Bundesgerichtshof Urteil, 12. Feb. 2003 - X ZR 62/01
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
Der Rechtsstreit wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung , auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Beklagte beauftragte den Kläger am 15. April 1999 mit der Demontage , Verpackung und Verladung einer industriellen Papiermaschine. Die Papiermaschine befand sich auf dem Gelände der in Insolvenz geratenen J. in S. , aus deren Konkursmasse die Maschine an die K. in T. veräußert worden war. Die K. hatte die Beklagte mit der Demon-
tage, Verpackung und Verladung beauftragt. Diese übertrug die Durchführung der Arbeiten dem Kläger. Für die Organisation und Überwachung der Arbeiten schaltete die K. die P. GmbH ein.
Nach dem Vertrag sollten die Arbeiten spätestens am 25. Mai 1999 beginnen und bis zum 31. Juli 1999 abgeschlossen sein. Bei Terminverzug drohte dem Kläger eine Vertragsstrafe. Gemäß § 18 des Vertrages sollte keiner der Vertragspartner das Recht haben, den Vertrag ohne wichtigen Grund zu kündigen.
Bereits zu Beginn der Demontagearbeiten traten Verzögerungen auf, deren Ursachen streitig sind. Mit Schreiben vom 1. August 1999 zeigte der Kläger zeitlichen Rückstand an und erklärte, am 3. August 1999 acht Arbeiter und für die Folgezeit sechs Arbeiter eingeteilt zu haben. Er bat um Überprüfung des beigefügten Arbeitsplanes, nach dem die noch ausstehenden Restarbeiten innerhalb einer Woche erledigt werden sollten. Mit Schreiben vom 2. August 1999 informierte die Beklagte den Kläger darüber, daß am gleichen Tage eine Besprechung mit ihrer Auftraggeberin angesetzt sei, in der definitiv der Zeitraum für die letzten Arbeiten abgesprochen werde. Gleichzeitig forderte sie den Kläger auf, am 3. August 1999 um 8 Uhr pünktlich mit sieben Arbeitern auf der Baustelle zu erscheinen.
Bei der Besprechung am 2. August 1999 kündigte die P. GmbH namens der K. den Vertrag mit der Beklagten fristlos. Daraufhin kündigte die Beklagte mit Schreiben vom 3. August 1999 dem Kläger ebenfalls mit sofortiger Wirkung und forderte ihn auf, seine Gerätschaften schnellstens abzuziehen. Die Restarbeiten wurden anderweitig durchgeführt.
Der Kläger erstellte Schlußrechnung und forderte die Beklagte auf, über die Anzahlung von 40.000,- DM hinaus für erledigte Arbeiten und Schadensersatz wegen Verlustes von Werkzeugen weitere 64.467,70 DM bis zum 7. September 1999 zu zahlen. Diesen Betrag nebst Zinsen verlangt der Kläger mit seiner Klage. Die Beklagte hat um Klageabweisung gebeten und hilfsweise die Aufrechnung mit den durch das Tätigwerden der P. GmbH entstandenen Kosten in Höhe von 50.000,- DM erklärt sowie weiter hilfsweise ein Zurückbehaltungsrecht wegen der Inanspruchnahme auf Zahlung einer Vertragsstrafe durch die K. geltend gemacht.
Das Landgericht hat dem Kläger insgesamt 60.743,63 DM zugesprochen , und zwar eine Restvergütung aus § 649 Satz 2 BGB sowie Schadensersatz; im übrigen hat es die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht die Klage insgesamt abgewiesen. Dagegen richtet sich der Kläger mit seiner Revision. Die Beklagte bittet um Zurückweisung des Rechtsmittels.
