Bundesgerichtshof Urteil, 29. Nov. 2017 - 2 StR 460/16

ECLI:ECLI:DE:BGH:2017:291117U2STR460.16.0
29.11.2017

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 460/16
vom
29. November 2017
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u.a.
ECLI:DE:BGH:2017:291117U2STR460.16.0

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 29. November 2017, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof Dr. Appl als Vorsitzender, Richter am Bundesgerichtshof Zeng, Richterin am Bundesgerichtshof Wimmer, die Richter am Bundesgerichtshof Dr. Grube, Schmidt, Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof in der Verhandlung, Staatsanwalt beim Bundesgerichtshof bei der Verkündung, als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt , Rechtsanwalt als Verteidiger, Amtsinspektorin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Darmstadt vom 16. Juni 2016 wird mit der Maßgabe als unbegründet verworfen, dass der Angeklagte wegen Vergewaltigung in zwei Fällen und wegen Nötigung, jeweils in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung, zu einer Einheitsjugendstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt ist. Es wird davon abgesehen, dem Beschwerdeführer die Kosten und Auslagen des Revisionsverfahrens aufzuerlegen; jedoch hat er seine eigenen und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in zwei Fällen und wegen Nötigung, jeweils in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung zu einer „Jugendstrafe“ von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Seine Revision, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt, bleibt ohne Erfolg. Lediglich die offensichtlich versehentliche Falschbezeichnung der Sanktion im Tenor war zu berichtigen.
2
I. Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen.
3
1. Der Angeklagte war seit Jahren bei Freunden und Bekannten dafür bekannt, dass er bei jeder Gelegenheit wahllos und in aufdringlicher Weise Mädchen „anmachte“ und mit seinen teilweise auch erfundenen Bekanntschaften prahlte. In sozialen Netzwerken rühmte er sich einer außergewöhnlich ho- hen „Erfolgsquote“ bei Frauen.
4
a) Im Oktober 2013 nahm der Angeklagte an einer Klassenfahrt in die Türkei teil. Am ersten Abend kehrte die Reisegruppe nach einem Innenstadtbesuch in ihr Hotel zurück. Trotz Alkoholverbots fanden sich einige Schüler auf dem von ihnen bewohnten Hotelstockwerk zum gemeinsamen Konsum von alkoholischen Getränken zusammen. Im Laufe der Nacht suchte F. , eine Mitschülerin des Angeklagten, einen Freund und betrat das Zimmer des Angeklagten. Diese Gelegenheit nutzte der stark alkoholisierte und dadurch in seiner Steuerungsfähigkeit erheblich eingeschränkte Angeklagte aus, um seine sexuellen Bedürfnisse – auch gegen ihren Willen – durchzusetzen , indem er die sich wehrende F. an den Oberarmen festhielt, sie gegen die Wand des Zimmers drückte und auf den Mund küsste. Als ein Mitschüler das Zimmer betrat, ließ der Angeklagte von F. ab und verließ den Raum. Aufgrund dieses Vorfalls wurde der Angeklagte vorzeitig nach Hause geschickt und wechselte, nachdem die Schulleitung ihm dies nahegelegt hatte, freiwillig die Schule.
5
b) Am 24. Juli 2015 begegnete der Angeklagte bei einem Volksfestbesuch in E. der Geschädigten A. , mit der er 2013 und 2014 bei mindestens zwei Gelegenheiten sexuellen Kontakt gehabt hatte. Zum Zeitpunkt der Begegnung wollte die Geschädigte in Begleitung einer Freundin das Fest gerade verlassen. Der Angeklagte erkannte, dass die Geschädigte stark angetrunken war. Da er eine günstige Gelegenheit für sexuelle Handlungen mit ihr sah, sprach er sie direkt auf ihre früheren gemeinsamen Sexualkontakte an und drängte sie, mit ihm zusammen zu „verschwinden“, um ungestört zu sein. A. brachte mehrfach zum Ausdruck, dass sie dies nicht wolle; ihre Begleiterin forderte den Angeklagten auf, A. in Ruhe zu lassen. Der Angeklagte wollte seine sexuellen Wünsche jedoch unbedingt durchsetzen, folgte den Mädchen und ließ sich nicht abwimmeln. Auf ihrem Weg über das Festgelände trafen die beiden Frauen an einem Bierstand alte Bekannte und entschlossen sich, noch einige Zeit dort zu bleiben. Als die Freundin der Geschädigten kurz abwesend war, begann der Angeklagte A. intensiv zu küssen, wobei er ihr fordernd und aggressiv seine Zunge in den Mund schob. Er erkannte, dass die Geschädigte aufgrund ihrer Alkoholisierung völlig wehrlos war; er zog sie von den anderen Gästen Weg, um weitergehende sexuelle Handlungen – auch gegen ihren Willen – durchzusetzen. Er zerrte die stark torkelnde Geschädigte zwischen zwei bereits geschlossene Verkaufsstände und begann erneut, sie zu küssen und anzufassen. Die Geschädigte schob den Angeklagten von sich und gab ihm zu verstehen, dass sie nicht wolle. Dennoch packte er sie an den Armen oder Schultern und zwang sie auf die Knie. Um ihre starke Gegenwehr zu unterbinden, schlug er ihren Kopf mehrere Male seitlich auf ein am Boden liegendes Metallgitter und drückte die Geschädigte zu Boden. Er öffnete seine Hose und führte mehrfach auf grobe Art und Weise seinen erigierten Penis tief in den Mund der Geschädigten ein, um so den Oralverkehr zu erzwingen. Als eine unbekannte Person, die auf das Geschehen aufmerksam geworden war, etwas in Richtung des Angeklagten rief, ließ dieser von A. ab und entfernte sich.
6
c) Am 7. November 2015 besuchte der Angeklagte mit der Geschädigten W. eine Diskothek in R. . Die Geschädigte war seit mehreren Jahren mit dem Angeklagten befreundet, eine Liebesbeziehung hatte zu keinem Zeitpunkt bestanden. Nach einem mehrstündigen Aufenthalt in der Diskothek bat die Geschädigte den Angeklagten, sie nach Hause zu bringen.
Der Angeklagte wollte diese Situation ausnutzen, um mit der Geschädigten sexuelle Handlungen durchzuführen und brachte sie zu seinem Fahrzeug. Statt die Geschädigte nach Hause zu bringen, fuhr er den Wagen in einen unbeleuchteten Abschnitt eines Feldwegs und versuchte die Geschädigte zu küssen. Auf ihre Äußerung hin, sie wolle dies nicht, ließ er zunächst von ihr ab. Als die Geschädigte sich auf die Rückbank des Pkw begab, um ihre Tasche zu holen, entschloss sich der Angeklagte, seine sexuellen Wünsche auch mit Gewalt durchzusetzen. Er folgte der Geschädigten in den Fond des Wagens und begann sie gegen ihren Willen zu küssen. Versuche der Geschädigten, den Wagen zu verlassen, scheiterten. Der Angeklagte hielt die Geschädigte fest, zog und riss an ihren Haaren und fasste sie an der Brust und zwischen den Beinen an, um sich sexuelle Befriedigung zu verschaffen. Obwohl die Geschädigte Gegenwehr leistete und bettelte aufzuhören, ließ der Angeklagte nicht von ihr ab. Er öffnete seine Hose und verlangte, „ihm einen zu blasen“. Aus Angst vor weiterer Gewalt und in der Hoffnung auf ein Ende der Übergriffe kam die Geschädigte der Forderung des Angeklagten kurz nach. Als sie sich dann erneut wehrte, drückte der Angeklagte sein Knie in ihren Bauch und fixierte ihre Arme. Er zog Hose und Unterhose der Geschädigten gegen deren Willen nach unten und führte mehrere Finger tief in ihre Scheide ein, was ihr erhebliche Schmerzen verursachte. Als die Geschädigte den Angeklagten anflehte aufzu- hören, äußerte dieser, sie solle „ihr Maul halten“, sonst würde er sie „ficken“. Da er aufgrund des Widerstands der Geschädigten nicht die gewünschte sexuelle Befriedigung bekommen hatte, ließ der Angeklagte von der Geschädigten ab und begann sich selbst zu befriedigen. In dieser Situation konnte sich die Geschädigte aus dem Fahrzeug befreien und flüchten.
7
2. Das Landgericht hat die Taten als Nötigung und Vergewaltigung in zwei Fällen, jeweils in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung gewürdigt. Es hat festgestellt, dass der zu den Tatzeiten 19, 20 Jahre und neun Monate sowie 21 Jahre alte Angeklagte nach seiner geistigen und sittlichen Entwicklung noch einem Jugendlichen gleichstehe, und hat deshalb Jugendstrafrecht zur Anwendung gebracht. Ausgehend vom Vorliegen schädlicher Neigungen und schwerer Schuld hat das Landgericht eine „Jugendstrafe“ von vier Jahren und sechs Monaten verhängt. Bei der Bemessung der Höhe der Jugendstrafe hat das Landgericht zu Lasten des Angeklagten u.a. gewürdigt, dass bei ihm „neben dem Bedürfnis eines gerechten Schuldausgleichs gerade auch aus dem vorrangigen Erziehungsgedanken eine längerfristige Jugendstrafe erforderlich“ sei.
8
II. Die Revision ist unbegründet.
9
1. Die Verfahrensrüge bleibt aus den Gründen der Zuschrift des Generalbundesanwalts ohne Erfolg.
10
2. Die auf die Sachrüge gebotene umfassende Überprüfung des Urteils zum Schuldspruch hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
11
3. Auch der Strafausspruch hält rechtlicher Nachprüfung stand.
12
a) Die Entscheidung des Landgerichts, gemäß § 32 JGG einheitlich Jugendstrafrecht anzuwenden, ist frei von Rechtsfehlern.
13
aa) Nach § 32 JGG gilt für mehrere Straftaten, die gleichzeitig abgeurteilt werden und auf die teils Jugendstrafrecht und teils allgemeines Strafrecht anzuwenden wäre, einheitlich das Jugendstrafrecht, wenn das Schwergewicht bei den Straftaten liegt, die nach Jugendstrafrecht zu beurteilen wären; ist dies nicht der Fall, so ist einheitlich das allgemeine Strafrecht anzuwenden. Diese Regelungen gelten gemäß § 105 Abs. 1 JGG auch im Verfahren gegen Heranwachsende. Da für die Eigenschaft als Heranwachsender (§ 1 Abs. 2 JGG) al- lein der Zeitpunkt der Tatbegehung entscheidend ist (BeckOK-JGG/Schlehofer, 7. Edition, § 105 Rn. 2), war der Angeklagte bei zwei der drei Taten Heranwachsender ; bei der letzten Tat war er Erwachsener. Das Landgericht hat daher zu Recht geprüft, bei welchen Teilakten das Schwergewicht liegt. Diese Beurteilung ist im wesentlichen Tatfrage, die der Tatrichter nach seinem pflichtgemäßen Ermessen zu entscheiden hat und daher der Nachprüfung des Revisionsgerichts grundsätzlich entzogen (BGH, Urteil vom 22. Juni 1988 – 3 StR 93/88, BGHR JGG § 32 Schwergewicht 1; Senat, Urteil vom 29. Juli 1992 – 2 StR20/92, BGHR JGG § 32 Schwergewicht 3; Eisenberg, JGG, 19. Aufl., § 32 Rn. 21). Maßgeblich für die Bestimmung des Schwergewichts ist insbesondere , ob sich die späteren Straftaten als in den früheren bereits angelegt darstellen, ob sie bei Betrachtung der Persönlichkeitsentwicklung ihren Ur- sprung im Jugendalter haben bzw. wo die „Tatwurzeln“ liegen (BGH, Urteil vom 24. März 1954 – 6 StR 84/54, BGHSt 6, 6, 7; Urteil vom 27. Juni 1989 – 1 StR 266/89, BeckRS 1989, 01495; Senat, Beschluss vom 15. Juni 1994 – 2 StR 229/94, BGH bei Böhm NStZ 1995, 535, 537; Eisenberg aaO § 32 Rn. 12; Ostendorf, NK-JGG, 10. Aufl. § 32 Rn. 12).
14
bb) Bei seiner Wertung des Schwergewichts hat das Landgericht in nicht zu beanstandender Weise darauf abgestellt, dass die im Erwachsenenalter begangene Straftat des Angeklagten ohne Zäsur in seinen im Jugend- und Heranwachsendenalter entwickelten Neigungen wurzelte und Ausdruck einer bereits im jugendlichen Alter entwickelten fehlerhaften und eigensüchtigen Einstellung zur Sexualität und zum Umgang mit Frauen darstelle.
15
b) Entgegen der Ansicht des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers begegnet weder die Verhängung einer Einheitsjugendstrafe noch die Festsetzung der konkreten Strafhöhe rechtlichen Bedenken.
16
aa) Die Entscheidung des Landgerichts, gegen den Angeklagten eine Jugendstrafe zu verhängen, ist nicht zu beanstanden. Das Landgericht ist unter Zugrundelegung des jeweils zutreffenden Maßstabs und mit tragfähiger Begründung davon ausgegangen, dass beim Angeklagten im Sinne des § 17 Abs. 2 JGG schädliche Neigungen vorliegen und Schwere der Schuld gegeben ist.
17
bb) Dass das Landgericht bei der Zumessung der Jugendstrafe neben dem Bedürfnis eines gerechten Schuldausgleichs auch dem Erziehungsgedanken im Sinne von § 18 Abs. 2 JGG bei dem zum Zeitpunkt der Verkündung des Urteils 21 Jahre und acht Monate alten Angeklagten Bedeutung beigemessen hat, begegnet keinen rechtlichen Bedenken.
18
(1) Gemäß § 18 Abs. 2 JGG ist die Jugendstrafe so zu bemessen, dass die erforderliche erzieherische Einwirkung möglich ist. Grundsätzlich ist zwar die in den gesetzlichen Regelungen des allgemeinen Strafrechts zum Ausdruck gelangende Bewertung des Ausmaßes des in der Straftat hervorgetretenen Unrechts auch bei der Bestimmung der Höhe der Jugendstrafe zu berücksichtigen. Keinesfalls darf aber die Begründung wesentlich oder gar ausschließlich nach solchen Zumessungserwägungen vorgenommen werden, die auch bei Erwachsenen in Betracht kommen. Die Bemessung der Jugendstrafe erfordert vielmehr von der Jugendkammer, das Gewicht des Tatunrechts gegen die Folgen der Strafe für die weitere Entwicklung des Heranwachsenden abzuwägen. Denn auch bei einer wegen der Schwere der Schuld verhängten Jugendstrafe bemisst sich ihre Höhe vorrangig nach erzieherischen Gesichtspunkten. Die Urteilsgründe müssen daher in jedem Fall erkennen lassen, dass dem Erziehungsgedanken die ihm zukommende Beachtung geschenkt worden ist (st. Rspr., vgl. etwa BGH, Beschluss vom 19. April 2016 – 1 StR 95/16, NStZ 2016, 683).
19
(2) Der Bundesgerichtshof hat mehrfach darauf hingewiesen, dass dem Erziehungsgedanken mit fortschreitendem Alter des Täters ein immer geringeres Gewicht zukomme. Aus den Entscheidungen ergibt sich jedoch keine starre Altersobergrenze, jenseits der die Berücksichtigung des Erziehungsgedankens unzulässig wäre. Im Einzelnen: - In Beschlüssen vom 17. Juni 1997 und 5. April 2017 hat der 1. Senat diesen Grundsatz im Rahmen allgemeiner Ausführungen zur Bedeutung der Berücksichtigung des Erziehungsgedankens bei der Strafzumessung betont (BGH, Beschluss vom 17. Juni 1997 – 1 StR 288/97 – StV 1998, 334; Beschluss vom 5. April 2017 – 1 StR 76/17, NStZ-RR 2017, 231). - In seiner Entscheidung vom 31. August 2004 hat der 1. Senat ausgeführt , die Verurteilung eines zur Tatzeit 20 Jahre alten und zum Zeitpunkt der Verurteilung 25-jährigen Angeklagten wegen schweren Raubes zu einer Jugendstrafe von drei Jahren begegne keinen rechtlichen Beden- ken, „zumal mit fortschreitendem Alter des Täters dem Erziehungsge- danken geringere Bedeutung beigemessen werden kann“ (BGH, Urteil vom 31. August 2004 – 1 StR 213/04). - In einem Beschluss vom 17. März 2006, der die Verurteilung eines zur Tatzeit 19- bzw. 20-jährigen und zum Zeitpunkt der Urteilsverkündung 36 Jahre alten Angeklagten zu einer achtjährigen Jugendstrafe betraf, sah der 1. Senat keinen Rechtsfehler darin, dass das Tatgericht dem Erziehungsgedanken nur untergeordnete Bedeutung beigemessen hatte (BGH, Beschluss vom 17. März 2006 – 1 StR 577/05, NStZ 2006, 587,

588).

- In einem Beschluss vom 26. Oktober 2016, mit dem er ein Urteil im Strafausspruch einer Jugendstrafe aufhob, hat der erkennende Senat den neuen Tatrichter darauf hingewiesen, „bei der Bemessung der Ju- gendstrafe den Erziehungsgedanken genauer als bisher zu berücksichti- gen“. Der Angeklagte in diesem Verfahren war zu den Tatzeiten 14 bis 17 Jahre alt, zum Zeitpunkt der Urteilsverkündung 22 Jahre und sieben Monate alt (Senat, Beschluss vom 26. Oktober 2016 – 2 StR 214/16 juris Rn. 5). - In einem Beschluss vom 20. August 2015 hat der 3. Senat in einem Fall, in dem der Angeklagte zur Tatzeit 16 Jahre und zum Zeitpunkt der Verkündung des erstinstanzlichen Urteils bereits 23 Jahre und sieben Monate alt war, die verhängte Jugendstrafe aufgehoben, bei deren Bestim-
mung sich das Landgericht „maßgebend“ am Erziehungsgedanken orientiert hatte (BGH, Beschluss vom 20. August 2015 – 3 StR 214/15). - Die Entscheidung des 3. Senats vom 8. März 2016 betraf einen Fall, in welchem das Tatgericht gegen zwei zur Tatzeit 18 und 19 bzw. 20 Jahre alte Angeklagte, die im Zeitpunkt der Verurteilung bereits 24 und 25 Jahre alt waren, zur erzieherischen Einwirkung Dauerarreste verhängt hatte. Der 3. Senat hob das Urteil jeweils im Rechtsfolgenausspruch auf, da die Jugendkammer nicht bedacht habe, dass dem Erziehungsgedanken bei der Bestimmung von Art und Dauer der Sanktion für die Tat der zum Zeitpunkt der Verkündung des erstinstanzlichen Urteils im strafrechtlichen Sinne erwachsenen Angeklagten ein allenfalls geringes Gewicht zukomme (BGH, Beschluss vom 8. März 2016 – 3 StR 417/15, juris Rn. 19, NStZ 2016, 680, 681).
20
Die in diesen Entscheidungen vertretene Auffassung, dass der Erziehungsgedanke grundsätzlich immer zu berücksichtigen sei, mit fortschreitendem Alter des Angeklagten aber an Bedeutung verliere, wird von zahlreichen Stimmen im Schrifttum geteilt (Dallinger/Lackner, JGG, 2. Aufl., 105 Rn. 59; Brunner/Dölling, JGG, 13. Aufl., § 105 Rn. 36; BeckOK/JGG/Brögeler, 7. Edition, § 18 Rn. 12; Laubenthal/Baier/Nestler, Jugendstrafrecht, 3. Aufl., Rn. 759; Schaffstein/Beulke/Swoboda, Jugendstrafrecht, 15. Aufl., Rn. 473; ausführlich und grundlegend Beulke in: Festschrift für Franz Streng, S. 403 ff.; auf das Ziel der positiven Individualprävention abstellend Ostendorf, NK-JGG, aaO, § 105 Rn. 31).
21
In den beiden zuletzt genannten Entscheidungen ließ der 3. Senat ausdrücklich offen, ob darüber hinaus Anlass bestehen könnte, die bisherige Rechtsprechung dahin weiter zu entwickeln, dass bei der Verhängung von Sanktionen gegen Straftäter, die zum Zeitpunkt ihrer Verurteilung bereits das 21. Lebensjahr vollendet haben und somit im strafrechtlichen Sinne als erwachsen gelten, der Erziehungsgedanke nicht mehr nur von geringem Gewicht sein kann, sondern insgesamt kein taugliches Strafzumessungskriterium mehr ist (so auch Budelmann, Jugendstrafrecht für Erwachsene? 2005, S. 105 ff.; MüKoStGB /Miebach/Meier, 3. Aufl., § 46 Rn. 242; Eisenberg, aaO, § 17 Rn. 34b, § 18 Rn. 32). Nach den Erwägungen des 3. Senats kommt dies mit Blick auf § 89b Abs. 1 Satz 2 JGG jedenfalls bei solchen Tätern in Betracht, die zum Zeitpunkt der Verurteilung das 24. Lebensjahr vollendet haben und deren Jugendstrafe deshalb regelmäßig im Strafvollzug für Erwachsene zu vollziehen ist (vgl. auch Eisenberg, JA 2016, 623, 627: Altersgrenze bei 25 Jahren).
22
Der Senat sieht keinen Anlass, von der bisherigen Rechtsprechung abzuweichen. Wie die – auch hier zur Anwendung kommende – Regelung des § 32 Satz 1 JGG zeigt, können selbst Straftaten, die im Erwachsenenalter begangen worden sind, nach den Regeln des Jugendstrafrechts abgeurteilt werden , wenn der Schwerpunkt bei Taten liegt, die nach Jugendstrafrecht zu beur- teilen sind. Nach dem Gesetzeswortlaut „gilt einheitlich das Jugendstrafrecht“, wodurch auf § 2 Abs. 1 JGG und die vorrangige Ausrichtung der Rechtsfolgen und des Verfahrens am Erziehungsgedanken Bezug genommen wird. Die Gegenauffassung übersieht zudem, dass es häufig dem Zufall geschuldet ist, ob die Hauptverhandlung kurz vor oder kurz nach dem 21. Geburtstag des Angeklagten stattfindet. Auch die Regelung des § 89b JGG spricht für die Berücksichtigung des Erziehungsgedankens bei erwachsenen Angeklagten. Nach § 89b Abs. 1 Satz 1 JGG geht das Gesetz bei 18- bis 23-jährigen zu Jugendstrafe Verurteilten davon aus, dass die Jugendstrafe regelmäßig im Jugendstrafvollzug zu vollziehen ist, der Verurteilte somit mit den Methoden des als Erziehungsvollzug ausgestalteten Jugendstrafvollzugs erreicht werden kann. Im Hinblick darauf, dass nach Vollendung des 24. Lebensjahrs des Verurteilten die Jugendstrafe nach den Vorschriften des Erwachsenenstrafvollzugs vollzogen werden „soll“ (§ 89b Abs. 1 Satz 2 JGG), ist in Ausnahmefällen sogar eine Unterbringung im Jugendstrafvollzug von über 24 Jahren alten Gefangenen zulässig. Dass der Gesetzgeber auch bei über 21-Jährigen den Erziehungsgedanken für relevant hält, folgt auch aus der Gesetzesbegründung für die Änderung des § 105 Abs. 3 Satz 2 JGG, mit dem die maximale Jugendstrafe für heranwachsende Mörder wegen der besonderen Schwere der Schuld von zehn auf 15 Jahre erhöht wurde (vgl. Beulke, aaO, S. 403, 411 ff.). Nach der gesetzgeberischen Konzeption soll die Verhängung dieser weit in das Erwachsenenalter reichenden Jugendstrafe nämlich zur Voraussetzung haben, dass sie „auch unter Berücksichtigung des leitenden Erziehungsgedankens“ geboten ist (BT-Drucks. 17/9389, S. 20).
23
(3) Vor diesem Hintergrund und im Hinblick auf die Feststellungen zu dem beim Angeklagten bestehenden Erziehungsbedarf ist es nicht rechtsfehlerhaft , dass das Landgericht angenommen hat, dass hier unter dem Gesichtspunkt des gerechten Schuldausgleichs und aufgrund des Erziehungsgedankens eine längerfristige Jugendstrafe erforderlich ist. Das Landgericht hat im Rahmen der Strafzumessung im engeren Sinne zunächst wesentliche Zumessungserwägungen vorgenommen, die auch bei Erwachsenen in Betracht kommen. Ausgehend von der in allen Taten zum Ausdruck gekommenen Einstellung des Angeklagten und der dabei zu Tage getretenen Bedenkenlosigkeit hat das Landgericht dann die Notwendigkeit einer längerfristigen erzieherischen Einwirkung festgestellt und abgewogen, welche Folgen die gegen den Angeklagten verhängte Jugendstrafe für dessen weitere Entwicklung haben wird. Es hat sich somit nicht ausschließlich am Erziehungsgedanken orientiert und hält sich damit im Rahmen des tatrichterlichen Ermessens.
Richter am Bundesgerichtshof Zeng Wimmer Dr. Appl ist krankheitsbedingt an der Unterschrift gehindert. Zeng Grube Schmidt

ra.de-Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Urteil, 29. Nov. 2017 - 2 StR 460/16

Urteilsbesprechung schreiben

0 Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Urteil, 29. Nov. 2017 - 2 StR 460/16

Referenzen - Gesetze

Bundesgerichtshof Urteil, 29. Nov. 2017 - 2 StR 460/16 zitiert 9 §§.

Jugendgerichtsgesetz - JGG | § 105 Anwendung des Jugendstrafrechts auf Heranwachsende


(1) Begeht ein Heranwachsender eine Verfehlung, die nach den allgemeinen Vorschriften mit Strafe bedroht ist, so wendet der Richter die für einen Jugendlichen geltenden Vorschriften der §§ 4 bis 8, 9 Nr. 1, §§ 10, 11 und 13 bis 32 entsprechend an, we

Jugendgerichtsgesetz - JGG | § 18 Dauer der Jugendstrafe


(1) Das Mindestmaß der Jugendstrafe beträgt sechs Monate, das Höchstmaß fünf Jahre. Handelt es sich bei der Tat um ein Verbrechen, für das nach dem allgemeinen Strafrecht eine Höchststrafe von mehr als zehn Jahren Freiheitsstrafe angedroht ist, so is

Jugendgerichtsgesetz - JGG | § 17 Form und Voraussetzungen


(1) Die Jugendstrafe ist Freiheitsentzug in einer für ihren Vollzug vorgesehenen Einrichtung. (2) Der Richter verhängt Jugendstrafe, wenn wegen der schädlichen Neigungen des Jugendlichen, die in der Tat hervorgetreten sind, Erziehungsmaßregeln oder

Jugendgerichtsgesetz - JGG | § 1 Persönlicher und sachlicher Anwendungsbereich


(1) Dieses Gesetz gilt, wenn ein Jugendlicher oder ein Heranwachsender eine Verfehlung begeht, die nach den allgemeinen Vorschriften mit Strafe bedroht ist. (2) Jugendlicher ist, wer zur Zeit der Tat vierzehn, aber noch nicht achtzehn, Heranwachsend

Jugendgerichtsgesetz - JGG | § 2 Ziel des Jugendstrafrechts; Anwendung des allgemeinen Strafrechts


(1) Die Anwendung des Jugendstrafrechts soll vor allem erneuten Straftaten eines Jugendlichen oder Heranwachsenden entgegenwirken. Um dieses Ziel zu erreichen, sind die Rechtsfolgen und unter Beachtung des elterlichen Erziehungsrechts auch das Verfah

Jugendgerichtsgesetz - JGG | § 32 Mehrere Straftaten in verschiedenen Alters- und Reifestufen


Für mehrere Straftaten, die gleichzeitig abgeurteilt werden und auf die teils Jugendstrafrecht und teils allgemeines Strafrecht anzuwenden wäre, gilt einheitlich das Jugendstrafrecht, wenn das Schwergewicht bei den Straftaten liegt, die nach Jugendst

Jugendgerichtsgesetz - JGG | § 89b Ausnahme vom Jugendstrafvollzug


(1) An einem Verurteilten, der das 18. Lebensjahr vollendet hat und sich nicht für den Jugendstrafvollzug eignet, kann die Jugendstrafe statt nach den Vorschriften für den Jugendstrafvollzug nach den Vorschriften des Strafvollzuges für Erwachsene vol

Referenzen - Urteile

Urteil einreichen

Bundesgerichtshof Urteil, 29. Nov. 2017 - 2 StR 460/16 zitiert oder wird zitiert von 8 Urteil(en).

Bundesgerichtshof Urteil, 29. Nov. 2017 - 2 StR 460/16 zitiert 7 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bundesgerichtshof Urteil, 31. Aug. 2004 - 1 StR 213/04

bei uns veröffentlicht am 31.08.2004

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 1 StR 213/04 vom 31. August 2004 in der Strafsache gegen wegen schweren Raubes Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 31. August 2004, an der teilgenommen haben: Vorsitzender

Bundesgerichtshof Beschluss, 17. März 2006 - 1 StR 577/05

bei uns veröffentlicht am 17.03.2006

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 1 StR 577/05 vom 17. März 2006 in der Strafsache gegen wegen Vergewaltigung u.a. Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 17. März 2006 beschlossen: Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgericht

Bundesgerichtshof Beschluss, 05. Apr. 2017 - 1 StR 76/17

bei uns veröffentlicht am 05.04.2017

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 1 StR 76/17 vom 5. April 2017 in der Strafsache gegen wegen versuchten schweren Raubes u.a. ECLI:DE:BGH:2017:050417B1STR76.17.0 Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nac

Bundesgerichtshof Beschluss, 26. Okt. 2016 - 2 StR 214/16

bei uns veröffentlicht am 26.10.2016

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 2 StR 214/16 vom 26. Oktober 2016 in der Strafsache gegen wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern ECLI:DE:BGH:2016:261016B2STR214.16.0 Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts

Bundesgerichtshof Beschluss, 19. Apr. 2016 - 1 StR 95/16

bei uns veröffentlicht am 19.04.2016

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 1 StR 95/16 vom 19. April 2016 in der Strafsache gegen 1. 2. wegen zu 1.: Totschlags zu 2.: vorsätzlicher Körperverletzung ECLI:DE:BGH:2016:190416B1STR95.16.0 Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antra

Bundesgerichtshof Beschluss, 08. März 2016 - 3 StR 417/15

bei uns veröffentlicht am 08.03.2016

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 3 StR 417/15 vom 8. März 2016 in der Strafsache gegen 1. 2. 3. 4. 5. wegen zu 1. - 3.: schwerer Freiheitsberaubung u.a. zu 4. - 5.: Beihilfe zur schweren Freiheitsberaubung u.a. ECLI:DE:BGH:2016:080316B3STR417.15.

Bundesgerichtshof Beschluss, 20. Aug. 2015 - 3 StR 214/15

bei uns veröffentlicht am 20.08.2015

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 3 S t R 2 1 4 / 1 5 vom 20. August 2015 in der Strafsache gegen wegen Beihilfe zur Vergewaltigung Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf
1 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Bundesgerichtshof Urteil, 29. Nov. 2017 - 2 StR 460/16.

Bundesgerichtshof Urteil, 13. Nov. 2019 - 2 StR 217/19

bei uns veröffentlicht am 13.11.2019

- 2 - BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 2 StR 217/19 vom 13. November 2019 in der Strafsache gegen wegen Totschlags Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Verhandlung vom 9. Oktober 2019 in der Sitzung am 13. Novemb

Referenzen

Für mehrere Straftaten, die gleichzeitig abgeurteilt werden und auf die teils Jugendstrafrecht und teils allgemeines Strafrecht anzuwenden wäre, gilt einheitlich das Jugendstrafrecht, wenn das Schwergewicht bei den Straftaten liegt, die nach Jugendstrafrecht zu beurteilen wären. Ist dies nicht der Fall, so ist einheitlich das allgemeine Strafrecht anzuwenden.

(1) Begeht ein Heranwachsender eine Verfehlung, die nach den allgemeinen Vorschriften mit Strafe bedroht ist, so wendet der Richter die für einen Jugendlichen geltenden Vorschriften der §§ 4 bis 8, 9 Nr. 1, §§ 10, 11 und 13 bis 32 entsprechend an, wenn

1.
die Gesamtwürdigung der Persönlichkeit des Täters bei Berücksichtigung auch der Umweltbedingungen ergibt, daß er zur Zeit der Tat nach seiner sittlichen und geistigen Entwicklung noch einem Jugendlichen gleichstand, oder
2.
es sich nach der Art, den Umständen oder den Beweggründen der Tat um eine Jugendverfehlung handelt.

(2) § 31 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 ist auch dann anzuwenden, wenn der Heranwachsende wegen eines Teils der Straftaten bereits rechtskräftig nach allgemeinem Strafrecht verurteilt worden ist.

(3) Das Höchstmaß der Jugendstrafe für Heranwachsende beträgt zehn Jahre. Handelt es sich bei der Tat um Mord und reicht das Höchstmaß nach Satz 1 wegen der besonderen Schwere der Schuld nicht aus, so ist das Höchstmaß 15 Jahre.

(1) Dieses Gesetz gilt, wenn ein Jugendlicher oder ein Heranwachsender eine Verfehlung begeht, die nach den allgemeinen Vorschriften mit Strafe bedroht ist.

(2) Jugendlicher ist, wer zur Zeit der Tat vierzehn, aber noch nicht achtzehn, Heranwachsender, wer zur Zeit der Tat achtzehn, aber noch nicht einundzwanzig Jahre alt ist.

(3) Ist zweifelhaft, ob der Beschuldigte zur Zeit der Tat das achtzehnte Lebensjahr vollendet hat, sind die für Jugendliche geltenden Verfahrensvorschriften anzuwenden.

Für mehrere Straftaten, die gleichzeitig abgeurteilt werden und auf die teils Jugendstrafrecht und teils allgemeines Strafrecht anzuwenden wäre, gilt einheitlich das Jugendstrafrecht, wenn das Schwergewicht bei den Straftaten liegt, die nach Jugendstrafrecht zu beurteilen wären. Ist dies nicht der Fall, so ist einheitlich das allgemeine Strafrecht anzuwenden.

(1) Die Jugendstrafe ist Freiheitsentzug in einer für ihren Vollzug vorgesehenen Einrichtung.

(2) Der Richter verhängt Jugendstrafe, wenn wegen der schädlichen Neigungen des Jugendlichen, die in der Tat hervorgetreten sind, Erziehungsmaßregeln oder Zuchtmittel zur Erziehung nicht ausreichen oder wenn wegen der Schwere der Schuld Strafe erforderlich ist.

(1) Das Mindestmaß der Jugendstrafe beträgt sechs Monate, das Höchstmaß fünf Jahre. Handelt es sich bei der Tat um ein Verbrechen, für das nach dem allgemeinen Strafrecht eine Höchststrafe von mehr als zehn Jahren Freiheitsstrafe angedroht ist, so ist das Höchstmaß zehn Jahre. Die Strafrahmen des allgemeinen Strafrechts gelten nicht.

(2) Die Jugendstrafe ist so zu bemessen, daß die erforderliche erzieherische Einwirkung möglich ist.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 95/16
vom
19. April 2016
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen zu 1.: Totschlags
zu 2.: vorsätzlicher Körperverletzung
ECLI:DE:BGH:2016:190416B1STR95.16.0

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung der Beschwerdeführer am 19. April 2016 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten D. wird das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 28. Oktober 2015 im Ausspruch über die Höhe der Jugendstrafe aufgehoben. 2. Die weitergehende Revision des Angeklagten D. sowie die Revision des Angeklagten M. werden als unbegründet verworfen. 3. Der Angeklagte M. hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen. 4. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die notwendigen Auslagen der Nebenklägerin, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Die Jugendkammer des Landgerichts hat den Angeklagten D. wegen Totschlags zu einer Jugendstrafe von sieben Jahren verurteilt sowie gegen den Angeklagten M. wegen vorsätzlicher Körperverletzung zwei Freizeitarreste verhängt.
2
Das auf die Sachrüge gestützte Rechtsmittel des Angeklagten D. hat lediglich in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO). Im Übrigen ist es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
3
Das auf die Sachrüge gestützte Rechtsmittel des Angeklagten M. ist aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts insgesamt unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

I.


4
Die erhobene Sachrüge deckt zum Schuldspruch und in Bezug auf die Verhängung einer Jugendstrafe keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten D. auf (§ 349 Abs. 2 StPO). Insbesondere hat das Landgericht rechtsfehlerfrei dargelegt, dass wegen der Schuldschwere die Verhängung von Jugendstrafe erforderlich ist. Die Erwägungen des Landgerichts zur Höhe der verhängten Jugendstrafe halten hingegen revisionsrechtlicher Prüfung nicht stand, da sie nicht den Anforderungen des § 18 Abs. 2 JGG entsprechen.
5
1. Auch bei einer wegen der Schwere der Schuld verhängten Jugendstrafe ist gemäß § 18 Abs. 2 JGG die Höhe der Strafe so zu bemessen, dass die erforderliche erzieherische Einwirkung möglich ist (BGH, Beschlüsse vom 21. Juli 1995 - 2 StR 309/95, BGHR JGG § 18 Abs. 2 Erziehung 10 und vom 18. August 1992 - 4 StR 313/92, BGHR JGG § 18 Abs. 2 Erziehung 8). Grundsätzlich ist zwar die in den gesetzlichen Regelungen des allgemeinen Strafrechts zum Ausdruck gelangende Bewertung des Ausmaßes des in einer Straftat hervorgetretenen Unrechts auch bei der Bestimmung der Höhe der Jugendstrafe zu berücksichtigen. Keinesfalls darf aber die Begründung wesentlich oder gar ausschließlich nach solchen Zumessungserwägungen vorgenommen werden, die auch bei Erwachsenen in Betracht kommen. Die Bemessung der Jugendstrafe erfordert vielmehr von der Jugendkammer, das Gewicht des Tatunrechts gegen die Folgen der Strafe für die weitere Entwicklung des Heranwachsenden abzuwägen (BGH, Beschluss vom 18. August 1992 - 4 StR 313/92, BGHR JGG § 18 Abs. 2 Erziehung 8; Eisenberg JGG 18. Aufl., § 18 Rn. 42). Denn auch bei einer wegen der Schwere der Schuld verhängten Jugendstrafe bemisst sich ihre Höhe vorrangig nach erzieherischen Gesichtspunkten. Die Urteilsgründe müssen daher in jedem Fall erkennen lassen, dass dem Erziehungsgedanken die ihm zukommende Beachtung geschenkt worden ist (BGH, Beschluss vom 22. April 2015 - 2 StR 503/14, NStZ 2016, 105).
6
2. Diesen Anforderungen genügen die Strafzumessungserwägungen des Landgerichts nicht. Das Landgericht hat sich bei der konkreten Bemessung der Jugendstrafe im Rahmen seiner mit „Strafzumessung im Einzelnen“ überschriebenen Darstellung nur an der Bewertung des in der Schwere des in der Straftat hervorgetretenen Unrechts orientiert, wie sie in der Strafandrohung der allgemeinen Gesetze Ausdruck gefunden hat. So hat das Landgericht bei der Prüfung des Provokationstatbestands nach § 213 Alt. 1 StGB zwar die letzten Äußerungen („Hurensohn“) des Tatopfers dem Angeklagten D. gegenüber berücksichtigt. Es hat jedoch die Faustschläge des Tatopfers gegen ihn und die vorausgegangenen Äußerungen einschließlich der zwei Ohrfeigen gegenüber dem Angeklagten M. jeweils nur isoliert betrachtet, ohne dieses Verhalten in seiner Gesamtheit schon in die Beurteilung nach § 213 Alt. 1 StGB einzubeziehen. Zu Lasten des Angeklagten D. berücksichtigt das Land- gericht schließlich im Rahmen seiner „Strafzumessung“ - auch wenn § 46 Abs. 3 StGB hier jedenfalls nicht unmittelbar anwendbar ist -, dass „der Angeklagte nicht vermocht hat, deeskalierend zu wirken“. Dies ist schon für sich genommen nicht rechtsfehlerfrei.
7
Jedenfalls aber berücksichtigt das Landgericht damit ausschließlich Umstände , die auch bei Erwachsenen berücksichtigt werden müssen, lässt hingegen wesentliche erzieherische Gesichtspunkte völlig außer Betracht, die für die Bemessung der Jugendstrafe Bedeutung haben und deren Erörterung sich deshalb für das Landgericht aufdrängte. Auch fehlt die erforderliche Abwägung zwischen dem Tatunrecht und den Folgen der Verbüßung der verhängten Jugendstrafe für die weitere Entwicklung des Angeklagten (st. Rspr.; BGH, Urteil vom 19. Februar 2014 - 2 StR 413/13, NStZ 2014, 407; BGH, Beschlüsse vom 28. Februar 2012 - 3 StR 15/12, NStZ-RR 2012, 186, 187; vom 11. April 1989 - 1 StR 108/89, BGHR JGG § 18 Abs. 2 Erziehung 3 und vom 14. Januar 1992 - 5 StR 657/91, BGHR JGG § 18 Abs. 2 Erziehung 7; 18. August 1992 - 4 StR 313/92, BGHR JGG § 18 Abs. 2 Erziehung 8 und vom 14. Juli 1994 - 4 StR 367/94, BGHR JGG § 18 Abs. 2 Erziehung 9). So wäre im Rahmen der Abwägung etwa zu erörtern gewesen, dass die Persönlichkeitsentwicklung des Angeklagten D. nach den Feststellungen des Landgerichts bisher im Wesentlichen problemlos verlaufen ist, er insbesondere nicht straffällig geworden ist und nach abgeschlossener Berufsausbildung bis zur Tat ununterbrochen in einem festen Arbeitsverhältnis stand. Zum Tatzeitpunkt lebte der Angeklagte D. auch mit seiner Freundin, mit der er sich inzwischen verlobte, in einer eigenen Wohnung und gefestigten Beziehung zusammen. Des Weiteren hätte es der Erörterung bedurft, welche erzieherischen Wirkungen die vollzogene Untersuchungshaft auf den bis dahin nicht vorbestraften Angeklagten gehabt hat (BGH, Beschluss vom 10. September 1985 - 1 StR 416/85, StV 1986, 68).

II.


8
Das Urteil ist somit auf die Revision des Angeklagten D. in Bezug auf den Ausspruch der Höhe der Jugendstrafe aufzuheben. Die Feststellungen können bestehen bleiben, da sie vom aufgezeigten Rechtsfehler nicht betroffen sind; ergänzende Feststellungen zu den erzieherischen Aspekten sind aber möglich. Im Umfang der Aufhebung ist die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückzuverweisen.
Raum Graf Cirener Radtke Bär

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 76/17
vom
5. April 2017
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten schweren Raubes u.a.
ECLI:DE:BGH:2017:050417B1STR76.17.0

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 5. April 2017 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 7. November 2016 im Strafausspruch aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Jugendstrafe von drei Jahren verurteilt. Die hiergegen gerichtete, auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg; im Übrigen ist sein Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
Die Überprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung hat zum Schuldspruch und in Bezug auf die Verhängung einer Jugendstrafe keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Insbesondere hat das Landgericht rechtsfehlerfrei dargelegt, dass wegen der Schuldschwere die Verhängung von Jugendstrafe erforderlich ist. Die Erwägungen der Jugendkammer zur Höhe der verhängten Jugendstrafe halten hingegen revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand, da sie nicht den Anforderungen des § 18 Abs. 2 JGG entsprechen. Der Generalbundesanwalt hat hierzu ausgeführt: "Auch bei einer wegen der Schwere der Schuld verhängten Jugendstrafe ist gemäß § 18 Abs. 2 JGG die Höhe der Strafe so zu bemessen, dass die erforderliche erzieherische Einwirkung möglich ist. Grundsätzlich ist zwar die in den gesetzlichen Regelungen des allgemeinen Strafrechts zum Ausdruck gelangende Bewertung des Ausmaßes des in der Straftat hervorgetretenen Unrechts auch bei der Bestimmung der Höhe der Jugendstrafe zu berücksichtigen. Keinesfalls darf aber die Begründung wesentlich oder gar ausschließlich nach solchen Zumessungserwägungen vorgenommen werden, die auch bei Erwachsenen in Betracht kommen. Die Bemessung der Jugendstrafe erfordert vielmehr von der Jugendkammer, das Gewicht des Tatunrechts gegen die Folgen der Strafe für die weitere Entwicklung des Heranwachsenden abzuwägen. Denn auch bei einer wegen der Schwere der Schuld verhängten Jugendstrafe bemisst sich ihre Höhe vorrangig nach erzieherischen Gesichtspunkten. Die Urteilsgründe müssen daher in jedem Fall erkennen lassen, dass dem Erziehungsgedanken die ihm zukommende Beachtung geschenkt worden ist (st. Rspr., vgl. z.B. BGH, Beschluss vom 19. April 2016 - 1 StR 95/16, juris). Zwar kommt bei Angeklagten, die zum Zeitpunkt der Verurteilung seit Jahren erwachsen sind, dem Erziehungsgedanken bei der Bestimmung von Art und Dauer einer Sanktion nur noch ein geringes Gewicht zu (vgl. die von der Kammer zitierte Entscheidung des BGH vom 20. August 2015 - 3 StR 214/15, NStZ 2016, 101 f. für einen zum Zeitpunkt des Urteils gute 23 ½ Jahre alten Angeklagten). Zum einen war der Angeklagte (…) indes bei Urteilser- lass noch nicht einmal seit vier Monaten 21 Jahre alt. Zum anderen hat die Kammer im Rahmen der ´Strafzumessung i.e.S.` (siehe UA Seite 13) ausschließlich Umstände berücksichtigt, die auch bei Erwachsenen in den Blick genommen werden müssten und gar keine Erwägungen zu erzieherischen Gesichtspunkten oder dazu angestellt, welche Folgen die gegen den Angeklagten verhängte Jugendstrafe für dessen weitere Entwicklung haben wird. Damit hat das Gericht den Erziehungsgedanken noch nicht einmal mit geringem Gewicht in seine Entscheidung einfließen lassen. Erörterungen zu erzieherischen Gesichtspunkten und den Auswirkungen der Strafe drängten sich angesichts der Feststellungen des Gerichts zu den persönlichen Verhältnissen des Angeklagten aber auf: Der Angeklagte ist nicht vorbestraft, steht nach abgeschlossener Berufsausbildung in einem festen Beschäftigungsverhältnis als Trockenbauer, lebt in geordneten privaten Umständen und strebt den Meistertitel in dem von ihm ausgeübten Handwerksberuf an (siehe UA Seite 3)."
3
Dem schließt sich der Senat an und hebt den Strafausspruch insgesamt auf. Einer Aufhebung der Feststellungen bedarf es nicht, weil sie rechtsfehlerfrei getroffen worden sind. Das neue Tatgericht kann ergänzende Feststellungen treffen, die zu den bisherigen nicht in Widerspruch stehen.
Raum Jäger Bellay
Cirener Fischer

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 213/04
vom
31. August 2004
in der Strafsache
gegen
wegen schweren Raubes
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 31. August
2004, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
Dr. Kolz,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Elf,
der Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Graf,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Landshut vom 11. Februar 2004 wird verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren Raubes zu einer Jugendstrafe von drei Jahren verurteilt. Hiergegen richtet sich seine Revision , mit der die Verletzung materiellen Rechts gerügt wird. Das Rechtsmittel hat weder zum Schuld- noch zum Strafausspruch Erfolg. Erörterungsbedürftig sind lediglich die Erwägungen zur Höhe der Strafe. Im übrigen wird auf die zutreffenden Ausführungen des Generalbundesanwalts in seiner Antragsschrift vom 10. Mai 2004 Bezug genommen. 2. Nach den Feststellungen des Landgerichts kam der Angeklagte 1998 im Alter von 19 Jahren aus dem Kosovo allein nach Deutschland und stellte Asylantrag. Er konsumierte mit vielen Unterbrechungen von 1998 bis etwa 2000 "keine großen Mengen" Heroin. Die verfahrensgegenständliche Tat beging er am 30. August 1999 mit zwei albanischen Mittätern, die ihn "dazu verführt hatten". Bei der Tat stand er nicht unter Drogen. Zusammen mit seinen Mittätern überfiel er eine Tankstelle. Dabei bedrohten sie den Tankwart mit einer Scheinwaffe, die sie ihm in Gesichtshöhe entgegenhielten. Als der Ange-
klagte das Geld aus der gewaltsam aufgebrochenen Kasse entnahm, verletzte er sich am Finger und hinterließ eine Blutspur. Die Täter erbeuteten 1.500 DM. Dem Angeklagten war nicht zu widerlegen, daß er von der Beute keinen Anteil erhielt. Zwei Jahre nach der Tat, im Jahr 2001, ging der Angeklagte in sein Heimatland zurück. Seine Freundin, die er in Deutschland kennengelernt hatte, folgte ihm. Das Paar heiratete im November 2001 im Kosovo. Zunächst kehrte die Ehefrau, dann der Angeklagte im Mai 2002 nach Deutschland zurück. Nach der Heirat ließ er sich Codein verschreiben; er nimmt derzeit keine Drogen mehr. Der Angeklagte hatte nach der Rückkehr nur kurzfristige Arbeitsverhältnisse in Deutschland und war auf finanzielle Zuwendungen seiner Schwiegereltern angewiesen. Seine Ehefrau hat teilweise auch ihre Eltern bestohlen. Ca. das letzte halbe Jahr vor der Inhaftierung des Angeklagten im September 2003 lebte er von Sozialhilfe. Das Landgericht hat auf den zur Tatzeit über 20 Jahre alten Heranwachsenden Jugendstrafrecht angewendet und rechtsfehlerfrei allein wegen der Schwere der Schuld Jugendstrafe verhängt (vgl. BGHR JGG § 17 Abs. 2 Schwere der Schuld 1 und 2). 3. Bei der Bemessung der Höhe der Jugendstrafe hat das Tatgericht nicht gegen rechtlich anerkannte Strafzwecke verstoßen. Die Begründung der Jugendstrafe von drei Jahren entspricht den Anforderungen des § 18 Abs. 2 JGG.
a) Der Erziehungsgedanke ist auch dann zu berücksichtigen, wenn eine Jugendstrafe - wie hier - ausschließlich wegen der Schwere der Schuld verhängt wird (BGHSt 15, 224, 226; 16, 261, 263; BGH StV 1994, 598). Daneben
sind auch andere Strafzwecke, bei Kapitalverbrechen namentlich der Sühnegedanke und das Erfordernis des gerechten Schuldausgleichs zu beachten (BGHR JGG § 17 Abs. 2 Strafzwecke 1). Diesen Grundsätzen hat die Jugendkammer bei der Bemessung der Jugendstrafe Rechnung getragen.
b) Sie hat die erforderliche Gesamtwürdigung (vgl. Brunner, JGG 11. Aufl. § 18 Rdn. 7 a) vorgenommen (UA S. 17 bis 20), die keinen Erörterungsmangel enthält. Die Jugendkammer hat durch die Tat hervorgetretene gravierende Erziehungsdefizite angenommen, aber sich auch mit Veränderungen in der Einstellung und in den Lebensumständen des Angeklagten seit der Tat auseinandergesetzt und folgendes berücksichtigt: Die Tatsache, daß der Angeklagte nicht vorbestraft ist, insbesondere in der Zwischenzeit keine weiteren Straftaten begangen hat, seine Tat bereut und fünf Monate Untersuchungshaft verbüßt hat (UA S. 19). Dabei war sich die Kammer bewußt, daß die Tat viereinhalb Jahre zurücklag, denn sie hat diesen Zeitabstand ausdrücklich bei der Erörterung des § 105 JGG genannt (UA S. 16) und bei der Strafzumessung wie folgt darauf hingewiesen: "- auch wenn die späte Klärung der Straftat nicht das Verdienst des Angeklagten ist -". Soweit die Kammer die nach der Tat erfolgte Eheschließung und Drogenfreiheit bei der Strafzumessung nicht ausdrücklich erwähnt, so heißt das nicht, daß sie sie aus dem Blick verloren hat, sondern nur, daß sie diesen Umständen keine bestimmende Wirkung beigemessen hat (vgl. BGHR StPO § 267 Abs. 3 Satz 1 Strafzumessung 2). Wenn der Angeklagte keine Arbeit und keine Ausbildung hat, von Sozialhilfe lebt, seine Ehefrau wegen finanzieller Engpässe ihre Eltern bestiehlt, so
ist trotz Eheschließung und Drogenfreiheit das Versperren eines Neubeginns durch die verhängte Jugendstrafe nicht ersichtlich, so daß es insoweit einer Abwägung des Tatunrechts gegen die Folgen der Strafe für die weitere Entwicklung des Heranwachsenden - wie etwa beim Abbruch einer Lehre - nicht bedurfte (BGHR JGG § 18 Abs. 2 Erziehung 2 und 3). Die Begründung der Kammer, sie erachte unter Abwägung der von ihr genannten Gesichtspunkte aus erzieherischen Gründen und wegen des Ausmaßes der Schuld eine Jugendstrafe von drei Jahren als angemessen und ausreichend, begegnet keinen rechtlichen Bedenken, zumal mit fortschreitendem Alter des Täters dem Erziehungsgedanken geringere Bedeutung beigemessen werden kann (BGH StV 1998, 334). Der Angeklagte ist derzeit 25 Jahre alt. Er wird die Jugendstrafe im Erwachsenenvollzug verbüßen, wie es in den gesetzlichen Regelungen zur Vollstreckung einer Jugendstrafe gegen Täter , die das vierundzwanzigste Lebensjahr vollendet haben, vorgesehen ist (§§ 92 Abs. 2 Satz 3, 85 Abs. 6 JGG). Nack Wahl Kolz Elf Graf

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 577/05
vom
17. März 2006
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 17. März 2006 beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 24. Juni 2005 wird als unbegründet verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die den Nebenklägerinnen im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den 1969 geborenen Angeklagten wegen Vergewaltigung in zwei Fällen in Tatmehrheit mit versuchter Vergewaltigung, diese rechtlich zusammentreffend mit gefährlicher Körperverletzung, zu einer Jugendstrafe von acht Jahren verurteilt.
2
Nach den Urteilsfeststellungen zwang der Angeklagte im Zeitraum von Oktober bis Dezember 1988, vermutlich vom 12. bis zum 17. Oktober oder vom 17. bis zum 27. Dezember, die Nebenklägerinnen K. und M. mit Gewalt zum Geschlechtsverkehr. Der allenfalls gerade 14 Jahre alten Nebenklägerin K. fügte er dabei mit einem Messer blutende Schnittwunden am Hals zu (Tat II.1. der Urteilsgründe); der zur Tatzeit 15 Jahre alten Nebenklägerin M. drohte er neben der Gewaltanwendung mit dem Einsatz eines Messers (Tat II.2.). Am 2. Februar 2000 versuchte der Angeklagte, die Nebenklägerin W. zu vergewaltigen, wobei er wiederum ein Messer verwendete, so- dass die Geschädigte drei blutende Schnittverletzungen am Hals erlitt; der Versuch schlug fehl (Tat II.3.).
3
Die hiergegen eingelegte Revision des Angeklagten bleibt ohne Erfolg. Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung des Angeklagten hat keinen den Bestand des Urteils gefährdenden Rechtsfehler ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO). Näherer Erörterung bedarf nur Folgendes:
4
1. Soweit mit der Aufklärungsrüge beanstandet wird, dass die Kammer nicht weitere Beweise zur Bestimmung der Tatzeiten bei den Taten zum Nachteil der Nebenklägerinnen K. und M. erhoben hat, bleibt ihr der Erfolg versagt. Insoweit macht der Beschwerdeführer geltend, der Kammer habe es sich aufdrängen müssen, das polizeiliche Vernehmungsprotokoll hinsichtlich der Nebenklägerin M. gemäß § 253 Abs. 2 StPO zu verlesen. Deren Zeugenaussage in der Hauptverhandlung stünde zu ihrer polizeilichen Aussage in Widerspruch. Während die angefochtene Entscheidung feststelle, dass die Nebenklägerin M. von einer Tatzeit 1987 nie gesprochen habe, sei dem polizeilichen Vernehmungsprotokoll zu entnehmen, dass die Nebenklägerin M. am Ende ihrer Vernehmung ausgesagt habe, die Vergewaltigung habe 1987 stattgefunden. Diesen Widerspruch zwischen den Aussagen habe die Kammer verkannt. Ferner habe es sich aufdrängen müssen, die Eltern der Nebenklägerin K. als Zeugen zu vernehmen, da diese bei ihrer polizeilichen Einvernahme ausgesagt habe, an dem Tattag habe sie zum ersten Mal ihren leiblichen Vater gesehen. Vor dem Hintergrund, dass die Nebenklägerin K. sich nicht sicher an die Tatzeit habe erinnern können, beide Vergewaltigungen jedoch unzweifelhaft als zeitnah erfolgt geschildert worden seien, hätte die Einvernahme der Eltern zur Annahme anderer Tatzeiten geführt.
5
Zwar kann sich die Verletzung der Aufklärungspflicht nach § 244 Abs. 2 StPO auch aus Hinweisen in den Akten ergeben (BGH NStZ 1985, 324, 325), sodass die Aufklärungsrüge dem Revisionsgericht gleichsam den Blick in die Akten eröffnet. Andererseits verspricht die Aufklärungsrüge dann keinen Erfolg, wenn ihre Prüfung eine Wertung des Inhalts der Beweisaufnahme erfordert (Gollwitzer in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 244 Rdn. 352 m.w.N.). Ein nach den Urteilsfeststellungen in der Hauptverhandlung nicht aufgeklärter Widerspruch hinsichtlich der Angaben der Nebenklägerin M. zur Tatzeit zwischen den Urteilsfeststellungen und dem Akteninhalt ist hier nicht ersichtlich. Die Revision missversteht das Urteil. Daraus ist allein zu entnehmen, dass die Nebenklägerin M. jedenfalls in der Hauptverhandlung unzweifelhaft und für den Tatrichter überzeugend erklärt hat, die Tat habe nicht im Jahre 1987 sondern 1988 stattgefunden, und zwar an einem Sonnabend, wobei sie am folgenden Wochenende erfahren habe, dass der Angeklagte in Haft sei (UA S. 22 f.), und die festgestellten Hafturlaube nur mit einer Tatzeit im Oktober oder Dezember 1988 korrespondierten. Im Übrigen ist die Urteilspassage, auf die sich die Revision vor allem bezieht ("von einer Tatzeit 1987 sprach diese aber nie" [UA S. 22]), vom vorhergehenden Absatz über die zeitliche Einordnung der Taten seitens des ermittelnden Polizeibeamten abgesetzt. Die Kammer hat ferner die "Abweichungen während der verschiedenen Aussagen der Geschädigten M. hinsichtlich der genauen Tatzeiten" erkannt und gewürdigt (UA S. 25).
6
Hinsichtlich der Rüge, es hätte eine Verlesung nach § 253 Abs. 2 StPO erfolgen müssen, ist somit bereits nicht dargetan, dass die Nebenklägerin M. bekundet hat, bei der Aufnahme des Protokolls nicht tatsächlich das im Protokoll Festgehaltene ausgesagt zu haben (BGH NStZ 2002, 46, 47). Die Auseinandersetzung mit Abweichungen bei den Aussagen und das Eingehen auf das gedankliche In-Beziehung-Setzen mit der Vergewaltigung an B. S. seitens der Kammer legt vielmehr nahe, dass der Nebenklägerin M. ihre der Anklageschrift zugrunde liegende polizeiliche Aussage vorgehalten worden ist, sie diese als ihre Aussage anerkannt hat, sich jedoch insbesondere aufgrund der sicheren Erinnerung, dass die Tat während des Hafturlaubs geschah, davon inhaltlich distanziert hat. Sie hat sich (in der Hauptverhandlung) "nie davon abbringen" lassen, "dass die Tat 1988 erfolgte, auch wenn die Anklageschrift von 1987 ausging" (UA S. 23).
7
Auch im Übrigen haben sich keine weiteren Beweiserhebungen aufgedrängt , da das Beweisergebnis zu den Tatzeiten - wie der Generalbundesanwalt zutreffend ausgeführt hat - hinreichend gesichert ist (vgl. dazu BGH StV 1996, 249). Gerade die spontane Erinnerung der Nebenklägerin M. in der Hauptverhandlung daran, dass sie an dem auf die Vergewaltigung folgenden Wochenende vom Bruder des Angeklagten erfahren habe, dass dieser in Haft sei, weil ihn eine andere Frau der Vergewaltigung bezichtigt habe (UA S. 22 f.), stützt das Ergebnis in besonderer Weise. Diese Aussage hat sich zur Überzeugung des Gerichts zusammen mit anderen Beweisanzeichen zu einem in sich geschlossenen Bild gefügt. Dabei ist zusätzlich ein Brief des Angeklagten an die Nebenklägerin vom 27. Dezember 1988 von erheblicher Bedeutung, in dem er diese auf "blaue Flecken" anspricht, was die Nebenklägerin M. stets als auf die Vergewaltigungstat bezogen verstanden hat.
8
Soweit die Revision weiterhin behauptet, dass die Taten bereits deshalb nicht Ende 1988 hätten stattgefunden haben können, weil die Nebenklägerinnen K. und M. dann wegen des vorausgegangenen Strafverfahrens misstrauisch gewesen wären, nimmt sie eine eigene Beweiswürdigung vor. Außerdem hat die Nebenklägerin M. ausgesagt, sie habe erst nach der Tat erfahren, dass sich der Angeklagte wegen Vergewaltigung in Haft befinde (UA S. 23).
9
2. Die Verhängung einer Jugendstrafe von acht Jahren hält im Ergebnis rechtlicher Nachprüfung stand.
10
a) Der Beschwerdeführer hat allerdings mit Recht einen Verstoß gegen das Verwertungsverbot des § 51 Abs. 1 BZRG beanstandet. Das Landgericht hat sowohl zur Begründung der Notwendigkeit der Verhängung von Jugendstrafe i.S.v. § 17 Abs. 2 JGG als auch bei der Strafzumessung im engeren Sinne den Umstand berücksichtigt, dass der Vollzug einer Jugendstrafe den Angeklagten nicht beeindruckte. Die zugrunde liegende Vorstrafe war zum Zeitpunkt der Urteilsverkündung nach § 46 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. e, Abs. 3 BZRG bereits getilgt; denn § 46 Abs. 1 Nr. 3 nF BZRG galt zum Zeitpunkt der Tilgungsreife noch nicht.
11
Das Urteil begründet die Notwendigkeit der Verhängung von Jugendstrafe u.a. wie folgt: "Trotz der Einwirkung des Strafvollzugs hat sich der Angeklagte nunmehr bewusst und selbstverantwortlich gegen das Recht und für das Unrecht entschieden" (UA S. 45). "Der Vollzug einer Jugendstrafe hielt ihn also nicht ab, während einer Vollzugslockerung erneut massive Straftaten zu begehen. Dies zeigt, dass die gewünschte erzieherische Wirkung durch eine mäßige Jugendstrafe nicht erreicht werden konnte" (UA S. 46). Bei der Strafzumessung im engeren Sinne wird zwar ausgeführt, dass die bereits getilgte Vorstrafe "zu keiner Zeit negativ gewertet", vielmehr zu Gunsten des Angeklagten berücksichtigt werde, dass er nicht vorbestraft ist (UA S. 49). An anderer Stelle heißt es jedoch: "Zu Lasten des Angeklagten spricht, dass er die Taten aus 1988 während eines Hafturlaubs beging. Der Vollzug hatte also keinerlei Wirkung auf ihn, straffrei zu leben" (UA S. 47).
12
Das Verwertungsverbot des § 51 Abs. 1 BZRG hindert den Tatrichter nicht nur an der Berücksichtigung der Vorstrafe als solcher, sondern auch an der strafschärfenden Erwägung, dass der Vollzug der von dem Verwertungsverbot betroffenen Strafe nicht ausreichte, um den Angeklagten von weiteren Straftaten abzuhalten (BGH NStZ 1983, 19). Das Verwertungsverbot erstreckt sich auch auf Umstände, die eng mit der nicht verwertbaren Tat im Zusammenhang stehen (etwa hohe Rückfallgeschwindigkeit, erneute Tatbegehung am selben Opfer). Auch wenn sie für die Beurteilung des Schuldgehalts von wesentlicher Bedeutung sind, müssen derartige Umstände gleichsam ausgeblendet werden (BGHR BZRG § 51 Verwertungsverbot 5). Obgleich dies auf den ersten Blick nur schwer nachvollziehbar erscheint - zumal gerade dann, wenn es nur um die zeitliche Einordnung einer Tat in einen historischen Zusammenhang (Aufenthalt in einer Justizvollzugsanstalt) geht -, lässt die zwingende gesetzliche Regelung in § 51 Abs. 1 i.V.m. §§ 46, 47 BZRG keine andere Auslegung zu (BGH NJW 2005, 1813). Auch der Umstand, dass die Vorstrafe von der Verteidigung offenbart (UA S. 21) und immer wieder angesprochen worden ist (UA S. 49), macht sie nicht verwertbar (BGHSt 27, 108, 109 f.).
13
b) Der Verstoß gegen das Verwertungsverbot des § 51 Abs. 1 BZRG erfordert jedoch nicht die Aufhebung des Strafausspruchs, da die Verhängung einer Jugendstrafe von acht Jahren trotz des Strafzumessungsfehlers angemessen ist (vgl. § 354 Abs. 1a Satz 1 StPO). Nach § 354 Abs. 1a StPO soll von einer Aufhebung des Urteils auch dann abgesehen werden, wenn das Revisionsgericht die verhängte Strafe trotz des Rechtsfehlers bei ihrer Zumessung im Ergebnis für angemessen hält, selbst wenn nicht festgestellt werden kann, dass der Tatrichter ohne den Fehler auf dieselbe Strafe erkannt hätte (BGH NJW 2005, 913, 914; Maier/Paul NStZ 2006, 82 f. m.w.N.). Ob die Beurteilung der Angemessenheit allein aufgrund der Urteilsgründe möglich ist oder ob es etwa in besonderem Maße auf den persönlichen Eindruck vom Angeklagten ankommt und deshalb die Aufhebung des Strafausspruchs und die Zurückverwei- sung der Sache geboten ist, ist eine Frage des Einzelfalls (BGH NJW 2005, 1813, 1814).
14
Das Landgericht hat vorliegend die für die Strafzumessung relevanten Umstände festgestellt. Dabei kann dahinstehen, ob die Strafkammer aufgrund der festgestellten Umstände zu den Taten und der Persönlichkeitsentwicklung des Angeklagten bereits zum Zeitpunkt der beiden ersten Taten zutreffend die Anwendung von Jugendstrafrecht bejaht hat, da ihn dies nicht belastet. Dies gilt ebenso für die Annahme, dass das Schwergewicht der Taten bei den beiden ersten Vergewaltigungen liegt, obgleich jedenfalls bei Anwendung des § 105 Abs. 1 Nr. 1 JGG für die ersten beiden Taten die im Alter von immerhin nunmehr 30 Jahren begangene dritte Tat im Jahre 2000 nicht zwingend weniger schwer wiegt, auch wenn diese Vergewaltigung aufgrund der Gegenwehr des Opfers im Versuchsstadium stecken geblieben ist.
15
Unter Anwendung von § 32 S. 1 JGG für alle drei Taten hat die Jugendkammer rechtsfehlerfrei allein wegen der Schwere der Schuld Jugendstrafe verhängt (vgl. Senat, Urt. vom 31. August 2004 - 1 StR 213/04; BGHR JGG § 17 Abs. 2 Schwere der Schuld 1 und 2). Bei deren Bemessung hat sie dem Erziehungsgedanken i.S.v. § 18 Abs. 2 JGG für den zum Zeitpunkt der Urteilsverkündung 36-jährigen Angeklagten, der bei Begehung der Taten 19 bzw. 30 Jahre alt war, eine nur untergeordnete Bedeutung beigemessen. Dagegen ist aus Rechtsgründen nichts zu erinnern, da mit fortschreitendem Alter des Täters dem Erziehungsgedanken ein immer geringeres Gewicht zukommen kann (Senat, Urt. vom 31. August 2004 - 1 StR 213/04).
16
Im Rahmen der Strafzumessung hat das Landgericht zu Recht herausgestellt , dass die drei Taten der schweren Kriminalität zuzurechnen, von hoher krimineller Energie geprägt sind und von einer eingeschliffenen Haltung zeugen, das Recht anderer auf sexuelle Selbstbestimmung zu missachten. Bei den Taten unter II.1. und II.2. waren die Opfer sehr jung, das eine knapp oder gerade 14 Jahre alt, das andere 15 Jahre alt. Bei den Taten unter II.1. und II.3. verwendete der Angeklagte zum Zweck der Vergewaltigung jeweils ein Messer und fügte den Opfern Schnittwunden zu; er verwirklichte also tateinheitlich neben dem Straftatbestand der (versuchten besonders schweren) Vergewaltigung jeweils den Straftatbestand der gefährlichen Körperverletzung des § 223a Abs. 1 aF bzw. § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB, wenngleich bei der Tat unter II.1. diesbezüglich Verjährung eingetreten ist (zur Berücksichtigungsfähigkeit verjährter Taten - wenn auch mit geringerem Gewicht - Senat, Beschluss vom 14. März 2000 - 1 StR 65/00; BGHR StGB § 46 Abs. 2 Vorleben 20). Bei der Tat unter II.2. drohte er mit dem Einsatz eines Messers. Der Angeklagte missbrauchte bei allen Taten das ihm als Mitglied der gemeinsamen Clique von den Opfern entgegengebrachte Vertrauen. Nach den ersten beiden Taten setzte er seine jugendlichen Opfer jeweils planmäßig und auf äußerst perfide Weise unter Druck, um sie von Strafanzeigen abzuhalten. Die Opfer leiden noch heute massiv unter den psychischen Folgen der Taten.
17
Zu Gunsten des Angeklagten hat die Kammer im Rahmen der Strafzumessung hervorgehoben, dass jedenfalls die Taten zum Nachteil der Nebenklägerinnen K. und M. sehr lange zurückliegen. Auch die weiteren für den Angeklagten sprechenden Umstände, welche in seiner Person begründet sind - gesundheitliche Einschränkungen, hieraus resultierende Verfahrensdauer , Untersuchungshaft und familiäre Eingebundenheit, keine Vorstrafen -, hat das Landgericht erkannt und gewürdigt.
18
Bei einer Gesamtwürdigung sind die Taten auch im Vergleich zu sonstigen Fällen der (versuchten) Vergewaltigung als überdurchschnittlich schwerwiegend einzustufen. Auch bei der rechtlich gebotenen Nichtberücksichtigung des Umstands, dass den Angeklagten der Vollzug einer Jugendstrafe in der Vergangenheit offensichtlich nicht beeindruckt hat, stellt sich eine Jugendstrafe von acht Jahren als angemessen dar. Dabei würdigt der Senat auch den - von der Kammer nicht ausdrücklich erwogenen - Umstand, dass bei Sexualstraftaten zum Nachteil junger Opfer der bloße Zeitablauf seit der Tat als begünstigender Strafzumessungsumstand weniger Gewicht hat (Senat, Beschluss vom 8. Februar 2006 - 1 StR 7/06; Schäfer, Praxis der Strafzumessung 3. Aufl. Rdn. 437). Dies findet darin seine Bestätigung, dass nach den Urteilsfeststellungen die Nebenklägerinnen K. und M. nur deswegen von einer früheren Anzeigeerstattung absahen, weil es dem Angeklagten gelang, die noch sehr jungen Opfer planmäßig und auf perfide Weise zu manipulieren und die Geschädigte K. zudem mit der für diese als erheblich belastend angesehenen öffentlichen Preisgabe einer vorangegangenen Vergewaltigung unter Druck setzte. Wahl Kolz Hebenstreit Richterin am Bundesgerichtshof Richter am Bundesgerichtshof Elf ist wegen Urlaubs an der Dr. Graf ist wegen Urlaubs an der Unterschrift gehindert. Unterschrift gehindert. Wahl Wahl
5
Der neue Tatrichter wird zudem, worauf der Generalbundesanwalt ebenfalls zu Recht hingewiesen hat, bei der Bemessung der Jugendstrafe den Erziehungsgedanken genauer als bisher zu berücksichtigen haben.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 S t R 2 1 4 / 1 5
vom
20. August 2015
in der Strafsache
gegen
wegen Beihilfe zur Vergewaltigung
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers
und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - gemäß
§ 349 Abs. 2 und 4 StPO am 20. August 2015 einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Oldenburg vom 14. November 2014, soweit es ihn betrifft , im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Beihilfe zur Vergewaltigung zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten verurteilt und dahin erkannt, dass von dieser Strafe wegen einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung sechs Monate als bereits vollstreckt gelten. Von einer Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt hat die Jugendkammer abgesehen. Die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Der Schuldspruch, die Kompensationsentscheidung und das Absehen von der Anordnung einer Maßregel nach § 64 StGB weisen keinen den Angeklagten belastenden materiellrechtlichen Fehler auf.
3
2. Der Strafausspruch hält jedoch sachlichrechtlicher Prüfung nicht stand.
4
Das Landgericht hat gegen den zur Tatzeit am 25. November 2007 16 Jahre alten Angeklagten gemäß § 17 Abs. 2 JGG Jugendstrafe verhängt und dabei sowohl schädliche Neigungen als auch die Schwere der Schuld bejaht. Bei der Bestimmung der Strafhöhe hat es sich maßgebend am Erziehungsgedanken orientiert. Einen Härteausgleich, weil mehrere in weiteren Urteilen verhängte jugendstrafrechtliche Sanktionen bereits vollständig vollstreckt waren und die entsprechenden Entscheidungen deshalb nicht gemäß § 31 Abs. 2 JGG einbezogen werden konnten, hat es ausdrücklich deshalb abgelehnt , weil dieser "dem Erziehungsgedanken des Jugendstrafrechts zuwiderliefe".
5
Damit hat die Jugendkammer nicht bedacht, dass dem Erziehungsgedanken bei der Bestimmung von Art und Dauer der Sanktion für die Tat des zum Zeitpunkt der Verkündung des erstinstanzlichen Urteils bereits 23 Jahre und fast sieben Monate alten und damit im strafrechtlichen Sinne erwachsenen Angeklagten bereits nach der bisherigen Rechtsprechung ein allenfalls geringes Gewicht zukommen kann (vgl. BGH, Beschluss vom 17. März 2006 - 1 StR 577/05, NStZ 2006, 587, 588; Urteil vom 31. August 2004 - 1 StR 213/04, juris Rn. 12). Schon dieser Rechtsfehler führt dazu, dass der Strafausspruch nicht bestehen bleiben kann. Der Senat muss deshalb hier nicht entscheiden, ob er in vollem Umfang der neueren Auffassung des 1. Strafsenats zustimmen könnte , der nunmehr weiter gehend und der - soweit ersichtlich - überwiegenden Ansicht in der Literatur (vgl. etwa Brunner/Dölling, JGG, 12. Aufl., § 17 Rn. 14b; MüKoStGB/Radtke, JGG § 17 Rn. 60; HK-JGG/Laue, 2. Aufl., § 17 Rn. 28; aA etwa Eisenberg, JGG, 17. Aufl., § 17 Rn. 34a) folgend dazu neigt, bei einer auf die Schwere der Schuld gestützten Jugendstrafe die Erziehungsfähigkeit und -bedürftigkeit des jugendlichen oder heranwachsenden Straftäters generell nicht zu berücksichtigen (BGH, Beschluss vom 6. Mai 2013 - 1 StR 178/13, BGHR JGG § 17 Abs. 2 Schwere der Schuld 5 mit Anmerkung Eisenberg, NStZ 2013, 636). Er gibt allerdings zu erwägen, dass insbesondere auch verfassungsrechtliche Vorgaben (vgl. Budelmann, Jugendstrafrecht für Erwachsene?, S. 80 ff.) Anlass dazu sein könnten, die bisherige Rechtsprechung dahin weiter zu entwickeln, dass bei der Verhängung von Sanktionen gegen Straftäter, die zum Zeitpunkt ihrer Verurteilung bereits das 21. Lebensjahr vollendet haben und somit im strafrechtlichen Sinne als erwachsen gelten, der Erziehungsgedanke nicht mehr nur von geringem Gewicht sein kann, sondern insgesamt kein taugliches Strafzumessungskriterium mehr ist. Dies könnte mit Blick auf § 89b Abs. 1 Satz 2 JGG jedenfalls für solche Täter gelten, die zu dem genannten Zeitpunkt das 24. Lebensjahr vollendet haben und deren Jugendstrafe deshalb regelmäßig im Strafvollzug für Erwachsene zu vollziehen ist (vgl. Eisenberg NStZ 2013, 636, 637).
6
Die Aufhebung des Strafausspruchs lässt die Kompensationsentscheidung unberührt (BGH, Urteil vom 27. August 2009 - 3 StR 250/09, BGHSt 54, 135, 138).
Becker Pfister Schäfer RiBGH Mayer befindet sich Spaniol im Urlaub und ist daher gehindert zu unterschreiben. Becker
19
Damit hat die Jugendkammer nicht bedacht, dass dem Erziehungsgedanken bei der Bestimmung von Art und Dauer der Sanktion für die Tat der zum Zeitpunkt der Verkündung des erstinstanzlichen Urteils im strafrechtlichen Sinne erwachsenen Angeklagten schon nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ein allenfalls geringes Gewicht zukommt (BGH, Beschluss vom 20. August 2015 - 3 StR 214/15, juris Rn. 5 mwN). Dies ist rechtsfehlerhaft und bedingt die Aufhebung des Rechtsfolgenausspruchs. Ob darüber hinaus Anlass bestehen könnte, die bisherige Rechtsprechung dahin weiter zu entwickeln, dass bei der Verhängung von Sanktionen gegen Straftäter, die zum Zeitpunkt ihrer Verurteilung bereits das 21. Lebensjahr vollendet haben und somit im strafrechtlichen Sinne als erwachsen gelten, der Erziehungsgedanke nicht mehr nur von geringem Gewicht sein kann, sondern insgesamt kein taugliches Strafzumessungskriterium mehr ist (vgl. BGH aaO), bedarf deshalb hier (erneut) keiner Entscheidung.

(1) An einem Verurteilten, der das 18. Lebensjahr vollendet hat und sich nicht für den Jugendstrafvollzug eignet, kann die Jugendstrafe statt nach den Vorschriften für den Jugendstrafvollzug nach den Vorschriften des Strafvollzuges für Erwachsene vollzogen werden. Hat der Verurteilte das 24. Lebensjahr vollendet, so soll Jugendstrafe nach den Vorschriften des Strafvollzuges für Erwachsene vollzogen werden.

(2) Über die Ausnahme vom Jugendstrafvollzug entscheidet der Vollstreckungsleiter.

Für mehrere Straftaten, die gleichzeitig abgeurteilt werden und auf die teils Jugendstrafrecht und teils allgemeines Strafrecht anzuwenden wäre, gilt einheitlich das Jugendstrafrecht, wenn das Schwergewicht bei den Straftaten liegt, die nach Jugendstrafrecht zu beurteilen wären. Ist dies nicht der Fall, so ist einheitlich das allgemeine Strafrecht anzuwenden.

(1) Die Anwendung des Jugendstrafrechts soll vor allem erneuten Straftaten eines Jugendlichen oder Heranwachsenden entgegenwirken. Um dieses Ziel zu erreichen, sind die Rechtsfolgen und unter Beachtung des elterlichen Erziehungsrechts auch das Verfahren vorrangig am Erziehungsgedanken auszurichten.

(2) Die allgemeinen Vorschriften gelten nur, soweit in diesem Gesetz nichts anderes bestimmt ist.

(1) An einem Verurteilten, der das 18. Lebensjahr vollendet hat und sich nicht für den Jugendstrafvollzug eignet, kann die Jugendstrafe statt nach den Vorschriften für den Jugendstrafvollzug nach den Vorschriften des Strafvollzuges für Erwachsene vollzogen werden. Hat der Verurteilte das 24. Lebensjahr vollendet, so soll Jugendstrafe nach den Vorschriften des Strafvollzuges für Erwachsene vollzogen werden.

(2) Über die Ausnahme vom Jugendstrafvollzug entscheidet der Vollstreckungsleiter.

(1) Begeht ein Heranwachsender eine Verfehlung, die nach den allgemeinen Vorschriften mit Strafe bedroht ist, so wendet der Richter die für einen Jugendlichen geltenden Vorschriften der §§ 4 bis 8, 9 Nr. 1, §§ 10, 11 und 13 bis 32 entsprechend an, wenn

1.
die Gesamtwürdigung der Persönlichkeit des Täters bei Berücksichtigung auch der Umweltbedingungen ergibt, daß er zur Zeit der Tat nach seiner sittlichen und geistigen Entwicklung noch einem Jugendlichen gleichstand, oder
2.
es sich nach der Art, den Umständen oder den Beweggründen der Tat um eine Jugendverfehlung handelt.

(2) § 31 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 ist auch dann anzuwenden, wenn der Heranwachsende wegen eines Teils der Straftaten bereits rechtskräftig nach allgemeinem Strafrecht verurteilt worden ist.

(3) Das Höchstmaß der Jugendstrafe für Heranwachsende beträgt zehn Jahre. Handelt es sich bei der Tat um Mord und reicht das Höchstmaß nach Satz 1 wegen der besonderen Schwere der Schuld nicht aus, so ist das Höchstmaß 15 Jahre.