Bundesgerichtshof Beschluss, 06. März 2019 - VII ZR 303/16

bei uns veröffentlicht am06.03.2019
vorgehend
Landgericht Frankfurt am Main, 20 O 359/14, 24.02.2016
Oberlandesgericht Frankfurt am Main, 29 U 134/16, 04.11.2016

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
VII ZR 303/16
vom
6. März 2019
in dem Rechtsstreit
ECLI:DE:BGH:2019:060319BVIIZR303.16.0

Der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 6. März 2019 durch den Vorsitzenden Richter Pamp, die Richter Halfmeier, Dr. Kartzke und Prof. Dr. Jurgeleit sowie die Richterin Sacher
beschlossen:
Der Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision wird stattgegeben. Das Urteil des 29. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 4. November 2016 in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 27. Dezember 2016 wird gemäß § 544 Abs. 7 ZPO im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als der Beklagte verurteilt worden ist, an die Klägerin als Kostenvorschuss 96.985 € nebst Zinsen und anteilige vorgerichtliche Anwaltskosten nebst Zinsen zu zahlen, und eine Verpflichtung zum Ersatz weiterer Aufwendungen, Kosten und Schäden aus und im Zusammenhang mit der Beseitigung von Mängeln am Tiefgaragenboden festgestellt worden ist. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens , an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Gegenstandswert: 96.985 €

Gründe:

I.

1
Der Beklagte errichtete eine Wohnungseigentumsanlage mit Tiefgarage. Die klagende Wohnungseigentümergemeinschaft begehrt - soweit jetzt noch von Interesse - einen Kostenvorschuss für die Beseitigung eines Mangels des Tiefgaragenbodens sowie die Feststellung der Ersatzpflicht für weitere hieraus entstehende Kosten und Schäden.
2
Die Klägerin behauptet, der Aufbau des Tiefgaragenbodens und seine Entwässerung entspreche nicht den anerkannten Regeln der Technik. Zur Beseitigung des Mangels müsse insbesondere ein Oberflächenschutzsystem auf den Boden der Tiefgarage aufgebracht werden. Die Kosten für die Beseitigung des Mangels beliefen sich auf insgesamt 96.985 € brutto.
3
Die Klägerin hat gegen den Beklagten ein selbständiges Beweisverfahren durchgeführt, in dem der Sachverständige D. ein schriftliches Gutachten nebst drei schriftlichen Ergänzungen vorgelegt hat.
4
Das Landgericht hat den Mangel auf der Grundlage des Gutachtens für bewiesen erachtet und dem Klageantrag stattgegeben. Die Berufung des Beklagten, mit der er das Urteil in weitergehendem Umfang angefochten hatte, hat insoweit keinen Erfolg gehabt. Gegen die Nichtzulassung der Revision im Berufungsurteil wendet sich die Beschwerde des Beklagten, der nach Zulassung der Revision die Aufhebung dieser Verurteilung und Klageabweisung erreichen möchte.

II.

5
Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO im Umfang der Anfechtung zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und insoweit zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
6
Das Berufungsgericht hat, wie die Beschwerde zu Recht rügt, den Anspruch des Beklagten auf Gewährung rechtlichen Gehörs aus Art. 103 Abs. 1 GG in entscheidungserheblicher Weise verletzt, indem es den in der Berufungsbegründung gestellten Antrag des Beklagten auf mündliche Anhörung des Sachverständigen D. zur Erläuterung seines Gutachtens übergangen hat.
7
1. Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Die Vorschrift verlangt auch die Berücksichtigung erheblicher Beweisanträge. Dazu gehört der Antrag einer Partei auf mündliche Anhörung des gerichtlichen Sachverständigen , und zwar auch des Sachverständigen aus einem vorausgegangenen selbständigen Beweisverfahren. Denn dieses Recht ist den Parteien nicht nur einfach-rechtlich nach §§ 397, 402 ZPO gewährt, sondern Teil ihres Grundrechts auf Gewährung rechtlichen Gehörs. Die Nichtberücksichtigung eines solchen Beweisangebots verstößt gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze findet (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschluss vom 16. März 2017 - V ZR 170/16 Rn. 6 m.w.N., DWW 2017, 230).
8
2. So liegt es hier. Der Beklagte hat mit seiner Berufungsbegründung vom 27. April 2016 unter Verweis auf seinen Schriftsatz in erster Instanz vom 11. August 2015 eine Verletzung rechtlichen Gehörs durch das Landgericht gerügt , weil dieses seinen Antrag auf mündliche Anhörung des Sachverständigen übergangen habe. Damit hat der Beklagte zugleich ersichtlich an diesem Antrag auch für die Berufungsinstanz festgehalten, was außerdem dadurch bekräftigt wird, dass er abschließend unter anderem auf seine Anträge im Schriftsatz vom 11. August 2015 verwiesen hat.
9
Das Berufungsgericht hat diesen Antrag weder in der angefochtenen Entscheidung erwähnt noch ist ersichtlich, warum es den Sachverständigen nicht angehört hat. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kommt es für die Frage, ob die Ladung eines Sachverständigen zur mündlichen Erläuterung des von ihm erstatteten Gutachtens geboten ist, nicht darauf an, ob das Gericht noch Erläuterungsbedarf sieht oder ob zu erwarten ist, dass der Gutachter seine Auffassung ändert. Weiter ist unerheblich, ob das schriftliche Gutachten Mängel aufweist. Die Parteien haben zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs nach §§ 397, 402 ZPO einen Anspruch darauf, dass sie dem Sachverständigen die Fragen, die sie zur Aufklärung der Sache für wesentlich erachten, in einer mündlichen Anhörung stellen können. Dieses Antragsrecht der Parteien besteht unabhängig von § 411 Abs. 3 ZPO (vgl. BGH, Beschluss vom 19. November 2014 - IV ZR 47/14 Rn. 8 m.w.N., NJW-RR 2015, 510). Es ist nichts dafür ersichtlich, dass ein Ausnahmefall (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 29. Oktober 2002 - VI ZR 353/01, NJW-RR 2003, 208, juris Rn. 7) in Betracht käme, in dem das Berufungsgericht von einer solchen Anhörung trotz Antrags einer Partei absehen könnte.
10
3. Auf diesem Verfahrensverstoß beruht die angefochtene Entscheidung des Berufungsgerichts, soweit sie mit der Beschwerde angefochten worden ist. Das Berufungsgericht stützt seine Verurteilung auch auf das schriftliche Sachverständigengutachten. Es ist nicht auszuschließen, dass es nach einer Anhörung des Sachverständigen zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre.

III.

11
Die Zurückverweisung und erneute Verhandlung gibt dem Berufungsgericht die Gelegenheit, sich auch mit den weiteren Einwänden der Nichtzulassungsbeschwerde gegen seine Ausführungen, mit denen es die Abweichung von allgemein anerkannten Regeln der Technik begründet hat, auseinanderzusetzen. Der Senat weist daraufhin, dass die Feststellung, welches die allgemein anerkannten Regeln der Technik sind, vom Gericht regelmäßig nur aufgrund sachverständiger Beratung getroffen werden kann (vgl. hierzu etwa Kniffka in Kniffka/Koeble, Kompendium des Baurechts, 4. Auflage, 6. Teil Rn. 33 f. m.w.N.). Pamp Halfmeier Kartzke Jurgeleit Sacher
Vorinstanzen:
LG Frankfurt am Main, Entscheidung vom 24.02.2016 - 2-20 O 359/14 -
OLG Frankfurt am Main, Entscheidung vom 04.11.2016 - 29 U 134/16 -

ra.de-Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 06. März 2019 - VII ZR 303/16

Urteilsbesprechung schreiben

0 Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Beschluss, 06. März 2019 - VII ZR 303/16

Referenzen - Gesetze

Bundesgerichtshof Beschluss, 06. März 2019 - VII ZR 303/16 zitiert 5 §§.

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 103


(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör. (2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. (3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafge

Zivilprozessordnung - ZPO | § 544 Nichtzulassungsbeschwerde


(1) Die Nichtzulassung der Revision durch das Berufungsgericht unterliegt der Beschwerde (Nichtzulassungsbeschwerde). (2) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist nur zulässig, wenn1.der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer 20 000 Eur

Zivilprozessordnung - ZPO | § 411 Schriftliches Gutachten


(1) Wird schriftliche Begutachtung angeordnet, setzt das Gericht dem Sachverständigen eine Frist, innerhalb derer er das von ihm unterschriebene Gutachten zu übermitteln hat. (2) Versäumt ein zur Erstattung des Gutachtens verpflichteter Sachverst

Zivilprozessordnung - ZPO | § 402 Anwendbarkeit der Vorschriften für Zeugen


Für den Beweis durch Sachverständige gelten die Vorschriften über den Beweis durch Zeugen entsprechend, insoweit nicht in den nachfolgenden Paragraphen abweichende Vorschriften enthalten sind.

Zivilprozessordnung - ZPO | § 397 Fragerecht der Parteien


(1) Die Parteien sind berechtigt, dem Zeugen diejenigen Fragen vorlegen zu lassen, die sie zur Aufklärung der Sache oder der Verhältnisse des Zeugen für dienlich erachten. (2) Der Vorsitzende kann den Parteien gestatten und hat ihren Anwälten auf

Referenzen - Urteile

Urteil einreichen

Bundesgerichtshof Beschluss, 06. März 2019 - VII ZR 303/16 zitiert oder wird zitiert von 5 Urteil(en).

Bundesgerichtshof Beschluss, 06. März 2019 - VII ZR 303/16 zitiert 3 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bundesgerichtshof Urteil, 29. Okt. 2002 - VI ZR 353/01

bei uns veröffentlicht am 29.10.2002

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL VI ZR 353/01 Verkündet am: 29. Oktober 2002 H o l m e s, Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein ZPO §§ 3

Bundesgerichtshof Beschluss, 16. März 2017 - V ZR 170/16

bei uns veröffentlicht am 16.03.2017

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS V ZR 170/16 vom 16. März 2017 in dem Rechtsstreit ECLI:DE:BGH:2017:160317BVZR170.16.0 Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 16. März 2017 durch die Richterinnen Prof. Dr. Schmidt-Räntsch, Dr. Brückner und Wei

Bundesgerichtshof Beschluss, 19. Nov. 2014 - IV ZR 47/14

bei uns veröffentlicht am 19.11.2014

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS IV ZR47/14 vom 19. November 2014 in dem Rechtsstreit Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch die Vorsitzende Richterin Mayen, die Richter Wendt, Felsch, Lehmann und die Richterin Dr. Brockmöller am 19. Novem
2 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Bundesgerichtshof Beschluss, 06. März 2019 - VII ZR 303/16.

Bundesgerichtshof Beschluss, 20. Nov. 2019 - VII ZR 204/17

bei uns veröffentlicht am 20.11.2019

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS VII ZR 204/17 vom 20. November 2019 in dem Rechtsstreit ECLI:DE:BGH:2019:201119BVIIZR204.17.0 Der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 20. November 2019 durch den Vorsitzenden Richter Pamp, den Richter Dr. Kar

Bundesgerichtshof Beschluss, 26. Sept. 2019 - IX ZR 25/19

bei uns veröffentlicht am 26.09.2019

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS IX ZR 25/19 vom 26. September 2019 in dem Rechtsstreit ECLI:DE:BGH:2019:260919BIXZR25.19.0 Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Kayser und die Richter Prof. Dr. Gehrlei

Referenzen

(1) Die Nichtzulassung der Revision durch das Berufungsgericht unterliegt der Beschwerde (Nichtzulassungsbeschwerde).

(2) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist nur zulässig, wenn

1.
der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer 20 000 Euro übersteigt oder
2.
das Berufungsgericht die Berufung als unzulässig verworfen hat.

(3) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist innerhalb einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber bis zum Ablauf von sechs Monaten nach der Verkündung des Urteils bei dem Revisionsgericht einzulegen. Mit der Beschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des Urteils, gegen das die Revision eingelegt werden soll, vorgelegt werden.

(4) Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber bis zum Ablauf von sieben Monaten nach der Verkündung des Urteils zu begründen. § 551 Abs. 2 Satz 5 und 6 gilt entsprechend. In der Begründung müssen die Zulassungsgründe (§ 543 Abs. 2) dargelegt werden.

(5) Das Revisionsgericht gibt dem Gegner des Beschwerdeführers Gelegenheit zur Stellungnahme.

(6) Das Revisionsgericht entscheidet über die Beschwerde durch Beschluss. Der Beschluss soll kurz begründet werden; von einer Begründung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist, oder wenn der Beschwerde stattgegeben wird. Die Entscheidung über die Beschwerde ist den Parteien zuzustellen.

(7) Die Einlegung der Beschwerde hemmt die Rechtskraft des Urteils. § 719 Abs. 2 und 3 ist entsprechend anzuwenden. Mit der Ablehnung der Beschwerde durch das Revisionsgericht wird das Urteil rechtskräftig.

(8) Wird der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision stattgegeben, so wird das Beschwerdeverfahren als Revisionsverfahren fortgesetzt. In diesem Fall gilt die form- und fristgerechte Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde als Einlegung der Revision. Mit der Zustellung der Entscheidung beginnt die Revisionsbegründungsfrist.

(9) Hat das Berufungsgericht den Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt, so kann das Revisionsgericht abweichend von Absatz 8 in dem der Beschwerde stattgebenden Beschluss das angefochtene Urteil aufheben und den Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverweisen.

(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.

(2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.

(3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.

(1) Die Parteien sind berechtigt, dem Zeugen diejenigen Fragen vorlegen zu lassen, die sie zur Aufklärung der Sache oder der Verhältnisse des Zeugen für dienlich erachten.

(2) Der Vorsitzende kann den Parteien gestatten und hat ihren Anwälten auf Verlangen zu gestatten, an den Zeugen unmittelbar Fragen zu richten.

(3) Zweifel über die Zulässigkeit einer Frage entscheidet das Gericht.

Für den Beweis durch Sachverständige gelten die Vorschriften über den Beweis durch Zeugen entsprechend, insoweit nicht in den nachfolgenden Paragraphen abweichende Vorschriften enthalten sind.

(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.

(2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.

(3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.

6
b) Das Berufungsgericht hat die im selbständigen Beweisverfahren bestellten Sachverständigen K. und V. nicht mündlich angehört, obwohl die Beklagte das beantragt hat. Die Beklagte verweist in der Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde zutreffend auf den Inhalt ihrer Klageerwiderung, mit der sie unter Formulierung bestimmter Fragen den Antrag gestellt hat, dass die Sachverständigen ihr Gutachten erläutern sollen. An diesem Antrag hat die Beklagte, die erstinstanzlich obsiegt hat, ohne dass es zu der beantragten Erläuterung der Gutachten gekommen ist, auch im Rahmen des Berufungsverfahrens festgehalten. Das Berufungsgericht durfte die ergänzende Befragung der Sachverständigen nicht mit der Begründung ablehnen, dafür bestehe kein Anlass. Eine Partei darf dem Sachverständigen zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs nach §§ 397, 402 ZPO Fragen, die sie zur Aufklärung der Sache für erforderlich hält, zur mündlichen Beantwortung vorlegen. Auch wenn das Gericht selbst das schriftliche Gutachten für überzeugend hält und keinen weiteren Erläuterungsbedarf sieht, dürfen diese Fragen nicht zurückgewiesen werden, da ansonsten eine unzulässige vorweggenommene Beweiswürdigung vorliegt (vgl. etwa BGH, Urteil vom 22. Mai 2007 - VI ZR 233/06, NJW-RR 2007, 1294 Rn. 2 f.; Urteil vom 28. Oktober 2014 - VI ZR 273/13, RuS 2015, 44 Rn. 6; jeweils mwN). Im Hinblick darauf hätte das Berufungsgericht die Sachverständigen anhören müssen.

(1) Die Parteien sind berechtigt, dem Zeugen diejenigen Fragen vorlegen zu lassen, die sie zur Aufklärung der Sache oder der Verhältnisse des Zeugen für dienlich erachten.

(2) Der Vorsitzende kann den Parteien gestatten und hat ihren Anwälten auf Verlangen zu gestatten, an den Zeugen unmittelbar Fragen zu richten.

(3) Zweifel über die Zulässigkeit einer Frage entscheidet das Gericht.

Für den Beweis durch Sachverständige gelten die Vorschriften über den Beweis durch Zeugen entsprechend, insoweit nicht in den nachfolgenden Paragraphen abweichende Vorschriften enthalten sind.

(1) Wird schriftliche Begutachtung angeordnet, setzt das Gericht dem Sachverständigen eine Frist, innerhalb derer er das von ihm unterschriebene Gutachten zu übermitteln hat.

(2) Versäumt ein zur Erstattung des Gutachtens verpflichteter Sachverständiger die Frist, so soll gegen ihn ein Ordnungsgeld festgesetzt werden. Das Ordnungsgeld muss vorher unter Setzung einer Nachfrist angedroht werden. Im Falle wiederholter Fristversäumnis kann das Ordnungsgeld in der gleichen Weise noch einmal festgesetzt werden. Das einzelne Ordnungsgeld darf 3 000 Euro nicht übersteigen. § 409 Abs. 2 gilt entsprechend.

(3) Das Gericht kann das Erscheinen des Sachverständigen anordnen, damit er das schriftliche Gutachten erläutere. Das Gericht kann auch eine schriftliche Erläuterung oder Ergänzung des Gutachtens anordnen.

(4) Die Parteien haben dem Gericht innerhalb eines angemessenen Zeitraums ihre Einwendungen gegen das Gutachten, die Begutachtung betreffende Anträge und Ergänzungsfragen zu dem schriftlichen Gutachten mitzuteilen. Das Gericht kann ihnen hierfür eine Frist setzen; § 296 Abs. 1, 4 gilt entsprechend.

8
1. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs kommt es für die Frage, ob die Ladung eines Sachverständigen zur mündlichen Erläuterung des von ihm erstatteten Gutachtens geboten ist, nicht darauf an, ob das Gericht noch Erläuterungsbedarf sieht oder ob zu erwarten ist, dass der Gutachter seine Auffassung ändert. Weiter ist unerheblich, ob das schriftliche Gutachten Mängel aufweist. Die Parteien haben zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs nach §§ 397, 402 ZPO einen Anspruch darauf, dass sie dem Sachverständigen die Fragen, die sie zur Aufklärung der Sache für wesentlich erachten, in einer mündlichen Anhörung stellen können. Dieses Antragsrecht der Parteien besteht unabhängig von § 411 Abs. 3 ZPO (Senatsbeschlüsse vom 30. Oktober 2013 - IV ZR 307/12, r+s 2014, 25 Rn. 9; vom 15. März 2006 - IV ZR 182/05, VersR 2006, 950 Rn. 6 m.w.N.; BGH, Beschluss vom 10. Mai 2005 - VI ZR 245/04, VersR 2005, 1555 unter 2 a m.w.N. und ständig). Dabei kann von der Partei, die einen Antrag auf Ladung des Sachverständigen stellt, nicht verlangt werden, dass sie die Fragen, die sie an den Sachverständigen zu richten beabsichtigt, im Voraus konkret formuliert. Es genügt, wenn sie allgemein angibt, in welcher Richtung sie durch ihre Fragen eine weitere Aufklärung herbeizuführen wünscht.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VI ZR 353/01 Verkündet am:
29. Oktober 2002
H o l m e s,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
Dem Antrag einer Partei auf Ladung eines Sachverständigen zur Erläuterung seines
schriftlichen Gutachtens ist grundsätzlich auch dann zu entsprechen, wenn das Gericht
das Gutachten für überzeugend hält und selbst keinen Erläuterungsbedarf sieht.
BGH, Urteil vom 29. Oktober 2002 - VI ZR 353/01 - OLG Celle
LG Bückeburg
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 29. Oktober 2002 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Müller und die Richter
Wellner, Pauge, Stöhr und Zoll

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 1. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Celle vom 17. September 2001 aufgehoben. Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt wegen behaupteter ärztlicher Fehler die Zahlung eines Schmerzensgeldes sowie die Feststellung der Ersatzpflicht für weitere Schäden. Sie litt unter Senkungsbeschwerden und unterzog sich deshalb am 18. Februar 1994 einer Unterleibsoperation in der Gynäkologischen Abteilung des Kreiskrankenhauses St., dessen Träger der Erstbeklagte ist. Die von dem Zweitbeklagten vorgenommene Uterusexstirpation mit vorderer und hinterer Plastik (Anheben der Harnblase und Festigung des Beckenbodens) verlief nach dem Operationsbericht komplikationslos. Es wurde ein suprapubischer Katheter gelegt, aus dem sich klarer Urin entleerte. Zwei Tage später stellten sich schmerzhafte Harnentleerungsstörungen ein. Am 1. März 1994 konnte die Klägerin tropfenweise Wasser lassen. Im Urin fanden sich Bakterien der Species staphylococcus. Ab 4. März 1994 erfolgte eine antibiotische Behandlung. Am 8. März 1994 entließ der Zweitbeklagte die Klägerin aus der stationären Behandlung. Der Katheter verblieb bis zum 21. März 1994. Bei einer an diesem Tage durchgeführten sonographischen Untersuchung wurde eine verdickte Blasenwand festgestellt. Eine am 20. April 1994 vorgenommene Cystoskopie ergab eine schwere Harnblasenentzündung. Röntgenologisch fanden sich eine Stauung der Harnleiter beiderseits sowie eine Aufweitung des Nierenbeckenund Kelchsystems. Die Klägerin litt unter starken Schmerzen. Sie wurde am 22. April 1994 in eine Urologische Klinik verlegt. Dort wurde eine massiv entzündliche Blasenschleimhaut mit massiver Gefäßinjektion und reichlich Fibrinbelägen festgestellt. Die Blase war extrem geschrumpft. Am 4. Juli 1994 erfolgte in der Universitätsklinik U. bei bereits deutlich eingeschränkter Gesamtfunktion beider Nieren eine Cystektomie mit gleichzeitiger Konstruktion einer orthotopen Ersatzblase. Die Neoblase erwies sich jedoch nach kurzer Zeit als funktionslos. Die Klägerin, der eine Miktion auch heute noch nur mit Hilfe eines
Katheters möglich ist, leidet seitdem an verschiedenen körperlichen und psychischen Beschwerden, die eine ständige ärztliche Behandlung erfordern. Die Klägerin hat dem Zweitbeklagten eine unzureichende Aufklärung über Behandlungsalternativen und Operationsrisiken vorgeworfen und geltend gemacht, die Schrumpfblasenbildung sei vermeidbar gewesen. Diese könne zwei Ursachen haben: Entweder sei infolge mangelhafter Hygiene im Operationssaal ein äußerlich anzuwendendes Desinfektionsmittel in Harnröhre und Blase gelangt und habe dort Verätzungen hervorgerufen oder die Blase sei durch Naht- oder Narbenbildung unzureichend arteriell versorgt gewesen. Das entzündliche Geschehen sei zudem verspätet festgestellt worden. Die antibiotische Behandlung sei nicht rechtzeitig eingeleitet worden und unzureichend gewesen. Der Katheter habe zu lange gelegen. Auch habe sie bei noch liegendem Katheter nicht aus der stationären Behandlung entlassen werden dürfen. Das Landgericht hat die Klage nach Beweisaufnahme abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Dagegen wendet diese sich mit der Revision.

Entscheidungsgründe:

I.

Das Berufungsgericht ist der Auffassung, die Klägerin sei vor der Operation ordnungsgemäß und in ausreichender Weise aufgeklärt worden. Ein Behandlungsfehler sei dem Zweitbeklagten und den anderen behandelnden Ärzten des Kreiskrankenhauses St. nicht unterlaufen. Auch habe die Klägerin am 8. März 1994 ohne Sorgfaltsverstoß entlassen werden dürfen. Der Harnwegsinfekt habe keine weitere stationäre Behandlung erfordert. Die Klägerin habe
auch nicht dargelegt, welche für sie günstigen Auswirkungen eine weitere Hospitalisierung gehabt hätte. Das Landgericht habe ohne Verfahrensfehler von der Ladung des Sachverständigen Dr. K. zur Erläuterung seines Gutachtens absehen dürfen. Die Klägerin habe - von einer für den Ausgang des Rechtsstreits belanglosen Frage abgesehen - nicht vorgetragen, daß sie von dem Sachverständigen überhaupt noch etwas haben wissen wollen. Im übrigen seien ihre Einwendungen schon durch die schriftlichen Gutachten erschöpfend beantwortet. Im Berufungsrechtszug hätte der Sachverständige nur geladen werden müssen, wenn das Gericht selbst Erläuterungsbedarf gesehen hätte. Das sei nicht der Fall.

II.

Das Berufungsurteil hält einer Überprüfung nicht stand. Mit Recht rügt die Revision, daß das Berufungsgericht verfahrensfehlerhaft von einer mündlichen Befragung der gerichtlichen Sachverständigen abgesehen hat. 1. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kommt es für die Frage, ob die Ladung eines Sachverständigen zur mündlichen Erläuterung des von ihm erstatteten Gutachtens geboten ist, nicht darauf an, ob das Gericht noch Erläuterungsbedarf sieht oder ob gar zu erwarten ist, daß der Gutachter seine Auffassung ändert. Nach ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senats hat die Partei zur Gewährleistung des rechtlichen Gehörs nach §§ 397, 402 ZPO einen Anspruch darauf, daß dem Sachverständigen die Fragen, die sie zur Aufklärung der Sache für erforderlich hält, zur mündlichen Beantwortung vorgelegt werden (vgl. u.a. Senatsurteile vom 17. Dezember 1996 - VI ZR 50/96 - VersR 1997, 509 ff.; vom 7. Oktober 1997 - VI ZR 252/96 - VersR 1998, 342 und vom 22. Mai 2001 - VI ZR 268/00 - VersR 2002, 120, 121 f.). Dieses
Antragsrecht besteht unabhängig von § 411 Abs. 3 ZPO (st. Rspr., vgl. BGHZ 6, 398, 400 f.; 24, 9, 14; Senatsurteile vom 24. Oktober 1995 - VI ZR 13/95 - VersR 1996, 211, 212; vom 17. Dezember 1996 - VI ZR 50/96 - aaO und vom 7. Oktober 1997 - VI ZR 252/96 - VersR 1998, 342, 343).
Hat das Landgericht einem rechtzeitig gestellten Antrag auf Ladung eines Sachverständigen zur mündlichen Erläuterung seines schriftlichen Gutachtens nicht entsprochen, so muß das Berufungsgericht dem im zweiten Rechtszug wiederholten Antrag stattgeben (Senatsurteil vom 24. Oktober 1995 - VI ZR 13/95 - aaO). Beschränkungen des Antragsrechts ergeben sich nur aus den Gesichtspunkten des Rechtsmißbrauchs und der Prozeßverschleppung. Daß hier zu einer solchen Annahme Anlaß bestand, ergeben die Darlegungen des Berufungsgerichts nicht. Ein beabsichtigter Rechtsmißbrauch läßt sich auch nicht daraus herleiten, daß die Klägerin nicht mitgeteilt hat, welche Fragen dem Sachverständigen gestellt werden sollten. Es kann von der Partei, die einen Antrag auf Ladung des Sachverständigen stellt, nicht verlangt werden, daß sie die Fragen, die sie an den Sachverständigen zu richten beabsichtigt, im voraus konkret formuliert. Es genügt, wenn sie allgemein angibt, in welcher Richtung sie durch ihre Fragen eine weitere Aufklärung herbeizuführen wünscht (BGHZ 24, 9, 14 f.).
Diesen Anforderungen genügte das Vorbringen der Klägerin. Mit Recht verweist die Revision darauf, daß die Klägerin im ersten Rechtszug mehrfach die Ladung der Sachverständigen M. und K. zur Erläuterung ihrer Gutachten beantragt hat. Mit Schriftsatz vom 19. Dezember 2000 hat sie sodann im einzelnen auf ihrer Meinung nach gegebene Unklarheiten innerhalb der einzelnen Ausführungen des Sachverständigen K. und auf Widersprüche zu dem von ihr vorgelegten Privatgutachten Dr. Ka. hingewiesen. Über dieses Vorbringen
durfte sich das Landgericht nicht hinwegsetzen. Die Klägerin hat diesen Verfahrensfehler in ihrer Berufungsbegründung ausdrücklich gerügt. Im Hinblick darauf hätte das Berufungsgericht dem Antrag auf Ladung der Sachverständigen entsprechen müssen, auch wenn es selbst die schriftlichen Gutachten für überzeugend hielt (vgl. Senatsurteil vom 17. Dezember 1996 - VI ZR 50/96 - aaO).
2. Die Revision macht weiter geltend, das Berufungsgericht habe zu Unrecht die Aufklärung über mögliche Infektionsrisiken als ausreichend angesehen. Sie weist auch insoweit auf Widersprüche zwischen den gerichtlichen Gutachten und dem Privatgutachten Dr. Ka. hin und rügt mit Recht, daß die Problematik , ob eine Infektion der Harnblase zu einer Schrumpfblase führen kann, mit dem gerichtlichen Sachverständigen zu erörtern gewesen wäre.

III.


Das Berufungsurteil war daher aufzuheben und die Sache an das Beru- fungsgericht zurückzuverweisen. Dabei werden die Parteien Gelegenheit haben , zu den von der Revisionserwiderung angesprochenen Gesichtspunkten vorzutragen, insbesondere hinsichtlich eines Entscheidungskonflikts der Klägerin und der Frage, ob für die eingetretene Schädigung eine ihr seit 1992 bekannte , für die behandelnden Ärzte aber nicht erkennbare Pyelonephritis ursächlich sein kann.
Müller Wellner Pauge Stöhr Zoll