Bundessozialgericht Urteil, 10. Juli 2012 - B 13 R 17/11 R

bei uns veröffentlicht am10.07.2012

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 20. Januar 2011 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch für das Revisionsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand

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Streitig ist ein Anspruch der Klägerin auf Zahlung von Regelaltersrente aus der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung unter Berücksichtigung von Beitragszeiten nach dem Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto (ZRBG).

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Die am 1931 geborene Klägerin ist polnische Staatsangehörige und hat ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Polen. Nach den Feststellungen des LSG hielt sie sich in der Zeit von 1940 bis 1943 im Warschauer Ghetto auf und ist Verfolgte des Nationalsozialismus. Ihren am 27.6.2003 gestellten Antrag auf Gewährung einer Regelaltersrente lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 1.9.2003 unter Hinweis auf die alleinige Zuständigkeit des polnischen Rentenversicherungsträgers nach dem Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen über Renten- und Unfallversicherung vom 9.10.1975 (Abk Polen RV/UV) ab. Eine Berücksichtigung von Ghetto-Beitragszeiten sei aber auch aufgrund der Regelung in § 1 Abs 1 S 1 letzter Halbs ZRBG ausgeschlossen, weil die betreffenden Zeiten bereits nach polnischem Recht als Versicherungszeiten anerkannt würden.

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Widerspruch, Klage und Berufung sind ohne Erfolg geblieben (Widerspruchsbescheid vom 16.1.2004, Gerichtsbescheid des SG Berlin vom 13.12.2007, Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 20.1.2011). Zur Begründung hat das LSG im Wesentlichen ausgeführt, dass ein Anspruch auf Regelaltersrente unter Berücksichtigung von Ghetto-Beitragszeiten allein aus § 35 SGB VI folgen könne; das ZRBG stelle keine eigenständige Anspruchsgrundlage dar. Unabhängig davon, ob hier die Voraussetzungen eines Rentenanspruchs - insbesondere die Beschäftigung während eines zwangsweisen Aufenthalts in einem Ghetto - glaubhaft gemacht seien, sei die Klägerin bereits aufgrund des Abk Polen RV/UV und des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen über soziale Sicherheit vom 8.12.1990 (Abk Polen SozSich) von Ansprüchen gegen einen deutschen Rentenversicherungsträger ausgeschlossen. Der Vorrang der Bestimmungen dieser Abkommen ergebe sich aus § 30 Abs 2 SGB I. Dem Abk Polen RV/UV liege das Eingliederungs- bzw Integrationsprinzip zugrunde; Renten der Rentenversicherung würden ausschließlich vom Versicherungsträger desjenigen Staates, in dessen Gebiet der Berechtigte wohne (Wohnstaat), nach den dort geltenden Vorschriften gewährt (Art 4 Abs 1 Abk Polen RV/UV). Der zuständige Träger habe dabei die im anderen Staat zurückgelegten Zeiten so zu berücksichtigen, als seien sie im eigenen Staatsgebiet zurückgelegt worden (Art 4 Abs 2 Abk Polen RV/UV). Nach Art 27 Abs 2 S 1 und 2 Abk Polen SozSich finde das Abk Polen RV/UV weiterhin auf Personen Anwendung, die vor dem 1.1.1991 in einem Vertragsstaat aufgrund des Abkommens von 1975 Ansprüche und Anwartschaften erworben und die nach dem 31.12.1990 ihren Wohnort im Hoheitsgebiet dieses Vertragsstaats beibehalten hätten. Diese Vorschrift sei für den genannten Personenkreis gemäß Art 8 Abs 1 iVm Anhang II der Verordnung (EG) Nr 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.4.2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (EGV 883/2004) auch nach dem Beitritt Polens zur Europäischen Union weiterhin gültig. Hiernach sei für die Rentenansprüche der Klägerin, die ihren Wohnsitz immer in Polen gehabt habe und dort auch weiterhin wohne, der polnische Rentenversicherungsträger ausschließlich zuständig.

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Offen bleiben könne danach, ob aufgrund der geltend gemachten Beitragszeiten aus einer Beschäftigung im Warschauer Ghetto hier überhaupt ein Rentenanspruch folge. Selbst wenn man von einer Anwendbarkeit des "Leistungsexportprinzips" nach dem Abk Polen SozSich ausgehe, bestehe kein deutscher Rentenanspruch der Klägerin, da diese entgegen Art 27 Abs 1 dieses Abkommens weder ihren gewöhnlichen Aufenthalt von Polen nach Deutschland verlegt noch deutsche Versicherungszeiten nach dem 31.12.1990 zurückgelegt habe. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die genannten Bestimmungen des Abkommensrechts bestünden nicht (Hinweis auf BVerfGE 53, 164 = SozR 2200 § 1318 Nr 5 und auf BSG Urteil vom 29.9.1998 - B 4 RA 91/97 R). Diese führten ohnehin nicht dazu, dass die Klägerin aus ihren Ghetto-Zeiten keinerlei Rente erhalte, sondern nur dazu, dass eine Rente aus diesen Zeiten - solange sie ihren Wohnort in Polen habe - nicht von einem deutschen Versicherungsträger gezahlt und nach deutschen Rechtsvorschriften berechnet werde. Die Anerkennung dieser Zeiten obliege dem polnischen Versicherungsträger nach den dortigen Rechtsvorschriften.

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Mit ihrer vom LSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts, insbesondere die Anwendung von Art 27 Abs 2 Abk Polen SozSich iVm Art 4 Abs 1 bis 3 und Art 2 Abs 1 Buchst a und Abs 2 Abk Polen RV/UV und der §§ 1 bis 3 ZRBG sowie die Verletzung von Art 3, 14 und 20 GG und von Art 14 EMRK. Dass das deutsch-polnische Abkommensrecht sie - die Klägerin - im Ergebnis von Rentenansprüchen nach dem ZRBG ausschließe, verstoße gegen Art 3, 14 und 20 GG sowie gegen Art 14 EMRK. Die Beklagte könne sich deshalb nicht auf diese Abkommensregelungen berufen. Die polnische Staatsangehörigkeit und der gleichzeitige Wohnsitz in Polen seien keine Unterscheidungsmerkmale, die einen Ausschluss von Rentenansprüchen nach dem ZRBG im Hinblick auf Art 3 Abs 1 GG rechtfertigen könnten. Sie - die Klägerin - habe das gleiche Verfolgungsschicksal erlitten wie alle anderen Verfolgten des Nationalsozialismus, die sich zwangsweise in einem Ghetto aufgehalten hätten und dort einer Beschäftigung nachgegangen seien. Für ihre Rentenansprüche seien daher die Grundsätze des Wiedergutmachungs- und Entschädigungsrechts maßgeblich, die der BGH und das BSG in zahlreichen Entscheidungen entwickelt hätten. Danach sei es Ziel und Zweck der Entschädigungsgesetzgebung, das verursachte Unrecht so bald und soweit als irgend möglich wiedergutzumachen; dem Prinzip der - zumindest geldlichen - Wiedergutmachung gebühre Vorrang gegenüber der Bewahrung des sozialversicherungsrechtlichen Systems. Eine Auslegung des Gesetzes, die möglich sei und diesem Ziel entspreche, verdiene daher den Vorzug gegenüber jeder anderen Auslegung, die die Wiedergutmachung erschwere und zunichte mache. Zudem sei zu berücksichtigen, dass über eine Rentenzahlung aus Beitragszeiten nach § 2 ZRBG gestritten werde, die von Art 14 Abs 1 GG geschützt seien.

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Die Klägerin beantragt,

        

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 1. September 2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16. Januar 2004, des Gerichtsbescheids des Sozialgerichts Berlin vom 13. Dezember 2007 und des Urteils des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 20. Januar 2011 zu verurteilen, Regelaltersrente ab dem 1. Juli 1997 unter Berücksichtigung von Beitragszeiten aus der Beschäftigung im Ghetto Warschau sowie von Verfolgungs-Ersatzzeiten zu zahlen.

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Die Beklagte beantragt,

        

die Revision zurückzuweisen.

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Sie verteidigt das angefochtene Urteil des LSG.

Entscheidungsgründe

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Die Revision ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben die Klage zu Recht abgewiesen, denn die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Zahlung von Regelaltersrente.

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Die Beklagte ist für die Feststellung einer Altersrente der Klägerin nicht zuständig; ihr Anspruch auf Altersrente richtet sich nicht nach deutschem Recht, sondern ausschließlich gegen den polnischen Versicherungsträger nach polnischem Recht (nachfolgend unter 1.). Unerheblich ist deshalb für die hier zu treffende Entscheidung, ob und in welcher Höhe die Zeiten ihrer Beschäftigung im Ghetto Warschau vom polnischen Rentenversicherungsträger berücksichtigt wurden (2.). Dieses Ergebnis steht in Einklang mit den Regelungen des europäischen Rechts (3.) und bewirkt weder einen Verstoß gegen Verfassungsrecht (4.) noch gegen die EMRK (5.). Auch die Grundsätze des Wiedergutmachungsrechts erlauben keine abweichende Entscheidung (6.).

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1. Für Rentenansprüche der in Polen wohnenden Klägerin - auf ihre Staatsangehörigkeit kommt es insoweit nicht an - ist nicht die Beklagte oder ein anderer deutscher Träger, sondern ausschließlich der polnische Rentenversicherungsträger zuständig. Als Folge davon hat die Klägerin keinen Anspruch auf eine Rente aus der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung, wozu auch eine Altersrente aufgrund von Zeiten nach dem ZRBG zählt.

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a) Als Rechtsgrundlage für den von der Klägerin geltend gemachten Anspruch auf Regelaltersrente aus der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung aufgrund von Ghetto-Beitragszeiten kommt allein § 35 SGB VI in Betracht(BSGE 99, 35 = SozR 4-5075 § 1 Nr 4, RdNr 24, 28; BSGE 103, 201 = SozR 4-5075 § 1 Nr 5, RdNr 12; BSG SozR 4-5075 § 1 Nr 6 RdNr 10). Die Anwendung der Vorschrift auf den Fall der Klägerin setzt jedoch voraus, dass diese auch unter den Geltungsbereich der genannten Norm fällt, dh dass sie von ihrem persönlichen Anwendungsbereich mit umfasst wird. Ob dies der Fall ist, bestimmt sich bei Sachverhalten mit Auslandsbezug nach den speziellen auslandsrentenrechtlichen Kollisionsregeln in § 110 SGB VI, die gemäß § 37 S 1 und 2 SGB I Vorrang vor den allgemeinen Kollisionsvorschriften in § 30 Abs 1 und 2 SGB I haben(Seewald in Kasseler Komm, Stand April 2012, § 30 SGB I RdNr 4; Schlegel in juris-PK SGB I, 2. Aufl 2012, § 30 RdNr 62, 64; Eichenhofer in Eichenhofer/Wenner, Komm zum SGB I, IV, X, 2012, § 30 SGB I RdNr 4). Danach sind Rentenleistungen auch an Berechtigte zu zahlen, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland haben (§ 110 Abs 2 SGB VI), soweit nicht die nachfolgenden Vorschriften über Leistungen an Berechtigte im Ausland (§§ 111 bis 114 SGB VI) etwas anderes bestimmen oder soweit nicht nach über- und zwischenstaatlichem Recht etwas anderes bestimmt ist (§ 110 Abs 3 SGB VI). Der Vorrang von Regelungen des über- und zwischenstaatlichen Rechts ist in § 110 Abs 3 SGB VI in gleicher Weise wie in § 30 Abs 2 SGB I angeordnet. Einer Entscheidung der Frage, ob "bezüglich der Anspruchsentstehung" die zuletzt genannte Vorschrift vorrangig anzuwenden ist (so BSG Urteil vom 29.9.1998 - B 4 RA 91/97 R - Juris RdNr 12, dort ohne Erwähnung von § 110 SGB VI), bedarf es daher nicht.

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b) Das geltende zwischenstaatliche Recht schreibt in Bezug auf Rentenansprüche von Personen, die - wie die Klägerin - vor dem 1.1.1991 ihren Wohnsitz in Polen hatten und weiterhin dort ansässig sind, die Anwendung der Bestimmungen des Abk Polen RV/UV vom 9.10.1975 vor.

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Die Regelungen des Abk Polen RV/UV sowie des Abk Polen SozSich sind durch Gesetze vom 12.3.1976 (BGBl II 393, zuletzt geändert durch Art 22 Hüttenknappschaftliches Zusatzversicherungs-Neuregelungsgesetz vom 21.6.2002, BGBl I 2167) und vom 18.6.1991 (BGBl II 741, geändert durch Art 2 Nr 10 des Gesetzes zur Umsetzung von Abkommen über Soziale Sicherheit und zur Änderung verschiedener Zustimmungsgesetze vom 27.4.2002, BGBl I 1464) in deutsches Recht transformiert worden und gelten damit als (einfaches) Bundesrecht (vgl zur Anwendbarkeit völkerrechtlicher Verträge im innerstaatlichen Recht zB Herdegen, Völkerrecht, 9. Aufl 2010, § 22 RdNr 2; Verdross/Simma, Universelles Völkerrecht, 3. Aufl 1984, §§ 859 ff).

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Einschlägig ist hier Art 4 Abk Polen RV/UV, der wie folgt lautet:

        

"(1) Renten der Rentenversicherung werden vom Versicherungsträger des Staates, in dessen Gebiet der Berechtigte wohnt, nach den für diesen Träger geltenden Vorschriften gewährt.

        

(2) Der in Absatz 1 genannte Träger berücksichtigt bei Feststellung der Rente nach den für ihn geltenden Vorschriften Versicherungszeiten, Beschäftigungszeiten und diesen gleichgestellte Zeiten im anderen Staat so, als ob sie im Gebiet des ersten Staates zurückgelegt worden wären.

        

(3) Renten nach Absatz 2 stehen nur für die Zeit zu, in der die betreffende Person im Gebiet des Staates wohnt, dessen Versicherungsträger die Rente festgestellt hat. In dieser Zeit hat ein Rentenempfänger keinen Anspruch auf Grund von Versicherungszeiten, Beschäftigungszeiten und diesen gleichgestellte Zeiten im anderen Staat gegenüber dem Versicherungsträger dieses Staates, soweit nicht Artikel 15 oder 16 etwas anderes bestimmt."

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Bereits aus Art 4 Abs 1 Abk Polen RV/UV ergibt sich, dass kein Anspruch der Klägerin gegen die Beklagte auf eine Rente aus der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung besteht. Die genannte Regelung schreibt das dem Abk Polen RV/UV als Kollisionsregel zugrunde liegende Eingliederungsprinzip (Integrationsprinzip) fest. Dieses schließt im Verhältnis beider Vertragsstaaten zueinander für die dem Anwendungsbereich des Abk Polen RV/UV weiterhin unterfallenden Personen aus, dass deutsche Renten nach Polen (oder umgekehrt) gezahlt werden (vgl hierzu zB die Denkschrift zum Abkommen, BT-Drucks 7/4310 S 15 f; BSGE 65, 144, 147 ff = SozR 6710 Art 4 Nr 8 S 22 ff; K. Reiter, ZFSH/SGB 2002, 515, 516 f). Dasselbe ergibt sich auch aus der Vorschrift des Art 4 Abs 3 S 2 Abk Polen RV/UV, die zugleich abschließend regelt, dass Ausnahmen vom Eingliederungsprinzip nur nach Maßgabe der Art 15 und 16 Abk Polen RV/UV zulässig sind. Die dort genannten übergangsrechtlichen Ausnahmen betreffen aber lediglich - hier offenkundig nicht einschlägige - Fallgestaltungen, in denen bereits vor Inkrafttreten des Abkommens auf Grund eines bindenden Bescheids oder eines rechtskräftigen Urteils Leistungen in den anderen Staat gezahlt wurden oder ein Zahlungsanspruch bereits bei Inkrafttreten jenes Abkommens bestand.

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Aufgrund dieser vorrangigen zwischenstaatlichen Regelungen darf ein deutscher Rentenversicherungsträger eine Rente selbst dann nicht zuerkennen und an eine im Gebiet der Republik Polen wohnende Person auszahlen, wenn ein solcher Anspruch allein auf der Grundlage des innerstaatlichen deutschen Rechts an sich bestünde (stRspr - BSG SozR 6710 Art 16 Nr 3 S 3; BSG SozR 3-1200 § 30 Nr 5 S 9; BSG Urteil vom 29.9.1998 - B 4 RA 91/97 R - Juris RdNr 14). Zudem sind beide Vertragsstaaten gehindert, die in Art 15 und 16 Abk Polen RV/UV vereinbarten Ausnahmen vom Eingliederungsprinzip einseitig im Wege innerstaatlicher Gesetzgebung zu erweitern oder einzuschränken (BSG SozR 6710 Art 16 Nr 3 S 3). Hierfür bedürfte es vielmehr einer Vereinbarung beider Abkommenspartner, die der Senat mit seiner Entscheidung nicht ersetzen kann.

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c) Das ZRBG enthält keine vom Abk Polen RV/UV abweichende Zuständigkeits- oder Versicherungslastregelung. Eine solche ist insbesondere nicht § 1 Abs 4 ZRBG zu entnehmen, wonach die aufgrund des ZRBG gezahlten Renten "nicht als Leistungen der sozialen Sicherheit" gelten sollen(zu den Fragen im Zusammenhang mit der Auslegung dieser Vorschrift s BSG Beschluss vom 20.12.2007 - B 4 R 85/06 R - Juris RdNr 94, 149 ff). Auch ansonsten bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber des ZRBG eine im Widerspruch zum Abk Polen RV/UV stehende Rechtslage schaffen wollte. Zwar sollte es nicht darauf ankommen, in welchem Staat sich der Berechtigte aufhält. Aus der Gesetzesbegründung ergibt sich jedoch, dass dies in Übereinstimmung mit dem geltenden Auslandsrentenrecht nicht für diejenigen Fälle gelten sollte, in denen Abkommensregelungen anstelle des Rentenexports die Eingliederung der Beitragszeiten in das System des Wohnsitzstaates vorsehen (so ausdrücklich die Begründung im Gesetzentwurf der Fraktionen von SPD, CDU/CSU, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP, BT-Drucks 14/8583 S 5 - Allgemeines bzw S 6 - zu § 2; ebenso Gesetzentwurf der Fraktion der PDS, BT-Drucks 14/8602 S 5 - Allgemeines bzw S 6 - zu § 2). Das bezieht sich insbesondere auf die noch nach dem Abk Polen RV/UV zu behandelnden Fälle (vgl hierzu auch BT-Drucks 16/5720 S 5), zumal diese die einzig ins Gewicht fallende Ausnahme von dem in deutschen Sozialversicherungsabkommen ansonsten grundsätzlich vereinbarten Leistungsexportprinzip darstellen (Leder, BArbBl 6/1989 S 24, 26; weitere Ausnahmen enthalten die - durch § 1 Abs 3 ZRBG modifizierten - "Weniger-als-Regelungen" zB in Art 17 Abs 2 und 3 Abk Polen SozSich bzw in Art 20 Abs 2 Abk Israel SozSich; ebenso Art 57 Abs 1 und 2 EGV 883/2004).

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d) Der Sperrwirkung des Art 4 Abs 3 S 2 Abk Polen RV/UV für Rentenzahlungen von Deutschland nach Polen (oder umgekehrt) steht nicht entgegen, dass die Klägerin im Ghetto Warschau, also in Polen, beschäftigt war.

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Das Abk Polen RV/UV enthält - im Gegensatz zu anderen Sozialversicherungsabkommen (zB Art 3 Abk Polen SozSich; Art 3 Abk Israel SozSich) - keine eigenständigen Regelungen zur Bestimmung seines persönlichen Geltungsbereichs. Die Denkschrift zum Abkommen führt hierzu aus, das Abkommen erfasse alle im Inland wohnenden Personen ohne Rücksicht auf ihre Staatsangehörigkeit, die zu irgendeinem Zeitpunkt Versicherungszeiten im anderen Staat zurückgelegt hätten (BT-Drucks 7/4310 S 15 - zu Art 2). Dies ändert jedoch nichts daran, dass auch für die von der Klägerin im Ghetto Warschau zurückgelegten Zeiten der polnische Rentenversicherungsträger zuständig ist. Denn entweder sind diese Zeiten iS von Art 4 Abs 3 S 2 Abk Polen RV/UV Versicherungszeiten "im anderen Staat" (im Fall der Klägerin also in Deutschland - s hierzu auch § 2 Abs 1 Nr 2 ZRBG, wonach die Zeiten der Beschäftigung in einem Ghetto fiktiv für Zwecke der Erbringung von Leistungen in das Ausland als Beschäftigung im Bundesgebiet gelten); dann wäre das Abk jedenfalls auf sie anwendbar und nach dem Eingliederungsprinzip ein Anspruch gegen den deutschen Rentenversicherungsträger ausgeschlossen. Oder diese Zeiten sind - was aus der Perspektive des im Jahr 1975 geschlossenen Abkommens näher liegt - Zeiten des Wohnsitzstaates (vgl BSGE 65, 144, 146 = SozR 6710 Art 4 Nr 8 S 21, wonach das Abk Polen RV/UV auf die völkerrechtlich-historische Zugehörigkeit des jeweiligen Gebiets während der Zurücklegung der betreffenden Zeit abstellt), also hier Zeiten in Polen; dann gälte für sie erst recht die Zuständigkeit des polnischen Rentenversicherungsträgers, weil es unter diesen Voraussetzungen an einer Konstellation mit Auslandsbezug von vornherein fehlte.

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Auch der Bestimmung des Art 4 Abs 2 Abk Polen RV/UV kann nicht entnommen werden, dass der Versicherungsträger des anderen Staates (hier also Deutschland) für die Gewährung von Renten aufgrund von Zeiten zuständig bleiben soll, die der Betreffende außerhalb seines Staatsgebiets (zB im Wohnsitzstaat, im Fall der Klägerin also in Polen) zurückgelegt hat. Vielmehr richtet sich diese Vorschrift lediglich an den Träger des Wohnsitzstaates (hier: Polen) und weist diesen an, Zeiten auch zu berücksichtigen, wenn sie nicht im Wohnsitzstaat (Polen), sondern im anderen Staat (Deutschland) zurückgelegt wurden.

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e) Schließlich ist unerheblich, dass das deutsche Recht erst im Jahr 2002 durch Verkündung des rückwirkend zum 1.7.1997 in Kraft getretenen ZRBG die Zahlung von Regelaltersrenten ausschließlich auf der Grundlage von Beitragszeiten aus Beschäftigungen in einem Ghetto vereinfacht und damit vielfach überhaupt erst ermöglicht hat.

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Wie bereits dargelegt, ist nach dem Abk Polen RV/UV vom 9.10.1975 das deutsche Recht für Rentenansprüche der Klägerin nicht maßgeblich, solange sie ihren Wohnsitz in Polen beibehält. Das gilt auch für die erst im Jahr 2002 geschaffenen Regelungen des ZRBG. Denn Art 2 Abs 2 Abk Polen RV/UV bestimmt ausdrücklich, dass das Abkommen (auch) "auf alle Änderungen der Regelungen in den in Absatz 1 genannten Zweigen" (also auch der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung) Anwendung findet, sich also an der (polnischen) Zuständigkeit und Versicherungslast auch dann nichts ändert, wenn ein neues (deutsches) Gesetz weitere Leistungen der (deutschen) gesetzlichen Rentenversicherung einführt oder die Zugangsvoraussetzungen zu bestehenden Leistungen erleichtert, wie dies durch das ZRBG geschehen ist.

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Die Klägerin kann sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass für Leistungen aufgrund des im Jahr 2002 geschaffenen ZRBG die Übergangsvorschrift in Art 27 Abs 1 Abk Polen SozSich und damit das Leistungsexportprinzip maßgeblich sei. Ungeachtet des Umstands, dass dieser Abkommensbestandteil seit dem Wirksamwerden des Beitritts der Republik Polen zur Europäischen Union nicht mehr anwendbar ist (Art 6, 7 iVm Anhang III Abschn A Nr 84 Buchst b EWGV 1408/71 bzw Art 8 Abs 1 iVm Anhang II Abschn Deutschland - Polen Buchst b EGV 883/2004), kam es nach Art 27 Abs 1 Abk Polen SozSich nicht darauf an, wann ein Rentenanspruch im Recht des anderen Staates gesetzlich geregelt wurde; maßgeblich war vielmehr, ob die Versicherungszeiten nach dem 31.12.1990 zurückgelegt wurden. Die Klägerin macht jedoch Zeiten einer Beschäftigung im Warschauer Ghetto in den Jahren 1940 bis 1943 und damit vor dem genannten Stichtag geltend. Auch das ZRBG fingiert - unabhängig von seiner Anwendbarkeit auf den vorliegenden Sachverhalt - keine Versicherungszeiten nach dem 31.12.1990, sondern eine Beitragszahlung für davor zurückgelegte Zeiten einer Beschäftigung von Verfolgten in einem Ghetto (§ 2) und entbindet - in Ergänzung der rentenrechtlichen Vorschriften und der Bestimmungen des Gesetzes zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung (§ 1 Abs 2) - von sonstigen Voraussetzungen, die der Zahlung einer Rente aufgrund dieser Versicherungszeiten nach deutschem Recht entgegenstehen.

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2. Da hiernach mit dem ZRBG auch dessen § 1 Abs 1 S 1 letzter Teils (wonach der Anspruch auf Altersrente unter Berücksichtigung von Versicherungszeiten nach dem ZRBG voraussetzt, dass für diese Zeiten nicht bereits eine Leistung aus einem System der sozialen Sicherheit erbracht wird) auf den Fall der Klägerin nicht anwendbar ist, hat es für die Entscheidung keine Bedeutung, ob und in welchem Umfang der polnische Rentenversicherungsträger die von ihr geltend gemachten Zeiten tatsächlich berücksichtigt hat. Für die Beurteilung der Frage, welche rentenrechtlichen Zeiten bei der Bemessung der Altersrente der Klägerin einzubeziehen sind, insbesondere ob es sich bei ihren Zeiten einer Beschäftigung im Warschauer Ghetto von 1940 bis 1943 um berücksichtigungsfähige Zeiten iS des Art 4 Abs 2 Abk Polen RV/UV handelt, ist allein das polnische Recht maßgeblich und ausschließlich der polnische Versicherungsträger zuständig.

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3. Diese Rechtslage, wie sie sich aus dem zwischen Deutschland und Polen vereinbarten zwischenstaatlichen Recht ergibt, steht in Einklang mit den Bestimmungen des europäischen Rechts (zu dessen Anwendungsvorrang vgl BVerfGE 123, 267, 402; 126, 286, 301 f). Das gilt sowohl in Bezug auf das derzeit geltende Sekundärrecht (dazu unter a), das seinerseits in Übereinstimmung mit den vertraglichen Grundlagen der Europäischen Union (Primärrecht) steht (b), als auch im Hinblick auf die jeweiligen Vorgängerregelungen (c). Einer vorherigen Anrufung des EuGH bedarf es für diese Entscheidung nicht (d).

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a) Nach den derzeit geltenden europarechtlichen Vorschriften ist für den Personenkreis, zu dem die Klägerin gehört, das Abk Polen RV/UV und somit auch das Eingliederungs- bzw Integrationsprinzip gemäß dessen Art 4 Abs 1 weiterhin maßgeblich.

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Allerdings sieht Art 8 Abs 1 S 1 der EGV 883/2004 (vom 29.4.2004, ABl Nr L 166 vom 30.4.2004, wirksam ab 1.5.2010; zuletzt geändert durch die EUV 465/2012 vom 22.5.2012, ABl Nr L 149 vom 8.6.2012) grundsätzlich vor, dass diese Verordnung im Rahmen ihres Geltungsbereichs an die Stelle aller zwischen den Mitgliedstaaten geltenden Abkommen über soziale Sicherheit tritt. Soweit dies der Fall ist, sind mithin die entsprechenden Vereinbarungen zwischen Deutschland und Polen - also auch das Abk Polen RV/UV und das Abk Polen SozSich - nicht mehr anwendbar. Sie werden abgelöst durch die koordinierungsrechtlichen Vorschriften der EGV 883/2004, die im Grundsatz eine Verpflichtung zum Leistungsexport von Geldleistungen vorsehen (vgl dazu die Erwägung Nr 16 in der Präambel zu dieser Verordnung; s auch Devetzi, ZESAR 2009, 63 f). Hierzu bestimmt Art 7 EGV 883/2004 unter der amtlichen Überschrift "Aufhebung der Wohnortklauseln", dass Geldleistungen, die nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats zu zahlen sind, nicht aufgrund der Tatsache gekürzt, geändert, zum Ruhen gebracht, entzogen oder beschlagnahmt werden dürfen, dass der Berechtigte in einem anderen als dem Mitgliedstaat wohnt, in dem der zur Zahlung verpflichtete Träger seinen Sitz hat; dies gilt jedoch nur, "soweit in dieser Verordnung nichts anderes bestimmt ist".

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Es kann hier dahingestellt bleiben, ob im Fall der Klägerin der Geltungsbereich der EGV 883/2004 eröffnet ist (vgl Erwägung Nr 13 in der Präambel: "Personen, die sich innerhalb der Gemeinschaft bewegen"; s auch Fuchs in Kreikebohm/Spellbrink/Waltermann, Komm zum Sozialrecht, 2. Aufl 2011, Sammelkommentierung zur EGV 883/2004 RdNr 7). Ebenso muss nicht abschließend entschieden werden, ob die kollisionsrechtliche Bestimmung des zuständigen Rentenversicherungsträgers und des anwendbaren nationalen Rechts in Art 4 Abs 1 Abk Polen RV/UV eine "Wohnortklausel" iS des Art 7 EGV 883/2004 enthält. Denn selbst wenn beides der Fall wäre, müsste nach den einleitenden Worten des Art 7 EGV 883/2004 hier vorrangig eine "andere Bestimmung" der Verordnung angewandt werden. Dies ergibt sich aus Art 8 iVm Anhang II EGV 883/2004.

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Art 8 Abs 1 S 1 bis 3 EGV 883/2004 lauten:

        

"1Im Rahmen ihres Geltungsbereichs tritt diese Verordnung an die Stelle aller zwischen den Mitgliedstaaten geltenden Abkommen über soziale Sicherheit. 2Einzelne Bestimmungen von Abkommen über soziale Sicherheit , die von den Mitgliedstaaten vor dem Beginn der Anwendung dieser Verordnung geschlossen wurden, gelten jedoch fort, sofern sie für die Berechtigten günstiger sind oder sich aus besonderen historischen Umständen ergeben und ihre Geltung zeitlich begrenzt ist. 3Um weiterhin Anwendung zu finden, müssen diese Bestimmungen in Anhang II aufgeführt sein."

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In Anhang II (eingefügt durch Art 1 Nr 20 iVm Anhang Buchst B EGV 988/2009 vom 16.9.2009, ABl Nr L 284, 43) ist unter der Überschrift "Bestimmungen von Abkommen, die weiter in Kraft bleiben und gegebenenfalls auf Personen beschränkt sind, für die diese Bestimmungen gelten (Artikel 8 Absatz 1)" im Abschnitt Deutschland - Polen unter Buchst a das

        

"Abkommen vom 9. Oktober 1975 über Renten- und Unfallversicherung, unter den in Artikel 27 Absätze 2 bis 4 des Abkommens über soziale Sicherheit vom 8. Dezember 1990 festgelegten Bedingungen (Beibehaltung des Rechtsstatus auf der Grundlage des Abkommens von 1975 der Personen, die vor dem 1. Januar 1991 ihren Wohnsitz auf dem Hoheitsgebiet Deutschlands oder Polens genommen hatten und weiterhin dort ansässig sind)"

aufgeführt.

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Damit liegt jedenfalls die von Art 8 Abs 1 S 3 EGV 883/2004 geforderte formelle Voraussetzung vor. Die Aufnahme in Anhang II ist für eine Fortgeltung von zwischenstaatlichen Abkommensregelungen allein aber noch nicht ausreichend. Hier sind jedoch auch die in Art 8 Abs 1 S 2 EGV 883/2004 benannten materiellen Kriterien erfüllt:

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(1) Die von der Klägerin auf der Grundlage von § 35 SGB VI iVm den Vorschriften des ZRBG beanspruchte Altersrente unterfällt an sich dem Geltungsbereich der europarechtlichen Regelungen zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit. Personen, die nach den Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten zum Bezug von Altersrente berechtigt sind, unterliegen aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einem System der sozialen Sicherheit den Vorschriften des koordinierenden Sozialrechts der Arbeitnehmer, auch wenn sie keine Erwerbstätigkeit mehr ausüben (EuGH vom 18.12.2007 - C-396/05 ua - , Slg 2007, I-11895 = SozR 4-6035 Art 42 Nr 2, RdNr 57 mwN). Nach ihrer Zweckbestimmung handelt es sich bei einer solchen Rente um "Leistungen bei Alter" aus einem "Zweig der sozialen Sicherheit" bzw aus einem "System der sozialen Sicherheit" iS von Art 3 Abs 1 Buchst d, Abs 2 EGV 883/2004. Die Bestimmung in § 1 Abs 4 ZRBG, wonach die aufgrund dieses Gesetzes gezahlten Renten "nicht als Leistungen der sozialen Sicherheit" gelten sollen, vermag an dieser unionsrechtlichen Einordnung nichts zu ändern(vgl EuGH vom 21.7.2011 - C-503/09 - , ZESAR 2012, 83 RdNr 35). Im Übrigen enthält auch die Erklärung der Bundesregierung nach Art 9 EGV 883/2004 zu den von Art 3 dieser Verordnung erfassten Rechtsvorschriften, Systemen und Regelungen des deutschen Rechts (abgedruckt zB bei Hauschild in juris-PK SGB I, 2. Aufl 2012, Art 9 EGV 883/2004 RdNr 10) keine Einschränkungen oder Vorbehalte hinsichtlich der Renten nach dem SGB VI, die (auch) auf nach dem ZRBG anerkannten Zeiten der Beschäftigung in einem Ghetto beruhen.

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(2) Betroffen sind lediglich "einzelne Bestimmungen von Abkommen über soziale Sicherheit", auch wenn Anhang II die Fortgeltung des gesamten Abk Polen RV/UV anordnet. Denn dieses Vertragswerk, das bereits vor dem Beitritt Polens zur EU und damit vor dem Zeitpunkt der Anwendbarkeit der koordinierungsrechtlichen Vorschriften des Europarechts im Verhältnis zwischen Deutschland und Polen abgeschlossen wurde, stellt kein umfassendes Abkommen über soziale Sicherheit iS des Art 8 EGV 883/2004 dar, sondern beschränkt sich auf Regelungen zur RV und UV.

35

(3) Ob die weitere Anwendung der Bestimmungen des Abk Polen RV/UV für den in Anhang II (Abschnitt Deutschland - Polen) der EGV 883/2004 benannten Personenkreis bzw für die Klägerin insgesamt günstiger wäre als der Bezug zeitanteiliger Leistungen aus der deutschen und polnischen Rentenversicherung nach den Regeln der Art 50 ff EGV 883/2004 (so wie das insbesondere bei den nach langjähriger Berufstätigkeit in Polen nach Deutschland übergesiedelten Personen regelmäßig der Fall ist), hat das LSG nicht festgestellt. Weitere Sachaufklärung hierzu ist jedoch entbehrlich, da jedenfalls die zweite Alternative von Art 8 Abs 1 S 2 EGV 883/2004 erfüllt ist. Denn die Fortgeltung des Abk Polen RV/UV für diejenigen, die bereits vor dem 1.1.1991 ihren Wohnsitz in Deutschland oder Polen hatten und weiterhin dort ansässig sind, beruht jedenfalls auf den besonderen historischen Umständen, die Deutschland und Polen veranlasst haben, zur Bewältigung der als Folge des 2. Weltkriegs entstandenen Lage im Jahr 1975 hinsichtlich der rentenrechtlichen Ansprüche der in Deutschland oder Polen lebenden Bürger das Eingliederungsprinzip zugrunde zu legen und auch nach den Umwälzungen im Jahr 1990 für die genannte Personengruppe beizubehalten (s hierzu im Einzelnen nachfolgend unter 4. a).

36

(4) Die Fortgeltung des Abk Polen RV/UV ist dadurch "zeitlich begrenzt", dass dessen Bestimmungen an Stelle der europarechtlichen Koordinierungsregelungen nur noch so lange Anwendung finden, wie die davon betroffenen Personen ihren bisherigen Wohnsitz in Deutschland oder Polen beibehalten. Sobald diese von der Freizügigkeit Gebrauch machen und ihren Wohnsitz in ein anderes Land verlegen, werden die allgemeinen Regelungen des Leistungsexports auch für sie wirksam (vgl Schuler, Anmerkung zum Urteil des EuGH vom 18.12.2007 , ZESAR 2009, 40, 44).

37

b) Die im Sekundärrecht (Art 8 iVm Anhang II EGV 883/2004) für eine bestimmte Personengruppe verankerte Weitergeltung des Abk Polen RV/UV ist auch mit den im europäischen Vertragsrecht allen Unionsbürgern garantierten Grundfreiheiten (vgl Art 20 AEUV) vereinbar (zu diesem Prüfungsschritt EuGH vom 18.12.2007 - C 396/05 ua - , Slg 2007, I-11895 = SozR 4-6035 Art 42 Nr 2, RdNr 74 ff; s auch Devetzi, SDSRV Bd 59 <2010> S 117, 136).

38

Einschlägig ist insoweit allenfalls der Grundsatz der Freizügigkeit (Art 20 Abs 2 S 2 Buchst a iVm Art 21 AEUV, s auch Art 45 iVm Art 52 Abs 2 Charta der Grundrechte der EU ), der jedem Unionsbürger das Recht verleiht, "sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten vorbehaltlich der in den Verträgen und in den Durchführungsvorschriften vorgesehenen Beschränkungen und Bedingungen frei zu bewegen und aufzuhalten" (Art 21 Abs 1 AEUV).

39

Es bedarf auch in diesem Zusammenhang keiner abschließenden Festlegung, ob der Anwendungsbereich dieser Vertragsbestimmung bei dem Personenkreis überhaupt eröffnet ist, der von der Weitergeltung des Abk Polen RV/UV erfasst wird. Diesen Personen ist gemeinsam, dass sie ihren bereits vor dem 1.1.1991 begründeten Wohnsitz in Deutschland oder Polen weiterhin beibehalten, mithin davon, dass sie von der Freiheit, sich als Unionsbürger in einen anderen Mitgliedstaat zu begeben und sich dort aufzuhalten, gerade noch keinen Gebrauch gemacht haben. Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH können die Vertragsbestimmungen über die Freizügigkeit nicht auf Sachverhalte angewandt werden, die keine Berührung mit irgendeinem der Sachverhalte aufweisen, auf die das Unionsrecht abstellt, und die mit keinem relevanten Element über die Grenzen eines Mitgliedstaats hinausweisen (EuGH vom 15.11.2011 - C-256/11 - , NVwZ 2012, 97 RdNr 60 ff mwN).

40

Doch selbst wenn ein solches Element bzw ein hinreichender Bezug zum Gemeinschaftsrecht (grenzüberschreitender Sachverhalt) hier darin gesehen würde, dass das deutsche Rentenrecht die Zahlung von ZRBG-Renten aufgrund einer Beschäftigung im (Warschauer) Ghetto an Betroffene mit Wohnsitz in anderen Mitgliedstaaten als Polen grundsätzlich vorsieht, wäre die in Art 8 iVm Anhang II (Abschnitt Deutschland - Polen) EGV 883/2004 angeordnete Weitergeltung des Abk Polen RV/UV für die dort genannte Personengruppe gleichwohl gemeinschaftsrechtlich gerechtfertigt. Eine solche Rechtfertigung setzt nach gefestigter Rechtsprechung des EuGH voraus, dass mit der betreffenden Regelung ein im Allgemeininteresse liegendes Ziel verfolgt wird, sie geeignet ist, dessen Erreichung zu gewährleisten, und wenn sie nicht über das hinausgeht, was zur Erreichung des verfolgten Ziels erforderlich ist (EuGH vom 1.4.2008 - C-212/06 - , Slg 2008, I-1683 = SozR 4-6035 Art 39 Nr 3, RdNr 55; EuGH vom 21.7.2011 - C 503/09 - , ZESAR 2012, 83 RdNr 87 - jeweils mwN; s allgemein auch Art 52 Abs 1 GR-Charta). Dies ist hier der Fall (s nachfolgend unter 4. a). Insbesondere hat der EuGH bereits anerkannt, dass der Wille, den außerhalb des betreffenden Staates wohnenden Begünstigten eine angemessene Leistung unter Berücksichtigung des Niveaus der Lebenshaltungskosten und der im Wohnsitzstaat gezahlten Sozialleistungen zu gewähren, als objektive Erwägung des Allgemeininteresses eine Einschränkung der Freizügigkeit rechtfertigen kann (EuGH vom 4.12.2008 - C-221/07 - , Slg 2008, I-9029 RdNr 38 f). Entsprechende Erwägungen liegen auch der Anordnung der Weitergeltung des Eingliederungsprinzips gemäß Art 4 Abk Polen RV/UV für Personen, solange diese ihren Wohnsitz über den 1.1.1991 hinaus in Deutschland oder Polen beibehalten, zugrunde (dazu im Einzelnen unter 4. a).

41

c) Die vorstehenden europarechtlichen Bewertungen auf der Grundlage der ab 1.5.2010 anwendbaren EGV 883/2004 können in gleicher Weise auf den für den Zeitraum davor noch maßgeblichen Rechtszustand (vgl Art 87 Abs 1 EGV 883/2004; s hierzu auch Bokeloh, ZESAR 2011, 18, 21) übertragen werden. Art 7 und 8 EGV 883/2004 haben die im wesentlichen inhaltsgleichen Art 6 und 10 Abs 1 EWGV 1408/71 abgelöst. Die Regelung in Anhang II (Abschnitt Deutschland - Polen) der EGV 883/2004 stimmt mit derjenigen in Anhang III Teil A Ziff 84 Buchst a EWGV 1408/71 (idF des Vertrags über den Beitritt der Republik Polen und anderer Staaten zur Europäischen Union vom 16.4.2003 - Abschn B Anh II Nr 2 "Freizügigkeit" Abschn A "Soziale Sicherheit" Nr 1 Buchst h xxv, s EU-Beitrittsvertragsgesetz vom 18.9.2003, BGBl II 1408 iVm Anlageband 1 S 158) überein.

42

Auch im Primärrecht war der Grundsatz der Freizügigkeit (Art 21 Abs 1 AEUV) bereits in den vorangegangenen Vertragswerken inhaltsgleich geregelt (Art 8a EG , Art 18 EG ).

43

d) Der Senat kann diese Entscheidung treffen, ohne zuvor gemäß Art 267 Abs 3 AEUV den EuGH anzurufen. Die hierfür bedeutsamen Fragen zur Auslegung der Verträge und des Sekundärrechts sind in der Rechtsprechung des EuGH bereits geklärt. Auf dieser Grundlage hat der Senat, wie oben erläutert, keine Zweifel daran, dass die in Anhang II der EGV 883/2004 geregelte Fortgeltung des Abk Polen RV/UV für den dort bezeichneten Personenkreis mit Europarecht vereinbar ist (vgl EuGH vom 6.10.1982 - C-283/81 - , Slg 1982, 3415 RdNr 14; s auch BVerfGE 126, 286, 315 ff; 129, 78, 105 ff).

44

4. Der Ausschluss der Klägerin vom Export einer auf Ghetto-Beitragszeiten beruhenden Altersrente aus der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung und ihre Beschränkung auf Leistungen des polnischen Versicherungsträgers, solange sie ihren Wohnsitz in Polen beibehält, verstößt auch nicht gegen Verfassungsrecht.

45

a) Art 3 Abs 1 GG ist nicht verletzt.

46

Der allgemeine Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln sowie wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln. Verboten ist daher auch ein gleichheitswidriger Begünstigungsausschluss, bei dem einem Personenkreis eine Begünstigung gewährt wird, die einem anderen Personenkreis ohne einen rechtfertigenden Grund vorenthalten bleibt (BVerfGE 127, 263, 280 = SozR 4-1300 § 116 Nr 2 RdNr 44 mwN; BVerfG vom 19.6.2012 - 2 BvR 1397/09 - NVwZ 2012, 1304 RdNr 53; stRspr).

47

Aus dem allgemeinen Gleichheitssatz ergeben sich je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengeren Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse reichen. Für die Anforderungen an Rechtfertigungsgründe für gesetzliche Differenzierungen kommt es wesentlich darauf an, in welchem Maß sich die Ungleichbehandlung von Personen oder Sachverhalten auf die Ausübung grundrechtlich geschützter Freiheiten auswirken kann. Genauere Maßstäbe und Kriterien dafür, unter welchen Voraussetzungen der Gesetzgeber den Gleichheitssatz verletzt, lassen sich dabei nicht abstrakt und allgemein, sondern nur in Bezug auf die jeweils betroffenen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereiche bestimmen. Eine strengere Bindung des Gesetzgebers ist anzunehmen, wenn die Differenzierung an Persönlichkeitsmerkmale anknüpft; sie ist darüber hinaus umso strenger, je mehr sich die zur Unterscheidung führenden personenbezogenen Merkmale den in Art 3 Abs 3 GG genannten Merkmalen annähern und je größer die Gefahr ist, dass die Ungleichbehandlung zur Diskriminierung einer Minderheit führt (BVerfG vom 19.6.2012, aaO RdNr 57). Bei lediglich verhaltensbezogenen Unterscheidungen hängt das Maß der Bindung insbesondere auch davon ab, inwieweit die Betroffenen in der Lage sind, durch ihr Verhalten die Verwirklichung der Merkmale zu beeinflussen, nach denen unterschieden wird (BVerfGE 127, 263, 280 = SozR 4-1300 § 116 Nr 2 RdNr 45 mwN). Die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers geht dann besonders weit, wenn er Lebenssachverhalte verschieden behandelt und die Betroffenen sich durch eigenes Verhalten auf die unterschiedliche Regelung einstellen können; die Grenze bildet dann allein das Willkürverbot (BVerfGE 97, 271, 291 = SozR 3-2940 § 58 Nr 1 S 11).

48

Art 3 Abs 1 GG untersagt mithin die abweichende Behandlung einer Gruppe von Normadressaten, wenn im Vergleich zu anderen Normadressaten keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen können (BVerfGE 102, 41, 54 = SozR 3-3100 § 84a Nr 3 S 18; BVerfG vom 19.6.2012 - 2 BvR 1397/09 - NVwZ 2012, 1304 RdNr 56, stRspr). Dabei hat das BVerfG dem Gesetzgeber für sozialrechtliche Regelungen, die im Zusammenhang mit dem Zusammenbruch des Deutschen Reichs stehen, im Hinblick auf die sozialen Aufgaben, vor denen die Bundesrepublik gestanden hat und die nach Art und Ausmaß ohne Parallelen waren, regelmäßig einen über die genannten Grundsätze hinausgehenden, sehr weiten Gestaltungsspielraum zugestanden (BVerfGE 53, 164, 177 f = SozR 2200 § 1318 Nr 5 S 12; BVerfGE 95, 143, 155; BVerfGK 6, 171, 174 = SozR 4-1100 Art 3 Nr 33 RdNr 12).

49

Die Klägerin wird durch die zunächst in Art 27 Abs 2 Abk Polen SozSich und sodann im EU-Beitrittsvertrag vom 16.4.2003 angeordnete Fortgeltung der Regelungen des Abk Polen RV/UV für die bereits vor dem 1.1.1991 in Polen wohnenden und weiterhin dort ansässigen Personen anders behandelt als diejenigen Personen, die ebenfalls im Warschauer Ghetto beschäftigt waren und nunmehr außerhalb Polens leben. Denn sie hat für die Dauer ihres gewöhnlichen Aufenthalts in Polen aufgrund des für sie fortgeltenden Eingliederungsprinzips ausschließlich einen Anspruch auf Rente gegen den polnischen Rentenversicherungsträger nach den Vorschriften des polnischen Rentenrechts, während ihr die Zahlung einer Rente aus der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung unter Berücksichtigung von Zeiten nach dem ZRBG, wie sie Ghetto-Beschäftigte mit Wohnsitz außerhalb Polens auf der Grundlage des Leistungsexportprinzips erhalten können, versagt bleibt.

50

Auch wenn dies zum Nachteil der Klägerin Auswirkungen auf die Höhe ihrer gesamten Rentenansprüche haben dürfte, ist diese unterschiedliche Behandlung jedoch durch sachliche Gründe gerechtfertigt. Denn durch das Abk Polen RV/UV sollte den in Polen lebenden, vormals nach reichsgesetzlichen Vorschriften Versicherten erstmals ein vertraglich abgesicherter Rechtsanspruch auf die Einbeziehung in das polnische Sozialversicherungssystem und zudem das Recht auf Anrechnung ihrer im Bereich des Deutschen Reichs zurückgelegten Versicherungsjahre verschafft werden, wenn auch im Rahmen des polnischen Systems (vgl hierzu im Einzelnen BVerfGE 53, 164, 180 f = SozR 2200 § 1318 Nr 5 S 14 mwN). Ziel der Vereinbarung des Eingliederungsprinzips im Abk Polen RV/UV war es außerdem, angesichts der Unterschiede in den Wirtschafts- und Lebensverhältnissen, aber auch der Sozialversicherungssysteme in den beiden Ländern soziale Spannungen zu vermeiden und ein gerechteres Ergebnis zu erzielen, als dies ein Export von Rentenleistungen hätte gewährleisten können. Die an der Verhandlung des Abkommens beteiligten Delegationen konnten davon ausgehen, dass einerseits aus Polen exportierte Renten in aller Regel nicht für einen angemessenen Lebensstandard in der Bundesrepublik Deutschland ausreichen würden und andererseits nach Polen gezahlte deutsche Renten nicht selten höher ausfallen würden als die dortigen Arbeitnehmereinkommen. Im Hinblick darauf hatte die polnische Delegation im Laufe der Vertragsverhandlungen deutlich gemacht, eine unter diesem Gesichtspunkt unterschiedliche Behandlung von Deutschen und Polen auf polnischem Staatsgebiet nicht zuzulassen (vgl BVerfGK 6, 171, 175 f = SozR 4-1100 Art 3 Nr 33 RdNr 17 f - unter Hinweis auf die Stellungnahmen des Staatssekretärs Eicher in der 425. Sitzung des BR vom 7.11.1975, Prot S 331 f, und vor dem Ausschuss für Arbeit und Sozialordnung des BT, KurzProt der 90. Sitzung des Ausschusses vom 3.12.1975, S 25 f, sowie die Rede des Abgeordneten Sund in der 202. Sitzung des BT vom 26.11.1975, PlenarProt S 13984 ff; vgl ferner Haase, BArbBl 1976, 211, 213; Baumgarten, DRV 1986, 475, 479 ff; aus polnischer Sicht K. Reiter, ZFSH/SGB 2002, 515, 517).

51

Diese Rechtslage sollte nach dem übereinstimmenden Willen Deutschlands und Polens aus denselben Gründen auch nach Einführung des Leistungsexportprinzips jedenfalls für diejenigen Personen fortgelten, die bereits vor dem Stichtag 1.1.1991 in einem der beiden Länder wohnten, solange sie dort ansässig bleiben und damit dem Einkommens- und Preisniveau dieses Landes unterliegen (Art 27 Abs 2 Abk Polen SozSich, s hierzu auch die Denkschrift zu diesem Abk, BT-Drucks 12/470 S 23 f, die Aspekte des Vertrauensschutzes und des Bestandsschutzes betont; ebenso Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung, BT-Drucks 12/445; hingegen waren für die polnische Seite andernfalls dort eintretende erhebliche finanzielle Belastungen ausschlaggebend, s hierzu K. Reiter, ZFSH/SGB 2002, 515, 519). Anlässlich des Beitritts der Republik Polen zur Europäischen Union haben beide Staaten sodann einvernehmlich erneut dafür Sorge getragen, dass dieser Rechtszustand für den Personenkreis der nicht von ihrem Freizügigkeitsrecht Gebrauch machenden Bürger ("Bestandsfälle") fortgeführt wird (K. Reiter, aaO S 526). Hierzu haben sie im EU-Beitrittsvertrag vom 16.4.2003 eine Ergänzung des Anhangs III Teil A der EWGV 1408/71 veranlasst und später erreicht, dass diese Regelung auch in den Anhang II der EGV 883/2004 übernommen wird. Der deutsche Gesetzgeber hat diesen Regelungen im Gesetz zu dem Abk Polen SozSich (vom 18.6.1991 - BGBl II 741) und im EU-Beitrittsvertragsgesetz (vom 18.9.2003 - BGBl II 1408) zugestimmt.

52

Hierdurch hat der Gesetzgeber den ihm zustehenden - in außenpolitischen Angelegenheiten besonders weiten - Gestaltungsspielraum nicht verletzt (BVerfGE 53, 164, 182; 95, 143, 159; BVerfGK 6, 171, 176 f = SozR 4-1100 Art 3 Nr 33 RdNr 19 f). Insbesondere knüpft die übergangsweise Fortgeltung des Eingliederungsprinzips für die "Bestandsfälle" nicht an Persönlichkeitsmerkmale an, sondern differenziert nach unterschiedlichen Sachverhalten (Wohnort) und ist zugleich verhaltensbezogen ausgestaltet (s oben unter 3. a) (4)). Daher ist es im Hinblick auf den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz auch verfassungsrechtlich unbedenklich, dass die Bundesrepublik Deutschland mit dem Abschluss des Abk Polen RV/UV darauf verzichtet hat, in Zukunft einseitig durch eine Änderung des deutschen Rentenrechts Verbesserungen der rentenrechtlichen Situation von in Polen wohnenden Versicherten vorzunehmen (vgl BVerfGK 6, 171, 175 = SozR 4-1100 Art 3 Nr 33 RdNr 15). Ebenso wenig kann beanstandet werden, dass Deutschland anlässlich des Beitritts der Republik Polen zur EU - nicht zuletzt mit Rücksicht auf die ansonsten erheblichen finanziellen Belastungen des beitretenden Landes - davon abgesehen hat, die Einführung des Leistungsexportprinzips auch für die "Bestandsfälle" anzustreben.

53

Eine Verpflichtung zur späteren Überprüfung und ggf Änderung einer unter dem Gesichtspunkt der Kriegsfolgenbeseitigung getroffenen, verfassungsrechtlich unbedenklichen Regelung im Hinblick auf eine inzwischen veränderte Situation hat das BVerfG nur in außergewöhnlichen Fällen in Betracht gezogen (BVerfGE 53, 164, 180 = SozR 2200 § 1318 Nr 5 S 13 f; BVerfGK 6, 171, 175 = SozR 4-1100 Art 3 Nr 33 RdNr 16). Ein solch außergewöhnlicher Fall liegt nicht etwa aufgrund dessen vor, dass der polnische Rentenversicherungsträger nach dem Abk Polen RV/UV für die weiterhin in Polen wohnenden Personen auch hinsichtlich von Versicherungszeiten aufgrund der Beschäftigung in einem Ghetto zuständig ist (zur Ablehnung einer entsprechenden Änderung des ZRBG durch den Deutschen Bundestag s BT-Drucks 16/10334 sowie PlenarProt 16/200 S 21613 ). Dies gilt umso mehr, als Zeiten des Aufenthalts in einem Ghetto nach polnischem Recht bei der Rentenberechnung zu berücksichtigen sind und die Betroffenen daher nicht ohne rentenrechtliche Ansprüche für diese Zeiten bleiben (vgl Poletzky/Pflaum, MittLVA Berlin 2003, 179, 242 f zur Beurteilung von Zeiten als Zivil- oder Zwangsarbeiter in einem Ghetto nach polnischem Recht ). Zudem hat die Bundesrepublik Deutschland bei Abschluss des Abk Polen RV/UV die damals - unter anderen Rahmenbedingungen - angenommene finanzielle Mehrbelastung des polnischen Staates aufgrund der Vereinbarung des Eingliederungsprinzips mit einer Ausgleichszahlung in Höhe von 1,3 Mrd DM abgegolten (Art 1 Abs 1 der Vereinbarung vom 9.10.1975, BGBl II 1976, 401).

54

In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, dass die weiterhin in Polen ansässigen Ghetto-Beschäftigten nicht gänzlich von Leistungen aus Deutschland für diese Tätigkeit ausgeschlossen sind. Nach der Richtlinie der Bundesregierung über eine Anerkennungsleistung an Verfolgte für Arbeit in einem Ghetto, die keine Zwangsarbeit war (idF der Bekanntmachung vom 20.12.2011, BAnz 4608) können Verfolgte iS von § 1 BEG, die sich zwangsweise in einem Ghetto aufgehalten haben, das in einem Gebiet des nationalsozialistischen Einflussbereichs lag, und während dieser Zeit ohne Zwang in einem beschäftigungsähnlichen Verhältnis gearbeitet haben, eine einmalige Leistung von 2000 Euro erhalten, sofern sie für diese Arbeit keine Leistung aus den Mitteln der Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft" erhalten haben oder hätten erhalten können. Mit der erwähnten Fassung der Richtlinie ist auf den zuvor festgelegten Schlusstermin (31.12.2011) und den vormaligen Ausschluss von Leistungen im Falle einer bereits erfolgten sozialversicherungsrechtlichen Berücksichtigung der Ghetto-Zeit (§ 1 Abs 1 S 1 Nr 1 der Richtlinie idF vom 1.10.2007, BAnz 7693) verzichtet worden, sodass auch die Klägerin noch Gelegenheit hat, einen entsprechenden Antrag zu stellen, falls dies bislang nicht geschehen ist.

55

b) Das Eigentumsgrundrecht aus Art 14 Abs 1 GG ist ebenfalls nicht verletzt. Zwar schützt diese Verfassungsnorm auch sozialversicherungsrechtliche Rentenansprüche und Rentenanwartschaften, die im Geltungsbereich des GG erworben worden sind (BVerfG Beschluss vom 8.5.2012 - 1 BvR 1065/03 ua - Juris RdNr 41 mwN). Jedoch reicht ihr Schutz nur so weit, wie Ansprüche bereits bestehen, verschafft diese aber selbst nicht (BVerfG aaO). Deshalb kann die Entscheidung des Gesetzgebers des ZRBG, für Ghetto-Beschäftigungszeiten die Zahlbarmachung von Ansprüchen aus der gesetzlichen Rentenversicherung zu erleichtern und in diesem Zusammenhang die bestehenden auslandsrentenrechtlichen Vorschriften zugrunde zu legen, also für Personen mit beibehaltenem Wohnort in Polen gemäß § 110 Abs 3 SGB VI iVm Art 8 Abs 1 S 2 und Anhang II EGV 883/2004 und Art 4 Abs 1 Abk Polen RV/UV keine Ansprüche gegen die deutsche gesetzliche Rentenversicherung zu begründen, nicht an Art 14 Abs 1 GG gemessen werden(s auch BSG Urteil vom 29.9.1998 - B 4 RA 91/97 R - Juris RdNr 18). Die Entziehung bereits bestehender Rentenansprüche hat das ZRBG nicht angeordnet.

56

c) Anhaltspunkte für eine Verletzung des Art 20 GG sind weder von der Klägerin konkret benannt noch sonst ersichtlich.

57

5. Auch ein Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot nach Art 14 EMRK liegt nicht vor (zu Rang und Reichweite der EMRK innerhalb der deutschen Rechtsordnung s BVerfGE 128, 326, 367 ff). Denn Art 14 EMRK stellt - unabhängig davon, ob die Vorschrift auf im nationalen Recht nicht begründete Rentenansprüche anwendbar ist (vgl hierzu Senatsurteil vom 20.7.2011 - B 13 R 41/10 R - Juris RdNr 36; EGMR vom 25.9.2007 - 12923/03 - SozR 4-6021 Art 1 Nr 1 RdNr 126 ff, 138 f; vom 25.10.2005 - 59140/00 - NVwZ 2006, 917 RdNr 30 f = Juris RdNr 67 f; Meyer-Ladewig, EMRK, 3. Aufl 2011, Art 14 RdNr 5 ff und Zusatzprotokoll zur EMRK Art 1 RdNr 14 f, jeweils mwN) jedenfalls an die Ausgestaltung über- oder zwischenstaatlicher Verträge zur Koordinierung von Bestimmungen der sozialen Sicherheit im Hinblick auf die Anknüpfung an den Wohnort der Betroffenen im jeweiligen Vertragsstaat keine höheren Anforderungen als Art 3 GG. Nach Art 14 EMRK ist der Genuss der in dieser Konvention anerkannten Rechte und Freiheiten ohne Diskriminierung insbesondere wegen des Geschlechts, der Rasse, der Hautfarbe, der Sprache, der Religion, der politischen oder sonstigen Anschauung, der nationalen oder sozialen Herkunft, der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, des Vermögens, der Geburt oder eines sonstigen Status zu gewährleisten. Das schließt zwar eine unterschiedliche Behandlung ausschließlich wegen der Staatsangehörigkeit aus, sofern es dafür nicht besonders gewichtige Rechtfertigungsgründe gibt (EGMR vom 16.9.1996 - 39/1995/545/631 - JZ 1997, 405 RdNr 42; EGMR vom 28.10.2010 - 40080/07 - NVwZ-RR 2011, 727 RdNr 35). Die genannte Vorschrift steht jedoch der hier maßgeblichen Anknüpfung an den Wohnsitz zur Bestimmung der Zuständigkeit des Rentenversicherungsträgers und des maßgeblichen nationalen Rechts nicht entgegen (vgl EGMR vom 9.3.2010 - 51625/08 - FamRZ 2011, 1037, 1038 - Juris RdNr 54; s auch Eichenhofer, Anmerkung zum Urteil des EGMR vom 30.9.2003 - 40892/98 - ZESAR 2004, 143, 144).

58

6. Zugunsten der Klägerin wirkt sich schließlich nicht der von ihr angeführte, vom BGH zum Entschädigungsrecht entwickelte Grundsatz aus, dass eine Gesetzesauslegung, die möglich ist und dem Ziel entspricht, das zugefügte Unrecht so bald und so weit wie irgend möglich wiedergutzumachen, den Vorzug gegenüber jeder anderen Auslegung verdient, die die Wiedergutmachung erschwert oder zunichte macht (stRspr, zB BGH vom 22.11.1954 - IV ZR 107/54 - RzW 1955, 55, 57; aus neuerer Zeit BGH vom 22.2.2001 - IX ZR 113/00 - LM BEG 1956 § 35 Nr 37 unter II 2 c der Gründe; BGH vom 1.12.1994 - IX ZR 63/94 - LM BEG 1956 § 35 Nr 34 unter II 2 der Gründe). Zwar ist hiervon bei der Auslegung einschlägiger Vorschriften auch das BSG ausgegangen (zB BSG vom 28.2.1984 - SozR 5070 § 9 Nr 7 S 14; BSG vom 25.8.1982 - SozR 5070 § 10 Nr 20 S 46; BSG vom 12.10.1979 - SozR 5070 § 10a Nr 2 S 3; BSG vom 26.10.1976 - SozR 5070 § 9 Nr 1 S 3; s bereits BSG vom 26.6.1959 - BSGE 10, 113, 116). Die von der Klägerin erstrebte Rechtsanwendung ist jedoch, wie erläutert, bereits im Hinblick auf die völkerrechtlichen Bindungen der Bundesrepublik Deutschland nicht möglich.

59

Damit lässt sich auch kein anderes Ergebnis aus § 2 Abs 2 Halbs 2 SGB I ableiten, wonach bei der Auslegung der Vorschriften des SGB sicherzustellen ist, dass die sozialen Rechte möglichst weitgehend verwirklicht werden.

60

7. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

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Gesetz über den Lastenausgleich


Lastenausgleichsgesetz - LAG

Sozialgerichtsgesetz - SGG | § 193


(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen ha

Sozialgesetzbuch (SGB) Erstes Buch (I) - Allgemeiner Teil - (Artikel I des Gesetzes vom 11. Dezember 1975, BGBl. I S. 3015) - SGB 1 | § 30 Geltungsbereich


(1) Die Vorschriften dieses Gesetzbuchs gelten für alle Personen, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in seinem Geltungsbereich haben. (2) Regelungen des über- und zwischenstaatlichen Rechts bleiben unberührt. (3) Einen Wohnsitz hat jem

Sozialgesetzbuch (SGB) Erstes Buch (I) - Allgemeiner Teil - (Artikel I des Gesetzes vom 11. Dezember 1975, BGBl. I S. 3015) - SGB 1 | § 37 Vorbehalt abweichender Regelungen


Das Erste und Zehnte Buch gelten für alle Sozialleistungsbereiche dieses Gesetzbuchs, soweit sich aus den übrigen Büchern nichts Abweichendes ergibt; § 68 bleibt unberührt. Der Vorbehalt gilt nicht für die §§ 1 bis 17 und 31 bis 36. Das Zweite Kapite

Sozialgesetzbuch (SGB) Sechstes Buch (VI) - Gesetzliche Rentenversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes v. 18. Dezember 1989, BGBl. I S. 2261, 1990 I S. 1337) - SGB 6 | § 35 Regelaltersrente


Versicherte haben Anspruch auf Regelaltersrente, wenn sie 1. die Regelaltersgrenze erreicht und2. die allgemeine Wartezeit erfüllthaben. Die Regelaltersgrenze wird mit Vollendung des 67. Lebensjahres erreicht.

Bundesentschädigungsgesetz - BEG | § 1


(1) Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung ist, wer aus Gründen politischer Gegnerschaft gegen den Nationalsozialismus oder aus Gründen der Rasse, des Glaubens oder der Weltanschauung durch nationalsozialistische Gewaltmaßnahmen verfolgt worden

Sozialgesetzbuch (SGB) Erstes Buch (I) - Allgemeiner Teil - (Artikel I des Gesetzes vom 11. Dezember 1975, BGBl. I S. 3015) - SGB 1 | § 2 Soziale Rechte


(1) Der Erfüllung der in § 1 genannten Aufgaben dienen die nachfolgenden sozialen Rechte. Aus ihnen können Ansprüche nur insoweit geltend gemacht oder hergeleitet werden, als deren Voraussetzungen und Inhalt durch die Vorschriften der besonderen Teil

Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto - ZRBG | § 1 Anwendungsbereich


(1) Dieses Gesetz gilt für Zeiten der Beschäftigung von Verfolgten in einem Ghetto, die sich dort zwangsweise aufgehalten haben, wenn 1. die Beschäftigung a) aus eigenem Willensentschluss zustande gekommen ist,b) gegen Entgelt ausgeübt wurde und2. da

Gesetz zur Zahlbarmachung von Renten aus Beschäftigungen in einem Ghetto - ZRBG | § 2 Fiktion der Beitragszahlung


(1) Für Zeiten der Beschäftigung von Verfolgten in einem Ghetto gelten Beiträge als gezahlt, und zwar 1. für die Berechnung der Rente als Beiträge nach den Reichsversicherungsgesetzen für eine Beschäftigung außerhalb des Bundesgebiets sowie2. für die

Sozialgesetzbuch (SGB) Sechstes Buch (VI) - Gesetzliche Rentenversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes v. 18. Dezember 1989, BGBl. I S. 2261, 1990 I S. 1337) - SGB 6 | § 110 Grundsatz


(1) Berechtigte, die sich nur vorübergehend im Ausland aufhalten, erhalten für diese Zeit Leistungen wie Berechtigte, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben. (2) Berechtigte, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland haben, erhalten

Bundesentschädigungsgesetz - BEG | § 35


(1) Haben sich die Verhältnisse, die der Bemessung der Rente zugrunde gelegt waren, nachträglich so geändert, daß die auf Grund der veränderten Verhältnisse neu errechnete Rente insgesamt um mindestens 10 vom Hundert von der festgesetzten Rente abwei

Sozialgesetzbuch (SGB) Sechstes Buch (VI) - Gesetzliche Rentenversicherung - (Artikel 1 des Gesetzes v. 18. Dezember 1989, BGBl. I S. 2261, 1990 I S. 1337) - SGB 6 | § 111 Rehabilitationsleistungen und Krankenversicherungszuschuss


(1) Berechtigte erhalten die Leistungen zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben nur, wenn für sie für den Kalendermonat, in dem der Antrag gestellt ist, Pflichtbeiträge gezahlt oder nur deshalb nicht gezahlt worden sind, we

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Tenor Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 18. Mai 2013 aufgehoben.

Bundessozialgericht Urteil, 16. Juni 2015 - B 13 R 27/13 R

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Tenor Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 24.10.2013 wird zurückgewiesen. Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen. 1Tatbestand: 2Der Kläger begehrt die Berechnung

Referenzen

Versicherte haben Anspruch auf Regelaltersrente, wenn sie

1.
die Regelaltersgrenze erreicht und
2.
die allgemeine Wartezeit erfüllt
haben. Die Regelaltersgrenze wird mit Vollendung des 67. Lebensjahres erreicht.

(1) Die Vorschriften dieses Gesetzbuchs gelten für alle Personen, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in seinem Geltungsbereich haben.

(2) Regelungen des über- und zwischenstaatlichen Rechts bleiben unberührt.

(3) Einen Wohnsitz hat jemand dort, wo er eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, daß er die Wohnung beibehalten und benutzen wird. Den gewöhnlichen Aufenthalt hat jemand dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, daß er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt.

(1) Für Zeiten der Beschäftigung von Verfolgten in einem Ghetto gelten Beiträge als gezahlt, und zwar

1.
für die Berechnung der Rente als Beiträge nach den Reichsversicherungsgesetzen für eine Beschäftigung außerhalb des Bundesgebiets sowie
2.
für die Erbringung von Leistungen ins Ausland als Beiträge für eine Beschäftigung im Bundesgebiet
(Ghetto-Beitragszeiten).

(2) Zusätzliche Entgeltpunkte für Beitragszeiten außerhalb des Bundesgebiets sind auf Grund von Ghetto-Beitragszeiten nicht zu ermitteln.

Versicherte haben Anspruch auf Regelaltersrente, wenn sie

1.
die Regelaltersgrenze erreicht und
2.
die allgemeine Wartezeit erfüllt
haben. Die Regelaltersgrenze wird mit Vollendung des 67. Lebensjahres erreicht.

(1) Berechtigte, die sich nur vorübergehend im Ausland aufhalten, erhalten für diese Zeit Leistungen wie Berechtigte, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben.

(2) Berechtigte, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland haben, erhalten diese Leistungen, soweit nicht die folgenden Vorschriften über Leistungen an Berechtigte im Ausland etwas anderes bestimmen.

(3) Die Vorschriften dieses Abschnitts sind nur anzuwenden, soweit nicht nach über- oder zwischenstaatlichem Recht etwas anderes bestimmt ist.

Das Erste und Zehnte Buch gelten für alle Sozialleistungsbereiche dieses Gesetzbuchs, soweit sich aus den übrigen Büchern nichts Abweichendes ergibt; § 68 bleibt unberührt. Der Vorbehalt gilt nicht für die §§ 1 bis 17 und 31 bis 36. Das Zweite Kapitel des Zehnten Buches geht dessen Erstem Kapitel vor, soweit sich die Ermittlung des Sachverhaltes auf Sozialdaten erstreckt.

(1) Die Vorschriften dieses Gesetzbuchs gelten für alle Personen, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in seinem Geltungsbereich haben.

(2) Regelungen des über- und zwischenstaatlichen Rechts bleiben unberührt.

(3) Einen Wohnsitz hat jemand dort, wo er eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, daß er die Wohnung beibehalten und benutzen wird. Den gewöhnlichen Aufenthalt hat jemand dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, daß er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt.

(1) Berechtigte, die sich nur vorübergehend im Ausland aufhalten, erhalten für diese Zeit Leistungen wie Berechtigte, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben.

(2) Berechtigte, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland haben, erhalten diese Leistungen, soweit nicht die folgenden Vorschriften über Leistungen an Berechtigte im Ausland etwas anderes bestimmen.

(3) Die Vorschriften dieses Abschnitts sind nur anzuwenden, soweit nicht nach über- oder zwischenstaatlichem Recht etwas anderes bestimmt ist.

(1) Die Vorschriften dieses Gesetzbuchs gelten für alle Personen, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in seinem Geltungsbereich haben.

(2) Regelungen des über- und zwischenstaatlichen Rechts bleiben unberührt.

(3) Einen Wohnsitz hat jemand dort, wo er eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, daß er die Wohnung beibehalten und benutzen wird. Den gewöhnlichen Aufenthalt hat jemand dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, daß er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt.

(1) Berechtigte, die sich nur vorübergehend im Ausland aufhalten, erhalten für diese Zeit Leistungen wie Berechtigte, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben.

(2) Berechtigte, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland haben, erhalten diese Leistungen, soweit nicht die folgenden Vorschriften über Leistungen an Berechtigte im Ausland etwas anderes bestimmen.

(3) Die Vorschriften dieses Abschnitts sind nur anzuwenden, soweit nicht nach über- oder zwischenstaatlichem Recht etwas anderes bestimmt ist.

(1) Dieses Gesetz gilt für Zeiten der Beschäftigung von Verfolgten in einem Ghetto, die sich dort zwangsweise aufgehalten haben, wenn

1.
die Beschäftigung
a)
aus eigenem Willensentschluss zustande gekommen ist,
b)
gegen Entgelt ausgeübt wurde und
2.
das Ghetto in einem Gebiet des nationalsozialistischen Einflussbereichs lag,
soweit für diese Zeiten nicht bereits eine Leistung aus einem System der sozialen Sicherheit erbracht wird. Als System der sozialen Sicherheit ist jedes System anzusehen, in das in abhängiger Beschäftigung stehende Personen durch öffentlich-rechtlichen Zwang einbezogen wurden, um sie und ihre Hinterbliebenen für den Fall der Minderung der Erwerbsfähigkeit, des Alters und des Todes oder für einen oder mehrere dieser Fälle durch regelmäßig wiederkehrende Geldleistungen zu sichern.

(2) Dieses Gesetz ergänzt die rentenrechtlichen Vorschriften des Gesetzes zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung.

(3) Ein Anspruch auf eine Rente besteht auch, wenn die zur Leistungspflicht nach zwischen- oder überstaatlichem Recht erforderliche Mindestanzahl an rentenrechtlichen Zeiten für die Berechnung der Rente nicht vorliegt.

(4) Die auf Grund dieses Gesetzes gezahlten Renten gelten nicht als Leistungen der sozialen Sicherheit.

(1) Für Zeiten der Beschäftigung von Verfolgten in einem Ghetto gelten Beiträge als gezahlt, und zwar

1.
für die Berechnung der Rente als Beiträge nach den Reichsversicherungsgesetzen für eine Beschäftigung außerhalb des Bundesgebiets sowie
2.
für die Erbringung von Leistungen ins Ausland als Beiträge für eine Beschäftigung im Bundesgebiet
(Ghetto-Beitragszeiten).

(2) Zusätzliche Entgeltpunkte für Beitragszeiten außerhalb des Bundesgebiets sind auf Grund von Ghetto-Beitragszeiten nicht zu ermitteln.

Versicherte haben Anspruch auf Regelaltersrente, wenn sie

1.
die Regelaltersgrenze erreicht und
2.
die allgemeine Wartezeit erfüllt
haben. Die Regelaltersgrenze wird mit Vollendung des 67. Lebensjahres erreicht.

(1) Dieses Gesetz gilt für Zeiten der Beschäftigung von Verfolgten in einem Ghetto, die sich dort zwangsweise aufgehalten haben, wenn

1.
die Beschäftigung
a)
aus eigenem Willensentschluss zustande gekommen ist,
b)
gegen Entgelt ausgeübt wurde und
2.
das Ghetto in einem Gebiet des nationalsozialistischen Einflussbereichs lag,
soweit für diese Zeiten nicht bereits eine Leistung aus einem System der sozialen Sicherheit erbracht wird. Als System der sozialen Sicherheit ist jedes System anzusehen, in das in abhängiger Beschäftigung stehende Personen durch öffentlich-rechtlichen Zwang einbezogen wurden, um sie und ihre Hinterbliebenen für den Fall der Minderung der Erwerbsfähigkeit, des Alters und des Todes oder für einen oder mehrere dieser Fälle durch regelmäßig wiederkehrende Geldleistungen zu sichern.

(2) Dieses Gesetz ergänzt die rentenrechtlichen Vorschriften des Gesetzes zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung.

(3) Ein Anspruch auf eine Rente besteht auch, wenn die zur Leistungspflicht nach zwischen- oder überstaatlichem Recht erforderliche Mindestanzahl an rentenrechtlichen Zeiten für die Berechnung der Rente nicht vorliegt.

(4) Die auf Grund dieses Gesetzes gezahlten Renten gelten nicht als Leistungen der sozialen Sicherheit.

Tenor

1. Das Ablehnungsgesuch gegen den Richter Landau wird als unzulässig verworfen.

2. § 40 Absatz 1 Nummer 1 des Bundesbesoldungsgesetzes in der Fassung des Gesetzes zur Reform des öffentlichen Dienstrechts (Reformgesetz) vom 24. Februar 1997 (Bundesgesetzblatt I Seite 322) ist seit Inkrafttreten des Gesetzes zur Beendigung der Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Gemeinschaften: Lebenspartnerschaften vom 16. Februar 2001 (Bundesgesetzblatt I Seite 266) bis zum Inkrafttreten von § 17b des Bundesbesoldungsgesetzes in der Form des Artikel 4 des Gesetzes zur Übertragung ehebezogener Regelungen im öffentlichen Dienstrecht auf Lebenspartnerschaften vom 14. November 2011 (Bundesgesetzblatt I Seite 2219) mit Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes unvereinbar, soweit eingetragenen Lebenspartnern kein Familienzuschlag der Stufe 1 gewährt wird.

3. a) Der Bescheid des Deutschen Wetterdienstes vom 12. Juni 2003, der Widerspruchsbescheid des Deutschen Wetterdienstes vom 27. April 2004, das Urteil des Verwaltungsgerichts Darmstadt vom 9. Oktober 2008 - 5 E 1144/04 (2) - und der Beschluss des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 28. Mai 2009 - 1 A 2379/08.Z - verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes.

b) Der Beschluss des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 28. Mai 2009 - 1 A 2379/08.Z - wird aufgehoben und die Sache an den Hessischen Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen.

4. ...

5. Der Wert des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit wird auf 25.000 € (in Worten: fünfundzwanzigtausend Euro) festgesetzt.

Gründe

A.

1

Der Beschwerdeführer, ein seit 2002 in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft lebender Bundesbeamter der Besoldungsgruppe A 8, begehrt unter Berufung auf Art. 3 Abs. 1 sowie Art. 33 Abs. 5 GG rückwirkend vom Ende des Jahres 2003 bis zum 1. Januar 2009 eine Gleichbehandlung mit verheirateten Beamten hinsichtlich des Familienzuschlags der Stufe 1 gemäß § 40 Abs. 1 Nr. 1 Bundesbesoldungsgesetz - BBesG - (ehebezogener Teil im Familienzuschlag).

I.

2

1. Bereits seit dem Jahr 1922 wird der Familienstand der Beamten bei der Bemessung ihrer Bezüge berücksichtigt (vgl. Völter, in: Gerloff, Die Beamtenbesoldung im modernen Staat, 1932, S. 34 ff., 42 f.; Sölch/Ziegelasch, Besoldungsgesetz, 1928, § 9, § 10 Reichsbesoldungsgesetz). Nachdem verheirateten männlichen Beamten zunächst ein "Frauenzuschlag" gewährt worden war, flossen unter Geltung des Reichsbesoldungsgesetzes des Jahres 1927 (RGBl I S. 349) die Mehraufwendungen verheirateter Beamter in die Bemessung der ihnen gewährten Wohnungsgeldzuschüsse ein.

3

In der Bundesrepublik Deutschland wurde mit dem Bundesbesoldungsgesetz des Jahres 1957 (Gesetz vom 27. Juli 1957, BGBl I S. 993 - BBesG 1957 -) der Wohnungsgeldzuschuss durch einen (bis 1973 regional unterschiedlichen) Ortszuschlag ersetzt (vgl. Deutscher Bundestag, Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Beamtenrecht, zu BTDrucks 2/3638, S. 6; der Entwurf der Bundesregierung hatte noch die Beibehaltung des Wohnungsgeldzuschusses vorgesehen, vgl. BTDrucks 2/1993, S. 6, 43 ff.; vgl. auch BVerfGE 107, 218 <241 f.>). 1976 erfolgte durch das Haushaltsstrukturgesetz vom 18. Dezember 1975 (BGBl I S. 3091) eine Änderung der Zuordnung der Beamten zu den Stufen des Ortszuschlags, wobei insbesondere geschiedenen Beamten, Richtern und Soldaten ohne Unterhaltsverpflichtungen nicht mehr derselbe Ortszuschlag wie verheirateten und verwitweten Bediensteten gewährt wurde (vgl. BTDrucks 7/4127, S. 40, sowie zur Verfassungsmäßigkeit der danach bestehenden Ungleichbehandlung von geschiedenen und verwitweten Beamten BVerfGE 49, 260).

4

2. Mit Wirkung zum 1. Juli 1997 wandelte der Besoldungsgesetzgeber in der Annahme, in den Kosten der Lebenshaltung sei örtlich eine weitgehende Nivellierung eingetreten, den bisherigen Ortszuschlag durch das Dienstrechtsänderungsgesetz des Bundes (vom 24. Februar 1997, BGBl I S. 322 <331 f.>, zur Gesetzesbegründung vgl. BTDrucks 13/3994, S. 41 f.; siehe auch BVerfGE 117, 330 <331 f.>) in einen Familienzuschlag um, wobei der ehemalige Ortszuschlag der Stufe 1 dem Grundgehalt aller Beamten zugeschlagen wurde und der neu eingeführte Familienzuschlag entsprechend dem früheren Ortszuschlag der Stufen 2 ff. nach §§ 39 ff. BBesG an zusätzliche Voraussetzungen gebunden ist. Die Höhe des Familienzuschlags richtet sich nach der Besoldungsgruppe des Beamten und der Stufe, die den Familienverhältnissen entspricht, § 39 Abs. 1 Satz 2 BBesG.

5

§ 40 Abs. 1 BBesG lautete seit dem Jahr 1999 bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zur Unterstützung der Fachkräftegewinnung im Bund und zur Änderung weiterer dienstrechtlicher Vorschriften vom 15. März 2012 (BGBl I S. 462) am 22. März 2012 unverändert:

6

§ 40

7

Stufen des Familienzuschlages

8

(1) Zur Stufe 1 gehören

9

1. verheiratete Beamte, Richter und Soldaten,

10

2. verwitwete Beamte, Richter und Soldaten,

11

3. geschiedene Beamte, Richter und Soldaten sowie Beamte, Richter und Soldaten, deren Ehe aufgehoben oder für nichtig erklärt ist, wenn sie aus der Ehe zum Unterhalt verpflichtet sind,

12

4. andere Beamte, Richter und Soldaten, die eine andere Person nicht nur vorübergehend in ihre Wohnung aufgenommen haben und ihr Unterhalt gewähren, weil sie gesetzlich oder sittlich dazu verpflichtet sind oder aus beruflichen oder gesundheitlichen Gründen ihrer Hilfe bedürfen. Dies gilt bei gesetzlicher oder sittlicher Verpflichtung zur Unterhaltsgewährung nicht, wenn für den Unterhalt der aufgenommenen Person Mittel zur Verfügung stehen, die, bei einem Kind einschließlich des gewährten Kindergeldes und des kinderbezogenen Teils des Familienzuschlages, das Sechsfache des Betrages der Stufe 1 übersteigen. Als in die Wohnung aufgenommen gilt ein Kind auch, wenn der Beamte, Richter oder Soldat es auf seine Kosten anderweitig untergebracht hat, ohne dass dadurch die häusliche Verbindung mit ihm aufgehoben werden soll. Beanspruchen mehrere nach dieser Vorschrift Anspruchsberechtigte, Angestellte im öffentlichen Dienst oder auf Grund einer Tätigkeit im öffentlichen Dienst Versorgungsberechtigte wegen der Aufnahme einer anderen Person oder mehrerer anderer Personen in die gemeinsam bewohnte Wohnung einen Familienzuschlag der Stufe 1 oder eine entsprechende Leistung, wird der Betrag der Stufe 1 des für den Beamten, Richter oder Soldaten maßgebenden Familienzuschlages nach der Zahl der Berechtigten anteilig gewährt.

13

Zur Stufe 2 und den folgenden Stufen gehören gemäß § 40 Abs. 2 BBesG die Beamten, Richter und Soldaten der Stufe 1, denen Kindergeld nach dem Einkommensteuergesetz oder nach dem Bundeskindergeldgesetz zusteht oder ohne Berücksichtigung des § 64 oder § 65 des Einkommensteuergesetzes oder des § 3 oder § 4 des Bundeskindergeldgesetzes zustehen würde. Die Stufe richtet sich nach der Anzahl der berücksichtigungsfähigen Kinder.

14

Ledige und geschiedene Beamte, Richter und Soldaten (sowie solche, deren Ehe aufgehoben oder für nichtig erklärt ist) mit berücksichtigungsfähigen Kindern im Sinne des § 40 Abs. 2 BBesG erhalten den Unterschiedsbetrag zwischen der Stufe 1 und derjenigen Stufe des Familienzuschlags, die der Anzahl der berücksichtigungsfähigen Kinder entspricht (§ 40 Abs. 3 BBesG).

15

Die Höhe des Familienzuschlags für Bundesbeamte folgt aus der Anlage V zum Bundesbesoldungsgesetz. Danach betrug der Familienzuschlag der Stufe 1 im Jahr 2001 für Beamte der Besoldungsgruppen A 1 bis A 8 183,62 DM und für alle übrigen Besoldungsgruppen 192,84 DM. Gegenwärtig wird Beamten der Besoldungsgruppen A 2 bis A 8 ein monatlicher Familienzuschlag der Stufe 1 in Höhe von 113,96 € gewährt; alle Beamten der übrigen Besoldungsgruppen erhalten einen Familienzuschlag der Stufe 1 in Höhe von 119,68 €.

16

3. Durch das Gesetz zur Beendigung der Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Gemeinschaften: Lebenspartnerschaften (Lebenspartnerschaftsgesetz - LPartG) vom 16. Februar 2001 (BGBl I S. 266) führte der Gesetzgeber mit Wirkung zum 1. August 2001 das Institut der Lebenspartnerschaft ein. Die meisten Regelungen des Lebenspartnerschaftsgesetzes waren den Regelungen der Ehe nachgebildet oder verwiesen auf diese (vgl. hierzu im Einzelnen Wacke, in: Münchener Kommentar zum BGB, 5. Aufl. 2010, Vorb. zum LPartG, Rn. 3; zur Verfassungskonformität des Lebenspartnerschaftsgesetzes siehe BVerfGE 105, 313). Nicht Gesetz wurde die Erstreckung des Familienzuschlags auf in eingetragener Lebenspartnerschaft lebende Beamte. Zwar war im Entwurf des Lebenspartnerschaftsgesetzes vom 4. Juli 2000 (BTDrucks 14/3751) in Art. 3 § 10 Nr. 1 auch eine Änderung des Bundesbesoldungsgesetzes in Gestalt eines neuen § 1 Abs. 1a BBesG vorgesehen, wonach Bestimmungen dieses Gesetzes, die sich auf Ehegatten beziehungsweise das Bestehen einer Ehe beziehen, auf eingetragene Lebenspartner beziehungsweise das Bestehen einer eingetragenen Lebenspartnerschaft sinngemäß anzuwenden sein sollten. Diese Vorschrift war allerdings im Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens zusammen mit anderen der Zustimmung des Bundesrates bedürftigen Vorschriften aus dem Entwurf des Lebenspartnerschaftsgesetzes herausgelöst und in Art. 2 § 6 Nr. 1 des Entwurfs für ein Lebenspartnerschaftsergänzungsgesetz (LPartErgG) aufgenommen worden (BRDrucks 739/00, S. 10 f.), welches nicht die Zustimmung des Bundesrates fand (BRPlenprot 757/00, S. 544 ff.).

17

Weitere Angleichungen an die eherechtlichen Regelungen erfolgten durch das am 1. Januar 2005 in Kraft getretene Gesetz zur Überarbeitung des Lebenspartnerschaftsrechts vom 15. Dezember 2004 (BGBl I S. 3396). Eine Gleichstellung erfolgte in Bereichen wie der Stiefkindadoption, dem Versorgungsausgleich und der Hinterbliebenenrente sowie auch in einzelnen Teilen des Rechts der Bundesbeamten in den Bereichen Reisekosten, Umzugskosten, Trennungsgeld und Sonderurlaub. Regelungen zum Familienzuschlag finden sich dort nur in einer Hinsicht. In die Patentanwaltsausbildungs- und prüfungsverordnung wurde eine Vorschrift eingefügt, wonach Lebenspartner Anspruch auf Familienzuschlag entsprechend den §§ 39 bis 41 BBesG haben (vgl. BGBl I S. 3396 <3405>).

18

Einen Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur rückwirkenden Gleichstellung der eingetragenen Lebenspartnerschaft mit der Ehe ab Inkrafttreten des Lebenspartnerschaftsgesetzes am 1. August 2001 (BTDrucks 17/906) lehnte der Bundestag gegen die Stimmen der Opposition ab (BTPlenprot 17/117, S. 13533).

19

Mit Art. 4 des Gesetzes zur Übertragung ehebezogener Regelungen im öffentlichen Dienstrecht auf Lebenspartnerschaften vom 14. November 2011 (BGBl I S. 2219) wurde schließlich das Bundesbesoldungsgesetz novelliert und mit dem neu eingefügten § 17b BBesG die entsprechende Geltung aller ehebezogenen Regelungen des Bundesbesoldungsgesetzes für in einer Lebenspartnerschaft lebende Beamte angeordnet. Laut Art. 10 Abs. 1 des Gesetzes ist dieses mit Wirkung vom 1. Januar 2009 in Kraft getreten.

20

4. Durch die im Zuge der sogenannten Föderalismusreform I (Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 28. August 2006, BGBl I S. 2034) vorgenommene Neuordnung der grundgesetzlichen Gesetzgebungskompetenzen ist die Zuständigkeit für die Regelung der Besoldung der Landesbeamten mit Wirkung zum 1. September 2006 auf die Länder übergegangen. Gemäß Art. 125a Abs. 1 GG gilt das Bundesbesoldungsgesetz in den Ländern fort, soweit diese nicht anderweitige landesrechtliche Regelungen getroffen haben oder noch treffen.

21

Unabhängig von der Frage der Fortgeltung von § 40 Abs. 1 BBesG ist in den meisten Ländern mittlerweile eine Gleichstellung von in eingetragener Lebenspartnerschaft lebenden und verheirateten Beamten im Hinblick auf den Anspruch auf Familienzuschlag erfolgt, wobei der Zeitpunkt der Gleichstellung unterschiedlich gewählt wurde (Bayern: Art. 36 des Bayerischen Besoldungsgesetzes, GVBl 2010 S. 410<422>, in Kraft seit 1. Januar 2011; Berlin: § 1a des Landesbesoldungsgesetzes, GVBl 2008, S. 174 f., in Kraft seit 13. Juli 2008; Brandenburg: § 1a des Brandenburgischen Besoldungsgesetzes, GVBl 2008 S. 363, in Kraft seit 1. Januar 2008; Bremen: § 11 des Bremischen Besoldungsgesetzes, GBl 2007 S. 480, in Kraft seit 1. Dezember 2007; Hamburg: § 45 Abs. 1 Nr. 2 des Hamburgischen Besoldungsgesetzes sowie Art. 23 § 3 des Gesetzes zur Neuregelung des Hamburgischen Besoldungs- und Beamtenversorgungsrechts, GVBl 2010, S. 23 ff. <34, 108>, in Kraft seit 1. Februar 2010 mit rückwirkender Gleichstellung von in eingetragener Lebenspartnerschaft lebenden Beamten ab 1. August 2001; Hessen: § 1a des Hessischen Besoldungsgesetzes, GVBl 2010 S. 114<117>, in Kraft seit 7. April 2010; Mecklenburg-Vorpommern: § 1a des Besoldungsgesetzes für das Land Mecklenburg-Vorpommern, GVBl 2008 S. 239<242>, in Kraft seit 31. Juli 2008; Niedersachsen: § 1a des Niedersächsischen Besoldungsgesetzes, GVBl 2010 S. 462, in Kraft seit 15. Oktober 2010; Nordrhein-Westfalen: § 2 des Gesetzes zur Gleichstellung der eingetragenen Lebenspartnerschaft mit der Ehe im Besoldungs- und Versorgungsrecht, GV 2011 S. 271, in Kraft seit 4. Juni 2011 mit rückwirkender Gleichstellung von in eingetragener Lebenspartnerschaft lebenden Beamten ab 3. Dezember 2003; Rheinland-Pfalz: § 1 Abs. 2a des Landesbesoldungsgesetzes, GVBl 2009 S. 333<336>, in Kraft seit 1. Oktober 2009; Saarland: § 4a des Saarländischen Besoldungsgesetzes, ABl I 2011 S. 192, rückwirkend in Kraft seit 1. Juli 2009; Sachsen-Anhalt: § 38 Abs. 6 des Besoldungsgesetzes des Landes Sachsen-Anhalt, GVBl 2011 S. 68<78>, in Kraft seit 1. April 2011; Schleswig-Holstein: Art. 2 des Gesetzes zur Änderung dienstrechtlicher Vorschriften, GVBl 2010 S. 452 f., in Kraft seit 25. Juni 2010; Thüringen: § 1 Abs. 5 des Thüringer Besoldungsgesetzes, GVBl 2011 S. 233, rückwirkend in Kraft seit 1. Juli 2009).

22

Keine gesetzliche Gleichstellung von in eingetragener Lebenspartnerschaft lebenden Beamten beim Familienzuschlag ist bislang in Baden-Württemberg und in Sachsen erfolgt.

II.

23

Der Beschwerdeführer ist als Bundesbeamter beim Deutschen Wetterdienst - einer teilrechtsfähigen Anstalt des öffentlichen Rechts im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung - tätig.

24

1. Im Mai 2003 beantragte er im Hinblick auf die von ihm im Jahr 2002 eingegangene eingetragene Lebenspartnerschaft und unter Berufung auf die Richtlinie 2000/78/EG des Rates zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf vom 27. November 2000 (ABl Nr. L 303/16) beim Deutschen Wetterdienst erfolglos die Zahlung von Familienzuschlag der Stufe 1.

25

2. Die daraufhin vom Beschwerdeführer zum Verwaltungsgericht Darmstadt erhobene Klage mit dem Antrag, den Deutschen Wetterdienst zu verurteilen, ab 2. Dezember 2003 - dem Ablauf der Umsetzungsfrist der Richtlinie 2000/78/EG - einen Familienzuschlag der Stufe 1 zu bezahlen, wies das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 9. Oktober 2008 ab. Der Beschwerdeführer habe aufgrund der eingegangenen Lebenspartnerschaft keinen Anspruch auf einen Familienzuschlag der Stufe 1 nach § 40 Abs. 1 Nr. 1 BBesG, denn diese Vorschrift sei weder unmittelbar noch mittelbar anwendbar. Die eingetragene Lebenspartnerschaft sei keine Ehe. Unter Verweis auf die Gründe der Kammerentscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 6. Mai 2008 (BVerfGK 13, 501) lehnte das Verwaltungsgericht auch eine analoge Anwendung des § 40 Abs. 1 Nr. 1 BBesG ab. In dieser Auslegung des § 40 Abs. 1 Nr. 1 BBesG liege weder eine unmittelbare noch eine mittelbare Diskriminierung im Sinne der Richtlinie 2000/78/EG. Jedenfalls sei eine etwaige Diskriminierung gerechtfertigt.

26

3. Der Hessische Verwaltungsgerichtshof lehnte den Antrag auf Zulassung der Berufung mit Beschluss vom 28. Mai 2009 ab. Ernstliche Zweifel im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung bestünden nicht. Der Gesetzgeber habe mit der Einführung und Überarbeitung des Lebenspartnerschaftsgesetzes eine vollständige Übereinstimmung der Institute Ehe und eingetragene Lebenspartnerschaft bewusst vermieden. Deshalb liege § 40 Abs. 1 Nr. 1 BBesG mit Blick auf eingetragene Lebenspartner auch keine planwidrige Gesetzeslücke zugrunde. Die entscheidende Frage, ob Lebenspartner und Ehegatten im Rahmen der Familienzuschlagsregelungen des § 40 BBesG in vergleichbaren Situationen lebten, sei durch die aktuelle Rechtsprechung auch des Bundesverfassungsgerichts umfassend geklärt und bedürfe keiner erneuten obergerichtlichen Entscheidung. Ausgehend von diesen Überlegungen lägen auch keine Gründe zur Zulassung der Berufung nach § 124 Abs. 2 Nr. 2 und 3 VwGO vor.

III.

27

Die Verfassungsbeschwerde richtet sich unmittelbar gegen die Bescheide des Deutschen Wetterdienstes, das Urteil des Verwaltungsgerichts Darmstadt und den Beschluss des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs sowie mittelbar gegen § 40 Abs. 1 Nr. 1 BBesG und gegen § 17b BBesG in der Fassung des Gesetzes zur Übertragung ehebezogener Regelungen im öffentlichen Dienstrecht auf Lebenspartnerschaften vom 14. November 2011 (BGBl I S. 2219). Der Beschwerdeführer rügt die Verletzung der Art. 3 Abs. 1 GG und Art. 33 Abs. 5 GG.

28

Das Bundesverfassungsgericht habe bislang nicht die Frage beantwortet, ob Art. 6 Abs. 1 GG ohne Hinzutreten weiterer Sachgründe eine Benachteiligung der eingetragenen Lebenspartnerschaft gegenüber der Ehe rechtfertige. Angesichts der Zwecksetzung des Familienzuschlags, für den Mehraufwand aufgrund des gemeinsamen Hausstandes mit dem Ehegatten einen Ausgleich zu schaffen, und der identischen Unterhaltspflichten von eingetragenen Lebenspartnern und Ehegatten sei eine Schlechterstellung von in eingetragener Lebenspartnerschaft lebenden Beamten beim Familienzuschlag mit Art. 3 Abs. 1 GG nicht zu vereinbaren. Ehegatten ohne Kinder und eingetragene Lebenspartner ohne Kinder befänden sich mit Blick auf den Familienzuschlag in einer vergleichbaren Situation. Der Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG bestehe ferner darin, dass in eingetragener Lebenspartnerschaft lebende Beamte gegenüber in eingetragener Lebenspartnerschaft lebenden Angestellten des öffentlichen Dienstes ungerechtfertigt benachteiligt würden.

29

Die Berücksichtigung eingetragener Lebenspartnerschaften beim Familienzuschlag sei auch aufgrund der Alimentationspflicht des Dienstherrn nach Art. 33 Abs. 5 GG geboten. Wenn aus Art. 6 Abs. 1 GG kein Abstandsgebot der Ehe gegenüber der eingetragenen Lebenspartnerschaft zu entnehmen sei, könne auch Art. 33 Abs. 5 GG einer Erstreckung des Familienzuschlags auf eingetragene Lebenspartner nicht entgegenstehen. Unter Berücksichtigung der identischen Unterhaltspflichten umfasse das Alimentationsprinzip auch den eingetragenen Lebenspartner.

30

Der Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 11. Juni 2010 (- 1 BvR 170/06 -, DVBl 2010, S. 1098 ff.) stehe einer Pflicht des Gesetzgebers zur rückwirkenden Neuregelung des Familienzuschlags nicht entgegen. Anders als im dortigen Verfahren gehe es im vorliegenden Fall um Beamtenrecht. Angesichts des besonderen Treueverhältnisses zwischen Dienstherrn und Beamten müsse der Dienstherr dafür Sorge tragen, dass zeitnah geltend gemachte, noch nicht rechtskräftig beschiedene Besoldungsansprüche auch für die Vergangenheit erfüllt würden.

31

Mit Schriftsatz vom 13. April 2012 erklärte der Beschwerdeführer die Verfassungsbeschwerde für die Zeit ab dem 1. Januar 2009 für erledigt, da der Deutsche Wetterdienst ihm zwischenzeitlich aufgrund der mittlerweile geänderten Rechtslage den Familienzuschlag der Stufe 1 ab dem 1. Januar 2009 bewilligt habe. Im Übrigen werde die Verfassungsbeschwerde fortgeführt. Außerdem wolle er die Verfassungsbeschwerde nun auch gegen das Gesetz zur Übertragung ehebezogener Regelungen im öffentlichen Dienstrecht auf Lebenspartnerschaften vom 14. November 2011 (BGBl I S. 2219) erstrecken. Dadurch, dass dieses Gesetz erst am 1. Januar 2009 in Kraft getreten sei, verletze es bereits vor diesem Zeitpunkt in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft lebende Beamte in ihren Grundrechten aus Art. 3 Abs. 1 und Art. 33 Abs. 5 GG.

32

Darüber hinaus lehnt der Beschwerdeführer die Richter Di Fabio und Landau wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Die Befangenheit der Richter folge aus deren Mitwirkung an den ablehnenden Beschlüssen der für das öffentliche Dienstrecht zuständigen Kammer des Zweiten Senats vom 20. September 2007 (BVerfGK 12, 169), vom 8. November 2007 (- 2 BvR 2466/06 -, FamRZ 2008, S. 487 ff.) sowie vom 6. Mai 2008 (BVerfGK 13, 501). Die Kammer habe die Senatszuständigkeit grob missachtet, weil der Frage, ob Art. 6 Abs. 1 GG auch ohne Hinzutreten weiterer Sachgründe geeignet sei, eine Schlechterstellung von Lebenspartnerschaften gegenüber der Ehe zu rechtfertigen, grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung im Sinne von § 93a Abs. 2 BVerfGG zukomme. Außerdem habe die Kammer kompetenzwidrig den Fachgerichten die Interpretation des zwischenzeitlich ergangenen Urteils des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften in der Rechtssache Maruko (Urteil vom 1. April 2008 - C-267/06 -, Slg. 2008, S. I-1757) vorgeben wollen.

IV.

33

Zu der Verfassungsbeschwerde haben die Bundesregierung, der Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD) sowie die Bundesarbeitsgemeinschaft Schwule und Lesbische Paare e.V. (SLP) Stellung genommen.

34

1. Das Bundesministerium des Innern teilt namens der Bundesregierung mit, es habe in Umsetzung zweier Urteile des Bundesverwaltungsgerichts vom 28. Oktober 2010 (- 2 C 10/09 -, NJW 2011, S. 1466 ff. sowie - 2 C 21/09 -, DVBl 2011, S. 354 ff.) die Besoldungs- und Versorgungsstellen des Bundes angewiesen, allen Besoldungs- und Versorgungsempfängern in Lebenspartnerschaften den Familienzuschlag der Stufe 1 nach § 40 Abs. 1 Nr. 1 BBesG fortlaufend sowie rückwirkend seit dem 1. Juli 2009 zu gewähren. Zudem sei ein (mittlerweile umgesetzter) Gesetzentwurf in den Bundestag eingebracht worden, mit dem eine Übertragung der ehebezogenen Vorschriften des Besoldungsrechts auf Besoldungsempfänger in Lebenspartnerschaften rückwirkend zum 1. Januar 2009 erfolgen solle. Der Beschwerdeführer sei insoweit klaglos gestellt.

35

Eine weitergehende Rückwirkung sei aus Sicht der Bundesregierung nicht geboten. Die Konstellation sei vergleichbar mit der dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 11. Juni 2010 (- 1 BvR 170/06 -, a.a.O.) zugrunde liegenden. Gemäß diesem Beschluss bestehe eine Pflicht des Gesetzgebers zur rückwirkenden Beseitigung eines mit dem Grundgesetz nicht zu vereinbarenden Rechtszustands nicht, wenn die Verfassungsrechtslage bislang nicht hinreichend geklärt sei.

36

Auch die Erwägungen im Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 21. Juli 2010 (BVerfGE 126, 400) sprächen gegen eine rückwirkende Verpflichtung zur Einbeziehung von in eingetragener Lebenspartnerschaft lebenden Beamten in den Familienzuschlag der Stufe 1 über das Jahr 2009 hinaus. Für die Erbschaft- und Schenkungsteuer habe das Bundesverfassungsgericht die Verpflichtung zur rückwirkenden Gleichstellung unter anderem daraus abgeleitet, dass Erbschaften einmalige Ereignisse seien, deren gleichheitswidrige Besteuerung erhebliche Vermögensfolgen zeitige, die sich in die Zukunft erstrecken würden. Der besoldungsrechtliche Familienzuschlag der Stufe 1 sei hiermit nicht vergleichbar. Dieser diene, wie die gesamte Besoldung, der Befriedigung eines gegenwärtigen Bedarfs.

37

Wie aus den Urteilen des Bundesverwaltungsgerichts vom 28. Oktober 2010 (a.a.O.) ersichtlich, sei auch europarechtlich keine weitergehende Rückwirkung geboten. Eine Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union sei nicht erforderlich.

38

2. Der Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD)sowie die Bundesarbeitsgemeinschaft Schwule und Lesbische Paare e.V. (SLP) halten die Verfassungsbeschwerde für begründet. Sie verweisen im Wesentlichen auf die Gründe der Entscheidungen des Ersten Senats zur betrieblichen Hinterbliebenenversorgung vom 7. Juli 2009 (BVerfGE 124, 199) sowie zur Erbschaftsteuer vom 21. Juli 2010 (BVerfGE 126, 400), die auf den vorliegenden Fall übertragbar seien. Der Zweck des Familienzuschlages der Stufe 1 bestehe darin, einen Beitrag für den Mehraufwand des gemeinsamen Hausstandes mit dem Ehegatten zu leisten. Angesichts der identischen Unterhaltspflichten sei die Schlechterstellung von in eingetragener Lebenspartnerschaft lebenden gegenüber verheirateten Beamten nicht zu rechtfertigen.

39

Entgegen den Urteilen des Bundesverwaltungsgerichts vom 28. Oktober 2010 (a.a.O.) sei danach eine rückwirkende Gleichstellung von Ehe und eingetragener Lebenspartnerschaft beim Familienzuschlag nicht erst ab dem 1. Juli 2009, sondern zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Lebenspartnerschaftsgesetzes am 1. August 2001 geboten.

40

Auch seien die Urteile des Bundesverwaltungsgerichts durch das Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Union vom 10. Mai 2011 in der Rechtssache Römer (- C-147/08 -, NJW 2011, S. 2187 ff.) mittlerweile überholt. Danach stehe in eingetragener Lebenspartnerschaft lebenden Beamten aufgrund der Richtlinie 2000/78/EG ab dem 3. Dezember 2003 derselbe Familienzuschlag wie verheirateten Beamten zu.

B.

41

Das gegen den Richter Di Fabio gerichtete Ablehnungsgesuch bedarf keiner Entscheidung, weil dieser nicht mehr Mitglied des zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde berufenen Senats ist (siehe auch BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweitens Senats vom 31. August 2011 - 2 BvR 1979/08 -, juris).

42

Das Ablehnungsgesuch gegen den Richter Landau ist bereits unzulässig.

43

Ein Ablehnungsgesuch, das keine Begründung oder lediglich Ausführungen enthält, die zur Begründung der Besorgnis der Befangenheit gänzlich ungeeignet sind, ist unzulässig. Bei offensichtlicher Unzulässigkeit bedarf es keiner dienstlichen Stellungnahme des abgelehnten Richters; dieser ist auch bei der Entscheidung über das offensichtlich unzulässige Ablehnungsgesuch nicht ausgeschlossen (vgl. BVerfGK 8, 59 <60>).

44

So liegt der Fall hier. Der Beschwerdeführer hat sein Ablehnungsgesuch gegen den Richter Landau ausschließlich mit dessen Mitwirkung an drei Entscheidungen der für das öffentliche Dienstrecht zuständigen Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts begründet, in denen die Kammer jeweils eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (und damit eine Senatszuständigkeit) verneint und die Ungleichbehandlung von Ehe und eingetragener Lebenspartnerschaft beim Familienzuschlag der Stufe 1 für verfassungsgemäß erachtet hatte.

45

Die Begründung des Befangenheitsgesuchs ist offensichtlich ungeeignet, einen Ausschluss des abgelehnten Richters zu rechtfertigen (vgl. auch BVerfGK 8, 59 <60>). Eine Besorgnis der Befangenheit im Sinne des § 19 BVerfGG kann allein aus einer richterlichen Vorbefassung mit einer im anhängigen Verfahren entscheidungserheblichen Rechtsfrage nicht begründet werden (vgl. BVerfGK 8, 59 <60>; BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 31. August 2011, a.a.O.). Insoweit bestimmt § 18 Abs. 1 Nr. 2 BVerfGG abschließend, dass die richterliche Vorbefassung mit einer Sache nur dann zum Ausschluss führt, wenn sie in einem früheren Rechtszug erfolgt ist und eine Mitwirkung an der angefochtenen Entscheidung zum Inhalt hatte (vgl. BVerfGK 3, 36 <38 f.>). Nicht ausgeschlossen ist ein Richter, der sich bereits früher - in anderen Verfahren - zu einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage in bestimmter Weise geäußert hat. Selbst wenn er eine bestimmte Rechtsauffassung ständig vertritt, ist er in einem Verfahren nicht ausgeschlossen, das gerade auf die Änderung dieser Rechtsauffassung abzielt (vgl. BVerfGE 78, 331 <336 f.>). Aus diesem Grund kann weder die Verneinung der grundsätzlichen Bedeutung der Frage der Verfassungsmäßigkeit der Ungleichbehandlung von in eingetragener Lebenspartnerschaft lebenden und verheirateten Beamten beim Familienzuschlag noch die Bejahung dieser Frage in einer Kammerentscheidung die Besorgnis der Befangenheit eines der mitwirkenden Richter begründen.

C.

I.

46

Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig, soweit der Beschwerdeführer eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG rügt und eine Gleichbehandlung mit verheirateten Beamten verlangt.

II.

47

Soweit der Beschwerdeführer eine Verletzung der Alimentationspflicht des Dienstherrn aus Art. 33 Abs. 5 GG beanstandet, ist die Verfassungsbeschwerde unzulässig.

48

1. Nach § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG hat ein Beschwerdeführer nicht nur die Grundrechtsverletzung durch Bezeichnung des angeblich verletzten Rechts und den die Verletzung enthaltenden Vorgang substantiiert und schlüssig darzulegen; er ist auch gehalten, die Möglichkeit einer Grundrechtsverletzung deutlich zu machen (vgl. BVerfGE 108, 370 <386 f.>).

49

2. Dieser Anforderung wird die Verfassungsbeschwerde nicht gerecht, soweit der Beschwerdeführer eine Verletzung der Alimentationspflicht des Dienstherrn aus Art. 33 Abs. 5 GG beanstandet. Zwar verpflichtet das in Art. 33 Abs. 5 GG verankerte Alimentationsprinzip den Dienstherrn, den Beamten und seine Familie amtsangemessen zu alimentieren. Es gibt jedoch keinen Grundsatz im Sinne des Art. 33 Abs. 5 GG, wonach die Besoldung des Beamten sich aus einzelnen Besoldungsbestandteilen (wie Grundgehalt, Familienzuschlag etc.) zusammensetzen müsste, solange sich die Bezüge in ihrer Gesamthöhe noch als amtsangemessen darstellen (vgl. BVerfGE 44, 249 <263>; 49, 260 <272>; 117, 330 <350>).

50

Dass die Gesamtalimentation des Beschwerdeführers in den Jahren 2003 bis 2009 nicht mehr amtsangemessen war, weil ihm nicht der begehrte Familienzuschlag der Stufe 1 gewährt wurde, hat dieser in keiner Weise dargelegt. Hierfür ist auch schon insofern nichts ersichtlich, als ein faktisch beim Beschwerdeführer vorhandener Mehrbedarf durch die Aufnahme seines Lebenspartners in den gemeinsamen Haushalt auch über § 40 Abs. 1 Nr. 4 BBesG in der bis zum Jahr 2012 geltenden Fassung hätte ausgeglichen werden können (vgl. BVerfGK 12, 169 <177>), der Beamten, Richtern und Soldaten einen Anspruch auf Familienzuschlag gewährte, wenn diese eine andere Person nicht nur vorübergehend in ihre Wohnung aufgenommen hatten und ihr Unterhalt gewährten, weil sie gesetzlich oder sittlich dazu verpflichtet waren (geändert mit Gesetz zur Unterstützung der Fachkräftegewinnung im Bund und zur Änderung weiterer dienstrechtlicher Vorschriften vom 15. März 2012, BGBl I S. 462 <463 f.>).

51

Danach bedarf die vom Beschwerdeführer aufgeworfene Frage keiner Entscheidung, ob auch der Lebenspartner des Beamten zu den Personen gehört, für die der Dienstherr im Rahmen seiner Alimentationspflicht mitzusorgen hat (verneint wird dies etwa von BVerfGK 12, 169 <177 f.>; BVerwGE 125, 79 <82 f.>).

D.

52

Soweit die Verfassungsbeschwerde zulässig ist, ist sie auch begründet. Die mittelbar angegriffene Regelung des § 40 Abs. 1 Nr. 1 BBesG sowie die hierauf beruhenden, unmittelbar angegriffenen gerichtlichen und behördlichen Entscheidungen verstoßen gegen Art. 3 Abs. 1 GG.

I.

53

1. Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln sowie wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln (vgl. BVerfGE 79, 1 <17>; 126, 400 <416>; stRspr). Verboten ist daher auch ein gleichheitswidriger Begünstigungsausschluss, bei dem eine Begünstigung einem Personenkreis gewährt, einem anderen Personenkreis aber vorenthalten wird (vgl. BVerfGE 110, 412 <431>; 112, 164 <174>; 116, 164 <180>; 124, 199 <218>; 126, 400 <416>; stRspr).

54

Aus Art. 3 Abs. 1 GG ergeben sich je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen, die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengeren Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse reichen (vgl. BVerfGE 88, 87 <96>; 117, 1 <30>; 124, 199 <219>; 126, 400 <416>; stRspr). Genauere Maßstäbe und Kriterien dafür, unter welchen Voraussetzungen im Einzelfall das Willkürverbot oder das Gebot verhältnismäßiger Gleichbehandlung durch den Gesetzgeber verletzt ist, lassen sich nicht abstrakt und allgemein, sondern nur bezogen auf die jeweils betroffenen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereiche bestimmen (vgl. BVerfGE 75, 108 <157>; 101, 275 <291>; 103, 310 <318>; 105, 73 <111>; 110, 412 <432>; 121, 108 <119>; 126, 400 <416>).

55

a) Im Fall der Ungleichbehandlung von Personengruppen besteht regelmäßig eine strenge Bindung des Gesetzgebers an die Erfordernisse des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes; dies gilt auch dann, wenn eine Ungleichbehandlung von Sachverhalten (nur) mittelbar eine Ungleichbehandlung von Personengruppen bewirkt (vgl. BVerfGE 101, 54 <101>; 103, 310 <319>; 110, 274 <291>).

56

Eine Norm verletzt danach dann den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG, wenn durch sie eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten verschieden behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen können (vgl. BVerfGE 55, 72 <88>; 84, 197 <199>; 100, 195 <205>; 107, 205 <213>; 109, 96 <123>; 110, 274 <291>; 124, 199 <219 f.>; 126, 400 <418>; stRspr).

57

b) Die Anforderungen an die Rechtfertigung einer ungleichen Behandlung von Personengruppen sind umso strenger, je mehr sich die zur Unterscheidung führenden personenbezogenen Merkmale den in Art. 3 Abs. 3 GG genannten Merkmalen annähern, das heißt je größer die Gefahr ist, dass eine an sie anknüpfende Ungleichbehandlung zur Diskriminierung einer Minderheit führt (vgl. BVerfGE 88, 87 <96>; 97, 169 <181>; 124, 199 <220>). Dies ist etwa bei Differenzierungen nach der sexuellen Orientierung der Fall (vgl. BVerfGE 124, 199 <220>; 126, 400 <419>; BVerfGK 12, 169 <176 f.>; Osterloh, in: Sachs, GG, 6. Aufl. 2011, Art. 3 Rn. 92 ff.; Jarass, in: ders./Pieroth, GG, 11. Aufl. 2011, Art. 3 Rn. 19a).

58

Dem lässt sich entgegen einer teilweise vertretenen Ansicht nicht entgegen halten, die Annahme gesteigerter Rechtfertigungsanforderungen an Diskriminierungen wegen der sexuellen Orientierung ignoriere die Entscheidung des verfassungsändernden Gesetzgebers, die sexuelle Orientierung gerade nicht als zusätzliches Differenzierungsverbotsmerkmal in Art. 3 Abs. 3 GG aufzunehmen (so Krings, in: Festgabe für Friauf, 2011, S. 269<273>; Kischel, in: Epping/Hillgruber, Beck'scher Onlinekommentar GG, Art. 3 Rn. 42.1 f. <1. April 2012>; Uhle, in: Epping/Hillgruber, Beck'scher Onlinekommentar GG, Art. 6 Rn. 36.2 <1. April 2012>; Hofmann, in: Schmidt-Bleibtreu/Klein, GG, 12. Aufl. 2011, Art. 6 Rn. 22a; Hillgruber, JZ 2010, S. 41 <43>).

59

Ein entgegenstehender Wille des verfassungsändernden Gesetzgebers lässt sich nicht feststellen. Zwar ist es richtig, dass noch im Jahr 1993 die nach der Wiedervereinigung eingesetzte Gemeinsame Verfassungskommission eine Erweiterung des Art. 3 Abs. 3 GG hinsichtlich des (die Unterkategorie der sexuellen Orientierung mitumfassenden) Merkmals der sexuellen Identität unter anderem mit der Begründung verwarf, eine weitere Ausdifferenzierung des Art. 3 Abs. 3 GG müsse vermieden werden, da durch die Atomisierung nach Gruppen die Verfassung Schaden nehmen könne (siehe BTDrucks 12/6000, S. 54). Zuletzt wurde die Einfügung des Merkmals der sexuellen Identität (vgl. die Gesetzesentwürfe der Oppositionsfraktionen BTDrucks 17/88, 17/254 und 17/472) jedoch von der Bundestagsmehrheit mit dem Argument abgelehnt, eine Erweiterung sei nicht erforderlich, weil der Schutz vor Diskriminierungen wegen der sexuellen Identität durch Art. 3 Abs. 1 GG sich nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts mittlerweile mit dem Schutz nach Art. 3 Abs. 3 GG decke und eine Erweiterung des Art. 3 Abs. 3 GG daher (überflüssige) "Symbolpolitik" darstelle (siehe BTDrucks 17/4775, S. 5).

60

c) Der danach geltende Rechtfertigungsmaßstab erfährt keine Modifikation durch den Umstand, dass die vorliegend gerügte Ungleichbehandlung im Bereich des Beamtenbesoldungsrechts besteht.

61

Der Gesetzgeber besitzt im Bereich der Beamtenbesoldung grundsätzlich einen weiten Spielraum politischen Ermessens, innerhalb dessen er das Besoldungsrecht den tatsächlichen Notwendigkeiten und der fortschreitenden Entwicklung anpassen und verschiedenartige Gesichtspunkte berücksichtigen kann (vgl. BVerfGE 13, 356 <366 f.>; 26, 141 <158>; 117, 330 <352 f.>; BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 17. Januar 2012 - 2 BvL 4/09 -, juris, Rn. 61; BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 14. Februar 2012 - 2 BvL 4/10 -, NVwZ 2012, S. 357 <359>; stRspr). Dies betrifft sowohl die Struktur als auch die Höhe der angemessenen Besoldung (vgl. z.B. BVerfGE 81, 363 <376>). Das Bundesverfassungsgericht hat grundsätzlich nicht zu prüfen, ob der Gesetzgeber die gerechteste, zweckmäßigste und vernünftigste Lösung gewählt hat. Es beanstandet nur die Überschreitung äußerster Grenzen, jenseits derer sich gesetzliche Vorschriften bei der Abgrenzung von Lebenssachverhalten als evident sachwidrig erweisen, solange dem Handeln des Besoldungsgesetzgebers nicht von der Verfassung selbst getroffene Wertungen entgegenstehen (vgl. BVerfGE 65, 141 <148 f.>; 103, 310 <319 f.>, 117, 330 <353>). Ob Letzteres der Fall ist, steht hier gerade in Frage.

62

2. Die Ungleichbehandlung von verheirateten und in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft lebenden Beamten durch die Regelung des § 40 Abs. 1 Nr. 1 BBesG stellt eine am allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG zu messende mittelbare Ungleichbehandlung wegen der sexuellen Orientierung dar.

63

Zwar richtet sich die Gewährung beziehungsweise Nichtgewährung des Familienzuschlags nach § 40 Abs. 1 Nr. 1 BBesG nicht ausdrücklich nach der sexuellen Orientierung, sondern nach dem Familienstand des jeweiligen Beamten. Mittelbar wird damit jedoch an die sexuelle Orientierung angeknüpft. Denn auch wenn der das Differenzierungskriterium für die Gewährung des Familienzuschlags bildende Familienstand den betroffenen Beamten unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung zugänglich ist, ist doch die Entscheidung des Einzelnen für eine Ehe oder eine eingetragene Lebenspartnerschaft kaum trennbar mit seiner sexuellen Orientierung verbunden (vgl. BVerfGE 124, 199 <221>; 126, 400 <419>). Gesetzliche Bestimmungen, die die Rechte eingetragener Lebenspartner regeln, erfassen typischerweise homosexuelle Menschen, während solche, die die Rechte von Ehegatten regeln, typischerweise heterosexuelle Menschen erfassen (vgl. BVerfGE 124, 199 <221 f.>; 126, 400 <419>; BVerfGK 12, 169 <176>).

II.

64

Die Ungleichbehandlung von verheirateten und in eingetragenen Lebenspartnerschaften lebenden Beamten beim Anspruch auf Gewährung des Familienzuschlags der Stufe 1 ist nicht gerechtfertigt. Auch der in Art. 6 Abs. 1 GG verankerte besondere Schutz der Ehe vermag die Ungleichbehandlung nicht zu rechtfertigen.

65

1. Das Grundgesetz stellt in Art. 6 Abs. 1 Ehe und Familie unter den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung. Damit garantiert die Verfassung nicht nur das Institut der Ehe, sondern gebietet als verbindliche Wertentscheidung für den gesamten Bereich des Ehe und Familie betreffenden privaten und öffentlichen Rechts einen besonderen Schutz durch die staatliche Ordnung (vgl. BVerfGE 6, 55 <72>; 55, 114 <126>; 105, 313 <346>). Die Ehe als allein der Verbindung zwischen Mann und Frau vorbehaltenes Institut (vgl. BVerfGE 105, 313 <345>) erfährt durch Art. 6 Abs. 1 GG einen eigenständigen verfassungsrechtlichen Schutz. Um diesem Schutzauftrag Genüge zu tun, ist es insbesondere Aufgabe des Staates, alles zu unterlassen, was die Ehe beschädigt oder sonst beeinträchtigt, und sie durch geeignete Maßnahmen zu fördern (vgl. BVerfGE 6, 55 <76>; 28, 104 <113>; 53, 224 <248>; 76, 1 <41>; 80, 81 <92 f.>; 99, 216 <231 f.>).

66

Wegen des verfassungsrechtlichen Schutz- und Förderauftrages ist der Gesetzgeber grundsätzlich berechtigt, die Ehe als rechtlich verbindliche und in besonderer Weise mit gegenseitigen Einstandspflichten (etwa bei Krankheit oder Mittellosigkeit) ausgestattete dauerhafte Paarbeziehung gegenüber anderen Lebensformen zu begünstigen (vgl. BVerfGE 6, 55 <76 f.>; 105, 313 <348>; 117, 316 <328 f.>; 124, 199 <225>; stRspr). Die Wertentscheidung des Art. 6 Abs. 1 GG bildet einen sachlichen Differenzierungsgrund, der in erster Linie zur Rechtfertigung einer Besserstellung der Ehe gegenüber anderen, durch ein geringeres Maß an wechselseitiger Pflichtbindung geprägten Lebensgemeinschaften geeignet ist (vgl. hierzu etwa BVerfGE 10, 59 <66>; 112, 50 <65>; 115, 1 <19>; 117, 316 <327>; 124, 199 <225>). So hat das Bundesverfassungsgericht beispielsweise eine Bevorzugung der Ehe bei der sozialrechtlichen Finanzierung einer künstlichen Befruchtung insbesondere im Hinblick auf die rechtlich gesicherte Verantwortungsbeziehung und Stabilitätsgewähr der Ehe als gerechtfertigt angesehen (vgl. BVerfGE 117, 316 <327 ff.>). Daneben gestattet Art. 6 Abs. 1 GG dem Gesetzgeber aber auch, die besonderen, auch gesamtgesellschaftlich dienlichen Lasten, die jeder Ehegatte mit dem Eingehen der Ehe übernimmt, durch die Gewährung einfachgesetzlicher Privilegierungen etwa bei Unterhalt, Versorgung, im Pflichtteils- oder im Steuerrecht zumindest teilweise auszugleichen und damit die Ehe besser zu stellen als weniger verbindliche Paarbeziehungen. Er darf darüber hinaus berücksichtigen, dass die Ehe nach wie vor in signifikantem Umfang Grundlage für ein "behütetes" Aufwachsen von Kindern ist.

67

Geht die Privilegierung der Ehe mit einer Benachteiligung anderer, in vergleichbarer Weise rechtlich verbindlich verfasster Lebensformen einher, obgleich diese nach dem geregelten Lebenssachverhalt und den mit der Normierung verfolgten Zwecken vergleichbar sind, rechtfertigt der bloße Verweis auf das Schutzgebot der Ehe eine solche Differenzierung indes nicht (vgl. BVerfGE 124, 199 <226>; 126, 400 <420>). In solchen Fällen bedarf es jenseits der bloßen Berufung auf Art. 6 Abs. 1 GG eines hinreichend gewichtigen Sachgrundes, der gemessen am jeweiligen Regelungsgegenstand und -ziel die Benachteiligung dieser anderen Lebensformen rechtfertigt (vgl. BVerfGE 124, 199 <226>). Der besondere Schutz, unter den Art. 6 Abs. 1 GG die Ehe als besondere Verantwortungsbeziehung stellt, rechtfertigt Besserstellungen der Ehe im Verhältnis zu ungebundenen Partnerbeziehungen (vgl. BVerfGE 117, 316 <327>), nicht aber ohne weiteres auch im Verhältnis zu einer rechtlich geordneten Lebensgemeinschaft, die sich von der Ehe durch die Gleichgeschlechtlichkeit der Partner unterscheidet, wegen dieses Unterschiedes mit der Ehe nicht konkurriert und dem Institut der Ehe daher auch nicht abträglich sein kann, sondern es gerade auch Personen, die wegen ihres gleichen Geschlechts eine Ehe nicht eingehen können, ermöglichen soll, eine im Wesentlichen gleichartige institutionell stabilisierte Verantwortungsbeziehung einzugehen.

68

2. Die Ungleichbehandlung von Ehe und eingetragener Lebenspartnerschaft beim Familienzuschlag ist danach nicht gerechtfertigt. Allein der besondere Schutz der Ehe in Art. 6 Abs. 1 GG vermag die Ungleichbehandlung von Ehe und eingetragener Lebenspartnerschaft nicht zu rechtfertigen.

69

In den Grundstrukturen der familienrechtlichen Institute der Ehe und der Lebenspartnerschaft bestehen bereits seit Einführung der Lebenspartnerschaft im Jahr 2001 nur wenige Unterschiede. Insbesondere sind der Grad der rechtlichen Bindung und die gegenseitigen Einstandspflichten bereits seit dem Lebenspartnerschaftsgesetz des Jahres 2001 in Ehe und Lebenspartnerschaft weitgehend angeglichen. So sind die Lebenspartner gemäß § 2 LPartG einander zu Fürsorge und Unterstützung sowie zur gemeinsamen Lebensgestaltung verpflichtet und tragen füreinander Verantwortung. Die Begründung und Aufhebung der eingetragenen Lebenspartnerschaft sowie die persönlichen und vermögensrechtlichen Rechtsbeziehungen und Unterhaltspflichten der Lebenspartner sind bereits seit 2001 in naher Anlehnung an die Ehe geregelt.

70

Mit dem zum 1. Januar 2005 in Kraft getretenen Gesetz zur Überarbeitung des Lebenspartnerschaftsrechts vom 15. Dezember 2004 wurde das Recht der eingetragenen Lebenspartnerschaft noch näher an das Eherecht angeglichen und auf die Normen zur Ehe in weitem Umfang (hinsichtlich Güterrecht, Unterhaltsrecht, Scheidungsrecht, Stiefkindadoption, Versorgungsausgleich, Hinterbliebenenversorgung) Bezug genommen (vgl. nur BVerfGE 124, 199 <206 ff.>).

71

Es fehlt auch an weiteren sachlichen Gründen für die Rechtfertigung der Besserstellung verheirateter Beamter. Sie lassen sich weder den Vorschriften über den Familienzuschlag und den zugehörigen Gesetzesmaterialien noch dem Vortrag der Verfahrensbeteiligten entnehmen.

72

Tragfähige sachliche Gründe für die Rechtfertigung der Ungleichbehandlung von verheirateten und in eingetragener Lebenspartnerschaft lebenden Beamten ergeben sich nicht aus dem Normzweck des § 40 Abs. 1 Nr. 1 BBesG. Dem ehegattenbezogenen Teil des Familienzuschlags kommt eine "soziale, nämlich familienbezogene Ausgleichsfunktion" zu (vgl. BVerfGE 71, 39 <62> zum ehebezogenen Teil des Ortszuschlags; BVerwG, Urteil vom 3. November 2005 - 2 C 16/04 -, NVwZ-RR 2006, S. 259; Schinkel/Seifert, in: Fürst, Gesamtkommentar Öffentliches Dienstrecht - GKÖD, Bd. 3, Lfg. 1/12, K § 40 Rn. 11), mit der im Interesse der Funktionsfähigkeit des Berufsbeamten- und Richtertums zur Unabhängigkeit auch des verheirateten Bediensteten beigetragen werden soll (so BVerfGE 71, 39 <62>). Soweit § 40 Abs. 1 Nr. 1 BBesG verheirateten Beamten einen Anspruch auf Familienzuschlag der Stufe 1 gewährt, soll er faktische Mehrbedarfe verheirateter Beamter vor allem im Vergleich zu ledigen Beamten ausgleichen (vgl. etwa Dawin, in: Kugele, BBesG, 2011, § 40 Rn. 4; Sander, in: Schwegmann/Summer, Besoldungsrecht, § 40 BBesG Rn. 3b ).

73

Dieser Gesetzeszweck kann eine Privilegierung verheirateter Beamter im Verhältnis zu in eingetragener Lebenspartnerschaft lebenden Beamten nicht rechtfertigen, weil nichts dafür ersichtlich ist, dass die mit § 40 Abs. 1 Nr. 1 BBesG auszugleichenden Mehrbedarfe nicht ebenso bei in eingetragener Lebenspartnerschaft lebenden Beamten bestehen.

74

So sind keine Unterschiede in den Wohnkosten zwischen verheirateten und in eingetragener Lebenspartnerschaft lebenden Beamten erkennbar. Auch ein in eingetragener Lebenspartnerschaft lebender Beamter benötigt - wie ein verheirateter Beamter - eine größere Wohnung als ein alleinstehender (oder geschiedener) Beamter. Ebenso sind die Unterhaltspflichten innerhalb von Ehen und eingetragenen Lebenspartnerschaften bereits seit Inkrafttreten des Lebenspartnerschaftsgesetzes weitgehend identisch geregelt (siehe BVerfGE 124, 199 <228>). Während Eheleute nach § 1360 Satz 1 BGB verpflichtet sind, durch ihre Arbeit und mit ihrem Vermögen die Familie angemessen zu unterhalten, trifft Lebenspartner dieselbe Unterhaltspflicht gemäß § 5 Satz 1 LPartG. § 5 Satz 2 LPartG erklärt die Vorschriften über Inhalt und Umfang des ehelichen Unterhalts in § 1360 Satz 2, §§ 1360a, 1360b BGB für entsprechend anwendbar. Wie in der Ehe können auch in Lebenspartnerschaften Ausgestaltungen der Gemeinschaftsbeziehung gelebt werden, die bei einem Partner einen erhöhten Unterhaltsbedarf bedingen (vgl. auch BVerfGE 124, 199 <230>).

75

Auch soweit die durch § 40 Abs. 1 Nr. 1 BBesG auszugleichenden Mehrbedarfe des verheirateten Beamten (bzw. der Beamtin) in seinem (oder ihrem) "typischerweise erhöhten Unterhaltsbedarf" bestehen, wenn sein (oder ihr) Ehegatte "namentlich wegen der Aufgabe der Kindererziehung und hierdurch bedingter Einschränkungen bei der eigenen Erwerbstätigkeit tatsächlich Unterhalt" vom Beamten (der Beamtin) erhält (so BVerfGK 13, 501 <506>; BVerwG, Urteil vom 28. Oktober 2010 - 2 C 10/09 -, juris, Rn. 15; Schmidt; in: Plog/Wiedow, BBG, § 40 BBesG Rn. 28 ; a.A. Classen, FPR 2010, S. 200 <202>), ergibt sich hieraus keine Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung von Ehe und Lebenspartnerschaft. Insoweit sind keine Unterschiede zwischen der Lebenssituation von Ehepartnern und Lebenspartnern zu erkennen (vgl. BVerfGE 124, 199 <229>). Zum einen gibt es nicht in jeder Ehe Kinder. Auch ist nicht jede Ehe auf Kinder ausgerichtet. Zum anderen werden zunehmend auch in Lebenspartnerschaften Kinder großgezogen; auch insoweit sind Ausgestaltungen der Gemeinschaftsbeziehung denkbar und nicht völlig unüblich (vgl. Rupp, Die Lebenssituation von Kindern in gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften, 2009, S. 295), in denen der eine der Lebenspartner schwerpunktmäßig die Betreuung der Kinder übernimmt. Darüber hinaus ist die Systematik der Vorschriften über den Familienzuschlag zu berücksichtigen. Danach wird dem finanziellen Mehraufwand, der einem Beamten durch das Großziehen von Kindern entsteht, nicht durch § 40 Abs. 1 BBesG, sondern durch die weiteren Stufen des Familienzuschlags Rechnung getragen. Der Zuschlag nach § 40 Abs. 1 BBesG wird gerade unabhängig davon gewährt, ob aus der Ehe künftig Kinder hervorgehen können oder sollen. Im Übrigen ist die Privilegierung der Ehe bei der Besoldung von Beamten wegen Rücksicht auf einen typischerweise hier in besonderem Maße aus Gründen der Kindererziehung auftretenden Unterhalts- und Versorgungsbedarf auch deshalb nicht gerechtfertigt, weil etwaige erziehungsbedingte Lücken in der Erwerbsbiographie oder ein sonstiger mit Erziehungsaufgaben zusammenhängender individueller Versorgungsbedarf unabhängig vom Familienstand gezielter berücksichtigt werden können, wie es beispielsweise im Recht der gesetzlichen Rentenversicherung (veranlasst durch BVerfGE 39, 169 <191 ff.>) bereits erfolgt ist (ebenso BVerfGE 124, 199 <230 f.>).

76

Eine etwaige, aus den Gesetzgebungsmaterialien nicht erkennbare familienpolitische Intention des Gesetzgebers, mit Hilfe des Familienzuschlags der Stufe 1 einen Anreiz zur Eingehung von Ehen zu bilden, um damit die Zahl der in den "behüteten" Verhältnissen einer Ehe aufwachsenden Kinder zu erhöhen (in diese Richtung wohl Schmidt, in: Plog/Wiedow, a.a.O., § 40 BBesG Rn. 28 f.; Schinkel/Seifert, in: Fürst, a.a.O., K § 40 Rn. 11), vermag die Ungleichbehandlung ebenfalls nicht zu rechtfertigen. Auch die "behüteten" Verhältnisse in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft können das Aufwachsen von Kindern fördern.

E.

I.

77

Der Verstoß einer Norm gegen das Grundgesetz kann entweder zur Nichtigerklärung (§ 82 Abs. 1 i.V.m. § 78 Satz 1, § 95 Abs. 3 BVerfGG) oder dazu führen, dass das Bundesverfassungsgericht die mit der Verfassungswidrigkeit gegebene Unvereinbarkeit der Norm mit dem Grundgesetz feststellt (vgl. § 31 Abs. 2, § 79 Abs. 1 BVerfGG). Eine Erklärung nur der Unvereinbarkeit ist insbesondere geboten, wenn der Gesetzgeber verschiedene Möglichkeiten hat, den Verfassungsverstoß zu beseitigen. Das ist regelmäßig bei der Verletzung des Gleichheitssatzes der Fall (vgl. BVerfGE 99, 280 <298>; 105, 73 <133>; 117, 1 <69>; 122, 210 <244 f.>; 126, 268 <284 f.>; stRspr). Wenn es zudem um Normen geht, die gleichheitswidrig anderen Personen Vergünstigungen gewähren, die den von der verfassungswidrigen Norm Betroffenen vorenthalten bleiben, ist auch zu berücksichtigen, dass die Nichtigkeit der nicht begünstigenden Norm den Verfassungsverstoß nicht heilen könnte (vgl. BVerfGE 105, 73 <133>).

78

Gemessen hieran kommt im vorliegenden Fall nur eine Unvereinbarerklärung in Betracht. Eine Nichtigerklärung von § 40 Abs. 1 Nr. 1 BBesG würde dem Anliegen des Beschwerdeführers nicht zur Durchsetzung verhelfen, weil ihm der Familienzuschlag wegen des im Besoldungsrecht geltenden Vorbehalts des Gesetzes erst dann gewährt werden kann, wenn der Gesetzgeber eine entsprechende Regelung geschaffen hat (zum Gesetzesvorbehalt für die Beamtenbesoldung vgl. BVerfGE 8, 28 <35>; 81, 363 <386> sowie BVerfGE 99, 300 <313>).

II.

79

Der Gesetzgeber ist verpflichtet, den festgestellten Verfassungsverstoß für in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft lebende Beamte, die ihren Anspruch auf Auszahlung des Familienzuschlags der Stufe 1 zeitnah geltend gemacht haben, rückwirkend mit Wirkung zum 1. August 2001 zu beseitigen.

80

1. Grundsätzlich folgt aus der Feststellung der Unvereinbarkeit einer Norm mit Art. 3 Abs. 1 GG die Verpflichtung des Gesetzgebers, rückwirkend, bezogen auf den in der gerichtlichen Feststellung genannten Zeitpunkt, die Rechtslage verfassungsgemäß umzugestalten (vgl. BVerfGE 73, 40 <101>; 105, 73 <134>; BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 14. Februar 2012 - 2 BvL 4/10 -, NVwZ 2012, S. 357 <365>; stRspr).

81

Von diesem Grundsatz können allerdings insbesondere im Interesse verlässlicher Finanz- und Haushaltsplanung bei haushaltswirtschaftlich bedeutsamen Normen Ausnahmen zugelassen werden (vgl. BVerfGE 93, 121 <148>; 105, 73 <134>; 117, 1 <70>; 125, 175 <258>). Gleiches gilt, wenn die Verfassungsrechtslage bisher nicht hinreichend geklärt gewesen und dem Gesetzgeber aus diesem Grund eine angemessene Frist zur Schaffung einer Neuregelung zu gewähren ist (vgl. BVerfGE 125, 175 <258>). Andererseits kann der Umstand, dass die Verfassungsmäßigkeit einer Regelung stets umstritten war, gegen eine Ausnahme vom Grundsatz der rückwirkenden Heilung von Verfassungsverstößen sprechen (siehe BVerfGE 122, 210 <246 f.>; 126, 268 <285 f.>).

82

Im Bereich der Beamtenalimentation ist zudem zu berücksichtigen, dass die im Beamtenverhältnis bestehende Pflicht zu gegenseitiger Rücksichtnahme zwischen Beamtem und Dienstherrn sowie der Umstand, dass die Alimentation des Beamten der Sache nach die Befriedigung eines gegenwärtigen Bedarfs aus gegenwärtig zur Verfügung stehenden Haushaltsmitteln darstellt, dagegen sprechen, den Dienstherrn ohne jede Einschränkung in Bezug auf den Kreis der betroffenen Beamten zu rückwirkenden Erhöhungen der Besoldung zu verpflichten (vgl. BVerfGE 81, 363 <384 ff.>; 99, 300 <330 f.>; BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 14. Februar 2012 - 2 BvL 4/10 -, a.a.O., S. 365). Im Bereich der Beamtenbesoldung kann eine rückwirkende Heilung von Verfassungsverstößen sich deswegen auf diejenigen Beamten beschränken, welche den ihnen von Verfassungs wegen zustehenden Alimentationsanspruch zeitnah, also während des jeweils laufenden Haushaltsjahres, gerichtlich geltend gemacht haben, ohne dass über ihren Anspruch schon abschließend entschieden worden ist (vgl. BVerfGE 81, 363 <385>).

83

2. Danach ist der Gesetzgeber verpflichtet, rückwirkend zum Zeitpunkt der Einführung des Instituts der Lebenspartnerschaft mit Wirkung zum 1. August 2001 eine gesetzliche Grundlage zu schaffen, die allen Beamten, die ihre Ansprüche auf Familienzuschlag zeitnah geltend gemacht haben, einen Anspruch auf Nachzahlung des Familienzuschlags ab dem Zeitpunkt seiner erstmaligen Beanspruchung einräumt.

84

Eine weitere Einschränkung der Rückwirkung ist auch aus haushaltswirtschaftlichen Gründen nicht geboten. Die anhörungsberechtigten öffentlichen Stellen im vorliegenden Verfahren haben nicht vorgetragen, dass sie die rückwirkende Bezahlung von Familienzuschlägen für in eingetragener Lebenspartnerschaft lebende Beamte haushalterisch in Schwierigkeiten bringen würde. Es ist auch nicht anzunehmen, dass die Anzahl der betroffenen Beamten sehr hoch sein wird (vgl. BTDrucks 17/6359, S. 3; siehe auch BVerfGE 126, 400 <432>).

85

3. Gegenstand der Unvereinbarerklärung ist § 40 Abs. 1 Nr. 1 BBesG in der Fassung des Gesetzes zur Reform des öffentlichen Dienstrechts vom 24. Februar 1997 bis zum Inkrafttreten von § 17b BBesG in der Form des Art. 4 des Gesetzes zur Übertragung ehebezogener Regelungen im öffentlichen Dienstrecht auf Lebenspartnerschaften vom 14. November 2011 (BGBl I S. 2219) mit Wirkung zum 1. Januar 2009. Die Unvereinbarkeit von § 40 Abs. 1 Nr. 1 BBesG mit Art. 3 Abs. 1 GG bestand seit dem Inkrafttreten des Lebenspartnerschaftsgesetzes zum 1. August 2001.

86

Nicht für unvereinbar mit Art. 3 Abs. 1 GG zu erklären ist die zum 1. Januar 2009 in Kraft getretene Vorschrift des § 17b BBesG in der Fassung des Art. 4 des Gesetzes zur Übertragung ehebezogener Regelungen im öffentlichen Dienstrecht auf Lebenspartnerschaften vom 14. November 2011 (BGBl I S. 2219). Die Vorschrift hat für den Beschwerdeführer keine belastende Wirkung.

III.

87

1. Die Kostenentscheidung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG. Die Auslagen sind dem Beschwerdeführer zu gleichen Teilen vom Land Hessen und vom Bund zu erstatten, weil die aufgehobenen Entscheidungen von Gerichten des Landes Hessen getroffen worden sind, der Grund der Aufhebung aber in der Verfassungswidrigkeit einer bundesrechtlichen Vorschrift liegt (vgl. auch BVerfGE 101, 106 <132>).

88

2. Die Festsetzung des Gegenstandswerts folgt aus § 37 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit § 14 Abs. 1 RVG.

(1) Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung ist, wer aus Gründen politischer Gegnerschaft gegen den Nationalsozialismus oder aus Gründen der Rasse, des Glaubens oder der Weltanschauung durch nationalsozialistische Gewaltmaßnahmen verfolgt worden ist und hierdurch Schaden an Leben, Körper, Gesundheit, Freiheit, Eigentum, Vermögen, in seinem beruflichen oder in seinem wirtschaftlichen Fortkommen erlitten hat (Verfolgter).

(2) Dem Verfolgten im Sinne des Absatzes 1 wird gleichgestellt, wer durch nationalsozialistische Gewaltmaßnahmen verfolgt worden ist,

1.
weil er auf Grund eigener Gewissensentscheidung sich unter Gefährdung seiner Person aktiv gegen die Mißachtung der Menschenwürde oder gegen die sittlich, auch durch den Krieg nicht gerechtfertigte Vernichtung von Menschenleben eingesetzt hat;
2.
weil er eine vom Nationalsozialismus abgelehnte künstlerische oder wissenschaftliche Richtung vertreten hat;
3.
weil er einem Verfolgten nahegestanden hat.

(3) Als Verfolgter im Sinne des Absatzes 1 gilt auch

1.
der Hinterbliebene eines Verfolgten, der getötet oder in den Tod getrieben worden oder an den Folgen der Schädigung seines Körpers oder seiner Gesundheit verstorben ist;
2.
der Geschädigte, der eine ihm zur Last gelegte Handlung in Bekämpfung der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft oder in Abwehr der Verfolgung begangen hat, aber den Beweggrund dieser Handlung verbergen konnte;
3.
der Geschädigte, der von nationalsozialistischen Gewaltmaßnahmen betroffen worden ist, weil er irrtümlich einer Personengruppe zugerechnet wurde, die aus den in Absatz 1 und 2 genannten Gründen verfolgt worden ist;
4.
der Geschädigte, der als naher Angehöriger des Verfolgten von nationalsozialistischen Gewaltmaßnahmen mitbetroffen ist; als nahe Angehörige gelten der Ehegatte des Verfolgten und die Kinder, solange für sie nach dem bis zum 31. Dezember 1974 geltenden Beamtenrecht Kinderzuschläge gewährt werden können.

(1) Berechtigte, die sich nur vorübergehend im Ausland aufhalten, erhalten für diese Zeit Leistungen wie Berechtigte, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben.

(2) Berechtigte, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland haben, erhalten diese Leistungen, soweit nicht die folgenden Vorschriften über Leistungen an Berechtigte im Ausland etwas anderes bestimmen.

(3) Die Vorschriften dieses Abschnitts sind nur anzuwenden, soweit nicht nach über- oder zwischenstaatlichem Recht etwas anderes bestimmt ist.

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil das Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 12. Mai 2006 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten auch für das Revisionsverfahren einander nicht zu erstatten.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Zahlung einer Witwenrente im Zugunstenverfahren.

2

Die Klägerin ist die Witwe ihres im Jahre 1991 in der Sowjetunion verstorbenen Ehemanns J. (nachfolgend: J.). Die Eheleute legten sämtliche Beschäftigungszeiten in der Sowjetunion zurück. Die Klägerin reiste am 17.10.1996 in die Bundesrepublik Deutschland ein und wurde als Spätaussiedlerin anerkannt.

3

Seit dem Tag ihrer Einreise bezieht die Klägerin eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit unter Berücksichtigung von anrechenbaren Zeiten nach dem Fremdrentengesetz (FRG), wobei die Beklagte (unter ihrer damaligen Bezeichnung Landesversicherungsanstalt Westfalen) die ermittelten Entgeltpunkte (EP) von 33,4910 gemäß § 22b Abs 1 Satz 1 FRG idF des Wachstums- und Beschäftigungsförderungsgesetzes vom 25.9.1996 (BGBl I 1461; im Folgenden: aF) auf den Höchstwert von 25 EP begrenzte (Bescheid vom 7.11.1997). Mit bestandskräftigem Bescheid vom 27.7.1998 erkannte die Beklagte zudem einen Anspruch der Klägerin auf große Witwenrente ab 17.10.1996 dem Grunde nach an, begrenzte die für diese Rente ermittelten 26,9005 EP gemäß § 22 Abs 1 Satz 1 FRG aF auf 25 EP und lehnte ebenfalls unter Hinweis auf diese Bestimmung die Zahlung ab, weil der Höchstwert von 25 EP für anrechenbare Zeiten nach dem FRG bereits vorrangig in ihrer Rente wegen Erwerbsunfähigkeit berücksichtigt worden sei.

4

Im August 2002 beantragte die Klägerin gemäß § 44 SGB X unter Bezugnahme auf die Entscheidung des 4. Senats des BSG vom 30.8.2001 (BSGE 88, 288 = SozR 3-5050 § 22b Nr 2), den Bescheid vom 27.7.1998 hinsichtlich der Anwendung des § 22b Abs 1 Satz 1 FRG aF zu überprüfen. Dies lehnte die Beklagte ab (Bescheid vom 26.8.2002 und Widerspruchsbescheid vom 18.3.2003).

5

Das SG hat die Beklagte antragsgemäß unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide verurteilt, die Witwenrente in Abänderung des Bescheids vom 27.7.1998 ab 1.1.1998 neu zu berechnen und der Rentenberechnung die von J. nach dem FRG erworbenen EP bis zu einem Höchstwert von 25 EP zu Grunde zu legen (Urteil vom 13.11.2003).

6

Auf die Berufung der Beklagten hat das LSG das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 12.5.2006). Die Vorschrift des § 22b Abs 1 Satz 1 FRG idF des RV-Nachhaltigkeitsgesetzes (RVNG) vom 21.7.2004 (BGBl I 1791; im Folgenden: nF) sei anzuwenden, obwohl sie erst nach Erlass des angefochtenen Bescheids verkündet worden sei. Die Neufassung und ihre rückwirkende Inkraftsetzung zum 7.5.1996 begegneten keinen verfassungsrechtlichen Bedenken (Bezugnahme auf BSG vom 21.6.2005 - BSGE 95, 29 = SozR 4-5050 § 22b Nr 4 und SozR 4-1300 § 44 Nr 5 sowie BSG vom 5.10.2005 - B 5 RJ 57/03 R - Juris).

7

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin einen Verstoß gegen Art 14 Abs 1 GG, Art 116 iVm Art 16 GG, Art 19 Abs 4 GG, Art 103 GG sowie Art 20 Abs 3 iVm Art 2 GG und den Prinzipien des Rechtsstaats. Die Nichtauszahlung der durch einen bestandskräftigen Bescheid bereits bewilligten Rente verstoße auch gegen die Regelung des § 22b FRG aF und nF. Selbst wenn man davon ausginge, dass in diesen Vorschriften eine Regelung enthalten sei, die dazu führe, dass die Hinterbliebenenrente bei Rente aus Eigenbeitragstätigkeit durch Anrechnung der EP gekürzt werden könne, sei es rechtswidrig, die Anrechnung der bereits durch bestandskräftigen Bescheid dem Grunde nach festgelegten EP, die auf Beiträgen nach dem FRG beruhten, in einem besonderen "Verrechnungsverfahren" zu kürzen. Dies werde von Art 14 GG nicht gedeckt. Die Witwenrente dürfe unter Berücksichtigung von Art 3 GG nach ihrer Bewilligung nur in der Höhe auf die eigene Rente angerechnet werden, wie dies in den allgemeinen Vorschriften vorgesehen sei. Ansonsten würden die Spätaussiedler, die deutsche Staatsangehörige und "Rentensystemteilnehmer" seien, diskriminiert.

8

Ferner macht die Klägerin einen Verstoß gegen § 300 SGB VI geltend, wonach § 22b FRG nF keine Anwendung finde. Die Neuregelung verstoße mit ihrer Rückwirkung zudem gegen den verfassungsrechtlichen Vertrauensschutz.

9

           

Die Klägerin beantragt,

        

das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 12. Mai 2006 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 13. November 2003 zurückzuweisen.

10

           

Die Beklagte beantragt,

        

die Revision zurückzuweisen.

11

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

12

Der vormals für das Verfahren zuständige 4. Senat des BSG hat mit Beschluss vom 9.10.2006 das Revisionsverfahren in entsprechender Anwendung von § 114 Abs 2 Satz 1 SGG ausgesetzt, da eine zu erwartende Entscheidung des BVerfG zur Verfassungsmäßigkeit des § 22b FRG nF vorgreiflich sei. Mit Beschluss vom 3.5.2011 hat der - nunmehr zuständig gewordene - erkennende Senat im Hinblick auf die zwischenzeitlich ergangene Entscheidung des BVerfG vom 21.7.2010 (BVerfGE 126, 369 = SozR 4-5050 § 22b Nr 9) die Aussetzung aufgehoben.

13

Die Klägerin hält trotz der Entscheidung des BVerfG an ihrem Begehren fest, vertieft ihr bisheriges Vorbringen und trägt ergänzend vor: Nach der Rechtsprechung des BVerfG sei eine Rückwirkung dann nicht möglich, wenn die Witwenrente bestandskräftig gewährt worden sei. Dies sei bei ihr der Fall. Der im Bescheid vom 27.7.1998 enthaltene Zusatz: "Die Rente beginnt am 17.10.1996. Sie wird ab 17.10.1996 nicht gezahlt" habe keinerlei Rechtsgrundlage. Das BVerfG habe am 21.7.2010 nur über solche Fälle entschieden, in denen die Hinterbliebenenrentenansprüche sich ausschließlich aus FRG-Zeiten zusammensetzten. Es habe ausdrücklich offen gelassen, ob sich an seiner Entscheidung aus verfassungsrechtlicher Sicht etwas ändere, wenn ein Hinterbliebenenrentenanspruch sowohl auf Zeiten nach dem FRG als auch auf Beitragszeiten in einer deutschen Rentenversicherung beruhe. Sowohl ihre eigene Rente als auch die Witwenrente beruhten aber nicht nur auf FRG-Zeiten. Dies gehe zwar aus den bisherigen Feststellungen des LSG nicht hervor, ergebe sich aber aus ihrem Versicherungsverlauf und dem des J. So seien der Berechnung der Witwenrente auch Ersatzzeiten des J. nach dem SGB VI zu Grunde gelegt worden. Dies dürfe nicht zur Kürzung der EP führen. Es sei davon auszugehen, dass die Witwenrente insgesamt unter Art 14 GG falle. Art 3 GG sei verletzt, weil sie (die Klägerin) gegenüber Witwen und Witwern, die Witwenrente ebenfalls aus vom Gesetzgeber gleichgestellten Auslandszeiten erhielten, diskriminiert werde. Zu früheren Bürgern der DDR, die dort ihr gesamtes Arbeitsleben zurückgelegt hätten, bestehe kein die Ungleichbehandlung rechtfertigender Unterschied. Auch verstoße es gegen Art 3 GG, wenn durch die Festlegung eines willkürlich gelegten Stichtags rückwirkend die gleichgestellten Beitragszeiten und Auslandsbeiträge entwertet würden. Da ihr verstorbener Ehemann Heimkehrer iS des Heimkehrergesetzes (HkG) gewesen sei, die Voraussetzungen von § 1 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) erfüllt habe und als sog unechter Kriegsgefangener den deutschen Kriegsgefangenen gleichgestellt gewesen sei, habe er - unabhängig von seinem Vertriebenenstatus - einen Anspruch auch nach dem SGB VI erworben. Ferner müsse geklärt werden, ob es sich bei FRG-Renten um Rentenansprüche im Sinne des EU-Rechts handele. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) habe am 18.12.2007 (C-396/05, C-419/05, C-450/05 = SozR 4-6035 Art 42 Nr 2) entschieden, dass entgegen der Auffassung des BSG und des BVerfG Fremdrentenansprüche keine besonderen kriegsbedingten Sozialleistungen seien. Die Sache müsse dem EuGH vorgelegt werden, um zu überprüfen, ob Fremdrentenleistungen "Renten" oder "besondere Sozialleistungen" seien oder ob die gemäß § 15 FRG gleichgestellten Beitragszeiten nur beliebig kürzbare "Rechenposten" bei der Festlegung einer Grundsicherung seien oder ob es sich um Beiträge im Sinne des vorrangigen europäischen Rechts handele. Schließlich stelle die hier angegriffene Entscheidung eine "vollkommene Enteignung" der ihr dem Grunde nach zugesprochenen Witwenrente dar. Dies wiederum verstoße gegen das "Protokoll Nr 1, Art 1 der EMRK und auch gegen Art 14 EMRK", weshalb auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) gehört werden müsse.

14

Die Beklagte erwidert: Entgegen der Darstellung der Klägerin gehe es bei ihr um denselben Sachverhalt wie in der Entscheidung des BVerfG vom 21.7.2010. Auch bei J. lägen neben den FRG-Zeiten keine Beitragszeiten in der deutschen Rentenversicherung vor. Dies ergebe sich aus dem angefochtenen Rentenbescheid und aus dem Umstand, dass J. noch im Herkunftsland verstorben sei. Die in seinem Versicherungsverlauf enthaltenen Ersatzzeiten (13.12.1951 - 30.11.1954) seien keine Beitragszeiten, und sie seien ausschließlich auf Grund der FRG-Zeiten anrechenbar. Auch ergebe sich der Witwenrentenanspruch allein auf Grund der FRG-Berechtigung der Klägerin als Witwe. Entgegen ihrer Behauptung sei J. kein Vertriebener gewesen. Die zusätzlich aufgeführten Tatbestände bzw Personenkreise (§ 1 HkG, § 1 BVG, "unechte Kriegsgefangene") begründeten keine Rentenansprüche.

Entscheidungsgründe

15

Die zulässige Revision der Klägerin ist nicht begründet.

16

Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 26.8.2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18.3.2003 ist rechtmäßig. Die Beklagte hat es zu Recht abgelehnt, der Klägerin unter teilweiser Rücknahme des bestandskräftigen Rentenbescheids vom 27.7.1998 eine Witwenrente zu zahlen. Nicht Gegenstand des Verfahrens ist die Höhe der eigenen Versichertenrente der Klägerin; diese ist unabhängig von der zwischen den Beteiligten streitigen Hinterbliebenenrente.

17

Der geltend gemachte Rücknahmeanspruch richtet sich nach § 44 SGB X. Nach dessen Abs 1 Satz 1 ist ein bindend gewordener Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Diese Voraussetzungen für die Rücknahme des Rentenbescheids vom 27.7.1998 sind hinsichtlich der Rentenhöhe nicht erfüllt. Dabei kann offen bleiben, ob die Beklagte bei Erlass dieses Bescheids (spätestens mit seiner Bekanntgabe iS von § 39 Abs 1 Satz 1 SGB X) das Recht richtig angewandt hat. Denn sie hat jedenfalls die große Witwenrente zu Recht nicht ausgezahlt (dazu unter 1.), ohne damit gegen Bundesrecht (dazu unter 2.) oder Verfassungsrecht (dazu unter 3. und 4.) verstoßen zu haben. Aus dem Vortrag der Klägerin zur Entscheidung des BVerfG vom 21.7.2010 (BVerfGE 126, 369 = SozR 4-5050 § 22b Nr 9) ergibt sich keine für sie günstigere Rechtsfolge (dazu unter 5.).

18

1. Selbst wenn die Beklagte das bei Erlass des Bescheids vom 27.7.1998 geltende Recht fehlerhaft angewandt hätte, würde dies keinen Rücknahmeanspruch der Klägerin begründen. Denn maßgeblich ist insoweit das im Zeitpunkt der Entscheidung des Senats geltende Recht, soweit es auch den Zeitpunkt des Bescheiderlasses umfasst. Hat sich das Recht während des anhängigen Rechtsstreits rückwirkend geändert, so ist das neue Recht auch im Revisionsverfahren zu beachten (stRspr; vgl zB BSG vom 21.6.2005 - BSGE 95, 29 = SozR 4-5050 § 22b Nr 4, RdNr 8; BSG vom 5.10.2005 - B 5 RJ 57/03 R - Juris RdNr 14; BSG vom 25.1.2011 - B 5 R 46/10 R - Juris RdNr 10; B 5 R 47/10 R - Juris RdNr 12; jeweils mwN).

19

Dieser Fall ist hier gegeben. § 22b Abs 1 Satz 1 FRG aF ist während des anhängigen (Berufungs-)Verfahrens mit Art 9 Nr 2 iVm Art 15 Abs 3 RVNG rückwirkend zum 7.5.1996 durch eine Neufassung (§ 22b Abs 1 Satz 1 FRG nF)ersetzt worden, wonach für anrechenbare Zeiten nach dem FRG für Renten aus eigener Versicherung und wegen Todes eines Berechtigten insgesamt höchstens 25 EP der Rentenversicherung der Arbeiter und der Angestellten (ab 1.1.2005: der allgemeinen Rentenversicherung) zu Grunde gelegt werden. Bereits zuvor hatte Art 12 Nr 2 des Rentenreformgesetzes 1999 vom 16.12.1997 (BGBl I 2998) ebenfalls mit (Rück-)Wirkung zum 7.5.1996 § 22b Abs 1 Satz 3 FRG angefügt, wonach EP aus der Rente mit einem höheren Rentenartfaktor vorrangig zu berücksichtigen sind.

20

Danach gilt hier Folgendes: Die EP aus der Rente der Klägerin wegen Erwerbsunfähigkeit sind vorrangig zu berücksichtigen. Denn der Rentenartfaktor für persönliche EP bei dieser Rentenart (§ 33 Abs 3 Nr 5 SGB VI) ist mit 1,0 höher (§ 67 Nr 3 SGB VI in der bis 31.12.2000 geltenden Fassung iVm § 302b Abs 1 Satz 1 und 2 SGB VI) als der Rentenartfaktor bei der großen Witwenrente nach Ablauf des sog Sterbevierteljahres für persönliche EP in der allgemeinen Rentenversicherung gemäß § 67 Nr 6 SGB VI in Höhe von 0,6 (ab 1.1.2002: 0,55). Da aber bei der Rente wegen Erwerbsunfähigkeit bereits 25 EP für anrechenbare Zeiten nach dem FRG zu berücksichtigen waren (Bescheid vom 7.11.1997), war damit schon die Höchstzahl an EP erreicht, die § 22b Abs 1 Satz 1 FRG nF für ein Zusammentreffen von Renten aus eigener Versicherung und wegen Todes zulässt. Folglich war für die große Witwenrente kein (zahlbarer) "Monatsbetrag der Rente" (§ 64 SGB VI) festzustellen. Im Ergebnis ist die Klägerin damit lediglich Inhaberin eines "leeren Rechts" auf Witwenrente und bleibt auf die Rente aus eigener Versicherung beschränkt (vgl BSG vom 25.1.2011 - B 5 R 47/10 R - Juris RdNr 13).

21

2. Übergangsregelungen waren zur Umsetzung der Neufassung des § 22b Abs 1 Satz 1 FRG nicht erforderlich(Senatsbeschlüsse vom 29.8.2006 - B 13 RJ 47/04 R - Juris RdNr 47-51; B 13 RJ 8/05 R - Juris RdNr 50-54; B 13 R 7/06 R - Juris RdNr 51-54). Aus Sicht des Gesetzgebers bestand hierfür jedenfalls von vornherein auch kein Bedarf, denn die zu § 22b Abs 1 Satz 1 FRG aF ergangenen Verwaltungsakte der Rentenversicherungsträger entsprachen regelmäßig bereits - wie auch hier - der Neufassung dieser Vorschrift, weil sich die Träger der Rechtsprechung des 4. Senats des BSG vom 30.8.2001 (BSGE 88, 288 = SozR 3-5050 § 22b Nr 2), des 8. Senats des BSG vom 7.7.2004 (BSGE 93, 85 = SozR 4-5050 § 22b Nr 2)und vom 21.6.2005 (SozR 4-1300 § 44 Nr 5)sowie des erkennenden Senats vom 11.3.2004 (ua BSGE 92, 248 = SozR 4-5050 § 22b Nr 1)nicht angeschlossen hatten; nach dieser Rechtsprechung sollte die Begrenzung auf insgesamt 25 EP in § 22b Abs 1 Satz 1 FRG aF keine Anwendung finden, wenn ein Begünstigter neben einem Anspruch auf Rente aus eigener Versicherung einen Anspruch auf Hinterbliebenenrente hatte. Für die Ausnahme, dass im Einzelfall (auf Grund welcher Umstände auch immer) ein bindender begünstigender Verwaltungsakt (über die Zahlung von Hinterbliebenenrente) ergangen war, verwies die Begründung zum Gesetzentwurf auf die vertrauensschützenden Regelungen des SGB X (vgl Begründung zum Gesetzentwurf des RVNG, BT-Drucks 15/2149 S 32 zu Art 13 Abs 3).

22

Die Klägerin kann sich nicht auf die Regelung des § 300 Abs 2 SGB VI berufen, wonach ua durch Neuregelungen innerhalb des SGB VI ersetzte Vorschriften auch nach dem Zeitpunkt ihrer Aufhebung noch auf den bis dahin bestehenden Anspruch anzuwenden sind, wenn der Anspruch bis zum Ablauf von drei Monaten nach der Aufhebung geltend gemacht worden ist. Hieraus kann sie nicht herleiten, dass ihr Anspruch auf Witwenrente weiterhin nach § 22b Abs 1 Satz 1 FRG aF zu beurteilen sei, weil sie diesen bereits vor Verkündung des RVNG geltend gemacht habe. Dies gilt schon deshalb, weil "Aufhebung" iS von § 300 Abs 2 SGB VI den - auch rückwirkenden - Zeitpunkt des Außerkrafttretens der alten und des Inkrafttretens der neuen Vorschrift meint, hier also, nach Art 15 Abs 3 RVNG, den 7.5.1996 (vgl Senatsurteil vom 19.5.2004 - BSGE 93, 15 = SozR 4-5050 § 22b Nr 3, RdNr 19; BSG vom 21.6.2005 - BSGE 95, 29 = SozR 4-5050 § 22b Nr 4, RdNr 10; Senatsbeschlüsse vom 29.8.2006 - B 13 RJ 47/04 R - Juris RdNr 52; B 13 RJ 8/05 R - Juris RdNr 55; B 13 R 7/06 R - Juris RdNr 55; BSG vom 25.1.2011 - B 5 R 46/10 R - Juris RdNr 12; B 5 R 47/10 R - Juris RdNr 14; jeweils mwN). Die Klägerin hatte aber am 7.5.1996 (noch) keinen Anspruch auf Witwenrente. Ihr Witwenrentenanspruch ist (dem Grunde nach) erst mit ihrem Zuzug im Oktober 1996 entstanden (vgl Senatsurteil vom 19.5.2004 - BSGE 93, 15 = SozR 4-5050 § 22b Nr 3, RdNr 18).

23

Nichts anderes ergibt sich aus Art 6 § 4 Abs 4a des Fremdrenten- und Auslandsrenten-Neuregelungsgesetzes (FANG)(vgl BSG vom 25.1.2011 - B 5 R 46/10 R - Juris RdNr 14; B 5 R 47/10 R - Juris RdNr 16), der seit dem 1.1.2001 in Kraft ist und speziell für das FRG - im Wesentlichen wortgleich mit § 300 Abs 3 SGB VI - das Folgende regelt: Ist eine bereits vorher geleistete Rente neu festzustellen und sind dabei die persönlichen EP neu zu ermitteln, sind die Vorschriften des FRG maßgebend, die bei erstmaliger Feststellung der Rente anzuwenden waren, soweit § 317 Abs 2a SGB VI nichts anderes bestimmt. Die Tatbestandsvoraussetzungen dieser Norm sind vorliegend offensichtlich nicht erfüllt, da vor Inkrafttreten des anzuwendenden Rechts am 7.5.1996 weder eine derartige Rente an die Klägerin geleistet wurde noch aus diesem Grund EP "neu" zu ermitteln waren.

24

3. Art 15 Abs 3 RVNG, der § 22b Abs 1 Satz 1 FRG nF rückwirkend zum 7.5.1996 in Kraft gesetzt hat, verstößt nicht gegen Verfassungsrecht. Dies hat das BVerfG mit Beschluss vom 21.7.2010 (BVerfGE 126, 369, 388 f = SozR 4-5050 § 22b Nr 9 RdNr 63)auf die Vorlagebeschlüsse des erkennenden Senats vom 29.8.2006 (B 13 RJ 47/04 R; B 13 RJ 8/05 R; B 13 R 7/06 R - alle veröffentlicht in Juris) mit Gesetzeskraft (§ 13 Nr 11 iVm § 31 Abs 2 Satz 1 BVerfGG) entschieden; daran ist der Senat mithin auch im vorliegenden Verfahren gebunden (Art 20 Abs 3 GG; s auch die Bekanntmachung in BGBl I 2010, 1358).

25

4. Weiterhin hat das BVerfG in dem genannten Beschluss auf eine Verfassungsbeschwerde hin ebenfalls entschieden, dass die Regelung in § 22b Abs 1 Satz 1 FRG nF ihrerseits mit dem GG in Einklang steht(BVerfGE 126, 369, 391 ff = SozR 4-5050 § 22b Nr 9 RdNr 83 ff). Dieser Entscheidung des BVerfG vom 21.7.2010 kommt allerdings keine Gesetzeskraft gemäß § 31 Abs 2 Satz 2 iVm § 13 Nr 8a BVerfGG zu, da das BVerfG in Nr 2 der Entscheidungsformel(BVerfGE 126, 369, 370 - in Juris vor RdNr 1) lediglich die Verfassungsbeschwerde zurückgewiesen, nicht aber die angegriffene Norm für mit dem GG vereinbar erklärt hat (vgl BVerfGE 85, 117, 121; s dazu auch Heusch in Umbach/Clemens/Dollinger, BVerfGG, 2. Aufl 2005, § 31 RdNr 77). Dessen ungeachtet hält der Senat § 22 Abs 1 Satz 1 FRG nF ebenfalls für verfassungsgemäß(vgl bereits den Vorlagebeschluss des Senats vom 29.8.2006 - B 13 R 7/06 R - Juris RdNr 64 ff; s auch BSG vom 21.6.2005 - BSGE 95, 29 = SozR 4-5050 § 22b Nr 4, RdNr 11 ff). Da die Klägerin keine neuen Gesichtspunkte, die verfassungsrechtlich noch klärungsbedürftig wären, vorgetragen hat, nimmt der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen auf die entsprechenden Ausführungen in den vorgenannten Entscheidungen des BVerfG und des BSG Bezug.

26

5. Auch die weiteren Einwendungen, die die Klägerin in Kenntnis der Entscheidung des BVerfG vom 21.7.2010 (aaO) aufrechterhalten bzw erstmals vorgetragen hat, führen zu keinem für sie günstigeren Ergebnis:

27

a) Zu Recht weist sie zwar darauf hin, dass das BVerfG in seinem og Beschluss offen gelassen hat, ob sich an seiner Entscheidung aus verfassungsrechtlicher Sicht etwas ändere, "wenn ein Hinterbliebenenrentenanspruch sowohl auf Zeiten nach dem FRG als auch auf Beitragszeiten in einer deutschen Rentenversicherung beruhen würde" (BVerfGE 126, 369, 388 = SozR 4-5050 § 22b Nr 9 RdNr 60). Dies bedarf jedoch auch im vorliegenden Fall keiner Entscheidung. Denn bei J. liegen lediglich in der Sowjetunion zurückgelegte und keine in Deutschland erworbenen Beitragszeiten vor. Dies ergibt sich bereits daraus, dass er sein Herkunftsland nicht verlassen hat und dort verstorben ist.

28

b) Entgegen der Auffassung der Klägerin beruht ihr Anspruch auf Witwenrente (dem Grunde nach) allein auf Zeiten nach dem FRG. Auch die Berücksichtigung von 36 Monaten an Ersatzzeiten (im Zeitraum vom 13.12.1951 bis 30.11.1954) des J. bei der Berechnung der Rente ändert daran nichts. Zwar ist es zutreffend, dass Ersatzzeiten (§ 250 SGB VI) als solche keine FRG-Zeiten sind. Eine rentenrechtliche Bewertung der Ersatzzeiten des J. ergibt sich aber allein auf Grund seiner FRG-Beitragszeiten. Denn die für die Witwenrente ermittelten Gesamt-EP von 26,9005 sind identisch mit den "EP einer Rente mit anrechenbaren Zeiten nach dem FRG" iS des § 22b Abs 2 FRG, weil sich ohne Berücksichtigung der anrechenbaren Zeiten nach dem FRG im Rahmen der Gesamtleistungsbewertung der Ersatzzeiten als beitragsfreie Zeiten(§ 54 Abs 4 iVm § 71 Abs 1 SGB VI) ein Gesamtleistungswert von Null und somit auch 0 EP für die Ersatzzeiten ergibt (vgl Anlage 6 Seite 2 des - von der Beklagten im Berufungsverfahren überreichten - Bescheids vom 27.7.1998: "Ohne Berücksichtigung von anrechenbaren Zeiten nach dem FRG ergeben sich keine Entgeltpunkte. Auf anrechenbare Zeiten nach dem FRG entfallen 26,9005 Punkte.") mit der Folge, dass allein aus den Ersatzzeiten des J. kein Zahlungsanspruch resultieren kann.

29

Der Senat ist nicht gehindert, diese tatsächlichen Umstände seiner Entscheidung zu Grunde zu legen, obgleich sie das LSG im Urteil nicht ausdrücklich festgestellt hat (vgl § 163 SGG). Denn sie sind unzweifelhaft dem Bescheid über die große Witwenrente vom 27.7.1998 zu entnehmen, der sich in den vom LSG zur Ergänzung des Tatbestands in Bezug genommenen Gerichtsakten befindet. Der Rückgriff auf solche tatsächlichen Umstände ist dem Revisionsgericht insbesondere auch deshalb erlaubt, weil die Klägerin die Problematik der Ersatzzeiten und ihrer Bewertung erstmals im Revisionsverfahren geltend gemacht hat, während es für die Entscheidung des LSG darauf nicht ankam (vgl Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl 2008, § 163 RdNr 5d mwN). Eine Aufhebung des LSG-Urteils und Zurückverweisung zur ergänzenden Tatsachenfeststellung hinsichtlich der Ersatzzeiten und ihrer Auswirkungen auf die Witwenrente ist mithin nicht erforderlich.

30

c) Soweit die Klägerin geltend macht, ihr sei von der Beklagten eine große Witwenrente durch bestandskräftig gewordenen Bescheid bewilligt worden, aus dem auch die Zahlung der Witwenrente erfolgen müsse, trifft dies nicht zu. Denn die Beklagte hat zu keinem Zeitpunkt mit dem Bescheid vom 27.7.1998 einen Zahlungsanspruch in Form eines Verwaltungsakts festgestellt (vgl § 117 SGB VI).

31

Zwar hat das BVerfG in seiner Entscheidung vom 21.7.2010 eine verfassungsrechtliche Bewertung hinsichtlich solcher Personen, denen bereits eine Hinterbliebenenrente ohne die Begrenzung auf 25 EP bestandskräftig gewährt wurde, ausdrücklich offen gelassen (BVerfGE 126, 369, 387 = SozR 4-5050 § 22b Nr 9 RdNr 60). Die Klägerin unterfällt aber entgegen ihrer Rechtsmeinung nicht diesem Personenkreis. Denn die mit bestandskräftig gewordenem Bescheid vom 27.7.1998 dem Grunde nach anerkannte große Witwenrente hatte die Beklagte von vornherein in gleicher Weise auf 25 EP begrenzt, wie dies später in § 22b Abs 1 Satz 1 FRG nF (rückwirkend ab 7.5.1996) ausdrücklich angeordnet worden war. Mithin ist auch der Klägerin im Sinne der Entscheidung des BVerfG "nie bestandskräftig eine Hinterbliebenenrente ohne Begrenzung auf 25 EP gewährt worden" (aaO).

32

d) Die nicht näher begründete Behauptung der Klägerin, ihr verstorbener Ehemann habe als Heimkehrer iS des (bis zum 28.12.1991 geltenden) HkG vom 19.6.1950 (BGBl I 221), durch das Erfüllen der Voraussetzungen des § 1 BVG und als sog "unechter Kriegsgefangener"(vgl § 2 Abs 2 des bis zum 31.12.1992 geltenden Kriegsgefangenenentschädigungsgesetzes vom 30.1.1954 ) - unabhängig von seiner (vermeintlichen) Vertriebeneneigenschaft - einen (zahlbaren) "Anspruch auch nach dem SGB VI" erworben gehabt, ist abwegig.

33

Insoweit sei die Klägerin darauf hingewiesen, dass sich der ihr dem Grunde nach zuerkannte Anspruch auf große Witwenrente nicht aus der allgemeinen rentenrechtlichen Regelung des § 46 Abs 2 Satz 1 SGB VI ableiten lässt, sondern allein aus ihrer FRG-Berechtigung als anerkannte Spätaussiedlerin(§ 1 Buchst a FRG; vgl auch BSG vom 5.10.2005 - B 5 RJ 57/03 R - Juris RdNr 12). Denn gemäß § 46 Abs 2 Satz 1 SGB VI besteht Anspruch auf Witwenrente nach dem Tod des versicherten Ehegatten, "wenn der versicherte Ehegatte die allgemeine Wartezeit erfüllt hat". Die Klägerin ist aber nicht Witwe eines "versicherten Ehegatten", denn ihr bereits 1991 verstorbener Ehemann hatte stets nur in der Sowjetunion gelebt und war zu keinem Zeitpunkt in der deutschen gesetzlichen Rentenversicherung versichert. Er gehörte auch nicht zu den Berechtigten iS des § 1 FRG, insbesondere nicht des § 1 Buchst a FRG in der hier maßgeblichen Fassung des Kriegsfolgenbereinigungsgesetzes (KfbG) vom 21.12.1992 (BGBl I 2094). Diese Vorschrift erfasst ausdrücklich nur Personen, die selbst als Vertriebene iS von § 1 des Bundesvertriebenengesetzes (BVFG) oder als Spätaussiedler iS von § 4 BVFG anerkannt sind und erstreckt sich demgemäß ua nicht auch auf diejenigen, die - wie J. - ihr Herkunftsland nicht verlassen haben und nicht nach Deutschland übergesiedelt sind (vgl BSG vom 5.10.2005 - B 5 RJ 57/03 R - Juris RdNr 12 mwN). Allerdings haben die Rentenversicherungsträger auch nach Inkrafttreten des KfbG (am 1.1.1993) weiterhin die Rechtsprechung des BSG beachtet, wonach als Vertriebene iS des § 1 BVFG anerkannte Personen einen (eigenständigen) Anspruch auf Hinterbliebenenrente haben mit der Folge, dass für diesen Anspruch die bis zur Vertreibung des Hinterbliebenen vom Verstorbenen zurückgelegten Beitragszeiten nach § 15 FRG und Beschäftigungszeiten nach § 16 FRG zu berücksichtigen sind, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob dessen Tod vor oder nach der Vertreibung des Hinterbliebenen eingetreten ist(BSG vom 6.12.1979 - BSGE 49, 175, 181 ff = SozR 5050 § 15 Nr 13 S 37 ff, insbesondere auch Leitsatz 1). Sie haben diese Rechtsprechung, mit der der im Rentenrecht sonst vorherrschende Grundsatz mindestens partiell verlassen wurde, dass das Hinterbliebenenrecht grundsätzlich (nur) ein von dem Versichertenrecht abgeleiteter Anspruch sein könne (BSG aaO S 183 bzw S 40), ungeachtet der Frage, inwieweit diese durch das KfbG überholt war, auch auf Personen bezogen, die - wie die Klägerin - die Republiken der ehemaligen Sowjetunion nach dem 31.12.1992 verlassen hatten und daher nach dem ab 1.1.1993 geltenden Recht nicht mehr als Vertriebene nach § 1 BVFG, sondern nur noch als Spätaussiedler nach § 4 BVFG anerkannt werden konnten(vgl BSG vom 5.10.2005 aaO ; s auch die Darstellung in KommGRV , Anhang Bd 1, Anhang 2, § 1 FRG Anm 5.2 S 52,8 ff, Einzelkommentierung Stand 1.1.1998 ).

34

Diese Verwaltungspraxis ist seit dem Inkrafttreten des § 14a FRG, eingefügt durch das Altersvermögensergänzungsgesetz (AVmEG) vom 21.3.2001 (BGBl I 403), ab 1.1.2002 überholt. Nach dieser Vorschrift werden - zur Beseitigung einer sachlich ("rechtssystematisch" und "sozialpolitisch") nicht mehr vertretbaren Privilegierung (vgl die Begründung zum Gesetzentwurf des AVmEG, BT-Drucks 14/4595 S 78 zu Art 11 Nr 1 <§ 14a FRG>) - bei Renten wegen Todes an Witwen und Witwer von Personen, die nicht zum Personenkreis des § 1 FRG gehören, Zeiten nach diesem Gesetz nicht (mehr) angerechnet; dies gilt jedoch nicht für Berechtigte (Satz 1), die vor dem 1.1.2002 ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland genommen haben und deren Ehegatte vor diesem Zeitpunkt verstorben ist (Satz 2). Daraus hat die Rechtsprechung des BSG im Umkehrschluss gefolgert, dass die vor dem 1.1.2002 übergesiedelten Berechtigten - wie die Klägerin - grundsätzlich weiterhin - der früheren Verwaltungspraxis entsprechend - "Hinterbliebenenrente nach einer fiktiven FRG-Rente des Verstorbenen" (so aaO, BT-Drucks 14/4595 S 78 zu Art 11 Nr 1 < §14a FRG>)beanspruchen können (vgl BSG vom 21.6.2005 - BSGE 95, 29 = SozR 4-5050 § 22b Nr 4, RdNr 4; BSG vom 5.10.2005 - B 5 RJ 57/03 R - Juris RdNr 12); nunmehr allerdings hinsichtlich der EP umfangmäßig begrenzt durch die Regelung in § 22b Abs 1 Satz 1 FRG nF. Für den Anspruch der Klägerin auf Witwenrente ergibt sich danach aber kein Zahlbetrag, weil die Höchstzahl der nach dem FRG anrechenbaren EP bereits durch ihre Rente wegen Erwerbsunfähigkeit ausgeschöpft ist.

35

e) Der Senat sieht keinen Anlass, wie von der Klägerin gefordert, den EuGH um eine Vorabentscheidung nach Art 267 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (ABl EU Nr C 83 vom 30.3.2010, 47) zur Klärung der Auslegung gemeinschaftsrechtlicher Vorschriften zu ersuchen. Denn eine entscheidungserhebliche Frage des Unionsrechts stellt sich vorliegend nicht. Dass es sich bei Renten, die auf Beitragszeiten nach dem FRG beruhen, um Leistungen der sozialen Sicherheit iS von Art 4 Abs 1 EWGV Nr 1408/71 handelt, die Renten deshalb vom sachlichen Geltungsbereich der VO erfasst werden und somit auch in das EU-Ausland zu zahlen sind, hat der EuGH am 18.12.2007 (C-450/05 - SozR 4-6035 Art 42 Nr 2 RdNr 109, 125, 129) bereits entschieden; einen Zahlungsanspruch auf die Witwenrente kann die Klägerin aber auch hieraus ersichtlich nicht ableiten.

36

f) Soweit die Klägerin schließlich einen Anspruch wegen "vollkommene(r) Enteignung" aus dem Diskriminierungsverbot des Art 14 EMRK iVm Art 1 des Protokolls Nr 1 (Schutz des Eigentums) zur EMRK vom 20.3.1952 (BGBl II 1956, 1880, BGBl II 2002, 1072) herleiten will (zu Rang und Reichweite der EMRK und ihrer Zusatzprotokolle innerhalb der deutschen Rechtsordnung s zuletzt ausführlich BVerfG vom 4.5.2011 - 2 BvR 2333/08 ua - Juris RdNr 86 ff mwN, wonach die EMRK und ihre Zusatzprotokolle im Rang eines Bundesgesetzes und damit unter dem GG stehen, jedoch auf der Ebene des Verfassungsrechts als Auslegungshilfen unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EGMR bei der Auslegung der Grundrechte und rechtsstaatlichen Grundsätze des GG heranzuziehen sind), steht ihr auch nach diesen Normen kein Zahlungsanspruch auf Witwenrente zu. Denn nur soweit Sozialleistungsansprüche im nationalen Recht begründet worden sind, fallen sie in den Anwendungsbereich von Art 1 des Protokolls Nr 1 zur EMRK (vgl zB EGMR vom 25.9.2007 - SozR 4-6021 Art 1 Nr 1 RdNr 126, 131 f; stRspr) und damit (auch) in den Schutzbereich von Art 14 EMRK (vgl auch Meyer-Ladewig, EMRK, 3. Aufl 2011, Zusatzprotokoll EMRK Art 1 RdNr 14 f mwN). Ein solcher Fall liegt hier aber nicht vor. Denn zum einen unterfällt nach der Rechtsprechung des BVerfG selbst der Anspruch eines ausschließlich in der deutschen Rentenversicherung Versicherten auf Versorgung seiner Hinterbliebenen nicht unter den Eigentumsschutz des Art 14 Abs 1 GG (BVerfGE 97, 271 = SozR 3-2940 § 58 Nr 1), und zum anderen hat das BVerfG in seinem Beschluss vom 21.7.2010 (aaO) - wie oben unter 3. ausgeführt - mit Gesetzeskraft entschieden, dass die rückwirkende Inkraftsetzung des § 22b Abs 1 Satz 1 FRG nF zum 7.5.1996 verfassungsgemäß war. Aus Art 1 des Protokolls Nr 1 zur EMRK ergeben sich hier aber keine Anforderungen, die weiter reichen als diejenigen, die nach dem GG an eine Rückwirkung zu stellen sind. Insoweit hat die Klägerin nie einen Anspruch auf Zahlung einer Witwenrente erworben; aber nur unter dieser Voraussetzung läge überhaupt eine "berechtigte Erwartung" auf ein - vermeintliches - Eigentumsrecht iS von Art 1 des Protokolls Nr 1 zur EMRK vor (vgl EGMR vom 25.9.2007 aaO RdNr 126).

37

6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

(1) Haben sich die Verhältnisse, die der Bemessung der Rente zugrunde gelegt waren, nachträglich so geändert, daß die auf Grund der veränderten Verhältnisse neu errechnete Rente insgesamt um mindestens 10 vom Hundert von der festgesetzten Rente abweicht, so ist die Rente neu festzusetzen.

(2) Hat der Verfolgte das 68. Lebensjahr vollendet, so ist die Rente nur dann neu festzusetzen, wenn die auf Grund der veränderten Verhältnisse errechnete Rente jeweils um mindestens 30 vom Hundert von der festgesetzten Rente abweicht.

(3) § 32 Abs. 2 bleibt unberührt.

(1) Der Erfüllung der in § 1 genannten Aufgaben dienen die nachfolgenden sozialen Rechte. Aus ihnen können Ansprüche nur insoweit geltend gemacht oder hergeleitet werden, als deren Voraussetzungen und Inhalt durch die Vorschriften der besonderen Teile dieses Gesetzbuchs im einzelnen bestimmt sind.

(2) Die nachfolgenden sozialen Rechte sind bei der Auslegung der Vorschriften dieses Gesetzbuchs und bei der Ausübung von Ermessen zu beachten; dabei ist sicherzustellen, daß die sozialen Rechte möglichst weitgehend verwirklicht werden.

(1) Das Gericht hat im Urteil zu entscheiden, ob und in welchem Umfang die Beteiligten einander Kosten zu erstatten haben. Ist ein Mahnverfahren vorausgegangen (§ 182a), entscheidet das Gericht auch, welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat. Das Gericht entscheidet auf Antrag durch Beschluß, wenn das Verfahren anders beendet wird.

(2) Kosten sind die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beteiligten.

(3) Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistands ist stets erstattungsfähig.

(4) Nicht erstattungsfähig sind die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen.