Bundesgerichtshof Beschluss, 28. Sept. 2016 - XII ZB 269/16
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 28. September 2016 durch den Vorsitzenden Richter Dose und die Richter Dr. Günter, Dr. Nedden-Boeger, Dr. Botur und Guhling
beschlossen:
Gründe:
I.
- 1
- Der 26jährige Betroffene leidet seit seiner Geburt an einer peripartalen cerebralen Schädigung mit gemischter zentraler Koordinationsstörung, Rumpfhypotonie , Tetraspastik und ausgeprägter Athetose, dazu an einer Anarthie bei hochgradiger Schwerhörigkeit, einer Beugekontraktur beider Kniegelenke und einer Hüftgelenksluxation rechts, weshalb er seine sämtlichen Angelegenheiten nicht selbst besorgen kann.
- 2
- Im Januar 2009 bestellte das Amtsgericht eine Rechtsanwältin zur Berufsbetreuerin. Dies wurde mit den zwischen den geschiedenen Eltern des Betroffenen bestehenden Spannungen begründet, weshalb diese als Betreuer nicht in Betracht kämen. Spätere Anträge des Beteiligten zu 3 (Vater des Betroffenen ) auf Betreuerwechsel blieben erfolglos.
- 3
- Mit Beschluss vom 21. Januar 2016 hat das Amtsgericht die Betreuung verlängert und den erneuten Antrag des Vaters auf Betreuerwechsel zurückgewiesen. Von einer Anhörung des Betroffenen hat es abgesehen, weil aufgrund eingeschränkter Kommunikationsmöglichkeiten mit dem Betroffenen ein Erkenntnisgewinn nicht zu erwarten sei.
- 4
- Das Landgericht hat die Beschwerde des Vaters zurückgewiesen; hiergegen richtet sich seine Rechtsbeschwerde.
II.
- 5
- Die zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet.
- 6
- 1. Die Rechtsbeschwerde ist zulassungsfrei statthaft, auch soweit sich der Vater nicht gegen die Verlängerung der Betreuung als solche, sondern gegen die Auswahl des Betreuers wendet (vgl. Senatsbeschlüsse vom 15. September 2010 - XII ZB 166/10 - FamRZ 2010, 1897 Rn. 9 f. und vom 25. März 2015 - XII ZB 621/14 - FamRZ 2015, 1178 Rn. 9 f. mwN).
- 7
- 2. Das Landgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt: Nach dem eingeholten Gutachten bedürfe der Betroffene einer Betreuung in allen Angelegenheiten. Der Betroffene sei auch nicht zu einer freien Willensbildung in der Lage. Von einer Anhörung des Betroffenen habe gemäß § 34 Abs. 2 FamFG abgesehen werden können, da der Betroffene offensichtlich nicht in der Lage sei, seinen Willen kundzutun. Das ergebe sich bereits aus dem Protokoll der Anhörung vom 27. April 2011, in der deutlich geworden sei, dass der Betroffene den hinter bestimmten Fragen zur Betreuung steckenden Sinn nicht zu erfassen vermochte. Auch der Sachverständige habe in seinem Gutachten bestätigt, dass eine Verständigung mit dem Betroffenen nur in sehr eingeschränktem Maße und nur bezüglich basaler Bedürfnisse möglich sei.
- 8
- Die Voraussetzungen für einen Betreuerwechsel gemäß § 1908 b BGB lägen nicht vor, da die bisherige Betreuerin nicht ungeeignet sei. Die vom Vater des Betroffenen insoweit erhobenen Vorwürfe gegen die Betreuerin seien unbegründet.
- 9
- 3. Die angefochtene Entscheidung hält einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Die Rechtsbeschwerde rügt zu Recht, dass das Beschwerdegericht nicht von einer persönlichen Anhörung des Betroffenen hätte absehen dürfen.
- 10
- a) Gemäß § 278 Abs. 1 Satz 1, 2 FamFG hat das Gericht den Betroffenen vor der Bestellung eines Betreuers oder der Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts persönlich anzuhören. Es hat sich einen persönlichen Eindruck von dem Betroffenen zu verschaffen. Die persönliche Anhörung des Betroffenen nach § 278 Abs. 1 FamFG ist auch für das Verlängerungsverfahren zwingend vorgeschrieben (§ 295 Abs. 1 FamFG).
- 11
- b) Zu Unrecht meint das Beschwerdegericht, von einer Anhörung habe gemäß § 34 Abs. 2 FamFG abgesehen werden können (vgl. hierzu Senatsbeschluss vom 2. Juli 2014 - XII ZB 120/14 - FamRZ 2014, 1543 Rn. 12), weil der Betroffene nicht dazu in der Lage sei, seinen Willen kundzutun. Bei der Prüfung der Voraussetzungen dieser Vorschrift hat das Beschwerdegericht einen falschen Maßstab angelegt.
- 12
- aa) Auf das vom Beschwerdegericht herangezogene Kriterium, ob der Betroffene den hinter bestimmten Fragen zur Betreuung steckenden Sinn zu erfassen vermag, kommt es nicht entscheidend an. § 34 Abs. 2 FamFG greift nämlich nicht schon, wenn der Betroffene nichts Sinnvolles zur Sache äußern kann, sondern erst, wenn er entweder überhaupt nichts oder jedenfalls nichts irgendwie auf die Sache Bezogenes zu äußern imstande ist (vgl. Prütting/ Helms/Fröschle FamFG 3. Aufl. § 278 Rn. 32; Damrau/Zimmermann Betreuungsrecht 4. Aufl. § 278 FamFG Rn. 64), sei es etwa, weil der Betroffene bewusstlos ist oder weil er künstlich beatmet wird und dabei weder zu einer verbalen noch zu einer nonverbalen Kommunikation in der Lage ist, sich also in keiner Weise mehr mitteilen kann (HK-BUR/Bauer [Stand: Juli 2010] § 278 FamFG Rn. 138). Solange hingegen nicht ausgeschlossen ist, dass aus den Antworten und aus dem Verhalten des Betroffenen Rückschlüsse auf dessen natürlichen Willen gezogen werden können, darf das Betreuungsgericht nicht nach § 34 Abs. 2 FamFG von einer persönlichen Anhörung absehen. Daher schließt auch eine erhalten gebliebene nonverbale Kommunikationsfähigkeit einen Anhörungsverzicht grundsätzlich aus (HK-BUR/Bauer [Stand: Juli 2010] § 278 FamFG Rn. 139).
- 13
- Die für ein Absehen von der Anhörung erforderliche Feststellung, dass Rückschlüsse auf den natürlichen Willen des Betroffenen offensichtlich weder aufgrund verbaler noch aufgrund nonverbaler Kommunikation möglich sind, kann das Gericht regelmäßig nur auf der Grundlage eines aktuellen persönlichen Eindrucks treffen, den es bei einer unmittelbaren Kontaktaufnahme mit dem Betroffenen gewonnen hat (vgl. Jurgeleit/Bučić Betreuungsrecht 3. Aufl.
- 14
- bb) Im vorliegenden Fall ist weder die konkrete Feststellung getroffen, der Betroffene könne seinen natürlichen Willen "offensichtlich" nicht kundtun, noch könnte sich eine solche Annahme auf den Versuch einer gerichtlichen Kontaktaufnahme mit dem Betroffenen im Verlängerungsverfahren stützen. Vielmehr wird die gegenteilige Annahme sowohl durch frühere Anhörungsprotokolle als auch durch die Ausführungen des Sachverständigen gestützt, wonach eine Verständigung mit dem Betroffenen über seine Grundbedürfnisse unter Verwendung technischer Hilfsmittel grundsätzlich möglich ist. Unter diesen Voraussetzungen hätte nicht von einer Anhörung nach § 34 Abs. 2 FamFG abgesehen werden dürfen.
- 15
- c) Da das Amtsgericht verfahrensfehlerhaft von der persönlichen Anhörung des Betroffenen abgesehen hat, durfte das Beschwerdegericht nicht nach § 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG von einer Anhörung absehen. Vielmehr hätte es die Anhörung nachholen müssen (vgl. Senatsbeschlüsse vom 2. März 2011 - XII ZB 346/10 - FamRZ 2011, 805 Rn. 14 und vom 1. Juni 2016 - XII ZB 23/16 - FamRZ 2016, 1354 Rn. 17).
- 16
- 4. Der angefochtene Beschluss kann daher keinen Bestand haben. Die Sache ist an das Landgericht zurückzuverweisen, um diesem Gelegenheit zu geben, die erforderliche Anhörung des Betroffenen nachzuholen.
- 17
- Bei seiner erneuten Befassung wird das Landgericht außerdem zu berücksichtigen haben, dass die Betreuerauswahl bei der Entscheidung über die Verlängerung der Betreuung aufgrund einer umfassenden Abwägung nach den Maßstäben des § 1897 BGB zu treffen ist. Eine Prüfung lediglich anhand der Kriterien für eine Entlassung des Betreuers (§ 1908 b BGB) genügt nicht.
Abs. 6 Satz 1 BGB), und inwieweit bei der Auswahl des Betreuers auf die Bindungen des Betroffenen zu seinen Eltern sowie auf die Gefahr von Interessenkonflikten Rücksicht zu nehmen ist (§ 1897 Abs. 5 BGB).
Dose Günter Nedden-Boeger Botur Guhling
Vorinstanzen:
AG Konstanz, Entscheidung vom 21.01.2016 - XVII 36/08 -
LG Konstanz, Entscheidung vom 12.05.2016 - C 12 T 42/16 -
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Annotations
(1) Das Gericht hat einen Beteiligten persönlich anzuhören,
- 1.
wenn dies zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs des Beteiligten erforderlich ist oder - 2.
wenn dies in diesem oder in einem anderen Gesetz vorgeschrieben ist.
(2) Die persönliche Anhörung eines Beteiligten kann unterbleiben, wenn hiervon erhebliche Nachteile für seine Gesundheit zu besorgen sind oder der Beteiligte offensichtlich nicht in der Lage ist, seinen Willen kundzutun.
(3) Bleibt der Beteiligte im anberaumten Anhörungstermin unentschuldigt aus, kann das Verfahren ohne seine persönliche Anhörung beendet werden. Der Beteiligte ist auf die Folgen seines Ausbleibens hinzuweisen.
(1) Für die Verlängerung der Bestellung eines Betreuers oder der Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts gelten die Vorschriften über die erstmalige Anordnung dieser Maßnahmen entsprechend. Von der erneuten Einholung eines Gutachtens kann abgesehen werden, wenn sich aus der persönlichen Anhörung des Betroffenen und einem ärztlichen Zeugnis ergibt, dass sich der Umfang der Betreuungsbedürftigkeit offensichtlich nicht verringert hat und eine Verlängerung dem erklärten Willen des Betroffenen nicht widerspricht. Das Gericht hat die zuständige Behörde nur anzuhören, wenn es der Betroffene verlangt oder es zur Sachaufklärung erforderlich ist.
(2) Über die Verlängerung der Betreuung oder des Einwilligungsvorbehalts hat das Gericht spätestens sieben Jahre nach der Anordnung dieser Maßnahmen zu entscheiden. Ist die Maßnahme gegen den erklärten Willen des Betroffenen angeordnet worden, ist über eine erstmalige Verlängerung spätestens nach zwei Jahren zu entscheiden.
(1) Das Gericht hat einen Beteiligten persönlich anzuhören,
- 1.
wenn dies zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs des Beteiligten erforderlich ist oder - 2.
wenn dies in diesem oder in einem anderen Gesetz vorgeschrieben ist.
(2) Die persönliche Anhörung eines Beteiligten kann unterbleiben, wenn hiervon erhebliche Nachteile für seine Gesundheit zu besorgen sind oder der Beteiligte offensichtlich nicht in der Lage ist, seinen Willen kundzutun.
(3) Bleibt der Beteiligte im anberaumten Anhörungstermin unentschuldigt aus, kann das Verfahren ohne seine persönliche Anhörung beendet werden. Der Beteiligte ist auf die Folgen seines Ausbleibens hinzuweisen.
(1) Hält das Gericht, dessen Beschluss angefochten wird, die Beschwerde für begründet, hat es ihr abzuhelfen; anderenfalls ist die Beschwerde unverzüglich dem Beschwerdegericht vorzulegen. Das Gericht ist zur Abhilfe nicht befugt, wenn die Beschwerde sich gegen eine Endentscheidung in einer Familiensache richtet.
(2) Das Beschwerdegericht hat zu prüfen, ob die Beschwerde an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, ist die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen.
(3) Das Beschwerdeverfahren bestimmt sich im Übrigen nach den Vorschriften über das Verfahren im ersten Rechtszug. Das Beschwerdegericht kann von der Durchführung eines Termins, einer mündlichen Verhandlung oder einzelner Verfahrenshandlungen absehen, wenn diese bereits im ersten Rechtszug vorgenommen wurden und von einer erneuten Vornahme keine zusätzlichen Erkenntnisse zu erwarten sind.
(4) Das Beschwerdegericht kann die Beschwerde durch Beschluss einem seiner Mitglieder zur Entscheidung als Einzelrichter übertragen; § 526 der Zivilprozessordnung gilt mit der Maßgabe entsprechend, dass eine Übertragung auf einen Richter auf Probe ausgeschlossen ist. Zudem kann das Beschwerdegericht die persönliche Anhörung des Kindes durch Beschluss einem seiner Mitglieder als beauftragtem Richter übertragen, wenn es dies aus Gründen des Kindeswohls für sachgerecht hält oder das Kind offensichtlich nicht in der Lage ist, seine Neigungen und seinen Willen kundzutun. Gleiches gilt für die Verschaffung eines persönlichen Eindrucks von dem Kind.
(5) Absatz 3 Satz 2 und Absatz 4 Satz 1 finden keine Anwendung, wenn die Beschwerde ein Hauptsacheverfahren betrifft, in dem eine der folgenden Entscheidungen in Betracht kommt:
- 1.
die teilweise oder vollständige Entziehung der Personensorge nach den §§ 1666 und 1666a des Bürgerlichen Gesetzbuchs, - 2.
der Ausschluss des Umgangsrechts nach § 1684 des Bürgerlichen Gesetzbuchs oder - 3.
eine Verbleibensanordnung nach § 1632 Absatz 4 oder § 1682 des Bürgerlichen Gesetzbuchs.