Entscheidungsgründe:
Die Revision hat Erfolg; sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
1. Das Berufungsgericht hat angenommen, daß die Parteien am 15. April 1999 einen Werkvertrag über die Demontage, Verpackung und Verladung einer Papiermaschine geschlossen haben und daß das Vertragsverhältnis beendet ist. Einen Vergütungsanspruch des Klägers für geleistete Arbeiten hat das Berufungsgericht verneint. Dazu hat es ausgeführt: Die Beklagte sei nach § 636
Abs. 1 BGB berechtigt gewesen, wegen der verzögerten Fertigstellung der Arbeiten von dem Vertrag zurückzutreten. Der Kläger habe den auf den 31. Juli 1999 vereinbarten Fertigstellungstermin nicht eingehalten. Die Parteien hätten sich auf eine Verlängerung der Frist bis zum 14. August 1999 nicht geeinigt. Eine Fristsetzung nach § 634 Abs. 2 BGB sei angesichts der fristlosen Kündigung der Käuferin entbehrlich gewesen.
Diese Erwägungen halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.
a) Im Ansatz zutreffend hat das Berufungsgericht angenommen, daß der Vertrag der Parteien auf die Kündigung der Beklagten mit Schreiben vom 3. August 1999 tatsächlich beendet worden ist. Das Berufungsgericht hat allerdings die Erklärung der Beklagten in diesem Schreiben nicht ausgelegt, sondern ohne Feststellungen unterstellt, die Beklagte sei gemäß § 636 Abs. 1 BGB wegen verspäteter Fertigstellung der Arbeiten vom Vertrag zurückgetreten, habe also den Vertrag von Anfang an annullieren wollen, und der Kläger habe dies so verstehen müssen.
Dieser Deutung der Erklärung steht bereits der Wortlaut des Schreibens entgegen, in dem eine "fristlose Kündigung" ausgesprochen wird. Zwar kann nach der Rechtsprechung des Senats aus einer bestimmten Wortwahl nicht ohne weiteres geschlossen werden, daß der Erklärende eine für ihn möglicherweise ungünstige Rechtsfolge abschließend habe wählen wollen (Sen. Urt. v. 20. März 2001 - X ZR 180/98, NJW 2001, 2024, 2025). Der in sich eindeutige Wortlaut des Schreibens, der Vertrag werde "mit sofortiger Wirkung" gekündigt, spricht aber dafür, daß unter Aufrechterhaltung des Vertrages für die Vergangenheit eine fristlose Kündigung, und damit eine endgültige sofortige Beendi-
gung des Vertrages gewollt war. Anders als die Revisionserwiderung meint, steht diesem Verständnis nicht entgegen, daß die Beklagte in ihrem Schreiben vom 2. August 1999 den Kläger aufgefordert hat, am 3. August 1999 um 8 Uhr mit mindestens sieben Mitarbeitern auf der Baustelle zu erscheinen. Denn der Grund zur fristlosen Kündigung hat sich erst bei der Besprechung der Beklagten mit ihrer Auftraggeberin am 3. August 1999 ergeben. Auch die nachvertraglichen Auseinandersetzungen der Parteien legen das Verständnis als außerordentlicher Kündigung nahe; die Parteien haben lediglich über deren Berechtigung gestritten.
b) Das Berufungsgericht hat auch nicht festgestellt, ob seiner Deutung des Schreibens vom 3. August 1999 die vertragliche Regelung in § 18 des Vertrages entgegensteht. Danach sollte keine der beiden Vertragspartner das Recht haben, den Vertrag ohne wichtigen Grund zu kündigen. Mit dieser vertraglichen Regelung könnten die Parteien nicht nur ein freies Kündigungsrecht des Bestellers nach § 649 Satz 1 BGB ausgeschlossen haben, sondern auch ein gesetzliches Rücktrittsrecht.
2. Da das Berufungsgericht zur Auslegung des Schreibens vom 3. August 1999 keine Feststellungen getroffen hat, konnte das angefochtene Urteil bereits aus diesem Grunde keinen Bestand haben.
a) Bei der erneuten Befassung mit der Sache wird das Berufungsgericht zunächst unter Berücksichtigung der Regelung in § 18 des Vertrages festzustellen haben, ob das Schreiben der Beklagten vom 3. August 1999 als Rücktritts - oder Kündigungserklärung auszulegen ist. Sollte das Berufungsgericht zu dem Ergebnis gelangen, daß die Beklagte eine außerordentliche Kündigung erklärt hat, so wird es anhand des Vorbringens der Parteien zu klären haben,
ob die Kündigung mit sofortiger Wirkung aus wichtigem Grund möglich und gerechtfertigt war. Dabei wird zu berücksichtigen sein, daß nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ein wichtiger Grund zur Kündigung gegeben sein kann, wenn Vertragsverletzungen des Unternehmers von solchem Gewicht vorliegen, daß eine Fortsetzung des Vertrages für den Besteller unzumutbar ist (BGH, Urt. v. 23. Mai 1996 - VII ZR 140/95, BauR 1996, 704). Ein wichtiger Grund kann bestehen, wenn feststeht, daß der Unternehmer eine Vertragsfrist aus von ihm zu vertretenden Gründen nicht eingehalten hat und wenn diese Vertragsverletzung von so erheblichem Gewicht ist, daß eine Fortsetzung des Vertrages mit dem Unternehmer nicht zumutbar ist (vgl. BGH, Urt. v. 4. Mai 2000 - VII ZR 53/99, NJW 2000, 2988; BGH, Urt. v. 11. September 2002 - VII ZR 344/01, NJW-RR 2003, 13).
b) Sollte die Beklagte hat kündigen können, wird hinsichtlich der Höhe der vom Kläger verlangten Restvergütung für bereits erbrachte Leistungen folgendes zu berücksichtigen sein:
Für die Kündigung des Bestellers aus wichtigem Grund gilt § 649 Satz 2 BGB nicht, so daß in einem solchen Fall der Unternehmer eine Vergütung für noch nicht erbrachte Leistungen nicht verlangen kann (BGHZ 31, 224, 229; BGHZ 45, 372, 375; Sen. Urt. v. 25. März 1993 - X ZR 17/92, WM 1993, 1474). Wie allgemein beschränkt sich die Wirkung einer solchen Kündigung auch hier auf die Zukunft. Dem Unternehmer bleibt daher grundsätzlich der Anspruch auf Vergütung für die bisher erbrachten Leistungen erhalten (BGH, Urt. v. 10. Mai 1990 - VII ZR 45/89, NJW-RR 1990, 1109), deren Umfang er auf der Grundlage des Werkvertrages berechnen kann.
Auf dieser Grundlage wird das Berufungsgericht erneut der Frage nach- gehen müssen, in welcher Höhe der Restvergütungsanspruch für geleistete Arbeiten gerechtfertigt ist. Sollte ein Restvergütungsanspruch bestehen, dessen Höhe das Berufungsgericht auch gemäß § 287 ZPO durch Schätzung feststellen kann, wird es sodann die Gegenforderung, mit der die Beklagte hilfsweise die Aufrechnung erklärt hat, sowie das geltend gemachte Zurückbehaltungsrecht prüfen müssen. Dabei wird zu beachten sein, daß in Fällen schuldhafter Fristversäumung durch den Unternehmer eine positive Vertragsverletzung vorliegen kann, die nach allgemeinen Grundsätzen Schadenersatzansprüche begründet.
3. Das Berufungsgericht hat einen Schadensersatzanspruch des Klägers in Höhe von 841,23 DM wegen der abhanden gekommen Gerätschaften verneint. Es hat dahin stehen lassen, ob die Unmöglichkeit der Herausgabe der Seile und der Abziehvorrichtung durch mangelnde Sicherheitsvorrichtungen der Beklagten fahrlässig verschuldet wurde. Jedenfalls überwiege das Mitverschulden des Klägers an dem Verlust, weil die Beklagte ihn mit Kündigungsschreiben vom 3. August 1999 aufgefordert habe, seine Geräte schnellstens abzuziehen.
Auch dies greift die Revision mit Erfolg an. Nach dem im Revisionsverfahren zu unterstellenden Sachverhalt, ist zugunsten des Klägers davon auszugehen , daß die Beklagte durch mangelnde Sicherheitsvorkehrungen die Unmöglichkeit der Herausgabe verursacht und fahrlässig verschuldet hat. Verfahrensfehlerhaft hat das Berufungsgericht aber ein überwiegendes Verschulden des Klägers an dem Verlust festgestellt. Es hat bei seiner, an sich ihm allein obliegenden tatrichterlichen Würdigung den unter Beweis gestellten Vortrag des Klägers nicht berücksichtigt, er sei der Aufforderung im Kündigungsschreiben nachgekommen. Am 5. August 1999 hätten die Zeugen H. und P. W.
auf der Baustelle versucht, die Seile und die Abziehvorrichtung abzuholen; die- se seien nicht mehr vorhanden gewesen; ihnen sei erklärt worden, die Gegenstände würden nicht herausgegeben. Auch diesem Vorbringen wird das Berufungsgericht nachzugehen haben.
Melullis Jestaedt Scharen
Mühlens Meier-Beck
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Annotations
(1) Ist dem Vertrag ein Kostenanschlag zugrunde gelegt worden, ohne dass der Unternehmer die Gewähr für die Richtigkeit des Anschlags übernommen hat, und ergibt sich, dass das Werk nicht ohne eine wesentliche Überschreitung des Anschlags ausführbar ist, so steht dem Unternehmer, wenn der Besteller den Vertrag aus diesem Grund kündigt, nur der im § 645 Abs. 1 bestimmte Anspruch zu.
(2) Ist eine solche Überschreitung des Anschlags zu erwarten, so hat der Unternehmer dem Besteller unverzüglich Anzeige zu machen.
Ist das Werk mangelhaft, kann der Besteller, wenn die Voraussetzungen der folgenden Vorschriften vorliegen und soweit nicht ein anderes bestimmt ist,
- 1.
nach § 635 Nacherfüllung verlangen, - 2.
nach § 637 den Mangel selbst beseitigen und Ersatz der erforderlichen Aufwendungen verlangen, - 3.
nach den §§ 636, 323 und 326 Abs. 5 von dem Vertrag zurücktreten oder nach § 638 die Vergütung mindern und - 4.
nach den §§ 636, 280, 281, 283 und 311a Schadensersatz oder nach § 284 Ersatz vergeblicher Aufwendungen verlangen.
Außer in den Fällen der § 281 Abs. 2 und 323 Abs. 2 bedarf es der Fristsetzung auch dann nicht, wenn der Unternehmer die Nacherfüllung gemäß § 635 Abs. 3 verweigert oder wenn die Nacherfüllung fehlgeschlagen oder dem Besteller unzumutbar ist.
(1) Ist dem Vertrag ein Kostenanschlag zugrunde gelegt worden, ohne dass der Unternehmer die Gewähr für die Richtigkeit des Anschlags übernommen hat, und ergibt sich, dass das Werk nicht ohne eine wesentliche Überschreitung des Anschlags ausführbar ist, so steht dem Unternehmer, wenn der Besteller den Vertrag aus diesem Grund kündigt, nur der im § 645 Abs. 1 bestimmte Anspruch zu.
(2) Ist eine solche Überschreitung des Anschlags zu erwarten, so hat der Unternehmer dem Besteller unverzüglich Anzeige zu machen.
(1) Ist unter den Parteien streitig, ob ein Schaden entstanden sei und wie hoch sich der Schaden oder ein zu ersetzendes Interesse belaufe, so entscheidet hierüber das Gericht unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung. Ob und inwieweit eine beantragte Beweisaufnahme oder von Amts wegen die Begutachtung durch Sachverständige anzuordnen sei, bleibt dem Ermessen des Gerichts überlassen. Das Gericht kann den Beweisführer über den Schaden oder das Interesse vernehmen; die Vorschriften des § 452 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 bis 4 gelten entsprechend.
(2) Die Vorschriften des Absatzes 1 Satz 1, 2 sind bei vermögensrechtlichen Streitigkeiten auch in anderen Fällen entsprechend anzuwenden, soweit unter den Parteien die Höhe einer Forderung streitig ist und die vollständige Aufklärung aller hierfür maßgebenden Umstände mit Schwierigkeiten verbunden ist, die zu der Bedeutung des streitigen Teiles der Forderung in keinem Verhältnis stehen.