabe, welches Vorbringen durch das beanstandete Verfahren verhindert worden ist, bedarf es nicht (BSG vom 12.2.2003 - B 9 SB 5/02 R - Juris RdNr 13; BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 33 S 62; Senatsbeschluss vom 13.11.2008 - B 13 R 277/08 B - Juris RdNr 18).

16

Auf der Grundlage von § 160a Abs 5 SGG macht der Senat von der Möglichkeit Gebrauch, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.

17

Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens bleibt der abschließenden Entscheidung des LSG vorbehalten.

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(1) Aus erheblichen Gründen kann ein Termin aufgehoben oder verlegt sowie eine Verhandlung vertagt werden. Erhebliche Gründe sind insbesondere nicht1.das Ausbleiben einer Partei oder die Ankündigung, nicht zu erscheinen, wenn nicht das Gericht dafür

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Vor jeder Entscheidung ist den Beteiligten rechtliches Gehör zu gewähren; die Anhörung kann schriftlich oder elektronisch geschehen.

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(1) Der Vorsitzende bestimmt Ort und Zeit der mündlichen Verhandlung und teilt sie den Beteiligten in der Regel zwei Wochen vorher mit. Die Beteiligten sind darauf hinzuweisen, daß im Falle ihres Ausbleibens nach Lage der Akten entschieden werden kan

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(1) Aus erheblichen Gründen kann ein Termin aufgehoben oder verlegt sowie eine Verhandlung vertagt werden. Erhebliche Gründe sind insbesondere nicht

1.
das Ausbleiben einer Partei oder die Ankündigung, nicht zu erscheinen, wenn nicht das Gericht dafür hält, dass die Partei ohne ihr Verschulden am Erscheinen verhindert ist;
2.
die mangelnde Vorbereitung einer Partei, wenn nicht die Partei dies genügend entschuldigt;
3.
das Einvernehmen der Parteien allein.

(2) Die erheblichen Gründe sind auf Verlangen des Vorsitzenden, für eine Vertagung auf Verlangen des Gerichts glaubhaft zu machen.

(3) Ein für die Zeit vom 1. Juli bis 31. August bestimmter Termin, mit Ausnahme eines Termins zur Verkündung einer Entscheidung, ist auf Antrag innerhalb einer Woche nach Zugang der Ladung oder Terminsbestimmung zu verlegen. Dies gilt nicht für

1.
Arrestsachen oder die eine einstweilige Verfügung oder einstweilige Anordnung betreffenden Sachen,
2.
Streitigkeiten wegen Überlassung, Benutzung, Räumung oder Herausgabe von Räumen oder wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs,
3.
(weggefallen)
4.
Wechsel- oder Scheckprozesse,
5.
Bausachen, wenn über die Fortsetzung eines angefangenen Baues gestritten wird,
6.
Streitigkeiten wegen Überlassung oder Herausgabe einer Sache an eine Person, bei der die Sache nicht der Pfändung unterworfen ist,
7.
Zwangsvollstreckungsverfahren oder
8.
Verfahren der Vollstreckbarerklärung oder zur Vornahme richterlicher Handlungen im Schiedsverfahren;
dabei genügt es, wenn nur einer von mehreren Ansprüchen die Voraussetzungen erfüllt. Wenn das Verfahren besonderer Beschleunigung bedarf, ist dem Verlegungsantrag nicht zu entsprechen.

(4) Über die Aufhebung sowie Verlegung eines Termins entscheidet der Vorsitzende ohne mündliche Verhandlung; über die Vertagung einer Verhandlung entscheidet das Gericht. Die Entscheidung ist kurz zu begründen. Sie ist unanfechtbar.

(1) Gegen das Urteil eines Landessozialgerichts und gegen den Beschluss nach § 55a Absatz 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundessozialgericht nur zu, wenn sie in der Entscheidung des Landessozialgerichts oder in dem Beschluß des Bundessozialgerichts nach § 160a Abs. 4 Satz 1 zugelassen worden ist.

(2) Sie ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs. 1 Satz 1 und auf eine Verletzung des § 103 nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das Landessozialgericht ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

(3) Das Bundessozialgericht ist an die Zulassung gebunden.

Vor jeder Entscheidung ist den Beteiligten rechtliches Gehör zu gewähren; die Anhörung kann schriftlich oder elektronisch geschehen.

(1) Gegen das Urteil eines Landessozialgerichts und gegen den Beschluss nach § 55a Absatz 5 Satz 1 steht den Beteiligten die Revision an das Bundessozialgericht nur zu, wenn sie in der Entscheidung des Landessozialgerichts oder in dem Beschluß des Bundessozialgerichts nach § 160a Abs. 4 Satz 1 zugelassen worden ist.

(2) Sie ist nur zuzulassen, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
das Urteil von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3.
ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann; der geltend gemachte Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung der §§ 109 und 128 Abs. 1 Satz 1 und auf eine Verletzung des § 103 nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das Landessozialgericht ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist.

(3) Das Bundessozialgericht ist an die Zulassung gebunden.

(1) Die Nichtzulassung der Revision kann selbständig durch Beschwerde angefochten werden. Die Beschwerde ist bei dem Bundessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils einzulegen. Der Beschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des Urteils, gegen das die Revision eingelegt werden soll, beigefügt werden. Satz 3 gilt nicht, soweit nach § 65a elektronische Dokumente übermittelt werden.

(2) Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Urteils zu begründen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden einmal bis zu einem Monat verlängert werden. In der Begründung muß die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt oder die Entscheidung, von der das Urteil des Landessozialgerichts abweicht, oder der Verfahrensmangel bezeichnet werden.

(3) Die Einlegung der Beschwerde hemmt die Rechtskraft des Urteils.

(4) Das Bundessozialgericht entscheidet unter Zuziehung der ehrenamtlichen Richter durch Beschluss; § 169 gilt entsprechend. Dem Beschluß soll eine kurze Begründung beigefügt werden; von einer Begründung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen. Mit der Ablehnung der Beschwerde durch das Bundessozialgericht wird das Urteil rechtskräftig. Wird der Beschwerde stattgegeben, so beginnt mit der Zustellung dieser Entscheidung der Lauf der Revisionsfrist.

(5) Liegen die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 3 vor, kann das Bundessozialgericht in dem Beschluss das angefochtene Urteil aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverweisen.

Vor jeder Entscheidung ist den Beteiligten rechtliches Gehör zu gewähren; die Anhörung kann schriftlich oder elektronisch geschehen.

(1) Der Vorsitzende bestimmt Ort und Zeit der mündlichen Verhandlung und teilt sie den Beteiligten in der Regel zwei Wochen vorher mit. Die Beteiligten sind darauf hinzuweisen, daß im Falle ihres Ausbleibens nach Lage der Akten entschieden werden kann.

(2) Das Gericht kann Sitzungen auch außerhalb des Gerichtssitzes abhalten, wenn dies zur sachdienlichen Erledigung notwendig ist.

(3) § 227 Abs. 3 Satz 1 der Zivilprozeßordnung ist nicht anzuwenden.

Soweit dieses Gesetz keine Bestimmungen über das Verfahren enthält, sind das Gerichtsverfassungsgesetz und die Zivilprozeßordnung einschließlich § 278 Absatz 5 und § 278a entsprechend anzuwenden, wenn die grundsätzlichen Unterschiede der beiden Verfahrensarten dies nicht ausschließen; Buch 6 der Zivilprozessordnung ist nicht anzuwenden. Die Vorschriften des Siebzehnten Titels des Gerichtsverfassungsgesetzes sind mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden, dass an die Stelle des Oberlandesgerichts das Landessozialgericht, an die Stelle des Bundesgerichtshofs das Bundessozialgericht und an die Stelle der Zivilprozessordnung das Sozialgerichtsgesetz tritt. In Streitigkeiten über Entscheidungen des Bundeskartellamts, die die freiwillige Vereinigung von Krankenkassen nach § 172a des Fünften Buches Sozialgesetzbuch betreffen, sind die §§ 63 bis 80 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden, dass an die Stelle des Oberlandesgerichts das Landessozialgericht, an die Stelle des Bundesgerichtshofs das Bundessozialgericht und an die Stelle der Zivilprozessordnung das Sozialgerichtsgesetz tritt.

(1) Aus erheblichen Gründen kann ein Termin aufgehoben oder verlegt sowie eine Verhandlung vertagt werden. Erhebliche Gründe sind insbesondere nicht

1.
das Ausbleiben einer Partei oder die Ankündigung, nicht zu erscheinen, wenn nicht das Gericht dafür hält, dass die Partei ohne ihr Verschulden am Erscheinen verhindert ist;
2.
die mangelnde Vorbereitung einer Partei, wenn nicht die Partei dies genügend entschuldigt;
3.
das Einvernehmen der Parteien allein.

(2) Die erheblichen Gründe sind auf Verlangen des Vorsitzenden, für eine Vertagung auf Verlangen des Gerichts glaubhaft zu machen.

(3) Ein für die Zeit vom 1. Juli bis 31. August bestimmter Termin, mit Ausnahme eines Termins zur Verkündung einer Entscheidung, ist auf Antrag innerhalb einer Woche nach Zugang der Ladung oder Terminsbestimmung zu verlegen. Dies gilt nicht für

1.
Arrestsachen oder die eine einstweilige Verfügung oder einstweilige Anordnung betreffenden Sachen,
2.
Streitigkeiten wegen Überlassung, Benutzung, Räumung oder Herausgabe von Räumen oder wegen Fortsetzung des Mietverhältnisses über Wohnraum auf Grund der §§ 574 bis 574b des Bürgerlichen Gesetzbuchs,
3.
(weggefallen)
4.
Wechsel- oder Scheckprozesse,
5.
Bausachen, wenn über die Fortsetzung eines angefangenen Baues gestritten wird,
6.
Streitigkeiten wegen Überlassung oder Herausgabe einer Sache an eine Person, bei der die Sache nicht der Pfändung unterworfen ist,
7.
Zwangsvollstreckungsverfahren oder
8.
Verfahren der Vollstreckbarerklärung oder zur Vornahme richterlicher Handlungen im Schiedsverfahren;
dabei genügt es, wenn nur einer von mehreren Ansprüchen die Voraussetzungen erfüllt. Wenn das Verfahren besonderer Beschleunigung bedarf, ist dem Verlegungsantrag nicht zu entsprechen.

(4) Über die Aufhebung sowie Verlegung eines Termins entscheidet der Vorsitzende ohne mündliche Verhandlung; über die Vertagung einer Verhandlung entscheidet das Gericht. Die Entscheidung ist kurz zu begründen. Sie ist unanfechtbar.

Tenor

1. Die Beschlüsse des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen vom 11. Januar 2006 - L 15 B 16/05 AL RG -, und vom 21. September 2005 - L 15 B 4/05 AL - , soweit damit die Beschwerde des Beschwerdeführers im Übrigen zurückgewiesen wird, verletzen den Beschwerdeführer in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG. Sie werden aufgehoben. Die Sache wird an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

2. Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.

3. ...

Gründe

1

Die Verfassungsbeschwerde betrifft ein sozialgerichtliches Verfahren wegen der Auferlegung eines Ordnungsgeldes.

I.

2

1. Dem Beschwerdeführer wurde in der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht ein Ordnungsgeld in Höhe von 100 € wegen ungebührlichen Benehmens auferlegt, weil er trotz mehrfacher Hinweise und Androhung des Ordnungsgelds in seinem Redefluss während einer Beweisaufnahme weiter fortgefahren war. Im Protokoll der mündlichen Verhandlung wurde über das Kürzel "b.u.v." hinaus nicht vermerkt, in welcher Besetzung der Beschluss gefasst worden war.

3

Die schriftlich begründete Beschlussausfertigung vom selben Tag nennt allein den Vorsitzenden als Erlassenden und sieht - abweichend vom Protokoll - ergänzend vor, dass für den Fall der Nichtbeitreibung Ordnungshaft von zwei Tagen festgesetzt wird.

4

2. Nachdem der Beschwerdeführer gegen den Beschluss Beschwerde erhoben hatte, erließ der Vorsitzende des Sozialgerichts am 18. August 2005 einen Berichtigungsbeschluss, wonach der Ordnungsgeldbeschluss durch den Vorsitzenden und die beiden ehrenamtlichen Richter beschlossen worden sei. Es handele sich um eine offensichtliche Unrichtigkeit im Sinne der §§ 138, 142 Sozialgerichtsgesetz (SGG), weil der Beschluss in der öffentlichen Sitzung gefasst worden sei, an der die ehrenamtlichen Richter beteiligt gewesen seien. Die Rechtsmittelbelehrung zu dem Berichtigungsbeschluss weist den Beschwerdeführer auf die Statthaftigkeit einer Beschwerde binnen Monatsfrist hin.

5

3. Das Landessozialgericht hob auf die Beschwerde den Ordnungsgeldbeschluss in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses insoweit durch unanfechtbaren Beschluss vom 21. September 2005 auf, als nachträglich ersatzweise Ordnungshaft festgesetzt worden war, und wies die Beschwerde im Übrigen zurück. Dabei ging das Landessozialgericht davon aus, dass der Ordnungsgeldbeschluss von der Kammer gefasst worden sei, wie dies der Berichtigungsbeschluss ausweise.

6

4. Am nächsten Tag erhob der Beschwerdeführer - noch fristgerecht - Beschwerde gegen den Berichtigungsbeschluss. Darin führte der Beschwerdeführer aus, dass tatsächlich nicht die gesamte Kammer, sondern allein der Vorsitzende des Sozialgerichts den Beschluss über das Ordnungsgeld ohne Rücksprache "blitzartig" verhängt habe.

7

5. Der Beschwerdeführer erhob außerdem Anhörungsrüge gegen den unanfechtbaren Beschluss des Landessozialgerichts. Dieser Beschluss sei gefasst worden, bevor die Beschwerdefrist gegen den Berichtigungsbeschluss abgelaufen sei. Die Äußerungen in seiner Beschwerdeschrift, wonach das Ordnungsgeld ausschließlich durch den Vorsitzenden verhängt worden sei, müssten noch zur Kenntnis genommen werden.

8

6. Das Landessozialgericht hob den Berichtigungsbeschluss des Sozialgerichts auf, weil nicht festgestellt werden könne, dass es sich bei dem angefochtenen Beschluss um die Berichtigung einer "offenbaren Unrichtigkeit" gehandelt habe, die auch ohne Anhörung berichtigt werden könne. Allein aus dem Umstand, dass der Beschluss laut Protokoll in öffentlicher Sitzung, an der die ehrenamtlichen Richter beteiligt gewesen seien, gefasst wurde, ergebe sich nicht mit hinreichender Klarheit, dass es sich um einen Beschluss der Kammer und nicht allein des Vorsitzenden gehandelt habe. Eine Beschlussfassung durch die Kammer werde hier nicht durch das Protokoll bewiesen. Zweifel blieben, weil eine Unterbrechung der Sitzung nicht stattgefunden habe, eine Kurzverständigung zwischen den Mitgliedern der Kammer am Richtertisch nicht vermerkt und nach den - in der Abhilfeprüfung - unwidersprochenen Angaben des Beschwerdeführers auch nicht erfolgt sei. Unter diesen Umständen habe eine Korrektur des Beschlusses nicht erfolgen können.

9

7. Mit Beschluss vom selben Tag wies das Landessozialgericht die Anhörungsrüge zurück. Die unanfechtbare Entscheidung über die erste Beschwerde sei nicht erneut aufzugreifen. Die Beschwerdefrist zu dem Berichtigungsbeschluss habe nicht abgewartet werden müssen. Dem Beschwerdeführer habe im Rahmen des ersten Beschwerdeverfahrens eine angemessene Frist zur Äußerungsmöglichkeit vor der Entscheidung zur Verfügung gestanden, auch sofern er Einwendungen gegen den Berichtigungsbeschluss in diesem Verfahren erheben wollte. Das Landessozialgericht habe bereits vor Eintritt der Rechtskraft des Berichtigungsbeschlusses entscheiden dürfen. Ein Berichtigungsbeschluss sei wirksam, solange er nicht aufgehoben werde. Die Tatsache, dass der Berichtigungsbeschluss aufzuheben war, führe nicht dazu, dass nachträglich ein Anhörungsfehler eingetreten wäre.

10

Eine Abänderung sei auch nicht veranlasst, wenn man das Vorbringen als außerordentlichen Rechtsbehelf verstehe. Insoweit räumt das Landessozialgericht zwar ein, dass der Beschluss über die erste Beschwerde so nicht ergangen wäre, wenn nicht zum Zeitpunkt der Entscheidung der Berichtigungsbeschluss vorgelegen hätte. Maßgebend sei aber, dass sich an der Beurteilung der materiellen Berechtigung der Auferlegung eines Ordnungsmittels nichts geändert habe und der Beschluss nach den zur Zeit der Beschwerdeentscheidung gegebenen Umständen auch formell der Rechtslage entsprochen habe. Grobes prozessuales Unrecht ergebe sich nicht daraus, dass der Ordnungsgeldbeschluss möglicherweise unter Verletzung einer Verfahrensvorschrift zustande gekommen sei, was sich daraus ableiten lasse, dass Verletzungen der örtlichen oder sachlichen Zuständigkeit selbst im Rahmen der Prüfung des rechtlichen Gehörs unbeachtlich seien. Es gebe daher keine Veranlassung, den unanfechtbaren Beschluss erneut aufzugreifen.

11

8. Mit der Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung seiner Rechte aus Art. 103 Abs. 1 GG und Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG und beantragt eine Zurückverweisung an das Landessozialgericht.

12

9. Das Land Niedersachsen und die Freie Hansestadt Bremen hatten Gelegenheit zur Äußerung, sahen aber von einer Stellungnahme ab.

II.

13

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde nach § 93a Abs. 2 Buchstabe b in Verbindung mit § 93b Satz 1 BVerfGG zur Entscheidung an und gibt ihr nach § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG statt. Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig und unter Berücksichtigung der bereits hinreichend geklärten Maßstäbe zu Art. 103 Abs. 1 GG auch offensichtlich begründet. Die angegriffenen Entscheidungen des Landessozialgerichts über die teilweise Zurückweisung der Beschwerde gegen den Ordnungsgeldbeschluss sowie die Zurückweisung der Anhörungsrüge verletzen den Beschwerdeführer in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör.

14

1. Maßgebend für Art. 103 Abs. 1 GG ist der Gedanke, dass ein Verfahrensbeteiligter Gelegenheit haben muss, durch seinen Vortrag die Willensbildung des Gerichts zu beeinflussen (vgl. BVerfGE 22, 114 <119>). Art. 103 Abs. 1 GG steht in einem funktionalen Zusammenhang mit der Rechtsschutzgarantie des Grundgesetzes. Das einfache Recht und seine Anwendung im Einzelfall müssen von Verfassungs wegen ein Ausmaß an Gehör eröffnen, das sachangemessen ist, um dem Erfordernis eines wirkungsvollen Rechtsschutzes gerecht zu werden (vgl. BVerfGE 35, 263 <274>; 40, 272 <274 f.>; 74, 220 <224>; 77, 275 <284>; 81, 123 <129>).

15

In die Prüfung des Art. 103 Abs. 1 GG sind auch die Grundsätze rechtsstaatlicher Verfahrensgestaltung einzubeziehen. Es muss insbesondere bei der Frage nach der Rechtzeitigkeit eines Vorbringens berücksichtigt werden, ob das Verhalten eines Beschwerdeführers auch auf gerichtlichem Fehlverhalten beruht (vgl. BVerfGE 75, 183 <190 f.>). Der Grundsatz der fairen Verfahrensgestaltung verwehrt es den Gerichten, aus eigenen oder ihnen zuzurechnenden Fehlern oder Versäumnissen Verfahrensnachteile für die Beteiligten abzuleiten (vgl. BVerfGE 75, 183 <190 f.>; 78, 123 <126>).

16

2. An diesen Grundsätzen gemessen hat das Landessozialgericht in dem ersten Beschwerdeverfahren gegen Art. 103 Abs. 1 GG verstoßen, weil es dem Beschwerdeführer rechtliches Gehör zu einer erheblichen Tatsache nicht in angemessenem Umfang gewährte. Dies hätte auch bei der Entscheidung über die Anhörungsrüge beachtet werden müssen.

17

a) Die Frage, ob der Vorsitzende allein oder zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern das Ordnungsgeld beschlossen hat, ist für dessen Rechtmäßigkeit von erheblicher Bedeutung. Sie berührt die Bestimmung des gesetzlichen Richters in seiner einfachgesetzlichen Ausprägung. Gesetzlicher Richter im Sinne von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG sind die im Einzelfall nach den allgemeinen Normen der Gesetze zur Mitwirkung berufenen Richter (vgl. BVerfGE 21, 139 <145>; 48, 246 <254>; 95, 322 <329>). Das grundrechtsgleiche Recht erstreckt sich auf das Verhältnis von Kollegium zu Einzelrichter (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 2. Juni 2009 - 1 BvR 2295/08 -, NJW-RR 2010, S. 268; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, 10. Aufl. 2009, Art. 101 Rn. 13).

18

Gemäß § 61 Abs. 1 SGG in Verbindung mit § 178 Abs. 2 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) entscheidet der Vorsitzende über die Festsetzung von Ordnungsmitteln gegenüber Personen, die bei der Verhandlung nicht beteiligt sind, in den übrigen Fällen und insbesondere gegenüber dem Kläger als Beteiligten aber das Gericht (vgl. Zimmermann, in: Münchener Kommentar, Zivilprozessordnung mit Gerichtsverfassungsgesetz und Nebengesetzen, 3. Aufl. 2008, § 178 GVG, Rn. 3, 15). Nach der Regel des § 12 Abs. 1 Satz 1 SGG musste daher über das Ordnungsgeld in der Besetzung mit dem Vorsitzenden und zwei ehrenamtlichen Richtern beschlossen werden. Dem hatte eine entsprechende Beratung und Abstimmung (§ 61 Abs. 2 SGG i.V.m. §§ 192 ff. GVG, vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl. 2008, § 142 Rn. 3a) vorauszugehen. Bei der Frage, ob und in welcher Höhe Ordnungsgeld verhängt wird, handelt es sich um eine Ermessensentscheidung.

19

Die Mitwirkung der ehrenamtlichen Beisitzer ist ein tragender Grundsatz des sozialgerichtlichen Verfahrens (vgl. BSGE 7, 230 <234>). Verstöße dagegen sind grundsätzlich in jeder Lage des Rechtsstreits auch ohne Rüge der Beteiligten von Amts wegen zu beachten (vgl. BSGE 7, 230 <234>; BSGE 99, 189 <191>; Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, 9. Aufl. 2008, § 12 Rn. 12).

20

Das Landessozialgericht ging bezüglich der Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter bei der Beschlussfassung über das Ordnungsgeld zunächst von der Wirksamkeit und Richtigkeit des Berichtigungsbeschlusses aus. Es weist später in der Entscheidung über die Anhörungsrüge selbst darauf hin, dass die erste Entscheidung so nicht ergangen wäre, wenn nicht der Berichtigungsbeschluss vorgelegen hätte.

21

b) Ein Gericht darf aber nur solche entscheidungserhebliche Tatsachen verwenden, zu denen sich die Verfahrensbeteiligten vorher ausreichend äußern konnten (vgl. BVerfGE 70, 180 <189>). Der Beschwerdeführer hatte seine erste Beschwerde bereits begründet, bevor der Berichtigungsbeschluss erging. Nach dessen Erlass war ihm noch eine sachangemessene Äußerungsfrist einzuräumen.

22

Soweit das Landessozialgericht in dem Beschluss über die Anhörungsrüge meint, dass dem Beschwerdeführer durchaus eine angemessene Frist vor der Entscheidung vom 21. September 2005 zur Verfügung gestanden hätte, um Einwendungen gegen den Berichtigungsbeschluss zu erheben, so verkennt es bei dieser Wertung die Reichweite des Art. 103 Abs. 1 GG und der dabei zu beachtenden Grundsätze eines rechtsstaatlichen Verfahrens.

23

Der anwaltlich nicht vertretene Beschwerdeführer durfte darauf vertrauen, dass er sich innerhalb der Rechtsmittelfrist zu dem Berichtigungsbeschluss äußern durfte, ohne Einbußen an einem effektiven Rechtsschutz zu erleiden. Gesetzlich eingeräumte Fristen dürfen grundsätzlich bis zum letzten Tag ausgenutzt werden (vgl. BVerfGE 40, 42 <44>; 41, 323 <328>; 74, 220 <224>).

24

Auch wenn sich die Rechtsbehelfsfrist formal auf eine andere Entscheidung bezog und ein neues Verfahren eröffnete, waren die beiden Verfahren doch inhaltlich eng miteinander verbunden. Erst der Erlass des gesondert anfechtbaren Berichtigungsbeschlusses machte überhaupt ein weiteres Tätigwerden des Beschwerdeführers erforderlich; ansonsten wäre die Frage der Zuständigkeit von Amts wegen zu klären gewesen. Allein aus einem gerichtlichen Fehlverhalten dürfen dem Beschwerdeführer aber keine Nachteile erwachsen.

25

Zwar ist es verfassungsrechtlich noch nicht zu beanstanden, dass das Landessozialgericht trotz der fehlenden Voraussetzungen des § 138 SGG zunächst von der Wirksamkeit des Berichtigungsbeschlusses ausging. Hierbei konnte sich das Gericht auf eine in Literatur und Rechtsprechung vertretene Auffassung stützen, wonach fehlerhafte Berichtigungsentscheidungen regelmäßig zunächst wirksam und nur mit den in der Prozessordnung vorgesehenen Rechtsmitteln anfechtbar sind (vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, 9. Aufl. 2008, Sozialgerichtsgesetz, § 138 Rn. 5b; vgl. BGHZ 127, 74). Es kann dahin stehen, ob hier bereits ein Ausnahmefall anzunehmen war, weil keine ohne Weiteres erkennbare Unrichtigkeit im Sinne des § 138 SGG vorlag (vgl. BVerwG, Beschluss vom 9. November 2009 - 7 B 10/09 -, NVwZ 2010, S. 186, 187; BGH, Beschluss vom 9. Dezember 1992 - XII ZB 114/92 -, NJW 1993, S. 1399, 1400).

26

Die Zweifel an dem Vorliegen einer offenbaren Unrichtigkeit, die sich schon aus der Begründung des Berichtigungsbeschlusses und der Sitzungsniederschrift ergaben, hätten aber jedenfalls Anlass geboten, die Rechtsmittelfrist abzuwarten. Unter den gegebenen Umständen stellte die Anfechtbarkeit des Berichtigungsbeschlusses einen zu berücksichtigenden Gesichtspunkt bei der Bestimmung des sachangemessenen Gehörs dar. Das Erfordernis eines wirkungsvollen Rechtsschutzes, die Auswirkung des Berichtigungsbeschlusses auf die Frage nach dem gesetzlichen Richter und der Grundsatz des fairen Verfahrens geboten ein Abwarten der Rechtsmittelfrist. Gegenüber diesen Belangen hatte das gerichtliche Interesse an einer zügigen Erledigung zurückzustehen, zumal da Belange der Beklagten in dem Verfahren zu dem Ordnungsgeld nicht betroffen waren.

27

c) Auf der Grundrechtsverletzung beruhen die angegriffenen Entscheidungen des Landessozialgerichts. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Landessozialgericht bei Berücksichtigung der Rechtsmittelfrist eine andere Entscheidung im Beschwerdeverfahren über den Ordnungsgeldbeschluss getroffen hätte. Insbesondere kann davon ausgegangen werden, dass der für beide Verfahren zuständige Senat den Abschluss des zweiten Verfahrens für die Entscheidung im ersten Beschwerdeverfahren abgewartet hätte, um einen wirkungsvollen Rechtsschutz zu gewährleisten.

28

3. Es bedarf wegen dieser erfolgreichen Rüge keiner Entscheidung darüber, ob das Landessozialgericht bei seiner Entscheidung über die Gegenvorstellung die Reichweite des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verkannte, weil es ein grobes prozessuales Unrecht wegen der möglicherweise fehlenden Zuständigkeit von vorneherein für ausgeschlossen gehalten hat.

29

4. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist zur Durchsetzung des Rechts des Beschwerdeführers angezeigt, auch wenn das Ordnungsgeld nur eine relativ geringe Belastung darstellt. Die Besonderheiten des Sachverhalts erlauben keine Deutung, wonach nur eine als einfaches Versehen zu qualifizierende gerichtliche Nachlässigkeit vorliegt (vgl. BVerfGK 7, 438 <442>).

III.

30

Die angegriffenen Entscheidungen des Landessozialgerichts sind daher aufzuheben und die Sache erneut an das Landessozialgericht zurückzuverweisen (§ 93c Abs. 2 i.V.m. § 95 BVerfGG). Dieses hat insbesondere zu entscheiden, ob das Sozialgericht bei der Verhängung des Ordnungsgeldbeschlusses tatsächlich gegen die gesetzliche Zuständigkeitsbestimmung des § 12 Abs. 1 SGG verstoßen hat. Bei einem gegebenenfalls festgestellten erheblichen Verfahrensmangel des sozialgerichtlichen Verfahrens kommt eine Zurückverweisung an das Sozialgericht nicht in Frage, weil die sitzungspolizeiliche Gewalt mit dem Schluss der Sitzung endete (vgl. Kissel/Mayer, 5. Aufl. 2008, Gerichtsverfassungsgesetz, § 181 Rn. 16). Wird die Festsetzung des Ordnungsgeldes aufgehoben, so sind ihre Folgen rückgängig zu machen (vgl. Kissel/Mayer, 5. Aufl. 2008, Gerichtsverfassungsgesetz, § 181 Rn. 18).

IV.

31

Soweit sich die Verfassungsbeschwerde auch gegen den Beschluss des Sozialgerichts richtet, ist ihre Annahme zur Entscheidung weder wegen grundsätzlicher verfassungsrechtlicher Bedeutung noch zur Durchsetzung der verfassungsmäßigen Rechte des Beschwerdeführers angezeigt (§ 93a Abs. 2 BVerfGG). Insoweit wird von einer Begründung abgesehen (§ 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG).

V.

32

Die Entscheidung über die notwendigen Auslagen beruht auf § 34a Abs. 2 und Abs. 3 BVerfGG.

Tenor

Das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 20. März 2012 wird aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

Gründe

1

I. Die Beteiligten streiten im Zugunstenverfahren über die Höhe der dem Kläger gewährten Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (EU).

2

Der im Jahre 1969 geborene Kläger ist blind. Seit 1.11.1987 bezog er eine Invalidenrente aus der Sozialversicherung der DDR. Diese Rente wurde zum 1.1.1992 umgewertet und wird seither als Rente wegen EU gezahlt (anfänglicher monatlicher Zahlbetrag 962,29 DM nebst Auffüllbetrag von 197,77 DM; Bescheid Landesversicherungsanstalt Berlin vom 2.12.1991).

3

Der im Juli 2002 gestellte Überprüfungsantrag des Klägers, mit dem er die Weiterzahlung seiner Invalidenrente unter Dynamisierung des Rentenbetrags ab Januar 1992 begehrte, blieb erfolglos (Bescheid vom 15.11.2006; Widerspruchsbescheid vom 19.3.2007). Das SG Berlin hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 21.11.2007 abgewiesen, weil die Beklagte die Rente zutreffend berechnet habe. Auch unter Berücksichtigung des Einigungsvertrages und des GG stehe dem Kläger kein weitergehender Vertrauensschutz zu.

4

Der Gerichtsbescheid vom 21.11.2007 wurde erstmals mit Postzustellungsurkunde am 28.11.2007 und ein zweites Mal mit Postzustellungsurkunde am 1.12.2007 zugestellt. Mit Schriftsatz vom 2.1.2008, der am selben Tag beim SG Berlin eingegangen ist, hat der Kläger Berufung eingelegt und ausgeführt, dass er im Zeitraum vom 11.11.2007 bis zum 19.12.2007 im Ausland gewesen sei. Den Gerichtsbescheid habe er am 20.12.2007 in seinem Briefkasten vorgefunden. Wie die Zustellung des Gerichtsbescheids erfolgt sei, sei für ihn nicht nachvollziehbar gewesen. Das LSG hat nach umfangreichen Sachverhaltsermittlungen (zum Grund der doppelten Zustellung beim SG Berlin, zum tatsächlichen Zeitpunkt des Zugangs des Gerichtsbescheids) die Berufung des Klägers als unzulässig verworfen (Urteil LSG Berlin-Brandenburg vom 20.3.2012).

5

Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der Kläger habe die Monatsfrist nach Zustellung der erstinstanzlichen Entscheidung (§ 151 Abs 1 SGG) versäumt. Die Zustellung sei rechtswirksam am 28.11.2007 erfolgt. Die Berufungsfrist habe am 28.12.2007 (§ 64 Abs 2 SGG) geendet; folglich sei die Berufung am 2.1.2008 verspätet eingelegt worden und daher unzulässig (§ 158 S 1 SGG). Der Gerichtsbescheid sei ausweislich der Zustellungsurkunde durch Einlegen in den zur Wohnung des Klägers gehörenden Briefkasten oder in eine ähnliche Vorrichtung zugestellt worden (§ 63 Abs 2 S 1 SGG iVm § 180 ZPO). Der Urkundsbeweis (§ 202 SGG iVm §§ 418, 182 Abs 1 S 2 ZPO; Hinweis auf Senatsbeschluss vom 13.11.2008 - B 13 R 138/07 B) sei nicht widerlegt. Denn eine Falschbeurkundung sei nicht nachgewiesen. Hieran änderten auch die widersprüchlichen Ausführungen der Familienangehörigen über den Zugang des Gerichtsbescheids während des Urlaubs des Klägers nichts.

6

Der vom Kläger gestellte Antrag auf Wiedereinsetzung wegen Versäumung der Berufungsfrist sei abzulehnen. Denn selbst unter Berücksichtigung seiner urlaubsbedingten Abwesenheit bis zum 19.12.2007 hätte noch ausreichend Zeit bestanden, um die Berufung fristgerecht bis zum 28.12.2007 einzulegen. Der Kläger habe selbst zu vertreten, dass er die Berufungsschrift erst am 2.1.2008 beim SG Berlin eingereicht habe. Er habe die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht gelassen (§ 276 Abs 2 BGB), weil er die Berufung unverzüglich nach Kenntnisnahme von der Entscheidung hätte einlegen müssen.

7

Mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde macht der Kläger Verfahrensmängel geltend. Er rügt "die Verletzung der Amtsermittlungspflicht und Verfahrensführung" und weist darauf hin, dass er blind und auf die Hilfe anderer Personen beim Lesen von Post bzw Schreiben angewiesen sei.

8

II. Auf die Beschwerde des Klägers war das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen. Der Kläger hat formgerecht (vgl § 160a Abs 2 S 3 SGG) und auch in der Sache zutreffend gerügt (§ 160 Abs 2 Nr 3 SGG), dass das LSG die Berufung des Klägers nicht als unzulässig hätte verwerfen dürfen. Vielmehr war es gehalten, dem Antrag auf Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsfrist stattzugeben und in der Sache über den geltend gemachten Anspruch auf eine höhere Rente wegen EU im Zugunstenverfahren zu entscheiden. Dadurch hat das LSG die Vorschriften von §§ 67, 151 SGG verletzt.

9

Nach § 151 SGG ist die Berufung bei dem LSG innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen(Abs 1). Die Frist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Frist bei dem SG schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird (Abs 2 S 1).

10

1. Zutreffend hat das Berufungsgericht festgestellt, dass der Kläger die einmonatige Berufungsfrist (§ 151 Abs 1 und 2 SGG) versäumt hat, als er erst am 2.1.2008 Berufung eingelegt hat. Denn die Zustellung des Gerichtsbescheids, dem eine zutreffende Rechtsmittelbelehrung (§ 66 Abs 1 SGG)beigefügt war, ist bereits am 28.11.2007 wirksam durch Einlegen in den zur Wohnung des Klägers gehörenden Briefkasten oder in eine ähnliche Vorrichtung erfolgt. Zum Nachweis der Zustellung ist eine Urkunde ordnungsgemäß angefertigt worden (§ 63 Abs 2, § 105 Abs 1 S 3, § 133 SGG, § 178 Abs 1 Nr 1, §§ 180, 182 ZPO).

11

2. Dem Kläger war jedoch entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Ihn trifft kein Verschulden (§ 67 Abs 1 SGG)an der Versäumung der Berufungsfrist.

12

Das LSG sieht ein Verschulden des Klägers darin, dass er nach Urlaubsrückkehr und Kenntnisnahme vom Gerichtsbescheid am 20.12.2007 die verbleibende Zeit der laufenden Berufungsfrist (bis 28.12.2007) nicht genutzt hat, um die Berufung einzulegen.

13

Dieser Ansicht vermag der Senat nicht zu folgen. Denn die vom SG aus unerklärlichen Gründen veranlasste zweite Zustellung des Gerichtsbescheids an die Beteiligten mit der erneuten Rechtsmittelbelehrung, dass die Berufung "innerhalb eines Monats nach Zustellung des Gerichtsbescheides" einzulegen ist, musste bei dem nicht anwaltlich vertretenen Kläger den Eindruck erwecken, dass er der zweiten, neueren Belehrung folgen durfte (vgl BGH vom 26.10.1994 - IV ZB 12/94 - VersR 1995, 680 mwN bei irrtümlicher zweiter Urteilszustellung an einen Anwalt).

14

Dies mag allenfalls dann anders gesehen werden, wenn die erneute Zustellung erst nach Ablauf der Berufungsfrist erfolgt.

15

Die irrtümliche zweite Zustellung des Gerichtsbescheids hat der Kläger nicht verschuldet und hieraus kann ihm auch kein Nachteil entstehen. Unter Berücksichtigung des Anspruchs auf ein faires Verfahren darf ein Gericht aus eigenen oder ihm zuzurechnenden Fehlern oder Versäumnissen keine Verfahrensnachteile ableiten (vgl BVerfGE 60, 1, 6 f; 69, 381, 386; 75, 183, 190; BVerfG vom 2.6.2010 - 1 BvR 448/06 - NZS 2011, 133). Zudem ist es zur Rücksichtnahme gegenüber den Verfahrensbeteiligten in ihrer konkreten Situation verpflichtet (vgl BVerfGE 78, 123, 126 f). Dementsprechend ist Wiedereinsetzung zu gewähren, wenn die Fristversäumnis auf Fehlern beruht, die im Verantwortungsbereich des Gerichts liegen (vgl BVerfGE 93, 99, 114 f; BSG SozR 3-1500 § 67 Nr 21 S 61 mwN). Dies ist hier der Fall.

16

Es bestand entgegen der Ansicht des LSG keine Rechtspflicht, die Berufung bis spätestens 28.12.2007 einzulegen. Auch insofern hat der Kläger die im prozessualen Verkehr erforderliche Sorgfalt eines gewissenhaften Prozessführenden (vgl dazu BSGE 61, 213, 214 = SozR 1500 § 67 Nr 18 S 42; BSG SozR 3-1500 § 67 Nr 21 S 60 mwN)nicht außer Acht gelassen. Denn gesetzlich eingeräumte Fristen dürfen grundsätzlich bis zum letzten Tag ausgeschöpft werden, ohne dass Nachteile bei der Gewährung effektiven Rechtsschutzes drohen (vgl BVerfGE 40, 42, 44; 41, 323, 328; 74, 220, 224; BVerfG vom 2.6.2010 - 1 BvR 448/06 - NZS 2011, 133). Der Kläger durfte aber darauf vertrauen, dass aufgrund der zweiten Zustellung des Gerichtsbescheids am 1.12.2007 die Berufungsfrist am 2.1.2008 endete. Denn er ist erst im Berufungsverfahren über die Maßgeblichkeit der ersten Zustellung informiert worden. Der Kläger hat die versäumte Rechtshandlung (Einlegung der Berufung am 2.1.2008) damit auch innerhalb eines Monats nach Wegfall des Hindernisses nachgeholt (§ 67 Abs 2 S 3 SGG).

17

3. Wenn sich der Erfolg der Beschwerde auch bereits aus den oben dargelegten Gründen ergibt, weist der Senat auf Folgendes hin:

18

Das SG hätte den Kläger nach § 4 Abs 2 S 2 der seit 1.6.2007 geltenden Verordnung zur barrierefreien Zugänglichmachung von Dokumenten für blinde und sehbehinderte Personen im gerichtlichen Verfahren (Zugänglichmachungsverordnung - ZMV vom 26.2.2007, BGBl I 215) auf seinen Anspruch hinweisen müssen, die Zugänglichmachung des Gerichtsbescheids verlangen zu können. Gemäß § 202 SGG iVm § 191a Abs 1 S 1 GVG kann eine blinde oder sehbehinderte Person nach Maßgabe der ZMV verlangen, dass ihr die für sie bestimmten gerichtlichen Dokumente auch in einer für sie wahrnehmbaren Form zugänglich gemacht werden, soweit dies zur Wahrnehmung ihrer Rechte im Verfahren erforderlich ist. Der Anspruch umfasst ua Dokumente, die im gerichtlichen Verfahren einer blinden oder sehbehinderten Person (berechtigte Person) zuzustellen sind (§ 2 Abs 1 S 1 iVm § 1 Abs 1 ZMV). Zwar bleiben die Vorschriften über die Zustellung von Dokumenten unberührt (§ 2 Abs 2 ZMV). Die Folgen von Fristversäumnissen können aber nach Maßgabe der Bestimmungen über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand behoben werden (vgl Begründung zum Entwurf der ZMV, BR-Drucks 915/06 - zu § 7, S 12). Unterbleibt ein nach dieser Rechtslage gebotener Hinweis, so tritt ein in der eigenen Sphäre des Berechtigten liegendes zusätzliches Verschulden bei Prüfung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinter das gerichtliche Verschulden zurück (vgl BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 23 RdNr 6).

19

4. Nach alledem hätte das LSG die Berufung nicht als unzulässig verwerfen dürfen; vielmehr musste es dem Wiedereinsetzungsantrag entsprechen. Auf diesem Verfahrensmangel beruht auch die Entscheidung des LSG. Der Senat kann die materielle Rechtsprüfung des Anspruchs auf höhere Rente wegen EU im Zugunstenverfahren nicht in diesem Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde ersetzen, weil es an hinreichenden berufungsgerichtlichen Tatsachenfeststellungen fehlt (§ 163 SGG). Das LSG hat zur Begründetheit der Berufung nicht - auch nicht ergänzend - Stellung genommen. Die berufungsgerichtlichen Tatsachenfeststellungen erlauben dem Senat aber keine sichere Beurteilung der Erfolgsaussichten des Berufungsverfahrens. Daher war es geboten, gemäß § 160a Abs 5 SGG das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.

20

5. Das LSG wird auch über die Kosten des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens zu entscheiden haben.

Vor jeder Entscheidung ist den Beteiligten rechtliches Gehör zu gewähren; die Anhörung kann schriftlich oder elektronisch geschehen.

(1) Die Nichtzulassung der Revision kann selbständig durch Beschwerde angefochten werden. Die Beschwerde ist bei dem Bundessozialgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils einzulegen. Der Beschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des Urteils, gegen das die Revision eingelegt werden soll, beigefügt werden. Satz 3 gilt nicht, soweit nach § 65a elektronische Dokumente übermittelt werden.

(2) Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Urteils zu begründen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden einmal bis zu einem Monat verlängert werden. In der Begründung muß die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt oder die Entscheidung, von der das Urteil des Landessozialgerichts abweicht, oder der Verfahrensmangel bezeichnet werden.

(3) Die Einlegung der Beschwerde hemmt die Rechtskraft des Urteils.

(4) Das Bundessozialgericht entscheidet unter Zuziehung der ehrenamtlichen Richter durch Beschluss; § 169 gilt entsprechend. Dem Beschluß soll eine kurze Begründung beigefügt werden; von einer Begründung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung beizutragen. Mit der Ablehnung der Beschwerde durch das Bundessozialgericht wird das Urteil rechtskräftig. Wird der Beschwerde stattgegeben, so beginnt mit der Zustellung dieser Entscheidung der Lauf der Revisionsfrist.

(5) Liegen die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nr. 3 vor, kann das Bundessozialgericht in dem Beschluss das angefochtene Urteil aufheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverweisen.