Bundesgerichtshof Urteil, 21. Dez. 2016 - 1 StR 399/16

ECLI:ECLI:DE:BGH:2016:211216U1STR399.16.0
bei uns veröffentlicht am21.12.2016

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 399/16
vom
21. Dezember 2016
in der Strafsache
gegen
wegen Körperverletzung u.a.
ECLI:DE:BGH:2016:211216U1STR399.16.0

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Hauptverhandlung vom 20. Dezember 2016 in der Sitzung am 21. Dezember 2016, an denen teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Dr. Raum, der Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Jäger, die Richterin am Bundesgerichtshof Cirener und die Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Mosbacher, Dr. Bär,
Staatsanwalt - in der Verhandlung vom 20. Dezember 2016 -, Staatsanwältin - bei der Verkündung am 21. Dezember 2016 - als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt , - in der Verhandlung vom 20. Dezember 2016 - als Verteidiger des Angeklagten,
Justizangestellte - in der Verhandlung vom 20. Dezember 2016 -, Justizobersekretärin - bei der Verkündung am 21. Dezember 2016 - als Urkundsbeamtinnen der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts München I vom 15. Februar 2016 mit den Feststellungen aufgehoben. Ausgenommen sind die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen. 2. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das vorgenannte Urteil mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben , soweit das Landgericht von einer Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus abgesehen hat. 3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der beiden Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 4. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird verworfen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen vorsätzlicher Körperverletzung in Tatmehrheit mit zwei tateinheitlichen Fällen der Beleidigung in Tateinheit mit Bedrohung in Tatmehrheit mit zwei tatmehrheitlichen Fällen der Beleidigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Monaten verurteilt. Hiergegen richtet sich die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten. Mit ihrer auf die Nichtanordnung der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus beschränkten Revision rügt die Staatsanwaltschaft ebenfalls die Verletzung materiellen Rechts.

I.

2
Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
3
1. Der Angeklagte hatte sich geweigert, in einem gegen Unbekannt geführten Ermittlungsverfahren freiwillig eine Speichelprobe abzugeben, weshalb seine Wohnung am 26. März 2015 gegen 6.00 Uhr von Spezialkräften der Polizei gewaltsam geöffnet wurde, um eine gerichtlich angeordnete zwangsweise Blutentnahme durchzuführen. In diesem Rahmen beleidigte der zu diesem Zweck fixierte und gesicherte Angeklagte zwei Polizeibeamte und drohte einem Beamten, dass er ihn umbringen werde, wenn er die Möglichkeit dazu bekomme.
4
Nachdem die Blutentnahme durchgeführt, die Sicherung gelöst worden war und die eingesetzten Polizeibeamten die Wohnung sukzessive verlassen hatten, verhielt sich der Angeklagte zunächst ruhig, versetzte aber an der Wohnungstür unvermittelt einem Polizeibeamten mit der rechten geballten Faust einen sehr wuchtigen Schlag ins Gesicht, so dass dieser in die Hocke ging. Der Beamte erlitt dadurch ein Schwindelgefühl, eine rechtsseitige Gesichtsprellung mit leichter Schwellung sowie eine leichte Halswirbeldistorsion mit starken Schmerzen, die mehrere Tage anhielten.
5
Nach erneuter Sicherung des Angeklagten durch die Polizeibeamten zeigte dieser einem Polizeibeamten seinen ausgestreckten rechten Mittelfinger und äußerte: „Fick‘ Dich in den Arsch, wir sind Feinde“. Nachdem der Angeklag- te auf Grund einer vorläufigen Festnahme zum Polizeipräsidium verbracht worden war, bezeichnete er einen am vorherigen Einsatz nicht beteiligten Polizei- beamten als „Du Arschloch“ und spuckte ihm zudem aus ein bis zwei Meter Entfernung in das Gesicht sowie auf dessen Kleidung.
6
2. Der Angeklagte ist bisher wegen Erschleichens von Leistungen in vier Fällen vorgeahndet und im Jahr 2013 zu einer Geldstrafe von 25 Tagessätzen zu je 30 Euro verurteilt worden. Vor den verfahrensgegenständlichen Taten gab es gegen den Angeklagten in den Jahren 2012 bis 2014 mehrere Ermittlungsverfahren , die jeweils nach § 153 oder § 154 StPO eingestellt wurden und deshalb nicht zu weiteren Verurteilungen führten. Insoweit hat das Landgericht gleichwohl folgende Feststellungen getroffen (UA S. 73-75): So hat der Angeklagte im Rahmen eines Gerangels nach einer Fahrscheinkontrolle einen Mitarbeiter der U-Bahn-Wache beleidigt und so in den Unterarm gebissen, dass dieser dadurch eine blutende Wunde erlitt. Bei einer weiteren Kontrolle in der U-Bahn hat der Angeklagte einem Mitarbeiter einen Schlag ins Gesicht sowie jeweils links und rechts in den Rumpf versetzt, wodurch dieser eine leichte Prellung im Gesicht und Schmerzen erlitt. In weiteren Ermittlungsverfahren setzte der Angeklagte mehrfach Notrufe ab, beleidigte die Beamten, die diese Gespräche entgegennahmen, und kündigte an, jeden „abzuschlachten“, der versuche seine Mutter zu töten, wobei er ein Messer zu Hause habe. Es erfolgten auch Bedrohungen und Beleidigungen eines Mitarbeiters des Kreisverwaltungsreferats. In der Wohnung des Angeklagten konnten bei Durchsuchungsmaßnahmen Munition für Langwaffen und pyrotechnische Gegenstände sichergestellt werden.
7
3. Der Angeklagte erkrankte im Jahr 2009 erstmals an Schizophrenie, weshalb eine stationär-psychiatrische Behandlung erforderlich war, wobei er auch medikamentös behandelt wurde. Im Anschluss an die stationäre Therapie folgte eine mehrere Monate andauernde weitere ambulante Behandlung. Das sachverständig beratene Landgericht geht davon aus, dass der Angeklagte auch im Tatzeitraum an einer paranoiden Schizophrenie mit unvollständiger Remission und damit an einer krankhaften seelischen Störung als Eingangsmerkmal i.S.d. § 20 StGB litt. Da es sich hierbei um ein Störungsbild handele, welches das Motivationsgefüge und Tatverhalten entscheidend geprägt habe, sei beim Angeklagten von einer erheblichen Minderung der Steuerungsfähigkeit i.S.d. § 21 StGB auszugehen. Im Rahmen der einstweiligen Unterbringung im zu Grunde liegenden Verfahren verweigerte der Angeklagte jegliche Medikation und zeigte keine Krankheitseinsicht.
8
4. Im Rahmen der Prüfung der Voraussetzungen des § 63 StGB für eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus kommt das Landgericht zu dem Ergebnis, dass der Angeklagte zwar die rechtswidrigen Taten im Zustand erheblich verminderter Schuldfähigkeit begangen habe. Nach umfangreicher Gesamtwürdigung verneint das Landgericht aber die erforderliche Gefährlichkeitsprognose , da es an der notwendigen Erheblichkeit der für die Zukunft vom Angeklagten zu erwartenden Straftaten mangele. Zwar rage auch die verfahrensgegenständliche vorsätzliche Körperverletzung grundsätzlich in den Bereich mittlerer Kriminalität hinein. Ihr könne aber im Rahmen der Gefährlichkeitsprognose nur ein geringes Gewicht beigemessen werden, da die Aggression einer Ausnahmesituation entspringe (UA S. 71). Auch aus den jeweils gemäß § 153 oder § 154 StPO eingestellten weiteren staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren ergebe sich keine hinreichende Wahrscheinlichkeit für schwere Störungen des Rechtsfriedens durch den Angeklagten.

II.

9
Die Revision des Angeklagten ist überwiegend begründet. Die Schuldfähigkeitsprüfung des Landgerichts begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
10
1. Die Ausführungen des Landgerichts zur strafrechtlichen Verantwortlichkeit des Angeklagten sind rechtsfehlerhaft und ermöglichen dem Senat keine Nachprüfung, ob es zu Recht eine Schuldunfähigkeit des Angeklagten zum Tatzeitpunkt ausgeschlossen und eine erhebliche Verminderung der Schuld bejaht hat.
11
a) Die Entscheidung, ob die Schuldfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit aus einem der in § 20 StGB bezeichneten Gründe ausgeschlossen oder im Sinne von § 21 StGB erheblich vermindert war, erfolgt prinzipiell mehrstufig (BGH, Urteil vom 1. Juli 2015 – 2 StR 137/15, NJW 2015, 3319 und Beschluss vom 12. März 2013 – 4 StR 42/13, NStZ 2013, 519 jeweils mwN). Zunächst ist die Feststellung erforderlich, dass bei dem Angeklagten eine psychische Störung vorliegt, die ein solches Ausmaß erreicht hat, dass sie unter eines der psychopathologischen Eingangsmerkmale des § 20 StGB zu subsumieren ist. Sodann sind der Ausprägungsgrad der Störung und deren Einfluss auf die soziale Anpassungsfähigkeit des Täters zu untersuchen. Durch die festgestellten psychopathologischen Verhaltensmuster muss die psychische Funktionsfähigkeit des Täters bei der Tatbegehung beeinträchtigt worden sein. Hierzu ist der Richter für die Tatsachenbewertung jeweils auf die Hilfe eines Sachverständigen angewiesen. Gleichwohl handelt es sich bei der Frage des Vorliegens eines der Eingangsmerkmale des § 20 StGB bei gesichertem Vorliegen eines psychiatrischen Befunds wie bei der Prüfung der erheblich eingeschränkten Steuerungsfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit um Rechtsfragen. Deren Beur- teilung erfordert konkretisierende und widerspruchsfreie Darlegungen dazu, in welcher Weise sich die festgestellte psychische Störung bei Begehung der Tat auf die Handlungsmöglichkeiten des Angeklagten in der konkreten Tatsituation und damit auf die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat (BGH, Beschlüsse vom 28. Januar 2016 – 3 StR 521/15, NStZ-RR 2016, 135 und vom 19. Dezember 2012 – 4 StR 417/12, NStZ-RR 2013, 145, 146).
12
b) Diesen Anforderungen werden die Urteilsgründe im vorliegenden Fall nicht gerecht.
13
Zwar ist das Landgericht zunächst zutreffend davon ausgegangen, dass die beim Angeklagten durch den Sachverständigen diagnostizierte paranoide Schizophrenie mit unvollständiger Remission unter das Eingangsmerkmal der krankhaften seelischen Störung i.S.d. § 20 StGB eingeordnet werden kann. Die weiteren Ausführungen des Landgerichts zu den Auswirkungen und zum Schweregrad dieser Erkrankung sind aber widersprüchlich. So wird einerseits davon ausgegangen, dass beim Angeklagten eine wahnhafte Störung bestanden habe, die sowohl zum Vorliegen einer Wahnstimmung als auch zu einer Wahnwahrnehmung geführt habe, so dass letztlich eine konstruktive Auseinandersetzung mit ihm nicht möglich gewesen sei. Durch die vom Angeklagten geführte Diskussion habe sich der Wahn verhärtet und die Erkrankung verstärkt (UA S. 42 und 47). Anderseits kommt das Landgericht aber letztlich zum Ergebnis , dass die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit „weder voll- ständig aufgehoben noch die Einsichtsfähigkeit beeinträchtigt gewesen“ sein soll, weil der Angeklagte „insbesondere zu ruhig und zu klar gewesen“ sei (UA S. 46), wobei diese Wertung in einem Spannungsverhältnis zu den Bekundungen des Sachverständigen Dr. Dr. C. steht. Dieser hat den nach der Tat inhaftierten Angeklagten aufgesucht und ihn nicht nur als laut, sondern als „hasserfüllt, ablehnend und furchteinflößend“ (UA S. 47aE) geschildert. Damit bleibt auf Grund dieser widersprüchlichen Wertungen letztlich offen, in welchem Umfang sich die vom Sachverständigen attestierte Erkrankung des Angeklagten bei der Begehung der konkreten Tat ausgewirkt hat.
14
2. Da der Senat deshalb nicht auszuschließen vermag, dass der Angeklagte im Zustand der Schuldunfähigkeit und nicht nur im Zustand verminderter Schuldfähigkeit handelte, muss über den Schuldspruch und die strafrechtlichen Rechtsfolgen der Tat insgesamt neu verhandelt und entschieden werden.
15
3. Die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen beruhen aber auf einer mangelfreien Beweiswürdigung und sind von dem aufgezeigten Rechtsfehler nicht betroffen; sie können deshalb bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO). Das neue Tatgericht kann insoweit aber ergänzende Feststellungen treffen, die den bisherigen nicht widersprechen.

III.

16
Die Revision der Staatsanwaltschaft hat ebenfalls Erfolg. Die Nichtanordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
17
1. Die Revision der Staatsanwaltschaft ist wirksam auf die Nichtanordnung der Maßregel nach § 63 StGB beschränkt (§ 344 Abs. 1 StPO).
18
2. Die Nichtanordnung der Maßregel nach § 63 StGB ist rechtsfehlerhaft. Zwar ist das Landgericht von einer zumindest erheblich verminderten Schuldfähigkeit des Angeklagten zum Tatzeitpunkt i.S.d. § 21 StGB ausgegangen, jedoch weist die zur Verneinung der Maßregel führende Gefährlichkeitsprognose des Landgerichts durchgreifende Wertungsfehler auf.
19
a) Eine Unterbringung nach § 63 StGB darf lediglich dann angeordnet werden, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades dafür besteht, dass der Täter infolge seines Zustands in Zukunft Straftaten von erheblicher Bedeutung begehen wird, also solche, die eine schwere Störung des Rechtsfriedens zur Folge haben (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 3. September 2015 – 1 StR 255/15, NStZ-RR 2016, 198 mwN; Fischer, StGB, 64. Aufl., § 63 Rn. 15 und 16 mwN). Dies setzt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs voraus, dass die zu erwartenden Delikte wenigstens in den Bereich der mittleren Kriminalität hineinreichen, den Rechtsfrieden empfindlich stören und geeignet sind, das Gefühl der Rechtssicherheit der Bevölkerung erheblich zu beeinträchtigen (vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 13. Oktober 2016 – 1 StR 445/16; vom 18. Juli 2013 – 4 StR 168/13, NJW 2013, 3383; vom 16. Juni 2014 – 4 StR 111/14, NStZ 2014, 571; vom 19. August 2014 – 3 StR 243/14, StV 2016, 732; Urteil vom 28. Oktober 2015 – 1 StR 142/15, NStZ-RR 2016, 40; BVerfG, Beschluss vom 24. Juli 2013 – 2 BvR 298/12, NStZ-RR 2014, 305).
20
Diese durch die Rechtsprechung herausgebildeten Anforderungen sind durch die neue Fassung des § 63 Satz 1 StGB dahingehend konkretisiert worden , dass nur die Erwartung solcher erheblicher rechtswidriger Taten ausreicht, durch die die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird. Erreichen die Anlasstaten ihrem Gewicht nach nicht einmal diesen Bereich, ist eine Anordnung der Maßregel gemäß § 63 StGB nicht von vornherein ausgeschlossen; das Tatgericht muss in solchen Fällen allerdings die erforderliche Gefährlichkeitsprognose besonders sorgfältig darlegen (BGH, Urteil vom 2. März 2011 – 2 StR 550/10, NStZ-RR 2011, 240, 241; Beschlüsse vom 6. März 2013 – 1 StR 654/12, NStZ-RR 2013, 303, 304 f.; vom 18. November 2013 – 1 StR 594/13, NStZ-RR 2014, 76 f.).
21
b) Die Gefährlichkeitsprognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstat(en) zu entwickeln (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 13. Oktober 2016 – 1 StR 445/16; vom 16. Januar 2013 – 4 StR 520/12, NStZ-RR 2013, 141; vom 1. Oktober 2013 – 3 StR 311/13, NStZ-RR 2014, 42; vom 2. September 2015 – 2 StR 239/15; vom 3. Juni 2015 – 4 StR 167/15, StV 2016, 724) und hat sich darauf zu erstrecken, ob und welche Taten von ihm infolge seines Zustands drohen, wie ausgeprägt das Maß der Gefährdung ist und welches Gewicht den bedrohten Rechtsgütern zukommt (BVerfG, Beschluss vom 24. Juli 2013 – 2 BvR 298/12, NStZ-RR 2014, 134; BGH, Beschluss vom 7. Juni 2016 – 4 StR 79/16, NStZ-RR 2016, 306). Diesem schon von der Rechtsprechung entwickelten besonderen Darlegungserfordernis gibt die seit dem 1. August 2016 geltende und über § 2 Abs. 6 StGB anzuwendende Neuregelung in § 63 Satz 2 StGB eine klare gesetzliche Fassung (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Entwurf eines Gesetzes zur Novellierung des Rechts der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 des Strafgesetzbuches und zur Änderung anderer Vorschriften, BT-Drucks. 18/7244, S. 22-24).
22
c) Diesen aufgezeigten Anforderungen genügt die Gefährlichkeitsprognose des Landgerichts nicht, da sie in sich widersprüchlich ist und den festgestellten Sachverhalt nur unzureichend würdigt.
23
Das Landgericht hat im Rahmen seiner Erwägungen zwar auf der einen Seite zutreffend beachtet, dass im Rahmen der Gesamtabwägung zur Gefährlichkeit des Angeklagten einer in den Bereich der mittleren Kriminalität hineinreichenden Tat nur eingeschränktes Gewicht beizumessen sein kann, wenn Auslöser für diese Tat eine vom Angeklagten als äußerst bedrohlich empfundene Ausnahmesituation war (BGH, Urteil vom 8. Juni 2011 – 5 StR 134/11, RuP 2011, 245). Auf der anderen Seite geht das Landgericht auch rechtsfehlerfrei davon aus, dass bei der Gefährlichkeitsprognose im Rahmen der Gesamtwürdigung von Tat und Täter neben den verfahrensgegenständlichen auch frühere Taten mit zu berücksichtigen sind, selbst wenn die diesbezüglichen Verfahren nach § 153 oder § 154 StPO eingestellt wurden (vgl. BGH, Urteil vom 17. Februar 2004 – 1 StR 437/03).
24
Die diese beiden Gesichtspunkte berücksichtigenden Wertungen des Landgerichts dürfen jedoch nicht – wie hier – in Widerspruch zueinander stehen. Unabhängig von der Frage, ob es sich bei dem verfahrensgegenständlichen Polizeieinsatz bereits um eine derartige Ausnahmesituation für den Angeklagten handelte, belegen die Feststellungen des Landgerichts zu den weiteren Ermittlungsverfahren, dass der Angeklagte durch die Begehung vorsätzlicher Körperverletzungen im Bereich der mittleren Kriminalität in Erscheinung getreten ist. Bei beiden Vorfällen im Zusammenhang mit Fahrscheinkontrollen handelte es sich jedenfalls um keine Ausnahmesituationen im Sinne der oben dargestellten Rechtsprechung, sondern um ganz gewöhnliche Geschehnisse im Alltag. Alle bisherigen Taten des Angeklagten stellen sich damit – wie vom Sachverständigen auch ausgeführt – als unmittelbare Reaktion auf eine be- stimmte vorangegangene, vom Angeklagten „krankheitsbedingt als vermeintli- ches Unrecht empfundener Situationen“ dar (UA S. 68) und belegen den vom Landgericht angenommenen Obersatz, dass „vom Angeklagten auch in Zukunft Straftaten von ähnlicher Schwere zu erwarten sind, wie sie vom Angeklagten auch in der Vergangenheit begangen worden sind“ (UA S. 67). Das einseitige Abstellen des Landgerichts auf die „Ausnahmesituation“ bei den verfahrensgegenständlichen Taten zur Verneinung der Gefährlichkeitsprognose steht damit in Widerspruch zu den Feststellungen des Landgerichts in Bezug auf die übrigen Taten, denen nur eine völlig untergeordnete Bedeutung beigemessen wird. Völlig unberücksichtigt im Rahmen der Gesamtabwägung bleibt zudem, dass der Angeklagte auch mehrfach Notrufe absetzte und ankündigte, jeden „abzu- schlachten“, der versuche seine Mutter zu töten, wobei sich in seiner Wohnung Munition und pyrotechnische Gegenstände befanden. Gleiches gilt für die Feststellung des Landgerichts, dass der Angeklagte im Rahmen der Begutachtung durch den Sachverständigen ein Klappmesser mit sich führte, dieses aber nicht als Waffe verwendete, sondern auf den Tisch legte (UA S. 74). Ausgehend von den beim Angeklagten festgestellten Wahngedanken mit inadäquaten Affekten in Form von erheblich verminderter Impulskontrolle (UA S. 44) sind die abschließenden Wertungen des Landgerichts, dass beim Angeklagten zwar mit erneuten Beleidigungen und Bedrohungen zu rechnen sei, aber nicht mit weiteren schwerwiegenderen Straftaten (UA S. 76), nicht tragfähig. Dies gilt umso mehr als das Landgericht auch im Rahmen der Prognoseentscheidung zur Ablehnung der Strafaussetzung zur Bewährung ebenfalls davon ausgeht, dass der Angeklagte krankheitsbedingt weitere Straftaten begehen wird (UA S. 63).
25
Mit aufzuheben sind auch die insoweit getroffenen Feststellungen des Landgerichts, um dem neuen Tatrichter eine umfassende und widerspruchsfreie Entscheidung zu ermöglichen.

IV.

26
Für die neue Hauptverhandlung, die auch das bis dahin gezeigte Verhalten des Angeklagten in den Blick zu nehmen hat, weist der Senat ergänzend auf Folgendes hin: Da sich der Angeklagte nach den bisherigen Feststellungen des Landgerichts in der Zeit vom 26. März 2015 bis zum 15. Februar 2016 über zehn Monate in der einstweiligen Unterbringung nach § 126a StPO befunden hat, ist diese Freiheitsentziehung gemäß § 51 Abs. 1 Satz 1 StGB auf eine etwaige im neuen Verfahren zu verhängende Freiheitsstrafe anzurechnen, so dass eine Entscheidung über die Strafaussetzung zur Bewährung schon begrifflich ausscheidet. Ohne dass es auf die bedenklichen Ausführungen des Landgerichts zur Sozialprognose oder Verteidigung der Rechtsordnung (§ 56 Abs. 3 StGB) ankäme, müsste die dann bereits vollzogene Freiheitsstrafe als unbedingte ausgeurteilt werden (BGH, Beschluss vom 12. Februar 2014 – 1 StR 36/14, NStZ-RR 2014, 138). Im Fall der Anordnung einer Maßregel nach § 63 StGB hätte der Angeklagte i.S.d. § 67b Abs. 1 Satz 2 StGB auch keine „Frei- heitsstrafe zu verbüßen“, weil diese durch Anrechnung des erlittenen Freiheits- entzugs nach § 51 Abs. 1 Satz 1 StGB erledigt wäre (BGH, Beschluss vom 25. August 1993 – 5 StR 500/93, StV 1994, 260).
Raum Jäger RinBGH Cirener ist krankheitsbedingt an der Unterschriftsleistung gehindert. Raum
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Bundesgerichtshof Beschluss, 13. Okt. 2016 - 1 StR 445/16

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Bundesgerichtshof Beschluss, 22. Mai 2019 - 1 StR 651/18

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Bundesgerichtshof Urteil, 06. Juli 2017 - 4 StR 65/17

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BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 4 StR 65/17 vom 6. Juli 2017 in der Strafsache gegen wegen versuchter schwerer Brandstiftung ECLI:DE:BGH:2017:060717U4STR65.17.0 Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 6. Ju

Referenzen

(1) Hat das Verfahren ein Vergehen zum Gegenstand, so kann die Staatsanwaltschaft mit Zustimmung des für die Eröffnung des Hauptverfahrens zuständigen Gerichts von der Verfolgung absehen, wenn die Schuld des Täters als gering anzusehen wäre und kein öffentliches Interesse an der Verfolgung besteht. Der Zustimmung des Gerichtes bedarf es nicht bei einem Vergehen, das nicht mit einer im Mindestmaß erhöhten Strafe bedroht ist und bei dem die durch die Tat verursachten Folgen gering sind.

(2) Ist die Klage bereits erhoben, so kann das Gericht in jeder Lage des Verfahrens unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft und des Angeschuldigten das Verfahren einstellen. Der Zustimmung des Angeschuldigten bedarf es nicht, wenn die Hauptverhandlung aus den in § 205 angeführten Gründen nicht durchgeführt werden kann oder in den Fällen des § 231 Abs. 2 und der §§ 232 und 233 in seiner Abwesenheit durchgeführt wird. Die Entscheidung ergeht durch Beschluß. Der Beschluß ist nicht anfechtbar.

(1) Die Staatsanwaltschaft kann von der Verfolgung einer Tat absehen,

1.
wenn die Strafe oder die Maßregel der Besserung und Sicherung, zu der die Verfolgung führen kann, neben einer Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Beschuldigten wegen einer anderen Tat rechtskräftig verhängt worden ist oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat, nicht beträchtlich ins Gewicht fällt oder
2.
darüber hinaus, wenn ein Urteil wegen dieser Tat in angemessener Frist nicht zu erwarten ist und wenn eine Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Beschuldigten rechtskräftig verhängt worden ist oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat, zur Einwirkung auf den Täter und zur Verteidigung der Rechtsordnung ausreichend erscheint.

(2) Ist die öffentliche Klage bereits erhoben, so kann das Gericht auf Antrag der Staatsanwaltschaft das Verfahren in jeder Lage vorläufig einstellen.

(3) Ist das Verfahren mit Rücksicht auf eine wegen einer anderen Tat bereits rechtskräftig erkannten Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung vorläufig eingestellt worden, so kann es, falls nicht inzwischen Verjährung eingetreten ist, wieder aufgenommen werden, wenn die rechtskräftig erkannte Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung nachträglich wegfällt.

(4) Ist das Verfahren mit Rücksicht auf eine wegen einer anderen Tat zu erwartende Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung vorläufig eingestellt worden, so kann es, falls nicht inzwischen Verjährung eingetreten ist, binnen drei Monaten nach Rechtskraft des wegen der anderen Tat ergehenden Urteils wieder aufgenommen werden.

(5) Hat das Gericht das Verfahren vorläufig eingestellt, so bedarf es zur Wiederaufnahme eines Gerichtsbeschlusses.

Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

(1) Hat das Verfahren ein Vergehen zum Gegenstand, so kann die Staatsanwaltschaft mit Zustimmung des für die Eröffnung des Hauptverfahrens zuständigen Gerichts von der Verfolgung absehen, wenn die Schuld des Täters als gering anzusehen wäre und kein öffentliches Interesse an der Verfolgung besteht. Der Zustimmung des Gerichtes bedarf es nicht bei einem Vergehen, das nicht mit einer im Mindestmaß erhöhten Strafe bedroht ist und bei dem die durch die Tat verursachten Folgen gering sind.

(2) Ist die Klage bereits erhoben, so kann das Gericht in jeder Lage des Verfahrens unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft und des Angeschuldigten das Verfahren einstellen. Der Zustimmung des Angeschuldigten bedarf es nicht, wenn die Hauptverhandlung aus den in § 205 angeführten Gründen nicht durchgeführt werden kann oder in den Fällen des § 231 Abs. 2 und der §§ 232 und 233 in seiner Abwesenheit durchgeführt wird. Die Entscheidung ergeht durch Beschluß. Der Beschluß ist nicht anfechtbar.

(1) Die Staatsanwaltschaft kann von der Verfolgung einer Tat absehen,

1.
wenn die Strafe oder die Maßregel der Besserung und Sicherung, zu der die Verfolgung führen kann, neben einer Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Beschuldigten wegen einer anderen Tat rechtskräftig verhängt worden ist oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat, nicht beträchtlich ins Gewicht fällt oder
2.
darüber hinaus, wenn ein Urteil wegen dieser Tat in angemessener Frist nicht zu erwarten ist und wenn eine Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Beschuldigten rechtskräftig verhängt worden ist oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat, zur Einwirkung auf den Täter und zur Verteidigung der Rechtsordnung ausreichend erscheint.

(2) Ist die öffentliche Klage bereits erhoben, so kann das Gericht auf Antrag der Staatsanwaltschaft das Verfahren in jeder Lage vorläufig einstellen.

(3) Ist das Verfahren mit Rücksicht auf eine wegen einer anderen Tat bereits rechtskräftig erkannten Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung vorläufig eingestellt worden, so kann es, falls nicht inzwischen Verjährung eingetreten ist, wieder aufgenommen werden, wenn die rechtskräftig erkannte Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung nachträglich wegfällt.

(4) Ist das Verfahren mit Rücksicht auf eine wegen einer anderen Tat zu erwartende Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung vorläufig eingestellt worden, so kann es, falls nicht inzwischen Verjährung eingetreten ist, binnen drei Monaten nach Rechtskraft des wegen der anderen Tat ergehenden Urteils wieder aufgenommen werden.

(5) Hat das Gericht das Verfahren vorläufig eingestellt, so bedarf es zur Wiederaufnahme eines Gerichtsbeschlusses.

Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 S t R 1 3 7 / 1 5
vom
1. Juli 2015
in der Strafsache
gegen
wegen Betrugs
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 1. Juli 2015,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Fischer,
die Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Krehl,
Dr. Eschelbach,
Zeng,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Bartel,
Bundesanwältin beim Bundesgerichtshof
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Köln vom 15. Dezember 2014 im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen, mit Ausnahme derjenigen zum äußeren Tatgeschehen, aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Nach Aufhebung eines ersten Urteils durch Senatsbeschluss vom 17. April 2014 - 2 StR 405/12 (NJW 2014, 2738), wobei aber die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen aufrecht erhalten wurden, hat das Landgericht den Angeklagten mit dem angefochtenen Urteil wegen Betrugs in 29 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt sowie ausgesprochen, dass davon zwei Monate als bereits vollstreckt gelten. In den Niederlanden erlittene Auslieferungshaft hat es im Verhältnis von eins zu eins angerechnet. Gegen dieses Urteil richtet sich die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten, der das Rechtsmittel in der Revisionshauptverhandlung auf den Strafausspruch beschränkt hat. Die Revision hat in diesem Umfang Erfolg.

I.

2
Nach den bindend gewordenen Feststellungen zur Tat beschloss der Angeklagte im Herbst 2005 noch während der Verbüßung einer Freiheitsstrafe wegen gleichartiger Taten, Kunden in schwierigen finanziellen Verhältnissen eine Leasingfinanzierung anzubieten und dabei Vorschusszahlungen zu verlangen. Im Februar 2006 gründete er mit dem gesondert verfolgten S. die H. mit Sitz in M. . Das Unternehmen unterbreitete Interessenten jeweils Angebote für eine Finanzierung, wobei eine Vorausgebühr ab Erteilung einer Darlehenszusage in Höhe von fünf vom Hundert der Darlehenssumme verlangt wurde. Unmittelbar nach Erbringung dieser "Sonderzahlung" übernahm eine "Refinanzierungsabteilung" des Unternehmens die Sachbearbeitung und forderte umfangreiche Bonitätsauskünfte sowie die Vorlage weiterer Unterlagen ein. Danach wurde der Vertrag jeweils mit Hinweis auf ein Verschulden des Kunden gekündigt, und die H. machte gegen die Kunden auch Schadensersatzansprüche geltend, bis diese einer Aufhebungsvereinbarung unter Verzicht auf die Rückzahlung der Vorausgebühr zustimmten. Über ausreichende Mittel oder Refinanzierungsmöglichkeiten zur Darlehensgewährung an die Kunden verfügte die H. nicht.
3
Gegenstand der Verurteilung sind Sonderzahlungen von Kunden aufgrund von Darlehenszusagen durch Mitarbeiter der H. . In einem Teil der Fälle hatte der Angeklagte, der als faktischer Geschäftsführer des Unternehmens aufgetreten war, neben anderen Personen selbst am Vertragsabschluss mitgewirkt. Andere Fälle hat ihm das Landgericht als uneigentliches Organisationsdelikt zugerechnet.

II.

4
Die Rechtsmittelbeschränkung in der Revisionshauptverhandlung, welcher der Generalbundesanwalt zugestimmt hat, ist wirksam.
5
Der Senat schließt - unbeschadet des Vorliegens eines Rechtsfehlers bei der Prüfung der §§ 20, 21 StGB (dazu sogleich unter III.) - aus, dass ein neues Tatgericht zu der Feststellung der Schuldunfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit gelangen würde. Dagegen sprechen unter anderem die Vorausplanung der Tat bereits in der Haft und die lange Dauer des komplexen Tatgeschehens.

III.

6
Die Revision hat im verbleibenden Umfang Erfolg; sie führt zur Aufhebung des Strafausspruchs mit den zugehörigen Feststellungen. Die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen sind, auch soweit sie doppelrelevant wirken , bereits bindend geworden, was der Senat klargestellt hat.
7
1. In dem vom Senat aufgehobenen ersten Urteil war das Fehlen der Fähigkeit des Angeklagten zur Einsicht in das Unrecht der Betrugshandlungen nicht rechtsfehlerfrei ausgeschlossen worden. Nunmehr hat das Landgericht angenommen, zur Tatzeit habe der Angeklagte mit Unrechtseinsicht gehandelt. Seiner Fähigkeit zur Verhaltenssteuerung nach dieser Einsicht habe keine schwere andere seelische Abartigkeit entgegengestanden. Seine Feststellung vorhandener Unrechtseinsicht ist rechtsfehlerfrei. Jedoch unterliegt die Verneinung einer erheblichen Verminderung des Hemmungsvermögens durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
8
2. a) Nach den Feststellungen des Landgerichts leidet der heute 62jährige Angeklagte unter einer histrionischen Persönlichkeitsstörung mit narzisstischen und dissozialen Anteilen. Schon als Kind hatte er Geld entwendet, um sich mit Zuwendungen Freundschaften zu erkaufen. Nie nahm er später eine intime Beziehung auf. Sein gesamtes Streben als Erwachsener war darauf gerichtet, die Mitarbeiter seiner Unternehmungen an sich zu binden, die er als „Ersatzfamilie“ betrachtete und in eine Vielzahl von Freizeitaktivitäten einbezog. Er unterstützte nicht nur seine Mitarbeiter finanziell, sondern sogar die Eltern der zum Personal der H. gehörenden Brüder S. . Der Angeklagte reagierte "indigniert bis beleidigt", wenn sich die Mitarbeiter seinem Wunsch nach engem Kontakt verschlossen.
9
Das Landgericht hat ausgeführt, zwar liege das Vollbild einer Persönlichkeitsstörung vor; jedoch habe diese Störung nicht dasselbe Belastungsgewicht wie eine seelische Krankheit. Sie erfülle nicht das Eingangsmerkmal einer schweren anderen seelischen Abartigkeit im Sinne von § 20 StGB.
10
Die Störung habe allerdings dazu geführt, dass der Angeklagte sich in der gesamten Tatstruktur ein Konstrukt geschaffen habe, in welchem er nicht nur beruflich, sondern auch im Persönlichen der "Chef" gewesen sei. Die Störung sei in seiner Persönlichkeit absolut prägend. Aufgrund einer Selbstwertstö- rung habe er eine Rolle eingenommen, die ihn besonders „großartig“ erschie- nen ließ. In Fantasien über einen Finanzierungserfolg und der Behandlung des gesondert verfolgten S. als seinen künftigen "Nachfolger" im Sinne dynastischer Großkonzerne seien narzisstische Züge zu erkennen. Er habe sich in Beziehungen verstrickt, über deren Motivation man nur spekulieren könne und die scheitern mussten, weil er seine "Ziehsöhne" stets nach seinen Vorstellungen "umzugestalten" versucht habe.
11
Gleichwohl habe die Störung das Leben des Angeklagten nicht vergleichbar schwer und mit ähnlichen sozialen Folgen beeinträchtigt, wie eine krankhafte seelische Störung. Sein "soziales Funktionsniveau" sei dafür zu hoch gewesen. Eine stereotype Lebensgestaltung wie bei einem Drogenabhängigen habe nicht vorgelegen, sondern ein unauffällig strukturierter Tagesablauf, der sowohl Arbeit als auch Freizeitverhalten eingeschlossen habe. Beruflich wie privat habe der Angeklagte ein Maß an Flexibilität gezeigt, das von einem Menschen mit einer krankhaften seelischen Störung nicht erwartet werden könne. Er sei auch grundsätzlich in einer Weise kontaktfähig gewesen, wie sie "von einem Patienten mit einer krankhaften seelischen Störung - etwa mit einem psychotischen Residualsyndrom - keinesfalls zu erwarten" gewesen sei. Probleme bei der Affektregulation und ähnliche störungsbedingte Beeinträchtigungen seien nicht zu beobachten gewesen. Vor diesem Hintergrund sei festzustellen , dass die Einsicht des Angeklagten in das Unrecht der Serientaten nicht ausgeschlossen gewesen sei.
12
b) Gegen diese Beurteilung bestehen durchgreifende rechtliche Bedenken. Sie lenken den Blick auf die Unrechtseinsicht des Angeklagten und vernachlässigen die Frage einer Beeinträchtigung des Hemmungsvermögens.
13
aa) Richtig ist zwar, dass nicht bereits die gesicherte Diagnose einer histrionischen Persönlichkeitsstörung mit narzisstischen und dissozialen Anteilen mit einer "schweren anderen seelischen Abartigkeit" in § 20 StGB gleichzusetzen ist (vgl. BGH, Urteil vom 21. Januar 2004 - 1 StR 346/03, BGHSt 49, 45, 52). Jedoch kann das Eingangsmerkmal im Einzelfall bei einem solchen Befund erfüllt sein. Dabei sind der Ausprägungsgrad der Störung und ihr Einfluss auf die soziale Anpassungsfähigkeit von Bedeutung.
14
Für die Bewertung der Schwere der Persönlichkeitsstörung ist im Allgemeinen maßgebend, ob es im Alltag außerhalb des Delikts zu Einschränkungen des sozialen Handlungsvermögens gekommen ist (BGH aaO). Insoweit ist die Unterscheidung von beruflichen und privaten Aktivitäten des Angeklagten dadurch erschwert, dass seine vielfältigen "privaten" Aktivitäten - "durchgängig" unter Einbeziehung der Mitglieder seiner "Ersatzfamilie" - gerade Ausdruck seiner Persönlichkeitsstörung waren. Im Vordergrund der Prüfung müssten daher die Wahrnehmung der eigenen und anderer Personen, die emotionalen Reaktionen , die konkrete Gestaltung zwischenmenschlicher Beziehungen und die Impulskontrolle stehen (vgl. BGH, Beschluss vom 19. Dezember 2012 - 4 StR 494/12, BGHR StGB § 20 seelische Abartigkeit 6). Damit hat sich das Landgericht unter einem falschen Blickwinkel beschäftigt.
15
So wäre etwa auch die Unfähigkeit des Angeklagten, eine intime Partnerschaft einzugehen und deren vollständige Ersetzung durch die intensive berufliche wie private Beziehung zu den Mitarbeitern als Ausdruck der Störung in die Gesamtschau einzubeziehen. Deshalb grenzt die landgerichtliche Annahme des Vorliegens eines normalen Sozialverhaltens mit "hohem Funktionsniveau" ein nur scheinbar intaktes Privatleben in unzutreffender Weise von Störungssymptomen ab. Zumindest hat das Landgericht die Bedeutung dieses Aspekts im Unklaren gelassen, indem es angemerkt hat, über die Gründe dafür, dass der Angeklagte zweifelhafte Beziehungen mit Personen aufgenommen hat, die ihn - wie er wusste - stets ausgenutzt haben, können "nur spekuliert" werden.
16
bb) Das Landgericht hat die Zielrichtung der Prüfung, ob ein Eingangsmerkmal im Sinne des § 20 StGB vorliegt und die Schuldfähigkeit des Angeklagten im Sinne des § 21 StGB erheblich beeinträchtigt war, im Hinblick auf die Frage des Hemmungsvermögens vernachlässigt, weil es sich auf die Frage der Unrechtseinsicht konzentriert hat. Auch deshalb hat es eine fragwürdige Gewichtung der Störung vorgenommen.
17
Die Entscheidung, ob das Hemmungsvermögen des Angeklagten zur Tatzeit aus einem der in § 20 StGB bezeichneten Gründe im Sinne von § 21 StGB erheblich vermindert war, erfolgt prinzipiell mehrstufig (vgl. BGH, Urteil vom 17. April 2012 - 1 StR 15/12, StV 2013, 694); jedoch sind die Prüfungspunkte miteinander verzahnt (vgl. zur Problematik Fischer, StGB 62. Aufl. § 20 Rn. 5, 5a m.w.N.). Zunächst ist die Feststellung erforderlich, dass bei dem Angeklagten eine Störung im psychiatrischen Sinn vorliegt, was hier mit dem "Vollbild einer Persönlichkeitsstörung" eindeutig der Fall ist. Sodann sind der Ausprägungsgrad der Störung im Hinblick auf das Vorliegen eines Eingangsmerkmals und anschließend die Erheblichkeit des Einflusses auf das Hemmungsvermögen gemäß § 21 StGB zu untersuchen. Hierzu ist der Richter jeweils für die Tatsachenbewertung auf die Hilfe eines Sachverständigen angewiesen. Gleichwohl handelt es sich bei der Frage des Vorliegens eines der Eingangsmerkmale des § 20 StGB bei gesichertem Vorliegen eines psychiatrischen Befundes wie bei der Prüfung erheblich eingeschränkter Steuerungsfähigkeit zur Tatzeit um Rechtsfragen. Diese Fragen hat das Landgericht nicht in einer nachvollziehbaren Weise beantwortet.
18
Sein Vergleich der Bedeutung der Persönlichkeitsstörung des Angeklagten mit der Beeinträchtigung eines Drogensüchtigen wirkt unpassend. Jedenfalls hat die Strafkammer nicht näher überprüft, inwieweit die störungsbedingte Sucht des Angeklagten danach, die Mitglieder seiner Ersatzfamilie an sich zu binden, sein Sozialverhalten und das hiermit auf das Engste verknüpfte Tatverhalten beherrscht hat. In diese Prüfung wäre zudem der festgestellte Konsum des angstlösenden Medikaments Lorazepam (Tavor) als konstellativer Faktor einzubeziehen gewesen.
19
Schließlich liegt der Erwägung des Landgerichts, der Angeklagte habe die Abläufe in dem - ausschließlich auf Betrug ausgerichteten - Unternehmen zu organisieren und dabei auch Verträge zu entwerfen vermocht, was ein Mensch im Residualsyndrom einer Psychose nicht hätte leisten können, ein fehlerhafter Vergleich zu Grunde. Die Fähigkeit zu einem bestimmten Handeln des Täters enthält keine abschließende Aussage über seine Möglichkeit, ausreichende Hemmungen gegen dieses Handeln aufzubauen. Fischer Krehl Eschelbach Zeng Bartel

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 42/13
vom
12. März 2013
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u. a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 12. März 2013 gemäß § 349 Abs. 2
und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Dessau-Roßlau vom 17. Juli 2012 mit den Feststellungen aufgehoben
a) im Fall II. 1 der Urteilsgründe sowie
b) im gesamten Strafausspruch. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Körperverletzung in zwei Fällen, gefährlicher Körperverletzung in vier Fällen und wegen sexueller Nötigung (Vergewaltigung) in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und Freiheitsberaubung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt. Die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt, hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

I.


2
1. Die Verurteilung des Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung im Sinne von § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB im Fall II. 1 der Urteilsgründe begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
3
a) Das Landgericht hat insoweit festgestellt, dass der Angeklagte die Nebenklägerin im Zuge einer zunächst nur verbalen Auseinandersetzung zu Boden stieß und sie dort mit beiden Händen am Hals würgte, bis diese keine Luft mehr bekam, was der Angeklagte auch erkannte. Diese Feststellungen belegen eine das Leben gefährdende Behandlung im Sinne von § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB nicht.
4
b) Zwar muss die Tathandlung im Sinne von § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB nicht dazu führen, dass das Opfer der Körperverletzung tatsächlich in Lebensgefahr gerät; die jeweilige Einwirkung muss lediglich abstrakt geeignet sein, eine solche Gefährdung herbeizuführen. Danach kommt festes Würgen am Hals zwar grundsätzlich als geeignete Tathandlung in Betracht; von maßgeblicher Bedeutung sind insoweit jedoch Dauer und Stärke der Einwirkung, zu denen sich die Urteilsfeststellungen je nach Lage des Falles verhalten müssen (st. Rspr.; vgl. nur Senatsbeschluss vom 14. Oktober 2004 – 4 StR 403/04, NStZ-RR 2005, 44 mwN). Zu den näheren Umständen der konkreten Tatausführung , etwa dazu, ob der Nebenklägerin durch die Einwirkung des Angeklagten die Halsschlagader abgeschnürt wurde, enthalten die Urteilsgründe indes keine Feststellungen. Dies gilt auch für die hier möglicherweise bedeutsame Zeitspanne zwischen dem Eintritt der Atemnot bei der Nebenklägerin und dem Nichtweiterhandeln des Angeklagten.
5
2. Entgegen der Ansicht des Generalbundesanwalts hält der Senat es nicht für sicher ausgeschlossen, dass zu Art und Dauer der Einwirkung noch weitere Feststellungen getroffen werden können. Die Sache bedarf daher insoweit neuer Verhandlung und Entscheidung.

II.


6
1. Zur Schuldfähigkeit des Angeklagten hat sich die Strafkammer sachverständig beraten lassen und angenommen, dass der Angeklagte bei der Begehung der abgeurteilten Taten einerseits unter einem Syndrom der Abhängigkeit von Stimulanzien und Cannabinoiden und andererseits unter einer kombinierten Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typ mit emotional instabilen, dissozialen und narzisstischen Anteilen litt. Das Abhängigkeitssyndrom habe indes nicht zu einer „derart erheblichen krankhaften seelischen Störung“ geführt , dass die „psychische Befindlichkeit“ des Angeklagten dadurch wesentlich beeinträchtigt worden sei. Eine „andere schwere seelische“ Abartigkeit liege insoweit nicht vor, weil das Syndrom keine tatdeterminierenden Konsequenzen gehabt habe und eine Persönlichkeitsdepravation, ein Verfall oder eine Verwahrlosung des Angeklagten ebenso wenig festgestellt werden könne wie eine akute Intoxikationspsychose zu den jeweiligen Tatzeitpunkten. Auch die beim Angeklagten diagnostizierte Persönlichkeitsstörung habe nicht das Gewicht einer „schweren anderen seelischen Abartigkeit“, da sie weder mit schweren überdauernden Störungen der Affektregulation einhergegangen sei, noch zu einer Stereotypisierung des Verhaltens des Angeklagten geführt habe und schwere Störungen des Selbstwertgefühls sowie der sozialen Bindungsfähigkeit ebenfalls nicht festzustellen seien. Der Angeklagte sei daher bei Begehung aller Taten uneingeschränkt schuldfähig gewesen. Den Darlegungen des Sachverständigen hat sich das Landgericht angeschlossen; seine Würdigung hat es dabei auf die Bemerkung beschränkt, sie seien überzeugend. Dies hält hier rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
7
a) Als stoffgebundene Suchterkrankung kann die Abhängigkeit von Drogen wegen der Vielzahl möglicher Ursachen, Ausprägungen sowie körperlicher und psychischer Folgen sowohl die Voraussetzungen des Eingangsmerkmals der schweren anderen seelischen Abartigkeit im Sinne des § 20 StGB als auch – vor allem bei körperlicher Abhängigkeit – jene einer krankhaften seelischen Störung erfüllen (SSW-StGB/Schöch, § 20 Rn. 46; vgl. auch Fischer, StGB, 60. Aufl., § 20 Rn. 41). Unabhängig von dieser Einordnung begründet die Abhängigkeit von Betäubungsmitteln nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs für sich allein noch nicht eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit. Diese Folge ist bei einem Rauschgiftabhängigen nur ausnahmsweise gegeben, etwa dann, wenn langjähriger Betäubungsmittelkonsum zu schwersten Persönlichkeitsveränderungen geführt hat, der Täter unter starken Entzugserscheinungen leidet und durch sie dazu getrieben wird, sich mittels einer Straftat Drogen zu verschaffen, ferner unter Umständen dann, wenn er die Tat im Zustand eines akuten Rausches verübt (vgl. nur BGH, Urteil vom 7. August 2001 – 1 StR 470/00, NJW 2002, 150, 152 mwN). Dabei erfolgt die richterliche Entscheidung, ob die Fähigkeit des Täters, das Unrecht seiner Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, erheblich vermindert war, in einem aus mehreren Schritten bestehenden Verfahren (vgl. im Einzelnen Boetticher/Nedopil/Bosinski/Saß, NStZ 2005, 57). Zuerst ist die Feststellung erforderlich, dass beim Angeklagten eine psychische Störung vorliegt, die ein solches Ausmaß erreicht hat, dass sie unter eines der psychopathologischen Eingangsmerkmale des § 20 StGB zu subsumieren ist. Sodann sind der Aus- prägungsgrad der Störung und deren Einfluss auf die soziale Anpassungsfähigkeit des Täters zu untersuchen. Durch die festgestellten psychopathologischen Verhaltensmuster muss die psychische Funktionsfähigkeit des Täters bei der Tatbegehung beeinträchtigt worden sein. Haben bei der Tat mehrere Faktoren zusammengewirkt und kommen daher mehrere Eingangsmerkmale gleichzeitig in Betracht, so dürfen diese nicht isoliert abgehandelt werden; erforderlich ist in solchen Fällen vielmehr eine umfassende Gesamtbetrachtung (BGH, Beschluss vom 23. August 2000 – 2 StR 281/00, BGHR StGB § 21 Ursachen, mehrere 14; Beschluss vom 3. September 2004 – 1 StR 359/04, NStZ-RR 2004, 360). Der Tatrichter hat bei der Entscheidung über die Bejahung eines der Eingangsmerkmale des § 20 StGB und bei der Annahme eingeschränkter Schuldfähigkeit nicht nur die Darlegungen des medizinischen Sachverständigen eigenständig zu überprüfen; er ist auch verpflichtet, seine Entscheidung in einer für das Revisionsgericht nachprüfbaren Weise zu begründen (BGH, Beschluss vom 7. März 2006 – 3 StR 52/06, NStZ-RR 2007, 74). Das abschließende Urteil über die Erheblichkeit der Verminderung von Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit ist als Rechtsfrage ausschließlich Sache des Richters (BGH, Urteil vom 17. April 2012 – 1 StR 15/12; Beschluss vom 22. August 2012 – 4 StR 308/12, jeweils mwN).
8
b) Gemessen daran sind die im angefochtenen Urteil wiedergegebenen Ausführungen des Sachverständigen schon für sich genommen nicht bedenkenfrei , soweit eine erhebliche Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit ausgeschlossen wird.
9
aa) So legen die Urteilsgründe schon nicht dar, ob der Sachverständige beim Angeklagten die allgemeinen psychiatrischen Kriterien einer Substanzabhängigkeit gemäß ICD-10 oder DSM-IV als erfüllt angesehen hat. Zwar besagt das Vorliegen eines bestimmten Zustandsbildes nach einer der beiden Klassifikationen noch nichts über das Ausmaß drogeninduzierter Störungen. Gleichwohl weist eine solche Zuordnung in der Regel auf eine nicht ganz geringfügige Beeinträchtigung hin, der der Tatrichter mit Hilfe des Sachverständigen nachgehen muss (vgl. BGH, Urteil vom 19. September 2000 – 1 StR 310/00, NStZ 2001, 83, 84 mwN). Die Urteilsgründe beschränken sich in diesem Zusammenhang auf die Wiedergabe der Ausführungen des medizinischen Sachverständigen , wonach beim Angeklagten ein Abhängigkeitssyndrom vorliege, die drogeninduzierte Beeinflussung aber nicht zu einer wesentlichen Beeinträchtigung der „psychischen Befindlichkeit“ des Angeklagten geführt habe. Der Senat kann daher nicht nachprüfen, ob sich der Tatrichter insoweit von einem zutreffenden rechtlichen Maßstab hat leiten lassen.
10
bb) Die Urteilsgründe lassen ferner besorgen, dass die Strafkammer die für das Eingangsmerkmal der schweren anderen seelischen Abartigkeit einerseits und der krankhaften seelischen Störung andererseits erforderlichen unterschiedlichen Voraussetzungen und deren Verhältnis zueinander nicht hinreichend in den Blick genommen hat; dies kann die Beurteilung der Schuldfähigkeit hier zum Nachteil des Angeklagten beeinflusst haben. So erörtert die Strafkammer vor dem Hintergrund der entsprechenden Ausführungen des medizinischen Sachverständigen das Vorliegen einer akuten Intoxikationspsychose in unmittelbarem Zusammenhang mit der Prüfung des Eingangsmerkmals der schweren anderen seelischen Abartigkeit, nicht aber in Bezug auf eine mögliche krankhafte seelische Störung, was näher liegt. Ob das Landgericht die Vernachlässigung anderer Interessen durch den Angeklagten neben seinem starken Wunsch nach Betäubungsmittelkonsum zutreffend als Anzeichen einer schweren anderen seelischen Abartigkeit eingeordnet hat (vgl. Fischer aaO), vermögen die Urteilsgründe ebenfalls nicht zu vermitteln; Erwähnung findet die- ser Gesichtspunkt bei der Erörterung des Eingangsmerkmals der krankhaften seelischen Störung.
11
c) Die Erörterung der Frage der Schuldfähigkeit des Angeklagten erweist sich zudem als lückenhaft.
12
So findet der Umstand, dass der Angeklagte, wie vom Landgericht ausdrücklich festgestellt (UA S. 4), während einer auf eigene Initiative durchgeführten Entgiftung im April 2011, also zu Beginn des verfahrensgegenständlichen Tatzeitraums, unter intensiven und quälenden akustischen Halluzinationen litt und erst zwei bis drei Wochen vor der letzten Tat seinen Rauschgiftkonsum wieder aufnahm, bei der Erörterung der Eingangsmerkmale des § 20 StGB keine Erwähnung. Der Senat kann daher nicht überprüfen, ob der Sachverständige diesen gewichtigen Umstand bei seiner Begutachtung berücksichtigt und in welcher Weise die Strafkammer dessen Äußerungen bewertet hat. Die bloße Erwähnung eines zeitlich nicht näher eingegrenzten Entzugssyndroms (UA S. 9) ist in diesem Zusammenhang unzureichend. Die Urteilsgründe lassen ferner nicht erkennen, ob die Strafkammer in einer umfassenden Gesamtwürdigung berücksichtigt hat, dass der Sachverständige neben dem Abhängigkeitssyndrom beim Angeklagten auch eine kombinierte Persönlichkeitsstörung diagnostiziert hat. Dies lässt besorgen, dass diese Prüfung hier nicht oder nur unzureichend vorgenommen wurde und das Landgericht seine Beurteilung lediglich isoliert auf die vom Sachverständigen angesprochenen Gesichtspunkte gestützt hat.
13
2. Die Frage der Schuldfähigkeit muss daher umfassend neu geprüft werden, gegebenenfalls unter Hinzuziehung eines anderen Sachverständigen. Da der Senat auszuschließen vermag, dass beim Angeklagten bei allen Taten Schuldunfähigkeit vorlag, führt der Rechtsfehler lediglich zur Aufhebung der Strafaussprüche.

III.


14
Der zu neuer Verhandlung und Entscheidung berufene Tatrichter wird in den Blick nehmen müssen, dass vor dem Hintergrund der neuen Feststellungen zur Schuldfähigkeit gegebenenfalls die Frage der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt zu prüfen sein wird.
15
Im Hinblick auf die diesbezüglichen Ausführungen des Generalbundesanwalts in seiner Antragsschrift vom 6. Februar 2012 merkt der Senat an, dass die Anwendung des § 46a Nr. 1 StGB die Betätigung tatrichterlichen Ermessens voraussetzt (vgl. dazu Senatsbeschluss vom 14. Dezember 1999 – 4 StR 554/99, NStZ-RR 2000, 364).
Mutzbauer Cierniak Franke
Bender Quentin

Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 521/15
vom
28. Januar 2016
in der Strafsache
gegen
wegen Körperverletzung u.a.
ECLI:DE:BGH:2016:280116B3STR521.15.0

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am 28. Januar 2016 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Mönchengladbach vom 29. Juni 2015 - mit Ausnahme der Adhäsionsentscheidung - mit den Feststellungen aufgehoben ; jedoch bleiben die Feststellungen zu den äußeren Tatgeschehen aufrecht erhalten.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten des Fahrens ohne Fahrerlaubnis in vier Fällen, des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in zwei Fällen, der Zuwiderhandlung gegen eine vollstreckbare Anordnung nach dem Gewaltschutzgesetz , der Körperverletzung in Tateinheit mit einer Zuwiderhandlung gegen eine vollstreckbare Anordnung nach dem Gewaltschutzgesetz sowie der Körperverletzung in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte schuldig und ihn im Übrigen freigesprochen. Es hat wegen eines Teils der De- likte unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus einer Vorverurteilung eine Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr verhängt und wegen der übrigen Straftaten auf eine weitere Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Monaten erkannt. Außerdem hat es die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die Vollstreckung der Freiheitsstrafen und der Unterbringung hat es zur Bewährung ausgesetzt. Schließlich hat es eine Adhäsionsentscheidung getroffen. Die Revision des Angeklagten erzielt mit der Sachrüge den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Erfolg; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet.
2
1. Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen leidet der Angeklagte an einer paranoid-psychotischen Störung bei affektiver Grunderkrankung mit umschriebener Wahnbildung. Die affektive Grunderkrankung verursacht überwiegend manische, teils auch depressive Phasen. In der Zeit vom 20. November 2010 bis zum 22. September 2013 beging er die abgeurteilten Übergriffe gegen Polizeibeamte, einen Bekannten und Familienangehörige. Die Strafkammer hat dem gehörten Sachverständigen folgend für den gesamten Tatzeitraum nicht auszuschließen vermocht, dass die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten aufgrund seiner Grunderkrankung erheblich eingeschränkt war; bei einem Teil der Taten hat sie eine solche Einschränkung positiv festgestellt. Bei zwei Vorfällen hat sie nicht ausschließen können, dass die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten aufgehoben und seine Einsichtsfähigkeit erheblich eingeschränkt war.
3
2. Der Schuldspruch kann insgesamt nicht bestehen bleiben; denn die Ausführungen des Landgerichts zur Schuldfähigkeit des Angeklagten sind rechtsfehlerhaft. Letzteres bedingt auch die Aufhebung des Strafausspruchs und der Unterbringungsanordnung.
4
a) Wenn sich das Tatgericht - wie hier - darauf beschränkt, sich der Beurteilung eines Sachverständigen zur Frage der Schuldfähigkeit anzuschließen, muss es dessen wesentliche Anknüpfungspunkte und Darlegungen im Urteil so wiedergeben, wie dies zum Verständnis des Gutachtens und zur Beurteilung seiner Schlüssigkeit erforderlich ist (BGH, Beschluss vom 2. Oktober 2007 - 3 StR 412/07, NStZ-RR 2008, 39). Hieran fehlt es im vorliegenden Fall in mehrfacher Hinsicht:
5
Das Landgericht hat es bereits unterlassen, das vom Sachverständigen diagnostizierte Störungsbild einem der Eingangsmerkmale der §§ 20, 21 StGB zuzuordnen. Sodann fehlt die Darlegung, wie die paranoid-psychotische Störung auf den Angeklagten und seine Handlungsmöglichkeiten in den konkreten Tatsituationen eingewirkt hat (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Juli 2014 - 3 StR 274/14, juris Rn. 4). Die §§ 20, 21 StGB setzen voraus, dass die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit "bei Begehung der Tat" aufgehoben bzw. erheblich vermindert sind. Die Schuldfähigkeit ist deshalb in Bezug auf jede einzelne Tat zu prüfen. Erforderlich ist stets die konkretisierende Darstellung, in welcher Weise sich die festgestellte psychische Störung bei Begehung der Taten auf die Einsichts - oder Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat (BGH, Beschluss vom 19. Dezember 2012 - 4 StR 417/12, NStZ-RR 2013, 145, 146). Hierauf kann allein unter Hinweis auf die allgemeine Diagnose nicht verzichtet werden (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 13. August 2013 - 2 StR 128/13, NStZ-RR 2013, 368, 369; vom 23. August 2012 - 1 StR 389/12, NStZ 2013, 98; vom 2. Oktober 2007, aaO), denn deren Feststellung ist insbesondere auch bei bipolaren Störungen, bei denen eine große Bandbreite von Ausprägungen und Schweregraden besteht, für die Frage der Schuldfähigkeit nicht ausreichend aussagekräftig. In manischen Phasen kann es, je nach Ausprägung und Schwere, zur Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit, aber auch der Ein- sichtsfähigkeit kommen. Vor diesem Hintergrund genügen die Ausführungen in den Urteilsgründen nicht, die sich in den Verurteilungsfällen insoweit im Wesentlichen in der Mitteilung im Rahmen der Beweiswürdigung erschöpfen, der Sachverständige habe bei vier Taten eine erhebliche Einschränkung der Steuerungsfähigkeit positiv festgestellt und im Übrigen auf der Grundlage der festgestellten Grunderkrankung nicht ausschließen können, dass der Angeklagte im gesamten Tatzeitraum krankheitsbedingt in seiner Steuerungsfähigkeit erheblich eingeschränkt gewesen sei.
6
b) Da deshalb weder auszuschließen ist, dass der Angeklagte in den Verurteilungsfällen voll schuldfähig war, noch dass er im Zustand der Schuldunfähigkeit handelte, muss über den Schuldspruch und die strafrechtlichen Rechtsfolgen der Tat insgesamt neu verhandelt und entschieden werden. Der Umstand, dass allein der Angeklagte Revision eingelegt hat, hindert die Aufhebung auch des freisprechenden Teils des Urteils nicht; denn nach § 358 Abs. 2 Satz 2 StPO ist es möglich, in einer neuen Hauptverhandlung an Stelle der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus den Täter schuldig zu sprechen und eine Strafe zu verhängen (BGH, Beschlüsse vom 29. Juli 2015 - 4 StR 293/15, NStZ-RR 2015, 315, 316; vom 5. August 2014 - 3 StR 271/14, BGHR StPO § 358 Abs. 2 Satz 2 Freispruch 1). Die jeweiligen Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen bei den einzelnen Taten beruhen auf einer mangelfreien Beweiswürdigung und sind von dem aufgezeigten Rechtsfehler nicht betroffen; sie können deshalb bestehen bleiben. Das neue Tatgericht kann insoweit ergänzende Feststellungen treffen, die den bisherigen nicht widersprechen. Der Adhäsionsausspruch unterliegt ebenfalls nicht der Aufhebung (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl., § 406a Rn. 8 mwN).
7
3. Im Übrigen ist das neue Tatgericht auf Folgendes hinzuweisen:
8
a) Soweit das Landgericht den Angeklagten wegen der Zuwiderhandlung gegen eine vollstreckbare Anordnung nach dem Gewaltschutzgesetz verurteilt hat, belegen die bisherigen Feststellungen in den Fällen II. 2. und II. 3. der Urteilsgründe bereits die Voraussetzungen des § 4 GewSchG nicht. Die Verurteilung nach § 4 Satz 1 GewSchG wegen Zuwiderhandlung gegen eine Anordnung nach § 1 GewSchG setzt u.a. voraus, dass das Strafgericht die materielle Rechtmäßigkeit der Anordnung überprüft und dabei deren tatbestandliche Voraussetzungen eigenständig feststellt; an die Entscheidung des Familiengerichts ist es insoweit nicht gebunden (BGH, Beschluss vom 28. November 2013 - 3 StR 40/13, BGHSt 59, 94). Tragfähige diesbezügliche Ausführungen enthalten die bisherigen Urteilsgründe - auch in ihrem Gesamtzusammenhang - nicht.
9
b) Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB ist eine außerordentlich belastende Maßnahme , die einen besonders gravierenden Eingriff in die Rechte des Betroffenen darstellt. Sie darf daher nur dann angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht , dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstaten aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung hierauf beruht. Daneben muss eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades bestehen, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustandes in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen; die zu erwartenden Taten müssen schwere Störungen des Rechtsfriedens besorgen lassen. Die notwendige Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstat (en) zu entwickeln. Dabei sind an die Darlegungen umso höhere Anforderungen zu stellen, je mehr es sich bei dem zu beurteilenden Sachverhalt um einen Grenzfall handelt (vgl. BGH, Beschluss vom 4. Juli 2012 - 4 StR 224/12, NStZ-RR 2012, 337, 338 mwN). Der Tatrichter muss die eine Unterbringung tragenden Umstände in den Urteilsgründen so umfassend darstellen, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen (BGH, Beschluss vom 24. Oktober 2013 - 3 StR 349/13, juris Rn. 5). Hieran gemessen erscheinen die bisherigen, eher knappen Urteilsausführungen nicht bedenkenfrei.
10
c) Sollte das neue Tatgericht für die einzelnen Taten ebenfalls Freiheitsstrafen von unter sechs Monaten verhängen, wird es § 47 StGB und die diesbezüglichen Darlegungsanforderungen zu beachten haben.
Becker Schäfer Gericke
Spaniol Tiemann

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 417/12
vom
19. Dezember 2012
in der Strafsache
gegen
wegen vorsätzlicher Körperverletzung u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 19. Dezember 2012 gemäß § 349
Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bochum vom 12. März 2012 mit den Feststellungen aufgehoben; jedoch bleiben die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen der Nachstellungshandlungen zum Nachteil der Nebenklägerin und der vorsätzlichen Körperverletzungen zum Nachteil der Zeugin B. bestehen. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen vorsätzlicher Körperverletzung in vier Fällen, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit Nachstellung, in drei Fällen in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und in einem Fall in Tateinheit mit Beleidigung, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatri- schen Krankenhaus angeordnet. Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg.

I.


2
Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
3
1. Der Angeklagte leidet an einer schizophrenen Psychose des Typs undifferenzierte Schizophrenie (ICD 10 F 20.3), die sich in den letzten zehn bis zwanzig Jahren entwickelt hat und seit dem Jahr 2009 ausgeprägt vorliegt. Neben formalen und inhaltlichen Denkstörungen treten massive Affektstörungen und paranoide Symptome auf. Die Persönlichkeit des Angeklagten weist dar- über hinaus autistische Züge auf. Auf Grund eines sog. „Liebeswahns“nimmt er die Beziehung zu einer Frau vollkommen irreal wahr. Deren für jedermann ersichtliche Abwehrhaltung deutet er als ein Zeichen von Zuneigung. Die paranoide Symptomatik kommt darin zum Ausdruck, dass er sich sehr leicht angegriffen fühlt und dann aggressiv reagiert. Im Affekt zeigen sich Auffälligkeiten im Sinne einer situativ auslösbaren Aggressivität und Explosivität. Es kommt zu unangemessenen affektiven Reaktionen. Kritikfähigkeit, Realitätsprüfung und Empathiefähigkeit fehlen völlig. Insgesamt bietet er das Bild eines hochgradig verschrobenen, bizarr wirkenden, autistischen und chronischen Schizophrenen (UA S. 23). Das Eingangsmerkmal der krankhaften seelischen Störung im Sinne von § 20 StGB ist erfüllt. Nach Auffassung des sachverständig beratenen Landgerichts war der Angeklagte bei Begehung der verfahrensgegenständli- chen Taten „bei abstrakt bestehender Einsichtsfähigkeit“ in seiner Steuerungs- fähigkeit erheblich vermindert. Bei den Taten zum Nachteil der Zeugin V. (Nebenklägerin) beruhe dies auf dem stark ausgeprägten Liebeswahn, hinsichtlich der Taten zum Nachteil der Zeugin B. und der Polizeibeamten auf paranoidem Erleben und Störungen des Affekts.
4
Taten im Zusammenhang mit der Nebenklägerin (Fälle III. 1 a und b)
5
a) Tatzeitraum vom 20. Mai 2009 bis 3. März 2011
6
In einer Vielzahl von Fällen parkte der Angeklagte seinen Pkw in der Nähe der Wohnung der Nebenklägerin und beobachtete diese. Als die Nebenklägerin an einem Tag zur Bank fahren wollte, verfolgte sie der Angeklagte mit seinem Pkw über einen Zeitraum von ca. einer Stunde, wobei er immer wieder dicht und bedrängend auffuhr. In dem Tatzeitraum warf der Angeklagte mindestens 22 Briefe persönlich in den Briefkasten der Nebenklägerin ein, in denen er in konfuser und zum Teil bedrohlicher Art zum Ausdruck brachte, dass die Zeugin und er füreinander bestimmt seien. Sie habe sich seinem Willen unterzuordnen. Er habe ein moralisches Recht auf die Nebenklägerin, die sein Lebenselixier sei. Mit Beschluss vom 28. Oktober 2010 untersagte das Amtsgericht Herne-Wanne dem Angeklagten im Wege einer einstweiligen Anordnung, sich der Nebenklägerin, ihrer Wohnung und ihrer Arbeitsstelle auf weniger als 200 Meter zu nähern. Der Angeklagte empfand den Antrag auf Anordnung eines Näherungsverbotes nicht als Ablehnung seiner Person, sondern reagierte erfreut , weil ihm dies aus seiner Sicht zeigte, dass die Nebenklägerin sich mit ihm beschäftigte. Fortan war er nahezu ständig präsent. Unter anderem wartete er am Bahnsteig, als die Nebenklägerin von einer Geschäftsreise zurückkehrte. Anlässlich einer Fahrradfahrt, die die Nebenklägerin unternahm, stellte sich der Angeklagte auf einsamer Strecke plötzlich und unerwartet in den Weg. Ab Februar 2011 begann der Angeklagte, auch den Bereich der Arbeitsstelle der Ne- benklägerin aufzusuchen, schrieb einen Brief an deren Arbeitgeber und beobachtete stundenlang das Firmengebäude.
7
Am 9. Oktober 2010 trafen die Polizeibeamten K. und D. den Angeklagten in unmittelbarer Nähe der Wohnung der Nebenklägerin an und wollten eine Personalienfeststellung durchführen. Als der Polizeibeamte K. den eine ablehnende Haltung einnehmenden Angeklagten am Arm fasste, drehte sich dieser abrupt um und holte mit dem Arm zum Schlag aus. Er wurde daraufhin fixiert und zur Wache verbracht. Als die Polizeibeamtin D. versuchte , dem Angeklagten die Schuhe auszuziehen, trat er ihr gegen den linken Unterarm. Dabei erlitt die Beamtin Hautabschürfungen.
8
b) Tatzeitraum vom 11. August 2011 bis 27. November 2011
9
Wegen Zuwiderhandlung gegen das mit Beschluss des Amtsgerichts Herne-Wanne vom 28. Oktober 2010 angeordnete Näherungsverbot wurde gegen den Angeklagten am 1. März 2011 Ordnungshaft verhängt, die er in dem Zeitraum vom 18. Juli 2011 bis zum 7. August 2011 verbüßte. Nach Vollzug der Ordnungshaft intensivierte er seine Annäherungshandlungen gegenüber der Nebenklägerin. Bis zu der am 2. Dezember 2011 beginnenden erneuten Ordnungshaft erhielt sie nahezu täglich Briefe des Angeklagten, deren Inhalte zunehmend bizarrer wurden. Am 15. August 2011 verfolgte er die Nebenklägerin mit dem Fahrrad, als diese einen Bekannten aufsuchte. Am 16. und 18. August 2011 stand er gut sichtbar vor ihrem Wohnhaus und am 24. August 2011 hielt er sich auf dem Gelände des Arbeitgebers der Nebenklägerin auf, so dass diese ihn wahrnehmen musste. Mit Briefen vom 31. August und 4. September 2011 übersandte er eine Damenquarzuhr bzw. drei Musik-CDs als Geschenke. Ebenfalls am 4. September 2011 warf er einen ausführlichen Brief, dem Glüh- birnen für die Kfz-Beleuchtung beigefügt waren, in den Briefkasten der Arbeitsstelle der Nebenklägerin. In einem Brief vom 7. September 2011 pries er – wie häufig – das Aussehen der Nebenklägerin und entwickelte eine abstruse For- mel, in der er den „Schönheitsfinanzierungsidealwert“ ihrer „Emanzipationsfeminisierungsautoselbstfahrfreizeitlichkeitsrealitätsperson“ zu dem Gesamtge- wicht der Erde in „imaginären 1039 DM-Scheinen“ in Relation setzte. Ferner teilte er mit, dass er „das Recht“ habe,sie und ihren Sohn J. „entlästigend umsonst zu erhalten“ (UA S. 17).
10
Am 10. September 2011 begab sich der Angeklagte wiederum zum Wohnhaus der Nebenklägerin, die daraufhin die Polizei benachrichtigte. Die Polizeibeamten Kl. und S. trafen den Angeklagten ca. 150 Meter von der Wohnung der Nebenklägerin entfernt an und forderten ihn auf, sich zu entfernen. Dies verweigerte der Angeklagte. Er wurde aggressiv und fing zu schreien an, wobei er den Polizeibeamten S. als „dämlich“ bezeichnete. Nach Ingewahrsamnahme des Angeklagten weigerte er sich, in den Zellentrakt zu gehen und sperrte sich dagegen, indem er sich wegdrehte und stehen blieb. Die Polizeibeamten brachten ihn schließlich „gegen seinen Widerstand“ in eine Zelle und zogen dem sich sträubenden Angeklagten die Schuhe aus. Am 21. September 2011 trafen ihn die Polizeibeamten Kl. und D. beim Einwerfen eines Briefes in den Hausbriefkasten der Nebenklägerin an. Zur Durchsetzung des ausgesprochenen Platzverweises wurde der aggressiv reagierende Angeklagte auf die Polizeiwache Wanne-Eickel verbracht. Dort spuckte er auf das Hemd des Polizeibeamten Kl. .
11
Zu den Tatfolgen hat das Landgericht Folgendes festgestellt:
12
Die Nebenklägerin ist durch die Handlungen des Angeklagten psychisch und physisch erheblich beeinträchtigt (Schlafstörungen, Panikattacken, Unruhezustände , Atemnot, schwere Magen-Darmprobleme, Tinnitus). Sie nimmt seit ca. Oktober 2009 in akuten Phasen Anti-Depressiva ein und hat sich in therapeutische Behandlung begeben. Auf Grund psychosomatischer Beschwerden entwickelte sie Essstörungen, die zu einer Gewichtsabnahme führten. Zeitweise konnte sie auf Grund ihres Gesundheitszustandes ihrer beruflichen Tätigkeit nicht mehr nachgehen und war in drei Fällen für mehrere Tage arbeitsunfähig. Bevor sie abends nach Hause zurückkehrte, erkundigte sie sich zunächst telefonisch bei Nachbarn, ob der Angeklagte ihr in seinem Pkw in Wohnungsnähe auflauerte. Aus Angst vor dem Angeklagten konnte sie nicht mehr allein spazieren gehen oder Fahrrad fahren. Sie hat das Grundvertrauen, sicher zu sein, wenn sie ihre Wohnung verlässt, verloren (UA S. 13 und S. 20). Dieser Zustand hat sich nach der erneuten Inhaftierung des Angeklagten am 3. Dezember 2011 nur eingeschränkt gebessert. Bei Fortsetzung seines Tuns ist davon auszugehen , dass die Nebenklägerin an einer schweren Depression erkranken werde (UA S. 21).
13
Taten zum Nachteil der Zeugin B. (Fälle III. 2 a und b)
14
Als die Nachbarin B. am 17. Juni 2011 gegen 23.25 Uhr in den Kellerräumen des Wohnanwesens des Angeklagten diesen höflich fragte, ob er seine Wohnung wegen der austretenden Gerüche künftig gelegentlich lüften könnte, nahm er dies auf Grund „seiner paranoiden Vorstellungswelt und seiner Affektstörungen“ zum Anlass, die Zeugin gegen eine Wand des Kellerraums zu sto- ßen (schmerzhafte Prellung am linken Arm).
15
Bei einem erneuten Zusammentreffen mit der Zeugin B. am 30. Juni 2011 gegen 23.00 Uhr wiederholte diese ihre Bitte um bessere Lüftung der Wohnung. Der Angeklagte drückte die Zeugin daraufhin mit der flachen Hand gegen eine Wand (starke Schwellung und Hämatom am Unterarm).
16
2. Das Landgericht geht – sachverständig beraten – davon aus, dass von dem Angeklagten infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten seien und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich sei. Der keine Krankheitseinsicht zeigende Angeklagte werde in Freiheit mit größter Wahrscheinlichkeit erneut ähnliche Handlungen, insbesondere Nachstellungen und Körperverletzungen, begehen. Es sei nicht ausgeschlossen, dass er auch Straftaten von höherem Gewicht begehen könnte. Erheblichere Körperverletzungen seien möglich. Sollte er sich künftig von der Nebenklägerin fernhalten, sei ein Wechsel des Stalkingopfers zu erwarten (UA S. 24).

II.


17
Der Schuldspruch hält sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht stand.
18
1. Die Feststellungen des Landgerichts belegen nicht, dass der Tatbestand der Nachstellung in zwei Fällen erfüllt ist.
19
Tathandlung des § 238 Abs. 1 StGB ist das unbefugte Nachstellen durch beharrliche unmittelbare und mittelbare Annäherungshandlungen an das Opfer und näher bestimmte Drohungen. Der Begriff des Nachstellens umschreibt Handlungen, die darauf ausgerichtet sind, durch unmittelbare oder mittelbare Annäherung an das Opfer in dessen persönlichen Lebensbereich einzugreifen und dadurch seine Handlungs- und Entschließungsfreiheit zu beeinträchtigen (BGH, Beschlüsse vom 19. November 2009 – 3 StR 244/09, BGHSt 54, 189, 193, und vom 22. Februar 2011 – 4 StR 654/10, WuM 2011, 295, 296). Die Handlungen des Angeklagten erfüllen in beiden Tatzeiträumen die Voraussetzungen des Nachstellens in den Tatvarianten des § 238 Abs. 1 Nr. 1 und 2 StGB. Auch das tatbestandlich vorausgesetzte beharrliche Handeln des Täters ist hier gegeben. Da der Tatbestand vom Gesetzgeber jedoch als Erfolgsdelikt ausgestaltet worden ist, muss die Tathandlung zu einer schwerwiegenden Beeinträchtigung der Lebensgestaltung des Opfers führen. Der Begriff der Lebensgestaltung umfasst ganz allgemein die Freiheit der menschlichen Entschlüsse und Handlungen (BT-Drucks. 16/575 S. 7). Sie wird beeinträchtigt, wenn durch die Handlung des Täters eine Veränderung der äußeren Lebensumstände erzwungen wird. Die Beeinträchtigung muss zudem schwerwiegend sein (BGH, Beschluss vom 19. November 2009 – 3 StR 244/09, BGHSt 54, 189, 196 f.; Fischer, StGB, 60. Aufl., § 238 Rn. 22 ff.).
20
Insofern zeigen die Urteilsgründe nicht hinreichend auf, dass dieser Erfolg bereits durch die verfahrensgegenständlichen einzelnen Handlungen des Angeklagten eingetreten ist. Denn das Landgericht stellt im Rahmen des Grundtatbestandes des § 238 Abs. 1 StGB rechtsfehlerhaft in erster Linie auf die erheblichen psychischen Beeinträchtigungen der Nebenklägerin und deren psychosomatische Auswirkungen ab. Zu der entscheidenden Frage, ob und inwieweit die Nebenklägerin zu gravierenden, nicht mehr hinzunehmenden Modifikationen ihrer äußeren Lebensgestaltung gezwungen war (z.B. Wechsel der Wohnung oder des Arbeitsplatzes, Treffen besonderer Schutzvorkehrungen beim Verlassen der Wohnung bzw. in den Nachtstunden, Aufgeben erheblicher Teile von Freizeitaktivitäten), werden ohne jede zeitliche Einordnung nur knappe und pauschale Feststellungen getroffen, die sich konkreten Nachstellungs- handlungen – auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass bei einer sukzessiven Tatbegehung einzelne Handlungen des Täters erst in ihrer Gesamtheit zu der erforderlichen Beeinträchtigung des Opfers führen können – nicht zuordnen lassen. Eine revisionsrechtliche Überprüfung, ob das Tatgericht zutreffend davon ausgegangen ist, dass die dem Angeklagten vorgeworfenen Handlungen in zwei tatmehrheitlich begangenen Fällen jeweils zu einer schwerwiegenden Beeinträchtigung der äußeren Lebensgestaltung geführt haben, ist somit nicht möglich.
21
2. Soweit das Landgericht den Angeklagten wegen vorsätzlicher Körperverletzung in vier Fällen verurteilt hat, fehlt jegliche rechtliche Subsumtion. Angesichts der Vielzahl von möglicherweise strafbaren Verhaltensweisen des Angeklagten , die in dem Urteil geschildert werden (UA S. 9 – 22), ist unklar, welche Handlungen des Angeklagten – über die beiden Taten zum Nachteil der Nachbarin B. hinaus – das Landgericht als tatbestandsmäßig im Sinne von § 223 Abs. 1 StGB gewertet hat. Gleiches gilt, soweit das Landgericht von einer tateinheitlich verwirklichten Beleidigung ausgegangen ist. Auch hier ist unklar, welche Verhaltensweise des Angeklagten dem Schuldspruch zu Grunde liegt.
22
3. Die Verurteilung wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in drei Fällen (§ 113 Abs. 1, § 53 StGB) begegnet ebenfalls durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
23
Hinsichtlich der Tat vom 9. Oktober 2010 sind die Feststellungen widersprüchlich und tragen die Verurteilung nicht. Auf UA S. 14 wird ausgeführt, dass dem Angeklagten der „Inhalt des Beschlusses des Amtsgerichts Herne-Wanne“ bekannt gewesen sei und er gewusst habe, „dass die Beamten zur Durchsetzung des Beschlusses berechtigt waren“. Demgegenüber stellt das Landgericht auf UA S. 11 fest, dass das Amtsgericht Herne-Wanne dem Angeklagten erst mit Beschluss vom 28. Oktober 2010 verboten hat, sich der Nebenklägerin bzw. ihrer Wohnung oder Arbeitsstelle auf weniger als 200 Meter zu nähern. Danach ist ausgeschossen, dass die Polizeibeamten zur Durchsetzung dieses Näherungsverbots tätig geworden sind.
24
Bei der Tat vom 10. September 2011 ist die Tathandlung des „Widerstandleistens“ nicht hinreichend mit Tatsachen belegt. Indem der Angeklagte sich weigerte, in den Zellentrakt zu gehen, und sich lediglich wegdrehte, hat er noch nicht „mit Gewalt“ Widerstand geleistet. Es fehlt an einem auf körperlicher Kraftentfaltung beruhenden, tätigen Handeln gegen die Polizeibeamten (vgl. Fischer, StGB, 60. Aufl., § 113 Rn. 23). Soweit die Polizeibeamten den Angeklagten „gegen seinen Widerstand“ in die Zelle brachten und „dem sich sträu- benden Angeklagten“ die Schuhe auszogen, lassen sich dem Urteil keine kon- kreten Feststellungen zur Art und Weise der Tathandlung entnehmen.
25
Zur Tat vom 21. September 2011 teilt das Landgericht lediglich mit, dass der „aggressiver werdende Angeklagte“ zur Durchsetzung des Platzverweises auf die Polizeiwache verbracht wurde. Ein im Sinne von § 113 Abs. 1 StGB tatbestandsmäßiges Widerstandleisten ist nicht ersichtlich.
26
4. Die Ausführungen des Landgerichts zur Schuldfähigkeit des Angeklagten sind rechtsfehlerhaft.
27
Die Strafkammer kommt nach sachverständiger Beratung zu dem Ergebnis , der Angeklagte sei bei der Tatbegehung, wenn auch erheblich vermin- dert, schuldfähig gewesen; bei „abstrakt bestehender Einsichtsfähigkeit“ sei seine Steuerungsfähigkeit erheblich vermindert gewesen (§ 21 StGB). Woraus sich die (nur erheblich verminderte) Schuldfähigkeit ergibt, ist jedoch nicht dargelegt. Nach den Feststellungen leidet der Angeklagte seit vielen Jahren an einer unbehandelten schizophrenen Psychose des Typs undifferenzierte Schizophrenie (ICD 10 F 20.3), wobei es zu massiven formalen und inhaltlichen Denkstörungen sowie zu erheblichen Affektstörungen und paranoidem Erleben kommt. Seit dem Jahr 2009 ist eine stetige Steigerung seines krankhaften Verhaltens zu beobachten. Er wirkte hochgradig verschroben und bizarr. Dieses schizophrene Krankheitsbild war auch während der Hauptverhandlung offen erkennbar (UA S. 27/28). Unter diesen Umständen hätte die Strafkammer konkret darlegen müssen, woraus sich (nach der von ihr geteilten Meinung des Sachverständigen) trotz der chronischen Schizophrenie des Angeklagten seine (nur erheblich verminderte) Schuldfähigkeit ergibt. Jedenfalls bei akuten Schüben einer Schizophrenie und in der „Endphase“ einer Schizophrenie – die Erkrankung des Angeklagten besteht seit geraumer Zeit – ist in der Regel davon auszugehen, dass der Betroffene schuldunfähig ist. Häufig wird bereits die Einsichtsfähigkeit aufgehoben sein (vgl. BGH, Urteil vom 13. Juni 1995 – 1 StR 268/95, MDR 1995, 1090; Beschluss vom 16. Januar 2003 – 1 StR 531/02, bei Theune NStZ-RR 2004, 161, 166; Beschluss vom 16. Mai 2007 – 2 StR 96/07; Fischer, StGB, 60. Aufl., § 20 Rn. 9a). Der Tatrichter wäre daher gehalten gewesen , unter Würdigung des gesamten Beweisergebnisses und unter Zuhilfenahme der Sachkunde des Gutachters sich mit der Frage auseinanderzusetzen , ob der Angeklagte die Taten während akuter Schübe (oder während eines lang dauernden Schubes) begangen hat. Nach dem mitgeteilten Ergebnis der Beweisaufnahme liegen deutliche Anzeichen dafür vor, dass die Taten während akuter Schübe begangen wurden. Denn der Angeklagte wurde ab dem Jahr 2009 zunehmend aggressiver und steigerte sich immer weiter in seine wahnhafte Vorstellung hinein, die Nebenklägerin und er seien auf ewige Zeiten füreinander bestimmt.
28
§ 20 StGB setzt voraus, dass die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit „bei Begehung der Tat“ aufgehoben sind. Die Schuldfähigkeit ist in Bezug auf jede einzelne Tat zu prüfen. Erforderlich ist stets die konkretisierende Darstellung , in welcher Weise sich die festgestellte psychische Störung bei Begehung der Taten auf die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat (BGH, Beschlüsse vom 24. April 2012 – 5 StR 150/12, NStZ-RR 2012, 239; vom 29. Mai 2012 – 2 StR 139/12, NStZ-RR 2012, 306, 307; vom 26. September 2012 – 4 StR 348/12; Fischer, StGB, 60. Aufl., § 20 Rn. 47). Dies verkennt die Straf- kammer, indem sie – dem Sachverständigen folgend – allein auf die „abstrakt bestehende Einsichtsfähigkeit“ abstellt.
29
Nach alledem kann der Schuldspruch keinen Bestand haben. Hiervon unberührt bleiben die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen der Nachstellungshandlungen zum Nachteil der Nebenklägerin (§ 238 Abs. 1 Nr. 1 und 2 StGB) und der vorsätzlichen Körperverletzungen zum Nachteil der Zeugin B. . Da sie auch sonst rechtsfehlerfrei getroffen wurden, können sie bestehen bleiben. Ergänzende Feststellungen sind möglich.

III.


30
Auch die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) hat keinen Bestand.
31
1. Da das Landgericht die Voraussetzungen von § 20 StGB oder § 21 StGB nicht rechtsfehlerfrei festgestellt hat, bedarf die Beurteilung der Schuldfähigkeit des Angeklagten als Grundlage für die Anordnung nach § 63 StGB insgesamt neuer Prüfung durch den Tatrichter (vgl. BGH, Beschluss vom 22. August 2012 – 4 StR 308/12). Eine Unterbringungsanordnung kann nicht auf die Prognose des Revisionsgerichts gestützt werden, dass die erneute Hauptverhandlung keinesfalls volle Schuldfähigkeit ergeben und daher in jedem Falle wieder ein Ergebnis haben wird, das eine Unterbringung erfordert (BGH, Urteil vom 13. Juni 1995 – 1 StR 268/05, MDR 1995, 1090).
32
2. Die Gefährlichkeitsprognose begegnet ebenfalls durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
33
Eine Unterbringung nach § 63 StGB kommt nur in Betracht, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades dafür besteht, dass der Täter infolge seines Zustands in Zukunft Taten begehen wird, die eine schwere Störung des Rechtsfriedens zur Folge haben. Dies muss anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls entschieden werden. Die Annahme einer gravierenden Störung des Rechtsfriedens setzt regelmäßig voraus, dass die zu erwartenden Delikte wenigstens in den Bereich der mittleren Kriminalität hineinreichen. Die gebotene Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstaten zu entwickeln (Senatsbeschlüsse vom 4. Juli 2012 – 4 StR 224/12 und vom 26. September 2012 – 4 StR 348/12). Diesem Maßstab werden die Erwägungen des Landgerichts nicht gerecht. Die bislang getroffenen Feststellungen zu den Anlasstaten belegen die wegen des gravierenden Eingriffs in die persönliche Freiheit erforderliche Tatschwere nicht ohne weiteres. Dies gilt umso mehr, als sich die Kammer bei der Feststellung der Tatfolgen der Nachstellungen nicht erkennbar hat sachverständig beraten lassen (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Juli 2010 – 5 StR 256/10). Wesentliche Grundlage der Entscheidung des Landgerichts zu § 63 StGB ist zudem die Prognose, dass erheblichere Körper- verletzungen lediglich „möglich“ seien und Straftaten von höherem Gewicht „nicht ausgeschlossen“ werden könnten (UA S. 24). Damit fehlen Feststellun- gen zum Vorliegen einer Wahrscheinlichkeit höheren Grades.
34
Die Sache bedarf daher der neuen Verhandlung und Entscheidung. Zur Vorbereitung der erforderlichen umfassenden und gründlichen Exploration des Angeklagten, die bislang unterblieben ist, wird das Tatgericht die Beauftragung eines anderen Sachverständigen zu erwägen haben.
Mutzbauer Roggenbuck Franke
Quentin Reiter

Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.

(1) Soweit die Revision für begründet erachtet wird, ist das angefochtene Urteil aufzuheben.

(2) Gleichzeitig sind die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben, sofern sie durch die Gesetzesverletzung betroffen werden, wegen deren das Urteil aufgehoben wird.

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen.

(2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer Rechtsnorm über das Verfahren oder wegen Verletzung einer anderen Rechtsnorm angefochten wird. Ersterenfalls müssen die den Mangel enthaltenden Tatsachen angegeben werden.

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 S t R 2 5 5 / 1 5
vom
3. September 2015
in der Strafsache
gegen
wegen Besitzes kinderpornographischer Schriften u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 3. September 2015 gemäß
§ 154a Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 1, § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Deggendorf vom 22. Dezember 2014 wird
a) dieses im Schuldspruch dahingehend geändert, dass der Angeklagte des Sich-Verschaffens von kinderpornographischen Schriften in elf Fällen, davon in fünf Fällen in Tateinheit mit Sich-Verschaffen von jugendpornographischen Schriften, sowie des Sich-Verschaffens von jugendpornographischen Schriften in 15 Fällen schuldig ist;
b) der Vorwurf der „Änderung“ einerVideodatei mit jugendpornographischem Inhalt am 27. Februar 2013 (Fall A.I.30. der Urteilsgründe) von der Verfolgung ausgenommen;
c) dieses im Rechtsfolgenausspruch mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere als Jugendschutzkammer tätige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Besitzes kinderpornographischer Schriften in 24 Fällen und wegen Besitzes jugendpornographischer Schriften in 68 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt. Zudem hat es seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB angeordnet und ein vom Angeklagten genutztes – näher bezeichnetes – Laptop eingezogen.
2
Seine dagegen gerichtete, auf eine Verfahrensrüge und die ausgeführte Sachrüge gestützte Revision hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO). Im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

I.


3
Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
4
1. Der Angeklagte war 1985 wegen verschiedener Sexualstraftaten zu einer mehrjährigen Gesamtfreiheitstrafe verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet worden. Nach Verbüßung der Freiheitsstrafe wurde seit 1988 die Maßregel vollzogen, bis der Vollzug durch eine auf Unverhältnismäßigkeit gestützte Erledigungserklärung am 19. November 2013 beendet wurde.
5
2. Die ersten hier verfahrensgegenständlichen Taten beging der Angeklagte in einer Lockerungsphase während laufenden Maßregelvollzugs. Er befand sich ab August 2012 in einer betreuten Einrichtung zum Zweck des Probewohnens. In dieser Zeit gelangte er in den Besitz eines Laptops, den er entgegen den Lockerungsbedingungen des Maßregelvollzugs der Vollzugseinrichtung nicht anzeigte. In dem Zeitraum zwischen dem 15. und dem 27. Februar 2013 verschaffte sich der Angeklagte 29 Bild- und drei Videodateien, die jeweils im Einzelnen festgestellte jugendpornographische Inhalte hatten (Fälle A.I. der Urteilsgründe). Die Dateien speicherte er auf der Festplatte des von ihm genutzten Laptops.
6
Das Landgericht hat das Verhalten des Angeklagten jeweils als Besitz jugendpornographischer Schriften gemäß § 184c Abs. 4 Satz 1 Var. 2 StGB gewertet und ihn deshalb insoweit wegen 32 Fällen dieses Delikts schuldig gesprochen.
7
3. Nach der Beendigung des Maßregelvollzugs verschaffte sich der Angeklagte im Zeitraum zwischen dem 24. November 2013 und dem 23. März 2014 insgesamt 21 Bild- und drei Videodateien mit kinderpornographischen Abbildungen sowie sechs Bild- und 30 Videodateien mit jugendpornographischen Darstellungen, deren Inhalte das Tatgericht jeweils näher festgestellt hat. Die Dateien speicherte er auf verschiedenen Speichermedien, wie etwa der Festplatte eines Laptops aber auch auf externen Speichermedien wie USBSticks (Fälle A.II. der Urteilsgründe). Insoweit erfolgte eine Verurteilung wegen Besitzes kinderpornographischer Schriften (§ 184b Abs. 4 Satz 2 StGB) in 24 Fällen und wegen Besitzes jugendpornographischer Schriften (§ 184c Abs. 4 Satz 1 Var. 2 StGB) in 36 Fällen.
8
4. Sachverständig beraten hat das Landgericht bei dem Angeklagten eine sexuelle Devianz in Form einer Pädophilie sowie eine kombinierte Persönlichkeitsstörung mit vornehmlich schizoiden, selbstunsicheren und schizotypen Zügen festgestellt, die es als „schwere andere seelische Abartigkeit“ i.S.v. § 20 StGB gewertet hat. Aufgrund dieser Störungen sei die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten bei den Taten sicher erheblich beeinträchtigt, nicht jedoch aufgehoben gewesen.

II.


9
1. Wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 24. Juni 2015 zutreffend aufgezeigt hat, tragen die auf einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung zu den Tatgeschehen getroffenen Feststellungen deren rechtliche Bewertung durch das Landgericht nicht.
10
a) Nach den Feststellungen hat sich der Angeklagte sämtliche der verfahrensgegenständlichen Bild- und Videodateien durch Herunterladen und Speichern auf verschiedenen internen oder externen Speichermedien selbst verschafft und dadurch den Tatbestand von § 184b Abs. 4 Satz 1 bzw. § 184c Abs. 4 Satz 1 Var. 1 StGB verwirklicht. Gegenüber dem Sich-Verschaffen gemäß § 184b Abs. 4 Satz 1 StGB tritt der vom Landgericht dem Schuldspruch u.a. zugrunde gelegte Besitztatbestand gemäß § 184b Abs. 4 Satz 2 StGB als subsidiärer Auffangtatbestand zurück (st. Rspr.; BGH, Beschlüsse vom 10. Juli 2008 – 3 StR 215/08, NStZ 2009, 208; vom 4. August 2009 – 3 StR 174/09 Rn. 25, StV 2010, 294; vom 8. Februar 2012 – 4 StR 657/11 Rn. 3, StV 2012, 540). Für den in der tatbestandlichen Struktur und der Schutzrichtung weitgehend übereinstimmenden § 184c Abs. 4 Satz 1 StGB gilt im Verhältnis des Sich-Verschaffens (§ 184c Abs. 4 Satz 1 Var. 1 StGB) zu dem Besitz (§ 184c Abs. 4 Satz 1 Var. 2 StGB) jugendpornographischer Schriften (§ 11 Abs. 3 StGB) nichts anderes. Der Angeklagte war daher jeweils wegen SichVerschaffens von kinder- bzw. jugendpornographischen Schriften zu verurteilen (zur Bezeichnung dieses verwirklichten Tatbestandes in der Entscheidungsformel siehe BGH, Beschluss vom 8. Februar 2012 – 4 StR 657/11 Rn. 4, StV 2012, 540).
11
b) Wegen des Wertungsfehlers bei der Bestimmung des verwirklichten Straftatbestandes tragen die Feststellungen auch die vom Landgericht angenommene Anzahl der Taten im materiell-rechtlichen Sinne nicht. Lädt der Täter im Verlaufe einer Internetsitzung jeweils mehrere Dateien mit kinderpornographischem Inhalt auf seinen Computer herunter, handelt es sich aufgrund natürlicher Handlungseinheit jeweils lediglich um eine Tat des Sich-Verschaffens im Sinne von § 184b Abs. 4 Satz 1 StGB (BGH, Beschluss vom 10. Juli 2008 – 3StR 215/08, NStZ 2009, 208; BGH, Urteil vom 10. Oktober 2013 – 4 StR 258/13 Rn. 14; BGH, Beschluss vom 3. Dezember 2014 – 4 StR 342/14 Rn. 8; siehe auch BGH, Beschluss vom 10. Juli 2014 – 2 StR 166/14 Rn. 4). Entsprechendes gilt für § 184c Abs. 4 Satz 1 Var. 1 StGB.
12
Soweit das Landgericht – zudem bezogen auf den jeweiligen Besitztatbestand – die Annahme jeweils einzelner Taten pro Bild- bzw. Videodatei mit jeweils „gesonderten Tatentschlüssen“ begründen will (UA S. 3), wird diese Feststellung nicht tragfähig belegt. Aus den im Einzelnen mitgeteilten Daten der Erzeugung der entsprechenden Dateien ergibt sich, dass bei nahezu allen Sitzungen zwischen dem Herunterladen mehrerer Dateien jeweils lediglich Sekunden oder Minuten lagen. Das deutet nicht auf jeweils neue Tatentschlüsse hin. Weitere Umstände, auf die sich die entsprechende Feststellung des Land- gerichts stützen könnte, sind dem Urteil nicht zu entnehmen. Da sich weitere Feststellungen insoweit auch nicht treffen lassen werden, ist unter Anwendung des Zweifelsgrundsatzes von lediglich einer Tat des Sich-Verschaffens pro einheitlicher Internetsitzung auszugehen (BGH, Beschluss vom 3. Dezember 2014 – 4 StR 342/14 Rn. 8 mwN).
13
c) Auf der Grundlage der tatrichterlichen Feststellungen über die konkreten Erzeugungsdaten der fraglichen Dateien und der sich daraus ergebenden Anzahl der einzelnen einheitlichen Internetsitzungen hat der Senat den Schuldspruch nach Maßgabe der detaillierten Aufstellung in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts wie aus der Beschlussformel ersichtlich geändert. § 265 StPO steht nicht entgegen. Der Angeklagte hätte sich weder im Hinblick auf die rechtliche Bewertung der Taten noch deren Anzahl erfolgreicher als geschehen verteidigen können.
14
2. Mit Zustimmung des Generalbundesanwalts hat der Senat den Vorwurf im Fall A.I.30. der Urteilsgründe gemäß § 154a Abs. 2 StPO von der Verfolgung ausgenommen. Das Landgericht hat insoweit – abweichend von den übrigen verfahrensgegenständlichen Fällen – lediglich ein Datum der Änderung (27. Februar 2013 – 17:46:34 Uhr) und nicht der Erzeugung der betroffenen Videodatei feststellen können (UA S. 5). Damit kann nicht ausgeschlossen werden, dass dem bereits ein Sich-Verschaffen im Sinne von § 184c Abs. 4 Satz 1 Var. 1 StGB bezüglich einer verfahrensgegenständlichen Tat vorausgegangen ist. Eine weitere Aufklärung ist verfahrensökonomisch nicht veranlasst; eine für diesen Tatteil in Frage kommende Strafe fiele neben den für die sonstigen verfahrensgegenständlichen Taten zu verhängenden Strafen nicht beträchtlich ins Gewicht (§ 154a Abs. 1 Satz 1 StPO).

III.


15
1. Die Änderung des Schuldspruchs bedingt die Aufhebung des gesamten Strafausspruchs.
16
2. Im Hinblick auf die erhebliche Änderung der Anzahl der Anlasstaten hebt der Senat auch die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) auf.
17
a) Eine Unterbringung gemäß § 63 StGB darf lediglich dann angeordnet werden, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades dafür besteht, dass der Täter infolge seines Zustandes in der Zukunft Taten begehen wird, die eine schwere Störung des Rechtsfriedens zur Folge haben (st. Rspr.; siehe nur BGH, Beschluss vom 18. November 2013 – 1 StR 594/13, NStZ-RR 2014, 76 f. mwN; Fischer, StGB, 62. Aufl., § 63 Rn. 15 und 16 mwN). Ob diese Voraussetzungen gegeben sind, ist im Rahmen einer Gefährlichkeitsprognose auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstaten zu beurteilen (st. Rspr.; etwa BGH, Beschluss vom 28. Januar 2015 – 4 StR 514/14, NStZ-RR 2015, 169 f. mwN).
18
Für die Erwartung zukünftiger Straftaten, die eine schwere Störung des Rechtsfriedens befürchten lassen, brauchen zwar die verfahrensgegenständlichen Anlasstaten selbst nicht erheblich zu sein (BGH, Beschluss vom 18. November 2013 – 1 StR 594/13, NStZ-RR 2014, 76 f.). Die zu erwartenden Taten müssen aber, um schwere Störungen des Rechtsfriedens besorgen zu lassen, grundsätzlich zumindest dem Bereich der mittleren Kriminalität zuzuordnen sein (BGH aaO sowie BGH, Beschlüsse vom 16. Juli 2008 – 2 StR 161/08; vom 22. Februar 2011 – 4 StR 635/10, NStZ-RR 2011, 202; vom 6. März 2013 – 1 StR 654/12, NStZ-RR 2013, 303, 304 jeweils mwN; siehe auch BGH, Urteil vom 2. März 2011 – 2 StR 550/10, NStZ-RR 2011, 240, 241). Erreichen die Anlasstaten ihrem Gewicht nach nicht einmal diesen Bereich, ist eine Anordnung der Maßregel gemäß § 63 StGB nicht von vornherein ausgeschlossen; das Tatgericht muss in solchen Fällen allerdings die erforderliche Gefährlichkeitsprognose besonders sorgfältig darlegen (BGH, Urteil vom 2. März 2011 – 2 StR 550/10, NStZ-RR 2011, 240, 241; Beschlüsse vom 6. März 2013 – 1 StR 654/12, NStZ-RR 2013, 303, 304 f.; vom 18. November 2013 – 1 StR 594/13, NStZ-RR 2014, 76 f.). Dazu ist regelmäßig eine besonders eingehende Würdigung der Person des bzw. der Beschuldigten, vor allem der Krankheitsgeschichte sowie der Anlasstaten, notwendig (BGH jeweils aaO).
19
b) Wegen der vorstehend dargelegten Bedeutung der Anlasstaten im Rahmen der der Gefährlichkeitsprognose zugrunde liegenden Gesamtwürdigung bedarf es angesichts der gravierenden Änderung der Anzahl der Anlasstaten trotz des unveränderten Tatbildes unter den Verhältnissen des konkreten Einzelfalls einer Aufhebung auch des Maßregelausspruchs. Da die Anlasstaten selbst in der modifizierten rechtlichen Bewertung allenfalls knapp den Bereich der mittleren Kriminalität erreichen, muss dem neuen Tatrichter die Möglichkeit eröffnet werden, die in solchen Konstellationen erforderliche besonders umfassende und sorgfältige Gefährlichkeitsprognose eigenständig vornehmen zu können.
20
c) Das Vorliegen der Anordnungsvoraussetzungen des § 63 StGB ist nach den zu den Tatgeschehen und zur Person des Angeklagten getroffenen Feststellungen auch nicht von vornherein ausgeschlossen.
21
aa) Soweit das sachverständig beratene Landgericht sicher eine erhebliche Einschränkung der Steuerungsfähigkeit (§ 21 StGB) aufgrund einer „schweren anderen seelischen Abartigkeit“ angenommen hat,die es auf eine kombinierte Persönlichkeitsstörung (hier nach ICD-10: F61.9) und Pädophilie (ICD-10: F65.4) gestützt hat, wäre dies entgegen der Auffassung der Revision im rechtlichen Ausgangspunkt nicht zu beanstanden. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann zwar nicht jede Form sexueller Devianz, wie etwa Pädophilie, ohne weiteres das Eingangsmerkmal der „schweren anderen seelischen Abartigkeit“ ausfüllen. Die Störung kann aber im Einzelfall den Schwere- grad des Eingangsmerkmals erreichen; eine darauf beruhende erhebliche Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit kann insbesondere dann gegeben sein, wenn abweichende Sexualpraktiken zu einer eingeschliffenen Verhaltensschablone geworden sind, die sich durch abnehmende Befriedigung, zunehmende Frequenz, durch Ausbau des Raffinements und durch gedankliche Einengung der Praktiken auszeichnen (BGH, Beschlüsse vom 17. Juli 2007 – 4StR 242/07, NStZ-RR 2007, 337; vom 6. Juli 2010 – 4 StR 283/10 Rn. 4). Das kann bei dem Angeklagten in Betracht kommen.
22
bb) Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (§ 62 StGB) stünde einer Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus ebenfalls nicht zwingend entgegen. Anders als der Generalbundesanwalt meint, kommt jedenfalls dem Umstand, dass der frühere Vollzug der 1985 angeordneten Unterbringung gemäß § 63 StGB wegen Unverhältnismäßigkeit beendet worden ist, grundsätzlich keine unmittelbare Bedeutung für die Voraussetzungen der Unterbringung wegen der Begehung der jetzigen Anlasstaten zu. Ob die Anordnung der Maßregel gemäß § 63 StGB im gegenständlichen Verfahren verhältnismäßig wäre, bestimmt sich nach der Bedeutung der jetzigen Anlasstaten sowie derjenigen der zu erwartenden Taten und dem von dem Täter ausgehenden Grad der Gefährlichkeit (vgl. Fischer, StGB, 62. Aufl., § 62 Rn. 3 – 5). Bei der Erledigungserklärung nach § 67d Abs. 6 Satz 1 Var. 2 StGB wegen Un- verhältnismäßigkeit des (weiteren) Vollzugs einer angeordneten Maßregel kommt es als Abwägungsfaktor zwar auch auf Grad und Art der zukünftigen Gefährlichkeit des Untergebrachten an. Maßgebend ist im Rahmen der Erledigungserklärung gemäß § 67d Abs. 6 Satz 1 Var. 2 StGB jedoch vor allem, dass bei langandauernden Unterbringungen der Freiheitsanspruch des Untergebrachten zunehmendes Gewicht erhält (siehe etwa BVerfGE 70, 297, 315; BVerfG [2. Kammer des Zweiten Senats], Beschluss vom 19. November2012 – 2 BvR 193/12, StV 2014, 148, 150 sowie Veh in Münchener Kommentar zum StGB, 2. Aufl., Band 2, § 67d Rn. 21 mwN). Gerade dieser Aspekt ist für die Verhältnismäßigkeit der erneuten Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus wegen neuer Anlasstaten dagegen nicht von Bedeutung.
23
3. Der Senat hebt auch die an sich rechtsfehlerfreie Einziehungsentscheidung auf. Wird dem Angeklagten im Wege der Einziehung ein werthaltiger Gegenstand entzogen, ist dies regelmäßig für die Strafzumessung und im Rahmen einer Gesamtbetrachtung aller den Angeklagten treffenden Rechtsfolgen von Bedeutung (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Februar 2012 – 3 StR 470/11, NStZ-RR 2012, 169 mwN). Die Aufhebung der Einziehungsentscheidung gestattet dem neuen Tatrichter eine solche Gesamtbetrachtung sämtlicher in Frage kommenden Rechtsfolgen.
24
4. Um dem neuen Tatrichter widerspruchsfreie Feststellungen zu sämtlichen Voraussetzungen des § 63 StGB zu ermöglichen, hebt der Senat die Feststellungen zum Rechtsfolgenausspruch insgesamt auf (§ 353 Abs. 2 StPO). Wegen der Doppelrelevanz erfasst dies die Feststellungen zur eingeschränkten Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) als Strafzumessungsgesichtspunkt für die Anlasstaten ebenfalls. Wegen der Verknüpfung der Strafzumessung mit der Einziehung von Tatmitteln war die Aufhebung auch auf die die Einziehungsentscheidung betreffenden Feststellungen zu beziehen.
25
5. Angesichts der Aufhebung der Feststellungen zum Rechtsfolgenausspruch aufgrund der Sachrüge kommt es auf die erhobene Verfahrensrüge nicht mehr an. Diese betraf allein die Frage der verminderten Schuldfähigkeit des Angeklagten.

IV.


26
Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf das Folgende hin:
27
Das Verschlechterungsverbot (§ 358 Abs. 2 Satz 1 StPO) steht bei der Neufestsetzung der Einzelstrafen für die geringere Anzahl von materiellrechtlichen Taten einer Erhöhung der höchsten im ersten Rechtsgang für die Taten verhängten Einzelstrafen nicht entgegen. Allerdings darf die Summe der neuen Einzelstrafen ebenso wenig zum Nachteil des Angeklagten verändert werden, wie die neu zu bestimmende Gesamtstrafe (vgl. BGH, Beschluss vom 3. Dezember 2014 – 4 StR 342/14 Rn. 13 mwN).
Vorsitzender Richter am Richter am BundesgerichtsBundesgerichtshof Dr. Raum hof Prof. Dr. Graf ist wegen ist wegen Urlaubsabwesenheit Urlaubsabwesenheit an der an der Unterschrift gehindert. Unterschrift gehindert. Rothfuß Rothfuß Rothfuß Cirener Radtke

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 445/16
vom
13. Oktober 2016
in dem Sicherungsverfahren
gegen
ECLI:DE:BGH:2016:131016B1STR445.16.0

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 13. Oktober 2016 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts München I vom 31. Mai 2016 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Beschuldigten im Sicherungsverfahren im psychiatrischen Krankenhaus untergebracht. Hiergegen richtet sich die auf die Verletzung sachlichen Rechts gestützte Revision des Beschuldigten, die Erfolg hat.

I.


2
Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
3
1. Der Beschuldigte, ein estnischer Staatsangehöriger, identifiziert sich mit Adolf Hitler und fühlt sich deswegen zu Deutschland hingezogen. Mehrmals reiste er seit 2010 nach Deutschland, so auch im Oktober 2015. Am 15. November 2015 hielt er sich am M. Hauptbahnhof auf. In der Schalterhalle schrie er herum und bettelte Passanten aggressiv an. Dabei fasste er eine Frau energisch am Arm. Dies führte dazu, dass ihn Polizeibeamte auf den Bahnhofsvorplatz brachten. Dort stand ein Fahrzeug der U-Bahnwache. Der Be- schuldigte schlug mit Fäusten auf die Motorhaube des Fahrzeugs ein und „fuchtelte“ mit einem Messer mit einer Klingenlänge von etwa 20 cm herum. Dabei waren keine Personen in seiner Nähe.
4
Anschließend kratzte er zwei Hakenkreuze auf die Motorhaube des Fahrzeugs. Als er dabei von einem Mann angesprochen wurde, richtete er das Messer gegen diesen und „klopfte ihm mit dem Messer gegen Oberarm und Schulter“. Als der Mann sich entfernte, trat der das Geschehenbeobachtende Zeuge F. hinzu. Der Beschuldigte hob einen auf dem Boden liegenden Flaschenhals auf und hielt diesen gegen den Zeugen, der daraufhin wegging. Der Beschuldigte warf ihm den Flaschenhals ungezielt hinterher und zerkratzte weiter die Motorhaube. Er verursachte einen Sachschaden von 814 Euro.
5
Als Polizeibeamte eintrafen und ihn mit auf ihn gerichteter Waffe aufforderten , das Messer fallen zu lassen, hielt der Beschuldigte das Messer weiterhin zwischen Hüfte und Brust und warf dies erst nach zehn bis 20 Sekunden verzögert weg.
6
2. Das Landgericht hat das Geschehen als rechtswidrige Sachbeschädigung gewertet. Sachverständig beraten hat es sich davon überzeugt, dass bei der Tat die Einsichtsfähigkeit des Beschuldigten aufgrund einer krankhaften seelischen Störung in Form einer paranoiden Schizophrenie aufgehoben gewesen sei. Diese seit den 1990er Jahren bestehende Störung äußere sich in ausgeprägten formalen Denkstörungen, in einem Beziehungs-, Beeinflussungs-, Verfolgungs - und Größenwahn mit Wahnwahrnehmungen sowie durch eine ausgeprägte Störung der Affektregulation. In den akuten Krankheitsphasen habe der Beschuldigte Angst um sein Leben. Er meine, man wolle ihn töten, was das Ende der Welt bedeute. Bei Tatbegehung sei der Beschuldigte in seiner psychotischen Eigenwelt gefangen und zu einer realistischen Wahrnehmung und Beur- teilung seiner Umgebung nicht mehr in der Lage gewesen, er sei vielmehr der wahnhaften Überzeugung gewesen, Adolf Hitler zu sein.
7
Das Landgericht ist weiter davon ausgegangen, dass der Beschuldigte aufgrund dieser, für die Tat ursächlichen Störung für die Allgemeinheit gefährlich sei. Da ihm die Krankheitseinsicht fehle, sei bei Entlassung aus der Unterbringung mit erneuten Exacerbationen der Psychose zu rechnen, dann werde er „sein Leben von außen bedroht sehen“ und der wahnhaften Überzeugung sein, sich dagegen wehren zu müssen. Dies lasse eine höhere Wahrscheinlichkeit für Körperverletzungen mit gefährlichen Gegenständen, z.B. durch das gezielte Werfen mit Flaschen oder das Zustechen mit einem Messer, erwarten. Dass so etwas bisher in Deutschland noch nicht geschehen sei, sei allein äußeren Umständen zu verdanken, wie Vorsicht der Umgebung und raschem Ein- greifen der Polizei. Der Beschuldigte sei „nicht in der Lage, den ‚Schritt zurück‘ zu machen“. Hinzu trete, dass der Beschuldigte sich immer nur wenige Monate in Deutschland aufgehalten habe. Die zu erwartenden gefährlichen Körperverletzungen seien erheblich, da sie die Möglichkeit schwerer und sogar tödlicher Verletzungen bei den Opfern bergen.

II.


8
Die Maßregelanordnung nach § 63 StGB hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
9
1. Schon die Annahme der aufgehobenen Einsichtsfähigkeit begegnet durchgreifenden Bedenken.
10
Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB ist eine außerordentlich belastende Maßnahme , die einen besonders gravierenden Eingriff in die Rechte des Betroffenen darstellt. Sie darf daher nur dann angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht , dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstaten wegen eines der in § 20 StGB genannten Eingangsmerkmale schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung hierauf beruht. Wegen fehlender Einsichtsfähigkeit ist schuldunfähig, wer infolge der bei ihm festgestellten Störung im konkreten Fall die äußeren Umstände seines Tuns oder deren ihre Strafwürdigkeit begründenden Bedeutungsgehalt nicht erkannt hat (vgl. BGH, Urteil vom 6. März 1986 – 4 StR 40/86, BGHSt 34, 22, 25; Beschluss vom 15. Juli 2015 – 4 StR 277/15, StV 2016, 725). Das ist im Einzelnen darzulegen (vgl. BGH, Beschluss vom 20. November 2012 – 1 StR 504/12, NJW 2013, 246 mwN).
11
Diesen Anforderungen genügt das Urteil nicht. Denn die Urteilsgründe belegen nicht, dass der Beschuldigte die Anlasstat aufgrund der bei ihm festgestellten psychischen Erkrankung ohne Unrechtseinsicht begangen hat. Allein die Diagnose einer Schizophrenie belegt keine Aufhebung der Einsichtsfähigkeit (vgl. BGH, Beschlüsse vom 2. Oktober 2007 – 3 StR 412/07, NStZ-RR 2008, 39 und vom 17. Februar 2016 – 2 StR 545/15, StV 2016, 720;Nedopil/ Müller, Forensische Psychiatrie, 4. Aufl., S. 189). Das Geschehen ist ersichtlich auch nicht von der die akuten Krankheitsphasen kennzeichnenden Vorstellung des Beschuldigten geprägt, dass man ihn töten wolle und er sich nun dagegen wehren müsse. Hiervon geht auch das Landgericht nicht aus, wenn es ausführt, der Beschuldigte sei beim Ritzen der Hakenkreuze gestört worden und habe deswegen gereizt reagiert. Selbst wenn der Beschuldigte in der Überzeugung gehandelt hätte, er sei Adolf Hitler, trägt dies für sich genommen nicht den Schluss, dass seine kognitiven Funktionen nicht ausreichten (vgl. hierzu Nedopil/Müller, Forensische Psychiatrie, 4. Aufl., S. 41), die äußeren Umstände der Beschädigung des Fahrzeuges, aber auch des bedrohlichen bzw. nötigenden Auftretens gegenüber den hinzutretenden Personen und deren Bedeutungsgehalt als strafwürdig zu erkennen. Eine solche wahnhafte Vorstellung lässt auch keinen unmittelbaren Bezug – etwa im Sinne entsprechender imperativer Stimmen – zu den Handlungen des Beschuldigten zu. Soweit das Landgericht – der Sachverständigen folgend – zum Beleg der aufgehobenen Einsichtsfähigkeit ausführt, der Beschuldigte habe auf das Einschreiten der Passanten in gereizter und bedrohlicher Weise reagiert, ohne sich über die Folgen Gedanken zu machen, offenbart dies weder wahnhafte Vorstellungen noch solche kognitiven Defizite, nach denen dem Beschuldigten das Verbotene seines Tuns nicht mehr erkennbar war. Gleiches gilt für die nur verzögerte Reaktion auf die Aufforderung der Polizei. Dass der Beschuldigte schon mit dem Messer herumfuchtelte, als noch keine andere Person in der Nähe war, könnte zwar auf ein Wahnerleben hindeuten – was das Landgericht nicht erörtert –, dies wäre jedoch schon für sich genommen nicht geeignet, auf das Nichterkennen des Unrechts bei den folgenden, sich hiervon unterscheidenden Handlungen zu schließen. Denn diese waren nach der vom Landgericht zugrunde gelegten Motivation darauf gerichtet, als Störung empfundene Interventionen von Passanten – letztlich erfolgreich – abzuwenden, um mit dem Anbringen der Hakenkreuze fortfahren zu können.
12
2. Die Gefährlichkeitsprognose hält aber auch für sich genommen wegen Darlegungsmängeln revisionsrechtlicher Prüfung nicht stand.
13
a) Eine Unterbringung nach § 63 StGB kommt nur in Betracht, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades dafür besteht, dass der Täter infolge seines Zustands in Zukunft Straftaten von erheblicher Bedeutung begehen wird, also solche, die eine schwere Störung des Rechtsfriedens zur Folge haben. Die Annahme einer gravierenden Störung des Rechtsfriedens setzt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs voraus, dass die zu erwartenden Delikte wenigstens in den Bereich der mittleren Kriminalität hineinreichen, den Rechtsfrieden empfindlich stören und geeignet sind, das Gefühl der Rechtssicherheit der Bevölkerung erheblich zu beeinträchtigen (vgl. nur BVerfG, Beschluss vom 24. Juli 2013 – 2 BvR 298/12; BGH, Beschlüsse vom 18. Juli 2013 – 4 StR 168/13, NJW 2013, 3383; vom 16. Juni 2014 – 4 StR 111/14, NStZ 2014, 571 und vom 19. August 2014 – 3 StR 243/14; Urteil vom 28. Oktober 2015 – 1 StR 142/15, NStZ-RR 2016, 40).
14
Diese durch die Rechtsprechung herausgebildeten Anforderungen sind durch die neue Fassung des § 63 Satz 1 StGB dahingehend konkretisiert worden (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Entwurf eines Gesetzes zur Novellierung des Rechts der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 des Strafgesetzbuches und zur Änderung anderer Vorschriften , S. 17 f.; BT-Drucks. 18/7244), dass nur die Erwartung solcher erheblichen rechtswidrigen Taten ausreicht, durch die die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird.
15
b) Die erforderliche Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstat(en) zu entwickeln (BGH, Beschlüsse vom 16. Januar 2013 – 4 StR 520/12; vom 1. Oktober 2013 – 3 StR 311/13; vom 2. September 2015 – 2 StR 239/15 und vom 3. Juni 2015 – 4 StR 167/15, StV 2016, 724) und hat sich darauf zu erstrecken, ob und welche Taten von dem Beschuldigten infolge seines Zustands drohen, wie ausgeprägt das Maß der Gefährdung ist und welches Gewicht den bedrohten Rechtsgütern zukommt (BVerfG, Be- schluss vom 24. Juli 2013 – 2 BvR 298/12; BGH, Beschlussvom 7. Juni 2016 – 4 StR 79/16, NStZ-RR 2016, 306).
16
Neben der sorgfältigen Prüfung dieser Anordnungsvoraussetzungen ist der Tatrichter auch verpflichtet, die wesentlichen Umstände in den Urteilsgründen so umfassend darzustellen, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen. Wenn die Anlasstat – was für die hier angenommene Sachbeschädigung, aber auch die nicht erwogenen, aber in Betracht kommenden Tatbestände der Nötigung bzw. Bedrohung nahe liegt, aber unerörtert bleibt – selbst nicht erheblich ist, bedarf die Gefährlichkeitsprognose besonders sorgfältiger Darlegung (BGH, Beschluss vom 9. April 2013 – 5StR 120/13, NJW 2013, 2043; Urteile vom 2. März 2011 – 2 StR 550/10, NStZ-RR 2011, 240 und vom 23. Januar 1986 – 4 StR 620/85). Diesem schon von der Rechtsprechung entwickelten besonderem Darlegungserfordernis gibt die seit dem 1. August 2016 geltende und über § 2 Abs. 6 StGB anzuwendende Neuregelung in § 63 Satz 2 StGB eine klare gesetzliche Fassung (vgl. Gesetzentwurf aaO S. 22; BT-Drucks. 18/7244).
17
c) Den aufgezeigten Anforderungen genügt die Gefährlichkeitsprognose des Landgerichts nicht. Eine die Biographie des Beschuldigten und seine Krankheitsgeschichte berücksichtigende Gesamtwürdigung hat nicht erkennbar stattgefunden. Insbesondere begründet allein die im Allgemeinen erhöhte Kriminalitätsbelastung schizophren Erkrankter die Gefahrenprognose nicht (BGH, Beschluss vom 7. Juni 2016 – 4 StR 79/16, NStZ-RR 2016, 306; Urteil vom 11. August 2011 – 4 StR 267/11). Die gebotene Auseinandersetzung mit den die konkrete Krankheits- und Kriminalitätsentwicklung (BGH, Beschluss vom 17. Februar 2016 – 2 StR 545/15, StV 2016, 720) sowie die auf die Person des Beschuldigten und seine konkrete Lebenssituation bezogenen Risikofaktoren, die eine individuelle krankheitsbedingte Disposition zur Begehung von Delikten jenseits der Anlasstaten belegen können (BGH, Beschluss vom 7. Juni 2016 – 4 StR 79/16, NStZ-RR 2016, 306; zu situativen Risikofaktoren auch BGH, Beschluss vom 17. Februar 2016 – 2 StR 545/15, StV 2016, 720), lässt sich dem Urteil nicht entnehmen.
18
Es bleibt zudem unberücksichtigt, dass die zu erwartenden Taten von einer anderen Qualität als die Anlasstat sind, was zu einer Verfehlung des Maßstabs des neuen § 63 Satz 2 StGB – der freilich zur Zeit des Urteils noch nicht in Kraft war – führt. So findet keine Erörterung statt, wieso nunmehr – anders als noch bei der Anlasstat – vom Beschuldigten gefährliche Körperverletzungen drohen. Die Taten werden zwar dahingehend konkretisiert, dass sie durch das gezielte Werfen einer Flasche und das Zustechen mit einem Messer begangen zu werden drohen. Wieso eine so relevante Abweichung gegenüber dem der Anlasstat zugrunde liegenden Geschehen, bei der das Landgericht gerade keinen Körperverletzungsvorsatz festzustellen vermochte, zu erwarten sein soll, wird nicht dargelegt. Soweit die zu erwartenden Taten dadurch motiviert sein sollen, dass der Beschuldigte sein Leben in Gefahr sehen werde und wahnbedingt meine, sich dagegen wehren zu müssen, ist eine solche Situation bisher noch nicht aufgetreten, insbesondere die Anlasstat auf der Grundlage der Feststellungen nicht durch eine solche wahnhafte Vorstellung ausgelöst. Zwar mag es sein, dass das Störungsbild des Beschuldigten Anlass für eine solche Befürchtung geben kann, belastbare Anhaltspunkte hierfür lassen sich den Urteilsgründen nicht entnehmen. So sind auch in der Biographie des Beschuldigten keine Situationen ersichtlich, in denen er wahnbedingt sein Leben in Gefahr sah. Insbesondere das festgestellte Verhalten des Beschuldigten während der vorläufigen Unterbringung ergibt hierfür keine Anhaltspunkte. Da- nach schien er unruhig und getrieben sowie „affektiv getragen“ und schrie häufig Begriffe wie „Gott“, „Führer“ und „Rambo“, er beschriftete seine Kleidung mit der Aufschrift „Kleidung von Adolf Hitler“, zeigte den Hitlergruß und äußerte sich fremdenfeindlich und rassistisch. Ein Anlass für die nur im biographischen Abriss erwähnte Unterbringung in der „geschlossenen Psychiatrie“ für drei Mo- nate im Jahre 2011 wird nicht dargelegt. Ein paranoides Erleben lässt sich danach nicht erkennen, die Annahme eines solchen als Auslöser für zukünftige Taten hätte daher näherer Erörterung bedurft.

III.

19
Der Senat hebt die zugrunde liegenden Feststellungen insgesamt mit auf, um dem neu zuständigen Tatgericht in sich stimmige Feststellungen zu ermöglichen. Sollte – was äußerst nahe liegt – erneut eine Gefährlichkeitsprognose zu erstellen sein, wird auch die Delinquenzgeschichte des Beschuldigten in Estland näher zu beleuchten sein. Denn auch zurückliegenden Taten kann eine indizielle Bedeutung für die Gefährlichkeitsprognose zukommen, doch wird dies regelmäßig nur bei Taten der Fall sein, die in einem inneren Zusammenhang zu der festgestellten Erkrankung gestanden haben und deren Ursache nicht in anderen, nicht krankheitsbedingten Umständen zu finden ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom 7. Juni 2016 – 4 StR 79/16, NStZ-RR 2016, 306 und vom 4. Juli 2012 – 4 StR 224/12, NStZ-RR 2012, 337, 338; Urteil vom 11. August 2011 – 4 StR 267/11, Rn. 14). Dazu bedarf es konkreter Darlegungen, inwieweit das vom Beschuldigten behauptete versuchte Tötungsdelikt 1993 auf die Störung zurückgeht. Bislang ist dazu – allein auf den Angaben des Beschuldigten fußend – lediglich festgestellt worden, er habe seinen Vater mit einem Messer zwingen wollen, Tabletten zu schlucken, was allerdings daran gescheitert sei, dass der Vater die Tabletten nicht schlucken konnte. Dieser Sachverhalt wird genauso wie die wiederholten Provokationen seiner estnischen Nachbarn – gegebenenfalls im Wege der Rechtshilfe – weiter aufzuklären sein.
Graf Cirener Radtke Mosbacher Bär

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 168/13
vom
18. Juli 2013
in der Strafsache
gegen
wegen Körperverletzung u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 18. Juli 2013 gemäß § 349 Abs. 4,
§ 126 Abs. 3 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Dortmund vom 22. November 2012 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts Dortmund zurückverwiesen.
3. Der Haftbefehl des Amtsgerichts Dortmund vom 23. Dezember 2011 (Az. 703 Gs – 110 Js 720/11 – 1552/11) in der Fassung des Haftfortdauerbeschlusses des Landgerichts Dortmund vom 22. November 2012 wird aufgehoben. Der Angeklagte ist unverzüglich aus der Untersuchungshaft zu entlassen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen "Nachstellung zum Nachteil der Zeugin V. S. in Tateinheit mit versuchter Nötigung zum Nachteil der Zeugin V. S. in 11 Fällen und mit Bedrohung zum Nachteil des Zeugen A. S. in 5 Fällen und mit Bedrohung zum Nachteil der Zeugin P. S. in 6 Fällen und mit Bedrohung zum Nachteil des Zeugen T. in 4 Fällen und wegen vorsätzlicher Körperverletzung zum Nachteil der Zeugin V. S. und mit vorsätzlicher Körperverletzung zum Nachteil des Zeugen A. S. und mit vorsätzlicher Körperverletzung zum Nachteil der Zeugin P. S. und mit vorsätzlicher Körperverletzung zum Nachteil des Zeugen T. und mit Sachbeschädigung" zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt. Darüber hinaus hat es die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die gegen dieses Urteil gerichtete Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg.

I.


2
Die Strafkammer hat im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:
3
Im August 2010 lernte der in Berlin lebende, damals 24-jährige Angeklagte im Urlaub die 22-jährige V. S. kennen. In der Folgezeit hielten sie zwar Kontakt zueinander, zu einer Liebesbeziehung oder regelmäßigen Treffen kam es jedoch nicht. Ende des Jahres 2010 fühlte sich V. S. vom Angeklagten vereinnahmt und zunehmend eingeengt, weshalb sie eine geplante gemeinsame Silvesterfeier zum Jahreswechsel absagte. Zum 1. Februar 2011 trat V. S. eine Stelle als Flugbegleiterin in Frankfurt an, wohin sie auch ihren Wohnsitz verlegte. In diesem Zusammenhang teilte sie dem Angeklagten mit, dass sie keine Beziehung wünsche, zumal ihr die Entfernung zwischen Berlin und Frankfurt zu weit sei. In der Folgezeit löschte sie den Angeklagten von ihrer sog. Freundesliste bei Facebook.
4
In der Zeit zwischen dem 24. Februar 2011 und der Festnahme des Angeklagten am 15. März 2012 kam es zu zahlreichen Kontaktversuchen des Angeklagten über die Internetplattform Facebook, die zum Teil an V. S. gerichtet waren, zu einem anderen Teil an deren Freundinnen, da V. S. zwischenzeitlich ihr Profil bei Facebook gelöscht hatte und deshalb für den Angeklagten nicht mehr erreichbar war. Ferner schrieb der Angeklagte ihr und ihren Eltern Briefe; in einem Fall wandte sich der Angeklagte mittels einer Facebook-Nachricht an den damaligen Lebensgefährten von V. S. , den Zeugen T. .
5
V. S. hatte den Angeklagten – ebenso wie ihre Eltern und der Zeuge T. – zu einem nicht näher festgestellten Zeitpunkt aufgefordert, sie in Ruhe zu lassen und ihm mitgeteilt, sie wolle keinen Kontakt mehr zu ihm haben. Hierüber setzte der Angeklagte sich jedoch hinweg. In einer Vielzahl von Nachrichten und Briefen forderte er V. S. unter anderem dazu auf, ihn erneut ihrer Freundesliste in ihrem Facebook-Profil hinzuzufügen, sich bei ihm zu entschuldigen, ihm ein Armband, das er ihr zum Geburtstag geschenkt hatte, zurückzugeben und sich von dem Zeugen T. zu trennen. Diese Forderungen unterstrich er mit Drohungen für den Fall, dass sie seine Forderungen nicht erfüllen sollte.
6
Bei V. S. trat durch das Verhalten des Angeklagten eine „kur- ze reaktive depressive Erkrankung aufgrund äußerer Belastung“ ein.Diese äu- ßerte sich darin, dass sie sich hilflos und kraftlos fühlte und unter Schlafstörungen sowie Leistungseinbußen litt. Sie ging nicht mehr so häufig aus wie zuvor und achtete auf der Straße darauf, ob ihr jemand folgt. Zeitweise fühlte sie sich psychisch nicht mehr im Stande, ihrer Arbeit als Flugbegleiterin nachzugehen, da der Angeklagte ihr u.a. angekündigt hatte, sie auf einem Flug „fertig zu ma- chen“. Nachdem sie im August von ihrer Mutter telefonisch davon in Kenntnis gesetzt worden war, dass es an ihrem Elternhaus zu einer Sachbeschädigung durch den Angeklagten gekommen war, meldete sie sich aus Angst, der Angeklagte könne ihr, ihrem Freund oder ihren Eltern etwas antun, krank. Insgesamt kam es von April bis September 2011 zu 30 Fehltagen, die „größtenteils“ auf „psychische Probleme“ zurückzuführen waren, die sie „in Folge des Verhaltens des Angeklagten hatte“. Ferner litt sie „ab April/Mai 2011 unter Migräneanfällen“ , während sie zuvor nur „normale“ Kopfschmerzen hatte. Sie hatte „während des Tatzeitraumes“ häufig Weinkrämpfe mit Herzrasen und begab sich in „psy- chologische Behandlung“, wo Symptome einer „Anpassungsstörung mit emotionaler Symptomatik“ diagnostiziert wurden und eine Gesprächstherapie geplant wurde. Eine Übernahme in ein festes Anstellungsverhältnis erfolgte nicht; V. S. wechselte den Beruf und zog in eine andere Stadt. Treffen mit Freunden sagte sie ab, weil der Angeklagte hiervon Kenntnis erlangt haben konnte; aus sozialen Netzwerken wie Facebook zog sie sich zurück oder trat dort nur noch unter Fantasienamen auf.
7
Bei T. trat „kurzfristig aufgrund der psychischen Belastung durch Somatisierung eine erhebliche Beeinträchtigung der Gesundheit“ ein. Er litt „während des Tatzeitraums zeitweise unter Schlafstörungen und temporär unter Schwindelzuständen“. Ferner hatte er Albträume und zeigte Nervosität sowie eine erhöhte Reizbarkeit. In „bestimmten Situationen“, die durch ein je- weiliges Verhalten des Angeklagten hervorgerufen wurden, hyperventilierte er.
8
A. S. , der Vater von V. S. , litt unter „konkreten Ängsten als zeitlich begrenzte Reaktion, die sodann wieder abklangen“. Er konnte aufgrund der Belastungssituation zunächst nicht mehr seiner Arbeit im Schichtdienst nachgehen und wurde am 21. Oktober 2011 für eine Woche krankgeschrieben. Zudem litt er unter Schlafstörungen. Bei P. S. kam es zu einer „deutlich längerfristigen Anpassungsstörung“, die allerdings nicht allein durch die Aktivitäten des Angeklagten hervorgerufen wurde. Die Zeugin befand sich schon vor den Vorfällen in psychiatrischer Behandlung. Jedoch „verstärkten sich die Probleme und wurden immer schlimmer“. Sie hatte Angst, das Haus zu verlassen und litt zudem unter Schlafstörungen und Albträumen.
9
Die durch sein Verhalten verursachten Auswirkungen auf das körperliche Wohlbefinden bzw. die körperliche Unversehrtheit der Zeugen hat der Angeklagte zumindest billigend in Kauf genommen.
10
Die sachverständig beratene Strafkammer nimmt bei dem Angeklagten eine narzisstische Persönlichkeitsstörung mit emotionaler und konsekutiver Verhaltensinstabilität bzw. auf der Ebene emotionaler/persönlicher Labilität vom Typ Borderline an. Seine Steuerungsfähigkeit sei daher im Sinne des § 21 StGB erheblich vermindert, nicht aber aufgehoben gewesen. Es bestehe „eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades", dass „der Angeklagte in Zukunft seine Tat fortführt oder/und die Tat sich in ähnlicher Weise wiederholen könnte“ (UA S. 132).

II.


11
1. Die Verurteilung wegen Körperverletzung zum Nachteil der P. S. , des A. S. , des T. und der V. S. wegen versuchter Nötigung im Fall der Tat vom September 2011 sowie die Verurteilung wegen Bedrohung der P. S. in drei Fällen, des A. S. in zwei Fällen und des T. in drei Fällen begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
12
a) Die Verurteilung wegen der Körperverletzungen wird von den Feststellungen des Landgerichts nicht getragen.
13
aa) Als Gesundheitsbeschädigung im Sinne des § 223 Abs. 1 StGB ist jedes Hervorrufen oder Steigern eines vom Normalzustand der körperlichen Funktionen des Opfers nachteilig abweichenden Zustandes anzusehen. Dabei kommt es nicht darauf an, auf welche Art und Weise die Beeinträchtigung erfolgt ist (BGH, Urteil vom 4. November 1988 – 1 StR 262/88, BGHSt 36, 1, 6; Lackner/Kühl, StGB, 27. Aufl., § 223 Rn. 5 mwN). Rein psychische Empfindungen genügen bei keiner Handlungsalternative, um einen Körperverletzungserfolg gemäß § 223 Abs. 1 StGB zu begründen (BGH, Urteil vom 9. Oktober 2002 – 5 StR 42/02, BGHSt 48, 34, 36; vgl. ferner BGH, Beschluss vom 11. Juli 2012 – 2 StR 60/12, NStZ-RR 2012, 340 f.; OLG Düsseldorf, NJW 2002, 2118; Mey- er, ZStW 115 (2003), 249, 261). Wirkt der Täter auf sein Opfer lediglich psychisch ein, liegt eine Körperverletzung daher erst dann vor, wenn ein pathologischer , somatisch-objektivierbarer Zustand hervorgerufen worden ist, der vom Normalzustand nachteilig abweicht (BGH aaO S. 36 f.; Urteil vom 31. Oktober 1995 – 1 StR 527/95, BGHR StGB § 223 Abs. 1 Gesundheitsbeschädigung 2). Bloß emotionale Reaktionen auf Aufregungen, wie etwa starke Gemütsbewegungen oder andere Erregungszustände, aber auch latente Angstzustände, stellen keinen pathologischen Zustand und damit keine Gesundheitsbeschädigung im Sinne des § 223 Abs. 1 StGB dar (Senatsbeschluss vom 5. November 1996 – 4 StR 490/96, NStZ 1997, 123).
14
bb) Daran gemessen genügt für die Verurteilung des Angeklagten wegen Körperverletzung zum Nachteil der P. S. nicht, dass es bei ihr „aufgrund der ständigen Bedrohung durch den Angeklagten … zu einer deutlich länger- fristigen Anpassungsstörung“ kam, die „nicht allein durch die Aktivitäten des Angeklagten hervorgerufen, jedoch wesentlich gesteigert“ wurde (UA S. 119). Insofern hätte es vielmehr näherer Darlegungen dazu bedurft, worin die Anpassungsstörung konkret bestanden und wie sie sich geäußert haben soll; hinsicht- lich der „Steigerung“ der Störung waren vor dem Hintergrund, dass sich die Zeugin bereits in psychiatrischer Behandlung befand (UA S. 97), Ausführungen dazu geboten, ob hierhin ein eigenständiger Erfolg im Sinne des § 223 StGB liegt. Auch die von der Strafkammer an anderer Stelle herangezogenen „Schlafstörungen und Albträume“ der Zeugin (UA S. 97) lassen nicht erkennen, ob es sich hierbei um Beeinträchtigungen erheblichen Ausmaßes handelte, etwa weil sich das Schlafverhalten dauerhaft geändert hat (vgl. Senatsbeschluss vom 5. November 1996 – 4 StR 490/96, NStZ 1997, 123; Urteil vom 31. Oktober 1995 – 1 StR 527/95, NStZ 1996, 131, 132).
15
Zudem hätte es – wie auch bei den anderen Opfern – einer tragfähigen, sich nicht auf die Wiedergabe der Umschreibung des bedingten Vorsatzes beschränkenden Begründung des Wissens und Wollens des Körperverletzungserfolges bedurft (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Juli 2012 – 2 StR 60/12, NStZ-RR 2012, 340 f.; Senatsbeschluss vom 5. November 1996 – 4 StR 490/96, NStZ 1997, 123; Beschluss vom 22. November 2006 – 2 StR 382/06, bei Miebach, NStZ-RR 2007, 65).
16
cc) Auch die Verurteilung des Angeklagten wegen Körperverletzung zum Nachteil des A. S. hat danach keinen Bestand.
17
Insofern führt das Landgericht zur Begründung seiner rechtlichen Würdigung lediglich aus, die Gesundheit des A. S. sei „kurzfristig … erheb- lich beeinträchtigt“ worden; er habe „infolge der akuten Belastungssituation durch das Verhalten des Angeklagten unter konkreten Ängsten als zeitlich be- grenzte Reaktion“ gelitten (UA S. 119). Angst als solche stellt jedoch – insbe- sondere wenn die Reaktion „zeitlich begrenzt“ bzw. „kurzfristig“ auftritt – lediglich eine Beeinträchtigung des seelischen Wohlbefindens und eine normale Reaktion auf Bedrohungen, nicht aber einen pathologischen Zustand dar (Senatsbeschluss vom 5. November 1996 – 4 StR 490/96, NStZ 1997, 123; vgl. BGH, Beschluss vom 11. Juli 2012 – 2 StR 60/12, NStZ-RR 2012, 340 f.; OLG Köln, NJW 1997, 2191, 2192; NK-StGB/Paeffgen, 4. Aufl., § 223 Rn. 11a).
18
Auch der Umstand, dass A. S. „aufgrund der Belastungssituation … für eine Woche krankgeschrieben“ wurde (UA S. 96), ermöglicht keine revisionsgerichtliche Nachprüfung der Annahme einer Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit. Gleiches gilt aus den vorgenannten Gründen für nicht näher konkretisierte „Schlafstörungen“.
19
dd) Die Verurteilung des Angeklagten wegen Körperverletzung zum Nachteil des Zeugen T. begegnet ebenfalls durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
20
Die insoweit im Rahmen der rechtlichen Würdigung allein herangezogene „psychische Belastung durch Somatisierung“ (UA S. 118 f.) stellt keine tragfähige Begründung für den Eintritt eines Körperverletzungserfolges dar (vgl. zur Erforderlichkeit eines pathologischen, somatisch objektivierbaren Zustandes: Senatsbeschluss vom 5. November 1996 – 4 StR 490/96, NStZ 1997, 123; OLG Düsseldorf, NJW 2002, 2118). Die an anderer Stelle in dem Urteil erwähnten Schlafstörungen, temporären Schwindelzustände, Albträume, Nervosität und erhöhte Reizbarkeit reichen – wie oben ausgeführt – mangels näherer Konkretisierung ebenfalls nicht aus, um eine tatbestandsmäßige Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit zu begründen (vgl. auch OLG Köln, NJW 1997, 2191, 2192).
21
ee) Schließlich hält auch die Verurteilung wegen Körperverletzung zum Nachteil der V. S. einer Überprüfung nicht stand.
22
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kann zwar eine „massive“ depressive Verstimmung bei Hinzutreten weiterer Umstände den Körperverletzungstatbestand erfüllen (BGH, Beschluss vom 15. September 1999 – 1 StR 452/99, NStZ 2000, 25). Die vom Landgericht im Rahmen der rechtlichen Würdigung allein herangezogene „kurze reaktive depressive Erkrankung aufgrund äußerer Belastung“ (UA S. 118) erfüllt diese Voraussetzun- gen jedoch nicht.
23
Soweit die Strafkammer an anderer Stelle dargelegt hat, dass die Zeugin sich hilflos und kraftlos sowie psychisch nicht dazu in der Lage fühlte zu arbeiten (UA S. 93 f.), fehlt es an einem objektivierbaren Körperverletzungserfolg (vgl. Senatsbeschluss vom 5. November 1996 – 4 StR 490/96, NStZ 1997, 123; BGH, Urteil vom 9. Oktober 2002 – 5 StR 42/02, BGHSt 48, 34, 36 f.; OLG Düsseldorf, NJW 2002, 2118 mit Anm. Pollähne, StV 2003, 563, 564; OLG Köln, NJW 1997, 2191, 2192). Gleiches gilt für die nicht näher konkretisierten „Migräneanfälle“, zu denen sich die bereits vor dem Verhalten des Angeklagten vorhandenen „normalen Kopfschmerzen“ gesteigert haben sollen (UA S. 94; vgl. Pollähne, aaO). Weinkrämpfe und Herzrasen können ebenfalls eine normale körperliche Reaktion auf die mit einer Bedrohungssituation verbundenen Aufregungen unterhalb der Erheblichkeitsschwelle des § 223 StGB darstellen (zur fehlenden Tatbestandsmäßigkeit von „Herzklopfen“ bzw. „Herzrasen“ vgl. OLG Köln, NJW 1997, 2191, 2192; NK-StGB/Paeffgen, § 223 Rn. 11a; Smischek, Stalking, 2006, S. 215). Schließlich ergibt sich auch aus dem Umstand, dass die Zeugin sich in psychologische Behandlung begeben hat und „in der nahen Zukunft“ eine Gesprächstherapie geplant sei (UA S. 95),nicht in einer für das Revisionsgericht überprüfbaren Weise, dass im maßgeblichen Zeitpunkt ein Körperverletzungserfolg vorgelegen hat; ebenso wenig aus der nicht aussage- kräftigen Feststellung, dass „zu diesem Zeitpunkt“ eine „Anpassungsstörung mit emotionaler Symptomatik“ vorgelegen habe (UA S. 95).
24
b) Auch die Verurteilung des Angeklagten wegen Bedrohung hält nicht in allen Fällen rechtlicher Überprüfung stand.
25
aa) Der Tatbestand der Bedrohung setzt voraus, dass die Ankündigung des Verbrechens den Bedrohungsadressaten erreicht. Dies kann auch über Dritte erfolgen, wenn die Weitergabe der Drohung an den Adressaten vom Vorsatz des Täters umfasst ist (SSW-StGB/Schluckebier, § 241 Rn. 5, 7).
26
bb) Gemessen daran tragen die Feststellungen des Landgerichts eine Verurteilung wegen Bedrohung der P. und des A. S. in den Fällen der Facebook-Nachrichtan L. Sch. vom 23. August 2011 (UA S. 49), des Briefes, der ihnen am 6. Dezember 2011 zugegangen ist (UA S. 73), und der Facebook-Nachricht an Schl. von Anfang Dezember 2011 (UA S. 72) nicht. Im Fall der Nachricht vom 23. August 2011 fehlt es an der Feststellung , dass die an L. Sch. gerichtete Facebook-Nachricht die Bedrohungsadressaten mit dem Willen des Angeklagten erreicht hat. Ein solcher Vorsatz versteht sich bei einer über Facebook an eine Freundin der Tochter gerichtete Nachricht auch nicht von selbst, zumal der Angeklagte in derselben Nachricht ankündigt, an die Eltern der V. S. ein gesondertes Schreiben richten zu wollen (UA S. 51). Der am 6. Dezember 2011 eingegangene Brief ist an die Zeugin V. S. gerichtet („V. : …“). Auch insoweit ist ein Vorsatz des Angeklagten dahingehend, dass die Bedrohung die Eltern der Angesprochenen erreichen sollte, nicht festgestellt. Die Facebook-Nachricht von Anfang Dezember 2011 an Schl. ist wiederum an eine dritte Person gerichtet , ohne dass festgestellt ist, dass diese Nachricht P. S. erreicht hat und erreichen sollte.
27
cc) Hinsichtlich der Taten zum Nachteil von T. tragen die Feststellungen des Landgerichts aus den vorgenannten Gründen die Verurteilung jeweils wegen Bedrohung in den Fällen der Facebook-Nachrichten an L. Sch. vom 22. Juli 2011, an Schl. vom 23. Juli 2011 sowie im Fall des Briefes an die Eheleute S. , der am 22. Oktober 2011 bei ihnen eingegangen ist, nicht. In keinem der genannten Fälle ist festgestellt, dass die Nachrichten den Geschädigten erreicht haben und dass dies vom Vorsatz des Angeklagten umfasst war.
28
c) Soweit das Landgericht das Versenden des Schreibens, welches die Eltern der V. S. im September 2011 erreichte, als versuchte Nötigung bewertet, hat dies schon deshalb keinen Bestand, weil die Strafkammer es versäumt hat, einen den Einsatz eines Nötigungsmittels im Sinne des § 240 Abs. 1 StGB (Gewalt oder Drohung mit einem empfindlichen Übel) umfassenden Tatentschluss festzustellen.
29
2. Die aufgezeigten Mängel zwingen zur Aufhebung der weiteren tateinheitlichen Verurteilungen (vgl. BGH, Beschluss vom 23. April 2013 – 1 StR 105/13). Ergänzend weist der Senat auf Folgendes hin:
30
a) Im Hinblick auf die Verurteilung wegen versuchter Nötigung durch Versenden einer Facebook-Nachricht an T. am 3. März 2012 bestehen Zweifel daran, ob diese Tat von der Anklage und von dem Eröffnungsbeschluss umfasst ist. Das in der Anklageschrift umschriebene Geschehen endet in zeitlicher Hinsicht mit dem Versenden einer Facebook-Nachricht an N. Sch. am 25. Januar 2012.
31
b) Soweit das Landgericht eine Bedrohung der P. und des A. S. im Versenden des Briefes vom 5. Januar 2012 sieht, begegnet dies Bedenken , weil sich der Ankündigung, der Zeugin V. S. und ihrer Fami- lie werde „ansonsten Schlimmeres passieren“ (UA S. 77), Verbrechensmerk- male nicht ohne Weiteres entnehmen lassen (vgl. OLG Köln, StV 1994, 245, 246). Sollte eine Verurteilung wegen Bedrohung darauf gestützt werden, dass in dem Schreiben V. S. als den Eltern nahestehende Person mit dem Tod bedroht wird, so bedarf es insoweit der Feststellung der objektiven und subjektiven Voraussetzungen einer Bedrohung der Eltern durch dieses Verhalten.
32
c) Bedenken bestehen auch, soweit das Landgericht elf selbständige Fälle der versuchten Nötigung angenommen hat.
33
In Fällen, in denen der Täter mehrfach zur Vollendung einer Nötigung ansetzt, um einen bestimmten Erfolg zu erreichen, liegt nur eine Tat im Rechtssinne vor, solange der Versuch nicht fehlgeschlagen ist, der Täter also von dem Misslingen des vorgestellten Ablaufs noch nichts erfahren hat oder nicht zu der Annahme gelangt ist, er könne die Tat nicht mehr ohne zeitliche Zäsur mit den bereits eingesetzten und anderen bereitliegenden Mitteln vollenden (BGH, Urteil vom 30. November 1995 – 5 StR 465/95, NJW 1996, 936, 937). Danach wird das Landgericht zu prüfen haben, ob in den Fällen zeitlich eng zusam- menhängender Handlungen des Angeklagten – etwa der Handlungen vom 23. August 2011 (Facebook-Nachricht an L. Sch. und Brief an die Eheleute S. , den diese an diesem Tag erhielten) oder im Fall der FacebookNachricht an Schl. aus dem Dezember 2011 sowie des Briefes, den die Eheleute S. am 6. Dezember 2011 erhielten – eine odermehrere Taten der versuchten Nötigung vorliegen.
34
d) Die Verurteilung des Angeklagten wegen Nachstellung gemäß § 238 Abs. 1 Nrn. 2 und 4 StGB begegnet auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen keinen Bedenken. Es kann deshalb dahinstehen, ob die Tatbestandsva- riante der „anderen vergleichbaren Handlung“ (§ 238 Abs. 1 Nr. 5 StGB) eben- falls verwirklicht ist und ob die insoweit in Rechtsprechung und Schrifttum geäußerten Bedenken (zum Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG) durchgreifen (vgl. auch BGH, Beschluss vom 19. November 2009 – 3 StR 244/09, NJW 2010, 1680, 1681, Tz. 16; hinreichende Bestimmtheit verneinend Fischer, StGB, 60. Aufl., § 238 Rn. 17c; Gazeas, JR 2007, 497, 501, jeweils mwN; kritisch auch Eisele in Schönke/Schröder, StGB, § 238 Rn. 23; aA Mosbacher, NStZ 2007, 665, 668; offen gelassen bei SSW-StGB/Schluckebier, § 238 Rn. 12).
35
Soweit das Landgericht lediglich eine Tat der Nachstellung gemäß § 238 StGB angenommen hat, weist der Senat darauf hin, dass mehrere tatbestandliche Verhaltensweisen dann nur eine Tat im Sinne des § 238 StGB bilden, wenn sie denselben tatbestandlichen Erfolg betreffen. Führt der Täter dagegen nach Eintritt eines Erfolges, etwa eines Umzuges (vgl. UA S. 95), weitere Tathandlungen aus, so kann Tatmehrheit vorliegen (Eisele in Schönke/Schröder aaO, § 238 Rn. 39).
36
3. Zum Straf- und Maßregelausspruch weist der Senat ergänzend auf Folgendes hin:
37
a) Soweit das Landgericht im Rahmen der Strafzumessung zu Lasten des Angeklagten die „gesundheitlichen Folgen der Tat für die Geschädigten“ berücksichtigt (UA S. 121), lässt dies besorgen, dass mit dem Erfolg der Körperverletzung ein Merkmal des gesetzlichen Tatbestandes zu seinem Nachteil in Ansatz gebracht worden ist (§ 46 Abs. 3 StGB). Etwas anderes kann sich nur dann ergeben, wenn quantitative oder qualitative Besonderheiten der Körperverletzung zum Anlass von entsprechenden Strafzumessungserwägungen genommen werden (Theune in LK, StGB, 12. Aufl., § 46 Rn. 146).
38
b) Die neu zur Entscheidung berufene Strafkammer wird ferner zu prüfen haben, ob eine nachträgliche Gesamtstrafenbildung gemäß § 55 StGB im Hinblick auf die Sanktionen aus den Strafbefehlen des Amtsgerichts Tiergarten vom 3. Februar 2012 (Az. 263b Cs – 3033 Js 364/12 – 22/12) – insoweit gegebenenfalls unter Berücksichtigung der zeitlichen Tatkonkretisierung in der Anklage (vgl. oben II. 2. a)) – und vom 4. April 2012 (Az. 263b Cs – 232 Js 5682/11 – 17/12) in Betracht kommt.
39
c) Hinsichtlich der Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) weist der Senat auf Folgendes hin:
40
aa) Die Diagnose einer „Borderline-Persönlichkeitsstörung“ stellt – was die Strafkammer nicht übersehen hat – nicht ohne Weiteres eine hinreichende Grundlage für die Annahme einer relevanten Verminderung der Schuldfähigkeit des Täters dar (Senatsbeschluss vom 6. Februar 1997 – 4 StR 672/96, BGHSt 42, 385 ff.; BGH, Beschluss vom 17. Oktober 2001 – 3 StR 373/01, NStZ 2002, 142; Beschluss vom 1. August 1989 – 1 StR 290/89, BGHR StGB § 21 seeli- sche Abartigkeit 13) und rechtfertigt nur bei Vorliegen weiterer – vom Landgericht nicht fehlerfrei bejahter – Umstände die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (BGH aaO; Senatsbeschluss vom 25. Februar 2003 – 4 StR 30/03, NStZ-RR 2003, 165, 166; Beschluss vom 13. Oktober 2005 – 5 StR 349/05, NStZ-RR 2006, 38, 39 mwN).
41
bb) Ist die erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit auf das Zusammenwirken von Persönlichkeitsstörung und Betäubungsmittelkonsum zurückzuführen , so ist regelmäßig erforderlich, dass der Täter an einer krankhaften Betäubungsmittelabhängigkeit leidet, in krankhafter Weise betäubungsmittelüberempfindlich ist oder eine länger andauernde geistig-seelische Störung hat, bei der bereits geringer Betäubungsmittelkonsum oder andere alltägliche Ereignisse die erhebliche Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit auslösen können und dies getan haben (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Juli 2011 – 3 StR 173/11, NStZ 2012, 209; Beschluss vom 6. Oktober 2009 – 3 StR 376/09, NStZ-RR 2010, 42).
42
cc) Besonderes Augenmerk wird die zur neuen Entscheidung berufene Strafkammer zudem auf die Gefährlichkeitsprognose zu richten haben.
43
Die prognostizierte Gefährlichkeit muss sich auf Taten beziehen, die eine schwere Störung des Rechtsfriedens zur Folge haben. Für Straftaten nach § 238 StGB ist dies nicht ohne Weiteres zu bejahen (vgl. Senatsbeschluss vom 19. Dezember 2012 – 4 StR 417/12, NStZ-RR 2013, 145, 147; BGH, Beschluss vom 22. Juli 2010 – 5 StR 256/10, NStZ-RR 2011, 12, 13). Eine Straftat von erheblicher Bedeutung liegt vor, wenn sie mindestens der mittleren Kriminalität zuzurechnen ist, den Rechtsfrieden empfindlich stört und geeignet ist, das Gefühl der Rechtssicherheit der Bevölkerung erheblich zu beeinträchtigen. Straftaten , die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe unter fünf Jahren bedroht sind, sind daher nicht mehr ohne Weiteres dem Bereich der Straftaten von erheblicher Bedeutung zuzurechnen. Hierzu gehören beispielsweise das unerlaubte Entfernen vom Unfallort (§ 142 StGB), die Beleidigung, die üble Nachrede und die nichtöffentliche Verleumdung (§§ 185 bis 187 StGB), das Ausspähen von Daten (§ 202a StGB), die fahrlässige Körperverletzung (§ 229 StGB), die Nötigung (§ 240 StGB) sowie die Verbreitung pornographischer Schriften einschließlich gewalt- oder tierpornographischer Schriften (§§ 184 und 184a StGB). Gleiches gilt für die Nachstellung gemäß § 238 Abs. 1 StGB. Da auch insoweit das Höchstmaß der Freiheitsstrafe drei Jahre beträgt, kann auch die Nachstellung, wenn sie nicht mit aggressiven Übergriffen einhergeht, nicht generell als Straftat von erheblicher Bedeutung angesehen werden (BVerfG, Beschluss vom 24. Juli 2013 – 2 BvR 298/12 [juris Rn. 21, 28]). Entsprechendes gilt für eine Bedrohung, die nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. Senatsbeschluss vom 4. Juli 2012 – 4 StR 224/12, NStZ-RR 2012, 337, 338 mwN) allenfalls dann zur Rechtfertigung einer Unterbringungsanordnung herangezogen werden kann, wenn sie in ihrer konkreten Ausgestaltung aus der Sicht des Betroffenen die nahe liegende Gefahr ihrer Verwirklichung in sich trägt. Der bloße Besitz des in der Wohnung des Angeklagten aufgefundenen Schlagrings begründet eine solche Gefahr für sich genommen noch nicht (vgl. BGH, Urteil vom 2. März 2011 – 2 StR 550/10, NStZ-RR 2011, 240, 241). Erforderlich ist insoweit eine umfassende Auseinandersetzung des Tatgerichts auch mit Umständen , die gegen eine wirkliche Gewaltbereitschaft sprechen könnten (BGH aaO), insbesondere dass der Angeklagte bisher mit Gewaltdelikten nicht auffällig geworden ist.
44
Die Gefährlichkeitsprognose selbst ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstaten zu entwickeln (Senatsbeschluss vom 19. Dezember 2012 – 4 StR 417/12, NStZ-RR 2013, 145, 147). An die Darlegungen und die vorzunehmende Abwägung sind umso höhere Anforderungen zu stellen, je mehr es sich bei dem zu beurteilenden Sachverhalt unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes (§ 62 StGB) um einen Grenzfall handelt (BGH, Beschluss vom 30. Juli 2013 – 4 StR 275/13 mwN).
45
dd) Im Falle der erneuten Anordnung der Maßregel wird ferner zu berücksichtigen sein, dass mit deren Aussetzung zur Bewährung die Weisung erteilt werden kann, sich einer Therapie zu unterziehen (vgl. dazu Senatsurteil vom 23. Mai 2013 – 4 StR 70/13, Tz. 2; Fischer, StGB, 60. Aufl., § 67b Rn. 4). Dem kann schon deshalb besondere Bedeutung zukommen, weil der Angeklagte sich selbst um eine ambulante Therapie bemüht hat, zu der es lediglich aufgrund der Untersuchungshaft nicht gekommen sei (UA S. 123).
46
d) Zur Fassung eines Urteilstenors verweist der Senat auf die Kommentierung bei Meyer-Goßner, StPO, 56. Aufl., § 260 Rn. 21 ff.; insbesondere ist die (namentliche) Benennung der Opfer einer Straftat im Schuldspruch nicht geboten, bei gleichartiger Tateinheit ist lediglich anzugeben, wie oft der Straftatbestand verwirklicht wurde.

III.


47
Der Haftbefehl in der Fassung des Haftfortdauerbeschlusses war gemäß § 126 Abs. 3 StPO aufzuheben, weil der Senat das angefochtene Urteil aufhebt und sich bei dieser Entscheidung ohne Weiteres ergibt, dass die weitere Untersuchungshaft zu der Bedeutung der Sache und der zu erwartenden Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung außer Verhältnis stehen würde (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO).
Mutzbauer Roggenbuck Franke Bender Quentin

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR111/14
vom
16. Juni 2014
in der Strafsache
gegen
wegen vorsätzlicher Körperverletzung u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 16. Juni 2014 gemäß
§ 349 Abs. 2 StPO beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Bochum vom 4. Oktober 2013 wird als unbegründet verworfen. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe:


1
Das Landgericht hatte den Angeklagten im ersten Rechtsgang wegen vorsätzlicher Körperverletzung in vier Fällen, in zwei Fällen in Tateinheit mit Nachstellung, in drei Fällen in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte , und in einem Fall in Tateinheit mit Beleidigung, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Auf die Revision des Angeklagten hat der Senat dieses Urteil mit den Feststellungen – mit Ausnahme derjenigen zum äußeren Tatgeschehen der Nachstellungshandlungen zum Nachteil der Nebenklägerin und der vorsätzlichen Körperverletzungen zum Nachteil der Zeugin B. – aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückverwiesen. Das Landgericht hat den Angeklagten nunmehr freigesprochen und erneut seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet.
2
Dagegen wendet sich der Angeklagte und rügt die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Sein Rechtsmittel bleibt erfolglos.

I.


3
Der Rüge der Verletzung von § 244 Abs. 2 StPO bleibt der Erfolg bereits aus den zutreffenden Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 24. März 2014 versagt.

II.


4
1. Die nunmehr zur Entscheidung berufene Strafkammer hat im angefochtenen Urteil folgende ergänzende Feststellungen und Wertungen getroffen:
5
a) Die Nebenklägerin erregte zu Beginn des Tatzeitraums die Aufmerksamkeit des Angeklagten, als sie 1999 in eine Wohnung zog, die der seinen gegenüber lag. Zuvor hatte keine Bekanntschaft zwischen ihnen bestanden. Obwohl die Nebenklägerin eindeutig zum Ausdruck gebracht hatte, dass sie keine nähere Beziehung zum Angeklagten wollte, glaubte dieser an eine gemeinsame Zukunft und sah sich – infolge seiner psychischen Erkrankung – dazu auch berechtigt, da die Nebenklägerin ihm entsprechende „Signale gesandt“ und auch das „passende Sternzeichen“ habe. Daher unternahm er eine große Zahl von Kontaktversuchen, durch die die Nebenklägerin in ihrer Lebensgestaltung zunehmend beeinträchtigt wurde. Zu den Nachstellungshandlungen im Einzelnen wird auf die durch den Beschluss des Senats vom 19. Dezember 2012 (4 StR 417/12, NStZ-RR 2013, 145) im ersten Rechtsgang aufrecht erhaltenen Feststellungen des Landgerichts zum äußeren Tatgeschehen Bezug ge- nommen. Wegen Schwierigkeiten im Verhältnis zum Vater ihres Sohnes, aber auch wegen des Verhaltens des Angeklagten, suchte die Nebenklägerin ab dem Jahr 2000 eine Psychotherapeutin auf. Die mit dieser verabredete Strategie , den Angeklagten zu ignorieren, scheiterte unter anderem daran, dass er sich ihr bei Erledigungen oder Spaziergängen häufig in den Weg stellte und sie auch mit dem Pkw verfolgte. Da dieses Verhalten des Angeklagten nicht nachließ , zog die Nebenklägerin im Jahr 2003 in eine etwa drei Kilometer entfernt liegende Wohnung, wodurch sich ihr Arbeitsweg verlängerte und ihr Sohn nunmehr mit dem Bus zur Schule fahren musste.
6
Nachdem der Angeklagte im Frühjahr 2005 den neuen Wohnort der Nebenklägerin herausgefunden hatte, setzte er seine Nachstellungshandlungen fort, weshalb die Nebenklägerin erneut die in der Zwischenzeit eingestellten Sicherungsmaßnahmen ergriff, z.B. indem sie nur noch in Begleitung Fahrrad fuhr. Ab Anfang 2009 intensivierten sich die Handlungen des Angeklagten, so dass sich die Nebenklägerin wieder in psychotherapeutische Behandlung begeben musste; es wurde eine deutliche Chronifizierung ihrer Angstzustände festgestellt. Die Nebenklägerin äußerte Selbstmordgedanken und erklärte, sie wisse nicht, wie sie weiterleben solle, wenn der Angeklagte von seinen Handlungen nicht ablasse und sie für den Rest ihres Lebens auf die von ihr ergriffenen Sicherheitsmaßnahmen angewiesen sei. Ab 2011 steigerte sich die depressive , inzwischen mit Medikamenten behandelte Erkrankung der Nebenklägerin zu einer mittelschweren bis schweren Ausprägung und ging auch mit einer allgemeinen Antriebsminderung einher. Die Nebenklägerin litt fast täglich unter Panikattacken und nächtlichem Herzrasen; phasenweise war sie zu einer aktiven Teilnahme am Alltagsleben nicht mehr in der Lage. Zur Verschärfung der Situation trug auch die Tatsache bei, dass der Angeklagte ab Februar 2010 am Arbeitsplatz der Nebenklägerin erschien, so dass auch ihr berufliches Um- feld in die Sicherheitsmaßnahmen einbezogen werden musste. Ihr Arbeitsplatz wurde auf ihren Wunsch in einen schwerer zugänglichen Bereich des Firmengebäudes verlegt, auf dem Weg von und zu ihrem Pkw ließ sich die Nebenklägerin regelmäßig von einem Arbeitskollegen begleiten. Depressive Schübe verursachten in mehreren Fällen länger andauernde Arbeitsunfähigkeit. Als besonders belastend empfand die Nebenklägerin dabei zusätzlich die Szenen, die sich jeweils abspielten, wenn der Angeklagte durch Polizeibeamte oder andere Personen zum Verlassen des jeweiligen Ortes aufgefordert wurde, da er nie freiwillig Platzverweisen folgte und sein Verhalten auch nach Erlass von Abstandsverfügungen , Platzverweisen und zweimaliger Ordnungshaft fortsetzte.
7
b) Bereits im Zeitraum zwischen 1991 und 2000 hatte der Angeklagte ein ähnliches Verhalten gegenüber der damaligen Geschädigten T. gezeigt, die er 1984 zufällig über ihren Zwillingsbruder beim Tennisspielen kennen gelernt hatte. Nach Heirat der Geschädigten mit dem Zeugen F. im Jahr 1991 hatte er ständige Kontaktversuche zu ihr unternommen und sich auch durch massive Ansprachen, anwaltliche Schreiben, Unterlassungsverfügungen und regelmäßige Konflikte mit der Polizei davon nicht abhalten lassen. Er hatte ihr unzählige Briefe und CDs geschickt, sie mit dem Fahrrad oder mit dem Pkw auf dem Weg zur Arbeit verfolgt, wobei er sie teilweise durch dichtes Auffahren bedrängt hatte, so dass sie sich durch den Angeklagten regelrecht „gejagt“ gefühlt hatte. Dieses Verhalten hatte der Angeklagte – zeitweise täglich – auch fortgesetzt, als die Zeugin erkennbar schwanger war. Nach der Geburt der Tochter der Geschädigten im Jahr 1995 hatte der Angeklagte sein nachstellendes Verhalten auch auf das Kind erstreckt. Mehrere Wohnortwechsel hatten den Angeklagten von seinem Verhalten nicht abgehalten; zu Konfrontationen mit der Polizei war es in über 20 Fällen gekommen.
8
c) Das sachverständig beratene Landgericht hat angenommen, dem Angeklagten könne hinsichtlich der festgestellten Nachstellungshandlungen zum Nachteil der Nebenklägerin und der Körperverletzungshandlungen zum Nachteil der Zeugin B. kein Schuldvorwurf gemacht werden, da er zum Zeitpunktder Taten auf Grund einer undifferenzierten Schizophrenie, die mit massiven formalen Denkstörungen sowie inhaltlichen Denkstörungen in Form eines Wahns einhergehe, im Sinne von § 20 StGB schuldunfähig gewesen sei. Seine Geistestätigkeit sei während der gesamten hier in Rede stehenden Zeiträume krankheitsbedingt derart beeinträchtigt gewesen, dass er das Unzutreffende seiner Gedankengänge und die Realitätsferne seiner von ihm als „logisch“ bezeichneten Schlussfolgerungen nicht mit dem in der Gesellschaft geltenden Norm- und Wertesystem habe abgleichen und daher das Unrecht seines Handelns nicht habe erkennen können. Die im Rahmen der stationären Unterbringung abgegebene und in der Hauptverhandlung wiederholte Erklärung, er werde die Nebenklägerin nunmehr in Ruhe lassen und sich in therapeutische Behandlung begeben, sei taktisch motiviert und bezwecke allein die Vermeidung der Unterbringung, die er als ungerechte Behandlung empfinde.
9
2. Zu den Voraussetzungen der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB hat das Landgericht, ebenfalls sachverständig beraten, ausgeführt, es bestehe die deutlich erhöhte Gefahr, dass sich der Angeklagte in Freiheit entweder erneut der Nebenklägerin zuwenden oder einen Wechsel seines Tatopfers vornehmen werde. Von einer Gefahr für die Allgemeinheit sei schon deshalb auszugehen, weil, anders als in vielen anderen Fällen der Nachstellung, keine vorherige Beziehung zwischen dem Angeklagten und seinem Tatopfer bestanden habe. Die Zufälligkeit der Auswahl seines Opfers lasse es als sehr wahrscheinlich erscheinen, dass sich der Angeklagte auch einer anderen fremden Frau zuwenden werde, wenn er nach seiner eige- nen, irrationalen Logik zu der Ansicht komme, dies sei für ihn die ideale Frau. Die hohe Wahrscheinlichkeit einer schwerwiegenden Beeinträchtigung der Lebensgestaltung bei zukünftigen Opfern einer Nachstellung ergebe sich generell aus der Dynamik einer derartigen Tat, im konkreten Fall aber auch aus den Besonderheiten des Wesens und der Erkrankung des Angeklagten und aus der Hartnäckigkeit, Engmaschigkeit und Penetranz der Tatbegehung. Dies schließe auch Folgen für die Opfer entsprechend den in § 238 Abs. 2 StGB erfassten schweren Gesundheitsbeschädigungen ein: Die von der Nebenklägerin wie auch von der Zeugin T. berichteten regelmäßigen Panikattacken, schweren Schlafstörungen und – im Fall der Nebenklägerin – auch Suizidgedanken bei einer Nachstellung wie der durch den Angeklagten begangenen sei nicht nur typisch, sondern zu erwarten. Zwar ließen sich die meisten Betroffenen vom Gedanken des Selbstmordes durch eine psychotherapeutische Begleitung wieder abbringen; ohne diese Begleitung sei es aber durchaus mehrfach zu Suiziden oder Suizidversuchen gekommen.
10
Mildere Maßnahmen zur Abwendung der vom Angeklagten für die Allgemeinheit ausgehenden Gefahr seien mangels gegenwärtiger Therapierbarkeit und Krankheitseinsicht nicht ersichtlich. Ob die Therapiebereitschaft unter Einnahme von Medikamenten erreicht werden könne, sei unsicher. Selbst dann sei beim Angeklagten noch keine Einsicht in das Unrecht der Tat erreicht.

III.


11
Die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB hält sachlich-rechtlicher Nachprüfung stand.
12
1. Die Strafkammer hat beim Angeklagten eine geistige Erkrankung aus dem Formenkreis der Schizophrenie mit massiven formalen und inhaltlichen Denkstörungen als nicht nur vorübergehenden, sondern überdauernden Defekt vom Schweregrad des § 20 StGB rechtsfehlerfrei festgestellt. Auch der symptomatische Zusammenhang zwischen den Anlasstaten und der festgestellten psychischen Erkrankung ist hinreichend belegt.
13
2. Die Erwägungen des Landgerichts zur Gefährlichkeitsprognose halten – jedenfalls im Ergebnis – rechtlicher Nachprüfung stand.
14
a) Zwar begegnet die Annahme der Strafkammer, vom Angeklagten seien mit höherer Wahrscheinlichkeit Nachstellungstaten mit dem Schweregrad des Qualifikationstatbestands des § 238 Abs. 2 StGB zu erwarten, durchgrei- fenden rechtlichen Bedenken.
15
aa) Insoweit verfehlt die Strafkammer die Anforderungen an eine rechtsfehlerfreie Gefährlichkeitsprognose im Sinne von § 63 StGB.
16
Diese ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstaten zu entwickeln (Senatsbeschlüsse vom 4. Juli 2012 – 4 StR 224/12, NStZ-RR 2012, 337, 338 und vom 26. September 2012 – 4 StR 348/12). Die Wahrscheinlichkeit höheren Grades dafür, dass der Täter infolge seines Zustandes in Zukunft Taten von erheblicher Bedeutung begehen wird, muss der Tatrichter dabei nicht nur auf der Grundlage einer Gesamtschau der konkreten Tatumstände der Anlasstaten hinreichend darlegen (Senatsurteil vom 12. Juni 2008 – 4 StR 140/08, BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 29); er muss auch konkrete Anhaltspunkte benennen, die die Erwartung künftiger Straftaten in ihrer jeweils für ausreichend wahrscheinlich gehaltenen Handlungsmodalität begründen (vgl. BGH, Beschluss vom 8. April 2003 – 3 StR 79/03, NStZ-RR 2003, 232).
17
bb) Das Landgericht stützt seine Prognose hier aber maßgeblich nur auf die Ausführungen des psychiatrischen Sachverständigen, wonach Gesundheitsbeschädigungen wie die von der Nebenklägerin glaubhaft geschilderten Panikattacken, schweren Schlafstörungen sowie die Gefahr des Todes durch (ernstliche) Gedanken an Suizid seiner beruflichen Erfahrung nach als typische Folgen der festgestellten Nachstellungshandlungen zu erwarten seien. Diese aus medizinischer Sicht – notwendigerweise – abstrahierende Betrachtung vermag den erforderlichen Beleg für künftige konkrete Gefahren im Sinne des § 238 Abs. 2 StGB im vorliegenden Fall schon im Hinblick auf die Variationsbreite denkbarer Opferreaktionen nicht zu ersetzen. Anhaltspunkte dafür, dass der Angeklagte gezielt psychisch labile Tatopfer auswählt, enthält das Urteil nicht.
18
b) Dieser Mangel der Gefahrprognose führt jedoch nicht zur Rechtsfehlerhaftigkeit der Unterbringungsanordnung. Dass die Urteilsfeststellungen hier lediglich eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades für die Begehung weiterer Straftaten im Sinne von § 238 Abs. 1 StGB belegen, so dass nur der Strafrahmen von Geldstrafe bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe eröffnet ist, steht dem nicht entgegen.
19
aa) Eine Unterbringung nach § 63 StGB kommt nur in Betracht, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades dafür besteht, dass der Täter infolge seines Zustands in Zukunft Straftaten von erheblicher Bedeutung begehen wird, also solche, die eine schwere Störung des Rechtsfriedens zur Folge haben. Die Annahme einer gravierenden Störung des Rechtsfriedens setzt nach der stän- digen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs voraus, dass die zu erwartenden Delikte wenigstens in den Bereich der mittleren Kriminalität hineinreichen , den Rechtsfrieden empfindlich stören und geeignet sind, das Gefühl der Rechtssicherheit der Bevölkerung erheblich zu beeinträchtigen (vgl. nur Senatsbeschluss vom 18. Juli 2013 – 4 StR 168/13, NJW 2013, 3383, Tz. 43 mwN). Auch wenn dem Gesetz in diesem Zusammenhang eine Beschränkung auf bestimmte Tatbestände nicht entnommen werden kann, können wegen des außerordentlich beschwerenden Charakters der Maßregel nach § 63 StGB und mit Blick darauf, dass deren Anordnung und Fortdauer vom Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beherrscht werden (§ 62 StGB), Straftaten, die im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe unter fünf Jahren bedroht sind, nicht ohne Weiteres dem Bereich der Taten von erheblicher Bedeutung zugerechnet werden (BVerfG, Beschluss vom 24. Juli 2013 – 2 BvR 298/12, RuP 2014, 31, Tz. 21 mwN). Hierzu gehört neben den Tatbeständen der Nötigung (§ 240 StGB), der Bedrohung (§ 241 StGB) und der fahrlässigen Körperverletzung (§ 229 StGB) generell auch die Nachstellung im Sinne von § 238 Abs. 1 StGB, sofern sie nicht mit aggressiven Übergriffen einhergeht (BVerfG, Beschluss vom 24. Juli 2013 – 2 BvR 298/12, RuP 2014, 31, Tz. 21, 28; Senatsbeschlüsse vom 18. Juli 2013 aaO und vom 18. März 2008 – 4 StR 6/08, RuP 2008, 226, 227; vgl. auch Senatsbeschluss vom 4. Juli 2012 – 4 StR 224/12, NStZ-RR 2012, 337, 338 für die Bedrohung). Ergibt sich die Erheblichkeit drohender Taten nicht aus dem Delikt selbst, wie etwa bei Verbrechen, kommt der zu befürchtenden konkreten Ausgestaltung der Taten maßgebliche Bedeutung zu (vgl. Senatsurteil vom 12. Juni 2008 aaO).
20
bb) Vor dem Hintergrund der Feststellungen vor allem zur Anlasstat belegen die Urteilsgründe, dass die vom Angeklagten mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwartenden weiteren Nachstellungshandlungen schon im Hinblick auf deren tatauslösende Umstände zu den erheblichen Taten zu rechnen sind, weil sie geeignet sind, den Rechtsfrieden empfindlich zu stören und das Gefühl der Rechtssicherheit der Bevölkerung erheblich zu beeinträchtigen. Insoweit hat das Landgericht, dem psychiatrischen Sachverständigen folgend, maßgeblich darauf abgestellt, dass die Anlasstat nicht, wie in Nachstellungsfällen erfahrungsgemäß der Regelfall, aus einer länger bestehenden, sich krisenhaft entwickelnden Paarbeziehung erwachsen ist, der Angeklagte die Nebenklägerin vielmehr völlig zufällig und ausschließlich durch sein wahnhaftes Erleben beeinflusst ausgewählt hat. Das Landgericht hat ferner eingehend festgestellt, dass – zeitlich unmittelbar vor bzw. zeitweise sogar parallel zu der Anlasstat – die Zeugin T. in ähnlicher Weise das zufällige Opfer lang andauernder Nachstellungen durch den Angeklagten wurde. Es kommt hinzu, dass der Angeklagte sowohl die Anlasstat als auch die Nachstellungshandlungen gegenüber der Zeugin T. über einen ungewöhnlich langen Zeitraum hinweg ausführte und sie in beiden Fällen trotz vielfacher Interventionen durch Polizei und Justiz jeweils unbeirrt fortsetzte. Zumindest der Fall, in dem sich der Angeklagte der Nebenklägerin anlässlich einer Fahrt mit dem Fahrrad auf einsamer Strecke plötzlich in den Weg stellte, kommt einem körperlich-aggressiven Übergriff nahe; daneben hat das Landgericht zahlreiche, zum Teil täglich stattfindende Nachstellungshandlungen in Form persönlicher Konfrontationen in unmittelbarer Nähe von Wohnung und Arbeitsstelle der Nebenklägerin festgestellt. Dass mildere Mittel als der Vollzug der Maßregel nach Ausschöpfung anderer Maßnahmen wie – mehrfach vollstreckter – Ordnungshaft bei dem therapieunfähigen Angeklagten nicht in Betracht kommen, hat die Strafkammer ebenfalls rechtsfehlerfrei dargelegt.
Sost-Scheible Roggenbuck Franke
Mutzbauer Quentin

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 S t R 243/ 1 4
vom
19. August 2014
in dem Sicherungsverfahren
gegen
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 19. August 2014 gemäß § 349
Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:
Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts Hannover vom 8. Januar 2014 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) angeordnet. Die auf sachlichrechtliche Beanstandungen gestützte Revision des Beschuldigten hat Erfolg.
2
1. Dem Urteil liegen folgende Feststellungen und Wertungen des Landgerichts zugrunde:
3
a) Der Beschuldigte ist seit Ende der 1980er Jahre an einer schizomanischen Störung (ICD-10 F 25.8) mit chronifiziertem Verlauf und schwerwiegendem Residualzustand erkrankt. Zusätzlich besteht bei ihm eine Alkohol- und Medikamentenabhängigkeit (ICD-10 F 10.2 und 13.2). Er befand sich deshalb seit 1986 vielfach im Niedersächsischen Landeskrankenhaus Wunstorf, verlor 1995 seinen Arbeitsplatz und bezieht seit 1996 eine Rente wegen Berufsunfähigkeit. Im Jahr 1998 drohte er in einer akut psychotischen Situation seiner Mutter und seiner damaligen Verlobten, er werde sie und auch sich selbst töten. Das Landgericht Hannover verhängte deshalb im Januar 2000 eine Freiheitsstrafe von sechs Monaten und ordnete die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, die bis Juni 2005 vollstreckt, sodann zur Bewährung ausgesetzt und mit Wirkung vom 29. Juli 2008 für erledigt erklärt wurde. Auch nach der Entlassung aus dem Maßregelvollzug kam es zu einer Vielzahl von stationären Aufenthalten in psychiatrischen Kliniken, teilweise in geschlossenen Stationen, teilweise in Wohn- und Pflegeheimen des Klinikums Wahrendorff oder anderer Institutionen. In den Jahren nach der hier verfahrensgegenständlichen Tat befand sich der Beschuldigte erneut zahlreich, teilweise aufgrund des Unterbringungsrechts, zumeist aber auf freiwilliger Grundlage jeweils kurzzeitig in stationärer psychiatrischer Behandlung.
4
b) Am 1. April 2011 betrat der Beschuldigte eine Sparkassenfiliale und füllte am Serviceschalter einen Auszahlungsauftrag aus. Nachdem es aufgrund eines technischen Problems zu zeitlichen Verzögerungen bei der Bearbeitung gekommen war, drängte der Beschuldigte aufgebracht und lautstark gegenüber dem Mitarbeiter des Kreditinstituts auf umgehende Auszahlung. Er versuchte, einen Monitor, auf dem der Filialleiter die Ursache für die Verzögerung feststellen wollte, herumzudrehen und sich selbst einen Blick auf die Kontounterlagen zu verschaffen. Als der Filialleiter ihm dies aus Datenschutzgründen untersagte , wurde er von dem Beschuldigten mit den Worten "Dreck", "Pimmellecker" und "Schwanzlutscher" beschimpft und damit bedroht, der Beschuldigte werde ihm den "Schwanz" abschneiden und ihm in den Mund stecken. Nunmehr zerriss der Filialleiter den Auszahlungsauftrag und wies den Beschuldigten aus den Geschäftsräumen. Daraufhin ging der Beschuldigte zu seiner Sporttasche, die er beim Betreten der Filiale abgestellt und auf die er ein Samuraischwert gelegt hatte. Das Schwert hatte eine stumpfe Metallklinge mit einer Klingenlän- ge von 62 cm, die sich in einer Plastikscheide befand. Dieses Schwert nahm der Beschuldigte, hielt es mit beiden Händen in Richtung des Filialleiters und drohte diesem, er werde "ihm den Kopf abschneiden", "ihn aufschlitzen" und ihm "den Kopf abhacken". Der Filialleiter bekam Angst um sein und der anderen Beschäftigten körperliches Wohl und veranlasste, dass ein Mitarbeiter den Notruf betätigte. Kurz danach verließ der Beschuldigte - in der einen Hand seine Sporttasche, in der anderen das Schwert haltend - die Filiale. Von den alarmierten Polizeibeamten wurde der Beschuldigte einige Zeit später im Bereich der Innenstadt angetroffen und aufgefordert, das Schwert fallen zu lassen. Als er nur mit den Worten "Was willst Du?" reagierte, wurde er unter Einsatz eines Pfeffersprays überwältigt und zur Polizeidienststelle verbracht. Dabei beschimpfte er die Polizeibeamten unter anderem mit den Worten "Nazis" und "korrupte Schweine".
5
Neben dieser Anlasstat hat das Landgericht zwei weitere Geschehnisse festgestellt: Ende August 2011 betrat der Beschuldigte trotz eines gegen ihn bestehenden Hausverbots das psychiatrische Wohnheim "C. ", um seine dort lebende Freundin zu besuchen. Er wurde von Mitarbeiterinnen der Einrichtung aufgefordert, das Gebäude zu verlassen. Darauf beschimpfte er die Frauen mit den Worten "Nazisau" und "Nazihure" und drohte ihnen an, sie würden mit einem Bolzenschussgerät getötet, ihre Leichen würde man "auf der Müllkippe finden". Sodann beruhigte er sich und verließ das Wohnheim. Im Mai 2013 geriet der Beschuldigte am Zentralen Omnibusbahnhof mit einem Reiseleiter in einen Konflikt. Er simulierte in der Art eines Kampfkünstlers einen Tritt sowie einen Faustschlag gegen den Mann, ohne dadurch Verletzungen herbeizuführen. Die Ermittlungsverfahren wegen dieser Vorfälle hat die Staatsanwaltschaft im Hinblick auf das vorliegende Verfahren jeweils nach § 154 Abs. 1 StPO eingestellt.

6
c) Das Landgericht hat - dem Gutachten der psychiatrischen Sachverständigen folgend - nicht ausschließen können, dass die Steuerungsfähigkeit des Beschuldigten bei der Tatbegehung aufgehoben war. Ursächlich war die schizomanische Erkrankung des Beschuldigten, die zu groben Störungen der Selbststeuerung im Sinne von distanz- und schamlosem Verhalten führt, die Kritikfähigkeit nahezu aufhebt und den Beschuldigten Aggressionen nicht als eigene Affekte, sondern als gerechtfertigte Reaktionen auf das Tun anderer erleben lässt. Von der erheblichen Einschränkung der Schuldfähigkeit war die Strafkammer ebenso überzeugt wie von einer erhöhten Wahrscheinlichkeit dafür , dass der Beschuldigte zukünftig erneut gleichartige Taten sowie auch einfache Körperverletzungshandlungen geringeren Ausmaßes (UA S. 20, 21) begehen wird. Die begangene Bedrohung hat sie wegen der psychischen Auswirkungen auf die Mitarbeiter der Sparkasse als Tat der mittleren Kriminalität eingestuft und die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus auf die Gefahr der Wiederholung solcher Taten gestützt.
7
2. Die Anordnung der Unterbringung hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
8
a) Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB ist eine außerordentlich belastende Maßnahme , die einen besonders gravierenden Eingriff in die Rechte des Betroffenen darstellt. Sie darf daher nur dann angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht , dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstaten aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung hierauf beruht. Daneben muss eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades bestehen, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustandes in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen; die zu erwartenden Taten müssen schwere Störungen des Rechtsfriedens besorgen lassen. Die notwendige Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstat (en) zu entwickeln. Dabei sind an die Darlegungen umso höhere Anforderungen zu stellen, je mehr es sich bei dem zu beurteilenden Sachverhalt um einen Grenzfall handelt (vgl. BGH, Beschluss vom 4. Juli 2012 - 4 StR 224/12, NStZ-RR 2012, 337, 338 mwN). Der Tatrichter muss die eine Unterbringung tragenden Umstände in den Urteilsgründen so umfassend darstellen, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen (BGH, Beschluss vom 24. Oktober 2013 - 3 StR 349/13, juris Rn. 5).
9
Darüber hinaus muss die Anordnung verhältnismäßig sein. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist mit Verfassungsrang ausgestattet. In § 62 StGB hat ihn der Gesetzgeber ausdrücklich nochmals einfachgesetzlich geregelt , um seine Bedeutung bei der Anordnung von Maßregeln der Besserung und Sicherung hervorzuheben. Er beherrscht auch die Anordnung und Fortdauer der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und gebietet, dass die Freiheit der Person nur beschränkt werden darf, soweit dies im öffentlichen Interesse unerlässlich ist (BVerfG, Beschluss vom 5. Juli 2013 - 2 BvR 789/13, NStZ-RR 2013, 360 (nur Ls)). Die Unterbringung darf nicht angeordnet werden, wenn die wegen ihrer unbestimmten Dauer sehr belastende Maßnahme außer Verhältnis zu der Bedeutung der begangenen und zu erwartenden Taten stehen würde (BGH, Beschluss vom 26. Juni 2007 - 5 StR 215/07, NStZRR 2007, 300, 301). Bei der gebotenen Abwägung zwischen den Sicherungsbelangen der Allgemeinheit und dem Freiheitsanspruch des Betroffenen ist auf die Besonderheiten des Falles einzugehen (vgl. BVerfG, Urteil vom 8. Oktober 1985 - 2 BvR 1150/80 u.a., BVerfGE 70, 297, 313). Zu erwägen sind nicht nur der Zustand des Beschuldigten und die von ihm ausgehende Gefahr, sondern auch sein früheres Verhalten, seine aktuellen Lebensumstände, die ihn konkret treffenden Wirkungen einer Unterbringung nach § 63 StGB sowie die Möglichkeiten , ggf. durch andere Maßnahmen auf ihn einzuwirken (BGH, Urteil vom 31. Juli 2013 - 2 StR 220/13, NStZ-RR 2013, 339, 340).
10
b) Gemessen hieran hat die Strafkammer die Voraussetzungen der Unterbringung nicht ausreichend belegt.
11
Das Landgericht ist zwar im Ausgangspunkt ohne Rechtsfehler davon ausgegangen, dass die Bedrohung (§ 241 StGB) nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine Straftat der mittleren Kriminalität darstellen kann, welche die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus zu rechtfertigen vermag, wenn die Bedrohung mit dem Tod geeignet ist, den Bedrohten nachhaltig und massiv in seinem elementaren Sicherheitsempfinden zu beeinträchtigen; dies ist insbesondere der Fall, wenn sie aus der Sicht des Betroffenen die nahe liegende Gefahr ihrer Verwirklichung in sich trägt (BGH, Beschluss vom 22. Februar 2011 - 4 StR 635/10, NStZ-RR 2011, 202 mwN). Gleichwohl war nach den Feststellungen die Schwelle zur Erheblichkeit nur geringfügig überschritten. Den daraus resultierenden erhöhten Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit werden die Darlegungen im Urteil nicht gerecht.
12
Der Beschuldigte, dessen aggressiver Impulsdurchbruch in Form der Bedrohung auch dadurch verursacht war, dass der Filialleiter zuvor seinen Überweisungsauftrag zerrissen hatte, beruhigte sich nach Ausstoßen der Drohungen letztlich selbst wieder und verließ die Geschäftsräume ohne fremdes Zutun. Auch bei dem Geschehen, welches 1998 zu einer ersten Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus geführt hatte, war er über verbale Drohungen nicht hinausgegangen und hatte sich aufgrund des Zuredens eines Polizeibeamten zum Aufgeben entschlossen. Seit seiner Entlassung aus dem Maßregelvollzug im Jahr 2005 hatte die Krisenintervention überwiegend durch freiwillige Aufenthalte in Kliniken der Allgemeinpsychiatrie oder verschiedenen psychiatrischen Nachsorgeeinrichtungen stattgefunden. Es kommt hinzu, dass nach den Feststellungen des Landgerichts das Ziel der Unterbringung (vgl. dazu LK/Schöch, StGB, 12. Aufl., § 63 Rn. 2), die Heilung und deutliche Verbesserung des Zustandes des Beschuldigten, durch die Maßregel nicht mehr zu erwarten ist (UA S. 24). Somit geht es bei der Unterbringung ausschließlich um den Schutz der Allgemeinheit durch Freiheitsentziehung. Dies macht die Anordnung der Maßregel zwar nicht unzulässig (vgl. BGH, Urteil vom 13. Juli 1989 - 4 StR 308/89, NStZ 1990, 122, 123), indes stellt die ungünstige Behandlungsprognose einen Umstand dar, der bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit Gewicht hat (vgl. BVerfG, Beschluss vom 5. Juli 2013 - 2 BvR 708/12, juris Rn. 40 ff.; Beschluss vom 5. Juli 2013 - 2 BvR 789/13, NStZ-RR 2013, 360 (Ls)).
13
Diese Besonderheiten sind vom Landgericht in die Erwägungen nicht einbezogen worden. Es muss deshalb erneut entschieden werden, ob die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus unter diesen Umständen unerlässlich ist oder ob die Krisenintervention wie im bisher geschehenen Umfang ausreicht. Becker Pfister Hubert Schäfer Mayer

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 S t R 1 4 2 / 1 5
vom
28. Oktober 2015
in dem Sicherungsverfahren
gegen
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 28. Oktober
2015, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Raum,
der Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Jäger,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Cirener,
der Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Mosbacher
und die Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Fischer,
Oberstaatsanwältin beim Bundesgerichtshof
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 11. November 2014 wird verworfen.
Die Staatskasse hat die Kosten des Rechtsmittels und die dem Beschuldigten im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat im Sicherungsverfahren die Anordnung der Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus abgelehnt. Hiergegen wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer auf die Sachrüge gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.

A.

2
I. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
3
Dem Beschuldigten war die Geschädigte bereits seit etwa 20 Jahren vom Sehen und von flüchtigen Gesprächen bekannt. Im Sommer 2013 kam es zum Ausbruch einer psychotischen Erkrankung beim Beschuldigten, in deren Zuge er einen auf die Geschädigte bezogenen Liebeswahn entwickelte. Im Sommer 2013 kam es zu einem Treffen zwischen dem Beschuldigten und der Geschädigten in einem Café, bei dem sie ihm erklärte, nichts mit ihm zu tun haben zu wollen. Dies konnte der Beschuldigte nicht akzeptieren. An einem Tag im September 2013 packte er die Geschädigte mit schmerzhaften Folgen am Handgelenk, um mit ihr reden zu können. In der Folgezeit passte er sie täglich an ihrer Arbeitsstelle – die in unmittelbarer Nähe zu seiner Wohnung lag – oder auf ihrem Nachhauseweg ab. Deswegen beantragte die Geschädigte im Februar 2014 den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 1 GewSchG, die am 10. Februar 2014 erging. Mit diesem dem Beschuldigten am 13. Februar 2014 zugestellten Beschluss des Amtsgerichts München wurde ihm untersagt, mit der Geschädigten Kontakt aufzunehmen.
4
Der Beschuldigte suchte in 14 Fällen zur Geschädigten Kontakt, indem er sie an ihrer Arbeitsstelle aufsuchte oder sie dort anzurufen versuchte. Zehn dieser Fälle ereigneten sich nach dem 13. Februar 2014, wobei er trotz Kenntnis des Beschlusses des Amtsgerichts München vom 10. Februar 2014 handelte. In dem letzten dieser Fälle versuchte er am 26. Februar 2014, sie „gewalt- sam aus der Praxis zu zerren“, in der sie als Arzthelferin arbeitete. Die Geschä- digte versetzte dem Beschuldigten eine Ohrfeige. Sie selber erlitt dabei Schmerzen.
5
Die Geschädigte ist aufgrund dieser Vorfälle psychisch stark angeschlagen. Sie leidet an einer posttraumatischen Belastungsstörung und Angstzuständen.
6
Der Beschuldigte litt zu den Tatzeitpunkten an einer paranoiden Schizophrenie , was zu einer krankheitsbedingten erheblichen Beeinträchtigung des Motivationsgefüges führte und die Steuerungsfähigkeit im Sinne des § 20 StGB aufhob. Nachdem während der vorläufigen Unterbringung der Beschuldigte erstmals auf ein geeignetes Medikament eingestellt worden war, zeigte er sich behandlungseinsichtig und erschüttert über die Folgen seines Verhaltens.
7
II. 1. Das Landgericht hat die Taten als vorsätzliche Körperverletzung in Tatmehrheit mit 14 Fällen der Nachstellung, diese in zehn Fällen jeweils in Tateinheit mit einem Verstoß gegen das Gewaltschutzgesetz, und in einem Fall weiter in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung gemäß § 223 Abs. 1, § 230 Abs. 1, § 238 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 2, Abs. 4, §§ 52, 53 StGB, §§ 1, 4 GewSchG gewertet, die der Beschuldigte rechtswidrig, aber im Zustand der Schuldunfähigkeit begangen hat.
8
2. Die Voraussetzungen des § 63 StGB zur Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus hat es nicht angenommen. Zwar gingen die Taten auf einen dauerhaften Zustand, nämlich die paranoide Schizophrenie , zurück. Jedoch ergebe die Gefahrenprognose, dass von dem Beschuldigten infolge dieser Erkrankung keine erheblichen rechtswidrigen Taten mit einer Wahrscheinlichkeit höheren Grades zu erwarten seien. Hierzu hat es darauf abgestellt, dass der Beschuldigte zwar aufdringlich und lästig gehandelt habe, was zu erheblichen psychischen Folgen bei der Geschädigten geführt habe, jedoch habe er über das beharrliche Nachstellen hinaus keine gesteigerte kriminelle Energie aufgewandt und keine gesteigerte körperliche Aggressivität gezeigt. Die Schwelle zur Vollendung der Körperverletzungsdelikte sei nur deswegen überschritten worden, weil sich die Geschädigte nachvollziehbarerweise aus dem Griff des Beschuldigten herausgewunden und deswegen Schmerzen erlitten hätte. Selbst die Ohrfeige der Geschädigten habe zu keiner weiteren Gewaltanwendung durch ihn geführt. Unter Berücksichtigung auch weiterer Umstände aus seinem Vorleben könne aus seinem bisherigen Verhal- ten nicht auf die zukünftige Begehung solcher Taten geschlossen werden, die die Grenze zur Erheblichkeit überschreiten.

B.

9
Die Nichtanordnung der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB hält sachlich-rechtlicher Nachprüfung stand.
10
Eine Unterbringung nach § 63 StGB kommt nur in Betracht, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades dafür besteht, dass der Täter infolge seines Zustands in Zukunft Straftaten von erheblicher Bedeutung begehen wird, also solche, die eine schwere Störung des Rechtsfriedens zur Folge haben. Die Annahme einer gravierenden Störung des Rechtsfriedens setzt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs voraus, dass die zu erwartenden Delikte wenigstens in den Bereich der mittleren Kriminalität hineinreichen , den Rechtsfrieden empfindlich stören und geeignet sind, das Gefühl der Rechtssicherheit der Bevölkerung erheblich zu beeinträchtigen (vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 16. Juni 2014 – 4 StR 111/14, NStZ 2014, 571; vom 3. September 2015 – 1 StR 255/15). Ergibt sich die Erheblichkeit drohender Taten nicht aus dem Delikt selbst, wie etwa bei Verbrechen, kommt der zu befürchtenden konkreten Ausgestaltung der Taten maßgebliche Bedeutung zu (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Juni 2014 – 4 StR 111/14, NStZ 2014, 571 mwN; Urteil vom 29. September 2015 – 1 StR 287/15). Die sich hieraus ergebenden Darlegungserfordernisse hat das Landgericht eingehalten.
11
a) Zwar versäumt es, das Eingangsmerkmal des § 20 StGB für den Zustand des Beschuldigten ausdrücklich zu benennen, worauf grundsätzlich nicht verzichtet werden kann (BGH, Urteil vom 29. September 2015 – 1 StR 287/15). Jedoch ist neben der psychiatrischen Diagnose ausführlich dargelegt, dass bei dem Beschuldigten eine dauerhafte Erkrankung vorliegt, wie die daraus resultierenden psychischen Symptome sich auf die Schuldfähigkeit ausgewirkt haben und warum die Anlasstaten auf diesen Zustand zurückzuführen sind. Danach ist nicht nur hinreichend klar, dass das Landgericht vom Eingangsmerkmal der krankhaften seelischen Störung ausgegangen ist, sondern auch belegt, dass es für die Gefährlichkeitsprognose den Defektzustand des Beschuldigten mit dem angemessenen Gewicht eingestellt hat.
12
b) Das sachverständig beratene Landgericht hat die Gefährlichkeitsprognose auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstaten auf der Grundlage einer Gesamtschau der konkreten Tatumstände entwickelt (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 12. Juni 2008 – 4 StR 140/08, BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 29; Beschluss vom 16. Juni 2014 – 4 StR 111/14, NStZ 2014, 571). Hierbei hat es keine relevanten Aspekte außer Acht gelassen oder nur verkürzt in die Würdigung eingestellt.
13
So hat es den Umstand der nur losen Bekanntschaft zwischen Täter und Opfer in den Blick genommen, wie die Darstellung der Entwicklung der Bekanntschaft zwischen beiden belegt. Auch die zu befürchtende konkrete Ausgestaltung der Taten hat es ausreichend dargelegt und erwogen. Hierbei durfte es das konkrete Gewicht und die Besonderheiten der Entwicklung der begangenen Körperverletzungsdelikte berücksichtigen. Es hat dabei auch eine Verstärkung der zu erwartenden Aggressivität aufgrund des möglichen Opferver- haltens bedacht, aber im Hinblick auf die Reaktion des Beschuldigten auf die Ohrfeige der Geschädigten nicht für wahrscheinlich gehalten. Die erheblichen psychischen Auswirkungen hat es in die Abwägung eingestellt, die ausführlichen Darlegungen hierzu lassen nicht besorgen, dass es diese zu gering gewichtet haben könnte. Dass das Landgericht auf dieser Grundlage keine konkreten Anhaltspunkte für die Erwartung künftiger Taten in ihrer jeweils für ausreichend wahrscheinlich gehaltenen Handlungsmodalität gefunden hat (vgl. BGH, Beschluss vom 8. April 2003 – 3 StR 79/03, NStZ-RR 2003, 232; Beschluss vom 16. Juni 2014 – 4 StR 111/14, NStZ 2014, 571), ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
Raum Jäger Cirener Mosbacher Fischer

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 550/10
vom
2. März 2011
in dem Sicherungsverfahren
gegen
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 2. März 2011,
an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Fischer
als Vorsitzender
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Appl,
Prof. Dr. Schmitt,
Prof. Dr. Krehl,
Dr. Eschelbach,
Staatsanwalt (GL)
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwältin
als Verteidigerin,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts Aachen vom 27. Juli 2010 mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat gegen den Beschuldigten im Sicherungsverfahren die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet und zwei Messer eingezogen. Die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Beschuldigten hat Erfolg.
2
1. Der zur Tatzeit 27 Jahre alte Beschuldigte steht seit dem Jahre 2005 unter Betreuung und war schon mehrfach aufgrund gerichtlicher Anordnung, erstmals im Jahre 2004, zuletzt in der Zeit von 6. Juli bis 12. August 2009, in einer geschlossenen Anstalt untergebracht. Dabei wurde eine weitgehend unbehandelte paranoid halluzinatorische Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis diagnostiziert. Der Beschuldigte ist wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz , das Waffengesetz und wegen Sachbeschädigung vorbe- straft. Eine Tätlichkeit gegenüber dem Vater im Jahr 2005 hat nicht zu strafrechtlichen Konsequenzen geführt.
3
2. a) Nach den Feststellungen des Landgerichts beobachtete der gegenüber einer Schule wohnende Beschuldigte in der Nacht vom 9. auf den 10. Dezember 2009 nach seiner Vorstellung, dass in dem Schulgebäude die Lampen ausgegangen seien, eine "Knallerei" stattfinde und sich andere Lehrer als sonst dort aufhielten. Die von ihm verständigte Polizei ging der Sache nicht nach. Am Morgen sprach der Beschuldigte einen Schüler an, der vor dem Fenster seiner Wohnung seinen Roller geparkt hatte, und erklärte ihm, er solle nicht in die Schule gehen, weil dort gleich ein "Gemetzel" stattfinden werde. Über diesen Schüler und die Schulleitung wurde die Polizei gerufen, die sodann den Beschuldigten in seiner Wohnung aufsuchte. Der Aufforderung der Polizeibeamten , seinen Personalausweis zu zeigen, kam der Beschuldigte, der einen verwirrten Eindruck machte und die Hände in seinen Hosentaschen hielt, nicht nach. Als er schließlich nach weiterer Aufforderung ein Messer aus der Hosentasche zog, wollten ihn die Polizeibeamten abtasten. Hiergegen sträubte sich der Beschuldigte, weshalb es zu einer Rangelei kam, in deren Verlauf die Beteiligten zu Boden gingen. Dabei verletzte sich eine Polizeibeamtin an einem abgebrochenen , scharfkantigen Kühlschrankgriff an ihrem linken Handrücken. Bei dem Beschuldigten, der aufgrund des Vorfalls seit 28. Mai 2010 einstweilen untergebracht ist, wurden zwei Messer sichergestellt.
4
Nach Ansicht der Kammer befand sich der Beschuldigte zum Tatzeitpunkt im Zustand einer akuten paranoid halluzinatorischen Psychose, wodurch sowohl seine Steuerungs- als auch seine Einsichtsfähigkeit aufgehoben sein sollen.
5
b) Das Landgericht ist davon ausgegangen, dass der Beschuldigte objektive Verstöße gegen das Waffengesetz begangen, zudem den objektiven Tatbestand des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte erfüllt und im Übrigen im Zustand der Schuldunfähigkeit nach § 20 StGB gehandelt hat. Es hat aufgrund dessen die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Eine Gesamtwürdigung des Beschuldigten und seiner Tat ergebe, dass von ihm infolge seines Zustands erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten seien und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich sei. Bei dem Beschuldigten, der keinerlei Krankheitseinsicht zeige, liege das chronifizierte Vollbild einer schizophrenen Psychose vor, die durch langjährigen Drogenkonsum verstärkt werde. Auch sei bei ihm eine latente Fremdaggressivität festzustellen. Bei der Auswertung der Betreuungsakte durch die angehörte Sachverständige habe sich ergeben, dass der Beschuldigte schon früher angegeben habe, seine Angstzustände riefen bei ihm eine Verteidigungsbereitschaft hervor, die auch den Einsatz von Waffen einschließe. Entsprechendes habe er gegenüber der Sachverständigen zur Anlasstat erklärt. Er habe angegeben, beabsichtigt zu haben, in die Schule hineinzugehen und nachzusehen. Weiter sei festzustellen, dass sich der Beschuldigte seit einiger Zeit bewaffne und bereits Aggressivität gegenüber Sachen gezeigt habe. Daraus habe die Sachverständige auch für die Kammer nachvollziehbar abgeleitet, dass der Beschuldigte wahrscheinlich zukünftig auch schwerwiegende Straftaten, insbesondere Körperverletzungsdelikte, begehen werde, wenn er sich aufgrund seines Verfolgungswahns bedroht fühle.
6
Die Unterbringung, die nicht zur Bewährung ausgesetzt werden könne, sei anzuordnen, obwohl die Anlasstat selbst keine erhebliche rechtswidrige Tat sei. Dies sei auch nicht erforderlich. Vonnöten sei insoweit eine besonders sorgfältige Prüfung, die im Falle des Beschuldigten eine reale Gefahr ergebe, dass er zukünftig bei psychotischen Schüben auch Waffen gegen Personen einsetzen werde.
7
3. Die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
8
Eine derartige Maßregel beschwert den Betroffenen außerordentlich. Deshalb darf sie nur angeordnet werden, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades und nicht nur die einfache Möglichkeit schwerer Störungen des Rechtsfriedens besteht. Geboten ist eine mit aller Sorgfalt vorzunehmende Gesamtwürdigung von Täter und Tat unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit (§ 62 StGB) und eine Prognose, dass von dem Täter infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist (vgl. BGHR StGB § 63 Ablehnung 1, Gefährlichkeit 8, 26; BGH NStZ 2002, 590; NStZ-RR 2009, 169).
9
Die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus setzt zwar nicht grundsätzlich voraus, dass die Anlasstaten selbst erheblich sind. Sind diese wie die hier festgestellten Taten des Beschuldigten (vgl. für den Verstoß gegen § 113 StGB BGH StV 1992, 571) ihrem Gewicht nach nicht dem Bereich der mittleren Kriminalität zuzuordnen, bedarf die Gefährlichkeitsprognose aber besonders sorgfältiger Darlegung. Daran fehlt es vorliegend. Die zu knappen und oberflächlichen Erwägungen der Kammer, die eine eingehende Würdigung der Person des Beschuldigten, insbesondere seiner Krankheitsgeschichte sowie der Anlasstat vermissen lassen, tragen die Gefährlichkeitsprognose nicht.
10
Die Kammer stützt sich bei ihrer Annahme der Wahrscheinlichkeit auch schwerwiegender Straftaten neben einer insoweit wenig aussagekräftigen früheren einmaligen Gewalthandlung gegenüber einer Sache im Wesentlichen auf den festgestellten Besitz von Messern und auf die Selbsteinschätzung des Beschuldigten , die bei ihm auftretenden Angstzustände lösten eine Verteidigungsbereitschaft aus, die auch den Einsatz von Waffen einschließe. Dies allein lässt im konkreten Fall den Schluss auf die Wahrscheinlichkeit der Begehung von Gewaltdelikten gegenüber Personen nicht zu. Das Landgericht spricht insoweit von einer "latenten" Fremdaggressivität. Eine lediglich latente Gefahr reicht aber für die Annahme einer Wahrscheinlichkeit (höheren Grades) nicht aus (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Januar 2011 - 5 StR 547/10).
11
a) Zwar kann schon der Besitz von Waffen an sich die Besorgnis begründen , dass der Beschuldigte bereit sein könnte, diese auch einzusetzen; dies vor allem dann, wenn er den möglichen Einsatz dritten Personen gegenüber selbst einräumt. Das allein rechtfertigte eine Gefährlichkeitsprognose aber nur nach intensiver Auseinandersetzung mit Umständen, die gegen eine wirkliche Gewaltbereitschaft des Beschuldigten sprechen könnten (vgl. BGH, Beschluss vom 5. November 1993 - 5 StR 617/93). Zum einen hat die Kammer hier keinerlei Feststellungen dazu getroffen, weshalb der Beschuldigte, der sich im Übrigen während des gesamten in seiner Wohnung stattfindenden Vorfalls passiv verhalten hat, keine Anstalten gemacht hat, seine Waffe bei der festgestellten Anlasstat einzusetzen, obwohl er sich zu diesem Zeitpunkt in einer Situation befunden hat, in der nach den Ausführungen der Sachverständigen deren Einsatz zur Verteidigung zu erwarten gewesen wäre. Zum anderen hat sich die Kammer ersichtlich nicht mit dem Umstand auseinandergesetzt, dass der Beschuldigte wegen Gewaltdelikten gegenüber außenstehenden Personen bisher nicht auffällig geworden ist, es lediglich einen schon mehr als fünf Jahre zurückliegenden Vorfall gibt, in dem der Beschuldigte seinen Vater mit einer Lampe geschlagen haben soll. Nähere Feststellungen zu Anlass, Entwicklung und Ausmaß dieses familiären Konflikts hat die Kammer nicht getroffen, so dass sich nicht absehen lässt, ob und inwieweit dieser Vorfall generelle Rück- schlüsse auf das künftige Verhalten des Beschuldigten gegenüber Familienmitgliedern und dritten Personen zulässt. Soweit der Beschuldigte im Übrigen unauffällig geblieben ist, hätte dies die Kammer nicht unerörtert lassen dürfen. Der Beschuldigte leidet zumindest seit dem Jahre 2005 an der festgestellten paranoid halluzinatorischen Psychose, hat sich in der Vergangenheit mehrfach Waffen wie Messer oder Stahlruten besorgt, ohne diese jemals gegen Personen eingesetzt zu haben. Eine progrediente Entwicklung der Erkrankung ist nicht festgestellt, so dass etwa auch im Zeitraum zwischen der Anlasstat im Dezember 2009 und der späteren vorläufigen Unterbringung im Mai 2010 offenbar kein auf die Gefährlichkeit des Beschuldigten hinweisender Vorfall feststellbar gewesen ist, obwohl die Erkrankung des Beschuldigten zwischenzeitlich nicht behandelt worden ist (vgl. UA S. 7).
12
b) Vor diesem Hintergrund hätten auch die Bekundungen des Beschuldigten gegenüber Dritten, er werde zu seiner Verteidigung auch Waffen einsetzen , nicht ohne Weiteres zur Annahme erhöhter Gefährlichkeit führen dürfen, sondern einer eingehenden Würdigung unterzogen werden müssen. Dabei hätte es nahe gelegen, sich nicht auf die bloße aktenmäßige Verwertung früherer Angaben zu beschränken, sondern hierzu die Sachverständigen, denen gegenüber entsprechende Äußerungen des Beschuldigten gefallen sein sollen, unmittelbar anzuhören. Sie hätten nicht nur nähere Angaben zu Einzelheiten des Gesprächs , insbesondere, wie und in welchem Zusammenhang es zu den Äußerungen des Beschuldigten gekommen sei, machen können. Sie hätten vor allem auch Auskünfte zum Anlass ihres Tätigwerdens und damit zur Krankheit des Beschuldigten und ihren Auswirkungen geben können. Aus den Urteilsfeststellungen ergibt sich, dass der Beschuldigte in der Vergangenheit mehrfach zwangsweise untergebracht war. Warum dies jeweils geschehen ist, welche Auffälligkeiten zur Unterbringung geführt haben und welche Maßnahmen im Rahmen der Unterbringung - mit oder ohne Erfolg - ergriffen worden sind, lässt sich den Urteilsgründen nicht entnehmen. Diese Umstände zur Krankheitsgeschichte des Beschuldigten, aus der sich wesentliche Hinweise auf die Ernsthaftigkeit der Bekundungen des Beschuldigten und allgemein auf die von ihm ausgehenden Gefahren ergeben könnten, hätte die Kammer bei der anstehenden Würdigung berücksichtigen müssen, ob den Angaben des Beschuldigten mehr als die bloße Möglichkeit eines Waffeneinsatzes zu entnehmen ist (vgl. insoweit BGH, Beschluss vom 7. Dezember 1999 - 4 StR 485/99). Dies gilt trotz des Umstands, dass der Beschuldigte auch gegenüber der im Verfahren gehörten Sachverständigen Dr. R. einen möglichen Waffeneinsatz in der Schule eingeräumt haben soll (vgl. UA S. 7). Zum einen bleibt zumindest unklar, ob dies tatsächlich der Fall gewesen ist. Den mitgeteilten Angaben ist lediglich zu entnehmen, der Beschuldigte habe erklärt, beabsichtigt zu haben, in die Schule hineinzugehen und nachzusehen. Von einer Gewaltanwendung oder einer Verwendung eines der Messer ist nicht die Rede. Zum anderen wäre auch insoweit zu würdigen gewesen, dass der Beschuldigte jedenfalls bis zum Eintreffen der Polizei keinerlei Anstalten getroffen hatte, in die Schule hineinzugehen, auch gegenüber den Polizeibeamten das Messer nicht eingesetzt hatte, sich vielmehr bei Feststellung der angeblichen "Auffälligkeiten" im Schulgebäude darauf beschränkt hatte, die Polizei zu verständigen bzw. einen Schüler hierauf aufmerksam zu machen.
13
3. Die aufgezeigten Rechtsfehler führen zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung. Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht bei umfassender Würdigung zu einer für den Beschuldigten günstigeren Entscheidung gelangt wäre. Die Frage der Notwendigkeit der Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus bedarf daher neuer Prüfung.

Fischer Appl Schmitt Krehl Eschelbach

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 445/16
vom
13. Oktober 2016
in dem Sicherungsverfahren
gegen
ECLI:DE:BGH:2016:131016B1STR445.16.0

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 13. Oktober 2016 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts München I vom 31. Mai 2016 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Beschuldigten im Sicherungsverfahren im psychiatrischen Krankenhaus untergebracht. Hiergegen richtet sich die auf die Verletzung sachlichen Rechts gestützte Revision des Beschuldigten, die Erfolg hat.

I.


2
Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
3
1. Der Beschuldigte, ein estnischer Staatsangehöriger, identifiziert sich mit Adolf Hitler und fühlt sich deswegen zu Deutschland hingezogen. Mehrmals reiste er seit 2010 nach Deutschland, so auch im Oktober 2015. Am 15. November 2015 hielt er sich am M. Hauptbahnhof auf. In der Schalterhalle schrie er herum und bettelte Passanten aggressiv an. Dabei fasste er eine Frau energisch am Arm. Dies führte dazu, dass ihn Polizeibeamte auf den Bahnhofsvorplatz brachten. Dort stand ein Fahrzeug der U-Bahnwache. Der Be- schuldigte schlug mit Fäusten auf die Motorhaube des Fahrzeugs ein und „fuchtelte“ mit einem Messer mit einer Klingenlänge von etwa 20 cm herum. Dabei waren keine Personen in seiner Nähe.
4
Anschließend kratzte er zwei Hakenkreuze auf die Motorhaube des Fahrzeugs. Als er dabei von einem Mann angesprochen wurde, richtete er das Messer gegen diesen und „klopfte ihm mit dem Messer gegen Oberarm und Schulter“. Als der Mann sich entfernte, trat der das Geschehenbeobachtende Zeuge F. hinzu. Der Beschuldigte hob einen auf dem Boden liegenden Flaschenhals auf und hielt diesen gegen den Zeugen, der daraufhin wegging. Der Beschuldigte warf ihm den Flaschenhals ungezielt hinterher und zerkratzte weiter die Motorhaube. Er verursachte einen Sachschaden von 814 Euro.
5
Als Polizeibeamte eintrafen und ihn mit auf ihn gerichteter Waffe aufforderten , das Messer fallen zu lassen, hielt der Beschuldigte das Messer weiterhin zwischen Hüfte und Brust und warf dies erst nach zehn bis 20 Sekunden verzögert weg.
6
2. Das Landgericht hat das Geschehen als rechtswidrige Sachbeschädigung gewertet. Sachverständig beraten hat es sich davon überzeugt, dass bei der Tat die Einsichtsfähigkeit des Beschuldigten aufgrund einer krankhaften seelischen Störung in Form einer paranoiden Schizophrenie aufgehoben gewesen sei. Diese seit den 1990er Jahren bestehende Störung äußere sich in ausgeprägten formalen Denkstörungen, in einem Beziehungs-, Beeinflussungs-, Verfolgungs - und Größenwahn mit Wahnwahrnehmungen sowie durch eine ausgeprägte Störung der Affektregulation. In den akuten Krankheitsphasen habe der Beschuldigte Angst um sein Leben. Er meine, man wolle ihn töten, was das Ende der Welt bedeute. Bei Tatbegehung sei der Beschuldigte in seiner psychotischen Eigenwelt gefangen und zu einer realistischen Wahrnehmung und Beur- teilung seiner Umgebung nicht mehr in der Lage gewesen, er sei vielmehr der wahnhaften Überzeugung gewesen, Adolf Hitler zu sein.
7
Das Landgericht ist weiter davon ausgegangen, dass der Beschuldigte aufgrund dieser, für die Tat ursächlichen Störung für die Allgemeinheit gefährlich sei. Da ihm die Krankheitseinsicht fehle, sei bei Entlassung aus der Unterbringung mit erneuten Exacerbationen der Psychose zu rechnen, dann werde er „sein Leben von außen bedroht sehen“ und der wahnhaften Überzeugung sein, sich dagegen wehren zu müssen. Dies lasse eine höhere Wahrscheinlichkeit für Körperverletzungen mit gefährlichen Gegenständen, z.B. durch das gezielte Werfen mit Flaschen oder das Zustechen mit einem Messer, erwarten. Dass so etwas bisher in Deutschland noch nicht geschehen sei, sei allein äußeren Umständen zu verdanken, wie Vorsicht der Umgebung und raschem Ein- greifen der Polizei. Der Beschuldigte sei „nicht in der Lage, den ‚Schritt zurück‘ zu machen“. Hinzu trete, dass der Beschuldigte sich immer nur wenige Monate in Deutschland aufgehalten habe. Die zu erwartenden gefährlichen Körperverletzungen seien erheblich, da sie die Möglichkeit schwerer und sogar tödlicher Verletzungen bei den Opfern bergen.

II.


8
Die Maßregelanordnung nach § 63 StGB hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
9
1. Schon die Annahme der aufgehobenen Einsichtsfähigkeit begegnet durchgreifenden Bedenken.
10
Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB ist eine außerordentlich belastende Maßnahme , die einen besonders gravierenden Eingriff in die Rechte des Betroffenen darstellt. Sie darf daher nur dann angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht , dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstaten wegen eines der in § 20 StGB genannten Eingangsmerkmale schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung hierauf beruht. Wegen fehlender Einsichtsfähigkeit ist schuldunfähig, wer infolge der bei ihm festgestellten Störung im konkreten Fall die äußeren Umstände seines Tuns oder deren ihre Strafwürdigkeit begründenden Bedeutungsgehalt nicht erkannt hat (vgl. BGH, Urteil vom 6. März 1986 – 4 StR 40/86, BGHSt 34, 22, 25; Beschluss vom 15. Juli 2015 – 4 StR 277/15, StV 2016, 725). Das ist im Einzelnen darzulegen (vgl. BGH, Beschluss vom 20. November 2012 – 1 StR 504/12, NJW 2013, 246 mwN).
11
Diesen Anforderungen genügt das Urteil nicht. Denn die Urteilsgründe belegen nicht, dass der Beschuldigte die Anlasstat aufgrund der bei ihm festgestellten psychischen Erkrankung ohne Unrechtseinsicht begangen hat. Allein die Diagnose einer Schizophrenie belegt keine Aufhebung der Einsichtsfähigkeit (vgl. BGH, Beschlüsse vom 2. Oktober 2007 – 3 StR 412/07, NStZ-RR 2008, 39 und vom 17. Februar 2016 – 2 StR 545/15, StV 2016, 720;Nedopil/ Müller, Forensische Psychiatrie, 4. Aufl., S. 189). Das Geschehen ist ersichtlich auch nicht von der die akuten Krankheitsphasen kennzeichnenden Vorstellung des Beschuldigten geprägt, dass man ihn töten wolle und er sich nun dagegen wehren müsse. Hiervon geht auch das Landgericht nicht aus, wenn es ausführt, der Beschuldigte sei beim Ritzen der Hakenkreuze gestört worden und habe deswegen gereizt reagiert. Selbst wenn der Beschuldigte in der Überzeugung gehandelt hätte, er sei Adolf Hitler, trägt dies für sich genommen nicht den Schluss, dass seine kognitiven Funktionen nicht ausreichten (vgl. hierzu Nedopil/Müller, Forensische Psychiatrie, 4. Aufl., S. 41), die äußeren Umstände der Beschädigung des Fahrzeuges, aber auch des bedrohlichen bzw. nötigenden Auftretens gegenüber den hinzutretenden Personen und deren Bedeutungsgehalt als strafwürdig zu erkennen. Eine solche wahnhafte Vorstellung lässt auch keinen unmittelbaren Bezug – etwa im Sinne entsprechender imperativer Stimmen – zu den Handlungen des Beschuldigten zu. Soweit das Landgericht – der Sachverständigen folgend – zum Beleg der aufgehobenen Einsichtsfähigkeit ausführt, der Beschuldigte habe auf das Einschreiten der Passanten in gereizter und bedrohlicher Weise reagiert, ohne sich über die Folgen Gedanken zu machen, offenbart dies weder wahnhafte Vorstellungen noch solche kognitiven Defizite, nach denen dem Beschuldigten das Verbotene seines Tuns nicht mehr erkennbar war. Gleiches gilt für die nur verzögerte Reaktion auf die Aufforderung der Polizei. Dass der Beschuldigte schon mit dem Messer herumfuchtelte, als noch keine andere Person in der Nähe war, könnte zwar auf ein Wahnerleben hindeuten – was das Landgericht nicht erörtert –, dies wäre jedoch schon für sich genommen nicht geeignet, auf das Nichterkennen des Unrechts bei den folgenden, sich hiervon unterscheidenden Handlungen zu schließen. Denn diese waren nach der vom Landgericht zugrunde gelegten Motivation darauf gerichtet, als Störung empfundene Interventionen von Passanten – letztlich erfolgreich – abzuwenden, um mit dem Anbringen der Hakenkreuze fortfahren zu können.
12
2. Die Gefährlichkeitsprognose hält aber auch für sich genommen wegen Darlegungsmängeln revisionsrechtlicher Prüfung nicht stand.
13
a) Eine Unterbringung nach § 63 StGB kommt nur in Betracht, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades dafür besteht, dass der Täter infolge seines Zustands in Zukunft Straftaten von erheblicher Bedeutung begehen wird, also solche, die eine schwere Störung des Rechtsfriedens zur Folge haben. Die Annahme einer gravierenden Störung des Rechtsfriedens setzt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs voraus, dass die zu erwartenden Delikte wenigstens in den Bereich der mittleren Kriminalität hineinreichen, den Rechtsfrieden empfindlich stören und geeignet sind, das Gefühl der Rechtssicherheit der Bevölkerung erheblich zu beeinträchtigen (vgl. nur BVerfG, Beschluss vom 24. Juli 2013 – 2 BvR 298/12; BGH, Beschlüsse vom 18. Juli 2013 – 4 StR 168/13, NJW 2013, 3383; vom 16. Juni 2014 – 4 StR 111/14, NStZ 2014, 571 und vom 19. August 2014 – 3 StR 243/14; Urteil vom 28. Oktober 2015 – 1 StR 142/15, NStZ-RR 2016, 40).
14
Diese durch die Rechtsprechung herausgebildeten Anforderungen sind durch die neue Fassung des § 63 Satz 1 StGB dahingehend konkretisiert worden (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Entwurf eines Gesetzes zur Novellierung des Rechts der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 des Strafgesetzbuches und zur Änderung anderer Vorschriften , S. 17 f.; BT-Drucks. 18/7244), dass nur die Erwartung solcher erheblichen rechtswidrigen Taten ausreicht, durch die die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird.
15
b) Die erforderliche Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstat(en) zu entwickeln (BGH, Beschlüsse vom 16. Januar 2013 – 4 StR 520/12; vom 1. Oktober 2013 – 3 StR 311/13; vom 2. September 2015 – 2 StR 239/15 und vom 3. Juni 2015 – 4 StR 167/15, StV 2016, 724) und hat sich darauf zu erstrecken, ob und welche Taten von dem Beschuldigten infolge seines Zustands drohen, wie ausgeprägt das Maß der Gefährdung ist und welches Gewicht den bedrohten Rechtsgütern zukommt (BVerfG, Be- schluss vom 24. Juli 2013 – 2 BvR 298/12; BGH, Beschlussvom 7. Juni 2016 – 4 StR 79/16, NStZ-RR 2016, 306).
16
Neben der sorgfältigen Prüfung dieser Anordnungsvoraussetzungen ist der Tatrichter auch verpflichtet, die wesentlichen Umstände in den Urteilsgründen so umfassend darzustellen, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen. Wenn die Anlasstat – was für die hier angenommene Sachbeschädigung, aber auch die nicht erwogenen, aber in Betracht kommenden Tatbestände der Nötigung bzw. Bedrohung nahe liegt, aber unerörtert bleibt – selbst nicht erheblich ist, bedarf die Gefährlichkeitsprognose besonders sorgfältiger Darlegung (BGH, Beschluss vom 9. April 2013 – 5StR 120/13, NJW 2013, 2043; Urteile vom 2. März 2011 – 2 StR 550/10, NStZ-RR 2011, 240 und vom 23. Januar 1986 – 4 StR 620/85). Diesem schon von der Rechtsprechung entwickelten besonderem Darlegungserfordernis gibt die seit dem 1. August 2016 geltende und über § 2 Abs. 6 StGB anzuwendende Neuregelung in § 63 Satz 2 StGB eine klare gesetzliche Fassung (vgl. Gesetzentwurf aaO S. 22; BT-Drucks. 18/7244).
17
c) Den aufgezeigten Anforderungen genügt die Gefährlichkeitsprognose des Landgerichts nicht. Eine die Biographie des Beschuldigten und seine Krankheitsgeschichte berücksichtigende Gesamtwürdigung hat nicht erkennbar stattgefunden. Insbesondere begründet allein die im Allgemeinen erhöhte Kriminalitätsbelastung schizophren Erkrankter die Gefahrenprognose nicht (BGH, Beschluss vom 7. Juni 2016 – 4 StR 79/16, NStZ-RR 2016, 306; Urteil vom 11. August 2011 – 4 StR 267/11). Die gebotene Auseinandersetzung mit den die konkrete Krankheits- und Kriminalitätsentwicklung (BGH, Beschluss vom 17. Februar 2016 – 2 StR 545/15, StV 2016, 720) sowie die auf die Person des Beschuldigten und seine konkrete Lebenssituation bezogenen Risikofaktoren, die eine individuelle krankheitsbedingte Disposition zur Begehung von Delikten jenseits der Anlasstaten belegen können (BGH, Beschluss vom 7. Juni 2016 – 4 StR 79/16, NStZ-RR 2016, 306; zu situativen Risikofaktoren auch BGH, Beschluss vom 17. Februar 2016 – 2 StR 545/15, StV 2016, 720), lässt sich dem Urteil nicht entnehmen.
18
Es bleibt zudem unberücksichtigt, dass die zu erwartenden Taten von einer anderen Qualität als die Anlasstat sind, was zu einer Verfehlung des Maßstabs des neuen § 63 Satz 2 StGB – der freilich zur Zeit des Urteils noch nicht in Kraft war – führt. So findet keine Erörterung statt, wieso nunmehr – anders als noch bei der Anlasstat – vom Beschuldigten gefährliche Körperverletzungen drohen. Die Taten werden zwar dahingehend konkretisiert, dass sie durch das gezielte Werfen einer Flasche und das Zustechen mit einem Messer begangen zu werden drohen. Wieso eine so relevante Abweichung gegenüber dem der Anlasstat zugrunde liegenden Geschehen, bei der das Landgericht gerade keinen Körperverletzungsvorsatz festzustellen vermochte, zu erwarten sein soll, wird nicht dargelegt. Soweit die zu erwartenden Taten dadurch motiviert sein sollen, dass der Beschuldigte sein Leben in Gefahr sehen werde und wahnbedingt meine, sich dagegen wehren zu müssen, ist eine solche Situation bisher noch nicht aufgetreten, insbesondere die Anlasstat auf der Grundlage der Feststellungen nicht durch eine solche wahnhafte Vorstellung ausgelöst. Zwar mag es sein, dass das Störungsbild des Beschuldigten Anlass für eine solche Befürchtung geben kann, belastbare Anhaltspunkte hierfür lassen sich den Urteilsgründen nicht entnehmen. So sind auch in der Biographie des Beschuldigten keine Situationen ersichtlich, in denen er wahnbedingt sein Leben in Gefahr sah. Insbesondere das festgestellte Verhalten des Beschuldigten während der vorläufigen Unterbringung ergibt hierfür keine Anhaltspunkte. Da- nach schien er unruhig und getrieben sowie „affektiv getragen“ und schrie häufig Begriffe wie „Gott“, „Führer“ und „Rambo“, er beschriftete seine Kleidung mit der Aufschrift „Kleidung von Adolf Hitler“, zeigte den Hitlergruß und äußerte sich fremdenfeindlich und rassistisch. Ein Anlass für die nur im biographischen Abriss erwähnte Unterbringung in der „geschlossenen Psychiatrie“ für drei Mo- nate im Jahre 2011 wird nicht dargelegt. Ein paranoides Erleben lässt sich danach nicht erkennen, die Annahme eines solchen als Auslöser für zukünftige Taten hätte daher näherer Erörterung bedurft.

III.

19
Der Senat hebt die zugrunde liegenden Feststellungen insgesamt mit auf, um dem neu zuständigen Tatgericht in sich stimmige Feststellungen zu ermöglichen. Sollte – was äußerst nahe liegt – erneut eine Gefährlichkeitsprognose zu erstellen sein, wird auch die Delinquenzgeschichte des Beschuldigten in Estland näher zu beleuchten sein. Denn auch zurückliegenden Taten kann eine indizielle Bedeutung für die Gefährlichkeitsprognose zukommen, doch wird dies regelmäßig nur bei Taten der Fall sein, die in einem inneren Zusammenhang zu der festgestellten Erkrankung gestanden haben und deren Ursache nicht in anderen, nicht krankheitsbedingten Umständen zu finden ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom 7. Juni 2016 – 4 StR 79/16, NStZ-RR 2016, 306 und vom 4. Juli 2012 – 4 StR 224/12, NStZ-RR 2012, 337, 338; Urteil vom 11. August 2011 – 4 StR 267/11, Rn. 14). Dazu bedarf es konkreter Darlegungen, inwieweit das vom Beschuldigten behauptete versuchte Tötungsdelikt 1993 auf die Störung zurückgeht. Bislang ist dazu – allein auf den Angaben des Beschuldigten fußend – lediglich festgestellt worden, er habe seinen Vater mit einem Messer zwingen wollen, Tabletten zu schlucken, was allerdings daran gescheitert sei, dass der Vater die Tabletten nicht schlucken konnte. Dieser Sachverhalt wird genauso wie die wiederholten Provokationen seiner estnischen Nachbarn – gegebenenfalls im Wege der Rechtshilfe – weiter aufzuklären sein.
Graf Cirener Radtke Mosbacher Bär

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 520/12
vom
16. Januar 2013
in dem Sicherungsverfahren
gegen
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 16. Januar 2013 gemäß § 349
Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 12. Juli 2012 mit den Feststellungen aufgehoben, soweit die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet worden ist; jedoch bleiben die Feststellungen zu den rechtswidrigen Taten aufrechterhalten. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weiter gehende Revision des Beschuldigten wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet und Maßregeln nach den §§ 69, 69a StGB getroffen. Mit seiner Revision rügt der Beschuldigte die Verletzung materiellen Rechts. Sein Rechtsmittel hat in dem aus der Beschlussformel ersicht- lichen Umfang Erfolg. Im Übrigen ist es offensichtlich unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

I.


2
Nach den Feststellungen beleidigte der allein im Haus seiner verstorbe- nen Eltern wohnende Beschuldigte zwei Nachbarinnen, indem er sie als „fette Sau“ (Fall II. 1 der Urteilsgründe) und „Fezerhure“ (Fall II. 2der Urteilsgründe) bezeichnete. Einen Tag nach dem letztgenannten Vorfall rannte er vor seinem Wohnanwesen brüllend auf den Postzusteller H. zu, als dieser ihm die Post bringen wollte. Dabei war der Beschuldigte mit einem Brotmesser (Klingenlänge 10 cm) „bewaffnet“. Der Zeuge H. ergriff aus Angst vor Verletzungen die Flucht. Als der Beschuldigte zu seinem Haus zurückging, blieb der Zeuge H. stehen und wartete einen Augenblick. Daraufhin setzte der Beschuldigte „erneut zum Angriff an“ und lief wieder brüllend auf den Zeugen H. zu. Dieser eilte nun endgültig davon und sah von einer Postzustellung bei dem Beschuldigten ab (Fall II. 3 der Urteilsgründe). Etwa 90 Minuten nach diesem Vorfall warf der Beschuldigte „einen festen Gegenstand ähnlich einem Kürbis“ gegen den Autoreifen eines fahrenden Fahrzeugs. Anschließend verfolgte er die mit ihrem Fahrrad vorbeifahrende 15-jährige Schülerin C. K. . Dabei schrie er: „Du Hure, ich bring dich um, wenn ich dich erwische“. C. K. hatte deshalb Angst um ihr Leben und beschleunigte ihre Fahrt. Als der Beschuldigte seinerseits von einem eingreifenden Nachbarn angeschrien wurde, ließ er von C. K. ab. C. K. war aufgrund dieses Vorfalls fünf Tage krankgeschrieben und litt noch zwei Wochen unter Schlafstörungen. Sie hat auch weiterhin mit Alpträumen zu kämpfen und befindet sich deshalb in psychologischer Behandlung (Fall II. 4 der Urteilsgründe). Etwa vier Wochen später befuhr der Beschuldigte mit seinem Pkw der Marke Opel Corsa die rechte Fahrspur der Bundesautobahn A 8. Als er einen vor ihm fahrenden Lkw unter Benutzung der Standspur rechts überholen wollte und dazu bereits auf die Standspur ausgeschert war, erkannte er ein hinter ihm fahrendes Polizeifahrzeug und ordnete sich wieder auf der rechten Fahrspur ein. Die Polizeibeamten wollten den Beschuldigten daraufhin einer Kontrolle unterziehen. Sie setzten sich deshalb mit ihrem Dienstfahrzeug vor den Pkw des Beschuldigten und forderten ihn mit dem Anhaltestab zum Anhalten auf. Dieser Aufforderung kam der Beschuldigte bewusst nicht nach und fuhr stattdessen über die mittlere auf die linke Fahrspur. Die Polizeibeamten setzten ihr Dienstfahrzeug nun erneut vor den Pkw des Beschuldigten und blendeten auf der Signalanlage die Anordnung „Bitte Folgen“ ein. Der Beschuldigte lenkte sein Fahrzeug nun „ruckartig“ nach rechts und hielt auf der Standspur an. Nachdem die Polizeibeamten ihr Dienstfahrzeug etwa 100 Meter vor dem Pkw des Beschuldigten zum Stehen gebracht hatten, setzten sie auf der Standspur zurück. Währenddessen fuhr der Beschuldigte unvermittelt los und scherte von der Standspur auf die rechte Fahrspur ein, ohne auf den herannahenden Verkehr zu achten. Dabei ging es ihm allein darum, sich der Kontrolle durch die Polizeibeamten zu entziehen. Der Fahrer eines auf der rechten Fahrspur herannahenden Sattelzuges konnte einen Unfall nur noch durch ein ruckartiges Ausweichmanöver auf die mittlere Fahrspur vermeiden, auf der sich zu diesem Zeitpunkt kein Fahrzeug befand. Anschließend fuhr der Beschuldigte mit 60 bis 70 km/h zur nächsten Tankstelle. Bei der dort durchgeführten Kontrolle musste er von den Polizeibeamten gefesselt werden, weil er aggressiv wurde und eine bedrohliche Haltung einnahm (Fall II. 5 der Urteilsgründe ).
3
Das Landgericht hat das Verhalten des Beschuldigten als Beleidigung in zwei Fällen (§ 185 StGB), Nötigung (§ 240 StGB), Beleidigung in Tateinheit mit Bedrohung (§§ 185, 241 StGB) und vorsätzliche Gefährdung des Straßenverkehrs (§ 315c Abs. 1 Nr. 2a StGB) gewertet. Bei der Beurteilung der Schuldfähigkeit und der Einschätzung der Gefährlichkeitsprognose hat sich das Landgericht dem angehörten Sachverständigen Dr. M. angeschlossen. Danach leide der Beschuldigte an einer schizoaffektiven Störung mit manischen Zügen. Er sei nicht in der Lage, Situationen richtig einzuschätzen und sich anzupassen. Der Beschuldigte zeige einen gesteigerten Antrieb, sei umtriebig und leicht reizbar. Die paranoide Komponente seiner Erkrankung sei stets handlungsleitend. Bei ihm bestehe ein ausgeprägtes Misstrauen gegenüber sämtlichen Behörden und seiner Umgebungswelt. Nach seiner eigenen Wahrnehmung drangsaliere nicht er seine Nachbarschaft, sondern diese ihn. Es sei beabsichtigt , ihn aus seinem Haus zu vertreiben. Die Polizei ermittle stets zu seinem Nachteil. Die Steuerungsfähigkeit des Beschuldigten sei deshalb zur Tatzeit sicher erheblich eingeschränkt und möglicherweise sogar vollständig aufgehoben gewesen (UA 11). Da dem Beschuldigten die Krankheitseinsicht fehle, müsse damit gerechnet werden, dass er nach seiner Entlassung aus dem psy- chiatrischen Krankenhaus die Medikation absetzen und auf ein „Krankheitslevel“ wie zum Zeitpunkt der Anlasstaten zurücksinken werde. Es sei daher wahrscheinlich, dass der Beschuldigte aufgrund seiner Erkrankung auch in Zukunft den Anlasstaten ähnliche Taten begehen werde. Es bestehe daher die Gefahr der Fremdgefährdung, was nicht zuletzt im Fall der vorsätzlichen Straßenverkehrsgefährdung (Fall II. 5 der Urteilsgründe) ersichtlich geworden sei. Sowohl diese, als auch die mit einem Brotmesser zum Nachteil des Postzustellers begangene Tat (Fall II. 3 der Urteilsgründe) seien als erheblich einzustufen. Für die Gefährlichkeitsprognose spreche weiter, dass die überraschenden Angriffe des Beschuldigten neben den angeführten Fällen auch im Fall der Fahrradfahrerin C. K. (Fall II. 4 der Urteilsgründe) gegen Zufallsopfer gerichtet gewesen seien (UA 13). Auch hätten Zeugen in der Haupt- verhandlung über weitere – nie zur Anzeige gebrachte – Vorfälle mit erheblichem Gefahrenpotential (Werfen eines unbekannten Gegenstandes gegen einen Pkw, Werfen einer Flasche in Richtung einer Nachbarin) berichtet (UA 14). Eine Aussetzung der Vollstreckung der Unterbringung zur Bewährung sei aufgrund der fehlenden Krankheitseinsicht des Beschuldigten und seiner sozialen Situation nicht möglich (UA 14 f).

II.


4
Die Voraussetzungen des § 63 StGB werden durch die Urteilsfeststellungen nicht belegt.
5
1. Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB darf nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstaten aufgrund eines psychischen Defektes schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung hierauf beruht (vgl. BGH, Beschluss vom 11. März 2009 – 2 StR 42/09, NStZ-RR 2009, 198; Beschluss vom 8. April 2003 – 3 StR 79/03, NStZ-RR 2003, 232). Dieser Zustand muss, um eine Gefährlichkeitsprognose tragen zu können, von längerer Dauer sein (BGH, Beschluss vom 29. August 2012 – 4 StR 205/12, NStZ-RR 2012, 367; Urteil vom 6. März 1986 – 4 StR 40/86, BGHSt 34, 22, 27).
6
Das landgerichtliche Urteil enthält hierzu keine ausreichenden Feststellungen. Soweit das Landgericht im Anschluss an den Sachverständigen davon ausgeht, dass der Beschuldigte an einer schizoaffektiven Störung mit manischen Zügen leide, werden die diese Bewertung tragenden Anknüpfungs- und Befundtatsachen nicht in ausreichendem Umfang wiedergegeben (vgl. BGH, Beschluss vom 26. September 2012 – 4 StR 348/12, Rn. 8; Beschluss vom 29. Mai 2012 – 2 StR 139/12, NStZ-RR 2012, 306, 307; Beschluss vom 14. September 2010 – 5 StR 229/10, Rn. 8). Die Urteilsgründe beschränken sich auf eine Mitteilung der Diagnose und knappe – allgemein gehaltene – Ausführungen über bei dem Beschuldigten beobachtete Auffälligkeiten. Dass es sich hierbei um zeitstabile Beeinträchtigungen seines psychischen Zustandes handelt, wird nicht aufgezeigt. Die mitgeteilte stationäre Unterbringung des Be- schuldigten wegen „psychischer Auffälligkeiten“ im Jahr 1993 (UA 3) ist insoweit ohne Aussagekraft, weil sich nach den bisher getroffenen Feststellungen ein Bezug zu der diagnostizierten schizoaffektiven Störung nicht herstellen lässt.
7
2. Auch die Gefährlichkeitsprognose begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
8
Eine Unterbringung nach § 63 StGB kommt nur in Betracht, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades dafür besteht, dass der Täter infolge seines Zustands in Zukunft Taten begehen wird, die eine schwere Störung des Rechtsfriedens zur Folge haben (BGH, Urteil vom 2. März 2011 – 2 StR 550/10, NStZ-RR 2011, 240, 241; Beschluss vom 22. Februar 2011 – 4 StR 635/10, NStZ-RR 2011, 202). Ob eine zu erwartende Straftat zu einer schweren Störung des Rechtsfriedens führt, muss anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls entschieden werden (BGH, Beschluss vom 22. Februar 2011 – 4 StR 635/10, NStZ-RR 2011, 202; Beschluss vom 26. April 2001 – 4 StR 538/00, StV 2002, 477 f.). Sind die zu erwartenden Delikte nicht wenigstens dem Bereich der mittleren Kriminalität zuzuordnen, ist die Annahme einer schweren Störung des Rechtsfriedens nur in Ausnahmefällen begründbar (BGH, Urteil vom 2. März 2011 – 2 StR 550/10, NStZ-RR 2011, 240, 241; Beschluss vom 18. März 2008 – 4 StR 6/08; Beschluss vom 18. Februar 1992 – 4 StR 27/92, BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 16; Beschluss vom 28. Juni 2005 – 4 StR 223/05, NStZ-RR 2005, 303, 304). Die erforderliche Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters , seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstaten zu entwickeln (BGH, Beschluss vom 26. September 2012 – 4 StR 348/12, Rn. 10; Urteil vom 17. November 1999 – 2 StR 453/99, BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 27). An die Darlegungen sind umso höhere Anforderungen zu stellen, je mehr es sich bei dem zu beurteilenden Sachverhalt unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes (§ 62 StGB) um einen Grenzfall handelt (BGH, Beschluss vom 26. September 2012 – 4 StR 348/12, Rn. 10; Beschluss vom 4. Juli 2012 – 4 StR 224/12, Rn. 8; Beschluss vom 8. November 2006 – 2 StR 465/06, NStZ-RR 2007, 73, 74).
9
Diesen Maßstäben werden die Erwägungen des Landgerichts nicht gerecht. Eine die Biographie des Beschuldigten und seine Krankheitsgeschichte in den Blick nehmende Gesamtwürdigung wurde nicht erkennbar vorgenommen. Dabei hätte Berücksichtigung finden müssen, dass der inzwischen 42 Jahre alte Beschuldigte nur in den Jahren 2002 und 2005 strafrechtlich in Erscheinung getreten ist. Eine zweijährige Bewährungszeit vermochte er durchzustehen und im Jahr 2007 einen Straferlass zu erreichen (UA 4). Der länger währenden Straffreiheit des Beschuldigten käme jedenfalls dann eine prognosegünstige Bedeutung zu, wenn bei ihm in diesen Zeiträumen bereits die diagnostizierte schizoaffektive Störung vorlag (vgl. BGH, Urteil vom 28. August 2012 – 5 StR 295/12, NStZ-RR 2012, 366, 367; Beschluss vom 11. März 2009 – 2 StR 42/09, NStZ-RR 2009, 198, 199). Ob dies der Fall gewesen ist, kann den Urteilsgründen nicht entnommen werden. Auch wäre das Landgericht gehalten gewesen, näher auf die Schwere und den bisherigen Verlauf der angenommenen schizoaffektiven Störung einzugehen. Derartige Erkrankungen ver- laufen phasenhaft, wobei es zu Zeiten vollständiger Remission kommen kann, in denen keine psychischen Beeinträchtigungen zu beobachten sind (Hoff/Sass in: Kröber/Dölling/Leygraf/Sass, Handbuch der Forensischen Psychiatrie, Bd. 2, S. 84 f.; Nedopil/Müller, Forensische Psychiatrie, 4. Aufl., S. 181 f.; MüllerIsberner /Venzlaff in: Venzlaff/Foerster, Psychiatrische Begutachtung, 5. Aufl., S. 181 f.). Es hätte daher näherer Darlegung bedurft, mit welcher Häufigkeit es in der Vergangenheit bei dem Beschuldigten zu Krankheitsphasen gekommen ist und welche prognoserelevanten Schlüsse daraus zu ziehen sind.

III.


10
Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zu den Anlasstaten und die Maßregel nach den §§ 69, 69a StGB können bestehen bleiben. Sollte der neue Tatrichter – was nahe liegt – wieder zu der Annahme gelangen, dass der Beschuldigte bei der Begehung der Anlasstaten aufgrund eines andauernden psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Begehung dieser Taten auf dem angenommenen Defekt beruhte, wird bei der Prüfung der Gefährlichkeit auch die Todesdrohung (§ 241 StGB) zum Nachteil der Zeugin C. K. (Fall II. 4 der Urteilsgründe) als erhebliche rechtswidrige Tat im Sinne des § 63 StGB gewertet werden können (vgl.
BGH, Beschluss vom 4. Juli 2012 – 4 StR 224/12, NStZ-RR 2012, 337, 338; Beschluss vom 22. Februar 2011 – 4 StR 635/10, NStZ-RR 2011, 271).
Roggenbuck Cierniak Franke
Bender Quentin

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 311/13
vom
1. Oktober 2013
in dem Sicherungsverfahren
gegen
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers
und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am
1. Oktober 2013 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts Wuppertal vom 30. April 2013 aufgehoben; die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen bleiben aufrechterhalten.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat im Sicherungsverfahren die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) angeordnet. Die hiergegen gerichtete, auf Verfahrensrügen und sachlichrechtliche Beanstandungen gestützte Revision des Beschuldigten hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Erfolg.
2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts leidet der Beschuldigte seit 1984 an einer hebephrenen Psychose, die sich seither in situationsinadäquatem Verhalten, Verwahrlosung und Desorganisation äußerte. Er stand seit dieser Zeit unter Betreuung, war beginnend mit dem Sommer 1989 im Wesentlichen obdachlos und entwickelte eine schwere Alkoholabhängigkeit und eine konstante Inkontinenz. Mehrfach befand er sich in stationärer psychiatrischer Behandlung. Bei den Klinikaufenthalten erholte er sich jeweils schnell, um alsbald das Krankenhaus wieder zu verlassen und erneut in den Alkoholmissbrauch und die Verwahrlosung abzugleiten. Er nächtigte, weil er wegen seiner Inkontinenz oft nicht in Obdachlosenunterkünften verbleiben konnte, häufig in den Foyers von Geldinstituten, die er entsprechend verschmutzte. Die zahlreichen gegen ihn deshalb wegen Hausfriedensbruchs und Sachbeschädigung geführten Ermittlungsverfahren wurden wegen Schuldunfähigkeit eingestellt. Inzwischen zeigt sich bei ihm das Krankheitsbild einer langjährigen, chronifizierten paranoiden Schizophrenie mit illusionären Verkennungen und Wahnwahrnehmungen , die sich zu systematisierten Wahnideen verdichtet haben und die er als beeinträchtigend erlebt. In deren Zentrum steht eine imaginäre Person namens "Kerski", die ihn mit "Toyota-Erpresserkugeln" sowie mit Gummipuppen und Blechmenschen bedroht.
3
Seit Juni 2010 hielt sich der Beschuldigte häufig im Bereich einer Kirche auf. Da er bei schlechtem Wetter den Kircheninnenraum verunreinigte, musste ihm von dem Gemeindepfarrer H. Hausverbot erteilt werden, das, nachdem der Beschuldigte danach die Kirche von außen und den sie umgebenden Friedhof verschmutzt hatte, auf das gesamte Kirchengelände ausgedehnt wurde. Der Beschuldigte hielt sich häufig nicht daran. Pfarrer H. sah indessen aus Mitleid von Strafanzeigen ab. Wenn der Beschuldigte auf einer Bank vor dem Friedhof saß, führte er oft mit lautstarker Stimme schreiend Selbstgesprä- che, die den Pfarrer im Gemeindehaus bei der Arbeit störten. Am 16. Juni 2012 schrie der Beschuldigte wieder herum. Als Pfarrer H. - wie schon öfter im Verlauf der letzten Jahre - hinausging und den Beschuldigten aufforderte, sich zu entfernen, blieb der Beschuldigte entgegen bisheriger Gewohnheit auch dann noch vor Ort, als der Pfarrer ankündigte, die Polizei zu rufen, und sich zur Verstärkung seiner Drohung mit seinem Mobiltelefon beschäftigte und vorgab, eine Nummer zu wählen. Der Beschuldigte nahm an diesem Tag in wahnhafter Realitätsverkennung an, bei Pfarrer H. handele es sich um eine von "Kerski" erschaffene Gummipuppe. Er fühlte sich von dieser bedroht und schlug dem Pfarrer deshalb mit einer großen, eineinhalb Liter fassenden und noch zur Hälfte mit einem Getränk gefüllten Plastikflasche kräftig auf den Kopf. Der Schlag zerstörte die Brille des Pfarrers und verursachte eine dislozierte Jochbogenfraktur, was zu einer dauerhaften, unauffälligen aber wahrnehmbaren Delle im Jochbein geführt hat.
4
Sachverständig beraten hat das Landgericht angenommen, dass der Beschuldigte in psychotischer Verkennung der Realität und damit ohne Unrechtseinsicht gehandelt habe. Da der Beschuldigte eine notwendige Behandlung verweigere, sei mit hoher Wahrscheinlichkeit mit der Begehung von der Anlasstat vergleichbaren Taten zu rechnen.
5
2. Während die Verfahrensrügen keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Beschuldigten aufzeigen, hält die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus sachlichrechtlicher Nachprüfung nicht stand.
6
a) Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB ist eine außerordentlich belastende Maßnahme , die einen besonders gravierenden Eingriff in die Rechte des Betroffenen darstellt. Sie darf daher nur dann angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht , dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstaten aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung hierauf beruht. Daneben muss eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades bestehen, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustandes in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen; die zu erwartenden Taten müssen schwere Störungen des Rechtsfriedens besorgen lassen. Die erforderliche Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstat (en) zu entwickeln (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 5. Juni 2013 - 2 StR 94/13 mwN). Neben der sorgfältigen Prüfung dieser Anordnungsvoraussetzungen ist der Tatrichter auch verpflichtet, die wesentlichen Umstände in den Urteilsgründen so umfassend darzustellen, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen.
7
b) Während die psychische Erkrankung des Beschuldigten sowie dessen hierauf beruhende Schuldunfähigkeit bei der Tatbegehung ausreichend festgestellt und in der Beweiswürdigung belegt sind, fehlt es an einer ausreichenden Darlegung einer zukünftigen Gefährlichkeit des Beschuldigten.
8
Das Landgericht hat sich dem gehörten Sachverständigen angeschlossen. Dieser hat aus einer Beurteilung in Anlehnung an das Verfahren HCR 20 (historical clinical risk management - zu Einzelheiten vgl. Dahle, Grundlagen und Methoden der Kriminalprognose in Kröber u.a.: Handbuch der Forensischen Psychiatrie, Bd. 3, S. 1, 30 f.) das Risiko gewalttätigen Verhaltens des Beschuldigten als deutlich erhöht bezeichnet. Der von dem Beschuldigten erreichte Totalwert (25 von 40 Punkten) liege deutlich oberhalb der Mittelwertbereiche für zivilpsychiatrische Patienten und innerhalb der Mittelwertbereiche für forensisch-psychiatrische Patienten. Es sei deshalb mit hoher Wahrscheinlichkeit mit der Anlasstat vergleichbaren Taten zu rechnen (UA S. 14). Diese Ausführungen lassen besorgen, dass das Landgericht bei der Prognose zukünftigen Verhaltens einseitig das Ergebnis des vom Sachverständigen genutzten statistischen Prognoseinstruments in den Blick genommen und dabei außer Acht gelassen hat, dass solche Instrumente zwar Anhaltspunkte über die Ausprägung eines strukturellen Grundrisikos liefern, indes nicht in der Lage sind, eine fundierte Einzelbetrachtung zu ersetzen (vgl. BGH, Beschluss vom 30. März 2010 - 3 StR 69/10, NStZ-RR 2010, 203, 204; Urteil vom 11. Mai 2010 - 1 StR 40/10, NStZ 2010, 504, 506; Beschluss vom 22. Juli 2010 - 3 StR 169/10, StraFo 2011, 62; Beschluss vom 24. April 2013 - 5 StR 83/13 - juris). Eine solche Einzelbetrachtung muss sich auch mit dem Umstand auseinandersetzen , dass der Beschuldigte - jedenfalls nach den bisherigen Feststellungen - trotz einer bereits seit fast 30 Jahren bestehenden Erkrankung erstmals mit einer in den Bereich der mittleren Kriminalität fallenden Straftat in Erscheinung getreten ist. Zwar teilt das Urteil mit, der Bundeszentralregisterauszug des Beschuldigten weise seit 1991 insgesamt 78 Eintragungen zu Ermittlungsverfahren auf, die wegen Schuldunfähigkeit des Beschuldigten eingestellt worden sind; es ist indes nicht festgestellt, welche Taten des Beschuldigten den Verfahren zugrunde lagen, insbesondere ob sich darunter solche von gewisser Erheblichkeit befanden. Angesichts der an anderer Stelle im Urteil getroffenen Feststellung über 11 Ermittlungsverfahren wegen der Übernachtungen in den Räumen von Kreditinstituten allein in den Jahren 2011/2012 (UA S. 5) liegt es nahe, dass es sich auch bei den anderen Verfahren um solche wegen Delikten minderer Intensität gehandelt hat. Wenn aber nach jahrzehntelanger Erkrankung eine vereinzelte Tat der gefährlichen Körperverletzung zum Anlass für eine Unterbringung nach § 63 StGB genommen wird, bedarf es eingehenderer Darlegungen, warum der Beschuldigte jetzt seine paranoiden Ängste erstmals auf diese Weise ausagiert hat und unter welchen Umständen zukünftig von ihm welche Taten zu erwarten sind.
9
Im Hinblick auf die Verbesserung der Lebenssituation, die der Beschuldigte im Rahmen seiner vorläufigen Unterbringung in der Klinik für forensische Psychiatrie des LVR Klinikums E. nach den Feststellungen des Landgerichts derzeit erlebt (UA S. 7 und 15), bemerkt der Senat ergänzend: Auf eine ausreichende Begründung zukünftiger Gefährlichkeit des Beschuldigten für die Allgemeinheit kann nicht verzichtet werden, selbst wenn dessen Gesundheitszustand durch eine längerfristige Behandlung in einem forensischpsychiatrischen Krankenhaus gebessert werden könnte, denn nur die Belange der öffentlichen Sicherheit - nicht aber die Bemühungen um die Gesundheit des Patienten - können es rechtfertigen, einen Menschen auf unbestimmte Zeit einer Freiheitsentziehung zu unterwerfen (vgl. LK/Schöch, StGB, 12. Aufl., § 63 Rn. 1 mwN).
10
c) Die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen sind rechtsfehlerfrei getroffen und können deshalb aufrechterhalten bleiben.
Becker Pfister RiBGH Mayer befindet sich im Urlaub und ist daher gehindert zu unterschreiben. Becker Gericke Spaniol

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 S t R 2 3 9 / 1 5
vom
2. September 2015
in dem Sicherungsverfahren
gegen
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschuldigten am 2. September 2015 gemäß § 349 Abs. 4
StPO beschlossen:
Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts Mühlhausen vom 19. Februar 2015 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Hiergegen richtet sich die auf die Sachrüge gestützte Revision des Beschuldigten. Das Rechtsmittel hat Erfolg.

I.

2
Nach den Feststellungen des Landgerichts leidet der Beschuldigte an einer schizoaffektiven Störung. Im Frühjahr 2014 befand er sich in einer manischen Phase. Er mietete am 15. Mai 2014 ein Hotelzimmer, wobei er die Hotelangestellte an der Rezeption fragte, ob sie mit ihm ausgehen wolle, was diese aber verneinte. Über die Zurückweisung ärgerte sich der Beschuldigte so sehr, dass er später ein Plisseerollo am Badezimmerfenster des Hotelzimmers aus der Verankerung riss, einen Vorhang in Brand setzte, den Inhalt eines Aschenbechers im Zimmer verstreute und das Bett verrückte. Den Brand am Vorhang löschte er alsbald.
3
Das Landgericht hat darin zwei rechtswidrige Taten der Sachbeschädigung gesehen, bei denen die Steuerungsfähigkeit des Beschuldigten aufgehoben gewesen war. Es hat ferner angenommen, weitere erhebliche rechtswidrige Taten des Beschuldigten seien zu erwarten. Kurz nach den genannten Handlungen habe der Beschuldigte am Flughafen in H. erneut mit einem Feuerzeug hantiert und einen Computermonitor in Brand gesetzt. Später habe er seinen Vater geschlagen und seine Mutter getreten. Der Beschuldigte werde immer dann gefährlich, wenn er unter wahnhaften Ängsten leide. Der gerichtliche Sachverständige habe unter Anwendung der HCR-20-Checkliste dargelegt, dass bei ihm ein mittelgradig erhöhtes Risiko für Gewalttaten bestehe. Vor diesem Hintergrund sei die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus auch verhältnismäßig, obwohl die Anlasstaten die Erheblichkeitsschwelle noch nicht überschritten hätten.

II.

4
Gegen diese Bewertung bestehen durchgreifende rechtliche Bedenken.
5
1. Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB ist eine außerordentlich belastende Maßnahme , die einen besonders gravierenden Eingriff in die Rechte des Betroffenen darstellt. Sie setzt zunächst voraus, dass zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstaten aufgrund eines psychischen Defektes schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung hierauf beruht (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Januar 2015 - 4 StR 514/14, NStZ-RR 2015, 169 f.).
6
In den Urteilsgründen des Landgerichts bleibt schon unklar, weshalb die Steuerungsfähigkeit des Beschuldigten bei der Begehung der rechtswidrigen Taten aufgehoben gewesen sein soll. Immerhin löschte er den Brand am Vorhang "relativ schnell". Auch ist nicht erkennbar, dass den Handlungen im Hotelzimmer eine paranoide Symptomatik zu Grunde gelegen hat; sein Randalieren könnte auch eine noch normalpsychologisch erklärbare Reaktion auf die Zurückweisung durch die Hotelangestellte gewesen sein. Deren Eindruck vom Erscheinungsbild des Beschuldigten ist in den Urteilsgründen nicht mitgeteilt worden, sondern nur der "Eindruck, den sie von dem Hotelzimmer gehabt habe".
7
2. Eine Unterbringung nach § 63 StGB kommt auch nur in Betracht, wenn im Urteilszeitpunkt eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades dafür besteht , dass der Täter infolge seines Zustands in Zukunft Taten begehen wird, die eine schwere Störung des Rechtsfriedens zur Folge haben.
8
a) Die vom Landgericht hervorgehobene Auswertung einer Checkliste durch den Sachverständigen besitzt dafür nur eine geringe Aussagekraft (vgl. BGH, Beschluss vom 1. Oktober 2013 - 3 StR 311/13, StV 2015, 216 f.), zumal deren Resultate nicht näher erläutert wurden.
9
b) Die Prüfung des Grades der Wahrscheinlichkeit weiterer Taten und ihrer Art ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstaten zu entwickeln. Die hierauf bezogenen Betrachtungen des Landgerichts sind jedoch nicht erschöpfend.
10
Schizoaffektive Störungen verlaufen phasenhaft, wobei es auch zu Zeiten vollständiger Remission kommen kann (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Januar 2015 - 4 StR 514/14, NStZ-RR 2015, 169, 170). Der vom Landgericht gehörte Sachverständige hat sechs Krankheitsschübe bei dem Beschuldigten im Zeitraum von 2006 bis Frühjahr 2014 unterschieden. In der ersten Phase war es zu einem Rückzugsverhalten gekommen, in der zweiten Phase zu beleidigendem Verhalten, in der dritten Phase wiederum zu einem Rückzug, in der vierten Phase zu einer versuchten Nötigung, in der fünften Phase war der Beschuldigte "streitlustig". Bei dem sechsten Schub war es anfänglich während eines Aufenthalts in P. nicht zu aggressivem Verhalten des Beschuldigten gekommen.
11
Nach den Anlasstaten des vorliegenden Verfahrens, die keine erheblichen Taten im Sinne des § 63 StGB darstellen, reagierte der Beschuldigte auf das Erscheinen seines Vaters vor seiner Wohnung damit, dass er mit einem Messer oder Schraubendreher durch die Tür stach. Im Rahmen der vorläufigen Unterbringung kam es zu aggressivem Verhalten gegenüber Mitarbeitern des psychiatrischen Krankenhauses, das allerdings auch unter dem Blickwinkel der besonderen Situation in der Freiheitsentziehung zu beurteilen ist. Danach zeigte sich der Beschuldigte ab Oktober 2014 unauffällig. In der Hauptverhandlung war er "orientiert und aufnahmefähig. Seine Einlassung war verständlich".
12
Bei dieser Sachlage liegt es jedenfalls nicht auf der Hand, dass in Zukunft mit einer Wahrscheinlichkeit höheren Grades auch erhebliche rechtswidrige Taten des Beschuldigten zu erwarten sind. Dies wäre mit Blick auf die störungsfreien Phasen sowie diejenigen Krankheitsschübe, die nicht zu rechtswidrigen Taten oder allenfalls zu noch nicht erheblichen Taten geführt hatten, vom Landgericht näher zu erörtern gewesen. Die Art der mit höherer Wahrscheinlichkeit zu erwartenden Taten wäre nach Möglichkeit zu konkretisieren. Aggres- sive Handlungen gegen Sachen stellen oftmals keine erheblichen Taten dar. Ob Drohungen als erhebliche rechtswidrige Taten anzusehen sind, hängt davon ab, wie wahrscheinlich mit der Realisierung der Drohungen zu rechnen ist und welches Gewicht die dann zu erwartenden Handlungen haben. Dies hat das Landgericht nicht vertieft. Dies wäre aber geboten gewesen, zumal die Anlasstaten selbst noch keine erheblichen rechtswidrigen Taten waren. Eschelbach Franke Ott Zeng Bartel

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR167/15
vom
3. Juni 2015
in der Strafsache
gegen
wegen vorsätzlicher Körperverletzung u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 3. Juni 2015 gemäß § 349 Abs. 4
StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Dortmund vom 26. November 2014 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten freigesprochen und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) angeordnet. Die auf die Sachbeschwerde gestützte Revision des Angeklagten hat Erfolg.

I.


2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts wurde dem Angeklagten die Wohnung gekündigt, weil er regelmäßig Gegenstände aus dem Fenster geworfen und kochend heißes Wasser auf die Straße gegossen hatte. Er zog in einen Verschlag auf dem Dachboden bei seinen Eltern. Auch hier kam es mehrfach zu Polizeieinsätzen, weil er Müll aus dem Dachfenster auf die Straße warf und mit seinen Eltern in Streit geriet. Die Eltern erteilten ihm Hausverbot.
3
Das Landgericht hat unter II.2. der Urteilsgründe folgende Taten festgestellt :
4
a) Der Angeklagte hielt ihm im Rahmen der Führungsaufsicht auferlegte Gesprächstermine mit seinem Bewährungshelfer sowie einen Termin zur Suchtmittelkontrolle unentschuldigt nicht ein.
5
b) Am 17. Juni 2013 kam es zu einer tätlichen Auseinandersetzung mit dem Vater, nachdem dieser dem Angeklagten den Zugang zur elterlichen Wohnung verweigert hatte, und anschließend zu einer Schlägerei mit seinem Bruder , der dem Vater zu Hilfe geeilt war.
6
c) Am selben Tag verschaffte sich der Angeklagte trotz einer Wohnungsverweisung und eines Rückkehrverbots Zutritt zu dem Verschlag auf dem Dachboden. Gegen 22.25 Uhr begaben sich zwei Polizeibeamte zu dem Verschlag und forderten den Angeklagten auf, das Haus zu verlassen. Der Angeklagte willigte ein, wollte aber zunächst eine Zigarette rauchen. Als der Polizeibeamte G. R. dies ablehnte und nach der Tabaktüte des Angeklagten griff, riss dieser die Fäuste hoch und stürzte sich mit gesenktem Kopf auf den Polizeibeamten, so dass dieser rücklings auf den Flur fiel. Obwohl ihm der zweite Polizeibeamte, S. , zu Hilfe eilte, gelang es beiden zunächst nicht, den wild um sich schlagenden Angeklagten zu überwältigen. Beide Polizeibeamte wurden von Faustschlägen getroffen. Einem Beamten versetzte der Angeklagte zudem einen Kopfstoß. Bei der Fixierung des Angeklagten strengte sich der Beamte G. R. dermaßen an, dass er sich einen Brustwirbel ausrenkte. Mit der Hilfe von zwei weiteren Polizeibeamten wurde der Angeklagte schließlich in den Polizeigewahrsam gebracht.
7
d) Am 25. Juni 2013 drückte der Angeklagte die Eingangstür zur Wohnung des Zeugen St. auf. Er entdeckte eine Plastiktüte mit Münzgeld,die er in einen Rucksack des St. packte, um sie mitzunehmen. Der Angeklagte glaubte nun, er befinde sich in seiner eigenen Wohnung, zog sich aus und duschte. Währenddessen kehrte St. in seine Wohnung zurück. Erforderte den Angeklagten auf, die Wohnung zu verlassen. Der Angeklagte wollte den Rucksack des St. mitnehmen, was dieser durch Festhalten verhinderte. Der Angeklagte verließ daraufhin die Wohnung.
8
2. Das Landgericht hat – dem Gutachten der psychiatrischen Sachverständigen Dr. M. folgend – angenommen, dass die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten, der seit 2006 an einer schizoaffektiven Psychose (ICD-10 F25) leidet und bei dem eine dissoziale Persönlichkeitsstörung (ICD-10 F60.2) sowie Cannabis- und Kokainmissbrauch (ICD-10 F12.1, F14.1) vorliegen, bei der Begehung der Taten aufgrund eines akuten affektpsychotischen Erlebens aufgehoben war. Von der Schuldunfähigkeit war es ebenso überzeugt wie von einer hohen Wahrscheinlichkeit dafür, dass der Angeklagte zukünftig auch schwerwiegendere Taten aus dem Bereich der Gewaltkriminalität begehen wird.

II.


9
Die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Gefährlichkeitsprognose ist nicht tragfähig begründet (1.), dies führt zur Aufhebung des Urteils insgesamt. In den Fällen II.2.a und b der Urteilsgründe werden zudem weder die vom Landgericht angenommene Aufhebung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten bei Begehung dieser Taten noch der notwendige Zusammenhang zwischen der psychischen Erkrankung und der Tatbegehung hinreichend belegt (2.); schon das Vor- liegen einer rechtswidrigen Tat lässt sich anhand der Urteilsgründe jedenfalls im Fall II.2.a nicht nachvollziehen (3.).
10
1. Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB ist eine den Betroffenen außerordentlich beschwerende Maßnahme. Nur Störungen des Rechtsfriedens, die zumindest in den Bereich der mittleren Kriminalität hineinragen, rechtfertigen eine Unterbringung gemäß § 63 StGB (vgl. BVerfGE 70, 297, 312; BGH, Urteil vom 17. August 1977 – 2 StR 300/77, BGHSt 27, 246, 248; BGH, Beschluss vom 21. März 1989, NJW 1989, 2959; st. Rspr.). Auch muss aufgrund einer umfassenden Würdigung von Tat und Täter eine höhere oder doch bestimmte, jedenfalls über die bloße Möglichkeit hinausreichende Wahrscheinlichkeit zu bejahen sein, dass der schuldunfähige Täter infolge seines Zustandes weitere erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die notwendige Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstat(en) zu entwickeln (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 5. Juni 2013 – 2 StR 94/13 mwN).
11
Die Strafkammer hat bei ihrer Gefährlichkeitsprognose hinsichtlich der Anlasstaten ausdrücklich nur auf die Tat im Fall II.2.c der Urteilsgründe abgestellt und eine erhöhte Gefahr bejaht, dass es wiederholt zu Widerstandshandlungen gegen Polizeibeamte und damit verbundenen Körperverletzungen wie bei den Beamten G. R. und S. kommen werde. Diese eine Tat reicht aber nicht, die für eine Unterbringung erforderliche Gefährlichkeit des Angeklagten zu belegen. Sie allein lässt nicht ausreichend erkennen, dass eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades für Impulsdurchbrüche mit der Folge von Gewalttätigkeiten besteht. Zwar ist der Angeklagte auch bei der Exploration durch die Sachverständige im hiesigen Verfahren, bei einem Termin bei dem Psychiater Dr. D. und bei einer richterlichen Anhörung im Rahmen einer Unterbringung nach dem PsychKG in einen hochgradigen und nicht mehr kontrollierbaren Erregungszustand geraten. Zu Tätlichkeiten ist es in diesen Fällen aber nicht gekommen. Der Angeklagte erleidet auch nicht bei jedem Kontakt mit Polizeibeamten einen krankheitsbedingten gewalttätigen Impulsdurchbruch, wie sein unauffälliges Verhalten gegenüber den Polizisten im Fall II.2.b der Urteilsgründe zeigt. Hinzu kommt, dass er auch schon vor der Manifestation seiner Erkrankung – also nicht krankheitsbedingt – mehrfach wegen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit Körperverletzung in Erscheinung getreten ist. Die Gefahrenprognose für die Unterbringung nach § 63 StGB kann aber nur auf solche zu erwartenden Taten gestützt werden, die gerade auf dem Zustand des Betroffenen beruhen (vgl. BGH, Beschluss vom 28. März 2012 – 2 StR 614/11).
12
Soweit die Strafkammer auf das sonstige Verhalten des Angeklagten – Werfen von Gegenständen und Gießen von kochend heißem Wasser aus dem Fenster – abstellt, kann dies prinzipiell eine Gefährlichkeit gegenüber der Allgemeinheit begründen. Die Strafkammer hat aber diese Vorfälle nicht, was erforderlich gewesen wäre, im Einzelnen konkret dargelegt.
13
Des Weiteren stellt die Strafkammer bei der Gefährlichkeitsprognose auf mit hoher Wahrscheinlichkeit zu befürchtende Raubdelikte zur Finanzierung des Betäubungsmittelkonsums des Angeklagten ab. Sollte sich in einer solchen Situation ein von ihm nicht mehr zu kontrollierender Affektsturm ergeben, sei mit der Anwendung unkontrollierter Gewalt mit hoher Gefahr für Leib und Leben der Opfer zu rechnen. Auch dies ist nicht mit Tatsachen belegt. Insoweit lässt das Urteil insbesondere eine Auseinandersetzung mit Tatbesonderheiten vermissen , die darin bestehen, dass der Angeklagte beim Diebstahlsversuch im Fall II.2.d der Urteilsgründe, als St. den Rucksack festhielt, die Wohnung widerstandslos ohne Beute verließ. Somit fehlt auch insoweit die notwendige umfassende Erörterung der krankheitsbedingten Gefährlichkeit unter Einschluss des bisherigen Lebens des Angeklagten.
14
2. Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB darf nur dann angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstaten aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung hierauf beruht.
15
Für seine Annahme, die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten sei im gesamten Tatzeitraum aufgehoben gewesen, beruft sich das Landgericht auf das Gutachten der Sachverständigen. Näher ausgeführt wird jedoch nur, wie die Gutachterin nunmehr sicher zu ihrer Diagnose einer schizoaffektiven Psychose gelangt ist, ohne im Einzelnen näher darzulegen, wie sich diese bei den einzelnen Taten bemerkbar gemacht hat. Während ein affektiver Impulsdurchbruch im Fall II.2.c der Urteilsgründe und damit die Ursächlichkeit der psychischen Erkrankung für die Widerstandshandlungen und die Körperverletzungen nach dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe belegt ist, lässt sich ein solcher Zusammenhang zwischen der Erkrankung und der Tatbegehung bei den übrigen Taten dem Urteil nicht entnehmen. Inwieweit der Angeklagte aufgrund der Erkrankung nicht fähig war, Gespräche mit seinem Bewährungshelfer wahrzunehmen , ist für keinen der versäumten Termine im Fall II.2.a dargetan. Im Fall II.2.b der Urteilsgründe ist es zu Tätlichkeiten gekommen, die ausweislich der mitgeteilten Vorstrafen des Angeklagten bereits vor Manifestation der Erkrankung diesem nicht wesensfremd waren. Seit 1998 ist der Angeklagte mehrfach wegen Körperverletzung bzw. gefährlicher Körperverletzung verurteilt wor- den, 1999 hatte der Angeklagte bei einer Auseinandersetzung seinen Bruder lebensgefährlich verletzt. Auch wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit Körperverletzung ist der Angeklagte bereits 2003 mehrfach in Erscheinung getreten. Die Erkrankung besteht aber erst seit 2006. Im Fall II.2.d war der Angeklagte in die fremde Wohnung eingedrungen und hatte das Münzgeld zum Abtransport bereit gelegt, bevor er sich dort als „Eigen- tümer“ zu fühlen und zu duschen begann. In den Fällen II.2.a, b und d ist deshalb fraglich, ob und in welcher Weise sich die festgestellte psychische Störung bei Begehung der Taten auf die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat (vgl. BGH, Beschluss vom 29. Mai 2012 – 2 StR 139/12, NStZ-RR 2012, 306, 307). Allein die sichere Diagnose einer psychiatrischen Erkrankung besagt nichts über die Schuldfähigkeit bei der Tat.
16
3. Dem Angeklagten war durch Beschluss des Landgerichts Essen die Anweisung erteilt worden, jeden ersten Montag des Monats um 15.00 Uhr bei seinem Bewährungshelfer vorzusprechen. Angelastet wird ihm von der Strafkammer u.a., Gesprächstermine am 8. Oktober 2012 (2. Montag des Monats), 23. Oktober 2012 (Dienstag im selben Monat), 6. November 2012 (Dienstag) und 14. November 2012 (Mittwoch desselben Monats) schuldhaft versäumt zu haben. Inwieweit die Gesprächstermine wirksam verlegt worden sind, ist den Urteilsgründen nicht zu entnehmen, auch nicht, inwieweit der Bewährungshelfer – strafbewehrt – Terminezur Suchtmittelkontrolle vorgeben konnte. Zum Inhalt des entsprechenden Beschlusses des Landgerichts Essen vom 7. Mai 2012 ist nichts Näheres mitgeteilt. Darüber hinaus vermögen reine Formalverstöße gegen eine Weisung die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nicht zu begründen (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Mai 2008 – 1 StR 243/08, NStZ-RR 2008, 277).
17
4. Die Sache bedarf deshalb insgesamt der neuen Verhandlung und Entscheidung. Der Senat sieht Anlass zu folgendem Hinweis:
18
Durch das Gesetz zur Sicherung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und in einer Entziehungsanstalt vom 16. Juli 2007 (BGBl. I S. 1327) wurde der frühere Rechtszustand dahin geändert, dass es gemäß § 358 Abs. 2 Satz 2 StPO nunmehr möglich ist, in einer neuen Hauptverhandlung an Stelle der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus den Täter schuldig zu sprechen und eine Strafe zu verhängen, wenn sich herausstellt , dass der Angeklagte bei Begehung der Tat schuldfähig war. Das Gericht bleibt jedoch gehindert, nach Aufhebung einer isoliert angeordneten Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus erneut die Unterbringung anzuordnen und zugleich erstmals Strafe zu verhängen (vgl. BT-Drucks. 16/1344, S. 17 f.; BGH, Beschlüsse vom 27. Oktober 2009 – 3 StR 369/09, juris Rn. 9; vom 14. September 2010 – 5 StR 229/10, StraFo 2011, 55).
Sost-Scheible Roggenbuck Franke
Mutzbauer Quentin

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 79/16
vom
7. Juni 2016
in dem Sicherungsverfahren
gegen
ECLI:DE:BGH:2016:070616B4STR79.16.0

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 7. Juni 2016 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts Dortmund vom 2. Oktober 2015 mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat im Sicherungsverfahren die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Hiergegen richtet sich seine auf die Sachrüge gestützte Revision. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
2
1. Der Unterbringungsanordnung liegen als von der Antragsschrift erfasste Anlasstaten eine gefährliche Körperverletzung sowie Bedrohungen zugrunde. Die gefährliche Körperverletzung beging der Beschuldigte nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen am Morgen des 25. Januar 2015 zum Nachteil eines Bediensteten der JVA D. , auf den er bei der Ausgabe des Frühstücks mit einer Porzellankaffeekanne einschlug. Drei der vom Landgericht als Bedrohungen eingeordneten Taten beging er ebenfalls zum Nachteil von JVA-Bediensteten, nachdem er im Anschluss an die gefährliche Körperverletzung in einen besonders gesicherten Haftraum (Drohung mit „Abstechen“) bzw. zur Versorgung eines nach dem Körperverletzungsgeschehen erlittenen Kiefer- bruchs in eine Klinik verbracht worden war („schlage ich euch mit dem Baseballschläger den Kopf ein“). Eine weitere Bedrohung „ggfs. auch weiterer Bediensteter der JVA“ (UA S. 41) nimmtdas Landgericht bezüglich eines Vorfalls vom 27. Januar 2015 gegenüber zwei Mitarbeiterinnen eines Justizvollzugskrankenhauses an, in das der Beschuldigte verlegt worden war. Ihnen gegenüber drohte der Beschuldigte, er werde ihnen „die Augen ausstechen und sie töten“.
3
Nach den weiteren Feststellungen der Strafkammer weist das Bundeszentralregister für den Beschuldigten für den Zeitraum von 1999 bis zum 18. Dezember 2014 insgesamt 23 Einträge auch wegen Körperverletzungsdelikten (2001, 2005, 2006, zweimal 2008, 2009, 2013), Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte (2006, dreimal 2008) oder Bedrohung (2005, 2006) aus. In den Jahren 2011 bis März 2015 verbüßte er mehrere Freiheitsstrafen; 2009 war gegen ihn ferner – neben einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten – die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet worden , die bis März 2011 auch vollzogen wurde. Das Vorliegen der Voraussetzungen oder die Anwendung von §§ 20, 21 StGB erwähnt das Landgericht bei keiner dieser Taten bzw. Eintragungen. Zu der Maßregelanordnung im Jahr 2009 teilt das Urteil lediglich mit, dass die Sachverständige einen Hang des Beschuldigten , alkoholische Getränke im Übermaß zu sich zu nehmen, und auch die weiteren Voraussetzungen des § 64 StGB bejaht habe. Aus dem Vollzug dieser Maßregel wird mitgeteilt, dass sein „dissoziales Verhalten ... kaum er- träglich erschien“ und bei ihm bei „kleinsten Belastungen oder Unklarheiten“ Wahn- und Verfolgungsideen festgestellt worden seien, die sich aber wieder legten, „wenn sich die Situation klärte“ (UA S. 14 f.).
4
Ferner teilt das Urteil mit, dass ein Sachverständiger in einem – in einem anderen Strafverfahren gegen den Beschuldigten – erstatteten Gutachten im März 2015 zu dem Ergebnis gekommen sei, dass es sich beim Beschuldigten „um einen voll schuldfähigen Menschen mit dissozialer Persönlichkeit handle“ (UA S. 23), während ein anderer Sachverständiger im selben Monat beim Beschuldigten eine paranoide Psychose sowie eine dissoziale Persönlichkeitsstörung festgestellt habe (UA S. 25). Die Strafkammer geht – dem in der Hauptverhandlung erstatteten Sachverständigengutachten folgend – dagegen davon aus, dass der Beschuldigte an einer paranoiden Schizophrenie leide und gelitten habe, aufgrund derer zu den Tatzeiten seine Einsichtsfähigkeit aufgehoben gewesen sei; es habe sich um „typische Impulstaten eines Psychotikers“ gehandelt. Der Beschuldigte sei schon „in früherer Zeit“ auffällig gewesen, wie insbesondere die strafrechtlichen Vorbelastungen zeigten (UA S. 37); paranoide Akzente zögen sich „bereits seit längerer Zeit durch das Leben des Beschuldig- ten“ (UA S. 37). Hinsichtlich der Unterbringung nach § 64 StGB sei anzuneh- men, dass sie „schlicht in die ‚falsche Richtung’ gegangen sei und damals schon das eigentlich bei dem Beschuldigten bestehende Problem verkannt worden sei“ (UA S. 39).
5
2. Die Unterbringungsanordnung hat keinen Bestand, da die Gefährlichkeitsprognose nicht tragfähig begründet ist.
6
a) Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB ist eine außerordentlich belastende Maßnahme , die einen besonders gravierenden Eingriff in die Rechte des Betroffenen darstellt. Sie darf daher nur dann angeordnet werden, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades besteht, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustandes in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen. Diese Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstat(en) zu entwickeln (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 1. Oktober 2013 – 3 StR 311/13; vom 2. September 2015 – 2 StR 239/15; vom 3. Juni 2015 – 4 StR 167/15) und hat sich darauf zu erstrecken, ob und welche rechtswidrigen Taten von dem Beschuldigten infolge seines Zustandes drohen, wie ausgeprägt das Maß der Gefährdung ist (Häufigkeit, Rückfallfrequenz) und welches Gewicht den bedrohten Rechtsgütern zukommt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 5. Juli 2013 – 2 BvR 2957/12 Rn. 27).
7
Neben der sorgfältigen Prüfung der Anordnungsvoraussetzungen ist der Tatrichter auch verpflichtet, die wesentlichen Umstände in den Urteilsgründen so umfassend darzustellen, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen (BGH, Beschluss vom 1. Oktober 2013 – 3 StR 311/13). Denn auf eine ausreichende Begründung zukünftiger Gefährlichkeit des Beschuldigten für die Allgemeinheit kann nicht verzichtet werden, selbst wenn dessen Gesundheitszustand durch eine längerfristige Behandlung gebessert werden könnte, da nur die Belange der öffentlichen Sicherheit – nicht aber die Bemühungen um die Gesundheit des Patienten – es rechtfertigen können , einen Menschen mit den Mitteln des Strafrechts auf unbestimmte Zeit einer Freiheitsentziehung zu unterwerfen (BGH aaO).
8
b) An einer nachvollziehbaren Darlegung der zukünftigen krankheitsbedingten Gefährlichkeit des Beschuldigten mangelt es dem angefochtenen Urteil.
9
aa) Auch wenn sich die Feststellung einer durch den Hang bereits indizierten Gefährlichkeit bei § 66 StGB von der auf einem der in § 20 StGB aufgeführten Zustände beruhenden Gefährlichkeit bei § 63 StGB unterscheidet, sind – nicht anders als bei § 66 StGB (vgl. dazu etwa BGH, Urteil vom 13. März 2013 – 2 StR 392/12) – auch (und insbesondere) für die im Rahmen des § 63 StGB anzustellende Gefährlichkeitsprognose etwaige Vortaten von besonderer Bedeutung (vgl. BVerfG, Beschluss vom 5. Februar 2004 – 2 BvR 2029/01, NJW 2004, 739, 743; Boetticher u.a., NStZ 2006, 537, 538, 541). So ist einerseits als ein gewichtiges Indiz gegen die Wahrscheinlichkeit künftiger Straftaten anzusehen, dass ein Täter trotz bestehenden Defekts über Jahre hinweg keine erheblichen Straftaten begangen hat (vgl. etwa BGH, Urteile vom 10. Dezember 2014 – 2 StR 170/14, NStZ-RR 2015, 72, 73; vom 8. Oktober 2015 – 4 StR 86/15 jeweils mwN). Andererseits kann sogar lange zurückliegenden Taten eine indizielle Bedeutung für die Gefährlichkeitsprognose zukommen, wenn sie in einem inneren Zusammenhang zu der festgestellten Erkrankung gestanden haben und deren Ursache nicht in anderen, nicht krankheitsbedingten Umständen zu finden ist (vgl. BGH, Urteil vom 11. August 2011 – 4 StR 267/11). Maßgeblich sind insofern insbesondere die individuell bedeutsamen Bedingungsfaktoren für die bisherige Delinquenz, deren Fortbestand, ihre fehlende Kompensation durch protektive Umstände und das Gewicht dieser Faktoren in zukünftigen Risikosituationen (vgl. BGH, Urteil vom 27. Oktober 2009 – 5 StR 296/09, NJW 2010, 245).
10
Ausgehend hiervon hätte es näherer Darlegungen bei der Gefährlichkeitsprognose dazu bedurft, ob und inwiefern die früher abgeurteilten Taten in Zusammenhang mit der nunmehr festgestellten Erkrankung des Beschuldigten stehen (vgl. auch BGH, Beschluss vom 15. Juli 2015 – 4 StR 277/15; Boetticher u.a., NStZ 2006, 537, 541, 543; sowie BVerfG, Beschluss vom 12. Dezember 2013 – 2 BvR 1690/13). Hierfür reicht nicht aus, dass der Sachverständige – undihm folgend die Strafkammer – diese als „auffällig“ bezeichnete und auf schon längere Zeit vorliegende „paranoide Akzente“ verwies. Ein Zusammen- hang zwischen den Vortaten und der Erkrankung des Beschuldigten ist damit (noch) nicht – wie erforderlich: sicher – festgestellt (vgl. BGH, Urteil vom 11. August 2011 – 4 StR 267/11).
11
bb) Bleiben die früheren Taten außer Betracht, ist die Gefährlichkeitsprognose indes nicht hinreichend nachvollziehbar.
12
Insbesondere kann allein mit der im Allgemeinen erhöhten Kriminalitätsbelastung schizophren Erkrankter die Gefahrenprognose nicht begründet werden (BGH, Urteil vom 11. August 2011 – 4 StR 267/11; vgl. dazu auch BGH, Beschluss vom 17. Februar 2016 – 2 StR 545/15). Maßgeblich sind stattdessen die konkrete Krankheits- und Kriminalitätsentwicklung (BGH, Beschluss vom 17. Februar 2016 – 2 StR 545/15) sowie die auf die Person des Beschuldigten und seine konkrete Lebenssituation bezogenen Risikofaktoren, die eine individuelle krankheitsbedingte Disposition zur Begehung von Delikten jenseits der Anlasstaten belegen können (BGH, Urteil vom 11. August 2011 – 4 StR 267/11; zu situativen Risikofaktoren auch BGH, Beschluss vom 17. Februar 2016 – 2 StR 545/15).
13
Zur mit der Erkrankung des Beschuldigten in Verbindung stehenden Kriminalitätsentwicklung fehlen – wie ausgeführt – tragfähige Feststellungen. Soweit der Beschuldigte nach den Anlasstaten mehrmals in einen hochgradigen und nicht oder kaum mehr kontrollierbaren Erregungszustand geraten ist, ist es zu Tätlichkeiten nicht gekommen (vgl. auch BGH, Beschluss vom 3. Juni 2015 – 4 StR 167/15). Auch waren die von ihm ausgesprochenen Bedrohungen nach den Feststellungen nicht geeignet, zu einer schweren Störung des Rechtsfriedens zu führen (vgl. hierzu etwa BGH, Urteil vom 29. September 2015 – 1 StR 287/15, NJW 2016, 341, 342; Beschluss vom 18. Juli 2013 – 4 StR 168/13, NJW 2013, 3383, 3385: nahe liegende Gefahr der Verwirklichung).
14
Die Krankheitsgeschichte des Beschuldigten ist vom Landgericht – über die Unterbringung nach § 64 StGB hinaus – nur insoweit dargestellt worden, als ein Sachverständiger trotz einer dissozialen Persönlichkeitsstörung noch die „volle“ Schuldfähigkeit bejaht hat, einweiterer Sachverständiger – ebenfalls im März 2015 – dagegen eine paranoide Psychose und eine dissoziale Persönlichkeitsstörung angenommen hat, während der (dritte) in der Hauptverhandlung angehörte Sachverständige (nur) eine paranoide Psychose diagnostiziert hat. Angaben dazu, wann die Krankheit erstmals aufgefallen ist und wie sich die Symptomatik im Verlauf der Zeit entwickelt hat (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Februar 2016 – 2 StR 545/15), fehlen. Da das Urteil abgesehen von dem Hinweis, dass sich für eine Persönlichkeitsstörung „keine Anhaltspunkte“ gefunden hätten (UA S. 39), zudem eine inhaltliche Auseinandersetzung mit den früheren Gutachten ebenso vermissen lässt wie eine nähere Darstellung und Auseinandersetzung mit dem in Zusammenhang mit der Anordnung der Maß- regel nach § 64 StGB erstatteten Gutachten, ermöglicht das Urteil dem Senat nicht, die Entscheidung – wie erforderlich – nachzuvollziehen.
Sost-Scheible Roggenbuck Franke
Mutzbauer Quentin

(1) Die Strafe und ihre Nebenfolgen bestimmen sich nach dem Gesetz, das zur Zeit der Tat gilt.

(2) Wird die Strafdrohung während der Begehung der Tat geändert, so ist das Gesetz anzuwenden, das bei Beendigung der Tat gilt.

(3) Wird das Gesetz, das bei Beendigung der Tat gilt, vor der Entscheidung geändert, so ist das mildeste Gesetz anzuwenden.

(4) Ein Gesetz, das nur für eine bestimmte Zeit gelten soll, ist auf Taten, die während seiner Geltung begangen sind, auch dann anzuwenden, wenn es außer Kraft getreten ist. Dies gilt nicht, soweit ein Gesetz etwas anderes bestimmt.

(5) Für Einziehung und Unbrauchbarmachung gelten die Absätze 1 bis 4 entsprechend.

(6) Über Maßregeln der Besserung und Sicherung ist, wenn gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, nach dem Gesetz zu entscheiden, das zur Zeit der Entscheidung gilt.

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

5 StR 134/11
(alt: 5 StR 123/10)

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 8. Juni 2011
in dem Sicherungsverfahren
gegen
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 8. Juni
2011, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter Basdorf,
Richter Dr. Raum,
Richterin Dr. Schneider,
Richter Prof. Dr. König,
Richter Bellay
als beisitzende Richter,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwältin T.
als Verteidigerin,
Rechtsanwalt R.
als Nebenklägervertreter,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision des Nebenklägers gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 6. Oktober 2010 wird verworfen.
Der Nebenkläger trägt die Kosten seines Rechtsmittels und die dem Beschuldigten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen.
– Von Rechts wegen – G r ü n d e
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Das Landgericht hatte im Sicherungsverfahren mit Urteil vom 17. September 2009 die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Auf die Revision des Beschuldigten hatte der Senat dieses Urteil – entsprechend dem Antrag des Generalbundesanwalts – mit den Feststellungen aufgehoben, davon jedoch die Feststellungen zum äußeren Geschehensablauf der rechtswidrigen Tat ausgenommen und die Sache im Umfang der Aufhebung an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen. Nunmehr hat das Landgericht durch Urteil vom 6. Oktober 2010 den Antrag der Staatsanwaltschaft auf Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus abgelehnt. Dagegen richtet sich die mit der Sachrüge geführte Revision des Nebenklägers.
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1. Das Landgericht ist von folgenden Feststellungen ausgegangen:
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a) Der im Zeitpunkt der Hauptverhandlung 32 Jahre alte, nicht vorbestrafte , in der Türkei geborene Beschuldigte leidet seit etwa Mitte der 90er Jahre an einer schizophrenen Störung mit paranoid-halluzinatorischer Verlaufsform , die trotz durchgängiger antipsychotischer Medikation nur unvollständig remittiert ist. In den Jahren 1997 und 1998 wurde er mehrere Monate stationär psychiatrisch behandelt, nachdem er psychische Auffälligkeiten gezeigt hatte und es unter anderem „zu grundlos aggressiven Durchbrüchen“ (UA S. 8) gegenüber Dritten gekommen war. Im Oktober 2001 wurde er ein weiteres Mal stationär in einer psychiatrischen Klinik aufgenommen, nachdem er einem Mitbewohner in seiner betreuten Wohneinrichtung einen Faustschlag in das Gesicht versetzt hatte. Im Februar 2002 wurde er teilremittiert und normal gestimmt entlassen. Seitdem wurde er bis zu seiner Festnahme in dieser Sache durch eine Institutsambulanz psychiatrisch betreut, wobei er durchgängig eine „stabile Medikamenten-Compliance“ aufwies. Auch während seiner einstweiligen Unterbringung im Krankenhaus des Maßregelvollzugs in dieser Sache zeigte er sich durchgehend behandlungsbereit und nahm widerspruchslos seine Medikamente ein. Sein Verhalten war ruhig und angepasst; aggressive Tendenzen waren zu keinem Zeitpunkt erkennbar. Der Beschuldigte steht seit etwa zehn Jahren unter Betreuung und hat seit 2005 zudem einen Einzelfallhelfer; zum Zeitpunkt der Anlasstat lebte er selbständig in einer gemieteten Wohnung.
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b) Am Tattag, dem 16. Dezember 2008, beobachtete eine Zeugin einen Dritten bei der Entwendung einer Kamera aus einem Kraftfahrzeug und sah, wie dieser gleichzeitig mit dem Beschuldigten ein Wohnhaus betrat. Von der Entwendung der Kamera wusste der Beschuldigte nichts; er hatte den – inzwischen rechtskräftig verurteilten – Täter, einen ihm nicht näher bekann- ten Hausbewohner, nur zufällig vor dem Haus getroffen. Die Zeugin machte eine uniformierte Polizeibeamtin auf das Geschehen aufmerksam, die an der Wohnung des Beschuldigten klingelte. Als er die Tür öffnete, forderte die Beamtin ihn auf, aus der Wohnung herauszutreten und die Hände nach vorne zu nehmen. Dieses Verhalten war dem Beschuldigten nicht erklärlich und versetzte ihn in Furcht. „Er ging davon aus, dass man ihm etwasBöses antun wolle und schlug sofort die Wohnungstür zu“ (UA S. 12). Eine realistische Einschätzung der Situation und eine adäquate Reaktion waren ihm vor dem Hintergrund seiner Erkrankung und der auch damals nicht vollständig remittierten psychotischen Symptomatik nicht möglich.
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Auf Anforderung der Polizistin erschienen nun weitere sieben Polizeibeamte , unter ihnen der Nebenkläger, an der Wohnungstür. Sie klingelten, klopften und riefen: „Aufmachen, Polizei!“ Der psychotische Beschuldigte nahm die Situation als zunehmend bedrohlich wahr. Nach weiteren Versuchen , die Tür zu öffnen, setzten die Beamten eine Ramme ein. Als die Polizisten in seine Wohnung eindrangen, geriet der Beschuldigte in Todesangst. In wahnhafter Realitätsverkennung nahm er an, dass die Beamten ihn töten wollten; er wollte sich nicht kampflos geschlagen geben. Er stach mit mindestens bedingtem Tötungsvorsatz mehrmals gezielt in den Oberkörper des Nebenklägers und verletzte diesen lebensgefährlich durch drei Stiche mit seinem Klappmesser in den Bauch und den Thorax.
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2. Sachverständig beraten gelangt die Strafkammer zu der Überzeugung , dass die Anlasstat „aus einer Kombination eines reaktiv bedingten Angst- bzw. Panikzustandes und der psychischen Grundstörung einer schizophrenen Erkrankung“ (UA S. 21) des Beschuldigten resultierte; seine Steuerungsfähigkeit sei dadurch aufgehoben gewesen. Die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus hat sie abgelehnt, da sie keine hinreichende Wahrscheinlichkeit sah, dass von ihm infolge seines Zustandes künftig erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind.
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3. Die Revision des Nebenklägers ist – entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts – unbegründet. Ausgehend von den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen ist die Ablehnung der Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus nicht zu beanstanden. Das gilt ungeachtet des kritischen, vom Landgericht auch nicht verkannten Ausgangspunktes des Falles, dass die verfahrensgegenständliche Tat nach ihrer Schwere (§ 62 StGB) als Anlasstat für eine Unterbringung nach § 63 StGB in Frage kommt und auch auf die fortdauernde paranoide schizophrene Störung des Beschuldigten zurückzuführen ist.
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Gleichwohl verneint das Landgericht – dem Sachverständigen folgend – eine hinreichende Gewissheit, „dass aufgrund des zur Schuldunfähigkeit führenden Zustandes des Beschuldigten eine bestimmte oder doch gewisse, über eine bloße Möglichkeit hinausgehende Wahrscheinlichkeit für die Begehung weiterer erheblicher rechtswidriger Taten bestehe und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich sei“ (UA S. 23). Entsprechend den Hinweisen des Senats in seinem Aufhebungsbeschluss vom 14. April 2010 stellt die Schwurgerichtskammer dabei zum einen darauf ab, dass die Anlasstat in einer von dem Beschuldigten subjektiv als äußerst bedrohlich empfundenen Ausnahmesituation begangen wurde; dass sich eine derartige Ausnahmesituation wiederholen könnte, schätzt die Schwurgerichtskammer als äußerst fernliegend ein. In ihre Würdigung bezieht sie zum anderen das Verhalten des Beschuldigten seit dem Jahr 2002 ein, dem sie keine Hinweise auf eine Gefährlichkeit zu entnehmen vermag. Seitdem er durch die Institutsambulanz medizinisch betreut wird, hatte der Beschuldigte keine Störungen des Rechtsfriedens mehr verursacht. In den vergangenen Jahren hatte er durchgängig eine gute „Medikamenten-Compliance“ gezeigt; es ist deshalb nicht damit zu rechnen, dass er seine Medikamente in Zukunft eigenmächtig absetzen könnte. Akute Krankheitsschübe sind daher nicht zu erwarten. Schließlich berücksichtigt die Schwurgerichtskammer, dass selbst die in den Jahren vor 2002 aufgetretenen Krankheitsschübe nicht zu solch schweren Störungen des Rechtsfriedens geführt haben, die den mit einer Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus verbundenen schwerwiegenden Eingriff hätten rechtfertigen können.
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Die Wertungen des Landgerichts sind nicht zu beanstanden: Eine allgemeine Bereitschaft des Beschuldigten zu brutalen und lebensgefährlichen Verletzungshandlungen kann aus der Tat, freilich nur angesichts der Besonderheiten der Auslösersituation, nicht hergeleitet werden; dem Verhalten des Beschuldigten ist auch eine „Neigung zu wahnhaften reaktiv bedingten Angst- und Panikzuständen“, die der Generalbundesanwalt als Ausgangspunkt für die Gefährlichkeitsbeurteilung heranzieht, nicht zu entnehmen. Der Beschuldigte wurde in seiner Wohnung, mithin in seinem persönlichen Schutz- und Rückzugsraum, von einer Übermacht von Polizeikräften in einer in erheblichem Maße Angst auslösenden Weise bedrängt. Zur ursprünglichen Entstehung dieser Situation hatte der Beschuldigte nichts beigetragen; eine Konfrontation hatte er nicht gesucht, sich vielmehr bis zum Eindringen der Polizisten in seine Wohnung aus Angst gerade passiv verhalten. Auch aus seinem Verhalten während der letzten Jahre ergeben sich keinerlei Hinweise darauf, dass der Beschuldigte aufgrund seiner Krankheit dazu neigt, in soziale Konfliktsituationen hineinzugeraten und in diesen aus inadäquaten Panikreaktionen heraus Gewalthandlungen zu begehen.
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(1) Hat das Verfahren ein Vergehen zum Gegenstand, so kann die Staatsanwaltschaft mit Zustimmung des für die Eröffnung des Hauptverfahrens zuständigen Gerichts von der Verfolgung absehen, wenn die Schuld des Täters als gering anzusehen wäre und kein öffentliches Interesse an der Verfolgung besteht. Der Zustimmung des Gerichtes bedarf es nicht bei einem Vergehen, das nicht mit einer im Mindestmaß erhöhten Strafe bedroht ist und bei dem die durch die Tat verursachten Folgen gering sind.

(2) Ist die Klage bereits erhoben, so kann das Gericht in jeder Lage des Verfahrens unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft und des Angeschuldigten das Verfahren einstellen. Der Zustimmung des Angeschuldigten bedarf es nicht, wenn die Hauptverhandlung aus den in § 205 angeführten Gründen nicht durchgeführt werden kann oder in den Fällen des § 231 Abs. 2 und der §§ 232 und 233 in seiner Abwesenheit durchgeführt wird. Die Entscheidung ergeht durch Beschluß. Der Beschluß ist nicht anfechtbar.

(1) Die Staatsanwaltschaft kann von der Verfolgung einer Tat absehen,

1.
wenn die Strafe oder die Maßregel der Besserung und Sicherung, zu der die Verfolgung führen kann, neben einer Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Beschuldigten wegen einer anderen Tat rechtskräftig verhängt worden ist oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat, nicht beträchtlich ins Gewicht fällt oder
2.
darüber hinaus, wenn ein Urteil wegen dieser Tat in angemessener Frist nicht zu erwarten ist und wenn eine Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Beschuldigten rechtskräftig verhängt worden ist oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat, zur Einwirkung auf den Täter und zur Verteidigung der Rechtsordnung ausreichend erscheint.

(2) Ist die öffentliche Klage bereits erhoben, so kann das Gericht auf Antrag der Staatsanwaltschaft das Verfahren in jeder Lage vorläufig einstellen.

(3) Ist das Verfahren mit Rücksicht auf eine wegen einer anderen Tat bereits rechtskräftig erkannten Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung vorläufig eingestellt worden, so kann es, falls nicht inzwischen Verjährung eingetreten ist, wieder aufgenommen werden, wenn die rechtskräftig erkannte Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung nachträglich wegfällt.

(4) Ist das Verfahren mit Rücksicht auf eine wegen einer anderen Tat zu erwartende Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung vorläufig eingestellt worden, so kann es, falls nicht inzwischen Verjährung eingetreten ist, binnen drei Monaten nach Rechtskraft des wegen der anderen Tat ergehenden Urteils wieder aufgenommen werden.

(5) Hat das Gericht das Verfahren vorläufig eingestellt, so bedarf es zur Wiederaufnahme eines Gerichtsbeschlusses.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 437/03
vom
17. Februar 2004
in dem Sicherungsverfahren
gegen
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
17. Februar 2004, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
Dr. Boetticher,
Dr. Kolz,
Hebenstreit,
Staatsanwältin
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts München I vom 17. Januar 2003 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


Das Landgericht hat es abgelehnt, den Beschuldigten gemäß § 63 StGB in einem psychiatrischen Krankenhaus unterzubringen, da er "lediglich lästige", geringfügige Taten begangen habe und schwerwiegendere Taten auch in Zukunft nicht zu erwarten seien.
Die gegen dieses Urteil gerichtete Revision der Staatsanwaltschaft hat mit der Sachrüge Erfolg.

I.


1. Bei dem jetzt 48 Jahre alten Beschuldigten liegt als Folge einer frühkindlichen Hirnentzündung eine hirnorganisch begründete psychische Wesensveränderung vor, die im wesentlichen von "paranoiden Befürchtungen sowie einer Störung der Affektivität" geprägt ist. Der Beschuldigte fühlt sich "von Personen aus seiner nächsten Umgebung beeinträchtigt und bedroht", was
immer wieder zu "aggressiven Spannungszuständen" führt. Insgesamt liegt eine krankhafte seelische Störung im Sinne des § 20 StGB vor.
2. Im Zustand der krankheitsbedingten Schuldunfähigkeit hat der Beschuldigte etwa den Hausmeister der Wohnanlage, in der er seit 1990 wohnt, beschimpft und mit dem Tode bedroht, ebenso weitere Personen - überwiegend Nachbarn - beschimpft, ohne daß in allen Fällen klar würde, wodurch die Vorgänge ausgelöst wurden. Soweit festgestellt, handelt es sich darum, daß sich die Nachbarn, teilweise durch Einschalten der Polizei, gegen Belästigungen durch den Angeklagten - Lärmen oder Herumwerfen von Abfällen - zu schützen versuchten. Neben bloß verbalen Ausfällen kam es aber auch zu Sachbeschädigungen - so zerstach er einen Reifen des Pkw's der Nachbarin V., die sich dagegen verwahrt hatte, daß er immer wieder Knochen in ihren Garten warf - und zu Körperverletzungen. Er gab etwa der Nachbarin H. eine Ohrfeige, als sie ihn zur Ruhe mahnte, nachdem sie durch sein intensives Lärmen im Hausflur aus dem Schlaf gerissen war. Den Polizeibeamten S. versuchte er mit der Faust ins Gesicht zu schlagen, wobei er ihn jedoch nur streifte. Vorausgegangen war, daß der Beschuldigte den Vater S.s - wie dieser seinem Sohn mitgeteilt hatte - aus nicht erkennbaren Gründen beleidigt und zu schlagen versucht haben soll.
3. Zutreffend geht die Strafkammer davon aus, daß bei der Bewertung der Taten des Beschuldigten auch frühere Taten mit zu berücksichtigen sind. Insoweit hat sie, teils anhand früherer Urteile, in einem Fall durch Beweisaufnahme über einen von einem anderen Gericht gemäß § 154 StPO eingestellten Vorwurf; unter anderem folgendes festgestellt:

a) 1989 zerschlug der Beschuldigte in der Wohnung seiner Eltern vier Türen und trat auf den Vater ein. Einige Stunden nach diesem Vorfall zerschlug
er die Schlafzimmertür und ging mit einem Hammer auf den Vater los. Als dieser ihm den Hammer entreißen und flüchten konnte, warf er die Mutter zu Boden und brach ihr den Oberarm. Als schließlich die Polizei kam, kratzte er, biß und schlug auf die Polizisten ein. Einer von ihnen wurde an Händen und Armen verletzt. Er entriß einem Polizisten die Dienstwaffe, deren "Benutzung ... scheiterte, da der Abzug ... blockiert war".
Wegen dieser Taten wurde der Beschuldigte in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht, wobei die Unterbringung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Näheres ist nicht mitgeteilt.

b) Erneut wurde 1998 die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet und zur Bewährung ausgesetzt. Der Beschuldigte hatte auf offener Straße einen Herrn W. - ob Nachbar oder nicht, bleibt offen - ohne erkennbaren Grund beleidigt, angegriffen, zu Boden geworfen und sich auf ihn gesetzt. W. erlitt eine Trümmerfraktur eines Fingers und mußte wochenlang einen Gips tragen.

c) Wegen dieser Verurteilung wurde ein weiteres Verfahren gemäß § 154 StPO eingestellt. Der Beschuldigte hatte auf der Straße einen verstorbenen Arbeitskollegen gegenüber dessen Witwe beschimpft und ihr und ihrem Begleiter vorgeworfen, ihm einige Wochen zuvor in einem Park nachgeschaut zu haben. Als sich der Begleiter diese Beleidigungen und Belästigungen verbat , "schob" er sein Fahrrad gegen ihn und schlug ihn mit der Faust ins Gesicht.
4. Nach Auffassung der Strafkammer liegen insgesamt nicht erhebliche, sondern nur lästige Taten vor, die sich im "unteren Bereich" bewegten; letztlich seien es "Nachbarstreitigkeiten", denen mit den "Mitteln des Zivilrechts" zu begegnen sei. Zwar sei auch in Zukunft mit vergleichbaren "Konflikten" und dem
entsprechend mit vergleichbaren - nicht aber schwerwiegenderen Taten - zu rechnen, eine im Sinne des § 63 StGB bedeutsame Gefahr für die Allgemeinheit begründe dies jedoch nicht. Auch unter Berücksichtigung der im einzelnen gewürdigten früheren Taten sei daher eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus unverhältnismäßig und komme nicht in Betracht.

II.


Wenn die Strafkammer auch von im Ansatz rechtlich zutreffenden Erwägungen ausgeht, hält das Urteil rechtlicher Überprüfung nicht stand.
1. Selbst wenn den Bewertungen der Strafkammer im übrigen zu folgen wäre, sind ihre Erwägungen an einer zentralen Stelle unklar.
Der gerichtliche Sachverständige, dessen Sachkunde die Strafkammer hervorhebt, sieht bei "weiterer Verschlechterung des psychischen Befindens" eine "Eskalationsgefahr". Zugleich hat er die Möglichkeit schwerer wiegender rechtswidriger Taten nach den Urteilsfeststellungen aber als "reine Spekulation" bezeichnet. Im Ergebnis habe er bei "Anwendung der erwähnten Kriterien" nur eine Wiederholungsgefahr für mit den vorliegenden "vergleichbare Delikte" bejaht.
Es erscheint schon wenig naheliegend, daß ein erfahrener Sachverständiger im Rahmen eines Gutachtens über den gegenwärtigen und den zu erwartenden künftigen psychischen Zustand im Rahmen seiner Prognose nach eigener Bewertung "reine Spekulationen" anstellt. Auch die Verknüpfung dieser Prognose mit den "erwähnten Kriterien" ist unklar. Es ist zwar nicht ausdrücklich gesagt, welche Kriterien damit gemeint sind, jedoch hat die Strafkammer im übrigen, wenn auch unter unterschiedlichen Aspekten, allein rechtliche Erwägungen zur Frage der Verhältnismäßigkeit angestellt. Die rechtliche Gewich-
tung festgestellter Taten durch das Gericht kann aber nicht verdeutlichen, warum aus psychiatrischer Sicht mit gewichtigeren als den festgestellten Taten nicht zu rechnen ist.
2. Unabhängig davon bestehen sowohl gegen die Bewertung der früheren als auch der verfahrensgegenständlichen Taten rechtliche Bedenken:

a) Den Vorfall aus dem Jahre 1989 hält die Strafkammer nicht nur wegen des inzwischen verstrichenen Zeitraums für wenig bedeutsam, sondern auch wegen des zugrundeliegenden, inzwischen aber überwundenen Vater -Sohn-Konflikts. Ob auch der Angriff gegen die Mutter, der immerhin zu einem Oberarmbruch führte, deshalb und wegen der zusätzlich genannten ehelichen Spannungen der Eltern als weitgehend relativiert angesehen werden kann, erscheint zumindest fraglich. Dies gilt noch mehr für die Annahme, all dies lasse auch das Verhalten des Angeklagten gegenüber der Polizei in einem vergleichsweise milden Licht erscheinen. Soweit sich die Strafkammer mit dem gewaltsamen Entreißen der Waffe befaßt, ist insbesondere die Erwägung, der Beschuldigte habe möglicherweise mit der Waffe nur drohen wollen, mit der Feststellung unvereinbar, die Benutzung der Waffe sei an ihrem blockierten Abzug gescheitert.

b) Auch die Erwägung, das Verhalten des Beschuldigten gegenüber Herrn W. wiege deshalb weniger schwer, weil er ihn zuvor ohne erkennbaren Grund (unter anderem mit dem Wort "Dreckhammel") beleidigt habe und der Trümmerbruch des Fingers nicht eigentlich beabsichtigt, sondern Folge der Auseinandersetzung wegen dieser "Formalbeleidigung" gewesen sei, ist nicht ohne weiteres einsichtig. Der Beschuldigte hat W. ohne erkennbaren Grund beleidigt, ihn geschlagen, auf den Boden geworfen und sich auf ihn gesetzt ; dies führte zu dem Trümmerbruch. Ohne daß es auf eine isolierte Bewertung jeder einzelnen Phase dieses Geschehens ankäme, liegt diese auch in
ihrem Ursprung auf einen Angriff des Beschuldigten zurückgehende Verletzung schon auf Grund ihrer Schwere jedenfalls nicht, wie die Strafkammer meint, "im untersten Bereich".

c) Für die Bewertung des von der Strafkammer ebenfalls dem "unteren Bereich" zugeordneten Faustschlags ins Gesicht des Begleiters der Witwe des früheren Arbeitskollegen gilt nichts anderes.

d) Es mag dahinstehen, ob allein die aufgezeigten Bedenken gegen die Bewertung der früheren Taten notwendig zur Aufhebung des Urteils führen müßten, wenn die verfahrensgegenständlichen Taten rechtsfehlerfrei gewürdigt wären.
Dies ist jedoch nicht der Fall.
Insbesondere folgt dies aus der Annahme, es lägen (nur) "Nachbarstreitigkeiten" vor. Dieser Begriff erweckt letztlich den Anschein wechselseitiger Auseinandersetzungen, die in räumlich engem Zusammenleben der Beteiligten ihre Wurzel haben, an objektiv eher weniger bedeutende Gründe anknüpfen und im Grunde leicht bereinigt werden könnten. Auch wenn dies, wie hier, voraussichtlich nicht gelingen wird, so will die Strafkammer offenbar zum Ausdruck bringen, handele es sich unter diesen Umständen jedenfalls nicht um Vorgänge , die ein nachhaltiges Eingreifen in Form einer Unterbringung gemäß § 63 StGB rechtfertigen könnten.
All dies wird den Feststellungen zur Art der Erkrankung des Beschuldigten und den daraus resultierenden Folgen nicht gerecht. Der Beschuldigte fühlt sich offenbar von jedermann, der mit ihm in Kontakt kommt, bedroht und reagiert mit Aggression. Dies war offenbar schon so, als er noch bei den Eltern lebte - die Strafkammer erwähnt über den Vorgang von 1989 hinaus häufige
wechselseitige Handgreiflichkeiten - und gilt auch für die jeweiligen Nachbarn. Darüber hinaus ist aber auch jeder andere gefährdet, wie z.B. der Begleiter der Witwe des Arbeitskollegen, Polizisten, wohl auch der Vater des Polizisten S., oder auch der auf der Straße angegriffene Herr W., dessen Beziehung zum Beschuldigten die Urteilsgründe nicht ergeben. Ein weiterer wesentlicher Unterschied zu "Nachbarstreitigkeiten" liegt auch darin, daß, soweit ersichtlich, keiner dieser Geschädigten durch auch nur im weitesten Sinne vorwerfbares eigenes Verhalten die Attacken des Beschuldigten ausgelöst hat. Insgesamt liegt die Bewertung nahe, daß infolge der Krankheit des Beschuldigten jedermann , der irgendwie in Kontakt mit ihm gerät, mit Angriffen nicht nur gegen seine Ehre und jedenfalls in Einzelfällen auch gegen sein Eigentum, sondern auch gegen seine körperliche Integrität rechnen muß. Es bedarf auch keiner weiteren Darlegung, daß körperliche Attacken, die wiederholt sogar zu Knochenbrüchen geführt haben, aber auch Ohrfeigen oder Faustschläge ins Gesicht nicht lediglich lästige und unbedeutende und daher von der Allgemeinheit hinzunehmende Vorfälle sind (vgl. auch BGH, Beschluß vom 16. Januar 2003 - 1 StR 531/02), selbst wenn im Einzelfall Ohrfeige oder Fausthieb den Betroffenen letztlich aus Zufall oder wegen eigenen geschickten Ausweichens nicht oder nicht mit voller Wucht getroffen hat. Es fällt auch ins Gewicht, daß sich diese Vorfälle, entsprechend der fortbestehenden Grunderkrankung über Jahre hin immer wiederholt haben, ohne daß es unter diesen Umständen darauf ankäme , ob, was die Strafkammer verneint, schon von einer Tatserie auszugehen ist.
3. Die Sache bedarf daher insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung. Auch die dem Urteil zugrundeliegenden Feststellungen waren aufzuheben. Der Beschuldigte hat sich dahin eingelassen, er zersteche keine Reifen und habe niemanden geschlagen. Er hatte mangels Beschwer keine Möglichkeit , überprüfen zu lassen, ob die gegenteiligen Feststellungen der Strafkammer rechtsfehlerfrei getroffen wurden. Sie können daher nicht als mögliche
Grundlage einer Unterbringung des Beschuldigten bestehenbleiben (vgl. BGH NStZ-RR 1998, 204 m.w. Nachw. für den vergleichbaren Fall der Aufhebung eines Freispruchs).

III.


Der Senat sieht Anlaß zu folgendem Hinweis:
Bei der Frage der Notwendigkeit einer hier in Frage kommenden Maßregel kommt es gemäß § 63 StGB entscheidend auf den Zeitpunkt der Hauptverhandlung an (BGH, Beschluß vom 17. Oktober 2000 - 1 StR 428/00; Stree in Schönke/Schröder StGB 26. Aufl. § 63 Rdn. 13, vor § 61 Rdn. 10 m.w. Nachw.).
Aus im Rahmen der Beweiswürdigung angestellten Erwägungen ergibt sich, daß der Beschuldigte auf Anordnung des Landratsamtes München am 11. April 2002 in das Bezirkskrankenhaus Haar eingewiesen wurde, wo er im Rahmen des vorliegenden Verfahrens am 20. Juni 2002 begutachtet wurde.
Die Strafkammer führt aus, daß bei "Rückkehr des Beschuldigten in sein bisheriges Umfeld" wieder mit Taten der festgestellten Art zu rechnen sei. Dies spricht dafür, daß er auch zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung noch im Bezirkskrankenhaus war. In gleiche Richtung deutet die Aussage der "behandelnden Ärztin", die von einer deutlichen Verbesserung durch die Behandlung im Bezirkskrankenhaus berichtet hat, wenn auch keine wirkliche Krankheitseinsicht und keine endgültige Stabilisierung vorliege. Eine zunehmende Stabilisierung sei "auf Grund des geänderten äußeren Rahmens" aber festzustellen, aggressives Verhalten sei seit Juli 2002 nicht mehr aufgefallen. Dementsprechend basiert auch die Prognose des gerichtlichen Sachverständigen auf der Annahme einer "Unterbrechung der Behandlung".

All dies hat die Strafkammer nicht erkennbar erörtert, sondern sie geht ohne weiteres von der Gefahr weiterer Taten "bei Rückkehr" aus. Die rechtlich gebotene Feststellung einer gesteigerten Wahrscheinlichkeit künftiger Taten (vgl. BGH NStZ 1993, 78) ist unter diesen Umständen den Urteilsgründen nicht hinreichend klar zu entnehmen. Die neu zur Entscheidung berufene Strafkammer wird daher nähere Feststellungen zum weiteren Verlauf der Behandlung und den Lebensverhältnissen und dem Zustand des Beschuldigten zum Zeitpunkt der neuen Hauptverhandlung zu treffen haben. Je nach den Umständen könnte die Grundlage für eine Unterbringung entfallen sein oder jedenfalls die Grundlage für eine (nochmalige) Aussetzung einer Unterbringungsanordnung zur Bewährung vorliegen.
Nack Wahl Boetticher
Kolz Hebenstreit

(1) Sind dringende Gründe für die Annahme vorhanden, daß jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit oder verminderten Schuldfähigkeit (§§ 20, 21 des Strafgesetzbuches) begangen hat und daß seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt angeordnet werden wird, so kann das Gericht durch Unterbringungsbefehl die einstweilige Unterbringung in einer dieser Anstalten anordnen, wenn die öffentliche Sicherheit es erfordert.

(2) Für die einstweilige Unterbringung gelten die §§ 114 bis 115a, 116 Abs. 3 und 4, §§ 117 bis 119a, 123, 125 und 126 entsprechend. Die §§ 121, 122 gelten entsprechend mit der Maßgabe, dass das Oberlandesgericht prüft, ob die Voraussetzungen der einstweiligen Unterbringung weiterhin vorliegen.

(3) Der Unterbringungsbefehl ist aufzuheben, wenn die Voraussetzungen der einstweiligen Unterbringung nicht mehr vorliegen oder wenn das Gericht im Urteil die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt nicht anordnet. Durch die Einlegung eines Rechtsmittels darf die Freilassung nicht aufgehalten werden. § 120 Abs. 3 gilt entsprechend.

(4) Hat der Untergebrachte einen gesetzlichen Vertreter oder einen Bevollmächtigten im Sinne des § 1831 Absatz 5 und des § 1820 Absatz 2 Nummer 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches, so sind Entscheidungen nach Absatz 1 bis 3 auch diesem bekannt zu geben.

(1) Hat der Verurteilte aus Anlaß einer Tat, die Gegenstand des Verfahrens ist oder gewesen ist, Untersuchungshaft oder eine andere Freiheitsentziehung erlitten, so wird sie auf zeitige Freiheitsstrafe und auf Geldstrafe angerechnet. Das Gericht kann jedoch anordnen, daß die Anrechnung ganz oder zum Teil unterbleibt, wenn sie im Hinblick auf das Verhalten des Verurteilten nach der Tat nicht gerechtfertigt ist.

(2) Wird eine rechtskräftig verhängte Strafe in einem späteren Verfahren durch eine andere Strafe ersetzt, so wird auf diese die frühere Strafe angerechnet, soweit sie vollstreckt oder durch Anrechnung erledigt ist.

(3) Ist der Verurteilte wegen derselben Tat im Ausland bestraft worden, so wird auf die neue Strafe die ausländische angerechnet, soweit sie vollstreckt ist. Für eine andere im Ausland erlittene Freiheitsentziehung gilt Absatz 1 entsprechend.

(4) Bei der Anrechnung von Geldstrafe oder auf Geldstrafe entspricht ein Tag Freiheitsentziehung einem Tagessatz. Wird eine ausländische Strafe oder Freiheitsentziehung angerechnet, so bestimmt das Gericht den Maßstab nach seinem Ermessen.

(5) Für die Anrechnung der Dauer einer vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 111a der Strafprozeßordnung) auf das Fahrverbot nach § 44 gilt Absatz 1 entsprechend. In diesem Sinne steht der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis die Verwahrung, Sicherstellung oder Beschlagnahme des Führerscheins (§ 94 der Strafprozeßordnung) gleich.

(1) Bei der Verurteilung zu Freiheitsstrafe von nicht mehr als einem Jahr setzt das Gericht die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung aus, wenn zu erwarten ist, daß der Verurteilte sich schon die Verurteilung zur Warnung dienen lassen und künftig auch ohne die Einwirkung des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen wird. Dabei sind namentlich die Persönlichkeit des Verurteilten, sein Vorleben, die Umstände seiner Tat, sein Verhalten nach der Tat, seine Lebensverhältnisse und die Wirkungen zu berücksichtigen, die von der Aussetzung für ihn zu erwarten sind.

(2) Das Gericht kann unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 auch die Vollstreckung einer höheren Freiheitsstrafe, die zwei Jahre nicht übersteigt, zur Bewährung aussetzen, wenn nach der Gesamtwürdigung von Tat und Persönlichkeit des Verurteilten besondere Umstände vorliegen. Bei der Entscheidung ist namentlich auch das Bemühen des Verurteilten, den durch die Tat verursachten Schaden wiedergutzumachen, zu berücksichtigen.

(3) Bei der Verurteilung zu Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten wird die Vollstreckung nicht ausgesetzt, wenn die Verteidigung der Rechtsordnung sie gebietet.

(4) Die Strafaussetzung kann nicht auf einen Teil der Strafe beschränkt werden. Sie wird durch eine Anrechnung von Untersuchungshaft oder einer anderen Freiheitsentziehung nicht ausgeschlossen.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 S t R 3 6 / 1 4
vom
12. Februar 2014
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 12. Februar 2014 beschlossen
:
1. Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
München I vom 18. Oktober 2013 dahin geändert, dass
die Strafaussetzung zur Bewährung entfällt.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
3. Die Beschwerdeführerin hat die Kosten ihres Rechtsmittels zu
tragen.
4. Die sofortige Beschwerde der Angeklagten gegen die Versagung
einer Entschädigung wird als unbegründet verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen gefährlicher Körperverletzung und vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Monaten verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt.
2
Gegen dieses Urteil wendet sich die Angeklagte mit der auf eine Verfahrensrüge und die Sachrüge gestützten Revision sowie mit der sofortigen Beschwerde gegen die Versagung einer Entschädigung nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 StrEG. Auf die insoweit näher ausgeführte Sachrüge war die angefochtene Entscheidung dahin zu ändern, dass die Strafaussetzung zur Bewährung entfällt ; die weitergehende Revision ist unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO). Auch der sofortigen Beschwerde bleibt der Erfolg versagt.
3
Zur Frage der Aufhebung der Bewährungsentscheidung hat der Generalbundesanwalt in seinem Antragsschreiben vom 21. Januar 2014 ausgeführt: "Der Ausspruch über die Aussetzung der gegen die Angeklagte verhängten Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Monaten kann nicht bestehen bleiben. Die Strafe war bereits im Zeitpunkt des Urteils durch den im BZKH Taufkirchen erlittenen Freiheitsentzug voll verbüßt. Denn nach § 51 Abs. 1 Satz 1 StGB wird auch der aufgrund einer Anordnung nach § 126 a StPO erfolgte Freiheitsentzug (UA S. 7; SA Bd. I Bl. 154) auf die Strafe angerechnet (BGH, Beschluss vom 25. November 1998 - 2 StR 514/98 - m. w. N.). Von der Möglichkeit, gemäß § 51 Abs. 1 Satz 2 StPO von der Anrechnung abzusehen, hat das Landgericht keinen Gebrauch gemacht. Ist aber die Strafe infolge der Anrechnung bereits voll verbüßt, scheidet eine Strafaussetzung begrifflich aus. Die Strafaussetzung zur Bewährung beschwert die Angeklagte auch. Mit dem Wegfall der Strafaussetzung zur Bewährung sind etwaige Bewährungsauflagen gegenstandslos."
4
Dem stimmt der Senat ebenso zu wie auch den nachstehenden Ausführungen des Generalbundesanwalts zur Ablehnung einer Entschädigung gemäß § 2 StrEG: "Das gegen die Nebenentscheidung nach § 4 Abs. 1 Nr. 2 StrEG gerichtete Rechtsmittel ist zulässig (§ 8 Abs. 3 StrEG i. V. m. § 464 Abs. 3 Satz 3 StPO), jedoch unbegründet, weil die Versagung der Entschädigung für die die Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Monaten übersteigende vorläufige Unterbringung - wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat (UA S. 22) - nicht unbillig ist (vgl. hierzu auch BGHR StrEG § 4 Abs. 1 Nr. 2 Untersuchungshaft 4). Von einem Missverhältnis der vorläufigen Maßnahme zur endgültig angeordneten kann hier noch nicht die Rede sein. Die Angeklagte hat vorsätzlich den Grund dafür gesetzt, dass sie vorläufig untergebracht wurde. Zudem hat die Strafkammer bei der Strafzumessung besonders zugunsten der Angeklagten ihre verminderte Schuldfähigkeit zu beiden Tatzeitpunkten berücksichtigt, so dass diesem Umstand im Rahmen der nach Billigkeitsgrundsätzen zu treffenden Entscheidung keine Bedeutung mehr zukommt." Raum Wahl Graf Cirener Radtke

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

(1) Ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt an, so setzt es zugleich deren Vollstreckung zur Bewährung aus, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, daß der Zweck der Maßregel auch dadurch erreicht werden kann. Die Aussetzung unterbleibt, wenn der Täter noch Freiheitsstrafe zu verbüßen hat, die gleichzeitig mit der Maßregel verhängt und nicht zur Bewährung ausgesetzt wird.

(2) Mit der Aussetzung tritt Führungsaufsicht ein.

(1) Hat der Verurteilte aus Anlaß einer Tat, die Gegenstand des Verfahrens ist oder gewesen ist, Untersuchungshaft oder eine andere Freiheitsentziehung erlitten, so wird sie auf zeitige Freiheitsstrafe und auf Geldstrafe angerechnet. Das Gericht kann jedoch anordnen, daß die Anrechnung ganz oder zum Teil unterbleibt, wenn sie im Hinblick auf das Verhalten des Verurteilten nach der Tat nicht gerechtfertigt ist.

(2) Wird eine rechtskräftig verhängte Strafe in einem späteren Verfahren durch eine andere Strafe ersetzt, so wird auf diese die frühere Strafe angerechnet, soweit sie vollstreckt oder durch Anrechnung erledigt ist.

(3) Ist der Verurteilte wegen derselben Tat im Ausland bestraft worden, so wird auf die neue Strafe die ausländische angerechnet, soweit sie vollstreckt ist. Für eine andere im Ausland erlittene Freiheitsentziehung gilt Absatz 1 entsprechend.

(4) Bei der Anrechnung von Geldstrafe oder auf Geldstrafe entspricht ein Tag Freiheitsentziehung einem Tagessatz. Wird eine ausländische Strafe oder Freiheitsentziehung angerechnet, so bestimmt das Gericht den Maßstab nach seinem Ermessen.

(5) Für die Anrechnung der Dauer einer vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 111a der Strafprozeßordnung) auf das Fahrverbot nach § 44 gilt Absatz 1 entsprechend. In diesem Sinne steht der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis die Verwahrung, Sicherstellung oder Beschlagnahme des Führerscheins (§ 94 der Strafprozeßordnung) gleich.