Bundesgerichtshof Beschluss, 11. Okt. 2017 - V ZB 167/16
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 11. Oktober 2017 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Stresemann, die Richterinnen Dr. Brückner und Weinland und die Richter Dr. Kazele und Dr. Hamdorf
beschlossen:
Gerichtskosten werden in allen Instanzen nicht erhoben. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen in allen Instanzen werden der Freien und Hansestadt Hamburg auferlegt.
Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens beträgt 5.000 €.
Gründe:
I.
- 1
- Der Betroffene, ein afghanischer Staatsangehöriger, der sich zuvor in Norwegen aufgehalten hatte, reiste am 4. Januar 2016 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Mit Bescheid vom 18. August 2016 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge den von ihm gestellten Asylantrag als unzulässig ab und ordnete die Abschiebung nach Norwegen an. Der hiergegen erstrebte verwaltungsgerichtliche Rechtsschutz blieb ohne Erfolg.
- 2
- Auf Antrag der beteiligten Behörde ordnete das Amtsgericht mit Beschluss vom 4. November 2016 Haft zur Sicherung der Überstellung des Betroffenen bis zum 23. November 2016 an. Die hiergegen gerichtete Beschwerde wies das Landgericht zurück.
- 3
- Nachdem die geplante Rücküberstellung des Betroffenen am 21. November 2016 nicht erfolgen konnte, hat das Amtsgericht auf Antrag der beteiligten Behörde mit Beschluss vom 22. November 2016 die Haft bis zum 23. Dezember 2016 verlängert. Die hiergegen seitens des Betroffenen eingelegte Beschwerde hat das Beschwerdegericht mit Beschluss vom 1. Dezember 2016 zurückgewiesen. Dagegen wendet sich der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde. Der Senat hat die Vollziehung der Sicherungshaft mit Beschluss vom 13. Dezember 2016 einstweilen ausgesetzt. Der Betroffene beantragt nunmehr, die Rechtswidrigkeit der Haft festzustellen. Die beteiligte Behörde beantragt die Zurückweisung der Rechtsbeschwerde.
II.
- 4
- Das Beschwerdegericht meint, der Haftverlängerungsantrag sei zulässig. Auch lägen die materiellen Voraussetzungen für eine Verlängerung der Sicherungshaft vor. Von einer erneuten Anhörung des Betroffenen sei abzusehen gewesen, weil seit der Anhörung durch das Amtsgericht nur ein geringer Zeit- raum vergangen und nicht ersichtlich sei, dass seitdem neue, eine abermalige Anhörung erforderlich machende Umstände eingetreten seien. Ein Verstoß gegen das Gebot des fairen Verfahrens, weil der Bevollmächtigte des Betroffenen an dessen Anhörung durch das Amtsgericht nicht habe teilnehmen können, liege nicht vor. Es sei nicht erkennbar, welcher Gesichtspunkt bei Anwesenheit des Bevollmächtigten oder bei vorheriger Zusendung des Haftantrags zusätzlich hätte vorgebracht werden können. Es sei lediglich um die Verlängerung der Haft gegangen; die Tatsachen und Umstände seien aus dem vorherigen Verfahren bekannt gewesen.
III.
- 5
- Die gemäß § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 FamFG statthafte und auch im Übrigen zulässige (§ 71 FamFG) Rechtsbeschwerde ist begründet.
- 6
- 1. Die Anordnung der Haftfortdauer durch das Amtsgericht hat den Betroffenen in seinen Rechten verletzt, weil ihm bei dessen Anhörung ein schwerer Verfahrensfehler unterlaufen ist.
- 7
- a) Einem Verfahrensbevollmächtigten muss die Möglichkeit eingeräumt werden, an dem Termin zur Anhörung des Betroffenen teilzunehmen. Der Grundsatz des fairen Verfahrens garantiert einem Betroffenen, sich zur Wahrung seiner Rechte in einem Freiheitsentziehungsverfahren von einem Bevollmächtigten seiner Wahl vertreten zu lassen und diesen zu der Anhörung hinzuzuziehen (Senat, Beschluss vom 10. Juli 2014 - V ZB 32/14, FGPrax 2014, 228 Rn. 8; Beschluss vom 20. Mai 2016 - V ZB 140/15, InfAuslR 2016, 381 Rn. 6 und 20 mwN). Vereitelt das Gericht durch seine Verfahrensgestaltung eine Teilnahme des Bevollmächtigten an der Anhörung, führt dies ohne weiteres zu der Rechtswidrigkeit der Haft bzw. - soweit es um das Verfahren vor dem Beschwerdegericht geht - zur Rechtswidrigkeit der Aufrechterhaltung der Haft. Es kommt nicht darauf an, ob die Anordnung der Haft auf dem Fehler beruht (vgl. Senat, Beschluss vom 10. Juli 2014 - V ZB 32/14, FGPrax 2014, 228 Rn. 7 f.; Beschluss vom 20. Mai 2016 - V ZB 140/15, InfAuslR 2016, 381 Rn. 13; Beschluss vom 13. Juli 2017 - V ZB 89/16, juris Rn. 5). Das gilt auch für die Verlängerung der Abschiebungs- oder Rücküberstellungshaft, auf die nach § 425 Abs. 3 FamFG die Vorschriften über den Erstantrag, also auch diejenigen über die Anhörung, uneingeschränkt anzuwenden sind (Senat, Beschluss vom 6. April 2017 - V ZB 59/16, InfAuslR 2017, 292 Rn. 7).
- 8
- b) Das Amtsgericht hat gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens verstoßen. Es hat, nachdem ihm der Haftverlängerungsantrag am 22. November 2016 um 10.33 Uhr per Fax übermittelt wurde, für den gleichen Tag um 13.30 Uhr einen Anhörungstermin bestimmt. Der Verfahrensbevollmächtigte hat daraufhin noch vor dem Anhörungstermin dessen Verlegung beantragt, wobei er darauf hingewiesen hat, dass ihm weder der Haftverlängerungsantrag übermittelt worden noch ein Erscheinen um 13.30 Uhr möglich sei. Letzteres war im Hinblick auf die zeitlichen Abläufe und die räumliche Entfernung - der Verfahrensbevollmächtigte hat seinen Sitz in Hannover, während die Anhörung in Hamburg stattfinden sollte - offenkundig. Vor diesem Hintergrund durfte das Amtsgericht den Verlegungsantrag nicht zurückweisen und die Anhörung des Betroffenen ohne dessen Verfahrensbevollmächtigten durchführen.
- 9
- 2. Eine Heilung des Verfahrensfehlers - die mit Wirkung für die Zukunft möglich wäre (vgl. Senat, Beschluss vom 18. Februar 2016 - V ZB 23/15, InfAuslR 2016, 235 Rn. 25) - ist auch in der Beschwerdeinstanz nicht eingetre- ten. Sie setzt eine Nachholung der Anhörung des Betroffenen voraus, die nicht erfolgt ist.
- 10
- 3. Von einer weiteren Begründung wird nach § 74 Abs. 7 FamFG abgesehen.
Kazele Hamdorf
Vorinstanzen:
AG Hamburg, Entscheidung vom 22.11.2016 - 219e XIV 71/16 -
LG Hamburg, Entscheidung vom 01.12.2016 - 329 T 25/16 -
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(1) Die Rechtsbeschwerde eines Beteiligten ist statthaft, wenn sie das Beschwerdegericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug in dem Beschluss zugelassen hat.
(2) Die Rechtsbeschwerde ist zuzulassen, wenn
- 1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder - 2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.
(3) Die Rechtsbeschwerde gegen einen Beschluss des Beschwerdegerichts ist ohne Zulassung statthaft in
- 1.
Betreuungssachen zur Bestellung eines Betreuers, zur Aufhebung einer Betreuung, zur Anordnung oder Aufhebung eines Einwilligungsvorbehalts, - 2.
Unterbringungssachen und Verfahren nach § 151 Nr. 6 und 7 sowie - 3.
Freiheitsentziehungssachen.
(4) Gegen einen Beschluss im Verfahren über die Anordnung, Abänderung oder Aufhebung einer einstweiligen Anordnung oder eines Arrests findet die Rechtsbeschwerde nicht statt.
(1) Die Rechtsbeschwerde ist binnen einer Frist von einem Monat nach der schriftlichen Bekanntgabe des Beschlusses durch Einreichen einer Beschwerdeschrift bei dem Rechtsbeschwerdegericht einzulegen. Die Rechtsbeschwerdeschrift muss enthalten:
- 1.
die Bezeichnung des Beschlusses, gegen den die Rechtsbeschwerde gerichtet wird, und - 2.
die Erklärung, dass gegen diesen Beschluss Rechtsbeschwerde eingelegt werde.
(2) Die Rechtsbeschwerde ist, sofern die Beschwerdeschrift keine Begründung enthält, binnen einer Frist von einem Monat zu begründen. Die Frist beginnt mit der schriftlichen Bekanntgabe des angefochtenen Beschlusses. § 551 Abs. 2 Satz 5 und 6 der Zivilprozessordnung gilt entsprechend.
(3) Die Begründung der Rechtsbeschwerde muss enthalten:
- 1.
die Erklärung, inwieweit der Beschluss angefochten und dessen Aufhebung beantragt werde (Rechtsbeschwerdeanträge); - 2.
die Angabe der Rechtsbeschwerdegründe, und zwar - a)
die bestimmte Bezeichnung der Umstände, aus denen sich die Rechtsverletzung ergibt; - b)
soweit die Rechtsbeschwerde darauf gestützt wird, dass das Gesetz in Bezug auf das Verfahren verletzt sei, die Bezeichnung der Tatsachen, die den Mangel ergeben.
(4) Die Rechtsbeschwerde- und die Begründungsschrift sind den anderen Beteiligten bekannt zu geben.
(1) In dem Beschluss, durch den eine Freiheitsentziehung angeordnet wird, ist eine Frist für die Freiheitsentziehung bis zur Höchstdauer eines Jahres zu bestimmen, soweit nicht in einem anderen Gesetz eine kürzere Höchstdauer der Freiheitsentziehung bestimmt ist.
(2) Wird nicht innerhalb der Frist die Verlängerung der Freiheitsentziehung durch richterlichen Beschluss angeordnet, ist der Betroffene freizulassen. Dem Gericht ist die Freilassung mitzuteilen.
(3) Für die Verlängerung der Freiheitsentziehung gelten die Vorschriften über die erstmalige Anordnung entsprechend.
(1) Das Rechtsbeschwerdegericht hat zu prüfen, ob die Rechtsbeschwerde an sich statthaft ist und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, ist die Rechtsbeschwerde als unzulässig zu verwerfen.
(2) Ergibt die Begründung des angefochtenen Beschlusses zwar eine Rechtsverletzung, stellt sich die Entscheidung aber aus anderen Gründen als richtig dar, ist die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.
(3) Der Prüfung des Rechtsbeschwerdegerichts unterliegen nur die von den Beteiligten gestellten Anträge. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die geltend gemachten Rechtsbeschwerdegründe nicht gebunden. Auf Verfahrensmängel, die nicht von Amts wegen zu berücksichtigen sind, darf die angefochtene Entscheidung nur geprüft werden, wenn die Mängel nach § 71 Abs. 3 und § 73 Satz 2 gerügt worden sind. Die §§ 559, 564 der Zivilprozessordnung gelten entsprechend.
(4) Auf das weitere Verfahren sind, soweit sich nicht Abweichungen aus den Vorschriften dieses Unterabschnitts ergeben, die im ersten Rechtszug geltenden Vorschriften entsprechend anzuwenden.
(5) Soweit die Rechtsbeschwerde begründet ist, ist der angefochtene Beschluss aufzuheben.
(6) Das Rechtsbeschwerdegericht entscheidet in der Sache selbst, wenn diese zur Endentscheidung reif ist. Andernfalls verweist es die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und des Verfahrens zur anderweitigen Behandlung und Entscheidung an das Beschwerdegericht oder, wenn dies aus besonderen Gründen geboten erscheint, an das Gericht des ersten Rechtszugs zurück. Die Zurückverweisung kann an einen anderen Spruchkörper des Gerichts erfolgen, das die angefochtene Entscheidung erlassen hat. Das Gericht, an das die Sache zurückverwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung zugrunde liegt, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.
(7) Von einer Begründung der Entscheidung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen.