Bundesgerichtshof Urteil, 12. Dez. 2018 - 5 StR 385/18

bei uns veröffentlicht am12.12.2018

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
5 StR 385/18
vom
12. Dezember 2018
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags u.a.
ECLI:DE:BGH:2018:121218U5STR385.18.0

Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 12. Dezember 2018, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Dr. Mutzbauer,
Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Sander, Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Schneider, die Richter am Bundesgerichtshof Dr. Berger, Prof. Dr. Mosbacher
als beisitzende Richter, Bundesanwalt als Vertreter des Generalbundesanwalts, Rechtsanwalt W. als Verteidiger, Rechtsanwalt B. als Vertreter der Neben- und Adhäsionsklägerin C. W. , Rechtsanwalt Wa. als Vertreter des Nebenklägers W. W. , Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,


für Recht erkannt:
Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger wird das Urteil des Landgerichts Lübeck vom 23. März 2018 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.
- Von Rechts wegen –

Gründe:


Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf des Totschlags (be1 gangen an seiner Mutter) und des versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung (begangen an seiner Großmutter) freigesprochen und seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Hiergegen wenden sich die jeweils auf die Sachrüge gestützten Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger; diese machen auch einen Verfahrensfehler geltend. Die Revisionen haben umfassenden Erfolg.

I.


1. Das Landgericht hat Folgendes festgestellt:
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Der im Tatzeitpunkt 30-jährige Angeklagte konsumiert seit vielen Jahren Drogen, insbesondere Cannabis. Bei ihm besteht ein Abhängigkeitssyndrom durch multiplen Substanzgebrauch. Am Abend vor der Tat hielt er sich im Haus seiner Eltern auf, in dessen Obergeschoss auch seine Großeltern, die Nebenkläger W. , wohnten. Er spielte mit seiner Mutter und seiner Großmutter ein Gesellschaftsspiel. Dabei nahm er Alkohol zu sich. Nach Beendigung des Spiels drehte er sich einen Joint und rauchte ihn zur Hälfte. Anstelle der üblichen beruhigenden Wirkung setzten nach kurzer Zeit Hitzewallungen und ein auffälliges Durstgefühl bei ihm ein und Panik stieg in ihm auf. Er erklärte seiner Mutter, sofort ins Krankenhaus fahren zu wollen. Diese versuchte, ihn zu beruhigen , woraufhin der Angeklagte etwas trank und sich ins Bett legte.
Nach kurzer Zeit stand der Angeklagte, der nach dem Cannabiskonsum
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in einen ausgeprägten Erregungszustand geraten war, wieder auf und ging ins Schlafzimmer seiner Eltern. Sein – nicht näher feststellbares – Verhalten veranlasste seine Mutter, um Hilfe zu rufen. Hierdurch wurde seine Großmutter, die Nebenklägerin, geweckt. Als sie das Schlafzimmer betrat, sprang der Angeklagte gerade auf seinen pflegebedürftigen, bewegungsunfähig im Bett liegenden Vater. Seine Mutter zog ihn weg. Der Angeklagte schubste sie und schlug mit Fäusten auf seine zu Boden gegangene Mutter ein. Die Nebenklägerin wollte vom Telefon in der Küche die Polizei rufen. Als sie an dem Angeklagten vorbeiging , sprang er von seiner Mutter auf und schlug der Nebenklägerin mit großer Wucht auf das rechte Auge, woraufhin seine Mutter rief: „A. , lass deine Oma, das ist deine Oma!“ Die vom Schlag benommene Nebenklägerin ging in die Küche. Es ge5 lang ihr nicht, die Polizei anzurufen. Der Angeklagte ließ von seiner Mutter ab und begab sich ebenfalls in die Küche, wo er die Besteckschubladen öffnete und eine Geflügelschere ergriff. Seine Mutter konnte in der Zwischenzeit den Notruf wählen. Sie teilte der Rettungsleitstelle mit: „Bitte kommen Sie schnell! Mein Sohn, der ist total verrückt, der hat Drogen genommen! Er rastet hier total aus!“ Der Anruf endete mit einem Schmerzens- und Hilfeschrei.
Der Angeklagte stach in der Folgezeit mit der Geflügelschere auf Mutter
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und Großmutter ein. Seiner Mutter stach er mit Wucht unter anderem mehrfach in den Kopf, was zu eingedrückten Brüchen der äußeren Knochentafel bzw. des Stirnbeins führte. Ein Stich traf sie in den Hals. Mit weiteren Stichen verletzte er sie im Bereich des Brustkorbes. Einer dieser Stiche eröffnete den Herzbeutel und durchtrennte die große Körperschlagader. Die Mutter erlitt knapp 50 Verletzungen. Seine Großmutter verletzte der Angeklagte mit mindestens 20 Stichen.
Er setzte sich auf seine in einer Blutlache liegende Mutter und gab kund,
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er würde sie jetzt gern „vögeln“, das müsse wunderschön sein in dem Blut, er werde jetzt ein „Muttermörder“. Seine Großmutter, die inzwischen eine Brat- pfanne geholt hatte, nutzte diese Gelegenheit und schlug ihm die Pfanne mit Wucht auf den Kopf.
Die Mutter des Angeklagten starb noch am Tatort an ihren schweren Ver8 letzungen. Seine Großmutter wäre ohne medizinische Versorgung ebenfalls ihren Verletzungen erlegen. Der Schlag auf ihr Auge führte zu Brüchen der Augenhöhlenwand und des Jochbogens. Es kam zu einer Lähmung der die Augenbewegung steuernden Nerven und einer Rückbildung des Sehnervs. Die Nebenklägerin kann mit diesem Auge nur noch Hell und Dunkel wahrnehmen.
2. In seiner rechtlichen Würdigung ist das Landgericht zu dem Schluss
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gekommen, dass der Angeklagte zwei rechtswidrige Taten (§ 53 StGB) begangen habe, von denen die Tat zum Nachteil seiner Mutter den Tatbestand des Totschlags (§ 212 Abs. 1 StGB), die Tat zum Nachteil seiner Großmutter die Tatbestände des versuchten Totschlags in Tateinheit mit schwerer und mit gefährlicher Körperverletzung (§ 212 Abs. 1, § 223 Abs. 1, § 224 Abs. 1 Nr. 5, § 226 Abs. 1 Nr. 1, §§ 22, 23, 52 StGB) erfülle; er sei jedoch zur Tatzeit aufgrund eines atypischen Rausches schuldunfähig gewesen (§ 20 StGB). Er sei auch nicht wegen Vollrausches (§ 323a StGB) strafbar, da er mit der Möglichkeit eines atypischen Verlaufs eines Cannabisrausches und dem sich anschließenden Geschehen nicht habe rechnen können. Daher sei er freizusprechen.
Mit Blick auf den Hang des Angeklagten, Rauschmittel im Übermaß zu
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sich zu nehmen, hat die Strafkammer seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Nachdem es schon im Jahr 2015 zu psychischen Auffälligkeiten nach Drogenkonsum bei ihm gekommen sei und er jetzt im Rauschzustand schwerste Straftaten begangen habe, bestehe ohne eine Therapie die Gefahr weiterer erheblicher rechtswidriger Taten. Die erforderliche Erfolgsaussicht sei zu bejahen.

II.


Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger sind be11 gründet. Das Urteil ist bereits auf die von den Revisionsführern jeweils erhobene Sachrüge aufzuheben. Auf die Verfahrensrüge der Nebenkläger kommt es deshalb nicht an.
1. Die Annahme des Landgerichts, dem Angeklagten habe zum Zeitpunkt
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der Tat infolge eines atypisch verlaufenden Rausches die Unrechtseinsicht gefehlt , begegnet durchgreifenden Bedenken.

a) Ob bei der Begehung der Tat Schuldunfähigkeit vorlag, ist eine
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Rechtsfrage, die das Gericht zu beantworten hat (BGH, Urteil vom 8. März 1955 – 5StR 49/55, BGHSt 7, 238; Beschluss vom 14. Juli 2010 – 2 StR 278/10).
Reicht bei Auftreten von Besonderheiten die richterliche Sachkunde für die Beurteilung der Schuldfähigkeit nicht aus, muss es hierfür einen Sachverständigen hinzuziehen (BGH, Beschluss vom 23. Februar 2011 – 5 StR 24/11 mwN). Auch dann ist die Frage, ob die Schuldfähigkeit des Angeklagten bei Tatbegehung aufgrund einer festgestellten Störung im Sinne des § 21 StGB erheblich vermindert oder im Sinne des § 20 StGB aufgehoben war, eine Rechtsfrage, die das Tatgericht unter Darlegung der fachwissenschaftlichen Beurteilung durch den Sachverständigen, letztlich aber ohne Bindung an dessen Ausführungen, in eigener Verantwortung zu entscheiden hat (BGH, Beschlüsse vom 11. Februar 2016 – 2 StR 512/15 und vom 27. Oktober 2009 – 3 StR 369/09).
Hat das Tatgericht ein solches Gutachten eingeholt, ist es zwar nicht ge14 hindert, von diesem abzuweichen, da es stets nur eine Grundlage der eigenen Überzeugungsbildung sein kann. Auch muss das Tatgericht nicht in jedem Fall, in dem es von dem Gutachten des in der Hauptverhandlung gehörten Sachverständigen abweichen will, einen weiteren Sachverständigen hinzuziehen. Voraussetzung ist aber, dass es die für die abweichende Beurteilung erforderliche Sachkunde besitzt, selbst wenn es erst durch das Gutachten genügend sachkundig geworden ist, um die Beweisfrage beurteilen zu können (vgl. BGH, Beschlüsse vom 24. Januar 2008 – 4 StR 542/07, StraFo 2008, 334 – 335, und vom 10. Januar 2000 – 5 StR 638/99, NStZ 2000, 437).

b) Insofern ist dem Urteil zum einen zu entnehmen, dass der psychiatri15 sche Sachverständige aufgrund eines Affektzustandes beim Angeklagten zur Tatzeit von einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung ausgegangen sei, die ge- eignet gewesen sei, „die Fähigkeit des Angeklagten,andrängende aggressive Impulse ausreichend zu steuern, in schwerwiegendem Maße zu beeinträchti- gen“ (UA S. 17); eine Mischintoxikation habe dagegen nicht vorgelegen, da le- diglich ein inaktives Abbauprodukt von Kokain nachgewiesen worden sei (UA
S. 21). Zum anderen habe ein weiter erholtes Gutachten einer Toxikologin in Verbindung mit ergänzenden rechtsmedizinischen Untersuchungen ergeben, dass Blut und Urin des Angeklagten neben Alkohol, THC, THC-OH und THCCOOH sowie Kokainabbauprodukten unter anderem auch Lidocain und Pseudoephedrin enthalten habe (UA S. 22 f.); zur Tatzeit dürfte deshalb ein akuter Rauschzustand vorgelegen haben und es sei insbesondere wegen der „unkalkulierbaren“ Wirkung des THC-OHsowie nachwirkenden Kokains und der Wirkung des Pseudephedrins und des Lidocains „gut möglich“, dass der Cannabis- rausch vom Angeklagten „anders als üblich im Sinne eines atypischen Rauschverlaufs erlebt worden sei“ (UA S. 23). Eine Stellungnahme des psychiatrischen Sachverständigen zu diesem Befund teilt das Urteil nicht mit; insofern ist vielmehr lediglich ausgeführt, dass ihm die Möglichkeit eines derartigen atypischen Verlaufs eines Cannabisrausches „nicht geläufig“ gewesen sei (UA S. 24).

c) Vor diesem Hintergrund begegnet die Annahme des Landgerichts, der
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Angeklagte sei aufgrund einer akuten Drogenintoxikation unfähig gewesen, das Unrecht seiner Tat einzusehen, durchgreifenden Bedenken.
Die Entscheidung, ob die Schuldfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit
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aus einem der in § 20 StGB bezeichneten Gründe ausgeschlossen oder im Sinne von § 21 StGB erheblich vermindert war, erfolgt mehrstufig. Zunächst ist die Feststellung erforderlich, dass bei dem Angeklagten eine psychische Störung vorliegt, die ein solches Ausmaß erreicht hat, dass sie unter eines der psychopathologischen Eingangsmerkmale des § 20 StGB zu subsumieren ist. Sodann sind der Ausprägungsgrad der Störung und deren Einfluss auf die soziale Anpassungsfähigkeit des Täters zu untersuchen. Durch die festgestellten psychopathologischen Verhaltensmuster muss seine psychische Funktionsfähigkeit bei der Tatbegehung beeinträchtigt worden sein; es muss also festgestellt werden, in welcher Weise sich die psychische Störung bei Begehung der Tat auf die Handlungsmöglichkeiten des Angeklagten in der konkreten Tatsituation und damit auf die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat (st. Rspr., vgl. etwa BGH, Urteil vom 21. Dezember 2016 – 1 StR 399/16; vgl. zudem Boetticher/Nedopil/Bosinski/Saß, NStZ 2005, 57, 58).
Die Beurteilung, ob und inwiefern die Auswirkungen einer hier zumindest
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in Betracht kommenden Mischintoxikation im konkreten Fall zu einer relevanten psychischen Störung geführt und die psychische Funktionsfähigkeit beeinträchtigt haben, unterfällt nicht dem Fachgebiet eines Toxikologen. Zur Vermittlung der medizinisch-psychiatrischen Anknüpfungstatsachen im Hinblick auf die Diagnose einer psychischen Störung, deren Schweregrad und deren innerer Beziehung zur Tat wird das Gericht grundsätzlich vielmehr auf die sachverständige Hilfe eines Psychiaters angewiesen sein, für dessen Beurteilung Befunde eines Toxikologen eine – wichtige oder gar unentbehrliche – Grundlage bilden können; sie vermögen diese aber nicht zu ersetzen.
Auch stellen die Auswirkungen von Cannabis in Wechselwirkung mit wei19 teren chemischen Substanzen regelmäßig spezifisches Fachwissen dar, das nicht typischerweise Allgemeingut von Richtern ist (vgl. BGH, Beschluss vom 26. April 2000 – 3 StR 152/00, NStZ-RR 2000, 332). Dass die Strafkammer gleichwohl die für die Beurteilung der Schuldfähigkeit des Angeklagten erforderliche Sachkunde besaß, belegt das Urteil nicht. Insbesondere erscheint ausgeschlossen , dass sie insofern durch das psychiatrische Gutachten genügend sachkundig geworden ist, um diese Frage beurteilen zu können; denn sie hat die Sachkunde des von ihr beigezogenen Psychiaters hinsichtlich eines atypischen Rauschverlaufs gerade in Zweifel gezogen. Die Annahme des Landgerichts , der Angeklagte sei aufgrund einer akuten Drogenintoxikation unfähig gewesen, das Unrecht seiner Tat einzusehen, ist daher nicht tragfähig belegt.

2. Einen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten hat die Überprüfung
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des Urteils nicht ergeben (§ 301 StPO).
3. Die Sache bedarf demnach neuer Verhandlung und Entscheidung,
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womöglich unter Hinzuziehung eines anderen forensisch-psychiatrischen Sachverständigen. Um dem neuen Tatgericht widerspruchsfreie Feststellungen zu ermöglichen, hebt der Senat die bisherigen insgesamt auf.
4. Für den Fall, dass das neue Tatgericht wiederum zu dem Ergebnis ge22 langen sollte, dass der Angeklagte die Taten – gegebenenfalls nicht ausschließbar – im Zustand rauschbedingter Schuldunfähigkeit begangen hat, wird es im Rahmen der dann erforderlichen erneuten Erörterung einer Strafbarkeit nach § 323a StGB Folgendes zu bedenken haben:
Einer konkreten Vorhersehbarkeit der Rauschtat bedarf es grundsätzlich
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nicht. Denn der Gesetzgeber hat das Sich-in-einen-Rausch-Versetzen in § 323a StGB im Hinblick auf die allgemeine Gefährlichkeit und Unberechenbarkeit des schwer Berauschten als ein selbständiges, rechtlich fassbares sanktionswürdiges Unrecht bewertet. Er hat die Strafbarkeit indes davon abhängig gemacht, ob bzw. in welchem Umfang sich die für die Rechtsgüter Dritter oder die Allgemeinheit gesteigerte Gefahr, die von einem Berauschten ausgeht, tatsächlich in einer konkreten rechtswidrigen Tat niedergeschlagen hat (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Juli 2017 – GSSt 3/17, BGHSt 62, 247, 268 f.). Ein „folgenloser“ Rausch soll keine Sanktion nach sich ziehen; demgegenüber wird derjenige wegen der Berauschung mit Strafe oder Geldbuße sanktioniert, der in diesem Zustand in rechtswidriger Weise einen Straftatbestand verwirklicht und hierfür nicht bestraft werden kann, weil er infolge des Rausches schuldunfähig war oder dies zumindest nicht auszuschließen ist (vgl. auch BGH, Urteile vom 12. April 1951 – 4 StR 78/50, BGHSt 1, 124, 125; vom 2. Mai 1961 – 1 StR 139/61, BGHSt 16, 124, 125 f.; vom 1. Juni 1962 – 4 StR 88/62, BGHSt 17, 333, 334; vom 26. Oktober 1965 – 1 StR 394/65, BGHSt 20, 284, 285; vom 22. August 1996 – 4 StR 217/96, BGHSt 42, 235, 242 f.; Beschlüsse vom 18. August 1983 – 4 StR 142/82, BGHSt 32, 48, 55 f.; vom 17. Oktober 1991 – 4 StR 465/91, BGHR StGB § 323a Abs. 2 Strafzumessung 5). In seinem Urteil vom 7. Mai 1957 (5 StR 127/57, BGHSt 10, 247), auf das sich das angefochtene Urteil zur Begründung seiner Ablehnung einer Strafbarkeit des Angeklagten wegen Vollrauschs der Sache nach wohl bezieht, hat der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs zwar verlangt, dass der Täter weiß oder wissen muss, er könne im Rausch „irgendwelche Ausschreitungen strafbarer Art begehen“ (BGH aaO, 251); eine solche Voraussicht verstehe sich jedoch in aller Re- gel von selbst.
Mutzbauer Sander Schneider
Berger Mosbacher

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Strafgesetzbuch - StGB | § 21 Verminderte Schuldfähigkeit


Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Strafgesetzbuch - StGB | § 20 Schuldunfähigkeit wegen seelischer Störungen


Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der

Strafgesetzbuch - StGB | § 224 Gefährliche Körperverletzung


(1) Wer die Körperverletzung 1. durch Beibringung von Gift oder anderen gesundheitsschädlichen Stoffen,2. mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs,3. mittels eines hinterlistigen Überfalls,4. mit einem anderen Beteiligten gemeins

Strafgesetzbuch - StGB | § 52 Tateinheit


(1) Verletzt dieselbe Handlung mehrere Strafgesetze oder dasselbe Strafgesetz mehrmals, so wird nur auf eine Strafe erkannt. (2) Sind mehrere Strafgesetze verletzt, so wird die Strafe nach dem Gesetz bestimmt, das die schwerste Strafe androht. Sie d

Strafgesetzbuch - StGB | § 53 Tatmehrheit


(1) Hat jemand mehrere Straftaten begangen, die gleichzeitig abgeurteilt werden, und dadurch mehrere Freiheitsstrafen oder mehrere Geldstrafen verwirkt, so wird auf eine Gesamtstrafe erkannt. (2) Trifft Freiheitsstrafe mit Geldstrafe zusammen, so wi

Strafgesetzbuch - StGB | § 212 Totschlag


(1) Wer einen Menschen tötet, ohne Mörder zu sein, wird als Totschläger mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft. (2) In besonders schweren Fällen ist auf lebenslange Freiheitsstrafe zu erkennen.

Strafgesetzbuch - StGB | § 223 Körperverletzung


(1) Wer eine andere Person körperlich mißhandelt oder an der Gesundheit schädigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Der Versuch ist strafbar.

Strafgesetzbuch - StGB | § 23 Strafbarkeit des Versuchs


(1) Der Versuch eines Verbrechens ist stets strafbar, der Versuch eines Vergehens nur dann, wenn das Gesetz es ausdrücklich bestimmt. (2) Der Versuch kann milder bestraft werden als die vollendete Tat (§ 49 Abs. 1). (3) Hat der Täter aus grobem Unv

Strafgesetzbuch - StGB | § 22 Begriffsbestimmung


Eine Straftat versucht, wer nach seiner Vorstellung von der Tat zur Verwirklichung des Tatbestandes unmittelbar ansetzt.

Strafprozeßordnung - StPO | § 301 Wirkung eines Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft


Jedes von der Staatsanwaltschaft eingelegte Rechtsmittel hat die Wirkung, daß die angefochtene Entscheidung auch zugunsten des Beschuldigten abgeändert oder aufgehoben werden kann.

Strafgesetzbuch - StGB | § 226 Schwere Körperverletzung


(1) Hat die Körperverletzung zur Folge, daß die verletzte Person 1. das Sehvermögen auf einem Auge oder beiden Augen, das Gehör, das Sprechvermögen oder die Fortpflanzungsfähigkeit verliert,2. ein wichtiges Glied des Körpers verliert oder dauernd nic

Strafgesetzbuch - StGB | § 323a Vollrausch


(1) Wer sich vorsätzlich oder fahrlässig durch alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel in einen Rausch versetzt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wenn er in diesem Zustand eine rechtswidrige Tat

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(1) Hat jemand mehrere Straftaten begangen, die gleichzeitig abgeurteilt werden, und dadurch mehrere Freiheitsstrafen oder mehrere Geldstrafen verwirkt, so wird auf eine Gesamtstrafe erkannt.

(2) Trifft Freiheitsstrafe mit Geldstrafe zusammen, so wird auf eine Gesamtstrafe erkannt. Jedoch kann das Gericht auf Geldstrafe auch gesondert erkennen; soll in diesen Fällen wegen mehrerer Straftaten Geldstrafe verhängt werden, so wird insoweit auf eine Gesamtgeldstrafe erkannt.

(3) § 52 Abs. 3 und 4 gilt sinngemäß.

(1) Wer einen Menschen tötet, ohne Mörder zu sein, wird als Totschläger mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft.

(2) In besonders schweren Fällen ist auf lebenslange Freiheitsstrafe zu erkennen.

(1) Wer eine andere Person körperlich mißhandelt oder an der Gesundheit schädigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(1) Wer die Körperverletzung

1.
durch Beibringung von Gift oder anderen gesundheitsschädlichen Stoffen,
2.
mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs,
3.
mittels eines hinterlistigen Überfalls,
4.
mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich oder
5.
mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung
begeht, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(1) Hat die Körperverletzung zur Folge, daß die verletzte Person

1.
das Sehvermögen auf einem Auge oder beiden Augen, das Gehör, das Sprechvermögen oder die Fortpflanzungsfähigkeit verliert,
2.
ein wichtiges Glied des Körpers verliert oder dauernd nicht mehr gebrauchen kann oder
3.
in erheblicher Weise dauernd entstellt wird oder in Siechtum, Lähmung oder geistige Krankheit oder Behinderung verfällt,
so ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren.

(2) Verursacht der Täter eine der in Absatz 1 bezeichneten Folgen absichtlich oder wissentlich, so ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren.

(3) In minder schweren Fällen des Absatzes 1 ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren, in minder schweren Fällen des Absatzes 2 auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.

Eine Straftat versucht, wer nach seiner Vorstellung von der Tat zur Verwirklichung des Tatbestandes unmittelbar ansetzt.

(1) Der Versuch eines Verbrechens ist stets strafbar, der Versuch eines Vergehens nur dann, wenn das Gesetz es ausdrücklich bestimmt.

(2) Der Versuch kann milder bestraft werden als die vollendete Tat (§ 49 Abs. 1).

(3) Hat der Täter aus grobem Unverstand verkannt, daß der Versuch nach der Art des Gegenstandes, an dem, oder des Mittels, mit dem die Tat begangen werden sollte, überhaupt nicht zur Vollendung führen konnte, so kann das Gericht von Strafe absehen oder die Strafe nach seinem Ermessen mildern (§ 49 Abs. 2).

(1) Verletzt dieselbe Handlung mehrere Strafgesetze oder dasselbe Strafgesetz mehrmals, so wird nur auf eine Strafe erkannt.

(2) Sind mehrere Strafgesetze verletzt, so wird die Strafe nach dem Gesetz bestimmt, das die schwerste Strafe androht. Sie darf nicht milder sein, als die anderen anwendbaren Gesetze es zulassen.

(3) Geldstrafe kann das Gericht unter den Voraussetzungen des § 41 neben Freiheitsstrafe gesondert verhängen.

(4) Auf Nebenstrafen, Nebenfolgen und Maßnahmen (§ 11 Absatz 1 Nummer 8) muss oder kann erkannt werden, wenn eines der anwendbaren Gesetze dies vorschreibt oder zulässt.

Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.

(1) Wer sich vorsätzlich oder fahrlässig durch alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel in einen Rausch versetzt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wenn er in diesem Zustand eine rechtswidrige Tat begeht und ihretwegen nicht bestraft werden kann, weil er infolge des Rausches schuldunfähig war oder weil dies nicht auszuschließen ist.

(2) Die Strafe darf nicht schwerer sein als die Strafe, die für die im Rausch begangene Tat angedroht ist.

(3) Die Tat wird nur auf Antrag, mit Ermächtigung oder auf Strafverlangen verfolgt, wenn die Rauschtat nur auf Antrag, mit Ermächtigung oder auf Strafverlangen verfolgt werden könnte.

5 StR 24/11

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 23. Februar 2011
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Totschlags u.a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 23. Februar 2011

beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 30. September 2010 nach § 349 Abs. 4 StPO mit den zugehörigen Feststellungen im Rechtsfolgenausspruch aufgehoben.
Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten erzielt mit der allgemeinen Sachrüge den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
Der Rechtsfolgenausspruch hat keinen Bestand, weil das Landgericht die Voraussetzungen des § 21 StGB nicht rechtsfehlerfrei ausgeschlossen hat. Das gilt schon im Hinblick darauf, dass sich das Urteil auf eine Mitteilung einer Tatzeit-Blutalkoholkonzentration von 2,1 ‰ beschränkt, die zur revisionsgerichtlichen Prüfung erforderlichen Anknüpfungstatsachen für deren Berechnung aber nicht mitteilt (st. Rspr., vgl. etwa BGH, Beschluss vom 16. Ju- li 2003 – 2 StR 209/03, NStZ-RR 2003, 325 mwN). Hinzu kommt, dass die Strafkammer keinen Sachverständigen hinzugezogen hat. Sie hat dabei verkannt , dass die richterliche Sachkunde für die Beurteilung der Schuldfähigkeit jedenfalls bei Auftreten von Besonderheiten in der Regel nicht ausreicht (vgl. BGH, Beschluss vom 28. September 2004 – 1 StR 317/04, BGHR StGB § 21 Sachverständiger 12; Fischer, StGB, 58. Aufl., § 20 Rn. 16, 32 mwN). Solche Besonderheiten waren hier angesichts der nicht geringen Alkoholisierung des unbestraften und bislang auch sonst nicht durch Gewaltakte aufgefallenen 57-jährigen Angeklagten in Verbindung mit der Impulsivität seiner an dem ihm zuvor unbekannten Tatopfer verübten Tat gegeben. Bereits angesichts dessen, dass das Landgericht die Strafe dem Regelstrafrahmen der gefährlichen Körperverletzung nach § 224 Abs. 1 StGB entnommen hat, kann der Angeklagte durch den Rechtsfehler beschwert sein.
3
Das Vorliegen einer Schuldunfähigkeit des Angeklagten schließt der Senat aus. Er hebt den gesamten Rechtsfolgenausspruch auf. Das neu entscheidende Tatgericht wird mit Hilfe des Sachverständigen auch die Frage einer – sich hier allerdings nicht aufdrängenden – Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) sorgfältiger zu prüfen haben, als dies im angefochtenen Urteil geschehen ist.
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Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 512/15
vom
11. Februar 2016
in der Strafsache
gegen
wegen schweren Raubes u.a.
ECLI:DE:BGH:2016:110216B2STR512.15.0

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 11. Februar 2016 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Aachen vom 18. Juni 2015, soweit der Angeklagte verurteilt worden ist, mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freispruch im Übrigen wegen schweren Raubes in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung und wegen Verstoßes gegen Weisungen während der Führungsaufsicht in 91 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt und seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Die Revision des Angeklagten führt zur Aufhebung des Urteils (§ 349 Abs. 4 StPO).
2
1. Der Schuldspruch wegen schweren Raubes in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung – Fall 1 der Urteilsgründe – hat keinen Bestand. Das Landgericht hat seine Überzeugung, dass der Angeklagte zur Tatzeit voll schuldfähig gewesen ist, nicht tragfähig begründet.
3
a) Nach den Feststellungen begab sich der zur Tatzeit 26 Jahre alte, unter Führungsaufsicht und unter Betreuung stehende Angeklagte am Abend des 11. November 2014 zu seiner Nachbarin, der 67 Jahre alten Nebenklägerin A. . Er hatte spontan den Entschluss gefasst, sie auszurauben, weil er wusste, dass die Nebenklägerin, mit der er eine kurze intime Beziehung geführt hatte, stets erhebliche Bargeldbeträge in ihrer Wohnung aufbewahrte. Er führte eine Plastiktüte mit sich, um sie der Nebenklägerin über den Kopf zu stülpen, damit sie ihn nicht als Täter identifiziere; außerdem hatte er Schnürsenkel als Fesselwerkzeug bei sich. In Ausführung seines Tatentschlusses klingelte er an der Tür seiner Nachbarin, stülpte der ihm die Haustüre öffnenden und ihn erkennenden Nebenklägerin die Plastiktüte über den Kopf und brachte sie zu Boden. Er würgte die sich wehrende Nebenklägerin mehrfach fast bis zum Eintritt der Bewusstlosigkeit und nahm dabei eine mögliche Verletzung des Tatopfers billigend in Kauf. Er fesselte sie mit Hilfe der Schnürsenkel, trug sie in das Schlafzimmer und legte sie auf das Bett. Anschließend nahm er aus ihrer Brieftasche einen Bargeldbetrag in Höhe von 1.200 € an sich und verließ die Wohnung unter Mitnahme weiterer Wertgegenstände. Die Nebenklägerin erlitt mehrere Prellungen. Der Angeklagte begab sich zu Bekannten, mit denen er zuvor den Abend verbracht hatte und denen er die Tat gestand. Nachdem diese ihn deshalb der Wohnung verwiesen hatten, begab er sich zu einem Freund, besuchte mit diesem eine Spielothek und schließlich ein Bordell. Am Folgetag wurde der Angeklagte festgenommen, als er seiner täglichen Meldepflicht auf einem Polizeirevier nachkam.
4
b) Die Ausführungen, mit denen das sachverständig beratene Landgericht die Annahme voller Schuldfähigkeit begründet hat, halten revisionsgerichtlicher Überprüfung nicht stand.
5
aa) Die Frage, ob die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten bei Tatbegehung aufgrund einer festgestellten Störung im Sinne des § 21 StGB erheblich vermindert oder im Sinne des § 20 StGB aufgehoben war, ist eine Rechtsfrage, die der Tatrichter unter Darlegung der fachwissenschaftlichen Beurteilung durch den Sachverständigen, letztlich aber ohne Bindung an dessen Ausführungen, in eigener Verantwortung zu entscheiden hat (BGH, Beschluss vom 19. November 2014 – 4 StR 497/14). Schließt er sich dabei der Beurteilung des Sachverständigen an, muss er dessen wesentliche Anknüpfungspunkte und Darlegungen in den Urteilsgründen so wiedergeben, wie dies zum Verständnis des Gutachtens und zur Beurteilung seiner Schlüssigkeit erforderlich ist (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 19. November 2014 – 4 StR 497/14; Beschluss vom 2. Oktober 2007 – 3 StR 412/07, NStZ-RR 2008, 39).
6
bb) Hieran fehlt es. Die Urteilsausführungen sind auf die Mitteilung beschränkt , dass der Sachverständige bei dem zur Tatzeit 26 Jahre alten Angeklagten eine kombinierte Persönlichkeitsstörung mit emotional-instabilen und dissozialen Persönlichkeitsmerkmalen sowie – bei einem Intelligenzquotienten von 59 – eine leichte Intelligenzminderung ohne Verhaltensstörung diagnostiziert und ausgeführt hat, dass sich hieraus keine „Aufhebung bzw. erhebliche Einschränkung seiner Schuldfähigkeit“ ergebe. Nähere Ausführungen des Sachverständigen zu Art und Ausmaß des beim Angeklagten vorliegenden Störungsbilds sowie zu seinem Einfluss auf die Tatbegehung enthält das Urteil nicht. Zwar ist im Rahmen der Prüfung des Hangs im Sinne des § 66 StGB ausgeführt, dass der Angeklagte sämtliche Kriterien einer dissozialen Persönlichkeitsstörung erfülle; darüber hinaus findet sich im Rahmen der Gefährlich- keitsprognose der Hinweis des Sachverständigen, dass die beim Angeklagten bestehende „erheblich beeinträchtigte Einsichtsfähigkeit“ als ein erheblicher Risikofaktor für künftige Delinquenz anzusehen sei. Dies und der Hinweis auf „ausgeprägte[n] Sozialisationsdefizite“ sowie die ebenfalls sachverständig beschriebenen deutlichen „Einschränkungen in der Persönlichkeitsentwicklung“ des Angeklagten wecken Zweifel an der Einschätzung der Sachverständigen, der Angeklagte habe zum Tatzeitpunkt nicht nur das Unrecht seines Tuns in vollem Umfang einsehen, sondern auch nach dieser Einsicht handeln können. Angesichts der Auffälligkeiten in der Persönlichkeit des Angeklagten, der sich bereits als Jugendlicher und zuletzt im Frühsommer 2014 in psychiatrischer Behandlung befunden hat, kann der Schuldspruch wegen Raubes keinen Bestand haben. Die Frage der Schuldfähigkeit des Angeklagten bedarf neuer Verhandlung und Entscheidung.
7
2. Auch die Verurteilung wegen Weisungsverstoßes in der Führungsaufsicht in 91 Fällen kann keinen Bestand haben. Insoweit fehlt es bereits an den erforderlichen Feststellungen.
8
a) § 145a StGB gleicht einer Blankettvorschrift, deren Tatbestand erst durch genaue Bestimmung der Führungsaufsichtsweisung ausgefüllt wird; erst hierdurch wird die Vereinbarkeit der Norm mit Art. 103 Abs. 2 GG gewährleistet. Voraussetzung für eine Bestrafung nach § 145a StGB ist deshalb, dass die Weisung rechtsfehlerfrei ist (vgl. BGH, Urteil vom 7. Februar 2013 – 3 StR 486/12, BGHSt 58, 136, 138; Beschluss vom 19. August 2015 – 5 StR 275/15, StraFo 2015, 471, 472). Verstöße gegen unbestimmte, unzulässige oder unzumutbare Weisungen können die Strafbarkeit nach § 145a StGB nicht begründen. Dabei handelt es sich um ein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal, dessen Vorliegen der Tatrichter in den Urteilsgründen darzutun hat (BGH, aaO).
9
In Anbetracht des Bestimmtheitsgebots des Art. 103 Abs. 2 GG und der Tatsache, dass § 68b Abs. 2 StGB auch nicht strafbewehrte Weisungen ermöglicht , muss auch der Beschluss über die Führungsaufsicht jedenfalls auszugsweise wiedergegeben werden, damit geprüft werden kann, ob im Führungsaufsichtsbeschluss unmissverständlich klargestellt ist, dass es sich bei den in Rede stehenden Weisungen um gemäß § 68b Abs. 1 StGB strafbewehrte Weisungen handelt (BGH, Beschluss vom 19. August 2015 - 5 StR 275/15, StraFo 2015, 471, 472; vgl. OLG Karlsruhe, NStZ-RR 2011, 30).
10
b) Hieran fehlt es. Das angegriffene Urteil gibt weder die Führungsaufsichtsbeschlüsse noch die darin enthaltenen Weisungen im Einzelnen wieder. Ausführungen zu Bestimmtheit, Zulässigkeit und Zumutbarkeit der Weisungen enthält das angegriffene Urteil nicht. Bei dieser Sachlage können die Schuldsprüche keinen Bestand haben. Die Sache bedarf daher auch insoweit neuer Verhandlung und Entscheidung.
11
Für das neue Verfahren weist der Senat vorsorglich darauf hin, dass das vom Angeklagten pauschal abgelegte Geständnis, er habe regelmäßig Cannabis konsumiert, einer sorgfältigen Glaubhaftigkeitsprüfung zu unterziehen sein wird. Hierbei wird insbesondere zu würdigen sein, dass der den Angeklagten im Rahmen des Programms zur Betreuung besonders rückfallgefährdeter Sexualstraftäter betreuende Polizeibeamte H. bekundet hat, dass die wöchentlich oder zweiwöchentlich durchgeführten Urinkontrollen sämtlich unauffällig waren und er den Angeklagten nie unter dem Einfluss von Betäubungsmitteln stehend angetroffen hat. Dies und der Umstand, dass der an einer Intelligenzminderung leidende Angeklagte sich – soweit ersichtlich grundlos – selbst als „großen Drogenhändler“ bezeichnete, erfordert es, sein Geständnis in die- sem und in allen anderen Fällen einer besonders sorgfältigen und kritischen Prüfung zu unterziehen.
12
3. Die Aufhebung des Schuldspruchs zieht die Aufhebung des Maßregelausspruchs nach sich. Fischer Appl Ott Zeng Bartel

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 369/09
vom
27. Oktober 2009
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 27. Oktober 2009 gemäß
§ 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hannover vom 24. April 2009 mit den Feststellungen aufgehoben ; jedoch bleiben die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen aufrechterhalten.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf der gefährlichen Körperverletzung (in zwei Fällen) wegen Schuldunfähigkeit bei Begehung der Tat (§ 20 StGB) freigesprochen und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet (§ 63 StGB). Hiergegen wendet sich die Revision des Angeklagten mit der Rüge der Verletzung sachlichen Rechts. Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils. Jedoch können die rechtsfeh- lerfrei getroffenen Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO).
2
1. Die vom Landgericht angenommene Schuldunfähigkeit des Angeklagten bei Begehung der Tat wird durch das angefochtene Urteil nicht hinreichend belegt. Das Landgericht hat sich im Rahmen der Beweiswürdigung nicht in dem hier notwendigen Umfang mit der Frage befasst, ob die festgestellten rechtswidrigen Taten des Angeklagten in dem nach § 20 StGB erforderlichen inneren Zusammenhang mit seiner psychischen Erkrankung standen (s. dazu Fischer, StGB 56. Aufl. § 20 Rdn. 45 a m. w. N.). Damit ist aber die Grundvoraussetzung für die Anordnung der Maßregel nach § 63 StGB unzureichend dargetan; denn diese darf nur ergehen, wenn sicher feststeht, dass der Angeklagte bei Tatbegehung schuldunfähig oder (zumindest) in seiner Schuldfähigkeit erheblich vermindert im Sinne des § 21 StGB war (Fischer aaO § 63 Rdn. 11 m. w. N.).
3
a) Der Angeklagte hielt sich regelmäßig mit anderen Männern in einer Grün- und Parkanlage zum Biertrinken auf. Etwa drei Monate vor der Tat stieß der Geschädigte zu der Gruppe. Er war als "Stänkerer" bekannt, trank viel, warf Flaschen umher und stritt besonders mit dem Angeklagten. Dieser ging dem Geschädigten indes immer aus dem Weg. Am Tag vor der Tat hatte der Geschädigte Pfefferspray gekauft, um dieses gegen den Angeklagten einzusetzen. Der Angeklagte, dem das Vorhaben des Geschädigten berichtet worden war, hatte kein Interesse an einer Auseinandersetzung und ging diesem weiter aus dem Weg. Am Tattag saßen der Angeklagte und der Geschädigte mit zwei anderen aus der Gruppe auf einer Bank in der Parkanlage. Nach einiger Zeit stand der Geschädigte plötzlich auf, stellte sich vor den Angeklagten und sprühte diesem unvermittelt Pfefferspray in die Augen. Der Angeklagte, der Probleme mit den Augen hatte und nur über 20% Sehkraft verfügte, wusch sich daraufhin die Augen mit Bier aus. Der Geschädigte fragte provozierend: "Na, brennt`s schön?" Der Angeklagte geriet nun in Wut und ging nach einer kleinen Pause auf den Geschädigten los. Er riss ihn zu Boden, schlug auf ihn ein und traktierte den auf dem Boden Liegenden mit Faustschlägen in das Gesicht. Er trat mehrmals von oben mit dem beschuhten Fuß auf den Kopf des Opfers ein und versetzte diesem einen Kopfstoß. Anschließend ließ er von dem am Boden Liegenden ab und setzte sich wieder auf die Bank. Als der Geschädigte versuchte, sich wieder aufzurichten, kehrte der Angeklagte zu diesem zurück, sprang auf dessen rechten Arm und trat mindestens zweimal von oben in das Gesicht des Opfers. Der lebensbedrohlich Verletzte musste auf die Intensivstation eines Krankenhauses verbracht und dort behandelt werden.
4
b) Die Strafkammer ist - dem Gutachten der psychiatrischen Sachverständigen folgend - davon ausgegangen, dass die Einsichtsfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit infolge einer krankhaften seelischen Störung aufgehoben und darüber hinaus dessen Steuerungsfähigkeit aufgrund einer Alkoholintoxikation erheblich eingeschränkt gewesen sei. Beim Angeklagten habe eine wahnhafte Symptomatik infolge einer mehrjährigen paranoiden Schizophrenie (etwa seit 2002) vorgelegen. Er verfüge über ein komplexes Wahnsystem, teile die Welt in "Gut und Böse" ein, sehe sich selbst als gut und wolle die Welt retten. Reale Wahrnehmungen beziehe er immer auf sich. Zum Tathergang entstehe unter psychodynamischen und psychopathologischen Gesichtspunkten ein Bild, in welchem der Angeklagte bereits in vorherigen Kontakten mit dem späteren Opfer misstrauische bis ängstliche Affekte entwickelt habe und zunehmend zu der Überzeugung gelangt sei, dass das spätere Opfer eine Bedrohung für den Frieden im Park und die dortigen Personen, im Wesentlichen jedoch für ihn selbst, darstelle. Der Geschädigte habe im System des Angeklagten nichts Gutes verkörpert. Der Angeklagte habe seine Ruhe haben wollen und sich deshalb http://www.juris.de/jportal/portal/t/s8x/page/jurisw.psml?pid=Dokumentanzeige&showdoccase=1&js_peid=Trefferliste&documentnumber=1&numberofresults=18&fromdoctodoc=yes&doc.id=BJNR006290950BJNE036104301&doc.part=S&doc.price=0.0#focuspoint - 5 - das Umfeld biertrinkender älterer Männer gesucht, das für ihn keine Bedrohung bedeutet hätte. Das Auftauchen des Geschädigten habe bei ihm zu einer ängstlichen Gespanntheit geführt, zu einem Gefühl, vor der Person nie Ruhe zu haben. Im Rahmen der Auseinandersetzung und durch das Besprühen mit dem Pfefferspray habe diese Ansicht noch zugenommen. Der wesentliche kausale und symptomatische Zusammenhang zwischen der Erkrankung des Angeklagten und seiner Tat sei "vor dem lange bestehenden Wahnsystem mit Einteilung der Welt in Gut und Böse und sich selbst auf der Seite des Guten gegen das Böse kämpfend zu sehen. Der Angeklagte habe sich während der Tat und auch jetzt noch in der Hauptverhandlung als Opfer erlebt, das rechtmäßig gehandelt habe und für das in seinem Gerechtigkeitserleben keine andere Möglichkeit gegeben war. Er habe den Park vom bösen Dylka befreien wollen."
5
c) Damit ist nicht hinreichend belegt, dass der Angeklagte zum Zeitpunkt der Tat als Folge seiner krankhaften seelischen Störung unfähig war, das Unrecht der Tat einzusehen.
6
Voraussetzung für einen Schuldausschluss gemäß § 20 StGB ist, dass bei dem Täter eine - einem der in dieser Vorschrift genannten psychopathologischen Eingangsmerkmale zu subsumierende - Störung der Geistestätigkeit vorlag , die dessen psychische Funktionsfähigkeit in einem Umfang beeinträchtigte, dass die normativ erwartete soziale Anpassungsfähigkeit bei der Tatbegehung ausgeschlossen war. Bei der Entscheidung, ob dies der Fall war, wird der Richter zwar häufig - soweit die Verhängung von Maßregeln in Betracht kommt stets (vgl. § 246 a StPO) - auf die Hilfe eines Sachverständigen angewiesen sein und von diesem Ausführungen zur Diagnose einer psychischen Störung, zu deren Schweregrad und deren innerer Beziehung zur Tat erwarten. Gleichwohl handelt es sich sowohl bei der Bejahung eines der Eingangsmerkmale des § 20 StGB als auch bei der Annahme eingeschränkter oder fehlender Schuldfähig- keit um Rechtsfragen. Der Tatrichter hat daher zum einen bei der Entscheidung darüber die Darlegungen des Sachverständigen zu überprüfen; zum anderen ist er verpflichtet, seine Entscheidung in einer für das Revisionsgericht nachprüfbaren Weise zu begründen (vgl. BGH NStZ-RR 2007, 74; BGH StraFo 2003, 282; Fischer aaO § 20 Rdn. 3, 44 m. w. N.). An beiden Erfordernissen fehlt es im Hinblick auf die Notwendigkeit einer inneren Beziehung der psychischen Störung des Angeklagten zu seiner Tat. Das Landgericht hat sich nicht mit der Auffassung der Sachverständigen auseinandergesetzt, es bestehe der erforderliche kausale und symptomatische Zusammenhang zwischen der diagnostizierten Schizophrenie des Angeklagten und der Tat. Dieser verstand sich unter den festgestellten Umständen nicht von selbst. Vielmehr bestand für ein Hinterfragen dieses Ergebnisses der Sachverständigen Anlass, weil der Angeklagte dem ihn provozierenden Geschädigten schon längere Zeit vor dem Tattag stets "aus dem Weg gegangen" war und dies auch dann noch tat, als er von dessen geplanter Pfeffersprayattacke gegen ihn erfahren hatte. Erst nachdem der Geschädigte dieses Reizmittel tatsächlich gegen ihn eingesetzt und ihn dadurch an einem empfindlichen sowie vorgeschädigten Sinnesorgan nicht unerheblich beeinträchtigt hatte, beging er - zudem erst nach einer weiteren verbalen Provokation durch den Geschädigten und einer kurzen Pause - die gegenständliche Gewalttat. Dieser Verlauf spricht eher dagegen, dass der Angeklagte sich in Verkennung der Realität als Opfer des Geschädigten empfand, weil er diesen in sein Wahnsystem der Einteilung der Welt in Gut und Böse auf Seiten des Bösen einordnete, das es zu bekämpfen gelte. Denn der Geschädigte hatte vor dem Hintergrund längerer Provokationen durch sein Verhalten am Tattag dem Angeklagten, der sich einer Konfrontation mit dem Geschädigten bis dahin bewusst entzogen hatte, einen zumindest nachvollziehbaren, konkreten Anlass zu dessen Vorgehen gegeben. Das angefochtene Urteil lässt daher eine schlüssige Begründung für die Annahme vermissen, die Einsichtsfähigkeit des Ange- klagten sei bei der Tatbegehung infolge seiner paranoiden Schizophrenie aufgehoben gewesen.
7
Auch soweit das Landgericht - der Sachverständigen folgend - eine erhebliche Einschränkung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten aufgrund einer akuten Alkoholintoxikation feststellt, hält das Urteil rechtlicher Prüfung nicht stand und vermag daher die Unterbringungsanordnung ebenfalls nicht zu tragen. Abgesehen davon, dass zwischen Beeinträchtigungen der Einsichts- und der Steuerungsfähigkeit - gerade wenn die Unterbringung nach § 63 StGB in Rede steht - zu differenzieren ist und beides an sich nicht gleichzeitig vorliegen kann (Fischer aaO § 20 Rdn. 44 a f. m. w. N.), fehlt dem Urteil jede Begründung für die Annahme alkoholbedingter erheblicher Verminderung der Steuerungsfähigkeit. Lediglich die Tatzeitblutalkoholkonzentration wird mitgeteilt. Auch zur eventuellen Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit aufgrund Zusammenwirkens von Schizophrenie und Alkoholisierung verhalten sich die Urteilsgründe nicht.
8
Die Beweiswürdigung des Landgerichts zur Schuldfähigkeit des Angeklagten erweist sich daher insgesamt als lückenhaft, so dass die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus keinen Bestand haben kann.
9
2. Die Sache bedarf insgesamt der neuen Verhandlung und Entscheidung. Der Senat war durch den Umstand, dass allein der Angeklagte Revision eingelegt hat, nicht gehindert, auch den Freispruch aufzuheben; denn durch das Gesetz zur Sicherung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und in einer Entziehungsanstalt vom 16. Juli 2007 (BGBl I 1327) wurde der frühere Rechtszustand dahin geändert, dass es gemäß § 358 Abs. 2 Satz 2 StPO nunmehr möglich ist, in einer neuen Hauptverhandlung an Stelle der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus den Täter schuldig zu sprechen und eine Strafe zu verhängen. Dies bedeutet, dass auf die Revision des Angeklagten in Fällen wie dem vorliegenden ein Freispruch aufgehoben werden kann (vgl. Kuckein in KK 6. Aufl. § 358 Rdn. 24 a). Die Aufhebung (auch) des Freispruchs entspricht im vorliegenden Fall dem Ziel des Gesetzgebers , durch die Neuregelung zu vermeiden, dass nach einer erfolgreichen Revision eines Angeklagten gegen die alleinige Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus wegen angenommener Schuldunfähigkeit gemäß § 20 StGB die Tat ohne strafrechtliche Sanktion bleibt, wenn sich in der neuen Hauptverhandlung herausstellt, dass der Angeklagte bei Begehung der Tat schuldfähig war. Das Gericht bleibt jedoch gehindert, nach Aufhebung einer isoliert angeordneten Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus erneut die Unterbringung anzuordnen und zugleich erstmals Strafe zu verhängen (vgl. BTDrucks. 16/1344 S. 17 f.).
10
3. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
11
Die rechtliche Würdigung der Tathandlungen des Angeklagten als zwei selbständige Vergehen der gefährlichen Körperverletzung begegnet angesichts der getroffenen Feststellungen im Hinblick auf die Rechtsfigur der natürlichen Handlungseinheit rechtlichen Bedenken (vgl. Fischer aaO vor § 52 Rdn. 3 ff.).
12
Mit Blick auf die bei Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB an die erforderliche Gefährlichkeitsprognose zu stellenden erhöhten Begründungsanforderungen (vgl. BGH NStZ-RR 2009, 306) wird es sich gegebenenfalls empfehlen, die Sachverhalte, die den seit dem 5. April 2005 von der Staatsanwaltschaft wegen Schuldunfähigkeit des Angeklagten eingestellten Ermittlungsverfahren zugrunde lagen, festzustellen und eventuelle Einlassungen des Angeklagten hierzu mitzuteilen.
13
Der neue Tatrichter sollte erwägen, einen anderen Sachverständigen heranzuziehen.
Becker Pfister von Lienen Sost-Scheible Hubert

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 542/07
vom
24. Januar 2008
in der Strafsache
gegen
wegen Körperverletzung mit Todesfolge
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 24. Januar 2008 gemäß § 349
Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bielefeld vom 28. Juni 2007 mit den Feststellungen aufgehoben; die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen - mit Ausnahme derjenigen zur Alkoholaufnahme durch den Angeklagten - bleiben jedoch bestehen. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Körperverletzung mit Todesfolge zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt. Mit seiner hiergegen eingelegten Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge im Wesentlichen Erfolg; die Verfahrensrügen versagen dagegen aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts genannten Gründen.
2
1. Nach den Feststellungen kam es zwischen dem Angeklagten und seiner Ehefrau kurz vor Mitternacht zu einer verbalen Auseinandersetzung. Da- nach versetzte der Angeklagte seinem körperlich deutlich unterlegenen Opfer bis gegen 4.00 Uhr morgens eine Vielzahl massiver Schläge, die unter anderem zu Lungen- und Leberverletzungen sowie zahlreichen Rippenbrüchen führten. Sodann legte er die Schwerverletzte in ihr Bett, deckte sie zu und kümmerte sich nicht mehr um sie. Die Ehefrau verstarb an ihren unbehandelten inneren Verletzungen, die sie etwa eine Stunde überlebt hatte.
3
Gegen 15.50 Uhr rief der Angeklagte im Treppenhaus um Hilfe. Gegenüber der kurz darauf eintreffenden Polizei räumte er seine Täterschaft spontan ein; auf den Notarzt wirkte er intoxikiert, aber gewahrsamsfähig. Die Auswertung der ihm um 18.00 bzw. 18.30 Uhr entnommenen Blutproben ergab Blutalkoholkonzentrationen von 2,03 bzw. 1,95 ‰. Am folgenden Tag musste der Angeklagte wegen einer Methylalkoholvergiftung einer stationären Behandlung zugeführt werden. Zu Gunsten des Angeklagten ist die Strafkammer davon ausgegangen, dass dieser den gesamten Alkohol - nach seinen Angaben 2 Liter Bier und einen halben Liter selbst gebrannten polnischen Schnaps - bereits während des verbalen Streits und vor Beginn des eigentlichen Tatgeschehens zu sich genommen hatte. Unter Zugrundelegung dieser Alkoholmenge hat das Landgericht nach der Widmark-Formel eine Tatzeitblutalkoholkonzentration von 3,29 ‰ errechnet; der gehörte Sachverständige hat - ausgehend von dem Wert der um 18.00 Uhr entnommenen Blutprobe - rein rechnerisch eine solche von 3,5 ‰ für möglich gehalten. Hiervon ausgehend und unter Berücksichtigung der Art des konsumierten Schnapses vermochte der Sachverständige aus psychiatrischer Sicht eine völlige Aufhebung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit nicht auszuschließen. Das Landgericht hat dagegen nur eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit angenommen; eine Schuldunfähigkeit (§ 20 StGB) hat es unter Hinweis auf das Leistungsvermögen und die zumindest kurz nach der Tat vorhandene konkrete Erinnerung des Angeklagten an das Geschehen verneint.
4
2. Die Beurteilung der Schuldfähigkeit des Angeklagten durch die Strafkammer begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
5
a) Das Landgericht war zwar nicht gehindert, von dem Gutachten des vernommenen Sachverständigen abzuweichen; denn dieses kann stets nur eine Grundlage der eigenen Überzeugungsbildung sein (vgl. BGHR StPO § 261 Sachverständiger 5). Auch muss der Tatrichter nicht in jedem Fall, in dem er von dem Gutachten des in der Hauptverhandlung gehörten Sachverständigen abweichen will, einen weiteren Sachverständigen hinzuziehen. Voraussetzung ist aber, dass er die für die abweichende Beurteilung erforderliche Sachkunde besitzt, selbst wenn er erst durch das Gutachten genügend sachkundig geworden ist, um die Beweisfrage beurteilen zu können (vgl. BGH NStZ 2000, 437; vgl. auch Meyer-Goßner StPO 50. Aufl. § 244 Rdn. 75 m.w.N.).
6
Außerdem muss der Tatrichter, wenn er eine Frage, für die er geglaubt hat, des Rates eines Sachverständigen zu bedürfen, im Widerspruch zu dem Gutachten lösen will, nicht nur die maßgeblichen Darlegungen des Sachverständigen wiedergeben, sondern auch seine Gegenansicht unter Auseinandersetzung mit diesen begründen (st. Rspr.; vgl. BGHR StPO § 261 Sachverständiger 1; BGH NStZ-RR 1997, 172). Das ist hier nicht in ausreichendem Maße geschehen.
7
b) Nach den bisherigen Feststellungen wäre unter Zugrundelegung der im Urteil mitgeteilten Berechnung des Sachverständigen - ausgehend von den BAK-Werten der etwa 14 Stunden nach der Tat entnommenen Blutproben und auszuschließenden Nachtrunks (UA 32) - nicht nur von einer Tatzeitblutalkoholkonzentration von 3,5 ‰ - wie der Sachverständige meint -, sondern von einem noch höheren Wert auszugehen, da nach ständiger Rechtsprechung bei der Prüfung der Schuldfähigkeit ein stündlicher Abbauwert von 0,2 ‰ (und nicht von 0,1 ‰) und ein Sicherheitszuschlag von 0,2 ‰ zu Grunde zu legen ist (vgl. Fischer StGB 55. Aufl. § 20 Rdn. 13 m.w.N.). Die von der Strafkammer selbst errechnete Tatzeitblutalkoholkonzentration von 3,29 ‰ (UA 28) beruht auf reinen Vermutungen, weil weder der Alkoholgehalt des vom Angeklagten getrunkenen selbst gebrannten "polnischen Schnapses" noch Trinkzeiten feststehen (vgl. UA 31).
8
Allerdings wäre es aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden, wenn auch bei einem - rückgerechneten - sehr hohen Tatzeitblutalkoholwert dessen indiziellem Gewicht für eine Schuldfähigkeitsbeurteilung keine vorrangige Bedeutung vor anderen Beweisanzeichen beigemessen würde, weil zwischen der Tat und der Blutentnahme eine lange Zeit lag (vgl. BGHSt 35, 308, 315, 317). Das hat das Landgericht auch bedacht und gemeint, dass das vom Angeklagten gezeigte Leistungsverhalten, nämlich dass er "seine Ehefrau über längere Zeit mit erheblichem Kraftaufwand geschlagen, sie danach ins Bett gelegt und zugedeckt und sich daraufhin bis zum Nachmittag des Tattages ruhig in der Wohnung aufgehalten" und zumindest kurz nach der Tat noch "ein konkretes Erinnerungsvermögen" gezeigt hat (UA 28), gegen eine vollständige Aufhebung der Steuerungsfähigkeit spreche. Hierbei hat die Strafkammer allerdings verkannt, dass es sich im Wesentlichen um schlichte, für den schon wegen Körperverletzung vorbestraften Angeklagten im Hinblick auf das Schlagen auch nicht ungewöhnliche Verhaltensweisen handelte, nicht aber um aussagekräftige psychodiagnostische Beweisanzeichen. Als solche sind nur Umstände in Betracht zu ziehen, die Hinweise darauf geben können, ob das Steuerungsvermögen des Täters trotz der erheblichen Alkoholisierung (wenn auch nur erheblich vermindert ) erhalten geblieben ist (vgl. BGHR StGB § 21 Blutalkoholkonzentration 35). Den vom Landgericht herangezogenen Umständen kommt jedoch eine solche Aussagekraft weder einzeln noch in ihrer Gesamtheit zu (vgl. hierzu BGHSt 43, 66, 70 ff.; BGHR StGB § 20 Blutalkoholkonzentration 10, 16, 19; § 21 Blutalkoholkonzentration 37, 38).
9
3. Die Sache bedarf daher erneuter Verhandlung und Entscheidung. Hierzu wird es sich empfehlen, einen weiteren Sachverständigen hinzuzuziehen. Dieser wird auch dazu zu befragen sein, in welchem zeitlichen Abstand von der Aufnahme von Methylalkohol mit dem Auftreten von Vergiftungserscheinungen zu rechnen ist. Außerdem wird zu klären sein, ob Trinkmengenund Trinkzeitangaben des Angeklagten mit den Auswertungen der entnommenen Blutproben in Einklang zu bringen sind und ob gegebenenfalls ein Nachtrunk zu berücksichtigen ist (vgl. Fischer aaO).
10
Falls das neu entscheidende Tatgericht zu der Annahme kommen sollte, dass der Angeklagte zur Tatzeit nicht ausschließbar schuldunfähig war, wird es eine Strafbarkeit nach § 323 a StGB zu prüfen haben.
11
4. Da die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen - mit Ausnahme derjenigen zur Alkoholaufnahme durch den Angeklagten - rechtsfehlerfrei getroffen wurden, können sie aufrechterhalten bleiben. Ergänzende Feststellungen , die den getroffenen nicht widersprechen, sind möglich.
Kuckein Athing Solin-Stojanović
Ernemann Sost-Scheible
5 StR 638/99

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 10. Januar 2000
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Totschlags u. a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 10. Januar 2000

beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 6. September 1999 nach § 349 Abs. 4 StPO mit den Feststellungen aufgehoben; jedoch bleiben bezüglich der versuchten Tötungsdelikte die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen und zum Tötungsvorsatz aufrechterhalten ; die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

G r ü n d e Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Erwerbs und Besitzes einer halbautomatischen Selbstladekurzwaffe und wegen versuchten Totschlags in zwei Fällen, jeweils in Tateinheit mit unerlaubtem Führen einer halbautomatischen Selbstladekurzwaffe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt. Mit der Revision beanstandet der Angeklagte das Verfahren und rügt die Verletzung sachlichen Rechts. Die Verfahrensrügen sind nicht in der in § 344 Abs. 2 S. 2 StPO vorgeschriebenen Form erhoben und daher unzulässig. Die Sachrüge führt dagegen zu einer teilweisen Aufhebung des angefochtenen Urteils.
Nach den Feststellungen konnte der Angeklagte nicht verkraften, daß sich seine Freundin vor drei Jahren von ihm getrennt hatte und nur noch gelegentlich Kontakt zu ihm hielt. Er redete sich deshalb ein, sie sei psychisch krank, drogenabhängig und Mitglied einer Räuber- und Mörderbande. Obwohl er annahm, seine Freundin wolle ihn vergiften, weil er von all diesen sie belastenden Umständen wisse, wollte er ihr gleichwohl helfen und sie – notfalls gegen den Widerstand der Bandenmitglieder – retten. Am Tattag legte er eine Schutzweste an, steckte eine Pistole ein, die er einige Wochen zuvor erlangt hatte, und begab sich in die Wohnung von Bekannten, um Auskunft über den gegenwärtigen Aufenthaltsort seiner Freundin zu erhalten. Als er die gewünschte Auskunft nicht erhielt, schoß er zweimal in Tötungsabsicht auf den Zeugen T ; es löste sich zunächst jedoch kein Schuß. Einen weiteren Schuß, der den Zeugen nur knapp verfehlte, gab der Angeklagte ab, um den Zeugen zur Herausgabe der dem Angeklagten gehörenden Jakke zu veranlassen.
Abweichend von dem Gutachten der psychiatrischen Sachverständigen , die einen Ausschluß der Schuldfähigkeiten des Angeklagten bei allen Delikten für möglich erachtet hatte, hält das Landgericht den Angeklagten in Bezug auf den Erwerb der Schußwaffe für voll schuldfähig, in Bezug auf die versuchten Tötungsdelikte für eingeschränkt steuerungsfähig im Sinne des § 21 StGB. Daß die Taten des Angeklagten entsprechend den Darlegungen der Sachverständigen in ein “geschlossenes Wahnsystem“ einzuordnen und die Erstmanifestation einer paranoiden Schizophrenie sein könnten, schließt das Landgericht aus. Den Ausführungen der Sachverständigen könne insoweit nicht gefolgt werden, weil sie auf einem “klassischen In-Sich-Schluß“ und zudem auf einer unzutreffenden Tatsachengrundlage beruhten. Aufgrund eigener Sachkunde vertritt das Landgericht die Auffassung, der zum “Pseudologisieren“ neigende Angeklagte habe sich vor den Tötungsversuchen in ein psychotisches Erleben hineingesteigert, das allenfalls zu einer erheblichen Einschränkung der Steuerungsfähigkeit geführt habe; zudem sei die Einschränkung der Steuerungsfähigkeit beim ersten Tötungsversuch auch nicht in einem Maße ausgeprägt gewesen, das “an der Obergrenze der Erheblichkeit“ gelegen hätte, beim zweiten Tötungsversuch habe das Maß der Einschränkung der Steuerungsfähigkeit sogar “an der alleruntersten Grenze“ gelegen. Ursache für das psychotische Erleben sei keine psychische Erkrankung, sondern lediglich eine Charakterdeformation des Angeklagten gewesen. Beim Erwerb der Waffe sei die Schuldfähigkeit des Angeklagten voll erhalten gewesen, da er selbst eingeräumt habe, die Waffe nicht zum Schutz vor möglichen Angreifern erworben, sondern von seiner Freundin zur Aufbewahrung erhalten zu haben. Seine Sachkunde stützt das Landgericht auf die von der Sachverständigen erhobenen Befunde und auf Kenntnisse, die es aus der Fachliteratur und einer Vielzahl von Strafverfahren erworben habe, in denen andere Sachverständige Angeklagte mit vergleichbaren Charaktermängeln begutachtet hätten.
Die Annahme eigener Sachkunde durch das Landgericht begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Zwar muß der Tatrichter nicht in jedem Fall, in dem er von dem Gutachten des in der Hauptverhandlung gehörten Sachverständigen abweichen will, einen weiteren Sachverständigen hinzuziehen. Vielmehr kann er die für die abweichende Beurteilung erforderliche Sachkunde gerade auch auf die Ausführungen des gehörten Sachverständigen stützen (vgl. Gollwitzer in Löwe/Rosenberg 25. Aufl. § 244 Rdn. 8a m.w.N.). Dies kommt hier aber schon deshalb nicht in Betracht, weil die Sachkunde der Sachverständigen vom Landgericht ersichtlich in Zweifel gezogen worden ist. Ebensowenig reichte die Mitteilung der erhobenen Befunde aus, um dem Landgericht aufgrund der in anderen Verfahren gewonnenen Kenntnisse eine zuverlässige Diagnose zu ermöglichen. Derartiges mag bei einfach zu beurteilenden psychischen Auffälligkeiten, die in gleicher Weise immer wiederkehren, möglich sein. Ob bei einem Angeklagten, dessen Verhalten Anhaltspunkte für eine schwere psychische Erkrankung – hier eine beginnende Schizophrenie – zeigt, eine solche Erkrankung tatsächlich vorliegt und in welchem Maße sie gegebenenfalls die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit des Angeklagten beeinträchtigt hat, vermag jedoch nur ein psychiatrischer Sachverständiger mit entsprechendem Spezialwissen anhand des konkreten Falles zuverlässig zu beurteilen. Zudem hätte das Landgericht die Angaben des Angeklagten über die Beziehung zu seiner Freundin im Tatzeitraum und zum Erwerb der Waffe nicht ungeprüft übernehmen dürfen , weil diese Angaben Teil eines im wesentlichen auf die Freundin bezogenen Wahnsystems sein könnten.
Harms Basdorf Tepperwien Gerhardt Raum

Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 399/16
vom
21. Dezember 2016
in der Strafsache
gegen
wegen Körperverletzung u.a.
ECLI:DE:BGH:2016:211216U1STR399.16.0

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Hauptverhandlung vom 20. Dezember 2016 in der Sitzung am 21. Dezember 2016, an denen teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Dr. Raum, der Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Jäger, die Richterin am Bundesgerichtshof Cirener und die Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Mosbacher, Dr. Bär,
Staatsanwalt - in der Verhandlung vom 20. Dezember 2016 -, Staatsanwältin - bei der Verkündung am 21. Dezember 2016 - als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt , - in der Verhandlung vom 20. Dezember 2016 - als Verteidiger des Angeklagten,
Justizangestellte - in der Verhandlung vom 20. Dezember 2016 -, Justizobersekretärin - bei der Verkündung am 21. Dezember 2016 - als Urkundsbeamtinnen der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts München I vom 15. Februar 2016 mit den Feststellungen aufgehoben. Ausgenommen sind die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen. 2. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das vorgenannte Urteil mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben , soweit das Landgericht von einer Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus abgesehen hat. 3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der beiden Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 4. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird verworfen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen vorsätzlicher Körperverletzung in Tatmehrheit mit zwei tateinheitlichen Fällen der Beleidigung in Tateinheit mit Bedrohung in Tatmehrheit mit zwei tatmehrheitlichen Fällen der Beleidigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Monaten verurteilt. Hiergegen richtet sich die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten. Mit ihrer auf die Nichtanordnung der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus beschränkten Revision rügt die Staatsanwaltschaft ebenfalls die Verletzung materiellen Rechts.

I.

2
Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
3
1. Der Angeklagte hatte sich geweigert, in einem gegen Unbekannt geführten Ermittlungsverfahren freiwillig eine Speichelprobe abzugeben, weshalb seine Wohnung am 26. März 2015 gegen 6.00 Uhr von Spezialkräften der Polizei gewaltsam geöffnet wurde, um eine gerichtlich angeordnete zwangsweise Blutentnahme durchzuführen. In diesem Rahmen beleidigte der zu diesem Zweck fixierte und gesicherte Angeklagte zwei Polizeibeamte und drohte einem Beamten, dass er ihn umbringen werde, wenn er die Möglichkeit dazu bekomme.
4
Nachdem die Blutentnahme durchgeführt, die Sicherung gelöst worden war und die eingesetzten Polizeibeamten die Wohnung sukzessive verlassen hatten, verhielt sich der Angeklagte zunächst ruhig, versetzte aber an der Wohnungstür unvermittelt einem Polizeibeamten mit der rechten geballten Faust einen sehr wuchtigen Schlag ins Gesicht, so dass dieser in die Hocke ging. Der Beamte erlitt dadurch ein Schwindelgefühl, eine rechtsseitige Gesichtsprellung mit leichter Schwellung sowie eine leichte Halswirbeldistorsion mit starken Schmerzen, die mehrere Tage anhielten.
5
Nach erneuter Sicherung des Angeklagten durch die Polizeibeamten zeigte dieser einem Polizeibeamten seinen ausgestreckten rechten Mittelfinger und äußerte: „Fick‘ Dich in den Arsch, wir sind Feinde“. Nachdem der Angeklag- te auf Grund einer vorläufigen Festnahme zum Polizeipräsidium verbracht worden war, bezeichnete er einen am vorherigen Einsatz nicht beteiligten Polizei- beamten als „Du Arschloch“ und spuckte ihm zudem aus ein bis zwei Meter Entfernung in das Gesicht sowie auf dessen Kleidung.
6
2. Der Angeklagte ist bisher wegen Erschleichens von Leistungen in vier Fällen vorgeahndet und im Jahr 2013 zu einer Geldstrafe von 25 Tagessätzen zu je 30 Euro verurteilt worden. Vor den verfahrensgegenständlichen Taten gab es gegen den Angeklagten in den Jahren 2012 bis 2014 mehrere Ermittlungsverfahren , die jeweils nach § 153 oder § 154 StPO eingestellt wurden und deshalb nicht zu weiteren Verurteilungen führten. Insoweit hat das Landgericht gleichwohl folgende Feststellungen getroffen (UA S. 73-75): So hat der Angeklagte im Rahmen eines Gerangels nach einer Fahrscheinkontrolle einen Mitarbeiter der U-Bahn-Wache beleidigt und so in den Unterarm gebissen, dass dieser dadurch eine blutende Wunde erlitt. Bei einer weiteren Kontrolle in der U-Bahn hat der Angeklagte einem Mitarbeiter einen Schlag ins Gesicht sowie jeweils links und rechts in den Rumpf versetzt, wodurch dieser eine leichte Prellung im Gesicht und Schmerzen erlitt. In weiteren Ermittlungsverfahren setzte der Angeklagte mehrfach Notrufe ab, beleidigte die Beamten, die diese Gespräche entgegennahmen, und kündigte an, jeden „abzuschlachten“, der versuche seine Mutter zu töten, wobei er ein Messer zu Hause habe. Es erfolgten auch Bedrohungen und Beleidigungen eines Mitarbeiters des Kreisverwaltungsreferats. In der Wohnung des Angeklagten konnten bei Durchsuchungsmaßnahmen Munition für Langwaffen und pyrotechnische Gegenstände sichergestellt werden.
7
3. Der Angeklagte erkrankte im Jahr 2009 erstmals an Schizophrenie, weshalb eine stationär-psychiatrische Behandlung erforderlich war, wobei er auch medikamentös behandelt wurde. Im Anschluss an die stationäre Therapie folgte eine mehrere Monate andauernde weitere ambulante Behandlung. Das sachverständig beratene Landgericht geht davon aus, dass der Angeklagte auch im Tatzeitraum an einer paranoiden Schizophrenie mit unvollständiger Remission und damit an einer krankhaften seelischen Störung als Eingangsmerkmal i.S.d. § 20 StGB litt. Da es sich hierbei um ein Störungsbild handele, welches das Motivationsgefüge und Tatverhalten entscheidend geprägt habe, sei beim Angeklagten von einer erheblichen Minderung der Steuerungsfähigkeit i.S.d. § 21 StGB auszugehen. Im Rahmen der einstweiligen Unterbringung im zu Grunde liegenden Verfahren verweigerte der Angeklagte jegliche Medikation und zeigte keine Krankheitseinsicht.
8
4. Im Rahmen der Prüfung der Voraussetzungen des § 63 StGB für eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus kommt das Landgericht zu dem Ergebnis, dass der Angeklagte zwar die rechtswidrigen Taten im Zustand erheblich verminderter Schuldfähigkeit begangen habe. Nach umfangreicher Gesamtwürdigung verneint das Landgericht aber die erforderliche Gefährlichkeitsprognose , da es an der notwendigen Erheblichkeit der für die Zukunft vom Angeklagten zu erwartenden Straftaten mangele. Zwar rage auch die verfahrensgegenständliche vorsätzliche Körperverletzung grundsätzlich in den Bereich mittlerer Kriminalität hinein. Ihr könne aber im Rahmen der Gefährlichkeitsprognose nur ein geringes Gewicht beigemessen werden, da die Aggression einer Ausnahmesituation entspringe (UA S. 71). Auch aus den jeweils gemäß § 153 oder § 154 StPO eingestellten weiteren staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren ergebe sich keine hinreichende Wahrscheinlichkeit für schwere Störungen des Rechtsfriedens durch den Angeklagten.

II.

9
Die Revision des Angeklagten ist überwiegend begründet. Die Schuldfähigkeitsprüfung des Landgerichts begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
10
1. Die Ausführungen des Landgerichts zur strafrechtlichen Verantwortlichkeit des Angeklagten sind rechtsfehlerhaft und ermöglichen dem Senat keine Nachprüfung, ob es zu Recht eine Schuldunfähigkeit des Angeklagten zum Tatzeitpunkt ausgeschlossen und eine erhebliche Verminderung der Schuld bejaht hat.
11
a) Die Entscheidung, ob die Schuldfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit aus einem der in § 20 StGB bezeichneten Gründe ausgeschlossen oder im Sinne von § 21 StGB erheblich vermindert war, erfolgt prinzipiell mehrstufig (BGH, Urteil vom 1. Juli 2015 – 2 StR 137/15, NJW 2015, 3319 und Beschluss vom 12. März 2013 – 4 StR 42/13, NStZ 2013, 519 jeweils mwN). Zunächst ist die Feststellung erforderlich, dass bei dem Angeklagten eine psychische Störung vorliegt, die ein solches Ausmaß erreicht hat, dass sie unter eines der psychopathologischen Eingangsmerkmale des § 20 StGB zu subsumieren ist. Sodann sind der Ausprägungsgrad der Störung und deren Einfluss auf die soziale Anpassungsfähigkeit des Täters zu untersuchen. Durch die festgestellten psychopathologischen Verhaltensmuster muss die psychische Funktionsfähigkeit des Täters bei der Tatbegehung beeinträchtigt worden sein. Hierzu ist der Richter für die Tatsachenbewertung jeweils auf die Hilfe eines Sachverständigen angewiesen. Gleichwohl handelt es sich bei der Frage des Vorliegens eines der Eingangsmerkmale des § 20 StGB bei gesichertem Vorliegen eines psychiatrischen Befunds wie bei der Prüfung der erheblich eingeschränkten Steuerungsfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit um Rechtsfragen. Deren Beur- teilung erfordert konkretisierende und widerspruchsfreie Darlegungen dazu, in welcher Weise sich die festgestellte psychische Störung bei Begehung der Tat auf die Handlungsmöglichkeiten des Angeklagten in der konkreten Tatsituation und damit auf die Einsichts- und Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat (BGH, Beschlüsse vom 28. Januar 2016 – 3 StR 521/15, NStZ-RR 2016, 135 und vom 19. Dezember 2012 – 4 StR 417/12, NStZ-RR 2013, 145, 146).
12
b) Diesen Anforderungen werden die Urteilsgründe im vorliegenden Fall nicht gerecht.
13
Zwar ist das Landgericht zunächst zutreffend davon ausgegangen, dass die beim Angeklagten durch den Sachverständigen diagnostizierte paranoide Schizophrenie mit unvollständiger Remission unter das Eingangsmerkmal der krankhaften seelischen Störung i.S.d. § 20 StGB eingeordnet werden kann. Die weiteren Ausführungen des Landgerichts zu den Auswirkungen und zum Schweregrad dieser Erkrankung sind aber widersprüchlich. So wird einerseits davon ausgegangen, dass beim Angeklagten eine wahnhafte Störung bestanden habe, die sowohl zum Vorliegen einer Wahnstimmung als auch zu einer Wahnwahrnehmung geführt habe, so dass letztlich eine konstruktive Auseinandersetzung mit ihm nicht möglich gewesen sei. Durch die vom Angeklagten geführte Diskussion habe sich der Wahn verhärtet und die Erkrankung verstärkt (UA S. 42 und 47). Anderseits kommt das Landgericht aber letztlich zum Ergebnis , dass die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit „weder voll- ständig aufgehoben noch die Einsichtsfähigkeit beeinträchtigt gewesen“ sein soll, weil der Angeklagte „insbesondere zu ruhig und zu klar gewesen“ sei (UA S. 46), wobei diese Wertung in einem Spannungsverhältnis zu den Bekundungen des Sachverständigen Dr. Dr. C. steht. Dieser hat den nach der Tat inhaftierten Angeklagten aufgesucht und ihn nicht nur als laut, sondern als „hasserfüllt, ablehnend und furchteinflößend“ (UA S. 47aE) geschildert. Damit bleibt auf Grund dieser widersprüchlichen Wertungen letztlich offen, in welchem Umfang sich die vom Sachverständigen attestierte Erkrankung des Angeklagten bei der Begehung der konkreten Tat ausgewirkt hat.
14
2. Da der Senat deshalb nicht auszuschließen vermag, dass der Angeklagte im Zustand der Schuldunfähigkeit und nicht nur im Zustand verminderter Schuldfähigkeit handelte, muss über den Schuldspruch und die strafrechtlichen Rechtsfolgen der Tat insgesamt neu verhandelt und entschieden werden.
15
3. Die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen beruhen aber auf einer mangelfreien Beweiswürdigung und sind von dem aufgezeigten Rechtsfehler nicht betroffen; sie können deshalb bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO). Das neue Tatgericht kann insoweit aber ergänzende Feststellungen treffen, die den bisherigen nicht widersprechen.

III.

16
Die Revision der Staatsanwaltschaft hat ebenfalls Erfolg. Die Nichtanordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
17
1. Die Revision der Staatsanwaltschaft ist wirksam auf die Nichtanordnung der Maßregel nach § 63 StGB beschränkt (§ 344 Abs. 1 StPO).
18
2. Die Nichtanordnung der Maßregel nach § 63 StGB ist rechtsfehlerhaft. Zwar ist das Landgericht von einer zumindest erheblich verminderten Schuldfähigkeit des Angeklagten zum Tatzeitpunkt i.S.d. § 21 StGB ausgegangen, jedoch weist die zur Verneinung der Maßregel führende Gefährlichkeitsprognose des Landgerichts durchgreifende Wertungsfehler auf.
19
a) Eine Unterbringung nach § 63 StGB darf lediglich dann angeordnet werden, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades dafür besteht, dass der Täter infolge seines Zustands in Zukunft Straftaten von erheblicher Bedeutung begehen wird, also solche, die eine schwere Störung des Rechtsfriedens zur Folge haben (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschluss vom 3. September 2015 – 1 StR 255/15, NStZ-RR 2016, 198 mwN; Fischer, StGB, 64. Aufl., § 63 Rn. 15 und 16 mwN). Dies setzt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs voraus, dass die zu erwartenden Delikte wenigstens in den Bereich der mittleren Kriminalität hineinreichen, den Rechtsfrieden empfindlich stören und geeignet sind, das Gefühl der Rechtssicherheit der Bevölkerung erheblich zu beeinträchtigen (vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 13. Oktober 2016 – 1 StR 445/16; vom 18. Juli 2013 – 4 StR 168/13, NJW 2013, 3383; vom 16. Juni 2014 – 4 StR 111/14, NStZ 2014, 571; vom 19. August 2014 – 3 StR 243/14, StV 2016, 732; Urteil vom 28. Oktober 2015 – 1 StR 142/15, NStZ-RR 2016, 40; BVerfG, Beschluss vom 24. Juli 2013 – 2 BvR 298/12, NStZ-RR 2014, 305).
20
Diese durch die Rechtsprechung herausgebildeten Anforderungen sind durch die neue Fassung des § 63 Satz 1 StGB dahingehend konkretisiert worden , dass nur die Erwartung solcher erheblicher rechtswidriger Taten ausreicht, durch die die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird. Erreichen die Anlasstaten ihrem Gewicht nach nicht einmal diesen Bereich, ist eine Anordnung der Maßregel gemäß § 63 StGB nicht von vornherein ausgeschlossen; das Tatgericht muss in solchen Fällen allerdings die erforderliche Gefährlichkeitsprognose besonders sorgfältig darlegen (BGH, Urteil vom 2. März 2011 – 2 StR 550/10, NStZ-RR 2011, 240, 241; Beschlüsse vom 6. März 2013 – 1 StR 654/12, NStZ-RR 2013, 303, 304 f.; vom 18. November 2013 – 1 StR 594/13, NStZ-RR 2014, 76 f.).
21
b) Die Gefährlichkeitsprognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstat(en) zu entwickeln (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 13. Oktober 2016 – 1 StR 445/16; vom 16. Januar 2013 – 4 StR 520/12, NStZ-RR 2013, 141; vom 1. Oktober 2013 – 3 StR 311/13, NStZ-RR 2014, 42; vom 2. September 2015 – 2 StR 239/15; vom 3. Juni 2015 – 4 StR 167/15, StV 2016, 724) und hat sich darauf zu erstrecken, ob und welche Taten von ihm infolge seines Zustands drohen, wie ausgeprägt das Maß der Gefährdung ist und welches Gewicht den bedrohten Rechtsgütern zukommt (BVerfG, Beschluss vom 24. Juli 2013 – 2 BvR 298/12, NStZ-RR 2014, 134; BGH, Beschluss vom 7. Juni 2016 – 4 StR 79/16, NStZ-RR 2016, 306). Diesem schon von der Rechtsprechung entwickelten besonderen Darlegungserfordernis gibt die seit dem 1. August 2016 geltende und über § 2 Abs. 6 StGB anzuwendende Neuregelung in § 63 Satz 2 StGB eine klare gesetzliche Fassung (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Entwurf eines Gesetzes zur Novellierung des Rechts der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 des Strafgesetzbuches und zur Änderung anderer Vorschriften, BT-Drucks. 18/7244, S. 22-24).
22
c) Diesen aufgezeigten Anforderungen genügt die Gefährlichkeitsprognose des Landgerichts nicht, da sie in sich widersprüchlich ist und den festgestellten Sachverhalt nur unzureichend würdigt.
23
Das Landgericht hat im Rahmen seiner Erwägungen zwar auf der einen Seite zutreffend beachtet, dass im Rahmen der Gesamtabwägung zur Gefährlichkeit des Angeklagten einer in den Bereich der mittleren Kriminalität hineinreichenden Tat nur eingeschränktes Gewicht beizumessen sein kann, wenn Auslöser für diese Tat eine vom Angeklagten als äußerst bedrohlich empfundene Ausnahmesituation war (BGH, Urteil vom 8. Juni 2011 – 5 StR 134/11, RuP 2011, 245). Auf der anderen Seite geht das Landgericht auch rechtsfehlerfrei davon aus, dass bei der Gefährlichkeitsprognose im Rahmen der Gesamtwürdigung von Tat und Täter neben den verfahrensgegenständlichen auch frühere Taten mit zu berücksichtigen sind, selbst wenn die diesbezüglichen Verfahren nach § 153 oder § 154 StPO eingestellt wurden (vgl. BGH, Urteil vom 17. Februar 2004 – 1 StR 437/03).
24
Die diese beiden Gesichtspunkte berücksichtigenden Wertungen des Landgerichts dürfen jedoch nicht – wie hier – in Widerspruch zueinander stehen. Unabhängig von der Frage, ob es sich bei dem verfahrensgegenständlichen Polizeieinsatz bereits um eine derartige Ausnahmesituation für den Angeklagten handelte, belegen die Feststellungen des Landgerichts zu den weiteren Ermittlungsverfahren, dass der Angeklagte durch die Begehung vorsätzlicher Körperverletzungen im Bereich der mittleren Kriminalität in Erscheinung getreten ist. Bei beiden Vorfällen im Zusammenhang mit Fahrscheinkontrollen handelte es sich jedenfalls um keine Ausnahmesituationen im Sinne der oben dargestellten Rechtsprechung, sondern um ganz gewöhnliche Geschehnisse im Alltag. Alle bisherigen Taten des Angeklagten stellen sich damit – wie vom Sachverständigen auch ausgeführt – als unmittelbare Reaktion auf eine be- stimmte vorangegangene, vom Angeklagten „krankheitsbedingt als vermeintli- ches Unrecht empfundener Situationen“ dar (UA S. 68) und belegen den vom Landgericht angenommenen Obersatz, dass „vom Angeklagten auch in Zukunft Straftaten von ähnlicher Schwere zu erwarten sind, wie sie vom Angeklagten auch in der Vergangenheit begangen worden sind“ (UA S. 67). Das einseitige Abstellen des Landgerichts auf die „Ausnahmesituation“ bei den verfahrensgegenständlichen Taten zur Verneinung der Gefährlichkeitsprognose steht damit in Widerspruch zu den Feststellungen des Landgerichts in Bezug auf die übrigen Taten, denen nur eine völlig untergeordnete Bedeutung beigemessen wird. Völlig unberücksichtigt im Rahmen der Gesamtabwägung bleibt zudem, dass der Angeklagte auch mehrfach Notrufe absetzte und ankündigte, jeden „abzu- schlachten“, der versuche seine Mutter zu töten, wobei sich in seiner Wohnung Munition und pyrotechnische Gegenstände befanden. Gleiches gilt für die Feststellung des Landgerichts, dass der Angeklagte im Rahmen der Begutachtung durch den Sachverständigen ein Klappmesser mit sich führte, dieses aber nicht als Waffe verwendete, sondern auf den Tisch legte (UA S. 74). Ausgehend von den beim Angeklagten festgestellten Wahngedanken mit inadäquaten Affekten in Form von erheblich verminderter Impulskontrolle (UA S. 44) sind die abschließenden Wertungen des Landgerichts, dass beim Angeklagten zwar mit erneuten Beleidigungen und Bedrohungen zu rechnen sei, aber nicht mit weiteren schwerwiegenderen Straftaten (UA S. 76), nicht tragfähig. Dies gilt umso mehr als das Landgericht auch im Rahmen der Prognoseentscheidung zur Ablehnung der Strafaussetzung zur Bewährung ebenfalls davon ausgeht, dass der Angeklagte krankheitsbedingt weitere Straftaten begehen wird (UA S. 63).
25
Mit aufzuheben sind auch die insoweit getroffenen Feststellungen des Landgerichts, um dem neuen Tatrichter eine umfassende und widerspruchsfreie Entscheidung zu ermöglichen.

IV.

26
Für die neue Hauptverhandlung, die auch das bis dahin gezeigte Verhalten des Angeklagten in den Blick zu nehmen hat, weist der Senat ergänzend auf Folgendes hin: Da sich der Angeklagte nach den bisherigen Feststellungen des Landgerichts in der Zeit vom 26. März 2015 bis zum 15. Februar 2016 über zehn Monate in der einstweiligen Unterbringung nach § 126a StPO befunden hat, ist diese Freiheitsentziehung gemäß § 51 Abs. 1 Satz 1 StGB auf eine etwaige im neuen Verfahren zu verhängende Freiheitsstrafe anzurechnen, so dass eine Entscheidung über die Strafaussetzung zur Bewährung schon begrifflich ausscheidet. Ohne dass es auf die bedenklichen Ausführungen des Landgerichts zur Sozialprognose oder Verteidigung der Rechtsordnung (§ 56 Abs. 3 StGB) ankäme, müsste die dann bereits vollzogene Freiheitsstrafe als unbedingte ausgeurteilt werden (BGH, Beschluss vom 12. Februar 2014 – 1 StR 36/14, NStZ-RR 2014, 138). Im Fall der Anordnung einer Maßregel nach § 63 StGB hätte der Angeklagte i.S.d. § 67b Abs. 1 Satz 2 StGB auch keine „Frei- heitsstrafe zu verbüßen“, weil diese durch Anrechnung des erlittenen Freiheits- entzugs nach § 51 Abs. 1 Satz 1 StGB erledigt wäre (BGH, Beschluss vom 25. August 1993 – 5 StR 500/93, StV 1994, 260).
Raum Jäger RinBGH Cirener ist krankheitsbedingt an der Unterschriftsleistung gehindert. Raum
Mosbacher Bär

Jedes von der Staatsanwaltschaft eingelegte Rechtsmittel hat die Wirkung, daß die angefochtene Entscheidung auch zugunsten des Beschuldigten abgeändert oder aufgehoben werden kann.

(1) Wer sich vorsätzlich oder fahrlässig durch alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel in einen Rausch versetzt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wenn er in diesem Zustand eine rechtswidrige Tat begeht und ihretwegen nicht bestraft werden kann, weil er infolge des Rausches schuldunfähig war oder weil dies nicht auszuschließen ist.

(2) Die Strafe darf nicht schwerer sein als die Strafe, die für die im Rausch begangene Tat angedroht ist.

(3) Die Tat wird nur auf Antrag, mit Ermächtigung oder auf Strafverlangen verfolgt, wenn die Rauschtat nur auf Antrag, mit Ermächtigung oder auf Strafverlangen verfolgt werden könnte.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
GSSt 3/17
vom
24. Juli 2017
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja
BGHR: ja
Veröffentlichung: ja
Im Rahmen der bei der tatgerichtlichen Ermessensentscheidung über die
Strafrahmenverschiebung nach den §§ 21, 49 Abs. 1 StGB gebotenen
Gesamtwürdigung aller schuldrelevanten Umstände kann eine selbstverschuldete
Trunkenheit die Versagung der Strafrahmenmilderung tragen,
auch wenn eine vorhersehbare signifikante Erhöhung des Risikos der Begehung
von Straftaten aufgrund der persönlichen oder situativen Verhältnisse
des Einzelfalls nicht festgestellt ist.
BGH, Beschluss vom 24. Juli 2017- GSSt 3/17 - LG Osnabrück
ECLI:DE:BGH:2017:240717BGSST3.17.0

in der Strafsache gegen

wegen Totschlags
Der Große Senat für Strafsachen hat durch die Präsidentin des Bundesgerichtshofs Limperg, den Vorsitzenden Richter am Bundesgerichtshof Dr. Raum, die Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof Sost-Scheible, die Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Graf und Dr. Schäfer, die Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Schneider und die Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. König, Prof. Dr. Krehl, Dr. Eschelbach, Dr. Quentin und Gericke am 24. Juli 2017 beschlossen:
Im Rahmen der bei der tatgerichtlichen Ermessensentscheidung über die Strafrahmenverschiebung nach den §§ 21, 49 Abs. 1 StGB gebotenen Gesamtwürdigung aller schuldrelevanten Umstände kann eine selbstverschuldete Trunkenheit die Versagung der Strafrahmenmilderung tragen, auch wenn eine vorhersehbare signifikante Erhöhung des Risikos der Begehung von Straftaten aufgrund der persönlichen oder situativen Verhältnisse des Einzelfalls nicht festgestellt ist.

Gründe:

1
Die Vorlage betrifft eine Frage aus dem Bereich der Strafzumessung.

I.


2
1. In dem beim 3. Strafsenat anhängigen Verfahren hat das Landgericht den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt.
3
a) Nach den von der Strafkammer getroffenen Feststellungen tötete der Angeklagte mit bedingtem Vorsatz seinen Mitbewohner durch Gewalteinwirkung auf den Brust- und Bauchbereich sowie gegen den Kopf, nachdem beide gemeinsam Alkohol konsumiert hatten. Das Landgericht hat weder den Anlass der Tat noch den Grad der Alkoholisierung des Angeklagten festzustellen vermocht. Es ist sachverständig beraten davon ausgegangen, dass der Angeklagte bei erhalten gebliebener Unrechtseinsicht nicht ausschließbar auf Grund einer mittelgradigen Berauschung in seiner Steuerungsfähigkeit erheblich vermindert war.
4
b) Die Strafkammer hat die Strafe dem Strafrahmen des § 212 Abs. 1 StGB entnommen. Für einen benannten minder schweren Fall des Totschlags (§ 213 Alternative 1 StGB) hat sie keinen Anhaltspunkt gefunden. Einen sonstigen minder schweren Fall (§ 213 Alternative 2 StGB) hat sie sowohl unter Berücksichtigung allein der allgemeinen Strafzumessungsgesichtspunkte als auch unter Hinzuziehung des wegen der Alkoholisierung des Angeklagten zum Tatzeitpunkt angenommenen vertypten Milderungsgrundes des § 21 StGB abgelehnt. Von einer Strafrahmenmilderung nach den §§ 21, 49 Abs. 1 StGB hat das Landgericht ebenfalls abgesehen. Es ist davon ausgegangen, dass dies im Fall einer alkoholbedingten erheblichen Verminderung der Schuldfähigkeit möglich sei, wenn diese auf verschuldeter Trunkenheit beruht. Eine Alkoholkrankheit oder -überempfindlichkeit des Angeklagten, die ein Verschulden hinsichtlich der Trunkenheit ausgeschlossen hätte, hat die Strafkammer nicht festgestellt.
5
Im Rahmen der konkreten Strafzumessung hat die Strafkammer auf die Erwägungen zur Frage des Vorliegens eines unbenannten minder schweren Falles gemäß § 213 Alternative 2 StGB Bezug genommen und sodann zuguns- ten des Angeklagten dessen durch die Alkoholisierung als konstellativem Faktor beeinflusste affektive Aufladung in der Tatsituation mildernd berücksichtigt.
6
Der Angeklagte hat die Verurteilung mit der Revision umfassend angegriffen und die Verletzung materiellen Rechts beanstandet.
7
Der 3. Strafsenat hält die Entscheidung des Landgerichts für rechtsfehlerfrei und beabsichtigt, dem Antrag des Generalbundesanwalts entsprechend die Revision des Angeklagten zu verwerfen. Er versteht die Ausführungen in dem angefochtenen Urteil dahin, die Strafkammer habe die Strafrahmenverschiebung in Ausübung tatgerichtlichen Ermessens abgelehnt. Das Landgericht sei nicht davon ausgegangen, das selbstverantwortliche Sich-Berauschen des Täters vor der Tat führe von Rechts wegen regelmäßig zur Versagung der Strafrahmenmilderung. Dafür spreche zum einen der Umstand, dass die Ausführungen auf den Beschluss des Senats vom 2. August 2012 (3 StR 216/12, NStZ 2012, 687, 688) verwiesen, dem sich erstgenannter Rechtssatz nicht entnehmen lasse. Sie nähmen gerade nicht auf das Senatsurteil vom 27. März 2003 (3 StR 435/02, BGHR StGB § 21 Strafrahmenverschiebung 31) Bezug, in dem dieser die Ansicht vertreten hat, dass eine Strafrahmenverschiebung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB in der Regel ausscheide, wenn die erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit des Täters auf verschuldeter Trunkenheit beruhe. Zum anderen habe das Landgericht ausdrücklich seinen rechtlichen Ansatz dergestalt umschrieben, dass bei verschuldeter Trunkenheit die Versagung der Strafrahmenverschiebung - lediglich - "in Betracht kommt".
8
Der 3. Strafsenat ist der Auffassung, das Tatgericht übe sein Ermessen bei der Entscheidung über die Strafrahmenverschiebung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB grundsätzlich nicht fehlerhaft aus, wenn es im Rahmen einer Gesamtwürdigung der schuldrelevanten Umstände die Versagung der Milderung allein auf den Umstand stütze, dass die erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit des Täters auf selbstverschuldeter Trunkenheit beruhe. Gleiches gilt nach seiner Ansicht für die Entscheidung über die Annahme eines minder schweren Falles. Bereits das selbstverantwortliche Sich-Betrinken des Täters vor der Tat sei ein schulderhöhender Umstand, weil eine alkoholische Berauschung generell das Risiko strafbaren Verhaltens, insbesondere im Bereich der Gewalt- und Sexualdelikte, erhöhe. Dieses dem Alkoholrausch selbst innewohnende Risiko zähle zum Allgemeinwissen. Der Alkoholrausch stelle somit erkennbar eine abstrakte Gefahr für strafrechtlich geschützte Rechtsgüter dar, die sich, falls der Berauschte eine rechtswidrige Tat begehe, in der konkreten Rechtsgutsgefährdung oder -verletzung realisiere. Insoweit habe das selbstverantwortliche Sich-Betrinken Einfluss auf die Tatschuld, auch wenn eine durch den Alkoholkonsum bedingte, vorhersehbare signifikante Erhöhung des Risikos der Begehung von Straftaten aufgrund der persönlichen oder situativen Umstände des Einzelfalls nicht festgestellt sei.
9
Der 3. Strafsenat hat deshalb bei den anderen Strafsenaten gemäß § 132 Abs. 3 Satz 1 GVG angefragt, ob diese an (gegebenenfalls) entgegenstehender Rechtsprechung festhalten (BGH, Beschluss vom 15. Oktober2015 - 3 StR 63/15, NStZ 2016, 203).
10
Hierauf haben der 1., 2. und 5. Strafsenat mitgeteilt, ihre Rechtsprechung stehe der beabsichtigten Entscheidung des 3. Strafsenats entgegen; sie hielten an dieser fest (BGH, Beschlüsse vom 10. Mai 2016 - 1 ARs 21/15; vom 7. November 2016 - 2 ARs 386/15, NStZ-RR 2017, 70; vom 1. März 2016 - 5 ARs 50/15). Der 5. Strafsenat hat ausgeführt, ein Fall selbst zu verantwor- tender Trunkenheit spreche in der Regel gegen eine Strafrahmenverschiebung, wenn sich aufgrund der persönlichen oder situativen Verhältnisse des Einzelfalls das Risiko der Begehung von Straftaten vorhersehbar signifikant infolge der Alkoholisierung erhöht habe, und zur weiteren Begründung auf die Ausführungen in seinem Urteil vom 17. August 2004 (5 StR 93/04, BGHSt 49, 239) Bezug genommen. Der 1. Strafsenat hat darauf hingewiesen, dass seine Rechtsprechung an diese Entscheidung anknüpfe, und sich - soweit ersichtlich - erstmals die vom 5. Strafsenat aufgestellten Kriterien zur vorhersehbar signifikanten Risikoerhöhung zu eigen gemacht. Schulderhöhende Umstände könnten dann zur Versagung einer Strafrahmenverschiebung nach den §§ 21, 49 Abs. 1 StGB führen, wenn sie die infolge der Herabsetzung der Schuldfähigkeit verminderte Tatschuld aufwögen. Dies sei bei einer selbst verschuldeten Trunkenheit ohne Hinzutreten weiterer Umstände nicht der Fall. Der 2. Strafsenat hat darüber hinaus ausgeführt, die Auffassung des 3. Strafsenats greife mit Blick auf den Schuldgrundsatz zu kurz und lasse insbesondere unberücksichtigt , dass jede Schulderhöhung wenigstens einfache Fahrlässigkeit voraussetze. Er hat weiter geäußert, nicht nachvollziehen zu können, wie eine Gesamtwürdigung aller relevanten Gesichtspunkte ermessensfehlerfrei vorgenommen worden sein könne, wenn das Tatgericht die Versagung der Strafrahmenmilderung allein und damit ausschließlich auf einen Umstand gestützt habe.
11
Der 4. Strafsenat hat die Anfrage dahin verstanden, dass nach Ansicht des 3. Strafsenats die Entscheidung über die Strafrahmenverschiebung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB eine Ermessensentscheidung des Tatgerichts sei und im Rahmen der gebotenen Gesamtwürdigung im Einzelfall die selbst verschuldete Trunkenheit die Versagung der Strafmilderung tragen könne, auch wenn eine vorhersehbare signifikante Erhöhung des Risikos der Begehung von Straf- taten aufgrund der persönlichen oder situativen Verhältnisse nicht festgestellt sei. Soweit der so verstandenen Anfrage seine bisherige Rechtsprechung entgegenstehe , halte er daran nicht fest. Im Rahmen der erforderlichen Gesamtabwägung aller schuldrelevanten Umstände sei die selbst verschuldete Trunkenheit ein - neben anderen - zu berücksichtigender Umstand. Feste Regeln, die das Tatgericht bei der Abwägung zu beachten, und Vorgaben, welches Gewicht es einzelnen Umständen beizumessen habe, befürworte der Senat nicht (Beschluss vom 28. April 2016 - 4 ARs 16/15, NStZ-RR 2016, 305 f.).
12
Der 3. Strafsenat hat daraufhin mit Beschluss vom 20. Dezember 2016 (vgl. hierzu Beukelmann, NJW-Spezial 2017, 184) unter Aufgabe seiner früheren Rechtsprechung (vgl. Beschlüsse vom 1. August 1975 - 3 StR 212/75, BeckRS 1975, 00206; vom 28. Oktober 1985 - 3 StR 189/85, NStZ 1986, 114, 115) dem Großen Senat für Strafsachen wegen Divergenz gemäß § 132 Abs. 2 GVG und wegen grundsätzlicher Bedeutung gemäß § 132 Abs. 4 GVG folgende Rechtsfrage zur Entscheidung vorgelegt: Kann der Tatrichter im Rahmen der nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB gebotenen Gesamtwürdigung aller schuldrelevanten Umstände die Ermessensentscheidung, von einer Strafrahmenverschiebung abzusehen, rechtsfehlerfrei allein darauf stützen, dass die erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit des Angeklagten auf von diesem verschuldeter Trunkenheit beruht, auch wenn eine durch die Trunkenheit bedingte, vorhersehbare signifikante Erhöhung des Risikos der Begehung von Straftaten auf Grund der persönlichen oder der situativen Verhältnisse des Einzelfalls nicht festgestellt ist?
13
Der Generalbundesanwalt erachtet die Vorlage für zulässig und beantragt , im Sinne der Anfrage des 3. Strafsenats zu entscheiden.
14
Der Angeklagte hat sich der Ansicht des 1., 2. und 5. Strafsenats angeschlossen.

II.


15
Die Vorlegungsfrage ist angesichts des sachlichen Anliegens des 3. Strafsenats sprachlich nicht völlig eindeutig gefasst, soweit dort darauf abgestellt wird, ob das Tatgericht seine Entscheidung über die Strafrahmenmilderung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB allein auf den Umstand einer vom Täter selbst verschuldeten Trunkenheit stützen könne. Diese Formulierung kann - wie die Ausführungen des 2. und des 4. Strafsenats belegen - dahin verstanden werden, dass es für die Entscheidung ausschließlich auf diesen bestimmten Gesichtspunkt ankommen soll. Dieser Sinngehalt ist vor dem Hintergrund der im hier relevanten Zusammenhang erforderlichen, auch vom 3. Strafsenat für rechtlich geboten gehaltenen Gesamtwürdigung aller schuldrelevanten Umstände nicht plausibel. Die Vorlegungsfrage ist deshalb in Anlehnung an die diesbezüglichen Erwägungen des 4. Strafsenats wie folgt neu zu fassen: Kann im Rahmen der bei der tatgerichtlichen Ermessensentscheidung über die Strafrahmenverschiebung nach den §§ 21, 49 Abs. 1 StGB gebotenen Gesamtwürdigung aller schuldrelevanten Umstände eine selbstverschuldete Trunkenheit die Versagung der Strafmilderung tragen, auch wenn eine vorhersehbare signifikante Erhöhung des Risikos der Begehung von Straftaten aufgrund der persönlichen oder situativen Verhältnisse des Einzelfalls nicht festgestellt ist?

III.


16
Die Vorlegung ist gemäß § 132 Abs. 2, Abs. 3 Satz 1 und Abs. 4 GVG zulässig.
17
1. Sie betrifft die rechtlichen Maßstäbe, an denen sich die Ausübung des durch § 21 StGB den Tatgerichten eingeräumten Ermessens auszurichten hat, und damit eine Rechtsfrage i.S.d. § 132 Abs. 2 GVG.
18
2. Der 3. Strafsenat kann die im Ausgangsverfahren eingelegte Revision nach seinem vertretbaren und deshalb vom Großen Senat für Strafsachen hinzunehmenden Verständnis der Gründe des landgerichtlichen Urteils nur dann verwerfen, wenn er - abweichend von der aufrechterhaltenen Rechtsauffassung des 1., 2. und 5. Strafsenats (§ 132 Abs. 3 Satz 1 GVG) - dem Tatgericht zubilligt , im Rahmen der nach den §§ 21, 49 Abs. 1 StGB gebotenen Gesamtwürdigung aller schuldrelevanten Umstände die Vorwerfbarkeit der zur erheblichen Verminderung der Schuldfähigkeit führenden Trunkenheit zu berücksichtigen, ohne dass zusätzlich eine signifikante Erhöhung des Risikos strafbaren Handelns auf Grund der persönlichen oder situativen Verhältnisse des Einzelfalles festgestellt ist.
19
3. Die zur Entscheidung gestellte Rechtsfrage ist zudem von grundsätzlicher Bedeutung (§ 132 Abs. 4 GVG); die ihr zugrunde liegende Konstellation prägt eine Vielzahl der Fälle, in denen über eine Strafrahmenmilderung gemäß §§ 21, 49 Abs. 1 StGB zu entscheiden ist.

IV.


20
Der Große Senat für Strafsachen beantwortet die Vorlegungsfrage in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Sinne.
21
1. In Rechtsprechung und Literatur besteht für die Fälle der auf verschuldeter Trunkenheit beruhenden erheblich verminderten Schuldfähigkeit des Täters bei Tatbegehung keine Einigkeit über die Voraussetzungen, unter denen der Tatrichter die fakultative Strafrahmenverschiebung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB ablehnen darf oder gar muss.
22
a) Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs entwickelte sich wie folgt:
23
aa) Unter Hinweis auf das Urteil des Obersten Gerichtshofs für die Britische Zone vom 10. Januar 1950 (StS 427/49, OGHSt 2, 324) befand der Bundesgerichtshof - noch zur Vorgängerregelung des § 51 Abs. 2 StGB aF - anfänglich , dass in "der Regel die selbstverschuldete Trunkenheit Anlaß sein (wird), die Strafe nicht zu mildern" (Urteil vom 2. August 1951 - 3 StR 395/51, bei Dallinger MDR 1951, 657). Sodann beanstandete er indes eine die Strafmilderung ablehnende tatrichterliche Entscheidung, die damit begründet worden war, dass bei bestimmten Delikten grundsätzlich von der "Kann"-Vorschrift des § 51 Abs. 2 StGB aF kein Gebrauch zu machen sei, soweit die erheblich verminderte Zurechnungsfähigkeit des Täters auf "Angetrunkenheit" beruhe. Er monierte, dass der Tatrichter diese Möglichkeit jedenfalls hätte erwägen müssen (Urteil vom 10. September 1953 - 2 StR 695/52, NJW 1953, 1760). In der Folgezeit äußerte er sich weiterhin in der Tendenz ablehnend gegenüber einer Strafmilderung bei vorwerfbarer Alkoholisierung (Urteil vom 16. Januar 1962 - 5 StR 588/61, Umdr. S. 4 [unveröffentl.]; zu weiteren ähnlichen Entscheidungen des BGH aus den Jahren 1954 und 1960 vgl. Foth, DRiZ 1990, 417, 418; Schnarr in Hettinger [Hrsg.], Reform des Sanktionenrechts, Bd. 1, 2001, S. 1, 49 ff.).
24
bb) In den 1970er Jahren änderte sich die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs wesentlich. Mit Beschluss vom 24. März 1972 (2 StR 413/71, bei Dallinger, MDR 1972, 570) äußerte er die Auffassung, dem im Zustand erheblich verminderter Zurechnungsfähigkeit handelnden Täter dürfe allein der hierfür ursächliche übermäßige Alkoholkonsum "nicht zum Nachteil gereichen"; vielmehr müssten weitere auf die abzuurteilende Tat bezogene Umstände hinzutreten. Als einen solchen Umstand erkannte er an, dass der Täter bereits früher unter Alkoholeinwirkung Straftaten begangen hatte und diesem daher bewusst war oder zumindest hätte bewusst sein können, dass er nach dem Alkoholkonsum zu Straftaten neigt (vgl. Beschlüsse vom 24. März 1972 - 2 StR 413/71, aaO; vom 1. August 1975 - 3 StR 212/75, BeckRS 1975, 00206; vom 26. Juli 1977 - 1 StR 317/77, bei Holtz, MDR 1977, 982; ähnlich Urteil vom 21. September 1971 - 5 StR 410/71, bei Dallinger, MDR 1972, 16; Beschluss vom 14. Oktober 1980 - 1 StR 498/80, BeckRS 1980, 02962).
25
In den Folgejahren präzisierte und verschärfte der Bundesgerichtshof die Anforderungen an das vorhersehbar die Neigung zu Straftaten begründende deliktische Vorverhalten, allerdings mit Unterschieden im Detail (vgl. Urteile vom 30. Oktober 1986 - 4 StR 501/86, BGHR StGB § 21 Strafrahmenverschiebung 3; vom 6. Mai 1993 - 1 StR 136/93, NJW 1993, 2544, 2545; Beschlüsse vom 28. Oktober 1985 - 3 StR 189/85, NStZ 1986, 114, 115; vom 13. Juni 1986 - 2 StR 276/86, BGHR StGB § 21 Strafrahmenverschiebung 14; vom 7. September 1989 - 4 StR 433/89, BGHR StGB § 21 Vorverschulden 1; vom 7. Januar 2003 - 4 StR 490/02, NStZ-RR 2003, 136, 137; ferner Urteile vom 6. März 1986 - 4 StR 48/86, BGHSt 34, 29, 33; vom 29. April 1997 - 1 StR 511/95, BGHSt 43, 66, 78; Beschlüsse vom 25. Januar 1991 - 5 StR 600/90, BGHR StGB § 177 Abs. 2 Strafrahmenwahl 7; vom 16. Februar 1993 - 5 StR 675/92, StV 1993, 355 f.).
26
cc) Mit Urteil vom 27. März 2003 (3 StR 435/02, BGHR StGB § 21 Strafrahmenverschiebung 31) erklärte der 3. Strafsenat, er wolle an dieser Rechtsprechung nicht mehr festhalten. Er führte - nicht tragend - aus, dass eine Strafrahmenverschiebung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB in der Regel nicht in Betracht komme, wenn die erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit des Täters auf verschuldeter Trunkenheit beruhe. Insbesondere sei eine vorangegangene Straffälligkeit des Täters unter Alkoholeinfluss in einem Ausmaß, dass dieser damit rechnen könne, unter Alkoholeinfluss ein der Anlasstat vergleichbares Delikt zu begehen, nicht erforderlich.
27
dd) Der 1. und der 2. Strafsenat äußerten sich zunächst dem Grunde nach aufgeschlossen gegenüber einer Rechtsprechungsänderung (vgl. Urteile vom 9. Juli 2003 - 2 StR 106/03, BGHR StGB § 21 Strafrahmenverschiebung 32; vom 16. September 2004 - 1 StR 233/04, BGHR StGB § 21 Strafrahmenverschiebung 36; vom 19. Oktober 2004 - 1 StR 254/04, BGHR StGB § 21 Strafrahmenverschiebung 37; offen gelassen in den Beschlüssen vom 5. August 2003 - 1 StR 302/03, bei Schäfer, JR 2004, 425 f.; vom 10. September 2003 - 2 StR 304/03, bei Schäfer aaO, S. 426). Soweit es in der Folgezeit entscheidungserheblich darauf ankam, folgten sie allerdings mit leichten Abwandlungen der zuvor entwickelten Ansicht (1. Strafsenat: Beschluss vom 25. März 2014 - 1 StR 65/14, NStZ-RR 2014, 238, 239; vgl. ferner Beschlüsse vom 23. April 2013 - 1 StR 105/13, juris Rn. 9; vom 10. November 2016 - 1 StR 501/16, juris Rn. 4; 2. Strafsenat: Urteile vom 15. Februar 2006 - 2 StR 419/05, BGHR StGB § 21 Strafrahmenverschiebung 40; vom 24. August 2016 - 2 StR 504/15, juris Rn. 24).
28
ee) Der 5. Strafsenat pflichtete in einer ausführlich begründeten Grundsatzentscheidung (Urteil vom 17. August 2004 - 5 StR 93/04, BGHSt 49, 239) dem Anliegen des 3. Strafsenats, zu einer Änderung der Rechtsprechung zu gelangen, prinzipiell bei. In der Sache entschied er sodann dahin, für die Ablehnung der Strafrahmenmilderung sei zwar nicht erforderlich, dass der Täter schon einmal unter Alkoholeinfluss vergleichbare Straftaten begangen habe. Auch müsse das Vorverhalten nicht zu Vorstrafen oder einem Strafverfahren geführt haben. Die generelle Steigerung des Risikos der Begehung strafbarer Handlungen nach Alkoholgenuss reiche aber für sich allein nicht aus, um den Schuldgehalt der Tat zu erhöhen und schon deshalb die regelmäßige Ablehnung einer Strafrahmenverschiebung bei selbstverschuldeter Trunkenheit zu rechtfertigen. Diese komme vielmehr nur in Betracht, "wenn sich aufgrund der persönlichen oder situativen Verhältnisse des Einzelfalls das Risiko der Begehung von Straftaten vorhersehbar signifikant infolge der Alkoholisierung erhöht" habe (vgl. im Einzelnen auch Urteile vom 11. Juni 2008 - 5 StR 612/07, NStZ 2008, 619, 620; vom 29. Oktober 2008 - 5 StR 456/08, NStZ 2009, 202, 203; vom 7. Mai 2009 - 5 StR 64/09, NStZ 2009, 496, 497; Beschlüsse vom 13. Januar 2010 - 5 StR 510/09, NStZ-RR 2010, 234, 235; vom 10. März 2010 - 5 StR 62/10, juris Rn. 10; Urteil vom 1. Dezember 2011 - 5 StR 360/11, juris Rn. 26).
29
ff) Der 4. Strafsenat schloss sich der Rechtsprechung des 5. Strafsenats an und verneinte in Fällen, in denen der Angeklagte bislang niemals unter Alkoholeinfluss aggressiv (Urteil vom 15. Dezember 2005 - 4 StR 314/05, NStZ 2006, 274, 275) bzw. nicht wegen eines Gewaltdelikts verurteilt war (Urteil vom 23. Februar 2006 - 4 StR 444/05, NStZ-RR 2006, 185, 186), eine signifikante Risikoerhöhung.
30
gg) Der 3. Strafsenat war nach seiner Entscheidung vom 27. März 2003 nur mit Fallgestaltungen befasst, in denen die zur erheblich verminderten Schuldfähigkeit führende Trunkenheit vom Angeklagten jeweils nicht oder nur eingeschränkt verschuldet war (vgl. Urteil vom 12. Juni 2008 - 3 StR 84/08, NStZ 2009, 258 f.; Beschlüsse vom 16. Januar 2008 - 3 StR 479/07, NStZ 2008, 330; vom 2. August 2012 - 3 StR 216/12, NStZ 2012, 687, 688).
31
b) Im Schrifttum stieß die neuere Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs , insbesondere die Entscheidung des 5. Strafsenats vom 17. August 2004, überwiegend auf eine positive Resonanz (vgl. Fischer, StGB, 64. Aufl., § 21 Rn. 25, 25b; SSW-StGB/Kaspar, 3. Aufl., § 21 Rn. 28; Matt/Renzikowski/Safferling, StGB, § 21 Rn. 22; Schäfer/Sander/van Gemmeren , Praxis der Strafzumessung, 5. Aufl., Rn. 1016 ff.; LK/Schöch, StGB, 12. Aufl., § 21 Rn. 52, 54 f. mwN; noch weitergehend - Anwendung der Grundsätze der actio libera in causa - SK-StGB/Rudolphi, 38. Lfg., § 21 Rn. 4b; S/S-Perron/Weißer, StGB, 29. Aufl., § 21 Rn. 21; NK-StGB/Schild, 4. Aufl., § 21 Rn. 18; MüKoStGB/Streng, 3. Aufl., § 21 Rn. 26; vgl. auch AnwK-StGB/Conen, 2. Aufl., § 21 Rn. 41, 43). Die Entscheidung des 3. Strafsenats vom 27. März 2003 erfuhr dagegen nur vereinzelt Zustimmung (vgl. Foth, NStZ 2003, 597 sowie - tendenziell - Detter, NStZ 2003, 471, 472), ganz überwiegend aber Widerspruch :
32
Die Berufung auf die Intentionen des historischen Gesetzgebers sei nicht zulässig, da diese gerade nicht zum Inhalt der Norm geworden seien (vgl. Baier , JA 2004, 104, 106; Neumann, StV 2003, 527, 528; Rau, JR 2004, 401, 405; Scheffler, Blutalkohol 2003, 449). Dem Willen des historischen Gesetzgebers des Jahres 1933 könne heute ohnedies keine entscheidende Bedeutung zukommen , weil er die Versagung der Strafrahmenmilderung als kriminalpolitisch motivierte Ausnahme von dem Grundsatz einer schuldangemessenen Bestrafung verstanden habe, die unter der Geltung des Grundgesetzes nicht mehr in Betracht komme (vgl. Frister, JZ 2003, 1019; Verrel/Hoppe, JuS 2005, 308,

310).


33
Die durch die Trunkenheit bewirkte Reduzierung der Schuld, die in der Strafrahmenverschiebung zum Ausdruck komme, könne im Bereich der schweren Kriminalität allein durch das selbstverantwortliche Sich-Berauschen nicht ausgeglichen werden. Da nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB der Strafrahmen proportional zur Höchst- und Mindeststrafe herabgesetzt werde, gehe das Gesetz nämlich davon aus, dass sich das wegen der erheblich verminderten Schuldfähigkeit abzuziehende "Schuldquantum" entsprechend der Schwere des Delikts vergrößere (vgl. Frister aaO, S. 1019 f.; Neumann aaO, S. 530 f.).
34
Das Spannungsverhältnis zu § 323a StGB sei gesetzlich angelegt in den streng voneinander zu unterscheidenden Bezugspunkten des strafrechtlichen Vorwurfs, dem Sich-Berauschen einerseits und der Straftat andererseits (vgl. Duensing, StraFo 2005, 15, 22; Rau aaO, S. 404). Es könne im Bereich der mittleren Kriminalität dadurch aufgelöst werden, dass die Strafe wegen Vollrausches durch den nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmen der Rauschtat nach oben begrenzt werde (vgl. Baier aaO; Neumann aaO, S. 529). Des Weiteren wurde es teilweise für notwendig erachtet, zur Angleichung auch bei § 323a StGB vorauszusetzen, dass der Täter seine Rauschtat vorhersehen können müsse; die Deutung des Vollrauschtatbestandes als abstraktes Gefährdungsdelikt und damit der Rauschtat als objektive Bedingung der Strafbarkeit verstoße gegen das Schuldprinzip und sei mithin nicht haltbar (vgl. Neumann aaO, S. 530; Scheffler aaO, S. 450; Streng, NJW 2003, 2963, 2965).
35
Schließlich könne die Sondervorschrift des § 7 WStG nicht als Argument für die Versagung einer Strafrahmenmilderung dienen; denn sie sei allein den Besonderheiten des Wehrstrafrechts geschuldet und daher nicht verallgemeinerungsfähig (vgl. Baier aaO, S. 107; Duensing aaO; Rau aaO, S. 404; Streng aaO, S. 2964; Verrel/Hoppe aaO, S. 310 f.). Die Vorschrift sei ihrerseits - bei wortlautgetreuer Anwendung - nicht mit dem Grundsatz schuldangemessenen Strafens zu vereinbaren (vgl. Frister aaO, S. 1020; Neumann aaO, S. 530).
36
2. Den bisher vertretenen Auffassungen ist somit gemein, dass sie - sei es in Form einer Regelvermutung, sei es für bestimmte Gesichtspunkte - weitgehende inhaltliche Vorgaben für die Beantwortung der Frage machen, unter welchen Voraussetzungen eine Strafrahmenmilderung nach den §§ 21, 49 Abs. 1 StGB vorzunehmen ist bzw. zu unterbleiben hat. Sie werden damit dem Umstand, dass die betreffende Entscheidung nach den gesetzlichen Vorgaben im pflichtgemäßen Ermessen der Tatgerichte steht, nicht in ausreichendem Maße gerecht. Dessen eingedenk sind für die Beantwortung der Vorlegungsfrage folgende Erwägungen maßgebend:
37
Die tatgerichtliche Ermessensentscheidung nach den §§ 21, 49 Abs. 1 StGB ist vom Revisionsgericht nur eingeschränkt überprüfbar. Bei Anwendung der insoweit geltenden Maßstäbe ist das Absehen von der Strafmilderung nicht allein deshalb rechtsfehlerhaft, weil das Tatgericht im Rahmen der vorzuneh- menden Gesamtwürdigung aller schuldrelevanten Umstände maßgeblich darauf abgestellt hat, dass der Angeklagte die Trunkenheit selbst verschuldete; dies gilt auch, wenn eine vorhersehbare signifikante Erhöhung des Risikos der Begehung von Straftaten aufgrund der persönlichen oder situativen Verhältnisse nicht festgestellt ist. Denn das selbstverschuldete Sich-Betrinken stellt einen schulderhöhenden Umstand dar, der bereits für sich genommen die aufgrund der erheblichen Verminderung der Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, herabgesetzte Tatschuld kompensieren kann. Dies folgt insbesondere aus den allgemein bekannten Folgen des Alkoholkonsums sowie seiner Bewertung im sonstigen Bereich der Strafzumessung, einem Vergleich zum Regelungsgehalt der § 323a StGB, § 122 OWiG und steht mit dem Willen des Gesetzgebers in Einklang. Im Einzelnen :
38
a) Bei § 21 StGB handelt es sich um einen Schuldminderungsgrund, an den eine Strafzumessungsregel anknüpft (h.M., vgl. LK/Schöch, StGB, 12. Aufl., § 21 Rn. 1 mwN; Fischer, StGB, 64. Aufl., § 21 Rn. 2; S/SPerron /Weißer, StGB, 29. Aufl., § 21 Rn. 1; SSW-StGB/Kaspar, 3. Aufl., § 21 Rn. 1; Duensing, StraFo 2005, 15, 18, 21 mwN; Schnarr, Alkohol als Strafmilderungsgrund , in: Hettinger, Reform des Sanktionenrechts, 2001, S. 40; aA - Strafzumessungsgrund: Foth, NStZ 2003, 597 ff.; BeckOK-StGB/Eschelbach, 33. Ed., Einl. zu § 21). Der vermindert schuldfähige Täter ist für seine Tat verantwortlich und wird deshalb für sie bestraft. Mit der Möglichkeit der Strafmilderung trägt § 21 StGB indes der Tatsache Rechnung, dass normabweichende psychologische Zustandsbilder es einem Schuldfähigen erheblich schwerer machen können, sich normgerecht zu verhalten (vgl. LK/Schöch, aaO, § 21 Rn. 1 mwN; Lackner/Kühl, StGB, 28. Aufl., § 21 Rn. 1; S/S-Perron/Weißer, aaO, § 21 Rn. 1; Fischer, aaO, § 21 Rn. 2), weswegen die vom Gesetz für den Regelfall vorgesehene Strafe möglicherweise das schuldangemessene Strafmaß übersteigt.
39
Der Schuldgehalt der Tat bestimmt sich allerdings nicht allein nach dem Grad der Schuldfähigkeit des Täters, sondern nach den gesamten für die Tatschuld relevanten Umständen des Einzelfalls. Es ist möglich, dass die Tat trotz verminderter Schuldfähigkeit des Täters ihrem Schuldgehalt nach immer noch schwerer wiegt als der denkbar leichteste Regelfall, der dem Gesetzgeber bei der Bestimmung der Regelstrafdrohung eines Delikts vorgeschwebt hat. Dem trägt die Vorschrift des § 21 StGB Rechnung, indem sie lediglich eine fakultative Strafmilderung vorsieht (vgl. BT-Drucks. IV/650, S. 142 linke Spalte). Die von Teilen der Literatur vertretene Gegenauffassung, nach der eine Versagung der Strafrahmenverschiebung das Schuldprinzip missachte und § 21 StGB deshalb - entgegen dem Gesetzeswortlaut - in eine zwingend anzuwendende Milderungsvorschrift umgedeutet werden müsse (vgl. S/S-Perron/Weißer, aaO, § 21 Rn. 19, 21; Maurach-Zipf, Strafrecht AT, 5. Aufl., 1977, Teilbd. 1, S. 529; Schmidhäuser, Strafrecht AT, 2. Aufl., 1975, S. 778 Fn. 23; Stratenwerth, Strafrecht AT Bd. I, 2. Aufl., 1976, S. 165; Lenckner, in Göppinger/Witter, Handbuch der forensischen Psychiatrie, 1972, Bd. I, S. 129 ff.; Jacobs, Strafrecht AT, 2. Aufl., 1991, 18. Abschn. Rn. 33; Rautenberg, Verminderte Schuldfähigkeit, S. 180 ff.), überzeugt vor diesem Hintergrund nicht. Denn die verminderte Schuldfähigkeit verringert die Tatschuld nicht in allen Fällen so stark, dass der weniger gewichtige Schuldgehalt im Normalstrafrahmen nicht zutreffend erfasst werden kann (LK/Schöch, aaO, § 21 Rn. 40; vgl. auch Schnarr, aaO, S. 1, 66 ff.).
40
b) Über die fakultative Strafrahmenverschiebung nach den §§ 21, 49 Abs. 1 StGB entscheidet das Tatgericht nach seinem pflichtgemäßen Ermes- sen auf Grund einer Gesamtwürdigung der im Einzelfall bedeutsamen Umstände. Dabei folgt aus dem für die Regelung des § 21 StGB wesentlichen Schuldprinzip auch, dass die tatgerichtliche Ermessensentscheidung, ob eine Strafmilderung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB vorzunehmen oder zu versagen ist, nach dem Schuldgehalt der Tat, also unter Berücksichtigung aller schuldrelevanten Umstände des Einzelfalls, zu treffen ist (vgl. BGH, Urteile vom 10. November 1954 - 5 StR 476/54, BGHSt 7, 28, 30 f.; vom 11. Juni 2008 - 5 StR 612/07, NStZ 2008, 619, 620, und vom 24. August 2016 - 2 StR 504/15, aaO, 40, 42; Beschlüsse vom 4. September 1992 - 2 StR 380/92, BGHR StGB § 21 Strafrahmenverschiebung 24; vom 7. Januar 2003 - 4 StR 490/02, NStZRR 2003, 136; vom 23. Juni 2010 - 2 StR 222/10, NStZ-RR 2010, 336; vom 7. September 2015 - 2 StR 350/15, aaO). Diese in ständiger Rechtsprechung durch den Bundesgerichtshof vertretene Auffassung wird in der Literatur überwiegend geteilt (vgl. insb. LK/Schöch, aaO, § 21 Rn. 1 mwN; LK/Jähnke, StGB, 11. Aufl., § 21 Rn. 18; MüKo/StGB/Streng, 3. Aufl., § 21 Rn. 20 ff.; Fischer, aaO, § 21 Rn. 20; SSW-StGB/Kaspar, aaO, § 21 Rn. 16 ff.; Roxin, Strafrecht AT, Bd. I, 4. Aufl., 2006, § 20 Rn. 41; Jescheck/Weigend, Lehrbuch des Strafrechts , Allgemeiner Teil, 5. Aufl., 1996, S. 443 f.; Bruns, Strafzumessungsrecht, 2. Aufl., 1974, S. 524 ff.). Auch nach dem Standpunkt des Bundesverfassungsgerichts verstößt die Versagung der Milderung trotz Vorliegens der Voraussetzungen des § 21 StGB selbst bei Anwendung der lebenslangen Freiheitsstrafe nicht gegen das Schuldprinzip, wenn die Strafe wegen beträchtlich schulderhöhender Umstände verhältnismäßig ist (BVerfG, Beschluss vom 25. Oktober 1978 - 1 BvR 983/78, BVerfGE 50, 5). Demgegenüber dürfen schuldindifferente Faktoren, insbesondere Präventionserwägungen, bei der Entscheidung über die Strafrahmenverschiebung nicht berücksichtigt werden (MüKo/StGB/Streng, aaO, § 21 Rn. 21; LK/Schöch, aaO, § 21 Rn. 44; NK-StGB/Schild, 4. Aufl., § 21 Rn. 30; SSW-StGB/Kaspar, aaO; Roxin, aaO, § 20 Rn. 39). Deshalb könnten Überlegungen, die etwa an die "sittliche Schuld" der Selbstintoxikation anknüpfen (vgl. Rautenberg, DtZ 1997, 45, 47) oder generalpräventiv das Bewusstsein der Rechtsgemeinschaft von der Gefährlichkeit des Alkoholkonsums stärken sollen, eine Versagung der Strafrahmenmilderung von vornherein nicht tragen (vgl. MüKo/StGB/Streng, aaO, § 21 Rn. 21 mwN).
41
c) Von diesen Maßgaben ausgehend ist es Aufgabe des Tatgerichts, auf der Grundlage des umfassenden Eindrucks, den es in der Hauptverhandlung von der Tat und der Persönlichkeit des Täters gewonnen hat, die wesentlichen ent- und belastenden Umstände festzustellen, einer wertenden Betrachtung zu unterziehen und gegeneinander abzuwägen (vgl. BGH, Beschluss vom 28. April 2016 - 4 ARs 16/15, NStZ-RR 2016, 305 mwN). Welchen Umständen es bestimmendes Gewicht beimisst, ist im Wesentlichen seiner Beurteilung überlassen (vgl. BGH, Urteile vom 2. August 2012 - 3 StR 132/12, NStZ-RR 2012, 336 f.; vom 24. August 2016 - 2 StR 504/15, juris Rn. 23). Ihm steht dabei ein weiter Ermessensspielraum zu (vgl. BGH, Urteile vom 19. Oktober 2004 - 1 StR 254/04, BGHR StGB § 21 Strafrahmenverschiebung 37; vom 15. Februar 2006 - 2 StR 419/05, aaO; vom 24. August 2016 - 2 StR 504/15, aaO). Die Wertungen des Tatgerichts, insbesondere die Gewichtung der für und gegen eine Strafrahmenverschiebung sprechenden Umstände des Einzelfalls , sind in der Revisionsinstanz allein auf Rechtsfehler zu überprüfen. Hat es die für die Beurteilung wesentlichen tatsächlichen Grundlagen hinreichend ermittelt und berücksichtigt (vgl. BGH, Urteil vom 17. August 2004 - 5 StR 93/04, aaO, S. 241), so kann das Revisionsgericht nur beanstanden, dass es gesetzlich vorgegebene Wertungsmaßstäbe missachtet oder eine gerechtem Schuldausgleich nicht mehr entsprechende Strafe verhängt hat.

42
d) Bei Anwendung dieser Maßstäbe ist im Rahmen der Ermessensausübung im Ausgangspunkt Bedacht darauf zu nehmen, dass auf Grund der erheblichen Verminderung der Schuldfähigkeit der Schuldgehalt der Tat in aller Regel verringert ist (BGH, Urteile vom 10. November 1954 - 5 StR 476/54, BGHSt 7, 28, 30; vom 24. August 2016 - 2 StR 504/15, aaO Rn. 24; Beschluss vom 7. September 2015 - 2 StR 350/15, juris Rn. 4). Um dem Prinzip zu genügen , dass die Strafe das Maß der Schuld nicht überschreiten darf, erfordert die Versagung einer Strafrahmenverschiebung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB schulderhöhende Umstände, die diese Schuldminderung kompensieren (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Mai 2016 - 1 ARs 21/15 mwN; Roxin, aaO, § 20 Rn. 37 ff.; Salger/Mutzbauer, NStZ 1993, 561, 562). Es ist im Grundsatz anerkannt und wird auch durch den vorlegenden Senat nicht in Zweifel gezogen (vgl. Vorlegungsbeschluss Rn. 29 ff.), dass sich die auf einer Gesamtabwägung beruhende Ermessensentscheidung des Tatgerichts an diesem Kompensationsgedanken auszurichten hat (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 17. August 2004 - 5 StR 93/04, aaO; vom 15. Februar 2006 - 2 StR 419/05, aaO; vom 26. Mai 2004 - 2 StR 386/03, NStZ 2004, 619; MüKo/StGB/Streng, aaO, § 21 Rn. 22; SSW-StGB/Kaspar, aaO, § 21 Rn. 28; Fischer, aaO, § 21 Rn. 18; jeweils mwN). Das Ausmaß der fakultativen Strafrahmenverschiebung nach § 49 Abs. 1 StGB lässt dabei erkennen, dass der Gesetzgeber die Tatschuld als typischerweise beträchtlich verringert ansieht, wenn der Täter vermindert schuldfähig war. Hieraus folgt, dass es für die Verweigerung der Milderung eines besonderen Grundes bedarf, der umso gewichtiger sein muss, je gravierender sich die Beibehaltung des Regelstrafrahmens auswirkt (vgl. BGH, Beschluss vom 4. September 1992 - 2 StR 380/92, aaO; vom 25. Oktober 1989 - 2 StR 350/89, BGHR StGB § 21 Strafrahmenverschiebung 18 mwN; LK/Jähnke, StGB, 11. Aufl., § 21 Rn. 19; SSW-StGB/Kaspar, aaO, § 21 Rn. 18).
Dies führt jedoch nicht dazu, dass die tatgerichtliche Ermessensent43 scheidung über die Strafrahmenverschiebung nach den §§ 21, 49 Abs. 1 StGB ohne Weiteres dann als rechtsfehlerhaft zu bewerten ist, wenn das Tatgericht von der Strafmilderung maßgeblich deshalb absieht, weil der Angeklagte die Trunkenheit selbst verschuldete. Denn das selbstverantwortliche SichBetrinken des Täters vor der Tat stellt für sich allein einen schulderhöhenden Umstand dar, der im Rahmen der Ermessensausübung nach § 21 StGB regelmäßig Berücksichtigung finden darf, ohne dass dies von einzelfallbezogenen Feststellungen dazu abhängig ist, ob sich auf Grund der jeweiligen persönlichen oder situativen Verhältnisse das Risiko der Begehung von Straftaten infolge der Alkoholisierung (für den Täter) vorhersehbar signifikant erhöht hatte.
44
aa) Dass bereits allein das selbstverantwortliche Sich-Betrinken des Täters vor der Tat einen schulderhöhenden Umstand darstellt, ergibt sich aus Folgendem :
45
(1) Durch den Alkoholmissbrauch versetzt sich der Sich-Betrinkende in einen Zustand, der durch Enthemmung (vgl. BGH, Urteile vom 15. Februar 2006 - 2 StR 419/05, aaO; vom 24. August 2016 - 2 StR 504/15, aaO, Rn. 24 [Senkung der Hemmschwelle gegenüber sozial auffälligem und aggressivem Verhalten]), Verminderung von Einsichts- und Urteilsvermögen sowie Verschlechterung von Körperbeherrschung und Reaktionsfähigkeit gekennzeichnet ist. Davon, dass Alkoholkonsum eine solche enthemmende Wirkung hat, geht auch § 21 StGB aus; andernfalls könnte die akute Alkoholintoxikation nicht als krankhafte seelische Störung zu einer erheblich verminderten Schuldfähigkeit führen. Mit der Intoxikation treten hirnorganische Veränderungen ein, die einerseits z.B. erhöhte Reizoffenheit und Antriebssteigerung bedingen und auf diesem Wege aggressionsbahnende Effekte haben können (vgl. Konrad/Rasch, aaO, S. 121; Nedopil/Müller, Forensische Psychiatrie, 4. Aufl., S. 148 f.; Schalast/Leygraf, in: F. Schneider/Frister [Hrsg.] Alkohol und Schuldfähigkeit S. 182 f.); andererseits können Benommenheit und Müdigkeit auftreten. Mit der Herabsetzung der geistigen und körperlichen Kräfte kann jedenfalls ein trügerisches Gefühl erhaltener oder gar gesteigerter Leistungsfähigkeit einhergehen. Dieser Zustand bedingt eine erhöhte Gefährlichkeit des Berauschten, der sich gegenüber seiner Umwelt häufig in ihm sonst wesensfremder Weise verhält (vgl. BGH, Urteile vom 2. Mai 1961 - 1 StR 139/61, BGHSt 16, 124, 125; vom 22. August 1996 - 4 StR 217/96, BGHSt 42, 235, 243; vom 27. März 2003 - 3 StR 435/02, BGHR StGB § 21 Strafrahmenverschiebung 31). Daneben belegen statistische Daten (vgl. etwa Polizeiliche Kriminalstatistik, Jahrbuch 2015, S. 161) und zahlreiche wissenschaftliche Studien jedenfalls, dass insbesondere Alkoholkonsum und Gewalt oft gemeinsam auftreten (vgl. etwa die Übersicht bei Görgen/Nowak, Alkohol und Gewalt, S. 5 ff.).
46
Vor diesem Hintergrund haben weite Teile der Rechtsprechung - darunter alle Strafsenate des Bundesgerichtshofs (vgl. etwa BGH, Urteile vom 7. Mai 1957 - 5 StR 127/57, BGHSt 10, 247, 251; vom 2. Mai 1961 - 1 StR 139/61, BGHSt 16, 124, 125; vom 22. August 1996 - 4 StR 217/96, BGHSt 42, 235, 242; vom 27. März 2003 - 3 StR 435/02, aaO; vom 17. August 2004 - 5 StR 93/04, aaO, S. 242; vom 15. Februar 2006 - 2 StR 419/05, aaO; vom 24. August 2016 - 2 StR 504/15, aaO Rn. 24 ff.; Beschluss vom 6. November 1996 - 5 ARs 59/96, NStZ-RR 1997, 163, 165) - und strafrechtlichen Literatur (vgl. etwa Foth, DRiZ 1990, 417, 419 f.; Schnarr, aaO, S. 83 f.; Rautenberg, DtZ 1997, 45; Schäfer, DRiZ 1996, 196; Lackner, JuS 1968, 215, 218 f.) als allgemeinkundigen Erfahrungssatz gefolgert, eine alkoholische Berauschung erhöhe generell das Risiko strafbaren Verhaltens, insbesondere im Bereich der Gewalt- und Sexualdelikte. Allerdings wird in der Rechtsprechung auch gese- hen, dass es trotz verbreiteten hohen Alkoholkonsums "nur in einem Bruchteil der Fälle erheblicher Alkoholisierung zu einer rechtswidrigen Tat" kommt (vgl. BGH, Urteil vom 17. August 2004 - 5 StR 93/04, aaO, S. 242).
47
In der Wissenschaft herrscht bei anhaltender Forschung mittlerweile eine gewisse Einigkeit darüber, dass alkoholassoziierte Gewaltkriminalität auf einer komplexen Interaktion verschiedener biologischer, psychologischer und sozialer Faktoren beruht (vgl. Proescholdt/Walter/Wiesbeck, FortschrNeurolPsychiatr 2012, 441 f., 447; Görgen/Nowak, aaO, S. 22; Konrad/Rasch, aaO, S. 120; Schalast/Leygraf, aaO). Ob der Rausch zu deliktischem Verhalten führt, hängt zudem nicht allein von dem Sich-Betrinkenden ab, namentlich dessen Prädispositionen in der Persönlichkeit, sondern auch von häufig gleichsam zufälligen situativen Umständen (vgl. schon BGH, Urteil vom 29. Oktober 1957 - 5 StR 483/57, JR 1958, 28; Lackner, JuS 1968, 215, 218 f.; vgl. auch Nedopil /Müller, aaO, S. 154; Proescholdt/Walter/Wiesbeck, aaO, 441, 445). Die vorhandenen Befunde sowie die hohe Komorbidität von antisozialer Persönlichkeitsstörung und Substanzmissbrauch relativieren somit zwar die Vorstellung einer direkten kriminogenen Wirkung von Alkohol (vgl. Schalast/Leygraf, aaO), beseitigen sie jedoch nicht. Die Wirkungen starken Alkoholgenusses sind nicht sicher vorauszuberechnen (vgl. BGH, Urteile vom 12. April 1951 - 4 StR 78/50, BGHSt 1, 124, 126; vom 27. März 2003 - 3 StR 435/02, aaO).
48
Das so beschriebene dem Alkoholkonsum selbst innewohnende Risiko zählt zum Allgemeinwissen. Es ist selbst Menschen von geringer Lebenserfahrung in aller Regel bekannt (vgl. BGH, Urteil vom 7. Mai 1957 - 5 StR 127/57, BGHSt 10, 247, 251). Jedermann weiß oder kann zumindest wissen, dass er mit seiner Trunkenheit "das Tor für unbestimmtes rechtliches Versagen (vor allem) gegenüber unerwartet auftretenden Anforderungen öffnet" (Lackner aaO, S. 220; ebenso Schnarr aaO, S. 83). Der Alkoholkonsum stellt somit für jedermann erkennbar eine abstrakte Gefahr für strafrechtlich geschützte Rechtsgüter dar, die sich, falls der Sich-Betrinkende eine rechtswidrige Tat begeht, in der konkreten Rechtsgutsgefährdung oder Rechtsgutsverletzung realisiert (vgl. BGH, Urteil vom 27. März 2003 - 3 StR 435/02, aaO). Geht jemand dieses allgemeinkundige Risiko einer Alkoholintoxikation vorwerfbar ein, sind bereits allein dadurch das Handlungsunrecht seiner im Zustand der erheblich verminderten Schuldfähigkeit begangenen Tat sowie die Tatschuld signifikant erhöht. Das gilt nicht zuletzt im Verhältnis zu demjenigen Täter, der etwa aufgrund eines neurologischen oder hirnorganischen Defekts in einem nicht vorwerfbaren Zustand erheblich verminderter Schuldfähigkeit handelt.
49
(2) Hiermit ist die Ansicht, die Schuldrelevanz sei bereits dem Grunde nach davon abhängig, inwieweit der Täter infolge persönlicher Vorerfahrungen oder situativer Umstände einen - zusätzlichen - Anhalt für die Gefahr eigenen deliktischen Verhaltens hat, nicht vereinbar. Derartige Gesichtspunkte sind zwar geeignet, das Maß der Schuld zu beeinflussen; sie sind indessen nicht konstitutiv für deren Begründung. Hiergegen lässt sich nicht mit Erfolg einwenden , eine Schulderhöhung setze wenigstens Fahrlässigkeit in Bezug auf die Straftat als geringste Schuldform und damit die objektive und subjektive Vorhersehbarkeit und Vermeidbarkeit der Tat während des Sich-Berauschens voraus. Dieser Gesichtspunkt würde, wie der Generalbundesanwalt zutreffend ausgeführt hat, im Ergebnis einen eigenständigen Pflichtwidrigkeitszusammenhang zwischen dem Sich-Berauschen und dem konkreten tatbestandlichen Unrecht im Sinne eines originären Fahrlässigkeitsvorwurfs konstituieren. Dies stünde im Widerspruch zu der fortbestehenden strafrechtlichen Verantwortlichkeit des Täters, der die Straftat im Zustand erheblich verminderter Schuldfähigkeit begeht. Die schuldrelevante Berücksichtigung eines nicht im gesetzlichen Tatbestand normierten Umstands setzt jedoch allein voraus, dass dieser vom Täter mit der Folge seiner Zurechenbarkeit zu verantworten ist. Dies zeigt sich etwa in der Regelung des § 46 Abs. 2 StGB, der zahlreiche Strafzumessungstatsachen benennt, die nicht mit dem strafbarkeitsbegründenden Handeln selbst in einem Beziehungszusammenhang stehen müssen. Hinzu kommt, dass die genannte Auffassung den Betrachtungswinkel auf die enthemmende und hierdurch teilweise aggressionsfördernde Wirkung des Alkohols einschränkt. Damit lässt sie einen wesentlichen Teil rauschbedingter Gefahrenquellen , insbesondere die herabgesetzte Beherrschung körperlicher und geistiger Kräfte, außer Betracht. Diese hindert den Betrunkenen vielfach, den ihm obliegenden Sorgfaltspflichten ordnungsgemäß nachzukommen, was sich in einer Vielzahl denkbarer strafrechtlich relevanter Verfehlungen niederschlagen kann (vgl. schon Begründung zu § 351 StGB im Entwurf eines Strafgesetzbuches von 1960 [E 60], BT-Drucks. III/2150 S. 498 und im Entwurf eines Strafgesetzbuches von 1962 [E 62], BT-Drucks. IV/650 S. 537).
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(3) Damit steht im Einklang, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auch im Rahmen der Strafzumessung im engeren Sinne die Berücksichtigung der verschuldeten Trunkenheit für sich als schuldrelevantes Merkmal zulässig ist, ohne dass dies von einer darüber hinausgehenden subjektiven Beziehung zu der später begangenen Tat abhängig ist. Wendet das Tatgericht etwa wegen alkoholbedingter erheblich verminderter Schuldfähigkeit des Täters den nach § 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmen an, darf es nach allgemeiner Meinung bei der Straffindung innerhalb dieses Strafrahmens in die Abwägung strafschärfend den Umstand mit einbeziehen, dass der Täter den Zustand schuldhaft herbeigeführt hatte (vgl. BGH, Beschluss vom 24. März 1976 - 2 StR 101/76, BGHSt 26, 311, 312; ferner BGH, Urteile vom 21. Juli 1984 - 1 StR 330/84, NStZ 1984, 548; vom 9. Februar 2000 - 3 StR 392/99, NStZ-RR 2000, 166, 168; Beschluss vom 2. Juli 1985 - 1 StR 280/85, NJW 1986, 793, 794; Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 5. Aufl., Rn. 1127; Schnarr in Hettinger [Hrsg.], Reform des Sanktionenrechts, 2001, Bd. 1, S. 1, 43; S/S-Stree/Kinzig, StGB, 29. Aufl., § 46 Rn. 49). In diesem Zusammenhang ist - soweit ersichtlich - die Forderung, die verschuldete Trunkenheit dürfe - als Grundlage für einen gerechten Schuldausgleich (§ 46 Abs. 1 Satz 1 StGB) - nur gewürdigt werden, wenn eine für den Täter vorhersehbare signifikante Erhöhung des Risikos der Begehung von Straftaten auf Grund der persönlichen und situativen Verhältnisse des Einzelfalls festgestellt ist, noch nicht erhoben worden. Ebenso wenig ist ersichtlich, dass insoweit berücksichtigungsfähige Präventionszwecke (s. § 46 Abs. 1 Satz 2 StGB) bemüht würden.
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(4) Dass es sich bei dem selbstverantwortlichen Sich-Betrinken um ein tatschuldrelevantes Merkmal handelt, entspricht im Übrigen den den Regelungen des § 323a StGB und des § 122 OWiG zugrundeliegenden Wertungen. Die Vorschriften lassen Rückschlüsse auf die vom Gesetzgeber vorgenommene Beurteilung zu, dass es sich bei dem schuldhaft herbeigeführten Rausch nicht um eine sozialadäquate, wertneutrale Erscheinung handelt, sondern dass ihm als offenkundigem Gefahrenherd ein Unwert anhaftet, der geeignet ist, das Ob und das Wie strafrechtlicher Sanktionen zu bestimmen:
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Im Hinblick auf die allgemeine Gefährlichkeit und Unberechenbarkeit des schwer Berauschten hat der Gesetzgeber das Sich-in-einen-Rausch-Versetzen in § 323a StGB und § 122 OWiG als ein selbständiges, rechtlich fassbares sanktionswürdiges Unrecht tatbestandlich normiert. Er hat lediglich die Ahndung des schuldhaften Sich-Berauschens durch die Einfügung einer objektiven Bedingung der Strafbarkeit bzw. der Bußgeldbewehrung dahin eingeschränkt, dass ein "folgenloser" Rausch keine Sanktion nach sich ziehen soll. Demgegenüber wird derjenige wegen der Berauschung mit Strafe oder Geldbuße sanktioniert, der in diesem Zustand in rechtswidriger Weise einen Straf- oder Ordnungswidrigkeitentatbestand verwirklicht und hierfür nicht bestraft oder mit Geldbuße belegt werden kann, weil er infolge des Rausches schuldunfähig war bzw. nicht vorwerfbar gehandelt hat oder dies zumindest nicht auszuschließen ist (vgl. BGH, Urteile vom 12. April 1951 - 4 StR 78/50, BGHSt 1, 124, 125; vom 2. Mai 1961 - 1 StR 139/61, BGHSt 16, 124, 125 f.; vom 1. Juni 1962 - 4 StR 88/62, BGHSt 17, 333, 334; vom 26. Oktober 1965 - 1 StR 394/65, BGHSt 20, 284, 285; vom 22. August 1996 - 4 StR 217/96, BGHSt 42, 235, 242 f.; Beschlüsse vom 18. August 1983 - 4 StR 142/82, BGHSt 32, 48, 55 f.; vom 17. Oktober 1991 - 4 StR 465/91, BGHR StGB § 323a Abs. 2 Strafzumessung 5; KK/Rengier, OWiG, 4. Aufl., § 122 Rn. 8 mwN).
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Vor diesem Hintergrund erklärt sich zwanglos, dass der Gesetzgeber das Sich-Berauschen im Grundsatz als Unrecht bewertet, die Straf- oder Ahndbarkeit indes davon abhängig gemacht hat, ob bzw. in welchem Umfang sich die für die Rechtsgüter Dritter oder die Allgemeinheit gesteigerte Gefahr, die von einem Berauschten ausgeht, tatsächlich in einer konkreten rechtswidrigen Tat niedergeschlagen hat. Weder für die Straftat nach § 323a StGB noch für die Ordnungswidrigkeit nach § 122 OWiG ist indes vorausgesetzt, dass sich der Täter im Zeitpunkt des Sich-Berauschens bewusst war oder hätte bewusst sein können, dass er im Rausch zur Begehung von Straftaten oder ordnungswidrigem Verhalten neige (vgl. BGH, Urteile vom 12. April 1951 - 4 StR 78/50, BGHSt 1, 124, 125; vom 23. November 1951 - 2 StR 491/51, BGHSt 2, 14, 18; vom 2. Mai 1961 - 1 StR 139/61, BGHSt 16, 124, 127; Beschlüsse vom 15. Oktober 1956 - GSSt 2/56, BGHSt 9, 390, 394; vom 17. Oktober 1991 - 4 StR 465/91, BGHR StGB § 323a Abs. 2 Strafzumessung 5; Bohnert/Krenberger/Krumm, OWiG, 4. Aufl., § 122 Rn. 2, 14; Göhler/Gürtler, OWiG, 16. Aufl., § 122 Rn. 7a; KK/Rengier, aaO, Rn. 25; Lackner/Kühl, StGB, 28. Aufl., § 323a Rn. 14 mwN; s. aber auch zu vielen abweichenden Stimmen in der Literatur MüKoStGB/Geisler, 2. Aufl., § 323a Rn. 57 ff. mwN).
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Die in den § 323a StGB, § 122 OWiG enthaltene Wertung ist schließlich nicht darauf zu reduzieren, dass einem Rausch nur dann strafrechtlich erhebliches Unrecht innewohnt, wenn er zumindest nicht ausschließbar zur völligen Aufhebung der Steuerungsfähigkeit führt (vgl. BGH, Urteil vom 17. August 2004 - 5 StR 93/04, aaO, S. 252). Der hierauf begrenzte Anwendungsbereich der genannten Normen ist nicht Ausdruck eines nur beschränkten Straf- und Regelungsbedürfnisses. Denn die strafrechtliche Verantwortlichkeit eines nur erheblich vermindert schuldfähigen Täters besteht fort. Hieraus folgt, dass es insoweit einer gesonderten tatbestandlichen Erfassung des dem vorwerfbaren Rausch innewohnenden Unwerts nicht bedarf.
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bb) Die hiesige Lösung steht im Einklang mit dem Willen des Gesetzgebers. Dieser hat die Entscheidung über die Strafmilderung bei erheblich verminderter Schuldfähigkeit gerade mit Blick auf die verschuldete Trunkenheit dem tatrichterlichen Ermessen überantwortet. Im Einzelnen:
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Der "Entwurf eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuches" von 1927 (vgl. Deutscher Reichsanzeiger und Preußischer Staatsanzeiger vom 27. November 1933; Rautenberg, DtZ 1997, 45, 47) hatte den zwingenden Ausschluss der Strafmilderung bei verschuldeter Trunkenheit mit demHinweis auf das Schuldprinzip abgelehnt und stattdessen erstmals eine "Kann"-Vorschrift vorgesehen. Zu der mit einer solchen Regelung verfolgten Intention äußerte sich die Begründung des Entwurfs dahin, dass er es "dem richterlichen Ermessen (überlässt), zu entscheiden, ob und inwieweit eine selbstverschulde- te Trunkenheit, die die Zurechnungsfähigkeit nicht ausschließt, als strafmildernd zu berücksichtigen ist" (Reichstagsdrucksache, III. Wahlperiode 1924/27, Nr. 3390, Begründung S. 15; abgedruckt in Schubert/Regge/Rieß/Schmid [Hrsg.], Quellen zur Reform des Straf- und Strafprozeßrechts, I. Abt.: Weimarer Republik, Bd. 1, 1995, S. 495). Mit dem Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsverbrecher und über Maßregeln der Sicherung und Besserung vom 24. November 1933 (RGBl. I, S. 995) wurde die verminderte Zurechnungsfähigkeit in § 51 Abs. 2 StGB aF als fakultativer Strafmilderungsgrund erstmals kodifiziert.
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Die Reformarbeiten in der Nachkriegszeit führten dazu, dass an der fakultativen Strafmilderung festgehalten und kein Milderungszwang eingeführt wurde, und mündeten letztlich in den seit dem 1. Januar 1975 geltenden § 21 StGB. Zum Ermessen heißt es in der Begründung des Entwurfs eines Strafgesetzbuches von 1962 (E 1962): Ob die Schuld verringert ist, "beruht auf einer Gesamtwürdigung, bei der außer dem Grade der Schuldfähigkeit auch andere Umstände zu berücksichtigen sind; so die Tatschuldumstände (...), aber auch Schuldumstände vor der Tat (z.B. schuldhafte Herbeiführung der verminderten Schuldfähigkeit). Dass die Milderung nur zugelassen und nicht vorgeschrieben ist, ermöglicht einen Ausgleich zwischen der Verminderung der Schuldfähigkeit einerseits und erschwerenden Schuldumständen andererseits bei der Gesamtwürdigung der Schwere der Schuld" (BT-Drucks. IV/650, S. 142; ebenso - wortlautidentisch - die Begründungen zum "Entwurf eines Allgemeinen Teils eines Strafgesetzbuches nach den Beschlüssen der Großen Strafrechtskommission in erster Lesung" von 1958 [E 1958, veröffentlicht vom Bundesministerium der Justiz, Begründung S. 30 f.] und zum Entwurf eines Strafgesetzbuches von 1960 [E 1960, BR-Drucks. 270/60, S. 134]; s. hierzu Rautenberg, Verminderte Schuldfähigkeit, 1984, S. 176). Durch die vorzugswürdige "elastischere" Ermessensvorschrift erübrige sich eine Regelung über den zwingenden Ausschluss der Strafrahmenmilderung bei selbstverschuldeten Bewusstseinsstörungen (vgl. BT-Drucks. IV/650, S. 142; ferner E 1958, aaO, Begründung S. 31; E 1960, BR-Drucks. 270/60, S. 134).
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cc) Zusammenfassend kommt es nach alldem nicht mehr entscheidungserheblich darauf an, ob mit dem vorlegenden Senat anzunehmen ist, für die hiesige Lösung stritten weitere Gesichtspunkte, darunter etwa die Regelung des § 7 WStG (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Dezember 2016 - 3 StR 63/15, juris Rn. 43 ff.). Das Tatgericht überschreitet aus den dargelegten Gründen jedenfalls nicht die Grenzen des ihm bei der Entscheidung über eine Strafrahmenmilderung nach den §§ 21, 49 Abs. 1 StGB eingeräumten Ermessens, wenn es im Rahmen der Gesamtabwägung aller schuldrelevanten Umstände in den Blick nimmt, dass der Angeklagte die Trunkenheit selbst verschuldet hat. Ihm obliegt die Bewertung, ob das Gewicht dieses Umstands nach den Umständen des Einzelfalls hoch genug ist, um die aufgrund der erheblich verminderten Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit verringerte Tatschuld aufzuwiegen. An feste Regeln ist es dabei nicht gebunden.
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3. Da die Entscheidung - zumindest auch - auf den spezifischen Auswirkungen des Alkoholkonsums und der allgemeinen Kenntnis hierüber beruht, ist davon abzusehen, die dargelegten Grundsätze der Anregung des Generalbundesanwalts folgend auf alle anderen Fälle vorwerfbarer Rauschzustände zu erstrecken (vgl. etwa BGH, Urteil vom 17. August 2004 - 5 StR 591/03, StV 2005, 19).
Limperg Raum Sost-Scheible Graf Schäfer Schneider König Krehl Eschelbach Quentin Gericke

(1) Wer sich vorsätzlich oder fahrlässig durch alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel in einen Rausch versetzt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wenn er in diesem Zustand eine rechtswidrige Tat begeht und ihretwegen nicht bestraft werden kann, weil er infolge des Rausches schuldunfähig war oder weil dies nicht auszuschließen ist.

(2) Die Strafe darf nicht schwerer sein als die Strafe, die für die im Rausch begangene Tat angedroht ist.

(3) Die Tat wird nur auf Antrag, mit Ermächtigung oder auf Strafverlangen verfolgt, wenn die Rauschtat nur auf Antrag, mit Ermächtigung oder auf Strafverlangen verfolgt werden könnte.