Bundesgerichtshof Urteil, 17. März 2004 - 5 StR 314/03
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
– Von Rechts wegen – G r ü n d e
I.
Das Landgericht hat den Angeklagten von dem Vorwurf der Anstif- tung zur Insolvenzverschleppung in zwei Fällen freigesprochen. Die Revision der Staatsanwaltschaft hat mit der Sachrüge Erfolg.
1. Mit der Anklageschrift vom 11. Juni 2002 wird dem Angeklagten zur Last gelegt, jeweils die bestellten Geschäftsführer der B C GmbH, deren alleiniger Gesellschafter der Angeklagte war und deren Geschäfte faktisch vom anderweitig verfolgten B geführt wurden , an der Stellung von Insolvenzanträgen durch Weisung gehindert zu haben.
a) Hiernach soll der Angeklagte dem bestellten Geschäftsführer S im Anschluß an eine Gesellschafterversammlung vom 18. Janu-
ar 2000 untersagt haben, einen von S für erforderlich gehaltenen Insolvenzantrag zu stellen, obwohl S und der Angeklagte von der Insolvenzreife der Gesellschaft wußten. Stattdessen habe der Angeklagte den Geschäftsführer S auf dessen Wunsch hin von den Pflichten eines Geschäftsführers entbunden.
b) Nachdem zwei Krankenkassen am 11. Juli und 21. August 2000 Insolvenzanträge für die Gesellschaft gestellt hatten, soll der Angeklagte ferner – in Kenntnis der weiterbestehenden Insolvenzreife der Gesellschaft – die nunmehrige Geschäftsführerin K angewiesen haben, Zahlungen an die antragstellenden Krankenkassen zu leisten, damit diese – wie tatsächlich geschehen – ihre Insolvenzanträge zurücknehmen würden.
2. Das Landgericht hat derartige Weisungen des Angeklagten nicht feststellen können.
a) Nach den Feststellungen hat der Angeklagte in Fall 1 allerdings dem bestellten Alleingeschäftsführer der GmbH S gekündigt, obwohl dieser und der Angeklagte wußten, daß die Gesellschaft zu diesem Zeitpunkt bereits insolvent war.
b) Zu Fall 2 hat der Tatrichter festgestellt, daß der Angeklagte die Zahlungen an die Krankenkassen selbst vorgenommen hat und insoweit keine Anweisung an die Geschäftsführerin K erging. Diese hatte vielmehr selbst im Juli 2000 einen Insolvenzantrag für die Gesellschaft gestellt, den sie später auf Anweisung des B zurücknahm.
3. Gegen diese Feststellungen wendet sich die Staatsanwaltschaft nicht; sie rügt – ungeachtet des unbeschränkten Aufhebungsantrages – lediglich , daß das Landgericht die angeklagten Taten, so wie sich diese nach dem Ergebnis der Hauptverhandlung darstellten, nicht unter allen tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkten erschöpfend gewürdigt habe.
II.
Das dadurch schlüssig beschränkte Rechtsmittel (vgl. BGHR StPO § 344 Abs. 1 Antrag 3), das vom Generalbundesanwalt vertreten wird, hat mit der auf die Verletzung des § 264 StPO abhebenden Sachrüge Erfolg. Das Landgericht hat seiner umfassenden Kognitionspflicht nicht genügt.
1. Das Sachurteil muß den durch die zugelassene Anklage abgegrenzten Prozeßstoff erschöpfen (st. Rspr., vgl. nur BGH NStZ 1997, 127 m.w.N.). Die Tat als Gegenstand der Urteilsfindung ist der geschichtliche Vorgang, auf den Anklage und Eröffnungsbeschluß hinweisen und innerhalb dessen der Angeklagte einen Straftatbestand verwirklicht haben soll (BGHR StPO § 264 Abs. 1 Tatidentität 4 m.w.N.). Hierbei handelt es sich um einen eigenständigen Begriff; er ist weiter als derjenige der Handlung im sachlichen Recht (BGHSt 29, 288, 292 m.w.N.). Zur Tat im prozessualen Sinne gehört – unabhängig davon, ob Tateinheit oder Tatmehrheit vorliegt – das gesamte Verhalten des Täters, soweit es nach der Auffassung des Lebens einen einheitlichen Vorgang darstellt (BGHSt 32, 215, 216 m.w.N.). Somit umfaßt der Lebensvorgang, aus dem die zugelassene Anklage einen strafrechtlichen Vorwurf herleitet, alle damit zusammenhängenden und darauf bezüglichen Vorkommnisse, auch wenn diese in der Anklageschrift nicht ausdrücklich erwähnt sind (BGH aaO). Dabei kommt es auf die Umstände des Einzelfalls an. Entscheidend ist, ob zwischen den in Betracht kommenden Verhaltensweisen – unter Berücksichtigung ihrer strafrechtlichen Bedeutung – ein enger sachlicher Zusammenhang besteht (BGH aaO S. 217).
2. Bei Anwendung dieser Grundsätze ist – wie der Generalbundesanwalt zutreffend ausführt – der enge sachliche Zusammenhang für alle drei denkbaren Tatvarianten in Fall 1 gegeben.
a) Das Landgericht hat die Möglichkeit einer täterschaftlichen Insolvenzverschleppung (§ 84 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG) nicht in den Blick genom-
men. Dafür hätte aber Anlaß bestanden, weil zum Zeitpunkt der Abberufung des S kein weiterer Geschäftsführer vorhanden war und der Angeklagte einen neuen Geschäftsführer nicht bestellt hat. In diesem Falle hätte der Angeklagte sich wegen unterlassener Antragstellung strafbar machen können, sofern er sich für die GmbH als faktischer Geschäftsführer (vgl. Schaal in Rowedder/Schmidt-Leithoff, GmbHG 4. Aufl., § 84 Rdn. 10 f. m.w.N.) betätigt hat.
b) Alternativ hätte das Landgericht eine Beihilfe des Angeklagten zu einer möglichen Insolvenzverschleppung des faktischen Geschäftsführers B (§ 84 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG, § 27 Abs. 1 StGB) erwägen müssen. Eine solche könnte darin liegen, daß nach den Feststellungen des Landgerichts der Angeklagte als Alleingesellschafter die Abberufung des bestellten Alleingeschäftsführers S unterzeichnete, die der faktische Geschäftsführer B dem S aushändigte, damit S einen von ihm beabsichtigten Insolvenzantrag nicht mehr stellen könne.
c) Schließlich hätte das Landgericht prüfen müssen, ob eine Strafbarkeit des Angeklagten wegen einer Beihilfe zur Insolvenzverschleppung des bestellten Geschäftsführers S (§ 84 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG, § 27 Abs. 1 StGB) in Betracht kommt. Eine solche ist nicht auszuschließen, weil sich der abberufene Geschäftsführer – ungeachtet einer möglichen zivilrechtlichen Wirksamkeit seiner Abberufung – gleichwohl bereits nach § 84 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG strafbar gemacht haben könnte, weil die Frist zur Antragstellung gemäß § 64 Abs. 1 GmbHG bereits abgelaufen war (vgl. Schaal aaO, Rdn. 46 ff., 58, 61; Tiedemann in Scholz, Kommentar zum GmbH-Gesetz 9. Aufl. § 84 Rdn. 36 ff.).
3. Im Hinblick auf Fall 2 hätte das Landgericht erwägen müssen, ob in der Bezahlung der offenen Krankenkassenbeiträge mit dem Ziel, die Krankenkassen zur Rücknahme ihrer Insolvenzanträge zu bewegen, eine Beihilfe des Angeklagten zur Insolvenzverschleppung des faktischen Geschäftsfüh-
rers B liegen könnte (vgl. zum Verhältnis zwischen § 266a StGB und § 84 Abs. 1 GmbHG; BGH NJW 2003, 3787 ff.). Die Insolvenzanträge der Krankenkassen und der bestellten Geschäftsführerin K sind gleichzeitig beim Amtsgericht Dresden anhängig gewesen. Eine Rücknahme der einzelnen Insolvenzanträge hätte gegebenenfalls nur dann Sinn machen können , wenn jeder der angebrachten Anträge zurückgenommen worden wäre. Wenn der Angeklagte in Kenntnis des bestehenden Antrages der Geschäftsführerin K und der Weisung des B im Hinblick auf die Rücknahme dieses Antrages dafür sorgte, daß die Krankenkassen befriedigt wurden, könnte hierin eine Unterstützung des B , der ein Insolvenzverfahren verhindern wollte, liegen. Auch diese Tatvariante wäre von der Kognitionspflicht des Tatrichters umfaßt.
4. Die für eine abschließende Überprüfung notwendigen Feststellungen lassen sich zu keiner der – streng alternativ – in Betracht kommenden Varianten dem landgerichtlichen Urteil entnehmen. Die Sache bedarf daher insgesamt erneuter Verhandlung, wobei der neue Tatrichter den gegen den Angeklagten erhobenen Schuldvorwurf in eigener tatrichterlicher Verantwortung in vollem Umfange erneut zu prüfen und zu entscheiden haben wird. Harms Häger Gerhardt Brause Schaal
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Annotations
(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen.
(2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer Rechtsnorm über das Verfahren oder wegen Verletzung einer anderen Rechtsnorm angefochten wird. Ersterenfalls müssen die den Mangel enthaltenden Tatsachen angegeben werden.
(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer es als Geschäftsführer unterläßt, den Gesellschaftern einen Verlust in Höhe der Hälfte des Stammkapitals anzuzeigen.
(2) Handelt der Täter fahrlässig, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe.
(1) Als Gehilfe wird bestraft, wer vorsätzlich einem anderen zu dessen vorsätzlich begangener rechtswidriger Tat Hilfe geleistet hat.
(2) Die Strafe für den Gehilfen richtet sich nach der Strafdrohung für den Täter. Sie ist nach § 49 Abs. 1 zu mildern.
(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer es als Geschäftsführer unterläßt, den Gesellschaftern einen Verlust in Höhe der Hälfte des Stammkapitals anzuzeigen.
(2) Handelt der Täter fahrlässig, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe.
(1) Als Gehilfe wird bestraft, wer vorsätzlich einem anderen zu dessen vorsätzlich begangener rechtswidriger Tat Hilfe geleistet hat.
(2) Die Strafe für den Gehilfen richtet sich nach der Strafdrohung für den Täter. Sie ist nach § 49 Abs. 1 zu mildern.
(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer es als Geschäftsführer unterläßt, den Gesellschaftern einen Verlust in Höhe der Hälfte des Stammkapitals anzuzeigen.
(2) Handelt der Täter fahrlässig, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe.
(1) Wer als Arbeitgeber der Einzugsstelle Beiträge des Arbeitnehmers zur Sozialversicherung einschließlich der Arbeitsförderung, unabhängig davon, ob Arbeitsentgelt gezahlt wird, vorenthält, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Ebenso wird bestraft, wer als Arbeitgeber
- 1.
der für den Einzug der Beiträge zuständigen Stelle über sozialversicherungsrechtlich erhebliche Tatsachen unrichtige oder unvollständige Angaben macht oder - 2.
die für den Einzug der Beiträge zuständige Stelle pflichtwidrig über sozialversicherungsrechtlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis lässt
(3) Wer als Arbeitgeber sonst Teile des Arbeitsentgelts, die er für den Arbeitnehmer an einen anderen zu zahlen hat, dem Arbeitnehmer einbehält, sie jedoch an den anderen nicht zahlt und es unterlässt, den Arbeitnehmer spätestens im Zeitpunkt der Fälligkeit oder unverzüglich danach über das Unterlassen der Zahlung an den anderen zu unterrichten, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Satz 1 gilt nicht für Teile des Arbeitsentgelts, die als Lohnsteuer einbehalten werden.
(4) In besonders schweren Fällen der Absätze 1 und 2 ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter
- 1.
aus grobem Eigennutz in großem Ausmaß Beiträge vorenthält, - 2.
unter Verwendung nachgemachter oder verfälschter Belege fortgesetzt Beiträge vorenthält, - 3.
fortgesetzt Beiträge vorenthält und sich zur Verschleierung der tatsächlichen Beschäftigungsverhältnisse unrichtige, nachgemachte oder verfälschte Belege von einem Dritten verschafft, der diese gewerbsmäßig anbietet, - 4.
als Mitglied einer Bande handelt, die sich zum fortgesetzten Vorenthalten von Beiträgen zusammengeschlossen hat und die zur Verschleierung der tatsächlichen Beschäftigungsverhältnisse unrichtige, nachgemachte oder verfälschte Belege vorhält, oder - 5.
die Mithilfe eines Amtsträgers ausnutzt, der seine Befugnisse oder seine Stellung missbraucht.
(5) Dem Arbeitgeber stehen der Auftraggeber eines Heimarbeiters, Hausgewerbetreibenden oder einer Person, die im Sinne des Heimarbeitsgesetzes diesen gleichgestellt ist, sowie der Zwischenmeister gleich.
(6) In den Fällen der Absätze 1 und 2 kann das Gericht von einer Bestrafung nach dieser Vorschrift absehen, wenn der Arbeitgeber spätestens im Zeitpunkt der Fälligkeit oder unverzüglich danach der Einzugsstelle schriftlich
Liegen die Voraussetzungen des Satzes 1 vor und werden die Beiträge dann nachträglich innerhalb der von der Einzugsstelle bestimmten angemessenen Frist entrichtet, wird der Täter insoweit nicht bestraft. In den Fällen des Absatzes 3 gelten die Sätze 1 und 2 entsprechend.(1) Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer es als Geschäftsführer unterläßt, den Gesellschaftern einen Verlust in Höhe der Hälfte des Stammkapitals anzuzeigen.
(2) Handelt der Täter fahrlässig, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe.